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Full text of "Geschichte des späteren Mittelalters von 1197 bis 1492"

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University  of  Toronto 


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HANDBUCH 


DER 


Mittelalterlichen  und 
Neueren  Geschichte. 


HERAUSGEGEBEN 


G.  v.  Below,         und  F.  Meinecke, 

PROFESSOR  AN  DER  FNIVERSITÄT  TÜBINGEN.  PROFESSOR  AN  DER  UNIVERSITÄT  STRASSBURG 


Abteilung  ii: 

POLITISCHE  GESCHICHTE. 

Johann  Loserth 

GESCHICHTE  DES  SPÄTEREN  MITTELALTERS. 


MÜNCHEN  UND  BERLIN. 
DRUCK  UND  VERLAG  VON  R.  OLDENBOURG. 

1903. 


GESCHÜCHTE 


DES 


SPÄTEREN  MITTELALTERS 


VON  1197  BIS  1492. 


VON 

dä  Johann  Loserth, 

PROFESSOR  AN   DER  UNIVERSITÄT    GRAZ. 


MÜNCHEN  und  BERLIN. 

DRUCK  UND  VERLAG  VON  R.  OLDENBOURG. 

1903. 


Vorwort. 


Es  war  vor  23  Jahren,  als  ich  von  einem  namhaften  Geschicht- 
schreiber jener  Tage  die  Anregung  erhielt,  eine  Geschichte  des  späteren 
Mittelalters,  die  seit  Jahrzehnten  keine  wissenschaftliche  Darstellung  mehr 
gefunden  hatte,  zu  schreiben.  Man  wird  begreifen,  warum  ich  mich 
solchem  Wunsche  versagte.  Eine  Reihe  kritischer  Forschungen  und 
Quellenpublikationen  war  damals  eben  begonnen  und  erst  noch  wenig  ge- 
fördert worden,  so  dafs  eine  neue,  auf  älteren  oder  unvollständigen  Samm- 
lungen fufsende  Arbeit  von  vornherein  als  eine  antiquierte  hätte  gelten 
müssen.  Seit  jenen  Tagen  sind,  um  nur  einige  Namen  zu  nennen,  die  Ar- 
beiten Julius  Fickers,  Scheffer -Boichorsts  und  ihrer  Schüler,  die  Eduard 
Winkelmanns  u.  a.  über  die  Zeit  der  letzten  Staufer,  die  Studien  Hubers, 
Bussons  und  Redlichs  über  die  ersten  Habsburger  erschienen,  für  die 
Zeiten  Heinrichs  VII.  jene  K.  Wencks,  für  die  ganze  Zeit  der  Habsburger 
und  Luxemburger  die  gehaltvollen  Schriften  Th.  Lindners,  die .  Arbeiten 
Finkes  zum  Konstanzer,  jene  Hallers  zum  Basler  Konzil.  Unsere  Re- 
gestenwerke liegen  für  diese  Zeit,  zum  Teil  wenigstens,  in  neuer  Be- 
arbeitung vor,  die  Herausgabe  der  Reichstagsakten  ist  erheblich  weiter 
gediehen,  und  die  Eröffnung  der  vatikanischen  Archive  hat  gerade  das 
Studium  des  späteren  Mittelalters  wesentlich  gefördert.  Die  Fortschritte 
in  der  Geschichtschreibung  der  aufserdeutschen  Staaten  sind  nicht 
minder  bedeutend,  die  Zahl  der  Studien  zur  Provinzial-  und  Lokal- 
geschichte schwillt  in  der  Masse  der  hiefür  bestimmten  Zeitschriften 
immer  mächtiger  an.  Und  doch  steht  noch  so  vieles  aus,  und  es  ent- 
steht die  Frage,  ob  es  zeitgemäfs  sei,  schon  jetzt  an  eine  zusammen- 
fassende Darstellung  der  letzten  drei  Jahrhunderte  des  Mittelalters  zu 
schreiten.  Für  mich  kam  der  Umstand  noch  hinzu,  dafs  die  hier  ortigen 
Büchersammlungen,  wie  die  der  österreichischen  Bibliotheken  überhaupt, 
arm  sind  und  bureaukratisches  Walten  nicht  selten  die  Benützung  des 
Vorhandenen  hemmt,  —  Grund  genug,  weshalb  ich  lange  zögerte,  der 
Einladung  zu  folgen,  die  von  den  Herausgebern  dieses  Unternehmens 
an  mich  erging.     Schliefslich  gaben    zwei  Momente  den  Ausschlag:    der 


YI  Vorwort, 

Umstand,  dafs  es  einer  enzyklopädischen  Behandlung  des  Stoffes  galt, 
bei  der  ein  allseitiges  Zurückgehen  auf  Quellen  erster  Hand  wohl  er- 
wünscht, aber  nicht  unbedingt  geboten,  tatsächlich  auch  nicht  gut 
möglich  ist,  mehr  noch  der  Wunsch,  die  Resultate  eigener  Forschung 
in  die  allgemeine  Geschichte  dieses  Zeitraumes  einzuführen  und  dieser 
selbst  für  die  kirchüchen  und  kirchenpolitischen  Fragen,  die  ja  doch 
die  Welt  beherrschten,  einen  breiteren  Untergrund  zu  schaffen,  als  ihn 
Werke  ähnlichen  Inhalts  besitzen,  und  wie  er  für  das  Verständnis  und 
die  Würdigung  der  deutschen  Reformation  des  16.  Jahrhunderts  als  not- 
wendig erscheint.  Genügt  die  Darstellung  nach  dieser  Seite,  so  werden 
sonstige  Mängel,  die  Arbeiten  enzyklopädischer  Art  anzuhaften  pflegen, 
in  den  Hintergrund  treten. 

Über  die  Auswahl  des  aufzunehmenden  Stoffes  und  seine  Gliederung 
von  den  obersten  bis  zu  den  untersten  Abteilungen  herab  konnte  kaum 
ein  Zweifel  obwalten,  und  ich  hoffe,  dafs  die  streng  sachlichen  Er- 
wägungen, die  hierfür  mafsgebend  waren,  Billigung  finden  werden.  Die 
Weltherrschaft  des  abendländischen  Kaisertums  ist  von  jener  des  Papst- 
tums abgelöst;  diese,  in  der  Theorie  längst  begründet,  wird  theoretisch 
ausgestaltet  und  verwirklicht.  Beschäftigt  sich  der  erste  Teil  dieses 
Buches  mit  der  päpstlichen  Weltherrschaft,  ihrem  Wesen  und  ihren 
Kämpfen  mit  den  widerstrebenden  kirchlichen  und  staatlichen  Kräften, 
schildert  er  ihre  äufserliche  Gestaltung,  die  Überspannung  ihrer  An- 
sprüche und  ihren  hieraus  erfolgenden  Sturz,  so  behandelt  der  zweite 
Teil  die  Versuche  der  kirchliehen  Opposition,  an  die  Stelle  der  streng 
monarchischen  eine  repräsentative  Verfassung  der  Kirche  zu  schaffen, 
and  endlich  die  unter  der  Einwirkung  des  Humanismus  erfolgte  Auf- 
lösung des  mittelalterlichen  Lebens  und  die  Ausbildung  der  Grofsmächte, 
wie  sie  am  Beginn  der  Neuzeit  erscheinen. 

Dafs  die  Geschichte  einzelner  Völker  und  Staaten  nicht  in  gleichem 
Umfang  behandelt,  Imperium  und  Sacerdotium  auch  jetzt  wie  in  früheren 
Jahrhunderten  die  Stützpunkte  des  Ganzen  bilden  mufsten,  liegt  auf  der 
Hand.  Von  Wichtigkeit  ist  der  Umstand,  dafs  die  Geschichte  der  isla- 
mitischen Staatenbildungen  mit  Ausnahme  der  osmanischen  schon  in 
einem  früheren  Teile  dieses  Handbuchs  ihre  Darstellung  findet,  weshalb 
sie  hier  nur  beiläufiger  Erwähnung  bedurfte ;  warum  endlich  die  Ge- 
schichte der  mongolischen  Staatengebilde  nicht  im  einzelnen  vorgeführt 
wird,  bedarf  keiner  besonderen  Erörterung. 

In  bezug  auf  die  Anführung  der  Quellen  und  die  Literaturver- 
merke wird  mancher  die  Sache  anders  wünschen.  Was  die  Quellen  be- 
trifft, so  könnte  ein  Hinweis  auf  die  jüngst  erschienenen  Bibliographien 
von  Grofs,  Molinier,  Pirenne,  Capasso,  von  den  bekannteren  deutschen 
ganz  abgesehen,  genügen,    aber   fürs    erste   waren    die   unten    gegebenen 


Vorwort.  VII 

Verzeichnisse  grofsenteils  angelegt,  ehe  diese  Bibliographien  erschienen, 
anderseits  fehlen  solche  für  zahlreiche  Länder,  weshalb  sie  schon  der 
Gleichartigkeit  wegen  für  alle  beigegeben  werden  mui'sten.  Im  übrigen 
haben  die  Quellenvermerke  nicht  die  Absicht,  so  treffliche  AVerke,  wie 
die  von  AArattenbach,  Lorenz  u.  a.,  überflüssig  zu  machen,  sondern  zu 
ihrer  Lektüre  anzuregen,  daher  ist  in  den  meisten  Fällen  auf  sie  ver- 
wiesen worden.  Bei  den  Literaturangaben  mufste  schon  aus  räumlichen 
Rücksichten  eine  Einschränkung  stattfinden.  Wenn  hiebei  manches, 
vielleicht  auch  Wichtigeres  fehlt,  liegt  die  Schuld  weniger  an  meinem 
AVillen  als  an  den  zum  Teil  sehr  unerquicklichen  Verhältnissen,  die 
oben  nur  angedeutet  werden  durften.  Dafs  die  einschlägige  Literatur 
ihre  Beachtung  fand,  wird  man  den  vielfachen  Zitaten  und  sonstigen 
Stellen  entnehmen,  in  denen  auf  sie  verwiesen  wird.  Sollte  dem  Buche 
eine  Neubearbeitung  vergönnt  sein,  so  werde  ich  freundliche  Winke  zu 
seiner  A^erbesserung  freudig  begrüfsen  und  gern  benützen. 

Graz,  Ruckerlberg  im  Oktober  1908. 


J.  LoserttL 


Inhalt. 


i. 

Die  Zeit  der  päpstlichen  Oberherrlichkeit  (1198 — 1878). 

I.  Teil. 

Von  der  Wahl  Innozenz'  III.  bis  zum  Tode  Bonifaz'  VIII.    Die  Zeit  der 
unbedingten  Vorherrschaft  des  Papsttums  1198 — 1303. 

1.  Abschnitt. 

Innozenz  III.  und  seine  Zeit  1198—1216. 

Seite 
§    1.     Rückblick    auf  die  staufische  Politik   vom  Frieden  von  Konstanz  bis  zum 

Tode  Heinrichs  VI 3 

1.  Kapitel. 

Die  allgemeinen  Grundlagen  der  päpstlichen  Oberherrschaft.    Die  kirchliche 
Opposition  und  die  Hilfskräfte  des  Papsttums. 

§  2.  Innozenz  III.  (1198—1216).  Seine  Wahl  und  sein  Charakter.  Die  AVeltherr- 
schaft  des  Papsttums.  Ihre  theoretische  Begründung  und  praktische  Durch- 
führung     7 

§    3.     Die  kirchliche  Opposition.    Katharer  und  Waldesier 11 

§  4.  Die  Hilfskräfte  des  Papsttums.  Die  Bettel orden  der  Minoriten  und  Domini- 
kaner und  ihre  Bedeutung 15 

§    5.     Die  Inquisition 21 

2.  Kapitel. 

Innozenz  III.  und  die  Staaten  des  Abendlandes. 

§  6.  Die  Verdrängung  der  Reichsgewalt  aus  Rom  und  dem  Kirchenstaat.  Die 
Rekuperationen  der  römischen  Kirche  und  der  Sturz  der  deutschen  Ver- 
waltung in  Sizilien 25 

§    7.     Innozenz  III.  und  der  deutsche  Thronstreit.  Philipp  von  Schwaben  (1198  bis 

1208)  und  Otto  von  Braunschweig  (1198—1218) 27 

§    8.     Otto  IV.  und  Friedrich  IL  (1212—1218) 33 

§  9.  Innozenz  III.  und  König  Johann  von  England.  Der  Verlust  der  französi- 
schen Besitzungen    England  ein  Lehen  des  Papstes.  Die  Magna  Charta     .         36 

§  10.    Philipp  H.  August  (1180—1223) 44 

§  11.    Der  Albigenserkrieg.    Ludwig  VIII    .     .  49 

§  12.    Die  Staaten  der  Pyrenäischen  Halbinsel  im  Zeitalter  Innozenz'  III.  ...         52 
§  13.    Innozenz  III.  und  die  germanischen  Staaten  im  Norden  Europas.  Erhebung 

Dänemarks  zur  Grofsmacht  und  ihr  Sturz 57 

3.  Kapitel. 
Innozenz  III.  und  der  Orient. 

§  14.    Der  vierte  Kreuzzug  und  die  Gründung  des  lateinischen  Kaisertums     .     .         67 
§  15.    Die  Krauzzugsbewegung  bis  zum  Tode  Innozenz'  III.  und  die  ersten  Zeiten 

des  lateinischen  Kaisertums 71 

§  16.    Das  grofse  Laterankonzil  von   1215    und  der  Ausgang  Innozenz'  III.      .     .         74 


X  Inhalt. 

2.  Abschnitt. 

Friedrich  II.  und  seine  Zeit  1216-1250. 

1.  Kapitel. 

Friedrich  II.  und  Honorius  III.  Seite 

§  17.    Die  sizilische  Frage  und  die  Kaiserkrönung  Friedrichs  II 77 

§  18.    Der  sog.  fünfte  Kreuzzug  1217 — 1221  und  die  Beziehungen  zwischen  Kaiser- 

und  Papstturn  von  1221 — 1227.  Friedrich  IL  und  die  lorubardische  Liga  .  82 
§  19.    Die  Regentschaft  Engelberts  von  Köln  (1220 — 1225)    und  Herzog  Ludwigs 

von  Bayern  (1226—1228) 87 

2.  Kapitel. 
Friedrich  II.  und  Gregor  IX. 

§  20.    Gregor  IX.  und  der  Kreuzzug  Friedrichs  IL  Krieg  zwischen  Kaiser  und  Papst  88 

§  21.    Die  Gesetzgebung  Friedrichs  IL  im  Königreich  Sizilien  1230 — 1231  ...  94 

§  22.  Die  selbständige  Regierung  König  Heinrichs  in  Deutschland  1229 — 1235  .  98 
§  23.    Der  Kampf   Friedrichs  H.    gegen    die   lombardische  Liga    und   den  Papst 

Gregor  IX 103 

§  24.    Der  Einbruch    der   Mongolen.     (Die   Weltherrschaft    Dschingiskhans.     Die 

Mongolen  in  Rufsland,  Polen  und  Ungarn.) 107 

3.  Kapitel 

Friedrich  II.  und  Innozenz  IV.  1241  [1243]  —1250.    (Der  Entscheidungskampf 

zwischen  Kaiser-  und  Papsttum.) 

§  25.    Die  Friedensversuche  nach  dem  Tode  Gregors  IX.     Innozenz  IV.  und  das 

Konzil  von  Lyon 112 

§  26.  Friedrich  IL  und  die  Gegenkönige.  (Konrad  IV.  und  Heinrich  Raspe  von 
Thüringen.  Der  Fall  von  Parma.  Wilhelm  von  Holland  und  der  Bürger- 
krieg in  Deutschland.) 116 

§  27.    Das  Ende  Friedrichs  IL    Seine  Persönlichkeit  und  sein  Charakter    .     .     .       119 

3.  Abschnitt. 

Das  Zeitalter  Ludwigs  IX.  von  Frankreich  und  der  letzten  Kreuzzüge  1250—1273. 

1.  Kapitel. 

Reichsg'escliichte  und  Papsttum  in  den  Jahren  1250—1273. 

§  28.  Konrad  IV.  und  Wilhelm  von  Holland.  Der  Rheinische  Bund.  Die  Doppel- 
wahl von  1257  und  ihre  staatsrechtliche  Bedeutung 124 

§  29.    Die   Germanisierung   des    nordöstlichen    Deutschland   und   die    Gründung 

des  deutschen  Ordensstaates  in  Preufsen.    Die  Entstehung  der  Hanse       .       130 

§  30.    Die  böhmisch-österreichische  Grofsmacht  unter  Ottokar  II 136 

§  31.    Das  Papsttum  und  die  sizilische  Frage  seit  dem  Tode  Konrads  IV.    König 

Manfred  und  Karl  von  Anjou 140 

§  32.    Konradin  von  Schwaben  und  der  Ausgang  des  staufischen  Hauses  .     .     .       145 

2.  Kapitel. 

Die  Staaten  des  Westens. 

§  33.    Die  Anfänge  Ludwigs  IX 149 

§  34.    Die  Zustände  in  Syrien  und  der  erste  Kreuzzug  Ludwigs  IX 151 

§  35.    Ludwig  IX.  und  der  Beginn  der  französischen  Vormachtstellung  in  Europa  155 

§  36.    Heinrich  III.  (1216 — 1272)  und  die  Fortbildung  der  englischen  Verfassung  159 

3.  Kapitel. 

Das  Ende  der  Kreuzzüge. 

§  37.    Der  Untergang  des  lateinischen  und  die  Wiederaufrichtung  des  griechischen 

Kaisertums.     Die  kleinen  lateinischen  Staaten  in  Griechenland     ....       163 

§  38.    Die  Lage  Syriens  seit  1254.    Der  Einbruch  der  Mongolen  und  ihre  Abwehr 

durch  die  Mamelucken 169 


Inhalt.  XI 

§  39.    Der  zweite  Kreuzzug  Ludwigs  IX.    Dag  Ende  des  Königreichs  .Jerusalem.     Seitfc^ 
Ergebnisse  der  Kreuzzüge 171 

4.  Abschnitt. 

Das  Zeitalter  Rudolfs  von  Habsburg  und  das  Ende  der  unbedingten  Vorherrschaft 

des  Papsttums  1273—1303. 

1.  Kapitel. 

Das  Königtum  der  ersten  Habsburger. 

§  40.    Gregor  X.  und  Rudolf  von  Habsburg 177 

§  41.    Die  Revindikation  des  Reichsgutes  und  das  Rechtsverfahren  gegen  Ottokar  II. 

Die  Kriege  von  1276—1278 183- 

§  42.    Rudolfs  Politik  von  1279—1282.    Die  Erwerbung  Österreichs  für  das  Haus 

Habsburg.     König   Rudolf   und   das    Reich    in   den    letzten  Jahren   seiner 

Regierung 188 

§  43.    Adolf  von  Nassau 194 

§  44.    Albrecht  I.    (Die  Befestigung  seiner  Macht.) 197 

§  45.    Der  Ausgang  der  nationalen  Dynastien   in  Ungarn   und  Böhmen  und  das 

Ende  Albrechts  1 199 

2.  Kapitel. 

Der  Beginn  der  Opposition  gegen  die  weltliche  Oberherrschaft  des  Papstturas. 

§  46.    Die  Sizilianische  Vesper  und  das  Ende  Karls  von  Anjou 203 

§  47.  Bonifaz  VIII.  und  die  Überspannung  der  päpstlichen  Machtansprüche  .  .  206 
§  48.    Eduard   I.     Der    schottische    Ereiheitskampf    und    die    Weiterbildung    der 

englischen  Verfassung 209' 

§  49.    Bonifaz  VIII.  und  der  schottische  Vnabhängigkeitskampf.  Das  Ende  Eduards  I. 

Eduard  II 213 

3.  Kapitel. 

Die  französische  Opposition  gegen  die  weltliche  Oberherrschaft  des  Papsttums. 

§  50.    Frankreich    unter   Philipp  III.    dem   Kühnen    (1270 — 1285).     Die    Anfänge 

Philipps  IV.  des  Schönen  (1285—1314) 217 

§  51.    Philipp  IV.  und  Bonifaz  VIII 222 

§  52.    Die  Katastrophe  von  Anagni 228 

IL  Teil. 
Das  Papsttum  unter  französischem  Einflufs  1303 — 1378.  (Die  babylonische 

Gefangenschaft  der  Päpste.) 

1 .  Abschnitt. 

Das  avignonesische  Papsttum  und  Philipp  der  Schöne. 

1.  Kapitel. 

Klemens  Y.  und  Philipp  der  Schöne. 

§  53.    Das  Pontifikat  Benedikts  XL  und  die  Anfänge  Klemens'  V.   Die  Verlegung 

des  Papsttums  nach  Avignon  und  ihre  Bedeutung 235 

§  54.    Der  Templerprozefs : 237 

§  55.    Die  innere  Politik  Philipps  IV.  und  der  Ausgang  des  kapetingischen  Hauses  243- 

2.  Kapitel. 

Die  Erneuerung-  des  Kaiserturas  unter  Heinrich  VII.   (1308—1313). 

§  56.    Die    Wahl    Heinrichs   VII.      Die    Erwerbung    Böhmens    durch    das    Haus 

Luxemburg 246 

§  57.    Die  Anfänge  der  Signorie  in  Oberitalien  und  die  Romfahit  Heinrichs  VII.       250 


XII  Inhalt. 

2.  Abschnitt. 

Kaiser-  und  Papsttum  im  Zeitalter  Ludwigs  des  Bayers  (1314—1347). 

1    Kapitel.  . 
Ludwig  der  Bayer   und  Friedrich  der  Schöne   von  Österreich   bis   zur  Schlacht   bei 

Mühldorf  (1314—1322).  Seite 

§  58.    Die  Doppelwahl  des  Jahres  1314 256 

§  59.    Die  Entstehung  der   schweizerischen  Eidgenossenschaft 259 

§  60.    Der  Kampf  der  Gegenkönige 263 

2.  Kapitel. 

Die  kirchenpolitischen  Kampfe  unter  Ludwig"  dem  Bayer  und  die  deutsche  Opposition 
gegen  die  weltliche  Vorherrschaft  des  Papsttums. 

§  61.    Die  Wahl  Johanns  XXII.    Das  avignonesische  Papsttum 265 

£  62.  Der   Aushruch   des   Kampfes    zwischen   Johann  XXII.    und   Ludwig   dem 

Bayer.    Die  Verhandlungen  der  Gegenkönige 270 

£  63.    Der  Römerzug  Ludwigs 273 

§  64.  Das  Aufsteigen  des  Hauses  Luxemburg  in  Deutschland  und  Italien      .     .  277 

§  65.    Das  Ende  Johanns  XXII.  und  die  ersten  Jahre  Benedikts  XII 280 

§  66.    Das  englische  Bündnis  und  der  Kurverein  von  Rense 283 

3.  Kapitel. 
Witteisbach  und  Luxemburg. 

§  67.    Die  tirolische  Streitfrage.    Klemens  VI.  und  Kaiser  Ludwig 286 

§  68.    Die  Wahl   Karls  IV.  und  das  Ende  Ludwigs  des  Bayers 289 

3.  Abschnitt. 

Kaiser-  und  Papsttum  im  Zeitalter  Karls  IV.  (1347—1378). 

1.  Kapitel. 

Karl  IV.  uud  der  Ausbau  der  luxemburgischen  Macht. 

£  69.    Der  Kampf  um  die  deutsche  Krone 293 

§  70.    Der  äufsere  und  innere  Ausbau  der  luxemburgischen  Hausmacht      .     .     .       298 
§  71.    Karl  IV.    und  die  Landfriedensbündnisse.     Die    Kämpfe   in    der  Schweiz. 

Die  Beziehungen  Karls  IV.  zur  Kirche 303 

2.  Kapitel. 

Der  Römerzug  Karls  IV.  und  die  Verhältnisse  Italiens. 

§  72.    Die    politischen    Zustände    Ober-    und    Mittelitaliens    in    der    Mitte    des 

14.  Jahrhunderts 306 

§  73.    Cola  Rienzi   und    der   Kirchenstaat.    Innozenz   VL    und   die    Mission   des 

Kardinals  Albornoz 309 

§  74.    Die  Zustände  im  Königreich  Neapel 312 

§  75.    Der  Römerzug  Karls  IN' 315 

3.  Kapitel. 

Die  Gesetzgebung  Karls  IV.  im  deutschen  Reiche.    Der  zweite  Romzug. 

§  76.    Die  Goldene  Bulle.    Karl  IV.  und  Rudolf  IV.  von  Österreich 317 

§  77.    Karl  IV.  und  das   Königreich  Arelat.    Der  zweite  Römerzug  (1368 — 1369)  .       320 

4.  Kapitel. 

England  und  Frankreich  im  Zeitalter  Karls  IV.    Der  100  jährige  Krieg. 

(Erster  Teil  1328—1380.) 

§  78.  Die  Genesis  des  Thronstreites.    Die  Anfänge  Philipps  VI.  und  Eduards  III.  324 

§  79.  Eduard  III.  und  Philipp  VI 329 

§  80.  Soziale  und  politische  Kämpfe  unter  König  Johann  (II.)  dem  Guten  (1350—1364)  334 

§  81.  Frankreichs  Erhebung  unter  Karl  V.  (1364—1380) 340 

§  82.  Die  Weiterbildung  der  englischen  Verfassung 342 


Inhalt.  XIII 

5.  Kapitel. 

Der  englisch-französische  Erbkrieg:  und  die  Staaten  der  PyrenUischen  Halbinsel.     Seite 

§  83.    Kastilien  und  der  englisch-französische  Thronstreit 345 

§  84.  Aragonien  und  Sizilien  von  Pedro  III.  bis  Pedro  IV.  (1276—1387)  ...  352 
§  85.    Die  Entwicklung  Portugals    vom   letzten  Viertel   des    13.   bis   zum  letzten 

Viertel  des  14.  Jahrhunderts 357 

6.  Kapitel. 

Der  Norden  und  Osten  Europas  und  der  Ausgang:  Karls  IY. 

§  86.    Die  nordischen  Staaten  bis  zum  Ausgang  der  alten  Dynastien      ....  359 

§  87.    Die  Blütezeit  des  Deutschen  Ordens  (1309—1382) 365 

§  88.    Polen  und  Ungarn  im  Zeitalter  Karls  IV 369 

§  89.    Die   letzten  Regi er ungs jähre  Karls  IV.   und  der  Ausgang   des    avignonesi- 

schen  Papsttums 375 

II. 

Die  Zeit  der  grofsen  Konzilien  und  des  Humanismus  (1378 — 1492). 

I.  Teil. 
Die  Zeit  des  Schismas  und  der  grofsen  Konzilien  1378 — 1449. 

1.  Abschnitt. 

Papsttum  und  Kaisertum  im  Zeitalter  der  grofsen  Konzilien. 

1.  Kapitel. 
Das  grofse  Schisma. 

§  90.    Die  Kirche    und  die   kirchlichen  Oppositionsparteien   beim  Ausbruch    des 

Schismas 385 

§  91.    Johann  von  Wicht'  und  die  kirchliche  Opposition  in  England 389 

§  92.    Das  grofse  Schisma.    Urban  VI.  und  Klemens  VII 400 

§  93.  Der  Kampf  der  Gegenpäpste  bis  zum  Tode  Urbans  VI.  Bonifaz  IX.  .  .  406 
§  94.    Die    ersten    Unionsversuche    und    die   konziliare   Theorie.     Die    kirchliche 

Reformpartei  in  Frankreich 409 

§  95.    Das  Schisma  vom  Tode  Klemens  VII.  bis  zum  Pisaner  Konzil  (1394 — 1409)  412 

2.  Kapitel. 

Das  Schisma  und  das  deutsche  Reich  unter  Wenzel  von  Böhmen  und  Ruprecht 

von  der  Pfalz. 

§    96.     Die  ersten  Regierungsjahre  Wenzels.    Der  Zusammenbruch  der  ungarisch- 
polnischen Grofsmacht  und  die  Erwerbung  Ungarns  durch  die  Luxemburger  416 

§    97.     König  Wenzel  und  der  Landfrieden  in  Deutschland 422 

§    98.     Die  Schweizer  Eidgenossenschaft   und  Leopold  III.    von  Österreich.   Der 

süddeutsche  Städtekrieg 425 

§    99.     König  Wenzel  und  die  Wirren  in  Böhmen 430 

§  100.    Die  Absetzung  König  Wenzels 434 

§  101.    Die  Wahl  König  Ruprechts.  Der  böhmische  Krieg.  Der  Römerzug  Ruprechts  437 

§  102.    Ruprecht   und   die  Luxemburger   von  1401 — 1406.     Der  Marbacher  Bund  441 

§  103.    Das  Konzil  von  Pisa  (1409) 444 

3.  Kapitel. 

König-  Sigmund  und  das  Konzil  von  Konstanz. 

§  104.  Die  Wahl  Sigmunds.  Die  Belehnung  der  Hohenzollern  mit  Brandenburg  448 
§  105.    Das    Schisma    unter   Alexander  V.    und    Johann   XXIII.     Das    römische 

Konzil  1412—1413 453 

§  106.    Die    Ausbreitung    des    Wiclifismus    in    Böhmen    und    die    Anfänge    des 

Hussitentums 455 


XIV  Inhalt. 

Seite 

§  107.  Das  Konzil  von  Konstanz.    Vorbereitungen  und  Anfänge 462 

§  108.  Die  Beilegung  des  Schismas 468 

§  109.  Der  Prozefs  des  Hufs  und  Hieronymus  von  Prag 471 

§  110.  Die  Konstanzer  Reformation  und  die  Wahl  Martins  V 477 

§  111.  König  Sigmund  und  das  Reich  in  der  Zeit  des  Konzils  von  Konstanz    .  481 

4.  Kapitel. 

Die  Hussitenkriege. 

§  112.    Die  kirchliche  Bewegung  in  Böhmen    vom  Tode  des  Hufs  bis  zum  Aus- 
bruch des  Krieges 483 

§  113.    Der  Krieg  gegen  die  Hussiten  bis  zum  Kurverein  von  Bingen  (1419 — 1424)  487 
§  114.    Der  Kurverein  von  Bingen    und    der  Hussitenkrieg   bis    zum  Konzil   von 

Basel  (1424—1431) 493 

£  115.    Das  Pontifikat  Martins  Y.  Eugen  IV.  und  die  Anfänge  des  Konzils  von  Basel  498 

§  116.    Die  Kaiserkrönung  Sigmunds.    Die  Kompaktaten 503 

§  117.    Die  letzten  Regierungsjahre  Sigmunds.  Reformversuche  und  Reformschriften  507 

5.  Kapitel. 

Das  Konzil  von  Basel  vom  Tode  Sigmunds  bis  zu  seiner  Auflösung. 

§  118.    Albrecht  II.  (1438—1439) 510 

§  119.    Die  Baseler  Reformbeschlüsse  und  die  Union  mit  den  Griechen     .     .     .  512 

§  120.    Die  "Wahl  Friedrichs  IH.    Seine  Beziehungen  zu  Böhmen  und  Ungarn    .  516 

§  121.    Die  Krönung  Friedrichs  III.  in  Aachen.    Die  Kriege  gegen  die  Eidgenossen  521 

§  122.    Friedrich  III.  und  das  Baseler  Konzil 524 

2.  Abschnitt. 

Die  übrige  Staatenwelt  des  Abend-  und  Morgenlandes  im  Zeitalter  der 

grofsen  Konzilien. 

1.  Kapitel. 

Der  hundertjährige  Krieg  zwischen  England  und  Frankreich. 

(Zweiter  Teil.) 

§  123.    Richard  II.  von  England.    Der  Bauernaufstand  von  1381 530 

§  124.    Die  Selbstregierung  Richards  IL     Seine  absolutistischen  Tendenzen  und 

sein  Sturz 534 

§  125.    Die  Anfänge  des  Hauses  Lancaster.    Heinrich  IV.  und  Heinrich  V.  (1399 

bis  1422) 539 

§  126.    Frankreich  unter  Karl  VI.    Die  Zeit  der  Regentschaft 541 

§  127.    Der  Eroberungszug  Heinrichs  V.  von  England 549 

§  128.    Karl  VII.,  > König  von  Bourges« 553 

ij  129.    Die  Jungfrau  von  Orleans.    Frankreichs  Wiedererhebung 556 

2.  Kapitel. 

Die  Staaten  im  Norden  und  Nordosten  Europas  in  der  Zeit  der  grofsen  Konzilien. 

§  130.    Die  skandinavischen  Reiche  in  der  Zeit  der  Kalmarer  Union      ....       563 
§  131.    Preufsen    und   Polen.     Der   Fall    des   Deutschen    Ordensstaates    und  die 

Erhebung  der  jagellonischen  Monarchie 567 

§  132.    Rufsland,  Litauen  und  die  Goldene  Horde 575 

3.  Kapitel. 

Byzantiner,  Osmanen  und  Mongolen  seit  dem  Falle  des  lateinischen  Kaisertums. 

£  133.    Der  Niedergang  des  byzantinischen  Reiches,    die  Gründung  des   osmani- 

schen  Kriegerstaates  und  Grofsserbien 581 

§  134.    Die  Eroberungszüge  Murada  I.  und  Bajesids 589 

§  135.    Tiuiur  und  Bajesid 593- 

§  136.    Die  Erneuerung  der  türkischen  Macht  durch  Mohammed  I.     Die  Kriegs- 
züge Murads  H 598 

§    137.    Die  Eroberung  von  Konstantinopel      ...  601 

§  138.    Die  Eroberungen  Mohammeds  II 604 

ij  139.    Die  Organisation   des  osmanischen  Reiches     ....  .  .     .     .  609 


Inhalt.  XX 

II.  Teil. 
Das  Zeitalter   des  Humanismus   und   der  Ausbildung   moderner  Staaten. 

1.  Abschnitt. 

Der  Humanismus. 

1.  Kapitel. 

Die  Wiedererweckung-  des  klassischen  Altertums.  Seite 

§  140.  Das  Fortleben  des  antiken  Geistes  im  Mittelalter.  Der  erste  Humanist  .  613 
§  141.    Die  humanistischen  Wanderlehrer.  Die  grofsen  literarischen  Entdeckungen 

und  ihre  Folgen 621 

§  142.    Die  Ervveckung   des  Altertums    und   ihr  Einflufs   auf   die  Künste    in  der 

Zeit  der  Frührenaissance 625 

§  143.    Die  Gesellschaft  in  Italien  im  Zeitalter  des  Humanismus    ......  627 

2.  Kapitel. 

Der  Humanismus  in  den  einzelnen  Staaten. 

§  144.    Der  Humanismus  in  den  Republiken  Italiens 630 

§  145.    Der  Humanismus  in  Rom,  Neapel  und  Mailand 634 

§  146.    Der  Humanismus  jenseits  der  Alpen 640 

2.  Abs  chni  tt. 

Die  Ausbildung  moderner  Staaten. 

1.  Kapitel. 

Das  deutsche  Reich  im  Zeitalter  Friedrichs  III. 

§  147.  Das  Kaisertum  und  die  territorialen  Gewalten  in  der  Mitte  des  15.  Jahr- 
hunderts  643 

§  148.    Die  Kaiserkrönung  Friedrichs  III.    Seine  Beziehungen  zu  Böhmen,  Ungarn 

und  Österreich 647 

§  149.    Die  Auflösung  der  Union  zwischen  Österreich,  Böhmen  und  Ungarn  und 

der  Plan  einer  neuen  Königswahl  in  Deutschland 652 

§  150.    Friedrich  III.    und  Albrecht  IV.    von  Österreich.     Die    kirchenpolitischen 

Kämpfe  in  Tirol  und  Böhmen • 655 

§  151.    Friedrich  III.  und  Matthias  Corvinus.  —  Die  Erwerbung  Burgunds     .     .       658 

§  152.    Die  Königswahl  Maximilians  I.    Die  Versuche    einer  Reichsreform.    Der 

Wiedergewinn  von  Österreich   und  der  Heimfall  von  Tirol 665 

2.  Kapitel. 

Die  Neugestaltung  Frankreichs  und  Englands  im  Zeitalter  der  Burgunder- 
und Roscnkriege. 

§  153.    Die  Neugestaltung  Frankreichs  unter  Karl  VII 670 

§  154.  Der  Ausgang  der  feudalen  Fürstengewalten  unter  Ludwig  XL  und  Karl  VIII.  673 
§  155.    Heinrich  VII.    und    der   Beginn    des   Kampfes    zwischen    der   roten   und 

weifsen  Rose 683 

§  156.    Eduard  IV.  (1461—1483)    und   Richard  III.   (1483—1485).     Die  Gründung 

der  neuen  monarchischen  Gewalt  in  England 687 

§  157.    Die  Vollendung  der   neuen  Monarchie    durch  Heinrich  VII.  (1485 — 1509)  691 

3.  Kapitel. 

Der  Aufschwung  der  iberischen  Staaten  im  XV.  Jahrhundert. 

§  158.    Die  Grofsmachtstellung  Portugals  im  Zeitalter  Heinrichs  des  Seefahrers   .  693 

§  159.    Kastilien   und  Aragonien 697 

§  160.    Das  Entstehen  der  spanischen  Grofsmacht     Isabella  von  Kastilien  (1474 

bis  1504)   und  Ferdinand  der  Katholische  von  Aragonien  (1479 — 1516)     .  700 


Die  Zeit 
der  päpstlichen  Oberherr]  ichkeit 

(1198-1378). 


Loserth,  Geschichte  des  späteren  Mittelalters. 


I.  Teil. 

Von  der  Wahl  Innozenz'  III.  bis  zum  Tode  Bonifaz'  VIII. 

Zeit  der  unbedingten  Vorherrschaft  des  Papsttums 

1198—1303. 


1.  Abschnitt. 

Innozenz  JH.  und  seine  Zeit  1198 — 1216. 


§  1.  Rückblick  auf  die  staufische  Politik  vom  Frieden  von  Konstanz 

bis  zum  Tode  Heinrichs  VI. 

(Quellen  und  Hilfsschriften  siehe  Bd.  III  der  pol.  Gesch.) 

1.  Dem  Waffenstillstand,  den  Friedrich  I.  1177  in  Venedig  mit  den 
lombardischen  Städten  geschlossen,  war  am  25.  Juni  1183  der  Friede 
von  Konstanz  gefolgt.  Indem  der  Kaiser  auf  die  Durchführung  der  ron- 
calischen  Beschlüsse  verzichtete,  hatte  er  den  Lombarden  grofse  Zuge- 
ständnisse gemacht,  ihnen  vor  allem  die  Regalien  und  herkömmlichen 
Rechte  in  den  Städten  und  deren  Distrikten,  wie  sie  von  jeher  üblich 
gewesen,  die  Wahl  ihrer  Konsuln,  Selbstverwaltung  unter  freigewählten 
Behörden  gelassen;  aber  die  kaiserliche  Hoheit  wurde  doch  strenge  ge- 
wahrt :  die  Konsuln  mufsten  vor  der  Investitur,  die  Vasallen  des  Kaisers 
als  solche,  alle  übrigen  Personen  vom  16.  bis  zum  70.  Jahre  als  Bürger 
den  Treueid  leisten  und  schwören,  ihm  seine  Besitzungen  in  der  Lom- 
bardei und  Romagna  zu  erhalten  und  die  Regalien,  in  deren  Besitz  er 
gewesen,  zurückzugeben ;  in  allen  wichtigen  Sachen  blieben  Appellationen 
an  ihn  gestattet  und  wurden  Appellationsrichter  in  den  Städten  bestellt; 
so  oft  er  in  Italien  erschien,  mufste  das  herkömmliche  Fodrum  geleistet, 
Brücken  und  Wege  und  der  Markt  für  sein  Heer  in  gutem  Stand  erhalten 
werden.  Gab  der  Kaiser  auf,  was  er  ohnehin  nicht  mehr  besafs,  so  ge- 
wann er  Vorteile,  die  er  auf  anderem  Wege  nicht  erreichen  konnte. 
Indem  sein  Besitzstand  von  seinen  einstigen  Gegnern  garantiert  wTurde, 
war  seine  Stellung  in  Oberitalien  eine  stärkere  als  früher;  als  er  im 
folgenden  Jahre    in  Italien  erschien,    wurde    er   mit   rauschenden  Ehren 

1* 


4  Reichspolitik  seit  dein  Frieden  von  Konstanz. 

empfangen.      Von    den    alten   Bundesgenossen   des  Papsttums,    den  lom- 
bardischen  Städten  und  den  Normannen,  standen  nun  jene  im  Lager  des 
Kaisers,  sehr  zum  Leidwesen  des  Papstes  Lucius  III.,  der  sich  zu  Rom, 
wo  noch  die  Ideen  eines  Arnold  von  Brescia   fortlebten,    schwer   zu  be- 
haupten vermochte.     Im  Oktober  1184  traf  er  mit  dem  Kaiser  in  Verona 
zusammen,  der  von  dem  Wunsche  beseelt   war.    dafs   sein  Sohn,    König 
Heinrich  VI.,  die  Kaiserkrone  erhalte.    Der  Papst  ging  weder  auf  diesen, 
noch   auf   andere  Wünsche   des  Kaisers  ein;    schon  war   das  Verhältnis 
zwischen   beiden  Gewalten    ein   gespanntes,  geworden;    denn    eben   jetzt 
wurde  in  Augsburg  die  Verlobung  Konstanzes,    der  Erbin  Siziliens,  mit 
Heinrich  VI.  gefeiert,   ein   bedeutender   Erfolg   der   kaiserlichen   Politik, 
da  nun  auch  die  zweite  der  alten  Hilfskräfte  des  Papsttums  dem  Kaiser- 
tum   zufiel.       Diese  Verbindung    verschob    vollends    das    alte    politische 
System :     Im    Bund    mit    den    lombardischen    Städten,    gestützt   auf   die 
mächtige    Stellung    in    Mittelitalien,    die   bis  vor  die  Tore  Roms  reichte, 
im  Besitz   von   ganz    l  nteritalien,   gebot   das  staufische  Haus   über   eine 
Macht,  stark  genug,  um  die  Grundlage  zu  einer  Weltherrschaft  abzugeben 
und    die    weltliche  Herrschaft    des    Papstes    in    schwere   Bedrängnis    zu 
bringen.       So   lagen   die  Dinge,    als  Lucius  III.    am  25.  November  1185 
starb.     Gewählt  wurde  nun    ein  ausgesprochener  Feind  des  Kaisers,  der 
Erzbischof    Hubert   von   Mailand,    der    als    Urban    III.    den   päpstlichen 
Stuhl  bestieg.      Unter  grofsem  Gepränge    fand  wenige  Wochen  nachher 
—  am  27.  Januar  1186  —  die  Trauung  Heinrichs  VI.  und  Konstanzes  im 
Ambrosiusklost  erzu  Mailand  statt.  Mochte  es  als  blofse  Zeremonie  angesehen 
werden,  dafs  sich  der  alte  Kaiser  durch  den  Erzbischof  von  Vienne,  den 
Primas    des  burgundischen   Reiches,    die   Krone    Burgunds    aufs   Haupt 
setzen  liefs,    so   hatte   es   eine    tiefere  Bedeutung,  dafs  Konstanze  durch 
einen  deutschen  Bischof    zur    deutschen  Königin,    Heinrich    durch    den 
Patriarchen  von  Aquileja  zum  König  von  Italien  gekrönt  wurde.  Durch  das 
letztere    hatte    der    Kaiser    erreicht,    was    er    durch    die    Kaiserkrönung 
Heinrichs  erstrebt  hatte,    und    in    diesem    Sinne    wurde    auch    Heinrich 
nach   der  Weise    altrömischer   Imperatoren   vom    Kaiser    zum    Cäsar    er- 
nannt.     Wie    die    durch    den  Patriarchen    erfolgte    Krönung   Heinrichs 
den  Erzbischof  von  Mailand,  so  sollte  Heinrichs  Ernennung   zum  Cäsar 
die  Kaiserkrönung  durch    den  Papst    als    entbehrlich   erscheinen  lassen. 
Diese  Ereignisse    machten   auf  die  Zeitgenossen  nachhaltigen  Eindruck ; 
es  schien,  als  seien  die  Tage  Theoderichs  des  Grofsen  wiedergekommen. 
Friedrich  stand  auf  der  Höhe  seiner  Macht.     Ihm  stellte  sich  Urban  III. 
entgegen.     Nachdrücklicher  als  sein  Vorgänger  forderte  er  die  Mathildi- 
schen  Güter    zurück,    belegte    die    an    den   Mailänder    Festen    beteiligte 
Geistlichkeit  mit  dem  Bann  und  ernannte  einen  ausgesprochenen  Gegner 
des  Kaisers  zum  Erzbischof  von  Trier,  während  er  in  Deutschland  selbsl 
an  dem  Erzbischof  von  Köln,  den  Heinrichs    herrisches  Wesen   verletzl 
hatte,    einen    Bundesgenossen    fand.       Lnter    diesen  Umständen  verliefs 
Friedrich  I.    im  Sommer  1186    Italien,    das    jetzt    nach    dem  Ausspruch 
eines  Chronisten  »mit  ihm  und  unter  sich«  in  Frieden  lebte.     Auf  dem 
Reichstage    von    Gelnhausen    gelang     es     ihm    mit   Hilfe  des  deutschen 


Böhepunkt  der  staufischen  Macht.  5 

Episkopats,  der  Opposition  des  Kölner  Erzbischofs  Herr  zu  werden; 
sein  Bündnis  mit  Frankreich  isolierte  seine  Gegner  vollends,  und  selbst 
der   Erzbischof  von  Trier  söhnte  sich  1188  mit  ihm  aus. 

2.    Mittlerweile  führte  Heinrich  VI.  nachdrücklicher  als  sein  Vater 
dessen  Politik  in  Italien  fort   und   griff   zu  Mafsregeln,    um  dieses  Land 
dem  Reiche   für   immer  zu  sichern.     Schon  Friedrich  hatte  die  Verwal- 
tung  mittelitalischer    Landschaften    erprobten    Ministerialen    übertragen. 
In  diesem  Geiste  ging  Heinrich  VI.  vor;    in  der  Romagna,    in  Tuscien, 
Spoleto    und    der    Mark    Ancona    lag    die    Amtsgewalt    in   den   Händen 
deutscher  Reichsbeamten,  die  ihr  Amt  nicht  als  erbliches  Lehen  erhielten, 
sondern    aus    einer    amtlichen    Stellung    in    die    andere  versetzt   werden 
konnten.      Als    es  zwischen  Kaiser  und  Papst  zu  offenem  Streit  gekom- 
men und  Heinrich  VI.  ins  Patrimonium  St.  Petri  eingerückt  war,  wurde 
ihm  auch  hier    von    den  Grofsen    und  den  Städten    gehuldigt,    und  die 
Vornehmsten    Roms    fanden    sich    in    seinem    Lager    ein.       Schon    war 
Urban  III.  entschlossen,  den  Bann  über  den  Kaiser  auszusprechen,    da 
traf  die  Nachricht  von  der  Niederlage  der  Christen  bei  Hittin  ein.     Sie 
brach  dem  Papste  das  Herz.    Und  nun  kam  noch  die  Kunde  vom  Falle 
Jerusalems.     Unter  dem  Druck  dieser  Ereignisse  wurde  ein  Freund  des 
Kaisers,  Gregor  VIII. ,  gewählt,     Er  zögerte  nicht,  Heinrich  VI.    als  er- 
wählten   römischen  Kaiser    anzuerkennen.      Nach    seinem    frühen  Tode 
folgte  Klemens  III.,  dessen  ganzes  Bemühen  dem  Zustandekommen  eines 
Kreuzzuges  gewidmet  war.     Wenn  irgend  etwas,    so   zeigt   dieses  Unter- 
nehmen die  groi'se,  in  den  Machtverhältnissen  zwischen  Kaiser-  und  Papst- 
tum eingetretene  Verschiebung ;  denn  nicht  mehr  das  Papsttum  wie   bei 
früheren  Kreuzzügen :  das  Kaisertum  steht  jetzt  im  Mittelpunkt  der  Be- 
wegung,   wie   ja   auch   das    Ritterheer   Barbarossas   das   glänzendste    des 
ganzen  Mittelalters  war.    Heinrich  VI.  führte  nun  auch  als  Reichsverweser 
in  Deutschland  die  Regierung.     In  den  Mitteln,  die  er  für  seine  Politik 
anwendete,  tritt  jetzt  ein  Wechsel  ein.    Hatte  sich  Friedrich  I.  vor  allem 
an  Fürsten  des  Reiches,  wie  Rainald  von  Dassel,    Christian  von  Mainz, 
gehalten,  so  treten   jetzt   die  Reichsministerialen   noch    mehr   als  früher 
hervor.     Sie  erhalten  die  wichtigsten  Reichsämter  und  bilden  »vom  Harz 
bis  in  die  Campagna  den  Kitt  der  staufischen  Politik«.     Ihre  Macht  mag 
man    daraus    ermessen,    dafs    einer    von  ihnen,    Werner   von  Bolanden, 
über  einen  Lehenshof  von  angeblich  1 100  Rittern  gebot,  ein  anderer,  der 
Reichsseneschall  Markward  von  Anweiler,  als  Herzog  der  Romagna,  Graf 
der  Mark  Ancona  und  Inhaber  der  sizilischen  Grafschaften  Abruzzo  und 
Molise,  die   Verwaltung    eines    grofsen    Teiles    von    Mittelitalien    besafs. 
Heinrich  VI.    war   denn   auch    dem  Papsttum  ein  gefährlicherer  Gegner 
als    Friedrich    L,    den    er    nicht    an    staatsmännischer   Begabung,    wohl 
aber  in   der   rücksichtslosen  Wahl   der   Mittel   zur  Durchführung   seiner 
Politik  übertraf.1)     Es   war   natürlich,    dafs   sich   das  Papsttum  der  Um- 


a)  Über  die  politischen  Ziele  der  staufischen  Eeichspartei  s.  Konrad  Burdach 
»Walters  erster  Spruchton  und  der  staufische  Reichsbegriff«  in  »Walter  von  der 
Vogelweide «,  S.  135. 


5  Heinrich  VI.  und  .seine  Ziele. 

klammerung  durch  die  staufische  Macht  zu  entziehen  versuchte,  und 
dies  der  Grund,  weshalb  Klemens  III.  die  nationale  Partei  Unteritaliens 
unterstützte,  als  sie  sich  nach  dem  Tode  König  Wilhelms  II.  an  Tankred 
von  Lecce,  einen  natürlichen  Sohn  von  Konstanzes  verstorbenem 
Bruder  Roger,  anschlofs.  Hatte  Friedrich  I.  trotz  seiner  italienischen 
Politik  immer  Deutschland  als  die  Quelle  seiner  Macht  betrachtet,  so 
war  es  Heinrich  VI.  um  den  Besitz  seiner  italienischen  Macht  nicht 
weniger  zu  tun  als  um  jenen  von  Deutschland.  Als  er  nach  einem  Ver- 
suche Heinrichs  des  Löwen,  seine  Macht  in  Sachsen  wieder  zu  gewinnen, 
nach  Italien  zog,  um  die  Kaiserkrone  zu  erhalten  und  sein  sizilisches 
Erbe  anzutreten,  wurde  er  freilich  erst  zum  Kaiser  gekrönt,  nachdem 
er  das  kaiserlich  gesinnte  Tuskulum  den  Römern  geopfert  und  dem 
Papste  Versprechungen  wegen  der  Zurückgabe  der  Mathildischen  Erb- 
schaft gemacht  hatte.  Im  übrigen  hatte  sein  erstes  Unternehmen  in 
Sizilien  (1191)  einen  unglücklichen  Ausgang;  erst  als  er  (1192)  die  grofse 
Verschwörung  der  deutschen  Fürsten,  die  Verbindungen  mit  dem 
Papste,  dem  König  Richard  von  England  und  Tankred  von  Sizilien 
hatten,  durch  die  unerwartete  Gefangennahme  Richards  gesprengt  hatte 
und  das  reiche  englische  Lösegeld  die  Mittel  bot,  Unteritalien  zu  unter- 
werfen (1194),  die  sizilischen  Schätze  ihm  eine  überragende  Stellung  in 
Deutschland  verschafften,  war  seine  Herrschaft  in  beiden  Ländern  eine 
unbestrittene. 

3.  Von  jetzt  ab  gehen  seine  Ziele  auf  die  Errichtung  einer  Welt- 
herrschaft, der  alle  christlichen  Staaten  Untertan  sein  sollten.  Die  Ober- 
hoheit über  Polen  war  schon  1184  geltend  gemacht,  die  über  Dänemark 
niemals  aufgegeben  worden.  Nach  der  Gefangennahme  Richards  war 
auch  England  in  Lehensabhängigkeit  gekommen,  die  Frankreichs,  der 
spanischen  Staaten,  des  byzantinischen  Reiches,  der  christlichen  Staaten 
Kleinasiens  und  der  mohammedanischen  Dynastien  in  Nordafrika  ins  Auge 
gefafst.  Die  Krone  des  deutschen  Reiches  sollte  in  seinem  Hause  erb- 
lich sein  und  Sizilien  dem  Reiche  einverleibt  werden.  Gegen  beides 
erhoben  die  deutschen  Fürsten  Einsprache  :  er  mufste  sich  begnügen,  dafs 
sie  seinen  erst  zweijährigen  Sohn  zum  Könige  wählten.  Um  seine  auf 
die  Errichtung  einer  Weltherrschaft  abzielenden  Pläne  durchzuführen, 
sollte  ein  Kreuzzug  unternommen  und  die  Herrschaft  des  Kaisers  auch 
im  hl.  Lande  begründet  werden ;  das  Kreuzzugsunternehmen  gewann 
ihm  zuletzt  auch  den  Beifall  des  Papstes  Cölestin  HL,  so  zahlreich 
auch  die  Beschwerden  waren,  welche  die  Kurie  gegen  das  selbständige, 
gewaltsame  Vorgehen  Heinrichs  VI.  in  den  kirchenpolitischen  Verhält- 
nissen Siziliens  erhoben  hatte.  Nachdem  ein  Aufstand  in  Sizilien  nieder- 
geschlagen und  die  Zurüstungen  zum  Kreuzzug  im  festen  Gange  waren, 
raffte  ein  jäher  Tod  ihn  am  28.  September  1197  mitten  aus  grofsen 
Entwürfen  hinweg.  Seine  Pläne  fielen  zu  Boden,  das  Phantom  einer 
kaiserlichen  Weltherrschaft  verschwand  von  der  Bildfläche.  Sie  aufzu- 
richten, hätten  seine  Kräfte  nimmermehr  ausgereicht;  auch  fehlten  ihm 
die  persönlichen  Fähigkeiten,  denn  er  war  weder  ein  bedeutender  Feld- 
herr,   noch    ein   hervorragender  Staatsmann.      Nach    beiden    Seiten    hin 


Der  Ausgang  der  deutsehen  Oberherrlichkeit.  7 

überragten  ihn  Vater  und  Sohn.  Gleichwohl  machte  seine  Erscheinung 
auf  die  Zeitgenossen  einen  mächtigen  Eindruck:  »Wie  der  Herr  aller 
Herrscher,«  sagt  Niketas,  »wie  der  König  der  Könige«  trat  er  auf.  In 
dem  gewaltigen  Kaiser  sieht  der  Seher  jener  Tage,  der  Abt  Joachim 
von  Floris,  einen  zweiten  Nebukadnezar.  Er  glaubt  den  Zeitpunkt 
gekommen,  wo  der  Hohepriester  sich  in  die  Drangsal  der  Zeit  schicken 
wird,  wo  ihm  seine  zeitlichen  Güter  genommen,  wo  die  Könige  der  Erde, 
Priester  und  Laien  vor  ihm  den  Nacken  beugen.  Ihm  ist  der  Kaiser 
der  Vollstrecker  des  göttlichen  Willens.  »Mit  der  Wut  des  Nordsturmes«, 
sagt  Innozenz  III.,  »ist  er  über  die  Erde  gefahren.  Was  er  zurückliefs, 
war  ein  Chaos«.  Sein  Tod  bedeutet  den  Zusammenbruch  eines  gewalt- 
tätigen Systems.  Das  Papsttum  tritt  in  das  Erbe  der  deutschen  Kaiser- 
macht —  die  Weltherrschaft.  —  Eine  neue  Epoche  in  der  Weltge- 
schichte hebt  an. 


1.  Kapitel. 

Die  allgemeinen  Grundlagen  der  päpstlichen  Oberherrschaft. 
Die  kirchliche  Opposition  und  die  Hilfskräfte  des  Papsttums. 

§  2.   Innozenz  HL  (1198—1216).    Seine  Wahl  und  sein  Charakter. 
Die  Weltherrschaft  des  Papsttums.   Ihre  theoretische  Begründung  und 

praktische  Durchführung. 

Quellen  und  Hilfsmittel  beiZöpf f el-Mirbt,  Real-Encykl.  (RE.)  f.  prot. 
Theol.  IX,  112,  Wetzer  und  Weite,  Kirch.-L.  (KL.)  VI,  736.  Indem  darauf  und  für  die 
Beziehungen  Innozenz'  III.  zu  den  Staaten  des  Abend-  und  Morgenlandes  auf  die  unten 
folgenden  Paragraphen  verwiesen  wird,  seien  hier  nur  die  für  die  Gesch.  I.z'.  im  engeren 
Sinne  bedeutsamen  Quellen  genannt.  1.  Briefe,  Schriften  und  Predigten 
Innozenz'  HL  Epistolae,  libri  XIX  (IV,  XVII  — XIX  nicht  erhalten),  ed.  Migne 
Patr.  ser.  lat.  CCXIV — CCXVI.  Andere  Ausgaben  s.  bei  Potthast,  Biblioth.  hist. 
medii  aevi  I,  650  und  Zöpffel-Mirbt  112.  —  Lettres  inedites  d'Innocent  III  p.  p.  L.  Delisle, 
B.  E.  Ch.  XXXIV,  397—419.  Chauffier,  Lettre  inedite  d'Innocent  III  ib.  XXXIH,  595. 
Eegistrum  super  negotio  Rom.  imperii,  Migne  CCXVI.  (Die  Lit.  über  die  Reg.  Inn.  LH. 
s.  bei  Zöpffel-Mirbt  112.)  Hampe,  Aus  verlorenen  Registerbänden  Innozenz'  III.  u.  IV. 
MJÖG  XXIII — XXIV.  Prima  collectio  decretalium  Innocentii  HL  ex  tribus  primis 
Regestorum  eius  libris  composita  a  Rainerio  diacono  et  monacho  Pomposiano,  ed. 
Migne  CCXVI.  Ordinatio  expeditionis  pro  recuperanda  Terra  Sancta  ap.  Duchesne 
Hist.  Franc.  SS.  V,  749.  P  o  1 1  h  a  s  t ,  Regg.Pontiff .  R.  I.  Berl.  1874.  Böhmer,  Regesta 
imperii  V.  Die  Regesten  des  Kaiserreichs  unter  Philipp,  Otto  IV.  etc,  herausg.  von 
Ficker.  Innsbr.  1881  (darin  die  Abt.  Päpste).  Theiner,  Cod.  dipl.  dorn.  temp. 
S.  Sedis  I.  Rom.  1861,  p.  28—44.  Die  Schriften  Inn.  IH. :  De  contemptu  mundi  sive 
de  miseria  hum.  cond.  lib.  III.,  Dialogus  inter  Deum  et  peccatorem,  De  sacro  altaris 
misterio  libri  sex.,  Libellus  de  elemosyna  und  Eucomium  caritatis,  endlich  die  Sermones, 
samtliche  bei  Migne  CCXIV.  Eine  Auswahl  von  einzelnen  wichtigen  Lehrsätzen  Inno- 
zenz', Briefen  und  Verordnungen  gibt  Mirbt,  Quellen  zur  Gesch.  des  Papstums  und 
des  röm.  Katholizismus.  2.  Aufl.  Tübingen  1901.  2.  Lebensbeschreibungen 
Inn.  HL:  Gesta  Innocentii  III.  papae  auctore  anonymo  coaevo  (geschrieben  um  1220) 
ed.  Migne  CCXIV  p.  XVII— CCXXVHI.  Andere  Ausgaben  und  die  Literatur  über  die 
Gesta  und  ihren  hist,  Wert  s.  bei  Potthast  I,  520,  Zöpffel-Mirbt  112  und  Luchaire, 
L'Avenement  etc.,  p.  671  Note.  Vita  Innocentii  HI.  ex  MS.  Bernardi  Guidonis,  Muratori 
SS.  rer.  Ital ;  III  1,  p.  480. 


g  Innozenz  III.  und  die  papstliche  Oberherrlichkeit. 

Hilfsschriften.  Das  bedeutendste,  wiewohl  veraltete  und  dabei  tendenziöse 
"Werk  ist:  Fr.  Hurt  er,  Gesch.  Papst  Innozenz'  III.  und  seiner  Zeitgenossen.  3.  Aufl. 
4  Bde.  Hbg.  1841 -1843  (auch  ins  Ital.  und  Franz.  übersetzt).  J.  N.  Bris  char ,  Tapst 
Innozenz  III.  und  seine  Zeit.  Freiburg  1883.  Jerry,  Histoire  du  pape  Innocent  III. 
Paris  1853.  Rottengatter,  Res  ab  Innocentio  papa  gestae.  Vratisl.  1831.  Waibel, 
Papst  Inn.  III.  Augsb.  1895  (Auszug  aus  Hurter).  Böhringer,  Die  Kirche  Christi 
und  ihre  Zeugen.  Bd.  2.  2.  Abt.  Zürich  1854.  Ältere  Geschichten  der  Päpste  s.  bei  Zöpffel- 
Mirbt.  Dazu:  W.  AVattenbach,  Gesch.  d.  röm.  Papsttums.  Berl.  1876.  J.  Langen, 
Gesch.  d.  röm.  Kirche  von  Gregor  VII.  bis  Innozenz  III.  Bonn  1893.  Gregorovius, 
Gesch.  der  Stadt  Rom  im  Mittelalter.  Y.  Bd.  3.  Aufl.  Stuttg.  1878.  Papencordt,  Gesch. 
d.  Stadt  Rom.  Paderb.  1857.  Reumont,  Gesch.  d.  Stadt  Rom.  2  Bd.  Berl.  1867. 
H  e  f  e  1  e ,  Konziliengesch.  2.  Aufl.  Bd.  V.  1873.  F.  Deutsch,  Innozenz  m.  u.  s.  Einflufs 
auf  die  Kirche.  Breslau  1876.  L.  Luchaire,  L'Avenement  d'Innocent  HI,  Seances 
et  Comptes-rendus  des  travaux  de  l'Academie  des  sciences  etc.  1902 ,  p.  669  ff.  Inno- 
cent III.  et  le  peuple  romain,  Rev.  Hist.  LXXXI.  Die  neueren  zahlreichen  Arbeiten 
über  s.  Verhältnis  zu  Kaiser  u.  Reich,  z.  Frankreich,  England  usw.  s.  unten.  Zu 
seinen  Schriften  s.  P.  Reinlein,  Innozenz  III.  u.  s.  Schrift  De  contemptu  mundi. 
Erl.  1871 — 1873.  Rudolf,  Papst  Innozenz'  IH.  Schrift  über  das  Elend  des  menschl. 
Lebens.  Arnsb.  1896.  Molitor,  Die  Decretale  Per  venerabilem.  München  1876. 
Schwemer,  Papsttum  u.  Kaisert.  Univers.  hist.  Skizzen.  Stuttg.  1899.  Sägmüller, 
Die  Ideen  von  der  Kirche  als  simperiuni  Romanum«  im  kan.  Recht.  Theol.  Q.-Schr.  1898. 

1.  Nur  wenige  Monate  nach  dem  Tode  Heinrichs  VI.  —  am 
8.  Januar  1198  —  starb  Cölestin  III.  Noch  an  demselben  Tage  wurde 
die  Wahl  seines  Nachfolgers  vollzogen.  Sie  fiel  auf  den  Kardinaldiakon 
Lothar  von  Segni  als  denjenigen,  der  zweifellos  schon  in  den  letzten 
Monaten  an  der  Leitung  der  päpstlichen  Politik  einen  wesentlichen  Anteil 
genommen.  Er  nannte  sich  Innozenz  III.  Lothar,  der  dritte  Sohn  des 
Grafen  Trasimund  von  Segni,  entstammte  einem  altlangobardischen,  in 
der  Campagna  begüterten  Hause,  das  nachmals  den  Geschlechtsnamen 
De  Comiübus  (Conti)  führte.  Seine  Mutter  Claritia  gehörte  dem  Hause 
des  Romanus  de  Scotta  an.  In  Paris  und  Bologna  gebildet,  erwarb  er 
ein  reiches  theologisches,  philosophisches  und  juristisches  Wissen  und 
zeichnete  sich  früh  schon  durch  seine  schriftstellerischen  Leistungen 
aus.  Unter  Klemens  III.  (1187)  zum  Kardinaldiakon  ernannt,  trat  er 
unter  Cölestin  III.  zurück ;  denn  dieser  Papst  gehörte  zur  Familie  Orsini, 
die  mit  den  Scotta  in  Feindschaft  lebte.  Da  der  Umschwung  nach  dem 
Tode  Heinrichs  VI.  eine  kräftige  Leitung  der  Dinge  erheischte,  wurde 
Lothar  aus  mehreren  Kandidaten  als  der  würdigste  erkoren.  Bei  seiner 
Wahl  zählte  er  erst  37  Jahre :  daher  des  Dichters  Klage :  Owe,  der  bähest 
ist  ze  iunc  .  .*)  Sein  Panegyrist2)  hat  uns  Erscheinung  und  Charakter 
des  Papstes  in  leuchtenden  Farben  geschildert.  Sicher  ist,  dafs  er  alle 
Eigenschaften  des  geborenen  Herrschers  besafs :  den  unermüdlichen 
Tätigkeitstrieb,  eine  seltene  Geschäftskunde,  die  Übersicht  über  Kleines 
und  Grofses  und  eine  unbeugsame  Festigkeit  im  Hinblick  auf  seine 
Ziele,  aber  im  amtlichen  Leben  gemäfsigt  durch  jene  weise  Beschränkung, 
die  auch  mit  dem  Unvermeidlichen  rechnet.    Das  Bewufstsein  der  hohen 


x)   Walter   von    der   Vogelweide :     Ich     sach     mit    minen     ougen.       s.    0.  Abel, 
Z.D.A.  IX,  138. 

2)  s.  Luchaire,  L'Avenement,  671. 


Ihre  theoretische   Begründung.  9 

Stellung,  zu  der  er,    der  jüngste  der  Kardinäle,  berufen  war,    stärkte  in 
ihm  das  Gefühl  der  Verantwortlichkeit.1) 

2.  Den  von  Gregor  VII.  begonnenen,  von  Alexander  III.  fort- 
geführten Bau  der  päpstlichen  Weltherrschaft  führte  er  zur  Vollendung. 
Zwar  sind  es  nicht  neue  Theorien  über  die  Weltherrschaft  der  Päpste, 
die  Innozenz  aufstellt;  sie  finden  sich  schon  in  Gratians  Gesetzbuch,  das 
in  Konrads  III.  und  Innozenz'  II.  Zeiten  zusammengestellt  wurde  und 
drei  Punkte  betont:  die  Unbeschränktheit  der  päpstlichen  Herrschaft  in 
der  Kirche,  ihre  völlige  Unabhängigkeit  von  der  weltlichen  Macht  und 
ihre  höhere  Stellung  der  letzteren  gegenüber2);  aber  diese  Theorien  ge- 
langten nun  in  der  Verwaltung  der  Kirche  grundsätzlich  zur  Anwendung; 
denn  nur  solchergestalt  meinte  sich  das  Papsttum  der  gefährdeten  Lage 
für  immer  zu  entziehen,  in  die  es  in  den  letzten  Jahren  Barbarossas 
und  Heinrichs  VI.  geraten  war.  Der  Vorrang  der  geistlichen  über  die 
weltliche  Gewalt  ist  dem  Papste  über  jeden  Zweifel  erhaben:  das  Papst- 
tum vergleicht  er  der  Sonne,  das  Kaisertum  dem  Mond,  der  von  jener 
sein  Licht  erhält3).  »Die  Hand  des  Herrn,«  schreibt  er,  »hat  uns  aus  dem 
Staube  auf  den  Thron  gehoben,  auf  dem  wir  nicht  nur  mit  den  Fürsten, 
sondern  über  die  Fürsten  zu  Gericht  sitzen.«  Sein  Ziel  ist  nicht  die 
Gleichberechtigung  der  beiden  Gewalten  oder  die  Freiheit  der  Kirche, 
sondern  deren  Herrschaft.  »Einzelne  Fürsten«,  schreibt  er,  »sind  über 
einzelne  Reiche  gesetzt:  der  heilige  Petrus  und  seine  Nachfolger  über 
alle.«  Und  dafs  es  sich  nicht  etwa  blofs  um  die  geistliche  Herrschaft  handelt, 
betont  er  lebhaft :  »Nirgends«,  schreibt  er,  »wird  für  die  Freiheit  der  Kirche 
besser  gesorgt  als  da,  wo  die  römische  Kirche  sowohl  in  den  geistlichen 
als  auch  in  den  weltlichen  Dingen  die  volle  Herrschaft  besitzt«.4) 
Das  geistliche  Schwert  mufs  vom  weltlichen  geschützt  werden,  sonst 
wird  es  oft  verachtet.  Daraus  folgt  die  Pflicht,  dafs  der  weltliche  Arm  / 
die  Befehle  des  geistlichen  ausführt.  Nach  diesen  Grundsätzen  konnte 
freilich  ein  jeder  Anspruch  päpstlicher  Herrschaft  als  kirchliche  An- 
gelegenheit aufgefafst  werden  und  mufste  es  als  Pflicht  des  Papstes 
erscheinen,  ihn  zu  verfolgen.  Daher  wird  nun  auch  in  Fragen  der 
weltlichen  Herrschaft  mit  kirchlichen  Zwangsmitteln  vorgegangen  und 
selbst  für  zweifelhafte  Ansprüche  derselbe  Gehorsam  verlangt,  wie  er 
dem  Haupt  der  Kirche  in  geistlichen  Dingen  gebührt,  und  gegen  Wider- 
strebende von  Bann  und  Interdikt  in  einer  Weise  Gebrauch  gemacht, 
wie  davon  zuvor  nicht  die  Rede  war. 5) 

3.  Um  diese  weltliche  Macht  zu  begründen,  liefs  der  Papst  seine 
Archive  durchsuchen  oder  seine  Beweise  aus  dem  Constitutum  Con- 
stantini  nehmen.     Da  es  ihm  zunächst  um  die  Herrschaft   in  Italien  zu 


*)  Winkelmann,  Ib.  unter  Philipp  von  Schwaben  u.  Otto  IV.,    S.  95. 

2)  Hauck,  Kirchengesch.  Deutschi.    IV,  1.  175. 

3)  Epist.  lib.  I,  401.     Mirbt,  Quellen,  130. 

4)  Ep.  I,  27. 

6)  Ficker,  Forschungen  zur  Reichs-  u.  Rechtsgesch.  Italiens.  II,  378. 


\Q  Ihre  praktische  Durchführung. 

tun  war,  kam  ihm  die  Strömung  zugute,  die  sich  hier  gegen  die 
Fremdherrschaft  kundgab.  Italien,  rdem  nach  göttlichem  Ratschlufs 
die  Herrschaft  über  alle  Länder  zukomme«,  sollte  von  ihr  befreit  und 
unter  der  Leitung  des  Papstes  geeint  werden.  Innozenz  III.  ist  der 
erste  Papst,  der  von  dem  Gedanken  der  Einheit  und  Unabhängigkeit 
Italiens  getragen  ist.  Dieser  Richtung  kam  er  auch  da  entgegen,  wo 
sie  seiner  eigenen  Überzeugung  nicht  entsprach,  ja  die  Sache  Italiens 
wird  bei  Gelegenheit  als  die  der  gesamten  Kirche  hingestellt. 

4.  Nach  diesen  Grundsätzen  ist  Innozenz  III.  verfahren :  zunächst 
wird  Mittelitalien  als  alter  Besitz  der  Kirche  reklamiert,  dann  das  Lehens- 
verhältnis Siziliens  auf  neue  und  festere  Grundlagen  gestellt  und  in 
Deutschland  der  Anspruch  erhoben,  dafs  des  römischen  Reiches  Be- 
setzung (provisio)  in  erster  und  letzter  Linie  (principalUer  et  finaliter)  dem 
päpstlichen  Stuhle  zustehe,  denn  durch .  diesen  sei  das  Kaisertum  von 
den  Griechen  auf  die  Deutschen  übertragen  worden;  ihm  stehe  es  zu, 
den  Gewählten  zu  prüfen,  den  Würdigen  zu  bestätigen,  zu  weihen  und 
zu  krönen  und  den  bauwürdigen  zu  verwerfen.  In  der  Tat  übte  er  die 
zuerst  von  Gregor  VII.  beanspruchte  Approbation  der  deutschen 
Königswahl  bei  Gelegenheit  der  Doppelwahl  und  zwar  in  der  ver- 
schärften Form  der  Reprobation  des  Gegenkandidaten.  Was  Barbarossa 
dereinst  mit  Entrüstung  von  sich  gewiesen:  das  Kaisertum  war  von 
jetzt  an  in  Wahrheit  ein  Lehen  des  Papstes.  In  gleicher  Weise  wird 
die  Herrschaft  über  Sardinien  vom  Papste  beansprucht,  mufs  sich  Frank- 
reich seinen  Befehlen  fügen,  nimmt  König  Johann  England  vom  Papste 
zum  Lehen,  wird  Portugal  an  den  Lehenszins  gemahnt,  empfängt  Pedro  IL 
von  Aragonien  aus  seiner  Hand  die  Krone  und  erkannten  selbst  orien- 
talische Mächte,  wie  Konstantinopel,  Armenien,  Serbien  und  Bulgarien, 
zeitweise  Roms  Oberhoheit  an. 

5.  Wie  nach  aufsen  hin,  ist  nun  auch  die  Machtstellung  des  Papstes 
in  der  inneren  Verwaltung  der  Kirche  eine  ungleich  höhere  als  früher. 
Mit  scharfer  Hand  griff  Innozenz  III.  in  die  Befugnisse  und  Rechte  der 
Metropoliten  und  Bischöfe  ein.  Er  nimmt  für  die  Päpste  das  Recht 
der  Benefizienverleihung  in  Anspruch  und  verleiht  in  den  einzelnen 
Ländern  auf  Kosten  der  Geistlichkeit  und  des  Ansehens  der  Bischöfe 
eine  Menge  von  Pfründen  an  Diener  der  Kurie,  römische  Kleriker,  nahe 
Verwandte  und  Freunde,  er  besetzt  Bistümer  nach  eigenem  Ermessen, 
wenn  die  Wahlberechtigten  ihre  Befugnisse  überschreiten,  und  reserviert 
dem  römischen  Stuhl  das  Recht,  Bischöfe  von  einem  auf  den  anderen 
Bischofssitz  zu  transferieren.  Durch  alle  diese  Mafsregeln  erzielte  er 
eine  Zentralisation  der  kirchlichen  Verwaltung,  wie  sie  die  früheren 
Jahrhunderte  nicht  kannten.  Es  konnte  nicht  fehlen,  dafs  dieses  neue 
System  in  kirchlichen  Kreisen  Widerspruch  fand  und  den  Widerstand 
der  alten  Oppositionsparteien  wachrief,  die  sich  nun  gleichfalls  kräftiger 
Geltung  verschafften.  Zum  Schutz  gegen  sie  wurden,  da  die  alten  Hilfs- 
kräfte des  Papsttums  versagten  oder  sich  als  reformbedürftig  erwiesen, 
neue  geschaffen.     Das  Papsttum  fand  sie  in  den  Bettelmönchen. 


Die  kirchliche  Opposition.  11 

§  3.     Die  kirchliche  Opposition.     Katharer  und  Waldesier. 

Die  Quellen  zur  Geschichte  der  Katharer,  grofsenteils  in  Döllinger,  Beitr.  zur 
Sektengesch.  d.  MA.  II:  Dokumente  vornehmlich  zur  Gesch.  d.  Valdesier  u.  Katharer. 
München  1890.  (Siehe  Haupt,  D.  L.  Z.  1889,  Nr.  51.)  Enthält  72  Quellen,  die  allerdings 
auch  andere  Eeligionsparteien  wie  Hussiten  etc.  betreffen.  Nicolaus  Eymerici  Directorium 
inquisitorum  (s.  Denifle,  Arch.  L.  Kirch. -G  d.  MA.  I.).  Ausgaben  bei  Potthast  II,  853. 
Bernardus  Guidonis,  Practica  inquisitionis  haereticae  pravitatis,  ed.  Douais.  Paris  1885 
(Lit.  Potth.  I,  152),  Moneta  Cremonensis,  Adversus  Catharos  et  Waldenses  ed.  Rom.  1743. 
Alanus,  Ad  Haereticos  et  Waldenses,  Migne,  Patrol.  lat.  210.  Sacchoni  Rainerus,  Summa 
de  Catharis  et  Leonistis.  Bibl.  Max.  Pat.  XXV.  Errores  Patarenorum  de  Bosnia,  Morelli, 
Codd.  Nanniani,  s.  auch  Chronic,  anonymi  Laudunensis  bis  1218.  MMG.  SS.  XXVI. 
Ermengaudus  Opuscul.  contra  Waldenses  (gegen  die  Katharer),  ed.  Gretser  ap.  Migne  204. 

Literatur.  Ch.  Schmidt,  Histoire  de  doctrine  et  la  secte  de  Cathares  ou 
Albigeois.  2  Bde.  1849.  Döllinger,  Beitr.  Bd.  1.  Peyrat,  Hist.  des  Albigeois. 
Paris  1869 — 72.  3  voll.  Douais,  Les  Albigeois,  leur  origines  etc.  Paris  1879. 
Dulaurier,  Les  Albigeois  ou  les  Cathares  du  midi  de  la  France.  Cab.  Hist.  1880. 
Ne ander,  Allg.  Gesch.  d.  christl  Rel.  u.  Kirche  VIII4.  K.  Müller,  Kirchengesch.  I. 
Lea,  A  history  of  the  Inquisition.  I.  (dort  weitere  Quellen  u.  Literaturvermerke). 
Hahn,  Ketzergesch.  d.  MA.  I. — III.  L o m b a r d ,  Les  Pauliciens,  Bulgariens  etc.  1879. 
Havet,  L'höresie  et  le  bras  seculier  au  moyen-äge  jusqu'au  Xllle  siecle.  BECh.  XLI. 
Moliniers.  §5.  Tocco,  L'eresia  nel  medio  evo  1884.  Ficker,  Die  gesetzl.  Ein- 
führung der  Todesstrafe  für  Ketzerei.  M.JÖG.  I.    Winkelmann,  dasselbe  IX. 

Auch  für  die  Gesch.  d.  Waldesier  finden  sich  Akten,  Inquisitionsber.  etc.  bei 
Döllinger  II.  Dazu  neben  Bernardus  Guidonis,  Eymericus,  Alanus,  Sacchoni  u.  Moneta 
noch  Stephanus  de  Borbone  De  donis  Spiritus  Sancti  p.  p.  Lecoy  de  la  Marche. 
Paris  1877.  Preger,  Der  Traktat  des  David  v.  Augsburg  über  die  Waldesier.  Abh.  Münch. 
Akad.  XIV.  (s.  auch  weiter  unten).  Bernardus  de  Fönte  calido  in  Bibl.  Max.  Patr.  XXIV. 
D.  Passauer  Anonymus,  Hauptquelle  f.  d.  deutschen  AValdesier,  ib.  XXV.,  s.  Preger. 
Schönbach,  Bertold  v.  Regensb.  u.  die  Ketzer.  Wien.  S.  Ber.  146.  Haupt,  Ein 
Traktat  über  die  österr.  Waldesier  d.  XIII.  Jamii.    Z.  K.  G.  XXHI. 

Literatur.  Dieckhoff,  Die  Waldenser  im  MA.  1851.  Herzog,  Die  roma- 
nischen Waldenser  1853.  K.  Müller,  Die  Waldenser  u.  ihre  einzelnen  Gruppen  bis 
zum  Anfang  des  14.  Jahrh.  1886.  C  o  mb  a ,  Histoire  des  Vaudois.  Nouv.  edit.  Firenze  1901. 
H  a  u  s  r  a  th ,  Die  Arnoldisten.  1895.  Preger,  Beitr.  z.  Gesch.  d.  W.  im  MA.  (Abh.  Münch. 
Akad.  XIII.)  1875.  Preger,  Über  die  Verfassung  der  franz.  W.  (Ebenda  XIX.)  1890. 
Preger,  Über  das  Verh.  der  Taboriten  zu  d.  W.  (Ebenda  XVIH.)  1887..  Huck, 
Dogmenhistorischer  Beitrag  z.  Gesch.  d.  W.  Freib.  i.  B.  1897.  Breyer,  Die  Arnoldisten. 
Z.  K.  G.  XII.  Haupt,  Waldensertum  u.  Inquisition  im  so.  Deutschland.  Freib.  i.  B.  1890. 
Haupt,  Die  deutsche  Bibelübersetzung  der  ma.  Waldenser.  Würzburg  1885.  Haupt, 
Der  wald.  Ursprung  des  Cod.  Teplensis.  Würzburg  1886.  L.  Keller,  Die  Reformation 
und  die  älteren  Reformationsparteien.  Lpzg.  1885.  Keller,  Die  Waldenser  u.  d.  d. 
Bibelübersetzungen.  Lpzg.  1886.  Suchier,  Über  d.  rom.  Bibelübersetzungen.  Z.  rom. 
Phil.  1885.  Keller,  Zur  Gesch.  d.  altevang.  Gemeinden.  Berl.  1887.  Jostes,  Die 
Waldenserbib.  u.  M.  Joh.  Reibach.  H.  Ib.  XV.  Wattenbach,  Über  die  Inquisition 
gegen  die  W.  in  Pommern  u.  Brandenburg.  Berl.  1886.  Monet,  Hist.  literaire  des 
Vaudois  du  Piemont  1885  (Förster  in  den  G.  G.  A.  1888  Nr.  20).  Kleinere  Schriften  bei 
Newman,  Recent  researches  concerning  mediaeval  sects.  Americ.  Soc.  of  Church 
history  IV.,  165 — 221.     Goll,  Nove  spisy  o  Waldenskych  Athenaeum  1887. 

1.  Die  zunehmende  » Verweltlichung«  der  Kirche  rief  in  den 
Kreisen  des  Klerus  und  der  Laien  eine  Opposition  hervor.  Zunächst 
traten  jene  Elemente  in  den  Vordergrund,  die  seit  langem  Lehren  und 
Einrichtungen  in  der  katholischen  Kirche  bekämpft  hatten :  die  Katharer. 
Ihr  Ursprung  führt  auf  gnostische  Sekten  im  Oriente  zurück,  von  denen 


\2  Ursprung  und  Ausbreitung  der  Katharer. 

seit  der  zweiten  Hälfte  des  T.Jahrhunderts  die  Pauli  zi  an  er  ihr  streng 
dualistisches  Lehrsystem  entwickelten.  Wegen  ihrer  Tapferkeit  (im  10.  Jahr- 
hundert) nach  Thrazien  versetzt,  um  die  Grenzen  des  Reiches  zu  schützen, 
traten  sie  mit  den  seit  dem  4.  Jahrhundert  bestehenden,  im  8.  und 
10.  Jahrhundert  gleichfalls  in  Thrazien  angesiedelten  Euchiten  in  Ver- 
bindung, die  im  Gebet  die  Vollendung  christlicher  Vollkommenheit 
sahen  und  -nach  dem  Beispiel  der  Apostel  lehrend  und  predigend  wirkten. 
Sie  brachten  allmählich  die  Paulizianer  unter  ihren  Einnufs,  übernahmen 
aber  deren  dualistische  Weltanschauung.  In  Bulgarien  erhielten  sie 
den  Xamen  Bogomilen1),  d.  h.  Gottesfreunde.  Im  Westen,  wo  ihre 
Lehren  seit  dem  11.  Jahrhundert  eindringen,  heifsen  sie  die  Beinen, 
»Katharer«,  weil  sie  sich  von  allen  ihren  Begriffen  nach  unreinen 
Dingen  frei  halten.  In  Deutschland  ist  aus  diesem  Namen  die  Be- 
zeichnung Ketzer  entstanden. 2)  In  einzelnen  Gegenden  hiefsen  sie 
Manichäer,  weil  ihr  Lehrbegriff  in  wichtigen  Punkten  mit  dem  mani- 
chäischen  übereinstimmte,  in  Italien  Patarener,  sonst  auch  Albigenser, 
nach  der  Stadt  Albi  und  der  Provinz  Albigeois  in  Languedoc.  Doch 
wird  dieser  Name  erst  seit  dem  13.  Jahrhundert  gebräuchlich  und  um- 
fafst  nicht  selten  auch  andere  kirchliche  Oppositionsparteien,  namentlich 
auch  die  Waldesier.  Ihre  Lehre  fand  im  Westen  um  so  leichter  Ein- 
gang, als  sich  noch  an  einzelnen  Orten  Reste  der  Manichäer  fanden, 
auf  die  nun  die  »Neumanichäer«  Einnufs  erhielten.  Ihre  Lehren  dringen, 
begünstigt  durch  den  Handelsverkehr  zwischen  dem  westlichen  Griechen- 
land und  dem  Okzident,  selbst  in  England,  dem  nördlichen  Frankreich 
und  westlichen  Deutschland  ein.  Im  12.  Jahrhundert  finden  sich  in  den 
Kreisen  des  Adels,  der  Geistlichkeit  und  des  Volkes  von  Frankreich 
Katharer ;  sie  haben  bedeutende  Lehrer,  wie  Peter  von  Bruys  und  Hein- 
rich von  Toulouse,  und  entwickeln  eine  Tätigkeit,  gegen  welche  die  grofsen 
Heiligen  der  katholischen  Kirche,  ein  Bernhard  und  Norbert,  eiferten. 
Die  Hauptsitze  ihrer  Wirksamkeit  waren  im  südlichen  Frankreich  und 
nördlichen  Italien.  In  den  Jahren  Innozenz'  III.  dringen  sie  selbst  in 
den  Kirchenstaat  vor.  Ihre  Ausbreitung  wurde  durch  den  langen  Streit 
zwischen  der  Staats-  und  Kirchengewalt  gefördert;  in  den  mit  dem 
Interdikt  belegten  Landschaften  kam  ihnen  das  religiöse  Bedürfnis  der 
Menge  entgegen.  Sie  besuchten  als  Kaufleute  Messen  und  Märkte  und 
sandten  mitunter  junge  Männer  nach  Paris,  um  sie  in  den  Wissen- 
schaften auszubilden,  freilich  auch,  um  Genossen  zu  werben.  Im  süd- 
lichen Frankreich  kam  es  vor,  dafs  ärmere  Adelige  ihnen  die  Töchter 
zur  Ausbildung  übergaben,  in  anderen  Gegenden  litten  sie  dagegen 
unter  dem  Ruf  unnatürlicher  Ausschweifungen,  was  dann  nicht  selten 
den  Grund  zu  heftigen  Verfolgungen  abgab. 


1)  Die  Herleitung  von  einem  angeblichen  Stifter  Bogomil  (s.  Jirecek,  Gesch. 
d.  Bulgaren,  S.  175)  oder  von  der  slawischen  Gebetsformel  »Bog  miluj«  (»Gott  erbarme 
dich«)  ist  wenig  wahrscheinlich.  Döllinger  führt  alle  drei  Varianten  nebeneinander 
an,  ohne  sich  für  eine  zu  entscheiden. 

2)  Döllinger,  Beitr.  I,  127. 


Die   Lehre  der  Katharer.      Pierre  Waldes.  13 

Die  Lehre  der  Katharer1)  ruht  auf  dualistischer  Grundlage.  Der  gute  und  böse 
Gott,  das  Reich  des  Lichtes  und  der  Finsternis,  stehen  in  ewigem  Kampf.  Sich  aus 
den  Bauden  der  Finsternis  zu  befreien,  von  allem  Sinnlichen  loszusagen,  ist  des 
Gläubigen  Pflicht.  Die  katholische  Kirche  ist  die  Kirche  der  Ungläubigen,  ihre  Priester 
Pharisäer,  die  Päpste  nicht  Nachfolger  Christi,  sondern  des  Kaisers  Konstantin,  unter 
Wem  das  Verderbnis  der  Kirche  durch  ihren  Reichtum  und  ihre  YerweltMchung  den 
Anfang  genommen.  Sie  verwerfen  daher  den  katholischen  Gottesdienst  wie  alle 
katholischen  Gebräuche  und  Einrichtungen,  die  Sakramente,  trotzdem  sie  selbst  einige 
den  katholischen  Sakramenten  analoge  Einrichtungen  haben.  Die  Taufe  mit  Wasser 
ist  ihnen  eine  leere  Zeremonie ;  alleinigen  Wert  hat  die  geistige  Taufe,  die  Hand- 
auflegung, das  Consolamentum,  das  aber  nur  jenen  gespendet  wird,  die  danach 
verlangen.  Daher  sind  Kinder,  die  vor  den  Unterscheidungsjahren  sterben,  für  immer 
verloren.  Der  Schrecken,  den  diese  Lehre  hervorrief,  bewirkte,  dafs  seit  dem  14.  Jahr- 
hundert auch  den  kranken  Kindern  das  Consolamentum  gewährt  wird.  Um  der  Vor- 
teile des  Consolamentums  nicht  verlustig  zu  gehen,  wurde  das  Institut  der  Endura 
eingeführt,  d.  h.  man  liefs  jene,  die  in  der  Krankheit  das  Consolamentum  erhalten 
hatten,  nicht  wieder  aufkommen,  sondern  bewog  sie,  die  Nahrungsaufnahme  zu  ver- 
weigern. Nur  wer  selbst  rein  ist,  darf  gültig  Sünden  vergeben.  Für  den  Abfall  vom 
wahren  Glauben  und  die  Bekämpfung  der  wahren  Lehre  gibt  es  keine  Verzeihung. 
Im  übrigen  verwarfen  die  Katharer  das  Alte  Testament,  die  Bilderverehrung,  die  Fasten, 
das  Fegefeuer,  den  Eid  und  die  Todesstrafe. 

Ein  wesentliches  Merkmal  der  Katharer  liegt  in  ihrem  Institut  der  Perfecti,  d.h. 
der  Vollkommenen  (nach  Matth.  XIX,  21);  diese  sind  ihre  Lehrer,  denen  durch  das 
Oonsolainentum  die  Vollmacht  erteilt  wird,  die  anderen,  die  Auditores  oder  Credentes, 
zu  unterweisen.  Von  Ort  zu  Ort  reisend,  üben  sie  ihre  Predigtamt  und  die  Seelsorge 
aus.  Die  Predigt  beginnt  mit  der  Erklärung  des  Neuen  Testaments,  wobei  auf  den 
Widerspruch  mit  der  herrschenden  Kirche  hingewiesen  und  der  Glaube  an  diese 
erschüttert  wird.  An  der  Spitze  der  Katharer  steht  ein  Oberhaupt,  dem,  wenigstens 
zeitweise,  der  Titel  Papst  gegeben  wurde ;  er  hatte  längere  Zeit  hindurch  seinen  Sitz 
in  Bosnien.  Unter  ihm  stehen  die  Bischöfe,  denen  Minister  und  Diakonen  unter- 
geordnet sind.  Mitunter  fanden  auch  Konzilien  statt.  Der  Hafs  der  Perfecti  gegen  die 
katholische  Kirche  und  ihre  Einrichtungen  war  für  die  Credentes  kein  Hindernis, 
äufserlich  in  ihrem  Verband  zu  verbleiben.  Dadurch  war  es  schwer,  sie  als  Katharer 
«u  erkennen.2) 

2.  Den  Kämpfen,  die  in  Oberitalien  im  11.  Jahrhundert  gegen  die 
»unreinen«,  d.  h.  verheirateten  Priester,  »deren  Worte  keine  Kraft  und 
deren  Sakramente  keine  Gültigkeit  haben«,  geführt  wurden,  waren  ein 
Jahrhundert  später  die  Kämpfe  Arnolds  von  Brescia  und  seiner  Schüler 
gefolgt.  Sie  sahen  das  einzige  Heil  für  die  »verderbte«  Kirche  in  der 
Rückkehr  zur  evangelischen  Armut.  Diese  Ansichten  blieben  —  auch  nach 
Arnolds  Tod  —  lebendig  und  wurden  von  kirchlichen  Genossenschaften, 
die  hier  schon  seit  dem  11.  Jahrhundert  bestanden,  fortgepflanzt,  mit 
besonderem  Erfolg  aber  von  den  Waldesiern  gelehrt,  in  welche  ein- 
zelne der  älteren  Oppositionsparteien  der  Kirche  allmählich  aufgingen. 
Die  Anfänge  des  Waldesiertums  waren  der  Kirche  keineswegs  feind- 
lich, vielmehr  zeigen  sie  mit  denen  des  Minoritenordens  Ähnlichkeit. 
Pierre  Waldes,  ein  durch  Wucher  reich  gewordener  Kaufmann  in 
Lyon,  hört  eines  Tages  (1173)  von  einem  Spielmann  die  Geschichte  des 
hl.  Alexius,    der  in   der  Hochzeitsnacht  Braut   und   Eltern    verläfst,    als 


*)  Gemeint  sind  hier  die  Albaneser  in  Süditalien  und  Albigenser  in  Frankreich 
nicht  die  monarchischen  Katharer.     Über  diese  Döllinger  I,  157. 
r    Über  die  Bestrafung  der  Ketzer  s.  §  f>. 


14  Die  Waldesier  und  ihre  Gruppen. 

Büfser  durch  die  Welt  zieht,  nach  vielen  Jahren  heimkehrt  und  erst 
auf  dem  Sterbebett  sich  den  Eltern  offenbart.  Die  Geschichte  macht 
auf  "Waldes  solchen  Eindruck,  dafs  er  der  Welt  entsagt,  um  arm 
wie  die  Apostel  zu  leben  und  zu  wirken.  Zwei  Geistliche  übersetzen 
ihm  die  Evangelien  und  andere  geistliche  Schriften  in  die  Volkssprache 
und  geben  ihm  eine  Sammlung  von  Aussprüchen  der  Kirchenväter 
über  Glaubens-  und  Sittenlehren.  Dann  wendet  er  sich  der  Bufspredigt 
zu;  es  finden  sich  Genossen;  besonders  stark  ist  der  Zulauf  des  armen 
Volkes.  Auf  den  Strafsen  und  den  Plätzen  von  Lyon,  in  Häusern  und 
Kirchen,  endlich  auf  dem  Lande  wird  gepredigt.  Zu  zwei  und  zwei 
—  nach  Markus  VI,  7  —  ziehen  sie  aus,  in  wollenem  Bufskleid,  ohne 
Geld,  barfufs  oder  in  den  offenen  Holzschuhen  der  Bauern,  den  Sab- 
boten.  nach  denen  sie  auch  Sabbatati  hiefsen.  Bei  Laien,  denen  sie 
Gottes  Wort  predigen,  suchen  sie  Unterkunft  und  fordern  Brot,  denn 
jeder  Arbeiter  ist  seines  Lohnes  wert,  In  dieser  Predigt  sah  Waldes 
die  beste  Nachfolge  der  Apostel.  Mit  diesen  »Armen  von  Lyon«  durch- 
zog er  das  Rhonetal.  Er  hatte  keinen  Gedanken  daran,  sich  etwa  von 
der  Kirche  zu  scheiden,  aber  der  Bruch  war  doch  unvermeidlich.  Der 
Erzbischof  von  Lyon,  ohne  dessen  Erlaubnis  sie  predigten,  verbot  es 
ihnen,  und  als  sie  sich  dagegen  auf  den  Befehl  der  Bibel  beriefen,  wurde 
ihre  Vertreibung  angeordnet.  Alexander  III.  lobte  zwar  ihr  Armuts- 
gelübde, wies  sie  aber  bezüglich  der  Predigt  an  die  Priester;  nur  von 
diesen  berufen,  sollten  sie  predigen.  Da  dieser  Ruf  ausblieb,  nahmen  sie 
ihre  Wirksamkeit  wieder  auf  und  hatten  in  Frankreich  und  der  Lom- 
bardei, wo  sich  die  Humiliaten  anschlössen,  grofse  Erfolge.  Da  ihre 
Propaganda  immer  weitere  Kreise  ergriff,  sprach  Lucius  III.  auf  der 
Synode  zu  Verona  den  Bann  über  sie  aus.  Waldes  blieb  bis  an  sein 
Ende  Haupt  dieser  weitverzweigten,  nach  seinem  Namen  genannten 
Sekte,  deren  Mitglieder,  Männer  und  Frauen,  auch  ohne  Erlaubnis  der 
Kirche  predigten  und  das  Bufssakrament  austeilten.  Da  Innozenz  III. 
erkannt  hatte,  dafs  die  Bischöfe  gegen  die  Armen  von  Lyon  mit  allzu 
grofser  Schärfe  eingeschritten  waren,  zudem  in  der  Bewegung  ein  Kern 
liege,  der  für  die  Kirche  nutzbringend  sei,  suchte  er  den  häretischen 
Armen  von  Lyon  einen  Verein  der  Pauperes  catholici  entgegenzustellen, 
als  deren  Aufgabe  er  die  Wiedergewinnung  der  Ketzer  bezeichnete. 
In  der  Tat  splitterte  ein  Teil  von  den  Lyonern  ab  und  erhielt  1208  die 
päpstliche  Bestätigung  als  eigene  Genossenschaft,  ohne  freilich  die  auf 
sie  gesetzten  Hoffnungen  zu  erfüllen.  Inzwischen  hatte  sich  unter  den 
Waldesiern  eine  zweite  Sonderung  vollzogen.  Die  radikal  gesinnten 
lombardischen  trennten  sich  von  den  französischen  Waldesiern,  und 
diese  Scheidung  blieb  auch  nach  Waldes'  Tode  bestehen.  Die  lombar- 
dische Gruppe  entfaltete  eine  rege  Tätigkeit  in  Süddeutschland,  vor- 
nehmlich in  Österreich,  wo  die  Katharer  nahezu  verdrängt  wurden, 
dann  in  Franken  und  Thüringen,  Böhmen  und  selbst  in  Brandenburg, 
Pommern  und  Preufsen.  Die  französischen  Waldesier  breiteten  sich 
juraabwärts  zur  Rhone  und  im  südlichen  Frankreich  bis  zu  den  Pyre- 
näen aus. 


Lehre  der  Waldesier.  15 

Von  beiden  Gruppen  war  die  lombardische  die  bedeutendere.  In  beiden  fanden 
sich  apostolisch  lebende  Männer  und  Frauen,  Brüder  und  Schwestern,  Meister  und 
Meisterinnen  zusammen.  Die  Männer  werden  auch  Apostel  genannt  und  leben 
wie  diese  in  Armut.  Ihre  Hauptaufgabe  ist  die  Verwaltung  des  Bufssakraments  and 
die  Predigt.  Schroffer  als  die  französische  trat  die  lombardische  Richtung  der  Kirche 
gegenüber  auf.  Die  katholische  Kirche  gilt  ihr  als  das  Tier  der  Apokalypse,  ihre 
Priester  sind  als  Pharisäer  von  der  Seligkeit  ausgeschlossen.  Die  Waldesier  verwarfen 
die  Hierarchie  der  Kirche,  deren  Ausstattung  mit  weltlichem  Besitz,  die  Weihen,  den 
Prunk  des  Gottesdienstes,  die  Tempelbauten,  den  Bilderdienst  und  den  Totenkultus 
mit  der  Heiligenverehrung.  Auch  bei  ihnen  ist  die  Gültigkeit  des  Sakraments  von  ' 
der  Würdigkeit  des  Spenders  abhängig.  Sie  verbieten  den  Eid,  das  Blutvergiefsen. 
Den  Glauben  an  das  allgemeine  Priestertum  der  Gläubigen  und  die  Lehre  von  der 
Rechtfertigung  durch  den  Glauben  allein  besafsen  sie  nicht.  Von  den  Katharern,  mit 
denen  sie  in  ihrer  hierarchischen  Gliederung  viel  Gemeinsames  haben,  sind  sie  durch 
die  dualistische  Grundlage  des  Katharerglaubens  geschieden. 

§.  4.    Die  Hilfskräfte  des  Papsttums.    Die  Bettelorden  der  Minoriten 
und  Dominikaner  und  ihre  Bedeutung. 

Quellen.  I.  Minoriten.  Eine  gute  Übersicht  zur  Gesch.  d.  Franz  von  Assisi 
gibt  Zöckler  in  RE3  VI,  197.  Zur  Kritik  s.  K.  Müller,  Die  Anfänge  des  Minoriten- 
ordens,  P.  Sabatier,  La  Vie  de  S.  Francois  d'Assise  (s.  unten),  und  W.  Goetz,  Die  Quellen 
zur  Gesch.  des  hl.  Franz  von  Assisi  im  22.  u.  24.  Bd.  d.  Z.K.G.  S.  362,  525  u.  165.  Littl  e  , 
The  Sources  of  the  History  of  St.  Francis  of  Assisi.  E.  H.  R.  XVII,  643.  J.  E.  Weis, 
Julian  v.  Speier,  Forschungen  zur  Franziskus-  und  Antoniuskritik.  München  1900. 
Tilemann,  Speculum  perfectionis  undLegenda  trium  sociorum.  Ein  Beitrag  zur  Quellen- 
kritik d.  G.  d.  hl.  Franz  v.  Assisi.    Lpzg.  1901. 

Von  Quellen  kommen  in  Betracht:  1.  Die  echten  Werke  des  Heiligen.  Am 
wichtigsten  ist  sein  Testament.  Gedr.  bei  Wadding.  Ann.  Min.  ad.  an.  1226. 
Andere  Drucke  s.  bei  Zöckler  S.  203.  Zum  Test.  s.  Loof  s,  Das  Testament  d.  F.  v.  A. 
Christi.  Welt  1894,  Nr.  27—29.  Echt  ist  die  Regel  v.  1221.  Die  drei  Regeln  f.  d. 
Minoriten  s.  bei  Wadding,  S.  Francisci  opuscula  Antw.  1623.  Neuestens  bei  Horoy, 
S.  Francisci  Assisiatis.  Opp.  omnia.  Paris  1880.  Andere  Drucke  Zöckler.  Dort  auch  die 
ganze  Lit.  über  die  Regeln.  Über  die  übrigen  echten  Schriften  d.  hl.  Franz,  Briefe  etc. 
s.  Goetz  1.  c. 

2.  Biographien:  Nach  Sabatiers  Forschungen  liegt  die  älteste  Biographie 
aus  der  Feder  des  Bruders  Leo,  des  langjährigen  Genossen  des  HL,  vor:  Speculum 
Perfectionis  seu  S.  Francisci  Assisiensis  Legenda  antiquissima  auctore  fratre  Leone. 
Ed.  Paul  Sabatier.  Paris  1898.  Sie  wurde  ein  Jahr  nach  dem  Tode  d.  Hl.  vollendet. 
Sabatiers  Ergebnisse  sind  von  Faloci  -\Pulignani  angefochten  worden  (s.  hierüber  wie 
über  den  wegen  der  Rekonstruktion  der  Legenda  trium  sociorum  ausgebrochenen  Streit 
Goetz  w.  oben);  s.  aber  die  Ausführungen  Lempps,  Frere  Elie  de  Cortone,  p.  16. 
Thomas  de  Celano  (der  berühmte  Hymnendichter),  der  »offizielle«  Biograph,  schrieb 
auf  Befehl  Gregors  IX.  1228 :  Vita  S.  Francisci  (prima) ;  sie  galt  bisher  als  die  älteste 
und  wichtigste  Quelle  zur  Gesch.  d.  hl.  F.  Zeigt  angeblich  eine  Hinneigung  zu  Elias 
von  Cortone.  Gedr.  zuletzt  von  L.  Amoni.  Rom  1880.  Sonst  AA.  SS.  4.  Okt.  Andere 
Drucke  bei  Potthast.  Legenda  trium  sociorum  (Leonis,  Rufini  et  Angeli),  im  Aug.  1246 
geschrieben.  Nicht  mehr  Elias  freundlich,  ed.  Amoni  1.  c.  Über  che  Rekonstruktion 
der  Leg.  durch  die  Franziskaner  Marcellino  da  Civezza  u.  Theofilo  Domenichelli,  die 
1899  in  Rom  unter  dem  Titel  erschien  :  La  Leggenda  di  San  Francesco  scritta  da  tre 
suoi  Compagni,  s.  Goetz  S.  366  u.  Sabatier,  Rev.  hist.  LXXV.  Thomas  de  Celano, 
Vita  altera  S.  Francisci,  verf.  1247,  Elias  feindlich,  an  gesch.  Wert  hinter  der  ersten 
zurückstehend;  ed.  L.  Amoni  wie  oben.  Alle  folgenden  F. -Biographien  können  sich, 
an  Wert  mit  Nr.  1 — 4  nicht  messen:  Vita  s.  Francisci  fundatoris  ord.  Minorum, 
auctore  s.  Bonaventura,  auf  Anordnung  eines  Generalkapitels  1261  geschrieben.  A.  A. 
S.  S.  4.  Oktober  II,  742 — 798    (neben  dieser   findet   sich    eine  kleinere   in   den  Franzis- 


16  Die  Hilfskräfte  «los  Papsttums. 

kaner-Brevieren),  auch  Anioni  1880.  Bernardus  de  Bessa  (t  unter  Bon  agraria  1279 — 1285): 
Liber  de  laudibus  S.  Francisci  Annal.  Franc.  III,  666 — 692.  Bartholomaeus  Albicus,  Liber 
Conformitatum,  ed.  Mil.  1510.  S.  Francisci  Legendae  veteris  fragnienta  quaedam 
ca.  1322).  Opuscules  de  critique  historique,  ed.  Sabatier  1902.  Description  du  Alanuscrit 
francisc  de  Liegnitz,  ed.  Sabatier  1901.  Hugolin,  Floretum  Stj  Francisci,  ed.  Sabatier  1902. 
I  fioretti  di  S.  F.  secondo  la  lezione  del  cod.  fiorent.  scritto  da  A.  Manelli,  ed.  Manzoni 
di  Mordano.  Rom  1902.  Aus  dem  Speculum  vitae  S.  Francisci  (die  Edd.  bei  Sabatier, 
Spec.  Perf.  p.  CCX    hat  Sabatier  oben  Xr.  1  ausgeschält.    Ausg.  v.  1509. 

3.  Chroniken.  Die  älteste  ist  die  des  Jordanus  di  Giano:  De  primitivorum 
fratrum  in  Teutoniam  missorum  conversatione  et  vita  memorabilia  geschr.  1262, 
herausg.  v.  G.  Voigt  in  Abb.  sächs.  Ges.  d.  W.  1870  (s.  Sabatier  Spec.  Perl  p  (  LXXXYII  ff.). 
Thomas  de  Eccleston,  Liber  de  Adventu  Alinorum  in  Angliam  (geschr  nach  1264), 
ed  Brewer,  R.  Brit,  SS.  IV.  Lond.  1858.  1882.  Ausg.  v.  Liebermann  MM.  Germ. 
SS.  XXVIII,  561.  Salimbene  Chronicon  1167 — 1287.  MM.  hist.  ad  prov.  Parmensem 
et  Piacent,  pertin.  Parma  1878.  Erscheint  demnächst  in  MM.  Germ.  hist.  SS 
Bernardus  de  Bessa,  Catalogus  s.  Chronica  Ministrorum  generalium  ord  f.  Minor. 
Z  f.  kath.  Theol.  Innsbr.  1883.  VII.  338.  Chronicon  XXIV  primorum  Generaliuin 
Ordinis.  ed.  Quaracchi,  Annal.  Francisc.  III.  Angelus  Clarenus  (tl337):  Historia  Septem 
tribulationum  O.  M.  (gesch.  1314  —  23).  Döllinger,  Beitr.  II,  413,  teilw.  ed  v.  Ehrle 
ALKG.  II,  s.  auch  d  anderen  Werke  des  Angelus  bei  Potth.  I,  45.  Eine  neue 
Ausg.  der  Chronica  sept.  tribulat  ist  in  Vorbereitung.  Für  spätere  Chronisten,  wie 
Glafsberger,  Joh.  de  Komorowo  u.  a.  s.  Zöckler  S  206.  Die  Sammlungen  der  Privil., 
Bullen  u.  Urkk.  u.  s.  w.  der  Minoriten  s.  ebenda. 

Das  Quellenmaterial  für  die  Gesch.  der  hl.  Klara  u.  d.  Klarissenordens  sowie 
für  den  dritten  Orden  d.  hl.  Franz  s.  Zöckler  S.  215  u.  217.  Hinzuzufügen  ist  zu 
letzterem  noch  die  von  Sabatier  aufgefundene  und  herausgegebene  Regula  antiqua 
Fratrum  et  Sororum  de  Poenitentia  seu  Tertii  Ordinis  Sancti  Francisci.  Paris  1901. 
(S.  dazu  Goetz  in  Z.  K.  G.  XXI II,  97.) 

4.  Literatur.  Die  ältere  ist  bei  Zöckler  u.  Potthast  II,  1319—1321  ver- 
zeichnet. Hier  kann  nur  eine  Auswahl  daraus  geboten  werden.  Hase,  Franz  v.  Assisi. 
Ein  Heiligenbild.  Lpzg.  1856.  X.  A.  1892.  Le  Monnier,  Histoire  de  S.  Francois 
d'Assise.  Paris  1889.  Bonghi,  Francesco  d' Assisi  1884.  Tocco,  L'Eresia  del  Medio 
Evo,  Firenze  1884.  K.  Alüller,  Die  Anfänge  des  Alinoritenordens  u.  der  Bulsbrüder- 
schaften.  Freiburg  1885  (bahnbrechend  für  die  krit.  Behandl.  d.  Stoffes,  Prudenzano, 
Francesco  d'Assisi  e  il  suo  secolo.  13.  ed.  Xapoli  1901.  (Auch  deutsch,  Innsbr.  1893.) 
P.  Sabatier,  Vie  de  S.  Francois.  Paris  1894  (bis  jetzt  die  23.  Aufl.)  Deutsch  von  Lisco. 
Berl.  1895.  2.  Aufl.  1897.  Hausrath,  Die  Arnoidisten  Weltverbesserer  im  M.-A.  3). 
Lemmens,  Die  Anfänge  des  Klarissenordens.  R.  Q.-Schr.  XVI,  93 ff.  (s.  auch  Lempp 
Z.  K.  G.  XIIP.  Mandonnet,  Origines  de  l'Ordo  de  Poenitentia.  Freib  i.  d.  Schw.  1898. 
Rybka,  Elias  v.  Cortona.  Diss.  1874,  Lempp,  Frere  Ehe  d.  C.  Paris  1901.  W.  Götz, 
Die  urspr.  Ideale  d.  hl.  F.  v.  A.  Hist.  Viertel j. -Sehr.  VI.  (Dort  Erg.  z.  den  obigen  Lit.- 
Vermerken;  s.  auch  V,  291.) 

II.  Dominikaner.  R.E.1A',  768.  1.  Biographien.  Jordanus  (der  zweite  Ordens- 
general),  De  prineipiis  ordinis  Praedicatorum  (verf .  vor  1234,  dem  Jahre  d.  Kanonisation),  ed. 
Berthier,  Freiburg  i.  d.  Schw.  1892.  Vita  Dominici  auetore  Constantino  Medice  ep. 
Urbevetano  Verf.  vor  1247)  ed.  Quetif  et  Echard  SS.  Ord.  Pr.  I,  25—44.  Vita  alia 
Barth.  Tridentini,  verf  zw.  1244— 1251  AA.  SS.  4.  Aug.  I,  559.  Gerhard  v.  Frachet, 
Vita  fr.  O.  P.  et  chronica  ord.  ab  anno  1203—1251:  oe^chr.  um  1260,  ed.  Reichert. 
Löwen  1896.  Vita  Dominici  auet.  Humberto;  geschr.  1254.  Quetif-Echärd  I.  125.  Vita 
alia,  quam  scripsit  Theodericus  de  Apolda,  geschr.  12^2,  ed.  Cure.  Paris  1881.  Vita 
Dominici  auetore  Bernardo  Guidonis.  Quetif  et  Echard  I.  Die  Zeugenaussagen  im 
Kanonis.-Proc.  AA.  SS.  4.  Aug.  Miracula  u.  Translatio  s.  Potthast  II.  1272.  Balme 
et  Lelaidier,  Cartulaire  et  histoire  de  S.  Dominique.    2  Bde.    Paris  1893. 

2.  Akten  d.  Generalkapp,  bei  Martene,  Thes.  nov.  aneed.  IV.  Donais,  Ann 
cap.  provine.  ord.  F.  P.  I.  Toulouse  1894.  Reichert,  Akten  d.  Provinzialkapp  v  Deutschi. 
1398—1512.    RQ.-S.   1891.    Constitutiones,  ed.  Denifie    ALKG.  I,    AT    (zu  Grunde    liegen 


Die  Bettelorden.  17 

ihnen  die  der  Pränionstratenser).  Quellen  zur  Gelehrtengesch.  d.  Dominikaner  von 
Denifle  ALKG.  II.  Finke,  Acht  ungedr.  Dominik. -Briefe.  Paderborn  1891, 
s.  auch  Reichert  im  II.  Ib.  1897. 

3.  Literatur,  s.  d.  Verzeichnis  bei  Potthast  II,  1272  u.  R.  E.3  IV,  768.  An 
einer  guten  krit.  Arbeit  über  die  Gesch.  d.  hl.  Dominikus  fehlt  es.  Mamachi,  Ann. 
Ord.  Praed.  Rom  175G.  Lacordaire,  Vie  de  S.  Dominique  8.  ed.  Paris  1882. 
.1.  (iuiraud,  Saint  Dominique.  Paris  1899.  Dräne,  The  history  of  8.  Dominic. 
Loml.  1891.  Deutsch,  Düsseldorf  1892.  Heimbucher,  Die  Orden  u.  Kongregationen 
der  kath.  Kirche  I. 

1.  Zu  dem  Anspruch  der  Geistlichkeit  auf  weltliche  Herrschaft, 
äufseren  Glanz  und  Ehren  standen  der  Eifer  der  Katharer  und  die 
Lehre  der  Waldesier  von  der  evangelischen  Armut  in  einem  so  starken 
Gegensatz,  dafs  er  bald  aller  Welt  sichtbar  wurde  und  sich  nicht  wenige 
und  nicht  die  schlechtesten  Elemente  in  ihre  Kreise  drängten.  So  wird 
die  Weltherrschaft  der  Päpste  schon  in  den  Tagen  ihrer  Gründung 
starken  Erschütterungen  ausgesetzt,  bis  sich  auf  dem  Boden  der  Kirche 
zwei  Männer  erheben,  die  dieselben  Prinzipien  der  apostolischen  Predigt 
und  evangelischen  Armut  auf  ihr  Banner  schreiben  und  die  stärkste 
Stütze  des  Papsttums  werden :  Franziskus  und  Dominikus,  die  Stifter 
der  Bettel orden.  Sie  schienen  in  einer  Zeit,  die  so  mannigfaltige 
Gestaltungen  des  Ordenslebens  sah ,  keine  Gewähr  für  besondere 
Leistungen  zu  bieten,  so  dafs  noch  das  Laterankonzil  von  1215  der 
Gründung  neuer  Orden  entgegentrat;  aber  eben  diese  neuen  Orden 
lieferten  doch  den  Beweis,  dafs  in  der  Kirche  mannigfaltige  Standpunkte 
nebeneinander  bestehen  und  die  Kirche  so  verschiedenartige,  sich  gegen- 
seitig ergänzende  Gestaltungen  zu  einer  höheren  Einheit  verbinden 
konnte.  So  durften  neben  dem  Glanz ,  den  das  Papsttum  und  die 
Hierarchie  ausstrahlten,  auch  solche  kirchliche  Gemeinschaften  geduldet 
werden,  die,  allem  weltlichen  Besitz  entsagend,  das  evangelische  Armuts- 
ideal hochhielten.  Zutreffend  zeichnet  die  Legende  das  Auftreten  beider 
Männer:  Es  träumt  dem  Papste  Innozenz  III.,  der  Lateran  drohe  ein- 
zustürzen und  werde  von  zwei  unscheinbaren  Männern  gestützt.  Er- 
wachend erkennt  er  in  ihnen  die  beiden  Heiligen.  Die  Aufgabe,  die 
der  Papst  den  » katholischen  Armen«  zugedacht  hatte,  übernehmen  zu- 
erst die  Min  derb  rüder  oder  Minoriten.  Gründer  des  Ordens  ist 
Franz  vonAssisi,  dessen  Haupt  schon  bei  Lebzeiten  der  Glorienschein 
des  Heiligen  umgab.  Er  wurde  als  Sohn  des  durch  Handel  reich  gewordenen 
Kaufmanns  Pietro  Bernard  one  1182  im  Städtchen  Assisi  geboren. 
Ein  lebensfroher  Jüngling,  hatte  er  an  schönen  Kleidern,  an  Spiel,  Sang 
und  Schmausereien  Gefallen.  Von  Ehrgeiz  beseelt,  war  er  in  die  Streitig- 
keiten verwickelt,  die  nach  dem  Tode  Heinrichs  VI.  überall  aus- 
brachen. Von  den  Perusinern  gefangen  und  freigelassen,  nimmt  er 
sein  lustiges  Leben  wieder,  auf.  I)a  wirft  ihn  eine  Krankheit  nieder; 
die  Nichtigkeit  seines  bisherigen  Lebens  tritt  ihm  vor  Augen;  aber  noch 
einer  zweiten  Krankheit  bedurfte  es,  um  die  Wandlung  in  seinem  Innern 
vollständig  zu  machen.  Sein  bisheriges  Leben  wird  ihm  zum  Ekel;  er 
vollzieht  den  Bruch  mit  der  Welt;  aber  dieser  bedeutete  zugleich  einen 
Bruch  mit  seiner  Familie,    denn   ihr   mifsfiel  die  Tätigkeit,    die    er    den 

Loserth,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  2 


\$  Franz  von  Assisi.     IHe  Minoriteii. 

Armen  und  Aussätzigen  widmete.  Als  die  Entfremdung  zwischen  Vater 
und  Sohn  aufs  höchste  gestiegen  war,  entfloh  er  dem  Elternhause.  Habe 
er  bisher  gesagt:  »Vater  Bernardone  ,  so  werde  er  von  jetzt  an  nur  sagen  : 
»Unser  Vater  im  Himmel«.  Selbst  die  Kleider,  die  er  aus  dem  Eltern- 
hause hatte,  gab  er  zurück.  Die  kleine  Kapelle  St.  Maria  degli  Angeli, 
zwischen  Rosenhecken  versteckt,  von  alters  her  Portiunkula  genannt, 
wurde  die  Wiege  der  von  ihm  veranlafsten  grofsen  Bewegung.  In  ihrer 
Nähe  baute  er  eine  bescheidene  Klause.  In  Portiunkula  hörte  er  einst 
in  der  Predigt  die  Worte  Mätthäi:  »Ihr  sollt  weder  Gold  noch  Silber 
noch  Erz  in  eurem  Gürtel  haben,  auch  keine  Tasche  zur  Reise,  nicht  zwei 
Röcke  und  keinen  Stab,  denn  der  Arbeiter  ist  seines  Lohnes  wert.«  Da 
warf  er  hinweg,  was  er  noch  hatte,  um  dem  Wort  des  Evangeliums  zu 
folgen.  Damit  begann  1209  sein  apostolisches  Wirken,  in  der  Zeit,  als 
Innozenz  III.  bedacht  war.  die  Waldesier  wieder  zu  gewinnen.  Franz 
wird  jetzt  der  Bannerträger  der  Armut.  Von  den  Mitbürgern  mit  Spott 
und  Hohn  verfolgt,  als  Tor  verschrien,  machte  seine  Predigt  allmählich 
doch  Eindruck.  Bald  schlössen  sich  Jünger  an.  Sie  trugen  die  Tracht 
der  Bauern  der  Umgebung.  Bei  der  steigenden  Zahl  der  Gefährten 
fafste  Franz  den  Entschlufs,  eine  Regel  zu  entwerfen  und  den  Papst  um 
ihre  Bestätigung  zu  bitten.  Er  erreichte  mit  Mühe,  dafs  ihnen  gestattet 
wurde,  ihre  Tätigkeit  fortzusetzen,  doch  mufsten  sie  einen  Oberen  wählen. 
Dies  wurde  Franz.  Die  junge  Stiftung  war  anfangs  kein  Orden,  nur 
eine  Vereinigung  von  Leuten,  die  durch  ein  gemeinsames  Ideal  mitein- 
ander verknüpft  sind  und  drei  Aufgaben  auf  sich  nehmen:  1.  gänz- 
lichen Verzicht  auf  Hab  und  Gut  zugunsten  der  Armen,  2.  rücksichts- 
lose Selbstverleugnung  in  der  Nachfolge  Christi  und  3.  Loslösung  von 
allen  Banden  der  Familie  und  der  bestehenden  gesellschaftlichen  Ord- 
nung. Ihre  leiblichen  Bedürfnisse  werden  durch  Dienst  und  Arbeit  ge- 
deckt und  nur  im  Notfall  durch  Bettel  befriedigt,  wobei  aber  die  An- 
nahme von  Geld  als  Lohn  oder  Almosen  ausgeschlossen  war.  Der 
Bettel  war  anfangs  nur  ein  Mittel  zur  Selbstdemütigung.  Ihre  Haupt- 
aufgabe ist  die  Predigt,  Noch  hatten  sie  keinen  Namen.  Die  Bezeich- 
nung die  Armen  von  Assisi  hätte  zu  sehr  an  die  Armen  von  Lyon 
erinnert.  Eines  Tages  wird  die  Stelle  der  Regel  verlesen:  Die  Brüder 
sollen  immer  die  Geringsten  sein  (sint  minores).«  Da  war  der  Name 
Minoriten  gefunden.  Die  neue  Gesellschaft  wuchs  erst  in  Mittelitalien 
stark  an;  seit  1219  wird  che  Ausbreitung  nach  dem  übrigen  Italien, 
Spanien,  Frankreich,  Deutschland  und  Ungarn,  ja  selbst  unter  den  Un- 
gläubigen in  Angriff  genommen.  Während  einer  Missionsreise,  die  Franz 
ins  Morgenland  unternahm,  trafen  einzelne  Brüder  Änderungen,  die  dem 
Sinne  des  Stifters  nicht  zusagten.  Jetzt  erfolgte  unter  dem  Einflüsse  des 
Kardinals  Hugolin  von  Ostia,  späteren  Papstes  Gregor  IN.,  die  Umgestaltung 
der  Gesellschaft  zu  einem  förmlichen  Orden,  dessen  Mitglieder  durch 
die  Beweglichkeit  und  Verwendbarkeit,  die  sie  im  Gegensatz  zu  den 
begüterten  Orden  besafsen,  und  durch  ihren  Einflufs  auf  die  Volksmassen 
ein  vortreffliches  Werkzeug  für  die  Festigung  der  päpstlichen  Weltherr- 
schaft abgeben  konnten. 


Ihre  Organisation.     Dominikus.  19 

Der  Orden  hat  von  nun  an  beim  Papste  um  einen  Kardinal  zu  bitten,  der  sein 
Gubernator  oder  Protektor  ist.  Sonst  steht  an  der  Spitze  ein  General  (servus  totius 
fraternitatis),  unter  ihm  die  Provinzialen  (ministri  provinciarum),  für  kleinere  Bezirke 
Kustoden  und  für  einzelne  Niederlassungen  Guardiane.  Vor  Ablauf  eines  einjährigen 
Noviziats  wird  niemand  aufgenommen.  Wer  das  Gelübde  abgelegt  hat,  ist  auf  immer 
gebunden.  Es  folgen  Vorschriften  für  die  Tracht,  die  Stundengebete  u.  s.  w.  Zu  den 
Ordenskapiteln  versammeln  sich  nur  noch  General,  Provinzialen  und  Kustoden,  ohne 
an  Portiunkula  gebunden  zu  sein.  Die  alten  Mönchsgelübde :  Gehorsam,  Armut  und 
Keuschheit,  stehen  im  Vordergrund,  der  Bettel,  einst  Ausnahme,  wird  zur  Regel.  Der 
Bettelorden  wurde  als  solcher  am  29.  November  1221  von  Honorius  III.  bestätigt.  Die 
Umwandlung  einer  freien  in  apostolischer  Armut  lebenden  Gesellschaft  in  einen  papst- 
lichen, gleich  den  anderen  privilegierten  Orden  und  dessen  hiemit  in  Zusammenhang 
stehende  Verweltlichung  hat  der  Stifter,  der  schliefslich  die  tatsächliche  Leitung  an  den 
ehrgeizigen  Elias  von  Cortone  abgeben  mufste,  schwer  empfunden.  Ein  Zeugnis  seiner 
schweren  Bekümmernis  ist  sein  Testament.  Der  Heilige  zieht  sich  mehr  und  mehr 
in  die  Einsamkeit,  je  gröfser  die  äufseren  Erfolge  werden ;  denn  jetzt  begann  auch 
der  Übergang  von  der  Wanderschaft  zur  Sefshaftigkeit.  Anfänglich  sind  es  Leprosen- 
häuser,  leerstehende  Spitäler  und  Gebäude,  mit  denen  man  vorlieb  nimmt,  jetzt  werden 
Häuser  und  Kirchen  gebaut;  in  Deutschland  ist  die  erste  die  von  Magdeburg  (1225). 
Der  neue  Orden  erfreute  sich  vornehmlich  unter  der  niederen  Volksklasse  grofser 
Beliebtheit.  Bald  drängt  sich  in  Stadt  und  Land  Kloster  an  Kloster,  denn  der  Gott, 
den  die  Minoriten  predigten,  »war  der  arme,  gedrückte  Kreuzesträger,  das  demütige 
Vorbild  der  bedrängten  Menschheit.«  Franz  starb  am  4.  Oktober  1226.  Zwei  Jahre 
später  wurde  er  heilig  gesprochen.  Noch  zu  seinen  Lebzeiten  hatte  Klara  Scifi, 
die  Tochter  eines  angesehenen  Ritters,  einen  Orden  armer  Fräulein,  die  Klarissinnen, 
gestiftet,  denen  Franz  noch  selbst  die  Regel  gab.  Um  endlich  auch  denen,  die  keine 
Gelegenheit  haben,  Mönche  zu  werden,  aber  gewisse  mönchische  Pflichten  auf  sich 
nehmen  wollen,  entgegenzukommen,  entstand  in  Faenza  und  Umgebung  eine  Bewegung, 
die,  noch  von  Franziskus  geleitet  und  von  den  Päpsten  anerkannt,  die  Stiftung  des 
Ordens  der  Bufsbrüder  (Ordo  fratrum  de  pöenitentia)  oder  der  Tertiarier 
hervorrief,  die,  ohne  dem  Verkehr  mit  der  Aufsenwelt  zu  entsagen,  einzelne  Satzungen 
des  Ordens  der  Minoriten  annahmen. 

2.  Von  nicht  geringerer  Bedeutung,  zumal  im  Hinblick  auf  seine 
intensive  Tätigkeit  für  die  Reinhaltung  der  kirchlichen  Lehre  und  die 
theologischen  Wissenschaften,  war  der  Orden  der  Dominikaner  oder 
Prediger  (fratres  Praedicatores) ,  in  Frankreich  auch  Jakobiner  genannt, 
weil  er  sich  in  Paris  in  der  Strafse  St,  Jakob  niedergelassen  hatte. 
Stifter  des  Ordens  war  der  Spanier  Dominikus.  Seine  Abstammung 
aus  dem  berühmten  Hause  der  Guzman  wurde  mit  Recht  schon  von 
den  Bollandisten  bezweifelt.  Geboren  1170  zu  Calaroga  in  Kastilien, 
hatte  er  seine  Studien  in  Palencia  gemacht,  das  übrigens  erst  später 
eine  Universität  erhielt  (1209).  Anders  geartet  als  Franziskus,  zeigte  er 
früh  schon  grofsen  Eifer  für  die  Sache  der  Kirche  und  für  wissenschaft- 
liche Studien.  Ein  Mann  von  kühlerer  Denkungsart,  begann  und  führte 
er  sein  Unternehmen  planmäfsiger  aus  als  dieser.  Doch  teilte  er  mit 
ihm  die  warme  Liebe  für  Arme  und  Unglückliche.  Als  Domherr  stand 
er  dem  Bischof  von  Osma,  der  eine  Reform  des  Domkapitels  nach  der 
Regel  des  hl.  Augustinus  durchführte,  kräftig  zur  Seite.  Entscheidend 
für  sein  späteres  Wirken  wurde  die  Reise,  die  er  mit  ihm  (1203)  nach 
Südfrankreich  und  Italien  machte ;  er  sah  den  Abgrund,  an  welchem 
die  Kirche  durch  das  reifsende  Wachstum  der  Ketzer  schwebte,  und 
erkannte,    dafs   die  Albigenser,  die  das  Leben  ihrer  Perfecti  in  apostoJi- 

2* 


20  Dominikaner  and  ihre  Verfassung. 

scher  Armut  und  stetiger  Predigt  erblickten,  nicht  durch  äufseren  Glanz 
zu  gewinnen  seien.  Bereit  zuzugestehen,  was  an  ihren  Forderungen 
berechtigt  war,  zog  er  mit  seinem  Bischof  und  gleichgesinnten  Zister- 
zienseräbten  in  ärmlichem  Aufzug,  predigend  und  unterweisend  im  Lande 
umher  und  beschlofs.  eine  i  -  Seilschaft  zu  gründen,  deren  Mitglieder  sich 
vornehmlich  der  Predigt  widmen  sollten.  Vom  Bischof  von  Toulouse 
und  dem  Grafen  Simon  von  Montfort  unterstützt,  ging  er  ans  Werk.  In 
der  Diözese  Toulouse  wurde  zu  Prouille  ein  Nonnenkloster  gegründet, 
in  welchem  bekehrte  Albigenserinnen  Aufnahme  fanden.  Von  1208  bis 
1215  entfaltete  er  eine  eifrige  Tätigkeit  für  die  Bekehrung  der  Albigenser. 
Die  Zahl  seiner  Anhänger  wuchs  rasch  an.  Da  sich  das  Laterankonzil 
gegen  eine  Vermehrung  der  Orden  ausgesprochen  hatte,  gewährte  der 
Papst  für  seine  Gesellschaft  die  Bestätigung  nur  unter  der  Bedingung. 
dafs  sj  sich  an  eine  schon  bestehende  Regel  anschliefse.  Dominikus 
wählte  die  der  Augustiner  mit  den  Institutionen  der  Prämonstratenser. 
Honorius  III.  trug  kein  Bedenken,  den  Orden  zu  bestätigen  (22.  De- 
zember 1216 1.  Auch  die  Dominikaner  lebten  von  den  Almosen  der 
Gläubigen;  sie  durften  sie  um  so  eher  für  sich  in  Anspruch  nehmen, 
als  >ie  den  Gläubigen  geistige  Almosen  spendeten  und  sich  für  deren 
Seelenheil  aufopferten.  Dominikus  verbot  alle  Sehenkimgen  an  den 
Orden.  Während  aber  Franziskus  die  Armut  um  ihrer  selbst  willen  er- 
koren hatte,  als  die  endgültige  Befreiung  von  den  Nichtigkeiten  des 
Lebens,  war  sie  dem  hl.  Dominikus  ein  Mittel  zum  Zweck,  denn  er  sah 
in  ihr  nur  eine  Waffe  mehr  in  der  Rüstkammer  derer,  die  zur  Ver- 
teidigung der  Kirche  berufen  waren.1)  Dominikus  starb  am  4.  August 
1221  zu  Bologna:  13  Jahre  später  wurde  er  heilig  gesprochen.  • 

Die  Verfassung  des  Ordens  stimmt  in  den  Grundzügen  mit  der  der  Minoriten 
ttberein,  ist  aber  methodischer  und  umfassender  ausgestaltet  als  diese.  An  der  Spitze 
steht  der  General,  unter  ihm  che  Prioren  der  Ordensprovinzen.  Die  oberste  legislative 
Gewalt  übt  das  jahrliche  Generalkapitel,  an  dem  aui'ser  dem  General  und  den  Prioren 
noch  Beisitzer  aus  den  Ordensprovinzen  teilnehmen.  Der  neue  Orden  breitete  sich 
rasch  aus.  Im  Todesjahre  des  Stifters  zählte  man  bereits  in  acht  Provinzen  60  Kon- 
vente. Seelsorge  and  Predigt  blieben  die  Hauptaufgabe  der  Dominikaner,  vor  allem  aber 
die  Sorge  für  die  Reinhaltung  des  Glaubens  und  der  Kampf  gegen  die  Ketzer.  Ent- 
gegen den  Zwecken  des  (  Ordens  nahm  das  Studium  bei  den  Predigerbrüdern  eine  her- 
vorragende Stellung  ein.  T  ni  den  Kampf  gegen  die  Ketzer  aufzunehmen,  mufsten  sie 
eine  gründliche  theologische  Ausbildung  erhalten  haben.  Wie  bei  den  Franziskanern 
wurden  auch  bei  den  Dominikanern  Nonnenklöster  errichtet  und  dem  Orden  die 
Tertiarier  angeschlossen.  Erst  spätere  Legenden  berichten,  dafs  die  beiden  . 
Ordensstifter  miteinander  verkehrten.  Die  ältesten  Lebensbeschreibungen  beider  v 
hie  von  nicht 

3.  Die  Erfolge  der  Bettelorden  erklären  sieh  aus  der  sorgsamen 
Durchführung  ihrer  Grundsätze  und  ihrer  einfachen  und  dabei  doch 
straften  Organisation.  Diese  Mönche  bedurften  keiner  reichen  Stiftungen: 
bei    ihren    einfachen   Bedürfnissen    stand    ihnen   Land    und    Stadt  offen. 


Sahatier,  S.  160  d.  d.  A 

Dagegen  freilich  cap.  XLIII  des  Speculum  Perfectionifl   u.  II  Thomas  lano 

3,  86  u.  -7. 


Erfolge    der  Bettelonlen.  21 

Indem  sie  des  Tages  Last  und  Mühe  mit  dem  Volke  trugen,  wurden 
sie  von  diesem  um  so  freudiger  aufgenommen,  je  eifriger  sie  seine 
bisher  oft  vernachlässigten  kirchlichen  Bedürfnisse  befriedigten.  Die 
Demokratie  in  den  Städten  Italiens  ebnete  ihnen  den  Weg.  Sie  predigten 
dem  Volk  in  einer  ihm  verständlichen,  oft  drastisch  wirksamen  Sprache. 
Die  Mächtigen  fühlten  sich  durch  ihr  an  Entbehrungen  reiches  Leben, 
ihre  strenge  Entsagung,  ihre  Demut  und  die  unermüdliche  Sorge  für 
das  Seelenheil  anderer  angezogen.  So  dringen  sie  in  alle  Schichten 
der  Gesellschaft  und  beherrschen  bald  alle.  Sie  verdrängen  die  Welt- 
geistlichkeit vom  Beicht-  und  Predigtstuhl  und  treten  bald  auch  als 
Bahnbrecher  in  der  Wissenschaft  auf.  Die  grölst en  Lehrer  der  Scho- 
lastik, ein  Albertus  Magnus,  Thomas  von  Aquino,  Bonaventura  u.  a., 
waren  Bettelmönche.  Nach  langem  Kampf  erobern  sie  Lehrstühle  an 
den  Universitäten.  Die  deutsche  Mystik  fand  im  14.  Jahrhundert  in  den 
Dominikanerklöstern  eine  Pflegestätte.  —  Ihre  Organisation,  nach  welcher 
Hunderte  von  Konventen  dem  unmittelbaren  Gebot  des  Generals  und 
somit  auch  des  Papstes  gehorchten,  machte  die  Bettelmönche  zu  den 
wertvollsten  Hilfskräften  der  Päpste,  für  deren  Interessen  sie  unermüdlich 
in  den  niederen  Volkskreisen  wirkten  und  von  denen  sie  hiefür  Frei- 
briefe und  Vorrechte  aller  Art  erhielten.  Sie  erschienen  als  Gesandte, 
politische  Agenten  und  Vertrauensmänner  des  Papstes  an  den  Höfen 
der  Fürsten,  bei  denen  sie  infolgedessen  oft  genug  eine  wichtige  Rolle 
spielten. 

Hier  Missionäre,  waren  sie  dort  Kreuzprediger,  Yerkünder  des  Bannes,  Schieds- 
und  Friedensrichter,  Truppenwerber,  Eintreiber  von  Ablafsgeldern,  Ketzerrichter  und 
Inquisitoren.  Waren  die  Ketzergerichte  anfangs  in  den  Händen  beider  Orden,  so 
gelangten  sie  allmählich  allein  in  die  der  Dominikaner.  Sie  dürfen  an  jedem  Orte 
predigen  und  Beicht  hören,  sind  befugt,  Vermächtnisse  von  Verwandten  und  anderen 
Personen  entgegenzunehmen,  sie  lösen  jeden,  der  in  ihren  Orden  eintritt,  vom  Bann, 
wofern  nicht  ein  Frevel  vorliegt,  dessen  Lösung  sich  der  Papst  allein  vorbehält,  sie 
dürfen  selbst  während  des  Interdiktes  Messe  lesen  und  das  Abendmahl  spenden ;  kein 
Bischof  darf  sie  an  der  Austeilung  des  Ablasses  hindern  u.  s.  w.  Streitigkeiten  zwischen 
ihnen  und  der  Weltgeistlichkeit  konnten  da  nicht  ausbleiben,  wobei  dann  die  Massen 
des  Volkes  in  der  Regel  für  die  Bettelmönche  Partei  ergriffen.  —  Die  Erfolge  der 
Bettelorden  zeigten  sich  auch  darin,  dafs  schon  in  den  nächsten  Zeiten  Nachbildungen 
entstanden,  unter  denen  sich  die  Augustinereremiten  und  Karmeliter  hervortaten.  Mit 
Hilfe  der  Bettelorden  gelang  es  den  Päpsten,  die  widerstrebenden  Mächte  niederzu- 
ringen. [Freilich  hatten  die  grofsen  Vorrechte,  die  ihnen  hiefür  gegeben  wurden,  ihre 
Eingriffe  in  die  Befugnisse  des  Weltklerus  und  ihre  Einmischung  in  die  Händel  dieser 
Welt  nicht  wenig  Mifsbräuche  im  Gefolge,  über  die  schon  die  Zeitgenossen  der  beiden 
Ordensstifter  Klage  führten,  die  aber  erst  in  der  Zeit  des  Niederganges  der  päpstlichen 
Weltherrschaft  stärker  hervortraten. 

§  5.     Die  Inquisition. 

Quellen.  S.  Benrath  in  der  RE.  IX,  152.  Kirch.-Lex.  VI,  782.  Die  päpstl. 
Bullen  s.  im  Magnurn  Bullarium  Romanum,  im  Corp.  iur.  canon.  u.  a.  Eymerici  (In- 
quisitor in  Aragonien  1376)  Directorium  Inquisitorum  (ein  in  Avignon  verfafstes  Hand- 
buch für  die  Inquisitoren),  ed.  Peöa,  Rom  1580  (s.  Denifle,  ALKG.  I,  143).  Die 
Vrteile  des  Tolosaner  I.  -  Ger.  von  1308 — 1322  in  Limborch ,  Historia  inquisitionis. 
Amst.  1692,  Bernardus  Guidonis  Practica  Inquisitionis  haereticae  pravitatis,  ed.  C.  Douais. 


22  l^e  Inquisition  und  ihre  Entwicklung. 

Paris  1886.  Doctrina  de  modo  procedendi  contra  haereticos  VTartene  et  Durand. 
Thesaur.  V,  1795 — 1822.  Samml.  des  auf  die  Niederlande  bez.  Aktenmaterials  von 
Paul  Fredericq,  Corpus  Docurnentorum  Inquisit.  haeret  pravit.  Neerlandicae  I — IV, 
1889 — 1900.  Über  sonstige  Sentenzen  des  Inquisitionsgerichtes  s.  Benrath,  RE.  152. 
Saint  Raymond  de  Pefiafort  et  les  heretiques.  Directoire  ä  l'usage  des  inquisiteurs 
aragonais  1242,  ed.  Douais,  Le  Moyen-Age,  Xu,  305 — 325.  Documents  pour  servir  ä 
lhistoire  de  l'Inquisition  dans  ie  Languedoc,  p.  p.  Douais.  Paris  1900. 

Hilfsschriften.  Zur  Ebersicht :  L  a  n  g  1  o  i  s ,  L'inquisition  d' apres  des  travaux 
recents.  Paris  1901.  L.  a  Paramo,  De  origine  et  progressu  officii  S.  Inquisitionis.  Madr. 
1598.  L i m b  o  r  c h ,  wie  oben.  Marsollier,  Hist.  de  l'Inquisition  des  son  origine.  Cöln 
1692.  J.  A.  Llorent  e,  Histoire  critique  de  l'Inquisition  d'Espagne.  4  Bde.  Paris  1817. 
Deutsch  von  Hock.  Gmünd  1819.  F.  J.  Rodrigo,  Historia  verdadera  de  la  Inquisizion. 
3  Bde.  Madrid  1876.  Orti  y  Lara,  La  Inquisizion.  Mach-.  1877.  Hauptwerk  für 
die  Inq.  d.  MA. :  Lea,  A  history  of  the  Inquisition  in  the  Middle  Age  1 — 3.  New- 
York  1888.  Franz.  Ausgabe  mit  einem  Vorwort  von  Fredericq  von  S.  Reinach.  3  Bde. 
Paris  1902.  (Die  Vorrede  zitiert  noch  einige  andere  Hilfsschriften,  auf  die  hier  nicht 
eingegangen  wird.)  Henner,  Beitr.  z.  Organis.  U.Kompetenz  d.  päpst.  Ketzergerichte. 
Leipz.  1890.  Finke,  Stud.  z.  Inq.-G.  R.  Q.-Sch.  1892.  Moll,  Kerkgeschiedenis  van 
Xederland  voor  de  Hervorming.    6  vol.  1864 — 1871.     Deutsch  von  Zuppke.    Leipz.  1895. 

A.  Duverger,  L  Inquisition  en  Belgique.  Bull,  de  l'Acad.  tom.  47.  Von  besonderer 
Wichtigkeit  sind:  Molinier,  L  Inquisition  dans  le  midi  de  la  France  au  Xffle  et 
XlVe  siecle.  Paris  1861.  Dazu  die  Kritik  von  C.  Douais,  Les  sources  de  lhistoire 
de  l'Inquisition  dans  le  midi  etc.  Paris  1881.  —  L'Albigeisine  et  les  Freres  precheurs 
a  Narbonne  au  13e  siecle.  Paris  1894.  Menendez  y  Pelayo,  Heterodoxos  Espailoles. 
3  Bde.  Madr.  1880.  Melgares  Marin,  Procedimientos  de  la  Inquisizion.  2  Bde. 
Madr.  1886.  Von  den  zahlreichen  Arbeiten  Fredericqs  besonders :  Geschiedenis  der 
Inquisitie  in  de  Nederlanden.  2  Bde.  1892 — 1896.  Die  übrigen  und  auch  die  kleineren 
Arbeiten  anderer  Autoren  s.  in  seiner  Vorrede  zu  Reinachs  Übersetzung  von  Lea, 
History  of  J.,  p.  XXVI  ff .  Ficker,  Die  gesetzl.  Einf.  d.  Todesstr.  für  Ketzerei,  wie 
oben.    J.  Havet,    L'heresie  et  le  bras  seculier    au    moyen-age    jusquau   Xine  siecle. 

B.  E.  Ch.  1881.  Tanon,  Histoire  des  tribunaux  de  l'Inquisition  en  France.  Paris  1893. 
Eine  Reihe  von  Arbeiten  deutscher  Gelehrter  wie  Wattenbach,  Haupt  u.  a.  behandelt 
die  Wirksamkeit  d.  Inq.  in  späterer  Zeit. 

1.  Die  von  Innozenz  III.  wider  die  Ketzer  getroffenen  Anordnungen 
sind  für  die  Folge  mafsgebend  geblieben  und  weiter  ausgebildet  worden. 
Scbon  1198  hatte  er  zwei  Zisterzienser  mit  unumschränkten  Vollmachten 
in  das  südliche  Frankreich  geschickt,  um  dort  die  Ketzerei  auszurotten. 
Geistliche  und  weltliche  Grofse  wurden  zu  ihrer  Unterstützung  ver- 
pflichtet. Über  hartnäckige  Ketzer  sollte  der  Bann,  Gütereinziehung 
und  Landesverweisung  verhängt  und  Ketzerfreunde  mit  der  gleichen 
Strafe  bedroht  werden.  Auch  in  den  folgenden  Jahren  wurden  sie  durch 
Predigt,  Unterweisung,  Religionsgespräche  und,  wenn  diese  Mittel  ver- 
sagten, durch  Waffengewalt  (s.  §  11)  bekämpft,  xln  der  alten  Kirche 
gab  es  keine  Einrichtung,  die  der  Inquisition  auch  nur  von  ferne  ähnlich 
gewesen  wäre,  keine,  die  allmählich  zu  einem  derartigen  (päpstlichen) 
Institute  hätte  fortgebildet  werden  können.«1)  Was  man  zumeist  als  erste 
Entwicklungsstufe  der  Inquisition  bezeichnet,  die  Bestellung  der  »Priester 
für  die  Besserung«  [TtqEGßvreqot  ^reoi  uercu'oiag),  hat  eine  andere  Bedeutung. 
Erst  Augustinus  hat  körperliche  Strafen  gegen  die  Ketzer  empfohlen, 
doch  dauerte  es  noch  mehrere  Jahrhunderte,  bis  die  Lehre  vom  Religions- 
zwang  und   der  Vernichtung   der  Ketzer  allgemeine  Anerkennung  fand. 


1     I '. -.llinger,  Kl.  Schriften,    1890    S.  295. 


Bischöfliche  und  päpstliche  Inquisition.  23 

Die  Bischöfe  hatten  für  die  Reinhaltuno;  der  Lehre  zu  sorgen,  und  so 
wurden  zu  dem  Zwecke  in  der  karolingischen  Zeit  Sendgerichte  einge- 
führt, in  denen  man  die  Anfänge  der  bischöflichen  Inquisition 
sehen  darf.  Erst  seit  dem  Ende  des  11.  Jahrhunderts  —  eine  Folge 
des  Systems  Gregors  VII.  —  galt  jede  Abweichung  von  der  kirchlichen 
Lehre  als  Verbrechen  der  beleidigten  göttlichen  Majestät  und  wurden 
die  Bestimmungen  des  römischen  Rechtes  über  Majestätsverbrechen  auf 
die  Häresie  übertragen.  Noch  in  den  Festsetzungen  zwischen  Lucius  III. 
und  Barbarossa  in  Verona  (1184)  wird  die  Entscheidung  über  den  Irr- 
tum eines  Ketzers  dem  Bischof  überlassen,  doch  wird  der  weltliche  Arm 
verpflichtet,  dem  geistlichen  beizustehen.  Der  Kaiser  selbst  erliefs  ein 
Gesetz,  das  die  Ketzer  in  die  Acht  tat.1)  Auf  dem  Laterankonzil  von 
1215  wurde  die  Inquisition  als  ständige  Mafsregel  gegen  die  Ketzerei 
angeordnet.  Jeder  Prälat  ist  verpflichtet,  selbst  oder  durch  Stellvertreter 
seinen  Amtsbezirk  zu  besuchen,  um  die  Ketzer  auszuforschen  und  zur 
Strafe  zu  bringen.  Wer  hierin  lässig  ist,  wird  seines  Amtes  enthoben. 
Noch  das  Konzil  von  Toulouse  bestimmte  (1229),  dafs  die  Bischöfe  in 
jeder  Pfarre  einen  Priester  und  zwei  oder  drei  Laien  auswählen,  welche 
die  Ketzer  in  ihren  Schlupfwinkeln  ausforschen  sollen.  Noch  wird 
keiner  als  Ketzer  gestraft,  dem  nicht  der  Bischof  das  Urteil  gesprochen. 

2.  Steht  diese  Inquisition  sonach  unter  der  Leitung  der  Bischöfe, 
so  ist  Gregor  IX.,  nach  dessen  Meinung  sich  die  Bischöfe  als  zu  milde 
erwiesen,  der  Begründer  der  päpstlichen  Inquisition.  Am  20.  Juli 
1233  übertrug  er  die  Ausforschung  und  Verfolgung  der  Ketzer  dem 
Orden  der  Dominikaner.  Zugunsten  dieser  Inquisition  trafen  #die 
Päpste  eine  Reihe  von  Mafsregeln,  die  teilweise  an  die  von  Friedrich  IL 
erlassenen  Ketzergesetze  anknüpfen.  Schon  bei  seiner  Kaiserkrönung 
(1220)  hatte  dieser  scharfe  Verordnungen  wider  die  Häretiker  erlassen;  vier 
Jahre  später  setzte  ein  für  die  Lombardei  bestimmtes  Edikt  die  Todes- 
oder körperliche  Strafe  für  jeden  der  Ketzerei  Überführten  fest  und 
stellte  die  Ortsobrigkeiten  für  diesen  Zweck  in  den  Dienst  der  Inquisi- 
tion. Noch  mehr  war  dies  in  den  kaiserlichen  Ketzergesetzen  von  1232 
der  Fall,  die  elf  Jahre  später  von  Innozenz  IV.  übernommen  wurden. 
Ein  Edikt  für  Sizilien  setzte  fest  (1249),  dafs  Ketzer  Hochverrätern 
gleichzustellen  und  ihr  Vermögen  einzuziehen  sei.  Genau  bestimmt 
wurde  das  Verfahren  gegen  die  Ketzer  in  der  Bulle  Ad  extirpanda  Inno- 
zenz' IV.  vom  25.  Mai  1252,  die,  zunächst  allerdings  nur  für  die  Lom- 
bardei, Romagna  und  die  Mark  Treviso,  alle  weltlichen  Obrigkeiten 
unter  Strafe  des  Bannes  zur  Unterstützung  der  Inquisitoren  und  zur 
Aufspürung  und  Bestrafung  der  Ketzer  verpflichtete.2)  Die  folgenden 
Päpste  haben  einzelne  Bestimmungen  dieser  Bulle  abgeändert,  im  übrigen 


*)  Giesebrecht  VI,  94. 

2)  Die  Bulle  enthält  38  Gesetze,  von  denen  einige  ^mit  den  Ketzergesetzen 
Friedrichs  II.  gleichlauten.  Jede  Kommune  mufs  ihre  Organe  dem  hl.  Amte  leihen, 
alle  gegen  Ketzer  erlassenen  Verordnungen  ausführen,  darf  keine  das  Wirken  der 
Inquisition  hemmenden  Statuten  erlassen,  mufs  als  Gemeinde  und  jeder  Einwohner 
einzeln   nach  Ketzern   fahnden ;    Ketzerhäuser   werden   niedergerissen   und  Ketzergüter 


24  Die  Aufgaben  der  Inquisition.     Ehr  Prozeßverfahren. 

aber  die  Verpflichtung  der  Obrigkeiten  zur  Austilgung  der  Häresie  noch 
schärfer  betont  und  die  Dominikaner  mit  immer  ausgedehnteren  Vor- 
rechten bedacht. 

So  mufs  die  Stadt  Alant ua  ihre  die  Inquisition  hemmenden  Statuten  abschaffen 
(1256),  dürfen  die  Dominikaner  auch  ohne  förmliche  Bewilligung  des  Diözesans  gegen 
Ketzer  einschreiten,  wogegen  dieser  verpflichtet  ist,  ihnen  zur  Hand  zu  sein.  Die 
Obrigkeiten  müssen  Sentenzen  des  hl.  Amtes  ausführen  und  die  Inquisitoren  innerhalb 
ihres  Gebietes  schützen.  Diese  dürfen  in  Glaubenssachen  auch  gegen  exempte  Personen 
einschreiten  und  werden  in  ihrem  Amte  selbst  des  Gehorsams  gegen  ihre  Ordensobern 
entbunden  (1260),  dürfen  jene,  die  gegen  die  Ketzer  das  Kreuz  nehmen,  von  kirch- 
lichen Zensuren  lösen  und  ohne  des  Papstes  Bewilligung  selbst  von  päpstlichen  Legaten 
nicht  gebannt  werden  (1262).  In  ihrem  Amte  von  jeder  Verantwortung  und  jeder 
Oberaufsicht  frei,  mufs  ihnen  ebenso  wie  dem  Oberhaupt  der  Kirche  gehorcht  werden. 
Wo  sich  ein  Widerstreben  der  Bischöfe  gegen  so  hohe  Befugnisse  des  Ordens 
kundgab,  blieb  es  erfolglos,  und  wo  die  Inquisition  der  Bischöfe  bestehen  blieb,  hat 
sie  geringere  Wirkung,  da  den  Dominikanern  ganz  andere  Mittel  zur  Verfügung  standen. 
Bei  ihrer  grofsen  Verbreitung  konnten  überall  leicht  Inquisitionstribunale  bestellt  und 
die  Wahrnehmung  des  einen  dem  andern  mitgeteilt  werden.  Hiedurch  blieb  Belbst 
die  Flucht    eines  Geklagten   meist   erfolglos    und  wurde    seine  Verteidigung    erschwert. 

3.  Die  Anzahl  der  Tribunale  war  in  verschiedenen  Ländern  ver- 
schieden; die  meisten  (und  über  ihre  Wirksamkeit  sind  wir  auch  am 
besten  unterrichtet)  hatte  das  südliche  Frankreich;  geringe  Bedeutung 
hatten  sie  in  Deutschland,  wo  sie  erst  seit  dem  14.  Jahrhundert  wirken: 
in  einzelnen  Ländern,  wie  England,  Dänemark,  Schweden  und  Norwegen, 
hielt  man  an  den  bischöflichen  Tribunalen  fest1)  oder  traf  für  besondere 
Fälle  auch  besondere  gesetzliche  Mafsnahmen.  —  Im  Prozefsverfahren 
gab  es  wohl  und  mitunter  sogar  genaue  Bestimmungen,  doch  wurden 
sie  selten  eingehalten  oder  sinngemäfs  durchgeführt.  Als  Kämpfer  für 
den  Glauben  und  Eiferer  für  die  Rettung  der  Seelen  steht  der  Inquisitor 
über  jedem  andern  Richter  und  ist  vom  Rechtszwang  juristischer  Prozeß- 
führung frei.  Der  Prozefs  wird  geheim  geführt,  Name  der  Ankläger 
und  Zeugen  bleiben  dem  Angeklagten  unbekannt.  Die  Verhaftung  soll 
erst  nach  dreimaliger  Zitation  erfolgen,  geschieht  aber  bei  Fluchtverdacht 
schon  nach  der  ersten.  Um  Geständnisse  zu  erzielen,  wird  die  Folter 
benutzt.  Der  Geklagte  hat  keinen  Verteidiger :  am  besten  kommt  er 
weg,  wenn  er  ein  Bekenntnis  ablegt,  die  Ketzerei  abschwört  und  die 
Bufse  auf  sich  nimmt.  Sie  besteht  je  nach  dem  Grad  der  Verschuldung 
in  Fasten,  Wallfahrten  und  Geldstrafen  oder  im  Tragen  gelber  Kreuze 
auf  der  Kleidung,  in  zeitlicher  und  selbst  lebenslänglicher  Haft.  Wer 
seine  Schuld  bekennt,  ohne  Bufse  zu  tun,  wer  sie  leugnet,  aber  durch 
Zeugnisse  überwiesen  wird,  wurde,  da  die  Kirche  selbst  kein  Blut  ver- 
giefsen  darf,  dem  weltlichen  Arm  übergeben,  der  seinerseits  die  Ver- 
pflichtung  hatte,    die   Verurteilten   nach   dem   Gesetze   zu   strafen.      Die 


eingezogen.  Wer  sie  schützt,  wird  ipso  iure  infamis  und  tragt  die  daraus  entspringenden 
Folgen.  Ist  er  Richter,  hat  sein  Ausspruch  keine  Gültigkeit,  als  Vogt  ist  sein  Schutz 
hinfällig,  als  Notar  seine  Urkunden  kraftlos.  Vier  Ketzerlisten  sind  an  den  Orts- 
vorstand,  den  Diözesan,  an  Dominikaner  und  Franziskaner  einzureichen. 

2)  Die  Entwicklung    über    die  Mitte  des  Xffl.  Jahrhunderts   hinaus    zu    zeichnen, 
liegt  nicht  in  der  Aufgabe   dieses  Buches. 


Erfolge  der   Inquisition.  —  Innozenz   LIT.  und  Italien.  •>') 

Strafe  ist  dann  der  Feuertod.  Reuige  werden  mit  ewigem  Kerker, 
Geistliche,  die  der  Schuld  geständig  oder  durch  Zeugen  überwiesen 
sind,  mit  der  Strafe  der  Einmauerung  bestraft,  Ist  ein  Verurteilter 
gestorben,  dann  werden  seine  Gebeine  ausgegraben  und  Kinder  und 
Enkel  gehen  ihres  Besitzes  verlustig.  In  einzelnen  Ländern,  wie  im 
gröfsten  Teil  des  südlichen  Frankreich,  wurde  das  Ketzertum  solcher- 
gestalt mit  Stumpf  und  Stiel  ausgerottet,  freilich  nicht,  ohne  dafs  sie, 
namentlich  in  wirtschaftlicher  Beziehung,  stark  geschädigt  wurden ;  denn 
schon  galt  es  z.  B.  als  Grundsatz,  dafs  wohl  die  Schulden  der  Ketzer 
unnachsichtig  eingetrieben  werden,  die  an  Ketzer  aber  nicht  zurückgezahlt 
zu  werden  brauchen,  dafs  Käufe  und  Verkäufe  der  Ketzer  keine  Gültig- 
keit haben.  Da  niemand  wufste,  ob  der  Nächste  ein  Ketzer  sei  oder 
nicht,    wurden   Handel  und  Wandel   in    jenen    Gegenden   unterbunden. 


2.  Kapitel. 

Innozenz  III.  nnd  die  Staaten  des  Abendlandes. 

§  6.   Die  Verdrängung*  der  Reichsgewalt  aus  Rom  und  dem  Kirchen- 
staat.   Die  Rekuperationen  der  römischen  Kirche  und  der  Sturz  der 

deutschen  Verwaltung  in  Sizilien. 

Quellen  und  Hilfsschriften  oben  §  2  u.  unten  §  7  u.  8.  Für  die  Rekuperationen 
der  röin.  Kirche  ist  das  Hauptwerk  J.  Ficker,  Forschungen,  wie  S.  9  u.  Böhmer-Ficker, 
Regesten,  wie  oben.  Julius  Ficker,  Über  das  Testament  Kaiser  Heinrichs  VI.  S.  B. 
Wien.  Ak.  LXATII.  Winkelmann,  Beitr.  z.  Gesch.  Friedrichs  IL,  Forschungen  z  d. 
Gesch.  YI,  VII,  IX,  X.  P.  Printz,  Markward  von  Anweiler.  Emden  1875.  J.  Mayr, 
Markward  v.  Anweiler,  Reichstruchsefs  und  kaiserl.  Lehensherr  in  Italien.  Innsbr.  1876. 
Amari,  Storia  dei  Musulmani  di  Sicilia.  vol.  III,  pars  2,  pag.  567  ff.  Hellmann, 
Die  Grafen  y.  Savoyen  u.  d.  Reich  bis  z.  Ende  der  stauf.  Periode.  Innsbr.  1900.  (Gilt 
auch  für  das  Zeitalter  Friedrichs  IL) 

Die  Durchführung  seiner  Pläne  begann  Innozenz  III.  in  Italien. 
Am  besten  gelang  sie  in  Mittel-  und  Unteritalien ;  selbst  dort,  wo  die 
Städte  nicht  geneigt  waren,  die  päpstliche  Herrschaft  an  die  Stelle  der 
kaiserlichen  zu  setzen,  kam  es  zu  einer  starken  Bewegung,  die  schon 
deshalb,  weil  sie  sich  gegen  die  Kaisermacht  richtete,  den  Zielen  des 
Papsttums  diente.  Die  ersten  Erfolge  hatte  Innozenz  III.  in  Rom.  Hier 
beseitigte  er  den  Rest  der  alten  Kaisergewalt,  indem  er  den  Stadt- 
präfekten,  der  wider  den  Vertrag  von  Venedig  Vasall  des  Kaisers  ge- 
blieben war,  zwang,  dem  Papsttum  Treueid  und  Mannschaft1)  zu  leisten. 
Aus  dem  Stadtpräfekten,  der  bisher  die  oberste  Gerichtsbarkeit  des 
Kaisers  repräsentierte,  wurde  sonach  ein  päpstlicher  Beamter.  Zugleich 
verzichtete  das  Volk,  das  sich  bisher  unter  seinem  Senate  (bezw.  seinem 
Senator)2)   unabhängig   gehalten,    auf   das  Recht    der    freien  Senatswahl. 

x)  Über  die  Präfektur  in  Rom  s.  Ficker  II,  307. 

2)  Über  den  Senator  s.  Winkelmann  I,  97,  Note  2,  S.  353,  354  und  Toeche, 
Heinrich  YI,  357. 


2fi  Verdrängung  der  Reichsgewalt.     I>ie  Rekuperationen. 

Nachdem  der  bisherige  Senator  zurückgetreten  war.  wurde  durch  einen 
Bevollmächtigten  des  Papstes  ein  anderer  eingesetzt  und  der  Senat 
hiedurch  in  die  Stellung  einer  päpstlichen  Behörde  herabgedrückt.  Die 
vom  Senator  bisher  ernannten  Richter  des  römischen  Stadtgebietes 
wurden  durch  päpstliche  ersetzt.  Dem  Vorgange  Roms  folgten  die 
Städte  und  Barone  der  Campagna.  Maritima,  Sabina  und  im  römischen 
Tuscien,  so  dafs  die  päpstliche  Herrschaft  von  den  Grenzen  des  sizilischen 
Reiches  bei  Ceperano  bis  Radicofanum  reichte.  Das  Patrimonium  war 
nun  wieder  im  unmittelbaren  Besitz  der  Kirche  und  von  Rechten  des 
Reiches  innerhalb  dieses  Gebietes  nicht  weiter  die  Rede. 

2.  Noch  zu  Lebzeiten  Cölestins  III. .  wahrscheinlich  schon  unter 
dem  Einflufs  des  Kardinaldiakons  Lothar  von  Segni.  trat  die  Kurie  mit 
einer  Reihe  territorialer  Forderungen  auf.  die,  abgesehen  von  der 
Mathildischen  Erbschaft,  das  Herzogtum  Spoleto,  die  Mark  Ancona.  die 
Romagna  und  ganz  Tuscien  umfafsten.  Es  war  ganz  Mittelitalien,  dessen 
Besitz  ihr  unentbehrlich  schien,  wollte  sie  sich  der  durch  die  Vereini- 
gung Siziliens  mit  dem  Kaisertum  geschaffenen  Lage  entziehen;  was  sie 
jetzt  beanspruchte,  hat  sie  auch  in  Zukunft  nicht  mehr  aus  dem  Auge 
gelassen.  Sie  griff  dabei  auf  ältere  Rechtstitel,  wie  die  Schenkungen 
der  Karolinger  und  der  Markgräfin  Mathilde,  zurück,  wiewohl  diese  da. 
wo  sie  früher  bestanden,  durch  den  Frieden  von  Venedig  zum  gröfsten 
Teil  erloschen  waren.  Die  gröfsten  Erfolge  hatte  sie  dort,  wo  der  bis- 
herige Druck  der  deutschen  Statthalter  den  Papst  als  Befreier  erscheinen 
liefs,  zunächst  in  Spoleto.  Der  Herzog  Konrad  (von  Urslingen)  suchte, 
um  seine  Stellung  zu  retten,  die  Belehnung  des  Papstes  nach,  ohne  aber 
bei  der  allgemeinen  Volksstimmimg  seine  Absicht  zu  erreichen,  daher 
kehrte  er  nach  Deutschland  zurück.  Gröfsere  Schwierigkeiten  fand  der  Paj  »st 
im  Exarchat  von  Ravenna.  in  der  Romagna  und  der  Mark  Ancona,  wo 
der  Reichsseneschall  und  Herzog  Markward  von  Anweiler  seine  und  des 
Reiches  Rechte  mannhaft  verteidigte.  Doch  auch  in  der  Mark  erkannten 
schliefslich  die  meisten  Städte  des  Papstes  Herrschaft  an,  die  sich  nun- 
mehr vom  Tyrrhenischen  bis  zum  Adriatischen  Meere  erstreckte ;  nur  die 
Hauptplätze  der  Romagna,  an  ihrer  Spitze  Bologna,  machten  sich  von 
jeder  fremden  Herrschaft  frei.  Dem  Beispiel  der  Lombarden  folgend, 
die  nach  dem  Tode  Heinrichs  VI.  ihren  alten  Bund  erneuert  hatten 
und  sich  nun  des  in  ihrer  Nähe  gelegenen  Reichsgutes  bemächtigten, 
hatten  auch  die  Städte  und  Grofsen  von  Tuscien,  mit  Ausnahme  Pisas, 
unter    der  Führung    von    Florenz    und  Siena    ein  Bündnis    geschlossen, 

sen  Spitze  sich  gegen  das  Reich  kehrte.  AViewohl  nun  der  tuscische 
Bund  Anschlufs  an  den  Papst  gesucht  und  gefunden  hatte,  konnte  dieser 
seine  territorialen  Ansprüche  nicht  durchsetzen,  und  so  behielten  Florenz, 
Lucca  und  Siena  ihre  Freiheit. 

3.  Noch  in  seinem  Testamente  hatte  Heinrich  VI.  durch  weit- 
gehende Zugeständnisse  den  Widerstand  der  Kurie  gegen  die  Verbindung 

dos  Königreiches:  (Sizilien)  mit  dem  Kaisertum  zu  beseitigen  gesucht. 
Trotzdem  kam  die  nationale  Strömung  hier  am  kräftigsten  zum  Durch- 
bruch.    Hier  war  die  Kaiserin  Konstanze  die  Seele  der  Bewegung  gegen 


Stur/  dei  deutschen  Verwaltung  in  Sizilien.  27 

die  Deutschen,  die  nicht  nur  ihrer  Amter  beraubt,  sondern  auch  des 
Landes  verwiesen  wurden.  Indem  sich  die  meisten  auf  ihren  festen 
Schlössern  behaupteten,  blieb  das  Land  im  Zustand  der  Anarchie.  Der 
Papst,  an  den  sich  Konstanze  mit  der  Bitte  wandte,  ihren  Sohn  zu 
belehnen,  was  den  bestehenden  Verträgen  gemäfs  nicht  verweigert 
werden  konnte,  nützte  ihre  Notlage  aus,  so  dafs  sie  aus  den  früheren, 
von  den  Normannenkönigen  abgeschlossenen  Konkordaten  alles  preis- 
geben mufste,  was  der  Kirche  lästig  war;  danach  wurde  dem  Papste 
die  Entgegennahme  von  Appellationen,  die  Berufung  von  Synoden,  die 
Absendung  von  Legaten  und  die  geistlichen  Ernennungen  überlassen. 
Jetzt  empfing  die  Kaiserin  und  ihr  Sohn,  nachdem  sie,  was  Heinrich  VI. 
stets  verweigert  hatte,  die  Anerkennung  der  päpstlichen  Lehenshoheit 
zugestanden,  die  Belehnung.1)  Der  Lehenszins  wurde  auf  1000  Goldstücke 
jährlich  festgesetzt.  Der  Enkel  Barbarossas  war  sonach  Lehensmann 
des  Papstes  geworden.  Noch  war  übrigens .  die  Bestätigung  der  Kurie 
nicht  eingetroffen,  als  die  Kaiserin  starb  (1198,  27.  November).  Vor  ihrem 
Tode  hatte  sie  den  Papst  zum  Regenten  des  Königreiches  und  Vormund 
des  Königs  eingesetzt.  Er  ging  auf  die  Anerkennung  Friedrichs  IL  als 
König  von  Sizilien  um  so  bereitwilliger  ein,  je  fester  er  entschlossen 
war,   die  Vereinigung  Siziliens   mit  dem  Reiche   nicht   mehr   zu  dulden. 


§  7.  Innozenz  III.  und  der  deutsche  Thronstreit.  Philipp  von  Schwaben 
(1198—1208)  und  Otto  von  Braunschweig  (1198—1218). 

Quellen.  S.  oben  §2  über  Staatsverträge,  Korresp.  und  Urkk.  Dazu:  Philippi 
regis  Constitutiones,  Ottonis  IV.  Constit.,  MM.  Genn.  LL.  Sect.  IV,  tom.  II.  Hann.  1892. 
Böhmer,  Acta  irnp.  sei.  Innsbr.  1870.  Act.  inip.  ined.  saec.  XIII  1198 — 1273,  ed.  AVinkel- 
niann.  Innsbr.  1880.  Acta  imp.  ined.  saec.  XIII  et  XIV,  ed.  Winkeluiann  ib.  1885 
Coron.  Ottonis  reg.  a.  1198.  Coron.  Ottonis  imp.  1209.  MM.  G.  LL.  II,  1.  Urkk.  in 
Winkelmann,  Ib.  d.  d.  G.,  Philipp  v.  Schw.  u.  Otto  IV.  v.  B.  Leipz.  1873—78.  Böhmer, 
Eegg.  imp.  V.  Herausg.  v.  J.  Ficker  u.  E.  Winkelmann.  Innsbr.  1881.  S.  auch  Winkel- 
mann,   Ungedr.   Briefe   z.   Reichsg.    MJÖG.  XIV    u.    Doeberl,  MM.  Germ.    sei.  V  1894. 

Geschichtschreiber:  S.  d.  Verzeichnisse  bei  Potthast  II,  1661,  Dahlruann- 
Waitz-Steindorff,  Quellenk.  d.  d.  Gesch.  6.  Aufl.  Nr.  2470  ff.  Dazu  die  entsprechenden  Para- 
graphen bei  Wattenbach.    Die  bedeutenderen  Quellen  aufser  den  im  IX.,  XVI.,  XVII., 

XXIII.  Bd.  der  MM.  Gerin.  verzeichneten  Annalen  (Annales  Austriae,  Bosovienses 
Disibodi,  S.  Gereonis,  Egmundani,  Gesta  epp.  Halberst.,  Herbip.,  Marbac,  Pegav.,  Wein- 
gart. Cont.,  S.  Pauli  Virdun.)  u.  den  Reinhardsbrunner  Ann.  (ed.  Wegele  1856)  sind : 
Otto  de  S.  Blasio,  Ottonis  Frising.  Chron.  Cont.  bis  1209.  MM.  G.  SS.  XX.  Geschichtssch. 
d.  d.  V.  XII.  Jahrh.  VIIL,  Burchardus  Urspergensis  Chron.  bis  1225,  ib.  XXIII.,  xlrnold. 
Lubec.  Chron.  Slavorum  bis  1209,  ib.  XXL,  Chron.  regia  Col.  bis  1237,  ib.  XVII,  XXII, 

XXIV,  Gesta  Trev.  Cont.,  ib.  XXIV,  Chron.  Sampetr.  Ephord.  G.  Q.  d.  Prov.  Sachs.  I, 
Chron.  Montis  Sereni  bis  1225.  MM.  G.  XXIII,  Gerlach  v.  Mühlh.  schliefst  schon  1198, 
ib.  XVII.  Gervasius,  Chron.  maior,  —  minor,  ed.  Stubbs  1859.  Gervasius  Tilberiensis 
Otia  imp.,  ed.  Stevenson  1875  (andere  engl.  SS.  s.  im  XXVII.  u.  XXVIII.  Bd.  d.  MM. 
Germ,  wie  che  fz.  im  XXVI,  che  nordischen  u.  östl.  im  XXLX.,  italien.  im  XVIII. 
u.  XIX.  Von  Ital.  bes.  Sicardus  Cremon.  Chron.  bis  1213.  Murat.  VII.).  Xarratio 
de  morte  Ottonis  IV.,  Martene,  Thes.  anecd.  III.,  Xarrat.  de  testamento  et  morte  imp., 
ed.  Origg.  Guelf.  III,  840.  —  Die  Kaiserchronik.    Ausg.    s.  Potthast.  Für  die  Stimmung 


J)  Ihr  Lehenseid  N.  Arch.  XXV. 


2g  Der  deutsche  Thronstreit. 

weiterer  Volkskreise    s.  Walter  v.  d.  A^ogelweide,    ed.  Wilmans.    Für    die  sizil.   Verhält- 
nisse schon  jetzt  Ryccardus  d.  S.  Germano  MM.  G.  XIX. 

Hilfsschriften.  Aufser  den  §  2  gen.  Werken  z.  allg.  d.  Geschichte  s.  0.  Abel, 
Kön.  Philipp  d.  Hohenstaufe.  Berl.  1852.  0.  Abel,  Kön.  Otto  IV.  u.  Kön.  Friedrich, 
ib.  1856.  E.  AVinkelmann,  Phil.  v.  Schw.  u.  Otto  IV.  v.  Braunschweig  (Ibb.  d.  d. 
Gesch.).  2  Bde.  Leipz.  1873—1878.  L  angerfei  dt,  Kais.  Otto  IV.  Hann.  1872. 
Jastrow  u.  Winter,  Deutsche  Gesch.  im  Zeitalt.  d.  Hohenst.  IL  Stuttg.  1901.  ßchön- 
bach,  Walter  v.  d.  Vogelweide.  2.  Aufl.  Dresd.  1895  (mit  einem  bibl.  Anhang;  so  auch) 
Burdach,  Walter  von  der  Vogelweide.  Leipz.  1900.  L.  Y.Heine  mann,  Heinrich 
v.  Braunschw.  Gotha  1882.  Grotefend,  Z.  Charakt.  Phil.  v.  Schw.  u.  Ottos  IV.  von 
Braunschweig.  Stuttg.  1901.  Wiser,  Die  Bannimg  Philipps.  Brunn  1872.  Xi der  1  ander, 
De  Philippi  Staufensis  interitu  1872.  S  c  h  w  e  m  e  r ,  Innoz.  LH.  u.  d.  d.  Kirche  1198—1208. 
Strafsb.  1882.  Simson,  Analekten  z.  Gesch.  d.  d.  Königswahlen,  II.  D.Einmischung 
Innozenz'  III,  in  d.  d.  Thronstreit.  Freib.  1898.  Engelmann,  Phil.  v.  Schw.  und 
Innozenz  III.  1198—1208.  Berl.  1898.  Lindemann,  Krit.  Darstell,  d.  Verhandlungen 
Innoz.  III.  mit  d.  d.  Gegenkönigen.  Magdeb.  1885.  Comte  Riant,  Innoc.  HL,  Philippe 
de  Souabe  et  Bonif.  de  Montf errat.  R.Q.H.  XVH.  Paris  1875  (s.  d.  4  Kreuzzug). 
Kap-herr,  Dei  Unio  regni  ad  imperium  D.  Z.  G.  I.  —  Ottos  IV.  Versprechungen  an 
Innoc.  III.  Forsch.  XXII,  224.  Krabbe,  Ottos  IV.  erste  Versprechungen  an  Innoz.  III. 
X.A.  XXVII.  L.  v.  Borch,  Gesch.  d.  k.  Kanzlers  Konrad.  2.  Aufl.  .  Innsbr.  1883. 
W e  g  e  1  e  ,  Kanzl.  Konrad,  H.  T.  1884.  Kohlmann-,  Erzb.  Ludolf  v.  Magdeb.  Halle  1885. 
Vogel,  Erzb.  Ludolf  v.  M.  Leipz.  1885.  Münster,  Konr.  v.  Querfurt.  Leipz.  1890. 
Röhr  ich,  Adolf  I.  von  Köln.  Kgsb.  1886.  Rofsbach,  Die  Reichspol.  d.  Trierischen 
Erzb.  Prog.  Bonn  u.  Trier  1883/89.  Tumbült,  Die  Münster.  Bischofswahl  1203.  Westd. 
Z.  III.  Frey,  Die  Schicksale  d.  kgl.  Gutes  in  Deutschi,  seit  Philipp.  Berl.  1881.  [Vgl. 
Weiland,  GGA.  1881,  St,  49  u.  50.)  Die  Arbeiten  in  d.  A.  D.  B.  v.  Winkelmann 
über  Otto  IV.  u.  Philipp,  Krone  s  über  Wolfger  v.  Passau.  Waitz,  Die  Reichs- 
tage v.  Frkf.  u.  Würzb.  1208/9.  Forsch.  XLH.  Loreck,  Bernhard  L,  d.  Askanier,  Herz, 
v.  Sachsen  (1180—1212).      Z.   Harz.   V.  f.  G.  XXVI,  207. 

1.  Die  Nachricht  vom  Tode  Heinrichs  VI.  wurde  in  Deutschland 
das  Signal  zu  allgemeiner  Verwirrung.  Bei  dem  jugendlichen  Alter 
Friedrichs  IL  stand  eine  lange  vormundschaftliche  Regierung  mit  ihren 
Gefahren  und  Kämpfen  in  Sicht.  Von  Heinrichs  Brüdern  kümmerte 
sich  der  ältere,  Pfalzgraf  Otto  von  Burgund,  in  wüste  Fehden  verwickelt, 
nicht  um  den  Gang  der  Ereignisse.  Der  jüngere,  der  staatskluge  Herzog 
Philipp  von  Schwaben,  weilte  „  in  Italien,  um  seinen  Neffen  zur  Krönung 
nach  Deutschland  zu  geleiten.  Nun.  trieb  ihn  die  nationale  Bewegung 
der  Italiener  ebenso  sehr  als  der  AVunsch,  dem  Neffen  die  Krone  zu 
retten,  nach  Deutschland;  denn  schon  liefsen  sich  Stimmen  vernehmen, 
welche  die  Gültigkeit  der  Wahl  Friedrichs  bestritten.  Während  eine 
Anzahl  deutscher  Fürsten,  noch  auf  der  Kreuzfahrt  begriffen,  vor  Berytus 
ihren  Eid  für  ihn  erneuerte,  erhob  in  Deutschland  selbst  »die  Untreue 
ihr  Haupt«.  Führer  der  Opposition  wurde  Erzbischof  Adolf  von  Köln, 
bemüht,  im  Bunde  mit  England  und  den  Weifen  die  Staufer  von  der 
Nachfolge  auszuschliefsen.  Zunächst  stellte  sie  den  Herzog  Bertold 
von  Zähringen,  und  als  dieser  ablehnte,  Herzog  Bernhard  von  Sachsen 
als  Kandidaten  auf.  Die  Hartnäckigkeit,  mit  der  die  Kölnische  Partei 
die  Neuwahl  betrieb,  zwang  schlief slich  die  Staufer,  Friedrich  IL  wegen 
seiner  allzu  grofsen  Jugend  fallen  zu  lassen.  Auf  dem  Tage  von  Hagenau, 
wo  sich  die  staufischen  Ministerialen  um  Philipp  scharten,  wurde  dieser 
selbst  als  Thronkandidat  aufgestellt,  um  die  Krone  seinem  Hause  zu 
erhalten.     Erst  als  dies  geschehen  war,  betrachteten  sie  die  Sache  ihres 


Philipp  von  Schwaben  und  Otto  von   Braunschweig.  29 

Herzogs  als  ihre  eigene.  Aus  Osterreich,  Kärnten,  Franken  und  Bayern, 
selbst  aus  Sachsen  wurde  ihm  Hilfe  angeboten,  und  so  wurde  er  nach 
der  Vorwahl  zu  Ichtershausen  am  8.  März  1198  in  Mülhausen  zum 
König  gewählt. 

Philipp,  als  der  jüngste  Sohn  Barbarossas  um  die  Zeit  des  Friedens 
von  Venedig  geboren,  war  ursprünglich  für  den  geistlichen  Stand  be- 
stimmt. 1190  oder  1191  zum  Bischof  von  Würzburg  gewählt,  kehrte  er 
1193  in  den  Laienstand  zurück  und  erhielt  1195  das  Herzogtum  Tuscien, 
wo  sich  die  Ansprüche  der  Kurie  mit  denen  des  Kaisertums  kreuzten. 
Er  mag  diese  zu  scharf  betont  haben,  denn  er  wurde  von  Cölestin  III. 
gebannt.  1196  erhielt  er  das  Herzogtum  Schwaben  und  wurde  dadurch 
der  reichste  Fürst  in  Deutschland. x)  Als  Gemahl  der  Byzantinerin  Irene, 
der  Tochter  Isaaks  Angelus,  war  ihm  in  den  politischen  Plänen  Hein- 
richs VI.  eine  wichtige  Rolle  zugedacht.  Glich  er  diesem  sowohl  in  der 
äufseren  Erscheinung,  als  auch  in  der  staatsmännischen  Veranlagung, 
so  war  er  doch  von  ungleich  sanfterem  Wesen.  Ein  milder,  leutseliger 
Fürst,  Freund  der  Dichtkunst  und  der  Wissenschaft,  kam  ihm  die 
Stimmung  des  Volkes  überall  freundlich  entgegen.  Viel  zu  langsam  trat 
er  wider  seine  Gegner  auf.  Diese  hatten  sich  an  König  Richard  gewandt, 
der  zwar  selbst  von  der  deutschen  Krone  nichts  wissen,  sie  aber  wegen 
seiner  feindseligen  Beziehungen  zu  Frankreich  an  die  Weifen  bringen 
wollte.  Nachdem  Bertold  von  Zähringen  und  Bernhard  von  Sachsen 
die  Krone  abgelehnt  hatten,  trat  die  Kölnische  Partei  der  Wahl  eines 
Weifen  näher  und  stellte,  da  Pfalzgraf  Heinrich  im  Morgenland  weilte, 
dessen  jüngeren,  erst  sechzehnjährigen  Bruder  Otto  von  Poitou2)  als  Kandi- 
daten auf.  Ihn  empfahl  seine  Armut,  denn  er  besafs  nur  ein  Drittel 
der  Braunschweigschen  Allodien,  ebenso  sehr  als  die  Freundschaft 
Richards  von  England,  dessen  Liebling  er  war  und  dem  er  nicht  nur 
in  der  äufseren  Erscheinung,  sondern  auch  in  seinen  abstofsenden 
Eigenschaften  glich,  und  so  wurde  er  am  9.  Juni  1198  zum  König  gewählt. 

2.  Indem  der  Thronstreit  nicht  blofs  das  Reich,  sondern  auch 
dessen  Beziehungen  zu  England  und  Frankreich  berührte,  wurde  er  zu 
einer  europäischen  Angelegenheit.  Fand  Otto  die  Unterstützung  Eng- 
lands, so  schlofs  Philipp  mit  "Frankreich  einen  Bund,  der  Reichsflandern 
den  Franzosen  preisgab.  Auch  sonst  erlitt  das  deutsche  Königtum 
empfindliche  Einbufsen  seiner  Macht,  da  beide  Gegner  die  Hilfe  der 
Reichsfürsten  durch  schwere  Opfer  an  Geld,  an  Reichs-  und  Hausgut 
und,  was  am  schwersten  wog,  durch  Vergabung  von  Hoheitsrechten,  als 
Zollbefreiungen  und  dem  Verzicht  auf  Spolien  und  Regalien,  erkaufen 
mufsten. 3)  Von  den  Reichsfürsten,  die  nun  vom  Kreuzzug  heimgekehrt 
waren,  schlössen  sich  ungeachtet  ihrer  erneuten  Huldigung  einige,  wie 
Herzog  Heinrich  von  Brabant,  Pf alzgraf  Heinrich  u.  a.,  an  Otto  IV.  an. 


x)  Über  seine  Macht  s.  d.  Registrum  de  negotio  imperü. 

2)  Zeitgenössische  Quellen  nennen  ihn  den  -»Sachsen«-,  wiewohl  ihm  die  Heimat 
der  Yäter  ein  fremdes  Land  war. 

3)  Doch    sind,    wie  Frey  nachweist,    die  Angaben    des    Chronicon    Urspergense 
übertrieben.     Die  schwerste  Schädigung  trat  erst  unter  den  letzten  Staufern  ein. 


30  £>er  Kampf  um  die  Krone  und  der  Schiedsspruch  des  Papstes. 

Doch  Avar  Philipps  Macht  die  stärkere ;  für  ihn  traten  der  Osten  und 
Süden  und  ein  Teil  des  westlichen  Deutschland .  alle  Reichsbeamten 
und  die  Massen  der  Reichsdienstmannschaft  ein,  dagegen  gelang  es 
den  Weifen,  Aachen  zu  nehmen,  wo  Otto  IV.  vom  Erzbischof  Adolf 
von  Köln,  demnach  am  rechtmäfsigen  Orte  und  von  dem  rechtmäfsigen 
Erzbischof,  am  12.  Juli  1298  die  Krönung  erhielt.  Philipp  empfing 
dagegen  erst  am  8.  September,  zwar  mit  den  rechtmäfsigen  Insignien, 
»dem  Waisen«,  aber  an  unrechtem  Ort  —  zu  Mainz  —  und  nur  durch 
den  Erzbischof  von  Tarantaise  die  Krönung.  Um  den  Böhmenherzog 
auf  seine  Seite  zu  ziehen,  verlieh  er  ihm  die  Königskrone.  Der  Feldzug 
von  1198  brachte  keine  Entscheidung;  erst  im  folgenden  Jahre  gelang 
es  Philipp ,  dem  der  berühmte  Feldherr  Reichsmarschall  Heinrich 
von  Kalden  zur  Seite  stand,  den  Bischof  von  Strafsburg  zu  unterwerfen 
und  den  Landgrafen  von  Thüringen  mit  den  meisten  Bischöfen  Sachsens 
für  sich  zu  gewinnen.  Selbst  der  Erzbischof  Adolf  von  Köln  wurde 
seil  wankend.  Da  alles  davon  abhing,  wie  sich  der  Papst  zum  Thron- 
streit stellen  würde,  waren  beide  Könige  bemüht,  seine  Anerkennung 
zu  finden.  Innozenz,  im  Innern  längst  für  den  Weifen  entschieden, 
der  sich  seinen  Rekuperationen  geneigt  zeigte,  wie  er  denn  noch  am 
Tage  der  Wahl  die  Rechte  der  Kirche  zu  wahren  versprach  und  auf 
das  Spolienrecht  Verzicht  leistete,  vermied  es  gleichwohl,  sich  schon 
jetzt  für  ihn  zu  erklären.  Eine  Vermittlung  des  von  der  Kreuzfahrt 
heimgekehrten  Erzbischofs  von  Mainz  zugunsten  Friedrichs  II.  blieb 
erfolglos.  Der  Papst  nahm  die  Entscheidung  im  Thronstreit  für  die 
Kirche  in  Anspruch :  das  Kaisertum  sei  ein  Lehen  des  Papstes, 
denn  diesem  allein  stehe  es  zu,  den  Kaiser  zu  krönen  und 
mit  dem  Reich  zu  investieren.  Als  Philipps  Anhänger  den  Papst 
um  Anerkennung  des  Königs  baten  und  hinzufügten,  sie  würden  nach 
Rom  ziehen,  ihm  die  Kaiserkrone  zu  verschaffen,  erklärte  er:  Ihm 
allein  stehe  es  zu,  den  rechtmäfsigen  König  zur  Kaiser- 
krönung  zu  berufen.  Das  Jahr  1200  verging  unter  wechselndem 
Kriegsglück.  Endlich  fällte  der  Papst  die  Entscheidung.  In  einem 
Schriftstück1),  das  mit  Offenheit  Grundsätze  und  Ziele  der  päpstlichen 
Politik  aufdeckte,  gab  er  sich  selbst  Rechenschaft  darüber,  welchem  der 
drei  Bewerber  die  Krone  gebühre :  Friedrich  IL  würde  nicht  anders 
handeln  als  Heinrich  VI.,  Philipp  von  Schwaben  sei  einst  wegen  seiner 
Eingriffe  in  die  Rechte  des  Kirchenstaates  gebannt  worden  und  seine 
Lösung  vom  Bann  durch  den  Bischof  von  Sutri  hinfällig;  er  sei  ein 
Meineidiger,  der  seinem  Neffen  den  Eid  gebrochen,  er  stamme  aus  dem 
<H-chlecht  der  Verfolger  der  Kirche2);  dagegen  hätten  die  Vorfahren 
Ottos  der  Kirche  stets  die  gebührende  Devotion  erwiesen.  Der  Papst 
sprach  die  Anerkennung  Ottos  IV.  aus  (1201,  1.  März)  und  verhängte 
über  Philipp  und  seine  Anhänger  den  Bann.  Otto  IV.  erneuerte  dem 
Papst  seine  Zusagen  und  sicherte  ihm  vor  allem  die  jüngsten  Rekupe- 
rationen.    Die  Anerkennung   des   Papstes   hob  Ottos  Ansehen,    und  der 

*)  Deliberatio  pnpae  super  facto  imperii  de  tribus  electis.  HuillardBrehollesI,  70 — TG 
-)  Die  sonstigen  Motive  s.  ebenda,.     Winkelmann  I,  198  ff. 


Erfolge  König  Philipps.     Seine   Ermordung.  ,4,)1 

Legat  Guido  von  Präneste  entfaltete  eine  fieberhafte  Tätigkeit,  um  ihm 
einen  Anhang  unter  den  geistlichen  Reichsfürsten  zu  schal'!'* ml  Trotz 
der  Stellungnahme  des  Papstes  blieb  der  deutsche  Episkopat  mit  wenigen 
Ausnahmen  auf  Philipps  Seite.  Auf  die  staufische  Partei  wirkte  aber 
dessen  schwächliche  Kriegsführung  lähmend  ein.  Im  Norden  gewann 
Otto  IV.  die  Dänen,  denen  er  die  Besitzungen  Adolfs  III.  von  Holstein: 
Lübeck  und  Transalbingien,  preisgab,  endlich  trat  auch  sein  Oheim,  König 
Johann  von  England,  nachdrücklicher  für  ihn  ein.  Philipps  Lage  wurde 
eine  gefahrvolle,  als  sein  eigener  Kanzler,  Bischof  Konrad  von  Würzburg, 
dann  der  Landgraf  von  Thüringen  und  König  Ottokar  von  Böhmen  zu 
den  Weifen  übertraten.  Ottokar  bedurfte  eines  Ehehandels  wegen  die 
Unterstützung  des  Papstes,  auch  wünschte  er  die  Anerkennung  seinps 
Königtums  durch  die  Kurie.  Die  kräftige  Hilfe,  die  er  dem  Landgrafen 
gewährte,  zwang  Philipp,  das  Feld  zu  räumen.  Otto  IV.  stand  jetzt 
auf  der  Höhe  seiner  Macht.  Es  war  vergebens,  dafs  sich  Philipp  dem 
Papst  gegenüber  zu  grofsen  Zugeständnissen  bereit  zeigte ;  Innozenz  III. 
wies  sie  zwar  nicht  zurück,  war  aber  nicht  geneigt,  seinen  Schützling 
zu  opfern.  Da  trat  im  Jahre  1204  ein  Umschwung  ein.  Ottos  Bruder, 
Pfalzgraf  Heinrich,  der  für  die  durch  seine  antistaufische  Haltung 
erlittenen  Verluste  nicht  die  gewünschte  Entschädigung  erhalten  hatte, 
trat  zu  Philipp  über.  Dieser  zwang  nun  zuerst  den  Landgrafen  Hermann 
von  Thüringen,  dann  auch  Ottokar  zur  Unterwerfung.  Heinrich  von 
Brabant,  selbst  Adolf  von  Köln  fielen  Philipp  zu,  jener  aus  Furcht  vor 
einem  Angriff  des  mit  Philipp  verbündeten  Frankreich,  dieser,  weil  ihn 
Otto  beiseite  geschoben  hatte.  Philipp  wurde  nunmehr  auch  von  den 
niederrheinischen  Fürsten  zum  König  gewählt  und  am  6.  Januar  1205 
in  Aachen  gekrönt.  Als  sich  nach  Ottos  Niederlage,  die  er  bei  Wassen- 
burg  erlitt  (1206,  27.  Juli),  auch  Köln,  das  letzte  Bollwerk  der  Weifen, 
unterwarf,  war  Ottos  IV.  Machtbereich  auf  seine  Erblande  beschränkt. 
Dieser  Umschwung  der  Dinge  bewog  den  Papst  um  so  mehr  zur  Nach- 
giebigkeit, als  die  staufische  Partei  inzwischen  auch  in  Italien  Vorteile 
errungen,  die  Idee  einer  Einigung  Italiens  unter  Führung  des  Papsttums 
weder  in  Mittel-  noch  in  Oberitalien  durchdrang  und  sich  in  Unteritalien 
das  deutsche  Element  aufs  neue  erhob.  Im  August  1207  erhielt  Philipp 
auf  der  Reichsversammlung  zu  Worms  die  Lösung  vom  Bann.  Die  von 
den  päpstlichen  Legaten  versuchte  Vermittlung  zwischen  den  Gegen- 
königen scheiterte  am  Starrsinn  Ottos,  der  mit  dänischer  und  englischer 
Hilfe  sich  wieder  emporzuraffen  vermeinte.  Philipps  Frieden  mit  dem 
Papst  war  ein  vollständiger,  ohne  dafs  er  irgendwelche  Rechte  des 
Reiches  preisgab.  Er  stand  am  Ziele  seiner  Hoffnungen,  da  machte  ein 
meuchelmörderischer  Anschlag  seinem  Leben  ein  Ende:  er  wurde  am 
21.  Juni  1208  in  Bamberg  von  dem  Pfalzgrafen  Otto  von  Witteisbach 
ermordet  —  eine  Tat,  die  mit  dem  Thronstreit  in  keinem  Zusammen- 
hang steht. *)  Freund  und  Feind  bewahrte  dem  ermordeten  König,  dem 
»süfsen,  jungen  Mann«,  ein  gutes  Angedenken. 


*)  Über  die  Motive  s.  Winkelmann  I,  465.    Philipps  Nachruhm.  S.  467. 


32  ßic  Kaiserpolitik  Ottos  IV. 

3.  Xach  Philipps  Ermordung  schien  die  Anerkennung  Ottos  IV. 
das  geeignete  Mittel  zu  sein,  den  langen  Zwiespalt  zu  enden.  Otto  griff 
rasch  zu.  und  auch  der  Papst  trat  wieder  für  ihn  ein.  Auf  einer  Fürsten- 
Versammlung  zu  Halberstadt  (22.  September)  fand  er  die  Anerkennung 
der  thüringischen  und  sächsischen  und  auf  dem  grofsen  Hoftag  zu 
Frankfurt  (11.  November)  die  sämtlicher  Fürsten  des  Reiches.  Hier 
sprach  er  die  Reichsacht  über  Philipps  Mörder  aus  und  gelobte,  sich 
mit  Beatrix,  einer  Tochter  Philipps,  zu  vermählen,  um  den  Streit  der 
feindlichen  Häuser  zu  beenden.  König  und  Fürsten  beschworen  die 
Landfriedensgesetze  Karls  des  Grofsen,  worauf  Otto  IV.  mit  unnachsich- 
tiger Strenge  die  durch  den  Bürgerkrieg  gestörte  Ruhe  im  Reiche 
wieder  herstellte.  Dem  Papste  erneuerte  er  (1209,  22.  März)  die  früheren 
Versprechungen,  sagte  Hilfe  zur  Ausrottung  der  Ketzerei  zu,  gestattete 
freie  Appellation  an  die  Kurie  und  die  Freiheit  kirchlicher  Wahlen  — 
wodurch  er  auf  die  ihm  durch  das  Wormser  Konkordat  gewährleisteten 
Rechte  verzichtete  —  und  gab  das  Spolienrecht  preis.  Auf  dem  Reichs- 
tag zu  Würzburg  feierte  er  seine  Verlobung  mit  Beatrix.  Erst  jetzt  trat 
der  staufische  Anhang  zu  ihm  über :  staufische  Städte  und  Burgen  — 
man  zählte  350  —  fielen  ihm  zu;  aber  jetzt,  da  er  der  hingebenden 
Treue  der  Ministerialen  gewifs  war,  wurden  auch  die  Grundlagen 
seiner  Politik  andere:  Bisher  gekröntes  Parteihaupt,  wurde  er  Erbe 
der  staufischen  Politik  und  lenkte  als  solcher  in  die  Bahnen  Heinrichs  VI. 
ein.  —  An  der  Spitze  einer  Macht,  wie  sie  seit  lange  keinem  deutschen 
König  zur  Verfügung  gestanden,  trat  er  Ende  Juli  1209  seinen  Römerzug 
an.  Fürsten  und  Städte  der  Lombardei  nahmen  ihn  mit  hohen  Ehren 
auf,  die  einen,  weil  sie  ihn  als  Rechtsnachfolger  der  Staufer.  die  andern, 
weil  sie  ihn  als  deren  Gegner  ansahen.  Die  meisten  Städte  gaben  das 
seit  Heinrichs  VI.  Tod  okkupierte  Reichsgut  zurück,  zahlten  die  seit 
11  Jahren  rückständigen  Steuern  und  leisteten  Heeresfolge.  Das  Ver- 
langen des  Papstes,  ein  eidliches  Versprechen  bezüglich  der  von  der 
Kirche  beanspruchten  Güter  abzugeben,  wies  er  zurück,  da  er,  der  Würde 
des  Reiches  entsprechend,  auf  der  bedingungslosen  Krönung  bestehen 
müsse.  Die  Kaiserkrönung,  die  nun  erfolgte,  ohne  dafs  die  zwischen 
Kaiser-  und  Papsttum  strittigen  Besitzverhältnisse  geregelt  wurden  (1209. 
4.  Oktober),  bildet  den  Abschlufs  des  bisherigen  freundlichen  Verhält- 
nisses zwischen  beiden.  Bald  machte  Otto  IV.  seine  kaiserliehen  Rechte 
in  ganz  Mittelitalien,  vornehmlich  in  Tuscien,  geltend  und  suchte  die 
I)<-itzverhältnisse  überall  auf  den  Zustand  von  1197  (s.  §  1)  zurückzuführen  : 
Wie  Heinrich  VI.  ernannte  auch  er  in  den  vom  Papste  rekuperierten 
Ländern  kaiserliche  Beamte,  nahm  vom  Stadtpräfekten  in  Rom  die  Hul- 
digung an  und  überschritt  im  Herbste  1210  die  Grenzen  Apuliens,  fest 
entschlossen,  auch  gegen  den  Willen  der  Kurie  den  Normannenstaat  als 
Lehen  des  Kaisertums  dem  Reiche  anzugliedern.  Damit  wurde  «lie 
Frage  der  Vereinigung  Siziliens  mit  dem  Reiche  wieder  auf  die  Tages- 
ordnung gesetzt  und  die  bisherigen  Erfolge  der  Kurie  in  Frage  gestellt. 
Der  Papst,  dem  es  unmöglich  seinen,  dafs  ein  Weife  staufische  Politik 
betreibe,    klagte    mit     der    Bibel,     dafs     »es    ihn    reue,    den    Menschen 


Der  Streit  zwischen  Kaiser-  und  Papsttum.  33 

gemacht  zu  haben«,  und  trat  mit  den  weifenfeindlichen  Gewalten  in  Ver- 
bindung. Da  die  Dinge  eine  gewaltsame  Lösung  verlängten,  sprach  er 
am  18.  November  über  Otto  IV.  den  Bann  aus  und  entband  seine  Unter- 
tanen des  Treueides.  Noch  wurden  indes  die  Beziehungen  zwischen 
beiden  nicht  völlig  abgebrochen,  noch  war  der  Papst  selbst  zu  terri- 
torialen Opfern  bereit  und  verlangte  schliefslich  nur  die  Räumung 
Apuliens  und  Kalabriens,  die  Otto  besetzt  hatte,  und  Verzicht  auf  die 
Bekämpfung  Friedrichs  II.  Erst  als  dies  verweigert  wurde,  gingen  seine 
Absichten  auf  die  Absetzung  des  Kaisers.  Am  Gründonnerstag  1211 
erneuerte  er  den  Bannfluch.  Unbekümmert  darum,  drang  Otto  IV.  bis 
zur  Südspitze  Kalabriens  vor.  Im  Begriff,  nach  Sizilien  überzusetzen, 
rief  ihn  die  Nachricht,  dafs  der  päpstliche  Bann  in  Deutschland  wirke, 
dahin  zurück,    denn  dort,    nicht  in   Italien,    suchte  er  die  Entscheidung. 

§  8.    Otto  IY.  und  Friedrich  II.  (1212—1218). 

Quellen  wie  §  7.  Dazu:  Huillard-Breholles,  Hist.  diplom.  Friedrich  IL  XI  voll. 
1852 — 61.  Zu  den  Hilfsschriften  s.  die  Vorrede  zu  J.  Fickers  Neubearbeitung  von 
Böhmers  Regesten.  Dazu  für  die  allg.  Gesch.  Friedrichs  II. :  Funck,  Gesch.  Fried- 
richs II.  Züllichau  1792  und  Wien  1817  (veraltet).  Höfler,  Kaiser  Friedrich  II. 
München  1844  (tendenziös).  Dagegen  0.  Lorenz,  Friedrich  IL  H.  Z.  XL  Huillard- 
Breholles,  Historia  diplornatica  Friderici  secundi.  Introduction,  Partie  historique. 
Bd.  I.  CLXXYII— DLV.  F.  W.  S  c  h  i  r  r  m  a  c  h  e  r ,  Kaiser  Friderich  IL  4  Bde.  Göttingen 
1859—65.  E.  Winkel  mann,  Gesch.  K.  Friedrichs  u.  seiner  Reiche.  Berlin  1863 — 65. 
E.  Winkelmann,  Kaiser  Friedrich  IL  (Jahrb.  d.  d.  Gesch.)  Bd  1  u.  2.  Lpzg.  1889—97. 
0.  Abel,  Jastrow  u.  Winter,  wie  oben.  G.  Blondel,  Etüde  sur  la  politique  de 
rempereur  Frederic  II  en  Allemagne  et  sur  les  transformations  de  la  Constitution 
allemande  dans  la  premiere  moitie  du  XIIIe  siecle.  Paris  1892.  K.  Hampe,  Kaiser 
Friedrich  H.  Hist.  Z.  83.  Hampe,  Beiträge  z.  Gesch.  K.  Friedrichs  IL  DZG.  XII,  161 
(beh.  die  erste  Vermählung  Friedrichs  IL  u.  che  Anfänge  des  Konfliktes  mit  Otto  IV.). 
E.  A.  Free  man,  Zur  Gesch.  d.  MA.  Kaiser  Friedrich  H.  Strafsb.  1886.  A.  Hessel, 
De  regno  Italiae  libri  viginti  v.  Carlo  Signonio.  H.  St.  Heft  13.  Berl.  1900.  Dove, 
Ausgew.  Schriften.  1898.  Für  die  Anfänge  Fs  II  s.  zu  den  §  6  verz.  Schriften  noch 
E.  Winkelmann,  Wer  war  der  Erzieher  Friedrichs  II. ?  Forsch.  VI,  391.  Beziehungen 
des  Kaisers  zu  den  oberit.  Städten,  ib.  VII,  293.  Scheffer-Boichorst,  Deutsch- 
land u.  Philipp  IL  in  den  Jahren  1180 — 1214,  ib.  VIII.  Maurenbrecher,  Gesch.  d.  d. 
Königswahlen.  Lpz.  1889.  Weiland,  Über  die  d.  Königswahlen.  Forsch.  XX.  Zurbonsen, 
Friedrichs  IL  Einzug  ins  Reich.  1886.  M.  Halbe,  Friedrich  IL  und  der  päpstl.  Stuhl 
bis  zur  Kaiserkrönung.  Berl.  1888.  Köhler,  Das  Verhältnis  Friedrichs  IL  zu  den 
Päpsten  seiner  Zeit.  Breslau  1888.  H.  v.  Kapp-herr,  Die  unio  regni  ad  imperium. 
DZG.  I.  Paolucci,  La  giovinezza  di  Federigo  IL  Pal.  1901.  Hortzschansky,  Die 
Schlacht  an  der  Brücke  von  Bouvines.  Diss.  Halle  1889.  Burdach  u.  Schönbach, 
wie  §7.   Geffken,  Die  Krone  u.  d.  niedere  deutsche  Kirchengut.  1210 — 1250.  Diss.  1890. 

1.  Die  geistlichen  Fürsten  Deutschlands  mifsbilligten  des  Kaisers 
Unternehmen  gegen  Sizilien,  weil  es  einen  unversöhnlichen  Gegensatz 
zwischen  ihm  und  dem  Papste  hervorrufen  mufste.  Es  gelang  diesem 
mit  überraschender  Schnelligkeit,  eine  Opposition  gegen  Otto  ius  Leben 
zu  rufen.  Sie  wurde  durch  Philipp  IL  August  gefördert,  der  als  Feind 
Englands  und  der  Weifen  die  Persönlichkeit  Friedrichs  IL  in  den  Vorder- 
grund schob  und  seine  deutsche  Thronkandidatur  dem  Papste  empfahl. 
Bisher  hatte  Innozenz,  getreu  seiner  Politik,  dafs  Sizilien  mit  dem 
deutschen  Reich  nicht  vereint  werden  dürfe,  nichts  getan,  um  Friedrichs 

Loserth,  Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  3 


34  Die  Anfänge  Friedrichs  II.     Seine  Königswahl. 

Rechte  auf  den  deutschen  Thron  zu  wahren,  sich  allerdings  in  seiner 
Deliberatio  die  Möglichkeit  vorbehalten,  ihn  gegen  einen  feindlichen 
König  auszuspielen.  Friedrich  II.  war  unter  den  mifslichsten  Ver- 
hältnissen herangewachsen.  Die  Parteikämpfe  in  Sizilien,  die  Unbot- 
mäfsigkeit  der  deutschen  Kapitäne  und  der  Grofsen,  die  Zwistigkeiten 
in  der  Regierung,  bei  der  ein  Machthaber  nach  dem  andern  sich  der 
Person  des  jungen  Königs  bemächtigte,  um  durch  ihn  zu  herrschen,  all 
das  hatte  das  Land  in  einen  Zustand  der  Anarchie  versetzt.  In  dieser 
schwierigen  Lage  lernte  der  hochbegabte  und  früh  entwickelte  König 
die  Kunst  der  Verstellung  und  erlangte  nicht  blofs  jene  Menschen- 
kenntnis, die  bei  ihm  oft  genug  zur  Menschenverachtung  wurde,  sondern 
erhielt  auch  in  seiner  zum  Teil  orientalisch-mohammedanischen  Um- 
gebung die  höchsten  Vorstellungen  von  seiner  königlichen  Würde.  Neben 
dem  Italienischen  sprach  er  das  Lateinische,  Griechische  und  Arabische, 
ob  in  früherer  Zeit  auch  schon  das  Deutsche,  ist  zweifelhaft.  Ltq  die 
Stellung  seines  Mündels  nach  aufsen  hin  zu  stärken,  hatte  ihn  der  Papst 
(1209)  mit  Konstanze  von  Aragonien,  der  Witwe  des  ungarischen  Königs 
Emmerich,  vermählt.  Im  Inneren  wurde  dadurch  nichts  gebessert,  und 
die  Anarchie  im  Königreich  stand  auf  der  Höhe,  als  Otto  IV.  in  Apulien 
einfiel  und  an  einzelnen  Grofsen  Bundesgenossen  fand.  Das  war  der 
Augenblick,  in  welchem  ihn  der  Streit  zwischen  Kaiser  und  Papst  nach 
Deutschland  rief.  Dort  war  kein  Fürst,  der  sich  mit  ihm  an  Reichtum 
und  Ansehen  messen  konnte.  Sein  in  zarter  Jugend  gewonnenes  An- 
recht auf  die  Krone  schlofs  bei  der  Unterstützung  des  Papstes  jeden 
Wettbewerb  aus.  Dazu  kamen  die  ruhmvollen  Überlieferungen  seines 
Hauses,  die  denen,  die  sich  für  ihn  erklärten,  über  die  Makel  des  Ver- 
rats an  dem  Kaiser  hinweghalfen.1)  War  dem  Papste  das  Geschlecht  der 
Staufer  durchaus  nicht  sympathisch,  da  »Art  nicht  von  Art  lasse«,  so 
hatte  er  eben  jetzt  mit  einem  der  Kirche  früher  so  ergebenen  Kaiser 
wie  Otto  IV.  die  schlimmsten  Erfahrungen  gemacht;  sodann  war  Fried- 
rich II.  im  Gegensatz  zu  seinem  Vater  schon  als  Vasall  der  römischen 
Kirche  aufgewachsen,  auch  konnte  das  Verhältnis  Siziliens  zum  Reich 
durch  Sonderverträge  geregelt  werden,  und  endlich  mufste  selbst  Fried- 
richs Erhebung  dazu  dienen,  die  kaiserliche  Gewalt  als  einen  Ausflufs 
der  päpstlichen,  das  Kaisertum  als  päpstliches  Lehen  erscheinen  zu  lassen. 
Für  ihn  sprachen  nicht  zuletzt  auch  noch  die  grofsen  Sympathien,  die 
man  im  südlichen  Deutschland,  vorab  in  Schwaben,  wo  er  der  »natür- 
liche Erbherr  war«,  ihm  entgegentrug. 

2.  Führer  der  Opposition  gegen  Otto  IV.  waren  der  Erzbischof  Sig- 
fried  von  Mainz  und  der  Landgraf  Hermann  von  Thüringen,  denen  sich 
König  Ottokar  von  Böhmen  und  andere  Fürsten  anschlössen.  Auf  dem 
Fürstentag  in  Nürnberg  wählten  sie  zu  Anfang  September  1211  Fried- 
rich IL  zum  König.  Zwei  schwäbische  Edelleute,  Heinrich  von  Nifen 
und  Anselm  von  Justingen,  wurden  beauftragt,  ihm  die  Botschaft  nach 
Italien  zu  bringen,    und    die  Kunde  von  diesen  Vorgängen    war  es,    die 


l)  Winkelmann,  Philip])  v.  Schwaben  u.  Otto  IV.,  II,  279. 


Sein  Einzug  in  Deutschland.     Anschlufs  der  Reichsfürsten.  35 

Otto  zur  Heimkehr  zwang.  Während  in  Oberitalien  die  alten  Partei- 
kämpfe ausbrachen,  gelang  es  dem  Kaiser,  in  Deutschland  selbst  sein 
Ansehen  aufrecht  zu  halten.  Aus  der  Stimmung  der  Sprüche  Walters 
von  der  Vogelweide  entnimmt  man  die  der  breiteren  Schichten  des 
Volkes;  er  eifert  gegen  che  Doppelzüngigkeit  der  Kurie;  auf  dem  Hof- 
tag von  Nürnberg  erschienen  selbst  solche  Fürsten,  die  kurz  zuvor  zur 
Absetzung  Ottos  IV.  mitgewirkt  hatten.  Um  seine  Stellung  zu  stärken, 
vollzog  der  Kaiser  jetzt  seine  Vermählung  mit  Beatrix;  aber  ihr  jähes 
Ende  löste  das  schwache  Band,  das  Schwaben  an  ihn  knüpfte.  Ein  Teil 
des  schwäbischen  Anhangs  verliefs  ihn,  als  Friedrich  IL  heranrückte. 
Nach  längerem  Schwanken  hatte  dieser  dem  Widerstreben  seiner  Ge- 
mahlin und  vieler  sizilischer  Grofsen  zum  Trotz  die  Königswahl  an- 
genommen. Er  konnte  kaum  anders,  denn  sein  eigenes  Reich  war  ge- 
fährdet, falls  es  dem  Kaiser  gelang,  sich  in  Deutschland  zu  behaupten. 
Bevor  er  auszog,  rnufste  er  die  Lehenshoheit  der  Kurie  über  Sizilien  aner- 
kennen und  das  von  seiner  Mutter  mit  dem  Papst  abgeschlossene  Kon- 
kordat bestätigen.  In  diesem  Sinne  liefs  er  auch  seinen  erst  ein  Jahr  alten 
Sohn  Heinrich  zum  König  von  Sizilien  krönen  (1212,  Februar).  Nach- 
dem er  seine  Gemahlin  zur  Reichsverweserin  ernannt  hatte,  brach  er  nach 
Deutschland  auf.  In  Rom  leistete  er  persönlich  dem  Papst  den  Lehenseid 
für  Sizilien.  Unter  grofsen  Gefahren  gelangte  er  nach  Genua.  Da  die  gang- 
barsten Pässe  über  die  Alpen  verlegt  waren,  zog  er  über  Verona  und 
Trient  das  Etschtal  aufwärts  über  Kurrhätien  in  das  Vorderrheintal  und 
langte  eben  noch  rechtzeitig  in  Konstanz  an  (September),  wo  ihm  der 
Bischof  die  Tore  öffnete,  ehe  Otto  IV.  erschien,  der  in  dem  nahegelegenen 
Überlingen  verweilte.  Mit  der  Stadt  Konstanz  hatte  Friedrich  IL  den 
Schlüssel  zu  Deutschland;  von  allen  Seiten  strömten  die  Schwaben  ihm 
zu ,  er  selbst  schenkte  verschwenderisch  Hoheitsrechte,  Reichs-  und 
Familiengüter  weg,  um  seinen  Anhang  zu  mehren.  In  Basel  fanden  sich 
bereits  mehrere  Fürsten  bei  ihm  ein,  und  in  Vaucouleurs  schlofs  er  am 
19.  November  1212  einen  festen  Bund  mit  dem  Kronprinzen  Ludwig 
von  Frankreich  gegen  Otto  IV.  und  England.  Am  5.  Dezember  wurde 
er  in  Frankfurt  nochmals  zum  König  gewählt  und  vier  Tage  später  in 
Mainz  gekrönt.  Der  Kaiser  hatte  die  Kräfte  seines  Gegners  —  des 
PfatTenkaisers  —  stark  unterschätzt;  jetzt  zog  er  sich  gegen  den  Nieder- 
rhein. Die  Pläne  über  die  Einziehung  des  Kirchengutes  zugunsten 
der  Krone  und  die  Einführung  von  Reichssteuern,  die  man  ihm  nach- 
sagte,  mehrten  den  Anhang  seines  Gegners,  und  als  sein  eigener  Neffe, 
der  Pfalzgraf  vom  Rhein,  zu  diesem  übertrat,  war  der  Sieg  der  päpst- 
lichen Politik  über  die  des  Kaisers  ein  vollständiger.  Das  war  zu  der- 
selben Zeit,  in  der  Innozenz  III.  auch  England  zinsbar  gemacht  hatte. 
Jetzt  erntete  er  auch  aus  seiner  deutschen  Politik  die  Früchte :  Am 
12.  Juli  1213  bestätigte  Friedrich  IL  durch  die  goldene  Bulle  von  Eger 
ihm  nicht  nur  alle  früheren  Zugeständnisse  Ottos  IV.,  sondern  tat  dies 
auch  unter  Zustimmung  der  Reichsfürsten.  Die  Kirche  erhielt  die  Be- 
stätigung des  Mathildischen  Gutes  und  aller  seit  1197  vorgenommenen 
Recuperationen.      Der    von    Innozenz    III.    neugeschaffene    Kirchenstaat 

3* 


3ß  Die  goldene  Bulle  von  Eger.     Das  Bündnis  mit  Frankreich. 

erhielt  sonach  jetzt  erst  seine  rechtliche  Begründung.  Friedrich  IL 
erneuerte  seinen  Lehenseid  für  Sizilien,  verzichtete  auf  die  Ausübung 
des  Spolienrechtes,  auf  die  Beeinflufsung  der  Bischofswahlen  und  jede 
Beschränkung  der  Appellation  an  den  Papst.1)  Hat  die  goldene  Bulle 
von  Eger  dem  Kirchenstaat  ein  festes  Gefüge  gegeben,  so  hat  sie  ander- 
seits auch  den  Charakter  des  geistlichen  Fürstentums  und  der  Monarchie 
von  Grund  aus  umgestaltet.  Indem  nun  die  völlige  Freiheit  der  Bischofs- 
wahlen festgestellt  wurde,  verlor  der  deutsche  König  das  ihm  nach  dem 
Wormser  Konkordat  zustehende  Aufsichtsrecht,  und  indem  jede  Ein- 
schränkung der  Appellation  in  kirchlichen  Dingen  nach  Rom  aufhörte, 
geriet  das  geistliche  Fürstentum  in  die  vollständigste  Abhängigkeit  von 
Rom.  Von  nun  an  mufste  die  Monarchie  die  Bestrebungen  des  Fürsten- 
tums fördern,  wollte  sie  selbst  von  ihm  gefördert  werden.  Demnach 
liegt  im  Beginn  der  Regierung  Friedrichs  IL  der  entscheidende  Wende- 
punkt der  deutschen  Geschichte,  die  vornehmste  Quelle,  aus  der  der 
deutsche  Territorialstaat   erwachsen  ist.2) 

3.  Noch  gab  der  Kaiser  seine  Sache  nicht  verloren,  war  doch 
seine  Stärke  infolge  der  englischen  Hilfsgelder  immer  noch  eine  an- 
sehnliche. In  Thüringen  und  Sachsen  wurde  ohne  Entscheidung  ge- 
kämpft. Diese  wurde  im  folgenden  Jahre  auf  einem  ganz  andern  Schau- 
platz herbeigeführt.  Im  Jahre  1213  hatte  Philipp  IL  August,  der  eine 
Invasion  Englands  beabsichtigte,  einen  Angriff  auf  die  Grafen  von  Flan- 
dern und  Boulogne  gemacht,  war  aber  hiebei  zurückgeschlagen  worden. 
Nun  versuchten  Otto  IV.  und  König  Johann  ihrerseits  einen  Angriff 
auf  Frankreich.  Johann  fand  aber  in  Poitou  einen  erfolgreichen 
Widerstand,  und  Otto  IV.  erlitt  am  27.  Juli  1214  bei  Bouvines,  in  der 
Nähe  von  Tournay,  eine  Niederlage  (s.  unten  §  10),  die  nicht  blofs 
über  den  Feldzug,  sondern  auch  über  seine  kaiserliche  Stellung  ent- 
schied. Nun  verlor  er  den  Rest  seines  Anhangs.  Als  der  Pfalzgraf 
Heinrich  eines  plötzlichen  Todes  starb,  erhielt  Herzog  Ludwig  von 
Bayern  die  Belehnung  mit  der  erledigten  Rheinpfalz,  die  sonach 
für  die  Weifen  verloren  ging  und  fortan  beim  wittelsb achischen  Hause 
verblieb.  Die  Dänen  zog  Friedrich  IL  auf  seine  Seite,  indem  er  ihnen 
die  Gebiete  zwischen  Elbe  und  Elda  überliefs.  Nachdem  auch  noch 
Aachen  und  Köln  in  seine  Hände  gefallen  waren,  wurde  er  am  25.  Juli 
1215  in  Aachen  nochmals  gekrönt.  Otto  IV.  zog  sich  in  seine  Erblande 
zurück  und  führte  den  hoffnungslosen  Kampf  bis  an  sein  Ende  fort. 
Er  starb  auf  der  Harzburg  am  19.  Mai  1218. 

§  9.  Innozenz  III.  und  König  Johann  von  England.  Der  Verlust  der 
französischen   Besitzungen.     England    ein  Lehen    des   Papstes.     Die 

Magna  Charta. 

Quellen.  S.  Sir  Thomas  Duffus  Hardy,  Descriptive  catalogue  of  inaterials 
relating  to  the  history  of  Great  Britein  and  treland.    vol.  III.    1200 — 1327.    Lond.  1871. 


*)  MM.  G.  LL.  II,  224.    Böhmer- Ficker,  Nr.  705,  706;  Mirbt,  Quellen  z.  Gesch.  des 
Papsttums,  Nr.  220. 

2)  Winkelmann,  S.  344,  u.  A.  D.  B  VIT,  439. 


Innozenz  EH.  und  England.  37 

TJrkk.  u.  Briefe  in  Foedera,  conventiones,  litterae  et  cuiuscunque  generis  acta  publica 
inter  reges  Angliae  et  alios  quosvis  irnperatores  etc.  [1101 — 1654],  ed.  Thomas  Rymer, 
ed.  tertia,  toni.  I.  Haag,  1745  And.  Ausg.  s.  bei  Grofs,  The  sources  and  literature 
of  English  history.  London,  New  York  and  Bombay  1900.  S.  366  f.  Potth.  regg.  pontifi:., 
wie  oben.  Der  Text  der  Magna  Charta  findet  sich  in  William  Stubbs,  Select 
Charters,  p.  296 — 306,  s.  auch  Ch.  Beinont,  Chartes  des  libertes  anglaises  (1100 — 1305), 
publ.  p.  .  .  .  Paris  1892.  Enthält  die  Texte  der  Freibriefe  von  Heinrich  I.,  Stephan, 
Heinrich  II.  u.  Johann,  die  Bestätigung  des  Freibriefes  durch  Heinrich  HI.  u.  Eduard  I. 
Über  Bracton,  Britton,  Fleta  u.  a,  s.  Grofs,  p.  312. 

Erzählende  Quellen.  Chronica  Rogeri  de  Hoveden,  ed.  W.  Stubbs.  Rolls 
Series,  4  voll.  Lond.  1868 — 71,  ed.  Liebermann,  MM.  Germ.  hist.  SS.  XXVn.  Rogers 
Arb.  reicht  von  1192 — 1201.  Die  Continuatio  1202 — 1226  auctore  anonymo  fälschlich 
Walter  de  Coventry  zugeschrieben,  ed.  Stubbs  als  Memoriale  Walteri  de  Coventria  in 
Rolls  Series  (Rer.  Brit.  medii  aevi  SS.)  Nr.  58,  vol.  1 — 2,  s.  Liebermann,  wie  oben.  Lit. 
l>ei  Potth.  I,  981 ;  s.  Grofs,  Nr.  1761.  Rogeri  de  Wendover,  Chronica  sive  Liber  qui 
dicitur  flores  historiaruin  bis  1235,  ed.  Coxe.  Lond.  1841 — 44  u.  49.  5  Bde.  2.  Ausg. 
Rolls  Series.  Lond.  1886 — 89.  Ausg.  Liebermann,  wie  oben  XXVLTI,  20.  Annales 
monastici  bis  1432,  ed.  Luard,  Rolls  Series.  4  voll.  Lond.  1864—69.  (Der  1.  Bd.  enthält 
für  diese  Zeit  die  Annales  de  Burton,  der  zweite  die  von  Winton  u.  Waverley,  der 
dritte  die  von  Dunstable  u.  der  vierte  die  von  Osney.)  Auszüge  in  MM.  Germ.  hist. 
XXVH  u.  XXVIII.  Annales  S.  Edmundi  bis  1212,  ed.  Fei.  Liebermann,  Ungedruckte 
Anglo-Normannische  Geschichtsquellen.  Strafsb  1879.  Annales  Stanleienses  1204 — 14, 
ed.  Howlett  in  Chronicles  of  Stephen,  Henry  IL  and  Richard  I.  Lond.  1885.  H.  Ausg. 
von  1207—1271,  ed.  Liebermann,  MM.  G.  SS.  XXVHI.  Radulf us  de  Diceto,  Imagines 
historiarum  bis  1202,  ed.  Stubbs.  2  Bde.  Rolls  Ser.  Lond.  1876.  Ausg.  v.  Pauli.  MM, 
G.  SS.  XXVH.  Gervasius  mon.  Cantuariensis,  Actus  pontifi2.  Cant.  eccl.,  ed.  Stubbs. 
Rolls  Ser.  2  Bde.  Lond.  1879/80.  Die  anderen  Werke  des  Gervasius  s.  bei  Grofs. 
Nr.  1730.  Magna  vita  S.  Hugonis  ep.  Lincoln.  Rolls  Ser.  1864.  Chronica  de  Mailros  bis 
1275,  ed.  Stevenson.  Edinb.  1835.  Ausg.  v.  Pauli.  MM.  G.  SS.  XXVH.  Radulphus  de 
Coggeshall,  Chronic.  Anglicanuni  (1066 — 1223),  ed.  Stevenson  Rolls  Series  1875.  Andere 
Ausg.  s.  Grofs,  Nr.  1756.  Chron.  Henrici  de  Knighton  mon.  Leycestrensis.  Rolls  Ser. 
92  vol.  1.  Für  einzelnes  auch  noch  Benedikt  of  Petersborough,  The  Chronicle  1169 — 1292- 
Rolls  Series  1867.  Histoire  de  Guillaume  le  Marechal,  Lebensbeschr.  Pembrokes,  Reg. 
während  d.  Minderjährigk.  Heinrichs  III.,  ed.  P.  Meyer,  Societe  de  l'histoire  de  France, 
tom.  1 — 3.  Paris  1891 — 1901.  Histoire  des  ducs  de  Normandie  et  des  rois  d'Angleterre 
bis  1220,  ib.  ed.  Michel.  Paris  1840.  Ausg.  v.  Holder-Egger  MM.  G.  SS.  XXVI.  Rigordus, 
Gesta  Philippi  Augusti  (1179—  1208),  fortges.  v.  Guilelmus  Brito  bis  1215,  ed.  Delaborde, 
Oeuvres  de  Rigord  et  de  Guillaume  le  Breton.  Paris  1882.  Ausg.  v.  Molinier  in  MM. 
Germ.  Hist.  XXVI.  Gute  Auszüge  aus  den  gleichz.  Quellen  für  diese  Zeit  finden  sich 
in  Stubbs,  Select  charters  and  others  illustrations  of  constitutional  history  frorn  the 
earliest  times  to  the  reign  of  Edward  I.  Oxford  1870.  8.  Ausg.  1895.  Zur  Gesch.  Langtons  : 
Vita  Sti  Stephani  archiepiscopi  Cantuariensis,  ed.  Liebermann,  MM.  G.  hist.  SS.  XXVIII. 

Hilfsschriften:  Pearson,  History  of  England  during  the  early  and  middle 
ages.  2  voll.  Lond.  1867.  Lingard,  A  history  of  England  to  1688.  10  voll.  Lond.  1849, 
5  ed.  (Brauchbar  noch  für  die  Zeit  vom  14. — 16.  Jahrh.)  Pauli,  Geschichte  v.  Eng- 
land. HI.  Hamb.  1853.  Green,  History  of  the  English  people.  4  Bde.  Lond.  1877—80. 
Deutsch  nach  der  verbesserten  Aufl.  d.  Englischen  von  1888  v.  E.  Kirchner,  mit  einem 
Vorwort  v.  A.  Stern.  1  Bd.  Berl.  1889.  Kate  Norgate,  England  under  the  Angevin 
kings.  Lond.  1887.  2  Bde.  Gneist,  Engl.  Verfassungsgeschichte.  Berl.  1882.  Stubbs, 
The  constitutional  history  of  England  bis  1485.  3  Bde.  Oxf .  1874 — 78.  H  o  o  c  k ,  Lives 
of  the  archbishops  of  Canterbury.  Lond.  1860  —  76.  Maurice,  Stephen  Langton. 
Lond.  1872.  Bemont,  De  la  condamnation  de  Jean  Sans-Terre  par  la  cour  des  pairs 
de  France.  Rev.  hist.  XXXH.  Guilhermoz,  Les  deux  condamnations  de  Jean  Sans- 
Terre.  BECh.  LX,  45,  363.  Blackstone,  The  great  charter  and  charter  of  the 
forest,  etc.  Oxford  1759.  Thomson,  An  historical  essay  on  the  magna  Charta  of  King 
John.  London  1829.  W.  Ladenbauer,  Wie  wurde  K.  Joh.  v.  E.  Vasall  des  röm. 
Stuhles.    Z.  kath.  Theol.  VI.    Für  die  engl.-franz.  Beziehungen  s.  §10. 


38  Johann  ohne  Land.     Das  Ende  Arturs  von  Bretagne. 

1.    Die  Unternehmungen  Richards  I.:    seine  Kreuzfahrt   und  die 
damit  in  Zusammenhang  stehenden  Ereignisse,  die  Herbeischaffung  des 
ungeheuren  Lösegeldes,    seine  Kriege    gegen   Frankreich    (s.  §  10),     die 
Unterstützung  Ottos  IV.,  hatten  Englands  Kräfte  aufs  höchste  angespannt; 
anderseits    war    es    die    lange   Abwesenheit    dieses    heftigen    und    starr- 
sinnigen Königs    aus    seinem  Lande,    die   den   ruhigen  Fortbestand   der 
von  Heinrich  IL  begründeten  Ordnung   der  inneren  Verwaltung  ermög- 
licht   hat.      Richard    fand    durch    einen    Pfeilschufs    vor    dem   Schlosse 
Chaluz,    dessen  Besitzer  er  bekämpfte,   sein  Ende.     Sterbend  nominierte 
er    seinen  Bruder    Johann,    den    einstens,    wohl  nur   scherzweise,  sein 
Vater  »Ohneland«  genannt  hatte,  zu  seinem  Nachfolger.     Johann  wurde 
nun    auch    von   seiner    Mutter    Eleonore    begünstigt    und    fand    in    den 
Ländern    des    normannischen   Rechtes,    das    die  Erbfolge  eines   minder- 
jährigen Sohnes  vor  dem  volljährigen  jüngeren  Bruder  nicht  anerkennt, 
in  der  Normandie  und  England  Anerkennung  und  wurde  am  27.  Mai  1199 
in  Westminster  gekrönt.      Dagegen  hielten  sich  die  Erbländer  des  Hauses 
Plantagenet:    Anjou,   Maine    und   Touraine,   dann   die   Bretagne   an  den 
Sohn  des  älteren  Bruders,  Gottfried  von   Bretagne,    den   Prinzen   Artur, 
»der  jetzt  seinem  Vater  in  seinem  Besitz  nachfolgen  würde,  wenn  er  den 
König    Richard    überlebt  hätte  :.     Da    nun    Johann    wenigstens    für    die 
Bretagne   seinem   Neffen   gegenüber  die  Rechte   des    Lehensherrn   bean- 
spruchte,  kam   es   zu   einem  Streit,    der   dem  König  Philipp  IL  August 
Anlafs    bot,    das    Übergewicht    Englands    auf   französischem    Boden    zu 
beseitigen.      Zu  dem  Zwecke   nützte  Philipp  den  jungen  Prinzen  gegen 
König    Johann    ebenso    aus    wie    früher    Richard    und    Gottfried    gegen 
Heinrich  IL    und  Johann    gegen  Richard.     Zunächst    liefs    er   sich   von 
Artur  für  die  Erbländer  des  Hauses  Anjou  huldigen.     Zwar  nötigten  ihn 
seine  schlechten  Beziehungen  zur  Kurie  zum  Frieden  von  Goulet  (1200), 
der  Johann    als  Herrn    der    englischen   Besitzungen   in   Frankreich   an- 
erkannte;   der    Krieg    brach    aber  bald  wieder  aus.     Johann   hatte  sich 
nämlich    von   seiner    Gemahlin   scheiden  lassen   und   sich    mit   der  dem 
Grafen  La   Marche   verlobten   Tochter  des  Grafen    von  Angouleme  ver- 
mählt.     La   Marche    erregte    deshalb    einen    Aufstand    in    Poitou.      Als 
sich  nun  die  Grofsen  dieses  Landes  an  Philipp  wandten,  lud  dieser  den 
König  Johann  vor  seinen  Lehenshof,    sprach   ihm   auf  seine  Weigerung 
die  französischen  Lehen  zu  Gunsten   Arturs   ab   und  brachte  einen  Teil 
der  nordwestlichen  Normandie  in  seine  Gewalt.     Während  dieser  Kämpfe 
wurde   Artur    von   Kriegsscharen     seines  Oheims    gefangen    genommen. 
Eine   Friedensvermittlung  Innozenz'  III.    blieb    ohne    Ergebnis,     worauf 
Johann  beschlofs,  sich  seines  Neffen  zu  entledigen.     Im  Winter  von  1203 
auf  1204   verbreitete    sich    die  Nachricht    vom   Tode    Arturs.      Wie    der 
Fürst  geendet,    darüber  wufsten  schon  die  Zeitgenossen  nichts  Sicheres. 
Es  ist  kein  Beweis  dafür,  dafs  Johann  selbst  den  Meuchelmord  begangen. 
Einer   alten   französischen   Überlieferung    nach     wurde   Artur   von    ihm 
in  einem  Kahn  auf  der  Seine  ermordet,  nach  anderen  Berichten  in  den 
neuen  Turm  zu  Rouen  geworfen,  wo  er  bald  nachher  verschwand.    Dies 
Verbrechen    gab    Philipp  Gelegenheit,    seine   Eroberungen    fortzusetzen. 


her  Verlust  der  N.orinandie.      Der   Kampf  mit  der  Kurie.  39 

Die  ganze  Normandie,  die  nun  anderthalb  Jahrhunderte  bei  England 
gewesen  und  diesem  Lande  eine  Dynastie  gegeben  hatte,  fiel  an  Frank- 
reich. Erst  von  jetzt  an  betrachtete  der  normannische  Adel  England 
als  seine  Heimat  und  begann  die  Verschmelzung  beider  Volksstämme 
zu  einer  einzigen  Nation.  Auch  eine  wiederholte  Intervention  des 
Papstes  blieb  ohne  Erfolg.  1204  fielen  Maine,  Touraine  und  Anjou  und 
nach  Eleonores  Tod  ein  grofser  Teil  von  Aquitanien  an  Frankreich. 
Am  26.  Oktober  1206  mufste  Johann  einen  Waffenstillstand  eingehen, 
der  den  Franzosen  den  Besitz  des  ganzen  westlichen  Frankreich  nördlich 
von  der  Loire  sicherte.  Es  war  das  Ende  der  grofsen  Macht  des  Hauses 
Plantagenet  auf  dem  Festland.  Ein  unnatürliches  Verhältnis,  das  bisher 
mehr  als  die  Hälfte  von  Frankreich  an  Englands  Geschicke  gefesselt 
hatte,  hörte  aul  Je  unglücklicher  sich  aber  Johanns  Regierung 
nach  aufsen  gestaltete,  um  so  gewalttätiger  war  sie  im  Innern,  und 
während  sich  hier  des  Königs  Ansprüche  ins  Mafslose  steigerten,  geriet 
er  in  einen  schweren  Kampf  mit  der  Kurie. 

2.  Der  Erzbischof  Hubert  von  Canterbury  war  am  12.  Juli  1205  und 
gestorben.  Ohne  die  königliche  Zustimmung  zur  Vornahme  der  Wahl  und 
des  Königs  Vorschläge  abzuwarten,  ohne  das  Recht  der  Suffraganbischöfe, 
die  früheren  Wahlen  zugezogen  worden  waren,  zu  beachten,  wählten  die 
Mönche  des  Domkapitels  den  Subprior  Reginald  und  verpflichteten  ihn,  nach 
Rom  zu  gehen,  um  seine  Bestätigung  einzuholen.  Bis  dahin  sollte  die 
Wahl  geheim  bleiben.  Kaum  betrat  er  aber  den  Kontinent,  so  gebärdete 
er  sich  als  gewählter  Erzbischof.  Weder  der  König  noch  die  Suffragane 
waren  gewillt,  sich  diese  Verkümmerung  ihrer  Rechte  gefallen  zu  lassen, 
und  die  Mönche  wählten  nun,  ohne  das  Mitwahlrecht  der  Suffragane  zu 
beachten,  aus  Furcht  vor  dem  König  dessen  Kandidaten,  den  Bischof  Johann 
von  Norwich,  zum  Erzbischof.  Die  Suffragane  erhoben  dagegen  in  Rom 
Einsprache,  und  Innozenz  III.  benützte  die  Gelegenheit,  um  das  vom  eng- 
lischen Königtum  beanspruchte  Recht  der  Mitwirkung  bei  Besetzung  des 
Erzstuhles  zu  brechen.  Er  forderte  die  Parteien  vor  seinen  Richterstuhl, 
sprach  nach  langem  Zögern  den  Bischöfen  das  Mitwahlrecht  ab,  bestätigte 
das  Wahlrecht  des  Kapitels  und  bewirkte  die  Wahl  seines  einstigen  Studien- 
genossen Stephan  Langton,  eines  Engländers  guter  Herkunft,  unbe- 
scholtenen Wesens  und  ausgezeichneter  Bildung,  den  er  kurz  zuvor  zum 
Kardinal  erhoben  hatte.  Der  König  geriet  auf  die  Kunde  hie  von  in 
einen  heftigen  Zorn,  verjagte  die  Mönche  aus  dem  Reiche,  verwarf  die 
Wahl  Langtons  als  eines  Mannes,  der  zu  lange  in  Frankreich  gewesen 
sei,  um  nicht  zu  seinen  Gegnern  zu  zählen,  und  wies  alle  Ermahnungen 
der  Bischöfe  von  London,  Ely  und  Worcester  von  sich.  Da  verkün- 
digten diese  (1208,  24.  März)  das  Interdikt,  das  in  seinen  strengsten 
Formen  zur  Durchführung  kam.  Dagegen  verhängte  Johann  die 
schwersten  Strafen  über  alle,  die  dem  Papst  Treue  hielten :  die  Tempo- 
ralien  der  Geistlichen  wurden  gesperrt,  Priester  und  Ordensgeistliche 
verfolgt  und  dem  Erzbischof  der  Eintritt  nach  England  versagt,  Ver- 
handlungen zwischen  Papst  und  König  führten  zu  keinem  Ziele;  daher 
schlofs  Innozenz  den  König  aus  der  Gemeinschaft  der  Kirche  aus  (1209), 


40  England  wird  päpstliches  Lehen. 

entband  seine  Untertanen  des  Eides  der  Treue  und  des  Gehorsams  und 
bedrohte  jeden,  der  mit  ihm  verkehre,  mit  der  Strafe  des  Bannes.  Im 
Gegensatz  zu  seiner  früheren  Untätigkeit  entwickelte  Johann  nun  eine 
eifrige  Tätigkeit  nach  aufsen  hin :  Er  zwang  den  schottischen  König 
Wilhelm  und  die  Fürsten  von  Irland  zur  Anerkennung  der  englischen 
Oberhoheit,  teilte  Irland  in  Grafschaften  und  führte  englische  Gesetze 
ein.  Es  hatte  den  Anschein,  als  sollte  die  englisch  -  normannische 
Lehenshoheit  über  die  britische  Inselwelt  fester  als  früher  begründet 
werden.  Aber  schon  war  die  Herrschaft  des  Königs  in  England  selbst 
unterwühlt.  Gegen  sein  bei  der  Krönung  gegebenes  Versprechen  war 
von  den  zahlreichen  Übelständen  keiner  beseitigt  worden;  die  fort- 
währenden Kriege  hatten  schwere  Steuerauflagen  notwendig  gemacht;  seine 
gesetzwidrigen  Erpressungen  und  die  Begünstigung  der  Fremden,  sein 
schamloses  Verfahren  gegen  einzelne  Grofse,  all  das  verursachte  eine 
tiefgehende  Erregung;  was  aber  das  wirksamste  war:  in  derselben  Zeit, 
als  Innozenz  III.  Friedrich  IL  über  die  Alpen  sandte,  um  dem  Kaiser- 
tum des  Weifen  ein  Ende  zu  machen,  entband  er  die  englischen  Grofsen 
nochmals  des  Treueides,  verkündigte  den  Kreuzzug  wider  ihn  und 
übertrug  dem  französischen  König,  der  nun  die  Aussicht  auf  den  Besitz 
der  englischen  Krone  erhielt,  die  Durchführung.  So  stand  in  den  Jahren 
1212 — 1213  auf  des  Papstes  Geheifs  fast  das  ganze  Abendland  unter 
Waffen.  Aber  schon  verlor  König  Johann  das  Vertrauen  zu  seinem 
Volke,  und  an  seinem  unsicheren  Benehmen  erkannte  der  Papst,  dafs 
es  Zeit  sei,  einzulenken.  Johann,  von  auswärtigen  Gefahren  umringt 
und  von  der  Empörung  seiner  Untertanen  bedroht,  ging  auf  die  ihm 
gemachten  Vorschläge  ein.  Am  13.  Mai  1213  schwur  er,  sich  dem 
Urteil  des  Papstes  zu  fügen  und  Langton  als  Erzbischof  einzusetzen.  Um  mit 
des  Papstes  Hilfe  die  Koalition  seiner  Gegner  zu  zertrümmern,  tat  er  jenen 
Schritt  der  Erniedrigung,  den  schon  die  Zeitgenossen  verurteilten  und 
Spätere  vergebens  zu  entschuldigen  versuchten.  Am  15.  Mai  1213  legte 
er  im  Templerhause  zu  Dover  die  Krone  von  England  und  Irland  in 
die  Hände  des  päpstlichen  Legaten  Pandulf  nieder  und  nahm  sie  als 
Lehen  des  Papstes  gegen  einen  Jahreszins  von  1000  Mark  Silber 
wieder  zurück.1)  Bei  Strafe  des  Bannes  befahl  nun  Pandulf  den  englischen 
Grafen  und  Baronen,  dem  Könige  gegen  die  auswärtigen  Feinde  beizu- 
stehen, und  eilte  auf  das  Festland,  Philipp  August  von  der  geänderten 
Lage  der  Dinge,  den  Papst  von  seinem  unvergleichlichen  Triumph  zu 
verständigen.  Dem  König  von  Frankreich  wurde  die  Fortführung  des 
Kampfes  verboten.  Er  hielt  sich  aber  wenig  daran.  Zwar  erlitt  seine 
Flotte  eine  Schlappe,  noch  lagen  aber  die  Verhältnisse  in  England  aus- 
sichtsvoll genug,  denn  die  englischen  Barone  machten  Miene;  ihrem 
König  die  Heeresfolge  zu  versagen,  bis  er  nicht  förmlich  vom  Banne 
gelöst  sei.  Nun  erhielten  die  vertriebenen  Bischöfe  die  Erlaubnis  zur 
Rückkehr.     Demütig   warf  sich  der  König  am  20.  Juli  vor  Langton   zur 


x)   Die    Urk.    bei    Stubbs,    Select    Charters,    p.  284.     Der    Lehenseid    des    Königs 
ebenda  S.  285. 


Der  Kampf  gegen  Frankreich.    Die  Erhebung  der  englischen  Barone.  41 

Erde,  der  ihn  vom  Banne  löste,  wobei  Johann  seinen  Krönungseid 
erneuerte.  Im  folgenden  Jahre  drang  Johann  in  Poitou  ein,  während 
Otto  IV.  von  Norden  her  in  Frankreich  einrückte ,  aber  der  Tag  von 
Bouvines  (s.  §  10)  machte  den  Siegeshoffnungen  der  Verbündeten 
ein  jähes  Ende.  Johann  kehrte  nach  England  zurück.  Im  Frieden 
von  Chinon  (1214,  18.  September)  mufste  er  auf  den  französischen  Besitz  bis 
auf  Poitou  und  Guyenne  verzichten.  Die  Folgen  der  Niederlage  machten 
sich  nunmehr  auch  im  Innern  geltend. 

3.  Als  Langton  den  König  vom  Banne  löste,  liefs  er  ihn  schwören, 
die  guten  Gesetze  seiner  Vorfahren,  vor  allem  die  Eduards  des  Bekenners, 
zu  beobachten.  Auf  Grund  dieser  Gesetze  hatten  sich  die  Barone  Nor- 
thumberlands  geweigert,  ins  Ausland  zu  Felde  zu  ziehen;  als  sie  der 
König  durch  seine  Söldner  züchtigen  wollte,  warnte  ihn  der  Erzbischof, 
wider  sie  einzuschreiten,  ohne  zuvor  einen  Rechtsspruch  ihrer  Standes- 
genossen eingeholt  zu  haben.  Es  war  somit  der  Erzbischof  von  Canterbury 
selbst,  der  sich  an  die  Spitze  des  gegen  den  Despotismus  des 
Königs  gerichteten  Widerstandes  stellte.  In  einer  am  25.  August  1213 
in  der  St.  Paulskirche  tagenden  Versammlung  geistlicher  und  weltlicher 
Grofsen  verlas  er  den  alten  Freiheitsbrief  Heinrichs  I.1)  und  verpflichtete 
die  Anwesenden  zu  seiner  Verteidigung.  Dieser  Brief  bestätigte  die 
Freiheiten  der  englischen  Kirche,  schützte  die  Barone  vor  Übergriffen 
des  Königs  in  Erb-  und  Vormundschaftssachen,  traf  Anordnungen  über 
die  Münze  und  Verwaltung  der  Forste  unter  Beirat  der  Barone,  setzte 
fest,  dafs  derjenige,  welcher  persönlichen  Ritterdienst  leistet,  nicht  zur 
Kriegssteuer  verhalten  werde,  und  erneuerte  in  Kriminalsachen  die 
Gesetze  Eduards  des  Bekenners.  Für  diese  Rechte  schwuren  die  Barone 
zu  leben  und  zu  sterben.  Als  Johann  von  jenen,  die  nicht  zu  Felde 
gezogen  waren,  das  Schildgeld  verlangte,  verweigerten  sie  die  Zahlung, 
versammelten  sich  in  St.  Edmundsbury  (1214,  20.  November)  und  schwuren, 
mit  Waffengewalt  vorzugehen,  falls  ihre  Freiheiten  nicht  durch  Siegel 
und  Brief  bestätigt  würden.  Als  sie  (Dreikönig  1215)  ihre  Forderungen 
vor  den  König  brachten,  verlangte  er  bis  Ostern  Bedenkzeit,  bemächtigte 
sich,  um  für  alle  Fälle  gesichert  zu  sein,  der  festen  Plätze,  gestand,  um 
den  Klerus  an  sich  zu  ziehen,  Freiheit  der  kirchlichen  Wahlen  zu 
(15.  Januar)  und  nahm  zu  Lichtmefs  das  Kreuz,  um  als  Pilger  den  vollen 
Schutz  der  Kirche  zu  gewinnen ;  beide  Teile  wandten  sich  an  den  Papst. 
Die  Opposition,  der  Erzbischof  an  der  Spitze,  erneuerte  am  27.  April  zu 
Brackley  ihre  Forderungen,  die  sie  auf  des  Königs  Wunsch  in  eine 
Liste  zusammenstellte.  »Warum«,  rief  der  König  aus,  »verlangen  die 
Barone  nicht  gleich  mein  Reich?«  Vergebens  wies  er  auf  den  Papst 
als  seinen  Lehensherrn  hin.  Nachdem  ihm  die  Barone  den  Gehorsam 
aufgesagt,  zogen  sie  —  »die  Armee  Gottes  und  der  hl.  Kirche«  —  vor 
einzelne  Burgen.  Den  Kern  ihres  Heeres  bildete  der  Adel  des  Nordens, 
der  mit  Wales  und  Schottland  Verbindungen  hatte.  Bald  trat  London 
hinzu;    selbst    der    Hofadel    wurde    schwankend.      Johann    hielt  sich  in 


x)  Vom  Jahre  1101,   gedr.  bei  Stnbbs,  p.  100. 


42  Die  Magna  Charta.     Ihr  Inhalt» 

Windsor  auf,  sein  Heer  lagerte  auf  der  unter  dem  Namen  Runingmede 
bekannten  Niederung  an  der  Themse.  Hier  kam  am  15.  Juni  1215 
jene  Vereinbarung  zustande,  welche  als  Magna  Charta  die  Grundlage 
der  Freiheiten  Englands  bildet.  An  sich  betrachtet,  enthält  sie  nur  eine 
Bestätigung  der  alten  englischen  Freiheiten  und  ruht  im  wesentlichen 
auf  dem  Freiheitsbrief  Heinrichs  I.  Doch  wurde  dessen  ungenaue 
Fassung  durch  genaue  Bestimmungen  ersetzt,  und  während  jener  nur 
14  Artikel  enthielt,  finden  sich  hier  63.  Auch  gelten  ihre  Bestimmungen 
nicht  blofs  für  den  Klerus  und  Adel,  sondern  auch  für  das  Bürgertum. 
Am  bedeutsamsten  sind  die  Artikel  39  und  40  geworden,  von  denen  jener 
jedem  freien  Mann  persönliche  Freiheit  und  Besitz  sichert1),  dieser  rasche 
und  gerechte  Justiz  verhelfst.2) 

Der  erste  Artikel  verfügt  die  Freiheit  der  englischen  Kirche  und  der  kirchlichen 
Wahlen.  Die  folgenden  schützen  den  Adel  vor  ungerechten  Auf  lagen  und  dem  Mifs- 
brauch  seiner  Lehenspflichten  und  stellen  seine  Freiheiten  und  seinen  Besitz  unter 
ständischen  und  richterlichen  Schutz.  So  wird  —  um  nur  die  wichtigsten  Punkte  an- 
zuführen —  für  che  Übertragung  der  Lehen  nach  der  Erbfolge  die  althergebräuchliche 
Erbschaftssteuer  festgesetzt  (Art.  2  u.  3),  der  Unmündige  vor  Benachteiligung  (Art.  4,  5), 
Erben  und  "Witwen  vor  erzwungener  Heirat  (6,  7,  8)  und  Schuldner  gegen  habgierige 
Gläubiger  und  wucherische  Juden  (9 — 11)  geschützt.  Schildgeld  und  Hilfssteuer  darf 
fortan  nur  mit  Zustimmung  des  grofsen  Rates  des  Königreiches  (per  commune  consilium 
regni)  erhoben  werden:  ausgenommen  sind  wie  von  altersher  die  drei  Fälle:  Lösung 
des  Königs  aus  der  Gefangenschaft,  die  Schwertleite  seines  ältesten  Sohnes  und  die 
Verheiratung  seiner  ältesten  Tochter  (12).  Wenn  sonst  ein  Schildgeld  verlangt  wird, 
ist  der  grofse  Rat  zu  berufen.  Er  besteht  aus  den  Erzbischöfen,  Bischöfen,  Äbten, 
Grafen  und  grofsen  Baronen,  die  der  König  einzeln  und  schriftlich  einzuladen  hat. 
Alle  übrigen  unmittelbaren  Lehensleute  erhalten  mindestens  40  Tage  zuvor  eine 
allgemeine  Einladung,  zur  bestimmten  Zeit  an  festgesetztem  Ort  zu  erscheinen.  Der 
Grund  der  Berufung  ist  anzugeben.  Gefafste  Beschlüsse  sind  auch  für  Nichterschienene 
bindend  (14).  Afterlehensleute  werden  ihren  Lehensherren  gegenüber  in  derselben 
Weise  geschützt  wie  diese  der  Krone  gegenüber  (15,  16).  Der  Mifsbrauch  des  Ämter- 
verkaufes wird  abgeschafft  (25),  jener  der  Forstbeamten  gleichfalls  untersagt  (44,  47,  48). 
Von  höchster  Wichtigkeit  sind  die  Bestimmungen  über  die  Rechtspflege.  Die  Rechte, 
che  die  Barone  verlangten,  kamen  der  ganzen  Xation  zugute  (39,  40,  s.  unten  Note). 
Die  Richter  sollen  viermal  des  Jahres  ihre  Rundreise  in  den  Grafschaften  machen  und 
unter  dem  Beisitz  von  vier  Rittern  der  Grafschaft  Gericht  halten  (18).  Ein  ständiger 
Gerichtshof  wird  eingesetzt  (17).  Vergehen  werden  nur  im  Hinblick  auf  ihre  Gröfse 
bestraft ;  bei  einem  freien  Mann  darf  sich  die  Beschlagnahme  des  Vermögens  nie 
auf  die  Wohnung,  beim  Kaufmann  nie  auf  die  Waren,  beim  Bauer  nie  auf  sein 
Ackergerät  erstrecken.  Die  Mittel  zum  Lebensunterhalt  sollen  auch  dem  Geringsten 
gelassen  werden  (20 — 22).  Den  Städten,  vor  allem  der  Stadt  London,  allen  Flecken 
und  Häfen  des  Landes  werden  alle  Privilegien  und  Gerechtsame  bestätigt  (13),  fremden 
Kaufleuten  Reise-  und  Handelsfreiheit  gewährt  (41,  42)  und  gleiches  Mals  und  Gewicht 
im  ganzen  Lande  eingeführt. 

Es  fragte  sich  nun  darum,  ob  die  Regierung  auch  die  Bestimmungen 
der  Magna  Charta  einhalten  würde.  Zu  ihrer  Beaufsichtigung  wurde 
ein  Rat  von  25  Baronen  (das  Widerstandskomitee)  gewählt.  Sie  hatten 
das  Recht,    dem  König,    wenn  er  die  Festsetzungen  verletzt  hatte,  nach 

1)  39.  NuUus  über  homo  capiatur.  vel  imprisonetur,  aut  dissaisiatur,  aut  utlagetur 
aut  exuletur.  aut  aliquo  modo  destruatur,  nee  super  eum  ibimus,  nee  super  eum  mitte  mus 
nisi  per  legale  iudicium  parium  suorum   vel  per  legem  terrae. 

2)  40.  Xulli  vendemus,  nulli  negabimus,  aut  differemus,  rectum  aut  iusticiam. 


und  ihre  Bedeutung.     I>as  Ende  K.Johanns.  43 

fruchtloser  '  Ermahnung  den  Krieg  zu  erklären.  Endlich  wurde  die 
Magna  Charta  im  ganzen  Lande  publiziert1)  und  auf  des  Königs  Befehl 
von  jeder  Hundertschaft  und  Stadtversammlung  beschworen.  Die  Be- 
deutung der  Magna  Charta  liegt  darin,  dafs  sie  die  recht- 
lichen Schranken  der  königlichen  Hoheitsrechte  auf  dem 
Gebiete  des  Lehens-,  Gerichts-,  Finanz- und  Polizeiwesens 
festsetzt.  Von  einer  unmittelbaren  Teilnahm. e  der  Stände 
an  der  Regierung  ist  noch  keine  Rede. 

4.  Der  König  war  über  das  Vorgehen  seiner  Barone  in  hohem 
Grade  erbittert.  »25  Könige«,  rief  er  aus,  »haben  sie  über  mich  gesetzt.« 
Darauf  bedacht,  den  Freiheitsbrief  zu  vernichten,  behielt  er  die  Söldner 
bei  sich  und  erwartete  Hilfe  aus  Rom;  nicht  umsonst  wollte  er  Vasall 
des  Papstes  geworden  sein.  Innozenz  III.,  erzürnt  über  die  Nichtachtung 
seiner  Stellung  als  Oberlehensherr,  erklärte  die  Magna  Charta  für  einen 
rechtswidrigen,  unerlaubten  und  schimpflichen  Vertrag,  dessen  Urheber 
noch  schlimmer  seien  als  die  Sarazenen.  Lang  ton  wurde  suspendiert, 
die  Barone  und  Bürger  von  London  in  den  Bann  getan  und  dem  König 
verboten,  sich  an  ihre  Bestimmungen  zu  halten.  Die  Barone  liefsen 
sich  nicht  schrecken.  Sie  protestierten  gegen  die  Entscheidung  des 
Papstes  in  weltlichen  Dingen,  riefen  Frankreichs  Hilfe  an  und  wählten 
schliefslich  den  französischen  Kronprinzen  zum  König.  Dieser  nahm, 
dem  Banne  trotzend,  die  Krone  an  und  erschien  mit  Heeresmacht  in 
Kent.  Ein  Teil  der  Mietstruppen  fiel  nun  von  Johann  ab.  Ludwig  zog 
in  London  ein  und  empfing  hier  die  Huldigung  der  Barone  und  Bürger. 
Johann  raffte  sich  indes  noch  einmal  auf.  In  einzelnen  Gegenden 
widerstrebte  der  nationale  Sinn  dem  Bund  mit  dem  fremden  Fürsten. 
Mit  wachsendem  Eifer  trat  Innozenz  III.  für  Johann  ein2):  in  feierlicher 
Weise  verkündete  er  den  Bann  gegen  Ludwig,  die  Barone  und  die 
Bürger  von  London;  er  starb  indes  schon  am  16.  Juli.  Wenige  Monate 
später  folgte  ihm  Johann  im  Tode  nach.  Mag  auch  zeitgenössische 
Geschichtschreibung,  spätere  Tradition  und  Dichtung  das  Bild  dieses 
Königs  grau  in  grau  gemalt,  seinen  Fähigkeiten,  seinem  Eifer  in  Fragen 
der  Verwaltung  wenig  gerecht  geworden  sein :  es  ist  kein  Zweifel,  dafs 
er  ein  ebenso  habsüchtiger  als  wollüstiger,  feiger  und  grausamer  Tyrann 
war,  der,  ohne  die  Weisheit  seines  Vaters  und  den  ritterlichen  Glanz 
seines  Bruders  zu  besitzen,  den  Anspruch  erhob,  in  der  Weise  dieser 
Vorgänger  zu  regieren.  Das  Ergebnis  seiner  Regierung  war,  dafs  er 
die  besten  Besitzungen  Englands  auf  dem  Festlande  verlor,  England 
Lehen  der  Kurie  wurde  und  er  selbst  den  Rest  seines  Ansehens  im 
Kampf  gegen  die  englische  Freiheit  einbüfste.  Sein  Tod  gab  der  Sach- 
lage eine  plötzliche  Wendung.  Sein  neunjähriger  Sohn  Heinrich  III. 
(1216 — 1272)  wurde  in  Gloucester  zum  König  ausgerufen  und,  nachdem 
er    dem    Papst    den   Huldigungseid    geschworen,    gekrönt.      Ein    grofser 


x)  Die  Origin.-Urk.    befindet   sich   jetzt   im  brit.  Museum.     Von   den   zahlreichen 
Komen,  die  damals  angefertigt  wurden,  haben  sich  nur  zwei  erhalten. 
2)  Potth.  Regg.  Nr.  5127—5141. 


44  Philipp  II.  August  von  Frankreich. 

Teil  des  Adels  löste  nun  die  Verbindung  mit  Ludwig,  und  die  ganze 
Gewalt  kam  an  William  Marshai,  Grafen  von  Pembroke.  Am  20.  Mai 
1217  gewann '  dieser  ein  Treffen  —  den  Markt  von  Lincoln  —  gegen 
die  mit  den  Franzosen  verbündeten  Barone,  und  eine  französische  Flotte, 
die  mit  Verstärkungen  heranzog,  wurde  von  der  viel  kleineren  englischen 
besiegt.  Unter  diesen  Umständen  schlofs  der  französische  Kronprinz 
den  Vertrag  von  Lambeth  (1217,  11.  September)  und  zog  gegen  Zahlung 
einer  Summe  Geldes  aus  England  ab.  Die  Magna  Charta  wurde  einer 
Durchsicht  unterzogen  und  von  den  wichtigeren  Artikeln  jene  beseitigt, 
die  das  Aufsichtsrecht  des  Ausschufses  der  25  betrafen  und  das  Be- 
steuerungsrecht der  Krone  beschränkten. 


§  10.     Philipp  II.  August  (1180—1223). 

Quellen.  S.  Monod,  Bibliogr.  de  l'hist.  de  France.  Paris  1888.  .  Ergänz,  v. 
V i  d i  e  r  in  Le  Moyen-Age.  vol.  VIII  ff.  Lan gl ois ,  Man.  de  Bibliogr.  bist.  Paris  1901. 
Molinier  id.  III.  TIrkk.:  L.  Delisle,  Catalogue  des  actes  de  Philippe  II.  Auguste. 
Paris  1856.  Molinier,  Act  ined.  de  Ph.  A.  B.  E.  Ch.  XXXVIT.  Le  premier  registre 
de  Ph.  A.  .  .  p.  p.  Delisle  P.  1883.  Diplom,  ad  hist.  Ingeborg  .  .  .  Langebeck  SS.  rer. 
Dan.  VI.  80 — 132.  —  Rec.  des  Ordonnances,  1723.  Les  lettres  d'Etienne  de  Tournay 
ed.  Desilves  1893.  Scriptores  (soweit  deutsche  Verhältnisse  in  Betracht  kommen, 
s.  auch  MM.  Germ.  SS.  t,  XXV— XXYI.  Für  die  englischen  oben  §  9) :  Gesta  Phil. 
Augusti  .  .  .  descripta  a  mag.  Rigordo,  ed.  Duchesne  SS.  rer.  Franc.  V ;  Bouquet  XVII 
(sonst.  Ausg.  Potth.  II,  972).  Gesta  Phil.  Aug.  regis  auct.  Guilelmo  Armorico  (Wilhelm 
Brito,  Kaplan  d.  Königs,  war  Zeuge  d.  Sieges  von  Bouvines).  Ibid.  —  Guil.  Britonis 
Armorici  Philippidos  libri  Xu.  ibid.  Les  gestes  de  Ph.  Aug.,  extraits  des  grandes 
Chroniques  dites  de  S.  Denis.  Bouq.  XVII.  Epitome  gestorum  regurn  Franciae  scripta 
ab  anonymo  ib.  —  Extrait  d'un  abrege  de  l'hist.  de  France  ib.  Roberti  canon. 
Altissiodor.  Chron.  MM.  G.  SS.  XXVI.  De  pugna  Boviniensi  Relatio  Marchianensis 
ib.  XXVTI.  —  Xomina  Frisionum  Duchesne  V.  Chronica  S.  Albini  Andegav.  Bouq.  X, 
XI,  XII,  XVIII.  Helinandus,  Chronicon,  Migne  CCXII.  Chronic.  Fiscanensis  monasterii 
ib.  CXLVn.  Chron.  Elnonense  Bouq.  X.  XI,  XIII,  XXIII.  Chronic.  Turonense  ib. 
Lambertus  Ardensis,  Hist.  comit.  Ghisniensium  et  Ardensium  MM.  G.  SS.  XXIV.  Geneal« 
comit.  Flandriae  Bouq.  XVIII.  Geneal.  reg.  Dan.  ed.  Langeb.  SS.  rer.  Dan.  II,  154.  S.  auch 
Molinier  D.  Z.  G.  X,  144. 

Hilf s Schriften.  Aufser  den  allgem.  Werken  über  allg.  und  franz.  Gesch.  von 
La  visse-Rambaud,  Hist,  gen.  tom.  IL  Paris  1893,  Lavisse-Luchaire  Hist.  de  France  HI.  1. 
Paris  1901.  Schmidt,  Gesch.  v.  Frankreich  I.  Hbg.  1835 :  A.  Cartellieri,  Philipp  II, 
Aug  v.  Frankreich.  I.  Leipz.  1899—1900.  Capefigue,  Hist.  de  Philipp-Aug.  Paris  1841. 
Walker,  On  the  increase  of  royal  power  under  Ph.  IL  Aug.  1179 — 1223.  1888.  Philipp 
Augustus  by  W.  Holden -Hütten.  Lond.  1896.  Scheffer-Boichorst,  Deutschi. 
u.  Philipp  IL  Aug.  Forsch.  VIII.  Davidsohn,  Ph.  IL  Aug.  und  Ingeborg.  1884. 
Borelli  de  Serres,  La  Reunion  des  provinces  septentr.  a  la  couronne  par  Philipp  IL 
Aug.  Paris  1899.  Für  die  belg.-niederl.  Verh. :  Pirenne,  Gesch.  v.  Belgien  I.  Gotha 
1899.  Block.  Gesch.  van  het  Nederl,  volk  I.  Groningen  1893.  S.  auch  Petit,  Hist. 
des  ducs  de  Bourgogne  t.  HI.  IV,  1891 .  DA  r  b  o  i  s  de  J  u  b  a  i  n  v  i  1 1  e  ,  Hist.  des  ducs 
et  des  comtes  de  Champagne.  1861 — 65  M  a  1  o ,  Un  grand  f eudataire.  Reinaud  de 
Dammartin  et  la  coalition  de  Bouvines.  Paris  1898.  Bem-ont,  De  la  condamnation 
de  Jean-sans-Terre  wie  oben.  R.  H.  XXXH.  (S.  auch  J.  B.  G.  1899,  in,  26).  Lebon, 
Memoire  sur  la  bataille  de  Bouvines.  Paris  1835.  Hortzschansky,  Die  Schlacht 
an  der  Brücke  von  Bouvines  1883.  Köhler,  Die  Entw.  d.  Kriegswesens  I,  117 — 158 
(dort  eine  Übers,  über  die  Quellen).  Delpech,  La  Bat.  de  Bouvines.  1885.  Froidevaux, 
De  regiis  conciliis  Philippo  IL  Augusto  regnante  habitis.    Paris  1891.    Philipps,  Das 


Seine   Persönlichkeit  und  sein   Charakter.     Seine  politischen  Ziele.  45 

Kegalienrecht  in  Frankreich.  1873.  See,  Les  classes  rurales  1901.  Luchaire,  Les 
communes  francaises  1890.  Pigeonneau,  Hist.  du  commerce  en  France,  t.  I, 
L  e  v  a  s  s  e  u  r ,  Hist.  des  classes  ouvrieres  et  de  l'industrie  en  France.  1900.  Sonstige 
Literaturvennerke  s.  in  Lavisse-Luchaire  wie  oben. 

1.    In   demselben   Jahre,    in   welchem   in   Deutschland    die  Weifen- 
macht zerschlagen  wurde,    gelangte  in  Frankreich  Philipp  II.  zur  Re- 
gierung,   von    allen   Kapetingern,    die    bisher    die   Krone   getragen,    der 
bedeutendste.    Von  einem  Ehrgeiz  beseelt,  dafs  er  kaum  das  Ende  seines 
Vaters  erwarten  konnte  und  ihn  förmlich  zur  Seite  schob,  zeigte  er  trotz- 
seiner   jungen  Jahre   eine  politische  Reife  und  diplomatische  Begabung, 
die  ihn  rasch  in  die  vorderste  Reihe  der  Fürsten  Europas  stellte.    Fran- 
zösische Quellen  nennen  ihn  den  Klugen,  und  wenn  ihm  sein  Biograph 
Rigord  den  Beinamen  Augustus  gibt,   der  ihm  fortan  in  der  Geschichte 
geblieben  ist,  so  ist  hiedurch   seine  Wirksamkeit1)  trefflich  gezeichnet.2) 
Bei  seinem  Regierungsantritt  war  Frankreich  eine  Macht  dritten  Ranges, 
vom  Mittelmeer   ganz,  vom  Atlantischen  Ozean   grofsenteils   geschieden. 
Unmittelbarer  Kronbesitz  waren  aufser  Isle  de  France  nur  die  Picardie 
und  Orleanais;   im   übrigen  Frankreich   gab  es  Lehensfürstentümer,   die 
mit   der  Krone   lose    verbunden  waren.    Die  Normandie,    die  von  dieser 
zu  Lehen  gehende  Bretagne,  Anjou,  Maine,  Touraine,  Poitou,    Guyenne 
und    Gascogne    befanden    sich   im   Besitze    Heinrichs  IL    von   England. 
Die    mächtigsten    Vasallen    aufser    dem    Hause    Plantagenet   waren    die 
Grafen    von    Flandern,    von   Champagne-Blois,    von    Toulouse    und    die 
Herzoge  von  Burgund.     Das  Streben   der   erster  en  nach  politischer  Un- 
abhängigkeit  wurde    durch   die   Verbindung   mit    dem   deutschen   Reich 
ebenso  gefördert,  wie  das  der  Plantagenet  durch  die  mit  England.    Daher 
war   es   das  Ziel  König  Philipps  IL,    den   locker   gefügten  französischen 
Lehensstaat  in  eine  festgefügte  Monarchie  umzuwandeln,  und  er  erreichte 
seine  Absichten,  indem  er  die  Kronvasallen  den  Zwecken  des  Königtums 
dienstbar  machte  und  die  grofsen  Gegensätze  der  Zeit,  die  sich  aus  dem 
Anspruch    der  Staufer  auf  Weltherrschaft  und  ihren  Konflikten  mit  der 
Kirche    ergaben,    für  Frankreich  ausnützte.     Die  Kämpfe  mit  Flandern, 
mit  Champagne,    Burgund  und  anderen  Grofsen  verschafften  ihm  (1181 
bis  1185)   den  Besitz   von  Vermandois,    Valois   und  Amienois,  zu  denen 
durch   Erbschaft   Artois    hinzu    kam.      Die   Kämpfe   der   Mitglieder   des 
Hauses   Plantagenet   gegeneinander   boten    ihm    reiche    Gelegenheit    zur 
Einmischung   und   trugen   für   ihn   die  Gewähr   grofser  Erfolge   in  sich, 
denn  die  englische  Herrschaft  ruhte  nur  in  der  Normandie  und  Bretagne 
auf  festerer  Grundlage ;  in  ihren  übrigen  Besitzungen  waren  die  Barone 
stets   zum  Abfall   geneigt   und   die  französische  Politik  darauf  gerichtet, 
den  Aufständischen  Schutz    zu   gewähren.    Im  Kampfe  der  Söhne  Hein- 
richs IL    gegen   diesen   gewann   Philipp  IL    die  Auvergne   und   sicherte 
sich   gegen  das  Übergewicht  Englands  durch  den  engsten  Anschlufs  an 
die  Staufer.     Die  Teilnahme    am   dritten   Kreuz zug   liefs    den   Gegensatz 
der   englischen   und  französischen  Interessen  nicht  weniger  als  der  per- 

*)  Quia  rem  publicam  augmentabat. 
2)  SchefEer-Boichorst  S.  490. 


46  Erfolge  gegen  England.     Philipp  IL   und  das  Papsttum. 

sönlichen  der  beiden  Könige  zutage  treten.  Um  so  eifriger  nützte 
Philipp  die  ihm  durch  -Richards  Gefangennahme  gebotenen  Vorteile  aus. 
Am  liebsten  hätte  er  es  gesehen,  wenn  ihm  Heinrich  VI.  den  englischen 
König  ausgeliefert  oder  ihn  für  immer  gefangen  gehalten  hätte.  Auf 
Richards  Freilassung  folgte  ein  schwerer,  fünf  Jahre  dauernder  Krieg 
zwischen  England  und  Frankreich.  Wohl  verlor  Philipp  im  Waffen- 
stillstand von  Vernon  (1199)  seine  Eroberungen  in  der  Xormandie  und 
Vexin,  ja  er  mufste  sich  verpflichten,  Otto  IV.  im  Kampf  um  die  deutsche 
Krone  zu  unterstützen,  aber  der  unerwartete  Tod  Richards  befreite  ihn 
von  seinem  gefährlichsten  Gegner,  und  nun  zog  er  aus  dem  Streit  König 
Johanns  mit  Artur  von  Bretagne  reichen  Gewinn.  Im  Frieden  von 
Goulet  erhielt  er  die  Grafschaft  Evreux,  den  Besitz  von  Gracai  und 
Issoudun,  die  Suzeränität  von  Auvergne  und  Berry.  Nach  der  Er- 
neuerung des  Krieges  suchte  Innozenz  III.  auch  hier  die  strittigen 
Fragen  vor  sein  Forum  zu  bringen ;  Philipp  protestierte  dagegen,  erhielt 
aber  zur  Antwort,  dafs  es  Pflicht  des  Papstes  sei,  auch  in  lehensrecht- 
lichen Fragen  zu  entscheiden. x)  Schon  stellt  ihm  die  Kurie  den  Bann- 
fluch in  Aussicht.2)  Der  Krieg  hatte  seinen  Fortgang  und  endete  trotz 
eines  zweiten  Vermittlungsversuches  der  Kurie  mit  einem  vollen  Siege 
Philipps  (§  9),  der  nun  mit  der  Xorrnandie  und  dem  englischen  Besitz 
in  Frankreich  bis  zur  Loire  eine  Machtstellung  errang,  wie  sie  das  fran- 
zösische Königtum  seit  den  Zeiten  der  Karolinger  nicht  mehr  besessen 
hatte.  Erst  jetzt  gelangten  die  kleineren  Vasallen  in  den  bisher  den 
Plantagenet  gehörigen  Lehensfürstentümern  unter  die  unmittelbare  Herr- 
schaft des  französischen  Königtums  und  verstärkten  dessen  finanzielle 
und  militärische  Machtmittel.  Mit  der  Xorrnandie.  Bretagne  und  Poitou 
erhielt  Frankreich  eine  hafenreiche  Küste  und  wurde  erst  jetzt  eine 
Handelsmacht  von  Bedeutung. 

2.  Während  dieser  Kämpfe  änderte  sich  die  bisherige  Stellung- 
Frankreichs  zum  Papsttum.  Bisher  waren  die  Beziehungen  beider 
Mächte  um  so  innigere,  je  stärker  die  Interessengemeinschaft  war,  die 
sie  dem  Kaiserturn  gegenüber  besafsen.  Philipp  hatte  diese  Beziehungen 
lange  gepflegt,  und  sie  lockerten  sich  auch  nicht,  als  er.  vom  Kreuzzuge 
heimgekehrt,  mit  Johann  ohne  Land  den  Kampf  gegen  König  Richard 
aufnahm.  Während  der  Kämpfe  mit  König  Johann  kam  es  zu  einer 
Entfremdung,  indem  sich  der  König  den  Ansprüchen  des  Papsttums 
gegenüber  auf  die  Meinung  seiner  grofsen  Vasallen  berief,  ein  Vorgang, 
der  in  späterer  Zeit  Philipp  dem  Schönen  nicht  unbekannt  geblieben 
sein  dürfte.  Aber  erst  sein  Zerwürfnis  mit  seiner  Gemahlin  Ingeborg 
brachte  den  schwersten  Rifs  in  die  alten  Beziehungen  beider  Mächte 
und  verhalf  dem  Papst  zu  einem  grofsen  Erfolg.  Der  König  hatte  sich 
nach  dem  Tode  seiner  ersten  Gemahlin  Isabella  von  Hennegau  mit 
Ingeborg,    der  Schwester   des  Dänenkönigs  Knut  VI.,  wie  es  scheint,  in 

l)  Wenn  nicht  ratione  iuris,  doch  ratione  peccati.  Er  habe  zu  untersuchen,  ob 
der  König  nicht  seine  lehensrechtlichen  Befugnisse  überschritten  habe.  S.  Potth. 
Regg.  2009. 

-    Ebenda  2011. 


Philipp  IL  August  und  Ingeborg.    Kampf  gegen  die  engliseh-welfische  Macht.      47 

der  Hoffnung  vermählt  (1193),  Dänemarks  Hilfe  gegen  England  zu  er- 
halten. Gleich  nach  der  Hochzeit  von  einer  Abneigung  gegen  Ingeborg 
erfafst,  als  deren  Grund  die  Zeitgenossen  nichts  anderes  als  Teufelsspuk 
anzugeben  wufsten,  liefs  Philipp  zum  Zweck  der  Scheidung  einen  Stamm- 
baum anfertigen,  der  seine  Verwandtschaft  mit  der  Königin  ersichtlich 
machte.  Die  Scheidung  wurde  in  der  Tat  ausgesprochen.  Als  man 
Ingeborg  die  Sentenz  verkündete,  fand  sie  nur  die  abgerissenen  Worte : 
Böses  Frankreich,  böses  Frankreich,  Rom,  Rom.  Sie  appellierte  nach 
Rom,  wo  Cölestin  III.  auf  die  Klage  Knuts  eine  Untersuchung  ein- 
leitete. Noch  war  diese  nicht  beendet,  als  sich  Philipp  mit  Agnes  von 
Meranien  aus  dem  Hause  der  Grafen  von  Andechs  vermählte.  Lange 
Zeit  blieb  Rom  taub  gegen  die  Klagen  des  dänischen  Hofes.  Erst 
Innozenz  III.  forderte  Philipp  auf,  sich  von  Agnes  zu  trennen  und  die 
verstofsene  Ingeborg  zurückzuberufen,  und  verhängte  auf  die  Weigerung 
des  Königs  das  Interdikt  über  Frankreich  (1198).  Noch  erzielte  dieses 
seine  volle  Wirkung:  die  Einstellung  des  Gottesdienstes  erregte  allent- 
halben Angst  und  Verzweiflung  und  rief  eine  Gärung  hervor.  Als 
schliefslich  der  Papst  den  König  in  den  Bann  legte,  gab  Philipp  nach. 
Wie  pries  er  Saladin,  der  keinen  Papst  über  sich  habe.  Ingeborg  wurde 
zwar  wieder  Königin,  doch  wollte  der  König  von  einer  ehelichen  Ver- 
einigung mit  ihr  nichts  wissen,  auch  dann  nicht,  als  Agnes  starb  und 
der  Papst  ihre  Kinder  legitimierte.  Noch  1210  hatte  er  die  Absicht, 
sich  mit  einer  Tochter  des  Landgrafen  von  Thüringen  zu  vermählen. 
Die  Vereinigung  der  getrennten  Gatten  kam  erst  1213  und,  wie  einstens 
die  Heirat,  aus  politischen  Beweggründen  zustande,  um  die  Unterstützung 
Dänemarks  im  Kampfe  gegen  England  zu  gewinnen.  Der  lange  Wider- 
stand Philipps  einem  Papste  vom  Ansehen  Innozenz'  III.  gegenüber 
gibt  den  Mafsstab  für  die  Kraftentfaltung  ab,  die  das  französische  König- 
tum schon  in  den  beiden  ersten  Dezennien  der  Regierung  Philipps  IL 
erlangt  hatte. 

3.  Mehr  als  dem  Süden,  wo  die  Kämpfe  gegen  die  Albigenser 
geführt  wurden,  die  den  Erwerb  der  Grafschaft  Toulouse  vorbereiteten, 
war  die  Aufmerksamkeit  des  Königs  den  englisch-weifischen  Angelegen- 
heiten im  Westen  und  Norden  Frankreichs  zugewendet.  Je  eifriger 
König  Johann  auf  den  Wiedererwerb  der  verlorenen  Provinzen  sann, 
um  so  inniger  wurde  der  Bund  Philipps  mit  den  Staufern  (§  8).  Nach 
Johanns  Unterwerfung  genötigt,  die  Absichten  auf  England  aufzugeben, 
wandte  sich  Philipp  gegen  Johanns  Verbündete,  die  Grafen  von  Flandern 
und  Boulogne.  Sein  Siegeszug  wurde  durch  eine  Niederlage  seiner 
Flotte  aufgehalten,  und  die  Bundesgenossen  Englands  behaupteten  das 
Übergewicht.  Dies  bewog  Otto  I.V.,  der  in  Philipp  zugleich  den  Papst 
und  seinen  Gegenkönig  Friedrich  bekämpfte,  alle  Kräfte  auf  einen  An- 
griff des  nördlichen  Frankreich  zu  setzen,  während  Johann  Poitou  an- 
greifen sollte.  Eine  förmliche  Teilung  von  Frankreich  ward  in  Aussicht 
genommen.  Aber  Johann  fand  im  Süden  kräftigen  Widerstand.  Otto 
vereinigte  sich  in  Valenciennes  mit  den  Herzogen  von  Brabant  und 
Limburg,  den  Grafen  von  Flandern,  Holland  und  anderen  Grofsen.     Den 


48  Bouvines  und  seine  Bedeutung.     Machtstellung  des  franz.  Königtums. 

100000  Mann  des  Kaisers  konnte  Philipp  nur  die  Hälfte  entgegenstellen, 
da  ein  grofser  Teil  des  französischen  Ritterheeres  gegen  Johann  im 
Felde  stand.  Dessenungeachtet  rückte  Philipp  bis  Tournay  vor.  An 
der  Brücke  über  die  Margue  bei  Bouvines  kam  es  am  27.  Juli  1214 
zur  Schlacht,1)  die  er  durch  die  gröfsere  Geschlossenheit  seiner  Schlacht- 
haufen, ihre  bessere  Handhabung  von  Warfen  und  Pferden  und  die 
Überlegenheit  an  Rittern  gewann.  Seine  bedeutendsten  Gegner,  die 
Grafen  von  Flandern  u.  a.,  wurden  gefangen.  Es  war  der  letzte  schwere 
Kampf  des  Königs  gegen  die  mit  Weifen  und  England  verbündeten 
Vasallen  im  nördlichen  Frankreich.  Für  dieses  waren  denn  auch  die 
Folgen  des  grofsen  Sieges  höchst  bedeutende.  Die  feudale  Übermacht 
wurde  gebrochen  und  der  in  den  Kämpfen  gegen  das  Haus  Plantagenet 
errungene  Erwerb  gesichert.  Nach  den  Worten  eines  Zeitgenossen 
wurde  in  allen  Teilen  Frankreichs  die  Freude  des  Sieges  empfunden: 
»was  allen  gehöre,  eigne  sich  jeder  besonders  zuc  Es  war  das  erste 
starke  Aufwallen  des  französischen  Xationalgefühls.  Am  18.  September 
kam  unter  päpstlicher  Vermittlung  der  Friede  von  Chinon  zustande, 
der  Frankreich  im  Besitz  seiner  Erwerbungen  liefs  und  ihm  eine  Kriegs- 
entschädigung von  60000  Livres  sicherte. 

4.  Erst  jetzt  wurden  jene  Ehrenvorrechte,  die  dem  König  von  den 
weltlichen  Grofsen  zugestanden  wurden,  in  eine  wirkliche  Oberherrschaft 
verwandelt  und  des  Königs  Macht  auch  in  der  Legislative  auf  das  ganze 
Gebiet  des  französischen  Lehensstaates  ausgedehnt.  Die  Vasallen  er- 
scheinen bei  Hofe,  um  über  die  Landesverteidigung  oder  sonstige  all- 
gemeine Mafsregeln  zu  beraten,  oder  um  über  ihresgleichen  Gericht  zu 
halten.  Selbst  die  hohe  Geistlichkeit  mufs  unter  Umständen  vor  der 
Curia  regis  —  dem  königlichen  Hofgericht  —  erscheinen  oder  zu  den 
allgemeinen  Auflagen  Beiträge  leisten;  das  Spolien-  und  Regalienrecht 
wird  behauptet  und  die  Prärogativen  des  Königtums  selbst  Innozenz  III. 
gegenüber  mit  Nachdruck  betont.  Die  niederen  Lehensleute  finden  vor 
der  Willkür  der  höheren  Schutz  bei  dem  König :  sie  bringen  ihre  Klagen 
vor  den  königlichen  Beamten  vor  und  verfolgen  ihre  Rechte  vor  dem 
Hofgerichte.  Die  einstens  nur  ideelle  Überordnung  des  französischen 
Königtums  hat  nun  einen  sachlichen  Hintergrund.  Bei  der  Bedeutung 
des  unmittelbaren  königlichen  Besitzes  war  es  notwendig,  für  eine  bessere 
Verwaltung  Sorge  zu  tragen.  Zu  dem  Zwecke  liefs  ihn  der  König  nicht 
mehr  durch  Prevots  verwalten,  in  deren  Händen  bisher  richterliche, 
finanzielle  und  militärische  Befugnisse  vereinigt  waren,  sondern  schuf 
das  Institut  der  Baillis,  welche  die  Pflicht  hatten,  in  ihren  Bezirken  im 
Namen  des  Königs  allmonatlich  Gericht  zu  halten,  in  Paris  zu  erscheinen, 
um  über  ihre  Verwaltung  Rechenschaft  zu  geben,  und  die  von  den 
Prevots  eingesammelten  Gelder  in  den  öffentlichen  Schatz  zu  hinterlegen. 
Eine  Stütze  für  seine  Bestrebungen  fand  der  König  an  dem  Bürgertum, 
dem  er  munizipale  Rechte  zuteilte,  und  das  er  gegen  Übergriffe  der 
grofsen  Vasallen  in  Schutz  nahm.     Er  begabte  die  Innungen  mit  Privi- 


J)  Einzelnheiten  bei  Köhler,  S.  126  ff.    Dort  S.  156  eine  Übersichtskarte. 


Der  Albigenaerkrieg.  49 

legien,  sorgte  für  die  Erhaltung,  Befestigung  und  Verschönerung  der 
Städte,  liefs  Wege  und  Strafsen  anlegen,  beförderte  Gewerbe  und  Handel 
und  war  eifrig  bedacht,  fremde  Kaufleute  auf  die  französischen  Märkte 
zu  ziehen.  Der  Bund  des  Königtums  mit  dem  Bürgertum  erwies  sich 
als  ein  vortreffliches  Mittel,  um  die  einheitliche  Gestaltung  des  fran- 
zösischen Staatswesens  zu  erzielen. 

§  11.     Der  Albigenserkrieg.     Ludwig  VIII. 

Quellen.  S.  Glanz,  Über  die  Quellen  zur  Geschichte  des  Albigenserkrieges. 
Berl.  1878.  S  m  e  d  t ,  Les  sources  de  l'histoire  de  la  croisade  contre  les  Albigeois. 
RQH.  XVI.  Potth.  II,  1708.  Die  Brief  e  u.  Urkk.  Innoz.  III.  s.  oben.  Le  Catalogue 
des  actes  de  Simon  et  d'Arnaury  Montfort,  ed.  Molinier.  BECh.  1873.  Geschicht- 
schreiber: Petrus  Sarnensis  (Vaux  -  Cernay),  Historia  de  factis  et  triumphis.  .  .  . 
Simonis  comitis  de  Monteforti  sive  Historia  Albigensium  et  belli  sacri  in  eos  a.  1209 
suseepti.  .  .  .  Bouquet  XIX,  1—113  (MM.  Germ.  SS.  XXVI) ;  reicht  bis  1217.  Der  Verf. 
war  Augenzeuge.  Heftig  gegen  Raimund  VI.  u.  den  Grafen  von  Foix.  Guilelmus 
de  Podio-Laurentii,  Chronicon  super  historia  negotii  Francorum  sive  bellorum  adversus 
Albigenses  ab  anno  1145—1272.  Bouq.  XIX,  193—225.  (MM.  Germ.  hist.  SS.  XXVI) 
Heftiger  Gegner  der  Ketzer.  Chanson  de  la  croisade  contre  les  Albigeois  1207 — 1219, 
ed.  P.  Meyer.  Paris  1875.  1877.  Der  erste  bis  V.  2768  reichende  Teil  rührt  von  Wilhelm 
von  Tudele,  der  zweite  Teil,  der  1218/19  geschrieben  ist,  von  einem  Anonymus  her. 
Im  15.  Jahrh.  wurden  die  Verse  in  Prosa  übertragen :  Histoire  de  la  guerre  des 
Albigeois  1204-1219.  Bouq.  XIX,  115—190.  (MM.  G.  hist.  SS.  XXVI.)  Praeclara  Francorum 
facinora  a.  a.  1202 — 1211  (Ausz.  aus  Bern.  Guidonis  Flores  cronicorum).  DuchesneV,764. 
Processus  negotii  Raimundi  comitis  Tolosani.  Baluze  n,  44G.  De  genealog.  com.  Tolos. 
auet.  Bern.  Guidone.  Bouquet  XIX,  225—228.  Chanson  moult  pitoyable  etc.,  ed.  Pal- 
grave.  Lond.  1818.  Concilium  Lumbariense  advers.  Albigenses  haereticos,  ed.  Labbe, 
Concil  X.  S.  auch  die  Geschichtschr  zu  Philipp  II.  August,  wie  Guilelmus  Brito,  die 
gereimte  Chronik  Mouskets  etc.  Spätere  Quellen  s.  bei  Glanz  S.  92  ff.  Einzelnes  auch 
bei  Caesarius  v.  Heisterbach,  Dial.  miraculorum  (s.  auch  Molinier  III,  54  ff.). 

Hilf  s Schriften.  Zu  den  oben  §  2  genannten  Biogr.  Innozenz' III.  und  den 
unter  §  6  genannten  Werken  von  Douais,  Ch.  Schmidt  u.  Hahns  Gesch.  der  Ketzer 
im  MA.  s.  Vaissete,  Histoire  du  Languedoc,  torn.  VI.  Douais,  La  soumission  de 
la  vicomte  de  Carcassonne  par  Simon  de  Montfort  et  la  croisade  contre  Raimond  VI.  1884. 
Douais,  Un  episode  des  croisades  contre  les  Albigeois,  RQH.  XXX.  Douais,  Les 
Heretiques  du  comte  de  Toulouse  dans  la  le  moitie  du  XIIIe  siecle.  Paris  1891.  Canet, 
Simon  de  Montfort  et  la  croisade  contre  les  Albigeois.  Lille  1891.  Köhler,  Die  Schlacht 
bei  Muret.  Kriegsw.  I,  83.  D  i  e  u  1  a  f  o  y ,  La  bataille  de  Muret.  Mem.  de  l'Acad.  d. 
Inscr.  XXXVI,  2.    Hefele-Knöpfler  VI,  827. 

Quellen  z.  Gesch.  Ludwigs  VIH.  S.  §  10,  dazu  1.  Nicolaus  de  Braia,  Carmen 
de  gestis  Ludovici  VHI.  (1223—1226).  Bouq.  XVII,  312—344.  (MM.  Germ.  SS.  XXVI, 
480—487.  2.  Gesta  Ludovici  VIII.  Fragmentum.  Bouquet  XVII,  302-11.  (MM.  Germ. 
XVI,  631.)  3.  Chronicon  S.  Martini  Turonensis  (auet.  [sie]  Pagano  Gatinelli)  bis  1227.  Bouq. 
X— XII,  XVHI.  (MM.  Germ.  XXVI,  459.)  Lit,  bei  Potth.  I,  275.  4.  Philippe  Mousket, 
Chronique  rirnee  bis  1243.  Bouquet  XXII.  Auch,  in  d.  Collect,  des  chron.  beiges  II,  IV, 
ed.  Reiffenberg.  5.  Vinc.  Bellovac.  Spec.  histor.  Douais  1624.  (Ausz.  MM.  Germ.  XXIV.) 
Hilfsschrift:  Petit-Dutaillis,  Etüde  sur  la  vie  et  le  regne  de  Louis  VIH.  1894. 
Berg  er,  Hist.  de  Blanche  de  Castille.    Paris  1895.     Sonst.  Lit.  s.  §10. 

Die  letzte  grofse  feudale  Herrschaft,  die  sich  auf  französischem  Boden 
noch  eine  gewisse  Unabhängigkeit  bewahrt  hatte,  war  die  Grafschaft 
Toulouse.  Hier  erleichterten  die  kirchlichen  Verhältnisse  dem  König- 
tum die  Erwerbung  des  Landes.  Die  Versuche  Innozenz'  III.,  die  Albi- 
genser  durch  Lehre  und  Predigt  zur  katholischen  Kirche  zurückzuführen, 

Loserth,  Geschichte  des  spateren  Mittelalters.  4 


50  Ausbruch  und  Charakter  des  Kampfes. 

waren  ergebnislos  verlaufen.    Unter  dem  Schutz  des  Grafen  Raimund  VT. 
von  Toulouse,  der  Vizegrafen  von  Beziers  und  Carcassonne  und  anderer 
Grofsen  erhielten  die  Albigenser  eine   von  Jahr  zu  Jahr  wachsende  Be- 
deutung.    Die  vom  Papst  wider  sie  ausgesandten  Legaten    hatten  höch- 
stens   vorübergehende  Erfolge    zu  verzeichnen.     Schon  1204,    1205  und 
1207    hatte   Innozenz  III.    den    König    zur  Verfolgung    der  Ketzer    auf- 
gefordert, aber  der  Kampf  gegen  England  hinderte  diesen,  dem  Wunsche 
des  Papstes  zu  folgen.1)     Der  päpstliche  Legat  Peter  de  Castelnau  hatte 
1207  den  Grafen  Raimund  VI.  wegen  Begünstigung  der  Ketzer  exkom- 
muniziert;   als   nun  der  Legat  von  einem  fanatisierten  Dienstmann  Rai- 
munds erstochen    wurde,  (1208,  13.  Januar),  war  das  Schicksal  der  Albi- 
genser    entschieden.      Wiewohl    Raimund     wiederholt     seine    Unschuld 
beteuerte,  wurde  er  als  Mörder  des  Legaten  aufs  neue   exkommuniziert2), 
sein  Land    mit    dem  Interdikt    belegt,    seine  Untertanen    des  Eides    der 
Treue    entbunden    und  Philipp  IL  August    und    andere   Fürsten    aufge- 
fordert,   das    Kreuz    gegen    die    Ketzer    zu    nehmen.     War    Philipp    IL 
auch  nicht   geneigt,    in    den    Kampf   zu   ziehen,    so    war   er    doch    auch 
nicht  gewillt,   den  Besitz    seines  Vasallen   in  fremde  Hände  kommen  zu 
lassen.     Raimund    suchte   die  drohende  Gefahr  von  seinem  Haupte  und 
seinem  Lande  abzuwenden   und   unterwarf  sich  den  demütigsten  Bedin- 
gungen  (1209),    ohne   hiedurch   sein  Land   vor   den  Schrecknissen  eines 
Religionskrieges   schützen    zu    können.     Die  Kurie   hielt  ihn   mit   Hoff- 
nungen hin,  bis   sie   mit  den  Ketzern  fertig  geworden  sei.    Zum  Kampfe 
gegen   die   Häresie    erhoben   sich    die    Grofsen    und    Bischöfe    des   fran- 
zösischen Nordens  und  der  Mitte :  der  Herzog  von  Burgund,  die  Grafen 
von  St.  Pol  und  Nevers  und  andere,  mit  ihnen  der  gefeierte  Held  jener 
Zeit,    Graf    Simon    von   Montfort,    der,   aus    französischer    Familie 
stammend,  von   seiner  Mutter   die  englische  Grafschaft  Leicester   geerbt 
und  seine  ritterliche  Kraft  und  seinen  glühenden  Eifer  für  die  Interessen 
der    Kirche    bereits    im  Morgenlande    erprobt    hatte.     Von    allen  Seiten 
strömten   Kreuzfahrer    zusammen.      Bald    wuchs    ihre   Zahl    auf  50000. 
Ihr  Führer   war   der  Legat  des  Papstes,    Abt  Arnold  von  Citeaux.     Zu- 
erst  wurde  Beziers,    dessen   Herr   vergeblich   seine  Rechtgläubigkeit  be- 
teuert und  seine  Unterwerfung  angeboten  hatte,  erobert  und  verbrannt. 
Hier  sollen    die  bekannten  —  vielleicht    doch    erst    nach    dem  Ereignis 
erdichteten  —  Worte  des  Legaten  gefallen  sein :    Schlagt    alle  tot,    Gott 
wird  die  Seinigen  kennen!    In  der  Magdalenenkirche  allein  —  der  Haupt- 
kirche   der  Stadt  —  lagen   7000  Erschlagene,    darunter  Weiber,    Kinder 
und  Greise.    In  gleicher  Weise  wurde  im  ganzen  Lande  gewütet,  Carcas- 
sonne genommen    und    auch    hier   über   400  Menschen    verbrannt,    die 
lieber  dem  Leben  als  ihrem  Glauben  entsagten.     Allüberall  loderten  die 
Scheiterhaufen    auf.3)     Der   Legat    bot    das    eroberte   Land    zuerst    dem 
Herzog   von  Burgund,    dann   den    Grafen   von  Xevers   und  St.  Pole  an. 


*)  Potth.,  Regg.  2103,  2225,  2373,  2404.  (Philippum  exhortatur,  ut  contra  haereticos 
per  se  ipsum  vel  per  Ludovicum  filium  suum  .  .  potenter  assurgat  .  .),  3223. 

2)  ut Raimundum  Petri  d.  C  N.  occisorem . .  eiusque  socios  excommunicatos  nuneient . . 

3)  S.  die  Schilderung  bei  Luchaire,  p  268  ff . 


Simon  von  Montfort  und  die  Unterwerfung  der  Albigenser.  51 

Minder  spröde  als  diese  nahm  Montfort  das  von  jenen  zurückgewiesene 
Geschenk  an  und  wurde  Herr  von  Beziers  und  Carcassonne,  dessen  legi- 
timer Besitzer  im  Kerker  »verschwand,  man  weifs  nicht  wie«.  Simon  von 
Montfort  durfte  noch  mehr  erwarten.  Raimund  VI.  von  Toulouse  hatte 
nur  mit  Widerstreben  am  Kampf  gegen  seine  eigenen  Untertanen  Anteil 
genommen,  sich  hiedurch  aber  verdächtig  gemacht.  Nun  wurden  über- 
spannte Forderungen  an  ihn  laut,  wie  die,  alle  jene  auszuliefern,  die  ihm 
als  Ketzer  bezeichnet  würden.  Selbst  der  Papst,  an  den  er  sich  mit  seinen 
Klagen  wandte,  fand  die  Forderungen  unbillig,  tat  aber  dem  Vorgehen 
seiner  Werkzeuge  nicht  nur  nicht  Einhalt,  sondern  überliefs  ihnen  die  Ent- 
scheidung. Raimund  wurde  schliefslich  aufs  neue  gebannt  (1210)  und 
sein  Land  in  mehrjährigem,  grauenvollem  Kampfe  verwüstet.  Aufser- 
stande, sich  gegen  Montfort  zu  halten,  rief  er  seinen  Schwager  Pedro  IL 
von  Aragonien  zu  Hilfe.  Vergebens  mahnte  dieser  die  auf  der  Synode 
zu  Lavaur  (1213,  Januar)  versammelten  Erzbischöfe  und  Bischöfe,  dahin 
zu  wirken,  dafs  die  den  Grafen  von  Toulouse,  Foix,  Bearn  und  Coim 
minges  entrissenen  Güter  wieder  zurückgestellt  würden,  und  der  Papst, 
an  den  er  sich  klagend  gewandt  hatte  und  der  an  dem  fahrigen  Wesen 
Montforts  wenig  Gefallen  hatte,  forderte  diesen  auf,  als  Graf  von  Beziers 
und  Carcassonne  seine  Lehenspflichten  gegen  Aragonien  zu  erfüllen  und 
die  den  Grafen  von  Bearn,  Comminges  und  Foix  zugefügten  Unbilden 
wieder  gut  zu  machen,1)  aber  die  Synode  wufste  den  Papst  umzu- 
stimmen, so  dafs  er  den  König  vor  einer  Unterstützung  der  »Häretiker« 
warnte.2)  Pedro  IL  griff  nun  selbst  zu  den  Waffen,  wurde  jedoch  in  der 
Schlacht  von  Muret  (1213,  12.  .September)  geschlagen  und  getötet. 
Dieser  Sieg  war  entscheidend ;  da  Peters  Nachfolger  noch  ein  Kind  war, 
konnte  die  Grafschaft  Toulouse  um  so  leichter  in  fremde  Hände  ge- 
langen. Die  Synode  von  Montpellier  erklärte  (l^lö,  Januar)  Raimund 
seines  Landes  verlustig  und  wählte  an  seiner  Statt  Simon  von  Montfort. 
Raimund  hatte  bisher  vergebens  bei  Philipp  IL  August  Hilfe  gesucht. 
Nun  ging  er  mit  seinem  Sohne  nach  England.  Seine  Gebiete  fielen 
dem  Sieger  zu,  und  das  grofse  Laterankonzil  gab  1215  hiezu  die  Be- 
stätigung. Dem  Grafen  wurde  ein  spärliches  Jahresgeld  ausgeworfen, 
sein  Sohn  Raimund  VII.  mit  einem  kleinen  Teil  der  Grafschaft  Tou- 
louse und  einigen  Besitzungen  in  der  Provence  abgefunden.  Unter 
Honorius  III.  erhielt  auch  der  Graf  von  Foix  und  wohl  auch  der  von 
Comminges  seinen  Besitz  zurück.  Mit  den  auf  dem  Laterankonzil  ge- 
troffenen Verfügungen  war  aber  der  Albigenserkrieg  noch  nicht  be- 
endet. Als  Raimund  VI.  und  sein  Sohn  in  der  Provence  erschienen, 
fanden  sie  grofsen  Zulauf  und  wurden  zu  einem  neuen  Versuche,  auch 
ihr  übriges  Erbgut  den  verhafsten  Fremdlingen  zu  entreifsen,  mehr  ge- 
zwungen als  ermuntert.  Es  kam  zu  neuen  Kämpfen ;  doch  handelt  es 
sich  jetzt  nicht  mehr  um  den  Glauben,  sondern  um  die  Interessen  der 
Häuser  Montfort    und   Toulouse.     Simon    fiel    bei    der    Belagerung    von 


J)  Potthast,  Regg.  4647,  4657. 
*)  4741. 

4* 


52  Ludwig  Vm.     Austilgung  der  Albigenser. 

Toulouse  von  einem  Schleuderst  ein  getroffen  (1218,  25.  Juni).  Von  seinen 
vier  Söhnen  erhielt  Amalrich  den  französischen  Besitz,  ein  jüngerer,  nach 
dem  Vater  genannter  Sohn,  die  Grafschaft  Leicester.  Weniger  zurück- 
haltend als  Philipp  IL  August  hatte  sich  der  französische  Kronprinz 
Ludwig  in  der  Teilnahme  am  Kampf  gegen  die  Ketzer  erwiesen.  Schon 
1215  hatte  er  infolge  eines  Gelübdes  eine  Kreuzfahrt  unternommen.  Als 
nun  Amalrich  sich  zu  schwach  erwies,  um  sich  gegen  seine  Gegner  zu 
behaupten,  forderte  Honorius  III.  den  König  Philipp  auf,  ihm  beizu- 
stehen. Dieser  hielt  sich  auch  diesmal  fern,  gestattete  aber  seinem  Sohn 
eine  zweite  Kreuzfahrt  nach  dem  Süden,  wo  es  zu  neuerlichen  Schläch- 
tereien kam.  Man  tötete,  sagt  Wilhelm  von  Bretagne  da,  wo  er  von 
dem  Blutbad  von  Marmande  spricht,  alle  Bürger  mit  ihren  Frauen  und 
Kindern,  alle  Einwohner  bis  zur  Zahl  von  5000.  1219  kehrte  Ludwig 
nach  Frankreich  zurück.  Raimund  VI.  behauptete  sich  bis  zu  seinem 
Tod  (1222)  im  Besitz  seines  Landes.  Seinen  Sohn  Raimund  VII.  umgab 
nicht  einmal  der  Schein  eines  Ketzers.  Nichtsdestoweniger  wurde  gegen 
ihn  weiter  gekämpft.  Noch  am  1.  Februar  1222  forderte  Honorius  III. 
den  König  zu  kräftiger  Teilnahme  auf,  da  die  Sache  des  Glaubens  im 
Lande  der  Albigenser  schlecht  stehe.  Wenige  Monate  später  bot  er 
ihm  die  Besitznahme  der  Grafschaft  in  förmlicher  Weise  an1);  auch 
Amalrich  war  bereit,  seinen  Besitz  gegen  eine  Entschädigung  an  die 
Krone  abzutreten.2)  Aber  Philipp  IL  August  starb  bereits  am  14.  Juli 
1223.3)  Erst  Ludwig  VIII.  (1223—1226)  ging  auf  die  Anträge  Amal- 
richs  ein  (1224)  und  begann  den  Kampf  gegen  Raimund  VII.  Drei 
Jahre  lang  leistete  dieser  einen  erfolgreichen  Widerstand.  Nach  dem 
Tode  Ludwigs  VIII.  (1226)  führten  dessen  Feldherren  den  Krieg 
weiter,  bis  völlige  Erschöpfung  Raimund  VII.  zwang,  die  Waffen  nieder- 
zulegen. Er  trat  nun  den  gröfsten  Teil  seines  Besitzes  an  die  Krone 
ab  (1229);  der  Rest  wurde  ihm  unter  der  Bedingung  gelassen,  dafs 
seine  männlichen  Blutsverwandten  von  jedem  Erbrecht  ausgeschlossen 
sein  und  das  Erbe  an  die  Tochter  fallen  solle,  die  er  mit  dem  Bruder 
des  Königs  vermählen  würde.  Besondere  Artikel  setzten  die  Austilgung 
der  Ketzerei  fest.  Raimund  VII.  mufste  sich  schliefslich  noch  einer 
demütigenden  Kirchenstrafe  unterziehen  und  die  Ketzerei  abschwören. 
Erst  dann  wurde  er  vom  Kirchenbanne  gelöst. 

§  12.  Die  Staaten  der  Pyrcnäischen  Halbinsel  im  Zeitalter  Innozenz'  III. 

Quellen.  Sammlungen  bei  Potthast  I,  S.  XXIV,  XXIX.  Zur  Bibliographie 
Ticknor,  Gesch.  d.  schönen  Lit.  in  Spanien.  Deutsch  v.  Julius,  X.  A.  Leipz.  1867 
(s.  d.  Bemerkung  von  R.  Beer,  Span.  Lit. -Gesch.  Leipz.  1903  S.  142).  Gröber,  Grund- 
rifs  der  Rom.  Philologie  LT,  Strafsburg  1897.  Für  die  einzelnen  Länder :  E  Schmidt, 
Gesch.  Aragoniens  im  MA.  Leipz.  1828  S.  470— 479.  Alf  r.  Morel  Fatio,  Katal. 
Literatur  in  Gröber  LT,  2,  70  ff.  De  Monde  jar,  Noticia  y  judicio  de  los  mas  princi- 
palea  historiadores   de  Espafia.  Madrid  1784   (Struve.  Bibl.    histor.  VI,    1).     Clave  de  la 


'      »)  Regg.  6779. 
8)  6828. 

3)  S.  die  Charakterzeichnung  Philipps    auf    Grund   der   zeitgenössischen   Quellen 
bei  Luchaire,  p.  279  ff. 


Die  pyrenäischen  Staaten  und  das  Papst  [um.  53 

Espafia  sagrada,  Index  zu  dem  berühmten  Werk  in  Colecciön  de  los  Doc.  ined.  XXII. 
B a i s t ,  Die  span.  Literatur,  Gröber  II,  2,  383  ff.  Schmauss,  Verzeichnis  derer  Skri- 
benten etc.  in  seinem  »Der  neueste  Staat  von  Portugal <.  Halle  1714  (s.  auch  Baxmann 
HZ.  IX,  105).  Carolina  Michaelis  u.  Theophilo  Braga,  Gesch.  d.  port.  Lit.  in  Gröber s 
Grundrifs  II,  2,  129  ff.  Für  Spanien  s.  auch  d.  bibliograph.  Anhang  in  Beers  Span. 
Lit.-Gesch.  S.  141.  Für  die  arabischen  Quellen:  F.  Wüstenfeld,  Die  Geschicht- 
schreiber der  Araber  und  ihre  Werke,  XXVIII.  u.  XXIX.  Bd.  der  Abh.  der  Kgl.  Gesell- 
schaft der  Wissenschaften  in  Göttingen  (auch  separat  ebenda  1882).  Dozy,  Recherches 
sur  l'hist.  et  la  litterature  d'Espagne,  3.  Aufl.  Leiden  1882.  Urkk.,  Akten  u.  Kor- 
respondenzen. Für  Span.  s.  die  Sammlung:  Colecciön  de  doc.  ineditos.  Für  die 
ersten  30  Bde.  den  Index  in  Bd.  XXX.  Üb.  d.  Samml.  Hist.  Z  67,  554.  Für  die  kirchl. 
Verhältnisse  aller  Länder:  Aguirre,  Collectio  conciliorum  Hispaniae.  Rom  1693. 
Mansi,  Coli.  Concil.  XIX,  XX.  Raynaldi  Ann.  Eccl.  Potthast,  Regg.  pontiff. 
Castilien:  Colecciön  de  Cedulas,  Cartas,  Patentes.  6  Bde.  Madr.  1829 — 1835.  Fuero 
Juzgo  (Forum  iudicum).  Madr.  1815  Espejo  de  todos  los  derechos  (Spiegel  aller  Rechte 
1255  abgef.)  u.  Las  Siete  Partidas  (die  sieben  Abteilungen)  in  Opusculos  legales  del 
Rey  Alfonso  el  Sabio  p.p.  la  R.  Acad.  Madr.  1836.  Aragonien:  s.  Schmidt  wie 
oben.  Daraus  besonders :  Fueros  y  observancias  des  las  costumbres  escriptas  del  reyno 
de  Aragon  1576.  S.  auch  Gröber  II,  2,  102  u.  Cadier,  Les  archives  d' Aragon  et 
de  Navarre  BECh.  XLIX.  Portugal:  Santarem,-  Corpo  dipl.  1846  ff.  Quadro  elementar  das 
relacöes  politicas  e  diplomaticas.  Paris  1842,  fortges.  n.  Rebello  da  Silva.  —  Ordenacoens 
do  Senhor  Rey  D.  Affonso  V.  5  Bde.  Coimbra  1786.  Libro  Vermelho  do  Senh.  rey  D- 
Affonso  V.  Colleccaö  de  livros  ineVl.  IH  (enthält  Briefe,  Urkk  ,  Ordnungen,  Foros  etc.). 
Fragmentos  de  legisl.  escritos  no  livro  chamado  antigo  das  posses  da  casa  da  suppli- 
cacaö  ib.  543 — 666.  Foros  antigos  dos  concelhos  de  Graväo,  Guarda  e  Beja  etc. 
Coli.  V,  365.  Foros  antigos  de  Santarem  ib.  527 — 640  (Foros  aus  dem  14.  Jahrh.).  Leges 
et  Consuetudines,  Diplom,  et  Chartae,  Inquisitiones  in  MM.  Portug.  hist.  vol.  1.  fasc.  1 — 6. 
Adelsbücher  (livros  de  linhagem)  in  der  Sprache  des  13—15  Jahrh.  mit  offiz.  Charakter, 
ib.  132—390.     S.  auch  Haebler  in  einzelnen  Bänden  d.  JBG. 

Darstellende  Quellen.  Die  erste  Gesamtgeschichte  schrieb  der  Erzbischof 
Rodrigo  Simonis  (Ximenes)  von  Toledo  (f  1247) :  Chronica  Hispaniae  .  .  libri  IX  bis  1243 
ed.  Bei.,  Rer.  Hisp.  SS.  I,  Nr.  4  (Potth.  II,  979).  Lucas  diaconus,  Chronic,  mund.  bis 
1236.  Schott,  Hisp.  illustr.  IV,  1 — 117.  Ann.  Compostellani  bis  1249,  Florez.,  Espana 
sagrada  XXIII.  Annales  Toledanos  ib.  bis  1217.  Chronic.  Burgense  bis  1212  ib.  Eman. 
Cerratensis  Chron.  Hispanie  bis  1282.  Esp.  sagr.  IL  Die  Epistola  ad  Innocentium  de 
clade  ap.  Tolosam  ed.  Herold.  Basel  1549.  Die  Quellen  zur  Gesch.  Alfons'  des  Weisen 
s.  §  83.  —  Chronicon  Barcinonense  bis  1310.  Esp.  sagr.  XXVIH.  —  breve,  d'Achery 
Spie.  X.  Gesta  comit.  Barcinonensium  ed.  de  Marca,  Marc.  Hisp.  346.  Chronic.  Ulianense 
ib.  758.  Jacme,  Crönica  o  commentari  del  .  .  .  rey  En  Jacme  etc.  Biblioth.  Catal. 
Barcel.  1879  (s.  BECh.  XLIX,  61),  begonnen  vor  1238  (s.  Potth.  I,  630).  Die  übrigen 
Quellen  zur  arag.  Gesch.  s.  §  83.  —  Chronica  breve  do  Archivo  National,  Port.  MM. 
hist.  SS.  I  bis  1335.  Chronicas  breves  e  Memorias  avulsas  de  S.  Cruz  ib.  23—32.  Livro 
da  Noa  de  S.  Cruz  bis  1406.  Sousa  Provas  I,  375.  Cronica  da  Conquista  do  Algarve. 
Port.  MM.  SS.  I,  415.  Chronicon  Lamecense  ib.  I.  Chron.  Gothorum  bis  1222  ib- 
Chronic.  Conimbric.  bis  1364  ib.  —  Vida  de  S.  Isabel,  Mon.  Lus.  VI,  495.  Galväo 
Duarte,  Chronica  de  Don  Affonso  Henriques  primeiro  rey  de  Portugal  ed.  Ferreyra. 
Lisb.  1726.  Ruy  de  Pina,  Chronica  do  muito  alto  e  muito  esclarecido  principe 
D.  Sancho  I,  segundo  rey  de  Portugal,  ed.  Ferreyra.  Lisb.  1727.  Chronica  de  Affonso  IL  .  .  . 
Sancho  IL  .  .  .  Affonso  III.  ib.  Die  übrigen  Werke  Pinas  s.  §  83.  Arab.  Quellen :  Ibn 
el  Chatib  s.  Wüstenfeld  Nr.  439.     Makkari  ib.  Nr.  559. 

Hilfsschriften.  Mariana,  Hist.  gen.  de  Esp.  Val.  1785.  Ferrera,  Allg. 
Historie  v.  Spanien.  Deutsch  v.  Baumgarten.  Halle  1755.  Lafuente,  Historia  general 
de  Espana.  tom.  IV — IX  (bis  an  den  Ausg.  d.  MA.).  St.  Hilaire,  Hist.  d'Espagne. 
Paris  1897 — 65.  Lembke,  Schäfer,  Schirrmacher,  Gesch.  v.  Span.  (Aus  Gesch. 
d.  eur.  Staaten.)  Hamb.  (Gotha)  1831 — 1893.  6  Bde.  bis  1492.  D  i  e  r  k  s ,  Gesch.  Spaniens. 
2  Bde.  Berl.  1895/6.  Burke,  A  History  of  Spain  from  the  earliest  times  to  the  death 
of  Ferdinand  the  Catholic.    Lond.  1895/  2  Bde.  (Bd.  1  S.  XIV  ff.     Ang.  über  die  einschl. 


54  Päpstliche  Einflüsse  auf  die  pyrenäischen  Staaten. 

Literatur).  AI  ta  m  i  r  a  y  Orevea,  Historia  de  Espana  y  de  la  eivilizaciön  espafiola . 
Barcel.  1900 — 1902.     Hume,  The  Spanish  People,  their  Origin,  Growth  and  Influence. 

Lond.  1901.  Ortega,  Compendio  de  bist,  de  Esp.  torn.  1,  2.  Yallad.  1889.  Colmeiro, 
Reyes  christianos  desde  Alfonso  VI.  basta  Alfonso  XI.  in  Castilla,  Aragon,  Nävarra  y 
Portugal  I.  Madr  1891.  Aschbach3  Gesch.  Spaniens  u.  Portugals  zur  Zeit  d  Herr- 
schaft d.  Alrnoraviden  u.  Almohaden.  2  Bde.  Frkft.  1833 — 37.  Codera,  Decadeneia 
y  desaparicion  de  los  Almoravides  en  Espana.  Zaragoza  1899.  Brauchbar  ist  auch 
noch  Schlosser:  Weltgesch.  in  zusammenhängender  Erzählung  IV,  2  Die  allg. 
Gesch.  d.  MA.  von  Rehin  u.  Assmann.  Für  die  kirchl.  Verhältnisse:  Garns, 
Kirchengesch.  v  Spanien.  III.  Regensb.  1862.  Einzelne  Länder:  Zurita,  Anales 
de  la  Corona  de  Aragon.  Sarag.  1562.  Schmidt  wie  oben.  G.  G.  Gervinus,  Versuch 
einer  inneren  Gesch.  Aragoniens.  Hist.  Sehr.  Frkft.  1853.  Bofarull  y  Broca,  Hist. 
crit  civ.  et  eccl.  de  Catal.  Bare.  1876 — 78.  Balaguer,  Hist.  de  Cataluna.  Madr.  189/).  — 
Instituciones  y  reyes  de  Aragon.  Madrid  1895.  Tourtoulon,  Jacme  I,  le  Conquerant, 
roi  d' Aragon.  1863 — 67.  —  Sousa,  Hist.  gen.  da  casa  real  Portugueza.  Liss.  1735 — 47. 
Dazu  die  Provas  Lisb.  1739—48.  Herculano,  Hist.  d.  Port.  Lisb.  1846.  Schäfer, 
Gesch.  v.  Portugal.  Bd.  1  u.  2.  Hainb.  1836 — 39.  P.  de  Gayangos,  The  history  of 
the  Mohammedan  dynasti.es  in  Spain.  Bd.  1840—43.  D.  Müller,  Der  Islam  im  Morgen- 
u.  Abendland,  n  Bd.  Berl.  1887.  Conde,  Hist.  de  la  domin.  de  los  Arabes  en  Espana. 
t.  II  u.  IH.     (S.  aber  Müller  II,  433.      Lafuente,  Hist.  de  Granada     1846. 

1.  Nachhaltiger  und  vor  allem  viel  früher  als  in  den  übrigen 
Staaten  des  Westens  machte  sich  der  päpstliche  Einflufs  in  den  christ- 
lichen Staaten  der  Pyrenäischen  Halbinsel  geltend.  Zu  den  ersten  Ver- 
suchen der  Kurie,  den  Sonderrechten  der  spanischen  Kirche  ein  Ende 
zu  machen,  kamen  seit  Gregor  VII.  die  allgemeinen  Ansprüche  des 
Papsttums  hinzu,  die  auf  die  Beeinflussung  der  einzelnen.  Staaten  auch 
in  rein  weltlichen  Fragen  abzielten.  Die  seit  den  Kreuzzügen  mit 
gesteigerter  Kraft  geführten  Glaubenskriege  erhielten  auch  in  Spanien 
vom  Papsttum  die  mächtigste  Anregung,  und  mit  den  kriegerischen 
Erfolgen  steigerte  sich  dessen  Ansehen  in  allen  christlichen  Staaten  der 
Halbinsel.  Schon  Papst  Alexander  IL  hatte  einen  Legaten  nach  Ara- 
gonien  gesandt,  um  an  Stelle  der  gotischen  die  römische  Liturgie  ein- 
zuführen1); König  Sancho  Ramirez  verpflichtete  sich,  dem  päpstlichen 
Stuhl  alljährlich  500  Goldstücke  zu  zahlen,  und  Gregor  VII.  erklärte 
dieses  Geschenk  bereits  als  einen  Tribut  und  sah  Aragonien  als  zins- 
pflichtiges Land  an. 2)  Schon  nahmen  die  Legaten  das  Recht  in  Anspruch, 
Konzilien  —  zugleich  die  Reichstage  —  zu  berufen,  Bischöfe  einzusetzen, 
und  dehnen  ihren  Einflufs  selbst  auf  die  unter  arabischer  Herrschaft 
stehenden  (mozarabischen)  Christen  aus.  Die  Nachfolger  Gregors  VII. 
schritten  auf  diesen  Bahnen  weiter.  In  Katalonien,  Aragonien  und 
Navarra  wurde  die  römische  Liturgie  eingeführt;  nur  in  Kastilien  hielten 
Klerus  und  Volk  an  der  gotischen  fest.  In  Portugal  hatte  schon  der 
Begründer  des  Reiches  die  päpstliche  Oberhoheit  und  die  Verpflichtung 
eines  Lehenszinses  anerkannt  und  hiefür  von  Alexander  III.  die  Be- 
stätigung seiner  königlichen  Würde  erhalten.  Viel  stärker  machte  sich 
der    päpstliche    Einflufs    unter    Innozenz  III.    geltend.     Alfonsos    Sohn, 

*)  Hefele  IV,  883  und  Jaffe,  2.  Aufl.,  Xr.  4691 :  Hugonem  Candidum  .  .  in  partes 
illas  misimus,  qui  .  . .  confusos  ritus  .  .  reformavit  .  .  .  :  tributum  unius  unciae  auri 
Lateranensi  palatio  quotannis  persolvatur. 

2)  »Regnum  Hispaniae  ex  antiquis  constitutionibus  beato  Petro  et  sanete  Romanae 
ecclesiae  in  ius  et  proprietatem  esse  traditum.    ib.  5041. 


Innozenz.  III.  and  der  Kampf  gegen  die  Alrnohoden.  55 

Sancho  I.  (1185 — 1211),  erkannte,  wenngleich  nach  einigem  Zögern, 
seines  Reiches  Zinspflicht1)  dem  Papste  gegenüber  an.  Der  König  von 
Aragonien,  Pedro  IL  (1196—1213),  schlofs  sich,  um  die  Anmafsung 
seiner  Grofsen,  die  das  Wahlrecht  beanspruchten,  und  die  Ansprüche 
Kastiliens  auf  die  Lehenshoheit  über  Aragonien  abzuwehren,  ganz  an 
Innozenz  III.  an  und  liefs  sich  von  ihm  (1204,  11.  November)  in  Rom 
zum  Könige  krönen.  Demütig  legte  er  seine  Krone  am  Grabe  der 
Apostel  nieder  und  verpflichtete  sich  zu  einem  jährlichen  Zins.  Zwar 
lehnten  sich  die  Grofsen  dagegen  auf  und  sprachen  dem  König  das 
Verfügungsrecht  über  die  Krone  ab;  aber  dieser  Protest  verhallte 
wirkungslos,  denn  mehr  als  früher  machte  die  politische  Lage  den  christ- 
lichen Staaten  der  Halbinsel  den  engsten  Anschlufs  an  das  Papsttum 
zur  Pflicht.  Nach  der  Niederlage,  die  Jacub  Almansor  (1194 — 1199) 
dem  Könige  Alfonso  VIII.  von  Kastilien  (1188— 1214)  bei  Alarcos 
(1195)  beigebracht  hatte,  schien  der  Untergang  der  christlichen  Staaten 
der  Halbinsel  besiegelt  zu  sein:  Kastilien  war  von  Leon  und  Navarra 
mit  Krieg  überzogen,  Aragonien  durch  inneren  Zwist  zerrüttet  und 
Portugal  allein  aufser stände,  dem  Andrang  der  Almohaden  zu  wider- 
stehen. Kam  es  doch  so  weit,  dafs  sich  Leon  mit  ihnen  verbündete. 
Zum  Glück  für  die  Christen  hatte  Almansors  Sohn,  Mohammed  en  Nasir, 
weder  die  militärischen  noch  auch  die  diplomatischen  Talente  seines 
Vaters  geerbt.  Nachdem  er  einen  Aufstand  der  Almoraviden  im  nörd- 
lichen Afrika  niedergeschlagen  und  dem  Rest  ihrer  Herrschaft  auf  den 
Balearen  ein  Ende  gemacht  hatte  (1208),  wandte  er  sich  nach  Kastilien, 
wo  Alfonso  auf  Betreiben  des  Papstes  den  Kampf  bereits  begonnen 
hatte.  Mit  ungeheuren  Heeresmassen  —  man  schätzte  sie  auf  eine  halbe 
Million  —  zog  er  heran.  Der  kräftige  Widerstand  der  Bergfeste 
Salvatierra,  vor  welcher  der  Aimohade  drei  kostbare  Monate  verlor, 
rettete  das  christliche  Spanien.  Um  seine  Verluste  zu  ersetzen,  zog  sich 
der  Sultan  nach  Sevilla  zurück  und  liefs  seinen  Gegnern  Zeit,  ihre 
Rüstungen  zu  vollenden.  Ihre  Führung  übernahm  Alfonso  VIII. ,  aber 
die  Seele  der  ganzen  Bewegung  auf  christlicher  Seite  war  Innozenz  HL, 
denn  er  wirkte  mit  solchem  Eifer  für  die  Kreuzfahrt,  dafs  an  70000 
Streiter  aus  den  christlichen  Ländern  nach  Spanien  gingen.  Die  Könige 
von  Kastilien  und  Aragonien  beteiligten  sich  persönlich,  die  von  Portugal 
und  Leon  waren  durch  Prinzen  ihres  Hauses  vertreten,  der  König  von 
Navarra  wurde  erwartet.  Die  aus  dem  Abendland  einfliefsenden  Summen 
setzten  Alfonso  in  die  Lage,  einen  Sold  zu  zahlen.  In  Rom  ordnete 
Innozenz  III.  Bufsgebete  an  und  hielt  selbst  die  Kreuzpredigt,  Nachdem 
die  Kreuzfahrer  Calatrava  gewonnen,  zog  ein  Teil  heimwärts,  die  übrigen 
eroberten,  verstärkt  durch  die  Kriegsscharen  Navarras,  Alarcos  und 
zogen  dann  über  den  Pafs  Muradal  am  Nordabhang  der  Sierra  Morena 
weiter.  Ein  Bauer  führte  das  Heer  auf  schmalem  Pfade  zu  einem 
erwünschten  Kampfplatz.  Am  16.  Juli  1212  kam  es  bei  Navas  de 
T  o  1  o  s  a  zur  Schlacht,  die  durch  die  klugen  Mafsnahmen  König  Pedros  II 


*)  Quod  est  Romanae  ecclesiae  censuale.    Potth.  Nr.  447. 


56  Navas  de  Tolosa.     Kastilien  Vormacht  der  pyrenäischen  Staaten. 

von  Aragonien  und  die  Ausdauer  der  spanischen  Ritterschaft  für  die 
Christen  gewonnen  wurde. l)  Die  Verluste  der  Mauren  auf  der  Flucht 
waren  noch  gröfser  als  während  der  Schlacht.  Der  älteste  Sohn  Nasirs 
fiel.  Die  Beute  der  Sieger  war  eine  aufserordentliche.  Das  seidene 
Zelt  und  die  golddurchwirkte  Fahne  Nasirs  schickte  Alfonso  VIII.  an 
den  Papst,  der  sie  in  der  Peterskirche  ausstellte.  Die  Almohaden  haben 
sich  von  dieser  Niederlage  nicht  wieder  erholt;  der  Sieg  des  Kreuzes 
über  den  Halbmond  war  hier  entschieden,  und  so  bildet  Navas  de  Tolosa 
ein  Gegenstück  zu  Xeres  de  la  Frontera.  Das  Reich  der  Almohaden  löste 
sich  in  den  nächsten  Jahrzehnten  auf.  Kleinere  Reiche  entstanden, 
von  denen  keines  dem  Andringen  der  Christen  gewachsen  war. 

2.  Bei  dem  Verdienst  des  Papsttums  um  die  Abwehr  der  Araber 
steigerte  sich  der  Einnufs  der  Kurie  auf  alle  Verhältnisse  der  Halbinsel 
auf  das  höchste.  Von  den  Fürsten,  die  am  Kampfe  beteiligt  gewesen, 
fiel  Pedro  IL  bei  Muret  (§  11).  Sein  Sohn  Jayme  IL  (1213 — 1276) 
eroberte  im  Kampfe  gegen  die  Mauren  (1224 — 1233)  die  Balearen  und 
mit  Hilfe  französischer  und  englischer  Kreuzfahrer  Valencia  (1238),  auf 
dessen  Gebiet  Katalanen  angesiedelt  wurden.  Mit  der  Eroberung  von 
Xativa  (1244)  waren  die  Erwerbungen  Aragoniens  nach  dieser  Seite 
hin  abgeschlossen.  Wie  von  Pedro  IL,  nahm  Rom  auch  von  Jayme 
den  Tribut  in  Anspruch ;  doch  folgte  dieser  mehr  den  eigenen  als  den 
Plänen  der  Päpste.  Bedeutend  als  Eroberer,  gröfser  als  Gesetzgeber2), 
verfuhr  er  gegen  die  Unterworfenen,  deren  Glauben  und  Satzungen  er 
unangetastet  liefs,  mit  Milde. 

3.  In  Kastilien  war  auf  den  Sieger  von  Navas  de  Tolosa  sein 
Sohn  Heinrich  I.  (1214 — 1217)  gefolgt.  Nach  dessen  frühem  Tode  ge- 
langte der  Sohn  seiner  Schwester  Berengaria,  die  mit  Alfonso  TX.  von 
Leon  vermählt  war,  Fernando  III.  (1217 — 1252),  der  Gemahl  Beatricens, 
der  jüngsten  Tochter  König  Philipps  von  Schwaben,  zur  Regierung. 
Honorius  III.  erkannte  Fernando  nicht  blofs  als  König  von  Kastilien, 
sondern  auch  (1218)  als  rechtmäfsigen  Nachfolger  im  Königreiche  Leon 
an3):  die  Vereinigung  beider  Länder  wurde  1230  nach  Alfons  IX.  Tode 
vollzogen.  Mit  Kastilien  waren  nunmehr  Leon,  Asturien,  Galizien  und 
das  den  Arabern  abgenommene  Estremadura  vereinigt;  es  war  somit 
der  mächtigste  unter  den  christlichen  Staaten  der  Halbinsel  geworden. 
Die  Kämpfe  gegen  die  Araber  wurden  eifrig  weiter  geführt;  dem  grofsen 
Sieg  des  von  Dichtung  und  Sage  gefeierten  kastilischen  Helden  Alvaro 
Perez  de  Castro  bei  Jerez  (1231)  über  Ibn  Hud,  der  sich  gegen  die  im 
arabischen  Spanien  verhafsten  Almohaden  erhoben  hatte,  folgte  fünf 
Jahre  später  die  Eroberung  des  reichen  Cördova,  das  seit  520  Jahren 
Hauptplatz  des  islamitischen  Spanien  gewesen,  und  12  Jahre  später  die 
von  Sevilla.  300000  Moslemen  verliefsen  die  Stadt,  die  meisten  zogen 
nach  Granada.    Das  ganze  Mündungsgebiet  des  Guadalquivir  fiel  Kastilien 

x)  Köhler,   Kriegsw.  HI,  276. 

2)  Näheres  wird  eine  andere  Abteil,  dieses  Werkes  bringen. 

3,  Potth.,  Uegg.  5866. 


Portugal  uikI  das  Papsttum.  57 

zu.  Die  Araber  behaupteten  sich  unter  der  Herrschaft  der  Benu  1'  Achmer, 
d.  h.  der  Söhne  des  Roten  oder  Nasriden,  nur  noch  im  Gebirgslande 
der  Sierra  Nevada,  im  Reiche  Granada,  doch  auch  hier  nur  noch  als 
Vasallen  des  kastilischen  Reiches.  Schon  dachte  Fernando  III.  daran, 
nach  Marokko  zu  ziehen,  wohin  ihn  Hilferufe  dort  angesiedelter  Kastilier 
riefen;  aller  Voraussicht  nach  waren  damit  die  Tage  des  Islam  in 
Spanien  gezählt;  ehe  der  König  sein  Unternehmen  aber  noch  ins  Werk 
setzen  konnte ,  starb  er  (1252).  Seine  Frömmigkeit  verschaffte  ihm 
schon  zu  Lebzeiten  den  Beinamen  des  Heiligen. 

4.  In  Portugal  hatte  König  San cho  I.  (1185 — 1211)  die  Anwesen- 
heit einer  Kreuzfahrerrlotte  in  Lissabon  benützt,  um  das  feste  Silves  in 
Algarve  zu  erobern  (1189).  Er  nannte  sich  nun  bis  zum  Verluste  dieser 
Stadt  König  von  Portugal  und  Algarvien.  Ein  warmer  Freund  des 
Bauernstandes  (el  Lavrador),  sorgte  er  für  die  Kolonisierung  verödeter 
Landstriche,  die  Zuwanderung  (el  Poblador)  in  die  verfallenen  Städte 
und  Flecken,  denen  er  Rechte  und  Freiheiten  verlieh.  Nur  mit  Wider- 
streben ertrug  er  die  Zinspflichtigkeit  Portugals  an  den  päpstlichen 
Stuhl,  und  ein  Streit  mit  den  Bischöfen  von  Coimbra  und  Porto  hatte 
das  Einschreiten  und  schliefslich  den  Bannfluch  Innozenz'  III.  zur  Folge. 
Erst  auf  dem  Totenbett  versöhnte  er  sich  mit  der  Kirche.  Auch  seinen 
Sohn  Alfons  IL  (1211—1223)  und  Enkel  Sancho  IL  (1223—1245) 
brachten  die  Ansprüche  der  portugiesischen  Geistlichkeit  in  mehrfache 
Konflikte  mit  dem  Papsttum.  Sancho  wurde  infolgedessen  auf  der 
Kirchenversammlung  zu  Lyon  abgesetzt.  Sein  Bruder  Alfonso  III. 
(1248 — 1279)  dehnte  in  glücklichen  Kämpfen  das  Reichsgebiet  über 
ganz  Algarvien  aus.  Wiewohl  Alfonso  durch  den  Papst  auf  den  Thron 
gelangt  war,  geriet  er  in  einen  Streit  mit  der  Kurie,  als  sich  die  höhere 
Geistlichkeit  des  Landes  über  seine  Eingriffe  in  ihre  Vorrechte  und  ihr 
Eigentum  beklagte.  Da  er  die  Abstellung  ihrer  Beschwerden  fort- 
während hinauszog,  traf  ihn  der  Bannstrahl  des  Papstes.  Erst  auf  dem 
Totenbett  vollzog  auch  er  seine  Aussöhnung  mit  der  Kirche. 

§  13.    Innozenz  III.  und  die  germanischen  Staaten  im  Norden  Europas. 
Erhebung-  Dänemarks  zur  Grofsniacht  und  ihr  Sturz. 

Quellen.  Sammlungen  der  SS.  bei  Potthast.  I.  Bd.  S.  XII  u.  XXXI.  Urkk. 
1.  Dänemark:  Regg.  diplom.  hist.  Dan.  1847.  Bd.  I,  S.  55  (822—1536).  Repertorium 
diplom.  regni  Dan.  mediaev.  I.  Kop.  1894/95,  reicht  bis  1350.  Materialien  auch  in 
Langebeck,  SS.  rer.  Danicarum.  tom.  III  ff.  (Daraus  der  Liber  census  Daniae  tem- 
pore .  .  Waidemari  II.  et  Christophori  I.  (1231—54)  confectus.  Langeb.  VII,  517—1553.) 
Diplomata  ad  monasterium  Loci  Dei  pertinentia  1173 — 1578  ib.  VIII,  1 — 258).  Nor- 
wegen u.  Island.  Diplom atarium  Norwegicum  edd.  Lange,  Unger,  Hritfeld.  10  Bde. 
Christ.  1849.  Regg.  Xorw.  ed.  Storni  1898.  Diplomatar.  Islandicum  (reicht  bis  1264). 
Kopenh.  1857 — 76.  Schweden:  Diplomatarium  Suecanum  edd.  Liljegren.  B.  E.  Hilde- 
brand, E.  Hildebrand  och  Silverstolpe.  9  Bde.  Stockh.  1829—1890.  Sveriges  traktater 
med  främmande  makter  ed.  Rydberg  I  u.  II.  Der  zweite  Teil  reicht  bereits  ins 
15.  Jahrh. 

Darstellende  Quellen.  Dänemark  (s.  Usinger,  Die  dänischen  Annalen 
u.  Chroniken  d.  MA.  Hann.  1861.  D.  Schäfer,  Dänische  Annalen  u.  Chroniken  v. 
d.  Mitte  d.  XIII.— XV.  Jahrh.    Hann.  1872.    Die  übrige  Lit.  s.  bei  Potth.  S.  XIII).    Ein 


58  Das  Papsttum  und  die  germanischen  Staaten  des  Nordens. 

vollst.  Verzeichnis  s.  bei  Potthast  II,  1724 — 1726  Die  Menge  der  Annalen  u.  Chroniken 
steht  zu  ihrer  Bedeutung  in  keinem  Verhältnis.  Die  bedeutenderen  sind:  Ano- 
nymi Roskildensis  Chronicon  Danicum  bis  1157  bezw.  1202.  Langet).  I,  373  MM.  G. 
SS.  XXIX  .  Aggeson  Sueno,  Compendiosa  reg.  Dan.  bist,  bis  1187  ibid.  Hist.  de  pro! 
Dan.  in  Terram  Sanctam  auet.  mon.  Borglumensi  1189 — 1193.  Langeb.  Y,  342  —  62. 
Die  verschiedenen  Series  und  Genealogiae,  ib.  20 — 34  u.  II,  154  11.  —  Ann.  Walde- 
mariani  (bis  1219)  =  Chron.  Danicum.  Langeb  IH,  260 — 5.  Ann.  Lundenses  (Esromenses) 
bis  1307,  ib.  I,  214—50.  Die  einzige  Weltebronik  aus  der  Zeit  des  MA.  in  Dänem. 
Ann.  Xestvedenses  maiores  (bis  1300 ,  minores  bis  1228).  Langeb.  I,  368—74,  IV, 
286 — 89.  Ann.  Ryenses  bis  1288,  eines  der  ältesten  Denkmäler  der  dän.  Geschichte. 
Langeb.  I,  149 — 70.  Chronicon  Sialandiae  bis  1282,  ib.  II,  604 — 24.  Chron.  Danicum 
bis  1286.  ib.  434 — 38.  Ann.  Essenbecenses  bis  1323,  ib.  520 — 29.  Ann.  Colbaziense>. 
bis  1578.  MM.  Germ.  SS.  XXIX,  711 — 719.  (In  diesem  Band  reiche  Auszüge  aus  den 
nordischen  Quellen  überhaupt.)  Ann.  Sorani  bis  1347.  Langeb.  V,  456.  Ann.  Dano- 
Suecani  bis  1263,  ib.  II,  166.  Ann.  Sigtunenses  bis  1288.  Fant.  SS.  rer.  Suec.  ILT,  1 — 7. 
Petrus  de  Dacia,  Calendarium.  Langeb.  VI,  261 — 5.  Tabula  Ringstadiensis  bis  1341, 
ib.  IV,  278 — 81.  Planctus  de  captiv.  regum  Danor.  (Wald.  IE  et  III)  ed.  Holder-F 
MM.  G.  SS.  XXIX,  267.  Für  einzelnes  auch  hier  noch:  Knytlinga  Saga  bis  1187. 
MM.  G.  SS.  XXIX  Von  Kirchen-  u.  Klostergesch.  (zum  Teil  schon  der  nächsten  Periode 
angehörig]  :  Fundat.  rnon.  Gutholm.  Langeb.  V,  380.  Hist.  mon..  Carae  Insulae,  ib. 
235—300.  Hist.  Frat.  Praed.  in  Dania  (ihr  Einzug  in  Dänemark)  1216—1246,  ib.  500. 
Xarratio  litis  inter  Christoph,  et  Jacobum  Erlandi  archiep.  Lundensem.  ib.  582.  Die 
Lebensbesch.  d.  Abtes  Wilhelm  v.  Roesküd  (t  1202),  ib.  V,  461-495.  (Die  Briefe 
Wilhelms  VI,  1 — 79).  Von  deutschen  Quellen  (Saxo  Grammaticus  reicht  nur  bis  1185 
und  Helmold  bis  1172)  sind  von  Wichtigkeit:  Arnoldus  Lubecensis  Chron.  Slav.  bis  1209. 
MM.  G.  SS.  XXI,  115-225  u.  Alberti  Stadensis  Chron.  bis  1256,    ib.  XVI,  283-378. 

Norwegen  u.  Island.  Catal.  regum  Xorweg.  Altnord.  Text  mit  lat.  Übers, 
v.  Storni.  MM.  Hist.  Xorw.  1880,  S.  183.  Snorre  Sturleson,  Heimskringla.  Ausgaben 
s.  bei  Potth.  II,  1024.  Ausz.  in  MM.  Germ.  Hist.  SS.  XXIX,  333-349.  Sie  reicht  bis 
zum  Tode  Magnus  Erlingson  (t  1177;  u.  wurde  durch  den  Abt  Karl  von  Thingeyri 
fortgesetzt.  Nach  Storni,  Mogk  u.  a.  ist  sie  ganz  von  Snorri  verfafet.)  Historia  Sverreris 
regis  1177 — 1202))  =  Sverris  saga  lat.  in  Scripta  hist.  Islandorum  VIII.  Anecdoton  hist. 
Sverreris  regis  illustrans.  Christiania  1848.  Historiae  regum  Xorw.  1177 — 1263.  MM.  G. 
SS.  XXLX,  407 — 412.  Annales  Islandici  bis  1317  in  Storms  Islandske  Annaler  indtil 
1578.  Christ.  1888  (MM.  G.  SS.  XXIX,  254— 66;.  Ann.  Reseniani  bis  1295,  ib.  1—30. 
Ann.  Islandorum  regii  bis  1341,  ib.  79 — 155.  Ann.  Isl.  vetustissimi  bis  1313,  ib.  33 — 54. 
Henryk  Hoyer,  Ann.  bis  1310  (Hoyer  starb  1615;  sammelte  aber  aus  alten  Handschriften) 
Skälholts  Annaler  bis  1356  ib.  Lögmanns  annäll  bis  1430,  ib.  233.  Gottskalks  Annaler. 
bis  1578.  Flatobogens  Annaler  bis  1394,  ib.  379.  Oddveria  Annall  bis  1427,  ib.  427. 
Gesta  epp.  Island.  (=  Guctmundar  saga  u.  Hungurvaka)  Ausz.  in  MM.  Germ.  SS.  XXIX., 
413  f.  —  Sturla  Thordsson,  Sturlunga  saga.  Oxf.  1868.  Ha^onar  saga,  Hist.  Hakonis, 
Sverreris  filii  lat.  in  Scripta  Hist.  Island.  LX  (s.  oben  Hist.  reg.  JNorweg.). 

Schweden  u.  Finuland.  Vita  et  miracula  s.  Erici  SS.  rer.  Suec.  II,  270.  Vita 
et  miracula  s.  Henrici  ep.  et  martyris,  ib.  331.  Die  Königskataloge  s.  ebenda  I,  2 — 5, 
6-22.  Die  Chronologiae  bis  1430  u.  1263,  ib-122 — 32  u.  47—50.  Diarium  Minoritarum 
Wisbyensiuni  bis  1525.  Ausz.  ib.  32—39.  Chronol.  Suecica  Wisb.  bis  1410,  ib.  39 — 47. 
Chron.  anon.  veteris  bis  1415,  ib.  50—60.  Chr.  vetusta  bis  1430,  ib.  61—66.  Diarium 
richtiger  Necrologium)  fratr.  Minorum  Stockholm,  bis  1502,  ib.  68 — 83.  Historia  Got- 
landiae  bis  1320  (altschwedisch).  SS.  rer.  Suecic.  III,  9 — 12.  Incerti  auet.  Sueci  Chron. 
bis  1320,  ib.  83 — 88.  Vetus  chron.  Sueciae  prosaicum  bis  1449,  ib.  239 — 54  —  rhythmicum 
S.  251—62  —  maius  bis  1452  =  Eriks  Kronikan  bis  1319,  ib.  I,  2,  4—52.  Cont.  53  ff. 
Chronica  Erici  Olai,  ib.  I,  1 — 166.  Von  ausw.  Quellen  kommen  Mattb.  Paris  u.  Henr.  Lettus 
(s.  unten)  in  Betracht.     Quellen  z.  Gesch.  Finnlands  s.  bei  Schybergson  S.  8. 

Hilfsschriften.  Dahlmann,  Gesch.  v.  Dänemark  I.  IT  singe  r,  Deutsch- 
dänische Gesch.  1189—1227.  Berl.  1863.  Schäfer,  D.  Hansastädte  u.  K.  Waldemar 
v.  Dänemark.  Jena  1879.  Steenstrup  in  Danmarks  riges  Historie,  Kop.  1897  ff., 
behand.  d.  J.  1241 — 1481.     Allen,    Gesch.    v.    Dänem.    Leipz.  1867   (popul.).     Suhm, 


I  Dänemark  unter  Waldemar  I.  und  Knut  VI.  59 

Historie  of  Dänemark  fra  de  aeldeste  Tider  til  Aar  1400.  Bd.  VIII— XIV.  Kopenh. 
1 782—1828.  M  unch,  Det  norske  Folks  Historie  bis  13871  Christ.  1851—63.  R.  K  e  y  ser, 
Norges  Historie  bis  1340,  1866,  bis  1387  fortges.  v.  Rygh  1870.  Faye,  Gesch.  v.  Nor- 
wegen. Leipz.  1867  (populär).  R.  Keyscr,  Den  norske  Kirkes  Historie  under  Katholi- 
cismen.  Christ.  1864.  Munter,  Kirchengesch.  v.  Dänemark  u.  Norwegen.  1—3.  Leipz. 
1823 — 33.  Ph.  Zorn,  Staat  u.  Kirche  in  Norwegen  bis  zum  Schlafs  des  XIII.  Jahrh. 
München  1875.  Storni,  Smaating  fra  Sverrcrs  saga.  Norsk  hist.  Tidsskrift.  2  S.  V.  181. 
J.  Härtung,  Norw.  u.  d.  deutschen  Seestädte  bis  Ende  d.  13  Jahrh.  Berl.  1877.  Rühs, 
Gesch.  v.  Schweden.  Halle  1803 — 1815.  Geijer,  Geschichte  von  Schweden  I,  1832. 
Montelius,  Sveriges  Hednatid  samt  Medeltid  (bis  1350).  Stockh.  1877.  Strinholm, 
Svenska  folkets  historia  bis  1319.  1862.  Hildebrand,  Sveriges  mideltid,  Kulturh. 
skildring.  Stockholm  1877.  S  c hie  mann,  Rufsland,  Polen  u.  Li vland.  II.  Bd.  Berl.  1877. 
Schybergson,  Gesch.  Finnlands.     Gotha  1896. 

1.  Für  die  Entwicklung  Dänemarks  und  Norwegens  war  die  Ver- 
bindung mit  England  unter  Knut  dem  Grofsen  von  ausschlaggebender 
Bedeutung  geworden.  Mit  Eifer  wurde  seither  in  beiden  Ländern  an 
der  Ausbreitung  des  Christentums  gearbeitet. 

8 wen  Estrithson  (f  1076),  der  Stifter  des  Hauses  der  Estrithiden,  war  dessen 
eifriger  Förderer.  Während  des  Investiturstreites  wurde  Dänemark  aus  der  kirchlichen 
Abhängigkeit  von  Hamburg  -  Bremen  gelöst  und  das  Erzbistum  Lund  als  Metropole 
für  die  nordischen  Reiche  errichtet  (1104).  König  Waldemar  I.  (1157 — 1182)  war 
unter  den  dänischen  Königen  der  erste,  an  dem  der  Erzbischof  von  Lund  Salbung 
und  Krönung  vollzog. 

Wohl  bestätigte  Kaiser  Friedrich  I.  die  alten  Rechte  Bremens, 
aber  dies  blieb  für  die  Befugnisse  des  nordischen  Erzbistums  ohne 
Folgen.  So  grofs  Waidemars  Macht  auch  war,  er  säumte  nicht,  dem 
Kaiser  zu  huldigen.  Im  übrigen  errang  er  grofse  Erfolge  gegen  die 
Wenden  in  Pommern  und  auf  Rügen.  Mit  Heinrich  dem  Löwen  und 
Albrecht  dem  Bären  verbündet,  unternahm  er  eine  Reihe  (gegen  20) 
Feldzüge  wider  sie  und  zerstörte  Arcon  auf  Rügen  mit  dem  Heiligtum 
ihres  Gottes  Swantewit.  Hiebei  stand  ihm  der  Erzbischof  Axel  (Absolon), 
einst  sein  Milchbruder,  nun  Freund  und  erster  Berater,  ein  bedeutender 
Staatsmann  und,  wenn  es  not  tat,  auch  Kriegsmann,  zur  Seite.  Wenn 
es  auch  nur  Sage  ist,  dafs  Danzigs  Gründung  auf  Waldemar  zurück- 
führt, als  sicher  gilt,  dafs  Axel  zuerst  das  Städtchen  Havn  mit  Befesti- 
gungen versah.  Wegen  der  Kaufmanns-  und  Fischerbuden,  die  zu 
gewissen  Zeiten  hier  aufgestellt  waren,  erhielt  es  den  Namen  Kopen- 
hafen  d.  i.  Kaufmannshafen.  Gegen  die  Nachfolge  Knuts  VI.  (1182 
bis  1202),  erhoben  sich  anfangs  die  Bauern  auf  Jütland  und  Schonen, 
die  von  einem  ihr  Wahlrecht  mifsachtenden  Erbrecht  der  Krone  nichts 
wissen  wollten,  für  den  Prinzen  Harald,  doch  gelang  es  Knut  mit  Hilfe 
der  gröfseren  Grundbesitzer,  die  Krone  zu  behaupten.  Jetzt  tritt  eine 
Scheidung  der  Stände  ein*  »der  deutsch  gekleidete  Adel  und  die  hohe 
römisch  angetane  Geistlichkeit  mafsten  sich  das  Recht  an,  auf  Land- 
und  Reichstagen,  die  ursprünglich  Volkversammlungen  waren,  allein  zu 
entscheiden,  und  drückten  das  Volk  nieder,  das  nun  aus  einem  Ganzen 
ein  Teil  geworden  war  und  durch  die  Zersplitterung  in  Bauern  und  die 
neuaufgekommenen   Städter    litt.«1)     Aus    dem   Streit   zwischen   Staufern 

!)  Dahlmann,  325  f. 


60  Waldemar  n. 

und  Weifen  zog  Knut  seinen  Vorteil;  ja  er  wurde  in  gewissem  Sinne 
Erbe  der  Macht  Heinrichs  des  Löwen,  dessen  Tochter  Richenza  seine 
Gemahlin  war.  Dem  Kaiser  verweigerte  er  die  Huldigung,  und  als 
dieser  den  Pommernherzog  Bogislaw  zu  einem  Kriegszug  gegen  ihn 
reizte,  machte  er  Pommern  zinspflichtig  (1185).  Zwei  Jahre  später 
wurde  auch  Mecklenburg  dänisches  Lehen.  Markgraf  Otto  IL  von 
Brandenburg,  der  wegen  des  Besitzes  slawischer  Landschaften  mit  den 
Dänen  in  Streit  geraten  war,  hatte  ein  dänisches  Heer  (1198)  an  der 
Mündung  der  Oder  geschlagen  und  im  Bund  mit  dem  Grafen  Adolf  III. 
von  Holstein  »Slawien«  verwüstet;  als  dieser  aber  den  Kampf  allein 
fortzuführen  versuchte,  wurde  er  in  zwei  Schlachten  besiegt  und  gefangen. 
Hamburg  und  Lübeck  kamen  in  die  Hände  der  Dänen.  In  Lübeck 
empfing  er  1202  die  Huldigung.  Die  Seele  der  dänischen  Politik  war 
Axel  und  die  Macht  Dänemarks  in  raschem  Aufschwung  begriffen.  In 
denselben  Bahnen  schritt  Knuts  Bruder  Waldemar  IL,  der  Siegreiche 
(1202 — 1241),  weiter.  Vom  Erzbischof  von  Lund  gekrönt,  empfing  er  in 
Lübeck  die  Huldigung  als  »  König  der  Slawen  und  Wenden  und  Herr 
von  Nordalbingien.«  Den  Grafen  Adolf  III.  nötigte  er,  auf  sein  Land 
zu  verzichten,  und  gab  es  seinem  Schwestersohn  Albrecht  von  Orlamünde 
zu  Lehen.  Noch  in  demselben  Jahre  machte  er  Norwegen  tributpflichtig. 
Im  Bund  mit  den  Weifen  zwang  er  die  Grafen  von  Schwerin,  die  sich 
seiner  Macht  entgegenstellten,  zur  Lehenspflicht.  Das  gute  Einvernehmen 
mit  dem  Papste  störte  auch  ein  Streit  mit  dem  Bistum  Schleswig  nicht, 
den  er  schon  als  Erbe  von  seinem  Bruder  überkommen  hatte.  Im 
übrigen  teilte  auch  Waldemar  das  Los  der  meisten  Könige  seiner  Zeit, 
indem  er  gleich  diesen  des  Papstes  Lehensmann  wurde.1)  Dafür  durfte 
er  auf  dessen  Unterstützung  bei  seinen  Unternehmungen  gegen  Livland 
und  Esthland  rechnen.  —  Schon  seit  langer  Zeit  bestanden  rege  Handels- 
beziehungen zwischen  Lübeck  und  den  Küstenländern  an  der  Ostsee. 
Lübecksche  und  andere  deutsche  Kaufleute  hatten  um  1163  die  erste 
deutsche  Stadtgemeinde  zu  Wisby  auf  Gothland  gegründet.  Von  dort 
wurden  Handelsfahrten  nach  Livland  an  die  Mündung  der  Düna  unter- 
nommen, wohin  die  Skandinavier  längst  einen  schwunghaften  Handel 
betrieben.  Nun  traten  Deutsche  in  den  Wettbewerb  ein,  und  es  begann 
unter  lebhafter  Teilnahme  deutscher  Klöster  die  Besiedlung  des  Landes. 
Ein  Augustiner,  Meinhard  von  Segeberg,  baute  bei  dem  Dorfe  Uexküll 
die  erste  Kirche  und  nach  ihrer  Zerstörung  das  erste  Kastell  (1185). 
Im  folgenden  Jahre  wurde  er  Bischof  des  Landes.  Sein  Nachfolger  fiel 
im  Kampfe  gegen  die  Heiden.  Die  Kolonie  schien  verloren.  Da  trat 
Albert,  bisher  Domherr  zu  Bremen,  ein  Staatsmann  von  ungewöhn- 
licher Begabung,  als  Bischof  an  ihre  Spitze.  Mit  23  Schiffen  fuhr  er 
(1200)  dünaaufwärts  und  gründete  (1201)  Riga.  Innozenz  IH.  nahm  sich 
der  jungen  Gründung  lebhaft  an,  und  bald  strömten  Kreuzfahrer  und 
Ansiedler  ins  Land.     Da  man.  um  Livland  zu  erobern,  eines  stehenden 


x)  Inn.  Epp.  CLY,  1209,  VIII.  Id.  Nov. :    »ut  censum  Romanae  ecchsiae  per  regna 
Daciae  (Daniae)  fideliter  colligas  et  reserves. 


und  die  Grofsmachtstellung  Dänemarks.  (Jl 

Heeres  bedurfte,  stiftete  Albert  nach  dem  Muster  der  Templer  den 
Schwertorden,  der  aber  in  weltlichen  und  geistlichen  Dingen  dem  Bischof 
unterstellt  wurde.  Die  Schwertritter  trugen  als  Abzeichen  ein  Schwert 
auf  dem  Mantel.  Schon  1207  erhielt  Albert  Livland  vom  König  Philipp 
als  Lehen.  Nachdem  noch  ein  Teil  der  Letten  und  Wenden  unter- 
worfen worden  war,  war  der  Bestand  der  Kolonie  gesichert.  Um  das 
Verhältnis  des  neuen  Bistums  Riga  zu  Bremen  einerseits ,  das  des 
Bischofs  zu  den  Schwertrittern  anderseits  zu  ordnen,  setzte  Innozenz  III. 
die  Unabhängigkeit  der  livländischen  Kirche  von  Bremen  fest,  bestimmte 
aber  gleichzeitig,  dafs  ihre  Rechte  über  Liv-  und  Lettland  nicht  hinaus- 
reichen und  die  Ritter  gegen  die  Pflicht  des  Kampfes  wider  die  Heiden 
den  dritten  Teil  des  Landes  vorn  Bischof  als  Lehen  erhalten  sollten. 
Was  sie  über  Liv-  und  Lettland  hinaus  erobern  würden,  darüber  sollte 
der  römische  Stuhl  besonders  befragt  werden.  Nun  nahmen  sie  die 
Eroberung  Estlands,  wohin  Waldemar  schon  1205  eine  Kreuzfahrt 
unternommen  hatte,  in  Angriff ;  bei  ihrer  Schwäche  war  ihnen  die  Hilfe 
willkommen,  die  sie  gegen  die  Zusage,  dafs  die  neuen  Eroberungen  an 
Dänemark  fallen  sollten,  von  Waldemar  erhielten.  Dieser  erschien  1219 
mit  einer  starken  Flotte,  errang  an  der  Stelle,  wo  er  Reval  erbaute, 
einen  blutigen  Sieg,  an  den  die  Sage  vom  Danebrog  geknüpft  ist,  der 
roten  Fahne  mit  dem  weifsen  Kreuze,  die  im  Augenblick  der  Not  vom 
Himmel  fiel,  um  den  Dänen  zum  Siege  voranzuleuchten.  Es  ist  das 
Reichspanier  Dänemarks,  zugleich  das  Banner  von  Reval.1)  Des  neuen 
Erwerbes  wegen  entstand  ein  Streit  zwischen  Dänemark  und  Riga : 
Waldemar  nahm  Estland  in  Besitz  und  Livland  in  Anspruch;  1221 
eroberte  er  Oesel.  Dänemarks  Herrschaft  reichte  nun  über  Mecklenburg, 
Pommern,  Pommerellen  und  Preufsen  bis  nach  Estland.  Es  war  eine 
Grofsmacht  geworden;  der  König  besafs  eine  Flotte  von  14000  Segeln  und 
vermochte  ein  starkes  Heer  aufzustellen.2)  Bei  der  Haltung  Friedrichs  IL 
gegen  Dänemark  gewann  es  den  Anschein,  als  sollte  sich  die  junge 
Grofsmacht  befestigen.  Und  doch  stürzte,  was  drei  kriegerische  Könige 
erworben  hatten,  ein  unbedeutender  Graf.  Als  nämlich  Heinrich  von 
Schwerin,  der  mit  seinem  Bruder  Gunzelin  1214  Vasall  des  Königs 
geworden  war,  vom  Kreuzzuge  heimkehrte,  fand  er  den  Bruder  tot  und 
nicht  blofs  dessen  Land,  sondern  auch  jenes,  auf  das  er  selbst  Anwart- 
schaft hatte,  in  den  Händen  des  Dänenkönigs.  Da  er  vor  diesem  kein 
Recht  fand,  nahm  er  ihn,  als  er  auf  der  Insel  Lyö  im  Kleinen  Belt 
jagte,  mit  seinem  Sohne  gefangen  (1223,  7.  Mai)  und  brachte  ihn  nach 
Dannenberg,  dem  Schlosse  eines  seiner  Verbündeten.  Jetzt  zeigte  es 
sich,  dafs  Dänemarks  Machtstellung   mehr  auf  der  Persönlichkeit  seines 


*)  Die  Danebrogfahne  kommt  erst  während  des  Estlandfeldzuges  vor  (JBG. 
IV,  II,  322  und  XI,  III,  182),  und  zwar  nicht  als  päpstliches  Labanim,  sondern  als 
ritterliches  Banner.  Durch  dies  Symbol  wird  dem  erwählten  König  Dänemarks  vom 
Erzbischof  von  Lund  die  höchste  Würde  übertragen.  Danebrog  von  broge  =  Tuch, 
Fahne  der  Dänen. 

2)  Nach  einer  (freilich  nicht  einwandfreien)  Berechnung  belief  sich  Dänemarks 
Bevölkerung  damals  auf  G00  000  —  heute  auf  340000  —  Seelen.     JBG.  II,  276. 


(32  Zusammenbruch  der  danischen  Grorsniachtstellung. 

Herrschers  als  auf  der  Kraft  der  Nation  beruhe.1)  Es  erhoben  sich  alle 
von  Dänemark  unterworfenen  oder  bedrängten  Fürsten,  und  diesem 
Ansturm  war  es  um  so  weniger  gewachsen,  als  auch  Friedrich  II.  des 
Königs  Haft  benützte,  um  die  an  Dänemark  verlorenen  Reichsteile 
zurückzugewinnen  und  dessen  Lehenspflicht  wieder  herzustellen.  Daher 
verlangte  er  die  Auslieferung  des  Gefangenen,  wogegen  der  Papst  seine 
Freilassung  begehrte,  weil  Waldeniar  Kreuzfahrer  sei  und  Dänemark 
im  Zinsverhältnis  zum  Papsttum  stehe.  Im  Dannenberger  Vertrage 
(1224,  4.  Juli)  verpflichtete  sich  Waldernar,  an  den  Grafen  von  Schwerin 
40000  Mark  Lösegeld  zu  zahlen  und  einen  Kreuzzug  zu  unternehmen, 
verzichtete  auf  alle  Übereibischen  Besitzungen  und  erkannte  die  Lehens- 
hoheit des  Kaisers  an.  Der  dänische  Reichsverweser  Albrecht  von 
Orlamünde  widersetzte  sich  zwar  der  Ausführung  des  Vertrags,  erlitt 
aber  bei  Mölln  eine  Niederlage  (1225,  Januar)  und  wurde  selbst  gefangen. 
Wenn  nun  auch  Dänemark  in  dem  Frieden,  der  im  Dezember  zustande 
kam,  seiner  Lehenspflicht  gegen  das  Reich  ledig  gesprochen  wurde, 
müfste  es  doch  auf  alle  Besitzungen  zwischen  Eider  und  Elbe,  West-  und 
Ostsee  mit  Ausnahme  von  Rügen  und  Estland  verzichten.  Waldernar 
liefs  sich  zwar  vom  Papst  von  diesen  Verpflichtungen  entbinden  und 
suchte  mit  Hilfe  Ottos  von  Lüneburg  seine  alte  Macht  wieder  zu  ge- 
winnen, wurde  aber  von  den  wider  ihn  verbündeten  Fürsten  bei  Böm- 
h  e  v  e  d  geschlagen  und  verwundet  und  sein  Bundesgenosse  Otto  gefangen 
(1227,  22.  Juli).  Die  Entscheidung  hatten  die  Dietmarschen  gegeben, 
die  der  König  gezwungen  hatte ,  ins  Feld  zu  ziehen,  und  die  nun  zu 
seinen  Gegnern  übertraten.  Sie  behielten  ihre  Freiheit.  Auch  Lübeck 
und  Hamburg  machten  sich  von  der  dänischen  Herrschaft  los,  und  die 
Grafen  von  Holstein  erhielten  ihre  Besitzungen  zurück,  mufsten  aber 
Lauenburg  an  den  Herzog  von  Sachsen  abtreten.  So  stürzte  die 
dänische  Vormacht  im  Norden  des  Reiches  zusammen  —  ein  beachtens- 
wertes Moment  in  der  dänischen  Geschichte;  denn  jetzt  erhielten  die 
deutschen  Städte  Raum  zu  freier  Entwicklung.  Auch  der  Erzbischof  von 
Riga  wurde  wieder  selbständig  und  gewann  selbst  einen  Teil  von  Est- 
land zurück.  Das  einzige,  was  Waldernar  IL  von  den  Erfolgen  seines 
Bruders  gerettet  hatte,  war  die  Unabhängigkeit  Dänemarks.  Sein  ferneres 
Wirken  galt  der  inneren  Politik ;  das  Wesentlichste  war,  dafs  die  dem 
Königtum  entfremdeten  Güter  eingezogen  und  ein  Gesetzbuch  für  Jütland 
und  die  Inseln  ausgearbeitet  wurde. 

2.  In  Norwegen  war  noch  Harald  Harfagrs  Haus  an  der  Regierung, 
seine  Machtbefugnisse  aber  durch  Volksfreiheiten  und  geistliche  Privi- 
legien eingeschränkt.  Die  Stellung  der  Hierarchie  zum  Königtum  hatte 
sich  im  12.  Jahrhundert  verschoben.  Die  Rezeption  des  Christentums 
war  hier  wesentlich  das  Verdienst  der  Könige.  Norwegens  Kirche  stand 
denn  auch  in  einer  Zeit,  in  der  das  kanonische  System  anderweitig  zu  un- 
gehinderter Entfaltung  gelangt  war,  noch  ganz  unter  staatlichem  Einflufs. 


l)   Die  Quellen    über    die    Gefangennahme    bei    Usinger,    S.  422.     Dazu    Winkel- 
niann,  Friedrich  II ,  I,  423. 


Die  kirchen politischen    Kampfe  in   Norwegen.  ()}) 

Hier  hatte  der  Staat  die  kirchliche  Gesetzgebung,  wurden  Bischöfe  und 
Priester  von  der  Krone  ernannt,  soweit  diese  nicht  frei  gewählt  wurden, 
stand  der  Klerus  unter  weltlicher  Gerichtsbarkeit  und  war  von  der 
Durchführung  der  Cölibatsgesetze  keine  Rede.  Die  Metropolitangewalt 
Bremen-Hamburgs  wurde  1104  durch  jene  von  Lund  abgelöst.  Machte 
sich  seither  auch  die  kluniazensische  Richtung  fühlbar,  so  dauerten  die 
unkanonischen  Zustände  doch  noch  lange  fort.  1152  sandte  Eugen  III. 
den  Kardinallegaten  Nikolaus  Breakspear  —  späteren  Papst  Hadrian  IV.  — 
nach  Norwegen,  um  Reformen  im  Sinne  des  kanonischen  Rechtes  durch- 
zuführen. Jetzt  wurde  in  Nidharos  (Drontheim)  ein  Metropole  für  Nor- 
wegen geschaffen,  in  einer  Zeit,  wo  auch  für  den  Norden  die  Zinspflicht 
von  König  und  Volk  dem  päpstlichen  Stuhl  gegenüber  festgesetzt  wurde. 1) 
Die  Kreuzzugsbewegung,  die  die  Nordleute  aufs  kräftigste  ergriff,  kam 
den  Bestrebungen  der  Kurie  ebenso  zugute  wie  die  Thronstreitigkeiten 
der  Prätendenten,  die  den  Beistand  der  Kirche  durch  grofse  Zugeständ- 
nisse erkauften.  Mit  ihrer  Hilfe  hatte  Erling  Ormsson,  genannt  Skakki, 
seinem  Sohne  Magnus  V.  (1162 — 1182)  die  Krone  erworben  und  ihn,  um 
seine  Stellung  zu  festigen,  im  Sommer  1164  zu  Bergen  vom  Erzbischof 
Eystein  im  Beisein  eines  päpstlichen  Legaten  krönen  lassen.  Dafür 
wurde  Norwegen  »Lehen  des  hl.  Olaf«,  in  Wirklichkeit  des  Metropoliten. 
Ein  Gesetz,  »die  goldene  Feder«,  setzte  die  Freiheit  kirchlicher  Wahlen 
fest,  gab  der  Kirche  den  ganzen  Zehent  und  überliefs  die  Prüfung  der 
Frage,  ob  der  jeweils  erbberechtigte  Thronfolger  zur  Nachfolge  geeignet 
sei,  dem  Episkopate  und  einer  kleinen  Anzahl  von  Laien,  die  von  den 
Bischöfen  ernannt  wurden.  Damit  war  Norwegen  »ein  Wahlreich  mit 
geistlichen  Kurfürsten«  geworden.  Der  Krönungseid  des  Königs  Magnus 
bedeutet  den  Höhepunkt  der  klerikalen  Macht  und  die  tiefste  Erniedrigung 
des  Königtums  in  Norwegen.2)  Das  Volk  liefs  sich  die  Einschränkung 
des  Wahlrechtes  allerdings  nicht  gefallen  und  unterstützte  die  Gegen- 
könige, die  sich  gegen  Magnus  erhoben.  Unter  ihnen  ragte  Eystein 
Meyla  hervor,  dessen  Partei  nach  ihrer  aus  Birkenrinde  bestehenden 
Fufsbekleidung  den  Namen  Birkenbeine  erhielt.  Nach  Eysteins  Fall 
(1177)  trat  Sverrir  an  ihre  Spitze.  Ihm  gelang  es,  die  Krone  zu  er- 
ringen und  die  Machtbefugnisse  des  Klerus  einzuschränken.  Sverrir 
(1182 — 1202)  ist  zweifellos  einer  der  tatkräftigsten  Könige  Norwegens  im 
Mittelalter.  Unter  den  Herrschern  seiner  Zeit  war  er  der  einzige,  der  im 
Kampfe  gegen  Innozenz  III.  nicht  erlag.  Seine  Anfänge  sind  dunkel. 
Er  gab  sich  für  den  Sohn  König  Sigurd  Munds  aus.  Nachdem  er  ohne 
Erlaubnis  der  Kirche  den  geistlichen  Stand,  für  den  ihm  die  Neigung 
fehlte,  verlassen  hatte,  trat  er  als  Magnus'  Gegner  auf;  auch  als  unehe- 
licher Sohn  hatte  er  nach  norwegischem  Recht  Anspruch  auf  den  Thron, 
von  dem  ihn  die  Ordnung  von  1164  ausschlofs.  Ob  er  in  der  Tat  aus 
königlichem  Blute  stammte,  wie  er  selbst,  oder  ein  Abenteurer  war,  wie 
seine  Feinde   behaupteten :    er    rang    sich,    wenn    auch    unter   schweren 

*)  Jafte,  Regg.  pontifL    2.  A.    9937.    Dafs    der  Peterspfennig    auch  in  Norwegen 
eingeführt  wurde,  s.  bei  Zorn,  S.  96. 
2)  Ebenda,  S.  109. 


ß4  König  Sverrir  und  das  Papsttum. 

Kämpfen  durch.  In  der  Seeschlacht  von  Fiorteita  verlor  Magnus  das 
Leben  (1184).  Das  Königturn  Sverrirs  war  schon  durch  seinen  Bestand 
ein  ständiger  Protest  gegen  die  Vorgänge  der  vorhergehenden  Regierung. 
Die  notwendige  Folge  war  ein  Kampf  gegen  die  neue  Ordnung  der 
Dinge.  Die  ganze  Regierungstätigkeit  seines  Vorgängers  wurde  daher 
als  nichtig  erklärt.  Indem  die  Kirche  aber  an  ihren  Errungenschaften 
festhielt,  kam  es  zu  heftigen  kirchenpolitischen  Kämpfen.  Der  Erzbischof 
Eystein  ging  ins  Exil,  schleuderte  von  dort  aus  den  Bann  gegen  Sverrir, 
kehrte  aber  1182  ins  Land  zurück  und  unterwarf  sich  den  Gesetzen 
des  Landes.  Nach  Eysteins  Tode  (1184)  wurde  Erik,  bisher  Bischof 
von  Stafanger,  Metropolit.  Aus  mehrfachen  Ursachen  brach  der  Kon- 
flikt zwischen  Staats-  und  Kirchengewalt  von  neuem  und  heftiger  aus 
als  früher.  Der  König  erklärte  zunächst  die  Wahl  des  neuen  Bischofs 
von  Stafanger.  weil  sie  in  seiner  Abwesenheit  vorgenommen  und  seine 
Meinung  nicht  gehört  worden  war,  für  ungültig,  worauf  eine  staatlich 
gesinnte  Partei  einen  anderen  wählte.  Andere  Streitpunkte  bildeten  das 
landesherrliche,  vom  Klerus  nicht  mehr  beachtete  Patronat,  die  geistliche 
Gerichtsbarkeit  und  Immunität.  Als  sich  der  Erzbischof  auf  »die  goldene 
Feder«  berief,  betonte  der  König  die  alleinige  Gültigkeit  des  alten  nor- 
wegischen Landrechtes,  das  von  solchen  Ansprüchen  der  Kirche  nichts 
wisse,  und  ihm  stimmte  die  Landsgemeinde  zu.  Als  Sverrir  vom  Erz- 
bischof, um  ihn  zur  Anerkennung  der  Staatsgesetze  zu  zwingen,  die 
Krönung  begehrte,  wies  dieser  das  Ansinnen  zurück,  entfloh  nach  Däne- 
mark und  sprach  über  Sverrir  den  Bann  aus,  der  vorn  Papste  zwar 
bestätigt  wurde,  bei  der  Macht  des  Königs  aber  im  Lande  nicht  ver- 
kündigt werden  konnte.  Sverrir  erklärte,  dafs  dem  Papst  kein  Recht 
zustehe.  Könige  abzusetzen,  ja  er  liefs  sich  nunmehr  von  seinen  Landes- 
bischöfen am  29.  Juni  1194  zu  Bergen  feierlich  krönen,  worauf  der 
Papst  auch  gegen  diese  den  Bann  verkündigte.  Gegen  den  König  erhob 
sich  hierauf  der  streitbare  Bischof  von  Opslo,  der  mit  dem  alten  Körrigs- 
hause  verwandt  war,  flüchtete  nach  Dänemark  und  rief  gegen  Sverrir 
die  Partei  der  Baglar,  d.  h.  der  Krummstäbler,  ins  Leben.  Als  Inno- 
zenz III.  zur  Regierung  gelangt  war,  wurde  das  norwegische  Volk  aufs 
neue  vom  Gehorsam  gegen  den  ;  Eindringling«  abgemahnt  und  mit 
dem  Interdikt  bedroht.  Die  zum  Kampfe  gegen  Norwegen  aufgerufenen 
Könige  von  Dänemark  und  Schweden  weigerten  sich,  Vollstrecker  des 
päpstlichen  Machtspruches  zu  werden.  Sverrir  behauptete  sich  siegreich 
bis  an  sein  Ende  (1202.  9.  März);  ja  er  war  seit  langer  Zeit  der  er^te 
norwegische  König,  der  eines  natürlichen  Todes  starb  Der  Papst  unter- 
liefs  nicht,  seiner  Freude  über  den  Tod  dieses  Gegners  Ausdruck  zu 
geben.1)  Auch  seine  Feinde,  heilst  es  in  der  Sverrirs-saga,  mufsten 
bezeugen,  dafs  zu  jenen  Tagen  kein  Mann  in  Norwegen  war  wie  König 
Sverrir.  Jedenfalls  war  er  »für  alle  Zeiten  ein  leuchtendes  Vorbild 
kraftvoller   Vertretung   der   Hoheitsrechte    des    Staates«.     Sverrirs  Sohn, 


')  s.  Potthast,    Regg.  385—387    u.    Innoc.  Ep.  CCXIV   ad  a.  1203:    Gaudet  papa 
de  morte  regis  Sueri. 


Norwegen  unter  Hakon  V.  und  Magnus  VI.     Die  Unterwerfung  Islands.  ß5 

Hakon  IV.  machte  mit  der  Kirche  Frieden :  es  wurde  ihr  eingeräumt, 
was  schon  1152  dem  Kardinal  Nikolaus  bewilligt  worden  war.1)  Nach 
Hakons  Tode  (1204)  brachen  die  alten  Parteikämpfe  aufs  neue  aus. 
Sein  unehelicher  Sohn  Hakon  V.  (1217 — 1263)  hatte,  wiewohl  von 
Birkenbeinen  und  Baglern  gemeinsam  auf  den  Thron  gehoben,  harte 
Kämpfe  mit  Kronprätendenten  zu  bestehen.  Auf  dem  Reichstage  zu 
Bergen,  auf  welchem  aufser  den  Mitgliedern  der  höheren  Geistlich- 
keit die  Befehlshaber  der  gröfseren  Bezirke,  die  höheren  Richter  (Lag- 
männer), die  Beamten  der  kleineren  Bezirke,  die  Burghauptleute,  dann 
auch  Abgeordnete  des  Bauernstandes  erschienen,  wurde  er  einstimmig 
als  rechtmäfsiger  König  anerkannt  (1223,  August).  Freilich  dauerten 
die  Kämpfe  weiter,  bis  Jarl  Skule,  den  die  Bagler  zum  König  aufgestellt 
hatten,  in  der  Schlacht  bei  Opslo  besiegt  und  auf  der  Flucht  erschlagen 
wurde  (1240).  Um  solchen  Wirren  für  die  Zukunft  vorzubeugen,  nahm 
Hakon  V.  schon  jetzt  seinen  gleichnamigen  Sohn  zum  Mitregenten  an. 
Wiewohl  er  den  Frieden  mit  der  Kirche  wünschte,  war  er  weit  davon 
entfernt,  die  Krone  als  »Lehen  des  hl.  Olaf«  aus  den  Händen  des  Erz- 
bischofs und  der  »geistlichen  Kurfürsten«  entgegenzunehmen,  sondern 
wandte'  sich  an  den  Papst,  der  den  Kardinallegaten  Wilhelm  von 
Sabina  absandte,  um  die  Krönung  an  dem  König  zu  vollziehen  (1247). 
Während  seiner  Anwesenheit  wurden  Verfügungen  getroffen,  die  teils 
dem  Königtum,  teils  dem  Bauernstand  zum  Besten  gereichten. 2)  Zwar 
blieb  der  Kirche  das  freie  Wahlrecht,  die  Gerichtsbarkeit  und  das  Recht 
der  freien  Verwaltung  ihres  Besitzes,  aber  in  rein  weltlichen  Dingen 
stand  sie  doch  unter  weltlichem  Gericht.  Der  Bauernstand  wurde  vor 
übermäfsiger  Belastung  durch  den  Klerus  geschützt.  Erst  jetzt  wurde 
der  Peterspfennig  in  Norwegen  gesetzlich  normiert.  In  den  auswärtigen 
Verhältnissen  kam  dem  König  die  Freundschaft  des  Papstes  zustatten, 
denn  der  Legat  bestimmte  die  Isländer  und  Grönländer,  die  norwegische 
Oberherrschaft  anzuerkennen.  In  Island  war  nämlich  nach  dem  Tode 
des  Dichters  und  Geschichtschreibers  Snorre  Sturleson  ein  Bürger- 
krieg ausgebrochen,  der  in  Gegenwart  des  Legaten  beigelegt  wurde.  Die 
Isländer  dürfen,  so  wurde  erklärt,  nicht  allein  einen  Freistaat  haben, 
während  die  ganze  übrige  Welt  unter  Königen  lebe.  Allerdings  wurde 
ihnen  noch  in  dem  Unterwerfungsvertrage  von  1260  eigene  Gerichtsbar- 
keit und  Verwaltung  gelassen.  Trotz  dieses  Entgegenkommens  der 
Kurie  gab  Hakon  seine  freundschaftlichen  Beziehungen  zu  den  Staufern 
nicht  auf.  Da  sein  Sohn  Hakon  VI.  bereits  1257  starb,  nahm  er  seinen 
zweiten  Sohn  Magnus  zum  Mitregenten  an.  Hakon  V.  starb  während 
eines  Krieges,  den  er  um  den  Besitz  der  Hebriden  mit  Schottland  führte. 
Magnus  VI.  (1263 — 1280)  trat  diese  nebst  der  Insel  Man  an  Schottland 
ab  (1266),  behielt  aber  die  Shetlandsinseln  und  die  Orkaden.  Mit  seiner 
Regierung  begann  für  sein  Reich  eine  lange  Friedensperiode,  die  von 
dem  König    (daher  wird    er    »Lagabetter«,    d.  h.    Gesetzesverbesserer, 

1)  Zorn,  S.  153. 

2)  Die  kirchl.  Gesetzgebung  König  Hakons  d.  Alten,  bei  Zorn,  S.  169  ff. 
Loserth,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  5 


66  J}ie  Häuser  Sverkcr  und  Bonde  in  Schweden. 

genannt)  benutzt  wurde,  um  eine  Reihe  von  Reformen  durchzuführen. 
Vor  allem  wurde  Norwegen  endlich  unter  ein  und  derselben  Gesetz- 
gebung geeinigt. 

3.    Die  Entwicklung   des    schwedischen  Staates   wurde   durch    zwei 
Momente :  den  Gegensatz  der  gothländischen  und  schwedischen  Bevölke- 
rung   und    den  Streit   mehrerer  Familien   um  den  Thron,    lange  zurück- 
gehalten.     Das    Christentum   hatte   sich    dank   den   Bemühungen  König 
Sverkers  (1133 — 1155)  allmählich  befestigt;  es  wurden  die  ersten  Klöster 
im  Lande  errichtet  und  Mönche  aus  Clairvaux  hereingezogen.    Der  Ver- 
such des  Kardinallegaten  Nikolaus  Breakspear,  auch  hier  ein  Erzbistum 
zu  begründen,   mifslang.  und  so  blieb  Schweden  unter  der  Metropoliten- 
gewalt  von   Lund.      Noch   zu  Lebzeiten   Sverkers   hatten   die  Schweden 
Erich,  den  Sohn  Jedwars  aus  dem  Hause  Bonde.  zum  König  gewählt, 
wogegen  die  Gothländer  zu  Sverkers  Sohn  Karl  hielten.    Erichs  Werk 
war   die  Befestigung  des  Christentums  im  oberen  Schweden.     Er   stellte 
die    heidnischen  Opfer   in  Upsala  ab  und  zog  christliche  Glaubensboten 
ins   Land.     Mit    der  Bekehrung   der  Finnen   leitete    er   die   Eroberung 
Finnlands  ein.     Erich  fiel  (1160)  gegen  den  dänischen  Prinzen  Magnus; 
der  ihm,  gestützt  auf  das  Erbrecht  der  Mutter,  die  Krone  streitig  machte, 
selbst  aber  im  Kampfe  gegen  Sverkers  Sohn  Karl  getötet  wurde.    Karl 
ist  der  erste,  der  als  König  der  Schweden  und  Goten  bezeichnet  wird.1) 
Schwedens  Geschichte  ist  die  folgenden  Jahrzehnte  hindurch  vom  Kampfe 
der  Häuser  Sverker   und  Bonde  beherrscht.    Xoch  unter  Karl  wurde 
in  Upsala  ein  Erzbistum  errichtet,  das  allerdings  im  Anfang  noch  der 
Metropole  Lund  untergeordnet  war.2)    Karl  verlor  sein  Reich  an  Erichs 
Sohn  Knut,    der   es   nach    anfänglichen  Kämpfen  mit  den  Verwandten 
Karls   bis   an   sein  Ende  unangefochten  beherrschte.     Trotzdem  er  aber 
noch  zu  Lebzeiten  über  die  Nachfolge  zugunsten  seines  Hauses   verfügt 
hatte,    wurde    Karls    Sohn    Sverker  H.    (1195 — 1210)   auf   den  Thron   er- 
hoben.   Ein  eifriger  Freund  des  Klerus,  befreite  er  diesen  von  der  welt- 
lichen   Gerichtsbarkeit   und    seinen   Besitz    von   Abgaben    an    den  Staat. 
Ahnliche    Vergünstigungen   wurden    auch    Laien    zuteil,    und   so    bildete 
sich  auch  in  Schweden  ein  Adel  aus.    Sverker  H.  hatte  schwere  Kämpfe 
mit  Erich  Knutson  zu  bestehen.    Auch  diesem  —  es  ist  Erich  IL  (1210 
bis    1216),    der    erste   gekrönte    König    Schwedens   —   folgte   wieder   ein 
Mitglied    des   Hauses    Sverker:    Johann   (1216 — 1222),    trotzdem   dieser 
noch  ein  Kind  war  und  König  Waldemar  sich  für  Erichs  Sohn  einsetzte. 
Mit  Johann    erlosch    Sverkers  Stamm.     Nun  erst  wurde  Erich  ErichsoD 
(1222 — .1250)   auf   den  Thron   erhoben.     Wurde    trotz    der  Thronstreitig- 
keiten   der    Gegensatz    zwischen   Gothländern    und  Schweden  allmählich 
ausgeglichen,    so    stieg    anderseits    die  Macht  des  hohen  Klerus  und  de* 
Adels.    Unter  diesem  gewann  das  Haus  der  Folkunger,  dessen  Ahner 
in  die  heidnische  Zeit  zurückreichen,  und  das  selbst  mit  jedem  der  dre 


')  Regg.   Alex.  III.  ad  1.  Aug.  1164. 
2)  Eiusque    (Stephani)    sueceszores    ab    archiepiscopo    Lundensi    tamquam  propri 
primati  consecrandos  esse  statuit.    ib. 


Der  vierte  Kreuzztigj  67 

nordischen  Königshäuser  verwandt  war,  die  überwiegende  Macht.  Seit 
1202  war  es  im  Besitz  der  Jarl würde,  des  höchsten  Hofamtes  in  Schweden. 
Schon  konnte  ein  Folkunger  Knut  Johannson  nach  der  Krone  greifen. 
Wiewohl  das  Unternehmen  mifslang,  behauptete  sich  das  Haus  in  seiner 
Macht.  Der  päpstliche  Legat  Wilhelm  legte  die  Streitigkeiten  zwischen 
König  und  Adel  bei  und  begründete  (1248)  eine  feste  kirchliche  Ord- 
nung im  Lande,  indes  der  Folkunger  Birg  er  Jarl  die  Finnlandszüge 
wieder  aufnahm  (1249).  Als  im  folgenden  Jahre  das  Haus  Erichs  des 
Heiligen  im  Mannesstamm  erlosch,  wählten  die  Schweden  Birgers  Sohn 
Waldemar  zum  König. 


3.  Kapitel. 

Innozenz  III.  und  der  Orient. 

§  14.  Der  vierte  Kreuzzug  und  die  Gründung  des  lateinischen  Kaisertums. 

Quellen.  H  o  p  f  in  Ersah  n.  Gruber,  RE.  85,  200 — 205.  Streit,  De  auctoribus 
IV.  exped.  sacrae.  Putbus  1863.  Klimke,  Die  Quellen  zur  Gesch.  d.  4.  Kreuzzugs. 
Bresl  1875.  Urkk. :  Tafel  und  Thomas,  Urkunden  zur  älteren  Handels-  und  Staats- 
geschicMe  der  Rep.  Venedig  mit  bes.  Beziehung  auf  Byzanz  u.  che  Levante.  Fontes 
rer.  Austr.  2.  Abt.  XII.  Geschieht  schreib  er  (hier  auch  die  Briefe  der  Teil- 
nehmer). 1 .  Französisch-flandrische:  Epistola  baronum  cruce  signatorum. 
Bouquet  XVIII,  515  ff.  Epistola  Hugonis  comitis  s.  Pauli  ad  Heinricum  ducem  Bra- 
bantiae  ed.  Tafel  et  Thomas  1.  c.  304  ff.  Epistola  Balduini  imperatoris  in  Albericus 
von  Trois  Fontaines.  MM.  Germ.  hist.  XXIII.  Epistola  Heinrici  irnp.  ad  Innoc.  DU. 
Bouq.  XVIII.  Villehardouin,  Geoffroy  de,  Histoire  de  l'empire  de  C.  sous  les  empereurs 
franeois  (Villehardouin  war  Teilnehmer).  Ed.  N.  de  Wailly.  Paris  1872.  Andere  Ausg. 
s.  Potth.  II,  1094.  Robert  de  Clary,  Li  Estoires  de  chiaus  qui  conquisent  Constantinoble 
1203,  ed.  Hopf,  Chroniques  Greco-Romanes  S.  1 — 85.  1873.  Die  vorgenannten  sind 
Quellen  ersten  Ranges.  Daran  schliefsen  sich:  Continuatio  belli  sacri  (Wilh.  Tyrii) 
Recueil  des  historiens  des  croisades.  t.  H,  483 — 693.  Paris  1859  (unter  dem  Titel : 
Chronique  d'Ernoul  et  de  Bernard  le  Tresorier  p.  p.  Mas  Latrie.  Paris  1871).  Balduinus 
Constantinopolitanus,  Tafel  et  Thomas,  p.  293  ff.  Den  Standpunkt  der  Kurie  vertreten 
die  Gesta  Innoc.  III.  (s.  §  2)  u.  die  Hist.  Albigensium  Petri  monachi  Vallis  Cernaji,  s. 
oben  §11.  2.  Deutsche  Quellen:  Günther,  Historia  C-politana  seu  de  urbis  Gonst. 
expugnatione  a.  1205  (eine  der  besten  Quellen),  ed.  Riant,  Exnviae  sacrae  Const.  Genf 
1877.  Devastatio  C-politana,  »offizielles  Journal«  des  4.  Kreuzzugs.  Hopf,  Chron. 
Greco-Romanes.  Berl.  1873.  Chron.  Halberstadt.  MM.  G.  SS.  XXIH.  Ann.  Col.  max, 
ib.  XVII,  810.  Venezianische  u.  andere  ital.  Quellen:  Chron.  Altinate.  MM.  G. 
SS.  XIV.  Martino  da  Canale,  Arch.  stör.  Ital.  VIII.  Sicard  v.  Cremona.  Mur.  VH. 
Dandolo,  Chron.  Venet.  Mur.  XII.  Sanudo  Marino,  Hist.  Hierosolym.  Bongars  Gesta 
Deill,  1 — 288.  Histor.  Salonitanorum  des  Thom.  Spalat.  Schwandtner.  SS.  rer.  Hung.HI,  532. 
Parti tio  regni  Greciae  sive  Romaniae,  ed.  Tafel  et  Thomas  1.  c.  p.  464 — 488. 
Griechische  Quellen:  Xiketas  Akominatos,  Narratio  de  statuis  etc.  Corp.  SS. 
Hist.  Byz.  Bonn  1836.  Georgios  Akropolites.  Ed.  Bonn.  tom.  XXIX.  Chronista 
Nowgorodensis,  lat.  bei  Hopf,  Chron.  Greco-Romanes  93—98.  Von  den  Arabern  kommt 
Ibn-el-Athir,  Tafel,  tom.  XIV.  append.  p.  459  ff.  in  Betracht.  Jüngere  Quellen  wie  die 
Chronique  de  la  conquete  u.  a.  s.  bei  Tafel  u.  Thomas  Urkk.     (S.  Molinier  III,  38.) 

Hilf s Schriften.  (Vgl.  auch  §37.)  Aufser  den  allg.  Werken  zur  Gesch.  d. 
Kreuzzüge  von  Michaud,  Wilken  s.  Kugler,  Gesch.  d.  Kreuzz.  Berl.  1880.  Röhricht, 
G.  d.  Kreuzzüge  im  Umrifs.   Innsbr.  1898.    Röhricht,  Beitr.  z.  G.  d.  Kreuzz.  n.  Berl.  1878. 

5* 


(5g  Die  Vorbereitungen  zum  Kreuzzug. 

Riant,  Innocent  III,  Philippe  de  Soiiabe  et  Boniface  de  Montferrat  1875.  Streit, 
Beitr.  z.  G.  d.  4.  Kreuzz.  Ankl.  1877.  Tessier,  La  4e  croisade.  Paris  1884.  Mitrophanow, 
Die  Änderung  der  Richtung  d.  4  Kreuzz.  (Russ."  1897.  Cerone,  II  papa  ed  i  Yenetiani 
nella  quarta  crociata.  Aren.  Yen.  XXXYI.  Hanotaux,  Les  Yenetiens  ont-ils  trahi 
la  chretiente  en  1202.  RH.  IY,  74.  Pears,  The  fall  of  Const.  Lond.  1885.  Norden, 
D.  4.  Kreuzzug  im  Rahmen  d.  Bez.  d.  Abendl.  zu  Byz.  Berl.  1898.  Und  jetzt  vornehmlich 
Norden,  Das  Papsttum  u.  Byzanz.  Berlin  1903,  S.  133  ff.  Krause,  D.Eroberungen 
v.  C.  im  13.  u.  15.  Jahrh.  Halle  1870.  Die  alle.  Werke  zur  byz.  Gesch.  u.  den  lat. 
Herrschaften.  Aufser  Gibbon,  The  history  of  the  decline  and  fall  of  the  Roman 
Empire  (XI  cap.  LX  u.  LXI.  .  Ed.  1821  u.  Ch.  duFresne  du  Cange,  L'histoire 
de  Const.  sous  les  empereurs  franeois.  Paris  1657,  s.  vornehml.  Hopf,  Geschichte 
Griechen!  im  MA.  Er  seh  u.  Gruber,  RE.  85.  Hertzberg,  Gesch.  Griechen!  s.  d. 
Absterben  d.  antiken  Lebens  bis  z.  Gegenwart  IL  Gotha  1876/77.  Gesch.  d.  byz.  u.  d. 
osm.  Reiches.  Ber!  1883.  Geiz  er,  Abrifs  d.  byz.  Kaisergesch.  in  Krumbacher, 
Gesch.  d.  byz.  Lit.  Münch.  1897.  Stamatiades,  c lorooia  t?%  aXatoecos  rov  BvZ.  .  .  etc. 
(1204 — 61.)  Ath.  1865.  Finlay,  History  of  the  Byz.  and  Grek  empires  froni  1057 
bis  1453.  Lond.  1854.  Fallmerayer,  Gesch.  d.  H.  Morea.  2  Bde.  Stuttg.  1830/1.  — 
Gesch.  d.  Kais.  Trapezunt.  München  1827.  Meliarakes,  lorooia  rov  ßaodeiov  r?g 
Nixaias  xai  rov  Seorrordrov  r?g  'Hneioov  1204 — 61).  Ath.  1898.  Evangelid.es,  'lorooia 
rrjs  ToaTxe'Zcvrros.  Odessa  1898  (s.  Byz.  Z.  VIT.  488).  Mas  Latrie,  Hist.  de  l'isle  de 
Chyx>re  1 861.  Gregorovius,  Gesch.  d.  St.  Athen  im  MA.  Stuttg.  1889.  Gerland, 
Kreta  als  venez.  Kol.  Hlb.  XX.  Gtildner,  Über  die  Versuche  Innoz.  HI.  einer 
Union  zw.  d.  lat.  u.  griech.  Kirche.  Tübingen  1893.  Pichler,  Gesch.  d.  kirch!  Trennung 
zw.  Orient  u.  Okzident.  München  1864.  Bouchet,  La  conquete  de  G.  de  Villeh. 
Paris  1890. 

1.  Stand  unter  Heinrich  VI.  das  Kaisertum  im  Mittelpunkt  des 
von  ihm  beabsichtigten  Kreuzzuges,  so  trat  unmittelbar  nach  seinem 
Tode  das  Papsttum  auch  hier  an  dessen  Stelle.  Die  Christenheit  wurde 
zur  Teilnahme  aufgefordert,  Amalrich  IL  und  das  Königreich  Jerusalem 
in  den  Schutz  des  Papstes  gestellt,  die  Unterwerfung  König  Leos  von 
Armenien  entgegengenommen  und  das  Verbot  erneuert,  den  Sarazenen 
Waffen,  Eisen,  Schiffsbauholz  und  anderes  Kriegsmaterial  zu  liefern. 
In  Frankreich  wirkte  Fulco  von  Neuilly  als  »erschütternder  Bufs- 
prediger,  im  südlichen  Deutschland  der  Abt  Martin  von  Paris  bei  Kolmar. 
Gröfser  als  in  Deutschland  war  der  Eifer  in  Frankreich,  wo  mehr  als 
tausend  Ritter  das  Kreuz  nahmen.  Ihnen  folgten  Graf  Balduin  von 
Flandern  und  seine  Brüder  Eustach  und  Heinrich.  Die  Kreuzfahrt  sollte 
von  Venedig  ausgehen  und  nach  dem  Plane  des  Papstes  mit  der  Er- 
oberung Ägyptens  eingeleitet  werden.  Schon  1198  trafen  vereinzelte 
Kreuzfahrer  in  Venedig  ein.  Die  Grafen  von  Champagne,  Flandern 
und  Blois  schickten  (1201)  eine  Gesandtschaft  dahin,  bei  der  sich  auch 
Gottfried  von  Villehardouin,  der  Geschichtschreiber  dieses  Kreuzzuges, 
befand,  und  schlössen  einen  Vertrag,  der  Venedig  verpflichtete,  gegen 
Zahlung  von  85000  Mark  Silber1)  ein  Heer  von  4500  Rittern,  die  dop- 
pelte Anzahl  von  Knappen  und  2000  Mann  zu  Fufs  überzuführen  und 
ein  Jahr  hindurch  zu  verpflegen.  Eroberungen  sollten  unter  Franzosen 
und  Italienern  geteilt  werden.  Der  Vertrag  wurde  von  Innozenz  III. 
mit  der  Einschränkung  gebilligt,  dafs  das  Kreuzheer  dem  päpstlichen 
Legaten  Folge  leiste.    Die  Führung  erhielt  der  Markgraf  von  Montferrat 


»)  =  3  400000  Mark  heutigen  Gel«  les. 


Das  Unternehmen  gegen  Zara.     Die  Wendung  gegen   Konstantinopel.  69 

Während  sich  französische  und  deutsche  Kreuzfahrer  in  Venedig  sam- 
melten, trat  durch  das  Zusammentreffen  verschiedener  Umstände  im 
Kriegsplan  eine  Änderung  ein.  Die  Venezianer  scheuten  vor  einem 
Angriff  auf  Agj^pten,  mit  dem  sie  einen  gewinnreichen  Handel  trieben, 
zurück,  dagegen  lenkte  der  Doge  Heinrich  Dandolo  die  Aufmerksamkeit 
der  Kreuzfahrer  auf  Konstantinopel,  wo  es  für  die  Vernichtung  der 
venezianischen  Kolonie  (1171)  und  der  an  Dandolo  vollzogenen  Blen- 
dung (1172)  Rache  zu  nehmen  galt.1)  Und  niemals  lagen  dort  die  Ver- 
hältnisse günstiger  hiezu  als  jetzt.  Am  8.  April  1195  war  nämlich 
Kaiser  Isaak  Angelos  von  seinem  Bruder  Alexios  III.  geblendet  und 
entthront  worden,  aber  sein  Sohn  Alexios  Angelos  war  1201  ins  Abend- 
land entflohen,  wo  er  des  Papstes  Hilfe  anrief.  Innozenz  III.  wies  sein 
Ansuchen  ab,  weil  er  seinen  Versprechungen  mifstraute,  seine  Unter- 
stützung die  Kreuzfahrt  zu  hemmen  drohte,  und  weil  endlich  der  Flücht- 
ling ein  Schwager  König  Philipps  war,  dem  Innozenz  eben  erst  die 
Königskrone  abgesprochen  hatte.  Alexios  Angelos  traf  am  staufischen 
Hof  mit  dem  Markgrafen  Bonifaz  von  Montferrat  zusammen,  der  nun 
auch  —  freilich  vergeblich  —  den  Papst  für  die  Rückführung  des  jungen 
Alexios  nach  Konstantinopel  zu  bestimmen  suchte.  Mittlerweile  hatte 
sich  Venedig  mit  Kreuzfahrern  gefüllt.  Es  hielt  schwer,  die  grofse 
Masse  zu  erhalten,  auch  konnte  die  Summe  für  die  Überfahrt  nicht  voll- 
ständig aufgebracht  werden.  Da  erbot  sich  Dandolo,  auf  den  Rest  zu 
verzichten,  falls  das  Kreuzheer  die  Verpflichtung  übernehme,  gegen 
Zara  zu  ziehen,  das  Venedigs  Handel  störte.  Trotz  der  Warnung  des 
Papstes,  der  hierin  eine  Schädigung  des  Kreuzzuges  erblickte  und  ver- 
hüten hatte,  eine  christliche  Stadt  zu  bekämpfen,  die  noch  dazu  dem 
König  von  Ungarn,  einem  Kreuzfahrer,  gehöre,  trotzdem  auch  unter 
den  Kreuzfahrern  eine  Partei  Einsprache  erhob,  wurde  der  Zug  unter- 
nommen. Triest  und  Muglia  ergaben  sich,  und  Zara  wurde  erobert. 
Venedigs  Herrschaft  im  Adriatischen  Meere  stand  fester  da  als  zuvor. 
Innozenz  III.  verzieh  den  Kreuzfahrern,  die  ihm  erklärten,  sie  hätten 
der  von  ihnen  übernommenen  Verpflichtungen  wegen  nicht  anders  han- 
deln können,  und  sprach  nur  über  Venedig  den  Bann  aus,  ohne  aber 
den  Verkehr  mit  den  Gebannten  während  des  Kreuzzuges  zu  hindern. 
2.  Noch  lagen  die  Kreuzfahrer  vor  Zara,  als  Gesandte  König 
Philipps  um  Hilfe  für  seinen  Schwager  Alexios  baten,  der  es  an  locken- 
den Versprechungen  nicht  fehlen  liefs.  Aufser  reichlichem  Solde  — 
200000  Mark  für  die  Kreuzfahrer,  30000  für  die  Venezianer  —  versprach 
er  Beteiligung  am  Kreuzzug  und  Unterordnung  der  griechischen  Kirche 
unter  Rom.  Auch  diesmal  erhob  der  Papst  aus  Furcht,  dafs  Konstan- 
tinopel unter  den  Einflufs  der  Staufer  käme,  Einsprache,  und  nur  ein 
Teil  des  Pilgerheeres  stimmte  zu.  Nichtsdestoweniger  wurde  der  Ver- 
trag geschlossen.     Ein  griechischer  Kaiser  sollte  eingesetzt  werden,    der 

*)  Röhricht,  Kreuzzüge,  S.  176.  Cerone  meint,  die  Ablenkung  von  dem  ursprüng- 
lichen Plane  sei  weder  (wie  Streit  wollte)  durch  die  vorausschauende  Politik  Dandolos, 
noch  (wie  Riant  glaubte)  durch  die  antipäpstliche  Politik  Philipps  von  Schwaben  hervor- 
gerufen worden,  sondern  das  Ergebnis  zufällig  zusammenwirkender  Umstände. 


70  Eroberung  von  Konstantinopel.     Wahl  eines  Kaiser-. 

sein  Reich  dem  abendländischen  Staatensystem  anzupassen  versprach.  Die 
Flotte  segelte  um  Morea  und  langte  am  23.  Juni  1203  vor  Konstan- 
tinopel an.  Nach  einem  mifslungenen  Versuch  Alexios'  III.,  die  Kreuz- 
fahrer für  sich  zu  gewinnen,  kam  es  zum  Kampfe.  Trotz  des  Verfalles 
s  griechischen  Heerwesens  hätte  sich  Konstantinopel  lange  behaupten 
können,  aber  der  Kaiser  entfloh  mit  seinen  Schätzen  nach  üebelton, 
und  nun  wurde  der  geblendete  Isaak  aus  dem  Kerker  geholt  und  als  Kaiser 
begrüfst.  Der  Kampf  hörte  auf.  da  Isaak  die  Zusagen  seines  Sohnes  er- 
neuerte und  ihn  als  Mitregenten  krönen  liefs  (1.  August).  Bald  brachen 
Mifshelligkeiten  zwischen  Griechen  und  Franzosen  aus.  Jene  sahen  in 
den  Kreuzfahrern  Ketzer,  der  Klerus  wollte  von  der  Unterwerfung  der 
grieschischen  Kirche  nichts  wissen,  und  die  versprochenen  Gelder  konnten 
nicht  rasch  genug  beschafft  werden.  Als  vollends  ein  von  den  Kreuz- 
fahrern verursachter  Brand  mehr  als  die  Hälfte  der  Stadt  in  Asche  legte, 
wurden  die  ansässigen  Lateiner  verjagt.  Sie  stellten  sich  unter  den 
Schutz  der  Kreuzfahrer.  Im  Volke  schlug  die  Stimmung  gegen  die 
Kaiser  um.  Um  sich  zu  behaupten,  entschlugen  sie  sich  ihrer  Zusagen. 
Da  ihnen  aber  ein  Angriff  auf  die  Venezianer  mifslang,  erregte  das  Volk 
einen  Aufruhr  und  hob  erst  einen  vornehmen  Jüngling,  Nikolaus  Canabus, 
dann  einen  Verwandten  des  Kaisers,  Alexios  Dukas,  genannt  MurzufLus, 
als  Alexios  V.  auf  den  Thron;  als  .dieser  nach  Beseitigung  seiner  Rivalen 
herrisch  den  Abzug  der  Kreuzfahrer  forderte  und  Geldzahlungen  an 
sie  verweigerte ,  beschlossen  sie  den  Kampf  und  einigten  sich  in  der 
Gewifsheit  des  Sieges  schon  jetzt  über  die  Wahl  eines  neuen  Kaisers 
und  die  Teilung  des  Reiches.  Zwar  wurden  die  ersten  zwei  Stürme 
abgeschlagen,  aber  der  dritte  gelang  :  Konstantinopel  wurde  genommen 
(12.  April)  und  in  grauenvoller  Weise  geplündert,  Gold  und  Silber  ge- 
raubt, die  Sophienkirche  durch  Orgien  entweiht,  Reliquienschätze  ge- 
stohlen und  herrliche  Standbilder  zertrümmert;  nur  weniges,  wie  die  be- 
rühmten Rosse  des  Lysippos,  jetzt  ein  Schmuck  von  San  Marco  in  Ve- 
nedig, wurde  gerettet.  Alexios  V.  war  geflohen,  und  auch  sein  Nach- 
.  folger,  der  tapfere  Theodor  Lascaris,  rettete  sich  durch  die  Flucht. 

3.  Nun  handelte  es  sich  um  die  Wahl  eines  Kaisers.  Da  Dandolo 
der  venezianischen  Interessen  wegen  nicht  in  Betracht  kam,  konnte  sie 
nur  den  Markgrafen  von  Montf errat  oder  Balduin  von  Flandern  treffen. 
Jener  besafs  als  Gatte  der  Witwe  Isaaks,  die  aus  erster  Ehe  einen  Sohn 
hatte,  die  Sympathien  der  Griechen,  für  diesen  entschied  die  Verwandt- 
schaft mit  dem  französischen  Königshause  und  der  Umstand,  dafs  er 
die  meisten  Ritter  zivm  Kreuzzug  beigestellt  hatte.  Er  wurde  von  den 
hiezu  bestimmten  Wählern,  je  sechs  Venezianern  und  Kreuzfahrern, 
einstimmig  gewählt  und  am  16.  Mai  1204  durch  einen  päpstlichen  Le- 
gaten zum  Kaiser  gekrönt.  Der  Eindruck,  den  das  Unternehmen  auf 
Innozenz  III.    gemacht  hatte,    war   ein  überwältigender.1)     Er  hatte  sich 


*)  Lehrreich  ist  das  Schreiben  des  lat.  Kaisers  Heinrich  an  den  Papst :  Yos  . .  .  solus 
pre  filiis  hominum  .  .  .  nobis  potestis  suecurrere.  tamquam  müitibus  vestris  et  ecclesie 
Romane  stipendiariis  .  .  .    Näheres  bei  Norden,  Das  Papsttum  u.  Byzanz,  8.  255 ff. 


Das  lat.  Kaisertum.     Teilung  des  byzantinischen  Reiches.  71 

gegen  die  Ablenkung  der  Unternehmung  lange  gesträubt,  fand  sich  aber 
nach  seiner  Maxime,  die  Notwendigkeit  erzwinge  vielerlei  und  entschul- 
dige es  häufig,  schnell  in  die  veränderten  Verhältnisse,  pries  Gottes 
Gnade  und  versprach  Nachschub  aus  dem  Abendland.  Er  wurde  des 
neuen  Reiches  Protektor  und  Oberherr,  sein  Vertrauensmann,  der 
Venezianer  Thomas  Morosini,  Patriarch.  Die  Eroberung  des  hl. 
Landes  schien  jetzt  völlig  gesichert.  Das  griechische  Reich  hatte  nun 
zwar  einen  Kaiser,  aber  die  einzelnen  Landschaften  waren  erst  noch  zu 
erobern,  denn  noch  behaupteten  sich  Alexios  III.  und  Alexios  V.  in 
Thrazien.  Als  dieser  bei  dem  ersteren  Schutz  vor  den  Franken  suchte, 
wurde  er  geblendet  und,  als  er  in  die  Gewalt  der  Franken  gefallen  war, 
von  der  Theodosiussäule  herabgestürzt.  Bald  fand  auch  Alexios  III. 
ein  ruhmloses  Ende.  Mittlerweile  vollzogen  die  Franken  die  Teilung 
des  Reiches.  Konstantinopel,  ein  Teil  ■  Thraziens,  Nikomedien  und  die 
Inseln  Lesbos,  Chios,  Lemnos  und  Skyros  verblieben  dem  Kaiser,  doch 
mufste  er  Pera  und  andere  günstig  gelegene  Teile  der  Hauptstadt  den 
Venezianern  überlassen.  Bonifaz  von  Montf errat  erhielt  als  König  von 
Thessalonich  Mazedonien  und  statt  Kreta,  das  er  an  Venedig 
abtrat,  einen  Teil  von  Thessalien  als  Lehen  des  Kaisers.  Der  Löwen- 
anteil kam  an  die  Venezianer ,  drei  Achtel  des  ganzen  Reiches :  die  am 
besten  gelegenen  Küsten  und  Inseln  wie  Corfu,  Euböa  u.  s.  w.  Den 
vornehmeren  Kreuzfahrern  fielen  kleinere  Lehensgebiete  in  Mittel-  und 
Südgriechenland  und  in  anderen  Teilen  des  Reiches  zu  (s.  §  37); 
auf  den  kleineren  griechischen  Inseln  machten  sich  einzelne  venezia- 
nische Edelleute  selbständig.  In  Trapezunt  gründeten  zwei  Prinzen  des 
Hauses  der  Komnenen  ein  Kaiserreich,  dessen  Regierung  der  ältere  von 
beiden,  Alexios,  übernahm.  In  Nikäa  behauptete  sich  Theodor  Lascaris, 
und  in  Epirus,  Albanien  und  Thessalien  begründete  Michael,  ein  An- 
gehöriger des  gestürzten  Kaiserhauses,  ein  neues  Reich.  Dem  heiligen 
Lande  selbst  hatte  das  Unternehmen  eher  Schaden  als  Nutzen  zugefügt, 
weil  nunmehr  die  Neugründungen  auf  dem  Boden  des  griechischen 
Kaisertums  die  überschüssigen  Kräfte  des  abendländischen  Rittertums 
in  ungleich  höherem  Grade  anzogen,  als  dies  mit  dem  hl.  Lande 
der  Fall  war. 

§  15.   Die  Kreuzzugsbewegung  bis  zum  Tode  Innozenz'  III.  und  die 
ersten  Zeiten  des  lateinischen  Kaisertums. 

Q  u  e  1 1  e  n ,  s.  §  14.  Zu  den  dort  gen.  Hilfsschriften  :  Des  Essarts,  La  croisade 
des  enfants.  Paris  1895.  R.  Röhricht,  Der  Kinderkreuzzug.  HZ.  XXVI  (s.  auch 
JBG.  1897,  III,  359;.  Röhricht,  Beiträge  II,  Kap.  VII.  Die  Kreuzzugsbewegung  im 
Jahre  1217.  Forsch.  XVI,  137  ff. 

1.  Ungeachtet  des  Unternehmens  gegen  Konstantinopel  war  eine 
bedeutende  Anzahl  von  Kreuzfahrern  nach  Akkon  gesegelt :  teils  solche, 
die,  wie  die  Vlämen,  unmittelbar  aus  ihrer  Heimat  dahin  zogen  oder 
sich  an  dem  Unternehmen  gegen  Konstantinopel  nicht  beteiligt  hatten, 
endlich  einzelne,  die  sich  noch  jetzt  nach  Syrien  aufmachten.  Trotz 
dieser  Hilfe  wagte  es  Amalrich  II.  nicht,  den  Frieden  zu   brechen,    den 


72  Laue  in  Syrien.     Der  Kinderkreuzzug. 

•  er  1198  mit  Malik-el-Adil  abgeschlossen  hatte,  und  selbst  als  der  Friede 
durch  Seeräubereien  des  Emirs  von  Sidon  gestört  ward,  wurde  er  (1204, 
September)  wieder  auf  sechs  Jahre  erneuert.  Syrien  behielt  nun  für 
längere  Zeit  Ruhe ;  denn  einerseits  hatte  die  Eroberung  des  griechischen 
Reiches  auch  auf  die  Sarazenen  Eindruck  gemacht,  anderseits  zogen 
Ritter  in  gröfserer  Zahl  aus  Syrien  nach  Griechenland,  wo  es  Aussicht 
auf  reiche  Beute  gab.  Amalrich  IL  starb  1205.  Das  Königreich 
Jerusalem  kam  an  seine  Stieftochter  Maria  Jolante,  Cypern  an  Hugo, 
Amalrichs  Sohn  aus  erster  Ehe.  Bei  der  Minderjährigkeit  beider  wurden 
vormundschaftliche  Regierungen  eingesetzt  und  Maria  Jolante  auf  den 
Rat  Philipps  IL  August  mit  dem  Grafen  Johann  von  Brienne  vermählt 
(1210).  Wiewohl  dieser  von  Innozenz  III.  und  von  Frankreich  reiche 
Unterstützung  erhielt,  war  er  doch  zu  schwach,  den  Krieg  im  grofsen 
zu  führen,  und  schlofs  daher  mit  dem  Sultan  (1211)  einen  Frieden,  der 
bis  1217  dauern  sollte.  Bald  hernach  starb  Johanns  Gemahlin  und 
hinterliefs  als  Erbin  des  Reiches  eine  Tochter  Iolante,  die  spätere  Ge- 
mahlin Friedrichs  IL  Die  Aussichten  für  einen  erfolgreichen  Krieg 
gegen  Ägypten  lagen  um  so  ungünstiger,  als  König  Leo  I.  von 
Armenien  in  einen  Kampf  mit  dem  Grafen  Bohemund  von  Tripolis 
verwickelt  war.  Aber  Innozenz  III.  liefs  die  Hoffnung  auf  die  Wieder- 
eroberung Jerusalems  nicht  sinken.  Seine  Ermahnungen  fielen  in 
P^rankreich  und  Deutschland  auf  einen  günstigen  Boden,  und  ihre 
Früchte  traten  in  dem  sonderbaren  Unternehmen  des  Kinderkreuz- 
zugs  von  1212  zutage.1)  Im  Juni  1212  trat  in  einem  Dorfe  bei  Vendöme 
ein  Hirtenknabe  namens  Stephan  mit  der  Erklärung  auf,  bestimmt  zu 
sein,  die  Christen  ins  gelobte  Land  zu  führen.  Mit  dem  Rufe :  Herr 
Jesu  Christ,  stelle  das  heilige  Kreuz  wieder  her!  zog  er  durch  Städte 
und  Dörfer.  Knaben  und  Mädchen  schlössen  sich,  den  Ermahnungen 
von  Eltern  und  Priestern  zum  Trotz,  an,  auch  Erwachsene  nahmen  teil. 
An  30000  gelangten  sie  bis  Marseille.  Der  König  von  Frankreich  liefs 
sie  zur  Heimkehr  auffordern,  doch  nur  wenige  gehorchten.  Die  übrigen 
fielen  in  Marseille  zwei  Seelenverkäufern  zur  Beute.  Auf  sieben  Schiffen 
segelten  sie  ab ;  zwei  von  diesen  scheiterten  in  der  Nähe  von  Sardinien, 
die  anderen  gelangten  nach  Ägypten,  wo  die  Pilger  als  Sklaven  ver- 
kauft wurden.  Nicht  besser  endete  ein  ähnliches  Unternehmen  in 
Deutschland,  an  dessen  Spitze  der  Knabe  Nikolaus  stand;  gegen  20000 
Knaben  und  Mädchen  zogen  über  die  Alpen.  Der  Bischof  von  Brindisi 
wehrte  ihnen  die  Überfahrt  und  ersparte  ihnen  das  Geschick  der 
französischen  Pilger.  Doch  gingen  noch  immer  viele  auf  der  Pilgerfahrt 
zugrunde  oder  verkamen  im  Elend.  Das  Unternehmen  wurde  schon 
von  den  Zeitgenossen  skeptisch  beurteilt.  Manche  hielten  es  für  einen 
Teufelsspuk.  Nicht  mit  Unrecht  fand  man  in  der  Sage  vom  Ratten- 
fänger von  Hameln  einen  Nachklang  davon.  Innozenz  III.  sah  freilich 
etwas  Grofses  darin:  »Während  wir  schlafen,  ziehen  sie  fröhlich  aus, 
um  das  hl.  Land  zu  erobern.« 


J)  Über  die  Motive  s.  Röhricht,  HZ.  XXX,  2—3. 


Charakteristik  des  Iat.    Kaisertunis.  73 

2.  Noch  weniger  als  in  Bezug  auf  Syrien  erfüllten  sich  die  Hoff- 
nungen des  Papstes  in  Bezug  auf  das  lateinische  Kaisertum.  In  einer 
abenteuerlichen  Weise  begründet,  hätte  es  auch  keinen  längeren  Bestand 
gehabt,  wären  ihm  tüchtigere  Regenten  beschieden  gewesen ;  die  Stützen 
des  neuen  Reiches  waren  von  Anfang  an  zu  schwach;  die  Sieger,  trotz 
alles  Zulaufs  aus  dem  Abendland  in  grofser  Minderheit,  standen  durch 
Sprache  und  Religion,  Rechtsanschauungen  und  Lebensgewohnheiten  in 
einem  Gegensatz  zu  den  Besiegten,  der  sich  von  Jahr  zu  Jahr  verschärfte. 
Die  Lateiner  waren  untereinander  nicht  einig;  die  Lehensstaaten  des 
Kaisertums,  auf  Erweiterung  ihrer  Grenzen  und  Rechte  bedacht,  küm- 
merten sich  wenig  um  den  Zusammenhang  des  Ganzen.  Ohne  die 
bisherige  Entwicklung  des  Reiches  in  Rechnung  zu  ziehen,  wurden  die 
Formen  des  abendländischen  Lehensstaates  nach  dem  Osten  übertragen; 
das  bei  Hofe  herrschende  Zeremoniell  war  zum  Teil  byzantinischen,  zum 
Teil  französischen  Ursprungs.  Bei  der  allgemeinen  Verwirrung  war  das 
Finanzwesen  zerrüttet,  das  Gewerbe  im  Niedergang  und  der  Handel  fast 
gänzlich  an  die  Venezianer  übergegangen.  Dem  Volke  waren  die 
Fremden  als  Ketzer  verhafst,  und  die  zugunsten  der  katholischen  Kirche 
getroffenen  Mafsnahmen :  Einführung  und  Stellung  der  Legaten,  Ände- 
rungen im  Kultus,  Zuweisung  von  Einkünften  an  katholische  Bischöfe, 
hielten  seinen  Hafs  ständig  rege.  Schon  im  ersten  Jahre  drohte  dem 
Reiche  der  Zusammenbruch,  als  sich  König  Bonifaz  vom  Kaisertum 
unabhängig  zu  machen  versuchte.  Dandolos  Vermittlung  verhinderte 
den  Ausbruch  des  Krieges  und  bewog  den  König,  dem  Kaiser  Balduin 
(1204 — 1205)  die  Huldigung  zu  leisten.  Als  dieser  die  Annäherung  des 
Bulgarenfürsten  Kalojohannes,  dem  der  Papst  die  Königskrone  verliehen  und 
eine  geweihte  Fahne  übersandt  hatte,  mit  dem  Hinweis  auf  die  erhabenere 
Stellung  des  Kaisers  und  die  frühere  Botmäfsigkeit  der  Bulgaren  zurück- 
wies, trat  der  Fürst  mit  flüchtigen  Griechen  und  Rumänen  in  Ver- 
bindung und  brachte  dem  Kaiser  bei  Adrianopel  eine  Niederlage  bei 
(1205,  15.  April).  Balduin  selbst  wurde  gefangen  und  trotz  der  Ver- 
wendung des  Papstes  unter  qualvollen  Martern  getötet.  Balduins  Bruder 
Heinrich  (1206 — -1216)  übernahm  die  Regentschaft  und  wurde  auf  die 
Nachricht  vom  Tode  des  Kaisers  zu  dessen  Nachfolger  gewählt.  Ebenso 
tapfer  als  Balduin,  hatte  er  gröfsere  staatsmännische  Talente  und  war 
der  einzige  wahrhaft  bedeutende  unter  allen  Kaisern  des  neuen  Reiches. 
Durch  seine  Versöhnlichkeit  zog  er  die  Griechen,  die  an  den  Bulgaren 
die  gefährlichsten  Feinde  hatten,  auf  seine  Seite.  Von  den  Helden  aus 
der  Zeit  der  Eroberung  war  er  einer  der  letzten.  Erst  starb  der  greise 
Doge  Dandolo,  dann  Bonifaz  in  ruhmvollem  Kampf  gegen  Kalojohannes. 
Bald  darauf  fiel  dieser  durch  Meuchelmord  (1207).  Mit  seinem  Nach- 
folger schlofs  der  Kaiser  nach  glücklichem  Kampfe  einen  ehrenvollen 
Frieden,  desgleichen  mit  den  Herrschern  von  Nikäa  und  Epirus.  Wenn 
es  ein  Mittel  gab,  die  Griechen  mit  der  Fremdherrschaft  auszusöhnen, 
war  es  die  Politik  dieses  Kaisers,  der  den  Griechen  die  wichtigsten 
Amter  im  Staate  anvertraute,  sie  vor  den  Übergriffen  des  lateinischen 
Klerus  in  Schutz  nahm  und  ihnen,  dem  Verbot  der  Legaten  zum  Trotz, 


74  Ungünstige  Lage  des  lat.  Kaisertums. 

freie  Ausübung  ihres  Gottesdienstes  gewährte.  Da  viele  Abendländer, 
die  in  die  Heimat  zurückkehrten,  ihren  Besitz  an  die  Kirche  verkauften 
oder  verschenkten,  diese  Ländereien  sodann  als  Kirchengut  vom  Kriegs- 
dienst befreit  waren  und  die  Wehrkraft  des  Reiches  hiedurch  geschädigt 
wurde,  verbot  er  die  Überweisung  von  Lehen  an  die  Tote  Hand. 
Heinrich  I.  starb  zu  Thessalonich,  das  er  für  Demetrius,  den  Sohn  des 
Königs  Bonifaz.  verteidigte.  Mit  ilnn  erlosch  der  Mannesstamm  des 
Hauses  Flandern.  Die  Grofsen  wählten  den  Gemahl  seiner  Schwe-tt t 
Jolante,  Peter  von  Courtenay  (1217 — 1219),  der  zur  Behauptung 
der  Kaiserwürde  gezwungen  war,  den  gröfsten  Teil  seiner  Güter  in 
Frankreich  zu  verkaufen.  Mit  140  Rittern  und  5500  Bewaffneten  zog 
er  über  die  Alpen  und  empfing  in  Rom  aus  den  Händen  des  Papstes 
Honorius  III.  die  Kaiserkrone.  Den  Venezianern  sollte  er  als  Lohn  für 
das  Geleite  Dyrrhachium  übergeben,  das  die  Epiroten  besetzt  hatten. 
Auf  dem  Zug  durch  Epirus  fiel  er  in  die  Hände  seiner  Gegner  und 
starb  in  der  Gefangenschaft.  Der  Kaiserthron  blieb  nun  zwei  Jahre 
unbesetzt.  Erst  1221  wurde,  da  Philipp  von  Courtenay,  Jolantes  ältester 
Sohn,  die  Kaiserwürde  ablehnte,  ihr  jüngerer  Sohn  Robert  (1221 — 1228) 
zur  Regierung  berufen.  War  die  Zerrüttung  schon  in  der  fünf  Jahre 
dauernden  kaiserlosen  Zeit  eine  grofse,  so  stieg  sie  unter  Roberts 
unfähigem  Regimente  aufs  höchste.  Theodor  von  Epirus  machte 
dem  Königreich  Thessalonich  ein  Ende,  und  Johannes  Vatatzes, 
der  Schwiegersohn  und  Nachfolger  des  Theodor  Lascaris,  eroberte  die 
Landgebiete  des  lateinischen  Kaisertums  in  Asien,  so  dafs  dieses  auf 
den  Besitz  der  Hauptstadt  beschränkt  war.  Die  Rache,  die  ein  bur- 
gundischer  Ritter  an  dem  Kaiser  nahm,  weil  ihm  dieser  seine  Braut 
entrifs  und  sich  heimlich  mit  ihr  vermählte,  bewog  ihn,  ganz  aus  Kon- 
stantinopel zu  weichen  und  das  Mitleid  der  Kurie  anzurufen.  Hier 
erhielt  er  eine  frostige  Weisung  zur  Rückkehr.  Auf  dem  Heimwege  starb 
er.  Nun  wurde  Jolantes  jüngster  Sohn  Balduin  IL  (1228 — 1261) 
Kaiser.  Da  er  noch  minderjährig  war.  erhielt  der  80jährige  Johann 
von  Brienne,  der  frühere  König  von  Jerusalem,  dessen  Krone  an  seine 
Tochter  Iolante  und  ihren  Gemahl  Friedrich  IL  übergegangen  war,  die 
Regentschaft,  Doch  auch  seine  unvergleichliche  Tapferkeit,  die  sich 
vornehmlich  während  des  von  Vatatzes  und  dem  Bulgarenfürsten  Asan 
unternommenen  Angriffes  bewährte  und  ihn  den  Zeitgenossen  als  einen 
zweiten  Hektor.  Roland  oder  Judas  Makkabäus  erscheinen  liefs,  konnte 
den  Niedergang  des  lateinischen  Kaisertums  nicht  mehr  aufhalten.  Als 
Johann  von  Brienne  starb,  war  der  Fall  des  Reiches  nur  noch  eine 
Frage  der  Zeit. 


§  16.  Das  grofse  Laterankonzil  von  1215  und  der  Ausgang  Innozenz'  III. 

Quellen:  Die  Dekrete  bei  Mansi,  Sacrorum  conciliorum  nova  et  aniplissima 
collectio.,  torn.  XXII.  Labbe,  >acrosancta  concilia,  toui.  XIII.  Harduin,  tom.  A'II. 
C.  Mirbt,  Quellen  zur  Gesch  des  Papsttums.  Nr.  221.  Hilf  s Schriften.  Haupt- 
werk: Hefele,  Konziliengesch.  Bd.  VI.    Sonst  wie  §2. 


Das  LaterankonziL    Ausgang  der  Regierung  Innozenz'  III.  75 

1.  Mehr  als  durch  vereinzelte  politische  Mafsregeln  trat  die  Macht- 
fülle des  Papsttums  auf  der  allgemeinen  Synode,  die  Innozenz  III.  nach 
Rom  berief,  in  die  Erscheinung.  Hier  fanden  sich  ein :  412  Bischöfe, 
800  Abte  und  Prioren  und  zahlreiche  Stellvertreter  abwesender  Prälaten 
und  der  Domkapitel.  Von  weltlichen  Fürsten  hatten  Friedrich  IL,  Kaiser 
Heinrich  von  Konstantinopel  und  die  Könige  von  Frankreich,  England, 
Jerusalem,  Aragonien,  Ungarn  u.  a.  Vertreter  gesandt.  Das  Konzil 
hatte  zwei  Aufgaben:  Verbesserung  der  gesamten  Kirche  und  die  Frage 
der  Wiedergewinnung  des  hl.  Landes.  Es  trat  am  11.  November  1415 
in  der  Laterankirche  zusammen,  die  zweite  Sitzung  wurde  am  20.,  die 
dritte  am  30.  November  gehalten. 

Es  ist  nicht  überliefert,  welchen  Gang  die  Beratungen  nahmen,  wie  die  Be- 
schlüsse zustande  kamen  und  welchen  Anteil  die  weltlichen  Abgesandten  nahmen. 
Wie  es  scheint,  wurden  der  Versammlung  die  bereits  fertiggestellten  Dekrete  zur  An- 
nahme vorgelegt.  Sie  betreffen  das  Verhalten  gegen  Ketzer  und  Schismatiker  (Kap.  1 — 4), 
die  Stellung  der  Patriarchen  (5),  die  Pflichten  der  Metropoliten  (6)  und  der  übrigen 
Kirchen  Vorsteher  (7 — 10),  das  sittliche  Verhalten  des  Klerus  (14 — 18)  und  der  Laien 
(21 — 22),  die  Kirchenwahlen  u.  s  w.  Das  letzte  Aktenstück  ist  das  Dekret  über  den 
Kreuzzug,  der  von  jenen,  die  den  Seeweg  wählen,  am  1.  Juni  1217  von  Sizilien  aus 
angetreten  werden  sollte.  Dort  wollte  sich  der  Papst  selbst  einfinden,  um  das  Kreuz- 
heer zu  segnen.  Eine  scharfe  Besteuerung  des  Klerus  —  nur  die  Prämonstratenser, 
Zisterzienser  und  Kluniazenser  blieben  frei  —  wurde  für  drei  Jahre  angeordnet.  Da- 
gegen blieben  die  Kreuzfahrer  von  Steuern  und  Zöllen  befreit.  Der  Handelsverkehr 
mit  der  Levante  sollte  auf  vier  Jahre  gesperrt,  die  Abhaltung  von  Turnieren  auf  drei 
Jahre  verboten  sein.  Ein  allgemeiner  Gottesfriede  trat  ein,  dessen  Verletzung  mit 
schweren  Strafen  belegt  wurde.  Die  grofse  Steigerung  der  politischen  Macht  des  Papst- 
tums entnimmt  man  auch  daraus,  dafs  am  Konzil  auch  über  den  deutschen  Thron- 
streit und  die  Angelegenheiten  König  Johanns  von  England  entschieden  wurde.  Von 
politischer  Bedeutung  sind  auch  einzelne  Anordnungen  wider  die  Ketzer,  so  z.  B., 
dafs  jeder  Landesherr  die  Pflicht  hat,  sein  Land  von  Ketzern  zu  reinigen.  Wer  es 
unterläfst,  wird  von  seinem  Metropoliten  gebannt;  kommt  er  seiner  Pflicht  nicht 
binnen  Jahresfrist  nach,  so  entbindet  der  Papst  seine  Untertanen  des  Treueides  und 
überläfst  sein  Land  der  Eroberung  durch  die  Katholiken.  Die  Gesandten  der  welt- 
lichen Mächte  stimmten  auch  diesem  Dekrete,  in  welchem  die  Kirche  über  die  welt- 
liche Macht  verfügt,  zu.  Es  wird  den  Geistlichen  verboten,  zum  Tod  zu  verurteilen 
oder  einer  blutigen  Justifizierung  beizuwohnen,  den  Fürsten,  irgend  eine  Bestimmung 
gegen  geistliche  Rechte  der  Kirche  zu  erlassen.  Obrigkeiten  und  andere  Laien,  welche 
die  Kirche  und  ihre  Personen  durch  Erpressungen  bedrücken,  werden  gebannt.  Doch 
sollen  diese,  aber  ohne  Zwang  und  nur  wenn  das  Vermögen  der  Laien  nicht  zureicht, 
zu  den  allgemeinen  Lasten  beitragen. 


■•&' 


2.  Innozenz  III.  starb  zu  Perugia  am  16.  Juli  1216  im  56.  Jahre 
seines  Lebens.  Sein  Pontifikat  bezeichnet  den  Höhepunkt  päpstlicher 
Machtentfaltung  während  des  Mittelalters.  Die  von  den  Gregorianern 
und  den  ihnen  folgenden  Kanonisten  aufgestellten  Prinzipien  sind  zum 
völligen  Siege  gelangt.  Was  dem  Kaisertum  nicht  gelungen  war,  die 
christlichen  Staaten  zu  einer  Einheit  zusammenzufassen,  das  hat  das 
Papsttum  erreicht,  das  nun  nicht  nur  die  höchste  geistliche,  sondern 
auch  die  oberste  weltliche  Macht  repäsentierte. x)  Streitigkeiten  der 
Könige   und   Völker   wurden   vor   sein   Tribunal    gezogen,    Sünden    und 

')  Nach  dem  Satze :  Dominus  Petro  non  solum  universam  ecclesiam,  sed  totum 
reliquit  saeculum  ad  gubernandum.     Lib.  IL    Ep.  209.    Ad  patr.  Constant. 


76  Höhepunkt  der  päpstlichen  Macht  im  Mittelalter.  ' 

Vergehungen  der  Monarchen  durch  das  Interdikt  an  den  Völkern  gestraft 
und  jene  hiedurch  zur  Umkehr  und  Bufse  gezwungen.  Diese  Ent- 
wicklung erfolgte  um  so  ungehinderter,  je  mehr  die  Machtbefugnisse  der 
Könige  durch  die  ihrer  Grofsen  eingeengt  wurden.  Die  Streitigkeiten 
in  einzelnen  Ländern,  mochten  sie  aus  der  Unsicherheit  der  Thronfolge 
oder  anderen  Beweggründen  entstanden  sein,  wurden  benutzt,  die  Macht- 
stellung des  Papsttums  stetig  zu  steigern.  Die  Zügel  innerhalb  der 
Kirche  wurden  immer  straffer  angezogen.  In  allem  und  jedem  sind 
die  Bischöfe  an  die  Weisungen  und  Einschreitungen  der  Kurie  ge- 
bunden. Das  allgemeine  Recht  der  Appellation  an  den  römischen  Stuhl 
und  der  von  diesem  geübte  Brauch ,  für  seine  Entscheidungen  den 
Tatbestand  durch  eigene  päpstliche  Kommissionen  an  Ort  und  Stelle  er- 
heben zu  lassen,  verminderte  die  Autorität  der  Bischöfe,  so  dafs  zuletzt 
kaum  noch  einer  eine  eigene  Meinung  zu  haben  wagte.  Der  Rückhalt, 
den  die  Könige  bisher  nicht  selten  an  dem  Episkopate  gefunden, 
schwindet,  denn  jetzt  war  der  Bischof,  »dessen  Befugnis  überall  so  tief 
in  die  weltlichen  Angelegenheiten  eingreift,  nichts  anderes  mehr  als  der 
Vertreter  und  Diener  des  Papstes.«1)  Die  weltlichen  Stände  folgen  der 
von  den  geistlichen  gegebenen  Richtung  und  werden  nun  von  geist- 
lichen Tendenzen  beherrscht;  und  wie  das  Rittertum  im  wesentlichen 
einen  geistlichen  Charakter  trägt,  schliefst  sich  auch  das  Bürgertum  der 
neuen  Richtung  an.  Der  geistlichen  Oberherrschaft  haben  die  einzelnen 
Völker  sich  leichter  als  der  weltlichen  untergeordnet,  »denn  die  Autorität 
des  Papstes  erschien  den  Völkern,  in  deren  Auffassung  der  Papst  als 
Statthalter  Christi  Repräsentant  der  Einheit  des  geistlichen  Lebens  auf 
Erden  ist,  als  etwas  durchaus  Notwendiges«.2)  Wer  dieser  Richtung 
widerstrebt,  verfällt  den  auf  die  Ketzerei  gesetzten  Strafen,  und  »was 
an  den  Universitäten  gelehrt  wird,  ist  im  Grunde  nur  die  der  Tatsache  der 
kirchlichen  Oberherrschaft  zu  Grunde  gelegte  Anschauung«.  Wenn  sich 
einstens  die  staufischen  Kaiser  auf  die  Sätze  Justinians  stützten,  das 
Papsttum  konnte  sich  nun  auf  die  Dekretalen  berufen.  Gegen  dieses 
grofsartige  System,  das  selbst  in  die  Literatur  einzelner  Völker  ein- 
zudringen vermochte,  zeigen  sich  schon  jetzt  Anfänge  einer  Opposition, 
die  um  so  kräftiger  wird,  je  drückender  sich  die  neue,  die  Freiheit  des 
menschlichen  Geistes  fesselnde  und  die  politische  Entwicklung  der  Völker 
hemmende  Oberherrschaft  der  Kirche  gestaltete.  Fand  der  von  Innozenz  III. 
errichtete  Bau  zu  seiner  Zeit  und  in  späteren  Tagen  eifrige  Bewunderer, 
so  fielen  dessen  Schäden  doch  auch  schon  den  Zeitgenossen,  viel  stärker 
aber  erst  den  kommenden  Generationen  in  die  Augen.3) 


*)  Ranke,  Weltgesch.  VIII,  401. 

2)  402. 

3)  Wiclif.,  De  Eucharistia :  Non  contendo,  quod  iste  Innocentius  irreligiöse  sibi 
subiugavit  Angliam,  seminavit  discordiam  inter  Franciam  et  Angliam,  contra  imperatores 
et  alios  seculares  dominos  .  .  irreligiöse  processit  .  .  . 


2.  Abschnitt. 

Friedrich  IL  und  seine  Zeit.   1216-1250. 


1.  Kapitel. 

Friedrich  IL  und  Honorius  III. 

§  17.    Die  sizilische  Frage  und  die  Kaiserkrönung  Friedrichs  II. 

Quellen.  S.  oben  §7  u.  8.  Dazu  Epp.  saec.  XIII.  e  regestis  pontificuin  Rom. 
sei.  per  G.  H.  Pertz,  ed.  C.  Rodenberg  I  (1216—1241).  Berl.  1883.  Regesta  Honorii 
papae,  ed.  Pressutti  Rom  1898.  Böhmer-Ficker  V  u.  Potth.,  wie  oben.  Friderici  II 
Constit.,  Henrici  regis  constit.  in  MM.  G.  LL.  tom.  II.  Hann.  1896.  Die  Konstit.  für 
Sizilien,  ed.  Huillard-Breholles  IV,  1,  wie  oben.  S.  auch  Koch  u.  Wille,  Regg.  d.  Pfalzgr. 
v.  Rhein.  Für  Honorius  III.  noch  Horoy,  Honorii  III.  Opp.  omnia.  Paris  1879.  Acta 
legat.  Hugolini  cand.  s.  in  d.  Epp.  Theiner  w.  §  2. 

Darstellende  Quellen.  De  Honorio  III.,  Murat  III,  2,  357—92.  Albert. 
Stad.  Chron.  (bis  1256).  MM.  G.  SS.  XVI.  Reinerus  monachus  S.  Jacobi  Leod. :  Con- 
tinuatio  chronici  Lamb.  Parvi  (bis  1230)  ib.  Caesarius  Heisterbacensis,  Cat.  archiep. 
Col.  (bis  1230)  ib.  XXIV.  —  De  miraculis  ed.  Leibnitz.  SS.  rer.  Brunsw.  II,  516.  Vita 
S.  Engelberti  archiep.  Col.  Böhmer  FF.  II,  294.  Chron.  regia  Colon.,  w.  oben.  Emo 
et  Menco,  Chron.  (1234  resp.  1273  u.  1296).  MM.  G.  SS.  XXni.  Chron.  Ebersheimense 
ib.  Albericus  mon.  Trium  Fontium  ib.  Annal.  Plac.  Guelfi  ib.  XVIII.  Gibellini  ib.  Chron. 
de  reb.  Sicul.  ed.  Huillard  Breholles  I,  2,  892.     Rieh.  d.  S.  Germano,  wie  §  8. 

Hilfsschriften.  S.  §8.  Dazu  Clausen,  Papst  Honorius  HI.  Diss.  Münst. 
1895.  Ficker,  Fürstl.  Willebriefe.  MJÖG.  m.  Rodenberg,  K.Friedrich  u.  d. 
deutsche  Kirche.  Hist.  Aufs.  d.  And.  G.  Waitz'  gewidmet.  Hann.  1886.  L.  Weiland, 
Friedrichs  H.  Priv.  f.  d.  geistl.  Fürsten.  Ebenda.  Nitzsch,  Stauf.  Stud.  Hist.  Z.  HI. 
Amari,  Storia  dei  Musulmani  di  Sicilia  HI,  2.     Die  allg.  Werke,  w.  §  2  u.  7. 

1.  Schon  am  dritten  Tage  nach  dem  Tode  Innozenz'  III.  wurde 
der  Kardinal  und  Kämmerer  der  römischen  Kirche  Cencius  aus  dem 
römischen  Hause  Savelli,  ein  alter,  gebrechlicher  Mann,  von  einer  Milde, 
die  ihm  als  Schwäche  gedeutet  wurde,  zu  Perugia  als  Honorius  III. 
(1216 — 1227)  auf  den  päpstlichen  Stuhl  erhoben.  Literarisch  gebildet, 
hatte  er  sich  um  die  Finanzverwaltung  der  Kurie  grofse  Verdienste  er- 
worben.1) Friedrich  IL  durfte  ihn  als  väterlichen  Freund  betrachten, 
denn  Cencius  hatte  seine  Erziehung  geleitet  und  seine  Aufgabe  so  treff- 
lich gelöst,  dafs  der  König  die  Fürsten  seiner  Zeit  an  Kenntnissen  weit 
überragte.  An  den  Ansprüchen  der  Kurie  hielt  er  freilich  ebenso  fest 
wie  seine  Vorgänger;  doch  war  die  sizilische  Frage,  die  seit  Heinrich  VI. 
im  Mittelpunkt  der  päpstlichen  Politik   stand,   noch  unter  Innozenz  III. 


*)    Von    ihm    rührt    die    Anlage    des    über   censuum   Rom.    eccl.    her.      Muratori 
Antiq.  V,  852. 


78  Friedrich  II.  and  Honörius  III.     Die  sizilische  Frage. 

geregelt  worden  (§  8).  Noch  auf  dem  Laterankonzil  ward  die  Verfügung 
getroffen ,  dafs  die  Kaiserkrönung  Friedrichs  IL  erst  erfolgen  dürfe, 
wenn  er  seinem  Sohne  Sizilien  abgetreten  habe,  und  am  1.  Juli  1216 
versprach  Friedrich,  sobald  er  die  Kaiserkrone  erhalten  habe,  seinen 
Sohn  aus  der  väterlichen  Gewalt  zu  entlassen,  sich  selbst  nicht  mehr 
König  von  Sizilien  zu  nennen  und  die  Regierung  daselbst  bis  zu  Hein- 
richs Volljährigkeit  im  Einverständnis  mit  dem  Papste  einem  Verwalter 
zu  übergeben.  Da  Innozenz  III.  hiedurch  jedem  Streit  für  die  Zukunft 
vorgebeugt  zu  haben  glaubte,  erhob  er  gegen  die  Übersiedlung  König 
Heinrichs  nach  Deutschland  keine  Einwendung;  und  doch  wünschte 
Friedrich  IL  diese  Übersiedlung  nur  deshalb,  um  gröfseren  Einflufs  auf 
die  Verwaltung  Siziliens  zu  gewinnen.  Kaum  war  Innozenz  III.  tot,  so 
lenkte  Friedrich  offen  in  andere  Bahnen  ein;  denn  seine  Stellung  zu 
Honorius  III.  war  eine  viel  freiere  als  zu  dem  Papste,  dem  er  die  Krone 
Deutschlands  verdankte  und  der  eine  geistige  Überlegenheit  über  ihn 
hatte,  die  er  keinem  andern  Papste  mehr  zugestehen  konnte.  Während 
Heinrich  VI.  einst  Sizilien  mit  dem  Reiche  vollständig  vereinigen  wollte, 
war  er  bereit,  sich  mit  einer  Personalunion  zu  begnügen,  die  ihm  zur 
Durchführung  seiner  weitausschauenden  Pläne  Siziliens  reiche  Hilfsmittel 
zur  Verfügung  stellte.  Statt  dafs  nun  der  junge  König  Sizilien  übernahm, 
übertrug  ihm  Friedrich  IL  Schwaben,  machte  ihn  hiedurch  zum 
deutschen  Reichsfürsten  und  stellte,  wenngleich  in  abgeschwächter  Form, 
eine  Interessengemeinschaft  zwischen  Sizilien  und  Deutschland  her,  die 
das  Versprechen  vom  1.  Juli  1216  aufhob.  —  alles  in  der  Absicht, 
seinem  Sohne  nicht  Sizilien,  sondern  Deutschland  zuzuweisen,  sich  selbst 
zum  Kaiser  krönen  zu  lassen  und  die  Verwaltung  Siziliens  in  die  eigenen 
Hände  zu  nehmen.  Diese  Politik  führte  Friedrich  IL,  ohne  in  der 
Wahl  seiner  Mittel  allzu  wählerisch  zu  sein,  um  so  leichter  durch,  als 
mit  Otto  IV.  ein  Gegner  gestorben  war,  den  die  Kurie  noch  als  Waffe 
gegen  ihn  hätte  benützen  können.  Seit  dem  September  1218  führte 
Heinrich  demnach  nicht  mehr  den  sizilischen  Königstitel,  sondern  nur 
den  eines  Herzogs  von  Schwaben.  Um  die  Stellung  seines  Sohnes  in  Deutsch- 
land zu  stärken,  gab  ihm  Friedrich  IL  das  erledigte  Rektorat  von  Burgund 
und  begann  nun  seine  Wahl  zu  seinem  Nachfolger  zu  betreiben.  Damit 
wäre  der  grofse  Erfolg  Innozenz'  III.  hinfällig  geworden;  wieder  stand 
die  Union  Siziliens  mit  dem  Reiche  in  Aussicht.  Die  Handhabe  zu 
diesem  Vorgehen  bot  rler  Kreuzzug,  der  nur  dann  Aussicht  auf  Erfolg 
hatte,  wenn  sich  der  König  selbst  an  die  Spitze  stellte.  Erst  jetzt,  im 
Gefühl  seiner  Unentbehrlichkeit.  trat  Friedrich  mit  seinen  Absichten  her- 
vor. Zwar  erneuerte  er  (1220.  10.  Februar)  sein  früheres  Versprechen, 
aber  schon  mit  dem  Vorbehalt,  dafs  er  seines  Sohnes  Nachfolger  würde, 
falls  dieser  mit  Tod  abginge,  ohne  Sohn  oder  Bruder  zu  hinterlassen; 
ja  er  sprach  die  Hoffnung  aus,  dafs  der  Papst  ihm  auf  Lebenszeit  Sizilien 
überlassen  werde.  Während  dieser  Verhandlungen  wählten  die  Fürsten 
seinen  Sohn  Heinrich  zum  König  (1220.  April).  Bei  dieser  Königswahl 
wird  zuerst  der  Electores,  der  Vorwähler,  Erwähnung  getan,  doch 
haben  sie  noch  kein  ausschliefsliches  Wahlrecht,    sondern   teilen  es    mit 


Die  Landeshoheit  der  geistliehen  Reichsfürsten.  79 

den  übrigen  Fürsten.  Die  Bedenken  der  Kurie  zu  beschwichtigen, 
bestätigten  die  deutschen  Fürsten  alles,  was  Friedrich  II.  der  Kirche 
verbrieft  hatte,  namentlich  auch,  dafs  das  Kaiserreich  keinerlei  Union  mit 
Sizilien  habe.  Trotzdem  war  diese  nunmehr  zur  Tatsache  geworden. 
Der  Papst  fügte  sich  in  das  Unvermeidliche,  und  dies  um  so  mehr,  als 
ihm  der  König  die  Reichshilfe  bei  den  Rekuperationen  der  Kirche  in 
Mittelitalien  in  Aussicht  stellte.  Die  geistlichen  Fürsten,  denen  Heinrichs 
Wahl  vornehmlich  zu  danken  war,  erhielten  von  Friedrich  IL  Zuge- 
ständnisse, die  für  die  Ausbildung  der  geistlichen  Reichsfürstentümer 
von  gröfster  Wichtigkeit  waren.1) 

Der  König  verzichtet  nicht  blofs  selbst  auf  da s^S polien recht,  sondern  ver- 
bietet jedeni  Laien,  sich  des  Nachlasses  der  Prälaten  zum  Schaden  ihrer  Nachfolger 
zu  bemächtigen,  und  untersagt  die  Anlegung  neuer  Zoll-  und  Münzstätten  in  den  Ge- 
bieten und  Gerichtsbarkeiten  geistlicher  Fürsten  und  die  Beeinträchtigung  der  be- 
stehenden. Damit  wird  des  Königs  Recht,  über  Zoll  und  Münze  zu  ver- 
fügen, für  einen  grofsen  Teil  des  Reiches  tatsächlich  aufgehoben. 
Ebenso  wird  die  Aufnahme  Höriger  in  die  königlichen  Städte,  die  An- 
legung neuer  Städte,  Burgen  und  Dörfer  auf  dem  Boden  der  Kirche 
untersagt,  den  kgl.  Beamten  verboten,  in  Zoll-,  Münz-  und  anderen  Ver- 
waltungssachen in  den  Städten  geistlicher  Fürsten  eine  Gerichtsbar- 
keit auszuüben,  es  sei  denn  acht  Tage  vor  Beginn  oder  nach  Schlufs  eines  da- 
selbst abgehaltenen  Hoftages.  Der  König  wird  den  Verkehr  mit  den  von  den  Bischöfen 
Gebannten  meiden ;  Gebannte  dürfen  bei  den  Gerichten  nicht  als  Kläger  oder  Zeugen, 
sondern  nur  als  Geklagte  erscheinen ;  wer  über  sechs  Wochen  im  Banne  verharrt,  ver- 
fällt der  Reichsacht,  »weil  das  weltliche  Schwert  zur  Unterstützung  der  Geistlichen 
angeordnet  ist. «  Damit  gelangten  die  geistlichen  Fürsten  in  den  Besitz 
der  wichtigsten  landeshoheitlichen  Rechte  und  wurde  die  Machtfülle  des 
deutschen  Königtums  derart  eingeschränkt,  dafs  man  von  jetzt  an  »weniger  von  einer 
Regierung  des  Königs  als  der  Fürsten  sprechen  kann« 2)  und  die  Krone  bei  ihren 
Handlungen  immer  auf  die  Zustimmung  der  Fürsten  angewiesen  ist.  Wie  verschieden 
ist  nun  die  Stellung  des  Königs  von  der,  die  einst  sein  Vater  oder  sein  Grofsvater 
eingenommen  hatte  !  Um  so  begreiflicher,  dafs  er  entschlossen  war,  den  Schwerpunkt 
seiner  Macht  nicht  in  Deutschland,  sondern  in  Sizilien  zu  suchen,  denn  mochten  die 
Verhältnisse  dort  auch  noch  so  zerrüttet  sein,  sie  gestatteten  doch  immer  noch  den 
Aufbau  des  Staates  nach  den  Wünschen  eines  kraftvollen  und  zielbewufsten  Herrschers. 

2.  Nachdem  Friedrich  II  die  für  die  Zeit  seiner  Abwesenheit  not- 
wendigen Verfügungen  getroffen  und  dem  schwäbischen  Edlen  Heinrich 
von  Nifen  die  Obhut  über  Schwaben  und  den  jungen  König  überlassen 
hatte,  trat  er  (1220,  August)  die  Romfahrt  an.  Die  für  Deutschland  ge- 
troffenen Mafsnahmen  wurden  bald  dahin  abgeändert,  dafs  er  den  tat- 
kräftigen Erzbischof  Engelbert  von  Köln  zum  Vormund  seines 
Sohnes  und  Gubernator  des  Reiches  bestellte.  Mit  geringer  Truppen- 
macht und  doch  als  mächtiger  König  betrat  Friedrich  den  Boden  Italiens, 
den  er  acht  Jahre  zuvor  einem  Abenteurer  gleich,  verlassen  hatte.  In- 
dem er  die  Bestimmungen  des  Konstanzer  Friedens  als  die  Reichsgrund- 
lage der  politischen  Verhältnisse  in  Obertalien  betrachtete,  leisteten  ihm 
auch   die  früheren  Gegner   des   staufischen  Königtums   ihre   Huldigung. 


*)  Privilegium  in  favorem  prineipum  ecclesiasticorum    vom   2G.  April  1220.     MM. 
G.  LL  IV,  2,  86—91. 

*)  Winkelmann,  Jahrb.  S.  66.     So  auch  Rodenberg,  S.  234. 


$0  Die  Kaiserkrönung  Friedrichs  II. 

Den  Wünschen  des  Papstes  kam  er  dadurch  entgegen,  dafs  er  gegen 
die  Häresien  in  der  Lombardei  und  die  der  Kirchenfreiheit  feindlichen 
Statuten  der  Städte  einschritt  und  für  die  Überweisung  der  Mathildischen 
Güter  an  die  Kirche  sorgte.  Trotz  alledem  liefs  die  Kurie  dem  Könige 
noch  einmal  wegen  der  Union  der  beiden  Reiche  Vorstellungen  machen 
und  beruhigte  sich  erst,  als  er  eine  Realunion  beider  von  sich  wies1) 
und  erklärte,  Sizilien  nicht  von  seinen  kaiserlichen  Vorfahren,  sondern 
durch  das  Recht  seiner  Mutter  als  päpstliches  Lehen  erhalten  zu  haben. 
Unter  diesen  Umständen  willigte  die  Kurie  ein.  dafs  er  selbst  Lehens- 
träger für  Sizilien  bleibe  und  demgemäfs  auch  fürderhin  den  Titel  eines 
Königs  von  Sizilien  führe.  Die  Verhandlungen  über  die  sizilische 
Frage  schlössen  sonach  zweifellos  mit  einem  Erfolg  des  Königs.  Am 
Cäcilientage —  dem  22.  November  1220  —  empfing  er  aus  den  Händen  des 
Papstes  die  Kaiserkrone;  aus  denen  des  Kardinals  Hugolinus  von  Ostia 
nahm  er  das  Kreuz  mit  der  Verpflichtung,  den  Kreuzzug  im  August 
des  nächsten  Jahres  anzutreten. 

Am  Tage  der  Kaiserkrönung  wurde  eine  Anzahl  von  Satzungen  erlassen,  von 
denen  die  ersteren 2)  die  Sicherstellung  der  Kirchenfreiheit  in  den  Städten  und  die 
Befreiung  der  Geistlichkeit  von  städtischen  Steuern  und  städtischer  Gerichtsbarkeit, 
andere  che  Verfolgung  der  Ketzer  zum  Ziele  haben,  die  letzten  endlich  den  Schutz  der 
Schifibrüchigen,  der  Pilger  und  Fremden  sowie  der  friedlichen  Arbeit  des  Landmannes 
aussprachen.  Während  der  Papst  noch  an  dem  Krönungstage  den  Bann  gegen  jeden 
Übertreter  dieser  Satzungen  aussprach,  wurden  Lehrer  und  Scholaren  in  Bologna  ver- 
pflichtet, sie  in  ihre  Gesetzbücher  zu  schreiben  und  über  sie  als  über  ewig  geltende 
Gesetze  zu  lesen.  Hatten  sonach  die  guten  Beziehungen  zwischen  Kaiser  und  Papst 
für  jenen  grofse  Vorteile  im  Gefolge,  so  ging  doch  auch  dieser  nicht  leer  aus:  nicht blofs 
dafs  der  Kaiser  der  Kirche  bereitwillig  den  weltlichen  Arm  zur  Verfügung  stellte,  es 
gelang  dem  Papste  auch  mit  Hilfe  des  Kaisers,  seine  Herrschaft  im  Kirchenstaat 
zu  befestigen. 

3.  Während  Friedrich  IL  seine  Siegeslaufbahn  in  Deutschland  ver- 
folgte, herrschten  in  Sizilien  anarchische  Zustände.  Noch  hielten  ein- 
zelne Grofse  und  Städte  zu  Otto  IV.  Auch  als  des  Weifenkaisers  Stern 
im  Erbleichen  war,  wurden  die  Zustände  nicht  besser,  da  es  dem  Stell- 
vertreter des  Königs  an  Mitteln  gebrach,  den  Übelständen  abzuhelfen. 
Prälaten  und  Barone  erweiterten  ihre  Macht  und  ihren  Besitz  auf  Kosten 
des  Königtums ;  Lehen  wanden  nicht  gemutet,  Kronländereien  besetzt, 
Dienstespnichten  vernachlässigt.  Auf  dem  Festlande  waren  die  Grafen 
von  Celano  und  Molise,  auf  der  Insel  Rainer  von  Manente,  einst  Ge- 
nosse Markwards  von  Airweiler,  Gegner  der  Krone.  Hier  unternahmen 
die  seit  1189  aus  den  Städten  verdrängten  Sarazenen  teils  auf  eigene 
Faust ;  teils  im  Dienste  habgieriger  Barone  verheerende  Raubzüge. 
Diesen  Zuständen  ein  Ende  zu  bereiten,  in  Sizilien  durchzuführen,  was 
in  Deutschland  wegen  der  ausgebildeten  Fürstenmacht,  in  Oberitalien 
wegen  der  Machtfülle  der  Kommunen  unmöglich  geworden :  die  Be- 
gründung einer  starken  einheitlich  verwalteten  Monarchie,  begann  Fried- 
rich IL  gleich  nach  der  Kaiserkrönung   mit   den   Rekuperationen  könig- 


1)  Frofitemur  Imperium  nichü  prorsus  iuris  habere  in  regno  Siciliat. 

2)  Sie    gehen    zum  Teil    auf  Beschlüsse    der  Lateransynode    zurück.     MM.  Germ. 
LL.  II,  243.    Mirbt,  Nr.  227. 


Ordnung  der  sizilischen   Verhältnisse.  81 

lieh  er  Güter    und   Rechte.     Auf   dem   Hoftage   zu   Capua  (zwischen  17. 
und  21.  Dezember  1220)  ordnete  er  eine  strenge  Revision  aller  während 
seiner    Minderjährigkeit    und    seiner    Abwesenheit    erteilten    Privilegien 
an.     Alle   seit   1189    erteilten  Privilegien    mufsten   ihm  'zur   Bestätigung 
vorgelegt    werden    und   nur    die  bestätigten    behielten    ihre   Gültigkeit.1) 
Alles  entfremdete  Königsgut,  für  dessen  Besitz  die  Inhaber  keine  legitimen 
Besitztitel    aufzubringen   vermochten,   wurde   eingezogen.     Um   die   Zer- 
splitterung der  Lehensgüter  und  damit  die  Verringerung  ihrer  Leistungs- 
fähigkeit zu  verhüten,  wurden  eigenmächtige  Veräufserungen  aus  ihnen 
verboten   und    die  bereits  erfolgten  für  ungültig  erklärt.     Alle  ohne  Er- 
laubnis  des   Königs   seit    1189    errichteten   Burgen   und  Türme  mufsten 
abgebrochen  werden ;  dagegen  liefs  der  König  an  geeigneten  Stellen  Burgen 
erbauen.      Richtete    sich    ein  Gesetz    gegen  die  übermäfsige  Anhäufung 
von  Grund  und  Boden  in  der  Toten  Hand,  so  gebot  ein  anderes  die  genaue 
Entrichtung  des  Zehents  an  die  Geistlichkeit,  freilich  auch  die  pünktliche 
Einhebung   der   königlichen    Gefälle.      Am    nächsten  Hoftag   zu  Messina 
wurde  die  Verpflichtung,  die  alten  Rechtstitel  vorzuweisen,  selbst  auf  die 
Zeiten  der  Könige  Roger,  Wilhelm  I.  und  Wilhelm  IL  ausgedehnt.    »Des 
Königs  Gesetz,  sein  Gericht  und  die  Furcht  vor  diesem«  machte  sich  in  kurzer 
Zeit  fühlbar.      Wurden   bei   den  legislatorischen  Arbeiten  anfänglich  die 
Prälaten  und  Barone  des  Landes  zu  Rate  gezogen,  so  ging  Friedrich  IL 
bald  unabhängig  vor.      Hoftage   wurden    in   den  nächsten  Jahren  über- 
haupt nicht  mehr  abgehalten;    der  Kaiser  erläfst  aus  eigener  Machtvoll- 
kommenheit Edikte,  schreibt  Steuern  aus   und   läfst  sie  durch  seine. Be- 
amten   erheben.      Selbst    auf    die    Bischofswahlen    nimmt    er  gegen  die 
Bestimmungen  des  Konkordates  von  1198  wieder  Einflufs.  Werden  auch  die 
Formen  der  Verwaltung  nicht  geändert,  so  werden  die  Zügel  doch  immer 
straffer  angezogen  und  binnen  kurzer  Zeit  grofse  Erfolge  erzielt.2) 

Um  die  maritimen  Interessen  des  Landes  zu  fördern,  seinen  Handel  zu  heben, 
werden  die  Privilegien  der  fremden  Seestaaten  aufgehoben  und,  um  die  normannische 
Seemacht  zu  stärken,  die  alte  normannische  Seeordnung  in  Anwendung  gebracht, 
durch  die  einzelne  Städte  und  Gebiete  verhalten  wurden,  Schiffe  zu  liefern  und  Mann- 
schaften auszurüsten.  Der  Erfolg  dieser  Malkregel  zeigte  sich  unmittelbar,  denn  noch 
in  demselben  Jahre  konnte  der  Kaiser  den  Kreuzfahrern  eine  Flotte  nach  Ägypten  (§  18) 
zu  Hilfe  schicken.  Mit  diesen  Mafsregeln  steht  die  Unterwerfung  der  unbotmäfsigen 
Lehensaristokratie  in  Zusammenhang.  Noch  wichtiger  war  der  Kampf  gegen  die 
Sarazenen  Siziliens:  am  17.  Juni  1222  wurde  ihr  Bergschlofs  Jato  erobert  und  ihr  Emir 
Ben-Abed,  der  letzte  mohammedanische  Fürst  Siziliens,  samt  seinen  Söhnen  ge- 
fangen genommen.  Ein  Teil  der  Sarazenen  zog  hierauf  in  die  Ebene  und  widmete 
sich  friedlichen  Beschäftigungen,  die  übrigen  wurden  grofsenteils  nach  Luceria  in  der 
Capitanata  verpflanzt,  wo  sie  mitten  unter  Christen  geduldet  wurden,  als  Knechte 
des  Fiskus  tüchtige  Ackerbauer  und  Handwerker  abgaben  und  dem  Kaiser  für  seine 
Kriege  eine  Truppe  stellten,  auf  die  er  sich,  da  sie  als  Mohammedaner  kirchlichen  Ein- 
flüssen unzugänglich  waren,  durchaus  verlassen  konnte. 


*)  Die  Assisse  De  resignandis  privilegiis  ist  übrigens  nur  che  Nachahmung  eines 
schon  von  König  Roger  gegebenen  Beispiels.  S.  Böhmer-Ficker,  Regg.  1492.  Privilegien 
Tankreds  und  Ottos  IV.  wurden  kraft  des  alten  Gesetzes  König  Wilhelms  kraftlos,  dafs 
alle  Dokumente  zu  vernichten  seien,  *in  quibits  nomen  alieuius  Jwstis  vel  proditoris 
nostri  scriptum  sit«.     H-B.  IV,  98. 

2)  Winkel  mann,  Jahrb.  I,  142. 
Loserth,    Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  6 


$2  Honorius  III.  und  die  Kreuzzugsfrage. 


§  18.    Der   sog.    fünfte  Kreuzzug  1217 — 1221   und    die    Beziehungen 
zwischen  Kaiser-  und  Papsttum  toii  1221 — 1227.     Friedrich  II.   und 

die  lonibardische  Liga. 

Quellen,  s.  P.  Richter,  Beitr.  zur  Historiogr.  in  den  Kreuzfahrerstaaten  für 
die  Zeit  Friedrichs  II.  Diss.  Berl.  1890.  Urkk.  S.  §  17.  Von  Briefen:  Jacobus  de 
Vitriaco,  Epp.  de  exped.  Damiatina  sex ;  s.  Ausg.  u.  Lit.  bei  Potthast  I,  633.  Oliverus 
scolasticus  Coloniensis,  F,pist.  ad  Engelbertuni  arch.  Coi.  de  obsidione  Darniatae  1218 
bis  1219,  ed.  Röhricht,  s.  unten.  Epp.  dccein.  Westd.  Zeitsch.  X.  Epistolae  variae  u. 
Chartae  variae  in  Röhricht,  Studien  z.  Gesch.  d.  5.  Kreuzzuges.  Innsbr.  1891.  — 
Die  Geschichtschreiber  sind  nur  zum  Teil  in  wissensch.  brauchbarer  AVeise  publiziert. 
Die  kleineren  hat  Röhricht  publiziert  in  Quinti  belli  sacri  scriptores  minores.  Genevae 
1879.  Es  sind:  Ordinacio  de  praedic.  s.  crucis  in  Anglia,  Gesta  crucigerorum  Rhena- 
norum,  De  itinere  Frisonum,  Gesta  obsidionis  Damiatae  v.  Codagnellus,  Johannes 
de  Tulbia,  De  domino  Job.  rege  Jerusalem  1218 — 1220.  Liber  duellii  christiani  in 
obsidione  Damiate  exacti  1218 — 1220.  Fragm.  de  captione  Damiatae  (mit  franz.  Über- 
setzung) u.  Prophetiae  cuiusdam  arabicae  etc.  Von  den  gröi'seren :  Oliverus  Scolasticus, 
Historia  Damiatina  [über  Entstehung,  Inhalt  u.  Literatur  s.  Potth.  LI.  877).  Jacobus 
de  Vitriaco,  Hist.  orientalis  bis  1218  (Ausg.  u.  Lit.  bei  Potth.  I,  635  .  Historia  expe- 
ditionum  in  Terram  Sanctam  1217 — 1219  in  Chronica  regia  Colon,  s.  oben.  Rycc. 
d.  S.  Germano,  Emo,  Roger  de  Hoveden,  Guilelm.  Tyr.  s.  oben.  Die  Zusammen- 
stellung der  Zeugnisse  aus  den  Chroniken  Deutschlands,  Belgiens,  Englands  u.  s.  w. 
unter  dem  Titel  Testimonia  minor a  de  quinto  bello  sacro  e  chronicis  occidentalibus 
ed.  Röhricht,  Genev.  1882  (im  3.  Bd.  der  Publications  de  la  societe  de  l'Orient  Latin) 
enthält  233  versch.  Zeugnisse.  Einzelnes  wie  den  Bericht  des  Bisch,  v.  Lissabon  in 
Raynaldus  Ann.  eccl.  a.  a.  1217.  Von  arab.  Geschichtschreibern:  Ibn-el-M a k r i z i , 
der  berühmteste  Geschichtschi'.  Ägyptens.  Ausg.  bei  Hammaker,  Komment.  Wüsten- 
feld 482.  Abu  Schama  bei  AVilken  VI.  Ibn-el-Athir,  Rec.  d.  hist.  d.  croisad.  aut.  Ai'ab.  LT. 
Ausg.  auch  in  Michaud,  Extraits  des  Historiens  Arabes,  trad.  p.  Reinaud.  Paris  1822. 
Altulfeda  im  Recueil  aut.  Orient.  I.      Auszüge  aus  Ron  Dschubair,  Rec. . .  des  crois.  LH. 

Hilfsschriften:  R.  Röhricht,  Beiträge  zur  Gesch.  der  Kreuzz.  I,  1 — 20. 
H,  230 — 263.  Röhricht,  Die  Kreuzzugsbewegung  1217.  Forschungen  XVI.  R  ö  h  rieht, 
Studien  s.  oben.  Röhricht,  D.  Bei.  v.  Damiette.  HT.  5,  F.  6.  Dort  rinden  sich 
sowohl  in  der  Einl.  als  in  den  Anmerkung,  noch  Literaturvermerke,  auf  die  hier  im 
allg.  hingewiesen  wird.  So  namentlich  der  Aufs.  Röhrichts  selbst :  Der  Kreuzz.  d.  K. 
Andreas  von  Lngarn  1217.  H.  Hoogeweeg,  Der  Kreuzzug  von  Damiette.  MJÖG. 
ViLL  u.  IX.  Dort  noch  einzelne  Literaturangaben.  Die  allg.  Werke  über  die  Gesch. 
d.  Kreuzzüge  s.  oben. 

1.  So  mafsvoll  auch  Honorius  III.  die  Politik  der  Kurie  lenkte, 
an  hingebungsvollem  Eifer  für  die  Sache  des  Kreuzzuges  übertraf  er 
selbst  Innozenz  III.,  so  dafs  die  Kreuzzugstätigkeit  des  Papsttunis  mit 
ihm  ihren  Höhepunkt  erreichte.  Gleich  nach  der  Inthronisation  forderte 
er  zur  Unterstützung  der  Christen  im  hl.  Lande  auf  und  traf  Anord- 
nungen zur  Einsammlung  und  Verteilung  der  Kreuzz  ugssteuern.  Im 
Morgenlande  wirkte  Jakob  von  Vitry,  der  gefeierteste  Kreuzzugsprediger 
seiner  Zeit.  Er  wies  darauf  hin.  dafs  die  Zeit  für  einen  Kreazzug  nie- 
mals günstiger  lag.  Aber  in  allen  Ländern  des  Okzidentes  türmten 
sich  Hindernisse  auf.  Bei  den  unsicheren  Zuständen  in  Deutschland 
verschob  Friedrich  IL  sein  Unternehmen  auf  eine  spätere  Zeit,  Doch 
setzten    sich    1217    bedeutende    Heerscharen   in   Bewegung:    in   Lngarn 


Der  Kampf  um  Damiette  und  dessen  Eroberung.  83 

sammelte  König  Andreas  IL,  im  südöstlichen  Deutschland  Herzog  Leo- 
pold VI.  von  Österreich,  Otto  von  Meran  u.  a.  eine  stärkere  Heeres- 
macht, die  sich  im  Herbst  1217  in  Akkon  mit  jener  vereinigte,  welche 
die  Könige  Johann  von  Jerusalem,  Hugo  von  Cypern  und  der  Fürst 
Bohemund  ausgerüstet  hatten.  Statt  die  Macht  der  Ejubiten  in  Ägypten 
anzugreifen,  unternahmen  die  Kreuzfahrer,  denen  es  an  einer  zielbewufsten 
Leitung  fehlte,  drei  erfolglose  Züge  in  das  Innere  Syriens.  Verstimmt 
und  ohne  sich  um  den  Bann  zu  kümmern,  den  der  Patriarch  gegen  ihn 
schleuderte,  trat  Andreas  mit  den  Seinen  die  Heimreise  an  (1218,  Januar). 
In  die  hiedurch  entstandene  Lücke  rückten  friesische  und  norddeutsche 
Pilgerscharen  ein,  die  sich  im  Mai  1217  in  Darthmouth  gesammelt  und 
mit  skandinavischen  den  Zug  angetreten  hatten.  Ein  Teil  von  ihnen 
half  den  Portugiesen  Alcazer  do  Sal  erobern,  während  die  übrigen  weiter 
zogen.  Im  Frühlinge  1218  trafen  beide  Scharen  vor  Akkon  ein.  Nun 
wurde  der  Plan,  den  Hauptstofs  gegen  Ägypten  zu  führen,  wieder  auf- 
genommen und  Damiette,  »der  Schlüssel  Ägyptens«,  als  Kampfziel  be- 
stimmt. Führer  war  König  Johann  von  Jerusalem.  Die  Landung  des 
Christenheeres  (Ende  Mai)  kam  den  Ägyptern  unerwartet.  Die  Festung 
hatte  nur  eine  geringe  Besatzung.  Sie  lag  auf  einer  Halbinsel  und  war 
durch  eine  dreifache  Mauer  und  zahlreiche  Bastionen  geschützt;  ausser- 
dem stand  auf  einer  Insel  im  Nil  ein  starker  Turm,  von  dem  aus  eine 
Kette  bis  zum  nächsten  Turm  der  Festung  das  Fahrwasser  sperrte. 
Der  erste  Angriff  der  Kreuzfahrer  hatte  denn  auch  keinen  Erfolg  (1.  Juli). 
Erst  am  24.  August  gelang  es  mit  Hilfe  einer  kunstvollen,  auf  einem 
Doppelschiff  errichteten  Belagerungsmaschine,  den  Turm  zu  nehmen. 
Die  Nachricht  hievon  erschütterte  den  Sultan  el-Adil  so,  dafs  er  bald 
darauf  starb.  In  Ägypten  folgte  ihm  el-Kamil,  in  Damaskus  el-Muaz- 
zam.  Die  Christen  nützten  die  mifsliche  Lage  ihrer  Feinde  nicht  aus. 
Ein  Teil  von  ihnen  zog  heimwärts.  Als  Ersatz  kamen  neue  Scharen, 
bei  denen  sich  der  Kardinallegat  Pelagius  befand,  der  auf  Grund  eines 
päpstlichen  Schreibens  den  Oberbefehl  beanspruchte  und  deshalb  mit 
König  Johann  in  Streit  geriet.  Inzwischen  hatte  auch  der  Sultan  neue 
Streitkräfte  an  sich  gezogen  und  bedrängte  die  Christen.  Während  des 
Winters  wurden  diese  zuerst  von  einer  Nilüberschwemmung,  hierauf  von 
einer  furchtbaren  Lagerseuche  heimgesucht,  weshalb  sie  ihre  Hauptmacht 
auf  das  östliche  Ufer  verlegten,  so  dafs  sie  die  Stadt  vollständig  ein- 
schlössen. Den  Übergang  hatte  ihnen  eine  im  Heere  des  Sultans  aus- 
gebrochene Meuterei  erleichtert.  El-Kamil  schlug  den  Aufstand  nicht 
nur  nieder,  sondern  machte  auch  neue  Rüstungen  und  ergriff  die  Offen- 
sive. Einen  schweren  Verlust  erlitten  die  Christen  durch  den  Abzug 
Herzog  Leopolds,  doch  konnte  die  Lücke  auch  jetzt  durch  neuen 
Zuzug  ausgefüllt  werden.  Bei  der  steigenden  Not  in  der  belagerten 
Stadt  gestand  der  Sultan  die  Herausgabe  Jerusalems  für  den  Abzug  von 
Damiette  zu,  aber  seine  Vorschläge,  denen  noch  weitergehende  folgten, 
wurden  auf  das  Betreiben  des  Legaten,  der  Ordensritter  und  Italiener 
gegen  die  Meinung  König  Johanns,  der  Deutschen  und  Franzosen  ab- 
gelehnt.    Endlich  fiel  die  Stadt  (1219,  5.  November). 

6* 


g4  Niederlage  der  Christen.     Verlust  von  Damiette. 

2.  Die  Kunde  hievon  rief  im  Abendland  grofse  Begeisterung  her- 
vor ;  die  christliche  Herrschaft  in  Ägypten  und  Syrien  aufzurichten, 
schien  nicht  mehr  schwer;  selbst  die  Sarazenen  wurden  mutlos.  Schon 
im  Frühlinge  1219  hatten  sie  mehrere  Hauptburgen  Palästinas  und 
Jerusalem  schleifen  lassen,  da  es  schwer  war.  sie  zu  verteidigen;  jetzt 
wurde  Jerusalem  völlig  zerstört;  aber  die  Hoffnungen  der  Christen  er- 
füllten sich  nicht ;  die  Zahl  ihrer  Streiter  war  zu  klein  und  diese  selbst 
uneinig.  Das  Jahr  1220  verging  unter  belanglosen  Kämpfen;  der  Haupt- 
schlag sollte  1221  vom  Kaiser  geführt  werden.  Schon  im  Mai  setzten 
sich  deutsche  Heereshaufen  unter  Ludwig  von  Bavern,  dem  Bischof  von 
Passau  u.  a.  in  Bewegung.  Der  Kaiser  sandte  eine  Mahnung  nach  der 
andern  nach  Ägypten,  sich  vor  seiner  Ankunft  nicht  von  Damiette  zu 
entfernen.  Auch  der  Papst  hielt  dafür,  entscheidende  Schläge  erst  nach 
des  Kaisers  Ankunft  zu  führen.  Dieser  erhielt  zunächst  einen  neuen 
Aufschub,  um  die  Verhältnisse  Siziliens  zu  ordnen ;  er  liefs  auch  bereits 
(s.  oben)  eine  Flotte  nach  Ägypten  abgehen.  Bevor  diese  aber  noch 
erschien,  war  die  Entscheidung  gefallen.  Auf  das  Drängen  des  Legaten, 
dem  der  Papst  mitgeteilt  hatte,  dafs  auf  die  Ankunft  des  Kaisers  in  der 
nächsten  Zeit  nicht  zu  rechnen  sei,  beschlossen  die  Kreuzfahrer,  die 
Eroberung  Ägyptens  in  Angriff  zu  nehmen,  und  rückten  trotz  aller  War- 
nungen König  Johanns  zu  einem  Zeitpunkt,  da  schon  die  Anschwel- 
lungen des  Nils  begannen,  bis  in  die  Nähe  des  1219  erbauten  el  Man- 
surah.  Noch  jetzt  wurden  den  Christen  günstige  Friedensvorschläge 
gemacht,  aber  gleich  den  früheren  zurückgewiesen.  Als  sich  das  Wasser 
des  Nils  seinem  Höhepunkt  näherte,  durchstachen  die  Ägypter  die 
Dämme  und  schnitten  den  Christen,  die  sich  »zwischen  den  Gewässern 
wie  Fische  im  Wasser  verstrickt«  sahen,  den  Rückzug  nach  Damiette 
ab.  Der  Sultan  hätte  sie  vernichten  können,  aber  er  besorgte,  dafs  dann 
die  Rachezüge  der  Franken  erst  recht  angehen  würden;  darum  schlofs 
er  mit  ihnen  (am  30.  August  1221)  einen  Vertrag,  in  welchem  er  ihnen 
gegen  die  Zurückgabe  von  Damiette  freien  Abzug  gewährte  und  das 
hl.  Kreuz  auslieferte.  Zugleich  wurde  ein  Waffenstillstand  auf  8  Jahre 
geschlossen,  der  innerhalb  dieser  Frist  nur  durch  einen  gekrönten  König 
aufgekündigt  werden  durfte.  Am  8.  Dezember  zogen  die  Ägypter  wieder 
in  Damiette  ein.  Die  Hauptschuld  an  dem  Mifslingen  trugen  aufser 
dem  Legaten,  der  das  Unternehmen  gegen  den  Rat  kriegserfahrener 
Männer  begann,  Papst  und  Kaiser:  jener,  weil  er  den  Legaten  trotz  der 
Kenntnis  seiner  gefährlichen  Pläne  gewähren  liefs,  dieser,  weil  er  seine 
Abfahrt  für  einen  Termin  in  Aussicht  stellte,  den  er  voraussichttlich 
nicht  einhalten  konnte.  Honorius  HL  und  Gregor  IX.  haben  daher 
unrechterweise  dem  Kaiser  die  Hauptschuld  am  Mifslingen  des  Unter- 
nehmens beigemessen. 

3.  Den  Papst  hatte  das  Unglück  vor  Damiette  nicht  entmutigt. 
Schon  am  12.  April  1222  traf  er  mit  dem  Kaiser  neue  Vereinbarungen. 
Da  sich  jedoch  wegen  der  Eingriffe  Friedrichs  II.  in  die  Wahlfreiheit 
der  sizilischen  Kirche  und  der  Neugestaltung  der  reichsitalischen  Ver- 
waltung Schwierigkeiten  ergaben,  wurde  ein  Fürstenkongrefs  zu  Verona 


Der  Vertrag  von  Ferentino.     Die  Zustände  in  der  Lombardei.  85 

für  den  Herbst  bestimmt.  Dieser  kam  nicht  zustande,  weil  sich  die 
Beziehungen  zwischen  Kaiser  und  Papst  wegen  der  Übergriffe  des  kaiser- 
lichen Legaten  in  Tuscien,  Spoleto  und  Ancona,  wo  er  die  Reichsgewalt 
wieder  herstellen  wollte,  verschlechtert  hatten,  der  Kaiser  übrigens  noch 
mit  der  Niederwerfung  der  Sarazenen,  auf  Sizilien  beschäftigt  war.  Erst 
im  März  1223  kam  in  Ferentino  ein  Übereinkommen  zustande  und 
wurde  dem  Kaiser  eine  Frist  von  zwei  Jahren  zum  Antritt  des  Kreuz- 
zuges gewährt.  Um  ihn  noch  mehr  an  die  Sache  des  hl.  Landes  zu 
fesseln,  sollte  er  —  seine  Gemahlin  Konstanze  war  am  23.  Juni  1222 
gestorben  —  Iolante,  die  Erbin  Jerusalems,  heiraten.  Zugleich  wurde 
eine  allgemeine  Kreuzzugssteuer  festgesetzt  und  zu  ihr  nicht  blofs  der 
Klerus,  sondern  auch  Laien  herangezogen.  Aber  auch  der  neue  Termin 
konnte  nicht  eingehalten  werden :  es  war  eben  in  keinem  Lande  jene 
Begeisterung  vorhanden,  die  in  Ferentino  vorausgesetzt  ward.  Eine 
neue  Verschiebung  fand  statt. 

Im  Vertrag  von  S.  Germano  wurde  am  25.  Juli  1225  festgesetzt,  dafs  der  Kaiser 
im  August  1227  mit  100  Transportschiffen  und  50  Galeeren  absegeln  und  diese  Streit- 
macht zwei  Jahre  lang  im  hl.  Lande  erhalten,  aufserdem  für  2000  Ritter  und  ihre 
Knappen  Schiffe  stellen  und  als  Pfand  100000  Unzen  Gold  erlegen  werde,  die  ihm 
beim  Antritt  des  Zuges  wieder  zufliefsen.  Sollte  der  Kaiser  vor  oder  auf  dem  Zuge 
sterben  oder  die  Kreuzfahrt  nicht  stattfinden,  so  verfällt  das  Geld  zum  Besten  des 
hl.  Landes ;  tritt  der  Kaiser  zu  dem  genannten  Zeitpunkt  die  Fahrt  nicht  an,  so  ver- 
fällt er  dem  Kirchenbann.  Sollte  er  sterben,  ohne  sein  Gelübde  erfüllt  zu  haben,  so 
ist  sein  Nachfolger  gehalten,  die  Verpflichtung  zu  erfüllen.  Dieser  Vertrag  hat  den 
bisherigen  Charakter  der  Kreuzzüge  von  Grund  aus  geändert a),  denn  was  bisher  Sache 
der  Christenheit  war,  wurde  nun  einem  einzigen  Lande,  dem  unter  päpstlicher  Lehens- 
hoheit stehenden  Sizilien,  zugedacht.  An  die  Stelle  eines  Religionskrieges  trat  ein 
Eroberungskrieg,  der  nur  äufserlich  den  Schein  eines  Religionskampfes  hatte,  indem 
die  Kirche  seinen  Vollzug  überwachte  und  den  Teilnehmern  ihre  Segnungen  spendete. 
Am  9.  November  1225  erfolgte  in  Brindisi  die  kirchliche  Einsegnung  der  Ehe  Fried- 
richs IL  mit  Iolante,  der  Königin  von  Jerusalem.  Der  Kaiser  wurde  damit  Herr  eines 
dritten  Reiches,  das  freilich  erst  noch  zu  erobern  war.  Indem  er  nun  von  seinem 
Schwiegervater  König  Johann  Verzicht  auf  das  Königreich  Jerusalem  begehrte,  nahm 
er  selbst  den  Königstitel  von  Jerusalem  an  und  liefs  sich  von  den  syrischen  Grofsen, 
welche  die  nunmehrige  Kaiserin  nach  Apulien  begleitet  hatten,  die  Huldigung  leisten. 
Die  Päpste  erkannten  diesen  Königstitel  erst  seit  1230  an. 

4.  Während  Friedrich  IL  in  Unteritalien  die  königliche  Autorität 
befestigte,  lagen  in  Oberitalien  die  meisten  Städte  mit  den  benachbarten 
Grofsen  oder  untereinander  oder  die  Parteien  in  den  einzelnen  Städten 
miteinander  im  Kampfe  und  waren  nur  in  dem  Streben  einig,  ihre  Macht 
über  die  Bestimmungen  des  Konstanzer  Vertrags  hinaus  zu  vermehren. 
Weder  Friedrich  IL  noch  seine  Legaten  hatten  an  diesen  Zuständen 
etwas  zu  ändern  vermocht.  Zu  Ostern  1226  berief  er  einen  Hof  tag  nach 
Cremona,  in  der  Absicht,  die  Zustände  von  1183  wieder  herzustellen. 
Das  hätte  für  viele  Städte  das  Aufgeben  mancher  usurpierter  Rechte 
bedeutet.  Da  sie  zugleich  eine  Begünstigung  kaiserlich  gesinnter  Städte, 
wie  Cremona,  Pavia  u.  a.,  befürchteten,  so  erneuerten  Mailand,  Bologna, 
Brescia,    Mantua,    Padua,  Vicenza   und   Treviso  am  6.  März  1226  in  der 


')  Winkelmann  I,  239. 


86       Der  Lombardenbund  un<l  Friedrich  II.     Vermittlung  und  Tod  des  Papstes. 

Kirche  des  hl.  Zeno  zu  Mosio  ihren  alten  Bund  auf  25  Jahre.  Ihm 
traten  noch  Vercelli,  Alessandria,  Faenza,  Lodi  und  Piacenza  bei.  Sein 
angebliches  Ziel  war  die  Aufrechthaltung  des  Konstanzer  Vertrags,  sein 
wirkliches  die  Beibehaltung  des  augenblicklichen  Zustandes.  Friedrich  II. 
sammelte  ein  Heer  und  kam  bis  Riniini.  Da  er  aber  auch  Insassen  des 
Kirchenstaates  für  das  lombardische  Unternehmen  verwendete,  trat  ihm 
der  Papst  entgegen,  der  ihm  auch  wegen  der  sizilischen  Verhältnisse 
grollte.  Als  Friedrich  II.  nach  Xorditalien  vorrückte,  liefs  die  lombar- 
dische Liga  die  Alpenpässe  sperren,  so  dafs  dem  deutschen  Heere,  das 
bereits  bis  Trient  gelangt  war,  die  Klausen  verlegt  waren  und  die 
deutschen  Fürsten  bis  auf  jene,  die  den  "Weg  durch  Ost  erreich  ge- 
nommen hatten,  wieder  umkehrten.  Um  die  Liga  zu  sprengen,  ver- 
besserte der  Kaiser  zunächst  seine  Beziehungen  zum  Papste  und  begann 
Unterhandlungen  mit  den  lombardischen  Städten.  Aber  schon  gingen 
die  Absichten  der  Lombarden  auf  völlige  Lahmlegung  der  kaiserlichen 
Gewalt.  Zu  dem  Zwecke  ward  jeder  Sonderverkehr  mit  ihm  eingestellt, 
die  "Wahl  ihrer  Podestäs  aus  anderen  als  den  Gemeinden  der  Liga  ver- 
boten und  bald  noch  eine  Zahl  zum  Teil  schimpflicher  Bedingungen 
gestellt.  Indem  sie  den  Austritt  einer  Stadt  aus  ihrer  Liga  einer  Re- 
bellion gleichstellten,  trat  ihre  Absicht  hervor,  den  Bund  zu  einem 
selbständigen  Staatswesen  auszugestalten.1)  Ein  Gutachten  zahlreicher  unter 
dem  Vorsitz  des  Bischofs  Konrad  von  Hildesheim  in  Parma  versammelter 
Kirchenfürsten  erklärte  dagegen,  dafs  die  Lombarden  durch  ihr  Vorgehen 
den  Rechten  und  der  Ehre  des  Kaisers  nahe  getreten  seien;  da  auch 
die  folgenden  Verhandlungen  ergebnislos  blieben,  sprach  der  Bischof 
über  die  Liga  wegen  unerlaubter  Verbindung«  Kirchenbann  und  Inter- 
dikt aus,  der  Kaiser  verhängte  über  die  Mitglieder  die  Acht  und  erklärte 
sie  ihrer  Privilegien,  zumal  der  ihnen  durch  den  Konstanzer  Vertrag 
verliehenen  Rechte,  verlustig,  hob  ihre  Städteverfassungen  auf.  ver- 
ordnete die  Auflösung  ihrer  hohen  Schulen  u.  s.  w.  Der  Urteilsspruch 
konnte  indes  wegen  der  Schwäche  der  Kaiserlichen  nicht  vollstreckt 
werden.  Indem  Friedrich  II.  schliefslich  die  Frage  der  Besetzung  der 
sizilischen  Bistümer  nach  den  Wünschen  des  Papstes  erledigte,  nahm 
dieser  die  Vermittlung  in  die  Hand,  und  die  lombardischen  Städte  er- 
klärten sich  bereit,  für  den  Kreuzzug  durch  zwei  Jahre  400  Ritter  zu 
stellen  und  die  kirchlichen  und  kaiserlichen  Gesetze  gegen  die  Ketzer 
und  zum  Schutze  der  Kirchenfreiheit  zu  beobachten  (1227,  Januar).  Da 
über  die  politischen  Fragen  keine  Entscheidung  erfolgte,  fiel  der  Schieds- 
spruch des  Papstes  gegen  Friedrich  und  für  die  Liga  aus.  die  nun  im  Besitz 
der  von  ihr  usurpierten  Rechte  verblieb.  Der  Papst  durfte  hoffen,  dafs  nun 
der  Kreuzzug  ohne  Hindernis  stattfinden  würde.  Bevor  es  aber  noch 
dazukam,  starb  er  am  18.  März  1227.  Ohne  die  glänzenden  Eigenschaften 
seines  Vorgängers  zu  besitzen,  vermochte  er  die  von  ihm  überkommene 
Macht  unversehrt  zu  erhalten,  und  der  erste  Versuch  des  Kaisers,  die  Ver- 
hältnisse Italiens  nach  seinem  Sinne  zu  gestalten,  war  völlig  gescheitert. 


1    Für  das  Folgende  AVinkelniann,  Jahrb.  I,  292  tf. 


Die  Politik  des  Reichsverwesers  Engelbert  von  Köln.  #7 

§  19.   Die  Regentschaft  Engelberts  von  Köln  (1220—1225)  und  Herzog 

Ludwigs  von  Bayern  (1226—1228). 

Quellen  wie  §17.  Hilfsschriften  ebenda.  Dazu:  Wissowa,  Pol.  Beziehungen 
Englands  u.  Deutschlands.  Breslau  1889.  J.  Ficker,  Engelbert  der  Heilige,  Erzb.  v. 
Köln  u.  Reichsverweser.  Köln  1853.  Isaacsohn,  De  consilio  regio.  Berl.  1874. 
Hoogeweg,  B.  Konrad  H.  v.  Hildesheim  als  Reichsfürst,  Z.  V.  N.  Sachs.  1889  (An- 
hanger der  Staufer  bis  an  sein  Ende  1249).     Rodenberg,  wie  oben. 

1.  Dem  Reichsverweser  Erzbischof  Engelbert  von  Köln  standen 
anfänglich  einzelne  Reichsfürsten  —  vornehmlich  geistliche  —  und 
Reichsministerialen  als  königlicher  Rat,  der  allerdings  kein  geschlossenes 
Kollegium  bildete,  zur  Seite.  Durch  Heinrichs  Krönung  zu  Aachen 
(1222,  8.  Mai)  wurde  an  der  bestehenden  Regierungsweise  nichts  geändert. 
Erst  nach  dem  Tode  des  Bischofs  Otto  von  Würzburg  (1223)  und  des 
Reichskanzlers  und  Bischofs  von  Speyer  und  Metz,  Konrad  von  Scharf en- 
berg  (1224),  wurde  Erzbischof  Engelbert,  bisher  der  tatkräftigste  Vertreter 
der  territorialen  Politik  des  Fürstentums,  der  eigentliche  Regent,  der 
sich  mit  den  Fürsten  verständigte,  das  Ratskollegium  anhörte  und  im 
Namen  des  Königs  die  entsprechenden  Anordnungen  traf.1)  Seine  Re- 
gierung fand  das  begeisterte  Lob  Walters  von  der  Vogelweide,  der  dem 
Reichs verweser  nahe  stand.  Engelbert  handhabte  in  strengster  Weise 
Recht  und  Gesetz,  sorgte  für  die  Aufrechthaltung  des  Landfriedens, 
Sicherheit  die  Verkehrs  und  das  Gedeihen  des  Bürgertums ,  freilich 
meist  nur  für  sein  eigenes  Land,  sonst  mufste  auf  die  schon  stark  ent- 
wickelte Landeshoheit  der  Reichsfürsten  billige  Rücksicht  genommen 
werden.  Auch  griff  der  Kaiser  nicht  selten  von  Sizilien  aus  in  die 
Reichsverwaltung  ein.  In  der  auswärtigen  Politik  war  das  bedeutendste 
Ereignis  die  Gefangennahme  König  Waidemars  II.  von  Dänemark,  die  den 
Sturz  der  dänischen  Grofsmachtstellung  einleitete  (§  13)  und  der  Reichs- 
regierung Anlafs  bot,  die  1215  an  Dänemark  abgetretenen  Lande  nord- 
wärts der  Elbe  zurückzugewinnen.  Stand  die  Politik  des  Reichsverwesers 
schon  in  dieser  Frage  nicht  völlig  mit  der  des  Kaisers  in  Einklang,  der 
sie  von  universalem  Gesichtspunkte  aus  führte,  so  war  dies  noch  weniger 
in  bezug  auf  die  Westmächte  der  Fall,  denen  gegenüber  Friedrich  II. 
an  der  Politik  seines  Hauses  festhielt.  Der  zu  Gatania  (1223,  November) 
zwischen  ihm  und  Ludwig  VIII.  abgeschlossene  Vertrag  bestimmte,  dafs 
der  Kaiser  weder  selbst  noch  auch  seine  Untertanen  ein  Bündnis  mit 
England  schliefsen  würden.  Engelbert  neigte  dagegen  nach  der  Über- 
lieferung seiner  Vorgänger  zu  England  und  begünstigte,  gegen  den  Plan 
einer  französischen  Heirat,  die  Vermählung  Heinrichs  mit  einer  eng- 
lischen Prinzessin.  Diese  Politik  schien  dem  Reichs  verweser  angesichts 
der  Fortschritte  des  kapetingischen  Königtums  durchaus  geboten,  und 
daran  änderte  auch  die  Zusammenkunft  Ludwigs  VIII.  und  Heinrichs 
zu  Toul  (1224,  19.  November)  nicht  das  mindeste.  Wenn  schliei'slich  ein- 
zelne Reichsfürsten,  wie  Thüringen  und  Bayern,  die  Vermählung  Heinrichs 


*)  Winkelmann,  353. 


8g  Engelberts  Ermordung  und  ihre  Wirkungen. 

mit  Agnes,  der  Tochter  des  Böhmenkönigs  Ottokar  L,  wünschten,  ver- 
warf der  Kaiser  alle  diese  Projekte  und  bestimmte  Margareta,  die 
Tochter  Herzog  Leopolds  VI.  von  Ost  erreich,  zur  Gemahlin  seines 
Sohnes.  Die  Hochzeit  wurde  am  18.  November  1225  in  Nürnberg  ge- 
feiert. Elf  Tage  zuvor  ward  Engelbert  von  seinem  Verwandten,  Grafen 
Friedrich  von  Altena-Isenburg,  dessen  Gewalttätigkeiten  gegen  das  Kloster 
Essen  er  ein  Ziel  setzen  wollte,  zu  Schwelm  ermordet.  Die  Trauer  um 
den  Heimgang  des  trefflichen  Reichsverwesers  war  eine  allgemeine.1) 

2.  Für  Deutschland  hatte  der  Mord  verhängnisvolle  Wirkungen. 
Zunächst  erhob  sich  in  vielen  Landesteilen  bis  zur  Neubesetzung  des 
Amtes  rohe  Gewalt,  der  der  königliche  Rat  bei  seinem  geringen  Ansehen 
nicht  beizukommen  vermochte.  Erst  im  Juli  1226  erhielt  Herzog  Ludwig 
von  Bayern  die  Würde  eines  Gubernators.  Indem  im  königlichen  Rate 
durch  ihre  stärkere  Beiziehung  die  Macht  der  Fürsten  überwog,  erhielt 
ihre  städtefeindliche  Richtung  auch  in  der  Reichsregierung  das  Über- 
gewicht. —  Am  28.  April  1227  war  Pfalzgraf  Heinrich,  der  letzte  Sohn 
Heinrichs  des  Löwen,  gestorben.  Er  hatte  sein  Erbe  seinem  Neffen 
Otto  von  Lüneburg  zugedacht,  aber  auch  Staufer  und  Bayern  erhoben 
Ansprüche,  über  die  schliefslich  Otto  die  Oberhand  gewann.  Wiewohl 
der  neue  Reichsverweser  in  den  Bahnen  seines  Vorgängers  wandelte, 
blieb  Friedrich  IL  auf  französischer  Seite  und  erneuerte  mit  Ludwig  IX. 
das  Bündnis  von  1223.  Während  der  Kreuzfahrt  des  Kaisers  (§  20) 
gewann  das  Reichsregiment  zwar  an  Selbständigkeit,  doch  mehrten  sich 
die  Fehden  und  die  A^erwirrung  im  Reiche,  zumal  unter  den  Mitgliedern 
der  Reichsregierung  keine  Einigkeit  herrschte.  Zu  Weihnachten  1228 
kam  es  zum  Bruche  zwischen  König  Heinrich,  der  sich  der  Vormund- 
schaft entwachsen  fühlte,  und  Herzog  Ludwig,  dessen  Regentschaft  ihr 
Ende  fand.  Heinrich  nahm  sie  nun  selbst  in  die  Hände.  Dies  geschah 
in  einem  Augenblick,  da  das  Papsttum  daran  ging,  dem  staufischen 
Hause  nicht  nur  Sizilien,  sondern  selbst  das  Königtum  in  Deutschland 
zu  entreifsen. 

2.  Kapitel. 

Friedrich  II.  und  Gregor  IX. 

§  20.    Gregor  IX.  und  der  Kreuzzug'  Friedrichs  II.    Krieg  zwischen 

Kaiser  und  Papst. 

Quellen  zur  Gesch.  Greg.  IX.  U  r  k k. :  L.  A  u  v  r  a  y ,  Les  Rt  gistres  de  Gregoire  IX. 
Paris  1890—1896.  Theiner,  S.  89—116,  sonst  wie  §17.  Geschichtschreiber :  Vita 
Gregorii  IX.  Murat.  HI,  575 — 587.  Verf.  Zeitgen.  ans  d.  Umgeb.  des  Papstes  Marx, 
Die  vita  Greg.  IX.  Berl.  1889.  Feiten,  Papst  Greg.  IX.  Beil.  1  .  Für  die  Kreuz- 
fahrt Friedrichs  II.  Akten  und  Briefe  wie  oben.  Dazu  Sudendorf,  Registr.,  die 
Geschichtschr.  s.  oben.  Für  die  Yorgesch.  ist  Ryccardus  de  8.  Germano  s.  oben) 
am     wichtigsten.       Aufser      ihm     Roger    v.    AVendover,     Matthäus     Paris,     die     Forts. 


v)    Ou-c   des,   daz  in  diu  erde  mac  getragen.     Walter,   ed.  AVilmans  320,  11.     Des 
Isenburgers  Strafe  in  der  vita  S^  Engelberti,  cap.  XVII. 


Gregor  IX.     Sein  Charakter  und  .seine  Ziele.  89 

des  Wilhelm  v.  Tyms,  die  oben  gen.  deutschen  Chroniken  u.  Annalen,  vornehmlich 
der  Chron.  Ursp.,  die  Ann.  Stadenses  und  Marbacenses  (s.  oben).  Wichtig  ist  das 
Chron.  Sic.  Huillard-Breholles  I  u.  von  deutschen  Dichtern  Fridanc  in  seiner  »Be- 
scheidenheit«, ed.  Bezzenhergcr.  Halle  1872.  Von  arab.  Schriftstellern  kommen  auch 
hier  Abulfeda,  Ihn  el-Athir,  Makrizi,  dann  Ibn  el-Amid  u.  Alhusain  in  Betracht. 

Hilfsschriften:  Bai  an,  Storia  di  Gregorio  IX  e  dei  suoi  tempi.  Mod.  1872/3. 
Feiten,  Papst  Gregor  IX.  Freib.  1886  (tendenziös).  K  ö  hier,  W  i  n  k  e  1  m  a  n  n , 
S  c  h  i  r  r  m  a  c  h  e  r ,  Gregorovius  wie  oben.  Für  den  Kreuzzug  s.  §  18.  Dazu  Richter, 
Beitr.  zur  Historiographie  in  den  Kreuzfahrerstaaten  zur  Zeit  Friedr.  H.  Diss.  1890. 
B.  Röhricht,  Die  Kreuzfahrt  Kaiser  Friedrichs  n.  (1228—1229)  in  Beitr.  I,  1—112. 
K  e  s  t  n  e  r ,  Der  Kreuzzug  Friedrichs  IL  Gott.  1870.  v.  Löher,  Kaiser  Friedrichs 
Kampf  um  Cypern.  Abh.  bayr.  Akad.  XIV.  Münch.  1878.  Winkelmann,  Der  Kreuzz. 
K.  Friedrichs  H.  in  Jahrbb.  d.  d.  Gesch.  H,  85  ff.  B 1  o  c  h  e  t ,  Les  relations  dipl.  des 
Hohenstaufen  avec  les  sultans  d'Egypte.  RH.  XXVII.  Honig,  Rapporti  fra  F.  II. 
e  Gr.  IX.  rispetto  alla  sped.  in  Palästina.  Bol.  1897.  Bernecker,  Beitr.  z.  Chronol. 
d.  Reg.  Ludwig  IV.  d.  H.  von  Thüringen.  Kgsbg.  Diss.  1880.  Koch,  Hermann  von 
Salza.  Leipz.  1885.  Dasse,  Hermann  v.  Salza.  Diss.  1867.  Loreck,  H.  v.  S.  Sein 
Itinerar.  Diss.  1880.  C.  Rodenberg,  Die  Vorverhandlungen  zum  Frieden  von 
St.  Germano.  N.  Arch.  XVIH.  G.  Xoel,  Der  Friede  von  S.  Germano.  Berl.  1891. 
Fehling,  Kaiser  Friedrich  H.  u.  die  römischen  Kardinäle  1227 — 1239.  Hist.  Stud.  XXI. 
Berl.  1901.  H.  Frankfurth,  Gregor  de  Montelongo.  Marb.  1898.  S.  dazu  Hampe 
i.  d.  H.  Vierteljahrschr.  II,  404.     (Einige  kleinere  Xachtr.    JBG.  1899  ff.) 

1.  Auf  einen  der  friedliebendsten  Päpste  folgte  ein  Mann  von 
starker  Leidenschaft  und  eherner  Willensfestigkeit.1)  Schon  einen  Tag 
nach  dem  Tode  Honorius'  III.  wurde  der  Kardinalbischof  von  Ostia 
Hugo,  meist  Hugolinus  genannt,  gewählt  und  als  Papst  Gregor  IX.  aus- 
gerufen. Er  stammte  aus  dem  Hause  der  Conti  und  war  mit  Innozenz  III. 
verwandt.  Schon  bejahrt,  ein  Mann  von  stattlichem  Aufsern,  tadellosem 
Ruf,  fromm  und  sittenstreng,  beredt  und  gerühmt  wegen  seiner  Kennt- 
nisse in  den  philosophischen  und  Rechtswissenschaften,  war  er  bereits 
1198  Kardinal  geworden  und  hatte  sich  bei  verschiedenen  Legationen 
in  Unter-  und  Oberitalien  und  Deutschland  bewährt.  Unter  Honorius  III. 
wirkte  er  mit  gröfstem  Eifer  für  den  Kreuzzug.  Gregor  IX.  huldigte 
den  Grundsätzen  seines  Vorgängers,  aber  kraftvoller  als  dieser:  »Wie 
ein  Blitz  aus  dem  Süden«,  sagt  sein  Biograph,  »ist  er  hervorgetreten.« 
Ein  friedliches  Zusammenwirken  mit  dem  Kaiser  war  nur  dann  möglich, 
wenn  dieser  sich  willig  der  Leitung  der  Kirche  fügte.2)  Kaum  hatte 
Gregor  IX.  den  päpstlichen  Stuhl  bestiegen,  als  er  dem  Klerus  die 
Förderung  des  Kreuzzugs  zur  Pflicht  machte  und  den  Kaiser  unter 
Strafandrohungen  an  sein  Gelübde  mahnte.  Dieser  liefs  es  an  Eifer  nicht 
fehlen :  in  allen  Häfen  Siziliens  wurden  Schiffe  ausgerüstet,  von  der 
Geistlichkeit  Kriegssteuern  erhoben;  in  Deutschland  wirkte  der  Grofs- 
meister  des  Deutschen  Ordens,  Hermann  von  Salza,  mit  grofsem  Erfolge 
für  das  Unternehmen.  In  einzelnen  Landschaften  war  der  Andrang  so 
stark,  dafs  z.  B.  der  Herzog  Leopold  von  Österreich  für  die  Verteidigungs- 
fähigkeit seines  Landes  besorgt  wurde.  Besonders  eifrig  waren  auch 
diesmal  die  Friesen.  Neben  Deutschland  tat  sich  England  hervor. 
Frankreich  blieb  dagegen  zurück,  da  hier  der  Krieg  gegen  die  Albigenser 

x)  Gregorovius  V,  140. 

2)  Seine  Politik  erörtert  knapp  Fehling,  S.  1. 


90  Die  Baimung  Friedrichs  II. 

die  Kräfte  des  Landes  in  Anspruch  nahm.  Die  Kreuzfahrer  sammelten 
sich  in  Brindisi.  Die  ungeheure  Sommerhitze  daselbst,  das  dichte  Zu- 
sammenwohnen und  die  ungeregelte  Lebensweise  der  Pilger  erzeugte 
eine  Seuche,  der  Tausende  erlagen.  Unter  den  Opfern  befand  sich  auch 
der  Bischof  von  Augsburg.  Da  sich  bei  so  starker  Beteiligung  an  dem 
Kreuzzug  die  Zurüstungen  als  unzureichend  erwiesen,  kehrten  viele 
Kreuzfahrer  in  die  Heimat  zurück.  Friedrich  IL.  wiewohl  selbst  von 
der  Krankheit  ergriffen,  beteiligte  sich  noch  an  den  nächsten  Arbeiten. 
Am  9.  September  1227  schiffte  er  sich  ein,  um  sich  in  Otranto  von  seiner 
Gemahlin  zu  verabschieden.  Da  starb  auch  Landgraf  Ludwig  von 
Thüringen.  Der  Tod  dieses  Fürsten,  auf  dessen  Hilfe  der  Kaiser  vor- 
nehmlich gerechnet  hatte,  erschütterte  ihn  so,  dafs  sich  seine  eigene 
Krankheit  verschlimmerte.  In  einem  zu  Otranto  abgehaltenen  Kriegs- 
rat, an  dem  auch  der  Patriarch  von  Jerusalem,  der  Bischof  von  Akkon 
Jakob  von  Vitry  und  Hermann  von  Salza  teilnahmen,  entschlofs  er  sich, 
zurückzubleiben,  den  Oberbefehl  über  die  bereits  abgesegelten  Heeres- 
teile dem  Herzog  Heinrich  von  Limburg  zu  übertragen,  die  noch  im 
Hafen  liegenden  Schiffe  dem  Deutschordensmeister  und  dem  Patriarchen 
von  Jerusalem  und  anderen  Grofsen  zur  Verfügung  zu  stellen  und  seine 
Abfahrt  auf  den  Mai  des  nächsten  Jahres  zu  verschieben. 

Die  Kunde  hie  von  versetzte  den  Papst  in  heftige  Erregung.  In 
der  Annahme,  dafs  des  Kaisers  Krankheit  nur  erdichtet  sei1),  sprach  der 
Papst,  ohne  die  Umstände  näher  zu  prüfen2],  über  ihn  den  Bannfluch 
aus  (29.  September).  Die  Bemühungen  des  Kaisers  um  .dessen  Zurück- 
nahme blieben  vergeblich,  vielmehr  wurde  der  Bann  auf  der  römischen 
Synode  am  18.  November  1227  und  am  Gründonnerstag  des  folgenden 
Jahres  wiederholt,  alle  auf  den  Kreuzzug  bezüglichen  Handlungen  für 
ungültig  erklärt  und  die  Kreuzfahrer  ihrer  Gelübde  entbunden.  AVar 
auch  der  Papst  zu  seinem  Vorgehen  formell  berechtigt,  so  hätten  doch 
die  vielen  zugunsten  Friedrichs  sprechenden  Tatsachen,  vor  allem  seine 
wirkliche  Erkrankung,  berücksichtigt  werden  sollen.  Statt  dessen  wurden 
von  der  Kurie  Dinge  eingemischt,  die  mit  der  Kreuzfahrt  nichts  zu  tun 
hatten.3)  Der  Kaiser  rechtfertigte  seine  Haltung  in  einem  Rundschreiben 
an  alle  Fürsten,  widerlegte  die  gegen  ihn  erhobenen  Anschuldigungen 
und  verkündigte  seine  Absicht,  den  Kreuzzug  anzutreten.  Der  Papst 
konnte  nicht  hindern,  dafs  des  Kaisers  Schrift  durch  den  Juristen  Rof- 
fried  von  Benevent  auf  dem  Kapitol  verlesen  wurde  und  die  Römer 
ihren  Sympathien  für  Friedrich  II.  Ausdruck  gaben,  ja  nach  der  dritten 
Verkündigung  des  Bannes  einen  Tumult  erregten.  Er  war  genötigt,  aus 
der  Stadt  zu  ziehen. 


*)  Die  sachgemäfseste  Erörterung  hierüber  bei  Winkelinann  I,  333  f.  Zur  Ban- 
nung des  Kaisers  s.  auch,  die  Note  in  Döllinger,  Die  Ermordung  des  Herzogs  Ludwig. 
Akad.    Vortr.  III,  196. 

2)  Sine  causae  cognltione.  Friedrichs  Feinde  schienen  ihm  ein  Verbrechen  aus 
seiner  Genesung  zu  machen  und  dafs  er  nicht  wie  so  viele  andere  der  Seuche  erlegen 
war.    Ebenda  nach  Cherrier,  Bist,  de  la  lutte  des  papes,  II,  51. 

5)  Indem  sie  Forderungen  vorbrachte,  die  den  Zweck  hatten,  Sizilien  zu  einer 
päpstlichen  Statthalterschaft  herabzudrücken.     S.  Ficker  in  den  MJÖG.  IV,  375. 


Der  Kreuzzug  Friedrichs  II.  91 

2.  Um  zu  zeigen,  dafs  sein  Zurückbleiben  nicht  beabsichtigt  war, 
setzte  Friedrich  II.  die  Rüstungen  fort.  Die  Lage  im  Oriente  war  inso- 
fern günstig,  als  der  Sultan  im  Streite  mit  seinen  Brüdern  und  in  der 
Absicht,  des  Kaisers  Hilfe  zu  gewinnen,  schon  1227  mit  dem  Erbieten 
an  ihn  herantrat,  Jerusalem  und  die  übrigen  Erwerbungen  Saladins  im 
Küstengebiete  abzutreten.  Selbst  als  der  christenfeindliche  Muazzam 
von  Damaskus  gestorben  war,  blieb  dem  Sultan  die  Unterstützung 
Friedrichs  für  die  Durchführung  seiner  Pläne  auf  Damaskus  immer 
noch  wertvoll.  Um  auf  die  Entschliefsungen  des  Sultans  einzuwirken, 
sandte  Friedrich  eine  Heeresabteilung  nach  Syrien,  wohin  er  selbst  im 
Mai  aufzubrechen  gedachte.  Inzwischen  gebar  ihm  seine  Gemahlin  einen 
Sohn,  den  er  Konrad  nannte,  und  der  nun  der  legitime  Erbe  des  König- 
reiches Jerusalem  wurde.  Nachdem  Friedrich  auf  dem  Hoftage  von 
Barletta  Anordnungen  für  die  Dauer  seiner  Abwesenheit  getroffen  hatte 
und  seine  Annäherungsversuche  an  den  Papst  nicht  nur  ergebnislos  ver- 
laufen, vielmehr  ein  förmlicher  Kriegszustand  eingetreten  war,  segelte 
er  mit  einem  kleinen  Heere  ab  (28.  Juni)  und  landete  am  21.  Juli  1228 
zu  Limisso  auf  Cypern.  Hier  machte  er  die  seit  Heinrich  VI.  bestehende 
Lehenshoheit  des  Reiches  aufs  tatkräftigste  geltend,  indem  er  den  Vor- 
mund des  jungen  Königs  Heinrich  zwang,  ihm  die  Huldigung  zu  leisten, 
die  Vormundschaft  und  bis  zur  Grofs jährigkeit  Heinrichs  die  Einkünfte 
der  Insel  zu  überlassen.  Am  7.  September  landete  er  in  Akkon.  Als 
rechtmäfsigem  Inhaber  des  Königreiches  für  seinen  Sohn  Konrad  wurde 
ihm  allgemein  gehuldigt.  Selbst  die  Geistlichkeit  zog  ihm  entgegen, 
mied  aber  seinen  näheren  Verkehr.  Bei  seiner  Schwäche  —  sein  Heer 
zählte  nur  800  Reiter  und  10000  Mann  zu  Fufs  —  war  an  ein  kräftiges 
Vorgehen  nicht  zu  denken.  Zudem  machten  sich  alsbald  die  Einflüsse 
der  Kurie  geltend :  Zwei  Minoriten  waren  erschienen  und  hatten  jede 
Unterstützung  des  Gebannten  verboten.  Da  Friedrich  IL  die  Einigkeit 
im  Christenheer  aufrecht  erhalten  wollte,  sich  anderseits  viele  scheuten, 
seinen  Befehlen  zu  gehorchen,  trat  er  den  Oberbefehl  an  Hermann  von 
Salza,  den  Marschall  Filangieri  und  den  Connetable  Odo  von  Montbeliard 
ab,  von  denen  der  erste  die  deutschen  und  lombardischen,  der  zweite 
die  Truppen  Jerusalems  und  der  dritte  die  Cyperns  befehligte ;  aber  der 
Patriarch  von  Jerusalem  und  die  Meister  der  Templer  und  Johanniter 
weigerten  sich,  dem  Zuge  zu  folgen,  falls  Befehle  in  des  Kaisers  Namen 
gegeben  würden.  Auch  diesmal  gab  Friedrich  nach :  die  Befehle  wurden 
im  Namen  Gottes  und  der  Christenheit  gegeben.  Diese  Zerwürfnisse 
erschwerten  die  Unternehmungen  des  Kaisers,  der  sich  schliefslich  nur 
auf  seine  Sizilianer,  die  Deutschen  und  die  im  Lande  ansässigen  Pisaner 
und  Genuesen  verlassen  konnte,  während  Vertreter  des  Papstes  den 
Sultan  aufforderten,  dem  Kaiser  das  Königreich  Jerusalem  nicht  zurück- 
zustellen.1) Indem  Friedrich  auf  die  Nachrichten  über  des  Papstes  Vor- 
gehen in  Sizilien  seine  ursprünglichen  Forderungen,  d.  h.  das  alte 
Königreich  Jerusalem,  auf  ein  bescheideneres  Mafs  herabsetzte,    kam  es 


*)  Winkelmann  H,  106. 


92  Erfolge  Friedrichs  IL  in  Palästina. 

am  18.  Februar  1229  zu  einer  Vereinbarung,  nach  welcher  er  Jerusalem, 
mit  dem  Rechte  es  zu  befestigen,  erhielt. 

Doch  sollte  Omars  Moschee  den  Mohammedanern  verbleiben,  damit  sie  dort, 
wenn  sie  unbewaffnet  kämen,  ihren  Gottesdienst  verrichten  könnten.  Auch  Christen 
sollten  dort  Zutritt  haben,  wie  umgekehrt  Mohammedaner  an  der  hl.  Stätte  in  Bethlehem. 
Dieser  Ort  nebst  den  am  AYege  nach  Jerusalem  liegenden  Ortschaften,  die  Strafse  von 
Jerusalem  über  Ramiah  nach  Jaffa  mit  den  zu  beiden  Seiten  liegenden  Orten,  Xazareth 
mit  den  Plätzen  bis  Akkon,  Stadt  und  Hafen  von  Sidon,  die  benachbarte  Ebene  und 
che  Burg  Turon  wurden  an  che  Christen  abgetreten.  Diesen  blieb  ferner,  was  sie  in 
Friedenszeiten  innegehabt.  Die  gegenseitigen  Kriegsgefangenen  wurden  ausgeliefert 
und  bestimmt,  dafs  der  Vertrag  10  Jahre  5  Monate  und  40  Tage  dauern  solle.  Würde 
der  Sultan  von  den  übrigen  christlichen  Mächten  in  Syrien  angegriffen,  so  sollte  der 
Kaiser  die  Seinigen  von  deren  Unterstützung  abhalten. 

Dieser  Vertrag,  der  nicht  vollständig  auf  uns  gekommen  ist,  hat 
schon  bei  den  Zeitgenossen  eine  verschiedene  Beurteilung  erfahren. 
Glänzende  Erfolge  konnten ,  was  schon  Hermann  von  Salza  bemerkt, 
nur  errungen  werden,  wenn  Staat  und  Kirche  einträchtig  zusammen- 
wirkten; aber  der  Kaiser  hatte  erreicht,  was  seit  50  Jahren  unter  den 
gröfsten  Opfern  —  und  immer  vergeblich  —  erstrebt  worden  war :  den 
Besitz  der  hl.  Stätten  und  ungehinderten  Zugang  zu  ihnen.1)  Den 
wahren  Erfolg  entnimmt  man  ebenso  dem  Jubel,  mit  dem  die  Christen, 
wie  dem  Schmerz,  mit  dem  die  Sarazenen  den  Vertrag  aufnahmen.  — 
Xoch  machte  der  Kaiser  den  —  freilich  ergebnislosen  —  Versuch,  den 
Patriarchen  zu  versöhnen,  denn  ihm  war  darum  zu  tun,  nach  Landes- 
sitte gekrönt  zu  werden.  Kommissäre  des  Sultans  übergaben  dem  Kaiser 
die  Stadt;  am  17.  März  1229  hielt  er  seinen  Einzug;  die  Deutschen 
rückten  unter  dem  Gesang  ihrer  Kriegslieder  ein.  Xoch  an  demselben 
Tage  verrichtete  Friedrich  am  hl.  Grabe  sein  Gebet.  Am  nächsten 
Sonntag  schritt  er  ohne  kirchliche  Feierlichkeit  zum  Hochaltar  der 
Grabeskirche,  nahm  von  dort  eine  goldene  Königskrone  und  setzte  sie 
auf  sein  Haupt.  Hermann  von  Salza  verlas  eine  Ansprache,  die  das 
Vorgehen  des  Kaisers  rechtfertigte  und  Worte  des  Friedens  enthielt. 
Am  folgenden  Tage  erschien  aber  schon  der  Bischof  von  Cäsarea  und 
sprach  über  die  heiligen  Orte  das  Interdikt  aus ;  ein  englischer  Domini- 
kaner erneuerte  den  Bannfluch  gegen  den  Kaiser,  was  diesen  bewog, 
seinen  Aufenthalt  in  Jerusalem  abzukürzen.  Es  sollte  ihm  sonach  der 
Wiederaufbau  der  Befestigungen  unmöglich  gemacht  werden.  Doch 
traf  er  auch  hiefür  noch  die  nötigen  Anordnungen.  Dann  ging  er  nach 
Akkon  und  setzte  das  Abendland  von  seinen  Erfolgen  in  Kenntnis. 
Noch  versuchte  der  Patriarch,  die  heimkehrenden  Pilger  von  der  Rück- 
fahrt abzuhalten,  und  betrieb  Rüstungen  zu  neuem  Kampfe;  da  der 
Kaiser  aber  hierin  eine  Gefährdung  seiner  Erfolge  erblickte,  setzte  er 
diesem  Vorgehen  Waffengewalt  entgegen,  worauf  der  Patriarch  das 
Interdikt  auch  über  Akkon  verhängte  und  den  Bann  über  den  Kaiser 
und  alle  jene  aussprach,  die  ihm  gehorchen  würden.     Als  nun  neuerdings 


1    Freidank:  Die  sträze  uns  alle  oßen  steint, 

Die  zuo  den  heiigen  steten  gänt. 


Der  Krieg  zwischen  Kaiser  und  Papst!  93 

ungünstige  Nachrichten  aus  Sizilien  einliefen,  übertrug  Friedrich  die 
Verwaltung  des  Reiches  seinem  getreuen  Baliam  von  Sidon  und  dem 
Elsässer  Wernher  von  Egisbeim,  schiffte  sich  am  1.  Mai  ein  und  langte 
am  10.  Juni  1229  in  Brindisi  an. 

3.  Noch  vor  seiner  Abfahrt  von  Sizilien  hatte  Friedrich  II.  alle 
Vorsichtsmaisregeln  zur  Verteidigung  dieses  Landes  getroffen.  Meinte 
der  Papst,  den  Kaiser  durch  einen  Angriff  Siziliens  am  empfindlichsten  zu 
treffen,  so  traf  der  Kaiser  Anstalten,  die  von  Innozenz  III.  gewonnenen 
Gebiete  von  Mittelitalien  (§  6) :  Ancona,  Spoleto  und  das  Gebiet  der  Mark- 
gräfin Mathilde,  wieder  an  sich  zu  ziehen,  machte  seinen  Statthalter,  den 
Urslinger  Reinald,  zum  Reichslegaten  in  der  Mark  Ancona  und  den 
Mathildischen  Ländern,  liefs  die  päpstliche  Enklave  Benevent  absperren 
und  zog  ein  gegen  seine  alten  Widersacher,  die  Grafen  von  Celano  u.  a., 
bestimmtes  Heer  in  den  Abruzzen  zusammen.  Dagegen  schlofs  der 
Papst  ein  Schutz-  und  Trutzbündnis  mit  den  Lombarden,  deren 
Rebellion  hiedurch  ihre  förmliche  Berechtigung  erhielt;  den  entschei- 
denden Schritt  tat  er  aber  erst  nach  des  Kaisers  Abzug,  indem  er  die 
Fürsten  und  Untertanen  des  Reiches  und  Siziliens  des  Gehorsams  gegen 
den  Kaiser  entband  und  über  alle,  die  ihm  bei  einem  Angriff  auf  den 
Besitz  der  Kirche  beistehen  würden,  den  Bann  aussprach.  Als  Reinald 
in  Ancona  einbrach,  trug  auch  der  Papst  kein  Bedenken,  Sizilien  an- 
zugreifen. Aus  allen  Ländern  wurden  Beiträge  erhoben:  schon  galt  der 
Kampf  als  Glaubenskrieg.1)  Drei  Heeresabteilungen  wurden  aufgestellt, 
die  erste  hatte  den  Aufstand  in  den  Abruzzen  zu  unterstützen,  die  zweite 
unter  dem  Titularkönig  Johann  von  Jerusalem  und  dem  Kardinal  Colonna 
gegen  Reinald  von  Spoleto  zu  kämpfen  und  die  dritte  unter  dem  Legaten 
Pandulf  ins  Königreich  einzufallen.  Die  kaiserliche  Herrschaft  sollte 
durch  die  päpstliche  ersetzt  werden.  Schon  schlössen  sich  die  von 
Friedrich  IL  gemafsregelten  Barone  an  und  wurden  von  päpstlichen 
Truppen,  die  nach  ihren  Abzeichen  .Schlüsselsoldaten  genannt  wurden, 
in  ihre  Besitzungen  und  Würden  wieder  eingesetzt.  Am  18.  Januar  1229 
betraten  die  Schlüsselsoldaten  das  Königreich.  Zum  erstenmal  erscheint 
das  Papsttum  als  kriegführende  Macht  zum  Zweck  der  Eroberung  eines 
fremden  Landes.  Einzelne  Grofse  und  ganze  Ortschaften  traten  über. 
Die  Minoriten  bewährten  auch  hier  ihre  Befähigung  zur  politischen 
Agitation.  Die  Kaiserlichen  räumten  die  Mark  Ancona  bis  auf  Sulmona ; 
mehr  als  die  Hälfte  des  sizilischen  Festlandes  wurde  besetzt;  auch  auf 
der  Insel  regte  sich  der  Widerstand  gegen  Friedrichs  II.  System.  Schon 
trifft  Gregor  IX.  Mafsregeln,  die  auf  eine  dauernde  Herrschaft  der  Kirche 
berechnet  waren.  Selbst  Deutschland  sollte  den  Staufern  entrissen  werden. 
Aber  der  Herzog  Otto  IV.  von  Lüneburg  lehnte  die  ihm  zugedachte 
Rolle  eines  Gegenkönigs  ab,  und  Herzog  Ludwig  von  Bayern,  der  sich 
von  der  päpstlichen  Partei  hatte  gewinnen  lassen,  wurde  unterworfen. 
Von  den  geistlichen  Fürsten  verhielten  sich  die  meisten  ablehnend.  Der 
Stimmung  des  Volkes    gab    der   unter   dem   Namen  Freidank  dichtende 


J)  BFW.  6751,  6767  u.  6771. 


94  Der  Friede  von  San  Germano. 

Schwabe  Ausdruck,  dafs  kein  Bann  vor  Gott  weiter  reiche  als  des 
Menschen  Schuld,  die  Schuld  des  Kaisers  aber  durch  den  Kreuzzug 
gesühnt  sei.  Seine  Heimkehr  gab  der  Sache  eine  andere  Wendung.  Er 
knüpfte  uiiverweilt  Unterhandlungen  an,  da  diese  aber  bei  der  Hartnäckig- 
keit des  Papstes  nicht  zum  Ziele  führten,  griff  er  tatkräftig  in  den  Krieg 
ein.  Während  das  päpstliche  Heer  Cajazzo  belagerte,  die  finanziellen 
Schwierigkeiten  des  Papstes  wuchsen,  die  Lombarden  in  die  Heimat  ab- 
zogen, mehrte  sich  der  Anhang  des  Kaisers.  Namentlich  schlössen  sich 
ihm  die  deutschen  Ritter  an,  die  eben  aus  Syrien  zurückkehrten.  Binnen 
wenigen  Monaten  hatte  .  er  die  Feinde  über  die  Grenzen  getrieben,  ein 
Sieg,  der  grofses  xlufsehen  machte,  dem  aber  die  Ergebnisse  nicht  ent- 
sprachen. Wiewohl  der  Papst  alle  Eroberungen  wieder  eingebüfst  hatte, 
sein  eigenes  Land  im  Aufruhr  war,  er  selbst  sich  in  der  Verbannung 
befand,  bot  der  Kaiser  die  Hand  zum  Frieden.  Die  Verhandlungen 
hatten  einen  schleppenden  Verlauf;  da  nahmen  auf  des  Kaisers  Wunsch 
sechs  süddeutsche  Fürsten  die  Vermittlung  in  die  Hand ;  der  Kaiser 
wurde  durch  den  Meister  Hermann  von  Salza  und  den  Erzbischof  von 
Reggio,  der  Papst  durch  zwei  Kardinäle  und  die  Lombarden  durch  den 
Bischof  von  Brescia  vertreten.  Am  23.  Juli  1230  wurden  in  S.  Germano 
die  Präliminarien,  am  28.  August  zu  Ceperano  in  Campanien  der  Friede 
abgeschlossen.  Der  Kaiser  war  bereit,  sich  in  allen  Dingen,  um  derent- 
willen er  gebannt  war,  den  Anordnungen  der  Kurie  zu  fügen,  erliefs 
eine  Amnestie  für  die  Anhänger  des  Papstes  und  versprach  die  Resti- 
tution der  Besitzungen  der  Kirche.  Nachdem  er  noch  die  Wahlfreiheit 
des  sizilischen  Klerus  und  seine  Exemption  von  den  Steuern  und  der 
Gerichtsbarkeit  des  Staates  bewilligt  hatte,  wurde  er  samt  seinen  An- 
hängern vom  Banne  losgesprochen.  Eine  Zusammenkunft  mit  Gregor IX. 
besiegelte  den  Friedensschlufs.1) 

§  21.    Die  Gesetzgebung  Friedrichs  II.  im  Königreich  Sizilien 

1230—1231. 

Die  Quellen  zur  >iz.  G-esch.  in  Capasso,  Le  Fonti  della  Storia  delle  Trovincie 
Napolitane.  Napoli  1902  p.  100  ff.  Die  Constitutiones  regni  Siciliae.  Ausg.  v.  Carcani. 
Neapel  1782.  Mit  verbessert.  Text:  Huillard-Breholles,  Hist.  diplorn.  Frid.  sec.  IV,  1. 
AVinkelmann,  Acta  irnperii  inedita  I.  Daselbst  S.  597  —  731  die  Acta  Sicula  Registroram 
Fridericianorum  excerpta  Massiliensia,  Fomiulae  magnae  iinperialis  curiae  und  Statuta 
officiorum).  Winkehnann,  Sizilische  u.  päpstliche  Kanzleiordnungen  Erw.  Abdr.  d. 
vorigen).  Innsbr.  1880.  Paolucci,  Urkunden  u.  Aktenstücke  z.  Gesell.  >iz.  im  staut 
Zeitalter.     Atti  d.  R.  Acc.  de  Palermo  1901. 

Hilf s Schriften:  Huillard-Breholles,  w.  oben.  AVinkelmann,  De  regni 
Siciliae  administratione  ..  regnante  Friderico  II.  Berlin  1850.  Schirrmacher  und 
R  a  u m  e  r  HE,  wie  oben.  C  a  passo,  Sulla  storia  esterna  delle  costitutioni  del  regno 
di  Sicilia.  Xapoli  1896.  Br  a  ndil  e  o  n  e  ,  n  diritto  nelle  leggi  Normanne  e  Sueve  del 
regno  di  Sicilia.  Torino  1884.  H.  Wilda,  Zur  siz.  Gesetzgebung,  Steuer-  und  Finanz- 
verwaltung unter  K.  Fr.  II.  u.  seiner  norm.  Vorfahren.  Halle  1889.  Scheffer- 
Boichorst,  Das  <4csetz  K.  Friedrichs,  De  resignandis  privilegiis.  SB.  preufsische 
Ak.  1900.     Weitere    Lit.    Angaben    s.    Winkelm.   H,    266,    Note  1.      Hampe,    Kaiser 


1    Über  dessen  Bedingungen  und  Bedeutung  s.  auch  Winkelmann  H,  188  f. 


Die  Gesetzgebung  Friedrichs  in  Sizilien.  95 

Friedr.  IL  HZ.  83.  Huillard-Breholles,  Vie  et  correspondance  de  Pierre  de  la 
Vigne.  Paris  1865.  S.  daz.  Winkeini.  II,  270,  Note  1.  Zu  Petr.  de  Vin.  s.  Capasso  112. 
Dort  über  die  Brief  Sammlung  alles  Nötige.  Winkelmann,  Über  die  Goldprägungen 
Friedrichs  II.  f.  d.  Königr.  »Sizilien.  MJÖG.  XV.  Schaube,  Der  Wert  der  Augustalen. 
Ebenda  XVI.     A  m  a  r  i  in,  wie  oben. 

1.  Schon  während  des  Krieges  mit  dem  Papste  hatte  der  Kaiser 
ungehorsame  Städte  und  einzelne  Personen  gestraft.  Hierin  schritt  er 
nach  dem  Frieden  fort.  Da  sich  die  1220  begründete  Neugestaltung 
des  Staates  nicht  als  fest  genug  erprobt  hatte,  während  der  Friedens- 
verhandlungen oft  die  Frage  aufgeworfen  werden  mufste,  was  altes  Recht 
und  Herkommen  sei,  die  Gesetzgebung  Lücken  aufwies,  die  auszufüllen 
waren,  nahm  der  Kaiser  die  Abfassung  eines  neuen  Gesetzbuches  für 
Sizilien  inrAngrifl  (1230).  Aus  jeder  Provinz  wurden  vier  bejahrte, 
sachkundige  Männer  an  den  Hof  gerufen,  um  über  die  Konstitutionen 
der  normannischen  Könige  und  die  Rechtsgewohnheiten  in  einzelnen 
Landesteilen  Auskunft  zu  geben.  An  der  Abfassung  des  Gesetzbuches 
war  der  Erzbischof  Jakob  von  Capua  hervorragend  beteiligt,  was  ihm 
die  Ungnade  des  Papstes  zuzog,  denn  dieser  befürchtete  nicht  ohne 
Grund  von  der  neuen  Gesetzgebung  eine  starke  Einschränkung  der 
kirchlichen  Rechte.  Sehr  wahrscheinlich  ist  es,  dafs  auch  der  Grofshof- 
richter  Petrus  de  Vinea,  den  man  lange  als  eigentlichen  Urheber 
dieser  Gesetzgebung  bezeichnete,  an  der  Arbeit  beteiligt  war,  zu  der  ihn 
schon  seine  Stellung  befähigte.  In  der  Hauptsache  war  sie  im  Juni  1231 
beendet  und  wurde  einer  in  Mein  tagenden  Ständeversammlung  zur 
Begutachtung  —  nicht  zur  Beschlufsfassung,  da  sich  der  Kaiser  als 
Nachfolger  der  alten  Cäsaren  als  die  alleinige  Quelle  des  Rechtes  be- 
trachtete —  vorgelegt.  Die  Einsprache  des  Papstes  hatte  auf  die  Kodifi- 
kation keinen  Einflufs.    Die  Gesetze  wurden  im  September  1231  publiziert. 

2.  Die  Friederizianische  Gesetzgebung  ist  kein  nach  bestimmten 
Gesichtspunkten  systematisch  und  einheitlich  ausgearbeitetes  Werk. 1) 
Neben  Mafsregeln  von  bleibender,  finden  sich  Bestimmungen  von  vor- 
übergehender Bedeutung.  Der  Hauptsache  nach  bezieht  sie  sich  auf  das 
öffentliche  Recht,  insbesondere  auf  die  Organisation  des  Beamtentums, 
mit  dessen  Hilfe  Friedrich  unter  grundsätzlicher  Zurückdrängung  des 
Lehenssystems  sein  Königreich  regierte.  Wie  in  Deutschland,  freilich 
ganz  anders  als  dort,  knüpft  er  an  das  historisch  Gewordene  an.  Während 
er  dort  nach  seinen  eigenen  Worten  nur  das  Haupt  sein  konnte,  das 
auf  den  Schultern  der  Fürsten  ruhte,  wollte  er  in  seinem  Königreich 
Alleinherrscher  in  einem  Mafse  sein,  das  dem  Despotismus  nahe  steht. 
Nicht  mit  Unrecht  konnte  Gregor  IX.  behaupten,  dafs  es  in  diesem 
Reich  niemand  wage,  ohne  Bewilligung  des  Königs  Hand  oder  Fufs  zu 
regen.  Als  Nachfolger  der  alten  Normannenkönige  nimmt  er  aus  deren 
Verordnungen  auf,  was  der  Ausbildung  der  monarchischen  Gewalt  zu- 
gute kommt.  In  einzelnen  Teilen,  vor  allem  in  der  Steuer-  und  Finanz- 
verwaltung, trägt   seine  Gesetzgebung   einen  modernen  Zug,  der  sich  in 


x)  Für  das  Folgende  s.  Winkelmann  II,  272  ff. 


96  Inhalt  und  Charakter  der  Gesetzgebung  Friedrichs  II. 

der  Bevorzugung  wissenschaftlicher  Tüchtigkeit  vor  der  Geburt,  der 
Gründung  der  Staatsuniversität  Neapel  und  vielen  merkantilen  und  fiska- 
lischen Mafsregeln  ausspricht.  Der  Zweikampf  wird  beschränkt,  weil  er 
nicht  mit  der  Natur  im  Einklang  steht,  die  Gottesurteile  mit  glühendem 
Eisen  und  kaltem  Wasser  verworfen,  »weil  sie  nicht  die  Natur  der  Dinge 
beachten  und  Wahrheit  nicht  erzielen«.  Bei  einer  Raupenplage  befiehlt 
er,  statt  kirchliche  Bittgänge  anzuordnen,  dafs  jeder  Untertan  bei  hoher 
Geldstrafe  vier  Mafse  voll  Raupen  sammeln  und  an  Geschworene  des 
Ortes  zur  Verbrennung  übergebe. *)  Neben  dem  König  und  seinen 
Beamten  dürfen  weder  Prälaten  noch  Barone  noch  Städte  als  selbständige 
politische  Gewalten  in  die  Ausübung  der  Staatsgewalt  eingreifen.2)  Dem 
Adel  ist  die  Kriminalgerichtsbarkeit  und  das  Befestigungsrecht  genommen 
und  das  Recht  der  Selbsthilfe  untersagt.  Kein  unmittelbarer  Lehensmann 
darf  ohne  Bewilligung  des  Königs  heiraten,  kein  Vertrag  geschlossen 
werden,  durch  den  ein  Lehen  in  fremde  Hände  käme.  Erscheint  der 
Adel  hiedurch  geschädigt,  so  sind  die  Lehen  doch  nahezu  erblich.  Der 
Allgewalt  des  Staates  mufs  sich  auch  die  Geistlichkeit  fügen.  Eben  ge- 
schlossenen Verträgen  zum  Trotz  mufs  sie  in  Klagen  über  Grundstücke, 
Erbschaften,  Verrat  und  Majestätsverbrechen  dem  weltlichen  Gericht  Rede 
und  Antwort  stehen.  Der  Anhäufung  von  Grund  und  Boden  in  der 
Toten  Hand  wird  vorgebeugt,  )  denn  sonst  könnten  die  geistlichen  Körper- 
schaften in  kurzer  Zeit  das  ganze  Königtum  an  sich  bringen«.  Das  Recht 
der  geistlichen  und  weltlichen  Grofsen,  an  den  Beratungen  über  Staats- 
angelegenheiten auf  Reichsversammlungen  teilzunehmen,  ist  nicht  auf- 
gehoben, die  Reichstage  werden  aber  selten  berufen,  und  selbst  dann 
erfährt  die  Macht  der  Grofsen  durch  die  des  Königs  und  das  Über- 
gewicht seiner  Beamten  einerseits,  durch  die  Teilnahme  der  Bürgerschaft 
an  den  Beratungen  anderseits  eine  Einschränkung.  Neben  den  allge- 
meinen Reichsversammlungen  gab  es  noch  Provinziallandtage,  die  zwei- 
mal des  Jahres  je  14  Tage  abgehalten  und  von  den  angesehensten 
Bürgern  der  Städte  und  den  Prälaten  beschickt  wurden. 

Unter  den  Gerichtsbeamten  nimmt  der  Gr  of  s  j  ustiti  ar  die  erste  Stelle  ein. 
Er  ist  Vorsitzender  im  Kollegium  der  vier  Grofshofriehter,  unter  deren  Beirat  er  über 
Hochverrat  und  Majestätsverbrechen  richtet,  er  beaufsichtigt  die  niederen  Gerichte, 
entscheidet  über  die  von  den  Landrichtern  ergangenen  Berufungen  und  erteilt  den 
niederen  Beamten  in  zweifelhaften  Fällen  Rat.  Während  seines  Aufenthaltes  an  einem 
Orte  ruhen  die  Untergerichte.  Ihm  sind  die  Behörden  der  einzelnen  (9)  Provinzen 
unterstellt :  die  Justitiarii  mit  ihren  Lnterbeamten.  Diese  dürfen  in  dem  ihnen  zu- 
gewiesenen Amtsbezirk  weder  gebürtig  noch  ansässig,  noch  mit  Einwohnern  daselbst 
nahe  verwandt  sein.  Sie  entscheiden  in  peinlichen  Sachen  und  Rechtsstreitigkeiten 
über  niedere  Lehen.  Die  Gesetze,  über  deren  Ausführung  sie  wachen,  sind  mit  Aus- 
nahme der  Ketzergesetze  mild.  Selbsthilfe,  Gottesurteile  und  gerichtlicher  Zweikampf 
(s.  oben)  sind  verboten.  Nur  des  Königs  Beamten  tragen  Waffen,  Ritter  und  Bürger 
nur  dann,  wenn  sie  aufser  Land  ziehen.  Die  Folter  wird  nur  bei  Atajestatsverbrechen 
angewendet.  Güter  Geächteter  fallen  nur  dann  an  den  Staat,  wenn  der  Geächtete 
keine  Kinder  oder  nahe  Verwandte  hat.  —  Neben  dem  Justitiar  ist  der  Kämmerer 
der  wichtigste  Beamte   der  Provinz.     Er   besorgt   die  Verwaltung   und   die  Eintreibung 


1    Hampe,  S.  14. 

2)  Schirrmacher  IL  249. 


Moderner  Zug  der  Gesetzgebung  Friedrichs  IL  97 

der  Steuern.  Unter  ihm  stehen  als  Ortsheamte  die  Bajuli,  denen  ein  Notar  und  ein 
Richter  zur  Seite  stehen,  die  die  Ortspolizei  innehaben,  überMafs  und  Gewicht  wacher 
und  bei  der  Anlage  der  Steuerrolle  tätig  sind.  Ihre  Einnahmen  bestehen  in  Gefällen. 
Von  seinen  Beamten  verlangt  der  Kaiser  die  strengste  Pflichterfüllung,  wie  er  anderer- 
seits ihr  Ansehen  in  jeder  Weise  fördert.  Sie  treten,  nachdem  sie  auf  ihre  Fähig- 
keiten hin  geprüft  sind  und  den  Eid  der  Treue  abgelegt  haben,  in  den  Dienst.  Xach 
Jahresfrist  legen  sie  Rechenschaft  ab.  Der  ganze  Yerwaltungskörpcr  ist  derart  organisiert, 
dafs  ein  Glied  das  andere  genau  überwacht.  Daneben  wurden  noch  geheime  Konduite- 
li sten  geführt. 

2.  Sein  Organisationstalent  betätigte  der  Kaiser  vornehmlich  auch 
zur  Hebung  des  allgemeinen  Wohlstandes :  er  hob  auf  seinen  Domänen 
die  Leibeigenschaft  auf,  richtete  Musterwirtschaften  ein,  liefs  öde  Land- 
strecken urbar  machen,  förderte  den  Weinbau,  die  Kultur  der  Baum- 
wolle usw.  Um  Arbeitskräfte  zu  gewinnen,  wurden  Kolonisten  eingeführt. 
Die  Ein-  und  Ausfuhr  wurde  möglichst  erleichtert,  Binnenzölle  aufge- 
hoben und  Handelsverträge  nicht  blofs  mit  anderen  italienischen  Staaten, 
sondern  auch  mit  Ägypten  und  Tunis  abgeschlossen.  Das  Steuer- 
wesen ist  wenigstens  zum  Teil  in  moderner  Weise  ausgebildet.  Zwar 
ist  der  Lehensmann  noch  zu  persönlichen  und  dinglichen  Leistungen 
verpflichtet,  daneben  gibt  es  aber  direkte  und  indirekte  Steuern 
wie  in  den  modernen  Staaten.  Zu  jenen  gehört  die  allgemeine 
Grundsteuer,  die  Kollekte,  eine  bei  bestimmten  Gelegenheiten  vom 
Lehen  zu  zahlende  Abgabe,  erwachsen  aus  dem  sogenannten  Acljidorhim, 
das  der  Lehensherr  von  den  Vasallen  und  dementsprechend  in  gewissen 
Fällen  der  König  vom  ganzen  Lande  erhob.  Jetzt  verlor  diese  Steuer 
den  Charakter  einer  gelegentlichen  Abgabe  und  wurde  nach  orientalischer 
Art  zur  allgemeinen  Grundsteuer.  Von  ihr  gibt  es  keine  Ausnahme; 
nur  die  Armen  sind  steuerfrei.  Die  Einschätzung  geschieht  durch  eine 
aus  Beamten  und  Grundbesitzern  bestehende  Kommission.  Eine  zweite 
direkte  Steuer  ist  die  Kopfsteuer,  der  alle  fremden  Volkselemente: 
Juden  und  Sarazenen,  unterworfen  sind.  —  Die  indirekten  Steuern  sind 
entweder  Zölle  oder  Monopole,  Verbrauchs-  und  Verkehrssteuern.  Um 
das  Reich  sind  Zollgrenzen  gezogen.  Wichtige  Verbrauchsartikel,  wie 
Salz,  Stahl,  Kupfer,  Rohseide,  werden  vom  Staate  vertrieben  (Monopole), 
eine  Art  der  Besteuerung,  die  die  Normannen  von  den  Arabern  kennen 
gelernt  hatten  und  die  nun  von  Friedrich  IL  weiter  entwickelt  wurde.  Die 
Monopolisierung  ging  sogar  noch  weiter  als  in  den  modernen  Staaten. 
So  übernahm  z.  B.  der  Fiskus  alle  Färbereien.  Die  Juden  pachteten 
dies  Monopol  und  färbten  nach  einem  bestimmten  Tarif.  In  ähnlicher 
Art  wurde  der  Getreidehandel  betrieben.  Aus-  und  Einfuhrszölle  wurden 
schon  von  den  Normannen  erhoben,  Friedrich  behielt  sie  bei.  So  hat 
jedes  einlaufende  Schilf  das  Anker-,  Landungs-  und  Hafengeld  zu  zahlen. 
Die  Zölle  werden  durch  Dohanerii,  königliche  Beamte,  eingehoben,  die 
Waren  in  königlichen  Lagerhäusern  aufgestapelt,  wofür  ein  Lagergeld 
gezahlt  wird,  dessen  Bezahlung  in  dem  Falle  unterbleibt,  als  die  Ware 
nicht  verkauft  wird.  Dort  werden  auch  die  auszuführenden  WTaren 
untergebracht.  Der  Einfuhrszoll  betrug  für  Schiffe  sarazenischer  Kauf- 
leute  10°/0,  für  solche  der  Christen  nur  3%.     Die  Ausfuhr  war  nur  von 

Loser th,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  7 


98  Erfolge  der  Gesetzgebung  Friedrichs  II. 

gewissen  Häfen  aus  gestattet.  Der  Zoll  für  Korn  und  Vieh  war  nicht 
immer  gleich;  auch  galten  die  Zölle  für  den  Verkehr  in  den  einzelnen 
Provinzen.  Das  Steuersystem  stellte  dem  Kaiser  ungeheure  Einkünfte 
zur  Verfügung,  aus  denen  zum  Schutz  des  Handels  eine  starke  Flotte 
geschaffen  wurde  und  die  in  hervorragender  Weise  die  militärischen 
Bedürfnisse  befriedigen  halfen.  Für  Zwecke  des  Kriegswesens  ward  das 
ganze  Land  in  Kreise  geteilt,  in  denen  Hauptleute  für  die  Besetzung 
und  Verproviantierung  der  Kastelle  sorgten.  Da  der  Lehensdienst  bei 
Kriegszügen  aufserhalb  des  Landes  sich  als  unzureichend  erwies,  wurden 
Söldner  entweder  in  Deutschland  oder  unter  den  Sarazenen  Siziliens 
angeworben.  Die  Macht  des  Kaisers  war  sonach  eine  weitaus  gröfsere, 
als  sie  ein  gleichzeitiger  Fürst  besafs.  Die  Zeitgenossen  meinten  wohl, 
kein  Kaiser  seit  Karl  dem  Grofsen  sei  an  Schätzen  so  reich  gewesen 
als  er.  Gleichwohl  brachten  die  Kriege  mit  dem  Papste  und  den  Lom- 
barden ihn  in  eine  solche  Geldnot,  dafs  die  auch  in  gewöhnlichen  Zeiten 
nicht  geschonte  Steuerkraft  des  Landes  in  übermäfsiger  Weise  angespornt 
werden   und  der  Kaiser  zu  Anlehen  seine  Zuflucht  nehmen  mufste. 

§  22.   Die  selbständige  Regierung  König  Heinrichs  in  Deutschland 

1229—1235. 

Quellen  wie  §§  7,  8,  17.    Dazu  Vita  s.  Elisabethae  de  Thuringia  s.  Potthast  H, 
1284—1286.     Annales  ScheftJarienses.    MM.  Germ.  SS.  XVII,  335.    Conradus  de  Fabariar 
(  asuum  Si  Galli  cont.  m,  1203—1233,  ib.  H,  163  ff.    Chronic.  Erphord.  Böhmer,  FF.  II, 
388.     Zu   den   Hilfsschriften    oben    §  17    und   19.      Dazu:    J.   v.  Döllinger,   Die   Er- 
mordung des  Herzogs  Ludwig  von  Bayern  1231.    Akad.  Vortr.  EU,  194 — 210.  H.  Linde - 
mann,  Die  Ermordung  des  Herzogs  Ludwig  von  B.  u.  die  päpstl.  Agitation  in  Deutschi 
Rost.  1892.    E.  Winkelmann,  Die  angebl.  Ermordung  des  H.  Ludwig  v.  B.  durch  K 
Friedrich  IL   M.IÖG.  XVII,   48.     S.  Ratzinger   in  den  HPB11.  CXYLH,   535.     Riezler 
Gesch.  Bayerns  H.     L.  v.  Heinemann,  Heinrich  v.  Braunschw.  Pfalzgraf  bei  Rhein 
Gotha  1886.     Schirrmacher,  Die  Mission  Ottos  des  Kardinaldiakons  v.  St.  Nikolaus 
in  carcere  Tulliano  1228 — 1231.     Forsch.  VHI,  47 — 58.     Henke,    Konrad  v.   Marburg 
1861.     B.  Kalt  n  er,  Konrad  v.  M.  u.  die  Inquisition  in  Deutschi.    Prag  1882.   Bilba 
soff,   K.  Friedr.  H.  u.  d.  hl.  Elis.    Z.  thür.  Gesch.  VII.     Witzschel,    ebenda   S.  359 
Hörn,  S.  Elisabeth  de  Hongrie.    Paris  1902.    Hausrath,  Der  Ketzermeister  Konrad 
v.  Marburg.  1861.  J.  Beck,  K.  v.  M.  1871.  Wenk,  HZ.  69.  Wegele,  Die  hl.  Elisabeth 
v.  Thüringen.    HZ.  V,  351    dort  S.  353  Bericht  über  che  Quellen  u.  Lit.  zu  ihrer  Gesch.  . 
Bücking,    Leben    d.    hl.  Elisabeth.     2.    Aufl.     Marb.    1898     s.    auch  RE.    prot.    Th.\ 
A.    Luschin     v.    Ebengreuth,     Die    Anfänge     der    Landstände.      HZ.  78,   427   ff. 
Rohden,  Der  Sturz  Heinrichs  VH.     Forschungen  XXII.    Rohden,  Die  Katastrophe 
Heinrichs    VII.      Münster    1885.      AV  e  1 1  e  r ,    Z.    Kriegsgesch.    d.    Empörung    Heinrichs. 
Wurt.    A'jhefte.      Berchtold,    Die    Entwicklung    der    Landeshoheit    in    Deutschland. 
München    1863.      Löher,    Fürsten    und    Städte    zur    Zeit    der    Hohenst.     Halle    1846. 
L.  v.  Borch,    Zu    den    Fürstenrechten  (Z.  f.  d.  ges.  Staatsw.  XL  VI).     Geffken,    Die 
Krone  u.  das  niederdeutsche  Kirchengut  unter  Friedrich  H.     Diss.  Leipz.  1891. 

1.  Die  selbständige  Regierung  König  Heinrichs  ist  schon  in  ihren 
Anfängen  (1229)  hart  getadelt  worden;  doch  ist  es  unbillig,  ihn  für  die 
im  Reiche  herrschenden  unerquicklichen  Verhältnisse  verantwortlich  zu 
machen.  In  seinem  Rate  traten  die  Fürsten  vor  den  Reichsministerialen, 
die  sich  gegen  die  steigende  Macht  des  Fürstentums  stemmten  und  den 
König  in  ihrem  Sinne  beeinflufsten,  in  den  Hintergrund.    Seinem  Streben, 


Das  Königtum  Heinrichs  (VII.)  und  das  Landesfürstentum.  99 

sich  den  Fürsten  gegenüber  an  die  Städte  zu  halten,  setzten  sich 
jene  beharrlich  und  nachdrücklich  entgegen,  und  der  grofse  Hof  tag, 
der  am  19.  Januar  1231  in  Worms  zusammentrat  und  vom  29.  April 
bis  zum  1.  Mai  weitertagte,  hatte  einen  städtefeindlichen  Charakter. 
Fortan  sollte  keine  Stadt  Einigungen,  Bündnisse  oder  Eidgenossen- 
schaften zu  machen  befugt  sein  und  der  König  ohne  Zustimmung  des 
betreffenden  Herrn  solche  weder  gestatten  können  noch  dürfen.  Schon 
darin  liegt  eine  Einschränkung  der  königlichen  Macht.1)  Verhängnisvoll 
wurde  das  grofse  den  Fürsten  am  1.  Mai  1231  erteilte  Privilegium,  denn 
es  gewährt  ihnen  eine  solche  Fülle  von  Freiheiten,  »dafs  die  kgl. 
Gewalt  aus  den  Fürstentümern  ausgeschlossen,  die  fürstliche  als  die 
allein  gültige  anerkannt  wird. «  Die  Wormser  Beschlüsse  bilden 
demnach  einen  entscheidenden  Wendepunkt  in  der  deut- 
schen Geschichte. 

Die  Fürsten  erlangen  gesetzliche  Anerkennung  aller  Rechte,  die  sie  im  Laufe  der 
Zeiten  durch  besondere  Verfügungen  bekommen  hatten  oder  in  deren  tatsächlichem 
Besitz  sie  sich  augenblicklich  befanden.  Sie  erhalten  eine  feste  Grundlage,  auf  der  sie 
ihre  Territorialherrschaft  nach  unten  und  oben  hin  ausbauen  konnten,  und  werden  reichs- 
rechtlich nun  zum  erstenmal  als  Landesherren  (domini  terrae)  bezeichnet.  Das 
Privilegium  nimmt  dem  König  das  Befestigungsrecht 2),  die  Gerichtsbarkeit s),  das  Münz- 
und  Geleitsrecht,  den  Einflufs  auf  die  Regelung  des  Verkehrs,  auf  Markt-  und  Strafsen- 
wesen.  '  Die  Landeshoheit  der  Fürsten  erfährt  aufserdem  eine  wesentliche  Stärkung 
durch  die  gegen  die  Städte  gerichteten  Beschlüsse,  die  bestimmt  waren,  das  Zuströmen 
der  Landbevölkerung  in  die  Städte  zu  verhüten.  Dadurch  mufste  das  Städtewesen  in 
seiner  Entwicklung  gehemmt  werden.  So  sollen  die  »Pfahlbürger«,  d.  h.  jene  Leute, 
die  gegen  gewisse  Abgaben,  ohne  in  der  Stadt  zu  wohnen,  deren  Schutz  und  Recht 
geniefsen,  abgetan  sein,  keine  Eigenleute  der  Fürsten,  Edlen  usw.,  keine  Ver- 
urteilten und  Geächteten  in  die  Stadt  aufgenommen  werden.  Die  städtische  Bann- 
meile sollte  abgetan,  die  städtische  Gerichtsbarkeit  über  den  Umfang  der  Stadt  nicht 
ausgedehnt  werden  usw.  Wird  das  Befestigungsrecht  dem  König  abgesprochen,  so 
wird  es  nunmehr  dem  Landesfürsten  zugesprochen. 

Dem  Königtum  verblieben  in  den  fürstlichen  Territorien  höchstens 
noch  einige  Ehrenvorrechte.  Der  Gang  der  Entwicklung  war  sonach  in 
Deutschland  von  dem  in  Sizilien  durchaus  verschieden.  Wurden  in 
Sizilien  die  feudalen  Kräfte  zugunsten  des  Königtums  nahezu  vernichtet, 
so  wurde  dieses  in  Deutschland  von  der  Lehensaristokratie  überwältigt.4) 
Freilich  mufsten  sich  auch  die  Landesherren  eine  Einschränkung 
ihrer  Macht  gefallen  lassen:  denn  noch  auf  demselben  Reichstage 
wurde  das  Gesetz  erlassen,  das  sie  in  der  Gesetzgebung  und  Be- 
steuerung an  die  Zustimmung  der  höheren  Stände  ihrer  Länder  bindet.5) 

x)  Winkelmann,  Jb.  II,  240  ff. 

2)  Quod  nullum  novum  castrum  vel  civitas  (in  praeiudicium  principum)  per  nos 
vel  per  quemquam  alium  .  .  constrnantur.    Punkt  1.    MM.  G.  LL.  IE,  291. 

3)  Punkt  7  lautet :  Centumgravii  (die  Schultheifsen)  recipiant  centas  (Nieder- 
gericht, Landschranne)  a  domino  terre  vel  ab  eo,  qui per  dominum  terrae  fuerit 
infeodatus  .  .  . 

4)  Winkelmann,  251. 

5)  .  .  .  ut  neque  principes  neque  alii  quilibet  constitutiones  vel  nova  iura  facere 
possint,  nisi  meliorum  et  maiorum  terre  consensus  primitus  habeatur.  Die  maiores  sind 
wohl  vornehme  Adelige  des  Landes,  die  sich  im  Besitz  von  Burgen  befanden.  Zur 
Erklärung  vgl.  G.  v.  Below,  Territorium  und  Stadt  S.  170  f. 

7* 

i 


100  Die  Landstände.     Gegensatz  zwischen  der  kais.  und  kgl.  Politik. 

Das  Institut  der  Landstände  erhielt  somit  seine  reichsgesetzliche 
Grundlage.  Im  übrigen  wurde  hiedurch  keine  neue  Rechtseinrichtung 
geschaffen,  sondern  das  bestehende  Gewohnheitsrecht  als  allgemein  ver- 
bindlich erklärt.  So  ungeheuren  Erfolgen  der  Fürsten  gegenüber  suchte 
Heinrich  wenigstens  die  Reste  der  ihm  gebliebenen  Rechte  zu  wahren 
und  das  Reichsgut  zu  mehren.  So  kaufte  er  (1231)  die  Talleute  von 
Uri  aus  dem  Besitz  der  Grafen  von  Habsburg  los  und  erklärte,  sie  nie- 
mals wieder  verleihen  oder  verpfänden  zu  wollen. 

2.  Die  städtefeindliche  Politik  der  Fürsten  wurde  vom  Kaiser,  der 
die    deutschen    Verhältnisse     lediglich    vom    Gesichtspunkt    seiner    Ge- 
samtinteressen   aus    würdigte,    rückhaltlos  gebilligt;    indem   sie   aber   im 
Widerspruch  zu    der   seines  Sohnes   stand,    war   sie    der  Grund   zu   dem 
Zerwürfnis  zwischen  Vater  und  Sohn,  welches  das  durch  die  rätselhafte, 
von  vielen  irrtümlich  auf  den  Kaiser  zurückgeführte  Ermordung  des  Herzogs 
Ludwig   von  Bayern   (1231,   15.  September)  in  Erregung  versetzte  Reich 
einem    Bürgerkrieg   nahebrachte1).     Die    Spannung  wuchs,   als  Heinrich, 
um  die  böhmische  Prinzessin  Agnes  zu  heiraten,  sich  von  seiner   baben- 
bergischen  Gemahlin   scheiden   lassen    wollte.      Der    Kaiser    hatte    nach 
dem  Friedensschlufs  mit  dem  Papst  seine  Aufmerksamkeit  den  Verhält- 
nissen  von  Mittel-   und  Oberitalien   zugewendet.     Lni   die  Streitigkeiten 
mit  den  Lombarden  zu  erledigen,  wurde  auf  den  1.  November  1231  ein 
allgemeiner  Reichstag  nachRavenna  ausgeschrieben,  wo  aufser  den 
Grofsen  und    den  Vertretern   der  Städte  Italiens   auch    die  Fürsten   von 
Deutschland   und   Burgund    erscheinen   sollten.     Die   lombardische   Liga 
verhielt   sich    ablehnend.     Auf   einer  Tagfahrt   zu  Mantua    (12.  Juli)   er- 
neuerten sie  ihren  alten  Bund,  auf  einer  zweiten  zu  Bologna  (26.  Oktober) 
beschlossen  sie  die  Aufstellung  eines  Heeres,  baten   den  Papst   um  Bei- 
stand   und    verlegten    endlich    auch    jetzt    die    Alpenpässe,    dafs    König- 
Heinrich    nicht    erscheinen     konnte    und    die    Reichstagseröffnung    bis 
Weihnachten    verschoben   werden    mufste.      In    Ravenna    waren  nichts- 
destoweniger  zahlreiche   deutsche    Fürsten    offenbar   in   der   Absicht    er- 
schienen,  die  kaiserliche  Anerkennung  der  Worrnser   Beschlüsse   zu    er- 
halten.   In  der  Tat  erliefs  der  Kaiser  (1232,  Januar)  ein  Reichsgesetz  gegen 
die  Autonomie  der  bischöflichen  Städte  :  Kommunen,  Räte,  Bürgermeister, 
Beamte,  die  von  Bürgern  ohne  Erlaubnis  der  Bischöfe  eingesetzt  wurden, 
werden  aufgehoben  und  entfernt,  die  landesherrliche  Münze  als  alleiniges 
Verkehrsmittel  festgesetzt  und  alle  Zünfte  für  nichtig  erklärt.     Den  geist- 
lichen Landesherren  wird  demnach  die  ausschliefsliche  Verwaltung  dieser 
Städte  übertragen.     Den  Kaiser  bewogen  zu  diesem  Vorgehen  zweifellos 
die  mit  den  lombardischen  Kommunen   gemachten  Erfahrungen.     Über 
diese  wurde    der  Reichsbann   ausgesprochen ;    doch   fehlten   dem    Kaiser 
die   Mittel,    um   mit   tätlicher   Hand    gegen    sie   vorzugehen.     Das    Aus- 
bleiben seines  Sohnes,    der  wie  andere  Fürsten   den  Weg  über  Aquileja 
hätte  nehmen  können,  erfüllte  ihn  mit  Mifstrauen.    Er  entbot  ihn  noch- 
mals für  den  März  1232   zu  sich,    verlegte    den  Reichstag,   um  Deutsch  - 


1     Winkelmann  in  MJÖG.  XVI,  47.      Dort    die    Quellen    u.  Lit.    über  die  Frage. 


rt/ 


*E 


Konrad  von  Marburg  und  die  Ketzerverfolgung  in  Deutschland.  101 

Land  näher  zu  sein,  nach  Friaul  und  liefs  ihn  abwechselnd  in  Aquileja, 
Udine  und  Cividale  tagen.  Heinrich  zögerte,  ja  er  gewährte  den  Städten 
Freiheiten,  die  mit  den  jüngsten  Verfügungen  des  Kaisers  im  Wider- 
spruch standen.  Endlich  erschien  er  in  Aquileja  und  leistete  den  Eid, 
»die  kaiserlichen  Befehle  fortan  zu  befolgen  und  die  Fürsten  mit  vor- 
nehmlicher Gunst  auszuzeichnend.  Die  Strafe  der  Absetzung  und  des 
Kirchenbannes  wurde  festgesetzt,  falls  er  wieder  etwas  gegen  den  Kaiser 
unternehme.  Zwölf  Reichsfürsten  übernahmen  die  Bürgschaft  für  seine 
Treue,  deren  Wächter  sie  dadurch  wurden.  Die  Wormser  Beschlüsse 
wurden  mit  einigen  dem  Königtum  günstigen  Abänderungen  bestätigt. 
Von  Wichtigkeit  war  es,  dafs  die  beiden  mächtigen  Brüder  Ezzelin  und 
Alberich  aus  dem  Hause  Romano,  die  Machthaber  in  der  Mark  Treviso, 
auf  die  Seite  des  Kaisers  traten,  und  dafs  er  durch  Ezzelin  Verona  und  da- 
mit eine  sichere  Alpenstrafse  gewann.  Um  die  Unterstützung  der  Kurie 
zu  erhalten,  hatte  er  schon  in  Ravenna  seine  Ketzergesetze  erneuert  und 
verschärft.  Der  Papst  übernahm  nun  zwar  das  Amt  eines  Schieds- 
richters, aber  sein  Schiedsspruch  (1233,  Juni),  dafs  beide  Teile  ihren 
Groll  aufgeben  und  die  wider  einander  erlassenen  Edikte  aufheben  sollten, 
lautete  eher  zugunsten  der  Lombarden  als  des  Kaisers. 

3.  Unter  dem  Einflufs  der  Reichsministerialen  lenkte  Heinrich  wieder 
in  seine  alte  Politik  ein  und  verschärfte  hiedurch  den  Gegensatz  zu 
seinem  Vater.  Im  übrigen  erwies  er  sich  unfähig,  den  Fehden,  die  das 
Reich  verwüsteten,  entgegenzutreten  und  die  grofse  Ketzerbewegung,  in 
deren  Mittelpunkt  der  durch  seine  Leidenschaft  bekannte  Magister 
Konrad   von  Marburg1)  stand,    noch    zu  rechter  Zeit  einzudämmen. 

Schon  seit  1214  hatte  dieser  die  Verfolgung  der  Ketzer  betrieben ;  Innozenz  III. 
und  Honorius  HI.  hatten  ihn  zum  Kreuzprediger  in  Deutschland  ernannt,  dann  war 
er  am  Hofe  des  Landgrafen  Ludwig  von  Thüringen  als  Beichtvater  der  Landgräfin, 
der  hl.  Elisabeth,  zu  grofsem  Einflufs  gelangt.2)  Durch  die  neuen  Ketzergesetze  wurde 
sein  Eifer  mächtig  angespornt :  in  Erfurt,  Mainz,  Strafsburg,  Gofslar  u.  a.  O.  loderten 
che  Scheiterhaufen  auf.  An  der  Verfolgung  beteiligten  sich  Leute,  die,  wie  Dorso s) 
und  sein  Begleiter  Johannes,  nach  dem  Grundsatz  verfuhren :  Besser,  hundert  Un- 
schuldige verbrennen,  als  einen  Schuldigen  entkommen  zu  lassen.  Die  Verfolgung 
traf  auch  Leute,  denen  kein  Makel  im  Glauben  nachgewiesen  werden  konnte,  die  aber 
reich  waren.  Auf  den  König  selbst  fiel  der  furchtbare  Verdacht,  aus  diesem  Grunde 
die  Ketzerverbrennung  gefördert  zu  haben.  Bald  griff  man  auch  nach  hochstehenden 
Personen,  wie  den  Grafen  von  Sayn,  Solms  u.  a.  Am  15.  Juli  1233  wurde  eine  Synode 
in  Mainz  gehalten,  wo  die  Unschuld  des  Grafen  von  Sayn  erwiesen  wurde,  der  harte 
Sinn  Konrads  aber  nicht  gebeugt  werden  konnte.  Da  wurde  der  Ketzerrichter  auf  dem 
Heimwege  nach  Marburg  von  einigen  Rittern,  die  entweder  selbst  angeklagt  waren  oder 
den  Tod  der  Ihrigen  beklagten,  erschlagen  (30.  Juli).  Von  nun  an  lenkte  die  Ketzer- 
verfolgung in  Deutschland  in  etwas  mafsvollere  Bahnen  ein.  Das  Landfriedensgesetz 
von  Frankfurt  setzte  fest  (11.  Februar  1234),  dafs  Ketzer  dem  weltlichen  Gericht  zu 
überweisen  seien  und  dieses  nach  Billigkeit  vorzugehen  habe.  Der  Untergang  der 
Stedinger,    die    westwärts    der  Weser    an    der  Grenze    von   Fricsland    und    Sachsen 


*)  Vollständiges  Quellenmaterial  u.  Lit.  in  RE.  X,  747. 

2)  Erat,    sagt  ein  Bericht  aus  dieser  Zeit,   sicut  omnes  rtovimus,    homo  rigidus  et 
austerus,  unde  a  multis  timebatur.     Dietr.  v.  Apolda. 
5)  Der  »kannte  die  Ketzer  am  Gesicht«. 
4)  BFW.  4287  a. 


102  Friedlich  II.  und  Heinrich    VII.      Heinrichs  Sturz. 

wohnten,  wurde  hiedurch  allerdings  nicht  verhindert.  Sie  hatten  sich  von  der  welt- 
lichen Gerichtsbarkeit  der  Grafen  von  Oldenburg  und  der  geistlichen  des  Erzbistums 
Bremen  losgesagt  und  wurden  deswegen  als  Ketzer  verklagt.  Der  Krieg  gegen  sie 
begann  zu  Weihnachten  1230,  aber  erst  vier  Jahre  spater  erlagen  sie  einem  starken 
Kreuzheer.     Nur  einem  Rest  der  Bauern  gelang  es.  sich  zu  den  Friesen  zu  retten. 

4.  Mittlerweile  war  das  Verhältnis  zwischen  Kaiser  und  Sohn 
unhaltbar  geworden,  denn  dieser  hatte  einzelne  Mafsregeln  ergriffen,  die 
dessen  harten  Tadel  fanden.  Friedrich  IL  verlobte  sich  mit  der  Schwester 
des  englischen  Königs,  ohne  deswegen  aber  mit  Frankreich  zu  brechen, 
um  dessen  Freundschaft  Heinrich  sich  vergeblich  bemühte.  Am  2.  Sep- 
tember 1234  erliefs  dieser,  um  sein  Verhalten  zu  rechtfertigen,  ein 
Manifest  mit  heftigen  Klagen  gegen  den  Kaiser.  Xoch  war  er  nicht 
zum  äufsersten  bereit,  aber  schon  wenige  Tage  später  wurde  auf  dem 
Tage  von  Boppard  die  Empörung  gegen  den  Kaiser  beschlossen.  Heinrich 
forderte  von  den  Städten  einen  Eid,  ihn  gegen  jedermann  zu  unter- 
stützen, nahm  die  Söhne  angesehener  Bürger  als  Geiseln  und  schlofs, 
dem  Kaiser  den  Zutritt  nach  Deutschland  zu  verwehren,  mit  den  Lom- 
barden einen  Vertrag.  Von  den  weltlichen  Fürsten  trat  keiner,  von  den 
geistlichen  nur  wenige  auf  seine  Seite,  und  als  der  Kaiser  aus  Italien 
heranzog,  wurde  Heinrich  fast  von  allen  seinen  Anhängern  verlassen. 
Am  4.  Juli  zog  Friedrich  IL  in  Worms  ein.  Heinrich  hatte  inzwischen 
durch  die  Vermittlung  Hermanns  von  Salza  des  Kaisers  Gnade  nach- 
gesucht und  sie  auch,  wahrscheinlich  unter  der  Bedingung,  auf  das  Reich 
zu  verzichten,  zugesichert  erhalten.  Da  er  aber  einzelne  vom  Kaiser 
gestellte  Forderungen  nicht  erfüllen  wollte,  wurde  er  gefangen  und  zu- 
erst nach  Heidelberg,  dann  nach  Allersheim  bei  Xördlingen,  hierauf  nach 
S.  Feie  in  Apulien  und  vier  Jahre  später  nach  Xicastro  gebracht.  Auf 
dem  Weg  nach  der  Burg  Martorano  stürzte  er  —  man  weifs  nicht,  ob 
absichtlich  oder  durch  Zufall  —  vom  Rosse  und  starb  am  12.  Februar 
1242.  Er  ward  in  Cosenza  beigesetzt.  Seine  Gemahlin  Margareta,  die 
ilim  in  die  Gefangenschaft  gefolgt  war.  kehrte  nach  Deutschland  zurück. 

5.  Am  15.  Juli  1235  feierte  Friedrich  IL  mit  gröfster  Pracht  seine 
Vermählung  mit  Isabella  von  England.  Einen  Monat  später  hielt  er  in 
Mainz  einen  glänzenden  Reichstag  ab,  der  nahezu  von  allen  deutschen 
Fürsten  besucht  und  auch  aus  Italien  beschickt  ward  und  die  Aufgabe 
hatte,  einen  geordneten  Rechtszustand  herzustellen.  Hier  wurde  das 
berühmte  Reichsgesetz1)  erlassen,  das  der  Ausgangspunkt  für  die  spätere 
Entwicklung  der  Landfriedensgesetzgebung  in  Deutschland  geworden  ist. 
Den  Anlafs  bot  die  Empörung  König  Heinrichs,  denn  ein  Teil  der  Ge- 
setze betrifft  die  Reichsministerialen  als  die  eigentlichen  L'rheber  der 
Empörung.2)  Danach  wird  nicht  blofs  der  Sohn,  der  sich  wider  den 
Vater  erhebt  und  ihm  nach  dem  Leben  trachtet,  sondern  auch  jeder 
Ministeriale,  der  ihn  unterstützt,  ehr-  und  rechtlos.  Das  Fehderecht  wird 
auf  den  Fall  der  Notwehr  und  der  Rechtsverweigerung  beschränkt.  Aber 
selbst  dann  mufs  der  Eröffnung  der  Fehde  die  »Widersage«  vorhergehen. 


1    Consütuüo  pacis  Frederici  II.    MM.  Gr.  LL.  H,  313. 
\  §  11- 


Höhepunkt  der  Macht  Friedrichs  II.  108 

Am  bedeutendsten  war  die  nach  sizilischem  Vorbild  verfügte  Einsetzung 
eines  histitiarius  citriae  —  des  Reichshofrichters  — .  Er  soll  ein  frei- 
geborener Mann  sein  und  sein  Amt  mindestens  ein  Jahr  bekleiden.    Ihm 

■O 

steht  ein  Notar  zur  Seite,  der  des  Kaisers  Entscheidungen  aufzeichnet, 
um  sich  fürderhin  danach  zu  richten :  es  war  somit  eine  Sammlung  von 
Reichsgesetzen  in  Aussicht  genommen.  Nur  wenn  es  sich  um  Ehre  und 
Gut  der  Fürsten  und  anderer  hochgestellter  Personen  handelt,  behält 
sich  der  Kaiser  die  Entscheidung  vor.  Auf  dem  Mainzer  Reichstag  kam 
auch  die  völlige  Aussöhnung  des  weifischen  und  staufischen  Hauses  zu- 
stande, wozu  die  englische  Heirat  den  Weg  geebnet  hatte.  Otto  von 
Lüneburg  übertrug  seinen  Allodialbesitz,  von  dem  ihm  zuletzt  (s.  oben) 
ein  Teil  noch  bestritten  worden  war,  dem  Kaiser,  worauf  dieser  das  ge- 
samte braunschweigische  Erbe  zu  einem  in  männlicher  und  weiblicher 
Linie  erblichen  Herzogtum  erhob  und  Otto  damit  belehnte.  Endlich 
verfügte  der  Reichstag  noch  den  Krieg  gegen  die  Lombarden,  die  sich 
mit  Heinrich  verbündet  hatten. 

Der  Reichstag  von  Mainz  bezeichnet  den  Höhepunkt  der  Macht  Friedrichs  II. 
Es  liegt  nahe,  an  jenes  glänzende  Reichsfest  zu  erinnern,  das  vor  etwas  mehr  als 
einem  halben  Jahrhundert  an  derselben  Stätte  gefeiert  wurde.  Damals  ward  der  Erwerb 
Siziliens  vorbereitet,  die  Macht  der  Weifen  zerschlagen,  die  Lombardei  befriedigt  ; 
jetzt  ist  Friedrich  U.  absoluter  Herr  in  Sizilien,  aber  die  Grundlagen  seiner  Macht  in 
Deutschland  sind  verschoben,  ein  grofser  Teil  der  staufischen  Eigen-  und  Reichsgüter 
ist  dahingegeben  und  die  Reichsministerialen,  damals  die  Stütze  des  Reiches,  sind 
beiseite  geschoben.  Dagegen  steht  jetzt  ein  abermaliger  schwerer  Kampf  gegen  die 
lombardischen  Städte  bevor. 


§  23.    Der  Kampf  Friedrichs  II.  gegen  die  loinbardische  Liga  und  den 

Papst  Gregor  IX. 

Quellen  grofsenteils  wie  oben  §§  17,  20  u.  22.  Dazu:  Electio  Conradi  IV  a.  1237- 
MM.  Germ.  LL.  H,  1,  p.  322—324.  Decretum  electionis.  MM.  Germ.  Leg.  Sect.  IV  tom.  H, 
439.  (Ander.  Ausg.  ebenda.)  Albertus  Bohemus  (Albert  Beham)  Registrum  epistolarum. 
Bibl.  d.  lit.  Yer.  XYI.  Stuttg.  1847.  Exzerpte  eines  zweiten  verlorenen  Buches  s.  Oefele, 
SS.  rer.  Boic.  I,  787  (zu  Albert  v.  B.  s.  Schirrmacher,  Albert  v.  Possemünster  1871. 
Dazu  Lerchenfekl-Aham.  Hist.  pol.  Bll.  1874.  Winkelmann,  HZ.  XXVII,  159.  Ratzinger, 
Hist.  pol.  Bll.  84—85).  Petri  de  Yin.  Epp.  Jans  Enenkel,  Weltchron.,  ed.  Strauch.  1891. 
Die  österr.  Annalistik  in  MM.  Germ.  SS.  IX  (s.  Redlich  in  MJÖG.  m).  Hermannus 
Altahensis,  Annales  bis  1273.  MM.  Germ.  XVH,  381—407.  Chron.  Erphord,  wie  oben. 
Albericus  v.  Trois-Fontaines.  MM.  Germ.  SS. .  XXHI.  Von  italienischen  aufser  den  ob. 
§  17,  21  genannten :  Rolandinus  Patavinus,  Liber  chronicorum  bis  1260  u.  1262.  Muratori 
Vm,  169  u.  MM.  Germ.  SS.  XIX,  38—147.  Maurisius  Gerardus,  Historia  de  rebus 
Eccelini  tyranni  et  dominorum  de  Romano  bis  1237,  ed.  Leibnit.  SS.  rer.  Brunsw.  II. 
Von  fremden  Quellen  wird  nun  Matthäus  Parisiensis  die  wichtigste.  Ed.  Luard,  Rer. 
Brit.  SS.  Xr.  57,  tom.  1—7.     MM.  Germ.  SS.  XXVHI,  107—483. 

Hilfsschriften.  Zu  den  obengenannten:  Winkelmann,  Zur  Gesch.  K. 
Friedrichs  1239 — 40.  Forsch.  XH,  261  ff.,  561  ff.  Juritsch,  Gesch.  der  Babenberger  u. 
ihrer  Länder.  Innsbr.  1894.  Schwarz,  Herzog  Friedrich  H.  der  Streitbare  von  Österreich 
in  seiner  Stellung  z.  d.  Hohenst.  u.  Pfemysliden.  Saaz  1876.  A.  Ficker,  Herz. 
Friedr.  H.  der  letzte  Babenberger.  Innsbr.  1884.  Hirn,  Kritische  Gesch.  Friedrichs  H. 
Salzburg  1871.  C.  Kozak,  Über  den  Streit  Herz.  Friedrichs  H.  mit  Kaiser  Friedrich  H. 
Czernowitz  1894.  Koch,  Hermann  v.  Salza.  Leipz.  1885.  Tenkhoff,  Der  Kampf 
der  Hohenstaufen  um  die  Mark  Ancona    u.    das  Herzogtum    Spoleto.     Paderborn  1893 


104  Friedrich  II.  und  die  Lombarden. 

Baer,  Die  Beziehungen  Venedigs  zum  Kaiserreich  in  der  staufischen  Zeit.  1888. 
Grofsmann,  König  Enzio.  Gott.  1883.  H.  Blasius,  König  Enzio.  Breslau  1884. 
Mit ro vi 6,  Federico  II.  e  l'opera  sua  in  Itaria.  Triest  1890.  Ratzinge r,  Albert 
Böheim,  Forsch,  z.  bayr.  Gesch.  Abt.  1.  Kempt.  1898  s.  auch  oben.  Liebermann, 
Z.  G.  Friedrichs  LT.  u.  Richards  y.  Cornwall.     XA.  XTTT,  217. 

1.  Es  war  den  Bemühungen  des  Papstes  und  Hermanns  von  Salza 
gelungen,  den  Krieg  des  Kaisers  wider  die  Lombarden  hinauszuschieben. 
Die  Frist  zur  Annahme  des  päpstlichen  Schiedsgerichtes  war  ihnen 
bis  Weihnachten  1235  und  bis  zum  2.  Februar  1236  erstreckt  worden. 
Sie  liefsen  beide  Termine  unbenutzt,  und  der  Kardinallegat  Jakob  von 
Präneste,  ein  alter  Gegner  Friedrichs  IL,  den  Gregor  IX.  als  Vermittler 
in  die  Lombardei  entsandte,  zog  noch  Piacenza  auf  die  Seite  des  Bundes. 
Der  Kaiser  schuf,  ehe  er  in  den  entscheidenden  Kampf  eintrat,  in  Deutsch- 
land Ordnung:  Er  entschädigte  den  Böhmenkönig  Wenzel  für  die  An- 
sprüche seiner  Gemahlin,  der  Stauferin  Kunigunde,  auf  einzelne  Teile 
von  Schwaben  und  brachte  die  Sache  Friedrichs  IL  von  Österreich  zur 
Entscheidung.  Dieser  hatte  während  der  Empörung  König  Heinrichs  eine 
zweideutige  Rolle  gespielt,  sich  mit  grofsen  Plänen  gegen  Ungarn  und 
Böhmen  getragen  und  dem  Kaiser,  der  hiefür  nicht  zu  gewinnen  gewesen, 
den  Gehorsam  aufgesagt.  Die  benachbarten  Fürsten  hatten  wider  ihn  Klagen 
erhoben.1)  Da  er  auf  die  kaiserlichen  Ladungen  nicht  erschien,  Anhänger 
Heinrichs  bei  sich  aufnahm,  mit  Mailand  in  Verhandlungen  trat  und  den 
Papst  für  sich  zu  gewinnen  suchte,  wurde  (1236,  Juni)  die  Acht  gegen  ihn 
ausgesprochen  und  deren  Vollstreckung  den  ihm  feindlichen  Nachbarn 
Bayern  und  Böhmen  und  den  geistlichen  Fürsten  von  Passau,  Freising 
und  Bamberg  übertragen.  Binnen  kurzem  war  sein  Land  bis  auf  wenige 
Plätze  in  den  Händen  der  Gegner.  Inzwischen  war  der  Kaiser  nach 
der  feierlichen  Erhebung  der  Gebeine  der  hl.  Elisabeth  in  Marburg  nach 
Italien  aufgebrochen  und  mit  geringer  Heeresmacht  in  Verona  ein- 
getroffen. Auf  seiner  Seite  standen :  Cremona,  Pavia,  Parma,  Reggio 
und  Modeiia.  Noch  wurden  Verhandlungen  mit  den  Lombarden  gepflogen, 
aber  schon  war  der  Kaiser  wegen  des  bisherigen  Verhaltens  der  Liga 
entschlossen,  über  die  Bedingungen  des  Vertrags  von  Konstanz  hinaus- 
zugehen.2) Am  18.  Oktober  ging  Bergamo  zu  ihm  über,  dann  wurden 
Vicenza  und  Ferrara  genommen.  Der  Feldzug  von  1236  ward  siegreich 
beendet;  dennoch  trat  er  den  Rückmarsch  nach  Deutschland  an,  um 
die  Herzogtümer  Osterreich  und  Steiermark  als  verwirkte  Reichslehen 
in  seine  unmittelbare  Verwaltung  zu  nehmen.  Zu  AV  einnachten  weilte 
er  in  Graz.  Ganz  Steiermark  fiel  ihm  zu.  Im  Januar  1237  zog  er 
nach  Wien.  Hier  wurde  auf  einem  glänzenden  Hoftage  sein  Sohn 
Konrad  von  den  anwesenden  (11)  geistlichen  und  Laienfürsten  zum 
König  gewählt  (1237,  Februar)  und  die  Stadt  Wien  reichsunmittelbar 
gemacht.  Bevor  er  aus  dem  Lande  schied,  setzte  er  einen  Landes- 
hauptmann ein  und  nahm  die  Dienstmannen  und  Landleute  von  Steier- 


1)  Zusammenstellung  bei  Juritsch,  S.  552. 

2)  BFW.  2197  c. 


Kampf  gegen  die  lombardische  Liga.     Der  Sieg  von  Cortcnuovu.  105 

mark  unter  seine  und  des  Reiches  unmittelbare  Regierung.  Im  Juni 
liefs  er  zu  Speyer  die  Wahl  seines  Sohnes  durch  die  Fürsten  des  Reiches 
bestätigen,  setzte  den  Erzbischof  von  Mainz  zum  Reichsverweser  ein 
und  zog  abermals  nach  Italien.  Kaum  war  er  aus  Österreich  abgezogen, 
als  Herzog  Friedrich  II.  einen  Teil  seiner  Länder  wieder  in  Besitz  nahm. 
Die  Pläne  des  Kaisers  in  Deutschland  waren  hiedurch  in  Frage  gestellt; 
aber  die  Bekämpfung  der  Lombarden  erschien  ihm  wichtiger.  Inzwischen 
hatte  Ezzelin  Padua,  Treviso  und  den  Markgrafen  von  Este  unterworfen. 
Neue  Vermittlungsversuche  des  Papstes  führten  zu  keinem  Ergebnis. 
Der  Kaiser  selbst  unterwarf  nun  Mantua  und  den  Grafen  von  S.  Boni- 
facio  und  eroberte  Montechiaro.  Nachdem  er  Verstärkungen  aus  Pavia, 
Tortona  und  Bergamo  an  sich  gezogen,  stiefs  er  am  27.  November  1237 
bei  Cortenuova  auf  die  Feinde  und  brachte  ihnen  eine  völlige  Nieder- 
lage bei.  Die  Mailänder  und  ihre  Bundesgenossen  verloren  10000  Mann ; 
ihr  Fahnenwagen  fiel  in  die  Hände  der  Sieger ;  »nach  dem  Vorgang  der 
alten  Cäsaren«  sandte  ihn  Friedrich  II.  an  die  Römer.  Lodi  unterwarf 
sich.  Selbst  Mailand  bat  nun  um  Frieden.  Die  Verhandlungen  zer- 
schlugen sich,  weil  der  Kaiser  unbedingte  Unterwerfung  begehrte.  Jm 
folgenden  Jahr  nahm  er  fast  die  ganze  Lombardei  in  Besitz,  nur  Mai- 
land, Alessandria,  Brescia,  Piacenza,  Bologna  und  Faenza  hielten  sich. 
Dagegen  wurde  Tuscien  besetzt.  Schon  am  3.  März  1238  schrieb 
Friedrich  an  seinen  Schwager,  den  Grafen  Richard  von  Cornwallis,  dafs 
»sein  Geschlecht  den  verfallen  gewesenen,  jetzt  aber  wieder  wachsenden 
alten  Ruhm  des  Reiches  herstellen  werde.«  In  der  Tat  war  sein 
System  der  Verwirklichung  nahe.  Durch  die  Unterwerfung  der 
Lombarden  wurden  die  beiden  grofsen  Machtgebiete,  die  er  beherrschte, 
miteinander  verbunden.  Das  italienische  Zwischenland  erklärt  er  als 
seines  Reiches  Vollendung,  deutsches  Blut  und  sizilisches  Geld  als  die 
Mittel,  es  zu  behaupten.1)  Schon  trifft  er  Organisationen  für  Mittel-  und 
Oberitalien:  Besoldete  Beamte  werden  als  Vikare  oder  Kapitäne  für 
die  kaiserliche  Verwaltung  und  Rechtspflege  eingesetzt,  die  Lombardei 
in  zwei  Generalvikariate  geteilt,  die  neugeschaffenen  Ämter  aber  nicht 
an  Deutsche,  sondern  an  Italiener  gegeben.  Wie  in  den  Tagen  Hein- 
richs VI.  war  der  Kirchenstaat  im  Norden  und  Süden  von  staufisch em 
Besitz  umgeben.  Da  war  es  ein  Mifserfolg  des  Kaisers  vor  Brescia,  was 
den  Papst  bewog,  mit  den  schärfsten  Mitteln  vorzugehen.  Es  ist  der 
Wendepunkt  in  den  Erfolgen  des  Kaisers.2)  Unter  des  Papstes 
Vermittlung  wird  zwischen  Venedig  und  Genua  verhandelt,  denn  der 
Kaiser  soll  auch  in  Sizilien  angegriffen  werden.  Hatten  schon  dessen 
bisherige  Erfolge  den  Papst  beunruhigt,  so  wurde  er  geradezu  er- 
bittert, als  Friedrich  seinen  natürlichen  Sohn  Enzio  mit  Adelasia,  der 
Erbin  Sardiniens,  vermählte  und  ihn  zum  König  von  Sardinien  —  einem 
Lehen  des  Papstes  —  machte.  Als  endlich  Hermann  von  Salza,  der 
umsichtige  Vermittler  zwischen  Kaiser  und  Papst,  gestorben  war  (1239, 
30.  März),  war  der  offene  Kampf  nicht  mehr  zu  vermeiden. 

*)  Nitzsch  m,  110. 
2)  BFW.  2397  b. 


206  Kampf  zwischen  Kaiser-  und  Papsttum. 

2.  Gregor  IX.  versuchte,  in  Deutschland  eine  antistaufische  Partei 
ins  Leben  zu  rufen.  Verstimmt  über  des  Kaisers  Absichten  auf  Öster- 
reich, zogen  sich  Böhmen  und  Bayern  vom  Kampfe  gegen  Friedrich  den 
Streitbaren  zurück.  Um  diese  Fürsten  für  seine  Zwecke  zu  gewinnen, 
sandte  Gregor  einen  gewandten,  der  deutschen  Verhältnisse  kundigen 
Unterhändler,  den  Passauer  Domdechanten  Albert  Behaim  von  Kager, 
ab,  dessen  nächste  Aufgabe  es  war,  eine  Einigung  der  deutschen  Fürsten 
zum  Zwecke  der  Wahl  eines  Gegenkönigs  zustande  zu  bringen.  Schon 
im  Frühling  1238  traten  Bayern,  Böhmen  und  Österreich  miteinander 
in  Verbindung;  mit  böhmischer  Hilfe  gewann  Friedrich  von  Österreich 
den  gröfsten  Teil  seines  Landes  zurück.  Dann  verhängte  Gregor  IX. 
am  Palmsonntag  1239  »wegen  fortgesetzter  Mifshandlung  der  sizilischen 
Kirche  und  des  Kampfes  wider  den  Papst,  über  den  Kaiser  den  Bann 
und  entband  seine  Untertanen  von  der  Pflicht  des  Gehorsams.  Der 
lombardischen  Frage  wurde  nicht  mit  einem  Worte  gedacht.  Die  deutschen 
und  selbst  französischen  Bischöfe  wurden  aufgefordert,  den  Bann  zu  ver- 
künden, weltliche  Fürsten  vor  der  Unterstützung  des  Kaisers  gewarnt. 
Dagegen  verteidigte  sich  der  Kaiser  in  einer  Zuschrift  an  Fürsten  und 
Völker,  klagt  über  den  Mifsbrauch  der  päpstlichen  Gewalt  und  stellt 
das  Verlangen  nach  einem  Konzil,  um  dort  seine  Unschuld  und  des 
Reiches  Recht  zu  erweisen.1)  Da  die  Bannbulle  vornehmlich  durch 
lombardische  Bettelmönche  verkündigt  wurde,  verfügte  er  ihre  Aus- 
weisung aus  seinem  Königreich  und  bedrohte  die  übrige  Geistlichkeit 
mit  Einziehung  des  Kirchengutes,  falls  sie  sich  weigere,  den  Gottesdienst 
zu  verrichten.  Dagegen  antwortete  der  Papst  in  einer  Denkschrift  an 
alle  Bischöfe,  Könige  und  Fürsten  der  Christenheit  und  stellte  des  Kaisers 
Behauptungen  als  ein  Gewebe  der  Lüge,  ihn  selbst  als  Ketzer  hin,  der 
die  Gewalten  des  Papsttums  leugne,  von  Jesus,  Moses  und  Mohammed 
als  den  drei  Betrügern  der  Welt  gesprochen  habe,  usw.2)  Gegen 
solche  Anschuldigungen  legte  der  Kaiser  einen  förmlichen  Protest  ein.3) 
Auf  den  Bann  hin  fielen  einige  Anhänger  Friedrichs  in  Italien  von  ihm 
ab,  wie  Azzo  von  Este,  Alberich  da  Romano  und  Ravenna.  Der  Papst 
selbst  schlofs  ein  Bündnis  mit  Mailand,  Piacenza,  Venedig  und  Genua 
zur  gemeinsamen  Eroberung  Siziliens,  verpflichtete  sich,  auf  keinen 
Separatfrieden  einzugehen,  gewann  den  Grafen  der  Provence  für  sich 
und  knüpfte  Verhandlungen  mit  Frankreich  an;  dagegen  ernannte  der 
Kaiser  seinen  Sohn  Enzio  zum  Reichslegaten  in  Italien  und  nahm  die 
Mark  Ancona  und  das  Herzogtum  Spoleto  »wegen  der  Undankbarkeit 
des   Papstes «    wieder   an   das   Reich   zurück.     Gregors  Versuche,    einen 

x)  Die   Bulle  H.  B.  V,  286.    Das  Schreiben  des  Kaisers.     Acta  irnp.  med.  II,  29. 

a)  H.  B.  V,  327.  Auch  MM.  G.  Epp.  I,  645—654.  Die  Blasphemie  von  den  drei 
Betrügern  ist  wahrscheinlich  1201  von  einem  Theologen  in  Paris  vorgebracht  worden. 
S.  Eeuter,  Gesch.  d.  rel.  Aufklärung  im  MA,,  S.  298.  Dafs  sie  Friedrich  IL  jemals  aus- 
gesprochen, ist  niemals  bewiesen  worden  (Winkelmann  II,  135).  S.  Hampe,  HZ.  83,  39, 
wonach  ein  solcher  Satz  der  innersten  Überzeugung  des  Kaisers  wenig  entsprach,  dafs 
er  aber  von  Friedrich  IL  überhaupt  nicht  hätte  gesprochen  werden  können,  ist  nicht 
weniger  schwer  zu  beweisen. 

s)  H.  B.  V,  348. 


Fortschritte  des  Kaisers.     Das  Ende  Gregors  IX.  107 

Gegenkönig  in  Deutschland  aufzustellen ,  waren  inzwischen  erfolglos 
geblieben,  eine  Fürstenversaminlung  in  Eger  verpflichtete  sich  vielmehr, 
in  Rom  für  den  Frieden  zu  wirken,  und  der  dänische  Prinz  Axel,  dem 
die  Krone  zugedacht  war,  leimte  ebenso  ab  wie  später  Graf  Robert  von 
Artois.1)  Sowohl  Österreich  als  Böhmen  und  Ba}^ern  suchten  um  Frieden 
nach.  Trotz  der  Versuche  Alberts  von  Behaim  verharrten  die  Fürsten 
auf  Seiten  Friedrichs  und  arbeiteten  durch  den  Grofsmeister  Konrad 
von  Thüringen,  den  Bruder  des  Landgrafen,  für  den  Frieden.  Dieser 
scheiterte  an  dem  Widerspruch  des  Papstes.  Im  folgenden  Jahre  (1240) 
eroberte  Enzio  die  Mark  Ancona,  während  Friedrich  Spoleto  nahm  und 
einen  Teil  des  Kirchenstaates  besetzte.  Schon  wurden  selbst  die  Römer, 
unter  denen  Friedrich  einen  Anhang  hatte,  schwierig.  In  seiner  Not 
griff  der  Papst  zu  einem  aufserordentlichen  Mittel:  Am  22.  Februar  nahm 
er  das  hl.  Kreuzesholz  und  die  Häupter  der  /Apostelfürsten  und  trug 
sie  im  feierlichen  Aufzuge  zur  Peterskirche,  was  auf  die  Menge  einen 
solchen  Eindruck  machte,  dafs  viele  gegen  den  Kaiser  das  Kreuz  nahmen. 
Konrads  Vermittlung  blieb  unter  diesen  Umständen  erfolglos.  Friedrich 
verlor  inzwischen  zwar  Ferrara,  eroberte  aber  Ravenna  wieder  und  ge- 
wann Faenza.  Nun  beschlofs  der  Papst,  für  Ostern  1241  ein  allgemeines 
Konzil  zu  berufen,  um  über  den  Kaiser  zu  Gericht  zu  sitzen.  Um  so 
weniger  war  dieser  geneigt,  zu  dessen  Zustandekommen  beizutragen. 
Eine  genuesische  Flotte,  welche  die  oberitalischen,  französischen  und 
spanischen  Prälaten,  die  sich  in  Genua  und  Nizza  (1241,  März)  gesammelt 
hatten,  »insgeheim«  nach  dem  Kirchenstaat  überführen  sollte,  wurde 
am  3.  Mai  von  den  Pisanern  angegriffen  und  geschlagen.  Mehr  als 
100  Prälaten  gerieten  in  die  Gefangenschaft  des  Kaisers.  Damit  war 
der  Zusammentritt  des  Konzils  vereitelt.  Der  Kaiser  drang  immer  weiter 
im  Kirchenstaat-  vor.  Noch  in  den  letzten  Monaten  hatten  weltliche 
und  geistliche  Fürsten  Deutschlands  dem  Papste  Bitten  um  Herstellung 
des  Friedens  unterbreitet,  dessen  das  Abendland  dringend  bedurfte,  um 
sich  der  Überflutung  durch  die  Mongolen  zu  erwehren.  Selbst  die  ge- 
fangenen Prälaten  erhoben  ihre  Stimmen  für  den  Frieden,  für  den  ins- 
besondere Graf  Richard  von  Cornwallis,  Friedrichs  Schwager,  tätig  war. 
Doch  der  Papst  verlangte  unbedingte  Unterwerfung.2)  Seine  Lage  wurde 
dabei  immer  schwieriger.  Im  Juli  1241  fiel  der  Kardinal  Johann  Colonna 
von  ihm  ab.  Der  Kaiser  nahm  Tivoli  und  schlug  bei  Grottaferrata  im 
Angesichte  Roms  sein  Lager  auf.  Kurz  nachher  —  am  22.  August  1241  — 
starb  Gregor  IX.,  ein  Mann,  den  auch  die  äufserste  Not  nicht  zu  beugen 
vermochte.  In  der  Kirche  hat  er  als  Gesetzgeber  eine  grofse  Bedeu- 
tung erlangt. 

§  24.  Der  Einbruch  der  Mongolen.  (Die  Weltherrschaft  Dschingiskhans. 
Die  Mongolen  in  Rufs] and,  Polen  und  Ungarn.) 

Quellen.     Urkk.  u.  Briefe  w.  oben.    Dazu  Grünhagen,  Regg.  z.  schles.  Gesch. 
2.  Aufl.    Bresl.  1884.     Boczek,  Cod.  dipl.  Morav.  II,  HI   (enthält  Fälschungen  Boczeks). 

»)  BFAV.  2468  a. 

f)  Vohtit  papa  omnibus  modis,  ut  Imperator  se  absolute  sub leeret.    Matth.  Paris. 


108  Die  Mongolen. 

Erben-Emier,  Regg.  Boheni.  I,  II,    Fejer,  Cod.  dipl.  Hung.  IV — VII.     Meiller,  Regg.  zur 

Gesch.  der  Babenb. ;  für  die  Colonisat.  wichtig:  TJrkundenb.  d.  Deutschen  in  Sieben- 
bürgen v.  Zimmermann  u.  Werner,  Hermannstadt  1892.  Ge  schicht  Schreiber : 
Ein  Verz.  der  Quellen  bei  Hammer  -  Purg  st  all,  Geschichte  der  Gold.  Horde  in 
Ki] »tschack  d.  i.  d.  Mongolen  in  Rufsland.  Pest  1840.  S.  XXI — L.  Dort  die  Orient. 
Quellen.  S.  auch  Strakosch-Grafsmann,  Der  Einfall  der  Mongolen  in  Mitteleuropa 
1241—1242.  Innsbr.  1893.  Auch  dort  wird  S.  202  v.  d.  Orient.  Quellen  gehandelt. 
Über  chines.  Quellen  s.  Sc  hie  mann,  Rufsland,  Polen  u.  Livland.  I.  Bd.  S.  153  f . 
Abendl.  Quellen:  Thomas  v.  Spalato,  Historia  Salonitanorum  etc.,  ed.  Schwandtnei  • 
ss.  rer.  Hungar.  DU,  532.  Auszüge  MM.  Germ  SS.  XXrX,  570  ff.  Rogerii  Carmen 
miserabile  super  destruet.  regni  Hung ,  ed.  Florianus,  Histor.  Hung.  Font,  domestici  IV 
MM.  Germ.  SS.  XXIX,  549  ff.  Nota  de  invasione  Tart.  in  Ungariam.  MM.  G.  SS.  XXIV, 
65.  Planctus  destruetionis  Eng.,  ib.  XXIX,  604  —  7  s.  auch  XA.  H,  616).  Fragmentum 
de  invasione,  ib.  599 — 600.  Simon  de  Keza,  Chron.  Hungar.  bis  1290.  Florian,  n, 
52  —  93.  Albericus  v.  Trois-Fontaines,  s.  oben.  Die  Berichte  Ivos  v.  Xarbonne 
in  Matthäus  Paris  MM.  Germ.  SS.  XXVDH.  Johannes  de  Piano  Carpini,  Libellus 
historicus  de  Hungariae  devastatione  per  Tartaros  b.  Addit.  ad  Matth.  Paris,  ed.  Watson. 
Andere  Ausg.  Potth.  I,  663.  Die  Hypatios  Chronik,  Ausg.  der  archäographischen 
Kommission.  Petersb.  1871.  Julianus,  fratr.  Praed.,  Tractatus  de  Tartans,  ed.  Dudik. 
Iter  Romanum  H,  326 — 340.  (S.  auch  Bonaparte,  Documents  de  l'epoque  mongole 
de  XTTTe  et  XIVe  siecles.  Paris  1895.)  Gewarnt  wird  vor  einer  Benutzung  der  sogen. 
Königinhofer  Handschrift,  einer  Fälschung  Vaclav  Hankas  aus  der  ersten  Hälfte  de* 
XIX.  Jahrh.  S.  Knieschek,  Der  Streit  um  che  Königinhofer  Handschrift.  Prag  1888 
und  Truhlaf  in  MJÖG.  1888.  S.  auch  Arch.  für  slav.  Philol.,  X.  Bd.,  Aufsätze  von 
Masaryk  u.  Gebauer.  Bretholz;  Die  Tataren  in  Mähren  u.  die  moderne  mährische 
Urkundenfälschung.  Z.  f.  Gesch.  Mähr.  u.  Schles.  L,  S.  46 — 55.  (Die  Quellen  zum  Tataren- 
einfall.) Die  Hedwigslegende.  SS.  rer.  Sil.  H.  Ausg.  u.  Lit.  bei  Potth.  H,  1362/3.  Ein- 
zelnes in  Petis  de  la  Croix,  Übersetzung  v.  Cherefeddin  Ali  s.  §  135.  Haythonis 
Armeni  Historia  Orientalis,  ed.  Müller  1671.  Andere  Ausg.  Potth.  1.  c.  Wattenbach, 
D.  G.  Q.  H.,  Beil.  H.     Goll,  Historicky  rozbor.    Prag  1886. 

Hilfsschriften.  Aufser  den  allg.  zur  Geschichte  Friechlchs  H. :  Hammer- 
Purgstall,  wie  oben.  J.  Schmidt,  Gesch.  der  Ostmongolen  u.  ihres  Fürstenhauses, 
Petersb.  1829.  Schott,  Älteste  Nachrichten  von  den  Mongolen  und  Tataren.  Abh. 
Berl.  Ak.  1845.  Erdmann,  Temudschin  der  Unerschütterliche.  Leipz.  1862.  Külb, 
Gesch.  der  Missionsreisen  nach  der  Mongolei  während  d.  13.  u.  14.  Jahrh  Regensb. 
1860.  d'Ohsson,  Histoire  de  Mogols  I,  H  (benützt  auch  Orient.  Quellen  wie  Alai-eddin, 
Radschid-eddin  u.  a.).  O.  Wolff,  Gesch.  d.  Mongolen  oder  Tataren.  Bresl.  1872. 
Ho  wort  h,  History  of  the  Mongols.  Lond.  1876 — 1880.  Howorth,  Chingiz  Khan 
and  bis  ancestors  I  Ant.  XVH.  Raschid  eddin,  Istorja  Mongolov,  Istorija  Cingis-Chana 
od  vossestvija  ego  na  prestol  do  konciny  Gesch.  d.  Mongolen,  Gesch.  Dschingis-Chans 
v.  s.  Erhebung  auf  den  Thron  bis  zum  Ende.  Pers.  u.  russisch  v.  Berezin).  Petersb. 
1888.  S.  auch  Heimol t,  Weltgeschichte  H.  Ostasien  u.  Ozeanien.  D.  Ind.  Ozean. 
Leipzig  u.  Wien  1902.  Solovj ew,  Istorija  Rossii  etc.  7  Bde.  Petersburg  1900.  Brückner, 
Gesch.  Rufslands  bis  z.  Ende  d.  18.  Jahrh.  Bd.  1.  Gotha  1896.  Schiemann  wie 
oben.  G.  Bachfeld,  Die  Mongolen  in  Polen.  Innsbr.  1889.  G.  Strakosch- 
Grafsniann,  wie  oben.  Fr.  v.  Räumer,  Gesch.  d.  Hohenst.  IV.  Zum  Mongolen- 
einfall in  Böhmen  u.  Mähren  u.  zur  Haltung  Friedrichs  v.  Österr.  s.  P  a  1  a  c  k  y ,  Der 
Mongoleneinfall  1242  (ist  wegen  der  Benützung  der  Königinhofer  Handschr.  ebenso 
vorsichtig  zu  benützen  wie  s.  Gesch.  v.  Böhmen  u.  Dudiks  Gesch.  v.  Mähren).  Bach- 
mann,  Gesch.  Böhmens  I.  E.  Schwamm el,  Über  die  angebl.  Mongolenniederhme 
vor  Olmütz.  Wien  1860.  —  Der  Anteil  Friedrichs  des  Streitbaren  an  der  Abwehr  der 
Mong.  1860.  Die  Schriften  von  Ficker,  Hirn,  Schwarz  u.  Kozak  s.  oben.  S.  die 
Landesgesch.  v.  Rufsland,  Polen,  Schlesien  u.  s.  w.,  vor  allem  aber  Rankes  Welt- 
geschichte VHI,  S.  417,  wo  der  Gegenst.  von  den  höchsten  Gesichtspunkten  aus  be- 
handelt u.  gewisse  Völkerverschiebungen  im  südöstl.  Europa  aufgeklärt  werden.  Sonstige 
Lit.  s.  unten  §  133.  Über  che  militärische  Seite  s.  Köhler,  Kriegswesen  IH,  434  dort 
auch  Quellenvermerke).     Alt.  Lit.  in  Rehm,  MA.  III,  2,  161. 


Die  Anfänge  Dschingiskhans.  109 

1.  Während  Kaiser  und  Papst  im  heftigsten  Kampfe  gegeneinander 
standen,  kam  die  christliche  Kultur  des  Abendlandes  in  Gefahr,  durch 
einen  Angriff  aus  dem  Osten  vernichtet  zu  werden.  Die  Mongolen  (später 
fälschlich  Tataren1)  genannt),  deren  Ursitze  am  Nordrand  der  hochasiati- 
schen Steppe  in  der  Gegend  des  Baikalsees  liegen,  hatten  schon  im 
frühen  Mittelalter  durch  einige  ihrer  Stämme  eine  wichtige  Rolle  ge- 
spielt. Auf  die  Abendländer  machten  die  Mongolen  im  13.  Jahrhundert 
denselben  schrecklichen  Eindruck  wie  einst  die  Hunnen.2)  Ihre  grofsen 
Erfolge  im  Kriege  gewannen  sie  nicht  nur  durch  die  überlegene  Kopf- 
zahl ihrer  Heere,  sondern  auch  durch  die  strategische  und  taktische 
Einsicht  ihrer  Feldherren,  durch  strenge  Kriegszucht,  schnelle  Bewegung, 
grofse  Abhärtung  und  Ausdauer  und  ihre  stürmische  Tapferkeit  und 
Todesverachtung.  Begründer  ihrer  Weltmachtstellung  war  T  e  m  u  d  s  c  h  i  n. 
Er  wurde  1155  als  Sohn  des  Häuptlings  Jessugei  geboren.  Nach  seines 
Vaters  Tode  —  der  Sohn  zählte  erst  13  Jahre  —  fielen  einzelne  Stämme 
ab.  Temudschin  floh  nach  Karakorum  zu  Ungkhan,  dem  Herrscher 
der  Keraiten,  demselben,  der  in  der  Sage  des  späteren  Mittelalters  unter 
dem  Namen  Priester  Johannes  bekannt  ist,  trotzdem  er  weder  nur 
Christen  beherrschte,  noch  auch  ihrer  Lehre  zugetan  war.  Temudschin 
und  Ungkhan  entzweiten  sich.  Nach  Ungkhans  Besiegung  (1203)  unter- 
warf Temudschin  nicht  nur  dessen  Stämme,  sondern  auch  jene,  die 
von  ihm  selbst  abgefallen  waren.  Auf  einem  von  allen  Stämmen  be- 
schickten Kurultai  (Reichstag)  wurde  er  (1206)  zum  Dschingiskhan,  d.  h. 
dem  grofsen  Khan,  ausgerufen:  er  schlug  seine  Residenz  in  Karakorum 
auf.  Nach  der  Unterwerfung  der  mongolischen  Horden  im  südlichen 
Sibirien  begann  er  den  Kampf  gegen  Katai,  das  nordchinesische  Reich. 
Im  Jahre  1211  wurde  die  von  den  Chinesen  gegen  die  nördlichen  Völker 
aufgerichtete  Mauer  durchbrochen,  in  den  beiden  folgenden  Jahren  das 
nördliche  China  unterworfen  und  Korea  tributpflichtig.  Dann  drangen 
die  Mongolen  gegen  Chovaresmien  vor,  das,  von  Sultan  Mohammed  III. 
beherrscht,  sich  vom  Kaspischen  Meer  bis  an  den  Indus  erstreckte.  Eben 
war  er  im  Begriff,  dem  abbassidischen  Kalifat  in  Bagdad  ein  Ende  zu 
machen,  um  es  einem  Nachkommen  Alis  zu  übergeben,  da  wandte  sich 
der  Kalif  AI  Nasir  an  Dschingiskhan  um  Hilfe;  aber  erst  als  Chova- 
resmier  eine  tatarische  Karawane ,  bei  der  sich  Gesandte  befanden, 
beraubt  und  die  Gesandten  getötet  hatten,  begann  der  Grofskhan  den 
Krieg  (1218),  der  nun  mit  beispielloser  Grausamkeit  geführt  wurde.  In 
Bochara,  einem  Hauptsitz  der  mohammedanischen  Gelehrsamkeit,  wurden 


*)  Seit  dem  13.  Jahrh.  ist  im  Abendland  die  (falsche)  Schreibart  Tartaren  üblich. 
Zu  ihrer  ethnogr.  Stellung  s.  Koelle,  On  Tatar  and  Turks  JEAS.  XIV,  125.  Müller, 
Allg.  Ethnographie;  Beschreibung  der  Mongolen  bei  TVolff,  125  ff.  Über  Gesetze  und 
Einrichtungen  d.  M.,  s.  Hammer,  Gesch.  d.  g.  Horde,  S.  183—297. 

8)  Die  Epistola  imperatoris  de  adventu  Tartarorum  in  Matth.  Paris.  Eine  nach 
den  Quellen  ausgearbeitete  Schilderung  bei  Schieruann  I,  153.  Über  die  Zustände  der 
Mongolen  im  13.  Jahrh.  verbreitet  sich  der  Bericht  des  V.enezianers  Marco  Polo,  der 
21  Jahre    1271—1295^  unter  ihnen  lebte. 


11Q  Die  Eroberungszüge  der  Mongolen. 

die  Bücher  verbrannt  und  die  Büchersäle  in  Ställe  verwandelt.1)  Sainar- 
kand,  Balkh.  Merw,  Herat  wurden  erobert,  und  der  mächtigste  unter 
allen  Sultanen  der  Chovaresmier  endete  sein  Leben  in  bitterer  Armut 
auf  einer  Insel  des  Kaspischen  Meeres.  Von  seinen  Söhnen  rettete  sich 
der  sagenberühmte  Dschelal-eddin  nach  Indien.  Während  die  Eroberungs- 
züge in  Asien  weiter  gingen,  trieben  die  Mongolen  unter  der  Führung 
Dschudschis,  eines  Sohnes  des  Grofskhans,  die  Rumänen  unter  ihrem 
Führer  Ruthen  nach  dem  Westen ;  sie  trennten  die  Polowzer  zwischen 
Wolga  und  Don  von  den  übrigen  Stämmen,  die  ihnen  Widerstand 
leisteten,  trieben  sie  aber  dann  bis  in  die  Krim  und  zwangen  sie,  sich 
an  die  Russen  zu  wenden,  die  in  Kiew,  Tschernigow,  Halitsch, 
Rjäsan,  Wladimir  und  Nowgorod  ihre  Teilfürsten  tum  er  hatten. 
Die  Fürsten  im  südlichen  Rufsland  zogen  ihnen  zu  Hilfe  und  drängten 
die  Mongolen  bis  an  die  Kalka  zurück.  Hier  trieb  der  Ehrgeiz 
Mstislaws  von  Halitsch  vorzeitig  zur  Schlacht  (1223,  16.  Juni),  die  haupt- 
sächlich durch  die  Flucht  der  Polowzer  verloren  ging.  Neun  Zehntel 
des  russischen  Heeres,  darunter  sechs  Fürsten,  fielen  im  Kampfe.  Dschin- 
giskhan  war  mit  den  Erfolgen  seines  Sohnes  so  zufrieden,  dafs  er  ihm 
(1224)  das  ganze  Reich  Kap  tschak  —  vom  westlichen  Altai  bis  zur 
Wolga  —  übergab.  Den  letzten  Kriegszug  unternahm  er  selbst  gegen 
Tangut.  Da  starb  er  im  August  1227  und  wurde  seinem  Wunsche  gemäfs 
unter  einem  Baum  im  Quellengebiete  des  Onon  begraben;  ein  Hain  wurde 
in  der  Nähe  gepflanzt  —  es  ist  die  Begräbnisstätte  der  Dschingiskhane. 

Auf  Dschingiskhan  wird  die  Abfassung  des  bürgerlichen  und  militärischen  Gesetz- 
buches Jasa,  d.  i.  Vorbote,  oder  auch  Tundschin,  d.  h.  was  man  wissen  ruufs,  zurück- 
geführt. Man  kennt  es  nur  aus  Auszügen.  Es  enthält  meist  Strafbestimmungen  gegen 
Verbrechen.  Genau  sind  die  Anordnungen  über  das  Kriegswesen.  Der  Waffendienst 
gilt  als  er^te  Pflicht.  Aufser  dem  Gesetzbuche  gab  es  noch  mündliche  in  Gesetzeskraft 
stehende  Herrschergebote  des  Dschingiskhans.  Während  im  Abendlande  die  Meinung 
herrschte,  dafs  die  Mongolen  an  keinen  Gott  glauben2  ,  hatten  sie  gleichwohl  die  Ver- 
ehrung eines  höchsten  Wesens.  Daneben  bestand  freilich  noch  ein  Fetischdienst  und 
mischte  sich  Dämonenverehrung  mit  buddhistischen  und  anderen  religiösen  Anschau- 
ungen, die  sie  bei  den  unterworfenen  Völkern  kennen  gelernt  hatten.  Diesen  wurde 
im  übrigen  che  freie  Ausübung  ihrer  Religion  nicht  verwehrt. 

Die  eroberten  Länder  wurden  nach  Dschingiskhans  Tod  unter 
seine  Söhne  verteilt  und  zum  Grofskhan  sein  ältester  Sohn  Ogotai 
gewählt  (1229).  Kaptschak  erhielt  Batu,  der  Sohn  Dschudschis. 
Auf  Ogotai  folgte  nach  einem  Interregnum  von  mehr  als  vier  Jahren 
(1246)  sein  Sohn  Kujuk,  dann  (1251)  Mangu,  ein  Enkel  Dschingis- 
khans, der  einen  seiner  Brüder.  Hulaghu.  gegen  Bagdad  (s.  unten), 
einen  andern,  Kubilai,  gegen  China  entsandte.    Kubilai  (1259 — 1294) 

*)  »Ihr  habt-,  wurden  che  um  Gnade  flehenden  Bewohner  angeherrscht,  >arge 
Sünden  begangen,  und  die  Häupter  und  Führer  des  Volkes  sind  che  ärgsten  Ver- 
brecher. Wollt  ihr  eine  Rechtfertigung  für  mein  Verhalten :  Wohlan,  ich  bin  Gottes 
Geifsel.«  In  Herat  wurden  1  600 000  Menschen  getötet.  Mit  den  Worten:  Das  Gras  ist 
geschnitten,  nun  füttert  die  Pferde,  forderte  er  seine  mordgewohnten  Reiter  zur  Plün- 
derung auf.     Schiernann,  S.  157. 

a  Matth.  Paris.  Et  ut  breviter  dicam,  nihil  credunt.  Ein  Auszug  der  Jasa  findet 
sich  in  dem  Werke  des  Arabers  Makrizi    t  1441    über  Ägypten.  Zu  Vlakrizi  s.  oben  §  18. 


Der  Einbruch  der  Mongolen  in  Rufsland,  Polen  und  Ungarn.  111 

verlegte  seine  Residenz  nach  Peking,  wo  seine  Dynastie  bis  1368 
regierte.  Die  mongolische  Herrschaft  in  Ostasien  nahm  seit  jener 
Zeit  den  eigentümlichen  chinesischen  Charakter  an.  Schon  Kubilai 
führte  in  seinem  Reiche  die  buddhistische  Lehre  in  der  Gestalt  des 
Lamaismus  ein.  Anders  im  Westen,  wo  sich  die  Mongolen  der  moham- 
medanischen Lehre  zuwandten.  Alle  Grofskhane  setzten  die  Erobe- 
rungen fort,  treu  der  Weisung  Dschingiskhans,  nur  mit  besiegten  Völkern 
Frieden  zu  schliefsen. 

2.  Während  sich  Ogotai  mit  dem  inneren  Ausbau  des  Reiches 
beschäftigte  und  Karakorum,  das  bisher  aus  elenden  Hütten  und  Zelten 
bestand,  in  eine  Residenzstadt  mit  prachtvollen  Palästen  umwandelte, 
setzte  Batu  die  Eroberungen  im  Westen  fort.  Nachdem  er  den  Bul- 
garen und  Magyaren  in  Ugorien  (zwischen  Wolga  und  Ural)  eine  Nieder- 
lage beigebracht  hatte,  zog  er  gegen  die  Russen.  Zuerst  (1237,  21.  De- 
zember) erlag  Rjäsan,  dann  (1238,  Februar)  wurden  Moskau  und 
Wladimir  genommen  und  der  Grofsfürst  Jurij  am  4.  März  am  Sit 
völlig  geschlagen.  Die  Mongolen  drangen  gegen  Nowgorod,  sahen  sich 
aber  durch  Tauwetter  und  unwegsamen  Boden  zum  Rückzug  genötigt. 
Im  folgenden  Jahre  schlugen  sie  den  Kumanenfürsten  Kuthen,  so 
dafs  er  um  Aufnahme  ins  ungarische  Reich  nachsuchte,  die  ihm  unter 
der  Bedingung,  dafs  er  Christ  würde,  gewährt  wurde.  Am  6.  Dezember 
1240  fiel  Kiew.  Erbittert  wegen  der  A.uf nähme  Kuthens,  rückten  die 
Mongolen  gegen  die  Ungarn,  die,  des  Waffendienstes  entwöhnt,  mit  dem 
König  im  Streit  und  von  Hafs  gegen  die  eingewanderten  Rumänen  er- 
füllt, sich  nur  ungenügend  und  spät  gerüstet  hatten,  und  denen  nur 
Friedrich  der  Streitbare  Hilfe  leistete.  Batu  hatte  seine  Scharen  in 
vier  Haufen  geteilt.  Mit  der  Hauptmasse  zog  er  von  Halitsch  über  die 
Karpathen,  der  eine  Flügel  unter  Peta  westwärts  gegen  Polen,  der 
andere  in  zwei  Abteilungen  über  Rodna  nach  Siebenbürgen  und  über 
die  Moldau  und  Walachei  nach  Ungarn.  Im  März  1241  drang  Batu 
durch  die  Pässe  von  Munkacz  über  die  Karpathen  und  stand  Mitte  des 
Monats  schon  wenige  Meilen  von  Pest.  Statt  mit  den  Kumanen *)  gemeinsam 
vorzugehen,  entlud  der  Hafs  der  Ungarn  sich  gegen  diese,  und  ihr 
Führer  Kuthen  wurde  von  Ungarn  und  Deutschen  in  Pest  erchlagen. 
Wiewohl  der  kumanischen  Hilfe  beraubt,  zog  König  Bela  IV.  Mitte 
April  1241  gegen  die  Mongolen  und  erlitt  bei  Mohi  eine  gänzliche 
Niederlage.  Man  erzählt,  dafs  von  den  Ungarn  nur  15  entkamen, 
unter  ihnen  der  König,  der  sich  nach  Osterreich  zu  Herzog  Friedrich 
rettete.  Ungarn  wurde  grauenhaft  verwüstet.  Nun  brachen  die  mon- 
golischen Heersäulen  in  Siebenbürgen  und  das  südliche  Ungarn  ein  und 
vollendeten  den  Ruin  des  Landes.  Das  Heer  unter  Peta  hatte  sich 
gegen  Polen  gewandt,  das  wie  Rufsland  in  kleinere  Länder  geteilt  war : 
Krakau  mit  Sandomir,  Masovien  und  Grofspolen  mit  Niederschlesien. 
Diese    geteilte  Macht    konnte    keinen   nachhaltigen    Widerstand    leisten. 


l)  Dafs  die  Kumanen  nicht  magyarischer,  sondern  türkischer  Abstammung  wären, 
beweist  Gf.  Küen,  s.  JBG.  Vm. 


\\2  Das  Reich  der  Goldenen  Horde. 

Sandouiir  und  Krakau  fielen;  Herzog  Heinrich  von  Xiederschlesien 
stellte  sich  dem  Feinde  »auf  der  Wahlstadt«  bei  Liegnitz  entgegen,  erlitt 
aber  am  9.  April  eine  gänzliche  Niederlage  und  fiel  selbst  in  der  Schlacht. 
König  Wenzel  von  Böhmen  hatte  sich  zu  spät  aufgemacht,  um  noch 
eingreifen  zu  können.  Die  Mongolen  zogen  nunmehr  zum  Hauptheer 
nach  Ungarn.  Das  von  Wenzel  schutzlos  gelassene  Mähren  wurde  auf 
ihrem  Durchzug  entsetzlich  verwüstet.  Bela  IV.  hatte  inzwischen  Hilfe- 
rufe an  die  christlichen  Mächte,  vor  allem  an  den  Papst  und  den  Kaiser, 
ergehen  lassen  und  sich  erboten,  sein  Land  vom  Kaiser  zu  Lehen  zu 
nehmen.  Der  Papst  begnügte  sich,  das  Kreuz  in  Ungarn  und  dessen 
Nachbarländern  predigen  zu  lassen,  der  Kaiser  wies  Bela  an  Konrad  IV., 
der  mit  einer  Anzahl  von  Fürsten  das  Kreuz  genommen  hatte.  Friedrich 
von  Österreich  nützte  dagegen  Belas  Notlage  aus,  um  sich  der  an- 
grenzenden Landesteile  zu  bemächtigen.  Im  Winter  1241  setzten  die 
Mongolen  über  die  Donau  und  nötigten  Bela  zur  Flucht  nach  Dalmatien. 
Einige  Mongolenschwärme  kamen  bis  in  die  Nähe  von  Wien,  andere 
nach  Kroatien,  dem  nördlichen  Dalmatien,  Serbien,  bis  nach  Bulgarien. 
Da  bewog  sie  die  Nachricht  vom  Tode  des  Grofskhans  Ogotai  zur  Umkehr. 
Der  Grofsfürst  Jaroslaw  II.  sandte  seinen  Sohn  Konstantin  an  das  Hof- 
lager des  neuen  Grofskhans,  um  dort  die  Huldigung  zu  leisten.  Das 
russische  Reich  stand  fortan  unter  der  Herrschaft  des  Khans  von 
Kaptschak.  Dieses  Reich,  das  Batu  regierte,  reichte  vom  Kaspischen 
Meer  und  D erbend  bis  nach  Nowgorod  und  an  den  Don.  Es  ist  das 
Reich  der  Goldenen  Horde.1)  In  Schlesien,  Mähren  und  Ungarn 
setzte  eine  mit  Eifer  und  Verständnis  in  Angriff  genommene  Koloni- 
sation deutscher  Ansiedler  ein,  um  die  schweren  AVunden  zu  heilen,  die 
der  Einbruch  der  Mongolen  geschlagen  hatte. 

3.  Kapitel. 

Friedrich  II.  imd  Innozenz  IV.    1241  [1243]— 1250.   (Der  Ent- 
sclieidungskainpf  zwischen  Kaiser  und  Papsttnm.) 

§  25.  Die  FriedensYer suche  nach  dem  Tode  Gregors  IX.    Innozenz  IV. 

und  das  Konzil  von  Lyon. 

Quellen.  Urkk.  u.  Briefe  w.oben.  Dazu  aufser  Potth.  Regg.  pontiff . :  E.Be  r  g  e  r , 
Los  Registres  d'Innocent  IV.  Paris  1884 — 1897.  Rayn.  Ann.  eccl.  Th einer,  S.  116 
bis  135.  Geschieht  schreib  er:  Die  Biogr.  Innoz.  IV.  von  dem  zeitgen.  Minoriten 
Nicolaus  de  Curbio  bei  Murat.  HE,  492.  unter  den  ital.  Geschiehtschr.  kommt  neben 
Ryccardus  de  S.  Germano  schliefst  mit  1243  am  meisten  Salimbene  de  Adamo  in 
Betracht:  Chronicon  a.  a.  1212 — 1287.  In  MM.  bist,  ad  provinc.  Parmensem  et  Placen- 
tinam  pertinentia  DI.  Parmae  1857  8.  dazu  Dove,  Die  Doppclchronik  v.  Reggio  und 
Salimbene.  Leipz.  1873  u.  E.  Michael,  Salimbene  u.  s  Chronik.  Innsbr.  1889. 
Annales  Piacentini,  wie  oben.  Ann.  Januenses.  MM.  G.  SS.  XVHL  Rol.  v.  Padua, 
T,vie  oben.  Annales  et  Notae  Parmenses.  MM.  Germ.  bist.  XVIII,  662  ff  Le  Croniche 
de  Viterbo  1080 — 1254,  ed.  Böhmer  FF.  IV,  681  ff.     Sonst    wie   oben.    Über  die  Haupt- 


1     Von  ordUj  d.  h.  das   Lager    des  Herrschers  . 


Die  Vakanz  des  päpstlichen  Stuhles.  Opposition  der  geistlichen  Reichstursten.      H3 

quellen  zur  Gesch.  des  Konz.  v.  Lyon  s.  Schirrniacher  IV,  387.  Es  sind  die  Brevis 
notitia  (s.  Tangl  in  den  MJÖG.  XV,  377)  ap.  Mansi  Conc.  Coli.  XHL,  610  u.  damit 
übereinstimmend  die  Annales  Caesenates  bei  Muratori  XIV,  1098 ;  besonders  aber  Matth. 
Paris  (ad  a.  1245),  der  möglicherweise  selbst  beim  Konzil  anwesend  war.  Dann  die 
Notitia  saeculi  auetore  Pavone,  ed.  Karajan  (s.  dazu  aber  F.  Wilhelm,  Die  Schriften  des 
Jordanus  von  Osnabrück.  MJÖG.  XIX,  648  ff.  Danach  ist  der  hist.  Wert  des 
Pavo  nicht  hoch). 

Hilfsschriften:  Die  allg.  Werke  zur  Gesch.  Friedrichs  II.  s.  oben  §§  8,  17  u.  ff. 
Dazu:  Köhler,  D.  Verhältnis  Friedrichs  II.  z.  d.  Päpsten.  Diss.  1888.  Tammen, 
Kaiser  Friedrich  II.  u.  Papst  Innozenz  IV.  1243 — 1245.  Leipz.  1886.  Maubach,  Die 
Kardinäle  u.  ihre  Polit.  1243—68.  Bonn  1902.  Beyer,  Der  Abfall  und  die  Be- 
lagerung von  Parma  1247.  Progr.  Freistadt  1892.  H.  Weber,  Der  Kampf  zwischen 
Papst  Innozenz  IV.  u.  Friedrich  II.  bis  zur  Flucht  des  Papstes  nach  Lyon.  Berlin  1900. 
Bu.rkh.ar dt,  Konrad  v.  Hochstaden.  Bonn  1843.  Funkhänel,  Heinr.  Raspe  als 
Pfleger  d.  d.  Reiches.  Z.  thür.  Gesch.  VII.  C'ardauns,  Konrad  von  Hochstaden,  Erzb. 
v.Köln.  1880.  E.  Fink,  Siegfried  v.  Eppenstein,  Erzb.  v.  Mainz  (1230-1249).  Rost. 
1892.  Rodenberg,  Kaiser  Friedrich  s.  §17.  Rodenberg,  Innozenz  IV.  und  das 
Königreich  Sizilien  1245  —  1254.  Grub  er,  Eberhard  H.,  Erzb.  v.  Salzburg  1200 — 1246. 
Progr.  Burghausen.  W  e  s  e  n  e  r ,  De  actionibus  inter  Innoc.  IV.  et  Frid.  H.  a.  1243 — 45. 
Bonn  1870.  Winkelmann,  Kaiser  Friedrichs  Kampf  um  Viterbo.  Hannover  1886. 
Schürmann,  D.  Polit.  Ezzelins  III.  Progr.  1886.  Mitis ,  Storia  d'Ezzelino  TV.  da  Romano 
1897.  Gittermann,  Ezzelin  III.  da  Romano.  Freib.  1890.  Cantu,  Ezzelino  d.  R. 
Mil.  1901.  J.  Zeller,  L'empereur  Frederic  H  et  la  chute  de  l'empire  germanique 
du  moyen-äge,  Conrad  IV  et  Conradin.  Paris  1885.  Mikulla,  Die  Söldner  im  Heere 
Friedr.  II.    Bresl.  1885. 

1.  Kaum  hatte  Friedrich  II.  den  Tod  des  Papstes  vernommen,  ein 
Ereignis,  das  er  den  Königen  Europas  mit  dem  Wunsche  mitteilte,  dafs 
ein  friedliebender  Papst  den  Stuhl  des  hl.  Petrus  besteige,  als  er  seine 
Feindseligkeiten  gegen  Rom  einstellte  und  den  Kardinälen  erlaubte,  sich 
zur  Wahl  eines  Papstes  zu  versammeln.  Die  in  Rom  anwesenden  (10) 
Kardinäle  wählten  am  25.  Oktober  den  Mailänder  Gaufried,  Bischof  der 
Sabina,  als  CölestinIV.  zum  Papst,  der  aber,  noch  ehe  er  die  Weihe 
erhalten  hatte,  am  10.  November  starb.  Während  die  Römer  auf  die 
rasche  Vornahme  einer  Neuwahl  drängten,  die  Weifen  in  der  Stadt  sich 
gegen  die  Ghibellinen  erhoben  und  der  Kaiser  vor  der  Stadt  stand, 
flohen  die  Kardinäle  nach  Anagni,  worauf  eine  mehr  als  anderthalb- 
jährige Vakanz  des  päpstlichen  Stuhles  eintrat,  die  von  der  einen  Seite 
dem  Kaiser,  von  der  anderen  den  uneinigen  Kardinälen  in  die  Schuhe 
geschoben  ward.  Inzwischen  waren  dem  Kaiser  auch  in  Deutschland 
Schwierigkeiten  erwachsen.  Die  geistlichen  Fürsten,  besorgt,  dafs  er 
seine  Siege  in  Italien  benützen  könnte,  um  die  grofsen  Errungenschaften 
des  deutschen  Fürstentums  aufzuheben,  und  von  der  Überzeugung  durch- 
drungen, im  Bunde  mit  dem  Papsttum  gröfsere  Vorteile  zu  erringen, 
traten  in  die  Opposition.  Am  11.  September  1241  schlössen  die  Erz- 
bischöfe von  Köln  und  Mainz  ein  Bündnis  gegen  die  Staufer,  dem  sich 
bald  andere  Reichsfürsten  anschlössen.  Nur  die  Mongolennot  hinderte 
sie  an  der  Durchführung  ihrer  Absichten.  Dagegen  gewann  Friedrich  IL 
den  Landgrafen  Hermann  von  Thüringen  und  König  Wenzel,  denen  er 
die  Würde  eines  Reichsverwesers  verlieh,  und  fesselte  die  bisher  zurück- 
gesetzten Städte  durch  reiche  Privilegien  an  sich.  Den  Kampf  gegen 
Köln   und   Mainz   führte   König    Konrad    zu  Ende.     Nun   drängten   alle 

Loserth,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  8 


114  Die  Wahl  Innozenz'  IV.    Seine  Flucht  nach  Lyon. 

Kreise  der  abendländischen  Christenheit  auf  die  Vornahme  der  Papst- 
wahl. Friedrich  II.  räumte  schliefslich  selbst  die  Hindernisse  hinweg, 
die  ihr  von  seiner  Seite  entgegenstanden,  und  die  Kardinäle  hoben 
den  Kardinal  Sinibald  Fiesco  aus  dem  alten  genuesischen,  zum  Reichs- 
adel gehörigen  Hause  Lavagna  als  Innozenz  IV.  (1243 — 1254)  auf  den 
päpstlichen  Stuhl  (1243,  25.  Juni).  Ein  erprobter  Anhänger  der  Politik 
Gregors  IX.,  deutete  er  schon  durch  die  Wahl  seines  Namens  die  Rich- 
tung an,  die  er  befolgen  würde.  Bisher  war  er  ein  Freund  des  Kaisers, 
der  ihn  nach  der  Wahl  auch  als  solchen  begrüfste,  freilich  nicht  ohne 
Sorge,  dafs  er  es  fürderhin  nicht  mehr  sein  könnte. 2)  Wiewohl 
Papst  und  Kaiser  friedfertige  Gesinnungen  kundgaben,  war  eine  Einigung 
schwer  zu  erzielen.  Während  jener  unbedingte  Restitution  aller  der 
Kirche  gehörigen  Länder,  Einschlufs  der  Lombarden  in  den  Frieden 
und  Entscheidung  der  strittigen  Fragen  durch  ein  Konzil  begehrte, 
konnte  der  Kaiser  wohl  in  den  ersten,  nicht  aber  in  die  beiden  folgen- 
den Punkte  willigen.  Trotzdem  wurden  bis  Ende  1244  Verhandlungen 
gepflogen  und  führten  in  allen  bis  auf  die  lombardische  Frage  zu  einer 
Einigung;  der  Papst  begehrte,  dafs  ihm  auch  hierin  die  Entscheidung 
überlassen  werde,  was  der  Kaiser,  um  seine  Hoheitsrechte  in  der  Lom- 
bardei zu  wahren,  zurückwies ;  daher  lehnte  es  der  Papst  ab,  ihn  vom 
Bann  zu  lösen.  Noch  war  der  Kaiser  zu  weiteren  Zugeständnissen  be- 
reit und  hoffte,  den  Papst  bei  einer  Zusammenkunft  für  seine  Vorschläge 
zu  gewinnen,  schon  aber  verhandelte  dieser  nur  noch  zum  Schein  und 
war  sein  Plan  feststehend,  ein  Konzil,  das  die  Absetzung  des  Kaisers 
aussprechen  sollte,  auf  einem  Boden  zustande  zu  bringen,  der  sich  der 
Beeinflussung  durch  diesen  entzog.  Am  28.  Juni  1244  flüchtete  er  von 
Sutri  nach  Civitavecchia,  von  wo  die  Genuesen,  die  er  von  seinen  Ab- 
sichten in  Kenntnis  gesetzt  hatte,  ihn  und  seine  Begleiter,  unter  ihnen 
seinen  Biographen  und  Beichtvater  Nikolaus  de  Curbio,  nach  Genua 
führten.  In  einem  Schreiben  an  Brescia  nennt  er  die  Hemmung  des 
freien  Verkehrs  mit  den  Gläubigen  als  Ursache  der  Flucht.  Böswillige 
Federn  wufsten  von  finsteren  Plänen  des  Kaisers,  ihn  gefangen  zu 
nehmen,  zu  erzählen.  Als  frohe  Botschaft  wurde  die  Flucht,  die  seinem 
Kampfe  gegen  Friedrich  den  Stempel  der  Unversöhnlichkeit  aufprägte, 
in  den  lombardischen  Städten  aufgenommen.  Sie  waren  es,  die  den 
Papst  aufforderten,  die  Absetzung  des  Kaisers  zu  proklamieren.  Dieser 
war  über  die  Kunde  von  der  Flucht  des  Papstes  sehr  ungehalten :  Er 
sei  ja  doch  bereit  gewesen,  seinen  Wunsch  zu  erfüllen.  Der  Papst  ver- 
langte von  Ludwig  IX.  eine  Zufluchtstätte  in  Reims.  Dagegen  sprachen 
sich  die  französischen  Grofsen  aus,  um  nicht  Frankreich  in  einen  Streit 
mit  dem  Kaiser  zu  verwickeln.  Der  Papst  ging  daher  nach  Lyon,  das 
zwar  dem  Xamen  nach  zum  Reiche  gehörte,  in  Wirklichkeit  aber  autonom 
war.  Von  hier  aus  berief  er  auf  den  21.  Juni  1245  ein  allgemeines 
Konzil.     Dort  sollte  die  Absetzung  des  Kaisers  erfolgen. 


*)    Perdidi    bonum    amicwm .    quia    nullus    papa   potest   esse    Ghibellinus.      Galv. 

Flamma,  c.  276. 


Das  Konzil  von  Lyon.     Anklage  des  Kaisers  und  dessen   Verteidigung.         11") 

2.    Noch  ehe  Innozenz  IV.  aus  Italien  flüchtete,  suchte  er  die  anti- 
kaiserliche  Partei    in  Deutschland   zu   stärken   und    die  Erhebung   eines 
Gegenköni&'s    vorzubereiten :    er   stellte   den   Fürsten   reiche    Vorteile    in 
Aussicht,  so  sollte  dem  Herzog  Friedrich  II.  von  Osterreich  die  Errichtung 
eines  von  Passau  unabhängigen  Bistums  in  Wien  bewilligt  werden.    Aber 
auch   der  Kaiser   war   nicht   müfsig   geblieben  und  Österreich  das  Land 
der   staufischen  Hoffnungen.     Da  er  seit  1241   Witwer  war,  wurde  seine 
Vermählung   mit  Gertrud,  der  Nichte  Herzog  Friedrichs,  in  Aussicht  ge- 
nommen.    Er  durfte  hoffen,  bei  dessen  kinderlosem  Ableben  Österreich 
und  Steiermark  zu  gewinnen.    Nun  wurde  dem  Herzog  auf  einer  Fürsten- 
versammlung  zu  Verona  die  Erhebung  Österreichs  zum  Königreich  zu- 
gesagt und  die  betreffende  Urkunde  ausgefertigt1).     Doch  kam  es  nicht 
zur  Ausführung  des  Vertrags,  da  Gertrud  sich  weigerte,    den  Kaiser  zu 
heiraten,    solang   er   im   Banne  sei.     Der  Verkehr  zwischen  diesem  und 
dem  Herzog   blieb  trotzdem  ein  freundschaftlicher.     Ebenso  wurden  die 
Städte  des  Reiches  noch  fester  an  den  Kaiser  geknüpft.    Nun  trat  auch 
das  Konzil  zusammen.    Aufser  den  Kardinälen  hatten  sich  die  Patriarchen 
von    Konstantinopel,    Antiochien    und    Aquileja,     140   Erzbischöfe    und 
Bischöfe,  einzelne  Fürsten  und  Vertreter  von  Städten  eingefunden.    Am 
stärksten  war  Frankreich,    am' schwächsten  Deutschland   vertreten.     Als 
Sachwalter  des  Kaisers  erschien  der  Grofshofrichter  Thaddäus  von  Suessa. 
Noch   im   letzten   Augenblick    war   eine   Einigung   zwischen  Kaiser   und 
Papst  unter  Vermittlung  des  Patriarchen  von  Aquileja  versucht  worden, 
aber  ohne  Ergebnis  geblieben.    Auch  die  Friedensanerbietungen  Thaddäus' 
von  Suessa   während   der   Vorberatung   am   26.  Juni  wurden  abgelehnt, 
da  es  an  einer  Bürgschaft  für  den  Erfolg  fehle.    Am  28.  Juni  beschuldigte 
der  Papst   den  Kaiser  der  Häresie,  des  Sakrilegs,  der  Unzucht  und  des 
Meineides.     Thaddäus   verteidigte   ihn   mannhaft  und  bat,  ihm  Gelegen- 
heit zu  geben,   zu   erscheinen.     Das  lehnte    der  Papst  mit  der  Drohung 
ab,    in    diesem   Falle    selbst    zu    gehen.      Auch   in   der   zweiten    Sitzung 
(5.  Juli)   wurden   heftige   Anklagen   gegen    den  Kaiser  vorgebracht  und, 
um  ihm  Zeit  zu  geben,  vor  dem  Konzil  zu  erscheinen,  die  dritte  Sitzung 
auf  den  17.  Juli  verschoben;  aber  dies  war  eine  Frist,  die  für  den  Zweck, 
falls   er  ernst  gemeint  war,  viel  zu  kurz  war.     In  der  Zwischenzeit  liefs 
der  Papst,  um  die  im  Laufe  der  Zeit  von  der  Kurie  erworbenen  Besitz- 
titel  vor   den  Ansprüchen   der   weltlichen  Macht   zu   sichern,  von  ihren 
Privilegien  Abschriften  anfertigen  und  durch  die  Siegel  von  40  anwesen- 
den Prälaten  bekräftigen.    Angesichts  der  Unmöglichkeit,  die  dem  Kaiser 
drohenden  Gefahren  abzuwenden,  erklärte  Thaddäus  in  der  dritten  Sitzung 
das    zu   gewärtigende  Urteil   für   null   und   nichtig,    da  der  Kaiser  nicht 
ordnungsmäfsig   geladen,    der  Papst  als  sein  Feind  zugleich  sein  Kläger 
und  Richter,    die    Klagepunkte    zudem   nicht   erwiesen   seien,   und  legte 
Berufung  an  ein  allgemeines  Konzil  ein,  denn  das  gegenwärtige  sei  kein 
solches.     Gegen   den   Wunsch   der  Prokuratoren   der   weltlichen  Mächte 
und  des  Patriarchen  von  Aquileja  wurde  Friedrichs  Absetzung  von  den 


*)  Die  Constitutio  regni  Austriae  in  MM,  Germ.  LL.  IV,  II,  358. 


11(3  Die  Verurteilung  des  Kaisers. 

Prälaten  gut  geheifsen,  das  Urteil  durch  150  Siegel  bekräftigt,  die  Unter- 
tanen des  Kaisers  des  Treueides  entbunden  und  die  Wahlfursten  auf- 
gefordert, eine  Neuwahl  vorzunehmen.  Zugleich  behielt  sich  der  Papst 
die  Verfügung  über  das  Königreich  Sizilien  vor.  Als  die  versammelten 
Väter  zum  Zeichen  der  Verdammnis  des  Kaisers  die  Lichter  auslöschten, 
rief  Thaddäus  gramerfüllt  aus:  »0  Tag,  Tag  des  Zornes,  des  Unglücks 
und  Elends!«  Der  Kaiser  war  über  dies  Vorgehen  tief  erbittert.1)  In 
einem  Rundschreiben  an  Fürsten  und  Grofse  erkennt  er  wohl  die  oberste 
Richtergewalt  des  Papstes  in  geistlichen  Dingen  an,  aber  kein  göttliches 
oder  menschliches  Gesetz  weise  diesem  das  Recht  zu,  in  weltlichen  Dingen 
über  Könige  und  Fürsten  zu  richten,  ihnen  Reiche  und  Länder  abzu- 
sprechen. Das  Verfahren  gegen  ihn  sei  null  und  nichtig;  warnend  wird 
allen  Fürsten  das  an  ihm  vollzogene  Beispiel  entgegengehalten.2)  In 
einem  anderen  Schriftstück  erhebt  er  laute  Klage  über  die  Verderbtheit 
der  römischen  Kirche.  Zum  erstenmal  wird  der  Wunsch  laut,'  den  ge- 
samten Klerus  zur  Armut  und  Einfachheit  der  Kirche  im  apostolischen 
Zeitalter  zurückzuführen. 3)  Der  Papst  antwortete  darauf  mit  dem  Hin- 
weis auf  die  ihm  von  Gott  verliehene  Macht,  die  nicht  blofs  alles  Geist- 
liche, sondern  auch  alles  Weltliche  umfasse.  Indem  der  Kaiser  diesem 
Anspruch  die  Legitimitätstheorie  des  Königtums  von  Gottes  Gnaden 
gegenüberstellte,  kam  es  zu  einem  Kampf  zweier  Prinzipien,  bei  denen 
eine  Versöhnung  nicht  möglich  war.  Vermittlungsversuche,  die  Ludwig  IX. 
im  Interesse  des  von  ihm  geplanten  Kreuzzuges  machte,  waren  daher 
von  vornherein  aussichtslos  und  wurden  von  der  Kurie  kühler  als  vom 
Kaisertum  aufgenommen,  denn  jener  standen  sowohl  in  Italien,  wo  sie 
als  Schützerin  der  Nationalität  gegen  die  Fremdherrschaft  und  der  Frei- 
heit gegen  den  Absolutismus  erschien,  als  auch  in  Deutschland,  wo  sich 
der  Sondergeist  kräftig  regte,  Hilfskräfte  zur  Verfügung,  mit  denen  sie 
den  Kampf  siegreich  zu  beenden  hoffte. 

§  26.    Friedrich  II.  und  die  Gregenkönige.    (Konrad  TV.  und  Heinrich 

Kaspe  von  Thüringen.    Der  Fall  von  Parma.    Wilhelm  von  Holland 

und  der  Bürgerkrieg  in  Deutschland.) 

Quellen  wie  oben.  Heinr.  Raspe,  Constit.  in  MM.  Germ.  LL.  wie  oben.  Zu 
den  Hilf  s  Schriften  v.  §23  u.  25  s.  A.  Rübesamen,  Landgraf  Heinrich  Raspe 
v.  Tb.  Halle  1885.  Reufs,  Die  Wahl  H.  Raspes  v.  Th.  Progr.  Lüdenscheid  1878. 
II gen  und  Vogel,  Krit.  Darstellung  d.  Thür.  u.  Hessischen  Erbfolgekrieges  1247 — 1264. 
Z.V.  hess.  G.  XF.  X.  Reufs,  K.  Konrad  IV.  u.  s.  Gegenkönig  H.  Raspe  v.  Th. 
Progr.    Wetzlar  1885.    Sp  ei  er,  Gesch.  Konrads  IV.  1228-1254.    Berl.  1898.    Well  er, 


*)  Die  Szene,  wie  der  Kaiser  die  Nachricht  von  seiner  Absetzung  erhielt,  bei 
Matth.  Paris,  Pertz,  MM.  SS.  XXVIH,  268 :  Abiecit  nie  papa  .  .  .  privans  me  Corona  mea. 
TJnde  tarda  audacia  f  Darauf  läfst  er  seinen  Schatz  mit  den  Kronen  holen :  Vide,  si 
iam  sunt  amisse  corone  niee!  Re per  tarn  igitur  unam  imposuit  eapiti  suo  et  coronatus 
erexit  se  et  minaeibus  oculis,  voce  terribili  et  insaciabili  corde  dixit .  .  . :  Non  adhuc  coronani 
meam  perdidi  nee  papali  impugnacione  vel  synodali  concilio  sine  cruento  perdam 
certamine  .  .  . 

2)  A  nobis  ineipitur,  sed  tua  et  aliorum  prineipum  dignitas  conculcatur  .  .  . 

3)  Semper  fuit  nostre  voluntatis  intencio  clericos  euiuseunque  ordinis  .  .  .  ad  illum 
Station  reducere,  ut  tales  persererent  in  fine,  quales  fuerunt  in  ecclesia  prhnitiva. 


Die  Wahl  Heinrich  Raspes  und  der  Kampf  der  Gegenkönige.  117 

Konrad  IV.  u.  die  Sehwaben.  Würt.  Viertel  Jahressoll.  NF.  VI.  Meer  man,  Ge- 
schiedenis  van  graaf  Willem  van  Holland.  4  Bde.  1783—1797.  A.  Ulrich,  Gesch. 
des  röm.  K.  Wilhelm  v.  H.  Hann.  1882.  0.  Hintze,  Das  Königtum  Ws.  v.  H. 
Leipz.  1885.  Th.  Hasse,  K.  Wilhelm  v.  H.  Strafsb.  1885.  P.  L.  Müller,  Wilhelm 
v.  Holland.  ADB.  42.  Döhmann,  K.  Wilhelm  v.  H.,  die  rhein.  Erzbisehöfe  u.  der 
Neuwahlplan  von  1255.  Strafsb.  1887.  .1.  Kempf,  Gesch.  d.  d.  Reichs  während  des 
Interregnums.     Würzburg  1893. 

1.  Die  Ereignisse  von  Lyon  hatten  in  Italien  keine  so  starke  Wir- 
kung hervorgebracht  als  in  Deutschland.  Im  Westen  und  Osten  der 
Lombardei  traten  Städte,  die,  wie  Venedig,  auf  Genuas  steigende  Macht 
eifersüchtig  waren,  vom  Bunde  gegen  Friedrich  IL  zurück,  andere,  wie 
Alessandria,  Tortona  u.  a.,  schlössen  sich  ihm  fester  an.  Im  Westen  be- 
wachte der  zu  ihm  zurückgetretene  Graf  von  Savoyen,  im  Osten  Ezzelin 
die  Übergänge  über  die  Alpen,  während  in  den  mittleren  Pogegenden 
König  Enzio,  in  Mittelitalien  die  übrigen  Feldherren  des  Kaisers  das 
Feld  behaupteten.  Schon  1245  hatte  Friedrich  IL  Kunde  von  einem 
gegen  sein  und  Enzios  Leben  gerichteten  Anschlag  erhalten,  dessen 
Urheber  ein  Schwager  des  Papstes  war.  Die  Verschwörung  erstreckte 
sich  bis  in  die  nächste  Umgebung  des  Kaisers;  verschiedene  hohe 
Beamte  des  Kaiserreichs  und  Siziliens  waren  beteiligt.  Die  Urheber- 
schaft wurde  dem  Papste  beigemessen;  doch  läfst  sich  nur  feststellen, 
dafs  er  mit  den  Verschworenen  im  Briefwechsel  stand  und  ihnen  auch 
später  Gnaden  erwies.  In  Deutschland  hatte  sich  Landgraf  Heinrich 
Raspe  von  Thüringen  schon  1244  den  Gegnern  des  Kaisers  zugewendet. 
Er  schien  der  geeignete  Kandidat  für  das  Gegenkönigtum  zu  sein, 
und  so  liefs  es  der  Papst  zu  seinen  Gunsten  weder  an  Überredung,  noch 
an  Drohungen,  noch  an  Geldmitteln  fehlen.  An  die  Fürsten  erging  der 
Befehl,  ihn  zu  wählen;  die  geistlichen  wurden  unter  Androhung  der 
Suspension,  die  weltlichen  bei  andern  Strafen  zur  Anerkennung  des  zu 
wählenden  Königs  und  künftigen  Kaisers  verhalten.  Dominikaner  und 
Minoriten  waren  hiebei  in  drastisch-agitatorischer  Weise  tätig.1)  So 
wählte  eine  Anzahl  meist  geistlicher  Fürsten  am  22.  Mai  1246  zu  Veits- 
höchheim Heinrich  Raspe  zum  König.  Schon  die  Zeitgenossen  haben 
ihn  rex  clericoram  —  Pfaft'enkönig  —  genannt.  Trotzdem  alle  bedeutenderen 
Laienfürsten  der  Wahl  fern  geblieben  waren,  war  der  Papst  fest  ent- 
schlossen, an  ihm  festzuhalten  und  mit  dem  Kaiser  nur  dann  Frieden 
zu  schliefsen,  wenn  er  auf  das  Reich  verzichte.  Alle  Hebel  wurden  in 
Bewegung  gesetzt,  um  dem  staufischen  Hause  die  Sympathien  der 
Fürsten  und  Völker  abwendig  zu  machen.  Selbst  die  Freundschaft 
Ejubs  von  Ägypten  sollte  ihm  entzogen  werden.2)  Raspe  hatte  auf  den 
25.  Juli  einen  Reichstag  nach  Frankfurt  ausgeschrieben.  Konrad  IV., 
entschlossen,  ihn  zu  verhindern,  zog  mit  Heeresmacht  heran,  wurde 
aber  infolge  des  Abfalls  zweier  schwäbischer  Grofsen  wiederholt  bei  Frank- 
furt geschlagen 3)  und  nunmehr  nicht  blofs  des  schwäbischen  Herzogtums, 

*)  S.  Emko  in  MM.  G.  SS.  XXIH,  529. 

2)  Ann.  Stad. 

3)  Dafs  ein  zweimaliges  Treuen  stattfand  (am  25.  Juli  und  5.  August),  beweist 
Reufs,  8.  10.     Die  älteren  Arbeiten  kennen  nur  ein  Treffen,  das  vom  5.  August. 


118  Niederlage  des  Kaisers  vor  Parma. 

sondern  auch  seiner  Güter  verlustig  erklärt.  Erst  jetzt  trat  infolge  der 
von  dem  Legaten  des  Papstes  und  Albert  Behaim  betriebenen  Agitation 
eine  erhebliche  Zahl  geistlicher  und  einzelne  weltliche  Fürsten  auf 
die  Seite  Heinrichs.  Konrad  IV.  gewann  dagegen  die  mächtige  Unter- 
stützung Herzog  Ottos  von  Bayern,  mit  dessen  Tochter  er  sich  ver- 
mählte. Otto  ward  zu  der  Allianz  mit  den  Staufern  durch  die  Sorge 
bewogen,  dafs  Böhmen  sich  in  den  Besitz  Österreichs  setzen  würde. 
Der  letzte  Babenberger,  Friedrich  IL,  war  nämlich  im  Kampfe  gegen  die 
Ungarn  gefallen  (15.  Juni),  und  König  Wenzel  hatte  rasch  die  Vermählung 
seines  Sohnes  Wladislaw  mit  der  Richte  des  Herzogs  durchgesetzt.  Über 
Otto  von  Bayern  wurde  nun  gleichfalls  der  Bann  ausgesprochen  und 
sein  Land  mit  dem  Interdikt  belegt.  Der  Gegenkönig  hatte  seinen  Sieg 
nicht  weiter  verfolgt.  Erst  als  er  von  seinen  Anhängern  zu  Hilfe  ge- 
rufen wurde,  wandte  er  sich  gegen  Bayern  und  Schwaben  und  belagerte 
Ulm  (1247,  Januar);  aber  seine  Erkrankung,  die  Beschwerden  des  Winters 
und  das  Herannahen  des  Königs  nötigten  ihn  zum  Rückzug  nach 
Thüringen.1)  Dort  starb  er  —  der  letzte  seines  Stammes  —  am  16.  Fe- 
bruar 1247.  Die  Landgraf schaft  kam  an  den  Markgrafen  Heinrich  von 
Meifsen. 

2.  Raspes  Tod  hatte  den  Papst  wohl  hart  getroffen,  doch  gelang 
es  seinen  Anhängern,  der  kaiserlichen  Partei  in  Italien  einen  schweren 
Schlag  zu  versetzen.  Noch  im  März  1247  hatte  der  Kaiser  die  Absicht, 
nach  Deutschland  zu  gehen,  als  der  Rat  einflufsreicher  Anhänger  dies- 
und  jenseits  der  Alpen  ihn  bewog,  selbst  nach  Lyon  zu  ziehen,  um  dem 
Papste  dort  persönlich  den  Frieden  abzuringen.  Nachdem  er  seinen 
Sohn  Heinrich  zum  Statthalter  in  Sizilien  eingesetzt  hatte,  schlofs  er 
A  ertrage  mit  Savoyen  und  dem  Dauphin  von  Vienne,  um  sich  die 
Alpenübergänge  zu  sichern.  Aber  der  Papst  blieb  unerbittlich.  Fest 
entschlossen,  auf  kein  Anerbieten  einzugehen,  das  die  Staufer  im  Besitz 
des  Kaisertums  liefs,  gewann  er  Frankreichs  Beistand  für  den  Fall,  als 
der  Kaiser  Gewalt  brauche.  Schon  war  Friedrich  IL  bis  Turin  gelangt. 
Da  traf  ihn  die  Nachricht,  dafs  Parma  in  Enzios  Abwesenheit  in  die 
Hände  der  Päpstlichen  gefallen  sei  (1247,  16.  Juni).  Diese  Stadt  war 
sein  Hauptstützpunkt:  sie  sicherte  die  Verbindung  Deutschlands  mit 
dem  Königreiche,  Tusciens  mit  der  Lombardei,  Piemont  und  der  Trevi- 
sanischen  Mark.  Um  sie  wieder  zu  gewinnen,  kehrte  er  zurück  und 
stand  bald  wieder  an  der  Spitze  eines  starken  Heeres,  und  um  die  Be- 
lagerung auch  während  des  Winters  fortzusetzen,  gründete  er  in  der 
Nähe  seines  Lagers  eine  neue  Stadt  Vittoria.  Als  der  Fall  Parmas  nahe- 
gerückt war,  machten  die  Belagerten  einen  Ausfall  (1248,  18.  Februar), 
eroberten  und  verbrannten  Vittoria  und  zwangen  den  Kaiser,  die  Belage- 
rung aufzuheben.  Das  kaiserliche  Heer  hatte  schwere  Verluste  erlitten ; 
unter  den  Gefallenen  befand  sich  Thaddäus  von  Suessa.  Der  Kaiser 
selbst  rettete  sich  nach  Cremona.  Mittlerweile  war  der  Legat  Pietro 
Capocci  in  Deutschland    :  als  Engel  des  Friedens     erschienen  und  hatte 


1    Eine  Schlacht  bei  Ulm  fand  nicht  statt.    BF.  48831).    Rübesamen,  52. 


Die  Wühl  Wilhelms  von  Holland.    Unentschiedener  Kampf  der  ( regenkönige.     119 

mit  verschiedenen  Fürsten  Verhandlungen  über  eine  Neuwahl  gepflogen. 
Auf  Betreiben  des  Herzogs  von  Brabant  wurde  dessen  Neffe  Gral'  Wil- 
helm von  Holland  als  Thronkandidat  aufgestellt  und  auf  einer  meist 
aus  geistlichen  Fürsten  bestehenden  Versammlung  zu  Worringen  (3.  Ok- 
tober) zum  König  gewählt  —  der  erste  nicht  fürstliche  Herrscher  auf 
dem  deutschen  Thron  (1247 — 1256).  Bei  seinen  Familienverbindungen 
war  es  nicht  schwer,  seine  Anerkennung  in  den  unteren  Rheinlanden 
durchzusetzen.  Nachdem  er  Köln  durch  reiche  Vergabungen  gewonnen 
und  Aachen  zu  ihm  übergegangen  war,  wurde  er  dort  im  Beisein  zweier 
Kardinäle,  doch  nicht  mit  der  echten  Krone,  zum  König  gekrönt  (1.  No- 
vember). Jetzt  wurde  sein  Anhang  auch  im  südlichen  Deutschland  be- 
deutender. Das  staufische  Haus,  das  einst  seine  Kraft  im  schwäbischen 
Adel  besessen,  wurde  von  diesem  grofsenteils  verlassen,  fand  dagegen 
eine  kräftige  Stütze  in  den  so  lange  zurückgesetzten  Bürgerschaften 
am  Rhein  und  in  Schwaben.  Aber  die  Hilfe,  die  der  Papst  seinem 
Schützling,  dem  Gegenkönig,  gewährte,  machte  den  Kampf  zu  einem 
ungleichen.  Am  heftigsten  wogte  er  in  Österreich,  das  der  Kaiser  als 
erledigtes  Reichslehen  festzuhalten  versuchte.  Dagegen  warf  sich  der 
Papst  zum  Anwalt  der  weiblichen  Verwandten  des  letzten  Babenbergers 
auf:  das  waren  seine  Schwester  Margareta,  die  Witwe  König  Heinrichs, 
und  seine  Nichte  Gertrud.  Da  aber  auch  jene  durch  ihre  Heirat  und 
ihren  Sohn  Friedrich,  »der  Vipernbrut«  des  Stauferhauses  angehörte, 
wirkte  er  für  Gertrud,  die  sich  nach  dem  Tode  Wladislaws  (1247,  Januar) 
mit  dem  Markgrafen  Hermann  von  Baden  vermählt  hatte,  an  den  sie 
nun  ihre  Rechte  übertrug.  Die  Österreicher  wünschten  Margaretas 
Sohn  zum  Herzog,  aber  der  Kaiser  ernannte  Otto  von  Bayern  zum 
Reichsverweser  für  Österreich  und  den  Grafen  Meinhard  von  Görz  für 
Steiermark.  Unter  diesen  Verhältnissen  kam  es  in  Österreich  zu  einer 
förmlichen  Anarchie.  In  Böhmen  erhob  sich  gegen  den  päpstlich  ge- 
sinnten König  Wenzel  die  staufische  Partei  unter  seinem  Sohne  Pfemysl 
Ottokar,  dem  Sohne  der  Stauferin  Kunigunde,  ohne  aber  besondere  Er- 
folge zu  erzielen.  Dagegen  blieb  sie  in  Österreich  Siegerin,  zumal  Her- 
mann von  Baden  eines  frühen  Todes  starb  (1250,  10.  Oktober).  Der 
Kampf  der  Gegenkönige  im  übrigen  Deutschland  ging  ohne  Entscheidung- 
weiter,  diese  wurde  erst  durch  den  Tod  des  Kaisers  herbeigeführt. 

§  27.  Das  Ende  Friedrichs  IL  Seine  Persönlichkeit  und  sein  Charakter. 

Quellen.  Über  die  Persönlichkeit  Friedrichs  und  seine  Bedeutung  berichten 
die  Quellen  von  ihrem  Parteistandpunkt  aus,  wie  Petrus  de  Yinea  in  seinen  Briefen, 
die  dem  Konzil  gegen  den  Kaiser  vorgelegten  Akten,  die  vita  Gregorii  IX.  u.  a.  Über 
einen  Bericht  aus  seiner  Jugendzeit  aus  der  Feder  seines  Lehrers  Franziscius  s.  Hampe 
in  d.  HZ.  83,  8.  Assibt  im  Dschami-ellewärich  bei  Amari,  Bibl.  p.  515.  S.  auch  Amari, 
Estratti  dal  Tarih  Mansuri  in  ASt.  NF.  98  ff.  Salimbene,  wie  oben.  Die  anderen 
Quellen  gehören  einer  späteren  Zeit  an.  Von  Neueren  handeln  über  seine  Persön- 
lichkeit, seine  Erz.  und  seinen  Charakter:  Huillard-Br  eholle  s,  Introductio  I, 
CLXXVn  ff.  Winkel  m a n n  II,  137.  Schirr m acher  I,  32  ff.,  IV,  339.  I) e lbr ü c k , 
E.  Porträt  Fr.  IL  Z.  bild.  Kunst  XF.  14.  Wie  die  älteren  Quellen  gehen  auch  die 
neueren  Darstellungen   in    der  Beurteilung   dieses   Kaisers   weit   auseinander.     Am  ge- 


120  Der  Kampf  in  Italien.    Verrat  in  des  Kaisers  Umgebung. 

hiesigsten  haben  sieh  Böhmer  in  der  Vorrede  zu  den  Regg.  und  Höfler  (s.  oben  über 
ihn  ausgesprochen,  wogegen  O.Lorenz  unter  Berücksichtigung  der  Arbeiten  Huillard- 
Breholles',  Schirmiachers,  Winkelmanns  u.  Xitzsch"  Einsprache  erhoben  hat :  Kaiser 
Friedrich  und  sein  Verh.  zur  römischen  Kirche  in  Drei  Bücher,  Geschichte  u.  Politik 
1 — 51  VHZ.  XI,  316  unter  dem  Titel  Friedlich  EL).  Von  Wichtigkeit  ist  die  Darstellung 
J.  Fickers  in  der  Neubearbeitung  von  Böhmers  Regesten  V,  1,  S.  XI — XXXEH  und 
jetzt  vornehmlich  auch  K.  Hampe,  Kaiser  Friedrich  II .  HZ.  83,  1 — 42.  S.  auch 
Freeman,  Kaiser  Friedlich  H.  in  »Zur  Gesch.  des  MA.«.  Strafsburg  1886.  Dove  in  d. 
ADB.  Zu  K.  Enzio  s.  aufser  §  23  noch  F r a t i ,  La  prigonia  del  Re  Enzio  in 
Bologna.  AStlt.  XXTTT.  C  i  p  o  1 1  a  ,  K.  Enzios  Gefangenschaft  in  Bologna.  MJÖG. 
IV,  463.  Scheffer-Boichorst,  Über  Testamente  Friedrichs  H.  in  »Zur  Gesch.  d. 
Xn.  u.  im.  Jahrb.«.  Berl.  1897.  S.  268  ff.  Hartwig,  Über  den  Todestag  und  das 
Testament  Frs.  H.  Forsch.  Xu,  631.  Über  die  sizil.  Politik  des  Kaisers  s.  auch  Kap- 
herr w.  §  7.  Del  Giudice,  Filangieri  sotto  il  regno  di  Federigo,  di  Corrado  e  di 
Manfredi.  Nap.  1893.  Die  reiche  Literatur  zur  deutschen  Kaisersage  findet  sich  ver- 
zeichnet in  dem  trefflichen  Aufsatz  von  Julius  Heidemann,  Die  deutsche  Kaiser- 
idee u.  Kaisersage  im  MA.  und  die  falschen  Friedliche.  Wissensch.  Beil.  zum  Jahres- 
bericht des  Berl.  Gymn.  zum  grauen  Kloster  1898.  S.  6.  Hier  seien  nur  die  wichtigsten 
Schriften  genannt :  G.  V  o  i  g  t ,  Die  deutsche  Kaisersage.  HZ.  XXVI  (dazu  :  S.  R  i  e  z  1  e  r , 
HZ.  XXXII  u.  Brosch  XXXV).  J.  Häufsner,  Die  deutsche  Kaisersage.  Progr. 
Bruchsal  1882.  A.  Fulda,  Die  Kyffhäusersage  1889  herausg.  von  Schmidt  u.  Gnau  . 
Grauert,  Zur  d.  Kaisersage.  HJb.  XTTT.  Schröder,  Die  deutsche  Kaisersage  u. 
die  Wiedergeburt  d.  d.  Reiches.  Heidelberg  1893.  J.  K a mpers,  Die  deutsche  Kaiser- 
idee in  Prophetie  und  Sage.  München  1896.  S.  auch  Bassermann  in  d.  N.  Heidelb. 
Jb.  XL 

1.  Durch  die  Niederlage  der  kaiserlichen  Truppen  vor  Parma 
wurden  die  Machtverhältnisse  der  Parteien  in  Oberitalien  zunächst  nur 
unwesentlich  verschoben.  Schon  fünf  Tage  später  nahmen  die  Kaiser- 
lichen ihren  Gegnern,  die  sich  in  den  Besitz  der  Pobrücke  bei  ßugno 
setzen  wollten,  87  Schiffe  weg,  sicherten  durch  die  Wiedereroberung  von 
Medesano  bei  Parma  die  Verbindung  mit  dem  Süden,  brachten  der 
Ritterschaft  von  Parma  eine  Niederlage  bei  (1248,  19.  März)  und  rückten 
bis  Vittoria  vor,  wogegen  allerdings  Ravenna  und  die  meisten  Städte 
der  Romagna  vom  Kaiser  abfielen;  auch  die  Mark  Ancona  und  das 
Herzogtum  Spoleto  wurden  nun  wieder  für  die  Kirche  in  Besitz  genommen. 
Dafür  gelang  es  dem  Kaiser  in  Norditalien  Vercelli  zu  gewinnen.  Das 
Haus  Savoyen  fesselte  er  durch  Vergabung  von  Reichsgut  an  sich; 
seinen  Sohn  Manfred  vermählte  er  mit  der  Tochter  des  Grafen  Amadeus, 
König  Erizio  mit  einer  Nichte  Ezzelins.  Dagegen  lauerte  in  seiner  un- 
mittelbaren Umgebung  der  Verrat.  Sein  Leibarzt  machte,  wie  Friedrich  IL 
behauptete,  von  päpstlichen  Legaten  bestochen,  an  ihm  einen  Ver- 
giftungsversuch, und  sein  ehedem  vielgefeierter  Kanzler  Petrus  de  Vinea 
wurde,  des  Verrates  beschuldigt1),  geblendet  und  soll  sich  im  Kerker  zu  San 
Miniato  in  Tuscien  selbst  entleibt  haben.  Gegen  Minderbrüder  und 
Prediger,  die  Bann  und  Interdikt  in  Italien  zur  Geltung  brachten,  wurde 
mit  Folter  und  Todesstrafen  vorgegangen.  Im  Begriffe,  in  Sizilien  neue 
Kräfte  zu  sammeln,  um  die  Heerfahrt  nach  Deutschland  zur  Unter- 
stützung  Konrads  IV.    und    der   Ordnung   der   österreichischen  Verhält- 


*)  Ob  beide  Ereignisse   in  ursächlichem  Zusammenhang  stehen,    mufs  allerdings, 
bezweifelt  werden.     BF.  3767  und  Kempf,  S.  107. 


Gefangennahme  Enzios.    Fortschritte  der  Staufer.     Tod  des  Kaisers.  121 

nisse  anzutreten,  traf  ihn  die  Nachricht  von  dem  grofsen  Siege  der  Bc-lo-g- 
nesen  und  der  Gefangennahme  Enzios  in  der  Schlacht  bei  Fossalta1) 
(1249,  26.  Mai).  Seine  Versuche,  den  Sohn,  dessen  Feldherrntalent  er 
schwer  vermifste,  aus  der  Gefangenschaft  zu  lösen,  blieben  vergebens. 
Enzio  starb  erst  nach  23 jähriger  Haft.  Die  Wirkung  dieser  Nieder- 
lage war  gröfser  als  der  bei  Vittoria ;  gleichwohl  erzielten  die  Päpstlichen 
keine  dauerhaften  Erfolge.  Ravenna  trat  zum  Kaiser  zurück,  und  wenn 
auch  Modena  abfiel,  hielten  doch  Savoyen  und  Ezzelin  in  Oberitalien 
die  kaiserliche  Sache  aufrecht.  Auch  in  der  Romagna  und  Ancona 
machte  sie  Fortschritte.  Enzios  Nachfolger,  der  Markgraf  Uberto  Palla- 
vicini,  brachte  den  Parmensern  an  demselben  Ort,  wo  Vittoria  stand, 
eine  völlige  Niederlage  bei,  und  auch  zur  See  gewannen  die  Kaiserlichen 
über  die  Genuesen  einen  Sieg  bei  Savona.  Gerade  jetzt  stand  Friedrichs 
Sache  besser  als  seit  langem :  in  Deutschland  kämpfte  Konrad  IV.  mit  Erfolg 
wider  das  Gegenkönigtum,  und  die  lombardischen  Städte,  aufs  äufserste 
erschöpft,  waren  einem  Frieden  geneigt.  Dem  Papste  aber  entfremdete 
seine  Hartnäckigkeit  immer  mehr  Anhänger.  Sowohl  in  Deutschland 
als  in  Frankreich  mafs  man  ihr  die  Hauptschuld  an  dem  Mifserfolg 
Ludwigs  IX.  im  Oriente  bei.  Schon  fühlte  sich  Innozenz  IV.  in  Lyon 
nicht  sicher  und  suchte  nach  einer  Zufluchtstätte  in  Bordeaux.  Da  er- 
krankte der  Kaiser  und  liefs  sich  auf  sein  Schlofs  Fiorentino  in  der 
Capitanata  bringen ;  dort  starb  er,  nachdem  ihn  der  Erzbischof  von  Pa- 
lermo mit  der  Kirche  ausgesöhnt  hatte,  am  13.  Dezember  1250.  Sein 
Leichnam-  wurde  im  Dom  zu  Palermo  neben  denen  seiner  Eltern  bei- 
gesetzt. Noch  aus  den  Bestimmungen  seines  Testamentes  ist  ersichtlich, 
wie  sehr  es  ihm  um  die  Aufrechthaltung  der  Verbindung  Siziliens  mit 
dem  Reiche  und  um  die  Versöhnung  mit  der  Kirche  zu  tun  war.  Da- 
nach sollte  Konrad  IV.  sein  Erbe  im  Kaiserreich  und  in  Sizilien  sein 
und  im  Falle  seines  kinderlosen  Abscheidens  seine  Söhne  Heinrich,  bzw. 
Manfred  an  seine  Stelle  treten.  Heinrich  sollte  entweder  Arelat  oder 
Jerusalem  und  Manfred  das  Fürstentum  Tarent  als  sizilisches  Lehen  er- 
halten. Die  Nachfolge  in  Österreich  und  Steiermark  war  seinem  Enkel 
Friedrich  bestimmt.  Der  Kirche  sollte  alles  Ihrige  wieder  erstattet  werden, 
aber  unter  der  Voraussetzung,  dafs  auch  sie  dem  Reiche  das  Ihrige  gab. 
2.  Morgen-  und  abendländische  Quellen  berichten  über  die  äufsere 
Gestalt  des  Kaisers.  Seine  Züge  treten  uns  in  seinen  nach  antikem 
Vorbild  (1231)  ausgemünzten  Augustalen2)  entgegen,  bei  denen  Porträt- 
ähnlichkeit beabsichtigt  und  wohl,  auch  erreicht  worden  ist.  »Die  Gestalt 
des  Königs«,  sagt  eine  Beschreibung  aus  seiner  angehenden  Jünglingszeit, 
»mufst  du  dir  nicht  gerade  klein  vorstellen,  doch  auch  nicht  gröfser,  als 
sein  Alter  erfordert. 3)  Ihm  eignet  eine  königliche  Würde,  die  Miene 
und  gebieterische  Majestät  des  Herrschers.  Sein  Antlitz  ist  von  anmuts- 
voller Schönheit,  mit  heiterer  Stirn  und  einer  noch  strahlenderen  Heiter- 
keit der  Augen,  so  dafs  es  eine  Freude  ist,  ihn  anzuschauen.«     So  auch 

1)  Zwischen  Modena  und  Bologna. 

2)  Winkelniann,  Über  die  Goldprägungen  Kaiser  Friedrichs  II.  MJOG.  XV. 

3)  Hampe,  HZ.  83,  9. 


122  Charakteristik  Friedrichs  II. 

Salimbene.  der  ihn  selbst  gesehen.  Er  nennt  ihn  schön  von  Erscheinung, 
wenn  auch  nur  mittelgrofs.  Vielleicht  war  es  das,  weshalb  er  dem  Araber 
nicht  gefiel,  der  ihn  während  des  Kreuzzuges  sah.  Doch  auch  er  rühmt 
seine  edle  Haltung.  Rötlichblond  wie  Heinrich  VI.  war  er  lebensfrischer 
und  kräftiger  als  dieser.  Die  Leibesübungen  der  Jugend  hatten  seinen 
Körper  gestählt.  Er  liebte  das  Reiten  und  vor  allem  die  Jagd,  der  er 
selbst  während  der  Feldzüge  oblag.  Gleich  seinen  normannischen  Vor- 
fahren war  er  ein  Freund  prunkvollen  Auftretens.  An  seinem  Hofe 
herrschte  eine  märchenhafte  Pracht.  Luxus  und  weitgehende  Befriedi- 
gung der  Sinnlichkeit  waren  ihm  Lebensbedürfnis,  aber  sie  entnervten 
ihn  nicht. 2)  Seine  Harems  und  die  Umgebung  mit  Sarazeninnen  mochten 
schweren  Anstofs  in  allen  Kreisen  der  Christenheit  erregen ;  er  setzte 
sich  darüber  hinweg.  Dafs  sein  Familienleben  darunter  litt,  ist  be- 
greiflich ,  gleichwohl  waren  die  Beziehungen  zu  seinen  Söhnen  von 
grofser  Herzlichkeit.  Den  Wissenschaften  war  er  ein  eifriger  Gönner.2) 
Ein  guter  Redner,  mehrerer  Sprachen  kundig,  zeigte  er  für  die  Dicht- 
kunst Interesse,  so  dafs  er  sich  auch  wohl  selbst  als  Dichter  versuchte, 
weshalb  ihn  Dante  als  Vater  der  italienischen  Dichtkunst  preist.  In 
gleicher  Weise  hatte  er  Sinn  für  die  bildenden  Künste.  —  Die  grofsen 
Herrschergaben  des  Kaisers  werden  auch  von  seinen  Gegnern  anerkannt. 
»Wäre  er-,  sagt  Salimbene,  »ein  guter  Katholik  gewesen,  hätte  er  Gott 
und  die  Kirche  geliebt,  er  hätte  nicht  seinesgleichen  gehabt.«  Aber  er 
sei  ein  Atheist  gewesen3),  verschlagen  und  jähzornig,  schwelgerisch  und 
habgierig:  alles  in  allem  ein  Gewaltmensch  (vdlens  liomo).  Sicher  konnte 
manche  Aufserung  ihn  in  den  Ruf  eines  Atheisten  bringen,  aber  die 
ärgsten  Sätze,  die  ihm  zugeschrieben  werden,  wie  der  von  den  drei 
grofsen  Betrügern  der  Welt,  sind  wohl  niemals  aus  seinem  Munde  ge- 
kommen, andere  hatten  in  der  Erbitterung  über  das  Verhalten  des 
Klerus  gegen  ihn  ihren  Grund  und  mochten  daher  schärfer  ausgefallen 
sein,  als  es  beabsichtigt  war.  Auch  lag  es  im  Interesse  seines  Verkehrs 
mit  den  Arabern,  als  freisinnig  zu  gelten,  und  schliefslich  war  sein 
kirchliches  Ideal  ein  anderes,  als  es  ihm  in  der  damaligen  Kirche  ent- 
gegentrat. Und  gerade  hierin  wufste  er  sich  in  vollster  Überein- 
stimmung mit  gut  katholischen  Männern  seiner  Umgebung.  Gegen 
Juden  und  Mohammedaner  übte  er  eine  Duldung,  die  selbst  jene  Zeit- 
genossen oft  nicht  begriffen,  denen  sie  zugute  kam.  In  diese  sind 
freilich  die  Ketzer  nicht  inbegriffen,  die  als  Rebellen  gegen  die  Kirche 
gelten  und  als  solche  nicht  Gegenstand  eines  Krieges,  sondern  gericht- 
licher Bestrafung  sind. 4)     Für    die   Entwicklung   des  Kaisers   war   seine 


1    Hampe  HZ.  83,  S.  19. 

2)  Von  ihm  stammt  zweifellos  das  Buch  »Über  die  Kunst  mit  Vögeln  zu  jagen-, 
das  nach  jahrelangem  Sammeln  abgefafst  wurde.  Maßgebend  für  sein  Urteil  ist  mehr 
seine  eigene  Beobachtung  als  der  Ausspruch  gelehrter  Autoritäten,  wiewohl  er  auch 
diese  kennt  und  zitiert.     S.  Hampe,  1.  c. 

s    Fidem  Dei  non  habuit. 

4  Den  Grund  der  verschiedenen  Behandlung  von  Ungläubigen  und  Ketzern  hat 
Freeman  gut  auseinandergesetzt. 


Seine  polit.  Ziele.   Unvcrmeidlichkeit  <1.  Kampfes  zwisch  Kaiser-  u.  Papsttum.        \2)*> 

sizilianische  Herkunft  und  die  arabische  Nachbarschaft  mit  ihrem  grofsen 
Einflufs  anf  seine  Bildung,  auf  das  Hofleben  und  die  Verwaltung  mafs- 
gebend.  Auf  diesen  Ursprung  sind  seine  despotischen  Neigungen  und 
seine  Liebe  zu  orientalischer  Pracht  zurückzuführen.  Freilich  waren 
auch  die  Erfahrungen  seiner  Jugend  nicht  geeignet,  auf  sein  Gemüt  und 
seine  Intellekte  vorteilhaft  einzuwirken  (s.  oben  §  8).  Die  hohen  Vor- 
stellungen von  seiner  Würde  steigerten  sich,  als  er  die  Kaiserkrone  er- 
langte, mehr  noch,  als  sie  ihm  bestritten  ward.  Bei  dem  göttlichen 
Ursprung  des  Kaisertums  wollte  er  in  seinen  weltlichen  Befugnissen  so 
uneingeschränkt  sein  wie  der  Papste  in  seinen  geistlichen.1)  In  seiner 
Politik  war  das  persönliche  Moment  mafsgebend.  Mehr  deshalb  als  aus 
sachlichen  Erwägungen  hat  er  seine  italische  Heimat  zum  Mittel-  und 
Stützpunkt  seiner  Machtstellung  erhoben  und  eben  darum  den  deutschen 
Verhältnissen  nicht  die  gleiche  Aufmerksamkeit  zugewandt,  ja  nicht 
einmal  den  Versuch  gemacht,  jene  Rechte  zurückzuverlangen  und  nach- 
drücklich geltend  zu  machen,  die  noch  sein  Vater  und  Grofsvater  besafsen. 
Es  ist  freilich  zweifelhaft,  ob  diese  Rekuperationspolitik  erfolgreich  ge- 
wesen wäre ,  denn  zwischen  seiner  und  der  Regierung  seines  Vaters 
liegt  der  unselige  deutsche  Thronstreit  mit  den  grofsen  Verlusten  des 
Königtums.  Der  Ordnung  der  Verhältnisse  Oberitaliens  in  jenem  Sinne, 
wie  sie  in  seinem  sizilischen  Erbreich  gelungen  war,  hat  er  zuletzt  alles 
andere  hintangesetzt.  Sein  Ziel  war,  ganz  Italien  von  Sizilien  aus  ab- 
solut zu  beherrschen.  Da  die  Herstellung  eines  absoluten  Königtums  in 
Deutschland  unmöglich  war,  liefs  er  dort  den  Dingen  ihren  Lauf.  In- 
dem er  die  ihm  widerstrebenden  Gewalten  unterschätzte  und  gleichzeitig 
seine  Forderungen  an  die  Lombarden  bis  ins  Mafslose  überspannte,  kam 
er  um  die  Früchte  seiner  Siege;  denn  dies  gab  nun  der  Kurie  die  Ver- 
anlassung, sich  in  den  Streit  einzumischen.2)  Dafs  ihm  der  Kampf  mit 
dem  Papsttum  unerwünscht  war,  steht  aufser  Zweifel.  Seinen  Neigungen 
hätte  vielmehr  ein  Zusammengehen  beider  Gewalten,  wie  es  tatsächlich 
lange  bestand,  entsprochen.  In  diesem  Sinne  hat  er  der  geistlichen  Ge- 
walt den  weltlichen  Arm  zur  Verfügung  gestellt.  Aber  dieses  Zusammen- 
gehen war  nicht  möglich,  solange  der  Kaiser  dieselbe  Macht,  die  er  in 
Unteritalien  besafs,  auch  in  Oberitalien  begehrte,  weil  durch  sie  die 
freie  Bewegung  des  Papsttums  in  Frage  gestellt  war.  Da  beide  Teile 
starr  auf  ihren  Prinzipien  verharrten,  war  der  Entscheidungskampf 
zwischen  beiden  Mächten  unvermeidlich  geworden.  Nun  griffen  beide 
zu  den  äufsersten  Mitteln:  die  Kurie,  indem  sie  in  rein  weltlichen 
Fragen  kirchliche  Strafmittel  in  Anwendung  brachte,  der  Kaiser,  indem 
er,  in  das  innere  Leben  der  Kirche  eingreifend,  ihre  Reformbedürftigkeit 
betonte.  Das  Wirken  dieses  Kaisers,  des  letzten  starken  Vertreters  eines 
auch  in  seinen  Verirrungen  kraftvollen  Geschlechtes,  machte  in  der 
ganzen  Welt   den   tiefsten  Eindruck.     Stand   sein  Ruf   bei   den  Arabern 


a)  Hampe,  S.  13. 

2)  Ebenda,  S.  36.  S.  auch  die  Bemerkungen  über  die  Politik  Friedrichs  IL  bei 
Eodenberg :  Kaiser  Friedricli  II.  und  die  deutsche  Kirche,  S.  228,  und  die  charakt. 
Worte  S.  230. 


124  Nachruhm  des  Kaisers  in  der  Heimat  und  Fremde. 

hoch,  wie  viel  höher  im  Abendland,  wo  man  in  den  breiteren  Volks- 
schichten an  seinen  Tod  nicht  glaubte,  wo  noch  in  den  Tagen  Rudolfs 
von  Habsburg  die  falschen  Friedriche  aufstanden,  und  wo  man  mit  seiner 
Wiederkunft  auch  das  Wiedererstehen  eines  kraftvollen  Kaisertums  er- 
wartete ,  denn  auf  Friedrich  II.  bezieht  sich  die  deutsche  Kaisersage, 
nicht  auf  Barbarossa. 


3.  Abschnitt. 

Das  Zeitalter  Ludwigs  IX.  von  Frankreich  und  der 
letzten  Kreuzzttge  (1250—1273). 


1.  Kapitel. 

Keichsgeschiclite  und  Papsttum  in  den  Jahren  1250—1273. 

§  28.   Konrad  IT.  und  Wilhelm  von  Holland.    Der  Bheinische  Bund. 
Die  Doppebvahl  ron  1257  und  ihre  staatsrechtliche  Bedeutung. 

Quellen.  Urkunden,  Briefe,  Gesetze  wie  §§7,  17u.ff.  Dazu  Conradi  regis 
Constitutiones.  MM.  Germ,  wie  oben.  Guilelmi  regis  constitutiones,  ebenda.  Potthast 
u.  Theiner  (S.  135 — 174  ,  w.  oben.  Geschichtschreiber  wie  §  7,  17  u.  ff.  Noch  immer 
kommen  in  Betracht  die  Gesta  Treverorum,  Chronica  regia,  Emo  u.  Menco  contin.,  die 
Chronica  minor  auctore  Minorita  Erphordiensi,  die  Annales  Stadenses,  Hermann  von 
Altaich,  die  Annales  Austriae,  che  Annales  Wormatienses ,  MM.  Germ.  SS.  XVII, 
Spirenses  ib.,  Maguntinenses,  Argentinenses,  Marbacenses  ib.  (s.  Schulte  in  MJÖG. 
V,  VIP,  Colmarienses  ib.,  Martinus  Polonus  ib.  XXII,  Ottokars  österr.  Reim- 
chronik, ed.  Seemüller,  MM.  Germ.  hist.  SS.  Hann.  1890  (s.  Huber  MJÖG.  IV  u. 
Busson,  Beitr.  z.  Krit.  d.  steir.  Reinichron.  1 — 4.  "Wien  1885 — 1892. \  Joh.  de  Beka 
Chronicon,  Böhmer  FF.  H,  432—449.  Cosmas  Prag.  Contin.  MM.  Germ.  SS.  IX.  Die 
Reimchronik  d.  Melis  Stoke  1247—1256.  Exz.  bei  Böhmer  FF.  H,  416—432.  Chronicon 
Maguntinum  (Christian  archiep.  Mag.)  bis  1251.  MM.  Germ.  SS.  XXV.  Italienische 
Quellen.  Aufser  Xikol.  de  Curbio,  Salimbene,  den  Annal.  Piacent.  u.  Januenses,  Niko- 
laus de  Jamsilla  (s.  Karst  im  HJb.  XIX  :  Historia  de  rebus  gestis  Friderici,  wie 
oben.  Thomas  Tuscus,  Gesta  imp.  et  pontiff.  MM.  G.  SS.  XXII.  Englische: 
Thomas  Wykes,  Ann.  hist.  Anglic,  ed.  Luard,  Rer.  brit.  SS.  XXXVI.    Matth.  Paris  w.  oben. 

Hilf  s  schriften.  D.  allg.  "Werke  s.  oben;  zur  Gesch.  K.  Wilhelms  s.  auch 
§26.  Schirrmacher,  D.  letzten  Hohenstaufen.  Gott.  1871.  Kempf,  Gesch.  d.  d. 
Reichs  während  d.  Interregnums.  Würzb.  1893.  Quidde,  Zum  Romzugsplan  Wil- 
helms v.  H.  DZG.  I.  Müller,  Wilh.  v.  H.  ADB.  XLH.  Sattler,  D.  flandiv 
holl.  Verwicklungen  1248 — 56.  Diss.  1872.  Brosien,  D.  Streit  um  Reichsnandern. 
1891.  Scheffer-Boichorst,  Kl.  Forschungen.  MJÖG.  VI,  XL  Michael, 
Innoz.  IV.  u.  Konrad  IV.  Z.  kath.  Theol.  XVIII.  Sternfeld,  Karl  v.  Anjou  als  Graf 
v.  d.  Provence.  Berl.  1888.  Schaab,  Gesch.  d.  Rhein.  Städtebundes.  2  Bde.  Mainz 
1843/45.  Menzel,  Gesch.  d.  Rh.  Städtebundes.  Hann.  1872.  Busson,  Z.  Gesch.  d. 
gr.  Landfriedensbundes  1254.  Innsbr.  1874.  Weizsäcker,  Der  Rh.  Bund.  Tüb.  1879. 
Q  u  i  d  d  e  ,  Stud.  z.  Gesch.  d.  Rh.  Landfriedensbundes.  Frkft.  1885.  Becker,  D.  Initiative 
bei  Stiftung  d.  Rh.  Bundes.  Giefsen  1899.  Zurbonsen,  D.  AVestf.  Städteb.  Münster 
1881.  —  Z.  Gesch.  d.  Rh.  Landfriedens.  Westd.  Z.  H.  —  D.  Rhein.  Landfriedens!). 
Forsch.    XXIH.     Döhmann,    K.  Wilhelm    u.    der    Xeuwahlplan    v.    1255.     Leipz.    1885. 


Konrad  IV.  und  Wilhelm  von  Holland.  125 

Busson,  Über  d.  Doppelwahl  d.  J.  1257.  Mimst.  1866.  Hermann,  Älfons  X.  als  röm. 
König.  1897.  S;c  h  e  I  f  e  r  -  B  o  i  c  h  o  r  s  t ,  Z.  Gesch.  Alfons  X.  MJÖG.  XIV  (s.  auch  Fanta, 
ebenda  VT).  "Redlich,  Z.  Wahl  Alfons'  X.  MJÖG.  XVI.  Gebauer,  Leben 
Richards.  Leipz.  1774.  Schirrmacher,  ADB.  XXVIII.  Koch,  Richard  v.  Corn- 
wall  1888.  Sehe  11h als,  Das  Königslager  vor  Aachen  1887.  Steudener,  Albrecht I. 
Herz.  v.  Sachsen  (1212—1260).  Z.  Harz.  Ver.  f.  Gesch.  XXVIII.  Rodenberg, 
Innozenz  IV.  u.  d.  K.  Sizilien.  Halle  1892.  Otto,  Alex.  IV.  u.  d.  d.  Thronstreit. 
MJÖG.  XIX. 

1.  Die  Nachricht  vom  Tode  Friedrichs  II.,  »des  Hammers  von 
ganz  Italien«,  erfüllte  die  Knrie  mit  unendlicher  Freude.  Sofort  wurde 
die  Rückkehr  des  Papstes,  die  Einziehung  des  sizilischen  Lehensreiches 
und  die  Vernichtung  des  staufischen  Königtums  in  Aussicht  genommen, 
die  Bewohner  Siziliens  gemahnt,  sich  fürderhin  nicht  mehr  unter  das 
alte  Joch  zu  beugen  und  Fürsten  und  Städte  Deutschlands,  selbst  die 
bisherigen  Getreuen  Konrads  IV.  aufgefordert,  sich  an  König  Wilhelm 
anzuschliefsen.  Dieser  wurde  nach  Lyon  berufen,  wo  er  »nach  alter 
Sitte  der  Könige«  dem  Papste  den  Steigbügel  hielt.1)  Hier  wurden  zwischen 
beiden  (nicht  näher  bekannte)  Vereinbarungen  getroffen  und  der  Bann 
über  Konrad  IV.  und  seine  Anhänger  ausgesprochen.  Eine  Abordnung 
schwäbischer  Grofsen  erschien  mit  der  Bitte,  den  König  auch  dann 
nicht  in  den  Besitz  seines  schwäbischen  Herzogtums  zu  setzen,  wenn  er 
von  der  Kirche  zu  Gnaden  aufgenommen  wäre.  Nach  sechsjährigem  Auf- 
enthalt in  Lyon  verliefs  der  Papst  diese  Stadt.  Die  Reise  nach  Perugia 
glich  .  einem  Triumphzug.  Nun  sah  Konrad  sich  genötigt,  gleichfalls 
nach  Italien  zu  ziehen,  um  wie  sein  Vater  Sizilien  zum  Stütz-  und  Angel- 
punkt seiner  Herrschaft  zu  machen.  Sizilien  war  ihm  durch  seinen 
Halbbruder  Manfred,  auf  den  des  heimgegangen en  Kaisers  hohe  Herrscher- 
gaben übergegangen  waren,  gegen  die  aufständischen  Bewohner  erhalten 
worden,  freilich  nicht,  ohne  dafs  Manfred  den  Versuch  gemacht  hätte,  selbst 
die  Krone  Siziliens  zu  erringen.  Nachdem  Konrad  auf  dem  Reichstag 
zu  Augsburg  (1251,  Juni)  seinen  Schwiegervater,  den  Herzog  von  Bayern, 
zum  Reichsverweser  in  Deutschland  eingesetzt  hatte,  trat  er  die  Fahrt 
nach  Italien  an.  Von  Pola  aus  —  denn  den  Landweg  hatten  die  Gegner 
verlegt  —  fuhr  er  nach  Unteritalien.  Auf  dem  Hof  tag  zu  Foggia  (1252, 
Februar)  erliefs  er  Konstitutionen,  zum  Teile  bestimmt,  die  harten  Gesetze 
seines  Vaters  zu  mildern.  Die  Universität  Neapel  wurde  zur  Strafe  für 
ihren  Abfall  nach  Salerno  verlegt.  Noch  machte  er  dem  Papste  Friedens- 
an erbietungen  :  er  verlangte  die  Anerkennung  im  Kaiser-  und  Königreich. 
Als  sie  zurückgewiesen  wurden,  wandte  er  sich  gegen  Capua  und  Neapel, 
die  sich  ebenso  wie  die  Barone  des  Landes  unterwarfen.  Auch  in  Ober- 
italien erstarkte  die  Macht  der  Ghibellinen  unter  Ezzelin  da  Romano 
und  Pallavicini,  von  denen  jener  in  Verona,  Padua,  Vicenza  und  der 
Trevisanischen  Mark  seine  Gewaltherrschaft  aufrichtete,  dieser  zum  Reichs- 
vikar in  der  Lombardei  ernannt  wurde.  •  Nur  im  Westen  der  Lombardei 
hatten  die  Weifen  durch  den  Übertritt  des  Grafen  Thomas  von  Savoyen 


*)   D.  h.    das    officium  stratoris   ausübte,   das  aber   jetzt   eine  andere  Bedeutung 
hat,  als  etwa  in  den  Tagen  Pippins  oder  selbst  noch  Lothars  von  Supplinburg. 


126  Der  Tod  Konrads  IV.     König  Wilhelm  und  der  Rheinische  Bund. 

das  Übergewicht.  Die  Hoffnungen  der  Kurie,  Sizilien  unter  ihre  un- 
mittelbare Herrschaft  zu  bekommen,  gingen  nicht  nur  nicht  in  Erfüllung, 
die  Bedrängnis  des  Papstes  in  Rom  selbst  wurde  durch  die  Erhebung 
des  kommunalen  Geistes  immer  gröfser,  daher  bot  er  die  Krone  Siziliens 
erst  Richard  von  Cornwall,  und  als  dieser  als  Oheim  des  staufischen 
Prinzen  Heinrich  sie  ablehnte,  dem  Grafen  Karl  von  Anjou,  dem  jüngsten 
Bruder  König  Ludwigs  IX.,  an;  doch  auch  dieser  wies  sie  trotz  seines 
Ehrgeizes  und  seiner  Gier  nach  den  Reichtümern  Italiens  infolge  des 
Widerspruchs  seiner  Verwandten  zurück.  Im  Hause  der  Staufer  starben 
in  der  nächsten  Zeit  rasch  nacheinander  Konrads  Neffe  Friedrich  von 
Osterreich  und  sein  Bruder  Heinrich,  der  Sohn  der  englischen  Prinzessin 
Isabella.  Parteihafs  beschuldigte  den  König  des  Mordes  beider,  und  da 
nun  König  Heinrich  III.  von  England  der  Rücksichtnahme  auf  die 
Staufer  enthoben  war,  bot  Innozenz  IV.  die  sizilische  Krone  dem  jugend- 
lichen Prinzen  Edmund  an,  für  den  sie  Heinrich  III.  annahm.  Freilich 
mufste  sie  erst  noch  erobert  werden.  Konrad  IV.  hatte  alle  Mafsregeln 
zur  Offensive  in  Italien  und  Deutschland  ergriffen.  Im  Begriffe,  nord- 
wärts zu  ziehen,  erkrankte  er  an  einem  hitzigen  Fieber  und  starb  am 
21.  Mai  1254.  Er  hinterliefs  einen  erst  zwei  Jahre  alten  Sohn,  Konrad, 
den  er  in  seinem  Testament  der  Obhut  der  Kirche  übergab.  Die 
staufische  Politik,  welche  die  Vereinigung  Siziliens  mit  dem  Reiche  be- 
zweckt hatte,  brach  nun  endgültig  zusammen. 

2.  Während  Konrad  IV.  in  Sizilien  beschäftigt  war,  befestigte  sich 
das  Königtum  Wilhelms  in  Deutschland.  Am  25.  März  1252  schlössen 
in  Form  einer  Nachwahl  sich  Sachsen  und  Brandenburg,  dann  auch 
Böhmen  und  andere  Territorien  an  ihn  an.1)  Nach  Konrads  Tode  wurde 
Wilhelm  auch  von  den  meisten  seiner  bisherigen  Gegner  anerkannt,  nament- 
lich auch  von  den  Städten,  unter  denen  sich  eben  damals  eine  lebhafte  Be- 
wegung kundgab,  um  sich  gegen  die  während  der  WTirren  des  Thron- 
streites eingerissene  Anarchie  durch  Bündnisse  zu  schützen,  Im  Juli 
1253  schlössen  Münster,  Soest,  Dortmund  und  Lippstadt  einen  Bund 
zum  Schutz  der  Strafsen;  Gefangennahme  oder  Beraubung  eines  Bürgers 
sollte  nicht  blofs  dem  Schuldigen,  sondern  seiner  ganzen  Sippe  Markt 
und  Kredit  der  Bundesstädte  verschliefsen.  Einen  ähnlichen  Bund 
schlössen  (1254,  Februar)  Worms  und  Mainz :  der  Verkehr  soll  unge- 
stört bleiben,  ungerechte  Zölle  abgetan  sein.  Der  Bürger  in  der  einen 
wird  in  der  andern  Stadt  als  Einheimischer  behandelt,  zur  Verhütung 
von  Streitigkeiten  ein  Schiedsgericht  eingesetzt,  zu  dem  jede  Stadt  vier 
Mitglieder  sendet.  In  gleicher  Weise  wurde  ein  Bundesverhältnis  dieser 
beiden  Städte  mit  Oppenheim  und  ein  drittes  zwischen  Mainz  und  Bingen 
geschlossen.  Höhere  Bedeutung  als  diese  drei  Bündnisse  erlangte  der 
Rheinische  Bund,  der  am  13.  Juli  1254  gestiftet  wurde  und  dem  im 
Gegensatz  zu  den  früheren  Bündnissen  auch  Fürsten,  Grafen  und  Edle 
angehörten.  Die  Anregung  zu  dem  Bunde  ging  von  Mainz,  Worms  und 
Oppenheim  aus,    denen  sich  Frankfurt,  Friedberg,  Gelnhausen,  Wetzlar, 


1    Über  die  Bedeutnno-  dieses  Vorganges  s.  Fieker  in  den  Regg.  Xr.  5065  b. 


Zweck  und  Ausdehnung  des  Bundes.  127 

dann  Bingen,  Oberwesel  und  Boppard  anschlössen.  Der  erste  Fürst, 
der  dem  Bunde  beitrat,  war  der  Erzbischof  von  Mainz,  ihm  folgten  Köln, 
Trier  und  die  Bischöfe  von  Worms,  Metz  Strafsburg  und  Basel.  Der 
Bund  dehnte  sich  so  rasch  aus,  dafs  im  Jahre  1256  ganz  Deutschland 
mit  Ausnahme  der  böhmisch-österreichischen  Länder  und  der  nördlich 
von  diesen  gelegenen  Marken  in  sein  Bereich  gezogen  wraren.  Zweck 
des  Bundes  war  die  Aufrechthaltung  des  Landfriedens  (Friedrichs  IL 
von  1235),  Abschaffung  des  Pfahlbürgertums  und  der  unberechtigten 
Zölle.  Die  Durchführung  des  Landfriedensgesetzes,  die  den  schwachen 
Händen  der  Zentralgewalt  entglitten  war,  sollte  auf  dem  Wege  freier 
Vereinbarung  erreicht  und  Widerstrebenden  gegenüber  erzwungen  werden. 
Der  Bund  nahm  somit  den  Gedanken  der  Reichsgesetzgebung  und 
damit  den  Reichsgedanken  selbst  in  der  Zeit  allgemeiner  Auflösung  auf 
und  kleidete  die  Verwirklichung  des  Gedankens  in  eine  neue,  zeitgemäfse 
und  die  nächsten  Jahrhunderte  beherrschende  Form.1)  Die  Leitung  des 
Bundes  lag  in  den  Händen  der  Bundesversammlung,  zu  der  jedes  Mit- 
glied höchstens  vier  Vertreter  ernannte  und  die  anfänglich  nach  Bedürfnis, 
ohne  an  einen  bestimmten  Ort  oder  an  eine  bestimmte  Zeit  gebunden 
zu  sein,  zusammentraten.  Später  gab  es  vier  regelmäfsig  abwechselnd 
in  Mainz,  Köln,  WTorms  oder  Strafsburg  tagende  Versammlungen.  Der 
Bund  wurde  nicht  nur  von  König  Wilhelm  anerkannt,  dieser  trat  selbst 
an  seine  Spitze,  indem  er  einen  Justitiar  ernannte,  der  sich  an  den  inner- 
halb des  Bundes  gepflogenen  Verhandlungen  beteiligte  und  vom  König 
in  Friedensangelegenheiten  die  Rechtsprechung  zugewiesen  erhielt.  Trotz 
des  Beitritts  der  Fürsten  blieben  die  Städte  das  treibende  Element.  Sie 
nahmen  die  Wahrung  des  Landfriedens  kräftig  in  die  Hand  und  ver- 
folgten auch  darüber  hinaus  ihre  eigene,  oft  sehr  kühne  Politik.  Daher 
mochte  es  den  Zeitgenossen  scheinen,  als  sei  es  ihre  ausschliefsliche 
Schöpfung  gewesen.  Die  Gegensätze  der  Interessen  der  Fürsten  und 
Städte  liefsen  sich  freilich  nicht  verwischen,  und  bald  kam  es  zu  Störungen, 
welche  seine  gedeihliche  Fortentwicklung  hemmten. 

3.  Der  Anschlufs  des  Rheinischen  Bundes  an  den  König  änderte 
dessen  Stellung  zu  den  Fürsten;  denn  nun  durfte  er  daran  denken,  sich 
der  Bevormundung  der  rheinischen  Erzbischöfe,  denen  er  vornehmlich 
sein  Emporkommen  dankte,  zu  entziehen.  Dagegen  tauchte,  wahr- 
scheinlich erst  nach  dem  Tode  Innozenz'  IV.  (1254,  13.  Dezember),  — 
denn  dieser  hätte  eine  Schädigung  »seines  Pflänzleins«  nimmermehr  zu- 
gegeben —  der  Plan  auf,  einen  andern  König  zu  wählen.  Auch 
Alexander  IV.  liefs  dies  nicht  zu.  Den  Römerzug  konnte  Wilhelm  an- 
fänglich nicht  antreten,  da  er  in  fortwährende  Fehden  mit  der  Gräfin 
Margareta  von  Flandern,  dem  mit  ihr  verbündeten  Grafen  Karl  von 
Anjou,  mit  Köln  und  den  Friesen  verwickelt  war,  und  auch  als  er  zu 
Ende  1255  den  Entschlufs  fafste,  nach  Rom  zu  ziehen,  ist  es  dazu  nicht 
mehr  gekommen,  da  er  auf  einer  Heerfahrt  gegen  die  Westfriesen 
verunglückte,    indem    er   mit   seinem   Rofs    im   Eise   einbrach   und   von 


l)  Quidde,  Studien,  S.  28. 


128  Richard  von  Comwallis  und  Alfons  X.  von  Kastilien. 

den  Feinden,  die  ihn  nicht  kannten,  erschlagen  wurde  (1256,  28.  Januar). 
Sein  Tod  war  ein  schweres  Unglück  für  das  Reich,  das  nun  das  Elend 
eines  langen  Doppelkönigtums  tragen  mufste.1)  Bei  der  Jugend  Konradins, 
des  letzten  .legitimen  Sprossen  der  Staufer,  und  der  Feindschaft  des 
Papstes,  konnte  das  staufische  Haus  für  die  Neuwahl  nicht  in  Betracht 
kommen.  Die  verschiedenartigen  Interessen  der  Fürsten  waren  nur  in 
Abwehr  eines  einheimischen  Thronwerbers  einig.  Die  lebhafteste  Sorge 
für  die  Beschleunigung  der  Wahl  bekundeten  noch  die  Städte.  Auf  der 
Tagsatzung  zu  Mainz  (17.  März)  erklärten  sie,  nur  ein  von  den  berech- 
tigten Fürsten  einmütig  gewähltes  Oberhaupt  anzuerkennen.  Heinrich  III. 
von  England  wirkte  zugunsten  eines  den  englischen  Interessen  ge- 
neigten Königs,  ohne  hiebei,  wie  es  scheint,  an  seinen  Bruder  Richard 
von  Cornwalis  zu  denken,  da  dieser  dem  sizilischen  Unternehmen 
Edmunds  abgeneigt  war.  Ein  ernster  Kandidat  war  Alfons  X.  von 
Kastilien,  der  bereits  nach  dem  Tode  Konrads  IV.  als  Enkel  Philipps 
von  Schwaben  Erbansprüche  auf  Schwaben  erhoben  hatte.  Im  März  1256 
wählte  ihn  die  ghibellinische  Stadt  Pisa  als  Sprossen  des  staufischen 
Hauses  zum  römischen  Kaiser.2)  Marseille  schlofs  sich  an,  der  Papst 
aber  erklärte  sich  um  so  mehr  damit  einverstanden,  als  eine  etwaige  Kan- 
didatur Konradins,  die  er  übrigens  den  Fürsten  unter  schwerer  Straf- 
androhung verboten  hatte,  hiedurch  am  wirksamsten  bekämpft  wurde. 
Für  Alfons  waren  auch  französische  Einflüsse  tätig.  Da  sich  der  Erz- 
bischof von  Mainz  in  der  Gefangenschaft  des  Herzogs  von  Braunschweig 
befand,  lag  die  Wahl  in  den  Händen  des  Erzbischofs  Konrad  von  Köln. 
Kölns  ererbte  Politik  wies  auf  eine  Verbindung  mit  England  hin. 
Konrad  trat  schon  im  Sommer  1256  für  die  Wahl  Richards  ein  und 
dürfte  auch  in  Prag  hiefür  tätig  gewesen  sein.  Sachsen,  Brandenburg 
und  Braunschweig  nebst  einer  Anzahl  norddeutscher  Fürsten  stellten 
auf  einer  in  Wolmirstedt  (5.  August)  abgehaltenen  Fürsten  Versammlung 
den  Markgrafen  Otto  von  Brandenburg  als  Kandidaten  auf  und  suchten, 
die  Städte  für  ihn  zu  gewinnen.  Diese  waren  aber  ebensowenig  einig, 
wie  die  Fürsten  selbst.  So  vergingen  zwei  Wahltage,  ehe  eine  Ent- 
scheidung erfolgte.  Die  englische  Partei  war  äufserst  rührig  und  Richard 
zu  grofsen  Opfern  bereit.  Köln,  Mainz  und  Bayern  wurden  dergestalt3) 
gewonnen.  Dagegen  blieb  Trier  auf  Alfons'  Seite.  Richard  mufste  dem 
jungen  Konradin,  als  Neffen  des  Pfalzgrafen  Ludwig,  den  Besitz  des 
schwäbischen  Herzogtums  und  aller  seiner  Erb-  und  Lehensgüter  garan- 
tieren. Auf  dem  zu  Weihnachten  tagenden  Parlament  erklärte  er,  die 
deutsche  Königswürde  anzunehmen.  Zum  Wahltag  war  der  13.  Januar  1257 


x)  Kenipf,  S.  177  ff.  Dafs  Wilhelms  Königtum  nicht  so  kläglich  war,  als  es  oft 
geschildert  wird,  s.  bei  Cardauns  Konrad  v.  Hochstaden,  S.  36. 

2)  »Die  Form  der  Wahl  war  eine  höchst  merkwürdige:  eine  Institution  des 
römischen  Privatrechts,  deren  Bedeutung  man  schwerlich  ganz  begriffen  hatte,  wurde 
auf  grofse  staatliche  Verhältnisse  übertragen  —  die  negotiorum  gestio.  Ohne  einen 
Auftrag  von  seinem  Geschäftsherrn  erhalten  zu  haben,  schliefst  ein  Geschäftsführer 
für  ihn  einen  Vertrag  ab,  dessen  nachherige  Genehmigung  erwartend.«  Scheffer- 
Boichorst,  S.  233. 

3    Die   »Handsalbens  s.  BF.  11771  und  Kempf,  8.  197  ff. 


Die  Doppel  wühl  von  1257.     Das  Kurfürstenkollegium.  129 

bestimmt.  Entschlossen,  das  Interregnum,  das  nach  Reichsrecht  nicht 
über  Jahr  und  Tag  dauern  sollte,  zu  beenden,  nötigte  die  englische 
Partei  ihre  Gegner  zu  geschlossenem  Vorgehen.  Die  Anhänger  Branden- 
burgs schlössen  sich  nun  an  Trier  an,  setzten  sich  in  den  Besitz  von 
Frankfurt  und  sperrten  ihren  Gegnern  die  Tore.  Diese  forderten  darauf- 
hin die  in  der  Stadt  anwesenden  Kurfürsten  zur  Teilnahme  an  der  Wahl 
auf,  und  als  dies  zurückgewiesen  wurde,  wählte  Konrad  von  Köln  zu- 
gleich auch  namens  des  abwesenden  Erzbischofs  von  Mainz  und  des 
Pfalzgrafen  Ludwig  den  Grafen  Richard  zum  König.  Die  böhmischen 
Gesandten  traten  wenige  Tage  später  der  Wahl  bei.  Die  übrigen  Wähler 
erhoben  Protest  gegen  das  ganze  Vorgehen  und  wählten  am  1.  April 
durch  den  Erzbischof  von  Trier  König  Alfons  X.  Auch  König  Ottokar 
von  Böhmen  stimmte  mittels  Vollmacht  für  ihn. 

Mit  der  Doppelwahl  von  1257  gelangt  die  erste  Phase  in  der  Entwicklung  des 
Kurfürstentums  zum  Abschlüsse.  In  früheren  Jahrhunderten  gingen  bei  der  Sukzession 
Erb-  und  Wahlrecht  nebeneinander.  Wenn  Otto  von  Freising  —  selbst  ein  Fürst  des 
Reiches  —  es  als  dessen  Prärogative  preist,  dafs  die  Könige  nicht  kraft  ihrer  Her- 
kunft, sondern  durch  Wahl  der  Fürsten  auf  den  Thron  gelangen,  so  wurde  bei  den 
Königswahlen  doch  auf  das  regierende  Haus  Rücksicht  genommen.1)  Heinrichs  VI. 
Versuch,  die  Krone  erblich  zu  machen,  scheiterte.  An  den  Königswahlen  nahmen  in 
der  sächsischen,  salischen  und  staufischen  Zeit  alle  Fürsten  Anteil.  Zu  Beginn  des 
13.  Jahrhunderts  fanden  sich  selbst  noch  solche  Grafen  und  Herren  ein,  die  dem 
Reichsfürstenstande  nicht  angehörten.  Es  gab  bis  dahin  auch  weder  eine  fest  be- 
stimmte Reihenfolge  in  der  Abgabe  der  Stimmen,  noch  wurde  die  Wahl  durch  Mehr- 
heitsbeschlufs  entschieden.  Das  Wesentliche  lag  in  den  Vorverhandlungen,  die  eine 
Einigung  in  der  Person  des  Bewerbers  bezweckten.  An  der  Stimmabgabe  beteiligten 
sich  dann  nicht  mehr  alle,  sondern  nur  jene  Fürsten,  denen  dieses  Ehrenvorrecht 
zustand.  Sie  waren  aber  in  der  Wahl  nicht  mehr  frei,  sondern  hatten  den  in  den 
Vorverhandlungen  bezeichneten  Kandidaten  zu  wählen,  und  die  andern  Fürsten  gaben 
ihren  Konsens.  Aus  diesem  Ehrenvorrecht  hat  sich  das  alleinige  Recht  der  Kurfürsten 
entwickelt.  Unter  den  Reichsfürsten  hatte  der  Mainzer  schon  im  11.  Jahrhundert  ein 
unbestrittenes  Ansehen,  ihm  folgen  die  Erzbischöfe  von  Köln  und  Trier.  Von  den 
Laienfürsten  waren  ursprünglich  die  Stammesherzoge  die  ersten,  dann  jene,  die  noch 
in  Beziehung  zum  Krönungsakt  stehen :  der  Pfalzgraf  bei  Rhein  als  Truchsefs,  der 
Herzog  von  Sachsen  als  Marschall,  der  Markgraf  von  Brandenburg  als  Kämmerer  des 
Reiches.  Sie  waren  durch  ihren  Dienst  beim  Krönungsmahl  berufen,  amtliches  Zeugnis 
für  die  Berechtigung  des  Gekrönten  abzugeben.2)  Die  genannten  sechs  Fürsten  werden 
in  dem  (um  1230  abgefafsten)  Sachsenspiegel  als  die  ersten  an  der  Kur  bezeichnet. 
»Als  die  ersten«,  denn  noch  wählten  alle  Fürsten.  Die  ersten  sind  es,  die  dem  Papst 
das  Wahlergebnis  bezeugen.  Die  grofse  Änderung,  wonach  eine  so  grofse  Anzahl 
mächtiger  Reichsfürsten,  wie  Salzburg,  Passau,  Bamberg,  Bremen,  Kärnten,  Flandern  u.  a. 
ihr  Wahlrecht  einbüfsten  und  dies  an  eine  kleine  Zahl  bevorzugter  Fürsten  übergeht, 
tritt  1257  ein.    Das  Kurfürstenkollegium  ist  jetzt  wesentlich  abgeschlossen.  Einen  Streit 


x)  S.  die  Literatur  hierüber  in  Gustav  Richter,  Annalen  der  deutschen  Gesch.  HI, 
2,  718.  Schröder,  Deutsche  Rechtsgesch.  3.  A.  Lpzg.  1898.  Drei  Momente  kommen  bei 
den  Wahlen  der  sächsischen  und  salischen  Zeit  in  Betracht:  das  Erbrecht  der  Söhne 
bzw.  Verwandten,  die  Designation  durch  den  Vorgänger  und  die  Wahl  der 
Fürsten.  Wenn  ein  kraftvoller  Herrscher  die  beiden  ersten  zur  Geltung  brachte,  war 
die  Wahl  der  Fürsten  nicht  viel  mehr  als  blofse  Zustimmung.  Erst  unter  Heinrich  IV. 
gewann  die  Vorstellung  eines  freien  Wahlrechts  an  Stärke  und  gelangte  nach  dem 
Tode  Heinrichs  V.  zum  Sieg.  Näheres  über  die  Entstehung  des  Kurkollegiums  wird 
eine  andere  Abteilung  dieses  Handbuches  bringen. 
2)  Schröder,  S.  471. 
Loserth,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  9 


130  Die  Könige  Richard  und  Alfons. 

gab  es  nur  noch  über  die  siebente  Stimme  zwischen  Böhmen  und  Bayern.  Eine  Neue- 
rung, die  Gleichfalls  jetzt  eintrat  und  wahrscheinlich  bis  zur  goldenen  Bulle  beobachtet 
wurde,  bestand  darin,  dafs  die  Kurfürsten  nach  vollzogener  Einigung  einen  aus  ihrer 
Mitte  ermächtigten,  den  »Kürspruch«  zu  tun  und  damit  den  Rechtsakt  der  Wahl  zu 
vollziehen.1)  Bei  der  AVahl  von  1257  wird  der  Teilnahme  der  Fürsten  an  den  Vor- 
verhandlungen noch  gedacht,  als  die  mafsgebenden  gelten  aber  bereits  die  Sieben. 

Die  Wahl  von  1257  machte  dadurch,  dafs  sie  Ausländer  zur  Herr- 
schaft berief,  das  Reich  von  den  politischen  Zuständen  fremder  Länder, 
abhängig.2)  —  Im  April  1257  kam  König  Eichard  nach  Deutschland 
und  wurde  am  17.  Mai  zu  Aachen  gekrönt.  Es  gelang  ihm,  seinem 
Königtum  in  den  mittleren  und  oberen  Rheingegenden  Anerkennung 
zu  verschaffen  Die  gröfsere  Zahl  der  rheinischen  Bundesstädte  wandte 
sich  ihm  zu;  da  aber  einzelne  an  Alfons  festhielten,  zerfiel  nun  auch 
der  Rheinische  Bund  in  eine  Anzahl  von  Sonderbündnissen.  Um  die 
Anerkennung  der  Reichsstädte  zu  erhalten,  gab  Richard  viele  der  bisher 
noch  erhaltenen  Reste  der  obersten  Reichsgewalt  dahin.  Zu  einem  ernst- 
lichen Kampfe  der  Gegenkönige  ist  es  bei  der  Lage  der  Dinge  nicht  ge- 
kommen. König  Richard  war  unzweifelhaft  der  Mächtigere,  für  ihn  fiel  auch 
seine  in  Aachen  erfolgte  Krönung  und  seine  Regierungstätigkeit  ins  Gewicht, 
wogegen  Alfons,  durch  seine  königlichen  Pflichten  in  Kastilien  zurück- 
gehalten, niemals  in  Deutschland,  wo  er  als  Sprosse  der  Staufer  viele 
Sympathien  hatte,  erschien  und  allmählich  dahin  gelangte,  sein  deutsches 
Königtum  als  blofse  AVürde  anzusehen.  Nach  anderthalbjähriger  Tätig- 
keit kehrte  Richard  im  September  1258  nach  England  zurück.  Von 
dort  aus  wurde  Deutschland  regiert.  Die  Geschichte  des  deutschen 
Reiches  wird  für  die  folgenden  Zeiten  mehr  und  mehr  eine  Geschichte 
der  einzelnen  Territorien.  Eines  von  diesen  —  das  böhmische  —  ist 
im  Begriffe  sich  zu  einer  Grofsmacht  zu  entwickeln. 

§  29.  Die  (xerinanisierung  des  nordöstlichen  Deutschland  und  die 
Gründung  des  deutschen  Ordensstaates  iu  Preufsen.    Die  Entstehung 

der  Hanse. 


Quellen.  Das  Quellenrnaterial  liegt  vornehmlich  in  den  zahlreichen  Urkunden- 
büchern  vor.  Dahlmann-AVaitz-Steindorff,  Nr.  604 — 651 .  (S.  auch  Z y c h y 
Powolanie  Krzyzaköw  do  Polski,  Progr.  Premysl  1887,  wo  einzelne  Ergänzungen  angegeben 
sind.)  Von  besonderer  Bedeutung  sind  für  diese  Periode :  der  Cod.  dipl.  Silesiae,. 
tom.  1 — 16.  Bresl.  1857  ff.  (s.  Grünhagen,  Regg.  zur  schlesischen  Gesch.  1 — 3, 
2.  Aufl.  bildet  den  7.  Bd.  d.  Cod.  dipl.)  u.  wegen  der  Einleitung:  Tschoppe  und 
Stenzel,  Schlesisch-Lausitzische  Urkundensammlung  zur  Gesch.  des  Ursprungs  der 
Städte  u.  der  Einführung  u.  Verbreitung  deutscher  Eechte.  Hamb.  u.  Berl.  1832.  Der 
Cod.  dipl.  Prussicus,  6.  Bde.,  ed.  Voigt,  Königsb.  1836  Perlberg,  Preufs.  Regg.  Königs- 
berg 1876).  Preufsisches  Vrkundenb.,  herausg.  von  Philippi  u.  Wölky.  Königsb.  1882 
u.  Neues  preufsisches  "Crkundenb.,  Westpr.  Teil,  ed.  AVölky.  Danzig  1885 — 1887  u. 
Ostpreufsischer  Teil,  ed.  AVölky  u.  Mendthal.  Leipz.  1891.  Pommerellisches  Urkundenb., 
ed,  Perlbach.  Danzig  1882.  Die  Statuten  des  D.  Ordens,  herausg.  von  Perlbach.  Halle 
1890  (s.  DZG.  VTI,  138).  Hansisches  Urkundenbuch,  1—4.  Bd.,  bis  1492.  Die  Rezesse 
u.  andere   Akten    der  Hansetage    von  1256 — 1430,    herausg.    durch    die  Münchn.    hist. 


»)  Schröder,  S.  469. 
2)  Otto,  S.  91. 


Die  Germanisierung  des  nördlichen  Deutschland.  131 

Komin.,  bearbeitet  v.  Koppmann.  Bd.  I — VI.  Leipz.  1870  ff.  Hanserezesse  von  1431 
bis  1476,  bearb.  v.  v.  der  Kopp,  Bd.  7,  1876  ff.,  1477—1530  v.  D.  Schäfer,  Bd.  1—5, 
1881  ff.  Für  einzelnes  auch  die  MM.  med.  acv.  Historie,  res  gestas  Pol.  illustrantia, 
tom.  1,  5,  9  u.  d.  Cod.  dipl.  mai.  Pol.    Pozn.  1877  ff.  Dahlm.-Waitz,  669  ff. 

Geschieht  Schreiber:  s.  Toppen,  Gesch.  d.  preufs.  Historiogr.  Berl.  1853. 
Koppmann,  Z.  Geschichtschreib,  d.  Hansestädte.  Hamb.  GB11.  I.  Grünhagen, 
Wegweiser  durch  d.  GQ.  Schlesiens.  2.  A.  1889.  Perlbach,  Mater,  z.  Geschichte 
Pommerellens.  Altpr.  Monatsschr.  XXXVII.  Mehr  als  sich  für  die  Geschichte  der 
Besiedlung  Schlesiens  in  den  SS.  rer.  Sil.  findet,  von  denen  keiner  eine  Geschichte 
der  Ansiedlungen  geschrieben  hat,  da  der  Gang  der  Besiedlung  ein  ganz  anderer  war 
als  in  Preufsen,  findet  sich  in  den  SS.  rer.  Prussicaram  von  Hirsch,  Toppen  u.  Strehlke. 
4  Bde.  Leipz.  1861 — -1870.  In  Betracht  kommen :  Exordium  ordinis  Cruciferorum  seu 
Chronica  de  Prussia,  ed.  Hirsch  in  SS.  rer.  Pruss.  V,  594 — 622,  s.  unten  unter  Chronik 
v.  Oliva,  s.  Potthast  unter  Fontes  Olivenses;  daselbst  auch  die  übrigen  Ausgaben. 
Narratio  de  primordiis  ord.  Theutonici,  ib.  I,  220 — 225.  Hermannus  magister  (1210 
bis  1239),  Epistolae  MM.  Germ.  LL.  H,  1,  263—5.  Cartae  272—273.  Petrus  de  Dusburg, 
Chronicon  terrae  Prussiae  bis  1330,  I,  3—319  (s.  Potth.  II,  916  u.  Lorenz  II,  203).  Die 
Ausg.  enthält  in  den  Beilagen  die  einschlägigen  Lrkk.  u.  Vermerke  aus  niederdeutschen, 
thüringischen,  böhmisch-schlesischen  Chroniken,  österreichischen  u.  sonstigen  Annalen 
u.  Chroniken.  Annales  Peplinenses  =  Ann.  Prussici  breves  bis  1293,  ib.  270 — 271. 
Canonici  Sambiensis  Epitome  gestorum  Prussiae  bis  1352,  ib.  272 — 290.  Jeroschin, 
Di  Kronike  von  Pruzinlant  (übersetzt  von  Peter  von  Dusburg  in  deutsche  Reime),  ib. 
303—624.  Die  ältere  Chronik  von  Oliva  u.  die  Sehrifttafeln  von  Oliva,  ib.  669—731 
(mit  Beil.,  Berichten  aus  dänischen,  norwegischen,  polnischen  u.  a.  Chroniken!  Terra 
Pommerania  quomodo  subiecta'est  ordini  fratrum  Theutonicorum,  ib.  806—808.  Die 
kurze  preufsische  Reimchronik  (Fragmente  bis  1338),  ib.  H,  2 — 8.  Hermannus  de  "Wart- 
berge, Chronicon  Livoniae,  ib.  H,  21 — 178  (s.  oben).  Die  Chronik  Wigands  v.  Marburg, 
ib.  LT,  429—662  (gehört  schon  zur  nächsten  Zeitperiode).  Kurze  preufsische  Annalen 
1190—1337,  ib.  HI,  1—4.  Annales  expeditialis  Prussici  1233—1414,  ib.  5—12.  Franciscani 
Thorunensis  Ann.  Prussici,  ib.  mit  Johanns  v.  Possilge  Chronik  v.  Preufsen  (die  aber  erst 
von  1350  beginnt)  u.  den  Auszügen  aus  Detmars  Chronik  v.  Lübek,  die  auf  Preufsen 
Bezug  haben,  ib.  13 — 399.  Mit  reichen  Beilagen  aus  fremden  Quellen.  Chronica  terrae 
Prussiae  1029—1450,  ib.  465-471.  Die  ältere  Hochmeisterchronik  1190—1390  bzw.  1433, 
ib.  540 — 709.  Hist.  brevis  magistrorum  ord.  Theutonici,  ib.  IV,  254 — 274.  Hartmann 
v.  Heldrungen,  Bericht  über  die  Vereinigung  des  Schwertbrüderordens  mit  dem  D.  Orden. 
SS.  rer.  Pruss.  V,  169—172.   Henricus  Lettus,  MM.  G.  SS.  XXHL 

Hilfsschriften  (aufser  den  Werken  zur  allg.  deutschen  Gesch.):  G.  Wen  dt, 
Die  Germanisierung  der  Länder  östlich  der  Elbe.  Progr.  v.  Liegnitz  1884.  O.Kämmel,. 
Die  Germanisierung  des  d.  Xordostens.  Z.  Allg.  G.  1887.  Schulze,  Die  Kolonisierung 
u.  Germanisierung  der  Gebiete  zw.  Saale  u.  Elbe.  Leipz.  1896.  Ernst,  Die  Koloni- 
sation von  Ostdeutschland.  Progr.  Langenberg  1888.  v.  d.  R  o  p  p ,  Deutsche  Kolonien 
im  12.  u.  13.  Jahrh.  Giefsen  1886.  Simonsfeld,  Die  Deutschen  als  Kolonisatoren. 
Hamb.  1885.  Wattenbach,  Die  Germanisierung  der  östlichen  Grenzmarken  des 
deutschen  Reiches.  HZ.  IX  (dort  auch  die  ältere  Literatur).  Ernst,  Die  Kolonisation 
Mecklenburgs.  Rostock  1875.  Sommerfeld,  Die  Germanisierung  des  Herzogt.  Pom- 
mern bis  zum  Abi.  d.  13.  Jahrh.  Leipz.  1896.  Guttmann,  Die  Germanisierung  der 
Slaw.  in  der  Mark.  Forsch,  brand.-preufs.  Gesch.  IX.  Bienemann,  Kol.  Pol.  d.  d. 
Ritterordens.  Z.  Kulturg  H.  Watterich,  Die  Gründung  des  deutschen  Ordensstaates 
in  Preufsen.  Leipzig  1857.  Lohmeier,  Die  Berufung  des  D.  Ordens  nach  Preufsen. 
Königsb.  1872.  Rethwisch,  Die  Berufung  des  D.Ordens  nach  Preufsen.  Berl.  1868. 
E  w  a  1  d ,  Die  Eroberung  Preufsens  durch  d.  Deutschen.  4  Bde.  Halle  1872 — 86.  Koch, 
Hermann  v.  Salza  und  Dasse,  Hermann  v.  Salza,  wie  oben.  J.  Voigt,  Geschichte 
Preufsens  von  den  ältesten  Zeiten  bis  zum  Untergang  der  Herrschaft  des  Deutschen 
Ordens.  9  Bde.  Königsberg  1827— 1839.  Handb.  d.  Gesch.  Preufsens.  3  Bde.,  ib.  1841 
bis  1843.  Lohmeier,  Geschichte  Ost-  u.  Westpreufsens.  Gotha  1880.  Prutz,  Ge- 
schichte Preufsens  I.  Stuttgart  1900.  Treitschke,  Das  Ordensland  Preufsen  im 
2.    Bde.    d.      Hist.   u.  pol.  Aufs.     Leipz.    1871.      Röhrich,    D.    Kolonis.    d.    Ermlandes. 

9::= 


132  Die  deutsche  Kolonisation 

ZVG.  Erral.  Xu,  XHI.  Hocken b eck,  Kloster  Lekno  WengroAvitz  u.  die  Preufsen- 
mission  120(3 — 1212.  Arnsberg  1893.  Reh,  Z.  Klarstellung  über  die  Bez.  d.  D.  Ordens 
zu  B.  Christian  v.  Preufsen.  Altpreufs.  Monatsschr.  XXI,  343.  G.  Freytag,  Bilder 
a.  d.  d.  Vergangenheit  II.  Werke  18.  Für  Livland  s.  oben  §  13.  —  Winter,  Die 
Prämonstratenser  des  12.  Jahrh.  u.  ihre  Bedeutung  f.  d.  nordöstl.  Deutschland.  Berlin 
1865.  W  inter,  D.  Zisterzienser  d.  nordöstl.  Deutschland.  Gotha  1868 — 71.  E.Schulze, 
Xiederl.  Siedlungen  in  den  Marschen  a.  d.  unteren  Weser  u.  Elbe  im  XII.  u.  XIII. 
Jahrh.  Z.  hist.  V.  NiedL  Sachs.  1889.  Sartorius,  Gesch.  d.  Hanseatischen  Bundes  I. 
Gott.  1802  (S.  329  Vera.  v.  Quellen  u.  Urkk.\  Urk.  Gesch.  des  Hans.  Bundes,  her.  v. 
Lappenberg.  Hamb.  1830.  Barthold,  G.  d.  d.  H.  Leipz.  1853  54.  Th.  Lindner, 
Die  d.  Hanse.  Leipz.  1899.  D.  Schäfer,  Die  Hansestädte  u.  K.  Waldemar  von 
Dänemark.  Hans.  Gesch.  bis  1376.  Jena  1879.  —  Die  Hanse  u.  ihre  Handelspolitik. 
Jena  1885.  —  Die  Hanse.  Biefeld  1903.  Müller,  Die  Hanse.  Progr.  1889.  Gold- 
schmidt,  D.  d.  Hansa.  Pr.  Jb.  IX.  Mantels,  Beiträge  zur  Lübeck-Hansischen 
Gesch.  Jena  1881.  Berg,  Lübecks  Stellung  in  d.  Hanse.  Diss.  1889.  Detten, 
D.  H.  d.  Westfalen.  Mimst.  1897.  Stein,  Beitr.  zur  G.  d.  d.  Hanse,  (iiefsen  1900. 
Grandinson,  Studier  i  Hans.-Svensk  historia  I.  Stockh.  1884  beb.  d.  Bez.  deutsch. 
Kaufleute  zu  Schw.  bis  1332).  Die  übrigen  Arbeiten  zur  Gesch.  d.  d.  Hanse  s.  Dahlm.- 
Waitz-Steindorff  unter  Xr.  3130  bis  3152. 

1.  In  den  Tagen  des  Niederganges  der  Kaisermacht  erreichte  das 
deutsche  Volkstum  seine  weiteste  Ausbreitung  im  Mittelalter.  Ganz 
Ostdeutschland  wurde  auf  friedlichen!  Wege  durch  Kolonisation  dem 
deutschen  Volke  gewonnen.  Diese  Kolonisation  —  eine  rückläufige 
Bewegung  vom  Westen  nach  Osten  —  setzte  im  12.  Jahrhundert  ein  und 
war  zu  Ende  des  13.  nahezu  abgeschlossen.  Bei  der  Schwäche  der  Kaiser- 
gewalt ging  ihre  Leitung  nicht  mehr  von  dieser,  sondern  von  dem  Landes- 
fürstentum aus  und  vollzog  sich  unter  lebhafter  Teilnahme  aller  Schichten 
der  deutschen  Bevölkerung :  der  Geistlichkeit  und  des  Adels,  der 
Ministerialen  und  vor  allem  des  Bürger-  und  Bauernstandes.  Hervor- 
ragend war  die  Tätigkeit  einzelner  Orden  wie  der  Prämonstratenser  und 
Zisterzienser,  denen  sich  die  ritterlichen  Orden  anschlössen.  Sie  zogen 
deutsche  Bauernschaften  in  die  öden  Gegenden  des  Ostens  und  schufen 
ihre  meist  in  weltentlegener  Waldgegend  befindlichen  Ländereien  in  er- 
giebige Ackerfluren  um;  der  hiedurch  erzielte  wirtschaftliche  Erfolg 
verlockte  Fürsten  und  Adelige  zur  Nachahmung.  Der  seit  den  Kreuz- 
zügen wachgewordene  Wandertrieb  ergriff  einen  grofsen  Teil  des  Volkes. 
Scharenweise  und  einzeln  zogen  Ritter,  Bürger  und  Bauern,  Bergarbeiter 
und  Kaufleute  aus  Holland  und  Friesland,  Flandern  und  Westfalen  nach 
dem  Osten.  Der  Ritter  baute  mitten  auf  dem  ihm  reichlich  zugemessenen 
Grunde  seine  Burg,  der  Bürger  liefs  sich  in  den  neu  angelegten,  mit 
eigenem  Recht  versehenen  Städten  und  der  Bauer  auf  den  von  einem 
Unternehmer  (dem  Locator)  ausgesetzten  Dorf  stellen  nieder.  Der  eiserne, 
breitschauflige  Pflug  dieser  Bauern  rang  dem  Boden  weitaus  reichere 
Erträgnisse  ab  als  der  hölzerne  slawische  Hakenpflug;  statt  ärmlicher 
Hütten  wurden  stattliche  Wohnstätten  aus  Backstein,  weite  Rathäuser 
und  herrliche  Kirchen  errichtet.  Für  die  Städte  wurde  zuerst  der  grofse 
quadratische  Marktplatz  abgesteckt,  von  dessen  Ecken  die  Strafsen  aus- 
liefen, und  in  dessen  Mitte  das  Rathaus  stand.  In  den  Dörfern  stehen 
die  Häuser  der  Reihe  nach  an  der  Strafse,  hinter  jedem  die  Ackerflur 
des   Besitzers.     Zu   Beginn   des    12.    Jahrhunderts    bildete    ungefähr   die 


und  ihr  Zug  nach  dem  Osten.     Der  Deutsche  Orden.  133 

Elbe  die  Grenze  zwischen  Deutschen  und  Slawen  (Wenden).  Von  den 
deutschen  Kaisern  begann  Lothar  III.  planmäfsig  nach  dem  Osten  vor- 
zudringen. Während  Barbarossa  seinen  italischen  Plänen  nachging, 
nahm  Heinrich  der  Löwe  die  Kolonisierung  von  seinem  sächsischen 
Herzogtum  aus  in  Angriff,  und  die  Grafen  von  Schauenburg-Holstein 
besetzten  Wagrien  mit  deutschen  Kolonisten.  Noch  viel  stärker  setzte 
die  Bewegung  im  Zeitalter  Friedrichs  IL  ein.  Hervorragenden  Anteil 
nahmen  die  Brandenburger.  Schon  Albrecht  der  Bär  (f  1170)  hatte 
Holländer,  See-  und  Flamländer  in  Brandenburg  angesiedelt.  Indem 
dieses  seinen  Besitz  bis  über  die  Oder  ausdehnte,  wurde  durch  die  Be- 
siedlung des  Gebietes  an  der  unteren  Warthe  der  Zusammenhang  Pom- 
merns mit  den  ganz  slawischen  Landschaften  Polens  unterbrochen.  In 
Pommern  waren  es  die  wendischen  Herzoge  selbst,  die  ihre  und  ihres 
Volkes  Germanisierung  förderten.  Schon  in  den  dreifsiger  Jahren  des 
13.  Jahrhunderts  wichen  die  letzten  Wenden  aus  Stettin.  Länger  dauerte 
der  Prozefs  auf  Rügen.  Am  eifrigsten  in  der  Kolonisierung  erwiesen 
sich  die  piastischen  Herzoge  Schlesiens,  die  sich,  um  ihre  Selbständig- 
keit Polen  gegenüber  zu  wahren,  eng  an  Deutschland  anschlössen,  ihre 
Gemahlinnen  aus  deutschen  Fürstenhäusern  wählten,  deutsche  Ritter  in 
Sold  nahmen  und  Scharen  deutscher  Bauern  ins  Land  zogen,  das  all- 
mählich einen  deutschen  Charakter  annahm.  Selbst  im  eigentlichen 
Polen  wurden  deutsche  Städte  gegründet  und  mit  deutschem  —  dem 
Magdeburger  —  Recht  bewidmet  und  die  schon  bestehenden  Kolonien 
in  Böhmen  und  Mähren  (§  24  und  30),  Ungarn  und  Siebenbürgen  (§  24) 
verstärkt.  Endlich  wurde  auch  die  grofse  Lücke  zwischen  dem  bereits 
christlich  gewordenen  Livland  und  Pommern  geschlossen. 

2.  In  der  Kolonisierung  Preufsens  übernahm  der  Deutsche  Orden 
die  Führung.  In  der  Erkenntnis,  dafs  seine  Wirksamkeit  im  hl.  Lande 
dem  Ende  zuneige,  suchte  er  ein  näherliegendes  Ziel  für  seine  Tätigkeit, 
und  der  Hochmeister  Hermann  von  Salza  (1211 — 1239)  bahnte  ihm 
den  Weg  zur  Gründung  einer  eigenen  Territorialherrschaft.  Zunächst 
folgte  er  dem  Rufe  des  ungarischen  Königs,  ihm  gegen  die  Kumanen 
zu  helfen,  und  erhielt  (1211)  von  ihm  das  unbewohnte  Burzenland  in 
Siebenbürgen.  Bald  erhoben  sich  stattliche  Burgen,  und  sächsische  und 
flandrische  Elemente  begründeten  auch  hier  eine  höhere  wirtschaftliche 
Kultur.  Als  sich  aber  der  Orden  der  ungarischen  Lehenshoheit  ent- 
ziehen und  eigene  Landeshoheit  gewinnen,  wollte,  erwachte  die  Eifer- 
sucht der  Ungarn.  Die  Schenkung  wurde  widerrufen,  und  der  Orden 
zog  aus  dem  Burzenlande  ab,  nicht  ohne  reiche  Erfahrungen  für  die 
Organisierung  neu  erworbener  Gebiete  gemacht  zu  haben.  Bald  wurde 
seine  Tätigkeit  auf  ein  wichtigeres  Land  hingewiesen.  Schon  der 
hl.  Adalbert  hatte  den  Versuch  gemacht,  die  heidnischen  Preufsen  zu 
bekehren.  In  staufischer  Zeit  wurden  diese  Versuche  von  Zisterziensern 
Grofspolens  aufgenommen.  Ein  Mönch  namens  Christian,  spätere 
Überlieferung  läfst  ihn  aus  dem  Kloster  Oliva  stammen,  setzte  die  Ver- 
suche fort,  wurde  der  erste  Bischof  von  Preufsen  (1212)  und  erhielt  von 
dem  Herzog  Konrad  von  Masovien  und  Kujavien  einen  Teil  des  von 


134  Die  Eroberung  und  Kolonisierung  Preufsens. 

den  Preufsen  aufgegebenen,  von  ihnen  durch  beständige  Einfälle  heim- 
gesuchten Kulmerlandes,  das  im  übrigen  unter  polnischer  Hoheit  ver- 
blieb. Nach  dem  Vorbilde  des  Schwertordens  stiftete  er  zur  Bekämpfung 
der  Heiden  den  Ritterorden  von  Dobrzin.  Aber  seine  Kräfte  reichten 
nicht  aus.  Das  Heidentum  erregte  eine  scharfe  Reaktion,  da  rief 
Konrad  den  Deutschen  Orden  herbei  und  schenkte  ihm  (1228)  Kulm 
nebst  einigen  Grenzburgen  und  die  Gebiete,  die  er  erobern  würde. 
Friedrich  II.  bestätigte  diese  Schenkung  und  verlieh  dem  Orden  reichs- 
fürstliche Rechte.  1229  kamen  die  ersten  Ordensritter  nach  Kujavien 
und  begannen  die  Eroberung  Preufsens.  Die  Preufsen1),  mit  Litauern 
und  Letten  zum  arischen  Sprachstamm  gehörig,  waren  in  zahlreiche 
Stämme  zersplittert,  die  erst  der  Kampf  gegen  die  Fremdherrschaft 
zusammenführte.  Ohne  gemeinsames  Oberhaupt,  in  Zeiten  des  Friedens 
auch  ohne  Vorsteher  der  einzelnen  Gaue,  hatten  sie  einen  Adel  und  Freie, 
und  neben  diesen  auch  Hörige  und  Sklaven.  Das  Volk  stand  noch  auf 
niederer  Kulturstufe.  Ihr  Kultus  war  ein  roher  Naturdienst.  Weder 
die '  Schrift  noch  eine  geordnete  Zeitrechnung  waren  ihnen  bekannt. 
Sie  trieben  Ackerbau,  Jagd  und  Fischfang.  Das  Wild  erlegten  sie  vor- 
nehmlich auch  der  Felle  wegen,  mit  denen  sie  Handel  trieben.  Der 
Kampf  gegen  sie  war  ein  schwerer;  aber  die  Ordensritter  brachten  eine 
treffliche  Schulung  mit:  sie  suchten  den  Erfolg  weniger  in  offener  Feld- 
schlacht als  in  langsamer,  methodischer  Arbeit,  in  der  Anlage  befestigter 
Plätze,  unter  deren  Schutz  sie  die  Umwohner  bekämpften.  Das  solcher- 
gestalt gewonnene  Gebiet  ward  die  Operationsbasis,  von  der  aus  die 
nächste  Landschaft  bewältigt  wird.2)  Schon  1230  zogen  gröfsere  Scharen 
unter  dem  Landmeister  Hermann  Balk  in  das  Land;  1231  wurde  Kulm, 
1232  eine  zweite  Burg  gegründet  und  nach  Toron  in  Palästina  Thorn 
genannt.  Beide  wurden  zugleich  als  Städte  angelegt  und  mit  Magde- 
burger Recht  versehen.  Die  Ansiedler  erhielten  Haus,  Hof  und  Acker- 
land und  völlige  Selbstverwaltung,  mufsten  sich  aber  zu  militärischen 
Dienstleistungen  verpflichten.  Allmählich  wurden  aufser  dem  Kulmer- 
land  Pomesanien,  Pogesanien  und  das  Ermeland  gewonnen,  Erfolge,  die 
nur  durch  die  kräftige  Mitwirkung  deutscher  Fürsten  möglich  waren. 
Der  Herzog  von  Braunschweig,  der  Markgraf  von  Meifsen,  die .  Piasten 
Schlesiens  beteiligten  sich  an  diesen  »Kreuzfahrten  nach  Preufsen«, 
selbst  die  Piasten  von  Grofspolen  und  die  Herzoge  von  Ostpommern 
schlössen  sich  zeitweise  an,  und  auch  einzelne  Städte,  wie  Lübeck,  ge- 
währten von  der  Seeseite  her  Hilfe.  1237  wurde  Elbing  angelegt  und 
hiedurch  eine  maritime  Verbindung  mit  den  älteren  deutschen  Küsten 
gewonnen.3)  Nachdem  die  Ritter  von  Dobrzin  schon  1235  mit  dem 
Deutschen  Orden  vereint  worden  waren,  erfolgte  (1237)  die  Lnion  mit 
dem   Schwertorden.     Estland    wurde   an    Dänemark   überlassen,    in  Liv- 


l)  Die  Abstammung  Po-ruzi,  die  neben  den  Russen  Wohnenden,  ist  sprachlich 
unmöglich.  Vgl.  das  lith.  protas,  Einsicht:  sie  betrachten  sich  anderen  Völkern  gegen- 
über als  die  besser  Begabten,  Verständigen. 

8)  Prutz,  Preufsische  Gesch.  I,  47. 

s)  Ranke,  Weltgesch.  VTH,  391. 


Die  Ordensherrschaft  in  Preufsen,     Die  Hanse  135 

land  erhielt  aber  der  Deutsche  Orden  die  bischöfliche  Hoheit.  Inzwischen 
gelang  es  ihm  auch ,  die  landesherrlichen  Rechte ,  die  der  Bischof 
Christian  noch  in  einem  Drittel  des  Kulmerlandes  hatte,  an  sich  zu 
bringen.  Um  sich  seines  Besitzes  auf  die  Dauer  zu  versichern,  über- 
trug der  Orden  sein  ganzes  Gebiet  dem  hl.  Petrus  und  erhielt  es  (1234) 
von  Gregor  IX.  als  Lehen  des  päpstlichen  Stuhles  wieder  zurück.  Als 
Hermann  von  Salza  1239  starb,  stand  die  Macht  des  deutschen  Ordens 
in  Preufsen  bereits  auf  festen  Füfsen.  Im  ganzen  Deutschen  Reich  gab 
sich  das  lebhafteste  Interesse  für  den  Orden  kund,  wozu  die  zahlreichen 
Siegesberichte,  die  nach  dem  Westen  gelangten,  nicht  wenig  beitrugen. 
Reichliche  Beiträge  an  Geld,  Schenkungen  von  Häusern,  Höfen  und 
Gütern  flössen  ihm  zu.  Kaiser  Friedrich  IL  und  König  Heinrich  gingen 
mit  gutem  Beispiel  voran ;  ihnen  folgte  Friedrich  der  Streitbare  von 
Österreich.  Der  Zudrang  von  Rittern  und  Brüdern  wurde  immer  stärker, 
und  so  konnte  der  Orden  die  schweren  Kämpfe  gegen  Preufsen  und  das 
mit  diesem  verbündete  Pommerellen  bestehen.  Wie  Gregor  IX.  war  auch 
Innozenz  IV.  sein  eifriger  Gönner.  Das  ganze  Ordensgebiet  wurde 
(1243)  in  vier  Bistümer  eingeteilt:  Kulm,  Pomesanien,  Ermland  und 
Samland,  deren  Bischöfe  zur  Fernhaltung  fremder  Einflüsse  aus  Ordens- 
priestern genommen  wurden.  Das  neue  Staatswesen  war  in  um  so 
kräftigerem  Aufschwünge  begriffen,  als  sich  das  Bedürfnis  nach  neuen 
starken  Bollwerken  gegen  die  Mongolen  fühlbar  machte.  Diese  Erkenntnis 
war  es,  die  den  Böhmenkönig  Ottokar  bewog,  seine  erste  Heerfahrt  nach 
Preufsen  zu  unternehmen.  Eine  allgemeine  Reaktion  des  Heidentums 
(1261)  wurde  nach  mehrjährigem  Kampfe  unterdrückt,  und  nur  langsam 
machte  der  Orden  unter  der  Leitung  Konrads  von  Thierberg  wieder 
Fortschritte.  Ihm  war  die  Erbauung  der  Marienburg  zu  verdanken 
(1274).  Der  Krieg,  der  immer  mehr  den  Charakter  eines  Vernichtungs- 
kampfes annahm,  konnte  der  Hauptsache  nach  1283  als  beendet  an- 
gesehen werden.  Von  besonderer  Bedeutung  war  der  Fall  von  Akkon 
(1291).  Der  Deutsche  Orden  übersiedelte  nun  zuerst  nach  Venedig  und 
als  die  Aussicht,  in  Palästina  wieder  zur  Bedeutung  zu  gelangen,  dahin 
schwand,  verlegte  Konrad  von  Feuchtwangen  seinen  Sitz  nach  Preufsen, 
wo  nun  der  Kampf  gegen  die  Litauer  kräftig  aufgenommen  wurde. 

3.  Infolge  dieser  Neugründungen  im  Nordosten  des  Reiches  nahm 
auch  der  deutsche  Handel  und  Verkehr  einen  mächtigen  Aufschwung.  Im 
Jahre  1241  schlofs  Lübeck  mit  Hamburg  zum  Zwecke  des  Schutzes  seiner 
Handelsstrafsen  jenen  Bund,  den  man  als  den  Beginn  der  Hanse  bezeichnet. 
Das  Bündnis  war  freilich  für  solche  Zwecke  weder  das  erste,  noch  diente 
es  allgemeinen  Interessen ,  als  Ausgangspunkt  für  die  Hanse  wird  viel- 
mehr die  Herstellung  dauernder  Verhältnisse  zu  betrachten  sein.1)  Schon 
seit  geraumer  Zeit  trieben  norddeutsche  Kaufleute  einen  schwunghaften 
Handel  nach  England,  Skandinavien  und  bis  tief  nach  Rufsland.  In 
London  besafsen  sie  schon  im  12.  Jahrhundert  ihre  Gildhalle,  wie 
späterhin    in  Nowgorod   den  Peter hof,    wo    sie   nach   eigenem   Rechte 


»)  Lindner,  S.  48. 


136  Macht  und  Ausdehnung  der  Hanse. 

lebten.  Ein  wichtiger  Platz  für  den  Handel  nach  dem  Osten  war 
Wisby  anf  Gothland.  Nahm  früher  Köln  als  deutsche  Handelsstadt 
den  ersten  Platz  ein,  so  beanspruchte  nach  den  grofsen  Kolonisationen 
Lübeck  denselben  Rang,  und  in  der  Tat  stehen  beide  1282  in  London 
gleichberechtigt  nebeneinander.  Damals  wurde  zum  erstenmal  die  Be- 
zeichnung gebraucht  »Kaufleute  von  der  Hanse  der  Deutschen  .  Da 
das  Reich  als  solches  aufserstande  war,  dem  deutschen  Handel  wirk- 
samen Schutz  angedeihen  zu  lassen,  schlössen  die  Handelsplätze  zur 
Sicherung  des  Verkehrs  unter  einander  Einigungen.  Ein  solcher  Vertrag 
wurde  1259  zwischen  Lübeck,  Rostock  und  Wismar  geschlossen.  Bald 
folgten  ähnliche  Bündnisse  anderer  Städte  nach,  und  es  bildeten  sich 
Verhältnisse  von  festerer  Dauer.  Die  geographische  Lage,  altüberlieferte 
Stammes-  oder  Interessengenossenschaft  u.  dgl.  fügten  dann  mehrere 
Gruppen  zusammen.  Die  Städte  entsandten  ihre  Vertrter  zu  gemein- 
samen Beratungen.  Ihre  Beschlüsse  hiefsen  ^Abschiede«  oder  »Rezesse«; 
sie  bezogen  sich  übrigens  nicht  blofs  auf  Handelssachen,  denn  schon 
in  älteren  Rezessen  wird  bestimmt,  dafs  ein  in  einer  Stadt  ausgewiesener 
Verbrecher  in  keiner  andern  Aufnahme  rinden  dürfe,  dafs  Diebe  und 
Mörder  in  jeder  geächtet  seien  usw.1)  Zweck  der  Bündnisse  war 
demnach  Schutz  und  Sicherheit  nach  innen  und  aufsen,  »Erhaltung  und 
Erweiterung  der  entweder  einzeln  oder  gemeinsam  in  der  Fremde  oder 
von  dem  Landesfürsten  erlangten  Freiheiten,  Wahrung  gesicherter  Fahrt 
zu  Wasser  und  zu  Lande,  schiedsrichterliche  Vermittlung  in  den  Streitig- 
keiten des  Bundes  untereinander,  Aufrechthaltung  der  Ruhe  im  Innern 
der  Städte  und  Schutz  des  städtischen  Regiments  gegen  Aufruhr  und 
Neuerung.«  Im  Verlauf  weniger  Jahrzehnte  waren  die  meisten  der  an 
der  Nord-  und  Ostsee  und  an  den  Strömen  dieser  Meere  gelegenen 
Städte  in  solchen  Gjuppen  vereinigt.  Ein  einheitlicher  Bund  bestand 
noch  nicht,  nur  in  besonderen  Fällen  wurden  gemeinsame  Verhandlungen 
geführt.  Selbst  die  einzelnen  Gruppen  sind  noch  keine  festen  Bünd- 
nisse. Solche  Gruppen  waren:  die  um  die  Zuidersee,  die  kölnische,  die 
westfälische,  die  hamburg-lübeckische  Gruppe,  die  wendisch-pommersche, 
die  livländische  Gruppe  mit  Riga,  Reval  und  Wisby  und  bald  auch  die 
brandenburg-preufsischen  Städte.  Noch  ist  Lübeck  nicht  Vorort,  aber 
sein  bedeutender  Handel  verleiht  ihm  grofses  Gewicht.  Im  Norden  war 
noch  Wisby  Zentralpunkt  für  den  dortigen  Handel,  bis  seine  Stellung 
auf  D  a  n  z  i  g  überging ;  im  Westen  war  der  grofse  Weltmarkt  in  Brügge, 
wo  die  Kaufleute  die  Erzeugnisse  des  Nordens  zum  Verkaufe  brachten 
und  dagegen  die  Produkte  des  Südens  nach  dem  Norden  führten. 


§  30.    Die  böhmisch-österreichische  Grrofsinacht  unter  Ottokar  II. 

Quellen.  Urkk.  wie  oben  §  17  u.  24.  Dazu  Erben-Ernler,  Regesta  Boh.  et 
Moraviae  I,  II.  Boczek,  Cod.  dipl.  Mov.  IQ,  IV.  Schwind  u.  Dopsch,  Ausgewählte 
Urkk.  zur  Verfassungsgeschichte  Österreichs,  Innsbr.  1895.     Geschichtschreiber: 


l)  Lindner,  S.  49. 


Ottokur  gewinnt  Österreich.     Sein  Krieg-  mit  Ungarn.  137 

Hie  österr.  u.  böhmischen  Annalen  im  IX.  Bd.  der  MM.  Germ.  SS.  Ottokars  österr. 
Heimchronik,  ed.  Seemüller  (Ottokars  Reimchronik  ist  nach  den  Ergebnissen  der  Studien 
Hubers  u.  Bussons  [s.  Potth.  II,  889  u.  Lorenz  I,  242 — 252]  mit  Vorsicht  zu  benutzen). 
Die  böhmischen  Chroniken  auch  in  FF.  rer.  Bohemic,  II.  Ebenso  Dalimils  (tschechische) 
Keimchronik  bis  1314.  Mit  gereimter  und  prosaischer  Übertragung  ebenda  HL 

Hilfsschriften:  O.  Lorenz,  Deutsche  Gesch.  im  XIH.  u.  XIV.  Jahrh.  2  Bde. 
Wien  1864 — 67.  Dazu  Lorenz,  K.  Ottokar  H.  u.  das  Erzbistum  Salzburg  in  Drei  Bücher 
Gesch.  u.  Politik,  S.  409 — 460.  Lorenz,  Österr.  Erwerbung  durch  Ottokar  H.  Z.  f. 
öst.  Gyum.  VHI.  F.  Krone  s,  Die  Herrschaft  K.  Ottokars  in  Steiermark  1252 — 1276. 
MVG.  Steierm.  XXH.  Goll,  K.  Ottokars  von  Böhmen  zweiter  Kreuzzug.  MJÖG. 
XXIH,  231.  Dazu  die  Werke  über  allg.  österr.  u.  böhm.  Gesch.  von  Krones,  Huber, 
M a yer,  über  österr.  Reichsgesch.  von  Luschin,  Huber,  Bachmann,  Werunsky 
u.  Gumplowicz.  Palacky,  Gesch.  Böhmens  H,  Bachmann,  Gesch.  Böhmens  I. 
Dudik,  Gesch.  von  Mähren;  für  die  Beziehungen  zwischen  Böhmen  und  Preufsen 
s.  J.  Goll,  Czechy  a  Prusy.    Prag  1897. 

1.  In  Österreich  und  Steiermark  herrschten  seit  dem  Tode  Herzog 
Friedrichs  des  Streitbaren  anarchische  Zustände.  Der  jugendliche 
Sohn  der  Babenbergerin  Margareta,  dem  Kaiser  Friedrich  IL  beide 
Länder  vermacht  hatte,  folgte  ihm  bald  im  Tode  nach,  und  der  Abzug 
Konrads  IV.  nach  Italien  schwächte  die  staufische  Partei.  Im  Osten 
suchte  sich  Ungarn,  im  Westen  Bayern  festzusetzen.  Schliefslich  knüpften 
auch  König  Wenzel  von  Böhmen  und  sein  Sohn,  der  Markgraf  Ottokar  IL 
von  Mähren,  der  sich  seit  dem  offenkundigen  Niedergang  des  staufischen 
Hauses  ganz  an  die  päpstliche  Partei  angeschlossen  hatte,  mit  den  Grofsen 
Österreichs  Verbindungen  an.  Von  diesen  gerufen  und  der  Unterstützung 
der  Bischöfe  sicher,  nahm  Ottokar  den  Titel  eines  Herzogs  von  Öster- 
reich an  und  besetzte  im  Herbste  1251  das  Land.  Um  seine  Stellung 
zu  befestigen  und  einen  Teil  der  babenbergischen  Allodialgüter  an  sich 
zu  bringen,  heiratete  er  die  alternde  Margareta  und  gewann  Klerus, 
Adel  und  Städte  durch  reiche  Vergabungen,  so  dafs  »es  bald  keinen 
Winkel  mehr  gab,  der  seine  Herrschaft  zurückgewiesen  hätte«.  Nur 
bei  der  Besitznahme  Steiermarks  trat  ihm  König  Bela  IV.  von  Ungarn 
in  den  Weg,  der  schon  1247  seine  Absichten  auf  das  Babenberger 
Erbe  kundgegeben  hatte.  Im  Sommer  1252  begann  er  den  Krieg  in 
Österreich  und  Mähren,  bewog  Gertrud,  die  Witwe  Hermanns  von  Baden 
(s.  §  26),  seinen  Verwandten  Roman  von  Halitsch  zu  heiraten,  und  suchte 
ihre  Erbrechte  an  sich  zu  ziehen.  Doch  gelang  es  Ottokar,  den  gröfsten 
Teil  Steiermarks  zu  besetzen,  während  die  staufische  Partei  durch  den 
Erzbischof  Philipp  von  Salzburg  aus  dem  Felde  geschlagen  wurde.  Im 
folgenden  Jahre  brachte  Bela  eine  starke  Koalition  gegen  Ottokar  zu- 
stande, an  der  Bayern,  die  Fürsten  von  Halitsch,  Krakau  und  Oppeln 
teilnahmen  und  der  sich  selbst  österreichische  und  steirische  Landherren 
anschlössen.  Ottokar  wurde  nicht  einmal  von  seinem  Vater  kräftig 
genug  unterstützt,  dagegen  trat  der  Papst  mit  Nachdruck  für  ihn  ein, 
und  durch  die  Vermittlung  eines  Legaten  wurde  am  3.  April  1254  der 
Vertrag  von  Ofen  geschlossen,  nach  welchem  Ottokar,  der  mittlerweile 
(1253,  22.  September)  die  Regierung  Böhmens  angetreten  hatte,  Öster- 
reich behielt.  Steiermark  fiel  an  Bela  IV.  Doch  mufste  er  Gertrud 
entschädigen  und  zu  Ottokars  Gunsten  auf  Wiener  Neustadt  und  Putten 


138         Steigende  Macht  Ottokars.     Die  Erwerbung  Steiermarks  und  Kärntens. 

im  Osten  und  den  Traungau  im  Westen  verzichten.  So  gelangten  Länder, 
in  denen  bis  vor  kurzem  die  staufische  Partei  die  herrschende  gewesen 
war,  an  nichtdeutsche  Fürsten.  Um  sich  die  Gunst  des  Papstes  zu  er- 
halten und  wohl  auch  im  Interesse  des  in  Österreich  stark  begüterten 
Deutschen  Ordens  trat  Ottokar  seine  später  stark  überschätzte  Heerfahrt 
nach  Preufsen  an  (1254/55).  Bei  der  durch  die  Doppelwahl  von  1257  er- 
folgten neuerlichen  Schwächung  der  Reichsgewalt  hoffte  er.  die  Erwerbung 
Steiermarks  um  so  leichter  durchzusetzen.  Anlafs  hiezu  bot  ein  Streit 
des  Erzbischofs  Philipp  von  Salzburg  mit  dem  Bischof  Ulrich  von  Seckau 
um  den  Salzburger  Erz  stuhl.  Philipp  gewann  hiebei  die  Unter- 
stützung seines  Bruders  Ulrich  von  Kärnten  und  des  ihm  verwandten 
Böhmenkönigs,  wogegen  der  Seckauer  sich  an  Stephan,  den  Sohn  Belas  IV.. 
um  Hilfe  wandte.  Ottokar  verband  sich  mit  dem  der  ungarischen  Herr- 
schaft abgeneigten  steirischen  Adel.  Die  Steirer,  denen  es  nicht  gleich- 
gültig war,  vom  Verbände  des  deutschen  Reiches  losgerissen  zu  sein, 
boten  Ottokar  in  förmlicher  Weise  die  Herrschaft  an,  und  so  wurde 
Steiermark  von  seinen  Scharen  besetzt.  Bela  IV.  machte  im  folgenden 
Jahre  einen  Einfall  nach  Österreich,  erlitt  aber  bei  Kroifsenbrunn  (1260, 
12.  Juli)  eine  Niederlage  und  trat  im  Wiener  Frieden  (1261,  31.  März) 
Steiermark  an  Ottokar  ab.  Im  Besitz  der  babenbergischen  Erbschaft, 
liefs  dieser  nunmehr  seine  Ehe  unter  dem  Vorwand,  dafs  Margareta 
einst  in  Trier  den  Schleier  genommen  und  ein  Jahr  lang  in  Würzburg 
als  Nonne  gelebt  habe,  für  ungültig  erklären  und  heiratete  Kunigunde. 
eine  Enkelin  Belas  IV.  Unter  feierlichem  Gepränge  liefs  er  sich  zu 
Weihnachten  1261  durch  den  Erzbischof  von  Mainz  in  Prag  krönen. 
Margareta  zog  sich  nach  Krummau  zurück  und  starb  dort  1267.  Ottokars 
Macht  wurde  immer  bedeutender.  Während  er  der  Erhebung  des  jugend- 
lichen Konradin  auf  den  deutschen  Thron  (§  32)  mit  Erfolg  entgegentrat, 
näherte  er  sich  dem  König  Richard,  von  dem  er  die  Belehnung  mit 
den  böhmischen  und  österreichischen  Ländern  erhielt1)  und  der  ihm  die 
Verwaltung  der  Reichsgüter  rechts  vom  Rhein  übertrug.  Ottokar  be- 
nutzte dies,  um  die  Erwerbung  von  Eger,  das  vordem  eine  Reichsstadt 
gewesen  und  nun  von  Konradin  in  Besitz  gehalten  wurde,  vorzubereiten. 
Durch  einen  zweiten  Kreuzzug  nach  Preufsen  und  sein  Verhalten  in  der 
Frage  der  deutschen  Königswahl  erwarb  er  den  Dank  der  Kurie2)  und 
durch  sie  Einnufs  auf  die  Besetzung  der  Hochstifter  von  Salzburg  und 
Passau.  Ein  Krieg,  der  hierüber  mit  Bayern  ausbrach,  wurde  durch 
die  Vermittlung  des  päpstlichen  Legaten  beigelegt.  Den  kinderlosen 
Herzog  Ulrich  von  Kärnten  bestimmte  er,  statt  seines  Bruders  Philipp 
ihn  selbst  zum  Erben  einzusetzen,  wogegen  er  diesem  das  Patriarchat 
von  Aquileja  verschaffte.  Als  Ulrich  (1269)  starb,  beanspruchte  Ottokar 
den  Besitz  von  Kärnten  und  des  mit  diesem  verbundenen  Teiles  von 
Krain,  ohne  sich  um  die  Rechte  des  Reiches  oder  jene  Philipps  zu 
kümmern.     Dieser   gewann    zwar   die  Unterstützung  Ungarns,    da  dieses 

x)  Dies  geschah  in  unzulässiger,  weil  brieflicher  Form. 

8)  Dafs  I7rban  IV.  dein  Könige  die  Oberhoheit  über  die  Länder  der  Ruthenen 
und  Litauer  verschaffen  wollte,  s.  bei  Goll,  S.  236  ff. 


Die  Machtstellung  Ottokars.    Wachstum  d.  deutschen  Einflusses  in  Böhmen.      139 

aber  zu  einem  Kriege  nicht  gerüstet  war,  kam  es  zu  einem  Waffenstill- 
stand, während  dessen  sich  Ottokar  die  Anerkennung  in  Kärnten  und 
Krain  sicherte.  Stephan  V.  begann  trotzdem  den  Kampf,  sah  sich  aber 
bald  zu  einem  Friedensschlufs  genötigt,  der  dem  böhmischen  König  den 
Besitz  der  neuen  Erwerbungen  sicherte.  Nach  dem  Tode  Stephans 
suchte  Ottokar  selbst  auf  die  Verhältnisse  Ungarns  Einflufs  zu  gewinnen, 
und  schliefslich  mufste  Philipp  von  Aquileja  auf  seine  Erbansprüche 
verzichten;  ja  das  Kapitel  von  Aquileja  und  der  friaulische  Adel  stellten 
sich  unter  böhmischen  Schutz.  Jetzt  (1272)  stand  Ottokars  Macht  auf 
ihrer  Höhe.  Sein  Reich  dehnte  sich  fast  über  den  ganzen  Osten  Deutsch- 
lands aus :  vom  Erz-  und  Riesengebirge  bis  zur  Adria  reichend,  schlofs 
es  den  gröfsten  Teil  des  heutigen  Osterreich  diesseits  der  Leitha  in  sich. 
Von  den  Zeitgenossen  nannten  die  einen  den  böhmischen  König  seines 
Reichtums  wegen  den  »Goldenen«1),  die  andern  wegen  seiner  mili- 
tärischen Machtmittel  den  »Eisernen«.  Völker  verschiedener  Zunge  hat 
er  mit  Klugheit  regiert  und  für  alle  seine  Länder  zeitgemäfse  Einrich- 
tungen getroffen.  Mufste  er  anfangs  den  Grofsen  seiner  Erbländer  gegen- 
über nachsichtig  sein,  so  brachte  er  seit  seinen  grofsen  Landerwerbungen 
seine  landesherrliche  Macht  kräftig  zur  Geltung.  In  den  neu  erworbenen 
Ländern  Österreich  und  Steiermark  liefs  er  Verzeichnisse  über  die  Rechte 
und  das  Einkommen  der  Landesfürsten  anlegen.  Mehr  als  auf  den 
Adel  stützte  er  sich  auf  den  Klerus  und  die  Bürgerschaften,  die  er  in 
jeder  Weise  förderte,  und  unter  denen  er  auch  die  eifrigsten  Anhänger 
fand.  Gleich  seinem  Grofsvater  und  Vater  ein  eifriger  Förderer  der 
deutschen  Kolonisation,  zog  er  einen  Strom  deutscher  Auswanderer: 
Bauern,  Bergleute  und  Bürger  über  den  »Grenzwald«  nach  Böhmen. 
Bayern,  Franken  und  Sachsen  liefsen  sich  an  den  Abhängen  des  Böhmer- 
waldes, des  Erz-  und  Riesengebirges  nieder.  Wälder  wurden  gerodet 
und  in  ergiebiges  Ackerland  umgewandelt,  mehr  als  dreifsig  Städte,  zahl- 
reiche Märkte  und  Dörfer  gegründet,  in  denen  Deutsche  nach  eigenem 
Rechte  lebten.  Schon  bestehende  Städte  und  Märkte  erhielten  deutsches 
Recht.  Dem  Beispiel  des  Königs  folgten  die  oberen  Schichten  der  Be- 
völkerung: der  Klerus,  vor  allem  der  staatskluge  Berater  des  Königs, 
Bischof  Bruno  von  Olmütz,  dann  die  Klöster  des  Landes,  die  Mittel- 
punkte der  deutschen  Kolonisation,  endlich  auch  der  Adel.2)  Auch  auf 
geistigem  Gebiete  wurde  der  deutsche  Einflufs  in  Böhmen  der  herrschende, 
und  diese  Richtung  war  unter  Ottokar  IL  eine  so  starke,  dafs  einheimische 
Chronisten  ihrem  Unmut  hierüber  offenen  Ausdruck  geben,  während 
umgekehrt  deutsche  Geschichtschreiber  und  Dichter  diesen  König  als 
den  Förderer  deutscher  Art  priesen. 


*)  Das  jährliche  Einkommen  des  Königs  ward  auf  100000  Mark  berechnet.  Im 
Vergleich  dazu:  Sachsen  2000,  Bayern -Pfalz  20000,  Brandenburg  50000,  Riga  1000, 
Magdeburg  4000,  Bremen  5000,  Salzburg  20000,  Trier  3000,  Mainz  7000  und  Köln 
50000  Mark. 

2)  Die  Literatur  über  die  deutsche  Kolonisation  in  Böhmen  und  Mähren,  s.  b.  Bach- 
mann I,  470. 


140  Die  Anfänge  Manfreds. 

§  31.  Das  Papsttum  und  die  sizilische  Frage  seit  dem  Tode  tourads  IV. 
König  Xanfred  und  Karl  von  Anjou. 

Quellen:  Von  den  erzählenden  sind  die  wichtigsten  schon  in  §§  21,  23,  25  u.  28 
genannt;  dazu  Saba  Malaspina,  Herum  Sicularum  libri  sex  1250 — 1276.  Murat.  YIII. 
Bartholomaeus  de  Xeocastro,  Historia  Sicula  a  rnorte  Friderici  II  bis  1294.  Murat.  XIII. 
Thomas  Tuscus,  Gesta  imperatorum  et  pontificum  bis  1278.  Böhm.  IV,  609.  MM.  G. 
SS.  XXII.  Epist.  Conrad!  Dominic.  Panorm.  seu  brev.  chronica  bis  1283.  Murat.  I. 
Andreas  Ungarns,  Descript.  victoriae  a  Karolo  Prov.  comite  reportatae  1245 — 1247.  MM. 
Germ.  SS.  XXYT,  560 — 580.  Chron.  Mantuanum,  ib.  19  ff.  Adam  de  la  Hall,  Chanson  du 
roi  de  Sicile,  Bouchon.  Coli.  VTL  Von  späteren :  Giov.  Villani,  lib.  VJJJL,  cap.  I.  Zur  Gesch. 
der  Päpste,  s.  Fragments  du  dernier  registre  d' Alexandre  IV,  ed.  L.  Delisle.  B.  E.  Ch. 
XXXVm.  Les  Eegistres  d' Alexandre  IV,  ed.  p.  Bourel  de  la  Ronciere,  J.  de  Loye  et 
A.  Coulon.  Paris  1902.  Registr.  Urbani  IV,  ed  Baumgarten.  R.  Quart. -Seh.  III.  Dorez 
et  Guiraud,  Les  Registr.  d'Urbain  IV.  Paris  1899.  Theiner,  wie  oben.  S.  Potth.,  Regg. 
pontiff.  LT.  Die  Biographien  der  Päpste  Alex.  IV.  u.  Urban  IV.  bei  Muratori  m.  Briefe 
Urbans  IV.  in  Martene  Thes.  II  u.  MM.  Germ.  Epp.  EI. 

Hilfsschriften:  B.  Capasso,  Historia  diplom.  regni  Siciliae  1250 — 1260, 
Xapoli  1874.  Raumer  IV,  Schirrmacher,  Die  letzten  Hohenstaufen.  Gott.  1871.  Dazu 
Scheffer-Boichorst.  HZ.  28,  431 — 440.  Karst,  Gesch.  Manfreds  bis  zu  seiner  Krönung. 
Berlin  1897  (enthält  S.  XI— XIV  ein  Verz.  von  Quellen  u.  Hilfsmitteln  für  die  Gesch. 
Manfreds  von  1250 — 1258).  Freidhof,  Die  Städte  Tusciens  zur  Zeit  Manfreds.  Lyc. 
Progr.  Metz  1879.  Fahrenbruch,  Zur  Gesch.  Manfreds.  Diss.  Strafsburg  1880. 
C  e  s  a  r  e  ,  Storia  di  Manfredi.  Xapoli  1837.  Merkel,  Storia  di  Manfredi  I.  e  Manfredi  LI. 
Lancia.  Turin  1886.  Del  Giudice,  Rice.  Filangieri  sotto  il  regno  di  Federigo,  di 
Corrado  et  di  Manfredi.  Xap.  1893.  La  famiglia  di  re  Manfredo.  Arch.  Xap.  IV,  3.  1879. 
La  f.  d.  r.  M.  Narr,  storica,  2.  ed.  Xap.  1896.  J.  Ficker,  König  Manfreds  Söhne. 
MJÖG.  IV,  1.  Busson,  Friedrich,  Manfreds  Sohn  in  Tirol,  ebenda  XTU.  Stern- 
feld, Karl  v.  Anjou,  wie  oben.  Joubert,  L'etablissement  de  la  maison  d' Anjou 
dans  le  royaume  de  Xaples.  1887.  Merkel,  L'opinione  dei  contemporanei  sull'  impresa 
italiana  di  Carlo  I.  d'Angiö  in  d.  Mem.  de  l'Acad.  dei  Lincei.  1889.  Derselbe,  Un 
quarto  di  secolo  di  vita  communale  e  le  origini  di  dominazione  Angoina  in  Piemont. 
M.  Ac.  Tor.  XLII.  Meomartini,  La  battaglia  di  Benevento.  Ben.  1895.  S*  Priest, 
Histoire  de  la  conquete  de  Xaples  p.  Ch.  d' Anjou.  Paris  1849.  Cadier,  Essai  sur 
l'administration  du  royaume  de  Sicile  sous  Charles  le  et  H  d' Anjou.  Paris  1891.  Cherrier, 
Hist.  de  la  lutte,  wie  oben.  Hampe,  Gesch.  Konradins,  wie  oben.  Rodenberg, 
Innozenz  IV.  u.  das  Königreich  Sizilien.  Halle  1892.  Doeberl,  Bertold  von  Hohen- 
burg.  DZG.  XU.  O.Hartwig,  Florentiner  Geschichte  1250—1292.  DZG.  I,  12—48, 
n,  38,  IV,  70  ff.,  241  ff .  Sievert,  Das  Vorleben  des  Papstes  Urban  IV.  Rom.  Quartal- 
schrift X.  Georges,  Hist.  du  pape  Urban  IV.  Paris  1865.  Die  allg.  Werke,  wie 
Gregorovius  etc.,  s.  oben. 

1.  Konrad  IV.  hatte  während  der  letzten  Jahre  seinen  Halbbruder, 
den  bei  den  Italienern  beliebten  Manfred  beiseite  geschoben  und  die 
Reichsverweserschaft  nicht  ihm,  sondern  dem  Markgrafen  Bertold  von 
Hohenburg,  einem  Verwandten  seiner  Gemahlin,  übergeben,  der  den  Papst 
zur  Anerkennung  Konradins  zu  bewegen  versuchte;  Innozenz  IV.  ge- 
willt, Sizilien  unmittelbar  in  Besitz  zu  nehmen,  behielt  sich  die  Prüfung 
der  Ansprüche  Konradins  für  die  Zukunft  bevor.  Wie  1198  wurde  auch 
jetzt  das  Nationalgefühl  der  Italiener  gegen  die  Deutschen  erregt  und 
ein  Heer  zur  Unterwerfung  Siziliens  ausgerüstet.  Die  nationale  Oppo- 
sition, die  Guelfen  und  die  Anhänger  Manfreds  zwangen  Bertold,  von 
der  Regentschaft  zurückzutreten.  Die  Grofsen  Siziliens  verpflichteten 
sich  auf  einem  zu  S.  Gerrnano  abgehaltenen  Tage,  falls  Konradin  lebe, 
Manfred  als  Reichsverweser,  falls  er  aber  tot  sei,  als  König  anzuerkennen^ 


Das  Ende  Innozenz'  IV.     Das  Königtum  Manfreds.  141 

Auch  Manfred  suchte  nun  um  die  Anerkennung  des  Papstes  nach,  dieser 
sprach  jedoch  den  Bann  über  ihn  aus  und  liefs  ein  Heer  in  Unteritalien  ein- 
rücken, worauf  sich  Manfred  bereit  erklärte,  dem  Papst  unter  Vorbehalt 
der  Rechte  Konradins  und  seiner  eigenen,  den  Besitz  Siziliens  zu  über- 
lassen; dafür  wurde  er  vom  Banne  gelöst  und  zum  Vikar  im  König- 
reiche eingesetzt.  Konradin  erhielt  die  Anerkennung  als  Herzog  von 
Schwaben  und  König  von  Jerusalem.  Die  Bewohner  Siziliens  mufsten 
dem  Papst  den  Treueid  leisten,  doch  wurde  in  die  Formel  die  Klausel 
eingefügt:  Mit  Vorbehalt  der  Rechte  des  Knaben  Konrad.  Von  einer 
Übernahme  der  Vormundschaft  des  Papstes  über  ihn  war  nicht  mehr 
die  Rede.  So  schien  die  Kurie  alle  ihre  Absichten  erreicht  zu  haben. 
Im  Oktober  1254  betrat  Innozenz  IV.  bei  Ceperano  das  Königreich. 
Manfred  führte  des  Papstes  Zelter  und  leistete  den  Treueid.  Am 
27.  Oktober  hielt  Innozenz  IV.  seinen  Einzug  in  Neapel.  Erst  jetzt 
trat  sein  Plan  einer  völligen  Annexion  Neapels  zutage.  Daher  wandte 
sich  Manfred  von  ihm  ab,  bemächtigte  sich  der  Festung  Luceria  und 
der  daselbst  von  Friedrich  IL  und  Konrad  IV.  angehäuften  Geld-  und 
Kriegsmittel  und  wurde  von  den  Sarazenen,  denen  eine  Unterwerfung 
unter  den  Papst  unerwünscht  war,  als  Herr  begrüfst.  Der  Sieg  bei 
Foggia  (2.  Dezember)  über  die  päpstlichen  Truppen  vernichtete  die 
Hoffnungen  des  Papstes  auf  den  Besitz  Siziliens.  Fünf  Tage  später  starb 
er  zu  Neapel  im  Hause  des  Petrus  de  Vinea. 

2.  Noch  unter  dem  Eindruck  von  Manfreds  Erfolgen  schritten  die 
Kardinäle  zur  Neuwahl.  Sie  fiel  auf  Rainald,  einen  Neffen  Gregors  IX., 
der  nun  als  Alexander  IV.  (1254 — 1261)  den  päpstlichen  Stuhl  bestieg. 
Trotz  seiner  friedlichen  Gesinnung  behielt  er  in  der  sizilischen  Frage  die 
Politik  seines  Vorgängers  bei.  Sowohl  Manfred  als  die  Kurie  traten  mit 
Konradin  in  Verbindung,  Manfred,  um  seine  Stellung  zu  sichern,  denn 
sein  Erbrecht  mufste  mit  dem  Konradins  fallen,  die  Kurie,  um  diesen 
gegen  Manfred  zu  gebrauchen.  Um  auf  Konradins  Vormund,  Ludwig 
von  Bayern,  einen  Druck  auszuüben,  unterstützte  sie  Alfons'  X.  An- 
sprüche auf  Schwaben;  Ludwig  erkannte  indes  Manfred  als  Reichs- 
verweser an  (1255,  20.  April),  der  allmählich  das  ganze  Königreich  er- 
oberte und,  um  seine  Herrschaft  zu  sichern,  mit  einzelnen  Städten  Mittel- 
und  Oberitaliens  Verbindungen  anknüpfte  und  dann  den  letzten  Schritt 
zur  Aufrichtung  seines  Königtums  tat.  Er  liefs  nämlich  Nachrichten 
vom  Tod  Konradins  verbreiten  und  Exequien  für  ihn  halten,  worauf  er  von 
den  Grofsen  (am  10.  August  1258)  zum  König  erwählt  und  in  der 
Kathedrale  zu  Palermo  gekrönt  wurde.  Da  Manfreds  Usurpation  den 
nationalen  Interessen  Siziliens  entsprach,  erhob  sich  gegen  sie  selbst 
dann  kein  Widerspruch,  als  sich  die  Nachricht  von  Konradins  Tod  als 
eine  falsche  herausstellte.  War  Manfreds  Herrschaft  für  Sizilien  ein 
Glück,  da  nun  wieder  Ruhe  und  Ordnung  daselbst  einkehrten,  so  war 
er  doch  viel  zu  sehr  Staufer,  als  dafs  er  nicht  den  Versuch  gemacht 
hätte,  Italien  unter  ein  einziges  Haupt  zu  bringen  und  zum  Mittelpunkt 
des  Kaisertums  zu  machen.  Er  griff  in  die  Verhältnisse  Mittel-  und 
Oberitaliens  ein  und  gewann  trotz  der  Erneuerung  des  Bannfluches  selbst 


442  Die  Schlacht  von  Montaperto.     Manfred  und  das  Papsttum. 

in  Rom  Einflufs.  Die  Ghibellinen  Toskanas  sahen  in  ihm  ihr  Oberhaupt, 
und  Siena  leistete  ihm  den  Eid  der  Treue  (1259).  Von  den  alten  Stützen 
der  staunsehen  Herrschaft  hielt  sich  nur  Ezzelin  fern,  aber  die  Macht 
seines  Hauses  brach  noch  in  demselben  Jahre  zusammen.  Schon  zeigte 
es  sich,  dafs  die  Weifen  in  Italien  nicht  das  Übergewicht  hatten.  Flo- 
rentiner Ghibellinen  hatten,  aus  ihrer  Vaterstadt  vertrieben,  von  Siena 
und  Manfred  Hilfe  erhalten.  Am  4.  September  1260  kam  es  bei  Mont- 
aperto zur  Schlacht.  Die  "Weifen  wurden  geschlagen,  und  die  Ghibellinen 
hielten  nun  ihren  Einzug  in  Florenz.  Ganz  Tuscien  bis  auf  Lucca  und 
Arezzo  erklärte  sich  für  Manfred.  In  so  seltsamer  Weise  hatten  sich 
die  Dinge  verschoben,  dafs  sich  die  Weifen  an  Konradin  wandten,  er 
möge  in  Italien  erscheinen  und  sein  Reich  seinem  ungetreuen  Statt- 
halter abnehmen. 1)  Der  päpstliche  Hof  geriet  in  die  gröfste  Sorge. 
Über  Siena,  die  Florentiner  Ghibellinen  und  alle  Anhänger  Manfreds 
wurde  der  Bann  verhängt.  Dagegen  schlössen  die  bedeutendsten  Städte 
Toskanas  (1261,  28.  Mai)  ihren  grofsen  Ghibellinenbund,  dem  auch  Man- 
fred beitrat.  Kurz  zuvor  hatte  ein  Teil  der  Römer  ihn,  eine  Gegenpartei 
König  Richard  zum  Senator  gewählt.  Von  Kummer  gebeugt,  starb 
Alexander  IV.  am  25.  Mai  1261.  Da  sich  die  Kardinäle  über  die  Wahl 
eines  Kollegen  nicht  einigen  konnten,  wurde  am  29.  August  1261  Jakob 
von  Troyes  gewählt,  ein  Mann  von  niederer  Herkunft,  der  sich  durch 
seine  Talente  bis  zum  Patriarchen  von  Jerusalem  emporgeschwungen 
hatte.  Die  Wahl  dieses  Franzosen  —  er  nannte  sich  Urban  IV. 
(1261 — 1264)  —  war  für  das  Papsttum  verhängnisvoll,  denn  er  lenkte 
die  päpstliche  Politik  vollends  in  jene  französische  Richtung,  die  zu 
ihrer  Knechtung  durch  das  französische  Königtum  geführt  hat.  Von 
den  14  Kardinälen,  die  er  binnen  einem  halben  Jahre  ernannte,  waren 
nicht  weniger  als  8  Franzosen.  Von  französischer  Gesinnung  erfüllt, 
war  er  entschlossen.  Sizilien  den  Staufern  zu  entreifsen  und  an  einen 
französischen  Prinzen  zu  geben. 

2.  Eben  jetzt  stand  Manfred  auf  der  Höhe  seiner  Macht.  Sizilien 
erfreute  sich  unter  seiner  Fürsorge  tiefen  Friedens.  Aufstände,  wie  die 
der  falschen  Friedriche  (1261)  dienten  nur  dazu,  seine  Macht  zu  er- 
höhen. Wie  einst  sein  Vater,  sorgte  er  nicht  nur  für  die  materiellen, 
sondern  auch  für  die  geistigen  Interessen  seines  Landes.  Sein  Hof  war 
der  glänzendste  seiner  Zeit;  mit  dem  sizilischen  Königshause  ver- 
schwägert zu  sein,  galt  bei  auswärtigen  Fürsten  als  besondere  Ehre. 
Nach  dem  Tode  seiner  ersten  Gemahlin  Beatrix  vermählte  er  sich  mit 
Helene,  der  Tochter  Michaels  von  Epirus.  Seine  Tochter  Konstanze  gab 
er  Peter,  dem  Sohne  König  Jakobs  von  Aragonien,  zur  Ehe.  An  Man- 
fred wandte  sich  der  vertriebene  Kaiser  Balduin  II.  von  Konstantinopel, 
und  selbst  Ludwig  IX.  wirkte  anfänglich  mehr  in  Manfreds  als  im 
Interesse  seines  eigenen  Bruders  Karl  von  Anjou.  Von  dessen  Seite 
wurde  das  staufische  Königtum  erst  ernstlich  bedroht,  als  die  Kurie, 
nachdem  sich   die  Verhandlungen   mit  Manfred   zerschlagen   hatten,    die 


l)  BFW.  4720,  4778. 


Die  Anfänge  Karls  von  Anjou.     Sein  Vertrag  mit  dem  Papsttum.  143 

französische    Kandidatur    für    den    sizilischen    Thron    ernstlich    wieder 
aufnahm. 

3.  Karl  von  Anjou1),  als  jüngster  Sohn  Ludwigs  VIII.  1226  ge- 
boren, der  Liebling  seiner  Mutter  Blanka,  zeigte  in  seiner  Jugend  nicht 
jene  düstere  Verschlossenheit,  die  ihm  später  eigen  war.  Ein  Freund 
der  Sänger  und  Dichter,  hat  er  sich  bei  Gelegenheit  selbst  als  Dichter 
versucht.  Durch  seine  Gemahlin  erwarb  er  die  noch  zum  deutschen 
Reich  gehörigen  Grafschaften  Provence  und  Forcalquier,  ein  Gebiet,  das 
ihm  wichtiger  war  als  Anjou,  da  er  dort  nicht  wie  hier  von  seinem 
Bruder  abhängig  war.  Auf  dem  Kreuzzug  Ludwigs  IX.  erwarb  er  hohen 
Ruhm,  und  nach  seiner  Heimkehr  erlangte  er  bei  der  Ohnmacht  der 
Nachfolger  Friedrichs  IL  und  der  Bedrängnis  des  Papsttums  Einflufs 
auf  Arles,  Avignon  und  Marseille.  Nachdem  das  erste  Angebot  der 
sizilischen  Krone  erfolglos  geblieben,  suchte  er  als  Bundesgenosse  Mar- 
garetas  von  Flandern  in  deren  Kämpfen  mit  König  Wilhelm  in  Henne- 
gau  festen  Fufs  zu  fassen.  Ein  Aufstand  in  Marseille  gab  ihm  den  Anlafs, 
diese  noch  zum  deutschen  Reich  gehörige  Stadt  zu  erwerben.  Die  Streitig- 
keiten der  Dynasten  und  Kommunen  Oberitaliens  boten  ihm  Gelegenheit 
zur  Einmischung.  Vor  allein  bediente  er  sich  der  in  ihrer  kriegerischen 
Kraft  erstarkten  Kommunen  in  Piemont,  das  allmählich  der  Stützpunkt 
seiner  Unternehmungen  diesseits  der  Alpen  wurde.  Als  Ludwig  IX.  die 
sizilische  Krone,  die  ihm  Urban  IV.  für  seinen  jüngeren  Sohn  antrug, 
zurückwies,  tauchte  die  Kandidatur  des  Angiovinen  wieder  auf.  Aller- 
dings waren  die  Bedingungen,  unter  denen  er  Sizilien  erwerben  sollte, 
drückend,  denn  ein  grofser  Teil  sollte  davon  losgelöst  werden,  er  mufste 
sich  verpflichten,  weder  das  deutsche  Königtum  noch  Oberitalien  oder 
Tuscien  oder  endlich  ein  Amt  in  Rom  anzunehmen.  Nachdem  der  Papst 
den  früheren  Vertrag  mit  England  für  ungültig  erklärt  hatte,  trat  noch 
ein  Ereignis  ein,  durch  welches  das  ganze  Unternehmen  in  Frage  ge- 
stellt wurde.  Karl  wurde  nämlich  vom  römischen  Volk  zum  Senator 
gewählt.  Falls  er  jetzt  auch  noch  in  den  Besitz  Siziliens  kam,  war  der 
Papst  in  seiner  Machtstellung  bedroht;  trotzdem  sah  sich  Urban  IV. 
angesichts  der  Erfolge  Manfreds  gezwungen,  Zugeständnisse  zu  machen : 
Karl  erhielt  die  Senatorswürde  zwar  nur  für  die  Zeit,  als  es  den  Papst 
gutdünken  würde,  er  benutzte  sie  aber,  um  seine  Vorbereitungen  für  das 
italienische  Unternehmen  zu  treffen,  zugleich  auch  als  Mittel,  die  For- 
derungen des  Papstes  herabzudrücken.  Ein  Vikar  ergriff  1264  in  seinem 
Namen  Besitz  von  dem  Kapitol,  und  Rom  wurde  nun  der  Sammelplatz 
aller  Gegner  Manfreds.  Urban  IV.  starb,  ohne  die  Erhebung  Karls  er- 
lebt zu  haben  (1264,  2.  Oktober).  Klemens  IV.  (1265—1268)  führte  als 
einstiger  Berater  Ludwigs  IX.  und  Freund  Karls  das  Werk  seines  Vor- 
gängers zu  Ende.  Im  April  1265  wurde  zu  Aix  der  Vertrag  geschlossen, 
der  das  staufische  Haus  seines  Besitzes  beraubte,  Karl  trat,  umgeben 
von   den   Grofsen   der  Provence,   mit   seiner  Gemahlin   auf   den   Balkon 


*)  S.  seine  Charakteristik  bei  Hampe,  Konradin  112/13.  Vgl.  Salimbene  355  und 
G.  Villani  VII,    1. 


144  Die  Belehuung  Karls.     Die  Schlacht  von  Benevent.     Manfreds  Tod. 

seines  Palastes.  Von  dort  aus  rief  der  Legat  der  versammelten  Menge 
zu,  dafs  der  hl.  Vater  dem  Grafen  das  Königreich  übergeben  habe. 
Zahlreiche  Barone  nahmen  nun  das  Kreuz  gegen  Manfred.  Ein  Kreuz- 
zugszehent  wurde  ausgeschrieben  und  ein  Anlehen  aufgenommen.  Karls 
Gemahlin  versetzte  ihre  Juwelen.  König  Manfred  hatte  sich  indes  wohl 
vorgesehen.  Den  Landweg  schützten  Pallavicini  und  die  übrigen  Häupter 
der  Ghibellinen,  den  Seeweg  sollte  eine  pisanisch-sizilische  Flotte  ver- 
sperren. Karl  entschlols  sich,  während  sein  Heer  in  der  Provence 
zurückblieb,  für  den  Seeweg.  Vom  Glück  begünstigt,  entkam  er  der 
feindlichen  Flotte  und  hielt  am  23.  Mai  seinen  Einzug  in  Rom.  Am 
21.  Juni  wurde  er  mit  den  Insignien  des  Senators  bekleidet  und  7  Tage 
später  mit  Sizilien  belehnt.  Doch  mufste  er  auf  Benevent  verzichten, 
sich  zur  Zahlung  eines  jährlichen  Tributs  und  Erstattung  der  erhaltenen 
Vorschüsse  verpflichten  und  versprechen,  nach  der  Eroberung  Apuliens 
das  Amt  des  Senators  niederzulegen.  Das  französisch-provenzalische 
Heer  stieg  im  Juni  über  die  Savoyer  Alpen.  Verträge  mit  Montferrat, 
Este  und  mehreren  Häuptern  der  Weifen,  nicht  minder  auch  Verrat  auf 
ghibellinischer  Seite,  hatten  ihm  die  Wege  geebnet;  in  erschöpftem  Zu- 
stand traf  es  zu  Weihnachten  in  Rom  ein.  Am  6.  Januar  1266  wurde 
Karl  samt  seiner  Gemahlin  gekrönt,  Not  und  Mangel  trieben  ihn,  so- 
bald als  möglich  an  den  Feind  zu  gelangen.  Am  20.  Januar  brach 
er  gegen  Manfred  auf,  der  in  Capua  weilte.  Beide  Gegner  brannten  vor 
Kampfbegier.  Die  Schlacht  fand  bei  Benevent  am  26.  Februar  statt. 
Karl  erfocht  nach  hartem  Ringen,  unterstützt  durch  den  Verrat  der 
Grafen  von  Caserta  und  Acerra,  den  Sieg.  Manfred  wurde  erschlagen. 
Erst  am  dritten  Tage  fand  man  die  der  Rüstung  beraubte,  von  Wunden 
entstellte  Leiche.  Karl  liels  sie  ehrenvoll,  wenn  auch  ohne  den  Segen 
der  Kirche,  an  der  Brücke  des  Calore  bestatten.  Französische  Ritter 
trugen,  den  Helden  zu  ehren,  jeder  einen  Stein  herzu  und  setzten  ihm 
ein  Denkmal.  Aber  der  fanatische  Eifer  des  Erzbischofs  von  Cosenza 
duldete  kein  Begräbnis  auf  dem  der  Kirche  gehörenden  Boden.  Darum 
wurde  die  Leiche  aus  der  Erde  gerissen  und  an  Latiums  Grenze  am 
Ufer  des  Verde  eingescharrt.  Grauenhaft  war  das  Schicksal  der  Familie 
Manfreds.  Seine  Witwe  starb  nach  fünf-,  die  Tochter  nach  achtzehn- 
jähriger Kerkerhaft;  die  drei  natürlichen  Söhne,  Heinrich,  Friedrich  und 
Anseimus,  wurden  in  ihrem  Gefängnis  zu  Sta  Maria  del  Monte  in  Terra 
di  Bari  so  hart  behandelt,  dafs  König  Karl  selbst  1298  einschreiten 
mufste.  Sie  kamen  dann  ins  Kastell  dell'  Uovo  zu  Neapel.  Von  den 
dreien  starb  der  älteste,  erblindet  und  entkräftet,  erst  nach  mehr  als 
fünfzigjährigen  Kerkerqualen.  Dem  zweiten,  Friedrich,  gelang  es.  zu  ent- 
kommen. Er  zog  als  Bettler  an  den  Höfen  Europas  umher  und  starb 
nach  wechselvollen  Schicksalen  in  Ägypten,  wo  ihm  der  Sultan  eine  Zu- 
fluchtsstätte gewährte.  Mit  ähnlicher  Härte  wurden  die  übrigen  Ver- 
wandten behandelt.  Karl  hielt  einen  triumphierenden  Einzug  in  Neapel. 
Er  bedeutete  den  Sieg  des  französischen  über  das  deutsche  Element  auf 
italienischem  Boden.  Aufserordentlich  reich  war  die  Beute  des  Siegers. 
Zwei  schwere  goldene  Kandelaber  und  den  mit  Perlen  verzierten  Thron 


Der  Ausgang  des  staufischen  Hauses.  145 

Friedrichs  IL  sandte  er  an  den  Papst.  Die  Sarazenen  Lucerias  über- 
gaben die  dort  angehäuften  Schätze.  Die  Furcht  vor  dem  Sieger  lähmte 
jeden  Widerstand.  Die  Städte  leisteten  die  Huldigung,  und  die  Anhänger 
Manfreds  in  Ober-  und  Mittelitalien  beeilten  sich,  Frieden  mit  der  Kirche 
_  zu  machen. 


§  32.    Konradin  yon  Schwaben  und  der  Ausgang  des  staufischen 

Hauses. 

Quellen  wie  oben.  Dazu:  Pietro  da  Pretio,  Adhortatio.  Ausg.  bei  Capasso  110. 
Über  die  Quellen  7Air  Schlacht  bei  Tagliacozzo  s.  Busson  DZG.  IV  u.  Koloff  in  d.  N. 
Jbb.  Ph.  XI,  Xu.  Es  sind:  die  Annales  Plac.  Gibeil.,  S.  Justine  Pat,  Saba  Malaspina, 
Salinibene,  Ptolem.  Luc,  Riccobaldus  Ferrariensis,  Fereto  v.  ATicenza,  Giov.  Villani, 
Annales  clerici  (ut  videtur)  Parisiensis,  Hist.  regum  Franc,  contin ,  Chronicon  Hanon.  u. 
Primat.  Ein  gutes  Verzeichnis  der  Hilfsschriften  in  Hampe,  Gesch.  Konradins  v. 
Hohenstaufen,  S.  369—375.  Busson,  Z.  Gesch.  Konradins.  Forsch.  XI,  XIV.  Miller, 
Konr.  v.  Hohenst.  Berl.  1897.  Ficker,  Konradins  Marsch  zum  palent.  Feld  u.  Die 
Operationen  Karls  von  Anjou.  MJÖG.  II,  IV.  Köhler,  Die  Operationen  Karls  v.  A. 
vor  der  Schlacht  bei  Tagliacozzo,  ebenda  IV.  Köhler,  Zur  Schlacht  von  Tagliacozzo. 
Bresl.  1884.  Köhler,  Die  Entwicklung  des  Kriegswesens.  Bresl.  1886 — 93.  Erg.-Heft. 
A.  Busson,  Die  Schlacht  bei  Alba.  DZG.  IV  (dort  die  Rhythmi  de  victoria  Karoli). 
Sackur,  Z.  Vorgesch.  d.  Schi.  v.  Albe.  HZ.  75  u.  76.  Jetzt  vornehmlich  G.  Rolof  f, 
Die  Schlacht  bei  Tagliacozzo  (mit  einer  Kartenskizze).  X.  Jbb.  Ph.  XI,  31 — 54. 
Roloff  hält  die  bisherigen  Darstellungen  der  Schlacht  für  eine  Art  Roman.  Delpech, 
La  tactique  au  moyen-äge.  Paris  1886.  2  Bde.  Del  Giudice,  II  giudizio  e  la  con- 
danna  di  Corradino.  Xap.  1876.  O.  Hartwig,  D.  Verirrt.  Ks.  Im  Neuen  Reich.  1872. 
Brayda,  La  Responsabilitä  di  Clemente  IV  e  di  Carlo  I  d'Anjou  nella  morte  di 
Corradino  di  Suevia.  Napoli  1900.  D  u  r  r  i  e  u ,  Les  Francais  dans  le  royaume  de  Xaples 
sous  le  regne  de  Charles  Ie  dans  Les  archives  angevines  de  Xaples  H.  1886.  Joubert, 
wie  oben.     Wegele,  Friedrich  d.  Freidige.     Xördl.  1870. 

1.  Die  Kunde  von  der  Schlacht  bei  Benevent  rief  den  legitimen 
Sprossen  des  staufischen  Hauses  zur  Verteidigung  seines  Erbrechtes  in 
die  Schranken.  Konradin  —  wie  die  Italiener  ihn  nicht  ohne  Anflug 
verächtlichen  Spottes  nannten,  er  selbst  nennt  sich  in  den  Urkunden 
stets  Konrad  —  erfuhr  schon  in  zarter  Jugend  die  mannigfachsten 
Schicksalsschläge.  Sein  Verhängnis  war  der  unauslöschliche  Hafs  der 
Kurie  gegen  sein  Haus.  Schon  der  Versuch  deutscher  Fürsten,  ihm 
das  deutsche  Königtum'  zu  verschaffen,  weckte  den  Widerspruch  des 
Papstes.  Verlor  er  Sizilien  durch  den  eigenen  Oheim,  so  wurde  ihm 
auch  sein  schwäbisches  Herzogtum  durch  die  kastilische  Verwandtschaft 
bestritten  und  sein  Erbgut  von  den  Grofsen  Schwabens  als  gute,  Beute 
betrachtet.  Seine  Mutter  Elisabeth  vermählte  sich  (1259)  in  zweiter  Ehe 
mit  dem  Grafen  Meinhard  von  Görz-Tirol.  Nach  dem  Sieg  der  Ghibel- 
linen  bei  Florenz  liefsen  sich  Stimmen  vernehmen,  die  ihn  nach  Italien 
riefen.  Bisher  am  Hofe  seines  bayrischen  Oheims  Ludwig  erzogen, 
übernahm  er  mit  zehn  Jahren  formell  die  Regierung  von  Schwaben, 
stand  aber  in  der  Pflege  Bischof  Eberhards  von  Konstanz.  Grofsen 
Einflufs  auf  ihn  gewannen  aufser  dem  Abt  Bertold  von  St.  Gallen 
einige    Reichsministerialen,     deren     unternehmungslustiger    Sinn     seine 

Loserth,  Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  10 


146  Konradin  von  Schwaben. 

Neigungen  beeinflufste. l)    Auch  seine  zweite  Kandidatur  für  den  deutschen 

Thron  (1262)  wurde  durch  die  Kurie  vereitelt.  Dagegen  traten  die 
italienischen  Pläne  in  den  Vordergrund.  Nach  Manfreds  Tode  trafen 
ihn  die  Hilfegesuche  der  Ghibellinen.  Die  Aussichten  für  das  italienische 
Unternehmen  waren  nicht  ungünstig.  Karl  von  Anjou  fand  in  Sizilien 
nichts  als  Mifs-timniung  und  Widerspruch,  weil  —  ganz  abgesehen  von 
seinen  persönlichen  Eigenschaften,  unter  denen  Grofsmut  und  Versöhn- 
lichkeit fehlten  —  sein  Regiment,  im  Gegensatz  zu  dem  Friedrichs  II. 
und  Manfreds,  ganz  den  Charakter  einer  Fremdherrschaft  trug.  Seine 
Beamten  waren  grofsenteils  Fremde,  .-eine  Truppen  meist  Ausländer.  Der 
politische  und  militärische  Einflufs  der  sizilischen  Edelleute  war  lahm- 
gelegt, und  die  in  Aussicht  genommene  Wiedereinsetzung  aller  durch 
die  Staufer  Verbannten  und  die  Annullierung  der  seit  dem  Konzil  von 
Lyon  erteilten  Privilegien  drohte  eine  Umwälzung  in  den  Besitzver- 
hältnissen herbeizuführen.  Schon  wurde  einzelnen  Grofsen  ihr  Besitz 
vorenthalten,  anderen  die  nachgesuchte  Gnade  versagt.  Die  grofse  Masse, 
die  eine  Erleichterung  des  von  den  Staufern  geübten  Steuerdruckes  er- 
wartet hatte,  sah  sieh  bitter  enttäuscht,  denn  das  angiovinische  Regiment 
war  noch  despotischer  und  die  Steuern  um  so  drückender,  als  nach  den 
neuen  V ertragen  die  Geistlichkeit  von  ihnen  befreit  war.  Trotz  der 
Mahnungen  des  Papstes  wurde  auch  das  Parlament  nicht  berufen,  und 
so  wurde  der  Wunsch  nach  der  Rückkehr  der  staufischen  Herrschaft 
überall  rege.  Von  der  öffentlichen  Meinung  getragen,  wandten  sich 
einige  Grofse  an  Konradin,  der  nun  besehlofs,  dem  Rufe  zu  folgen.  Er 
war  eben  zum  Jüngling  herangewachsen :  eine  schöne  Gestalt,  von  ein- 
nehmenden Zügen.  Des  Lateinischen  mächtig,  verstand  er  es.  im  Sinne 
der  Zeit  -einen  Gefühlen  auch  poetischen  Ausdruck  zu  verleihen.  Sein 
Sinn  war  erfüllt  von  seines  Hauses  Grofse.  2J  Nachdem  er  ein  Ehe- 
bündnis mit  Sophie,  der  Tochter  des  Markgrafen  von  Landsberg,  ein- 
gegangen, wurde  auf  dem  Hoftag  von  Augsburg  (1266,  Oktober)  die 
Heerfahrt  für  den  Spätsommer  1267  festgesetzt.  Um  Teilnehmer  zu  ge- 
winnen, machte  er  Vergabungen  und  A'erpfändungen  aus  seinem  Haus- 
gute ;  seinen  bayrischen  Oheimen  -chenkte  er  für  den  Fall  seines  Todes 
seinen  Besitz.  Xachdem  er  von  seiner  Mutter  Abschied  genommen,  er- 
folgte der  Aufbruch.  Ein  Manifest  an  die  deutschen  Fürsten  forderte 
Hilfe.  Aber  bei  der  Haltung  des  Papstes3)  war  auf  ihre  Teilnahme 
nicht  zu  rechnen.  In  Sizilien  eröffneten  Konradins  Statthalter,  Konrad 
Capece  und  Friedrich  von  Kastilien,  den  Kampf  mit  einem  Sieg  über 
Karls  Statthalter.  Konradin  hielt  am  21.  Oktober  seinen  Einzug  in 
Verona.  In  seiner  Umgebung  befanden  sich  Ludwig  von  Bayern,  die 
Grafen  Meinhard  und  Albert  von  Görz  und  Tirol.  Friedrich  von  Öster- 
reich, rechtmäfsiger  Erbe  des  Babenbergischen  Besitzes,  und  Graf  Rudolf 
von   Habsburg:    durfte   Friedrich    bei    einem    siegreichen    Ausgang    des 


1  Hanipe,  S.  170. 

2  Ebenda,  S.  92. 

s    Der  P  9g<  gen  Konradin  wurde  am  14.  April  1267  aufgenommen. 


Das  Unternehmeil  Konradins.  147 

Unternelimens  die  Einsetzung  in  die  österreichisch-steirischen  Herzog- 
tümer erwarten,  so  hat  Graf  Rudolf  in  der  Folge  ihren  Besitz  er- 
langt. Da  die  Lombardei  weifisch  gesinnt  war,  bot  der  Weitermarsch 
Schwierigkeiten.  Klemens  IV.  sprach  am  18.  November  1267  den  Bann 
über  Konradin  und  seine  Anhänger  aus.  Zogen  sich  Herzog  Ludwig, 
dessen  Land  mit  dem  Interdikt  bedroht  wurde,  und  Meinhard  von  Görz 
von  einem  Unternehmen  zurück,  an  dessen  gutem  Ausgang  sie  ver- 
zweifelten, so  drängten  Friedrich  und  die  italienischen  Ratgeber  um  so 
eifriger  vorwärts.  Am  17.  Januar  brach  das  Heer  von  Verona  auf,  am 
20.  hielt  es  seinen  Einzug  in  Pavia.  Von  den  lombardischen  Grofsen 
trat  nur  der  Markgraf  Malaspina  auf  seine  Seite,  doch  boten  Pavia  und 
die  Ghibellinen  von  Tuscien  kräftige  Unterstützung.  Das  rasche  Vor- 
gehen Konradins  hinderte  seinen  Gegner,  ihm  schon  im  Norden  Italiens 
entgegenzutreten.  Da  der  Weg  über  Pontremoli  und  die  Lunigiana 
versperrt  war,  zog  Konradin  das  Tal  der  Bormida  aufwärts  und  schiffte 
sich  zu  Porto  di  Vado  (s.  w.  v.  Savona)  auf  pisanischen  Schiffen  nach 
Pisa  ein,  wo  er  am  7.  April  ankam;  das  staufische  Heer  folgte  unter 
der  umsichtigen  Führung  Friedrichs  von  Österreich.  Von  allen  Seiten 
strömten  Ghibellinen  zu.  Auf  die  Kunde  von  Konradins  Ankunft 
hatten  sich  die  Sarazenen  Lucerias  erhoben;  ihrem  Beispiele  folgten  nun 
auch  die  christlichen  Anhänger  der  Staufer.  Immer  mächtiger  griff  die 
Parteinahme  für  Konradin  um  sich.  Wohl  wurde  am  5.  April  der  Bann 
gegen  ihn  erneuert  und  ihm  auch  das  Königreich  Jerusalem  abgesprochen, 
aber  das  tat  seinen  Erfolgen  geringen  Eintrag.  Selbst  in  Rom  trat  eine 
Partei  auf  seine  Seite.  Heinrich  von  Kastilien,  ein  Bruder  König  Alfons'  X., 
von  den  Römern  (1267)  zum  Senator  erwählt,  und  sein  Stellvertreter 
Guido  von  Montefeltro,  der  gröfste  Feldhauptmann  seiner  Zeit,  waren 
eifrige  Ghibellinen.  Am  24.  Juni  wurde  Konradin  mit  den  gröfsten 
Ehren  in  Siena  aufgenommen.  Es  ist  ohne  Zweifel,  dafs  er  bei  längerem 
Verweilen  in  Tuscien  die  ganze  Provinz  auf  seine  Seite  gebracht  hätte. 
Am  25.  Juni  gewann  Friedrich  von  Österreich  bei  Ponte  Valle  einen 
Sieg  über  Karls  Marschall ;  brachte  er  auch  keine  Entscheidung,  so  galt 
er  doch  als  günstiges  Vorzeichen.  Am  28.  Juni  hielt  Konradin  unter 
dem  Jubel  des  Volkes  seinen  Einzug  in  Rom  und  wurde  am  Fufs  des 
Monte  Mario  vom  Senator  begrüfst.  Er  schien  seinem  Ziele  nahe,  aber 
der  Papst  blieb  ungebeugt.  Als  dieser  von  seinem  Palaste  zu  Viterbo  aus 
Konradins  Scharen  im  Vorbeimarsch  sah,  soll  er  sein  Bedauern  über 
den  Jüngling  ausgedrückt  haben,  der  zur  Schlachtbank  geführt  werde.1) 
Konradin  eilte  weiter.  Wenn  es  gelang,  den  Aufständischen  in  der 
Capitanata  die  Hand  zu  reichen,  war  der  Feldzug  entschieden.2)  Karl 
hatte  sich  zuletzt  mit  der  Belagerung  von  Luceria  beschäftigt.  Mit 
4000  Reitern  eilte  er  Konradin  bis  ans  Palentinische  Feld  bei  Alba  ent- 
gegen, darauf  bedacht,  seinem  Gegner,  der  mit  5 — 6000  Mann  heranzog, 


x)    So   Ptol.   Luc.    Hist.    eecl.     Anders  Jakob    de  Yoragine   bei   Muratori  IX,    50 
S.  Hampe,  251. 

2)  Ebenda,  S.  278. 

10* 


148  Die  Schlacht  von  Tagliacozzo.     Konradins  Ende. 

den  Weg  nach  Sulmona  abzuschneiden.  Bei  Tagliacozzo  kam  es  ani 
23.  August  zur  Schlacht.  Karls  Heer,  an  Zahl  geringer,  war  besser 
organisiert.  Die  drei  Heerhaufen  Konradins  kämpften  mit  Glück  gegen 
zwei  Heeresabteilungen  Karls,  der  eine  Reserve  von  1000  Rittern  weiter 
rückwärts  aufstellte;  sie  glaubten,  die  ganze  feindliche  Armee  besiegt  zu 
haben,  ein  Ritter  in  königlicher  Rüstung  war  gefallen,  sie  hielten  ihn 
für  den  König.  Ein  unerwarteter  Angriff  unter  Karls  eigener  Führung 
rief  aber  eine  Panik  unter  ihnen  hervor,  die  ihre  völlige  Niederlage  zur 
Folge  hatte.  Karls  Sieg  war  entscheidend.  Noch  vom  Schlachtfeld  aus 
sandte  er  seinen  Siegesbericht  an  den  Papst.  Konradin  kam  auf  der 
Flucht  nach  Rom,  fand  aber  die  Stimmung  so  geändert,  dafs  er  es  heim- 
lich verliefs.  Er  hatte  die  Absicht,  nach  Sizilien  zu  entkommen,  wo 
seine  Sache  günstig  stand.  Indem  er  sich  zu  Astura,  einem  dem  Hause 
Frangipani  gehörigen  Orte,  einschiffte,  wurde  er  von  diesem  gefangen 
und  an  seinen  Gegner  ausgeliefert.  Vier  Tage  später  hielt  Karl  seinen 
Einzug  in  Rom  und  wurde  zum  Senator  auf  Lebenszeit  gewählt.  Fest 
entschlossen,  seinen  Sieg  bis  zur  völligen  Vernichtung  des  Gegners  aus- 
zunützen, führte  er  die  Gefangenen  hinter  sich  her,  warf  sie  ins  Ge- 
fängnis del  Uovo  bei  Neapel,  liefs  die  Frage,  ob  Konradin  und  seine 
Genossen  als  Majestätsverbrecher  anzusehen  seien,  durch  eine  zu  diesem 
Zwecke  berufene  Versammlung  entscheiden  und  das  Todesurteil  voll- 
strecken. Der  junge  Staufer  vermachte  sein  Gut  wie  schon  bei  seinem 
Auszug  den  bayrischen  Oheimen.  Friedrich  vererbte  ihnen  auch  Oster- 
reich, seiner  Mutter  Steiermark,  ohne  freilich  die  Macht  zu  haben,  sie  zu 
vergeben.  Das  Todesurteil  wurde  am  29.  Oktober  1268  vollzogen.  Konradin 
starb  beherzt.  Seine  letzten  Worte  lauteten:  »Mutter,  welche  schmerzliche 
Kunde  wirst  Du  von  mir  vernehmen«.  Als  sein  Haupt  fiel,  schrie  Fried- 
rich vor  Schmerz  und  Entrüstung  auf.  Dann  folgten  er  und  die  übrigen 
Genossen  dem  Königssohn  in  den  Tod.  Ihre  Leichen  wurden  in  der 
Nähe  eines  Judenfriedhofes  im  Sand  der  Küste  verscharrt.  Jetzt  erst 
war  der  lange  Streit  zwischen  Kaiser-  und  Papsttum  um  die  Herrschaft 
in  Italien  beendet,  Das  Papsttum  triumphierte.  In  Deutschland  säumten 
Konradins  Anhänger  nicht,  dem  Papste  nicht  blofs  die  Schuld  an  dessen 
Tod,  sondern  auch  an  dem  schmachvollen  Zustand  des  Reiches  zuzu- 
schreiben. Wie  tief  die  Anhänglichkeit  an  das  staufische  Kaiserhaus 
ging,  sieht  man  nicht  blofs  aus  der  deutschen,  jetzt  schon  im  Volke 
lebendigen  Kaisersage,  sondern  auch  daraus,  dafs  noch  in  Konradins 
Todesjahr  der  Versuch  einer  Königswahl  gemacht  wurde,  bei  der  in 
erster  Linie  die  Verwandtschaft  mit  dem  staufischen  Hause  in  Betracht 
kam.  Sie  sollte  auf  Friedrich  den  »Freidigen  ;,  den  Sohn  Albrechts  von 
Thüringen  und  Meifsen  fallen,  von  dem  man  in  Deutschland  des  Reiches 
Wiedergeburt  erwartete,  und  der  sich  in  Briefen  an  seine  italienischen 
Anhänger  bereits  Friedrich  III.  nannte.  Sein  Anhang  war  freilich  zu 
schwach,  und  um  sich,  wie  Konradin  wollte,  die  Krone  zu  erkämpfen, 
war  er  zu  jung  und  wohl  auch  zu   arm. 


Frankreich  unter  Ludwig  IX.  149 

2.  Kapitel. 

Die  Staaten  des  Westens. 

§  33.    Die  Anfänge  Ludwigs  IX. 

Quellen.  Urkk.  u.  Briefe:  Teulet  et  de  Laborde,  Layettes  du  Tresor  des 
chartes,  tom.  II  et  HI.  Paris  1875.  Rechnungen  über  Kriegsausgaben  etc.  Petrus  de 
Condeto,  Ceratae  tabb.  Bouq.  XXII.  Petri  d.  C.  Epistolae,  d'Achery.  Spie.  II,  551. 
Gervasius,  abb.  epp.  137,  Sac.  antiquit.  MM.,  ed.  Hugo  I.  Molinier,  Correspondance 
administrative  d'Alfonse  de  Poitiers,  tom.  I.  Paris  1897.  —  Geschichtschreiber: 
Vita  Ludovici  IX  auetore  Galfrido  de  Bello  Loco  (Beaulieu).  Bouquet  XX,  1 — 27. 
S.  XA.  IV,  435.  (Gaufried,  Predigermönch  u.  Beichtvater  Ls.  IX.  schrieb  auf  Befehl 
Gregors  X.)  De  vita  et  actibus  et  miraculis  S.  Ludovici  auetore  Guilelmo  Carnotensi 
(Predigermönch  aus  der  Umg.  Ls.  IX.),  ib.  27 — 41.  Gesta  s.  Ludovici  auet.  monacho 
S.  Dionysii  anon.  ib.  45 — 47.  Von  Wert  nur  die  Kapp,  über  die  Erziehung  Ludwigs  IX. 
Guilelmus  (Beichtvater  der  Königin  Marguerite) :  Yie  de  Saint  Louis,  ib.  58 — 121.  Im 
Anhang  die  Miracles  de  St.  Louis,  S.  121 — 159.  Sermon  en  l'honneur  de  Saint  Louis 
par  Guillaume  de  Saint  Pathus.  BECh.  LXTTT,  276.  Histoire  de  S.  Louis  par  Joinville, 
ib.  190—304.  (Übers,  in  Schillers  Memoiren  etc.  1  Abt.  Bd.  IV,  G.  Paris  in  Hist. 
litter.  XXXII.  De  Laborde,  Jean  de  Joinville  et  les  seigneurs  de  Joinville  Paris  1894.) 
Gesta  Ludovici  noni  auet.  Guil.  de  Xangiaco,  ib.  309 — 664  (Ausz.  MM.  Germ.  hist.  XXVI). 
Über  den  Wert  s.  Bouq.  XX,  p.  LI.  Conseils  de  S.  Louis  ä  une  de  ses  filles.  Bouq. 
XXIII,  132—154.  Bulla  canonisat.  S.  L.  p  Bonif.  VLE,  a.  1296,  ib  148—160  (s.  die  reiche 
Lit.  b.  Potth.  H,  1437  f.).  Von  Chroniken  sind  die  wichtigsten  :  Chronique  anonyme  des 
rois  de  France  bis  1286.  Bouq.  XXI,  80 — 102.  Chronicon  Hanoniense  (quod  dicitur 
Balduini  Avennensis)  bis  1281.  Bouq.  XXI,  161—181.  Im  Ausz.  MM.  Germ.  SS  XXIV, 
419.  Chron.  Girardi  de  Arvernia  bis  1272  u.  1288,  ib.  213  ff.  Brachst.  MM.  Germ. 
XXI,  593  ff.  Chron.  Guil.  de  Nangiaco  a.  a.  1226—1300.  Bouq.  XX,  543—82.  Chron. 
Lemovicense  cum.  suppl.  a  Petro  Coral,  ib.  XXI,  763—788.  Philippe  Mousket, 
Chronique  rimee,  ib.  XXII,  38—81.  MM.  Germ.  SS.  XXVI,  741—821.  Chronique  de 
S.  Magloire,  Bouq.  XXII,  82—86.  MM.  Germ.  XXVI,  610—612.  Guiart,  Branche 
des  royaulx  lignages.  Bouq.  XXII,  171—300.  Fragm.  d'une  chronique  anonyme  dite 
chronique  de  Reims,  ib.  302—329.  MM.  G.  SS.  XXVI,  526  ff.  Chroniques  de  Flandre, 
ib.  XXII,  331 — 429  (wichtig  erst  für  die  erste  Hälfte  d.  14.  Jahrh.).  Chronique  de 
Primat,  ib.  XXIII,  5—106  (bis  1255,  s.  d.  Note  bei  Potth.  II,  936).  Ausz.  MM.  G.  XXVI, 
639—671.  Joh.  de  Columna,  Mare  historiarum.  Bouq.  XXIII,  107—124  (MM.  Germ. 
SS.  XXIV,  269-284,  s.  Lorenz  II,  336\  Annales  Reineri.  MM.  Germ.  SS.  XVI,  645 
bis  680.  Chronicon  monasterii  Mortui  Maris.  Bouq.  XII,  XVIII,  XXIII.  MM.  Germ. 
SS.  VI,  467-469.  Laurentius  de  Leodio  Contin.  bis  1250.  Bouq.  XI,  XIII.  MM.  Germ. 
SS.  X,  486—516.  Chron.  Norm.  Bouq.  XXIII,  213—222.  Chron.  Rotomag.,  ib.  332-343. 
Von  fremden  kommt  aufser  Matth.  Paris  besond.  die  Chron.  reg.  Col.  (s.  oben)  in 
Betracht.    Ergänzungen  in  Monod,  196  ff.  u.  Molinier,  Les  sources  de  l'hist.  d.  France,  HL 

Hilfsschriften:  Petit-Dutaillis,  Etüde  sur  la  vie  et  le  regne  de  Louis  VIH 
(1187 — 1226).  Paris  1894.  Le  Nain  de  Tillenion t,  Vie  de  saint  Louis  publ.  par 
J.  de  Gaulle.  Paris  1847 — 51.  ^Xoch  immer  zu  brauchen^  weil  jetzt  verlorene  Quellen 
darin  benutzt  sind.)  Langlois,  Louis  IX.  Rev.  d.  Paris  XVII.  F.  Faure,  Histoire 
de  S.  Louis.  Paris  1865.  H.  Walion,  S.  Louis  et  son  temps.  Paris  1875.  Lecoy 
delaMarche,  Saint  Louis,  son  gouvernement  et  sa  politique.  Tours  1887.  Ledain, 
Hist.  d'Alphonse  frere  de  s.  Louis  et  du  comte  de  Poitiers.  1869.  Boutaric,  S.  L. 
et  Alf.  d.  P.  Paris  1870.  Lavisse-Luchaire,  Hist.  de  France  III,  1.  Louis  VII— VIII. 
Paris  1901  u.  Lavisse- Langlois ,  III,  2.  Saint  Louis,  Philippe  le  Bei.  Paris  1901. 
F.  Perry,  S.  Louis,  the  most  Christian  King.  X.  York  1901.  Berg  er,  S.  Louis  et 
Innocent  IV.  Paris  1893.  Bunge r,  D.  Bez.  Ludw.  IX.  zur  Kurie.  1254 — 64.  Diss. 
1896.  E.  Berg  er,  Histoire  de  Blanche  de  Castille.  Paris  1895.  Ga  vril  o  vitsch  , 
Etüde  sur  le  traite    de  Paris  de  1259  entre  Louis  IX  et  Henri  III  d'Angleterre.     Paris 


]50  Die  Anfänge  Ludwigs  IX. 

1899.  Guilhiermoz,  Saint  Louis  les  gages  de  bataille  et  la  procedura  civile. 
BECh.  XLVJII.  Vi  oll  et,  Les  Etablissements  de  saint  Louis.  Soc,  de  l'hist.  de  France 
1881—86.    Pirenne,  Hist  de  Belgique  I. 

1.  Ludwig  VIII.  führte,  nur  viel  kräftiger  noch,  die  Politik  seines 
Vaters  sowohl  gegen  England,  als  auch  im  Süden  Frankreichs  weiter. 
Im  Kampfe  gegen  England  gewann  er  Aquitanien  bis  an  die  Grenzen 
der  Gascogne,  gegen  die  Albigenser  Avignon  (s.  §  11).  Schon  war 
er  bis  Toulouse  gedrungen,  als  ihn  der  Abzug  des  Grafen  Theobald 
von  Champagne  zum  Rückzug  nötigte.  Vom  Lagerfieber  ergriffen,  starb 
er  zu  Montpensier,  nicht  ohne  vorher  eine  verhängnisvolle  Anordnung 
getroffen  zu  haben.  Im  Gegensatz  zu  der  Politik  seiner  Vorgänger,  die, 
um  die  königliche  Gewalt  zu  stärken ,  an  die  jüngeren  Söhne  keine 
Apanagen  oder  doch  nur  unbedeutende  Teile  des  königlichen  Gutes 
austeilten,  gab  Ludwig  seinem  zweiten  Sohne  Artois,  dem  dritten  Anjou 
und  Maine,  dem  vierten  Poitou  und  Auvergne.  Der  jüngste,  Karl, 
sollte  in  den  geistlichen  Stand  treten,  erwarb  aber  durch  Heirat  die 
Provence  (s.  oben),  erhielt  nach  dem  Ableben  Johanns  von  Anjou  dessen 
Länder  und  wurde  schliefslich  König  von  Sizilien.  Allerdings  sollte  der 
französische  Besitz  der  jüngeren  Söhne  bei  ihrem  kinderlosen  Abgang 
an  die  Krone  zurückfallen,  da  dies  aber  voraussichtlich  nicht  so  bald 
eintrat,  wurde  die  Ausbildung  eines  einheitlichen  Gesamtstaates  auf 
lange  hinaus  gehemmt.  Diese  Anordnung  trat  noch  dazu  in  einem 
Augenblicke  ein,  als  das  Königtum  eine  schwere  Krise  zu  bestehen  hatte. 
In  der  Regierung  war  nämlich  Ludwig  IX.  (1226 — 1270)  gefolgt.  Bei 
seiner  Jugend  —  er  zählte  erst  zwölf  Jahre  —  übernahm  seine  Mutter 
Blanka  kraft  einer  Verfügung  Ludwigs  VIII.  die  Regentschaft  —  der 
erste  und  einzige  Fall  einer  Frauenregierung  im  Hause  der  Kapetinger. 
Der  unbeliebten  Ausländerin  gegenüber  hielten  die  weltlichen  Grofsen 
den  Augenblick  für  gekommen,  das  System  Philipps  IL  zu  stürzen,  und 
scheuten  zu  diesem  Zwecke  ebensowenig  vor  der  Verbindung  mit  dem 
Ausland  wie  vor  den  schwersten  Anschuldigungen  der  Regentin  zurück. 
Blanka  trat  der  Koalition  mit  staatsmännischem  Geschick,  männlichem 
Geist  und  unbeugsamem  Mut  entgegen  und  wufste,  vom  Klerus  und 
dem  Bürgertum  unterstützt,  die  Interessen  der  Grofsen  derart  zu  teilen, 
dafs  einige  von  ihnen  auf  ihre  Seite  traten,  während  Friedrich  IL  den 
deutschen,  auch  in  Frankreich  begüterten  Fürsten  jede  Einmischung  in 
den  Kampf  untersagte,  der  sonach  mit  einem  vollen  Siege  des  König- 
tums endete. 

2.  Unter  der  Leitung  seiner  trefflichen  Mutter,  die  mit  einer 
gewissen  Eifersucht  seine  Ausbildung  überwachte,  wuchs  Ludwig  IX. 
heran.  »Ein  feiner  Ritter«,  wie  Joinville  ihn  nennt,  hoch  und  schön 
gewachsen,  von  lebhaften  Augen,  blondem  Haar  und  heller  Gesichtsfarbe, 
»mit  der  Figur  eines  Engels «  (Salimbene),  besafs  er  trotz  seines  lebhaften 
Geistes  tiefreligiöse  Neigungen  und  selbst  asketische  Anwandlungen,  die 
freilich  nicht  so  weit  gingen,  dafs  er  auf  die  Freuden  des  Rittertums  ver- 
zichtet hätte.  Ohne  besondere  militärische  Anlagen  zeichnete  er  sich 
im  Kampf  durch  kaltblütige  Unerschrockenheit  aus.    Von  seinen  Pflichten 


Charakter  Ludwigs  IX.  151 

als  König  hatte  er  die  höchsten  Vorstellungen ;  von  strengstem  Gerechtig- 
keitsgefühl, trat  er  den  feudalen  Elementen  nur  so  weit  entgegen, als  es  die 
Notwendigkeit  forderte;  trotzdem  wahrte  er,  gleich  seiner  staatsklugen 
Mutter,  deren  Rat  er  auch  seit  seiner  Volljährigkeit  (1234)  befolgte,  alle 
Rechte  des  Königtums.  Selbst  in  den  Ländern  seiner  Vasallen  besafs  er 
grofsen  Einflufs.  Von  diesen  verfolgten  einzelne,  wie  Flandern  im  Orient 
oder  Champagne  in  Navarra,  ihre  weitabliegenden  Ziele  oder  waren,  wie 
Burgund  und  Bretagne,  in  innere  Kämpfe  verwickelt.  Dazu  kam,  dafs 
sich  die  Bistümer  und  die  Städte  aufs  engste  an  das  Königtum  an- 
schlofsen.  Die  Politik  des  Königs  war  eine  friedliche.  Selbst  mit  Eng- 
land schien  die  Herstellung  freundlicher  Beziehungen  keine  Schwierig- 
keiten zu  bieten,  seit  Ludwig  IX.  und  Heinrich  III.  einander  durch  Ver- 
schwägerung näher  traten.  Trotz  alledem  kam  es  noch  einmal  zu  einer 
Erhebung  der  grofsen  Barone  gegen  das  Königtum,  die  ihren  Grund  in 
dem  Widerwillen  der  Grofsen  von  Poitou  gegen  die  neue  französische 
Herrschaft  hatte.  Als  Ludwig  IX.  nämlich  1241  im  Januar  den  »unvergleich- 
lichen«1) Hof  tag  abhielt,  belehnte  er  seinen  Bruder  Alfons  mit  Poitou 
und  Auvergne.  Dagegen  erhob  sich  Hugo  de  la  Marche,  angereizt  durch 
seine  Gattin  Isabella,  die  Witwe  Johanns  ohne  Land.  Es  kam  zu  einem 
weitverzweigten  Bund  gegen  das  Königtum,  der  trotz  englischer  Hilfe 
seine  Ziele  nicht  erreichte.  Die  Engländer  wurden  bei  Taillebourg 
(1242,  21.  Juli)  und  tags  darauf  bei  Saintes  geschlagen.  Hugo  mufste  den 
Frieden  mit  der  Abtretung  eines  Teiles  seiner  Besitzungen  erkaufen,  der 
Graf  von  Toulouse  die  Kriegskosten  bezahlen  und  auf  alle  seine  An- 
sprüche verzichten  (1243).  »Von  jetzt  an«,  sagt  Wilhelm  von  Nangis, 
»hörten  die  Grofsen  auf,  gegen  den  Gesalbten  des  Herrn  zu  konspirieren.« 
In  der  Tat  war  die  Überlegenheit  des  Königtums  über  die  Lehensaristo- 
kratie neu  gekräftigt  und  der  Besitz  der  den  Engländern  entrissenen 
Länder  gesichert.  Fortan  mufsten  französische  Untertanen,  die  zugleich 
englische  Lehensträger  waren,  dem  einen  oder  dem  anderen  dieser  Ver- 
hältnisse entsagen  (1244),  wodurch  die  nationale  Scheidung  zwischen 
Engländern  und  Franzosen  auch  äufserlich  befestigt  wurde. 

§  34.    Die  Zustände  in  Syrien  und  der  erste  Kreuzzug  Ludwigs  IX. 

Quellen:  S.  §  33.  (Hauptberichterstatter  ist  Joinville.)  Dazu  Gualterus  Cornutus, 
Hist.  susceptionis  coronae  spineae,  Eiant  Exuviae  I.  —  Odo  Tusculanus  Ep.  ad.  Innocen- 
tium  IV,  d'Achery  Spicil.  VII,  213.  Ludovicus  rex:,  Epistola  de  captione  et  liberatione 
sua,  Duchesne,  Hist.  Franc.  SS.  Y,  428.  Les  Gestes  des  Chiprois.  Kecueil  des  chroniques 
francaises  ecrites  en  Orient  aux  Xffle  et  XlVe  siecles,  p.  p.  G.  Raynaud.  'Geneve  1887 
(enthält  1.  Chronique  de  Terre-Sainte  [1131 — 1224],  2.  Recit  de  Philippe  de  Navarre 
[1212—1242]  u.  Chronique  du  Templier  de  Tyr.  1242—1309). 

Hilfsschriften:  Die  allgeni.  Werke  über  die  Kreuzzüge,  s.  oben.  Am  aus- 
führlichsten Walion  I,  225 — 397.  E.  J.  Davis,  The  invasion  of  Egypt  by  Louis  IX 
of  France  and  a  history  of  the  contemporary  sultans  of  Egypt.  1898.  Schaube, 
Die  Wechselbriefe  König  Ludwigs  d.  H.  von  seinem'ersten  Kreuzzug.  Jahrb.  f.  National- 
ökonomie u.  Statistik  XV. 


x)  So  genannt  wegen  der  daselbst  entfalteten  Pracht. 


152  Die  politische  Lage  Syriens. 

1.  Mit  den  unzulänglichen  Streitkräften,  die  Friedrich  II.  in 
Palästina  zurückgelassen,  konnte  eine  feste  Ordnung  der  Dinge  daselbst 
nicht  erzielt  werden.  Die  Mohammedaner  waren  über  den  ungünstigen 
Frieden  erbittert  und  die  Templer  und  Johanniter  in  diesen  nicht  ein- 
bezogen. Die  Aussöhnung  zwischen  Kaiser  und  Papst  stellte  zwar  auf 
eine  Zeit  lang  die  Ruhe  wieder  her,  aber  bald  kam  es  auf  Cypern  zu 
neuen  Wirren,  die  auch  auf  Syrien  zurückwirkten.  Trotz  des  mit  dem 
Sultan  bis  1239  abgeschlossenen  Friedens  rief  Gregor  IX.  die  Christen 
schon  1231,  dann  in  den  Jahren  1234—1237  zu  den  Waffen1);  1237 
meldete  er  dem  Kaiser,  dafs  französische  Kreuzfahrer  zum  Auszug  be- 
reit seien,  und  bat  um  Unterstützung.  Mit  Mühe  erwirkte  Friedrich 
einen  Aufschub  bis  zum  Ablauf  des  Friedens.  Da  nach  dem  Tode  El 
Kandis  (1238)  unter  seinen  Erben  ein  heftiger  Zwiespalt  ausbrach,  schien 
der  Augenblick  für  ein  neues  Unternehmen  günstig.  Im  Frühling  1239 
war  Theobai d  von  Champagne,  König  von  Navarra,  zur  Abfahrt 
bereit,  doch  der  Papst,  der  mittlerweile  den  Kaiser  aufs  neue  gebannt 
hatte,  verbot  eine  Kreuzfahrt,  die  zu  dessen  Vorteil  ausschlagen  konnte. 
Theobald  brach  dessenungeachtet  auf,  erlitt  aber  in  der  Nähe  von  Gaza 
eine  Niederlage.  Bald  wurde  auch  Jerusalem  von  den  Sarazenen  wieder 
erobert,  seine  Festungswerke  zerstört,  und  Theobald  kehrte  in  die  Heimat 
zurück.  Mittlerweile  hatte  Graf  Richard  von  Cornwalis,  der  Bruder 
Heinrichs  III.  von  England,  gleichfalls  gegen  den  Willen  des  Papstes 
die  Fahrt  angetreten  und  landete  im  Oktober  1240  zu  Akkon.  Wiewohl 
ein  Enkel  König  Richards  und  als  solcher  mit  Jubel  begrüfst,  betrat  er 
doch  lieber  wie  Friedrich  H.  den  Weg  der  Verhandlungen,  erhielt 
Jerusalem  und  die  an  der  Pilgerstrafse  liegenden  Orte  zurück  und  liefs 
Askalon  befestigen.  Nach  diesen  nicht  unbedeutenden  Erfolgen  kehrte 
er  heim,  worauf  der  alte  Zwist  unter  den  Christen  in  Jerusalem  aufs 
neue  ausbrach.  Alle  Widersacher  des  Kaisers  begannen  gegen  die 
staufische  Herrschaft  in  Jerusalem  zu  wühlen  und  erreichten,  dafs  die 
Hoheitsrechte  bis  zur  Ankunft  Konrads  IV.  an  Alice,  die  Mutter  König 
Heinrichs  von  Cypern,  eine  Enkelin  König  Amalrichs,  übertragen  wurden. 
Während  Friedrichs  Feinde  über  ihre  Erfolge  jubelten,  erfolgte  der  Ein- 
bruch der  Cbovaresmier  (1244),  für  den  Friedrich  II.  die  Templer  ver- 
antwortlich machte,  die  sich  mit  den  Hauptfeinden  Sultan  Ejubs  von 
Ägypten,  Ismael  von  Damaskus  und  Nasir  von  Kerak,  verbündet  hatten, 
worauf  Ejub  im  Gefühl  seiner  Schwäche  die  Chovaresmier  zu  Hilfe  rief. 
Raubend  und  mordend  fielen  sie  in  Palästina  ein,  eroberten  Jerusalem 
und  profanierten  oder  zerstörten  die  Heiligtümer.  Ein  Teil  der  flüch- 
tigen Bewohner  wurde  bei  Ramiah  niedergemacht,  dann  erlitt  das 
christlich-islamitische  Heer  von  den  mit  den  Chovaresmiern  verbündeten 
Ägyptern  unter  Bibars  —  dem  späteren  Sultan  —  eine  furchtbare 
Niederlage  (17.  Oktober).  Die  Blüte  der  geistlichen  Ritterorden  wurde 
erschlagen.  Einen  Versuch  der  Templer,  ihre  gefangenen  Brüder  aus- 
zulösen, wies  Ejub    mit  dem  Hinweis    auf  ihre  gegen  Friedrich  II.    und 


1    Röhricht,  Gesch.  d.  K.,  S.  233  ff. 


Die  Kreuzfahrt  Ludwigs  IX.  153 

Richard  von  Cornwalis  verübte  Treulosigkeit  ab.  Ejub  nahm  Damaskus 
(1245),  Tripolis  und  Askalon  (1247)  und  besafs  somit  fast  das  ganze 
Reich  Saladins.  Innozenz  IV.  hielt  trotz  der  Trauer  des  Abendlandes 
über  diese  Verluste  die  Vernichtung  der  Staufer  für  wichtiger  als  die 
Wiedereroberung  Palästinas.  Noch  jetzt  trat  er  dem  Kaiser  im  Orient  allent- 
halben entgegen ;  so  wurde  nach  dem  Tode  der  Königin  Alice  Heinrich  von 
Cypern  als  König  anerkannt.  Da  die  Kreuzzugsunternehmungen  im  Abend- 
land immer  mehr  in  Mifskredit  kamen,  wäre  es  kaum  mehr  zu  einer 
Kreuzfahrt  gekommen,  wäre  nicht  die  alte  Begeisterung  noch  in  einem 
der  bedeutendsten  Monarchen  Europas  lebendig  gewesen. 

2.  In  den  Tagen,  als  die  Chovaresmier  Jerusalem  verheerten,  war 
Ludwig  IX.  schwer  erkrankt.  Aus  Dank  für  seine  Genesung  nahm  er 
(1244,  Dezember)  einem  Gelübde  zufolge,  das  er  während  seiner  Krank- 
heit gemacht  hatte,  trotz  des  Widerspruchs  seiner  Mutter,  seiner  Brüder 
und  der  Grofsen  das  Kreuz.  Vergebens  wiesen  die  einen  auf  die  Aussichts- 
losigkeit des  Unternehmens,  die  andern  auf  die  von  der  gesteigerten 
Macht  des  Papsttums  drohenden  Gefahren,  die  dritten  darauf  hin,  dafs 
ein  bei  mangelnder  Besinnung  gemachtes  Gelübde  niemand  binde. 
Seinem  Beispiele  folgten  seine  Brüder  und  viele  Grofse.  Die  Ausfahrt 
verzog  sich  bis  1248.  Da  dem  König  an  einer  kräftigen  Unterstützung 
aus  Deutschland  und  Italien  lag,  machte  er  noch  einmal  —  freilich  ver- 
gebliche —  Versuche,  Kaiser  und  Papst  zu  versöhnen.  Die  Beihilfe 
aus  diesen  Ländern,  aus  England  und  Norwegen  war  eine  geringfügige. 
In  Frankreich  selbst  fand  das  Unternehmen  so  wenig  Anklang,  dafs  die 
•Kreuzfahrer  sich  den  Durchzug  nach  Süden  mit  dem  Schwert  erkämpfen 
mufsten  und  nicht  wenige  Pilger  sich  in  Lyon  vom  Papste  ihres  Ge- 
lübdes entbinden  liefsen.  In  Aigues-Mortes  schiffte  sich  Ludwig  mit  dem 
gröfsten  Teil  seines  Heeres  ein  und  landete  am  17.  September  auf 
Cypern.  Sein  Heer  zählte  50000  Krieger.  Statt  den  Zug  rasch  fortzu- 
setzen, beschlofs  er,  in  Cypern  zu  überwintern.  Zwar  erklärte  sich  König 
Heinrich  von  Cypern  zur  Teilnahme  bereit,  ja  eine  Gesandtschaft  des 
Grofskhans  weckte  die  Hoffnung  auf  eine  Allianz  und  selbst  auf  die  Be- 
kehrung der  Mongolen,  aber  diese  Hoffnungen  gingen  nicht  Erfüllung. 
Das  müfsige  Leben  lockerte  die  Zucht  des  Heeres,  und  das  ungewohnte 
Klima  raffte  viele  hinweg.  Am  15  Mai  1249  erfolgte  die  Ausfahrt,  und 
zwar  gegen  alle  Erwartung  nach  Ägypten.  Wie  ein  Menschenalter  früher, 
sollte  die  Entscheidung  am  Nil  gesucht  werden.  Das  Kreuzheer  landete 
nördlich  von  Damiette  (5.  Juni) ;  die  Besatzung  dieser  Stadt  überliefs  den 
wichtigen  Platz  ohne  Schwertstreich  den  Franzosen.  Aber  der  Erfolg 
wurde  nicht  rasch  genug  ausgenützt.  Lange  wurde  beraten,  ob  man 
gegen  Alexandrien  oder  Kairo  ziehen  solle.  Graf  Robert  von  Artois, 
des  Königs  Bruder,  setzte  das  letztere  durch,  denn  »man  müsse  der 
Schlange  den  Kopf  zertreten«.  Mittlerweile  starb  der  Sultan  (22.  No- 
vember), nachdem  er  den  Kreuzfahrern  eben  noch  günstige  Friedens- 
anerbietungen  gemacht  hatte.  Da  die  Ägypter  die  Ankunft  seines  Sohnes 
Turanschah  abwarten  wollten,  wurde  der  Tod  des  Sultans  verheimlicht.  Die 
Kreuzfahrer  drangen  auf  demselben  Weg  wie  1221  vorwärts  und  lagerten 


154  "Die  Niederlage  und  Gefangenschaft  Ludwigs  IX. 

sich  vor  Mansurah,  wo  die  Ägypter  ihre  Flotte  und  ihr  Landheer  ver- 
einigt hatten.  Das  Christenheer  geriet  hier  bald  in  eine  grofse  Bedrängnis : 
rechts  hatte  man  den  Nilarrn  von  Damiette,  vor  sich  den  breiten 
Kanal  von  Aschinum  Tanah1)  und  jenseits,  gestützt  auf  Mansurah,  die 
Feinde  zu  Lande  und  auf  den  Schiffen  in  so  starker  Stellung,  dafs  die 
Christen  ihnen  nicht  beizukommen  vermochten.  Ein  Beduine  zeigte 
ihnen  eine  Furt  durch  den  Kanal ;  durch  diese  drängten  nun  Graf  Robert 
und  die  Templer  hitzig  vor  und  kamen  bis  Mansurah,  fanden  aber  auf 
dem  Rückweg  fast  alle  durch  das  Schwert  der  Mamelucken  den  Tod. 
Mit  Mühe  "hielt  sich  Ludwig  auf  dem  Südufer  des  Kanals.  Nach  der 
Ankunft  Turanschahs,  die  belebend  auf  die  Seinigen  wirkte,  wurde  die 
Pilgerflotte  nicht  nur  in  der  Front  und  im  Rücken  angegriffen,  sondern 
auch  ihre  Rückzugslinie  bedroht.  Bald  begannen  im  christlichen  Lager 
Hunger  und  Krankheiten  ihre  Verheerung,  und  Ludwig  zog  in  seine 
frühere  Stellung  zurück.  Jetzt  bot  er  den  Ägyptern  Frieden  und  die 
Rückgabe  von  Damiette  gegen  Jerusalem  an;  das  wurde  aber  zurück- 
gewiesen; als  die  Christen,  völlig  erschöpft,  den  Rückzug  nach  Damiette 
antraten,  drangen  ihnen  die  Ägypter  ungestüm  nach,  machten  Tausende 
nieder  und  nahmen  den  Rest  des  Heeres  samt  dem  König  und  seinen 
Brüdern  gefangen.  Die  meisten  Kranken  wurden  aus  Furcht  vor  An- 
steckung getötet  und  nur  die  Reicheren  des  Lösegeldes  wegen  ver- 
schont. Der  König  selbst  ward  in  Fesseln  gelegt.  Turanschah  suchte 
seinen  Sieg  soweit  als  möglich  auszunützen.  Zwar  wurde  seine  Forde- 
rung der  Übergabe  aller  christlichen  Besitzungen  in  Syrien  mit  dem 
Hinweis  auf  die  Rechte  Friedrichs  IL  zurückgewiesen,  doch  kam  es 
schliefslich  gegen  die  Räumung  Damiettes  und  Zahlung  einer  Kriegs- 
entschädigung von  einer  Million  byzantinischer  Goldstücke2)  zu  einem 
zehnjährigen  Waffenstillstand,  der  auch  dann  in  Kraft  blieb,  als  der 
Sultan  —  der  letzte  der  Ejubiten  —  durch  eine  Verschwörung  des  Mame- 
luckenemirs Bibars  umgebracht  wurde.  Am  7.  Mai  1250  wurde  Damiette, 
wo  Ludwigs  Gattin  ihm  einen  Sohn,  Tristan,  geboren  hatte,  den  Sarazenen 
übergeben.  Die  meisten  Abendländer  eilten  in  die  Heimat.  Ludwig 
und  seine  Brüder  begaben  sich  nach  Akkon.  In  der  Heimat  hatte  man 
an  die  Unglücksbotschaft  anfangs  nicht  glauben  wollen  und  liefs  die 
Boten  als  Betrüger  hinrichten.  Als  sich  die  Trauernachricht  bestätigte, 
mahnte  die  Königinmutter,  welche  die  Regierung  führte,  zur  Heimkehr. 
Sie  fürchtete,  dafs  die  Engländer  die  Gelegenheit  benützen  würden,  um 
den  Krieg  gegen  Frankreich  wieder  aufzunehmen.  Aber  Ludwig  IX.  er- 
klärte, in  Palästina  zu  bleiben,  bis  auch  die  letzten  Gefangenen  befreit 
seien.  Damals  tauchten  in  Syrien  Prätendenten  auf,  von  denen  einer,  ein 
Urenkel  Saladins,  Aleppo  gewann  und  den  Christen  ein  Bündnis  anbot. 
Jetzt  konnte  Ludwig  einen  Druck  auf  die  Ägypter  ausüben,  und  jetzt 
erst  gaben  diese  die  letzten  Gefangenen  heraus  und  verzichteten  auf 
die  zweite  Hälfte    des  Lösegeldes.     Noch    hoffte    der  König,    den  Krieg 


1    Spezialkarte,  Michaud  III,  S.  435.    Über  Mansurah  s.  Köhler,  Kriegsw.  III,  262. 
2)  Die  Summe  wurde  später  um  200000  Goldstücke  herabgemindert. 


Ali  [enthalt  Ludwigs  in   Palästina.  155 

fortsetzen  zu  können ,  falls  er  aus  der  Heimat  Unterstützung  bekäme. 
Zu  diesem  Zwecke  sandte  er  ein  Rundschreiben  an  seine  Untertanen : 
aber  sowohl  die  grofsen  Vasallen,  als  auch  die  Grafen  und  Ritter  ver- 
weigerten jede  weitere  Hilfe.  Dagegen  entstand  nun  von  anderer  Seite 
eine  Bewegung  zugunsten  des  Kreuzzuges.  Um  Ostern  1251  erhob 
sich  in  Flandern  ein  Zisterzienser  aus  Ungarn,  namens  Jakob,  mit  dem 
Vorgeben  einer  göttlichen  Botschaft:  die  bisherigen  Kreuzzüge  hätten 
keinen  Erfolg  gehabt,  weil  Gott  kein  Gefallen  an  dem  Hochmut  der 
Ritter  habe.  Die  Armen  seien  bestimmt,  das  hl.  Land  zu  befreien.  Nun 
lief  ein  Heer  von  Bauern  und  Hirten  zusammen  und  schwoll  allmählich 
bis  auf  100000  Köpfe  an.  Da  sich  ihnen  Gesindel  jeglicher  Art  bei- 
mischte, wurden  sie  bald  zur  Geilsei  aller  Gegenden,  die  sie  betraten. 
Wie  gegen  den  Adel  und  die  Reichen,  traten  sie  auch  gegen  die  oberen 
Stufen  der  Hierarchie,  ja  gegen  den  Klerus  überhaupt  auf:  Man  bedürfe 
keines  Papstes  und  keiner  Bischöfe;  sie  erkannten  sich  selbst  das  geist- 
liche Hirtenamt  zu,  predigten,  schlössen  und  trennten  Ehen.  Erst  als 
der  ungarische  Meister  von  einem,  der  an  seine  Wundertaten  nicht 
glauben  wollte,  erschlagen  und  eine  Anzahl  seiner  Anhänger,  Pastorellen 
genannt,  aufgeknüpft  war,  löste  sich  die  Masse  bis  auf  wenige  auf,  die 
nach  Akkon  kamen.  Dies  Unternehmen  erhöhte  nur  noch  den  Wider- 
willen der  Völker  gegen  die  Kreuzzüge.  Nichtsdestoweniger  sandte 
Ludwig  IX.  immer  noch  Briefe  um  Hilfe  ins  Abendland.  Im  Frühling  1252 
boten  ihm  die  Ägypter  selbst  Bundesgenossenschaft  gegen  die  Syrier 
an.  Das  ganze  Land  diesseits  des  Jordans  sollte  den  Christen  zufallen. 
Da  sie  aber  schon  im  folgenden  Jahre  mit  ihren  Gegnern  Frieden 
machten,  wurde  die  Lage  der  Kreuzfahrer  eine  bedenkliche.  Ludwig 
liefs  noch  die  Mauern  von  Cäsarea,  dann  die  von  Joppe  und  Sidon 
herstellen.  Mittlerweile  starb  seine  Mutter  (1252,  Dezember)  und  seine 
Anwesenheit  in  Frankreich  wurde  immer  dringender  ersehnt.  Doch 
schiffte  er  sich  erst  Ende  April  1254  in  Akkon  ein  und  kam  im  Juni  in 
der  Heimat  an.  Der  Kreuzzug  war  mifsglückt,  und  zwar  nicht  ohne 
Verschulden  des  Königs.  Das  wurde  ihm  von  den  Zeitgenossen  aber 
nur  wenig  angerechnet;  diesen  erschien  er  seiner  'Tapferkeit  wegen  so 
bewunderungswürdig  wie  Gottfried  von  Bouillon  und  wegen  seiner  Fröm- 
migkeit als  ein  zweiter  Peter  von  Amiens. 

§  35.    Ludwig  IX.  und  der  Beginn  der  französischen  Vormacht- 
stellung in  Europa. 

1 .  Während  der  Abwesenheit  des  Königs  hielt  dessen  Mutter  Blanka 
mit  kräftiger  Hand  die  Ordnung  in  Frankreich  aufrecht.  Nicht  so 
günstig  als  in  den  Ländern  der  Krone  lagen  die  Verhältnisse  in  denen 
der  Grofsen.  Ein  Aufstand  der  Gascogner  gegen  die  englische  Herr- 
schaft, der  dem  König  von  Kastilien  Gelegenheit  zur  Einmischung  gab, 
nötigte  Heinrich  III.,  selbst  nachdem  Süden  zu  ziehen;  die  Unsicherheit 
der  englischen  Herrschaft  daselbst  und  die  Unzulänglichkeit  seiner  Mittel 
hielt  ihn   von    dem  Versuche    ab,    die  Abwesenheit  König  Ludwigs  zur 


156  Die  innere  und  äufsere  Politik  Ludwigs  IX. 

Wiedergewinnung  der  verlorenen  Provinzen  zu  benützen.  Die  Kämpfe 
im  Norden  (s.  oben  §  33)  endeten  erst  nach  Ludwigs  Heimkehr  damit, 
dafs  Guido  von  Dampierre  die  Nachfolge  in  Flandern,  Johann  von 
Avesnes  in  Hennegau  erhielt,  auf  welches  letztere  Karl  von  Anjou  gegen 
eine  Geldentschädigung  verzichtete.  In  der  Provence  war  auf  die  Kunde 
von  der  Gefangennahme  des  Königs  und  seiner  Brüder  ein  Aufstand 
gegen  die  verhafste  Herrschaft  seines  Bruders  Karl  von  Anjou  entstanden. 
Städte,  die  vordem  fast  republikanische  Freiheiten  genossen  hatten  und 
dessen  Regiment  verabscheuten,  wie  Marseille,  Aix,  Arles,  Nizza  und 
Avignon,  erhoben  sich  und  wurden  erst  nach  Karls  Ankunft  unter- 
worfen. In  Marseille  kam  es  allerdings  noch  1256  und  1262  zu  Auf- 
ständen, die  durch  blutige  Strafgerichte  beendet  wurden.  In  friedlicher 
Weise  vollzog  sich  dagegen  die  Erwerbung  der  Grafschaft  Toulouse. 
Nach  dem  Tode  Raimunds  VII.  (1249)  liefs  Blanka  das  Land  im  Namen 
ihres  abwesenden  Sohnes  Alfons  besetzen,  der  nach  seiner  Heimkehr 
die  Huldigung  der  Stände  erhielt  und  in  der  Grafschaft  eine  Verwaltung 
einführte,  die  sich  eng  an  die  französische  anschlofs.  Ludwig  IX.  rief 
die  Provinzialstände  von  Languedoc  ins  Leben,  indem  er  befahl,  dafs 
sein  Seneschall  bei  allen  wichtigen  Angelegenheiten  die  Prälaten,  Barone 
und  >  Bürger  der  guten  Städte     zu  Rate  ziehe. 

2.  In  den  auswärtigen  Angelegenheiten  befolgte  der  König  eine 
Politik  des  Friedens  und  der  Versöhnung.  Mit  Jayme  von  Aragonien 
schlofs  er  den  Vertrag  von  Corbeil  (1258,  11.  Mai),  in  welchem  Frank- 
reich auf  seine  Lehenshoheit  über  Katalonien,  Aragonien  dagegen  auf 
seine  Lehen  im  südlichen  Frankreich  verzichtete.  Allerdings  zerrissen 
nun  die  Bande,  die  den  Süden  Frankreichs  an  den  Norden  Spaniens 
knüpften.  Dem  englischen  König  gestand  Ludwig  zum  Mifsvergnügen 
der  öffentlichen  Meinung  in  dem  Frieden  von  Abbeville  (1259)  den 
Besitz  von  Perigord,  Limousin  und  den  Süden  von  Saintonge  zu,  wogegen 
jener  seine  Ansprüche  auf  die  Normandie,  Anjou,  Touraine,  Maine, 
Poitou  und  den  Norden  von  Saintonge  endgültig  aufgab.  Eine  gleiche 
Mäfsigung  bekundete  Ludwig  in  seinem  Verhalten  gegen  Deutschland. 
Wenn  er  als  frommer  Sohn  der  Kirche  einerseits  die  Mahnungen  des 
Kaisers,  auf  seine  Seite  zu  treten1),  abwies,  legte  es  ihm  doch  die  alte 
Verbindung  der  beiderseitigen  Herrscherhäuser  und  das  gemeinsame 
Interesse  der  monarchischen  Gewalten  nahe,  eine  vermittelnde  Stellung 
einzunehmen.  Wie  er  die  Anerbietungen  Gregors  IX.,  die  deutsche 
Krone  an  einen  Prinzen  Frankreichs  zu  übertragen,  zurückwies,  so  blieb 
er  auch  Innozenz  IV.  gegenüber  in  strikter  Neutralität,  indem  er  einer- 
seits Friedrich  IL  auch  nach  dessen  Absetzung  als  Kaiser  anerkannte, 
anderseits  aber  den  Papst  schützte,  als  der  Kaiser  Miene  machte, 
gegen  Lyon  vorzurücken.  Die  Wirren  im  deutschen  Reiche  seit  1250 
gaben  gute  Gelegenheit,    Frankreichs  Grenzen   im  Osten   vorzuschieben, 


1  Das  Vorgehen  des  Papstes  sei  in  praeiudicium  iuHsdictionis  regum  etc.  Es 
ist  eine  Erläuterung  des  alten  Satzes:  Nam  tua  res  agitnr.  partes  cum  proximus  nrdet. 
Cremona,  1245,  Sq>t.  22.     Huill.-Breh.   VI,  550. 


Steigender  Einflufs  Frankreichs.     Innerer  Aushau  des  frz.  Lehensstaates.       157 

aber  Ludwig  begnügte  sich  mit  den  —  freilich  auch  sehr  bedeutenden  — 
Erwerbungen  seines  Bruders  Karl  in  der  Provence  und  mit  dem  Kauf 
der  Grafschaft  Macon.  Im  Streit  zwischen  den  Königen  Alfons  und 
Richard  stand  er,  den  kapetingischen  Traditionen  entsprechend,  auf  kasti- 
lischer  Seite.  So  wenig  gewalttätige  Mafsregeln  er  auch  in  Anwendung 
brachte,  der  Einflufs  des  französischen  Königtums  in  Europa  war  fort- 
während im  Steigen.  Abgesehen  von  den  französischen  Staatsbildungen 
im  Orient,  verfiel  Italien  nach  dem  Sturz  der  Staufer  den  französischen 
Machteinflüssen.  Ludwig  selbst  erwarb  sich  durch  seine  Tugenden  die 
Stellung  eines  Schiedsrichters  nicht  blofs  in  den  Angelegenheiten  seiner 
Vasallen,  sondern  auch  aufserhalb  Frankreichs.  Willig  legten  die  eng- 
lischen Barone  und  Heinrich  III.  die  Entscheidung  ihrer  Streitigkeiten 
in  die  Hände  eines  Königs,  der  ihnen  »als  das  personifizierte  Recht«  galt. 
3.  Mit  dem  äufseren  Wachstum  hielt  auch  der  innere  Ausbau  des 
französischen  Lehensstaates  gleichen  Schritt.  Weit  entfernt,  an  den  her- 
gebrachten feudalen  Rechten  zu  rütteln,  erlangte  das  Königtum  eine 
derartige  Macht  und  ein  solches  Ansehen,  dafs  sein  Inhaber  nicht  mehr 
wie  früher  der  Erste  unter  seinesgleichen,  sondern  das  schützende  Ober- 
haupt aller  war,  das  selbst  die  feudalen  Gewalten  gegen  Übergriffe  oder 
den  Übereifer  seiner  Beamten  und  Diener  in  Schutz  nahm.  Das  Parla- 
ment genofs  eine  vollständige  Unabhängigkeit,  und  keine  Rechtsver- 
letzung fand  vor  seinen  Augen  Gnade.  Dabei  wurden  die  Errungen- 
schaften Philipps  IL  auf  dem  Gebiete  der  Rechtspflege  und  Verwaltung 
in  naturgemäfser  Weise  fortgebildet.  Zu  den  Baillis  und  Senechanx 
kamen  die  Enqiteteurs,  meist  Franziskaner  oder  Dominikaner,  welche  die 
Beamten  zu  überwachen  und  Klagen  wider  sie  an  den  König  zu  bringen 
hatten.  Aus  dem  alten  Kronrat  (grand  conseil),  der  sich  aus  Grofswürden- 
trägern,  Baronen  und  Prälaten  zusammensetzte,  bildeten  sich  noch  zwei 
Sektionen  heraus :  für  die  richterlichen  Angelegenheiten  der  oberste 
Reichsgerichtshof  (das  Parlament)  und  für  das  Finanzwesen  der  oberste 
Rechnungshof  (Chambre  des  comptes).  Auf  dem  Gebiet  der  Rechtspflege 
wurde  zunächst  das  Fehdewesen  stark  eingeschränkt.  Schon  Philipp  IL 
hatte  verordnet,  dafs  eine  angesagte  Fehde  erst  nach  40  Tagen  be- 
gonnen werde  (die  Quarantaine),  damit  sich  der  Gegner  rüsten  oder  des 
Königs  Entscheidung  anrufen  könne.  Ludwig  IX.  verschärfte  dieses 
Gebot.  Der  Zweikampf  vor  Gericht  wurde  abgeschafft  und  an  dessen 
Stelle  der  Zeugenbeweis  eingeführt.  An  die  Stelle  der  Rache  trat  nun 
der  Rechtsspruch.  W7er  mit  dem  Urteil  unzufrieden  war,  appellierte  an 
einen  der  vier  Obergerichtshöfe  (grands  baillages),  in  letzter  Instanz 
an  den  König.  Galt  diese  Appellation  anfangs  auch  nur  für  das  Kron- 
land im  engeren  Sinne,  so  wurden  immer  häufiger  die  sogenannten 
»Königsfälle«,  meist  schwere  Kriminalfälle,  überhaupt  an  das  königliche 
Gericht  gebracht  und  dadurch  die  erbliche  Gerichtsbarkeit  der  grofsen 
Vasallen  im  wesentlichen  auf  rein  territoriale  Angelegenheiten  einge- 
schränkt. Es  gab  nunmehr  in  Frankreich  keine  souveränen  Grofsen, 
sondern  grofse  Vasallen  unter  einem  Souverän.  Das  Parlament  setzt 
sich  teils  aus  ständigen  Räten,  vom  König  ernannten  Klerikern,  Rittern 


158  Die  Kirchenpolitik  Ludwigs  IX 

und  Amtsleuten  zusammen,  teils  wurden  je  nach  der  Rechtssache  Kron- 
beamte. Barone  und  Prälaten  berufen,  schon  jetzt  vielfach  studierte 
Juristen,  denen  Untersuchung  und  Berichterstattung  zufiel.  Daneben 
blieben  die  alten  Gewohnheitsrechte  (coutumes)  bestehen.  Amtsmifsbraueh 
wurde  strenge  geahndet;  um  selbst  den  Schein  eines  solchen  zu  ver- 
hüten, wurde  den  Beamten  verboten,  ihre  Kinder  innerhalb  ihres  Amts- 
bezirkes zu  verheiraten  oder  Amter  an  Verwandte  zu  geben.  —  Der 
Herstellung  der  Sicherheit  in  Handel  und  Wandel  diente  die  grofse 
Münzreform  von  1263,  die  aber  auch  zur  Hebung  der  Königsgewalt  bei- 
trug. Bisher  hatten  ungefähr  80  weltliche  und  geistliche  Grofse  das 
Münzrecht,  das  sie  oft  genug  zu  ihrem  Vorteil  mifsbrauchten.  Der  König 
setzte  es  durch,  dafs  die  königliche  Münze  —  und  diese  mufste  stets 
vollwichtig  sein  —  an  allen  übrigen  Orten  allein,  in  dem  Gebiete 
dieser  Grofsen  aber  neben  ihrer  Münze  zirkulieren  sollte.  Als  Freund 
der  Städte  traf  er  für  sie  eine  Menge  Wohlfahrtsmafsregeln.  Einzelne 
wurden  von  drückenden  Lasten  befreit,  andere  erhielten  städtische  Ge- 
rechtsame, in  allen  wünschte  er  taugliche  Magistrate  und  eine  geordnete 
Verwaltung  des  städtischen  Vermög?ns. 

4.  Der  Kirche  in  aufrichtiger  Weise  ergeben,  schützte  er  ihre 
Rechte  gegen  die  Eingriffe  der  königlichen  Beamten,  übte  sein  Recht  der 
Pfründenverleihung  in  mafsvoller  Weise  und  unter  Beobachtung  der  kirch- 
lichen Satzungen  aus  und  bewies  vornehmlich  den  Bettelorden  eine  grofse 
Zuneigung.  Ihre  Mitglieder  bekleideten  nicht  blofs  einflufsreiche  kirchliche 
Amter,  sondern  wurden  auch  zu  diplomatischen  Missionen  und  gewöhn- 
lichen Amtsgeschäften  verwendet;  bevorzugt  war  der  Predigerorden, 
dessen  Tätigkeit  im  Dienste  der  Inquisition  alle  Förderung  fand.  Aber 
trotz  seiner  frommen  Gesinnung  und  Ergebenheit  gegen  den  hl.  Stuhl 
trat  er  allen  Übergriffen  der  Geistlichkeit  streng  entgegen  und  schränkte 
ihre  Privilegien  nicht  unwesentlich  ein.  Er  duldete  das  Vorgehen  der 
Barone  und  Kommunen,  die  sich  wiederholt  vereinigten1)  (so  namentlich 
1246,  1247  und  1253),  um  die  kirchliche  Gerichtsbarkeit  über  die  Welt- 
lichen auf  Ketzerei,  Ehe-  und  Testamentsangelegenheiten  einzuschränken 
oder  der  Anhäufung  irdischer  Güter  in  der  Toten  Hand  entgegenzutreten. 
Der  Papst  Alexander  IV.  sah  sich  (1260)  genötigt,  den  Klagen  des  Königs 
über  Mifsbrauch  des  Bannes  und  der  geistlichen  Jurisdiktion  entgegen- 
zukommen. Fortan  sollte  kein  königlicher  Richter,  der  einen  Geistlichen 
eines  Kapitalverbrechens  wegen  festhalte  oder  verurteile,  in  den  Bann 
getan  werden.  Auch  die  Besteuerung  des  kirchlichen  Vermögens  aus 
Anlafs  der  vom  König  unternommenen  Kreuzzüge  mufste  sich  der 
Klerus  gefallen  lassen.  Ludwig  IX.  galt  bis  in  die  neueste  Zeit  als  der 
eigentliche  Begründer  der  gallikanischen  Kirchenfreiheit.  Nachdem  er 
verschiedenen  Versuchen  der  Kurie,  das  Recht  der  Besteuerung  fran- 
zösischer Kirchen  auszuüben  und  die  geistliche  Gerichtsbarkeit  noch  weiter 
auszudehnen,  entgegengetreten  war,  soll  er  1269  die  sog.  pragmatische 
Sanktion2)     erlassen     haben,     welche     die     Verleihung     französischer 

1    Zum  Teil  auf  die  Aufforderung  seitens  des  Kaisers  Friedlich  II. 
*    Der  Ausdruck  p  r  a  g  m  a tische  Sanktion  stammt  aus  Byzanz. 


Die  angebliche  pragmatische  Sanktion   Ludwigs  IX.  159 

Pfründen  an  Ausländer  verbietet,  der  französischen  Kirche  die  voll- 
ständigste Wahlfreiheit  sichert,  gegen  die  Anhäufung  von  kirchlichen 
Benefizien  in  einer  Hand  und  gegen  die  drückenden  und  willkürlichen 
Gelderpressungen  der  Kurie  kämpft  usw.  Diese  angebliche  prag- 
matische Sanktion  ist  eine  Fälschung  des  15.  Jahrhunderts,  die 
auf  Grundlage  der  sogenannten  Reformation  Philipps  des  Schönen  vom 
Jahre  1303  in  der  Zeit  des  Basler  Konzils,  und  zwar  im  Hinblick  auf 
die  Verhandlungen  zu  Bourges  im  Jahre  1438.  angefertigt*  wurde.1) 

§  36.    Heinrich  III.  (1216—1272)  und  die  Fortbildung  der  englischen 

Verfassung. 

Quellen.  Urkk.  u.  Korrespondenzen :  Patent  Rolls  of  the  Ejeign  of  Henry  III., 
1216—32.  Lond.  1901—03.  Close  Rolls,  ib.  1902.  Royal  and  other  hist.  letters  illustrative 
of  the  reign  of  Henry  III.,  ed.  W.  W.  Shirley  2  voll.  Lond.  1862—66  (Roll.  Series). 
Staatsakten  in  Ryrner  wie  oben.  Lettres  of  Cardinal  Ottoboni.  EHR.  XV,  87.  Sermons, 
letters  of  K.  Grosseteste  in  Brown,  Fasciculus  rer.  expetendarum  et  fugiendarum. 
Lond.  1690.  Roberti  Grosseteste,  Epistolae,  ed.  Luard,  Rolls  Ser.  Lond.  1861.  Epp. 
Adae  de  Marisco  (Freund  Simons  v.  Montfort)  in  MM.  Franciscana,  edd.  Brever  and 
Howlett,  Rolls  Ser.  2  voll.  Lond.  1858—1882.  Excerpta  e  Rotulis  finium  1216—72. 
Lond.  1835'36.  Reg.  of  St.  Osmund,  Rolls  Ser.  78.  Ramsey  Cartulary,  -ib.  79.  Saruni, 
Charters  and  Documents  Rolls  Ser.  97.  The  Red  Book  of  the  Exequer,  R.  S.  99. 
Calendarium  genealogicum.    Henry  HI.  and  Edward  L,  ed.  by  Ch.  Roberts.    London  1865. 

Geschichtschreiber:  Roger  of  Wendover  (s.  oben)  steht  mit  seinen  Sym- 
pathien auf  sehen  des  Königs  u.  des  Papstes.  Sein  Fortsetzer  ist  Matthäus  Paris,  der 
berühmteste  Geschichtschreiber  Englands  im  MA.,  in  seiner  Chronica  maiora.  Schon 
Baronius  nennt  sein  Werk  ein  »goldenes  Buch,  wiewohl  befleckt  durch  Feindseligkeit 
wider  den  hl.  Stuhl«.  Charakterist.  bei  Green  I,  174.  Matth.  Par.  ist  ausgezeichnet 
durch  seine  Unabhängigkeit  u.  Vaterlandsliebe.  Ausgabe  von  Luard:  Rolls  Ser.  7  voll. 
Lond.  1872—83.  Excerpte  MM.  Germ.  SS.  XXVIII,  107—389.  Andere  Ausgaben  s.  bei 
Potthast  u.  Grofs.  Die  Historia  minor,  ed.  Madden,  Rolls  Ser.  3  voll.  Lond.  1866 
bis  1869  (ist  eine  gekürzte  Redaktion,  aber  mit  Zusätzen).  Über  Matth.  von  Paris 
ist  alles  Wichtige  zusammengestellt  in  Grofs,  S.  300.  Die  Annales  monastici,  (ed.  Luard, 
ib.  Nr.  36);  vol.  1 — 4  (enthalten  die  Annales  v.  Margan,  de  Theokesberia,  de  Burton, 
Wintonia,  Waverleia,  Dunstaplia,  Bermundeseia  [erst  1433  kompiliert],  das  chron. 
Thomae  Wykes  u.  die  Annales  de  Wigornia,  über  den  Wert  der  einzelnen  s.  Grofs  1.  c. 
In  Betracht  kommen  vornehmlich  die  von  Dunstable,  Waverley  u.  Berrnondsey).  In 
S.  Albans  hat  Rishanger  die  Tätigkeit  des  Matth.  Paris  fortgesetzt,  aber  ohne  dessen 
Geist  u.  Wissen :  Chronica  monasterii  S.  Alban  II,  ed.  Riley  in  den  Rolls  Ser.  Lond. 
1865,  1876.  Das  Opus  Chronicorum  (Rishanger)  s.  in  den  Rolls  Ser.  1866.  R.  ist  ein 
Bewunderer  Simons  von  M.  Das  ist  auch  in  den  Annales  Cestrienses,  ed.  Christie, 
Lond.  1887,  der  Fall.  Annales  S.  Pauli  Londoniensis,  ed.  Liebermann.  MM.  Germ. 
XXVIII.  Coggeshall  u.  Coventry  s.  oben.  Gloucester  Robert  of,  The  metrical  chronicle, 
ed.  Wright  Rolls  Series.  Lond.  1887.  Fitz-Thedmar,  De  antiquis  legibus  liber,  ed. 
Stapleton.  Lond.  1886.  Flores  Historiarum,  ed.  Luard.  Rolls  Series  3  voll.  Lond.  1890. 
Silgrave,  Chronicon  Henrici  de  .  .,  ed.  Hook.  Lond.  1849.  John  de  Tayster,  Chronica 
abbreviata,  ed.  Luard,  Rolls  Series.  Lond.  1859.  Chronica  de  Mailros,  ed.  Stevenson. 
Edinb.  1835.  Chr.  de  Lanercost,  ibid.  1839.  Contin.  chronici  Willemi  de  Xovoburgo. 
Rolls  Ser.  82.  Ann.  monast.  b.  Mariae  juxta  Dublin,  Annal.  Irland.,  ed.  Gilbert,  Rolls 
Ser.  80.  Einzelnes  in  Knighton  Rolls  Ser.  92.  Die  Histoire  de  Guillaume  Marechal 
s.  oben.  Gesänge  auf  den  Tod  Montforts  s.  Grofs  Xr.  2752.  The  song  of  Lewes,  ed. 
by  Kingsford.  Oxford  1890.  Eine  gute  Zusammenstellung  des  Quellenmat.  für  die 
Verfassungsgesch.   Englands   bietet   auch   für  diese  Periode  Stubbs,  Select  Charters. 


*)  Über  die  Motive  der  Fälschung  s.  Scheffer-Boiehorst  in  den  MJÖG.  8,  393. 


1(30  Die  Anfänge  Heinrichs  HL.  von  England. 

H  i  1  f  s  s  c  h  r  i  f  t  e  n.  Die  allg.  Werke  von  Pauli,  Green,  Pearson,  Gneist, 
ß ü di n g e r j  S  t  u b b s  s.  oben.  Richardson,  The  national  movement  in  the  reign  of 
Henry  III  and  its  culmination  in  the  Barons'  war.  Lond.  1897.  Bemont,  Simon  de 
Montfort,  eomte  de  Leicester.  Paris  1884.  Pauli,  Simon  von  Montfort.  Tübingen  1861, 
besser  die  englische,  von  Pauli  revidierte  Ausgabe  Goodwins,  London  1876.  Prothero, 
The  life  of  Simon  de  Montfort.  London  1877.  Blaauw,  The  barons"  war.  Cambr.  1871. 
Feiten,  Robert  Grosseteste.  Freib.  1887.  Lechler,  Robert  Grofseteste.  Leipz.  1867. 
Pauli,  Robert  Grosseteste  u.  Adam  v.  Marsh.  Tübingen  1864.  Stevenson,  Robert 
Grosseteste.  Lond.  1899.  L u a r d ,  R.  Grosset.  Dict.  of  nat.  biography,  J.  Fortescue,  The 
Governement  of  England,  ed.  Plummer.  Oxf.  1885.  Gibson,  The  Parliament  of  1264. 
EHR.  XVI,  499. 

1.  Nach  dem  Tode  William  Marshals,  Grafen  von  Pembroke  (1219), 
übernahmen  der  Legat  Pandulf,  Stephan  Langton  und  der  Justitiar 
Hubert  de  Burgh  die  Geschäfte,  von  denen  der  letztere  bald  die 
mafsgebendste  Persönlichkeit  wurde.  Ein  Staatsmann  noch  aus  der  Schule 
Heinrichs  IL,  sah  er  sich  durch  die  Einmischung  Roms,  das  bei  des 
Königs  Minderjährigkeit  Anteil  am  Regimente  begehrte,  vielfach  gehindert, 
bis  es  Langton  (1221)  durchsetzte,  dafs  nach  Pandulfs  Abberufung  kein 
Legat  mehr  nach  England  abgesendet  wurde.  Hubert  de  Burgh  selbst 
hing  wie  Langton  mit  ganzem  Herzen  an  der  noch  vielseitig  angefochtenen 
Magna  Charta.  Allmählich  gelangte  der  Grundsatz  zur  Anerkennung, 
dafs  einem  jeden  Zugeständnisse  an  die  Krone  die  Abhilfe  von  Mifs- 
bräuchen  vorhergehen  müsse.  Man  kann  die  ersten  16  Jahre  der 
Regierung  Heinrichs  III.  als  ein  Adelsregiment  bezeichnen,  das  in 
seinem  Namen  geführt  wurde.  Seitdem  er  aber  grofsj ährig  geworden 
(1227),  war  Huberts  Einnufs  im  Sinken.  Nach  Langtons  Tode  (1228) 
wendeten  sich  die  Dinge  vollends  zum  Schlimmen.  Der  König  trat 
immer  eigenmächtiger  auf,  und  Rom  kehrte  England  gegenüber  immer 
mehr  den  Herrscher  heraus.  Da  die  Barone  die  unaufhörlichen  For- 
derungen des  Königs  zurückwiesen,  verlangte  er  den  Zehent  von  allem 
beweglichen  Gut  des  Klerus ;  die  Patronatsrechte  wurden  mifsachtet  und 
die  besten  Pfründen  des  Landes  schon  jetzt  für  Italiener  reserviert. 
Ein  grofser  Teil  der  Landesbewohner  erhob  sich  gegen  dies  Verfahren, 
und  Hubert  stand  mit  seinen  Neigungen  auf  Seiten  des  Volkes.  Da  liefs 
der  König  eine  Untersuchung  gegen  seine  Verwaltung  einleiten,  die 
seinen  Sturz  zur  Folge  hatte.  Damit  beginnt  (1232)  die  Epoche  des 
persönlichen  Regiments  des  Königs,  die  zwei  Jahrzehnte  andauerte. 
Heinrich  III.,  der  nichts  von  dem  hinterhältigen  Wesen  seines  Vaters  an 
sich  hatte,  dem  freilich  auch  die  politische  Begabung  seiner  Vorgänger 
fehlte,  strebte  nach  der  Wiedergewinnung  des  kontinentalen  Besitzes  und 
der  Abschaffung  der  durch  die  Magna  Charta  geschaffenen  Ein- 
schränkungen der  königlichen  Gewalt.  Hiebei  geriet  er  auf  der  einen 
Seite  in  einen  Streit  mit  Frankreich,  auf  der  andern  mit  den  Interessen 
des  eigenen  Landes.  Mit  Vorliebe  nahm  er  Fremde  in  seine  Dienste. 
Den  gröfsten  Einnufs  gewannen  die  Oheime  seiner  Gemahlin  Eleonore 
von  der  Provence,  Peter  von  Savoyen  und  Bonifaz,  welch  letzteren  er 
zum  Erzbischof  von  Canterbury  ernannte;  da  seine  in  zweiter  Ehe  an 
einen  Edelmann  aus  Poitou  verheiratete  Mutter  ihre  Verwandtschaft  nach 
England  zog,  gelangte  die  Verwaltung  in  Hände,  denen  Englands  Gesetze 


Das  Parlament.     Die  ständische  Opposition.     Simon  von  Montfort.  151 

und  Gewohnheiten  völlig  fremd  waren,  so  clafs  anarchische  Zustände 
eintraten.  Als  der  grofse  Rat  dem  König  die  Mittel  zur  Zahlung  seiner 
Schulden  bewilligte,  mufste  er  die  Magna  Charta  bestätigen  (1237).  Nicht 
lange  nachher  tauchte  der  Name  Parlament  auf1)  und  wird  von  nun 
an  häufiger,  ohne  noch  die  älteren  Bezeichnungen  Colloquliim  oder  Con- 
ciliam  zu  verdrängen.2)  Trotz  der  Bestätigung  der  Magna  Charta  hielt  sich 
der  König  ebensowenig  an  ihre  Bestimmungen,  wie  er  die  Proteste  der 
Barone  beachtete.  Am  meisten  litt  die  englische  Geistlichkeit  durch  die 
Exaktionen  der  Kurie,  die  allmählich  den  Widerstand  des  Landes  und 
schliefslich  selbst  des  Königs  hervorriefen.  Allerdings  genügte  schon  die 
Drohung  mit  dem  Interdikt,  um  ihn  von  diesem  Weg  abzulenken;  doch 
drängte  diese  Nachgiebigkeit  und  seine  Verschwendung  der  Geldmittel 
geistliche  und  weltliche  Magnaten  in  die  Opposition.  Von  1244  an  wird 
weder  ein  Grofsrichter,  noch  ein  Kanzler,  noch  ein  Schatzrichter  ernannt, 
sondern  die  Verwaltung  bei  Hofe  von  Bureaubeamten  geführt.  Daher 
begehrten  die  Grofsen  für  die  Unterstützung,  die  der  König  beim 
ungünstigen  Fortgang  des  Krieges  verlangte,  dafs  nicht  blofs  die  Magna 
Charta  aufs  neue  bestätigt,  sondern  auch  die  Wahl  des  Justitiars,  Kanzlers 
und  Schatzmeisters  von  der  Reichsversammlung  vollzogen  und  dem 
König  ein  ständiger  Staatsrat  beigegeben  werde  (1248).  Dagegen  suchte 
sich  Heinrich  III.  durch  populäre  Verwaltungsmafsregeln,  namentlich 
dadurch,  dafs  das  Verfahren  der  Grundherren  gegen  ihre  Hintersassen 
überwacht  und  diese  gegen  Übergriffe  geschützt  wurden,  ein  Gegen- 
gewicht gegen  die  Barone  zu  schaffen ;  aber  schon  haben  diese  für  ihren 
Kampf  um  die  Aufrechterhaltung  der  reichsständischen  Regierung  einen 
Führer  gefunden,  und  damit  beginnt  die  dritte  Epoche  (1252 — 1266) 
der  Regierung  Heinrichs  III. 

2.  Simon  von  Montfort,  der  vierte  Sohn  des  berühmten  Führers 
der  kirchlichen  Parteien  im  Albigenserkriege,  hatte  als  Erbe  die  englische 
Grafschaft  Leicester  erhalten  und  durch  sein  ritterliches  Auftreten  die 
Hand  Eleonorens,  der  Witwe  William  Marshals  des  Jüngeren  und  Schwester 
des  Königs,  erworben.  Dadurch  wurde  die  Mifsgunst  der  einheimischen 
Barone  gegen  den  Ausländer  wachgerufen.  Zugleich  eiferte  die  Kirche 
gegen  die  Ehe,  da  Eleonore  nach  ihres  Gatten  Tod  Witwenschaft  gelobt 
hatte.  Nachdem  er  die  Dispens  des  Papstes  erhalten,  wurde  er  unter 
die  Räte  des  Königs  aufgenommen.  Wegen  seiner  Beziehungen  zu 
Friedrich  IL  fiel  er  in  Ungnade  und  flüchtete  nach  Frankreich.  Der 
würdige  Kirchenfürst  Englands,  Bischof  Robert  Grosseteste,  her- 
vorragend durch  Frömmigkeit  und  Wissen  und  nicht  zuletzt  auch  durch 
seinen  Eifer  für  die  Rechte  der  englischen  Kirche,  brachte  (1240)  eine 
Versöhnung  zustande.  •  Der  Kreuzzug,  den  Montfort  hierauf  unternahm, 
erhöhte  seinen  Ruhm,  so  dafs  die  Grofsen  Jerusalems  ihn  vom  Kaiser 
als  Statthalter  für  die  Zeit  der  Minderjährigkeit  Konrads  IV.  erbaten. 
Er  kehrte   indes  in    die  Heimat  zurück   und   tat   sich   im  Kriege   gegen 


x)  Zuerst  1246  bei  Matth.    Paris.    Im  offiziellen  Gebrauch  zuerst  1258. 
2)  Näheres  bei  Gneist,  S.  263. 
Löserth,    Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  11 


152  Die  Provisionen  von  Oxford. 

Frankreich  durch  Umsicht  und  Tapferkeit  hervor.  Als  Gouverneur  von 
Poitou  schirmte  er  die  Rechte  des  Königtums  gegen  die  grofsen  Vasallen 
und  schützte  das  Volk  gegen  deren  Druck;  dadurch  zog  er  sich  den 
Hafs  der  Barone  zu.  die  ihn  beim  Könige  in  Mifsgunst  setzten.  Nach 
dem  Tode  Blankas  dachten  die  französischen  Grofsen  daran,  ihn  bis 
zur  Heimkehr  Ludwigs  IX.  mit  der  Regentschaft  zu  betrauen.  Er  lehnte 
sie  ab.  In  England  wurden  inzwischen  die  Zustände  immer  trostloser. 
Die  für  die  sizilischen  Projekte  des  Königs  (s.  oben)  und  die  Kreuzzugs- 
steuern erhobenen  Gelder  drückten  auf  das  Land,  »das  mit  allen  seinen 
Reichtümern  dem  Papste  dienstbar  und  dessen  Krone  gleichsam  ein 
Organ  der  Hierarchie  war.1)  Auf  der  Versammlung  zu  Westminster 
kam  es  1258  zu  einem  allgemeinen  Ausbruch  der  Unzufriedenheit. 
Montfort  stellte  sich  an  die  Spitze  der  unzufriedenen  Barone,  die  nun 
für  den  König  in  den  :  Provisionen  von  0 x f  o r  d  eine  A rt  vormund- 
schaftlicher  Regierung  einsetzten2). 

24  Vertrauensmänner  hatten  vier  Männer  zu  bezeichnen,  die  einen  aus  15  Mit- 
gliedern bestehenden  Rat,  gleichsam  ein  Reichsministerium,  einsetzten,  dessen  Mehr- 
heit dem  König  förmlich  die  Regierung  aus  den  Händen  wand.  Der  Ausschufs  der  24, 
der  nicht  zurücktrat,  A'erlangte  genaue  Befolgung  der  oft  beschworenen  Freiheitsbriefe. 
Ihm  sollte  die  Ernennung  des  Justitiars,  Kanzlers  und  Schatzmeisters  zustehen.  Das 
Parlament  sollte  dreimal  im  Jahre  abgehalten  werden.  Zu  diesen  Gerichtsversanunlungen 
erscheinen  auch  che  15  Räte  des  Königs  und  ein  Ausschufs  von  12  Magnaten,  welche 
die  allgemeinen  Reichsangelegenheiten  erledigen.  Ihren  Beschlüssen  hat  sich  die 
<Tesamtheit  zu  fügen.  Vier  gewählte  Ritter  aus  jeder  Grafschaft  haben  die  Beschwerden 
der  Kreise  für  das  nächste  Parlament  aufzunehmen.2  Mit  der  Kerze  in  der  Hand, 
mnfste  der  Kimig  die  Provisionen  beschwören. 

Die  neue  Politik  Englands  war  die :  keine  Zahlungen  an  Rom, 
Rücktritt  vom  sizilischen  Unternehmen.  Friede  mit  Frankreich  und 
Wales.  Alle  Macht  war  in  Montforts  Händen,  und  ihm  gelang  es,  mit 
Frankreich  Frieden  zu  schliefsen  (s.  oben).  Aber  wie  einst  Johann 
gewann  auch  Heinrich  III.  die  Hilfe  des  Papstes,  der  die  Statuten  (1261) 
verdammte.  4)  Die  Verwirrung  im  Reiche  stieg  von  Jahr  zu  Jahr.  Eine 
Zeitlang  erhielt  der  König  die  Oberhand.  Darauf  erhoben  sich  die 
Barone  unter  Simon  zum  Schutz  der  Oxforder  Bestimmungen.  Auch 
die  Städte,  in  denen  der  demokratische  Geist  das  Übergewicht  gewann, 
schlössen  sich  an;  die  Geistlichkeit  und  die  Universitäten  ergriffen  für 
Montfort  Partei.  Viele  vom  Adel  hielten  dagegen  zum  König.  Beide 
Teile  riefen  das  Urteil  Ludwigs  IX.  an,  und  dieser  entschied  zugunsten 
Heinrichs,  eine  Entscheidung,  die  auch  die  Bestätigung  des  Papstes 
erhielt.  Danach  sollten  die  Provisionen  aufgehoben  und  dem  König 
das  Recht  gewahrt  werden,  sich  seine  Räte  nach  Belieben  zu  wählen. 
Montfort  und  die  Bürger  von  London  widersetzten  sich  dieser  Ent- 
scheidung, und  die  Bürger  griffen  zu  den  Waffen.  Das  königliche  Heer  stand 
unter    dem  Befehl   des   Kronprinzen  Eduard.     Als    der  König  Montforts 


1    Ranke,  Werke  XIV,  57. 

*    (meist  264. 
3    Ebenda  S.  265. 
Kymer  I,  405,  406. 


4 


Simon    villi   Montfort,   Stifter  des    Hauses  der  Gemeinen.  103 

Vorschlag,  die  Oxforder  Provisionen  zu  beschwören,  zurückwies,  kam  es 
am  14.  Mai  1264  bei  Lowes  zur  Schlacht,    Das  Feldherrntalent  Eduards 

war  dem  Montforts  nicht  gewachsen.  Heinrich  III.,  sein  Bruder,  der 
deutsche  König  Richard  und  der  Kronprinz  wurden  gefangen.  Morjtfort 
stand  jetzt  an  der  Spitze  des  Staates.  Begeisterte  Sänger  feierten  ihn 
in  kräftigen  Liedern.1)  Er  nutzte  seinen  Sieg  mafsvoll  aus :  Die  Oxforder 
Provisionen  sollten  einem  Schiedsgericht  unterworfen,  Fremde  von  ein- 
heimischen Ämtern  ausgeschlossen  und  strenge  Sparsamkeit  im  königlichen 
Haushalt  eingehalten  werden.  Aber  Ludwig  IX.  lehnte  das  schieds- 
richterliche Amt  ab,  und  der  Papst  verurteilte  die  Sache  der  Barone. 
Li n  seinen  Anhang  zu  stärken,  rief  Montfort  nicht  nur  wie  früher  zwei 
Bitter  aus  jeder  Grafschaft,  sondern  auch  je  zwei  Bürger  aus  einer  Anzahl 
von  Flecken  ins  Parlament.  Es  Avar  das  erstemal,  dafs  auch  Kauf- 
leute und  Handwerker  an  den  Beratungen  teilnahmen.  Simon  von 
Montfort  ist  sonach  Stifter  des  Hauses  der  Gemeinen.  Trotz 
alledem  war  sein  Ansehen  bald  nachher  erschüttert.  Den  auswärtigen 
Verhältnissen  gegenüber  war  er  gewachsen,  aber  die  Schwierigkeiten  im 
Innern  wurden  immer  gröfser.  Die  Gefangenhaltung  des  Königs  und 
des  Kronprinzen  entfremdete  ihm  die  Massen.  Es  gelang  dem  Kronprinzen, 
zu  entkommen  und  ein  Heer  zu  sammeln.  Bei  Evesham  kam  es  (1265) 
zur  Schlacht,  und  Montfort  fiel.  An  seinem  entseelten  Leib  nahmen  die 
Gegner  schmähliche  Rache.  Dem  Volke  freilich  galt  er  als  ein  Heiliger2), 
der  für  den  Frieden,  die  Freiheiten  und  das  Heil  des  Landes  gefallen. 
Nun  nahm  der  König  wieder  die  volle  Gewalt  in  Anspruch,  und  damit 
beginnt  die  Schlufsperiode  dieser  Regierung.  Auf  dem  Parlament  von 
Kenilworth  (1266,  31.  Oktober)  wurden  zwar  die  Provisionen  von  Oxford 
nochmals  verworfen;  da  hierüber  aber  neue  Bewegungen  ausbrachen, 
mufste  die  Krone  doch  wieder  in  Montforts  Bahnen  einlenken,  und  der 
Kronprinz  selbst  war  es,  der  seinen  Vater  hiezu  bewog.  Beim  Parlament 
von  1267  fanden  sich  neben  den  Magnaten  wieder  Verordnete  der  Städte 
ein.  Das  Land  genofs  hierauf  eines  vollständigen  Friedens,  so  dafs  Eduard 
einen  Kreuzzug  (s.  unten)  unternehmen  konnte. 

3.  Kapitel. 

Das  Ende  der  Kreuzzüge. 

§  37.  Der  Untergang  des  lateinischen  und  die  WiederaiiMcktiing 
des   griechischen  Kaisertums.     Die    kleinen   lateinischen   Staaten   in 

Griechenland. 

Q uellcn:  S  .H o p f  in  Ersch-Gruber  KE.  85,  200—205.  K r u mbacher,  Gesch. 
d.  byz.  Lit.  2.  A.  München  1897,  und  Molinier  III.  Hauptquelle :  Georgios  Akro- 
polites  (f  1282):  Xqovmj]  avyyqacfi]  1204—1261  (schwulstig,  aber  zuverlässig).  Krumb.  286 \ 
ed.  Bonn  1836.  Georgios  Pachymeres(f  nach  1308):  De  Michaele  etAndronico  Palaeologis 

*)  Fides  et  fidelitas  — ^Symonis  solius  —  Fit  jjacis   integritas   —  Angliae  tothis. 

2)  Salve  Simon  Montis  fortis  etc.     Fue'runtque   qui   dicerent   ad   sepulclirum   eins 

multafieri  miracula.  Cont  .chron.  Will,  de  Novoburgo.  Über  die  Schlacht  s.  Köhler  III,  302* 

11  * 


1(34  Allgemeine  Lage  des  lateinischen  Kaisertunis. 

libri  XIII,  1255 — 1308,  ed.  Bonn  1836.  Streng  nation.-griech.  Standpunkt  in  der  Unions- 
frage, s.  Krumb.  289,  dort  auch  über  Seldjoug  Namen  als  Quelle  für  die  Gesch.  v. 
Byz.  im  12.  u.  13.  Jahrh.  Xikephoros  Gregoras  der  gröfste  Polyhistor,  der  letzten 
zwei  Jahrh.  in  Byz.  f  um  1359):  'Iorooia  'Pcopaucq  1204 — 1351.  Bonn  1829 — 1855.  Typikon 
Michaels  VIII,  ed.  Gedeon  1895  Krumb.  318).  Ephraemius  Byzantinus,  Yitae  caesarum 
bis  1261.  Cor}»,  bist.  Byz.  Bonn  1840.  Michael  Panaretos :  IJsol  xä,v  t/~5  Toan^oxvxoz 
ßaadecov  1204 — 1426,  ed.  Tafel.  Frankf.  1832  Krumb.  393  .  Xqovocov  tcZv  ev  'Pwfiavht 
koli  iiahara  ev  r<o  Mooe'q  Tio/.eucov  rcov  (Poäyy.cov  bis  1292,  gew.  Chronique  de  Mor^e 
genannt,  behandelt  nach  einer  grösseren  Einleitung  die  Gesch.  der  Feudalstaaten  der 
Lateiner  im  Peloponnes.  Sie  ist  in  Versen.  Es  gibt  zwei  griechische,  eine  französische, 
aragonische  u.  italienische  Bearbeitung.  Die  griech.  in  Buchon,  Recherches  historiques 
sur  la  principaute  francaise  de  Moree,  tom.  IL  Andere  Ausg.  s.  Potth.  I,  294,  s.  auch 
Hopf,  p.  203  u.  Krumbacher  834.  Der  Verf.  ist  ein  gräzisierter  Franke  Gasmule  . 
Marino  Sanudo  Torsello :  Istoria  del  regno  di  Romania  sive  regno  di  Morea.  4  parti, 
ed.  Hopf,  Chroniques  Greco-Romanes  99 — 170.  Giovanni  Musachi  Chron.  in  Hopf, 
Chron.  Grec.-Rom.     Über  Ramon  Muntaner  s.  unten. 

Hilf s s chrif t e n ;  Du  Fresne  du  C an ge :  Historia  Byzantina  duplici  com- 
mentario  illustrata.  Paris  1680.  Histoire  de  Tempire  de  Ople.  sous  les  empereurs  Franeois. 
Paris  1668.  Ch.  Le  Beau,  Histoire  du  Bas-Empire.  Paris  1757 — 1784,  ed.  >t  Martin, 
21  voll.  Paris  1824 — 36.  Gibbon,  History  of  the  decline  and  fall  of  the  Roman  cmpire, 
wie  oben.  Finlay,  History  of  the  Byzantine  and  Greek  empires  fi'om  716 — 1453, 
vol.  II,  1854.  History  of  Greece  from  its  Conquest  by  the  Crusaders  to  its  Conquest 
by  the  Turks  and  of  the  Empire  of  Trebizond  1851.  Deutsch  von  Reiching.  Tübingen  1853. 
AV.  de  Brunet  de  Presle  et  A.  Blanchet,  La  Grece  depuis  la  conquete  romaine. 
Paris  1860.  K.  Hopf,  Geschichte  Griechenl.  v.  Beginn  d.  MA.  in  Ersch  u.  Gruber, 
RE.  I.  Sekt.,  85.  u.  86.  Bd.  Lpzg.  1867/68.  Schlosser,  Weltgesch.  in  zusammenh. 
Erzählung.  III,  2.  1.  Abt.  1824.  Hertzberg,  Gesch.  Griechenl.  seit  d.  Absterben  des 
antik.  Lebens.  3  Teile.  Gotha  1876/78.  Gesch.  d.  Byzantiner  u.  des  osmanischen  Reiches. 
Berlin  1883.  Oman,  The  Byzantine  empire.  London  1892.  Rambaud  in  Lavisse- 
Rambaud,  Hist.  generale  III.  Geiz  er,  Abrifs  d.  byz.  Kaisergeschichte  in  Krumbacher, 
s.  911 — 1067.  AVerke  griechischer  Autoren  sind:  Pap'arrhegopulos,  'Iarooia  rov 
' E'ür,viy.ov  efrvovg.  5  Bde.  2.  Aufl.  Athen  1887—1888.  KaXXiyag,  MsUrai  Bviavxivtje, 
loTooiag  1204 — 1453.  Athen  1894.  Stamatiades,  'loxooio.  xri  rV.cuoeats  toi  BiZarriov 
vTxo  röji'  <Pprr/y.cor  y.a't  tt}g  avtod'i  t^ovoias  avtiov  1204 — 1261.  Athen  1865  Fallmcrayer, 
Gesch.  d.  Halljinsel  Morea  während  d.  MA.  Stuttg.  1830/36.  —  Gesch.  d.  Kaisertums 
Trapezunt.  München  1827.  Gregorovius,  Gesch.  d.  Stadt  Athen  im  MA.  2  Bde. 
Stuttgart  1889.  Buchon,  Recherches  et  materiaux  pour  servir  ä  une  hist.  de  la 
domination  franc.  aux  13 — 15  siecles.  2  voll.  Paris  1841.  Xouvelles  recherches  historiques 
sur  la  principaute  franc.  de  Moree  et  ses  hautes  baronnies.  2  voll.  Paris  1843.  Hist. 
des  conquetes  et  de  l'etablissement  <les  Francais  dans  les  etats  de  l'ancienne  Grece. 
Paris  1846.  De  Mas  Latric,  Les  princes  de  Moree  ou  d'Achaie  1203—1261.  Yen.  1882. 
Beving,  La  principaute  d'Achaie  et  de  Moree  1204 — 1430.  Brüssel  1879.  Schlum- 
berger,  Xumismatiijue  de  l'Orient  latin.  Paris.  1875.  Jirecek,  Gesch.  d  Bulgaren. 
Prag  1876.  Norden,  Das  Papsttum  u.  Byzanz.  Berl.  1903.  Ausf.  Lit. -Angaben  bei 
Krumbacher,  S.  1068  ff. 

1.  Trotz  der  Unterstützuno-  durch  das  Papsttum  hielten  die  lateini- 
schen Kaiser  mit  Mühe  ihre  schlecht  begründete  Herrschaft  aufrecht; 
dagegen  waren  unter  den  griechischen  Reichen  Nikäa  und  Epirus  in 
unaufhaltsamem  Wachstum  begriffen,  nur  Trapezunt  vermochte  den 
Wettstreit  mit  beiden  nicht  auszuhalten.  In  diesen  drei  Staaten  fanden 
die  von  den  bürgerlichen  und  militärischen  Stellen  des  lateinischen 
Kaisertums  ausgeschlossenen  Griechen  Gelegenheit  zur  Entfaltung  ihrer 
Kräfte.  Gebot  Michael  (Angelos  Komnenos)  bereits  über  Epirus, 
Albanien  und  Thessalien,  so  eroberte  sein  Nachfolger  Theodor  (1214 
bis    1230)    Thessalonich,    schob    die    Grenzen    seines    Reiches    bis   nach 


Epirus  und  Nikäa.     Theodor  Lascaris  und  Vatatzes.  1G5 

Adrianopel  vor  und  liefs  sich  durch  den  Erzbischof  von  Achrida  zum 
Kaiser  der  Romäer  krönen.  Es  war  der  erste  grofse  Erfolg  der  Griechen 
über  die  Lateiner.  Theodors  Herrschaft  reichte  bereits  vom  Adriatischen  bis 
zum  Schwarzen  Meere.  Noch  bedeutender  wurde  die  Macht  des  Kaisertums 
Nikäa.  'Schon  Theodor  Lascaris  (1204 — 1222)  dehnte  dieses  Reich 
in  siegreichen  Kämpfen  gegen  die  Lateiner,  Türken  und  Trapezunt  über 
Bithynien,  Mysien,  Lydien,  Ionien  und  einen  Teil  von  Phrygien  aus. 
Er  wurde  hiebei  von  seinem  Schwiegersohn  Johannes  Dukas  Vatatzes, 
einem  tüchtigen  Feldherrn  und  Staatsmann,  unterstützt.  Seine  Absichten 
gingen  bereits  auf  die  Wiederherstellung  des  griechischen  Gesamtreiches. 
Hierin  sah  er  sich  aber  durch  die  Bulgaren  unter  ihrem  tatkräftigen 
Fürsten  Johann  Äsen  IL  (1218 — 1241),  dann  durch  die  Beherrscher  von 
Naxos,  Athen  und  Achaja,  durch  die  Venezianer,  die  ein  starkes  Interesse 
an  der  Erhaltung  der  kleinen  lateinischen  Staatswesen  hatten,  und  deren 
Hauptstützpunkt  Kreta  wurde,  endlich  durch  den  Epirotenfürsten  Theodor 
gehindert.  Nach  Lascaris'  Tode  ergriff  Vatatzes  (1222 — 1254)  bei  der 
Minderjährigkeit  des  Thronfolgers  mit  fester  Hand  die  Zügel  der  Re- 
gierung. An  militärischen  und  diplomatischen  Talenten  überragte  er 
seinen  Vorgänger.  Im  Bunde  mit  Epirus  schlug  er  die  Franken  so 
nachdrücklich,  dafs  die  Griechen  zu  ihm  bereits  als  zu  ihrem  Befreier 
emporblickten.  Als  er  aber  Adrianopel  besetzte,  stiefsen  seine  Interessen 
mit  denen  von  Epirus  zusammen,  und  die  Eifersucht  dieser  beiden 
griechischen  Staaten  war  es,  die  das  lateinische  Kaisertum  (s.  §  15) 
rettete.  Diesem  verblieb  nur  noch  ein  kleiner  Rest  seines  Besitzes  in 
Asien.  Theodor  von  Epirus  wurde  in  einem  Streit  mit  den  Bulgaren 
an  der  Maritza  geschlagen  und  gefangen  (1230).  Die  Bulgaren  setzten 
sich  nun  in  den  Besitz  Adrianopels  und  nahmen  das  Innere  Mazedoniens 
bis  Serrä  und  Achrida  und  Albanien  bis  Durazzo.  Thessalonich,  der 
Rest  des  epirotischen  Reiches,  und  der  Kaisertitel  fielen  nun  an  Manuel 
Angel  os  (1230 — 1240),  den  Schwiegersohn  Asens,  einen  Bruder  Theodor 
Angelos'  und  Gegner  des  Kaisers  Vatatzes.  Unter  diesen  Umständen 
glaubte  Johann  von  Brienne  (s.  §  15)  den  Kampf  gegen  Nikäa  wieder 
aufnehmen  zu  können.  Vatatzes  wies  jedoch  die  Angriffe  der  Lateiner 
nicht  nur  ab,  sondern  schlofs  einen  Bund  mit  den  Bulgaren.  Kon- 
stantinopel wurde  (1236)  zu  Wasser  und  zu  Land  belagert  und  nur  durch 
die  Tapferkeit  des  Regenten,  dem  die  Venezianer  und  peloponnesischen 
Franken  zu  Hilfe  geeilt  waren,  gerettet.  Nach  Briennes  Tod  gab  Äsen 
die  Allianz  mit  Nikäa  auf  und  verbündete  sich  mit  dem  Kaiser  von 
Konstantinopel.  So  war  es  jetzt  die  Eifersucht  der  Bulgaren  und  Griechen, 
die  das  lateinische  Kaisertum  rettete.  Freilich  besafs  Balduin  IL  bei 
seinem  Regierungsantritt  (1237)  nicht  viel  mehr  als  das  Weichbild  der 
Stadt.  Von  den  25  Jahren  seiner  Regierung  brachte  er  mehr  als  die 
Hälfte  im  Auslande  zu,  wo  er  als  Hilfeflehender  erschien;  oft  genug 
mit  Hohn  und  Spott  behandelt,  in  England  erst  nach  langem  Zögern 
zugelassen  und  selbst  in  Frankreich  kühl  empfangen,  gab  er  die  Reste 
seines  Privatbesitzes,  ja  selbst  die  Reliquienschätze  seines  Reiches  dahin. 
Und   doch  waren  alle  diese   Opfer  vergebens.     Auch  die   Bündnisse,  die 


166     Machtstellung  Nikäaa  unter  Vatatzes  und  Theodor  IE.    Michael  Paläologos. 

er  zum  Arger  der  Christenheit  mit  Türken  und  Kumanen  schlofs,  be- 
freiten ihn  nicht  aus  seiner  Not;  dabei  bestanden  die  alten  Übelstände 
in  der  Hauptstadt  fort:  die  venezianischen  stritten  mit  den  übrigen 
Prälaten,  die  Griechen  verabscheuten  die  kirchliche  Union,  und  die 
Mittel  des  Reiches  wurden  immer  unzulänglicher.  Einzelne  Erfolge  der 
Venezianer  änderten  an  dieser  Lage  nichts,  und  Vatatzes  dehnte  seine 
Herrschaft  bereits  über  die  Küsten  von  ganz  Kleinasien  und  die  meisten 
Inseln  des  Agäischen  Meeres  aus.  Je  eifriger  sich  der  Papst  für  das 
lateinische  Kaisertum  einsetzte,  um  so  eher  gewann  Vatatzes,  trotzdem 
er  sich  gleich  seinem  Vorgänger  zeitweise  um  Roms  Freundschaft  be- 
mühte, die  Hilfe  Friedrichs  IL,  mit  dessen  Tochter  Anna,  der  Schwester 
Manfreds,  er  sich  vermählte  (1241).  Als  nach  dem  Tode  Asens  II.  ein 
neunjähriges  Kind  auf  den  bulgarischen  Thron  gelangte,  stand  den 
weiteren  Fortschritten  des  ATatatzes  kein-  Hindernis  im  Weg.  Die  Bul- 
garen mufsten  die  meisten  ihrer  Eroberungen  herausgeben,  das  epirotische 
Regentenhaus  auf  den  Kaisertitel  verzichten  und  Salonichi  abtreten. 
Vatatzes  verstand  es  auch,  sein  Reich  im  Innern  zu  kräftigen.  Er  ver- 
besserte die  Verwaltung,  sorgte  für  den  Wiederanbau  verödeter  Ländereien 
und  liefs  seine  eigenen  Domänen  musterhaft  bewirtschaften.  In  gleicher 
Weise  war  er  für  die  Hebung  von  Gewerbe  und  Handel  besorgt.  Wie- 
wohl von  dem  Wunsche  beseelt,  das  griechische  Reich  in  seinem  alten 
Umfang  wiederherzustellen,  übte  er  Schonung  gegen  jene  feudalen  Ge- 
walten, die  grofse  Länderstrecken  kolonisiert  oder  zahlreiche  kriegerische 
Dynastien  in  den  Küstenlandschaften  und  auf  den  Inseln  gebildet  hatten. 
2.  Auf  Vatatzes  folgte  sein  Sohn  Theodor  IL  (1254—1258),  der, 
nicht  weniger  begabt  als  Vatatzes,  aber  heftiger  und  strenger  als  dieser, 
Kriege  gegen  die  Bulgaren  und  Epiroten  führte.  Auch  seine  Verwaltung 
stand  der  des  Vaters  nicht  nach.  Nach  seinem  frühen  Tode  folgte  sein 
achtjähriger  Sohn  Johannes  Lascaris  (1258 — 1259),  dessen  Vormund- 
schaft er  dem  Patriarchen  Arsenius  und  seinem  Günstling  Muzalo  über- 
lassen hatte.  Eine  so  bewegte  Zeit  ertrug  kein  Knabenregiment,  Als 
Muzalo  den  fremden  Söldnern  ein  ihnen  von  Theodor  verheifsenes  Ge- 
schenk versagte,  entstand  eine  Militärrevolte,  und  der  General  Michael 
Paläologos,  ein  Mann  aus  altem,  dem  Kaiserhause  verwandten  Geschlechte, 
dessen  militärische  Tüchtigkeit  schon  Vatatzes  anerkannt  und  dem 
Theodor  IL  stets  ein  berechtigtes  Mifstrauen  gezeigt  hatte,  wurde  nun 
mit  dem  Range  eines  »Despotes;<  als  Vormund  des  jungen  Kaisers  an 
die  Spitze  der  Geschäfte  gestellt.  Schon  nach  kurzer  Zeit  liefs  er  sich 
als  Michael  VIII.  (1259 — 1282)  zum  Mitkaiser  krönen.  Unter  dem 
Eindruck  der  nächsten  Ereignisse  fand  auch  die  Person  des  legitimen 
Herrschers  keine  Schonung.  In  Epirus  hatte  nämlich  Michael  Angelos 
Komnenos  eine  Allianz  mit  Manfred  von  Sizilien  und  Wilhelm  von 
Achaja  (s.  unten)  in  der  Hoffnung  geschlossen,  die  alte  Stellung  in  Thessa- 
lonich zurückzugewinnen.  Michael  wurde  hiedurch  zum  Kriege  gezwungen. 
In  der  Ebene  von  Pelagonia  schlug  er  (1259,  Oktober)  seinen  Gegner 
so  entscheidend,  dafs  er  im  Frieden  von  1262  auf  sein  epirotisches 
Stammland  beschränkt  und  Wilhelm  von  Achaja  genötigt  wurde,  wichtige 


Untergang  d.  lat.  Kaisertums.    Neu-Frankreich  in  Mittel-  u.  Südgriechenland.     167 

Plätze  abzutreten.  Der  Sieg  von  Pelagonia  hatte  Michael  in  der  Absicht 
bestärkt,  den  Entscheidungskampf  um  Konstantinopel  zu  beginnen.  Zu 
dem  Zwecke  knüpfte  er  mit  den  Bulgaren  und  den  auf  Venedig  eifer- 
süchtigen Genuesen  freundschaftliche  Beziehungen  an  und  schlofs  mit 
diesen  zu  Nymphäum  (1261,  Januar)  einen  Vertrag,  der  alle  die  Vorteile, 
die  Venedig  bisher  genossen  hatte,  den  Genuesen  zuwies.  Dann  überfiel 
sein  Feldherr  Alexios  Strategopulos  im  Einverständnis  mit  dem  griechi- 
schen Teil  der  Bevölkerung  Konstantinopel.  Balduin  II.  entfloh  nach 
Euböa.  Ihm  folgte  der  gröfste  Teil  der  lateinischen  Einwohner,  voran 
der  Klerus.  Am  15.  August  1261  hielt  Michael  einen  prunkvollen  Einzug 
und  liefs  sich  in  der  Sophienkirche  krönen.  Der  junge  Kaiser  Johannes 
wurde  geblendet  und  eingekerkert.  Wiewohl  sich  das  Ereignis  ohne 
Mithilfe  der  Genuesen  zugetragen  hatte,  wurden  diesen  die  Vorteile  des 
Vertrags  von  Nymphäum  gewährt.  Mit  der  Eroberung  Konstantinopels 
war  das  griechische  Kaisertum,  allerdings  nicht  in  seinem  früheren  Um- 
fange, wieder  hergestellt.  In  der  Griechenwelt  wurde  das  Ereignis  freudig 
begrüfst,  in  den  einsichtsvollen  Kreisen  befürchtete  man  freilich  von 
der  Rückkehr  nach  Konstantinopel  eine  abermalige.  Vernachlässigung 
der  Provinzen  zugunsten  der  Hauptstadt.  Balduin  entwich  in  das 
Abendland  und  machte  von  dort  aus  Versuche,  sein  Reich  zurückzu- 
gewinnen. Als  er  1273  in  Apulien  starb,  erbte  sein  Sohn  Philipp  seine 
Ansprüche.  Mit  ihm  beginnt  die  lange  Reihe  lateinischer  Titularkaiser. 
3.  Ein  besseres  Geschick  als  das  lateinische  Kaisertum  hatten  die 
kleinen  lateinischen  Lehensstaaten  in  Mittel-  und  Südgriechenland  und 
auf  den  Inseln.  Der  Teil  Griechenlands  südlich  von  Salonichi  war  unter 
eine  Anzahl  von  Lehensträgern  verteilt  worden,  die  das  Recht  erhielten, 
feste  Schlösser  zu  bauen,  Münzen  zu  prägen,  Gerichtshöfe  zu  errichten 
und  Kriege  mit  ihren  Nachbarn  zu  führen. x)  Von  diesen  Staaten  ge- 
langten drei:  Athen,  Achaja  und  Xaxos,  zu  gröfserer  Bedeutung. 
Die  Eroberung  bot  bei  der  Gleichgültigkeit  der  griechischen  Bevölkerung 
den  Ereignissen  der  Hauptstadt  gegenüber  keine  grofsen  Schwierigkeiten. 
Die  Sieger  hielten  sich  einige  Generationen  hindurch  von  den  Besiegten 
unvermischt,  so  dafs  ihr  Unternehmen  den  Charakter  einer  kriegerischen 
Eroberung  mit  dem  einer  kolonialen  Niederlassung  vereinigte.  Das  Land, 
von  abendländischen,  meist  französischen  Rittern  besiedelt,  wurde  in 
gewissem  Sinne  ein  Xeu-F rankreich,  das  sich  bis  in  die  Zeiten  der 
osmanischen  Eroberung  behauptete.  Die  Landschaften,  durch  starke 
Befestigungen  geschützt,  erhielten  eine  geordnete  Verwaltung,  unter  der 
sie  kräftig  aufblühten.  Ein  burgundischer  Edelmann  Otto  de  la  Roche 
(1205 — 1225),  hatte  von  dem  König  Bonifaz  Athen  und  Theben  als 
Lehen  erhalten.  Er  liefs  den  Griechen  nicht  nur  ihren  Privatbesitz,  die 
lokalen  Institutionen,  Gesetze  und  Kultus,  sondern  trat  auch  den  zu 
weitgehenden  Ansprüchen  der  abendländischen  Kirche  entgegen.  Nach 
Bonifaz'  Tode  machte  er  sich  selbständig,  leistete  dagegen  auf  dem 
Reichstag   von   Ravennika   (1210)    dem    Kaiser  Heinrich    die  Huldigung. 


*)  Finlay,  S.  144,  190. 


Ißg  Das  Herzogtum  Athen.     Die  Vülehardouins  in  Morea. 

Er  residierte  in  Theben.  Als  er  1225  mit  seinen  Kindern  nach  Frank- 
reich zurückkehrte,  überliefe  er  seine  Herrschaft  seinem  Neffen  Guido, 
unter  dem  sie  einen  weiteren  Aufschwung  nahm.  In  einen  Streit  mit 
dem  Fürsten  von  Achaja  verwickelt,  erhielt  er  von  König  Ludwig  IX., 
der  zum  Schiedsrichter  angerufen  wurde,  den  Titel  eines  Herzogs  von 
Athen.  Guidos  Dynastie  erlosch  im  Mannestamm  1308,  und  das  Herzog- 
tum gelangte  an  das  Haus  Brienne.  —  Der  Peloponnes  war  bei  der 
Reichsteilung  den  Venezianern  zugefallen.  Aufserstande,  alle  ihnen  zu- 
geteilten Plätze  selbst  zu  besetzen,  nahmen  sie  Fremde  in  Sold.  Zu 
ihnen  gehörte  Gottfried  von  Yillehardouin,  ein  Neffe  des  gleichnamigen 
Marschalls.  Im  Bunde  mit  Johannes  Kantakuzenos,  einem  Schwager 
des  Kaisers  Isaak,  eroberte  er  den  westlichen  Teil  des  Peloponnes.  Da 
er  klug  genug  war.  den  Einwohnern  ihre  Gesetze  und  Gewohnheiten 
zu  lassen,  erhielt  er  deren  Huldigung.  Nach  dem  Tode  seines  Ver- 
bündeten brach  dessen  Sohn  den  Vertrag,  verband  sich  mit  Sguros,  dem 
Tyrannen  von  Nauplion,  und  Michael  von  Epirus.  Rasch  entschlossen, 
bat  Villehardouin  den  König  Bonifaz  um  Hilfe,  lehnte  aber  dessen  An- 
erbieten, in  seine  Dienste  zu  treten,  ab,  da  er  in  seinem  alten  Waffen- 
bruder Wilhelm  von  C h am p litte  einen  Verbündeten  fand,  der  bereit 
war,  mit  ihm  den  Peloponnes  zu  erobern.  Wilhelm  stammte  aus  einer 
Grafenfamilie  der  Champagne.  In  den  Augen  Villen ardouins  mochte  er 
als  rechter  Erbe  der  Champagne  gelten,  daher  erkannte  er  ihn  willig 
als  Oberherrn  an.  Beide  schlugen  die  Griechen  bei  Kondura,  und  Wil- 
helm nahm  nun  den  Titel  eines  »Fürsten  von  ganz  Achaja«  an.  Das 
Volk,  das  bisher  unter  dem  Druck  seiner  Optimalen  geseufzt  hatte,  be- 
hielt seine  Gewohnheiten  und  diente  den  neuen  Herrschern  wie  früher 
dem  Kaiser.  Die  Kunde  vom  Tode  seines  Bruders  bewog  Champlitte 
(1209),  Achaja  zu  verlassen.  Er  starb  auf  der  Heimkehr  und  bald  nach 
ihm  sein  Neffe  Hugo,  den  er  als  Statthalter  zurückgelassen  hatte.  Um 
einer  Anarchie  zu  entgehen,  wählten  die  Lehensträger  nunmehr  Villehar- 
douin zum  Fürsten.  Gottfried  I.  (1209 — 1218)  und  seine  Nachfolger 
Gottfried  II.  (1218—1245)  und  Wilhelm  I.  (1245—1278)  waren  kriegs- 
gewandte Männer,  die  allmählich  ganz  Morea1)  in  Besitz  nahmen.  Das 
Fürstentum  zählte  schon  unter  Gottfried  I.  zehn  Baronien  mit  94  Ritter- 
lehen. Der  Klerus,  an  dessen  Spitze  der  Erzbischof  von  Patras  stand, 
nachdem  die  griechischen  Bischöfe  das  Land  und  ihre  Kirchen  verlassen 
hatten,  war  tatsächlich  säkularisiert  und  mit  Ritterlehen  ausgestattet,  wie 
solche  auch  den  Ritterorden  zugewiesen  wurden. 

4.  Auch  im  Archipel  gaben  die  Venezianer  Adeligen  die  Erlaubnis, 
einzelne  Teile  des  einstigen  griechischen  Reiches  als  Lehen  Venedigs 
in  Besitz  zu  nehmen.  So  kamen  Andros,  Tinos,  Chios  und  andere 
Inseln  in  den  Besitz  venezianischer  Familien,  wie  der  Dandolo,  Ghisi, 
Giustiniani   u.  a.     So  sehr  soll  die  Leidenschaft,  auswärtigen  Landbesitz 

1  Dieser  Name  (hwota  =  Maulbeerland  kommt  erst  seit  der  franz.  Herrschaft 
im  Peloponnes  vor  und  ist  nicht  von  den  Byzantinern,  unter  denen  ihn  zuerst 
Pachymerea  gebraucht,  gebildet  worden,  sondern  verdankt  seine  Entstehung  den 
Franken.     S.  Hopf,  Gr.  Gesch.  264 — 267.     Krumbacher  412. 


Die  lut.  Herrschaften  im  Archipel.     Syrien  seit  1254.  159 

zu  suchen,  die  Gemüter  aller  Stände  Venedigs  erregt  haben,  dafs  man 
öffentlich  darüber  sprach,  ob  es  nicht  geratener  sei,  den  Sitz  der  Re- 
gierung aus  Venedig  hinweg  nach  Konstantinopel  zu  verlegen. x)  Das 
wichtigste  Gebiet  fiel  an  Marco  Sanudo  (1207),  der  von  Naxos  aus  sein 
Gebiet  über  Paros  und  andere  Inseln,  aus  denen  seine  Baronie  nun 
bestand,  ausdehnte  und  auf  dem  Parlament  zu  Ravennika  den  Titel 
eines  Herzogs  des  Archipels  oder  von  Naxos  erhielt.  Die  Dynastie 
Sanudo  behauptete  wie  die  von  Achaja  und  Athen  ihre  Macht  auch 
nach  der  Zertrümmerung  des  lateinischen  Kaisertums.  Ein  Hauptstütz- 
punkt der  venezianischen  Macht  war  aufser  Negroponte  vornehmlich 
Kreta,  dessen  Kolonisierung  die  Venezianer  um  1210  begonnen  hatten. 
Schon  1212  gab  es  dort  nicht  weniger  als  200  Ritterlehen,  und  zahlreiche 
Sprossen  altvenezianischer  Patriziergeschlechter  siedelten  sich  in  Kreta 
an,  dessen  Kirchen  ausschliefslich  mit  venezianischer  Geistlichkeit  besetzt 
und  dessen  Kirchengüter  säkularisiert  wurden. 

§  38.    Die  Lage  Syriens  seit  1254.    Der  Einbruch  der  Mongolen  und 
ihre  Abwehr  durch  die  Mamelucken,. 

Quellen  wie  oben  §34  u.  unten  39.  Dazu:  Extraits  des  Historiens  Arabes . . . 
par  . .  Eeinaud  p.  668 :  Tableau  des  belles  qualites  de  Malek-Dhaher  (Bibars),  extrait 
de  la  Yie  de  ce  prince  par  Schafi  fils  d'Aly-Abbas.  —  Yie  de  Malek-Mansour  Kilaoun, 
ib.  683  ff.  Makrizi  w.  oben.  Extrait  d'lbn-Ferat  bei  Michaud-Reinaud  p.  765.  (Wüstenf. 
Nr.  454.) 

Hilfsschriften.  Aufser  den  allg.  Werken  von  Michaud,  Wilken,  Kugler, 
Röhricht,  Hertzberg,  Weil  s.  R.  Sternfeld,  Ludwigs  des  Heiligen  Kreuzzug  nach 
Tunis  1270  u.  die  Politik  Karls  von  Sizilien.  Berl.  1896.  S.  1 — 16.  Caro,  Zum 
zweiten  Kreuzzug  Ludwigs  IX.  v.  Frankr.  Hist.  Yierteljahrsschr.  T,  238 — 44.  Barthold, 
Z.  G.  d.  Christent.  in  Mittelasien  bis  zur  Mong.Erob.  Tübingen  1901.  G.  Weil, 
Die  Assassinen.  HZ.  IX,  418.  Die  sachgemäfseste  Darstellung  bietet  A.  Müller, 
Der  Islam  im  Morgen-  und  Abendland.  3.  Buch  1.  u.  2.  Kapitel.  Muir,  The  Mameluke 
or  Slave  dynasty  of  Egypt.  1260—1507.     Lond.  1896. 

1.  Seit  dem  Abzüge  Ludwigs  IX.  aus  dem  Morgenlande  wurde 
die  Lage  der  syrischen  Christen  immer  gefährdeter.  Wohl  befanden 
sich  noch  einige  Burgen  und  Städte  in  ihrem  Besitz;  diese  hatten  auch 
eine  durch  Handel  und  Gewerbe  reich  gewordene  Bevölkerung,  der  aber 
Einigkeit  und  Opfermut  fehlte.  Fürsten  und  Grofse  gingen  ihre  Wege, 
ohne  sich  um  die  Interessen  der  Gesamtheit  zu  kümmern,  und  ihrem 
Beispiel  folgten  die  aufeinander  eifersüchtigen  Ritterorden  sowie  die 
fremden  Kolonisten,  vor  allen  die  Venezianer  und  Genuesen,  die  trotz 
der  Zeiten  Not  miteinander  im  Kampfe  lagen.  Im  Abendland  war  die 
Begeisterung  für  die  opfervollen  Fahrten  im  Abnehmen,  die  Kreuzzugs- 
prediger begegneten  offenem  Mifstrauen,  nicht  selten  Hals  und  Ver- 
achtung. Zum  Glück  für  die  Christen  waren  auch  die  mohammedani- 
schen Staaten  durch  inneren  Zwist  zerrüttet,  und  ihre  gegenseitige  Feind- 
schaft verschaffte  jenen  eine  Zeitlang  Ruhe.  Damaskus  bewilligte  ihnen 
(1255)  einen  zehnjährigen  Frieden,  der  auch  von  den  Ägyptern  anerkannt 

*)  Finlay,  S.  305. 


170  Vordringen  der  Mongolen.     Untergang  der  Assassinen. 

wurde.  Die  Friedenszeit  wurde  von  ihnen  jedoch  nicht  zur  Kräftigung 
und  zu  Rüstungen  für  spätere  Kämpfe,  sondern  dazu  benützt,  ihre  eigenen 
Kämpfe  auszuf echten.  Während  eine  Partei  zur  Witwe  König  Heinrichs 
von  Cypern  hielt,  die  für  ihren  Sohn  Hugo  II.  die  Regierung  verlangte, 
hielten  die  andern  zu  Konradin  als  ihrem  rechtmäfsigen  Herrn.  Schliefs- 
lich  führte  ein  Streit  zwischen  Genuesen  und  Venezianern  zu  einem 
offenen  Kampfe,  in  welchem  jene  geschlagen  wurden  (1258),  wofür  sie 
sich  beim  Sturz  des  lateinischen  Kaisertums  an  den  Venezianern  rächten 
(§  37).  Dazu  drohten  schwere  Gefahren  von  den  Mongolen.  Schon 
1253  waren  diese  unter  Hulaghu  (s.  i;  24t  in  Vorderasien  eingebrochen. 
Drei  Jahre  später  vernichtete  er  die  Sekce  der  Ismaeliten  oder  Assas- 
sinen1), die  in  den  Gebirgen  südlich  vom  Kaspischen  Meere  durch  mehr 
als  anderthalb  Jahrhunderte  geherrscht  und  deren  Grofsmeister  seinen 
Statthalter  ernannte,  um  die  während  der  Kreuzzüge  so  berüchtigt  ge- 
wordene Kolonie  auf  dem  Libanon  zu  leiten.  Mit  dem  Fatalismus  des 
Korans  hatten  sie  die  indische  Seelen  Wanderung  und  die  Gesichte 
ihrer  eigenen  Propheten  verknüpft.  Ihre  erste  Pflicht  bestand  darin. 
Seele  und  Leib  dem  AVeltvertreter  Gottes  in  blindem  Gehorsam  zu 
weihen.  Die  Dolche  ihrer  Sendlinge  wurden  im  Osten  und  Westen  ge- 
spürt. Christen  und  Sarazenen  übertreiben  übrigens  die  Zahl  derjenigen, 
die  dem  Glaubenseifer,  der  Habgier  und  Rache  des  Alten  vom  Berge  zum 
Opfer  fielen.  Hulaghu  drang  hierauf  gegen  Bagdad.  Der  letzte  Kalif 
Mustässim  (1252 — 1258)  trat  den  Mongolen  mit  hochtrabenden  Worten 
entgegen,  ergab  sich  aber  nach  schwacher  Gegenwehr  und  wurde  getötet 
(1258).  Von  den  Abbasiden  entkamen  einige.  Einen  von  ihnen  machte 
der  Mamelucken sultan  Bibars  (s.  unten)  zum  Kalifen,  um  einen  »Be- 
herrscher der  Gläubigen«  von  unzweifelhafter  Echtheit  zur  Bekundigung 
seiner  eigenen  Legitimität  neben  sich  zu  haben,  denn  immer  noch  hingen 
einzelne  Ägypter  an  der  1171  gestürzten  Dynastie  der  Fatimiden.  Die 
Nachkommen  dieses  Kalifen  behielten  ihre  Stelle,  bis  die  Osmanen 
dem  Mameluckenstaate  in  Ägypten  ein  Ende  machten.  1260  brach 
Hulaghu  nach  Syrien  auf  und  eroberte  LIaleb.  Auf  die  Kunde  vom 
Tode  des  Grofskhans  Mangu  (1259)  zog  er  ab  und  überliefs  die  Fort- 
setzung des  Krieges  seinem  Feldherrn  Ketboga.  Die  kleinen  Ejubiten- 
fürsten  ergaben  sich  ohne  Widerstand.  Da  die  Mongolen  als  Feinde 
der  Mohammedaner  erschienen,  schlofs  sich  ein  Teil  der  Christen  an 
sie  an,  ja  man  hegte  in  vielen  Kreisen  die  Hoffnung,  die  Mongolen  zum 
Christentum  zu  bekehren. 

2.  Von  den  mohammedanischen  Staaten  war  nur  Ägypten  im- 
stande, den  Mongolen  Widerstand  zu  leisten.  Dort  war  1254  die  Dynastie 
der  Ejubiten  (§34)  durch  den  Emir  der  Mamelucken2)  Eibek  verdrängt 


1  Dieser  Name  ist  seit  den  Kreuzzügen  mit  Mördern  gleichbedeutend.  Ursprüng- 
lich ist  ein  Haschäschi  jemand,  der  sieh  mit  dem  Verkaufe  oder  Genufs  des  Haschisch, 
des  bekannten  Betäubungsmittels    der  Orientalen,  abgibt,    also  ein  Haschischer.     Über 

die  Assassinen,   s/l).  Müller  II,  102—106. 

2  Mamlük   bedeutet    im    arab. :    erworben,    erkauft.     Es    sind    türkische    Kri 
gefangene,  aus  denen  die  Ejubiten  ihr  Leibregiment  bildeten. 


Die  Mameluckensultane.     Bibars  in  Ägypten.  171 

worden.  Nach  dessen  Ermordung  führte  der  Mameluck  Kotus  für  Eibeks 
Sohn  die  Vormundschaft  und  warf  sich  schliesslich  (1259)  seihst  zum 
Sultan  auf.  Den  Mongolen  trat  er  in  der  Nähe  von  Sichern  entgegen. 
Ketboga  wurde  besiegt,  gefangen  und  getötet;  sein  Heer  löste  sich  auf; 
Reste  davon  flüchteten  über  den  Euphrat.  Ganz  Syrien  fiel  unter  die 
Botmäfsigkeit  der  Mamelucken.  An  diesen  brach  sich  sonach  die  Kraft 
der  Mongolen.  Hulaghu  Avar  genötigt,  über  den  Euphrat  zurückzugehen. 
Von  Kubilai  erhielt  er  den  Titel  »II -Chan«,  d.  h.  Stammesfürst.  Da- 
mit wurde  er  als  Herrscher  über  Persien  und  die  Länder  westlich  vom 
Oxus  anerkannt.  Hulaghu  und  die  folgenden  Il-Chäne  standen  übrigens 
nur  in  loser  Abhängigkeit  vom  Grofskahn.  —  Kotus  strafte  die  Christen, 
die  es  mit  den  Mongolen  gehalten  hatten.  Im  Begriffe,  nach  Ägypten  zurück- 
zukehren, wurde  er  von  dem  Mamelucken-Emir  Bibars  (1260)  getötet.  Mit 
diesem  Manne,  an  dessen  Händen  schon  das  Blut  Turanschahs  klebte,  be- 
ginnt die  Reihe  der  bachritischen 2)  Mameluckensultane  Ägyptens.  Bibars 
war  bei  aller  Gewalttätigkeit  und  Grausamkeit  ein  bedeutender  Staatsmann, 
der  es  verstand,  seine  Stellung  durch  eine  Reihe  trefflicher  Regierungs- 
mafsregeln  zu  befestigen.  Er  beseitigte  drückende  Abgaben,  richtete 
einen  regelmäfsigen  Postdienst  ein,  um  Ägypten  und  Syrien  vor  den 
Angriffen  der  Christen  und  Mohammedaner  schneller  sichern  zu  können, 
verstärkte  die  Festungen  und  liefs  eine  Flotte  bauen.  Wiewohl  ein 
Feind  der  Christen,  stand  er  mit  christlichen  Herrschern  in  Beziehungen, 
die  den  Zweck  hatten,  die  syrischen  Christen  zu  isolieren  und  die  christ- 
lichen Mächte  von  einem  Bündnis  mit  den  Mongolen  abzuhalten.  Be- 
müht, die  Christenherrschaft  in  Syrien  gänzlich  zu  vernichten,  unter- 
nahm er  1261 — 1268  Verwüstungszüge  dahin,  eroberte  Cäsarea, 
Arsuf  und  Safed  und  wies  zugleich  die  Angriffe  des  Königs  Hethum 
von  Armenien  und  der  Mongolen  zurück.  Im  Jahre  1268  eroberte  er 
Jaffa  und  Antiochien.  Nicht  weniger  als  8000  Christen  wurden  in 
Antiochia  zu  Sklaven  gemacht.  Das  nördliche  Syrien  war  damit  für 
die  Christen  für  immer  verloren  und  der  Besitz  Bohemunds  VI.  auf 
Tripolis  beschränkt.  Wohl  wurde  nun  ein  Friede  auf  zehn  Jahre 
geschlossen,  aber  noch  in  demselben  Jahre  erklärte  Bibars  an  die  Be- 
wohner von  Akkon  den  Krieg,  weil  sie  Mamelucken,  die  zu  ihnen  ge- 
flohen waren,  nicht  ausgeliefert  hatten.  Da  er  aber  von  der  beabsich- 
tigten Kreuzfahrt  König  Jaymes  von  Aragonien  und  dessen  Bündnis 
mit  den  Mongolen  Kunde  erhalten  hatte,  bewilligte  er  den  Christen 
einen  Frieden. 

§  39.    Der  zweite  Kreuzzug  Ludwigs  IX.    Das  Ende  des  Königreichs 
Jerusalem.    Ergebnisse  der  Kreuzzüge. 

Quellen  s.  §  33  u.  37.  Dazu:  Petrus  Coral,  De  Castro  Saphet  narratio.  Baluze 
Mise.  VI,  357.  Contractus  navigii  Ludovici  cum  A'enet.  Duchesne  SS.  V.  Guilelmus 
Tripolitanus,  De  Statu  Saracenoruni.    Duchenne  Y,  432.    De  excidio  Acconis  auet.  anon. 


*)  Bachr,    arab.  Meer,    grofser  Strom.     Jene   Mamelucken,  die  auf  der  bei  Kairo 
gelegenen  Xilinsel  Röda  ihren  Sitz  hatten. 


172  Das  KreuÄZUgsunterneh'men  K.  Jaymes  von  Aragouien. 

Martene  Ampi.  Coli.  V,  757.  Epitome  bellorum  pro  recup.  Terrae  Sanctae.  Canisius 
Lect.  ant.  VJ,  2-19.  Actes  passes  en  1271 — 74.  Arch.  de  l'Or.  lat.  I.  Reinaud,  Extraits 
des  Historiens  Arab.  relat.  aux  guerres  des  Croisades.  Paris  1829.  Für  die  Unter- 
nehmungen des  14.  u.  15.  Jahrh.  s.  die  Zusammenstellung  in  Delaville  le  Roulx,  La  France 
en  Orient  au  XIVe  siede.  Paris  1886.  In  Betracht  kommen  :  Petrus  de  Bosco  Dubois  , 
De  recup.  Terrae  Sanct.  Paris  1892.  Guilclinus  de  Adam,  De  modo  Saracenos  extirpandi. 
Informatio  mag.  Hospitalis  (Fulco  de  Villaret  super  fac.  passag.  BECh.  LX,  603.  Nogaret, 
in  Boutaric,  Xotices  et  extraits  des  documents  ined.  rel.  ä  l'hist.  de  France  sous 
Philippe  le  Bei.  Paris  1861.  Brocardus,  Directorium  ad  pass.  fac.  pub.  par  Reitfen- 
berg  in  Ee  Chevalier  au  cygne.  Bruxelles  1846.  Marino  Sanudo  Torsellus  ,  De  exped. 
in  Terr.  Sanct.  Bongars  II.  Le  memoire  du  roi  de  Chypre  Henry  II  de  Lusignan  , 
ed.  Mas  Latrie,  Hist.  de  Chypre  II,  118.  La  Prise  d'Alexandrie  ou  Chronique  du  roi 
Pierre  I  de  Lusignan,  s.  Guiilaurne  Machaut  p.  p.  Mas  Latrie.  Geneve  1877.  —  Noch 
ungedruckt :  Lull,  De  acquisitione  Terrae  Sanctae,  s.  bei  Delaville  le  Roulx  II,  227. 
Lrkk.  s.  in  J.  Müller,  Documenti  sulle  relazioni  delle  cittä  Toscana  coli'  Oriente 
cristiano.  Fir.  1879.  Einzelnes  in  >Lettres  inedites  concernant  les  croisades-  1276 — 1307. 
BECh.  LH.  Jorga,  Notes  et  extraits  pour  servil*  ä  l'histoire  des  croisades  au  XVe  siede. 
Paris  1899  Mas  Latrie,  Traites  de  paix  et  de  commerce  et  doc.  divers  concern.  les 
relat.  des  chretiens  avec  les  Arabes.    Paris  1865. 

Hilf  s  schrift  e  n.  Die  allg.  Werke  w.  oben.  Dazu:  Röhricht,  Lntergang 
d.  Königreichs  Jerusalem.  MJÖG.  XV.  Sternfeld,  Ludwigs  d.  H.  Kreuzzug  gegen 
Tunis.  Berl.  1896  dort  S.  379— 382  die  einschl.  Lit.  .  Müller,  Der  Islam  im  Morgen- 
u.  Abendland.  Berlin  1885.  Schäfer,  Gesch.  Span.  III.  Die  allg.  AVerke  zur  Gesch. 
Karls  v.  Anjou  s.  unten.  C  a  p  etan  o  vic  i,  D.  Erob.  v.  Alexandr.  d.  Peter  I.  von 
Lusignan.  Diss.  1894.  Herzsohn,  D.  Überfall  Alexandriens  d.  P.  I.  Kg.  v.  Jerus. 
Diss.  1886.  Für  die  Ergebnisse  d.  Kreuzz. :  Heeren,  Vers,  einer  Entwicklung  der 
Folgen  d.  Kreuzzüge.  H.  W.  II.  K  a  m  p  schulte,  Über  Charakter  und  Entwicklungs- 
gang der  Kreuzzüge.  Bonn  1864.  He  yd,  Gesch.  d.  Levantehandels  im  MA.  Stuttg. 
1878.  Prutz,  Kulturgesch.  d.  Kreuzzüge.  Berl.  1883.  Populär:  Henne  am  Rhyn, 
Kulturg.  d.  K.  Leipz.  o.  D.  Herquet,  Cyp.  Königsgestalten.  Halle  1881.  Prutz, 
Christent.  u.  Islam.  HT.  1878.  Delaville  le  R  o  ulx ,  wie  oben  dort  II,  228—240 
eine  vollst.  Bibliogr.  bis  1886  ,  s.  H  o  o  g  e  w  e  g  in  MJÖG.  VIII,  656.  H  i  r  s  c  h  -  G  e  r  e  u  t  h  , 
Studien  zur  Geschichte  der  Kreuzzugsidee  nach  den  Kreuzzügen.  München  1897. 
Delescluze'  Raymond  Lull  RdDM.  XXIV.  Lot,  Essai  d'intervention  de  Charles 
le  Bei  en  faveur  des  chretiens  d '<  Orient.  BECh.  XXXVI.  —  Projets  de  croisade  sous 
Charles  le  Bei  et  sous  Philippe  de  Valois,  ib.,  tom.  XX.  Mas  Latrie,  Histoire  de 
Chypre.     Paris  1852—61. 

1.  Die  Xot  der  Christen  im  Morgenland '  bewog  König  Jayme  von 
Aragonien,  den  Sieger  in  einer  Reihe  von  Kämpfen  gegen  die  spanischen 
Sarazenen,  in  den  Kampf  in  Syrien  einzutreten,  und  dies  um  so  mehr, 
als  ihm  der  Mongolenkhan  ein  Bündnis  angetragen  und  der  Kaiser  von 
Griechenland  die  besten  Zusicherungen  gemacht  hatte.  Am  4.  September 
1269  ging  seine  Flotte  zu  Barcelona  unter  Segel.  Anhaltende  Stürme 
nötigten  sie,  in  Aigues-Mortes  zu  landen.  Durch  Stürme  an  einer  zweiten 
Einschiffung  gehindert,  gab  er  ein  Unternehmen  auf,  das  selbst  der 
Himmel  nicht  zu  billigen  schien.  Nur  ein  kleiner  Teil  des  Heeres  zog 
unter  Anführung  Fernando  Sanchez1  nach  Akkon.  Wiewohl  die  von 
den  Mongolen  erwartete  Hilfe  ausblieb,  nahmen  die  Aragonesen  den 
Kampf  auf,  erlitten  aber  eine  Niederlage  und  kehrten  in  die  Heimat 
zurück.  So  endete  der  einzige  Kreuzzug  der  Spanier  ins  hl.  Land  in 
ruhmloser  Weise.  Inzwischen  hatte  Ludwig  IX.  seit  1266  mit  seinem 
Bruder  König  Karl  und  Klemens  IV.  Verhandlungen  wegen  eines  Kreuz- 
zuges geführt  und   im  folgenden  Jahre    das  Kreuz   genommeu.     Seinem 


Der  zweite  Kreuzzug  Ludwigs  IX.  173 

Beispiel  folgten  sein  Bruder  Alfons,  seine  Söhne  Philipp,  Johann  Tristan 
und  Peter  und  eine  Anzahl  französischer  Grofser.  In  den  breiteren 
Schichten  fand  das  Unternehmen  auch  jetzt  wenig  Anklang.  Es  bedurfte 
erst  der  kräftigsten  Mahnungen  des  Papstes  und  des  Königs,  um  eine 
gröfsere  Zahl  von  Teilnehmern  zu  gewinnen  und  vom  Klerus  die  Zahlung 
des  Kreuzzugszehents  zu  erhalten.  Ludwig  IX.  hatte  die  Ausfahrt  für  den 
Mai  1270  festgesetzt.  Da  die  Venezianer  für  ihre  Handelsbeziehungen  zu 
Ägypten  besorgt  waren 1),  sollten  genuesische  Schiffe  die  Überfahrt  über- 
nehmen. Die  Prinzen  Eduard  und  Edmund  von  England  fanden  sich  ein, 
und  die  Friesen  taten  sich  auch  diesmal  durch  stärkere  Rüstungen  hervor. 
Ludwig  IX.  stach  am  2.  Juli  1270  zu  Aigues-Mortes  in  die  See.  Das 
Heer  segelte  nach  Cagliari,  und  hier  war  es,  wo  der  Kreuzzug  von 
seinem  Ziel  Ägypten  oder  Syrien  ab-  und  nach  Tunis  hingelenkt  wurde. 
Zur  Zeit  der  Staufer  stand  nämlich  Tunis  in  tributärem  Verhältnis  zu 
Sizilien;  dieses  war  nun  gelöst,  ja  der  Emir  hatte  Parteigänger  des 
staufischen  Hauses  in  Schutz  genommen.  Indem  nun  König  Karl  die 
alte  Politik  der  Staufer  wieder  aufnahm,  hatte  er,  wohl  schon  vor  der 
Abfahrt,  geraten,  einen  Zug  nach  Tunis  zu  unternehmen.2)  Ludwig  IX. 
gab  nach ;  man  hatte  ihm  die  Überzeugung  beigebracht,  dafs  der  Emir, 
einem  unbedachten  Versprechen  zufolge,  Christ  werden  wolle,  hiezu  aber 
eines  starken  Rückhaltes  bedürfe.  Die  tunesische  Landung  sollte  dem- 
nach nur  das  Vorspiel  für  die  eigentliche  Kreuzfahrt  sein,  der  sodann 
auch  die  Mittel  des  Emirs  von  Tunis  zugute  kämen.  Die  Flotte  er- 
reichte am  17.  Juli  Tunis.  Ohne  Schwierigkeiten  rückten  die  Kreuz- 
fahrer bis  zur  Mitte  des  alten  Karthago  vor.  Indem  nun  Ludwig  vor 
der  Ankunft  Karls  von  Anjou  nichts  Ernstes  unternehmen  wollte,  gewann 
der  Emir  Zeit,  sich  zum  Widerstand  zu  rüsten.  Im  Christenheere  brach 
infolge  von  Hunger  und  Hitze  eine  Krankheit  aus,  der  zuerst  Johann 
Tristan,  dann  Ludwig  IX.  selbst  erlag  (25.  August).  Wenige  Stunden 
nach  seinem  Tode  landete  König  Karl  und  übernahm,  da  auch  der  nun- 
mehrige König  Philipp  III.  von  Frankreich  erkrankt  war,  die  Leitung 
des  Feldzuges.  Die  Tunesen,  in  zwei  Treffen  geschlagen,  schlössen  am 
30.  Oktober  einen  Präliminarfrieden,  der  am  21.  November  ratifiziert 
wurde.  Danach  sollten  die  gegenseitigen  Gefangenen  ausgeliefert  werden 
und  der  Emir  sodann  den  doppelten  Tribut  an  Sizilien,  den  Königen  von 
Frankreich,  Sizilien  und  den  Kreuzfahrern  die  Summe  von  210  000  Gold- 
unzen (8:/2  Millionen  Mark)  zahlen  und  den  Ghibellinen  fürderhin  keinen 
Schutz  gewähren.  Die  englischen  Prinzen  erschienen  erst  nach  Abschlufs 
des  Vertrages.  Während  die  Friesen,  die  in  diesen  Kämpfen  ihre  alte 
Tapferkeit  bewährt  hatten ,  nach  Syrien  zogen ,  segelten  Franzosen, 
Italiener  und  Engländer  nach  Sizilien,  um  den  Kreuzzug  fortzusetzen. 
Aber  ihre  Flotte  hatte  durch  Stürme  gelitten,  viele  Kreuzfahrer  waren 
erkrankt,  und  König  Philipp  wünschte,  in  die  Heimat  zurückzukehren. 
Daher   wurde    beschlossen,    die  Kreuzfahrt    erst    in    drei   Jahren   wieder 


l)  Siamo   Veneziani,  pol  Christiani. 
-    Sternfeld,  S.  220 :   »Die  Wendun 


g  gegen  Tunis- 


174  Die  letzten  Kreuzzugsversuche.     Armenien  trnd  Cypern. 

aufzunehmen.  Nur  die  englischen  Prinzen  fuhren  im  Frühling  1271 
nach  Syrien,  wo  Bibars  inzwischen  neue  Erfolge  errungen  hatte.  Die 
Nachricht  von  der  Ankunft  der  Engländer  bewog  ihn.  den  Christen 
einen  Frieden  auf  zehn  Jahre  zu  gewähren.  Auch  Eduard  von  England 
vermochte  mit  seinen  schwachen  Kräften  in  den  Verhältnissen  Syriens 
keinen  Wandel  zu  schaffen.  Ein  Attentat,  das  die  Feinde  auf  ihn 
versuchten,  beschleunigte  seine  Heimkehr.  Von  den  Kämpfen  gegen 
die  Mongolen  in  Anspruch  genommen,  hielt  Bibars  den  mit  den  Christen 
geschlossenen  Frieden.  Bei  seinem  Tode  (1277!  stand  der  Islam  in 
Vorderasien  kräftiger  da  als  früher. 

2.  Noch  zu  Lebzeiten  Bibars  hatte  Gregor  X.  (s.  §  40),  der  als 
päpstlicher  Legat  die  trostlose  Lage  der  syrischen  Christen  kennen  ge- 
lernt hatte,  das  Abendland  zu  einer  neuen  Kreuzfahrt  angeeifert  und  zu 
diesem  Zweck  ein  Konzil  nach  Lyon  berufen,  aber  sein  früher  Tod.  die 
rasche  Aufeinanderfolge  der  nächsten  Päpste  und  schwerwiegende 
politische  Ereignisse  wie  die  Sizilianische  Vesper  standen  einem  neuen 
Unternehmen  im  Wege.  Da  Bibars'  ältester  Sohn  einer  Verschwörung 
erlag  und  der  zweite  durch  den  Emir  Kilawun  verdrängt  wurde,  diesem 
aber  die  Herrschaft  in  Syrien  von  einem  Nebenbuhler  bestritten  wurde, 
lagen  die  Dinge  für  die  Christen  nicht  ungünstig.  Aber  auch  in  Tripolis 
und  Cypern  herrschte  Streit :  dort  wegen  der  Vormundschaft  für  ßoe- 
mund  VII.,  hier  wegen  der  Nachfolge  nach  Hugo  IL,  mit  dem  der 
Mannesstamm  der  eyprischen  Lusignans  erloschen  war.  Mittlerweile 
befestigte  Kilawun  seine  Stellung  durch  einen  Sieg  über  die  Mongolen. 
(1281  Oktober)  und  wandte  dann  seine  Waffen  gegen  die  Christen:  1285 
eroberte  er  Markab,  vier  Jahre  später  Tripolis.  Als  er  zur  Eroberung 
von  Ptolemais  schreiten  wollte,  erkrankte  er  and  starb  (1290).  Das 
Unternehmen  wurde  nichtsdestoweniger  von  seinem  Sohne  fortgesetzt, 
und  so  fiel  dies  starke  Bollwerk  der  Christen  am  18.  Mai  1291  in  die 
Hände  der  Sarazenen.  Nun  ergaben  sich  auch  die  letzten  befestigten 
Plätze.  Von  den  christlichen  Staaten  im  Orient  erhielten  sich  nur 
noch  Armenien  und  Cypern.  Jenes  verlor  erst  1375  durch  die 
Mamelucken  seine  Seil  »ständigkeit.  Cypern,  wohin  sich  die  Flüchtigen 
aus  dem  Königreich  Jerusalem  gerettet  hatten  und  das  durch  seinen 
Handelsverkehr  während  der  Kreuzzüge  zu  grofsem  Wohlstand  gelangt 
war.  behauptete  sich  noch  durch  zwei  Jahrhunderte;  es  erreichte  den 
Glanzpunkt  seiner  Macht  erst  unter  Heinrich  IL  (1285 — 1324),  ja  von 
seinen  Nachfolgern  konnte  es  sogar  Peter  I.  (1359 — 1369)  noch  wagen, 
Ägypten  selbst  anzugreifen.1)  Seit  Peter  II.  (1369 — 1382)  schwächten 
unglückliche  Kriege  gegen  die  Genuesen  und  die  Sultane  Ägyptens  Cyperns 
Macht,  nicht  weniger  die  Zwistigkeiten  im  königlichen  Hause  und  die 
Reibungen  zwischen  der  griechischen  und  katholischen  Bevölkerung  des 
Landes.  Jakob  II.  heiratete  eine  venezianische  Patrizierin,  Katharina 
Cornaro.    die    nach  dem  Tode  ihres  Gatten  die  Insel  an  Venedig  abtrat 


1    Die  Croisade    de    Pierre  I,   roi  de  Chypre  bei  Delaville  le  Roulx  I,    118 — 140, 
die  Amadeas'   VI.   v.  Savoyen,  ib.   111 — 158. 


Die  Ritterorden.     Kreuzzugsschriften  des  14.  u.  15.  Jahrhunderts.  175 

(1489).  In  dessen  Besitz  blieb  sie  noch  ein  Jahrhundert,  bis  sie  an  die 
Osmanen  fiel.  Die  drei  grofsen  Ritterorden,  deren  gegenseitige  Eifer- 
sucht und  unzeitige  Parteinahme  in  politischen  Dingen  von  so  verhängnis- 
voller Bedeutung  für  die  Entwicklung  Jerusalems  geworden  war,  zogen 
sich  vom  asiatischen  Festland  zurück:  die  Templer  gingen  nach  Cvpern, 
dann  nach  Paris,  wo  ihrer  ein  schmachvolles  Ende  wartete,  die  Hospita- 
nt er  nahmen  (1310)  Rhodus  in  Besitz  und  erfüllten  hier  noch  zwei  Jahr- 
hunderte ihre  Aufgabe  in  ruhmvoller  Weise.  Die  glänzendste  Aufgabe 
fiel  dem  deutschen  Ritterorden  in  Preufsen  zu  (s.  oben). 

3.  Trotz  aller  Verluste  wollte  das  Abendland  die  Hoffnung  nicht 
aufgeben,  das  hl.  Land  den  Händen  der  Ungläubigen  zu  entreifsen. 
Päpste,  Kaiser  und  Könige  teilten  diese  Hoffnungen  noch  im  15.  Jahr- 
hundert. Nicht  gering  ist  die  Zahl  der  theoretischen  Erörterungen,  die 
von  Seiten  Geistlicher  und  Laien  über  die  beste  Art,  dieses  Ziel  zu  er- 
reichen, gepflogen  wurden.  Glaubte  König  Karl  von  Sizilien,  der  Sache 
durch  eine  Vereinigung  aller  drei  Ritterorden  zu  nützen,  so 
befürworteten  der  Minorit  Fidentius  von  Padua  oder  Marino  Sanudo 
eine  »kommerzielle  Blök  ade«,  eine  Art  von  Kontinentalsperre, 
gegen  Ägypten,  während  Raimund  Lull  die  Gewinnung  des  hl.  Landes 
auf  friedlichem  Wege,  durch  Errichtung  von  Schulen  und  Klö- 
stern in  den  Ländern  der  Ungläubigen  zu  erreichen  glaubte.  Die 
Staatsmänner  unter  Philipp  IV.  von  Frankreich  liefsen  sich  dagegen 
mehr  von  politischen  als  von  kirchlichen  Beweggründen  leiten,  so  Pierre 
Dubois,  der  in  seiner  Schrift  »von  der  Wiederei'oberiing  des  hl.  Landes« 
die  Reform  der  Kirche  und  Gesellschaft  und  Herstellung  eines  allge- 
meinen Friedens  verlangt,  bevor  man  an  die  Sache  gehe.  Die  Kosten 
der  Unternehmung  sollten  durch  Einziehung  der  Ordensgüter  und  eine 
Besteuerung  des  Klerus  hereingebracht,  das  hl.  Land  vod  Abendländern 
kolonisiert  und  Schulen  errichtet  werden.  Derartige  Entwürfe  tauchten 
noch  mehrere  auf1):  aber  nicht  mehr  der  Glaube  ist  die  bewegende 
Triebfeder  für  derlei  Pläne ;  vielmehr  sind  es  die  kommerziellen  Interessen, 
die  von  italischen  Seestaaten  schon  von  Anfang  an  oft  genug  über  die 
kirchlichen  gesetzt  worden  wTaren. 

4.  Der  Zweck  der  Kreuzzüge,  das  Morgenland  der  christlich  abend- 
ländischen Herrschaft  zu  unterwerfen,  war  nicht  erreicht  worden,  viel- 
mehr reihen  sich  an  die  Siege  des  Islam  im  13.  dessen  gröfsere  Triumphe 
im  14.  und  15.  Jahrhundert  an  und  ist  an  der  Wende  des  Mittelalters 
das  abendländische  Europa  von  einer  Überflutung  durch  den  Islam  be- 
droht. Die  Ursachen  dieses  Mifslingens  sind  verschiedener  Art2):  Es 
fehlte  zunächst  an  einer  umfassenden,  von  einheitlichen  Gesichtspunkten 
ausgehenden  Besiedlung  des  syrischen  Bodens.  Als  die  Christen  im 
hl.  Lande  festen  Fufs  fafsten,  war  dessen  Bevölkerung  eine  dünne,  da 
die  Araber  gröfstenteils  geflohen   und  die  syrischen  Christen  in  ihr  Ge- 


x)  Einzelheiten  hierüber  s.  in  Delaville  le  Eoulx,  liv.  I. 
2)  S.  Kugler,  S.  423  u.  Prutz,  Kulturgesch.,  8.  89—155. 


176      Ursachen  d.  Mifslingens  d.  Kreuzzüge.    Ihre  Einwirkungen  auf  das  Abendland. 

schick  mit  verflochten  waren.  Der  Bestand  der  neugegründeten  Staaten 
hing  nun  von  dem  Zuzug  abendländischer  Bevölkerung  ab.  Dieser 
war  im  Anfang  recht  unbedeutend,  denn  nur  der  kleinste  Teil  der 
Pilger-  und  Kreuzfahrerscharen  war  geneigt,  für  immer  in  der  Fremde 
zu  bleiben.  Und  selbst  als  er  ein  stärkerer  wurde,  bestand  er  aus  Ele- 
menten so  verschiedenartiger  Gesellschaftsklassen  und  Herkunft,  dafs 
ihre  Verschmelzung  nicht  gut  möglich  wurde.  Da  fanden  sich  ein: 
Nord-  und  Südfranzosen,  damals  mehr  als  heute  voneinander  geschieden, 
Bretonen  und  Provencalen,  Lombarden,  Venetianer,  Toskaner  und  Sizi- 
lianer,  Lothringer,  Friesen  und  Deutsche,  Skandinavier,  Engländer, 
Walliser,  Schotten  und  Lmgarn ;  dazu  kamen  die  Reste  einheimischer 
Bevölkerung,  Syrer,  Armenier,  Griechen  und  Araber.  Am  stärksten  waren 
die  Franzosen  vertreten,  die  denn  auch  den  mafsgebenden  Einflufs  auf 
die  Kultur  des  Orients  gewannen,  so  dafs  die  Formen  des  Lebens, 
Recht,  Sitte  und  Sprache  im  wesentlichen  auf  französischer  Grundlage 
ruhten.  Es  hielt  schwer,  aus  diesen  Elementen  jene  militärische  und 
politische  Einheit  zu  schaffen,  ohne  die  ein  dauernder  Bestand  der 
Kolonie  nicht  zu  erwarten  war.  Zu  dem  nationalen  Gegensatz  der  ein- 
zelnen Bevölkerungselemente  kam  der  Widerspruch  der  Handelsinteressen 
der  italienischen  Seestaaten,  dann  die  L^neinigkeit  der  christlichen  Fürsten 
in  Syrien,  die  Eifersucht  der  Ritterorden,  während  der  ersten  Kreuz- 
züge auch  die  Hinterhältigkeit  der  griechischen  Politik,  später  die  Herrsch- 
sucht und  der  Vernichtungskampf  der  Kurie  gegen  die  Staufer  und  endlich, 
wenn  auch  vielleicht  in  geringerem  Grade,  die  Verderbtheit  der  im 
Morgenlande  heimisch  gewordenen  Abendländer,  die  mit  den  Sitten  und 
Gebräuchen  vielfach  auch  die  schlechten  Seiten  der  Mohammedaner 
annahmen.  Verfehlten  die  Kreuzzüge  aus  allen  diesen  LTsachen  ihr 
Ziel,  so  waren  sie  doch  von  den  nachhaltigsten  Einwirkungen  auf  alle 
von  ihnen  betroffenen  Länder  begleitet.  Abend-  und  Morgenländer  boten 
einander  mannigfache  Anregungen.  AVenn  es  im  allgemeinen  richtig 
ist,  dafs  durch  die  Kreuzzüge  die  religiösen  Gegensätze  eine  Verschärfung 
erfuhren,  so  fand  doch  in  Palästina  selbst  eine  Annäherung  der  fried- 
lichen Elemente  statt,  wie  sie  den  Franken  im  Interesse  ihrer  Kolonie 
geboten  schien.  Die  Mehrheit  der  syrischen  Christen  war  bemüht,  diesen 
Kämpfen  den  Charakter  eines  Religionskrieges  zu  nehmen,  und  trat  für 
eine  milde  und  tolerante  Behandlung  der  in  christlichen  Gebieten  an- 
sässigen Mohammedaner  ein,  wie  sich  umgekehrt  auch  diese  auf  ihren 
Gebieten  gegen  die  Christen  selbst  während  des  Kampfes  nicht  weniger 
duldsam  erwiesen.  Viel  bedeutsamer  ist  der  Einflufs,  den  der  Orient 
unter  der  Vermittlung  der  »Franken«  auf  die  Entwicklung  des  Abend- 
landes genommen.  Eine  neue  Welt  tat  sich  vor  den  Kreuzfahrern  auf. 
Noch  war  Bagdad  der  Sitz  einer  reichen  Kultur  und  die  Araber  nicht 
blofs  in  der  Philosophie,  Astronomie,  Mathematik  und  Heilkunde,  son- 
dern auch  in  der  Dichtkunst,  den  bildenden  Künsten,  der  Staatsverwal- 
tung, in  Gewerbe,  Ackerbau  und  Handel  den  Abendländern  weitaus 
überlegen.  Nicht  wenige  Xatur-  und  Kunstproduktc  wurden  nun  im 
Abendlande   bekannt,    und  bürgerten  sich    dort   mit  der  Sache  auch  die 


Ergebnisse  der  Kreuzzüge.  177 

Namen  ein.1)  Ebenso  bedeutend  waren  die  Anregungen,  welche  die 
Pilger  von  den  Griechen  erhielten,  denn  noch  fanden  sich  im  griechi- 
schen Reiche  mehr  oder  minder  bedeutende  Reste  antiken  Lebens  vor; 
militärische  Einrichtungen  und  die  Grundlagen  des  alten  römischen 
Steuerwesens  hatten  sich,  wenngleich  vielfach  verändert  und  verschlechtert, 
erhalten.  Es  gibt  sonach  kaum  eine  Seite  im  politischen,  militärischen, 
industriellen  und  künstlerischen  Leben,  die  nicht  aus  dem  Morgenlande 
Anregung  erhalten  hätte,  wenn  es  auch  im  einzelnen  mitunter  schwer 
ist,  den  Ursprung  dieser  Beeinflussung  in  die  Zeit  der  Kreuzzüge  zu 
versetzen,  da  die  Beziehungen  der  Araber  zu  den  Christen  auf  Sizilien 
und  in  den  christlichen  Reichen  Spaniens  noch  ältere  sind.  Sicher  ist, 
•dafs  dem  Handel  neue  Wege  geöffnet  wurden  und  die  Handelsstädte 
Italiens  einen  Aufschwung  nahmen,  der  ihren  Glanz  im  14.  und  15.  Jahr- 
hundert vorbereitete.  Am  meisten  wurde  durch  die  Kreuzzüge  die 
politische  Macht  der  Päpste  gehoben,  unter  deren  Leitung  die  Völker 
in  den  Kampf  zogen,  und  die  von  diesen  nicht  blofs  erhebliche  Blut- 
steuern, sondern  seit  dem  Laterankonzil  auch  den  Kreuzzugszehent  ver- 
langten. Auch  die  Ausbildung  des  Feudalwesens,  die  Blüte  des  Ritter- 
tums, das  Aufblühen  der  Städte,  die  bessere  Stellung  der  Bauern,  die 
Anfänge  der  modernen  Staats-  und  Gesellschaftsordnung,  all  das  erfolgte 
in  der  Zeit  und  zum  Teil  unter  dem  Einflufs  der  Kreuzzüge.  Am  be- 
deutendsten war  freilich  die  erstarkende  Opposition  gegen  die  Vorherrschaft 
der  Kurie  und  der  rege  Handelsverkehr  mit  dem  Morgenland  mit  allen 
seinen  Nachwirkungen,  der  auch  nach  der  Beendigung  der  Kreuzfahrten 
bestehen  blieb.  In  diesen  beiden  Momenten  darf  man  bereits  die  Morgen- 
röte der  neueren  Geschichte  erblicken. 


4.   Abschnitt. 

Das  Zeitalter  Rudolfs  yon  Habsburg 
und  das  Ende  der  unbedingten  Vorherrschaft  des 

Papsttums  (1273-1303). 


1.   Kapitel. 

Das  Königtum  der  ersten  Habsburger. 

§  40.    Gregor  X.  und  Rudolf  ron  Habsburg. 

Quellen.  Aufser  Potthast,  Regg.  pontiff.  u.  Theiner,  Cod.  dipl :  G u i r a r d , 
Les  Registres  de  Gregoire  X  et  Jean  XXI.  Paris  1892/3.  (Kaltenbrunner,  Über  das 
Registrum  Berardi.  MJÖG.  VII.  Palacky,  It.  Reise.  Prag.  1838.  Cenni,  MM.  doniinii 
pont.  II.  Rom  1760,  s.  Potthast,  Wegweiser  II,  988).  Vita  Gregorii  X  papae  Murat.  III, 
2,  424 ;  III,  1,  499.  Eine  treffliche  Quellenübersicht  z.  G.  R.  v.  H.  findet  sich  in  R  e  d  - 
lichs  Xeuausgabe  von  Böhmers  Regesten  VI,  1.    Innsbruck  1898,  13 — 16.    Mit  Rück- 

*)  Einzelheiten  bei  Prutz,  Kulturgesch.,  397 — 495,  vornehmlich  aber  in  Hey  d, 
Gesch.  d.  L.  im  MA.,  wie  oben. 

Loserth,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  12 


178  Das  Königtum  der  ersten  Habsburger. 

sieht  darauf  wird  hier  nur  das  Wichtigere  herausgehoben.  Urkk.  s.  in  Böhmer-Redlich. 
Dazu :  Böhmer,  Acta  imperii  sei.  u.  Acta  imp.  inedita,  Lichnowsky,  G.  d.  H.  H.  II. 
Constitutiones  et  traetatus  in  MM.  Germ.  II,  1,  382  ff.  Mitt.  aus  römischen 
Archiven  I,  II  Aktenstücke  z.  G.  d.  d.  Reiches  unter  Rudolf  I.  u.  Albrecht  I.  und  eine 
Wiener  Briefsammlung).  Wien  1889—1894.  Mag,  Das  habsb.  Urbar  II.  Basel  1899. 
Die  verschiedenen  Briefsteller  s.  Böhmer-Redlich,  S.  15,  16.  Die  Urk.-Bücher  s. 
bei  Dahlman  n-  Waitz-  Stei  ndorf  f  41  ff.  Für  die  ältere  Genealogie  der  Habs- 
burger sind  die  Acta  Murensia  Hauptquelle;  s.  hierüber  vorläufig  Redlich,  R.  v.  H. 
S.  743.     Die  Electio  Rudolf!  in  MM.  Germ.  LL.  II,  1,  383.     Coronatio,  ib.  384—94. 

Geschichtschreiber.  S.  Redlich  S.  13—15.  Dort  sind  10  Gruppen  an- 
geführt. Von  bes.  Wichtigkeit  wegen  des  elsässischen  Ursprungs  des  habsburgischen 
Hauses  sind  die  elsässischen  Quellen:  Ann.  Colmar.  minores  (bis  1298,  maiores 
(bis  1305;.  Bas.  Chron.Colm.  MM  G.  SS.  XVII.  Gottfried  von  Ensmingen,  Gesta  Rudolf! 
et  Alberti  regum,  ib.  Fortges.  in  Closeners  Strafsb.  Chronik.  Städtechron.  YIII.  Matthias 
von  Neuenbürg,  Chronik  bis  1350,  fortges.  bis  1378,  ed.  Studer.  Bern  1866.  Huber 
in  Böhmer.  FF.  IV.  Von  schwäbischen  Quellen:  Die  2.  Fortsetzung  der  Kaiser- 
chronik. MM.  G.  Deutsche  Chron.  I.  Christian  Kuchimeister ,  Xüwe  Casus  mon.  s. 
Galli  bis  1330.  Mitt.  hist.  V.  St.  Gallen  18.  Joh.  Vitoduranus  v.  Winterthur  bis  1348, 
ed.  Wyss.  Zürich  1856.  Von  bayrischen  Quellen:  Annales  s.  Rudberti  Salisb. 
MM.  G.  SS.LX.  Die  Cont.  von  Hermanns  Ann.  Altahenses  v.  1273-1290  u.  1301  bis 
1303.  MM.  G.  SS.  XYH.  D.  Mon.  Fürstenfeldensis.  Böhm.  FF.  I,  1—68,  bis  1326. 
Aus  österreichischen  Quellen  s.  den  IX.  Bd.  der  MM.  G.  SS.  über  sie  oben  §  23). 
Ottokars  österr.  Reimchronik,  ed.  Seemüller.  MM.  GD.  Chr.  V.  Joh.  Victoriensis  bei 
Böhmer.  FF.  I,  271  ff.  Aus  böhmisch-mährischen  Quellen:  Die  Fortsetzungen 
des  Cosmas  bis  1283.  MM.  G.  SS.  IX.  Dalimils  Reimchron.  FF.  rer.  Boh.  HI  u.  die 
Königsaaler  Geschichtsqu.  FF.  rer.  Austr.  I,  8.  Über  Boczeks  Fälsch,  s.  Redlich  S.  15.) 
Aus  thüring. -sächs.  Quellen:  Annal.  Reinhardsbrunn,  (s.  oben).  Chron.  St.  Petri 
Erphordiensis  (wie  oben).  Sächs.  WTeltchron.  Fortsetzung  MM.  G.  DCh.  2, 280.  Ausrhein. - 
niederl.  Quellen:  Ann.  Wormat.,  Mogunt.,  Agripp.  in  MM.  G.  XVI  u.  XVII.  Gesta 
Trev.,  ib.  XXIV.  Jan  van  Heelu,  Willems  Coli,  des  chron.  Belg.  I.  Melis  Stockes 
Reimchron.  Utrecht  1885.  Ital.  Quellen:  Aufser  der  Forsch,  d.  Martin  v.  Troppau 
aus  Orvieto  bes.  Thomas  Tuscus,  Salimbene,  Ann.  Jan.,  Piacent.  u.  Friul.  wie  oben. 
Hist,  Volksl.  bei  Lilienkron  I.     Ergänz,  bei  Redlich  a.  a.  O. 

Hilfsschriften.  Das  Hauptwerk,  das  die  Resultate  älterer  Forschung  zu- 
sammenfafst,  diese  weiterführt  und  ein  Gesamtbild  über  die  Reichsgeschichte  in  der 
Zeit  vom  Untergang  des  alten  Kaisertums  bis  zum  Tode  Rudolfs  bietet,  ist  jetzt 
O.  Redlich,  Rudolf  v.  Habsburg.  Innsbruck  1903.  Zur  älteren  Gesch.  der  Habs- 
burger s.  aufser  Dahlinann-Waitz-Steindorff,  Nr.  2942,  2945,  2946,  795,  die  allg.  Werke  über 
habsburgische,  österr.  u.  böhmische  Gesch.  von  Lichnowsky,  Krones,  Huber,  Mayer,  Bach- 
mann u.  a.  Dazu  Schulte,  Gesch.  d.  Habsburger  in  den  ersten  drei  Jahrhunderten. 
Innsbr.  1887.  Krüger,  Zur  Herkunft  der  Habsburger.  Jb.  Schweizer  Gesch.  XIII. 
Gisi,  Der  Ursp.  d.  Häuser  Zähringen  u.  Habsburg.  1888.  Schulte,  Z.  Herkunft 
d.  H.  MJÖG.  X.  W i  1 1  e  ,  Z.  Abst.  d.  österr.  Kaiserhauses.  MJÖG.  XVII.  Liebe  na  u, 
Die  Anfänge  d.  H.  H.  1883.  Heyck,  Die  Zähringer.  Hub  er,  Rud.  v.  H.  vor  seiner 
Thronbesteigung.  Wien  1873.  S  c  h  m  i  d  1  i  n ,  Ursprung  u.  Entfaltung  der  habsb.  Rechte 
im  Oberelsafs.  1902  Loserth  in  d.  ADB.  Dierauer,  Gesch.  d.  Schw.  Eidgenossen- 
schaft I.  Merz,  Die  Habsburg.  1896.  Langl,  Die  Habsburg.  1895.  Zur  Gesch. 
Rudolfs  (mit  Ausschlufs  der  ganz  veralteten  Schriften).  Kopp,  Gesch.  d.  eidgen, 
Bünde  I,  H.  Leipz.  1845—71.  O.  Lorenz,  Deutsche  Gesch.  im  XIII.  u.  XIV.  Jahrh. 
AVien  1863 — 1866.  Lindner,  Deutsche  Gesch.  unter  den  Habsb.  u.  Luxemburgern. 
Stuttg.  1888.  Die  allg.  deutschen  Geschichten  wie  Lamprecht  IV,  Xitzsch  HI. 
Assmann-Viereck,  Gesch.  d.  MA.  3.  Abt.  3.  A.  1902.  Michael,  Gesch.  d.  d. 
Volkes.  Freib.  1897.  R  a  n  k  e ,  Weltgeschichte  VIII.  Spezi  al  Schriften:  F.Walter, 
Die  Polit.  d.  Kurie  unter  Gregor  X.  Beii.  1894.  Zisterer,  Gregor  X.  u.  Rud.  v.  H. 
Freib.  1891.  Otto,  Die  Bez.  Rudolfs  von  Habsburg  zu  Gregor  X.  Innsbr.  1895. 
Wert  seh,  D.  Bez.  R.  v.  H.  zur  röm.  Kurie  bis  z.  Tode  Xikolous  III.  Giese,  R.  v.  H. 
u.  die  röm.  Kaiserkrone.     Halle  1893.     Die  allgem.  Werke    zur  Gesch.  der  Päpste  und 


Gregor  X.  und  seine  Politik.     Der  Tod  K.  Richards.  179 

die  Schriften  von  Deussen,  Muth,  Engelmahn,  Dönitz  s.  oben.  Otto,  Verzichtleistung 
K.  Alfons'  X.  MJÖG.  XVI.  Redlich,  Die  Anfänge  Rudolfs  v.  H.  MJÖG.  X.  u.  Erg. 
Bd.  IV.  Gössgen,  Die  Bez.  R.  v.  H.  zum  Elsafs.  Strafet).  1899.  G.  v.  d.  Kopp,  Erzb. 
Werner  v.  Mainz.  Göttingen  1871.  Baörwald,  De  electione  Rudolfi.  1855.  Riedel, 
Graf  R.  v.  H.  u.  Burggr.  Friedrich  v.  Nürnberg.  1853.  Witte,  Burgg.  Friedrich  III.  von 
Nürnberg  u.  d.  Zollernsche  Besitz  in  Österreich.  MJÖG.  XXI,  235—250.  Grauert, 
Zur  Vorgesch.  d.  Wahl  Rudolfs.  HJb.  XIII.  Breslau,  Z.  Vorgesch.  d.  Wahl  Rs. 
MJÖG.  XV.  Heller,  Deutschland  u.  Frankreich  in  ihren  pol.  Beziehungen.  Göttingen 
1874.  Lorenz,  D.  siebente  Kurstimme.  Wiener  SB.  XVII.  F  ick  er,  Fürstl.  Wille- 
briefe. MJÖG.  III.  Scheffer-Boichorst,  Zur  Gesch.  d.  pfalz-bayr.  Kur.  München 
1884.  Redlich,  Habsburgj  Ungarn  u.  Sizilien.  Festschrift  f.  Büdinger  1898.  Ehren- 
berg, Der  Reichstag  1273—1378.  Hist.  Stud.  1883.  Müller,  Gesch.  d.  böhm. 
Kur  1273—1356.     Diss.  1891. 

1.  Bald  nach  der  Schlacht  bei  Benevent  zeigte  es  sich,  dafs  der 
französische  Einflufs  in  Italien  dem  Papsttum  nicht  weniger  gefährlich 
sei  als  jener  der  Staufer.  Der  Sieg  bei  Alba  hatte  die  Stellung  König 
Karls  aufs  er  ordentlich  gefestigt.  In  Rom  zum  Senator  gewählt,  wurde 
er  vorn  Papst  auf  10  Jahre  bestätigt.  Roms  Münzen  trugen  sein  Bild. 
Die  Stadt  wurde  durch  seine  Vikare  regiert.  Seine  Herrschaft  war  hart 
und  seine  Macht  durch  die  lange  Vakanz  des  päpstlichen  Stuhles  ge- 
stiegen. Wenige  Wochen  nach  Konradins  Tod  war  nämlich  Klemens  IV. 
gestorben.  Der  päpstliche  Stuhl  blieb  nun  drei  Jahre  lang  unbesetzt, 
da  sich  die  Kardinäle  über  keinen  Kanditaten  zu  einigen  vermochten. 
Neben  der  französischen,  vom  Könige  Karl  begünstigten  Partei  gab  es 
eine  italienische,  die  auf  die  Wahl  eines  von  Frankreich  unabhängigen 
Papstes  drängte.  Endlich1)  wurde  am  1.  September  1271  Tedald  aus 
dem  Hause  Visconti  in  Piacenza  als  Gregor  X.  (1271 — 1276)  gewählt. 
Die  Kunde  hievon  traf  ihn  in  Akkon.  Er  hatte  die  trübseligen  Ver- 
hältnisse daselbst  aus  eigener  Anschauung  kennen  gelernt  und  war  daher 
mehr  als  einer  seiner  unmittelbaren  Vorgänger  bemüht,  einen  allgemeinen 
Kreuzzug  zustande  zu  bringen.  In  diesem  Sinne  nahm  er  die  Verhand- 
lungen mit  Michael  Paläologos  über  die  Union  der  morgen-  und  abend- 
ländischen Kirche  lebhaft  auf,  trat  den  gegen  Ostrom  gerichteten  Plänen 
Karls  von  Anjou  entgegen  und  suchte  unter  allen  christlichen  Herrschern 
Frieden  und  Eintracht  herzustellen,  vornehmlich  in  jenem  Reiche,  das 
der  abendländischen  Christenheit  das  weltliche  Oberhaupt  gab  —  Deutsch- 
land. Dem  deutschen  König  und  künftigen  Kaiser  war  bei  seinen  Kreuz- 
zugsplänen eine  hervorragende  Rolle  zugedacht. 

2.  Am  2.  April  1272  starb  König  Richard.  Noch  lebte  König 
Alfons  X.  Dieser  meinte  nun,  die  Anerkennung  des  Papstes  und  die 
Kaiserkrone  zu  erhalten,  ja  er  verlangte,  dafs  der  Papst  den  Wahl- 
fürsten die  Vornahme  einer  Neuwahl  verbiete ;  das  lehnte  der  Papst  ab, 
da  es  ihn  in  einen  Streit  mit  König  Karl,  dem  Gegner  Alfons'  X.,  ver- 
wickelt hätte.  Er  wies  auf  das  freie  Wahlrecht  der  Kurfürsten  hin. 
Noch  ablehnender  verhielt  er  sich  gegen  die  Kandidatur  Friedrichs  des 
Freidigen  von  Meifsen,  eines  Enkels  Kaiser  Friedrichs  IL,  und  so  auch 


*)  Quem  patrem  patrum  fecit  discordia  fratrum. 

12* 


ISO  Wahlkandidaten  nach  dem  Tode  König  Richards. 

gegen  die  des  französischen  Königs  Philipp  III.,  die  von  Karl  von  Anjou 
in  der  Hoffnung  gefördert  wurde,  in  seinen  italischen  Plänen  nicht  ge- 
stört zu  werden.  Da  die  Wahlangelegenheit  in  Deutschland  langsam 
in  Flufs  kam,  trug  der  Papst  den  Kurfürsten  die  Wahl  eines  Königs 
auf,  widrigenfalls  er  dem  Reiche  selbst  ein  Oberhaupt  setzen  würde 
(1273,  Juli).  Schon  im  August  1272  unterhandelte  der  Erzbischof  von 
Köln  mit  dem  böhmischen  König  über  die  Vornahme  der  Neuwahl. 
Ottokar  trat  hierüber  selbst  mit  dem  Papst  und  König  Karl  in  Fühlung; 
in  seinen  Ländern  erwartete  alles  seine  Wahl  und  von  ihr  zugleich  die 
Wiederaufrichtung  des  daniederliegenden  Kaisertums.  Nur  wenn  er 
selbst  gewählt  wurde  oder  eine  zwiespältige  Wahl  erfolgte ,  durfte  er 
übrigens  hoffen,  seinen  grofsen  Ländergewinn  zu  sichern.  Aber  seine 
Kandidatur  wurde  vom  Papst  nur  unter  der  Voraussetzung  gebilligt, 
dafs  sie  den  deutschen  Fürsten  gefalle,  und  diesen  war  er  zu  mächtig. 
Die  Hoffnung  auf  ihre  Uneinigkeit  hielt  ihn  ab ,  sich  kräftig  an  dem 
Wahlgeschäft  zu  beteiligen.  Aufser  Ottokar  IL  strebte  der  Pfalzgraf 
Ludwig  nach  der  Krone ;  ihm  galt  es,  seinen  nach  Konradins  Tode  er- 
worbenen Besitz,  bei  dem  sich  viel  Reichsgut  befand,  zu  sichern.  Ehe 
noch  der  Befehl  des  Papstes  in  Deutschland  eintraf,  hatten  die  rheinischen 
Kurfürsten  sich  geeinigt,  Die  Führung  übernahm  der  Erzbischof  Werner 
von  Mainz.  Am  16.  Januar  schlofs  er  ein  Bündnis  mit  Ludwig.  Dann  er- 
klärten die  mittelrheinischen  Städte,  nur  einen  einhellig  gewählten  König 
anzuerkennen,  worauf  allmähüch  auch  Köln  und  Trier,  Sachsen  und 
Brandenburg  mit  Mainz  in  Verbindung  traten.  Böhmen,  mit  welchem 
kein  Übereinkommen  erzielt  werden  konnte,  wurde  nicht  weiter  berück- 
sichtigt. Als  Gregor  X.  den  Bann  aufhob,  der  noch  auf  Ludwig  als 
Anhänger  Konradins  lastete,  konnte  dieser  als  Wähler  und  zugleich  als 
Bewerber  auftreten.  Aber  auch  ihm  stand  seine  grofse  Macht  im  Wege, 
jedenfalls  mehr  als  die  staufischen  Erinnerungen;  denn  diese  hafteten 
auch  an  dem  Grafen  Rudolf  von  Habsburg,  der  nun  vom  Burggrafen 
Friedrich  von  Nürnberg  in  Vorschlag  gebracht1)  und  zum  Zweck  der 
Sicherung  seines  grofsen  Allodialbesitzes  in  Osterreich,  sowie  des  von  ihm 
erworbenen  Reichsgutes  eifrig  gefördert  wurde.  Geringere  Aussichten 
hatte  die  Kandidatur  Siegfrieds  von  Anhalt,  der  den  rheinischen  Wähler- 
kreisen völlig  fremd  war.  Dagegen  genofs  Graf  Rudolf  von  Habsburg . 
der  Sprosse  eines  uralten,  aus  dem  Elsafs  stammenden  Geschlechtes, 
dessen  Besitz  von  den  Alpenpässen  der  Schweiz  bis  vor  die  Tore  von 
Kolmar  reichte,  und  dessen  Macht  doch  nicht  grois  genug  war,  um  die 
Besorgnisse  der  Kurfürsten  wachzurufen,  die  besten  Aussichten.  Sein 
Ruf  als  erfahrener  Kriegsmann  und  trefflicher  Hauswirt  reichte  weit 
über  die  Grenzen  seiner  engeren  Heimat.  Dabei  stand  er  in  guten 
Beziehungen  zu  Mainz  und  Pfalz.  Noch  vor  der  Wahl  wurden  Verein- 
barungen über  die  Wiedergewinnung  des  abhanden  gekommenen  Reichs- 
gutes getroffen.  Zu  diesem  gehörten  nicht  blofs  Domänen,  sondern  da 
ein  jedes  Recht    seine   nutzbare  Seite  hatte,   auch   Lehen   und    Gerichts- 


1    Ober  che  Motive  s.  Witte,  wie  oben. 


Die  Königs  wähl  Rudolfs.     Das  Haus  Habsburg.  181 

barkeiten.  Nun  wurde  festgesetzt,  dafs  in  Zukunft  über  Reichsgut  nicht 
mehr  ohne  die  Zustimmung  der  Kurfürsten  verfügt  werden  dürfe.  Diese 
erfolgt  —  vor  oder  nachher  —  in  der  allerdings  nicht  neuen, 
jetzt  aber  neubelebten  Form  der  Willebriefe  oder  durch  Mitbesieglung 
oder  mündliche  Zustimmung.  Indem  nun  der  König  bei  allen  wichtigen 
Verfügungen  an  die  Zustimmung  der  Kurfürsten  gebunden  war,  gestaltete 
sich  das  Kurfürstentum,  vom  König  anerkannt  und  mit  festen  Rechten 
ausgestattet,  zum  festen  Kern  für  eine  mächtige  ständische  Entwicklung.1) 
Die  Bestimmung  erhielt  sogar  eine  rückwirkende  Kraft2),  indem  die 
Aufsuchung  und  Einziehung  aller  Güter  angeordnet  wurde,  die  seit 
Friedrichs  II.  Absetzung  dem  Reiche  ohne  Zustimmung  der  Mehrheit 
der  Kurfürsten  entzogen  worden  waren.  Die  »Re Vindikation«  des  Reichs- 
gutes sollte  freilich  nur  insoweit  erfolgen,  als  es  sich  nicht  in  der  Hand 
von  Rudolfs  Wählern  befand,  und  konnte  somit  zunächst  nur  Ottokar 
gegenüber  durchgeführt  werden.  Allerdings  mochten  die  Kurfürsten 
hiebei  mehr  an  Revindikationen  für  das  Reich  als  für  das  Haus  des 
Königs  gedacht  haben.  Den  einzelnen  Kurfürsten  wurde  die  Schadlos- 
haltung für  ihre  Wahlkosten  zugesagt,  der  Pfalzgraf  gewonnen,  indem 
ihm  eine  von  Rudolfs  Töchtern  verheifsen  und  sein  Erwerb  aus  Kon- 
radins  Erbschaft  gesichert  wurde.  In  gleicher  Weise  war  das  Vorgehen 
gegenüber  Sachsen  und  Brandenburg.  Der  Wahltag  wurde  auf  den  29. 
September  festgesetzt  und  Böhmens  Wahlrecht  trotz  der  Einsprache  des 
Bischofs  von  Bamberg  gegen  die  Nichtberücksichtigung  Böhmens  und  die 
Wahl  Rudolfs  als  einer  nichtfürstlichen  Person  dadurch  beseitigt,  dafs  die 
siebente  Kurstimme  Bayern  zugesprochen  und  bestimmt  wurde,  dafs  sie 
gemeinsam  vom  Pfalzgrafen  Ludwig  und  dem  Herzog  Heinrich  geführt 
werden  solle.  Die  Wahl  erfolgte  am  1.  Oktober:  die  Kurfürsten  über- 
trugen ihre  Stimmen  dem  Pfalzgrafen,  und  dieser  verkündigte  den  Grafen 
Rudolf  von  Habsburg  als  erwählten  römischen  König.  Rudolf  hatte 
eben  noch  mit  dem  Bischof  von  Basel  in  Fehde  gestanden,  am  22.  Sep- 
tember die  Belagerung  von  Basel  aufgehoben  und  war  rheinabwärts 
gezogen.  Am  2.  Oktober  hielt  er  seinen  Einzug  in  Frankfurt  und  am 
24.  wurde  er  in  Aachen  zum  König  gekrönt. 

Die  Anfänge  des  habsburgischen  Hauses  liegen  im  oberen  Elsafs,  Basel  abwTärts 
zu  beiden  Seiten  des  Rheins  bis  unterhalb  Breisachs  zwischen  den  Vogesen  und  dem. 
Schwarzwald.  Von  dort  hat  sich  seine  Macht  einerseits  nach  Unterelsafs  und  dem  Breisgau, 
andererseits  auch  in  die  Gegend  an  der  Aar  und  Reufs  verbreitet.  Ahnherr  des  Hauses 
war  Guntram  der  Reiche  (f  973).  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  gehörte  er  den 
Etichonen,  dem  alten  Herzogsgeschlechte  im  Elsafs,  an.  Bischof  Werner  erbaute  (um  1020) 
die  Habichtsburg  auf  der  Höhe  des  Wülpelsberges  unwTeit  Brugg  im  Aargau.  Zum  ersten- 
mal wird  1090  ein  Habsburger  als  Graf  bezeichnet.  Es  ist  Otto,  der  sich  eng  an 
Heinrich  V.  anschlofs.  Die  Sprossen  des  Geschlechtes  verstanden  es  trefflich,  ihres 
Hauses  Macht  zu  mehren.  So  auch  Graf  Rudolf,  1218  geboren  und  von  keinem  Geringeren 
als  Friedrich  IL  aus  der  Taufe  gehoben,  blieb  er  den  Staufern  treu  zugetan.  Xach 
dem  Tode  seines  Vaters  Albrecht,  der  1239  oder  1240  im  hl.  Lande  starb,  trat  er 
seinen  reichen  Erbbesitz  an.    Schon  wrar  Habsburg  eines  der  bedeutenderen  Dynasten- 

x)  Herzberg-Fränkel,  Rudolf  von  Habsburgs  Wahl  und  Anerkennung,  S.  3. 
2)  Man  darf  darin  nichts  Besonderes  sehen ;  es  ist  die  Methode,  die  Friedrich  IL 
in  Sizilien  und  Eduard  I.  in  England  geübt  hat, 


182  Böhmens  Protest.     Die  Haltung  der  Kurie. 

häuser  im  südwestlichen  Deutschland.  Die  Habsburger  hatten,  aufsei*  dem  Besitz  in  Elsafs, 
die  Grafschaft  im  westlichen  Zürichgau,  im  Aargau  und  Frickgau,  die  Landgrafschaft 
im  Elsafs,  die  Yogtei  in  Luzern  und  Glarus,  die  Grafschaft  Kyburg,  die  Landgrafschaft 
im  Thurgau  usw.1  Über  die  äufsere  Erscheinung  Rudolfs  berichtet  die  Kolmarer 
Chronik :  »Er  war  ein  Mann  von  grofser  Gestalt,  7  Fufs  lang,  schlank,  mit  kleinem  Kopf, 
bleichem  Gesicht,  langer  Xase,  spärlichem  Haarwuchs  und  langen,  schmalen  Händen 
und  Füfsen.  In  Speise  und  Trank  ruäfsig,  war  er  ein  weiser,  umsichtiger  Mann,  doch, 
selbst  bei  den  reichsten  Geldmitteln  in  steter  Geldverlegenheit.«  In  jüngeren  Jahren 
war  er  Friedrich  II.,  trotz  Bann  und  Interdikt,  nahe  gestanden  und  blieb  auch  auf  dieser 
Seite,  als  sich,  ein  grofser  Teil  des  schwäbischen  Adels  von  den  Staufern  abwandte ; 
gleichwohl  waren  die  Verhältnisse  so  sehr  geändert,  dafs  eine  Wiederaufnahme  der 
staufischen  Politik  von  ihm  nicht  zu  erwarten  war. 

3.  Trotz  der  einmütigen  Wahl  und  der  allgemeinen  Anerkennung, 
die  Rudolf  im  deutschen  Lande  mit  Ausnahme  Böhmens  fand,  dauerte 
es  doch  zwei  Jahre,  bis  Gregor  X.  die  Wahl  anerkannte.  Der  Böhmen- 
könig setzte  alles  daran,  sie  zu  hintertreiben.  Hatten  die  Kurfürsten 
nach  der  Krönung  Berichte  über  den  Vorgang  an  den  Papst  geschickt 
und  um  die  Kaiserkrone  für  Rudolf  gebeten,  so  wandte  sich  auch 
Ottokar,  der  schon  gegen  die  Wahl  protestiert  hatte,  mit  der  Bitte  an 
den  Papst,  ihn  in  seinen  Rechten  zu  schützen  und  das  Reich  vor  der 
Schmach  zu  bewahren ,  einem  unbekannten ,  bettelarmen  Mann  über- 
geben zu  werden.  Dasselbe  Ziel  verfolgte  auch  eine  Denkschrift,  die 
Ottokars  Berater,  Bischof  Bruno  von  Olmütz,  für  das  Konzil  von  Lyon 
ausarbeitete  und  in  der  er  die  Wahl  als  zwiespältig  und  Ottokar  allein 
als  den  Mann  hinstellte,  der  die  Christenheit  gegen  die  Ketzer  zu  schützen 
und  dem  hl.  Lande  zu  helfen  vermöge.  König  Rudolf  sandte  im 
Dezember  1273  seine  Boten  an  die  Kurie  und  bat,  ihn  seinerzeit  mit 
dem  kaiserlichen  Diadem  zu  zieren.  Das  Konzil  wurde  am  7.  Mai  1274 
eröffnet  und  tagte  bis  zum  17.  Juli.  Zur  Beratung  gestellt  wurden: 
die  Kreuzzugsfrage,  die  Union  mit  der  griechischen  Kirche  und  die  Re- 
formation des  Klerus.  Daneben  wurde  auch  über  politische  Fragen 
verhandelt.  Die  deutschen  Bischöfe  drängten  auf  die  Anerkennung 
Rudolfs  und  wiesen  die  Bemühungen  der  kastilischen  Gesandten  zugunsten 
Alfons'  X.  zurück.  König  Ottokar  liefs  seine  Sache  durch  die  Bischöfe 
von  Olmütz  und  Seckau  vertreten.  Als  aber  Rudolfs  Gesandter  (am 
6.  Juni)  in  dessen  Xamen  die  von  Otto  IV.  und  Friedrich  IL  ausge- 
stellten Eide  und  Privilegien  beschwur  und  Rudolf  dem  Papste  die  ge- 
wünschten Zugeständnisse  machte,  war  dessen  Entscheidung  nicht  mehr 
zweifelhaft.  Schon  war  Rudolf  mit  Ungarn  in  Verbindung  getreten ;  nun 
drängte  der  Papst,  dafs  Alfons  X.  seinen  Ansprüchen  auf  das  Kaisertum 
entsage,  brachte  eine  Annäherung  zwischen  Rudolf  und  Karl  von  Anjou 
zustande  und  legte  dem  König  Ottokar,  dessen  Wahlrecht  im  übrigen 
nicht  bestritten  wurde,  die  Anerkennung  Rudolfs  ans  Herz.  In  Bezug 
auf  die  ihm  streitig  gemachten  österreichischen  Länder  (s.  unten)  sollte 
er  sich  dem  Schiedsspruch  des  Papstes  unterwerfen.  Die  österreichische 
Frage  sollte  demnach  noch  vor  der  Anerkennung  Rudolfs  entschieden 
werden.     Zu   seinem   eigenen    Schaden   schlug  Ottokor  ein  hinhaltendes 


*)  Genaue  Beschreibung  bei  Redlich,  S.  20. 


Die  Anerkennung  Rudolfs.     Die  Revindikation  des  Reichsgutes.  133 

Verfahren  ein.  Um  für  sein  ferneres  Vorgehen  Zeit  zu  gewinnen,  er- 
klärte er  sich  bereit,  nach  vier  Jahren  einen  Kreuzzug  zu  unternehmen, 
dann  erwarte  er  einen  gütlichen  Vergleich  durch  den  Papst.  Darauf 
ging  Gregor  X.  nicht  ein.  Nun  knüpfte  Ottokar  Verbindungen  mit 
Alfons  an,  regte  ihn  zum  Widerstand  auf  und  setzte  sich  mit  den  Ghi- 
bellinen  Oberitaliens,  die  für  Alfons  eintraten,  und  mit  einzelnen  deutschen 
Fürsten  in  Verbindung.  Nachdem  Ottokar  die  Anerbietungen  des  Papstes 
zurückgewiesen  hatte,  erkannte  dieser  (am  26.  September  1274)  Rudolf 
als  römischen  König  an;  zeitgenössische  Schriftsteller  sahen  darin  eine 
förmliche  Approbation  seines  Königtums.1)  Ottokars  Proteste  waren 
damit  erledigt.  Den  König  Alfons  vermochte  der  Papst  zum  Verzicht 
auf  das  Kaisertum.  Bei  der  Zusammenkunft  Gregors  X.  mit  Rudolf, 
die  in  Lausanne  (1275,  15.  Oktober)  stattfand,  legte  dieser  und  sein  Ge- 
folge das  Kreuzzugsgelübde  ab.  Für  die  Kaiserkrönung  wurde  Lichtmefs 
des  nächsten  Jahres  in  Aussicht  genommen,  doch  ist  es  weder  zu  dieser 
noch  zu  dem  Kreuzzug  gekommen,  denn  Gregor  X.  starb  schon  am 
10.  Jannar  1276,  und  die  Politik  der  nächsten  Päpste  bewegte  sich  in 
anderen  Bahnen. 

§  41.    Die  Revindikation  des  Reichsgutes    und  das  Rechtsverfahren 
gegen  Ottokar  IL    Die  Kriege  von  1276—1278. 

Hilf s Schriften.  S.  §40.  Dazu:  Lamprecht,  Die  Entstehung  der  Wille- 
briefe u.  die  Revindikation  des  Reichsgutes  unter  Rudolf  v.  H.  Forsch.  XXI,  XXIII. 
Plischke,  Das  Rechtsverfahren  gegen  Ottokar.  Bonn  1885.  Zeifsberg,  Über 
das  Rechtsverfahren  Rs.  v.  H.  gegen  Ottokar  v.  B.  AÖG.  69,  s.  dazu  MJÖG.  X,  381. 
Busson,  Salzburg  u.  Böhmen  vor  dem  Kriege  von  1276.  Ebenda  65.  Dop  seh, 
Die  Kärten-Krainer  Frage.  AÖG.  87.  Scheffer-Boichorst,  Die  ersten  Beziehungen 
zw.  Habsburg  u.  Ungarn.  MJÖG.  X.  Redlich,  Habsburg,  Ungarn  u.  Sizilien.  Fest- 
schrift f.  Büdinger  1898.  Redlich,  Zur  Gesch.  d.  öst.  Frage  unter  K.  Rudolf  I. 
MJÖG.  Erg.  Bd.  IV.  K  u  p  k  e ,  Das  Reichsvikariat  u.  die  Stellung  der  Pfalzgrafen  bei 
Rhein.  Diss.  1891.  Zu  den  beiden  Kriegen:  Köhler,  Die  Schlacht  auf  dem  March- 
feld.  Forsch.  XIX— XXI.  MJÖG.  III.  Busson,  Der  Krieg  von  1278  u.  die  Schlacht 
bei  Dürnkrnt.  AÖG.  62.  Köhler,  D.  Entwicklung  d.  Kriegswesens  II,  92.  Gräbner, 
Rudolf  von  Habsburg  u.  Otto  von  Brandenburg.  1901.  Paul  er,  .Gesch.  Ung.  im  Zeit- 
alter der  Arpaden  (magyarisch).  Boczek,  Mähren  unter  Rudolf  I.  Gräbner, 
Böhmische  Politik  vom  Tode  Ottokars  II.  bis  z.  Aussterben  der  Pfemysliden  MVGDB. 
XLI,  313.  Die  Lit.  zu  den  Stadtrechtsprivilegien  Wiens  s.  Redlich-Böhmer  Regg. 
Xr.  974,  975.  Krones,  Die  Herrschaft  König  Ottokars  von  Böhmen  in  Steiermark. 
Mitt.  hist.  Ver.  Steierm.  XXII.  Friefs,  Die  Herren  v.  Kuenring.  Löschke,  Die 
Politik  K.  Ottokars  geg.  Schlesien  u.  Polen.     ZG.  Schles.  XX. 

1.  Seiner  Aufgabe,  die  Revindikation  des  Reichsgutes  vorzunehmen, 
kam  König  Rudolf  um  so  eifriger  nach,  als  sie  die  Handhabe  bot,  gegen 
Ottokar  vorzugehen,  dessen  Monarchie  sich  auf  Kosten  des  Reiches  zu 
einem  von  diesem  fast  unabhängigen,  ja  ihm  feindseligen  Staate  ent- 
wickelt hatte.  Demgemäfs  wurde  schon  auf  dem  Hoftag  von  Speyer 
(1273,  Dezember)  der  allgemeine  Befehl  erlassen,  dafs  alles  ungebührlich 
erworbene  Reichsgut  herauszugeben  sei. 2)     Die  Vögte  und  Beamten  des 

*)  So  Hermann  von  Altaich,  S.  409. 

2)  Redlich-Böhmer,  Xr.  48.  S.  den  Zug  Rudolfs  gegen  den  Markgr.  v.  Baden 
wegen  Revindikation  von  Reichsgut.    RB.  190  a,  191. 


184  ^as  Rechtsverfahren  gegen  König  Ottokar. 

Reiches  haben  solches  Gut  aufzusuchen  und  einzuziehen.  Bei  der 
Mangelhaftigkeit  der  Rechtstitel  Ottokars  auf  seine  Ländererwerbungen 
konnten  auf  Grund  dieser  Anordnung  Osterreich,  Steiermark,  Kärnten, 
Krain,  die  windische  Mark  und  das  Egerland  entweder  als  heimgefallene 
Lehen  oder  entfremdetes  Reichsgut  in  Anspruch  genommen  werden- 
Der  Neutralität  der  Kurie  versichert,  leitete  Rudolf  ein  förmliches  Rechts- 
verfahren gegen  Ottokar  ein.  Dem  Reichstag  von  Nürnberg  legte  er 
im  November  1274  die  Fragen  vor:  1.  Wer  Richter  sein  solle,  wenn  er 
gegen  einen  Fürsten  wegen  widerrechtlichen  Besitzes  von  Reichsgut 
Klage  erhebe.  Die  Antwort  lautete :  der  Pfalzgraf.  Als  dieser  den 
Richterstuhl  bestiegen,  fragte  der  König  weiter,  was  bezüglich  der  dem 
Reiche  seit  der  Absetzung  Friedrichs  IL  entrissenen  Güter  zu  geschehen 
habe.  Die  Antwort  lautete :  sie  seien  einzuziehen  und  der  König  ver- 
pflichtet, dem  Reich  zu  seinen  Rechten  zu  verhelfen.  Auf  Rudolfs  dritte 
Frage,  was  bezüglich  des  Königs  von  Böhmen  zu  geschehen  habe,  der 
seit  der  Königswahl  Jahr  und  Tag  habe  verstreichen  lassen,  ohne  um 
die  Belehnung  mit  seinen  Reichslehen  anzusuchen,  erfolgte  der  Spruch : 
Wer  immer  ohne  echte  Not,  sei  es  aus  Nachlässigkeit  oder  Widersetzlich- 
keit, binnen  Jahr  und  Tag  seine  Lehen  nicht  mute,  soll  ihrer  nach 
Ablauf  dieser  Frist  verlustig  gehen.  Auf  die  Frage  endlich,  wie  gegen 
Ottokar,  bei  welchem  Widersetzlichkeit  vorliege,  vorzugehen  sei,  wurde 
entschieden,  ihn  zur  Verantwortung  vor  den  Pfalzgrafen  zu  zitieren.  Die 
Entscheidung  in  der  zweiten  Frage  genügte,  um  gegen  den  Böhmen- 
könig in  Bezug  auf  seine  österreichischen  Länder  vorzugehen;  bezüglich 
Böhmens  und  Mährens  mufste  der  Weg  des  Lehensprozesses  ein- 
geschlagen werden.  Ottokar  erschien  weder  in  Würzburg,  wohin  er  auf 
den  23.  Januar,  noch  in  Augsburg,  wohin  er  auf  den  15.  Mai  geladen 
wurde.  Wohl  aber  entsandte  er  nach  Augsburg  den  Bischof  von  Seckau, 
der  Rudolfs  Wahl  und  Wähler  so  heftig  angriff,  dafs  ihn  nur  das  Ein- 
schreiten des  Königs  vor  dem  Zorn  der  Fürsten  schützte.  Nun  wurden 
ihm  wegen  vorsätzlichen  Lmgehorsams 2)  seine  Reichslehen  (Böhmen  und 
Mähren)  und  seine  Reichsämter  (das  Schenkenamt)  und  in  Ausführung 
des  ersten  Nürnberger  Spruches  Österreich  und  die  übrigen  neu- 
erworbenen Länder  als  entfremdetes  Reichsgut  aberkannt  und  die  siebente 
Kurstimme  endgültig  an  Bayern  gegeben.  Da  Ottokar  die  Aufforderung, 
die  Reichslehen  und  entfremdeten  Reichsgüter  auszuliefern,  in  schroffer 
Form  abwies,  wurde  über  ihn  zuerst  die  einfache  und  am  24.  Juni  1276 
die  Ober  acht  ausgesprochen.     Damit  war  der  Kriegsfall  gegeben. 

2.  Mittlerweile  hatte  Rudolf,  an  den  sich  die  Brüder  Meinhard  und 
Albrecht  von  Görz-Tirol  aufs  engste  anschlössen  und  ihm  die  Freund- 
schaft Ungarns  vermittelten,  den  letzten  Sponheimer  Philipp  mit  Kärnten 
und  den  dazu  gehörigen  Teilen  von  Krain  und  der  Mark  belehnt  und 
den  Erzbischof  von  Salzburg,  die  in  Österreich  begüterten  Bischöfe  und 
viele  der  österreichischen  mit  Ottokars  Regimente  unzufriedenen  Adeligen 
für  sich  gewonnen.     Gegen  diese  schritt  Ottokar  ein:  er  nahm  vom  Adel 


l)  Gontumacia. 


Der  er.ste  Krie<r  gegen  Ottokar.  185 

und  den  Städten  Geiseln,  zwang  die  Bischöfe  durch  die  Temporalien- 
sperre  und  den  Erzbischof  von  Salzburg  durch  die  Verwüstung  seiner 
Besitzungen  sich  mit  ihm  zu  vergleichen  und  suchte  selbst  noch  Ungarn 
auf  seine  Seite  zu  ziehen.  Mitte  August  1276  brach  Rudolf  vom  Rheine 
auf.  Von  den  Kurfürsten  unterstützten  ihn  nur  Mainz  und  Pfalz.  Von 
entscheidender  Bedeutung  war  der  Anschlufs  Bayerns  an  Rudolf,  wofür 
dieser  seine  Tochter  Katharina  mit  Otto,  dem  Sohn  Herzogs  Heinrichs, 
verlobte  und  als  Pfand  für  den  Brautschatz  Oberösterreich  anwies.  Nach 
einem  von  dem  Erzbischof  von  Salzburg  entworfenen  Kriegsplan  sollte 
Rudolf  Böhmen  beunruhigen,  um  dessen  Hauptmacht  dort  festzuhalten, 
Meinhard  von  Tirol  zur  Unterstützung  der  Gegner  Ottokars  in 
Kärnten  und  Steiermark  einrücken  und  ein  drittes  Heer  in  das  von  Ver- 
teidigern entblöfste  Österreich  eindringen.  Während  Ottokar  den  Angriff 
bei  Tepl  erwartete,  änderte  Rudolf  nach  Bayerns  Anschlufs  den  Plan 
und  wTandte  sich  mit  seiner  Hauptmacht  nach  Österreich,  indes 
Meinhard  in  Steiermark  einrückte,  wo  nun  die  Dienstmannen  Steiermarks 
und  Kärntens  in  grofser  Zahl  in  dem  nordwestlich  von  Graz  gelegenen 
Zisterzienserkloster  Reun  zusammentraten  und  sich  für  König  Rudolf 
verpflichteten.  Nur  der  Klerus  und  die  von  Ottokar  begünstigten  Städte 
blieben  entweder  neutral  oder  auf  Seiten  Ottokars.  Ende  September 
rückte  Rudolf  in  Österreich  ein;  am  18.  Oktober  stand  er  vor  Wien. 
Ottokar  war  inzwischen  durch  Ober  Österreich  ins  Marchfeld  gezogen. 
Seine  Scharen  lichteten  sich  durch  den  Abfall  der  Adeligen,  die  dem 
Beispiel  der  Steirer  und  Kärntner  folgten.  Verhängnisvoll  aber  wurde 
für  ihn  die  Opposition  des  böhmischen  Adels  gegen  das  böhmische 
Landesfürstentum,  besonders  der  Witigonen  unter  Zawisch  von  Falkenstein. 
Als  sich  auch  die  Ungarn  trotz  anfänglicher  Verstimmung  wieder  Rudolf 
näherten,  kam  Ottokar  in  Gefahr,  von  zwei  Seiten  angegriffen  zu  werden. 
Daher  war  er  zu  einem  friedlichen  Abkommen  geneigt,  das  denn  auch 
am  21.  November  1276  getroffen  wurde.2)  Danach  trat  Ottokar  Öster- 
reich, Steiermark,  Kärnten,  Krain,  die  Windische  Mark  und  das  Egerland 
an  das  Reich  ab  und  erhielt  die  Belehnung  mit  Böhmen  und  Mähren. 
Sein  Sohn  Wenzel  wurde  mit  einer  Tochter  Rudolfs  (Guta),  seine  Tochter 
Kunigunde  mit  Hartmann,  einem  Sohne  Rudolfs,  verlobt;  die  gegen- 
seitigen Gefangenen  sollten  ausgewechselt,  eine  Amnestie  erlassen  und 
Ungarn  in  den  Frieden  eingeschlossen  sein.  Ottokar  leistete  (am 
25.  November)  die  Huldigung,  und  Rudolf  hielt  (am  29.  oder  30.)  seinen 
Einzug  in  Wien. 

3.  Über  die  Ausführung  des  Novembervertrages  kam  es  bald  zu 
Mifshelligkeiten.  Ottokar  weigerte  sich,  das  Land  nördlich  von  der 
Donau,  da  es  als  Pfand  für  die  Aussteuer  Gutas  verschrieben  sei,  heraus- 
zugeben, während  Rudolf  die  Zeit  der  Verpfändung  erst  nach  der 
Heirat  für  gekommen  erachtete.  Ebenso  zögerte  Ottokar,  Hainburg  und 
Eger,  dieses  als  Mitgift  seiner  Mutter,  herauszugeben.    Schon  1277  stand 


0  RB.  578,  579,  588  a. 


2)  623. 


136  Neue  Mifshelligkeiten.     Wiederausbruch  des  Krieges. 

der  Wiederausbruch  des  Krieges  bevor,  doch  kam  es  noch  einmal  zu 
einem  für  Ottokar  freilich  viel  ungünstigeren  Vergleich  (6.  Mai),  in 
weichern  von  Kunigundens  Vermählung  keine  Rede  mehr  ist  und  der 
Tochter  Rudolfs  Eger  als  Heiratsgut  verschrieben  wird. x)  Ein  Ergänzungs- 
vertrag (12.  September)  gesteht  Ottokar  volle  landesfürstliche  Gewalt  zu 
und  setzt  seine  Pflichten  dem  Reiche  gegenüber  fest.  Doch  tauchten 
neue  Schwierigkeiten  auf.  Ottokar  klagte  über  die  fortgesetzte  Unbot- 
mäfsigkeit  der  Witigonen,  die  die  Verbindung  mit  Rudolf  aufrecht  hielten. 
Reichsgewalt  und  Landeshoheit  traten  einander  gegenüber:  Ottokar  wollte 
keinen  Einnufs  des  Reiches  auf  die  inneren  Angelegenheiten  Böhmens 
dulden.  Zu  nochmaligem  Waffengang  entschlossen,  suchte  er  Bundes- 
genossen unter  den  schlesischen  und  polnischen  Fürsten.  Bisher  ein 
werktätiger  Freund  des  deutschen  Elementes  in  seinen  Erbländern,  hob 
er  jetzt  die  Gemeinsamkeit  der  Tschechen  und  Polen  den  Deutschen 
gegenüber  hervor.2)  Von  deutschen  Fürsten  gewann  er  Meifsen, 
Thüringen  und  Brandenburg;  mit  Köln  verhandelte  er,  und  selbst  Mainz 
und  Trier  suchte  er  auf  seine  Seite  zu  ziehen.  Heinrich  von  Bayern 
liefs  sich  durch  Geld  gewinnen.  Rudolf  war  diesen  Vorgängen  gegen- 
über nicht  müfsig  geblieben.  Er  schlofs  ein  Schutz-  und  Trutzbündnis 
mit  Ungarn  (1277,  12.  Juli)  und  traf  (11.  November)  mit  König  Ladis- 
laus  in  Haimburg  zusammen.  Der  ungarischen  Hilfe  gewärtig,  der 
Unterstützung  der  Österreicher  und  Meinhards  versichert,  im  Besitz  der 
Hauptstadt  und  der  mächtigen  Verteidigungslinie  an  der  Donau,  nahm 
er  den  Kampf  auf.  Den  Wienern,  die  dem  neuen  Regiment  wegen  des 
auf  ihnen  lastenden  Steuerdruckes  abgeneigt  waren  —  noch  im  Früh- 
jahr 1278  wurde  eine  Verschwörung  entdeckt,  an  der  aufser  dem  Marschall 
Heinrich  von  Kuenring  der  Wiener  Bürger  Paltram  beteiligt  war  — 
wurden  die  jüngst  erst  bestätigten  Privilegien  der  letzten  Babenberger 
und  Kaiser  Friedrichs  IL  neuerdings  zugestanden,  deren  Gültigkeit  aber 
von  ihrem  Wohlverhalten  abhängig  gemacht.  Wenn  Rudolf  aus  dem 
»Reiche«  nur  wenig  Hilfe  bekam,  liegt  der  Grund  darin,  dafs  er  sich 
um  sie  nicht  besonders  bemüht  hat.3)  Um  so  freier  konnte  er  nach 
gewonnenem  Siege  über  dessen  Früchte  verfügen.  Die  Entdeckung  der 
Verschwörung  nötigte  Ottokar,  vorzeitig  loszuschlagen.  Am  27.  Juni  zog 
er  von  Prag  aus.  In  Brunn  erwartete  er  den  Zuzug  böhmischer  und 
mährischer  Grofsen  und  die  schlesischen  und  polnischen  Hilfstruppen. 
Wie  er  sich  aber  in  seiner  Hoffnung  auf  eine  Erhebung  der  öster- 
reichischen Städte  täuschte,  so  unterschätzte  er  das  Eingreifen  Ungarns. 
Mit  der  Belagerung  von  Laa  verlor  er  kostbare  Zeit.  Mittlerweile 
sammelte  Rudolf  seine  Streitkräfte.  Die  Ungarn  standen  bereits  am 
6.  August  bei  Prefsburg.  Am  14.  brach  er  von  Wien  auf,  zog  auf 
dem  rechten  Donauufer  nach  Hainburg  und  setzte  —  was  die  Ungarn 
schon  vor  ihm  getan  hatten,  über  die  Donau.     In  Marchegg  sammelten 


1)  R.  B.  648,  656  a,  753. 

2)  S.  hierüber  die  trefflichen  Ausführungen  bei  Redlich,  S.  305. 

3)  Busson,  S.  24—28. 


Die  Schlacht  bei  Dürnkrut  und  Ottokars  Ende.  187 

sich  die  Reste  seiner  Truppen  aus  Osterreich,  Steier  und  Schwaben. 
Eine  Heeresabteilung  hatte  den  böhmischen  König  derart  beunruhigt, 
dafs  er  die  Belagerung  von  Laa  aufhob  und  an  die  March  zog,  dann 
aber  untätig  zwischen  Drösing  und  Jedenspeugen  stehen  blieb.  Nach 
kurzer  Beratung  mit  Ladislaus  entschlofs  sich  Rudolf  zur  Schlacht.  Sie 
wurde  am  26.  August  —  einem  Freitag  —  geschlagen.  Ottokars  Heer 
—  an  30000  Mann  —  war  jenem  Rudolfs,  das  nur  2000  Ritter  zählte, 
an  schwerer  Reiterei  überlegen,  die  Hilfstruppen  Ungarns  werden  aller- 
dings auf  15000  Mann  geschätzt,  waren  aber  meist  Bogenschützen  und 
als  solche  im  Schlachtgemenge  wenig  zu  brauchen.  Der  Schlachtort  war 
das  Kruterfeld  zwischen  Dürnkrut  und  Jedenspeugen.  Der  Kampf,  der 
um  9  Uhr  begann,  dauerte  5 — 6  Stunden :)  und  endete  nach  hartem 
Ringen  mit  einem  vollen  Sieg  Rudolfs.  Die  Entscheidung  brachte  seine 
kleine  Reserve,  welche  die  rechte  Flanke  der  Feinde  durchbrach  und 
sie  gegen  die  March  drängte.  Als  sich  eine  Stimme  unter  den 
Kämpfenden  hören  liefs :  Sie  fliehen,  sie  fliehen !  stürzte  sich  ein  Teil 
der  Fliehenden  blindlings  in  die  March,  wobei  Hunderte  ertranken.  Die 
Flucht  erfolgte  nordwärts  gegen  Drösing.  Ottokar  suchte  erst,  als  er  das 
Vergebliche  ferneren  Widerstandes  erkannte2),  sich  nach  Drösing  durch- 
zuschlagen, wurde  aber  eingeholt  und  von  persönlichen  Feinden  er- 
schlagen. Die  Leiche  wurde  erst  nach  Wien,  dann  nach  Znaim  und 
endlich  nach  Prag  überführt.  Rudolf  leitete  eine  kräftige  Verfolgung 
ein,  '  welche  die  Vernichtung  der  Feinde  vollendete.  Seine  Verluste 
waren  unbedeutend.  Schon  nach  drei  Tagen  entliefs  er  die  unbequem 
gewordenen  ungarischen  Hilfstruppen.  Er  dürfte  den  Ungarn  die  Gewähr- 
leistung der  alten  Grenzen  zugesichert  haben.  Noch  vom  Feldlager  aus 
schickte  er  seine  Siegesberichte  aus.  Ende  August  rückte  er,  ohne 
Widerstand  zu  finden,  in  Mähren  ein.  Bischof  Bruno,  der  Adel  und 
die  Städte  Mährens  unterwarfen  sich.  Da  Ottokars  Sohn  Wenzel  erst 
sieben  Jahre  alt  war,  übernahm  Markgraf  Otto  von  Brandenburg,  den 
Wenzel  für  den  Fall  seines  Todes  zum  Vormund  seiner  Kinder  ernannt 
hatte,  die  Regentschaft.  Rudolf  drang  bis  in  die  Nähe  von  Kuttenberg, 
während  Otto  bei  Kolin  lagerte.  Ehe  es  zu  einem  neuen  Kampfe  kam, 
vermittelten  der  Erzbischof  von  Salzburg  und  Bischof  Bruno  von  Olmütz 
den  Frieden.  Otto  wurde  auf  fünf  Jahre  als  Landesverweser  und  Vormund 
Wenzels  anerkannt.  Für  dieselbe  Zeit  durfte  Rudolf  Mähren  besetzt 
halten.  Der  Friede  wurde  durch  eine  Doppelheirat  zwischen  Rudolfs 
Kindern  Guta  und  Rudolf  und  denen  Ottokars  Wenzel  und  Agnes 
besiegelt  und  zugleich  ein  Eheverlöbnis  zwischen  Rudolfs  Tochter  Hedwig 
und  einem  Bruder  des  Brandenburgers  geschlossen.  Von  den  übrigen 
Gegnern  Rudolfs  mufste  Heinrich  von  Bayern  das  ihm  verpfändete  Ober- 
österreich herausgeben. 


*)  Über  die  Lit.  zur  Schlacht,   Redl.-Böhmer  993.    Beschreibung  der  Schlacht  bei 
Redlich,  Rudolf  v.  H.,  S.  320  ff. 

2)  More  et  animo  gyganteo  virtute  mirabili  se  defendit.  Rud.  an  d.  Papst.  Bodui.  92. 


28g  König  Rudolf  und  das  Papsttum. 

§  42.     Rudolfs  Politik  toh  1279—1282.    Die  Erwerbimg  Österreichs 
für  das  Haus  JTabsburs?.    König  Rudolf  und  das  Reich  in  den  letzten 

Jahren  seiner  Regierung. 

Quellen.  Zur  Papstgesch.  s.  auch  §  47.  Potthast,  Regg.  pontiff.  Rayn.  Annal. 
eccl.  Die  Lebensbeschreibungen  der  Päpste  Innozenz  V,  Johann  XXI,  Nikolaus  III, 
Honorius  IV.  u.  Nikolaus  IV.  bei  Murat.  III,  2,  426—435  u.  III,  1,  605—613.  Zur  Be- 
lehnung der  Habsburger  s.  auch  Sehwind  u.  Dopsch.  Ausgew.  Urkk.  Innsbr.  1895. 
Zur  ausw.  Polit.  auch  Rynier  Foedera  I. 

Hilfsschriften  s.  oben.  Dazu :  Gregorovius,  Geschichte  d.  St.  Rom  V. 
S  tapp  er,  Papst  Johann  XXL  Mimst.  1899.  Giese,  Rud.  v.  H.  u.  d.  Kaiserkrone 
MJÖG.  XVI.  P  a  w  1  i  c  k  i ,  Papst  Honorius  IV.  Münster  1896.  Wilhelm,  Die  Schriften 
des  Jordanus  von  Osnabrück.  MJÖG.  XIX,  615  ff.  Jordanus  tritt  den  Plänen  Xikol.  LH. 
auf  Abschaffung  des  Imperiums  entgegen'.  Zur  Belehnungsfrage  :  Redlich,  wie  oben, 
v.  Zeifsberg,  Rudolf  v.  H.  u.  der  österr.  Staatsgedanke.  Festschr.  zur  Sechshundert- 
jahrfeier der  Belehnung  des  Hauses  Habsburg  mit  Österreich  "Wien  1882.  Dopsch, 
Die  Kärnten-Krainer  Frage  u.  die  Territorialpolitik  der  ersten  Habsburger  in  Österr. 
AÖG.  ST  Absehliefsende  Arbeit.  Wyneken,  Der  Landfrieden  in  Deutschland. 
Gott.  1886.  Schrohe,  Die  politischen  Bestrebungen  Erzb.  Siegfrieds  v.  Köln.  Beitr. 
z.  G.  d.  Reiches  unter  Rudolf  u.  Adolf.  Ann.  Ver.  Gesch.  X  Rhein  LXVII— VIII.  Havet, 
La  frontiere  de  l'Empire  dans  l'Ai-gonne  etc.  BECh.  XLII.  P.  Fournier,  Le  royaume 
d'Arles  et  de  Vienne.  Paris  1891.  GGA.  1883  St.  9.  Heller,  wie  oben.  Dobenecker, 
K.  Rudolfs  Friedenspol.  in  Thüringen.  Z.  thür.  Gesch.  XF.  IV,  529.  E.  Reut  her, 
Der  Feldzug  Rudolfs  v.  H.  gegen  Burgund  i.  J.  1289  1901.  Pfeffer,  Die  böhm. 
Politik  unter  Wenzel  IL  Halle  1901.  M.  de  Piepape,  Hist.  de  la  reunion  de  la 
Franche-Comte  ä  la  France.  2  voll.  1881.  Funk-Brentano,  Philippe  le  Bei  et  la 
noblesse  franc-comtoise.  BECh.  XLIX.  F  1  e  ury-Bergier,  Philippe  le  B.  et  Otton  IV, 
comte  palat.  de  Bourgogne.  Besancon  1890.  Langlois,  Le  regne  de  Philippe  le 
Hardi  s.  oben.  Busson,  Die  Idee  des  Erbreiches  u.  che  ersten  Habsburger.  Wien. 
SB.  88.  Rodenberg,  Zur  Gesch.  d.  Idee  eines  d.  Erbreiches  im  MA,  MJÖG.  XVI. 
Dopsch,  Zur  deutschen  Verfassungsfrage  unter  Rudolf  v.  H.  Festsch.  z.  Ehren 
Büdingers  1898.  Schweizer,  Habsb.  Stadtrechte  u.  Städtepolitik.  Ebenda.  Die  falschen 
Friedriche,  s.  d.  Lit.  zur  Kaisersage  S.  120.  Z  e  u  m  e  r ,  Z.  Gesch.  d.  Reichssteuern  im  früheren 
MA.  HZ.  81.  Herzberg  Fränkel,  Z.  erbkönigl.  Pol.  d.  ersten  Habsburger.  MJÖG.  XH. 
Pirenne,  Gesch.  v.  Belgien  I.  Sonst  s.  Dahlmann-Waitz-Steindorff,  2961 — 2969, 
2973  u.  2974. 

1.  Am  22.  Juli  1279  starb  der  letzte  Sponheinier.  Herzog  Philipp 
von  Kärnten.  Zu  Österreich  und  Steiermark  war  nun  auch  noch 
Kärnten  erledigt.  Diese  Herzogtümer  seinem  Hause  zu  erwerben,  darauf 
war  die  Politik  Rudolfs  gerichtet  und  dies  auch  der  Grund,  weshalb 
jene  Fragen,  die  bisher  im  Vordergrund  standen,  zurückgestellt  wurden. 
Gegen  die  Kaiserkrönung  Rudolfs  verhielten  sich  die  Nachfolger  Gregors  X. 
zurückhaltend,  wenn  nicht  geradezu  ablehnend.  Je  mehr  unter  diesem 
Papst  der  angiovinische  Einflufs  zurücktrat,  desto  lebhafter  war  das 
Bemühen  König  Karls,  französisch  gesinnte  Päpste  zur  Regierung  zu 
bringen.  Schon  Innozenz  V.  (1276)  stand  unter  seinem  Einflufs.  Sein 
Nachfolger  Hadrian  Y.  starb  schon  nach  wenigen  Wochen,  und 
Johann  XXI.  (1276 — 1277)  war  ganz  für  König  Karl.  Erst  mit 
Nikolaus  III.  (1277 — 1280)  bestieg  ein  Papst  von  der  Art  eines  Inno- 
zenz III.  den  päpstlichen  Stuhl,  ein  Meister  der  Staatskunst,  voll 
kühner  Pläne  und  politischer  Entwürfe.  Um  die  Selbständigkeit  des 
päpstlichen  Stuhles  besorgt,  glaubte  er.  diese    am  leichtesten   im  Gegen- 


Die  Politik  Nikolaus'  III.  189 

wirken  der  grofsen  Parteien  Italiens  erreichen  zu  können.  Von  Rudolf 
verlangte  er  die  Bestätigung  aller  Schenkungen  der  alten  Kaiser  an  den 
päpstlichen  Stuhl,  vor  allem  den  Besitz  der  Romagna  und  Pentapolis 
und  den  Widerruf  des  Eides,  der  eben  noch  dem  Kanzler  des  Königs 
in  Bologna,  Imola,  Faenza,  Ravenna  und  anderen  Orten  geleistet  worden 
war,  von  König  Karl  den  Verzicht  auf  die  Senatorwürde  in  Rom  und 
die  Zurückberufung  seiner  Stellvertreter  aus  Toskana ;  ja  er  nahm  keinen 
Anstand,  die  Erbansprüche  Pedros  III.  von  Aragonien  auf  Sizilien  zu 
unterstützen.  Im  Hinblick  auf  sein  Verhältnis  zu  Böhmen  bestätigte 
Rudolf  alles1)  und  gab,  ganz  mit  dem  Gedanken  an  den  österreichischen 
Länder erwerb  beschäftigt,  die  Idee  einer  Intervention  in  Italien  auf.  Die 
Absichten  des  Papstes  gingen,  wie  Tolomeo  von  Lucca  berichtet,  auf  eine 
förmliche  Teilung  des  Kaiserreichs :  Das  deutsche  Reich  sollte  als  Erb- 
reich den  Habsburgern  verbleiben,  ein  Königreich  Arelat  geschaffen  und 
zur  Entschädigung  für  Karls  V erzieht  auf  seine  Stellung  in  Mittel-  und 
Oberitalien  an  seinen  Sohn  Karl  Martell  gegeben  und  dieser  mit  Rudolfs 
Tochter  dementia  vermählt  werden.  In  Mittel-  und  Oberitalien  sollten 
zwei  von  Deutschland  unabhängige  Reiche  geschaffen  werden.  Karl  von 
Anjou  wurde  mit  der  Provence  belehnt  (1280,  28.  März).  Von  den  Plänen 
des  Papstes,  falls  sie  wirklich  gehegt  wurden,  kam  nur  die  Familien- 
verbindung zwischen  Habsburg  und  Anjou  zustande  und  wirkte  auf 
Rudolfs  Beziehungen  zu  Frankreich  zurück.  Während  sich  diese  besserten, 
was  allerdings  das  Reich  nur  schädigte,  indem  er  die  Schutzherrschaft 
über  Toul  an  Frankreich  überliefs  (1281,  16.  November),  lockerten  sich 
jene  zu  England  und  lösten  sich  seit  dem  Tode  von  Rudolfs  zweitem 
Sohne  Hartmann  (1281,  21.  Dezember),  der  mit  der  englischen  Prinzessin 
Johanna  verlobt  gewesen,  ganz  auf.  Da  nunmehr  auch  Savoyen  keinen 
Schutz  gegen  Frankreich  fand,  griff  es  bald  zu  den  Waffen  gegen  den 
deutschen  König  selbst. 2)  Nach  dem  Tode  Nikolaus  HL  wurde  wieder 
ein  Franzose  und  ausgesprochener  Feind  der  Deutschen  gewählt: 
Martin  IV.  (1281 — 1285),  dessen  Politik  die  Schranken  niederrifs,  die 
sein  Vorgänger  aufgerichtet  hatte.  Karls  Macht  wurde  eine  gröfsere  als 
früher.  Nun  nahm  er  auch  seine  auf  die  Eroberung  Griechenlands 
gerichteten  Pläne  wieder  auf.  Unter  diesen  Umständen  verzichtete 
Rudolf  auf  eine  selbständige  italienische  Politik,  und  ein  so  wichtiges 
Ereignis  wie  die  Sizilianische  Vesper  vermochte  daran  nichts  zu  ändern. 
Über  den  Römerzug  wurde  auch  später  noch  mit  Honorius  IV.  und 
Nikolaus  IV.  verhandelt;  dem  König  lagen  aber  mehr  Fragen  in  Deutsch- 
land am  Herzen. 

2.  Schon  vor  dem  Ausbruch  des  zweiten  Krieges  unternahm  Rudolf 
einleitende  Schritte  zur  Erwerbung  Österreichs,  indem  er,  um  die  Land- 
herren und  Prälaten  zu  gewinnen,  die  von  König  Ottokar  im  Interesse 
der  landesfürstlichen  Gewalt  gegen  sie  getroffenen  Mafsregeln  zurück- 
nahm,   die  Städte    durch  Bestätigung  ihrer   Rechte   und   reiche  Vergün- 


*)  Redlich-Böhmer  918—920,  944,  955,  970,  999—1001,  1062. 
2)  Nr.  1420  a,  1730  a. 


190  Der  Landfrieden.     Die  Erwerbung  Österreichs  durch  die  Habsburger. 

tigungen  an  sich  fesselte,  vor  allem  aber  seinen  Söhnen  jene  Lehen 
übertragen  liefs,  welche  die  Babenberger  von  Salzburg,  Passau,  Freising 
und  Regensburg  innegehabt  hatten.  Nach  Herzog  Philipps  Tode  kamen 
noch  die  Bamberger  Lehen  hinzu.  Die  Ansprüche  der  Babenbergerin 
Agnes,  einer  Grofsnichte  des  letzten  Babenbergers,  wurden  durch  einen 
billigen  Ausgleich  beseitigt.  Als  er  1281  aus  Österreich  schied,  dem  er 
fünf  Jahre  hindurch  seine  ganze  Sorge  zugewandt  hatte1),  liefs  er  seinen 
ältesten  Sohn  Albrecht  als  Reichsverweser  zurück.  Die  Verleihung  der 
Herzogtümer  an  seine  Söhne  bot  grofse  Schwierigkeiten,  da  noch  die 
Ansprüche  seines  Bundesgenossen  Grafen  Meinhard  von  Görz-Tirol  zu 
befriedigen  waren,  namentlich  aber  weil  sich  seine  Beziehungen  zu  den 
meisten  Kurfürsten  verschlechtert  hatten  und  diese  nicht  geneigt  waren, 
die  auf  die  Machtvergröfserung  des  neuen  Königshauses  gerichteten 
Absichten  zu  unterstützen.  Wie  er  schon  in  Osterreich  kräftig  für  den 
Landfrieden  gesorgt  hatte,  bemühte  er  sich  nun  auch  ün  übrigen 
Deutschland  um  die  Einschränkung  der  Fehden,  um  die  Revindikation 
abhanden  gekommenen  Reichsgutes,  für  welchen  Zweck  er  neun  Land- 
vogt eien  errichtete,  um  die  Fortbildung  des  Reichssteuerwesens,  zumal 
die  Heranziehung  der  Städte  zu  den  Lasten  des  Staates,  vor  allem  aber 
um  die  Aufrichtung  des  Landfriedens.  Es  handelte  sich  darum,  die  ver- 
schiedenartigsten Gegensätze  auszugleichen :  die  der  grofsen  Fürsten- 
tümer, die  ihre  Landeshoheit  zu  erweitern,  der  Grafen  und  Herren,  die 
sich  ihrer  zu  erwehren,  der  Städte,  die  ihre  Reichsunmittelbarkeit  zu 
behaupten  und  ihre  Kräfte  durch  die  Aufnahme  von  Pfahlbürgern  zu 
verstärken  suchten.  So  dringend  tat  im  Westen  ein  kräftiges  Vorgehen 
not,  dafs  Mainz  und  Kurpfalz  schon  1278  für  ihre  Länder  einen  Land- 
frieden aufrichteten.  Xun  verkündete  Rudolf  (am  6.  Juli  1281)  zu  Regens- 
burg den  bayrischen,  drei  Wochen  später  zu  Nürnberg  den  fränki- 
sch e  n  und  erneuerte  hierauf  auch  in  einzelnen  Städten  und  Landschaften 
Schwabens  den  Landfrieden  Friedrichs  H.  Am  14.  Dezember  1281 
verkündete  er  endlich  den  rheinischen  Landfrieden  auf  fünf  Jahre. 
In  der  nächsten  Zeit  trat  er  den  geistlichen  Kurfürsten  wieder  näher, 
und  nun  gab  zuerst  der  Erzbischof  Siegfried  von  Köln  seinen  Willebrief, 
dafs  Rudolf  seinen  ehelichen  Söhnen  ein  Fürstentum,  welches  er  wolle 
und  wann  er  wolle,  verleihe.2)  Vier  Wochen  später  erklärten  Sachsen 
und  Brandenburg  und  endlich  auch  Mainz,  Pfalz  und  Trier  ihre  Zu- 
stimmung, dafs  Rudolf  die  österreichischen  Länder  samt  Kärnten,  Krain 
und  der  Mark  seinen  Söhnen  zu  Lehen  geben  dürfe.  Nur  Böhmens 
Zustimmung  fehlte,  da  Wenzel  nicht  als  Kurfürst  anerkannt  war.  Einige 
Tage  vor  Weihnachten  1282  verlieh  nun  Rudolf  in  Augsburg  seinen 
beiden  Söhnen  Albrecht  und  Rudolf  die  Herzogtümer  Osterreich,  Steier- 
mark und  Kärnten  nebst  Krain  und  der  Windischen  Mark  mit  der 
Fürstenwürde.     Kärnten  gab  er  (1286)  dem  Grafen  Meinhard  für  dessen 


*)  Einzelheiten  s.  bei  Redlich,  S.  348  ff.    Die  wichtigsten  Einrichtungen    der  Zeit 
Ottokar.s  auf  dem  Gebiete  der  Gerichtsverfassung  und  des  Finanzwesens  blieben  bestehen. 
2)  RB.  1688. 


Höhepunkt  <l.  Macht  Rudolfs  u.  ihr  Niedergang.    Die  falschen  Friedriche.         191 

wirksamen  Beistand  in  den  böhmischen  Kriegen,  nachdem  das  Haus 
Habsburg  seine  eigenen  Bestrebungen  zurückgestellt  hatte  und  die 
Schwierigkeiten  beseitigt  waren,  die  sich  aus  der  Verbindung  Krains 
mit  Kärnten  ergaben,  und  mit  denen  Meinhards  Erhebung  in  den  Reichs- 
fürstenstand  verknüpft  war.  Meinhard  ist  der  Begründer  der  Land- 
grafschaft Tirol  als  eines  unmittelbaren  Hoheitsgebietes.  Da  er  überdies 
pfandweise  auch  Krain  innehatte  und  die  Stadt  Triest  ihn  aus  Furcht 
vor  Venedig  zu  ihrem  Kapitän  machte,  reichte  seine  Macht  von  den 
Quellen  des  Inn  bis  an  das  Adriatische  Meer.  Durch  seinen  festen 
Anschlufs  an  Osterreich  gewann  dieses  unter  den  deutschen  Fürsten- 
tümern die  hervorragendste  Stellung.  Da  man  in  den  österreichischen 
Ländern  übrigens  von  der  in  der  Belehnungsurkunde  vorgesehenen 
Doppelverwaltung  üble  Folgen  befürchtete,  verfügte  Rudolf,  dafs  der 
ältere  Sohn  sie  allein  besitzen  und  der  jüngere  durch  Geld  abgefunden 
werden  solle,  falls  ihm  nicht  binnen  vier  Jahren  ein  Königreich  (Arelat?) 
oder  ein  Fürstentum  zufallen  würde. 

3.  Das  Jahr  1282  bezeichnet  den  Höhepunkt  der  Macht  Rudolfs. 
Von  nun  an  war  sein  Ansehen  trotz  vereinzelter  Erfolge  im  Südwesten 
des  Reiches  doch  im  Niedergang  begriffen.  Fast  in  allen  Territorien 
waren  die  freien  Stadt-  und  Landgemeinden  von  den  steigenden  An- 
sprüchen der  fürstlichen  Gewalten  bedroht.  In  vielen  Städten  tobte  der 
Kampf  zwischen  Rat  und  Gemeinen,  in  anderen  stritt  der  Rat  mit  dem 
Klerus,  in  einzelnen  klagte  man  über  die  Landgrafen  oder  die  Burg- 
mannen des  Königs,  hie  und  da  wandte  sich  die  unbehagliche  Stimmung, 
die  durch  einige  Mifsjahre  und  durch  die  Steuerauflagen  Rudolfs  noch 
gesteigert  wurde1),  gegen  die  Juden.  Damit  mag  es  zusammenhängen, 
dafs  in  den  niederen  Schichten  des  Volkes,  in  denen  der  Glaube  an  die 
Wiederkehr  Friedrichs  IL  fortlebte,  jene  Personen  Anhang  fanden,  die 
sich  (1283 — 1285)  als  Kaiser  Friedrich  ausgaben.2)  Gelang  es  dem 
König,  solcher  Irrungen  Herr  zu  werden,  so  mifsglückten  seine  Pläne, 
Schwaben  und  Burgund  für  sein  Haus  zu  erwerben.  Die  Wiederher- 
stellung Schwabens  als  Herzogtum  scheiterte  an  dem  Widerstand  der 
schwäbischen  Dynastengeschlechter,  vor  allem  Württembergs.  Das  König- 
reich Arelat  hatte  Rudolf  schon  1278  seinem  zweiten  Sohne  Hartmann, 
dann  (1279 — 1281)  in  angeblichem  Zusammenhang  mit  der  geplanten 
Aufrichtung  eines  deutschen  Erbreiches  seinem  Schwiegersohn,  dem 
Angiovinen  Karl  Martell,  endlich  seinem  jüngsten  Sohne  Rudolf  zuge- 
dacht.3)  Auch  hier  arbeiteten  die  Grofsen,  vor  allem  die  Grafen  von 
Savoyen  dem  König  entgegen,  und  die  Vermittlungsversuche  Englands, 
die  mit  Rudolfs  früherer  antifranzösischer  Politik  zusammenhingen,  waren 
vergebens.  Im  Jahre  1281  kam  es  zur  offenen  Fehde  mit  Savoyen. 
Am  6.  Februar  1284  vermählte  sich  der  nunmehr  66  jährige  König  mit 
der   14  jährigen  Elisabeth,   der  Schwester  Herzog  Roberts  von  Burgund. 


l)  RB.  1850  a  u.  1897  a. 

a)  Zusammenstellung  ebenda  Nr.  1914  a. 

3)  Ebenda  1156  a. 


192  I>ic  Wirren  im  Westen  und  Nordwesten  des  Reiches 

Das  hinderte  Elisabeths  Bruder  nicht,  sich  auch  fernerhin  an  Frankreich 
zu  halten.  Unter  den  burgundischen  Städten  war  Bern  der  Mittelpunkt 
aller  dem  Hause  Habsburg  feindlichen  Bestrebungen.  Als  es  die  Be- 
zahlung der  Reichssteuern  verweigerte,  zog  Rudolf  gegen  die  Stadt  und 
nötigte  sie.  ihre  Pflichten  gegen  das  Reich  zu  erfüllen  (1289).  Während 
dieser  Kämpfe  kam  das  ganze  westliche  Burgund  in  Bewegung.  Pfalz  - 
graf  Otto  warf  seine  Lehensverbindlichkeiten  gegen  das  Reich  ab  und 
Bisanz  empörte  sich.  Während  Rudolfs  Verwandte  teilnahmslos  blieben 
oder  auf  Frankreichs  Seite  standen,  wuchs  im  Delphinat,  Burgund, 
Lothringen  und  den  übrigen  Grenzländern  der  französische  Einflufs. 
Rudolf  eröffnete  (1289)  den  Feldzug  mit  grofser  Heeresmacht  und  zwang 
den  Pfalzgrafen  zur  Huldigung.  An  den  Verhältnissen  Burgunds  wurde 
hiedurch  aber  nicht  viel  geändert,  und  dessen  Verband  mit  dem  Reiche 
blieb  ebenso  locker  wie  zuvor. 

4.  Nicht  besser  stand  es  im  Nordwesten  des  Reiches.  Rudolfs 
Einflufs  auf  die  Verhältnisse  in  den  Rheinlanden  dauerte  nicht  viel 
länger  als  seine  Anwesenheit  daselbst.  Auch  seine  Beziehungen  zu  den 
Erzbischöfen  verschlechterten  sich.  In  Mainz  war  es  ihm  nach  Wern- 
hers  Tode  gelungen,  gegen  zwei  Kandidaten,  unter  denen  sich  Gerhard 
von  Eppenstein  befand,  seinen  Anhänger,  den  Baseler  Bischof  Heinrich 
von  Isni  durchzusetzen  (1286),  aber  dieser  starb  schon  nach  zwei  Jahren, 
und  nun  gelangte  Gerhard  von  Eppenstein  auf  den  Mainzer  Erzstuhl. 
Noch  weniger  durfte  Rudolf  von  dem  Erzbischof  Siegfried  von  Köln 
erwarten.  Dieser  war  nach  dem  Tode  Ermingards,  der  Gemahlin  Rainalds 
von  Geldern,  in  den  Limburgschen  Erbfolgestreit  verwickelt  worden 
und  dachte  ihn  zu  benützen,  um  auch  in  Flandern  zur  Macht  zu  ge- 
langen. Darum  unterstützte  er  die  Ansprüche  Rainalds,  dem  der  König 
den  Limburgschen  Besitz  auf  Lebenszeit  übertragen  hatte,  gegen  Ermin- 
gards Vetter,  den  Grafen  Adolf  von  Berg,  der  seine  Ansprüche  an  den 
Herzog  von  Brabant  verkaufte.  Fast  alle  Fürsten  der  Niederlande,  der 
hohe  und  niedere  Adel  aus  der  Maas-  und  Rheingegend,  die  Bürger 
von  Köln  —  als  Gegner  Siegfrieds  —  nahmen  an  dem  Kampfe  teil. 
Am  5.  Juni  1288  kam  es  zur  Schlacht  bei  Wor ringen,  die  mit  Sieg- 
frieds gänzlicher  Niederlage  endete  und  seine  Politik  auf  geraume  Zeit 
lahmgelegt  hätte,  wären  nicht  die  anderen  geistlichen  Kurfürsten  im 
Interesse  ihrer  Stellung  für  ihn  eingetreten.  Rudolf  erkannte  die  vollendete 
Tatsache  an  und  trat  nicht  blofs  zu  Brabant.  sondern  auch  zu  Geldern 
und  Cleve  in  freundschaftliche  Beziehungen.  Geldern  wurde  durch 
das  Reichs vikariat  in  Ostfriesland  entschädigt.  Mit  Dietrich  von  Cleve 
verheiratete  er  seine  Nichte  Margareta,  alles  zu  dem  Zweck,  um  den 
zweideutigen  Stützen  gegenüber,  die  er  an  den  geistlichen  Kurfürsten 
hatte  und  die  noch  am  10.  März  1290  ihren  alten  Bund  »gegen  jeder- 
mann, Kirche  und  Reich  ausgenommen «,  erneuert  hatten,  sichere  Freunde 
zu  gewinnen. 

5.  Im  nördlichen  und  nordöstlichen  Deutschland  vollzogen  sich 
die  wichtigsten  Ereignisse,  wie  die  Kämpfe  in  Preufsen.  ohne  Zutun  des 
Königs.     Das   rücksichtslose  Vorgehen   des  Markgrafen  von  Branden- 


Die  letzten  Jahre  Rudolfs.     Seine  Bemühungen  um  die  Nachfolge.  193 

bürg  gegen  Städte  und  Fürsten  in  Niedersachsen  gab  ihm  den  Anlafs 
zum  Abschlufs  eines  Landfriedens  (1283),  der  seine  Spitze  gegen  Branden- 
burg richtete  und  den  deutschen  Ostseestädten  zu  ihren  Erfolgen  gegen 
Norwegen  verhalf,  im  übrigen  freilich  nicht  hinderte,  dafs  bald  neue 
Fehden  in  allen  Teilen  Norddeutschlands  ausbrachen,  denen  der  König 
nicht  abhelfen  konnte.  In  Thüringen  griffen  die  Kämpfe  zwischen 
dem  Landgrafen  Albrecht  und  seinen  Söhnen  Friedrich  und  Diezmann 
in  alle  Verhältnisse  ein.  Dies  bewog  Rudolf,  nach  Thüringen  zu  ziehen. 
Mitte  Dezember  1289  traf  er  in  Erfurt  ein  und  hielt  sich  hier  ein  ganzes 
Jahr  auf.  Der  Landfrieden  von  Boppard  (1282),  der  auf  dem  Würz- 
burger Nationalkonzil  (1287)  auf  drei  Jahre  verlängert  worden  war,  wurde 
nochmals  erneuert  und  mit  aller  Strenge  durchgeführt.  Rudolfs  Tätig- 
keit war  nach  dieser  Seite  hin  eine  so  durchgreifende,  dafs  sie  noch  bei 
kommenden  Geschlechtern  in  Andenken  blieb.  Zu  Hütern  des  Land- 
friedens wurden  weltliche  Grofse  ernannt  und  ein  Hauptmann  an  ihre 
Spitze  gestellt  —  eine  Anordnung,  aus  der  sich  in  der  Folge  die  Kreis- 
verfassung entwickelt  hat.  Die  zur  Aufrechthaltung  des  Landfriedens 
erforderlichen  Kosten  mufsten  von  den  im  Frieden  befindlichen  Ständen 
getragen  werden.  Am  erfreulichsten  war  noch  Rudolfs  Verhältnis  zu 
seinem  Schwiegersohn  König  Wenzel  von  Böhmen.  Doch  war  auch 
dieses  zeitweise  getrübt,  da  man  in  Böhmen  an  die  Zurückgewinnung 
der  verlorenen  Alpenländer  dachte.  Als  die  junge  Königin  Guta  ihren 
Einzug  in  Böhmen  gehalten  hatte  (1287),  wurde  die  Regierung  mehr  im 
Sinne  der  habsburgischen  Partei  geführt;  ihr  fiel  Zawisch,  der  Stiefvater 
König  Wenzels,  das  Haupt  der  auf  den  Wiedererwerb  Österreichs  ge- 
richteten Partei,  zum  Opfer;  doch  wurde  der  Plan  einer  Rekuperation 
auch  jetzt  nicht  aufgegeben.  Um  Wenzel  IL  für  die  Nachfolge  seines 
Hauses  zu  gewinnen,  erkannte  Rudolf  Böhmens  Kurrecht  und  Schenken- 
amt an  (1289  und  1290)  und  gewährte  ihm  eine  Reihe  von  Vergünsti- 
gungen; dafür  erhielt  er  die  Zustimmung  zur  Wahl  Herzog  Rudolfss 
aber  dieser  starb  bereits  am  8.  Mai  1290.  Nach  den  Wünschen  König 
Rudolfs  sollte  die  Krone  nunmehr  seinem  einzigen  noch  übrigen  legi- 
timen Sohne,  dem  Herzog  Albrecht,  zufallen.  Diesen  empfahlen  seine 
hohen  militärischen  und  diplomatischen  Talente  nicht  weniger  als  seine 
Tatkraft.  Auch  hatte  er  sich  in  seiner  schwierigen  Stellung  in  Österreich 
bereits  bewährt,  einen  Streit  mit  dem  Erzbistum  Salzburg  siegreich  be- 
endet und  in  Ungarn,  dessen  König  er  in  einem  Streite  gegen  die  Güs- 
singer  beistand,  die  westlichen  Komitate  besetzt.  Nach  dem  Tode  des 
ungarischen  Königs  Ladislaus  (1290)  dachte  Rudolf  daran,  dafs  er 
einstens  selbst  Zeuge  war,  wie  Bela  IV.  sein  Reich  von  Friedrich  IL  zu 
Lehen  genommen.  Nun  übertrug  er  es  als  Lehen  an  seinen  Sohn 
Albrecht,  was  freilich  erfolglos  blieb,  da  in  Ungarn  Andreas  der  Vene- 
zianer, der  letzte  Arpade,  als  König  anerkannt  wurde.  Albrecht  war 
zudem  zu  einem  Verzicht  auf  Ungarn  um  so  geneigter,  als  die  Frage 
der  deutschen  Königswahl  in  den  Vordergrund  trat.  Seine  x4.ussichten 
waren  ungünstig  genug,  denn  abgesehen  davon,  dafs  er  allen  Kurfürsten 
viel  zu  mächtig  war,    waren   die   geistlichen   überdies   noch   dem  Hause 

Loserth,   (xoschichte  des  späteren  Mittelalters.  13 


194  Die  Wahl  Adolfs  von  Nassau. 

Habsburg  wenig  geneigt  oder  geradezu  feindselig  gesinnt.  Es  waren 
sonach  schlechte  Aussichten,  als  der  Hoftag,  den  Rudolf  für  die  Durch- 
führung seiner  Absichten  nach  Frankfurt  berief,  am  20.  Mai  1291  zu- 
sammentrat. Rudolfs  Bemühungen  für  die  Nachfolge  seines  Sohnes 
waren  in  der  Tat  vergeblich.  Wenige  Wochen  später  erkrankte  er  zu 
Germersheim.  Im  Vorgefühl  seines  nahen  Todes  zog  er  nach  Speyer 
und  starb  dort  am  15.  Juli  1291.  Seine  Leiche  wurde  neben  der  des 
Staufers  Philipp  beigesetzt. 

§  43.    Adolf  von  Nassau. 

Quellen  s.  §40.  Dazu:  Böhmer  Regg.  Stuttg.  1844.  Constitutiones  in  MM. 
G.  LL.  II.  Forma  depositionis  regis  Adolfi.  AÖG.  II.  Hirzelin,  Über  d.  Schlacht 
bei  Göllheim.  479.  Böhmer  FF.  II.  Emichonis  "Worin.  De  schismate  regum  Adolfi  et 
Alberti.  Forsch.  XIII.  S.  auch  Huber,  Ost.  Gesch.  II,  61.  Zu  d.  §  40  angemerkten 
darstellenden  Quellen  s.  Flores  temporum.  MM.  G.  SS.  XXIV  Lorenz  I,  62  .  Annales 
Eistettenses  s.  §  44.     Zur  Gesch.  Bonifaz"  VIII.  s.  unten. 

Hilfsschriften.  Die  allgem.  "Werke  von  Lorenz,  Kopp,  Lindner,  Huber, 
Afsmann- Viereck  u.  a.  s.  oben.  Dazu:  Schliephake,  Gesch.  v.  Nassau.  1874 — 75. 
R o th ,  G.  d.  röm.  K.  Adolf  v.  X.  Wiesbaden  1879.  We gel e ,  A.  v.  X.  ADB.  I.  Ennen, 
Die  Wahl  As.  v.  X.  Köln  1866.  0.  Lorenz,  Über  die  Wahl  As.  v.  X.  Wien.  SB.  1861. 
Busson,  Die  Wahl  As.  y.  X.  Ebenda  Bd.  114.  L.  Schmidt,  Die  Wahl  des  Grafen 
A.  v.  X.  Wiesb.  1870.  Schef  f  er-Boichorst,  Z.  G.  d.  12.  u.  13.  Jahrh.  Berl.  1897. 
Dop  seh,  Ein  antihabsburg.  Fürstenbund  1292.  MJÖG.  XXI.  —  Die  Karnten-Krainer- 
frage  wie  oben.  Droysen,  Albrechts  Bemühungen  um  die  Xachfolge  im  Reich. 
Leipzig  1862.  Schmidt,  Der  Kampf  um  das  Reich  zw.  dem  röm.  K.  Ad.  u.  Herzog 
Albrecht.  Tübingen  1858.  Matz,  De  causis  belli  inter  Ad.  etc.  Diss.  1878.  Preger, 
Albrecht  v.  Österr.  u.  Adolf  v.  X.  Leipzig  1869.  Bergengrün,  Die  pol.  Bez.  Deutsch- 
lands zu  Frankreich  unter  Adolf  v.  X.  Strafsb.  1884.  Piepape  u.  Funk-Brentano, 
wie  oben.  Otto,  Die  Absetzung  Adolfs  von  X.  u.  die  röm.  Kurie.  H.  Vierteljahresschr. 
1899.  8 as sann,  A.  v.  X.  u.  Albr.  v.  Ost.  vor  Kenzingen.  ZG.  Freib.  LX.  Domeier, 
Die  Absetzung  As.  v.  X.  Berlin  1889.  Heymach,  Gerhard  v.  Eppenstein.  Strafsb. 
1880.  Wegele,  Friedrich  der  Freidige.  Xördl.  1870.  Lippert,  Friedr.  d.  F.  u.  die 
Meinhardiner  v.  Tirol.  MJÖG.  XVII.  Michelsen,  Die  Landgrafschaft  Thüringen 
unter  den  Königen  Adolf,  Albrecht  u.  Heinrich  VII.  Jena  1860.  "Winter,  Strafs- 
burgs  Teilnahme  an  dem  Kampf  zwischen  Adolf  von  Nassau  u.  Albrecht  von  Oster- 
reich. Forsch.  XIX,  521  ff.  Otto,  Zu  den  Urkk.  über  die  Absetzung  Adolfs  von  Nassau. 
DZG.  XH,  507. 

1.  Trotz  des  Mifserfolges  am  letzten  Reichstag  in  Frankfurt  gab 
Herzog  Albrecht,  der  soeben  noch  einen  Aufstand  des  steirischen  Adels 
niedergeworfen  und  sich  ungeachtet  seines  Sieges  als  milder  Herrscher 
bewährt  hatte,  den  Versuch  nicht  auf,  in  den  Besitz  des  Königtums  zu 
gelangen.  Von  den  geistlichen  Kurfürsten  war  ihm  nur  Köln  feindlich 
gesinnt,  Trier  neutral,  und  mit  Mainz  wurde  verhandelt.  Pfalzgraf 
Ludwig  war  eifrig  für  ihn  tätig.  Von  den  übrigen  Kurfürsten  trat  ihm 
König  Wenzel  entgegen,  der  schon  unter  der  letzten  Regierung  an  der 
Erneuerung  der  böhmischen  Grofsmachtstellung  gearbeitet  hatte.  Er 
war  es,  der  Albrechts  Wahl  vereitelte,  Sachsen  und  Brandenburg  an 
sich  zog,  den  geistlichen  Wählern  freilich  die  Wahl  eines  Kandi- 
daten überlassen  mufste.  Als  Albrecht  sich  aufmachte,  um  in  die  Nähe 
der  Wahlstätte  zu  gelangen,  war  dieser  schon  gefunden.  In  der  Wor- 
ringer  Schlacht  hatte  sich  Adolf  von  Nassau  als  Verbündeter   Kölns 


Die  Politik  König  Adolfs.  195 

durch  stürmische  Tapferkeit  hervorgetan.  Nun  empfahl  Siegfried  von 
Köln  den  früheren  Kampfgenossen,  dessen  mäfsiger  Besitz  dafür  bürgte, 
dafs  er  ein  gefügiges  Werkzeug  in  der  Hand  der  Kurfürsten  sein  würde, 
und  der  ihnen  aufserdem  die  ungemessensten  Zusagen  machte ;  so  erhielt 
Mainz  das  Recht,  den  Reichsvizekanzler  zu  ernennen,  und  damit  leitenden 
Einflufs  auf  die  Reichspolitik,  Köln  den  Ersatz  dessen,  was  es  bei  Wor- 
ringen  verloren.  Waren  Triers  Ansprüche  geringer,  so  durfte  Böhmen 
dagegen  auf  die  Unterstützung  seiner  Revindikationspläne  hoffen.  Es 
bildete  sich  ein  förmlicher  Fürstenbund,  um  den  Habsburgern  Öster- 
reich, Meinhard  Kärnten  zu  entreifsen.  Eine  Familienverbindung  der 
Häuser  Nassau  und  Böhmen  wurde  festgesetzt,  diesem  das  Pleifsner 
Land  als  Pfaud,  die  Berücksichtigung  seiner  Ansprüche  auf  Eger 
und  die  Besetzung  von  Meifsen  zugesagt.  Leicht  wurden  Sachsen  und 
Brandenburg  gewonnen,  und  endlich  gab  auch  Pfalz  seinen  Widerspruch 
auf.  Nachdem  alles  geordnet  war,  vollzog  der  Erzbischof  Gerhard  von 
Mainz  im  Namen  aller  die  Kur  (1292,  5.  Mai).  Am  24.  Juni  erfolgte  in 
Aachen  die  Krönung.  Bei  der  Vakanz  des  päpstlichen  Stuhles  wurde  die 
übliche  Wahlanzeige  nach  Rom  unterlassen.  König  Adolf  (1292 — 1298) 
war  ein  Mann  von  ritterlichem  Sinn  und  erprobter  Tapferkeit,  dabei  ein 
Freund  des  Friedens  und  der  Gerechtigkeit,  bei  allen  diesen  Vorzügen 
aber  seiner  Aufgabe  nicht  gewachsen.  Wenn  er  sich  ihr  dennoch  unter- 
zog, geschah  es  in  der  Hoffnung,  für  sein  Haus  in  ähnlicher  Weise  wie 
sein  Vorgänger  wirken  zu  können. 

2.  Bald  zeigte  es  sich,  dafs  Adolf  seine  Zusagen  nicht  erfüllen 
konnte,  sich  auch  dem  Willen  der  Kurfürsten  nicht  vollständig  unter- 
ordnen wollte.  Daher  suchte  er  ihre  natürlichen  Gegner,  die  kleineren 
Fürsten  und  Herren  am  Rhein,  in  Franken  und  Schwaben,  an  sich  zu 
ziehen,  hielt  sich  an  Kölns  alte  Feinde  und  ernannte  den  Herzog  Johann 
von  Brabant  zum  Schützer  des  für  zehn  Jahre  erneuerten  Landfriedens 
für  das  nordwestliche  Deutschland.  Herzog  Albrecht  konnte  bei  der 
schwierigen  Lage  seiner  eigenen  Untertanen  und  dem  feindlichen  Ver- 
halten seiner  Nachbarn  gegenüber  an  einen  Widerstand  gegen  den  König 
nicht  denken ;  daher  leistete  er  die  Huldigung  und  empfing  die  Belehnung 
mit  seinen  Herzogtümern.  Jetzt  erst  war  er  gegen  etwaige  Ansprüche 
Böhmens  gesichert.  Dagegen  gelang  es  Adolf,  einen  Teil  des  habsburgi- 
schen  Anhangs  im  Elsafs  und  in  Schwaben  auf  seine  Seite  zu  ziehen.  Ein 
grofser  Erfolg  war  es,  als  sich  Rudolf  von  der  Pfalz  trotz  seiner  habs- 
burgischen  Herkunft  —  er  war  ein  Enkel  Rudolfs  von  Habsburg  und 
nach  diesem  genannt  —  ihm  zuwandte  und  seine  Tochter  Mechthild  zur 
Ehe  nahm.  Sein  Königtum  war  jetzt  so  weit  erstarkt,  dafs  er  an  die 
Vergröfserung  seiner  Hausmacht  denken  konnte.  Er  griff  auf  die  Pläne 
seines  Vorgängers  zurück.  Wenige  Wochen  vor  diesem  war  Markgraf 
Friedrich  Tuto  von  Meifsen,  ohne  Söhne  zu  hinterlassen,  gestorben,  und 
sein  Besitz,  der  nach  strengem  Lehensrecht  dem  Reiche  heimgefallen 
war,  von  den  Söhnen  Albrechts  des  Entarteten  von  Thüringen,  Fried- 
rich und  Diezmann,  besetzt  Avorden.  Adolf  zog  nicht  nur  Meifsen 
und  das  Osterland    als    erledigtes  Reichslehen    ein,    sondern  kaufte   von 

13* 


196  König  Adolf  und  die  Kurfürsten. 

Albrecht,  der  mit  seinen  Söhnen  zerfallen  war,  auch  noch  Thüringen. 
Zwar  schlofs  der  Landgraf  bald  nachher  einen  Vertrag  mit  Diezmann, 
in  welchem  er  diesem  gegen  eine  Geldentschädigung  das  thüringische 
Erbe  in  Aussicht  stellte,  aber  Adolf,  entschlossen,  seine  Absichten  durch- 
zuführen, erklärte  Friedrich  und  Diezmann  in  die  Acht  und  begann 
gegen  sie  den  Krieg.  Die  Mittel  hiezu  boten  ihm  englische  Hilfsgelder. 
Seit  dem  Frühjahre  1294  lag  Eduard  I.  mit  Philipp  IV.  von  Frankreich 
in  Streit.  Brabant,  Holland,  Köln  und  andere  deutsche  Territorien  hielten 
alter  Überlieferung  gemäfs  zu  England.  Auch  Adolf  schlofs  ein  Bündnis 
mit  Eduard  I.  und  erklärte  (1294,  31.  August)  an  Frankreich  den  Krieg, 
»weil  Philipp  und  dessen  Vorgänger  dem  Reiche  Güter  und  Besitzungen, 
Rechte,  Gerichtsbarkeiten  und  Landstrecken  abgenommen  hätten.«  Im 
März  1295  versammelte  er  einen  Reichstag  in  Frankfurt,  um  den  Krieg 
vorzubereiten.  In  der  Zwischenzeit  hielt  er  einen  Hoftag  zu  Mülhausen 
und  ordnete  die  Verhältnisse  Thüringens.  Dann  zog  er  nach  Meifsen. 
Aber  auch  Frankreich  fand  in  Deutschland  Bundesgenossen  an  Luxem- 
burg, den  Herren  der  Dauphinee,  dem  Pfalzgrafen  von  Burgund,  vor 
allem  an  Österreich.  Noch  gelang  es  Bonifaz  VIII.,  der  mittlerweile 
(1294.  24.  Dezember)  den  päpstlichen  Stuhl  bestiegen  hatte,  den  Krieg 
zu  verhindern.  So  konnte  Adolf  seine  Streitkräfte  gegen  Meifsen  ver- 
wenden. Im  August  1295  erfolgte  der  zweite  Einbruch  in  Thüringen. 
Freiburg  wurde  erobert  (1296,  Januar)  und  Graf  Heinrich  von  Nassau 
als  Reichsstatthalter  in  Meifsen  und  Osterland  eingesetzt.  Auch  in 
Thüringen  trat  Adolf  als  Herr  und  Mitregent  auf.  Er  stand  nun 
auf  der  Höhe  seiner  Erfolge.  Nochmals  zog  er  gegen  den  Westen,  aber 
die  Rücksicht  auf  den  Papst  und  auf  Österreich  hielt  ihn  vom  Krieg 
gegen  Frankreich  zurück.  Und  doch  hätte  er  jetzt  mehr  Grund  hiezu 
gehabt  als  früher;  denn  der  Pfalzgraf  Otto  von  Burgund  hatte  seine 
Tochter  mit  einem  Sohne  Philipps  verlobt  und  ihr  als  Mitgift  die  Frei- 
grafschaft, ein  Lehen  des  Reiches,  zugesagt.  Wohl  liefs  Adolf  den  Pfalz- 
grafen seines  Landes  verlustig  erklären,  tat  aber  nichts,  um  den  Rechts- 
spruch durchzuführen,  wogegen  sich  Philipp  in  den  Besitz  der  Freigraf- 
schaft setzte.  Erst  im  Frühjahr  1297  sollte  der  Krieg  gegen  Frankreich 
wieder  aufgenommen  werden. 

3.  Inzwischen  hatten  sich  Adolfs  freundschaftliche  Beziehungen  zu 
den  Kurfürsten  völlig  gelöst.  Mainz  fand  sich  in  Thüringen  bedroht, 
Böhmen  in  seinen  Ansprüchen  auf  Meifsen  betrogen.  Das  verwandt- 
schaftliche Band  der  Häuser  von  Nassau  und  Böhmen  rifs  der  Tod  der 
böhmischen  Prinzessin  Agnes  entzwei.  In  den  Kurfürsten  reifte  der 
Plan,  den  König,  der  ihnen  zu  mächtig  und  zu  selbständig  geworden 
war,  zu  stürzen.  Während  der  Papst  mit  Rücksicht  auf  Sizilien  und 
das  englisch  -  französische  Zerwürfnis  (s.  unten)  nichts  tat,  um  die  Be- 
wegung aufzuhalten,  fanden  die  Kurfürsten  einen  Teilnehmer  an  Herzog 
Albrecht  von  Österreich.  Bei  dem  glänzenden  Krönungsfeste,  das 
Wenzel  (1297,  2.  Juni)  in  Prag  feierte,  wurde  die  Neuwahl  erörtert  und 
auf  einer  Fürstenversammlung  in  Wien  (1298,  Februar)  der  Krieg  gegen 
Adolf  beschlossen.      Mit    einer    kleinen   Schar,    unterstützt  von  Böhmen 


Seine  Absetzung  und  sein  Ende.  197 

und  Ungarn,  zog  Albrecht  aus.  Verhandlungen  und  Geld  verschafften 
ihm  den  Durchzug  durch  Nieder-  und  Oberbayern,  dessen  Fürsten  An- 
hänger Adolfs  waren.  In  der  zweiten  Hälfte  des  März  zog  er  über  den 
Lech.  Adolf  eilte  herzu,  um  ihm  den  Weg  nach  Frankfurt,  wohin  der 
Erzbischof  von  Mainz  für  den  1 .  Mai  einen  Tag  angesetzt  hatte,  zu  ver- 
legen. Albrecht  wich  einem  Kampfe  aus  und  zog  statt  nach  Ulm,  wo 
Adolf  stand,  nach  Waldshut  am  Rhein  und  von  dort  nach  dem  befreun- 
deten Strafsburg.  Da  der  Tag  zu  Frankfurt  nicht  stattfinden  konnte, 
wurde  ein  zweiter  auf  den  15.  Juni  nach  Mainz  angesetzt.  Dort  er- 
öffneten die  Kurfürsten  am  23.  Juni  den  Prozefs  gegen  Adolf,  erklärten 
ihn  für  abgesetzt  und  wählten  den  Herzog  Albrecht  zum  römischen 
König.  Dessen  Lage  war  hiedurch  gründlich  geändert :  er  stand  nicht 
mehr  wie  ein  Untertan  seinem  Herrn,  sondern  wie  ein  erwählter  König 
dem  abgesetzten  gegenüber.  Adolf,  nicht  gesonnen,  seine  Krone  um  leichten 
Preis  dahinzugehen,  war  von  Speyer  über  Worms  gegen  Mainz  seinem 
Gegner  nachgezogen ;  er  verschmähte  es,  Verstärkungen  aus  den  benach- 
barten Städten  abzuwarten.  Albrecht  selbst  führte  am  2.  Juli  1298  in 
dem  vom  Hasenbach  durchflossenen  Tal  von  Göllheim  die  Entschei- 
dung herbei.  Adolf  fiel  in  tapferem  Kampfe.  Sein  Tod  entschied  die 
Schlacht.  Die  bayrischen  Herzoge  Rudolf  und  Otto,  die  auf  seiner 
Seite  gekämpft  hatten,  traten  den  Rückzug  an.  Unter  den  Gefangenen 
befand  sich  Adolfs  Sohn  Ruprecht.  Adolfs  Leiche  wurde  in  dem  süd- 
lich vom  Schlachtfeld  gelegenen  Kloster  Rosenthal  beigesetzt.  In  Oster- 
reich und  Thüringen  freute  man  sich  über  seinen  Sturz,  in  anderen 
Kreisen  regte  sich  tiefes  Mitgefühl ;  vor  allem  trauerten  die  Städte,  die 
an  ihm  einen  zwar  nicht  städtefreundlichen,  doch  gerechten  und  ritter- 
lichen König  verloren.  Albrecht  selbst  gab  noch  in  seinen  Sieges- 
berichten seinem  Gegner  den  Preis  der  Tapferkeit. 


§  44.    Albrecht  I.    (Die  Befestigung  seiner  Macht.) 

Quellen  s.  §40  u.  43.  Dazu:  Albertus  rex  Constitutiones.  MM.  Genn.  LL.  II, 
466—469.  Pactum  Philippi  regis  cum  Alberto  a.  1299,  ib.  972.  S.  auch  NA.  XXIII.  Annal. 
Kistett.  Henricus  de  Rebdorf,  Chronica  bis  1362,  ed.  Böhmer  FF.  IV.  (S  c  h  u  1 1  e  , 
Die  sog.  Chronik  d.  H.  v.  R.  Münster  1879.)  D.  Formelbücherlit.  s.  §  40  unter  Redlich; 
für  Albrecht  I.  in  AÖG.  II  u.  MJÖG.  IL  Die  Päpste  Bonifaz  VIH  und  Benedikt  XI. 
s.  unten. 

Hilfs  schriften.  Olenschlager,  Erläuterte  Staatsgeschichte  des  röm. 
Kaisertums  in  der  ersten  Hälfte  des  14.  Jahrh.  Frankf.  1755.  Kopp,  Lorenz,  Lindner, 
Arsmann- Viereck,  die  allg.  Werke  über  österr.  Gesch.  wie  oben.  Hub  er,  Die  Zeit 
der  ersten  Habsburger.  Wien  1866.  W  e  g  e  1  e ,  Albrecht  I.  ADB.  I.  Mücke,  Albrecht  I. 
Gotha  1866.  Doornick,  De  Alberto  duce  1862.  Lippert,  Wegele,  Droysen 
u.  a.,  Spezialschriften  wie  oben  §  40,  43.  Herzberg-Fränkel,  wie  §  42.  Wanka  v. 
Rodlow,  Beiträge  zur  Beurteilung  der  Zollpolitik  K.  Albrechts.  Progr.  Weinberge  1902" 
im  Anschlufs  an  Schulte,  Gesch.  des  ma.  Handels  u.  Verkehrs  zwischen  West, 
deutschland  u.  Italien  mit  Ausschlufs  von  Venedig  I.  Leipz.  1900).  Henneberg 
Die  polit,  Beziehungen  zwischen  Deutschland  u.  Frankreich  unter  Albrecht  I.  1891. 
Boutaric,  La  France  sous  Philippe  le  Bei  s.  unten.  Niemeier,  Untersuchungen 
über  die  Beziehungen  Albrechts  I.  zu  Bonifaz  VIII.  Berlin  1900.  H  e  n  n  e  s ,  K.  Albrechts 
Feldzug  im  Erzstift  Mainz      ZV.  rhein.  Gesch.  Mainz  I,  26. 


198  König-  Albrecht  I.  und  seine  Reichspolitik. 

1.  Albrecht  (1298 — 1308)  war  an  fünzig  Jahre  alt,  als  er  den  Thron 
bestieg.  Soeben  hatte  er  sich  noch  als  tüchtigen  Herrführer  erprobt.  Aber 
er  war  auch  ein  ausgezeichneter  Staatsmann,  dessen  Pläne  klar  und  ziel- 
bewufst  nur  auf  das  Erreichbare  gerichtet  waren.  Da  er  das  Gefährliche 
der  Art,  wie  er  zur  Herrschaft  gelangt  war,  erkannte :  durch  Absetzung 
des  rechtmäfsigen  Herrschers  und  offenen  Kampf  gegen  den  König, 
über  dessen  Leiche  hinweg  er  sich  seinen  Weg  gebahnt  hatte,  legte  er 
seine  Würde  in  die  Hände  seiner  Wähler  zurück  und  unterzog  sich  einer 
förmlichen  Neuwahl  (1298,  27.  Juli).  Am  24.  August  empfing  er  zu 
Aachen  die  Krone.  Gleich  nach  der  Wahl  sandten  die  Kurfürsten  die 
Anzeige  davon  an  die  Kurie  und  baten,  den  Gewählten  zum  Empfang 
der  Kaiserkrone  zu  berufen.  Auch  Albrecht  hatte  den  Kurfürsten  grofse 
Zugeständnisse  machen  müssen.  Auf  dem  Hoftag  zu  Nürnberg  verlieh 
er  —  auch  das  war  ein  Zugeständnis  an  die  Kurfürsten  —  seine  Herzog- 
tümer an  seine  Söhne,  zwar  zu  ungeteilter  Hand ,  doch  so,  dafs  sein 
Erstgeborner,  Rudolf,  allein  die  Regierung  führte.  Er  erneuerte  den 
Landfrieden  seiner  Vorgänger,  nicht  ohne  einige  Bestimmungen  anzu- 
fügen, die,  wie  die  Beschränkung  der  Aufnahme  von  Bürgern,  den  Städten 
zum  Schaden  gereichten,  und  andere,  die  ihre  Spitze  gegen  die  Landes- 
fürsten richteten,  so,  wenn  er,  die  Re Vindikation  des  Reichsgutes  fort- 
setzend, unter  diesem  Titel  die  Beseitigung  aller  seit  -Friedrichs  IL  Tode 
eingeführten  widerrechtlichen  Zölle  begehrte.  Seine  Reichspolitik  trägt 
überhaupt  einen  schärferen  Zug  als  die  seiner  Vorgänger,  wie  er  denn 
auch  eine  Anlehnung  an  die  durch  die  Fürstenmacht  in  ihrer  Entwick- 
lung gehemmten  Städte  suchte,  ihren  Handel  sicherte,  ihre  Belastung 
mit  neuen  Zöllen  verhinderte  und  in  der  Frage  der  Besteuerung  kirch- 
licher Güter  auf  ihre  Seite  trat.  Folgte  er  gegen  Meifsen  und  Thüringen 
der  Politik  seines  Vorgängers,  so  schlofs  er  sich  in  der  äufser^n  Politik 
an  Frankreich  an.  Bei  einer  Zusammenkunft  zu  Quatrevaux  (bei  Toul) 
am  8.  Dezember  1299  wurden  die  Verhandlungen  über  den  Abschlufs 
eines  Friedens-  und  Freundschaftsbündnisses  zu  Ende  geführt.  Die  Ge- 
meinsamkeit der  Interessen  führte  die  Könige  beider  Länder  zusammen. 
Suchte  Philipp  Albrechts  Unterstützung  in  seinem  Streit  mit  Bonifaz  VI  IL, 
so  gewann  Albrecht  die  Neutralität  Frankreichs  in  seinem  Streit  mit  den 
Kurfürsten,  der  nach  dem  Bericht  einzelner  Quellen  hier  seinen  Anfang 
nahm  und  in  seinem  Plane ,  die  Krone  des  Reiches  in  seinem  Hause 
erblich  zu  machen,  seinen  Ursprung  hatte.  Die  Kurfürsten  lehnten  es 
ab,  hiebei  mitzuwirken.  Bei  Albrechts  Beziehungen  zu  Frankreich  konnte 
nun  freilich  auch  die  burgundische  Frage  nicht  mehr  in  einer  Deutsch- 
land entsprechenden  Weise  gelöst  werden. 

2.  Am  29.  Oktober  1299  war  Graf  Johann  A~on  Holland,  ein  Enkel 
König  Wilhelms,  gestorben,  ohne  Leibeserben  zu  hinterlassen.  Holland, 
Seeland  und  Friesland  fielen  nun  als  erledigte  Reichslehen  heim.  Aber 
Johann  von  Avesnes,  Graf  von  Hennegau,  der  Sohn  von  Wilhelms 
Schwester  Adelheid,  besetzte  sie.  Da  er  sich  weigerte,  von  seinen 
Ansprüchen  abzustehen,  wurden  die  Länder  dem  König  und  dem  Reiche 
zugesprochen,    er    selbst    in    die    Acht    erklärt.       Albrecht    unternahm 


Albrecht  I.  und  die  Kurfürsten.  199 

eine  Heerfahrt  nach  Holland.  Während  des  Kriegszuges  schlössen  die 
rheinischen  Kurfürsten  (1300,  14.  Oktober)  ein  Bündnis  gegen  ihn,  er- 
hoben jetzt  erst  Klage  wegen  des  an  König  Adolf  begangenen  Mordes 
und  zogen  den  Papst  auf  ihre  Seite.  War  Bonifaz  VIII.  noch  am 
13.  Mai  1300  gegen  die  Abtretung  Toskanas  geneigt,  Albrecht  als  König 
anzuerkennen,  so  trat  er  nun  gegen  ihn  und  das  »Viperngeschlecht«  der 
Staufer,  dem  Albrechts  Gemahlin  entstammte,  auf.  Schroff  betont  er 
des  Papsttums  Ansprüche  auf  die  Prüfung  der  deutschen  Königswahl1), 
lud  den  König  vor  seinen  Richterstuhl,  um  seine  Unschuld  an  Adolfs 
Tod  zu  erweisen  und  verbot  den  Fürsten,  ihn  als  König  anzuerkennen. 
Aber  Albrecht  gewann  die  kräftige  Unterstützung  der  Bürger  und  der  auf 
die  Fürstenmacht  eifersüchtigen  Grofsen,  berief  Abgeordnete  der  Städte 
zu  sich  und  versprach,  ihren  Klagen  über  die  drückenden  Rheinzölle 
abzuhelfen.  Da  sich  die  Kurfürsten  weigerten,  vor  seinem  Richterstuhl 
zu  erscheinen,  forderte  er  im  Sinne  des  Nürnberger  Beschlusses  die  Be- 
seitigung aller  seit  Friedrich  II.  aufgerichteten  widerrechtlichen  Zölle  und 
Abgaben  und  begann  den  Kampf.  Zuerst  wurde  der  Pfalzgraf,  dann 
die  geistlichen  Kurfürsten  unterworfen.  Sie  mufsten  alle  vom  Reiche 
gewonnenen  Güter  herausgeben,  auf  alle  Zölle  verzichten  und  einzelne 
Burgen  brechen.  Seine  Zollpolitik  kam  freilich  zunächst  nur  seiner 
Hausmacht  zugute,  denn  jetzt  beherrschte  er  die  obere  und  mittlere 
Rheinstrafse,  während  er  bereits  die  Erwerbung  von  Holland  ins  Auge 
fafste.  Mächtiger  als  irgend  einer  seiner  unmittelbaren  Vorgänger,  nahm 
er  den  Plan  der  Erblichkeit  der  Krone  wieder  auf.  Er  hoffte,  ihn  mit 
Hilfe  des  Papstes,  der  seiner  im  Kampf  gegen  Frankreich  bedurfte, 
zu  verwirklichen.  Bonifaz  VIII.  bot  denn  auch  selbst  die  Hand  zum 
Frieden  und  erkannte  Albrecht  (1303,  30.  April)  als  König  an.  Zwar 
gebraucht  er  dem  deutschen  König  gegenüber  noch  hochtrabende  Worte2), 
auch  nimmt  sich  der  Ton,  den  dieser  in  seinem  Fidelitätsbrief  (1303, 
17.  Juli)  anschlägt,  kläglich  genug  aus.  Albrecht  scheint  indes  solche  Zu- 
geständnisse nur  gemacht  zu  haben,  um  die  Erblichkeit  der  Krone  durch- 
zusetzen.3) Denn  wenn,  wie  der  König  anerkennt,  der  Papst  das  Recht 
der  Kurfürsten,  den  König  zu  wählen,  geschaffen  hat,  so  kann  er  es 
ihnen  auch  wieder  entziehen.  Diese  Pläne  wurden  freilich  durch  den 
bald  hierauf  erfolgten  Tod  des  Papstes  vereitelt. 

§  45.    Der  Ausgang:  der  nationalen  Dynastien  in  Ungarn  und  Böhmen 

und  das  Ende  Albrechts  I. 

Quellen  zur  böhm.  Gesch.  s.  §  30.  Zur  ungar.  s.  oben  §  24  und  unten  §  88. 
Die  polnischen  Quellen  finden  sich  zumeist  in  den  MM.  Pol.  historica,  die  beiden 
ersten  Bände    von  Bielowski,  das  folgende  v.  d.  Krak.  Ak.  herausgegeben.     Für  diese 


x)  Nos   ad   quos   ius   et   auctoritas    examinandi  personam   in   regem  Romanorum 
electam  .  .  .   et  reprobatio  pertinere  noscuntur  .  .  . 

2)  Tu  non  iudicium  sed  misericordiam  hicmiliter  implorasti.   Dazu  die  Zweilichter- 
theorie :  fecit  Deus  duo  luminaria.  .  .  . 

3)  Matth.  v.  Neuenbürg,  cap.  34:  nisi  sibi  et  heredibus  suis  regnum  et  Imperium 
confirmaretur  per  sedem. 


200  Die  böhmische  Grofsmaeht  unter  Wenzel  II. 

Zeit :    Yinc.  Kadlubek,    Chronicae  Polonorum   bis   1203.     Bielowski,    MM.  Pol.  hist.  II, 
249 — 477.    Auszüge,   MM.  Germ.  hist.  SS.  XXIX,  477.    Chronicae  Polonorum.,  der  90g. 

Martinas  Gallus  aber  nur  für  die  älteste  Zeit  .  MM.  Gr.  hist.  SS.  423—478.  Chron. 
Polono-Sües.  ib.  XIX,  XXIX.  Baszko,  Chron.  Pol.  bis  1272,  Bielowski  II,  467—470. 
Hilfsschriften:  Zu  den  in  §  24,  30  u.  44  erwähnten;  Fiedler,  Böhmens 
Herrschaft  in  Polen.  AÖG.  XIV.  u.  Krones,  Der  Thronkampf  der  Pf emysliden  und 
Anjous.  Z.  f.  d.  öst.  Gymn.  XIV.  R  o  ep  eil  -  C  aro,  Gesch.  Polens  L,  II.  Hovedissen, 
K.  Albrechts  Verhältnis  zu  Böhmen.  Xordhausen  1892.  J.  Heide  mann,  Peter  von 
Aspelt.  Heide  mann,  Heinrich  v.  Kärnten  als  K  v.  Böhmen.  Forsch.  IX,  471. 
Zur  Gesch.  u.  Pol.  Peter  Aspelts,  ebenda  259  ff. 

1.  Da  die  böhmische  Politik  den  Wiedererwerb  der  österreichischen 
Alpenländer  nicht  durchzusetzen  vermochte,  wandte  sie  sich  gegen  Polen. 
Hier  hatte  die  altslawischer  Sitte  entsprechende  Teilung  des  Reiches  unter 
die  vier  älteren  Söhne  Boleslaws  III.  (t  1139),  nach  welcher  zunächst 
vier  polnische  Staaten :  Krakau-Schlesien,  Masovien-Kujavien,  Gnesen- 
Pommern  und  Sandomir,  entstanden,  verhängnisvolle  Wirkungen,  die 
noch  durch  die  Bestimmung  erhöht  wurden,  dafs  immer  der  Alteste  im 
Hause  der  Piasten  mit  dem  Besitz  von  Krakau  eine  höhere  Gewalt  über 
die  andern  ausüben  und  dadurch  die  Einheit  des  Reiches  sichern  sollte; 
denn  nun  kamen  zu  den  Kämpfen  um  einzelne  Länder  noch  die  um 
das  Seniorat  hinzu.  Sie  dauerten  über  ein  Jahrhundert  und  haben  die 
Einheit  des  Reiches  völlig  aufgelöst.  Unter  diesen  Kämpfen  wurde  1163 
Schlesien  abgetrennt,  ohne  dafs  schon  jetzt  die  Oberhoheit  des  Krakauer 
Grofsfürsten  aufhörte;  ebenso  gingen  Pommern  bis  auf  Pommerellen 
und  das  jüngst  erst  gewonnene  Fürstentum  Halitsch  verloren,  und  Masovien 
war  aufserstande,  sich  der  Angriffe  der  Preufsen  zu  erwehren.  Als  che 
Verwirrung  bereits  einen  hohen  Grad  erreicht  hatte,  wurden  Versuche 
gemacht,  die  nationale  Einheit  neu  zu  begründen.  Als  Herzog  Heinrich 
Leszek  von  Krakau  und  Sandomir,  ohne  Kinder  zu  hinterlassen,  starb, 
stritten  Przemyslaw  von  Grofspolen  (Posen),  dem  Heinrich  seinen  Besitz 
vermacht  hatte,  und  Wladislaw  Lokietek  (d.  h.  der  Ellenlange,  der  Zwerg) 
aus  der  kuj avischen  Linie  um  das  Erbe.  Eine  dritte  Partei,  der  Leszeks 
Witwe  Griffina,  eine  Tante  Wenzels  IL,  angehörte,  wandte  sich  an 
Böhmen.  Schon  1289  liefs  sich  dieser  von  den  Herzogen  Schlesiens 
huldigen,  und  1292  zog  er  selbst  nach  Krakau  und  erhielt  die  Huldigung 
des  Landes.  Sandomir  wurde  genommen,  und  auch  Wladislaw  und  sein 
Bruder  mufsten  Böhmens  Oberhoheit  anerkennen.  Dessen  Herrschaft 
reichte  schon  jetzt  vom  Bayrischen  Wald  bis  an  die  Weichsel.  1296  starb 
Przemyslaw  von  Grofspolen,  der  kurz  zuvor  Pommerellen  in  Besitz  ge- 
nommen und  mit  Zustimmung  des  Papstes  in  Gnesen  die  Krönung  zum 
König  von  Polen  erhalten  hatte,  eines  gewaltsamen  Todes.  Da  er  nur  eine 
minderjährige  Tochter  Richsa  hinterliefs,  stritten  Lokietek,  die  Herzoge 
von  Kujavien-Leslau  und  von  Glogau  um  das  Land,  bis  es  der  Adel 
zugleich  mit  der  Hand  der  Prinzessin  Richsa  dem  Könige  Wenzel  IL 
antrug.  Wenzel  nahm  die  Krone  an,  und  König  Albrecht,  dessen  Ein- 
willigung er  nachsuchte,  gab  sie  unter  der  Bedingung  der  Anerkennung 
der  deutschen  Lehenshoheit.  Im  Sommer  1300  zog  Wenzel  IL  nach 
Polen  und  liefs  sich  in  Gnesen  zum  Könige  krönen. 


Albrecht  I.  und  Wenzel  II.  201 

2.  Kaum  hatte  Wenzel  II.  seine  Herrschaft  in  Polen  begründet,  so 
wurde  ihm  auch  noch  die  Krone  von  Ungarn  angetragen.  Schon  dem 
König  Andreas  III.  war  die  Herrschaft  durch  das  Haus  Anjou  be- 
stritten worden,  da  Karl  IL  von  Neapel  die  Schwester  Ladislaus'  IV. 
geheiratet  hatte.  Als  nun  am  14.  Januar  1301  Andreas  HL,  der  letzte 
vom  Mannesstamm  der  Arpaden,  starb,  mufste  die  Frage,  ob  die  weib- 
lichen Mitglieder  des  Arpadenhauses  ein  Erbrecht  besäfsen  oder  der 
Thron  durch  freie  Wahl  besetzt  würde,  zur  Entscheidung  gelangen.  Das 
nächste  Recht  hätte  Elisabeth,  die  Tochter  des  letzten  Königs,  besessen, 
die  einen  hielten  jedoch  zu  Karl  Robert  von  Anjou,  der  an  dem  Papste 
eine  Stütze  hatte;  aber  eben  weil  Bonifaz  VIII.  Ungarn  als  Eigentum 
des  hl.  Stuhles  erklärte,  über  das  er  nach  Gutdünken  verfügen  könne, 
trugen  die  andern  die  Krone  erst  den  Herzogen  von  Niederbayern  als 
Enkeln  Belas  IV.,  und  als  diese  ablehnten,  dem  Könige  Wenzel  IL  an, 
der  durch  seine  Mutter  gleichfalls  mit  dem  Arpadenhause  verwandt  war. 
Wenzel  nahm  die  Krone  für  seinen  gleichnamigen  Sohn  an,  und  dieser 
wurde  am  27.  August  1301  in  Stuhlweifsenburg  gekrönt.  Der  Papst 
hielt  jedoch  an  den  Ansprüchen  des  Hauses  Anjou  fest  und  sprach  das 
Reich  Karl  Robert  zu  (1303,  31.  Mai).  Auch  König  Albrecht,  dem  das 
Anwachsen  Böhmens  Besorgnisse  einflöfste,  trat  gegen  Wenzel  auf  und 
verlangte  nicht  blofs  die  Räumung  Ungarns  und  Herausgabe  Polens  an 
Lokietek,  sondern  auch  die  Zurückgabe  von  Eger  und  Meifsen  gegen 
Erstattung  der  Pfandsumme  und  den  dem  deutschen  König  gebührenden 
Zehent  von  den  neu  entdeckten  Silbergruben  von  Kuttenberg.  Es 
handelte  sich  um  die  Zertrümmerung  der  böhmisch-polnisch-ungarischen 
Grofsmacht  und  die  Zurückführung  Böhmens  in  seine  alten  Grenzen. 
Dagegen  schlofs  Wenzel  ein  Bündnis  mit  Frankreich.  Zwar  unternahm 
er  einen  Zug  nach  Ungarn,  um  den  Thron  seines  Sohnes  zu  befestigen, 
mufste  jedoch  samt  diesem  den  Rückzug  antreten,  um  sein  eigenes  Reich 
vor  den  Angriffen  Albrechts  zu  schützen.  Dieser  sprach  über  Wenzel 
die  Reichsacht  aus,  aber  der  Feldzug,  den  er  nach  Böhmen  unternahm, 
scheiterte  an  dem  Widerstand  Kuttenbergs ;  auch  traten  von  den  Fürsten 
des  Reiches,  denen  das  Wachstum  von  Habsburgs  Macht  bedenklich 
wurde,  einzelne  auf  Wenzels  Seite.  Nach  dessen  Tode  (1205,  21.  Juni) 
schlofs  Wenzel  III.  Frieden.  Gegen  den  Verzicht  auf  Eger  und  Meifsen 
sollten  ihm  Polen  und  seine  Erbländer  mit  vollem  Herrscherrecht  ver- 
bleiben. Seine  Ansprüche  auf  Ungarn  übertrug  er  an  Otto  von  Bayern, 
der  sich  jedoch  gegen  Karl  Robert  nicht  behaupten  konnte. 

3.  Am  4.  August  1306  wurde  Wenzel  III. ,  der  letzte  vom  Manns - 
stamm  der  Premysliden  zu  Olmütz  ermordet.  Die  Union  zwischen  Polen 
und  Böhmen  war  damit  zerrissen.  Während  die  böhmischen  Stände 
ihr  Wahlrecht  betonten  und  sich  Heinrich  von  Kärnten,  dem  Gemahl 
von  Wenzels  III.  Schwester,  zuneigten,  erklärte  Albrecht  Böhmen  als 
heimgefallenes  Lehen  des  Reiches.  Ein  Feldzug,  den  er  vom  Westen, 
sein  Sohn  Rudolf  vom  Süden  aus  gegen  Böhmen  unternahm,  bewog  die 
böhmischen  Grofsen,  den  Herzog  Rudolf,  der  sich  mit  Wenzels  IL 
Witwe  vermählte,  anzuerkennen.     Rudolf  und  seine  Brüder  wurden  mit 


2  02  Die  Erwerbung  Böhmens  durch  die  Habsburger. 

der  Krone  Böhmens  belehnt.  Nun  war  Albrechts  Macht  aufs  höchste 
gestiegen.  Von  Seiten  des  Papsttums  war  nach  dem  Tode  Bonifaz'  VIII. 
kein  Widerspruch  zu  erwarten,  die  alten  Gegner  im  Reich  gestürzt  und 
Habsburg  im  Besitz  der  österreichischen  Länder,  der  reichen  Land- 
schaften im  südwestlichen  Deutschland.  Mährens.  Böhmens,  Meifsens, 
des  Pleifsner-  und  Osterlandes.  Im  Besitze  von  Meifsen,  nahm  Albrecht  die 
Ansprüche  seines  Vorgängers  auf  Thüringen  wieder  auf.  Da  wandte 
ihm  das  Glück  den  Rücken.  Im  Herbst  1306  zos:  er  nach  Osterland, 
der  frühe  Winter  zwang  ihn  zum  Rückzug,  und  sein  Feldhauptmann 
erlitt  im  Mai  1307  eine  Schlappe  durch  Friedrich  den  Freidigen  und 
Diezmann,  infolgedessen  ein  Teil  der  Meifsner  Mark  und  des  Pleifsner- 
landes  verloren  ging.  Wenige  Monate  später  starb  König  Rudolf  von 
Böhmen ;  die  habsburgfeindliche  Partei  dieses  Landes  wählte  nun  Heinrich 
von  Kärnten  zum  König.  Nur  in  Mähren  wurde  Albrechts  zweiter  Sohn 
Friedrich  anerkannt.  Albrecht  zog  zwar  noch  1307  nach  Böhmen  und  liefs 
auch  Kärnten  angreifen,  mufste  aber  im  Oktober  den  Rückzug  antreten, 
während  Friedrich  der  Freidige  fast  die  gesamte  AVettinsche  Erbschaft 
in  Besitz  nahm.  Im  Frühlinge  1308  traf  Albrecht,  der  sich  in  der 
Schweiz  aufhielt,  grofse  Zurüstungen  für  einen  neuen  Feldzug,  da  machte 
ein  verbrecherisches  Unternehmen  seinen  Plänen  ein  plötzliches  Ende. 
In  seiner  Umgebung  befand  sich  sein  Neffe  Johannes,  der  Sohn  Herzog 
Rudolfs.  Weder  sein  Vater  noch  auch  Johannes  hatten  bisher  eine 
Entschädigung  für  die  1283  festgesetzte  Verzichtleistung  auf  die  Mit- 
regierung in  Österreich  erhalten,  und  so  lebten  seines  Vaters  Anrechte  auf 
Österreich  wieder  auf.  Diese  wurden  von  Albrecht  nicht  beachtet.  Viel- 
leicht erregten  noch  andere  Motive  den  GroU  gegen  diesen,  so  z.  B., 
dafs  er.  wiewohl  ein  Enkel  Ottokars,  bei  der  Verleihung  Böhmens  nicht 
berücksichtigt  wurde.  Der  ihm  gewährte  Anteil  an  der  Verwaltung  des 
habsburgischen  Besitzes  in  Schwaben  war  ihm  kein  genügender  Ersatz, 
und  so  bildete  sich  eine  Verschwörung,  an  der  aufser  ihm  noch  einige 
unzufriedene  Adelige  aus  den  österreichischen  Vorlanden,  Rudolf  von 
Wart,  Rudolf  von  Bahn  und  Walter  von  Eschenbach,  teilnahmen.  Sie 
durften  erwarten,  zu  hohen  Ehren  zu  kommen,  wenn  Herzog  Johann 
an  der  Macht  sei,  und  wufsten.  dafs  Albrecht  unter  den  Kurfürsten  ver- 
balst war.  Wurde  doch  der  Erzbischof  von  Mainz  geradezu  beschuldigt, 
zum  Mord  gehetzt  zu  haben.  Die  Verschworenen  überfielen  den  König, 
als  er  am  1.  Mai  1308  seiner  Gemahlin  von  Baden  aus  gegen  Brück 
entgegenritt,  Johannes  stiefs  ihm  einen  Dolch  in  die  Brust,  worauf  Wart 
ihn  noch  mit  dem  Schwerte  durchbohrte  und  Bahn  ihm  den  Schädel 
spaltete.  Im  Angesichte  der  Habsburg  hauchte  der  König  seine  Seele 
aus.  Er  fiel  mitten  in  seinem  Werke  der  Konsolidierung  der  Zentral- 
gewalt und  der  Unterordnung  der  Fürsten  unter  das  Reich,  für  das  er 
mehr  als  seine  Vorgänger  gearbeitet  hatte.  Seine  Söhne  mufsten  alsbald 
die  auf  Habsburgs  Gröfse  gerichtete  weitausschauende  Politik  Albrechts 
aufgeben  und  schlössen  gegen  eine  Geldentschädigung  Frieden  mit 
Heinrich,  dem  nunmehrigen  König  von  Böhmen.  Im  nächsten  Jahre 
begann  die  Verfolgung  der  Könisrsmörder.     Nur  Rudolf  von  Wart  wurde 


Die  Ermordung  Albrechts.  203 

gefangen  und  an  der  Stätte  des  Mordes  aufs  Rad  geflochten.  Balm  hielt 
sich  in  einem  Kloster  zu  Basel  verborgen,  und  Eschenbach  lebte  noch 
35  Jahre  als  Viehhirt  in  Württemberg.  Herzog  Johann  pilgerte  zum 
Papste.  Dieser  wies  seine  Bitte  um  Gnade  zurück,  denn  sein  Vergehen 
sei  nach  weltlichem  Rechte  zu  strafen.  Als  Heinrich  VII.  1312  in  Pisa 
weilte,  warf  sich  der  reuige  Verbrecher  ihm  zu  Füfsen.  Heinrich  verzieh  ihm, 
hielt  ihn  aber  in  Gefangenschaft,  in  der  er  am  13.  Dezember  1313  starb. 


2.  Kapitel. 

Der  Beginn  der  Opposition  gegen  die  weltliche  Oberherrschaft 

des  Papsttums. 

§  46.    Die  Sizilianische  Vesper1)  und  das  Ende  Karls  ron  Anjou. 

Quellen,  s.  Capasso  S.  120 ;  ob.  §31,  32.  Giudice  (Giov.  del),  Codice  diplo- 
matico  di  Carlo  I.  et  II.  d'Angiö.  Nap.  1863 — 1896.  Ricordi  e  docunienti  del  Vespro 
Sicil.  Docurnenti  inediti.  Palermo  1882.  Altre  narrazioni  del  V.  S.  Mil.  1887.  G  e  - 
s  Chi  cht  schreib  er.  Annales  Siculi  bis  1282.  MM.  G.  SS.  XIX,  494.  Cronica  del 
ribellamentu  di  Sicilia  contra  Re  Carlu  1282,  ed.  V.  di  Giovanni  1882.  (Andere  Ausg. 
Potth.  I,  230).  Processo  istorico  della  insurrezione  etc.  in  Ricordi  e  docurnenti  del 
Vespro  Sicil.  I,  1882.  Adam  de  la  Halle :  C'est  du  roi  de  Sezile  in  Buchon  Coli.  VII. 
1828.  Athanasius  Acensis,  De  adventu  Catanam  regis  Jacobi  narratio,  ed.  V.  die  Gio- 
vanni in  Cronache  Siciliane.  Bologna  1865.  Bartholomaeus  de  Xeocastro  (Zeitgen. 
Gesandter  Jakobs  von  Arag.  bei  Honor.  IV.).  Historia  Sicula  a  morte  Friderici  II.  (1250 
bis  1294).  Murat.  XII,  1013—1096.  Xikolaus  Specialis,  Historia  Sicula  a.  a.  1282  bis 
1337.  Mur.  X,  917 — 1092.  Muntaner,  En  Ramon,  Chronica  o  descripcio  dels  fets 
e  hazanyes  del  inclyt  rey  Don  Jauine,  ed.  Buchon  Chroniques  etrangeres  1840.  Deutsch 
v.  Lang.  Lit.  Ver.  Stuttgart  1844.  Lit.  bei  Potth.  I,  798.  Marino  Sanudo  (Torsello), 
Storia  di  Carlo  Angiö,  ed.  Hopf.    Xap.  1862.    Villani  lib.  VII.    Erg.  b.  Molinier,  III,  165  ff. 

Hilfsschriften.  Pedone-Lauriel,  Bibliografia  del  6.  centenario  del 
Vespro  Siciliano.  Palermo  1882  (s.  auch  JGW.  V,  II,  326).  Saint  P  r  i  e  s  t ,  Histoire  de 
la  conquete  de  Xaples  par  Ch.  d' Anjou.  Paris  1847 — 1849.  Amari,  La  guerra  del 
Vespro  Siciliano,  9a  ed.  Milano  1886.  Ricordi  e  docurnenti  wie  oben.  Minie ri- 
Riccio,    Genealogia   di   Carlo    I.  d'Angiö.     Xaples    1857.     II    regno    di    Carlo  I.  negli 

anni  1271   e    1272.     Xaples   1875 dal   anno  1275    al  1285.     Flor.  1875—81,  11  voll. 

Della  dominazione  iVngioina  .  .  .  Xaples  1876.  Memoria  della  guerra  di  Sicilia  1282 
bis  1284.  Xaples  1876.  (Die  anderen  Schriften  Minieri-Riccios  s.  bei  Monod  p.  202 
u.  Capasso  wie  oben.)  O.  Hartwig,  Giovanni  Villani  und  die  Leggenda  di  Messer 
Gianni  di  Procida.  HZ.  XXV,  233.  Dazu  d.  lehrreichen  Besprechungen.  HZ.  LVI,  551. 
Buscemi,  Vita  di  Giovanni  da  Procida.  Pal.  1838.  V.  di  Giovanni,  Giovan 
da  Procida  e  il  ribellamento  di  Sicilia  nel  1282.  1870.  Renzi,  II  secolo  XIII.  e  Giov. 
da  Procida.  Xap.  1860.  Rosa,  G.  da  Procida.  Arch.  stör.  Ital.  XVII.  Cadier, 
Essai  sur  l'administration  du  royaume  de  Sicile  sous  Charles  Ier  et  Charles  II  d' Anjou. 
Paris  1890.  Von  Wichtigkeit  ist  Durrieu,  Les  archives  Angevines  de  Xaples  (2  Bde., 
1265—1285).  Paris  1887.  Auch  einzelnes  v.  Scaduto,  Stato  e  Chiesa  etc.,  Palermo  1897, 
gehört   hieher.     Gregorovius   V.     Reumont  II.     Leo,  Gesch.  d.  ital.  Staaten  IV. 


x)  Xach  Amari  stammt  die  Bezeichnung  Sizil.  Vesper  erst  aus  dem  Ende  des 
15.  Jahrh. :  Sulla  orig.  della  denominazione  »Vespro  siciliano«.  Palermo  1882.  Der  erste 
Autor,  der  das  Wort  in  seinem  heutigen  Gebrauch  anführt,  ist  Pandolfo  Collenuccio, 
dessen  Geschichte  von  Neapel  1539  gedruckt  wurde.  Es  ist  in  der  Zeit  Karls  VIII.  ent- 
standen, als  man  die  Schmach  der  Invasion  der  Franzosen  bitter  empfand. 


204  Die  Siziliardsche  Vesper. 

1.  Das  stetige  Wachstum  des  französischen  Einflusses  in  Italien 
ist  durch  die  Verordnung  Karls  von  Anjou  vom  Jahre  1277  bezeichnet, 
die  bestimmt  war,  den  Gebrauch  der  französischen  Sprache  unter  die 
Gewohnheiten  seines  Reiches  einzubürgern.1)  Indem  Martin  IV.  die  von 
Nikolaus  III.  stark  eingeschränkten  Machtbefugnisse  Karls  wieder  her- 
stellte, konnte  dieser  die  Pläne  seiner  normannischen  und  staufischen 
Vorgänger  auf  Konstantinopel  und  den  ganzen  Orient  wieder  aufnehmen. 
Die  Sizilianische  Vesper  bereitete  ihnen  indes  ein  unverhofftes  Ende. 
Der  Übermut  französischer  Emporkömmlinge  und  des  mit  den  Gütern 
der  Anhänger  Manfreds  ausgestatteten  französischen  Adels,  die  Ver- 
legung der  Residenz  von  Palermo  nach  dem  aus  politischen  Motiven 
begünstigten  Neapel,  am  meisten  der  harte,  trotz  der  gegenseitigen  Zu- 
sicherungen Karls  noch  vermehrte  Steuerdruck  und  das  ganze  Regiment, 
welches  das  Nationalgefühl  des  Volkes  beleidigte  und  dessen  Wohlstand 
schädigte,  erzeugte  in  allen  Schichten  der  sizüischen  Bevölkerung  eine 
tiefe,  von  den  Paläologen  und  dem  Hause  Aragon  geschürte  Bewegung, 
deren  Seele  Johann  von  Procida2)  wurde,  ein  Anhänger  Manfreds,  der, 
seiner  Güter  beraubt,  am  Hofe  Pedros  von  Aragonien,  des  Schwieger- 
sohnes Manfreds,  eine  Zufluchtsstätte  gefunden  hatte  und  die  Vertreibung 
der  Franzosen  aus  Sizilien  zu  seiner  Lebensaufgabe  machte.  Von  Pedro 
mit  Geldmitteln  versehen,  wiegelte  er  Adel  und  Volk  Siziliens  auf,  unter- 
richtete Michael  Paläologus  von  den  wider  ihn  gerichteten  Plänen  Karls 
und  wüfste  auch  Nikolaus  III.  für  Aragons  Rechte  günstig  zu  stimmen. 
Auch  nach  dem  Tode  dieses  Papstes  setzte  er  seine  Anstrengungen  fort. 
Michael  VIII.  versprach  reichliche  Geldhilfe,  doch  steht  Pedros  Fahrt 
nach  Afrika  mit  dem  Ausbruch  der  Bewegung  auf  Sizilien  in  keinem 
inneren  Zusammenhang.  Zur  Erhebung  bedurfte  es  nur  eines  Anlasses. 
Dieser  fand  sich  in  Palermo.  Als  das  Volk  nach  altem  Brauch  am 
Ostermontag  1282  nach  S.  Spirito  zog,  um  dort  der  Vesperandacht  bei- 
zuwohnen, griff  einer  der  Franzosen  unter  dem  Vor  wand,  nach  ver- 
botenen Waffen  zu  suchen,  eine  edle,  von  ihren  Eltern  und  ihrem  Bräu- 
tigam begleitete  Jungfrau  schamloser  Weise  an.  Ein  junger  Mann  rifs 
ihm  die  Wehr  von  der  Seite  und  durchbohrte  ihn,  die  Frauen  stoben 
auseinander,  die  Männer  trieben  die  Franzosen  mit  Steinwürfen  in  die 
Stadt  zurück  und  machten  alle  nieder,  deren  sie  habhaft  wurden.  Rasch 
verbreitete  sich  der  Aufstand  über  die  Insel.  Die  Bewohner  der  meisten 
Städte  pflanzten  das  Reichspanier  auf,  das  noch  aus  der  staufischen  Zeit 
in  guter  Erinnerung  stand,  und  errichteten  republikanische  Gemeinwesen. 
An  die  Stelle  der  angiovinischen  Herrschaft  sollte  eine  Föderativrepublik 
mit  dem  Vorort  Palermo  unter  formeller  Schutzherrschaft  der  Kirche 
treten.  Bald  schlofs  sich  auch  der  Adel  an.  Karl  sandte  die  gegen 
Konstantinopel  bestimmte  Flotte  vor  Messina,  wies  aber  Vermittlungs- 
versuche der  Messinesen  zurück.     Erst  jetzt  wandten  sich  die  Sizilianer 

*)  S.  Durrieu,  Not.  bot  les  registres  Angev.  Ec.  Franc,  de  Rome,  Mel.  I,  3. 
MJÖG.  IV,  3  H. 

2}  Der  grofse  Einflufs  Procidas  ist  aber  von  Amari  bestritten  worden  JBG.  1882  . 
S.  auch  Hartwig  in  d.  HZ.  XXV  u.  LV,  554. 


Die  Häuser  Anjou  und  Aragonien.     Ende  Karls  von  Anjou.  205 

an  Pedro,  der  mit  seiner  Flotte  am  30.  August  1282  vor  Trapani  er- 
schien und  am  2.  September  in  Palermo  einzog,  wo  er  zum  König  ge- 
krönt wurde.  Pedros  Admiral  Roger  de  Loria  brachte  der  Flotte  Karls 
vor  Messina  schwere  Verluste  bei,  zog  dann  gegen  Kalabrien  und  ver- 
nichtete 80  französische  Schiffe.  Für  Konradins  Hinrichtung  mufste  der 
bei  Catona  gefangene  Neffe  Karls,  der  Graf  von  Alencon,  büfsen,  der  vom 
Volke  in  Stücke  gehauen  wurde. 

2.  Bei  der  Unmöglichkeit,  seinen  Gegner  in  offenem  Kampfe  zu 
besiegen,  forderte  ihn  Karl  zum  Zweikampfe  heraus,  der  aber  nach 
englischen  Berichten  vom  Papste  verboten  wurde.1)  Wiederholt  sprach 
Martin  IV.  den  Bann  gegen  Pedro  aus,  die  Bewegung  gegen  die  Fran- 
zosen ergriff  aber  bald  ganz  Italien.  In  Rom  wurde  die  französische 
Besatzung  niedergehauen,  die  senatorische  Gewalt  Karls  für  erloschen 
erklärt  und  ein  Volksregiment  eingesetzt  (1284  Januar).  Konrad  von 
Antiochien,  der  dem  Blutbad  von  Alba  entronnen  war,  tauchte  an  der 
Spitze  bewaffneter  Scharen  auf,  um  sich  in  den  Besitz  seiner  Grafschaft 
Alba  zu  setzen.  Es  half  wenig,  dafs  der  Papst  als  Oberlehensherr 
Aragoniens  dieses  Reich  dem  König  Pedro  absprach  und  dem  zweiten 
Sohne  Philipps  III.  von  Frankreich,  Karl  von  Valois,  zuwies.  Aragonien 
schlofs  sich  nur  um  so  eifriger  an  Pedro  an.  Allerdings  hatte  es  sich 
nunmehr  gegen  zwei  Feinde  zu  wehren.  Den  Kampf  gegen  Frankreich 
führte  Pedro  selbst,  den  wider  Karl  sein  Admiral  Roger  de  Loria,  der 
bedeutendste  Seeheld  jener  Zeit.  Pedro  sandte  seine  Gemahlin,  Man- 
freds Tochter  Konstanze,  mit  den  Infanten  Jayrne  und  Friedrich  nach 
Sizilien,  wo  sie  als  angestammte  Herrin  mit  Jubel  begrüfst  wurde.  Am 
8.  Juni  1283  schlug  Loria  die  Provencalen  bei  Malta  und  zwei  Wochen 
später  vor  Neapel.  Hier  wurde  Karls  einziger  Sohn,  Karl  von  Salerno, 
gefangen  und  Manfreds  Tochter  Beatrix  befreit.  Die  Sizilianer  begehrten 
die  Hinrichtung  des  gefangenen  Prinzen  als  Rache  für  Konradins  Tod, 
aber  Konstanze 2)  schenkte  dem  Sohne  ihres  Todfeindes  das  Leben.  Von 
Trübsinn  heimgesucht,  vielleicht  auch  von  Gewissensqualen  gefoltert 
starb  Karl  in  Foggia  (1285,  7.  Januar).  Seine  Schöpfungen  waren  grofsen- 
teils  zusammengebrochen,  sein  Sohn  in  den  Händen  der  Gegner.  Die 
Verwaltung  des  Reiches  übernahm  zunächst  Graf  Robert  von  Artois. 
Im  November  1285  starb  auch  Pedro.  Sizilien  erhielt  sein  zweiter  Sohn 
Jayme,  doch  unter  der  Bedingung,  dafs  er  in  Aragonien  nachfolgen  sollte, 
falls  sein  älterer  Bruder  Alfons  kinderlos  stürbe.  In  diesem  Fall  sollte 
Sizilien  an  Pedros  dritten  Sohn  Friedrich  gelangen.  Jayme  wurde  am 
2.  Februar  1286  in  Palermo  gekrönt.  Trotz  der  kräftigen  Unterstützung 
Anjous  durch  den  Papst  und  Frankreich  behaupteten  die  Sizilianer  das 
Feld.  Ihre  Flotte  gewann  Erfolg  auf  Erfolg.  Im  Jahre  1286  landeten 
sie  an  der  römischen  Küste,  nahmen  Astura  und  hieben  einen  Sohn  des 
Verräters  an  Konradin  nieder.  Zu  gleicher  Zeit  ßrrangen  die  Aragonesen 
auch  im  Westen  Erfolge.    Die  ersten  Friedensverhandlungen  wurden  von 

*)  Nach  Muntaner  stellte  Pedro  sich  in  der  Tat  in  Bordeaux,  aber  sein  Gegner 
erschien  nicht. 

3)  Sie  starb  1300  in  Barcelona. 


206  ^as  Papsttum  unter  Honorius  IV.  und  Nikolaus  IV. 

England  eingeleitet;  doch  erst  1288  kam  ein  Vergleich  zustande,  der 
Karl  IL  die  Freiheit  wiedergab;  er  hatte  100000  Mark  an  Aragonien 
zu  zahlen  und  einen  förmlichen  allseitigen  Frieden  zustande  zu  bringen. 
Das  gelang  ihm  aber  nicht,  denn  weder  der  Papst  noch  Karl  von  Valois, 
der  »König  ohne  Land«,  wollten  davon  etwas  wissen.  Als  Alfons  III. 
von  Aragonien  starb,  folgte  ihm  König  Jayme  von  Sizilien.  Dieser 
verzichtete  wohl  auf  dem  Kongrefs  zu  Tarascon  auf  Sizilien  wie  Karl 
von  Valois  auf  Aragonien,  aber  die  Sizilianer  riefen  nun  Pedros  dritten 
Sohn  Friedrich  EIL  (1296 — 1337)  zum  König  aus. 

§  47.    Bonifaz  VIII.   und  die  Überspannung  der  päpstlichen 

Machtansprüclie. 

Quellen.  S.  d.  Vera,  in  der  RE.  f.  prot.  Thcol.  III,  290.  Dazu  H.  Finke, 
Aus  den  Tagen  Bonifaz'  VIII.  Funde  u.  Forschungen.  Münster  i.  TV  1902.  Finke  teilt 
an  Quellen  mit:  1.  Bericht  über  das  Pariser  Nationalkonzil  von  1290.  2.  Bericht 
Aragonesischer  Gesandten  von  der  Kurie.  3.  Zu  den  Anklagen  gegen  Bonifaz  VIII. 
einen  Traktat  zu  dessen  Verteidigung.  4.  Die  dem  Kardin.  Joh.  Atonachus  irrig 
zugeschriebene  Glosse  zur  Bulle  Unam  Sanctam.  5.  Die  Schriften  Arnolds  von 
Villanova.  Die  Register  der  Päpste  Honorius  IV.,  Nikolaus  IV.,  Bonifaz  VIII.  und 
Benedikt  XI.  publ.  in  der  Biblioth.  des  Ecolea  de  Rome  et  d'Athenes  von  Prou,  Langlois, 
Digard,  Faucon  u.  Thomas  (noch  nicht  vollendet;.  Potth.  u.  Theiner  wie  oben.  Die 
Biographien  der  gen.  Päpste  bei  Murat.  III,  2,  611  ff.  Vita  Honorii  IV.,  611—612, 
Nicolai  IV,  612 — 613.  Wichtig  die  Vita  Coelestini  V.  Opus  metric.  Jacobi  Cardinalis 
613 — 668.  Vita  s.  Petri  de  Murrone  auct.  Petro  de  Alliaco.  AA.  SS.  19.  Mai.  Jacobus 
Cardinalis:  De  electione  et  coronatione  Bonifacii  VIII.  papae  libri  duo,  Muratori  III, 
2,  142.  Acta  inter  Bonifacium  VIII.,  Benedictum  XL,  dementem  V.  et  Philipp  pulchrum. 
Paris  1614.  Zwei  Berichte  über  das  Attentat  von  Anagni  Relationes  de  Bonifacio  VIII 
papa  capto  et  liberato  .  MM.  Germ.  SS.  XXVIII,  622.  Processus  factus  iussu  D.  Cle- 
mentis  V.  etc.  Abh.  d.  bayr.  Akad.  d.  W.  Bd.  III.  Abt.  3.  (Denkschr.  XVII.  München  1843.) 
Vulgerius,  Versus  in  Bonifacium  VIII.  Eccard,  Corp.  hist.  med.  aevi  II,  p.  1849 — 58. 
Chronica  TTrbevetana  1294 — 1304 ,  ed.  Himmelstein.  München  1882.  Ann.  Eccl.  v. 
Raynald  wie  oben.  Die  Denkschriften  der  Colonna  gegen  Bonifaz  VIII.  und  der 
Kard.  geg.  d.  Colonna  v.  Denifle.    ALKG.  V,  493. 

Hilf  s  schriften:  S.  Zöpffel-Hauek  in  d.  RE.,  I.  S.  292.  Aufser  den  all.  Gesch. 
der  Päpste  u.  Gregorovius  [wo  das  reiche  Arch.  d.  Familie  Gaetani  ausgenützt  ist) 
und  Reumont  II.  vornehmlich:  Marini,  Vita  e  miracoli  di  Pietro  del  Morone.  Mai- 
land 1640.  Schulz,  Peter  von  Murrhone  als  Papst  Cölestin  V.  ZKG.  XVII.  u.  Berl. 
Dies  1894.  Roviglio,  La  Rinunciä  di  Celestino  V.  Verona  1893.  Celidonio, 
Vita  di  s.  Pietro  del  Morrone,  Celestino  papa  V.  1895.  Baumgarten,  Die  Kardinals- 
ernennungen Cölestins  V.  Festschrift  z.  1100  jähr.  Jub.  d.  deutsch.  Campo  Santo.  S.  auch 
S.  Pierre  Celestin  in  Annal.  Boland.  XVI  u.  jetzt  vor  allem  H.  Finke,  wie  oben.  Tosti, 
Storia  di  Bonif.  VIII.  1846.  Drumann,  Gesch.  Bonif.  VIII.  Königsb.  1852.  Bai  an, 
II  processo  di  Bon.  VIII.  Rom  1881.  Souchon,  Die  Papstwahlen  von  Bonifaz  VIII. 
bis  Urban  VI.  Braunschw.  1888.  Sägmüller,  Tätigkeit  u.  Stellung  d.  Kardin.  bis 
Bonifaz  VIII.  Th.  Q.-Schr.  83.  S.  dazu  Wenck  in  den  GGA.  1900,  S.  139—175. 
Chantrel,  Bonif.  VIII.  Paris  1862.  Hefele,  Konziliengesch.  VI.  Ehrle,  Die 
Spiritualen,  ihr  Verhältnis  zum  Franzisk.-Orden  u.  den  Fraticellen.  ALKG.  I,  509 
(p.  521.  Die  epist.  excusat.),  II,  106,  (Über  die  Abd.  Cölest.  VIII.,  525.  aus  Olivis  Leben 
und  Schriften). 

1.  Nach  dem  Tode  Martins  IV.  wurde  Jakob  aus  dem  Hause 
Savelli  gewählt,  der  in  Erinnerung  an  den  ersten  Papst  dieses  Hauses 
den  Namen  Honorius  IV.  (1285 — 1287)  annahm.     Stand  er  als  Römer 


Cölcstin  V  und  Bonifaz  VIII.  207 

in  seiner  äufseren  Politik  freier  da  als  sein  Vorgänger,  so  hielt  er  doch 
an  dem  Hause  Anjou  ebenso  fest  wie  Nikolaus  IV.  (1288 — 1292),  der 
erste  Minorit  auf  dem  päpstlichen  Stuhl.  Vielfache  Förderung  durch  das 
Haus  Colonna  belohnte  er  dadurch,  dafs  er  ein  Mitglied  des  Hauses 
zum  Kardinal,  ein  anderes  zum  Rektor  der  Mark  Ancona  erhob.  So 
stieg  dieses  seiner  ghibellinischen  Gesinnung  wegen  lange  zurückgesetzte 
Geschlecht  über  die  andern  empor.  Ein  langer  Kampf  zwischen  den 
Häusern  Colonna  und  Orsini,  der  nach  Nikolaus'  Tode  ausbrach,  ver- 
ursachte eine  zweijährige  Vakanz  des  päpstlichen  Stuhles  und  hinderte 
die  Kardinäle  schliefslich  auch,  ihre  Stimmen  auf  einen  bedeutenden 
Mann  zu  vereinigen.  Erst  als  Karl  IL  von  Neapel  drängte,  da  er  zur 
Wiedergewinnung  Siziliens  päpstlicher  Hilfe  bedurfte ,  schritten  die 
Kardinäle  zur  Wahl.  Damals  lebte  in  weltabgeschiedener  Einsamkeit 
auf  dem  Berge  Murrhone  bei  Sulmona  in  den  Abruzzen  ein  Einsiedler 
namens  Petrus,  um  den  sich  ein  eigener  Orden,  die  Murrhoniten,  bildete 
und  der  schon  früh  Beziehungen  zu  den  Spiritualen,  einer  Abzweigung 
der  strengeren  Richtung  der  Franziskaner,  hatte.  In  der  Verlegenheit 
der  Konklaves  wurde  sein  Name  genannt  und  der  Aszet,  der  in  weiten 
Kreisen  als  Heiliger  galt1),  gewählt.  -Er  nannte  sich  Cölestin  V. 
(5.  Juli  bis  13.  Dezember  1294).  Nur  das  inständigste  Bitten  seiner 
Mitbrüder  bewog  ihn,  die  Würde  anzunehmen :  ein  Mann,  dem  die 
Welt  mit  ihren  Bedürfnissen  fremd  und  der  kaum  des  Lateinischen 
mächtig  war;  wenigstens  mufsten  die  Kardinäle  sich  vor  ihm  des 
Italienischen  bedienen.  Karl  IL  bemächtigte  sich  seiner  und  beherrschte 
durch  ihn  die  christliche  Welt.  Dem  Wunsche  Karls  IL  entsprechend, 
ernannte  er  zwölf  angiovinisch  gesinnte  Kardinäle,  und  um  dessen 
Befehlen  auch  ferner  gefügig  zu  sein,  wurde  er  nach  Neapel  geführt. 
Cölestin  V.  fühlte,  dafs  er  seiner  Stellung  nicht  gewachsen  sei.  Unter 
angstvollen  Zweifeln  rang  er  sich  zum  Entschlüsse  durch,  seiner  Würde 
zu  entsagen  —  etwas  Unerhörtes  in  der  Geschichte  des  Papsttums.  Der 
Kardinal  Benedikt  Gaetani  verstand  es,  seine  Zweifel  zu  lösen2):  er 
wies  auf  einen  Präzedenzfall  hin  —  auf  die  Abdankung  Klemens'  I. 
Cölestin  tat  die  »feige  Tat«,  wie  Dante  sie  nennt,  und  nun  wurde  Gaetani 
selbst  in  Castelnuovo  bei  Neapel  zum  Papste  gewählt:  es  ist  Bonifaz  VIII. 
(1294—1303). 

2.  Kein  Gegensatz  kann  schroffer  sein  als  der  zwischen  ihm  und 
seinem  Vorgänger.  Dieser,  der  im  Sinne  des  hl.  Franziskus  sein  Armuts- 
ideal auf  den  Thron  brachte,  jener  ein  Papst,  der  im  Geiste  Gregors  VII. 
und  Innozenz'  III.,  ja  noch  über  beide  hinaus,  des  Papsttums  schranken- 
lose Herrschaft  auch  über  alles  Weltliche  betonte.  Beide  mufsten  an 
ihren  Idealen  scheitern,  denn  der  Gedanke  der  absoluten  Armut  der 
Kirche  war  nur  in  einem  kleinen  Kreise  von  Aszeten  lebendig  und  rief 
den   Widerspruch    der   reich   begüterten   und    die   Welt    beherrschenden 

*)  Von  seinen  Wundern :  Et  vir  Dei  exutam  cucullam  ad  solis  radium  in  aere 
suspendit  non  aliter  quam  suo  imperio.    Max.  Bibl.  Patr.  XXV,  760. 

2)  Was  sich  die  Welt  von  dem  betrügerischen  Vorgehen  Bonifaz'  VIII.  erzählte, 
mag  man  in  den  Königsaaler  Geschichtsquellen  S.  135  lesen. 


208  Bonifaz  VIII.  und  das  Haus  Colorina. 

Hierarchie  wach ,  anderseits  rnufste  auch  Bonifaz  VIII.  die  Erfahrung 
machen,  dafs  die  Zeiten  vorüber  seien,  in  denen  sich  alle  Staaten,  auch  in 
politischen  Dingen,  vor  dem  Papsttum  beugten.  Bonifaz  VIII.  entstammte 
einem  alten,  in  Anagni  ansässigen  Rittergeschlechte,  das  wahrscheinlich 
langobardischen  Ursprungs  war.  Um  die  Mitte  der  dreifsiger  Jahre 
geboren,  theologisch  und  juristisch  geschult,  hatte  er  sich  in  diplo- 
matischen Geschäften  erprobt.  Eine  imponierende  Erscheinung,  trug  er 
oft  genug  einen  Hochmut  zur  Schau,  der  ihm  viele  Feinde  schuf.  Als 
Papst  suchte  er  zuerst  die  Bevormundung  durch  Karl  IL  abzuschütteln 
und  seinen  legitimen  Einflufs  auf  Neapel  zurückzugewinnen.  Daher 
kehrte  er  nach  Rom  zurück,  aber  nicht  ohne  sich  seines  Vorgängers  ver- 
sichert zu  haben;  denn  leicht  konnte  sich  dessen  jemand  bemächtigen 
und  ihn  auf  den  päpstlichen  Stuhl  zurückführen.  Mit  ungeheurem  Pomp 
wurde  nun  Bonifaz  VIII.  in  Rom  gekrönt.  Zwei  Vasallenkönige,  Karl  II. 
von  Sizilien  und  Karl  Martell,  hielten  die  Zügel  des  Zelters.  Mittler- 
weile war  Cölestin  nach  Murrhone  entkommen.  Dort  fanden  ihn  Boten 
des  Papstes.  Er  wurde  nach  einem  Fluchtversuch  zurück-  und  in  das 
Kastell  Fumone  gebracht,  wo  er  nach  kurzer  Zeit  starb  (1296,  19.  März  . 
Bonifaz  VIII.  suchte  zunächst  dem  Hause  Anjou  Sizilien  zurück- 
zugewinnen ,  aber  diese  Versuche  schlugen  fehl  (s.  oben).  Leichter 
erreichte  er  seine  Absichten  im  übrigen  Italien:  in  einzelnen  Städten 
liefs  er  sich  die  oberste  Magistratsgewalt  übertragen,  in  Rom  setzte  er 
aus  eigener  Machtvollkommenheit  Senatoren  ein.  Am  meisten  sorgte 
er  für  das  Gedeihen  seines  Hauses,  und  bald  erhob  sich  mit  den  Gaetani 
eine  neue  Adelsdynastie  im  Kirchenstaat,  welche  die  anderen  zu  ver- 
dunkeln  drohte,  vor  allem  die  der  Colonna;  mit  diesen  geriet  der  Papst 
in  einen  Streit,  der  die  eigentliche  Ursache  seiner  schweren  Katastrophe 
geworden  ist.  Das  Haus  Colonna  war  durch  einen  Familienzwist 
zerfallen.  Indem  sich  Bonifaz  VIII.  einmischte,  verletzte  er  die  Kar- 
dinäle Jakob  und  Petrus  Colonna.  Beide  mifsbilligten  den  engen  Anschlufs 
an  Anjou  und  traten  mit  König  Friedrich  von  Sizilien  in  Verbindung. 
Zudem  waren  einzelne  Kardinäle  mit  den  absolutistischen  Neigungen 
des  Papstes  nicht  einverstanden.  Nun  wurde  betont,  dafs  Bonifaz  nicht 
wahrer  Papst  sei.  da  er  zu  Lebzeiten  Cölestins  V.  gewählt  sei,  ein  Papst 
aber  nicht  abdanken  dürfe.  Da  sich  die  Opposition  um  die  Kardinäle 
Colonna  scharte,  verlangte  Bonifaz  die  Aufnahme  einer  Besatzung  in  die 

i  CD  O 

ihnen  gehörigen  Burgen,  vornehmlich  in  Palestrina,  dem  alten  Präneste. 
Dies  wurde  verweigert.  Als  er  auch  noch  von  den  Gerüchten  über  die 
Unrechtmäfsigkeit  seiner  Würde  Kunde  erhielt,  lud  er  Peter  Colonna 
vor,  der  aber  mit  seinem  Oheim,  dem  Kardinal  Jakob,  entwich.  Er  ent- 
setzte beide  ihrer  Würde,  worauf  sie  in  einem  Manifest  ihm  ihre 
Anerkennung  verweigerten  und  an  ein  allgemeines  Konzil  appellierten. 
Der  Papst  sprach  den  Bann  über  sie  aus,  liefs  das  Kreuz  gegen  sie 
predigen  und  ihre  Burgen  besetzen.  Nur  Palestrina  hielt  sich.  Auch 
dieses  gewann  der  Papst,  indem  er  den  Kardinälen  Verzeihung  zusicherte. 


1    Über  sonstige  Motive  der  Verfemdung  s.  Finke,  S.  122. 


Das  Jubiläum  von  1300;     Die  Machtstellung  Bonifaz'   VIII.  209 

Kaum  war  Palestrina  in  seinen  Händen,  so  wurde  es  von  Grund  aus 
zerstört.  Da  die  Colonna  überdies  nicht  in  ihre  früheren  Rechte  und 
Besitzungen  eingesetzt  wurden,  erhoben  sie  Klage,  wurden  nunmehr  aber 
nochmals  gebannt  und  geächtet  und  ihrer  Güter  beraubt.  Sie  fanden 
Hilfe  bei  befreundeten  Ghibellinen  und  teils  in  Sizilien,  teils  in  Frank- 
reich Aufnahme. 

3.  Grofs  waren  die  Erfolge  des  Jubiläums  von  1300,  von  dessen 
aufserordentlicher  Pracht  alle  Quellen  Wunderdinge  berichten.  Ungeheure 
Geldsummen  gingen  ein.  Einen  Teil  hievon  verwendete  Bonifaz  VIII. 
zur  Herstellung  der  Kirchen;  das  meiste  dürfte  seiner  auswärtigen 
Politik,  vorab  dem  Kampfe  gegen  Sizilien,  zugute  gekommen  sein. 
Den  Christenscharen,  die  nach  Rom  pilgerten,  erschien  er  als  der 
wahre  Herrscher  auf  Erden:  sie  bewunderten  hier  den  Glanz  der  päpst- 
lichen Residenz  und  die  Herrlichkeit  des  Gottesdienstes.  Bonifaz  selbst 
zeigte  sich,  wie  erzählt  wird,  an  einem  Tage  im  Pontifikal-,  am  zweiten 
im  kaiserlichen  Schmuck,  um  seine  geistliche  und  weltliche  Herrschaft 
über  alle  Reiche  anzudeuten.  Nicht  allen  freilich  war  diese  Erscheinung 
erwünscht.1)  Dafs  diese  Ansprüche  des  Papstes  nicht  blofs  theoretische 
waren,  beweist  sein  Vorgehen  im  deutschen  Thronstreit  (§  44),  in  den 
Kämpfen  um  die  Nachfolge  in  Ungarn  (§  45),  gegen  Erich  VIII.  von 
Dänemark,  den  er  im  Streit  mit  dem  Erzbischof  von  Lund  (1302)  zur 
Unterwerfung  zwang,  vor  allem  aber  in  der  englisch-schottischen  Streit- 
frage und  in  seinem  Kampfe  mit  Philipp  IV.  von  Frankreich. 

§  48.    Eduard  I.    Der  schottische  Freiheitskampf  und  die  Weiter- 
bildung der  englischen  Verfassung. 

Quellen  (auch,  für  die  Gesch.  Eduards  II.).  S.  Grofs,  S.  256.  Liebermann 
in  DZG.  IV,  VIII.  Stubbs,  Sei.  Charters.  Oxf.  1890.  Urkunden  und  Briefe: 
Eymer,  w.  oben.  Calend.  of  the  patent  rolls  .  .  .  Edward  I.  AD.  1281 — 1307. 
Lond.  1893.  Edward  II.,  1307—27,  ib.  1894.  Cal.  of  the  close  rolls  Edward  I,  1272—79, 
ib.  1900.  Documenta  illustrating  of  Engl.  hist.  in  the  XIII— XIV  cent.,  ed.  Cole,  ib.  1844. 
Rotuli  parliamentorum  6  voll.  (1278 — 1503),  s.  Grofs  2010.  Parliamentary  writs,  ed. 
Palgrave.  Lond.  1827—34.  Records  of  the  pari,  at  Westminster  in  1305.  RS.  98,  1893. 
Year-Books  of  the  reign  of  king  Edward  I.  Years  XX— XXII,  XXX— XXXV.  RS. 
1866 — 79,  s.  Grofs  p.  353.  Les  reports  des  cases  (Edw.  II  jusqu'ä  Henry  VIII)  12  parts. 
Lond.  1678 — 80.  Für  die  kirchl.  Verhältnisse  bieten  aufser  Wilkins  II  viel  d.  Registrirm 
Dunelmense  (1311—1374).  RS.  1873.  Malmesburiense.  RS.  72.  Die  Historians  of 
the  Church  of  York  III.  RS.  71.  Das  Reg.  ep.  Johann,  de  Peckham.  RS.  77.  Ramsay 
Cartulary  ib.  79.  Litt.  Cantuar.  RS.  85.  The  red  book  of  the  exequer.  RS.  90. 
Rotuli  Scotiae.  Lond.  1814 — 19.  2  Bde.  Doc.  and  records  illustr.  the  hist.  of  Scotland 
etc.,  ed.  Palgrave.  Lond.  1837.  Docum.  illustr.  of  the  hist.  of  Scotland  1286—1306, 
ed  Stevenson.  Ed.  1870.  Instrumenta  publica  super  fidelitatibus  .  .  .  Scotorum  domino 
regi  Angliae  factis  1291—96  Ed.  1834.  Diary  of  the  exped.  of  Edward  I  into  Scotl., 
ed.  Tytler,  ib.  1827.  Scotland  in  1298:  doc.  ed.  Gough.  Lond.  1898.  Rotulus  Walliae,  ed. 
Philipps  ib.  1865.  Calendar  of  doc.  relat,  to  Ireland  1171—1307,  ed.  Sweetmann  and 
Handcock  ibid.  1886.  Historial  and  munic.  Documents  of  Ireland.  RS.  1870.  'S.  auch 
Itinerarv  of  K.  Edward  1272—1307,  ed  bv  Gough  1900.  Calendarium  genealogicum 
wie  S  36. 


l)  Dante,  Fegefeuer  XVI,  106. 
Loserth,    Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  14 


210  Die  Anfänge  Eduards  I.     Ziele  seiner  Politik. 

Geschichtschreiber.  Annales  rnonastici  s.  oben.  Annales  London.  RS. 
1882.  Trevet,  Ann.  sex  regum  Angl.  bis  1307,  ed.  Hog  1849.  Rishanger,  Lanercost, 
Hernmingburg,  Flores  Hist.  wie  oben.  Chron.  nion.  de  Melsa.  ES.  1867.  2  Bde. 
Cotton,  Hist.  Angl.  bis  1298.  RS.  1859.  Langtoft,  The  chronicle  bis  1307.  Rolls  Ser. 
1866 — 68.  Annales  regni  Scotiae.  Rolls  Ser.  Lond.  1863.  Ann.  Edward  L,  ebenda. 
Barbour,  The  book  of  Robert  de  Broyss,  ed.  Skeat,  Edinb.  1894.  Fordun,  Chronica  gentis 
Scotorum  bis  1383,  ed.  Skene,  Edinb.  1871.  Commendatio  lamentabilis  in  transitu 
niagni  regis  Edwardi.  Rolls  series.  Lond.  1883.  Annales  Paulini,  Rolls  Ser.  Lond.  1882. 
Baker,  Chronicon  Galfridi  le  Baker  de  Swynebroke  bis  1356.  Oxf.  1889.  Blaneford, 
Chronica.  Rolls  Ser.  1866.  Gesta  Edwardi  de  Canarvan  auctore  canon.  Bidlingtoniensi. 
Rolls  Series.  Lond.  1883.  Thoniae  Gray,  Scalachronica.  Edinb.  1836.  John  of 
Trokelowe,  Annales  bis  1232.  Rolls  Ser.  1866  (nur  für  Ed.  IL).  Vita  Edwardi  LT.,  ed. 
Stubbs.  Rolls  Ser.  Lond.  1883.  Thomas  de  la  More,  Vita  et  mors  Edwardi  regis  Angliae 
(1307—1327).  Rolls  Ser!  Lond.  1883.  Ann.  Cambriae,  Rolls  Ser.  Lond.  1860.  Annais 
of  Loch  Ce  I,  IT.  Rolls  Ser.  1871.  Annais  of  Ireland,  ib.  80.  Für  einzelnes  auch 
Knigthon,  Walsingham  u.  Higden ,  s.  oben.  Adae  Murimuth,  Cont.  Chronicorum. 
Rolls  Ser.  93.  Auch  Nikolaus  von  Harpesfield,  Hist.  Angl.  Douai,  1622,  hat  mitunter 
Quellenwert. 

Hilfsschriften.  Pauli  IV.,  Green e,  Gneist,  Stubbs,  Freemann, 
Hist.  Essays  wie  oben.  —  Dazu:  Burton,  History  of  Scotland,  2  ed.  Edinb.  1873. 
S  e  e  1  e  y ,  The  life  and  reign  of  Edward  I.  London  1872.  T  o  u  t ,  Edward  I.  Lond.  1893. 
Black,  Edward  I  and  Gascony  in  1300.  EHR.  XVII,  518.  Robert  the  Bruce  and 
the  struggle  for  Scot.  independence.  X. York  1897.  Dirnitresco,  Pierre  de  Gaveston. 
Paris  1898.  Dodge,  Pierre  Gaveston:  a  chapter  to  early  constitutional  history. 
Lond.  1899  (s.  aber  Grofs  2849).  Doc.  relat.  of  the  death  of  Edw.  II  s.  Gross  285*2. 
Loserth,  Stud.  zur  engl.  Kirchenpolitik.  Wien.  SB.  CXXXVI.  Riefs,  D.  Ursprung 
d.  engl.  Unterhauses.  HZ.  LX,  1.  Morris,  The  walsh  wars  of  Edw.  I.  Oxford  1901. 
Bain,  The  Edwards  in  Scotland  1296—1377.     Edinb.  1901. 

1.  Als  Heinrich  III.  starb,  befand  sich  sein  ältester  Sohn  E  d  u  a  r  d 
(1272 — 1307)  auf  der  Rückkehr  vom  Kreuzzug.  In  Orvieto  unterhandelte 
er  mit  Gregor  X.  über  eine  kräftige  Unterstützung  des  hl.  Landes.  Er 
gehörte  zu  den  letzten  Fürsten,  die  sich  noch  für  dessen  Eroberung  be- 
geisterten. Auf  der  Heimreise  setzte  er  sich  mit  Philipp  III.  über  die 
Streitigkeiten  zwischen  Frankreich  und  England  auseinander  und  sicherte 
seinen  festländischen  Besitz.  Am  19.  August  1274  wurde  er  in  West- 
minster  gekrönt.  Schon  als  Kronprinzen  hatten  ihn  hohe  Tugenden  aus- 
gezeichnet. Beim  Ausbruch  des  Bürgerkrieges  bemüht,  seinen  Vater  zur 
Einhaltung  der  Oxforder  Provisionen  zu  bewegen,  trat  er  gleichwohl  bei 
der  Gefahr  der  Krone  auf  die  Seite  des  Vaters.  Simon  von  Montfort 
war  sein  Meister  in  der  Kriegskunst,  aber  auch  in  jener  Selbstbeherrschung, 
die  ihm  gestattete,  seine  Erfolge  in  mafsvoller  Weise  auszunützen.  Man 
merkte  sofort,  dafs  eine  kräftige  Hand  das  Staatsruder  lenke.  Um  die 
Macht  der  Krone  zu  stärken,  ward  alles  entfremdete  Krongut  vom  Klerus 
und  Adel  zurückgenommen,  das  weitere  Anwachsen  des  Besitzes  der 
Toten  Hand  verboten  und  dadurch  verhindert ,  dafs  Lehensträger  sich 
ihren  Pflichten  gegen  König  und  Reich  entzogen.  Auflagen,  Zehenten 
und  freiwillige  Gaben,  die  während  der  Wirren  der  letzten  Regierung  in 
Vergessenheit  gekommen  waren,  wurden  eingefordert,  die  Münze  ver- 
bessert  und   jede  Münzverschlechterung   mit  Landesverweisung  bestraft. 

2.  Die  äufsere  Politik  unter  Eduard  L,  die  kraftvollste  seit  Heinrich  IL, 
ist  gekennzeichnet  durch  die  Eroberung  von  Wales,  die  Erwerbung  der 


Die  Eroberung  von  "Wales.     Die  Oberherrschaft  über  Schottland.  211 

Oberherrschaft  über  Schottland  und  die  Kriege  gegen  Frankreich.  Während 
der  Regierung  Heinrichs  III.  hatte  Llevellyn  IL,  der  Fürst  von  Wales1), 
im  Bunde  mit  Frankreich  gegen  England  Erfolge  errungen.  Als  er  jetzt 
die  Huldigung  versagte,  wurde  er  in  die  Acht  erklärt  und  zur  Unter- 
werfung gezwungen.  Noch  verblieb  ihm  Anglesea  und  ein  Teil  vom 
Fürstentum  Wales.  Als  er  vier  Jahre  später,  von  seinem  Bruder  David 
bewogen,  den  Krieg  erneuerte,  wurde  er  erschlagen,  sein  Bruder  gefangen 
und  vom  Parlament  zum  Tode  verurteilt.  Die  nachgeborene  Tochter 
Llevellyns  starb  1337  als  Nonne.  Das  war  der  Ausgang  des  walisischen 
Fürstentums.  Wales  wurde  in  Grafschaften  geteilt  und  Grafschafts- 
gerichte, Jury  und  Zivilverfahren  der  Engländer  den  heimischen  Ge- 
bräuchen angepafst.  Nur  im  Kriminalprozefs  sollte  ausschliefslich  eng- 
lisches Recht  gelten.  Um  die  Walliser  für  sich  zu  gewinnen,  gab 
Eduard  seinem  Sohne,  der  in  ihrem  Lande  geboren  war  (1284),  den 
Titel  eines  Prinzen  von  Wales,  der  fortan  dem  jeweiligen  Thronfolger 
verblieben  ist. 

3.  Von  besonderer  Bedeutung  war  es,  dafs  Schottland  lehenspflichtig 
wurde.  Dieses  Land  bildete  noch  keine  festgefügte  Einheit.  Es  war 
eine  lose  Vereinigung  mehrerer  durch  ihren  Dialekt  und  ihre  Geschichte 
von  einander  geschiedener  Keltenstämme.  In  der  Zeit  König  Knuts  war 
das  nördliche  Northumbrien  —  Lothian  —  als  Lehen  an  die  schottischen 
Herrscher  gekommen.  Die  Residenz  wurde  nach  Edinburg  verlegt  und 
die  Regierung  nahm  einen  englischen  Charakter  an.  Die  alte  schottische 
Clanverfassung  konnte  sich  nur  im  Hochlande  behaupten.  Im  Süden 
besafsen  die  Angelsachsen,  später  die  Dänen  allen  Einflufs.  Auf  Man, 
den  Hebriden,  Orkaden  und  Shetlandsinseln  gab  es  normannische  Herr- 
schaften. Die  Beziehungen  der  schottischen  Herrscher  zu  England  waren 
je  nach  den  Zeiten  verschieden.  Als  Besitzer  englischer  Kronlehen  waren 
sie  zur  Huldigung  und  Heeresfolge  verpflichtet.  Das  Haus  Plantagenet 
wollte  diese  Lehenshoheit  anfangs  auch  über  das  eigentliche  Schottland 
ausdehnen,  suchte  aber  später  den  Mittelpunkt  seiner  Politik  auf  dem 
Kontinent.  Doch  wurden  Englands  Ansprüche  niemals  ganz  aufgegeben. 
Diese  Verhältnisse  wurden  noch  schwieriger,  als  die  Königshäuser 
beider  Länder  durch  Verwandtschaft  miteinander  verknüpft  wurden. 
Alexander  III.  (1249—1286)  hatte  eine  Tochter  Heinrichs  III.  ge- 
heiratet. Willig  leistete  er  für  seine  englischen  Lehen  die  Huldigung. 
Trotzdem  Eduard  I.  sein  Schwager  war,  ging  seine  Absicht  dahin,  das 
Verhältnis  herzustellen,  wie  es  unter  Heinrich  IL  bestand:  ganz  Schott- 
land unter  die  englische  Lehenshoheit  zu  bringen.  Für  die  Durchführung 
dieses  Planes  lagen  die  Dinge  sehr  günstig.  Alexander  III.  hatte  nur 
eine  Enkelin  Margareta,  die  Tochter  König  Erichs  von  Norwegen,  hinter- 
lassen. Sie  sollte  mit  Eduards  Sohn  vermählt  und  demnach  die  Union 
beider  Reiche  vollzogen  werden.  Da  Margareta  aber  schon  1290  starb 
und  die  direkte  Nachkommenschaft  der  schottischen  Könige  erloschen 
war,  nahm  Eduard  als  Oberlehensherr  das  Recht  in  Anspruch,  über  die 

x)  Die  ältere  Gesch.  v.  Wales  s.  (in  kurzer  Zusammenfassung)  bei  Green,  192  ff. 

14* 


212  Eduards  Erfolge  in  Schottland.     William  Wallace. 

Nachfolge  zu  entscheiden.  Er  legte  dem  Parlament  in  Norham  (1291) 
eine  Staatsschrift  vor,  die  den  Nachweis  führte,  dafs  England  seit  Jahr- 
hunderten die  Oberherrschaft  über  Schottland  besessen  habe.  Die  beiden 
Thronbewerber  Robert  Bruce  und  John  Baliol  erkannten  dies  Recht  an. 
Für  Baliol,  einen  Urenkel  des  schottischen  Königs  David,  sprachen  sich 
die  zu  diesem  Zwecke  versammelten  geistlichen  und  weltlichen  Magnaten 
aus.  Am  20.  November  1292  schwur  er  dem  König  Englands  den  Treu- 
eid, zehn  Tage  später  wurde  er  zu  Scone  auf  dem  alten  Königstein1) 
gekrönt.  Schottland  war  nun  ein  Vasallenstaat  Englands.  Bisher  war 
der  schottische  Herrscher  niemals  verpflichtet  gewesen,  den  Versamm- 
lungen englischer  Barone  beizuwohnen,  englische  Kriegsdienste  zu  leisten 
und  aufserordentliche  Steuern  zu  zahlen;  auch  die  kirchliche  Unab- 
hängigkeit Schottlands  war  anerkannt.  Nun  beriefen  sich  schottische 
Untertanen  gegen  die  Entscheidung  ihres  Königs  auf  den  obersten 
Lehensherrn.  War  Baliol  geneigt,  auch  hierin  nachzugeben,  so  zwang 
ihn  die  Stimmung  seines  Volkes  zum  Widerstand;  die  auswärtigen  Ver- 
hältnisse kamen  ihm  hiebei  zustatten.  Als  Eduard  I.  wegen  des  Be- 
sitzes von  Guienne  mit  Frankreich  in  einen  Krieg  geriet  (s.  §  43),  schlofs 
Baliol  mit  diesem  ein  Bündnis  und  suchte  die  Abhängigkeit  von  Eng- 
land abzuschütteln.  Da  er  dem  König  Eduard  die  Heeresfolge  ver- 
weigerte, zog  dieser,  während  er  sich  in  Südfrankreich  in  der  Defensive 
hielt,  gegen  die  Schotten  und  schlug  sie  bei  Dunbar  (1296).  Baliol  selbst 
wurde  gefangen  und  der  Königstein  nach  der  Westminsterabtei  geführt. 
Schottland  wurde  jetzt  englische  Provinz  und  von  einem  englischen 
Statthalter  nach  englischer  Art  regiert. 

4.  So  grofs  die  Erfolge  der  Engländer  in  Schottland  waren,  fast 
nicht  minder  bedeutend  waren  ihre  Verluste  in  Frankreich,  wo  Philipp 
alles  Land  bis  auf  Bayonne  und  einzelne  feste  Plätze  eroberte.  Die 
Niederlagen  Englands  weckten  die  Hoffnung  der  Schotten,  ihre  Freiheit 
wiederzugewinnen.  Es  kam  zu  einer  Erhebung,  an  deren  Spitze  sich 
der  Ritter  William  Wallace,  ein  Mann  von  ebenso  grofser  Tapferkeit  als 
Schlauheit2),  stellte.  Im  September  1297  gewann  er  bei  Stirling  am 
Forth  einen  glänzenden  Sieg  und  trat  nun  in  Baliols  Namen  an  die  Spitze 
des  Landes.  Eduard,  der  eben  in  Flandern  weilte,  befand  sich  in  der 
bedenklichen  Lage,  einen  Doppelkrieg  zu  führen,  während  in  England 
selbst  sich  die  Opposition  gegen  ihn  regte.  Da  schlofs  er  mit  Philipp  IV., 
der  sich  eben  zum  Streit  gegen  Bonifaz  VIII.  rüstete ,  einen  Vertrag, 
der  ihm  gestattete,  auf  dem  schottischen  Kriegsschauplatz  zu  erschein« n. 
Zuvor  beschwichtigte  er  die  englische  Opposition.  Da  seine  Kriege  viel 
Geld  kosteten ,  war  er  gezwungen ,  Jahr  für  Jahr  die  Beihilfe  seiner 
Untertanen  in  Anspruch  zu  nehmen.  Dabei  ging  es  nicht  ohne  Gewalt- 
tätigkeiten ab.  Der  Adel  mufste  zu  Felde  ziehen  oder  das  Schildgeld 
entrichten ;  vom  Klerus  wurden,  s  da  er  nicht  zu  Felde  ziehen  könne  , 
die  stärksten  Geldleistungen  in  Anspruch  genommen.     Auch  der  Bürger- 


1  Der  hl.  Stein,  ein  länglicher  Block  aus  Kalkstein,  der  Legende  nach  der  näm- 
liche, auf  dem  Jakob  lag,  als  die  Engel  auf-  und  niederstiegen. 

2  Die  Berichte  über  seine  riesenhafte  Stärke  sind  nicht  historisch. 


Das  Steuerbewilligimgsrecht  der  Stünde  Englands.  213 

stand  wurde  schwer  belastet.  Anfangs  wurden  die  Auflagen  willig  gezahlt, 
denn  die  wallisischen  und  schottischen  Kriege  entsprachen  den  Interessen 
des  Landes.  Zu  den  »Parlamenten«  berief  Eduard  neben  dem  hohen  Klerus 
und  Adel  Abgeordnete  der  freien  Gutsbesitzer  aus  den  Grafschaften  und 
Vertreter  der  Städte.1)  Mit  ihnen  wurde  zunächst  über  die  Beisteuer 
zum  Kriege,  dann  aber  auch  über  andere  Landesangelegenheiten,  Staats- 
einrichtungen und  Gesetze,  beraten.  Der  Krieg  gegen  Schottland  wurde 
allmählich  wegen  der  grofsen  Verluste  an  Menschenleben  und  der 
Schädigung  des  Handels  unbeliebt,  der  Adel  weigerte  sich,  Heeresfolge 
zu  leisten  oder  das  Schildgeld  zu  zahlen,  und  der  Klerus  berief  sich  auf 
die  Bulle  des  Papstes  Bonifaz  VIII.  ■»Clericis  laicosi  (s.  §  51),  die  dem 
Staate  verbietet,  von  kirchlichem  Gut  ohne  Genehmigung  des  Papstes 
Auflagen  zu  erheben.  Die  Forderungen  des  Königs  fanden  schliefslich 
allgemeinen  Widerspruch.  Schon  als  er  für  seinen  flandrischen  Feldzug 
neue  Leistungen  forderte,  trat  ihm  selbst  der  hohe  Adel  entgegen  und 
wurde  von  der  Geistlichkeit  und  den  Vertretern  der  Grafschaften  und 
Städte  unterstützt.  Sie  sammelten  1500  schlagfertige  Ritter  zur  Wahrung 
ihrer  Rechte,  verlangten  Einhaltung  der  alten  Freibriefe  und  Abschaffung 
aller  verfassungswidrigen  Leistungen.  Aber  erst  als  die  Unglücksposten 
Wallaces  Siege  meldeten,  gab  Eduard  nach.  Auf  dem  Parlament  zu 
Westminster  (1297,  10.  Okt.)  wurde  festgesetzt,  dafs  der  König  in  Zukunft 
keine  Steuer  ohne  Bewilligung  der  Stände  einheben  solle.  Diese  er- 
hielten damit  das  Steuerbewilligungsrecht.  Als  der  König 
hiezu  von  Gent  aus  seine  Einwilligung  gab,  geriet  ganz  England  in  eine 
patriotische  Erregung.  Mit  einem  gröfseren  Heere,  als  ihm  je  zur  Ver- 
fügung gestanden ,  zog  er  zu  Felde.  Es  gelang  ihm,  die  Schotten,  die 
einem  Kampfe  ausweichen  wollten,  bei  Falkirk  (am  22.  Juli  1298)  zu 
schlagen.  Mit  Mühe  entkam  Wallace  nach  Frankreich.  Eine  einheimische 
Regentschaft  führte  den  Krieg  trotzdem  weiter.  Als  Eduard  nach  seinem 
Siege  das  Steuerbewilligungsrecht  der  Stände  nur  mit  einer  verfänglichen 
Klausel  bestätigen  wollte2),  entstand  grofse  Aufregung.  Da  er  aber 
schliefslich  neuer  Hilfsgelder  bedurfte ,  gab  er  nach.  Damit  hatte  die 
englische  Verfassung  die  erste  und  wichtigste  Phase  ihrer  Entwicklung- 
abgeschlossen. 

§  49.    Bonifaz  VIII.  und  der  schottische  Unabhängigkeitskampf. 
Das  Ende  Eduards  L    Eduard  II. 

1.  Wie  über  die  übrigen  Staaten  des  Abendlandes  nahm  Bonifaz  VIII. 
auch  über  Schottland  oberherrliche  Rechte  in  Anspruch.  Den  Anlafs 
dazu  boten  die  Schotten  selbst,  die  sich  an  ihn  um  Hilfe  wandten.  Ein 
halbes  Jahr  vor   der    Schlacht    bei   Falkirk   sandte    er  ein  Schreiben  an 

l)  Stubbs,  481,  486.  Die  Verordneten  der  Grafschaften  und  Städte  haben  so  aus- 
gerüstet zu  sein :  quod  dicti  milites  (Ritter)  plenam  et  sufficientem  potestatem  (Vollmacht) 
pro  se  et  communitate  comitatus  predicti  et  dicti  cives  et  burgenses  pro  se  et  communitate 
habeant  .  .  .  ad  faciendum,  quod  tunc   de  communi  consilio  ordinabitur  in  praemissis. 

*)  Fine  captioso.    Die  Klausel  lautete  :  salvo  iure  coronae  nostrae. 


214  Bonifaz  VIII.  und  Eduard  I.     Robert  Bruce. 

Eduard  L,  das  seine  Vermittlung  ankündigte,  und  klagte,  dafs  England 
sich  unerlaubter  Weise  Schottlands  bemächtigt  habe.  In  einem  zweiten 
Schreiben  erklärte  er  Schottland,  ein  uraltes  Glied  der  Kirche,  unmittelbar 
mit  Rom  verbunden1)  und  beanspruchte  die  Entscheidung  des  Streites. 
Zugleich  begehrte  *er  die  Freilassung  Baliols  als  seines  -Bundesgenossen«. 
Das  letztere  gewährte  Eduard.  Zur  Entscheidung  des  ersteren  berief  er 
ein  Parlament  nach  Lincoln  (1301,  20.  Januar).  Hier  wurde  auf  Grund 
eines  gelehrten  Gutachtens  die  Ansicht,  dafs  England  kein  Recht  auf 
Schottland  habe,  und  die  Ladung  des  Königs  vor  das  Gericht  des  Papstes 
kräftig  zurückgewiesen.  »Nimmermehr«,  hiefs  es  da,  »werden  und 
können  wir  dulden,  dafs  unser  König  solche  unerhörte  Anmafsung  auf 
sich  nehme.«2)  Wandte  sich  die  Krone  in  den  Tagen  König  Johanns 
gegen  die  Grofsen  an  den  Papst,  so  rief  sie  jetzt  die  Hilfe  der  Stände 
gegen  diesen  an  und  liefs  seine  Forderungen  abweisen.  Bonifaz  VIII. 
ging  dem  Streit  nicht  weiter  nach,  denn  schon  nahm  der  Kampf  gegen 
Philipp  IV.  alle  seine  Kräfte  in  Anspruch.  Dieser  Kampf  kam  England 
auch  sonst  zugute.  Frankreich  hielt  nicht  nur  Frieden,  sondern  gab 
auch  die  im  Süden  gemachten  Eroberungen  heraus  und  überliefs  die 
Schotten  ihrem  Schicksal. 

2.  Eduard  I.  eroberte  unter  diesen  Umständen  bald  ganz  Schott- 
land. Wallace,  durch  Verrat  gefangen,  wurde  als  Räuber,  Mörder  und 
Hochverräter  zum  Tode  verurteilt  und  in  grauenhafter  Weise  getötet 
(1305),  was  seinen  Ruhm  nur  noch  erhöht  hat.  Hätte  sich  Schottland 
der  englischen  Herrschaft  willig  gefügt,  so  hätte  die  englische  Freiheit 
gegen  Eduard  I.  einen  schweren  Stand  gehabt.  Er  war  durchaus  ge- 
neigt, das  Beispiel  Johanns  nachzuahmen.  Es  scheint,  dafs  er  sich  an 
den  Papst  wandte,  damit  er  ihn  seines  Eides  entbinde.  Klemens  V.  er- 
liefs  in  der  Tat  (1305)  eine  Bulle,  worin  die  Bestätigung  der  Magna  Charta 
widerrufen  wird,  aber  der  Schottische  Krieg  hemmte  die  Weiterentwick- 
lung dieser  Dinge.  Nach  Wallaces  Tode  wurde  Robert  Bruce,  ein 
Enkel  des  Prätendenten,  die  Seele  des  schottischen  Widerstandes.  Jung 
und  alt  scharte  sich  um  ihn.  Am  25.  März  1306  in  der  Abtei  zu  Scone 
gekrönt,  nötigte  er  England  aufs  neue  zum  Kriege.  Zwar  wurde  er  be- 
siegt und  entkam  in  einer  an  Abenteuern  reichen,  von  Dichtern  ge- 
feierten Flucht  nach  Irland,  kehrte  aber  schon  im  nächsten  Jahre  zurück. 
Eduard  dachte  daran,  noch  einen  Feldzug  gegen  die  Schotten  zu  unter- 
nehmen, da-  starb  er  am  7.  Juli  1307.  Noch  auf,  dem  Totenbett  be- 
schwor er  die  Umstehenden,  dem  Kronprinzen  einzuprägen,  nicht  zu 
ruhen,  bis  ganz  Schottland  unterworfen  sei. 

Eduard  I.  war  nicht  blofs  die  populärste  Erscheinung  Englands  zu  seiner  Zeit, 
sondern  auch  in  jeder  Beziehung  ein  nationaler  König.  Im  Guten  und  Bösen  der 
typische  Vertreter  seines  Volkes  :  eigenwillig  und  herrschsüchtig,  hartnäckig  auf  seinem 
Rechte  bestehand,  von    unbezähmbarem  Stolz,    hart  und  unbeugsam,    im  Grunde  aber 


J)  Die  Korresp.  bei  Rymer  I,  194. 

*)  Das  Gutachten  bei  Walsingham,  Hist.  Angl.  I,  87 — 95.  Wie  diese  Vorgänge 
später  auf  Wiclifs  Kampf  gegen  das  Papsttum  einwirkten,  s.  in  Loserth,  Stud.  z.  engl. 
Kirchenpol.,  S.  15. 


Eduard  II.  und  Piers  Gaveston.     Niederlage  in  Schottland.  215 

gerecht  und  selbstlos,  arbeitsam  und  gewissenhaft  und  dabei  fromm,  denn  sein  Vor- 
gehen gegen  die  Kirche  entsprach  der  Not,  und  wohl  auch  nur  deshalb  blieb  er  mit 
der  Zahlung  des  Lehenszinses  an  die  Kurie  im  Rückstand.  Seine  fromme  Gesinnung 
erhellt  daraus,  dafs  er  den  Papst  bat,  Robert  Grosseteste,  einen  der  Vorläufer  der 
grofsen  kirchlichen  Reformbewegung  des*  14.  Jahrhunderts,  heilig  zu  sprechen. 

2.  Wiewohl  ganz  anders  geartet  als  sein  Vater :  unkriegerisch  und 
ein  Freund  weichlichen  Hoflebens,  strebte  Eduard  II.  (1307  — 1327) 
gleich  diesem,  das  Joch  der  Barone  abzuschütteln,  und  suchte,  wie  dies 
in  Frankreich  (§  50)  üblich  war,  seine  Ziele  durch  Werkzeuge  zu  er- 
reichen, die  er  aus  Leuten  untergeordneter  Stellung  wählte.  Schon  in 
seiner  Jugend  hatte  ein  aus  Guienne  stammender  Abenteurer  von  ein- 
nehmender Gestalt  und  geistreichem  Wesen,  Piers  Gaveston,  Einflufs  auf 
ihn  gewonnen.  Eduard  I.  hatte  diesen,  da  er  nichts  Gutes  von  ihm  er- 
wartete, verbannt.  Nun  wurde  er  zurückberufen  und  zum  Grafen  von 
Cornwallis  erhoben.  Ja  Eduard  IL  gab  ihm  seine  Nichte  zur  Frau  und 
machte  ihn,  als  er  selbst  nach  Frankreich  zog,  um  seine  Braut  Isabella, 
Philipps  IV.  Tochter,  abzuholen,  zum  Reichs verweser.  Gaveston  griff 
gewaltsam  zu;  ältere  verdienstvolle  Beamte  wurden  entlassen,  die  Mehr- 
zahl der  Barone  mit  Spott  und  Zurücksetzung  behandelt.  Daher  bildete 
sich  eine  starke  Opposition,  die  den  König  nötigte,  ihn  zu  entlassen. 
Er  tat  dies,  ernannte  ihn  aber  zum  Statthalter  von  Irland  und  rief  ihn 
überdies  schon  im  folgenden  Jahre  zurück.  Nun  setzte  das  Parlament 
den  Ausschufs  der  21  »Anordner«  (Ordainers)  ein,  um  den  Mifsbräuchen 
im  Haushalt  des  Königs  und  im  Staatswesen  ein  Ende  zu  machen  (1310). 
Unter  diesen  Wirren  zog  sich  auch  der  Schottische  Krieg  ergebnislos 
hin.  Als  Eduard  IL  1311  aus  dem  Felde  heimkehrte,  legten  die  An- 
ordner ihm  eine  Anzahl  von  Reformartikeln  vor :  die  alten  Verbote  will- 
kürlicher Besteuerung  wurden  erneuert,  die  noch  von  Eduard  I.  einge- 
führten Zollgebühren  abgeschafft  und  bestimmt,  dafs  der  König  ohne 
Genehmigung  des  Parlamentes  keine  Reise  ins  Ausland  machen,  keinen 
Krieg  führen  und  die  hohen  Staatsämter  nur  unter  dessen  Beirat  be- 
setzen dürfe.  Parlamente  sollten  mindestens  einmal  des  Jahres  berufen, 
die  obersten  Staatsbeamten  durch  sie  beeidigt  und  die  ganze  Staats- 
verwaltung überwacht  werden.  Gaveston  mufste  dem  Hasse  der  Barone 
weichen.  Als  er  aber  nach  zwei  Monaten  wieder  in  seine  Amter  und  Würden 
eingesetzt  wurde,  nahm  ihn  der  Vetter  des  Königs,  Graf  Thomas  von 
Lancaster,  welchen  Gaveston  in  seiner  ersten  Zeit  »das  alte  Schwein« 
oder  den  »Schauspieler«  genannt  hatte,  gefangen  und  liefs  ihn  ent- 
haupten (1312,  Mai).  Der  König  schwur  zwar  den  Baronen  Krieg  ohne 
Erbarmen,  mufste  aber  bald  einlenken,  da  Bruce  in  Schottland  einen 
festen  Platz  nach  dem  andern  eroberte.  Schon  war  auch  der  stärkste 
von  allen,  Stirling,  dem  Falle  nahe,  da  rückte  Eduard  II.  mit  einem 
ungeheuren  Heere,  man  schätzte  es  auf  100000  Mann,  heran;  trotzdem 
gewann  das  Feldherrntalent  und  die  persönliche  Tapferkeit  des  schotti- 
schen Königs  am  24.  Juni  1314  an  dem  morastigen  Bache  Bannock- 
burn  einen  glänzenden  Sieg.  Eduard  selbst  entkam  mit  Mühe.  Stirling 
fiel.      Der  Sieg    wirkte    auch    auf   Irland   zurück.     Robert  Bruce  sandte 


216  Die  beiden  Despeuser.      Sturz  und  Absetzung  Eduards  II. 

seinen  Bruder  Eduard  nach  Ulster  (1315),  wo  er  zum  König  gekrönt 
wurde,  aber  drei  Jahre  später  gegen  die  von  Roger  Mortimer  geführten 
Engländer  fiel.  Irland  war  zwar  wieder  erobert,  aber  Schottland  blieb 
verloren.  Zu  all  diesem  Elend  gesellten  sich  noch  Hungersnot  und  Pest, 
die  England  drei  Jahre  hindurch  heimsuchten  (1314 — 1316).  Dabei 
dauerte  der  innere  Zwiespalt  fort.  Lancaster  blickte  mit  Eifersucht  auf 
des  Königs  Günstlinge,  den  älteren  und  jüngeren  Hugh  Despenser,  von 
denen  der  letztere  durch  seine  Heirat  mit  der  Erbtochter  des  Grafen 
Glocester  eine  Stellung  erlangte  wie  vordem  Gaveston.  Auch  gegen 
ihn  wandten  sich  die  Barone,  und  es  gelang  Lancaster,  die  Verbannung 
beider  Despenser  durchzusetzen.  Eine  der  Königin  zugefügte  Beleidigung, 
mehr  noch  die  Aneignung  aller  gesetzgebenden  Gewalten  durch  die  Barone 
führte  die  schwankende  Volksgunst  wieder  dem  König  zu.  Die  Despenser 
wurden  zurückberufen.  Lancaster  und  seine  Partei  traten  nun  in  hoch- 
verräterische Verbindungen  mit  den  Schotten,  die,  rechtzeitig  aufgedeckt, 
seinen  Sturz  herbeiführten.  Er  wurde  am  22.  März  1322  enthauptet. 
Eine  völlige  Reaktion  trat  ein.  Das  Parlament  hob  nicht  blofs  die  gegen 
die  Despenser  getroffenen  Verfügungen  und  viele  Statuten  der  Ordainers 
auf,  sondern  setzte  fest,  dafs  alle  Gesetze,  »die  sich  auf  den  Besitzstand 
der  Krone,  des  Reiches  und  Volkes  bezogen,  vom  Könige  im  Parlament 
verhandelt,  bewilligt  und  bestätigt  werden  müssen  durch  und  mit  Zustim- 
mung der  Prälaten,  Grafen,  Barone  und  Gemeinen  des  Reiches«.  Die  Volks- 
tümlichkeit des  Königs  hatte  nicht  lange  Bestand.  Lancasters  Hinrichtung 
erregte  des  Volkes  Mitleid.  Es  pilgerte  zu  seinem  Grabe  und  verglich  ihn 
mit  Thomas  von  Canterburv.  Der  Übermut  der  Despenser,  die  Verluste  in 
Schottland  und  der  Waffenstillstand,  der  mit  Bruce  auf  13  Jahre  ab- 
geschlossen werden  mufste,  erzeugten  allgemeine  Unzufriedenheit.  Als 
Eduard  in  einen  Streit  mit  Frankreich  geriet,  kam  die  Königin,  welche  des 
Königs  Gegner  mit  ihm  verfeindet  hatten,  in  eine  schiefe  Stellung  und  ging 
unter  dem  Vorwand,  den  Streit  zu  schlichten,  und'  von  ihrem  Sohne  be- 
gleitet, der  an  Stelle  des  Vaters  für  Gascogne  und  Aquitanien  die  Huldi- 
gung leisten  sollte,  nach  Frankreich  (1326).  Xun  weigerte  sie  sich, 
zurückzukehren,  ehe  die>  Despenser  entlassen  seien,  und  setzte  sich 
in  Verbindung  mit  allen  Gegnern  des  Königs,  deren  Zahl  mit  jedem 
Tage  wuchs.  Mit  einer  Schar  von  2000  Bewaffneten  landete  sie  an  der 
Küste  von  Suffolk.  Die  Grofsen  des  Landes  und  die  Bürgerschaften, 
endlich  selbst  die  Truppen  des  Königs  traten  auf  ihre  Seite.  Der  König 
entfloh  mit  den  beiden  Despenser  nach  dem  Westen.  Zuerst  fiel  der 
ältere  in  die  Hände  seiner  Gegner  und  wurde  trotz  seiner  90  Jahre  als 
Hochverräter  hingerichtet.  Nicht  lange  nachher  wurde  auch  der  König 
mit  dem  jüngeren  Despenser  gefangen,  letzterer  auf  einen  50  Fufs  hohen 
Galgen  aufgeknüpft,  der  König  als  Gefangener  nach  Kenilworth  geführt. 
Am  1:  Januar  1327  trat  das  Parlament  in  Westminster  zusammen.  Es 
nahm  das  Recht  in  Anspruch,  den  König,  der  sich  zur  Regierung  un- 
fähig, erwiesen  hatte,  abzusetzen.  Die  Anklagepunkte  lauteten  auf  Träg- 
heit, Unfähigkeit,  den  Verlust  von  Schottland,  Verletzung  des  Krönungs- 
eides und  der  Kirche  und  Barone.     Nach  ihrer  Verlesung  wurde  er  der 


Seine  Ermordung.     Die  franz.  <  »i^position  gegen  das  Papsttum.  217 

Regierung  entsetzt  und  Eduard  III.  zum  König  proklamiert.  Als  dieser 
erklärte,  ohne  Einwilligung  des  Vaters  die  Krone  nicht  anzunehmen,  holte 
eine  Deputation  dessen  Zustimmung  ein,  die  er  erst  gab,  als  man  ihm  be- 
deutete, seine  Weigerung  gefährde  die  Nachfolge  des  Sohnes.  Jetzt 
trat  Eduard  III.  die  Regierung  an.  Sein  Vater  hatte  ein  schreckliches 
Ende.  Von  seiner  ehebrecherischen  Gemahlin  verstofsen,  ward  er  aus 
der  milden  Hut  Lancasters  genommen  und  dem  Ritter  Johann  Maltravers 
übergeben,  der  ihn  von  Burg  zu  Burg  schleppte,  bis  er  endlich  auf 
Schlots  Berkeley  von  zwei  Mördern  getötet  wurde.1)  Dem  unter  Kissen  und 
Bettdecken  Begrabenen  stiefs  man  ein  glühendes  Eisen  durch  den  After 
bis  in  die  Eingeweide.  Jede  äufsere  Verletzung  wurde  vermieden; 
nur  die  entstellten  Gesichtszüge  zeugten  von  den  erduldeten  Qualen. 
Welchen  Anteil  die  Königin  an  dem  Morde  hatte,  läfst  sich  nicht 
feststellen. 

3.  Kapitel. 

Die  französische  Opposition  gegen  die  weltliche  Oberherrschaft 

des  Papsttums. 

§  50.    Frankreich  unter  Philipp  III.   dem  Kühnen   (1270—1285). 
Die  Anfänge  Philipps  IV.  des  Schönen  (1285-1314). 

Quellen.  S.  oben  §  33.  Urkk.  u.  Akten  zur  Gesch.  Philipps  III.  auch  in 
Langlois,  Le  regne  de  Philippe  III  le  Harcli  1887.  Dort  eine  reiche  Übersicht  über  die 
Quellen  zur  Gesch.  seiner  Zeit.  Die  Akten  zur  Gesch.  Philipps  IV.  s  in  Boutaric, 
Polices  et  extraits  de  documents  relatifs  ä  l'histoire  de  France  sous  Philippe  le  Bei. 
Paris  1862.  Ordonnances  des  rois  de  France  wie  oben.  Isambert,  Rec.  general  des 
anciennes  lois,  torn.  II,  III.  Boutaric,  Actes  du  Parlement  de  Paris.  2  voll.  Paris 
1863  —  67.  Textes  relatifs  ä  l'hist.  primitive  du  Parlement  p.p.  Langlois.  Picot,  Docu- 
ments relatifs  aux  etats  generaux  et  assemblees  reunis  sous  Philippe  le  Bei.  Paris  1901. 
Die  Comptes  de  .  Philippe  III  et  IV  in  Bouquet  XXII.  Lettres  inedites  de 
Philippe  le  Bei  p.  p.  Baudouin,  Paris  1887.  Servois,  Documents  inedits  sur  l'avene- 
ment  de  Philippe  le  Bei  1837  (s.  Lavisse,  Hist.  gen.  III,  62).  Phil,  le  Bei  ,Lettres  de, 
rel.  au  pays  de  Gevaudan  p.  p.  Sache,  Paris  1897.  Funk-Brentano,  Documents  pour  servir 
a  l'histoire  des  relations  avec  l'Angleterre  et  Allemagne  sous  Philippe  le  Bei.  RH.  1889. 
Acta  inter  Bonifacium  VIII.,  Benedictum  XI.,  dementem  V.  et  Philippum  Pulchrum, 
publies  p.  Pithou.  Paris  1614.  Fasciculus  actorum  pertinentium  ad  controversiam 
inter  Bonifacium  VIII.  et  Philippum  IV.  Leibnitz,  Mantissa  cod.  jur.  gent.  dipl. 
Hannov.  1693.  Die  Papstregister  s.  oben.  Die  Historiker  finden  sich  grösstenteils 
in  Bouq.  XX — XXIII.  u.  sind  zum  gröfsten  Teil  schon,  oben  §  33  aufgezählt.  Da 
Monod,  Nr.  2464 — 2496  u.  Molinier  2847  ff.  ein  vollst.  Verzeichnis  enthalten,  mögen  hier  nur 
die  wichtigsten  genannt  werden :  Guilelmus  de  Xangiaco,  Gesta  Philippi  Audacis. 
Bouq.  XX,  466-559.  Ausz.  MM.  Germ.  Hist.  SS.  XXVI.  Guilelmus  Scotus  Chronic, 
bis  1317,  ib.  XXI,  202—211.  Guilelmus  Maior,  Gesta  episcop.  Andegev.  bis  1316. 
d'Achery  Specil.  X.  Für  die  franz.-belgischen  Verhältnisse :  Chroniques  de  Flandre. 
Bouquet  XXII,  Chronique  anonyme  de  la  guerre  entre  Philippe  le  Bei  et  Gui  de 
Dampierre  1294-1304.  De  Smet,  Corp.  chron.  Flandriae  IV  (s.  auch  BECh.  LX,  296.) 
Zur  Schlacht  v.  Courtray.    La  version  flamande  et  la  version  francaise  de  la  bataille  de 


*)   Diesen    soll   der   orakelhafte    Befehl    zugekommen    sein :    Edicardum  oeeidere 
nolite  timere  bonum  est,  bei  dem  es  auf  die  Interpunktion  ankommt,  wie  er  zu  deuten  ist. 


218  Philipp  in. 

Courtrai  1302.  Bruxelles  1891  s.  auch  BECh.  51,  238  u.  EQH.  1898. .  Balduinus  Nino- 
viensis  (Ninove,  Diöz.  Mecheln)  Chron.  bis  1294,  ed.  in  MM.  Germ.  SS.  XXV.  521  ff. 
Chronographia  regum  Francorum  1270 — 1405,  tom.  I  (1270  — 1328),  ed.  Moranville\ 
Paris  1891.  Landulfus  de  Columna,  can.  Carnotensis,  Breviarium  historiarum.  Unt. 
d.  Titel :  Elogia  Philippi  Pulchri  Francorum  regis  eiusque  filiorum  Ludov.  Hutini  et 
Philippi  Longi.  Bouq.  XXIII,  193.  Godefroy  de  Paris,  Chronique  metrique  de  Philippe 
le  Bei  1300— 1316.  Bouq.  XXII,  87—166.  Jean  des  Preis  dit  d'Outremeuse  :  Ly  Myreur 
des  histors  bis  1340,  ed.  Borgnet.  Brux.  1860—80.  Nicol.  Trivet,  wie  oben.  Chronik 
v.  Orvieto.  Auszüge  in  Döllinger  Beiträge  III,  347 — 313.  Über  den  Tod  u.  d.  Leichen- 
begängnis Ph.  d.  S.  s.  d.  Schreiben  Wilh.  Baldrichs  an  den  Hof  v.  Majorka  in 
BECh.  58,  1. 

Hilfsschriften  (für  Bonif.  VIH.  s.  §  47).  Hauptwerk  für  Philipp  III. :  Lang- 
1  o  i  s ,  wie  oben.  Ledere,  Les  Rapports  de  la  papaute  et  de  la  France  sous 
Philippe  HI  (1270—1285).  Bruxell.  1890.  Baudon  de  Mony,  Rel.  polit.  des  comt. 
de  Foix  avec  de  la  Catalogne.  2  Bde.  Paris  1896.  Bonnassieux,  Dela  Reunion 
de  Lyon  ä  la  France.  Paris  1876.  Für  Philipp  IV. :  Boutaric,  La  France 
sous  Philippe  le  Bei.  Par.  1861.  Jolly,  Philippe  le  Bei,  ses  dessins,  ses  actes,  son  in- 
fluence.  Paris  1889.  Für  den  Streit  mit  Bonifaz  VIII. :  Dupuy,  Histoire  du 
diffe>end  dentre  le  pape  Bonif ace  VIII  et  Philippe  le  Bei  et  le  proces  fait  a  Bernard, 
£veque  de  Pamiers  l'an  1295.  Paris  1655.  Baillet,  Histoire  des  demeles  du  pape 
Boniface  VIH  avec  Philippe  le  Bei.  Paris  1718.  Rocquain,  Philippe  le  Bei  et  la 
bulle  Ausculta  fili.  BECh.  1881.  Del  Lungo,  Da  Bonifazio  VIII.  ad  Arrigo  VH. 
Milano  1899.  Digard,  Philippe  le  Bei  et  le  Saint-Siege,  wird  demnächst  erscheinen. 
Kervyn  de  Lettenhove,  Etudes  sur  1'histoire  du  XIHe  siecle.  —  Recherches  sur 
la  part  que  1' ordre  de  Citeaux  et  le  comte  de  Flandre  prirent  ä  la  lutte  de  Boniface  VIII 
et  de  Philippe  le  Bei.  Brux.  1853.  Baudrillart,  Des  idees  qu'on  fasait  au  XIVme 
siecle  sur  le  droit  d'interventions  du  Souverain  Pontife  dans  les  affaires  politiques. 
Rev.  d'histoire  et  de  litterature  relig.  1898.  Berchtold,  Die  Bulle  Unam  sanctam  und 
ihre  wahre  Bedeutung  u.  Tragweite  für  den  Staat.  1887.  Ehr  mann,  Die  Bulle  Unam 
sanctam.  1896.  Funck,  Zur  Bulle  Unam  sanctam.  ThQ.-Schr.  72,  640.  Holz- 
manri,  Phil.  d.  Seh.  u.  die  Bulle  Unam  sanctam  DZG.  NF.  H,  16 — 38.  Renan, 
Guillaume  de  Xogaret.  Hist.  lit.  de  France  XXVII,  XXVHI.  Holtzmann,  Wilhelm 
v.  Nogaret,  Rat  u.  Grofssiegelbe wahrer  Philipps  des  Schönen.  Freib.  1898.  Renan- 
]£tude  sur  la  politique  du  regne  de  Philippe  le  Bei.  Paris  1900.  Funk-Brentano, 
Les  origines  de  la  guerre  de  Cent  ans :  Philippe  le  Bei  en  Flandre.  Paris  1896.  Laca- 
bane,  Mort  de  Philippe  le  Bei.  BECh.  in.  Funck-Brentano,  La  mort  de  Philippe 
le  Bei.  Paris  1884.  Petit,  Charles  de  Valois  (1270—1325).  Paris  1900.  Clement, 
Trois  drames  historiques  1857  (enthält  die  Gesch.  d'Enguerrands  de  Marigni).  Rigault, 
Le  proces  de  Guichard.  Mem.  et  doc,  publ.  par  la  societe  de  l'ecole  des  chartes. 
Paris  1896.  L  e  r  o  u  x ,  Recherches  critiques  sur  les  relations  de  la  France  avec  Alle- 
magne  au  moyen-äge  1882.  Ch.  de  la  Ron  eiere,  Le  blocus  Continental  de  l'Angle- 
terre  sous  Philippe  le  Bei.  RQH.  1896.  Piepape,  Funck-Brentano,  Bergengrün, 
Henneberg  u.  Fournier  wie  oben.  Luchaire,  Manuel  des  Instit.  monarchiques. 
Paris  1892.  Vuitry,  Etudes  sur  le  Regime  financier  de  la  France.  Hervieu, 
Recherches  sur  les  premiero  etats  generaux.  etc.  Paris  1879.  Aubert,  Le  Parlement  de 
Paris  de  Philippe  le  Bei  ä  Charles  VII.  Paris  1887.  Pirenne,  Geschichte  v.  Belg. 
wie  oben. 

1.  Noch  auf  dem  Felde  von  Karthago  wurde  Philipp  III.  Nach- 
folger seines  Vaters.  Die  Nachwelt  hat  ihm  den  Namen  des  Kühnen 
gegeben,  man  weifs  aber  doch  nicht  weshalb.  Es  fehlte  ihm  an  politi- 
schem Blick  und  Tatkraft.  Schon  Ludwig  IX.  hatte  mit  Vorliebe  Leute 
niederer  Herkunft  zu  den  Geschäften  berufen,  weil  deren  Verbindungen 
nicht  so  geartet  waren,  dafs  sie  dem  Königtum  hätten  schaden  können. 
In  höherem  Grade  war  dies  unter  Philipp  III.  der  Fall.  So  leitete 
Pierre  de  la  Brosse,  dem  seine  medizinische  Kunst  schon  bei  Ludwig  IX. 


und  «eine  Folitik.  219 

die  politische  Laufbahn  geöffnet  hatte  und  der,  getragen  von  der  Gunst 
des  Königs,  reich  und  angesehen  wurde,  die  ganze  Politik  Philipps  III. 
in  dessen  erfolgreichsten  Jahren  1270 — 1278,  bis  er  dem  Hasse  eifer- 
süchtiger Grofser  und  der  Königin  zum  Opfer  fiel  und,  ohne  von  dem 
Könige,  in  dessen  Interessen  er  aufgegangen  war,  geschützt  zu  werden, 
»einem  Räuber  gleich«  sein  Ende  auf  dem  Galgen  fand  (1278).  Seine 
Nachfolger  waren  vorsichtiger,  dabei  nicht  weniger  tatkräftig,  wenn  sie 
auch  noch  nicht  den  Einflufs  besafsen  wie  später  ein  Nogaret,  Flotte  u.  a. 
Vom  Kreuzzuge  heimgekehrt,  stellte  Philipp  III.  den  Frieden  unter 
den  Baronen  des  Südens  her,  schützte  seinen  Besitz  gegen  Eduard  I. 
und  ging  gegen  die  Gebiete  des  Kaiserreiches  im  Tal  der  Rhone  und 
Meuse  erfolgreich  war.  Am  2.  Dezember  1272  leistete  ihm  der  Erzbischof 
von  Lyon  den  Eid  der  Treue,  ja  die  französische  Politik  konnte  bereits 
die  Erwerbung  der  deutschen  Krone  für  das  Haus  Valois  in  Aussicht 
nehmen.  Wichtig  vor  allem  war  der  grofse  Länder erwerb  im  Süden 
Frankreichs.  Auf  der  Heimkehr  von  Tunis  begriffen,  starben  wenige 
Stunden  nacheinander  Graf  Alfons  von  Poitiers,  des  Königs  Oheim,  und 
dessen  Gemahlin  Johanna,  die  Tochter  des  letzten  Grafen  von  Toulouse. 
Ihr  grofses  Erbe,  »die  Hälfte  des  Midi«,  fiel  an  die  Krone:  Poitou,  Sain- 
tonge,  Toulouse,  Albigeois,  Auvergne,  Quercy,  Agenais,  Rovergne  und 
die  Grafschaft  Venaissin.  Die  letztere  wurde  dem  Papst,  der  sie  bean- 
spruchte, trotzdem  sie  Gregor  IX.  bedingungslos  dem  Grafen  Raimund 
zurückgegeben  hatte,  überlassen  (1274)  und  ebenso  Agenais  kraft  des 
Vertrages  von  1259  an  England  abgetreten.  Dagegen  wurden  die  An- 
sprüche Karls  von  Anjou  vom  Pariser  Parlamente  (1283)  abgewiesen; 
durch  den  Tod  seines  Bruders  Johann  Tristan  fiel  dem  König  auch  die 
Grafschaft  Valois  zu.  Im  Juli  1274  war  Heinrich  III.  von  Navarra  ge- 
storben. Seine  im  Lande  unbeliebte  Witwe  hatte  sich  mit  ihrer  Tochter 
Donna  Juana  nach  Frankreich  geflüchtet,  um  gegen  Kastiliens  und 
Aragoniens  Ansprüche  Hilfe  zu  finden.  Philipp  III.  liefs  in  der  Tat 
zwei  Heere  in  Navarra  einrücken  und  Pampelona  erstürmen.  Fast  das 
ganze  Land  wurde  erobert  (1275).  Eben  war  Fernando  de  la  Cerda, 
der  älteste  Sohn  Alfons'  X.  von  Kastilien,  gestorben.  Er  hinterliefs 
eine  Witwe,  Blanka,  die  Tochter  Ludwigs  IX.,  und  zwei  Söhne,  Fernando 
und  Alfons.  Nach  altspanischem  Recht  wurde  Sancho,  Alfons'  X.  zweiter 
Sohn,  zum  Thronerben  Kastiliens  proklamiert.  Auf  Bitten  der  Witwe 
sandte  Philipp  eine  Armee  nach  den  Pyrenäen,  um  durch  Navarra  in 
Kastilien  einzudringen.  Der  Feldzug  endete  jedoch  in  unrühmlicher 
Weise,  und  der  Streit  überdauerte  schliefslich  noch  den  Tod  Alfons'  X. 
und  Philipps  III.  Dagegen  erlangte  dieser  durch  die  Vermählung  seines 
Sohnes  Philipp  mit  Donna  Juana,  der  Erbin  Navarras  und  der  Grafschaft 
Champagne,  für  sein  Haus  die  Anwartschaft  auf  diese  Länder  (1284). 
Kurz  zuvor  hatte  der  sizilianische  Freiheitskampf  dem  französischen 
Königshause  die  gröfsten  Aussichten  eröffnet.  Philipp  III.  stellte  seinem 
Oheim,  dem  König  Karl,  die  ganze  Macht  Frankreichs  zur  Verfügung, 
wofür  Papst  Martin  IV.  Aragonien  an  einen  der  Söhne  Philipps  III.  mit 
Ausnahme  des  Erstgeborenen  unter  der  Bedingung  gab,  dafs  Frankreich 


220  Charakteristik  Philipps  des  Schönen. 

und  Aragonien  nicht  vereinigt  würden  (1283).  Philipp  III.  bestimmte 
es  für  Karl  von  Valois.  Doch  wurde  der  Krieg  von  den  Franzosen 
unglücklich  geführt  (s.  oben  §46).  Der  König,  der  selbst  mit  einem 
starken  Kriegsheere  über  die  Pyrenäen  gedrungen  war,  sah  sich  infolge 
mangelhafter  Verpflegung  und  pestartiger  Krankheiten  in  seinem  Heere  zu* 
einem  verlustreichen  Feldzug  gezwungen.  Von  tödlicher  Krankheit  er- 
griffen, starb  er  am  5.  Oktober  1285.  Mit  dem  Wachstum  französischen 
Krongebietes  waren  auch  die  Machtbefugnisse  des  Königtums  in  stetigem  Zu- 
nehmen :  Das  Verbot  der  Privatfehden,  des  gerichtlichen  Zweikampfes  usw. 
wurde  strenge  gewahrt;  die  Teilnahme  des  Bürgertums  am  Staats- 
leben hatte  ihren  ungehinderten  Fortgang.  In  dieser  Hinsicht  wurde 
namentlich  die  Erwerbung  von  Lehen  durch  Bürgerliche  gesetzlich  ge- 
ordnet und  der  Grund  zur  Organisation  des  Advokatenstandes  gelegt. 
Schärfer  als  unter  Ludwig  IX.  wurde  der  Klerus  zu  den  Leistungen  für 
den  Staat  herangezogen,  und  alle  Klagen  der  Synode  von  Bourges  (1276) 
und  der  Päpste  blieben  erfolglos. 

2.  Erst  17  Jahre  alt,  bestieg  Philipp  IV.  den  französischen  Thron : 
trotz  seiner  Jugend  ein  ausgeprägter  Charakter.  Mit  einem  schönen 
Körperbau,  den  schon  die  Zeitgenossen  bewundernd  betrachteten1),  ver- 
band er  hohe. Gaben  des  Geistes  und  entfaltete  eine  Tätigkeit,  der  nichts 
entging  und  die,  von  sicher  berechnender  Klugheit  geleitet,  Verstellung 
mit  scheinbarer  Mäfsigung  verband.2)  Bei  aller  zur  Schau  getragenen 
Demut  und  Milde  war  er  in.  der  Wahl  seiner  Mittel  durchaus  skrupellos. 
Seine  Absichten  gingen  auf  die  Errichtung  einer  nach  innen  und  aufsen 
starken  Alleinherrschaft.  Mit  Recht  als  Vorkämpfer  des  unbedingten 
Absolutismus  bezeichnet,  ist  er  die  Verkörperung  der  Idee  von  der 
Identität  des  Staatsinteresses  mit  dem  des  Fürsten.  Alle  Hindernisse, 
die  diesem  Ziele  im  Wege  stehen,  werden  beiseite  geschoben :  an  seinem 
Willen  zerschellt  die  Macht  der  Prälaten  und  Barone;  gegen  die  geist- 
lichen mit  den  weltlichen  Grofsen  verbündet,  gegen  beide  mit  dem  Volk, 
stellt  er  schliefslich  alle  dem  Papsttum  entgegen.  Auch  in  der  äufseren 
Politik  wechselt  er  seine  Allianzen  nach  Bedürfnis  und  scheut  sich  nicht, 
traditionelle  Bande  zu  zerreifsen,  wie  den  Jahrhunderte  alten  Bund  mit 
dem  Papsttum,  oder  die  bisherige  Politik  des  französischen  Königtums 
dem  Kaisertum  und  dem  Orient  gegenüber  aufzugeben.  Freilich  läfst 
sich  nicht  genau  bestimmen,  wie  grofs  sein,  wie  grofs  der  Anteil  seiner 
Ratgeber  daran  gewesen.  Sie  tritt  nach  innen  zunächst  in  der  Ver- 
stärkung der  Zentralgewalt,  in  den  finanziellen  Reformen  und  der  Be- 
günstigung der  Städte  zutage.  Ein  neuer  Geist  beherrscht  jetzt  das 
Königtum.  Da  handelt  es  sich  nicht  mehr  um  Kreuzzüge3)  oder  um 
die  Aufrichtung  eines  Reiches  der  Gerechtigkeit  und  christlichen  Liebe, 
sondern  um  die  Herstellung  einer  alles  und  jedes  beherrschenden  Staats- 
gewalt, wie  sie  die  Imperatoren  Roms  besal'sen  und  von  den   >:Legisten<< 

1     Guilelmus    Scötus :    Corpore    membrorumque    eleganti   dispositione  ...    a.t    vere 
species  eins  imperio  digna  esset. 
a    Drumann.  1.  80. 
3)  Trotz  Dubois'  Traktat  De  recupera-tione  terrae  sanctae.  der  andere  Ziele  verfolgt. 


Philipp  der  Schöne  und  seine   Ratgeber.     Krieg  mit  England.  221 

in  den  Schulen  des  römischen  Rechtes  für  den  Herrscher  gefordert 
wurde.  Jene  Grundsätze,  die  schon  die  Politik  Barbarossas  beeinflufsten, 
kommen  unter  der  Einwirkung  der  Juristen,  der  grundsätzlichen  Gegner 
des  Feudaladels,  auch  in  Frankreich  zur  Geltung.  Diesen  Kreisen  sind 
die  vornehmsten  Ratgeber  des  Königs  entnommen,  meist  Leute  aus  dem 
»Midi«,  und  es  ist  sehr  bezeichnend,  dafs  die  bedeutungsvollsten  Ereig- 
nisse in  Frankreich  in  jener  Zeit  in  der  Form  von  Prozessen  erscheinen: 
Die  Prozesse  gegen  Eduard  L,  gegen  Flandern,  gegen  Bonifaz  VIII.  und 
die  Templer.  *)  Unter  seinen  Ratgebern  nehmen  in  der  ersten  Zeit 
Pierre  Flotte,  Guillaume  de  Nogaret  und  Plaisian  die  erste  Stelle  ein, 
zuletzt  Enguerrand  de  Marigny,  der  »Koadjutor  und  Gouverneur  des 
Reiches«,  wie  er  mitunter  genannt  wird.  Am  bekanntesten  ist  Nogaret 
wegen  seines  Anteils  am  Attentat  von  Anagni.  Seine  Familie,  bürger- 
lichen Ursprungs,  trug  nach  ihrem  in  der  Nähe  von  Toulouse  liegenden 
Lehen  den  Namen  Nogaret.  Sein  Vater  und  andere  Vorfahren  fielen 
als  Albigenser  der  Inquisition  zum  Opfer,  und  es  ist  mehr  als  wahr- 
scheinlich, dafs  sein  Hals  gegen  das  Papsttum  in  diesem  schmachvollen 
Tode  seiner  Eltern  begründet  ist.  Als  Doktor  der  Rechte  und  Lehrer 
des  römischen  Rechtes  in  Montpellier  trat  er  1295  in  den  Dienst  des 
Königs,  wurde  1299  in  den  Adelstand  erhoben  und  gehörte  zu  der 
(später  noblesse  de  rohe  genannten)  Klasse  von  Leuten,  die,  ohne  dem 
Priesterstand  anzugehören,  durch  Arbeitsamkeit  und  Wissen  emporstiegen, 
mit  juristischer  und  staatsmännischer  Gewandtheit  und  Einsicht  die  Ge- 
schäfte handhabten  und  den  Königen,  welche  die  klerikale  Bevormundung 
je  länger  desto  mehr  als  drückendes  Joch  empfanden,  unentbehrlich 
wurden.2)  Das  neue  Element  durchdringt  und  belebt  den  ganzen  Staat 
und  macht  sich  auch  in  der  auswärtigen  Politik  bemerkbar  :  die  diplo- 
matischen Verhandlungen  werden  kräftiger  geführt,  Gesandtschaften 
häufiger  ausgeschickt  und  zahlreichere  Traktate  geschlossen;  politische 
Entwürfe  tauchen  auf  und  werden  von  Publizisten  wie  Peter  von  Dubois 
verbreitet. 

3.  Den  aussichtslosen  Krieg  gegen  Aragonien  beendete  Philipp  IV. 
durch  den  Vertrag  von  Tarascon  (s!  §  46).  Wenn  auch  Neapel  und 
Sizilien  den  Kampf  weiter  führten,  Frankreich  blieb  davon  unberührt. 
Da  Philipps  Absichten  dahin  gingen,  auch  die  letzten  englischen  Be- 
sitzungen auf  französischem  Boden  zu  gewinnen,  so  war  ein  Krieg  mit 
England  unvermeidlich.  Den  Anlafs  gab  ein  Streit  zwischen  englischen 
Schiffern  aus  Bayonne  und  Bretonen.  Philipp  IV.  liefs  Bordeaux  be- 
setzen, die  benachbarten  englischen  Gebiete  einziehen  und  lud  Eduard  I. 
vor  sein  Gericht,  der  seinen  Bruder  Edmund  nach  Paris  sandte,  um 
die  Streitsache  beizulegen.  Dieser  schlofs  unter  Vermittlung  der  Gattin 
und  Stiefmutter  Philipps  einen  Geheimvertrag  ab,  dessen  Bestimmungen 
von  Philipp  listigerweise  ausgenützt  wurden,  um  sich  Guiennes  zu 
bemächtigen.    Aufserdem  liefs  er  den  englischen  König  des  Ungehorsams 


1)  Coville,  S;  12  f. 

2)  Dölliuger,  S.  225. 


222  Die  Kämpfe  um  Flandern. 

schuldig  erklären  und  ihm  einen  zweiten  und  dritten  Termin  zur  Ver- 
antwortung setzen.  Eduard  kündigte  nunmehr  seine  Lehenspflicht  auf 
und  verband  sich  mit  dem  Grafen  Guido  von  Flandern,  der  mit  seinen 
eigenen  Städten  im  Streite  lag.  Auch  den  deutschen  König  Adolf,  den 
Erzbischof  von  Köln,  die  Grafen  von  Holland,  Geldern  und  Brabant 
zog  er  auf  seine  Seite,  wogegen  der  Dauphin  von  Vienne,  der  Graf  von 
Burgund,  der  Herzog  von  Lothringen,  vor  allem  aber  Schottland  auf 
Frankreichs  Seite  standen.  Die  deutsche  Hilfe  war  jedoch  so  ungenügend, 
dafs  Eduard  den  Kampf  auf  den  Wiedererwerb  der  verlorenen  Plätze 
in  Guienne  beschränkte.  Philipp  warf  dagegen  seine  ganze  Macht  nach 
Flandern,  wo  die  Lilianen,  ein  Teil  des  Adels  und  die  reicheren  Bürger 
der  Städte,  zu  ihm  hielten,  und  gewann  Lille  und  Brügge.  Der  Aufstand 
der  Schotten  unter  Wallace  (s.  oben)  bewog  Eduard  zu  einem  Waffen- 
stillstand (1297),  dem  schon  im  folgenden  Jahre  auf  Grundlage  des  Status 
quo  ante  bellum  ein  vom  Papste  vermittelter  Vertrag  folgte.  England 
erhielt  hiedurch  freie  Hand  gegen  Schottland  wie  Frankreich  gegen 
Flandern.  Zur  Befestigung  des  Friedenszustandes  wurde  eine  Doppel- 
heirat geschlossen :  eine  Tochter  Philipps  III.  heiratete  den  König  Eduard, 
und  dessen  gleichnamiger  Sohn  wurde  mit  Isabella,  der  Tochter  Philipps  IV., 
verlobt.  Der  Waffenstillstand  zwischen  beiden  Ländern  wurde  in  der 
Folge  noch  mehrmals  verlängert.  Philipp  IV.  benützte  die  Waffenruhe, 
um  seine  Hoheitsrechte  in  Flandern  zur  Geltung  zu  bringen,  was  er 
um  so  leichter  erreichte,  als  König  Albrecht  auf  seiner  Seite  stand.  Es 
gelang  ihm,  den  Grafen  und  seinen  ältesten  Sohn  in  seine  Gewalt  zu 
bekommen  (1300).  Im  folgenden  Jahre  hielt  er  in  den  flandrischen 
Städten  einen  glänzenden  Einzug.  Mit  gleichem  Erfolge  ging  er  im 
Osten  vor :  der  Bischof  von  Viviers  und  der  Pfalzgraf  Otto  von  Burgund 
mufsten  die  Huldigung  leisten;  den  Grafen  Rainald  von  Mömpelgard 
unterstützte  er  gegen  den  Bischof  von  Basel,  und  die  Bürger  von  Besancon 
suchte  er  seiner  Herrschaft  zu  unterwerfen.  Gleich  gewaltsam  war  seine 
Politik  gegen  Hennegau  und  die  Bistümer  Verdun  und  Toul. 

§  51.    Philipp  IT.  und  Bonifaz  VIII. 

Quellen  und  Hilfsschriften  wie  §  47  u.  50.  Dazu  die  Schriften  üher  die 
literarische  Opposition  gegen  die  päpstliche  Oberherrschaft  (s.  P.  Dupuy  wie  oben 
und  G  o  1  d  a  s  t ,  Monarchia  S.  Roniani  irnperii.  Frankfurt  1614).  Die  wichtigsten  Schriften 
sind:  Aegidius  de  Colonna  ßomanus,  De  ecclesiastica  potestate  libri  tres  (noch  ungedr.). 
Inhaltsang.  v.  Kraus.  Viertel] ahrsschr.  f.  kath.  Theol.  1862.  —  De  regimine  principurn 
libri  tres.  Drucke  bei  Potth.  I,  17,  unter  andern  in  Hahn,  Coli.  vet.  mon.  I  (fälschlich 
wird  ihm  auch  die  Quaestio  in  utrarnque  partem  disputata  de  pot.  regia  et  pontificali 
zugeschrieben.  Monarchia  H,  96).  Quaestio  de  potestate  Papae.  Ged.  bei  Dupuy  663—683. 
Wahrscheinlich  von  Dubois  Tetrus  de  Bosco)  verfafst.  Von  den  übrigen  Schriften 
Dubois'  seien  genannt :  Sunmiaria,  brevis  et  compendiosa  doctrina  felicis  expeditionis 
et  abbreviationis  guerrarurn  ac  litiuni  regni  Francorurn.  Ausg.  v.  X.  de  Wailly,  Mem. 
de  l'Acad.  des  inscr.  XVIII.  2.  1849.  —  Deliberatio  super  agendis  a  Philippo  rege 
contra  epistolam  papae.  Dupuy  44.  La  Supplication  du  Pueuble  de  France  .  .  .  214—219. 
De  recuperatione  Terrae  sanctae,  ed.  Langlois.  Paris  1891.  Die  Partie  über  die  Er- 
werbung des  linken  Rheinufers  bzw.  ganz  Deutschi,  bei  Wenck,  Kleniens  V.  und 
Heinrich  VII.    Halle  1882.    Vielleicht  rührt  von  Dubois  auch  die  Disputatio  inter  C'leri- 


Philipp  der  Schöne  und  Bonifaz  VIII.  223 

cum  et  Militem  her.  Monarch.  I,  13—18.     Johannes  Parisiensis,  tractatus   de  potestate 
regia  et  papali.    Goldast.    Monarch.  II,  108. 

Hilfsschriften:  Lorenz,  D.  GQ.  11,333—340.  Riezler,  Die  lit.  Wider- 
sacher der  Päpste  im  Zeitalter  Ludwigs  des  Bayers.  Leipz.  1874.  Fried berg,  Die  ma. 
Lehren  über  das  Verhältnis  zwischen  Staat  u.  Kirche.  Z.  Kirchenr.  VIII.  u.  Leipz.  1874. 
Friedberg,  Die  Grenzen  zwischen  Staat  u.  Kirche.  Tübingen  1872.  Scaduto,  Stato 
c  chiesa  nelli  scritti  politici  dal  fine  della  lotta  per  le  investiture  sinö  alla  morte  di 
Ludov.  il  Bavaro.  Fir.  1882  s.  K.  Müller,  ZKG.  VII,  61.  Höfler,  Die  rom. 
Welt  und  ihr  Verhältnis  z.  den  Reformid.  d.  MA.  1878.  Neander,  Gesch.  d.  ehr.  Rel. 
u.  Kirche.  4.  A.  IX,  16  ff.  Lechler,  Der  Kirchenstaat  u.  d.  Opposit.  geg.  d.  päpstl. 
Absol.  im  Anf.  d.  14.  Jahrh.  Leipz.  1870.  Über  Dubois  u.  Nogaret  s.  d  Aufsätze  Renans 
in  der  Hist.  lit.  XXVI,  XXVII. 

1.  Da  Bonifaz  VIII.  an  die  Wiedereroberung  des  hl.  Landes  dachte, 
wollte  er  den  Streit  zwischen  England  und  Frankreich  beendet  sehen. 
Philipp  IV.  war  jedoch  nicht  geneigt,  dem  Papsttum  als  solchem  eine 
schiedsrichterliche  Stellung  einzuräumen,  noch  weniger,  Eingriffe  der 
Kurie  in  seine  wirklichen  oder  vermeintlichen  Rechte  zu  dulden.  Wie 
in  England,  wandte  sich  auch  in  Frankreich  die  Geistlichkeit  an  den 
Papst,  um  sich  gegen  die  drückenden  Besteuerungen  des  Königs  zu 
sichern.  Infolgedessen  verbot  der  Papst  (1296)  in  der  Bulle  »Clericis 
laicos'i  allen  Laien,  Steuern  und  Abgaben  von  Geistlichen  zu  erheben, 
und  den  Geistlichen,  sie  an  den  Staat  zu  entrichten.  Die  Bulle  enthielt 
weder  etwas  Neues,  noch  betraf  sie  Frankreich  allein.  Während  Eduard  I. 
sich  über  ihre  Bestimmungen  einfach  hinwegsetzte,  andere  Könige 
Dispensen  erbaten  und  erhielten1),  erliefs  Philipp  IV.  eine  Verordnung, 
die  bei  Konfiskation  der  Waren  und  Gütereinziehung  jede  Ausfuhr  von 
Gold  und  Silber,  Edelsteinen,  Lebens-  und  Kriegsbedarf  aus  dem  König- 
reich untersagte.  Ein  zweites  Edikt  verbot  Fremden,  sich  im  Reiche 
aufzuhalten  und  hier  Handel  zu  treiben.  Dadurch  entgingen  dem  Papste 
die  von  den  Legaten  in  Frankreich  gesammelten  Summen,  wurden  die 
französischen  Einkünfte  der  Kardinäle  und  anderer  auswärtiger  Kleriker 
gesperrt,  italienischen  Kaufleuten  der  französische  Markt  entzogen,  endlich 
auch  die  Eintreibung  rückständiger  Schulden  unmöglich  gemacht.  Da 
aber  der  Krieg  um  Sizilien  bedeutende  Opfer  forderte,  das  Zerwürfnis 
mit  dem  Hause  Colonna  ihn  anderseits  von  neuen  Kämpfen  zurück- 
halten mufste,  kam  der  Papst  dem  König  einen  Schritt  entgegen.  Zwar 
tadelte  er  dessen  Vorgehen  als  Verletzung  der  Kirchenfreiheit  und  nannte 
es  im  Hinblick  auf  Frankreichs  zahlreiche  Gegner  unklug,  erklärte  aber, 
es  sei  nicht  seine  Absicht  gewesen,  dem  Reiche  zu  entziehen,  wessen  es 
in  seiner  Not  bedürfe.  Diese  Erklärung  befriedigte  den  König  nicht. 
Als  die  päpstlichen  Gesandten  von  ihm  die  Annahme  eines  Waffen- 
stillstandes zwischen  Frankreich  und  England  begehrten,  gestand  er  dies 
zu,  erklärte  aber,  dafs  die  weltliche  Regierung  in  Frankreich  niemandem 
als  ihm  selbst  zukomme,  und  dafs  er  in  weltlichen  Dingen  niemanden 
als  Richter  über  sich  erkenne.2)  Der  Papst  kam  ihm  nunmehr  noch 
weiter  entgegen :  er  schränkte  die  Zahl  der  Geistlichen,  auf  die  sich  seine 


1)  Kopp,  I.  c.  188. 

2)  S.  193. 


224  Beginn  des  kirchenpolitischen  Kampfes. 

Bulle  bezog,  erheblich  ein  (1297,  Februar),  gestattete,  dafs  die  Könige 
von  Frankreich,  wenn  sie  das  20.  Lebensjahr  erreicht  hätten,  befugt 
seien,  bei  gefahrvoller  Lage  des  Reiches  auch  ohne  Befragung  des 
Papstes  eine  Beisteuer  von  der  Geistlichkeit  zu  verlangen,  und  dafs  diese 
für  die  unmittelbaren  Bedürfnisse  des  Flandrischen  Krieges  Beiträge 
leiste.  Eben  damals  erhob  er  Ludwig  IX.  unter  die  Heiligen1),  machte 
dem  Prinzen  Karl  von  Valois  Aussichten  auf  den  deutschen  Thron,  ja 
auf  die  Nachfolge  im  griechischen  Reiche,  und  begnügte  sich,  den  Streit 
zwischen  England  und  Frankreich  als  Privatperson  zu  schlichten.  Da- 
durch erreichte  er,  dafs  die  Geldsendungen  nach  Rom  ihren  ungehinderteu 
Fortgang  nahmen.  Als  er  aber  im  Streit  zwischen  England  und  Frankreich 
schliefslich  doch  in  seiner  Eigenschaft  als  Papst  entschied2),  nahm  Philipp 
die  Colonna  in  Schutz  und  schlofs  ein  Bündnis  mit  König  Albrecht. 
Die  Erbitterung  wuchs  um  so  mehr,  als  Bonifaz,  getragen  von  seinen 
Erfolgen  in  Deutschland,  Dänemark  und  zuletzt  auch  beim  grofsen 
Jubiläum,  in  Frankreich  die  Zügel  straffer  anzog. 

2.  Im  Jahre  1298  hatte  Philipp  IV.  von  dem  Vicomte  Amalrich  IL 
von  Xarbonne  die  Huldigung  für  solche  Besitzungen  entgegengenommen, 
die  sein  Vorgänger  noch  vom  Erzbischof  von  Xarbonne  zu  Lehen  getragen 
hatte.  Nach  vergeblichen  Klagen  des  Erzbischofs  vor  dem  König  und 
fruchtlosen  Versuchen,  sich  mit  Amalrich  zu  vergleichen,  forderte 
der  Papst  den  König  auf,  der  Beeinträchtigung  der  Kirche  von  Xarbonne 
ein  Ende  zu  machen.  Xoch  wurde  eine  Zeitlang  zwischen  beiden  ver- 
handelt, bis  der  Papst  (1301)  den  Bischof  Bernard  Saisset  von  Pamiers 
als  Legaten  nach  Frankreich  sandte,  einen  Mann  von  hochfahrendem 
Wesen,  der  sich  schon  bei  früheren  Streitigkeiten  den  Hafs  der  franzö- 
sischen Regierung  zugezogen  hatte  und  auch  jetzt  einen  stolzen  Ton 
anschlug,  als  er  dem  König  eröffnete,  dafs  der  ihm  bewilligte  Zehent 
nur  zu  Kreuzzugszwecken  verwendet  und  ohne  päpstliche  Bewilligung 
weder  über  Einkünfte  erledigter  Kirchen  noch  über  geistliche  Amter  ver- 
fügt werden  dürfe3).  Philipp  bat  um  Zeit  bis  nach  Beendigung  des 
Krieges.  Der  Prälat  mag  durch  einige  unüberlegte  Aufserungen  den 
Zorn  des  Königs  geweckt  haben.  Jetzt  schützte  ihn  seine  Stellung  als 
Legat.  Daher  konnte  er  nach  Rom  zurückgehen,  um  über  seine  Mission 
Bericht  zu  erstatten.  In  seine  Diözese  zurückgekehrt,  trafen  ihn  die 
Schläge  des  Königs.  Eine  Kommission  ward  nach  dem  Süden  abgeordnet, 
um  die  Anklage  wider  den  Bischof  zu  begründen.  Dieser  wurde  an  den 
königlichen  Hof  gebracht,  seine  Korrespondenzen  mit  dem  Papst  und 
den  Kardinälen  mit  Beschlag  belegt  und  sein  Besitz  eingezogen.  Im 
Oktober  1301    trat  eine   grofse  Versammlung   von  Staatsräten,   Prälaten, 

1  Die  Heiligsprechung  erfolgte  am  11.  August  1297. 

2  Drumann  132,  135. 

3  Dafs  der  Papst  vom  König  die  Kreuzfahrt  und  die  Freilassung  des  Grafen 
von  Flandern  gebieterisch  und  unter  Androhung  des  Interdikts  verlangt  und  der  Legat 
auf  die  Weigerung  des  Königs  erklärt  habe,  dafs  der  Papst  die  unumschränkte  Gewalt 
über  die  Fürsten  besitze,  ist  zwar  nicht  hinreichend  verbürgt,  wird  aber  trotzdem  noch 
in  neueren  franz.  Werken  vorgetragen. 


Flugschriften  für  die  Rechte  des  Staates  gegen  die  Ansprüche  der  Kirche.        225 

Baronen  und  Doktoren  des  römischen  und  kanonischen  Rechtes  unter 
Philipps  Vorsitz  in  Senlis  zusammen.  Hier  erhob  der  Kanzler  Pierre 
Flotte  gegen  den  Bischof  Klage  wegen  des  Verbrechens  der  beleidigten 
Majestät,  wegen  Rebellion  und  Häresie,  Blasphemie  und  Simonie.  Das 
ganze  Land  geriet  in  Aufregung,  die  noch  gesteigert  wurde,  als  zahlreiche 
Flugschriften  und  publizistische  Traktate  für  die  Staatsgewalt  Stimmung 
machten. 

Wie  in  den  Tagen  des  grofsen  Investiturstreites  entwickelt  sich  eine  publizistische 
Literatur,  an  deren  Spitze  die  Bullen  des  Papstes  und  Briefe  des  Königs  stehen,  die 
freilich  bei  Gelegenheit  auch  in  entstellter  Gestalt  in  Umlauf  kamen.  Je  eifriger  die 
Parteigänger  der  Kirche  deren  Ansprüche  auf  die  Weltherrschaft  verfochten,  um  so 
kräftiger  wurden  von  anderer  Seite  die  Prärogativen  der  Staatsgewalt  verteidigt.  Schon 
Thomas  von  Aquino  hatte  gelehrt,  dafs  alle  irdische  Macht  der  geistlichen  Gewalt, 
dem  Papsttum,  unteregordnet  sei ;  ein  ungläubiger  oder  häretischer  Fürst  verliere  kraft 
kirchlichen  Spruches  seine  Herrschaft,  und  seine  Untertanen  seien  seiner  Herrschaft 
und  des  ihm  geleisteten  Eides  entbunden.  Nach  Agidius  von  Colonna,  der  1316 
als  Erzbischof  von  Bourges  starb,  kann  jede  Herrschaft  und  alles  Eigentum,  jeder 
Acker  und  jeder  Weinberg  nur  unter  der  Kirche  und  durch  die  Kirche  besessen 
werden.  Solchen  Ansprüchen  gegenüber  traten  nun  die  Publizisten  des  Königs  für 
die  Rechte  des  Staates  in  die  Schranken.  Der  »Dialog  zwischen  einem  Kleriker  und 
einem  Ritter«  lehrt,  dafs  geistliche  Würdenträger  auf  weltlichem  Gebiet  so  viel  oder 
so  wenig  zu  suchen  haben,  wie  die  weltlichen  auf  dem  geistlichen.  Die  Behauptung 
des  Papstes,  über  alle  weltlichen  Reiche  zu  gebieten,  sei  absurd.  Wie  von  den  eng- 
lischen Reformern  zwei  Menschenalter  später  wird  hier  schon  betont,  dafs  das  Kirchen- 
gut nicht  steuerfrei  sein  könne  und  der  Kirche  weltliches  Gut,  falls  sie  es  mifsbraucht, 
entzogen  werden  müsse.  Aus  vielen  Sätzen  tritt  das  stolze  Nationalgefühl  des  Fran- 
zosen hervor,  so  wenn  er  betont,  dafs  Frankreich  vom  Papst  unabhängig  sein  müsse. 
In  einer  anderen  Flugschrift  wird  gelehrt :  Bevor  es  noch  Kleriker  gab,  hatte  der  König 
von  Frankreich  schon  die  Hut  über  sein  Königreich.  Wie  Friedrich  II.  klagen  die 
Publizisten  über  die  Verderbtheit  in  der  Kirche,  und  der  Fundamentalsatz  Wiclifs :  Die 
Kirche  besteht  nicht  blofs  aus  dem  Papst  und  seinen  Prälaten,  sondern  auch  aus  den 
Laien,  wird  jetzt  schon  vernommen  und  Rückkehr  der  Kirche  zur  evangelischen  Armut  und 
Reinheit  verlangt.  Eine  Denkschrift,  sie  rührt  wahrscheinlich  von  dem  königlichen 
Advokaten  Peter  Dubois  her,  verlangt  Säkularisierung  der  weltlichen  Macht  des 
Papsttums,  denn  Sache  des  Papstes  sei  es,  Sünden  zu  vergeben,  zu  predigen  und  zu 
beten,  nicht  aber  Krieg  zu  führen,  und  Johann  von  Paris  datiert  die  Entartung 
der  Kirche  bereits  von  der  konstantinischen  Schenkung.  Nicht  Besitzer,  nicht  einmal 
Verwalter  irdischer  Güter  darf  der  Papst  sein,  noch  weniger  hat  er  über  Laiengut  eine 
Jurisdiktionelle  GewTalt.  Wenn  ein  weltlicher  Herrscher  in  weltlichen  Dingen  irrt, 
steht  es  nicht  dem  Papst,  sondern  den  Grofsen  zu,  ihn  zu  bessern.  Des  Königs  Macht 
stammt  nicht  von  jenem  her,  sondern  unmittelbar  von  Gott. 

Unter  solchen  Stimmungen1)  tagte  die  Versammlung  in  Senlis. 
Der  Bischof  von  Pamiers  wurde  dem  Erzbischof  von  Narbonne  zur  Haft 
übergeben  und  an  den  Papst  die  Forderung  gestellt,  ihn  seiner  Würde 
zu  entheben.  Bonifaz  VIII.,  hierüber  erzürnt,  verlangte  (1301,  5.  Dezember) 
Freilassung  des  Gefangenen  und  dessen  ungehinderte  Reise  nach  Rom 
und  belehrte  überdies  den  König,  dafs  der  Papst  »über  alle  Könige  und 
Reiche  gesetzt  sei«,  dem  König  dagegen,  der  in  geistlichen  und  welt- 
lichen  Dingen    dem    Papst    unterworfen    sei,    keine   Pfründenverleihung 


*)  Johanns  Traktat,  wiewohl  vielleicht  zwei  Jahre    später  geschrieben,    gibt   An- 
sichten wieder,  die  jedenfalls  in  Senlis  zur  Geltung  kamen. 

Loserth,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  15 


226  ^ie  Bulle  Ausculta  fili.     Haltung  der  Reichsstände. 

zustehe;  er  berief  für  den  1.  November  1302  die  geistlichen  Würden- 
träger und  Gelehrte  Frankreichs  nach  Rom,  »um  ihren  Rat  einzuholen, 
wenn  er  daran  gehe,  Exzesse  und  Unbilden,  die  der  König  geistlichen 
Personen  angetan  habe,  zu  strafen«.  Die  Absicht  des  Papstes  war,  gegen 
Philipp  vorzugehen  wie  einstens  Innozenz  IV.  gegen  Friedrich  IL  Das 
ist  der  Inhalt  der  Bulle  Ausculta  fili  charissime.  Sie  legt  das  ganze 
System  Bonifaz'  VIII.  mit  aller  Offenheit  dar:  »Niemand  möge  dem 
König  raten,  dafs  er  keinen  Höheren  über  sich  habe  und  dafs  er  dem 
Papst  nicht  unterworfen  sei,  das  könnte  nur  ein  Wahnsinniger  tun.« 
Der  König  wird  wegen  seiner  Eingriffe  in  die  Rechte  der  Kirche  gerügt 
und  geheifsen,  die  schlechten  Räte  zu  entfernen.  Die  Zeiten  waren  aber 
nicht  mehr  die  Gregors  VII.  oder  Innozenz'  IV.,  denn  nicht  einmal  in 
England  oder  in  Sizilien  konnte  Bonifaz  seine  Absichten  durchsetzen. 
Zudem  war  das  Beispiel  Englands  verlockend :  Wie  Eduard  I.  seine  Sache 
vor  das  Parlament,  brachte  der  König  seinen  Streit  vor  die  ganze  Nation. 
Ob  nun,  wie  einige  Chronisten  berichten,  die  Bulle  Ausculta  fili,  von 
Philipp  IV  oder,  wie  andere  wollen,  vom  Grafen  von  Artois  dem  Feuer 
überliefert  wurde,  oder,  was  wahrscheinlicher  ist,  dieser  ganze  Bericht 
eine  Fabel  ist,  jedenfalls  gestattete  der  König  nicht,  dafs  die  Bulle 
in  Frankreich  verbreitet  wurde.  Er  erklärte  seine  Söhne  der  Nachfolge 
verlustig,  falls  sie  in  weltlichen  Dingen  einen  andern  als  Gott  als  ihr 
Oberhaupt  anerkennen  würden,  untersagte  der  französischen  Geistlichkeit 
die  Reise  zum  Konzil,  liefs  an  den  Grenzen  Wachen  aufstellen,  um  die 
Goldausfuhr  nach  Rom  einer-,  das  Einschleppen  päpstlicher  Briefe 
anderseits  zu  verhindern,  und  befahl  schliefslich  dem  Nuntius  und  dem 
Bischof  von  Pamiers,  das  Reich  zu  verlassen.  Die  Reichsstände  traten 
am  10.  April  1302  in  Nötredame  zusammen.  Um  die  Stimmung  zu 
verschärfen,  wurde  ihnen  nicht  die  echte,  sondern  eine  verfälschte  Bulle 
vorgelegt,  in  der  die  einzelnen  Sätze  des  Papstes  in  viel  schrofferer  Form 
enthalten  waren.  Demselben  Zwecke  diente  die  angebliche  Antwort  des 
Königs :  Sciat  maxima  tua  fatuitas.  Im  Namen  des  Königs  sprach  Pierre 
Flotte ;  er  wufste  in  meisterhafter  Wreise  das  Nationalgefühl  der  Franzosen 
aufzuregen ;  zum  Schlufs  mahnt  er  an  die  ungerechten  Verleihungen  fran- 
zösischer Pfründen  an  Fremde,  an  die  Gelderpressungen,  den  Nepotismus 
und  die  Tyrannei  der  Kurie  und  fordert  die  Versammlung  auf,  die 
Freiheiten  des  Königreichs  und  der  Kirche  zu  schützen.  Die  weltlichen 
Stände  traten  begeistert  auf  die  Seite  des  Königs,  und  auch  die  geist- 
lichen waren  bereit,  die  Rechte  des  Reiches  und  der  Krone  zu  schützen. 
Die  gefafsten  Beschlüsse  wurden  von  den  Prälaten  dem  Papste,  von  den 
weltlichen  Ständen  —  und  von  diesen  in  französischer  Sprache  —  den 
Kardinälen  mitgeteilt.  Die  Antworten  des  Papstes,  auch  die  mündlichen, 
lauteten  nicht  versöhnlich :  Er  werde  den  König,  so  liefs  er  sich  ver- 
nehmen, bei  fortdauerndem  Widerstand  behandeln  wie  einen  Trofsbuben. 
Etwas  milder  lautete  die  schriftliche  Versicherung,  dafs  der  König  dem 
Papst  in  weltlichen  Dingen  ratione peccati  unterworfen  sei;  den  Geistlichen 
wurde  vorgehalten,  die  Interessen  der  Kirche  nicht  genügend  verteidigt 
zu   haben.     Einige   Tage   nach   der   mündlichen   Erklärung   des   Papstes 


Die  Bulle  Unam  sanctam.     Ihr  Inhalt  und  ihre  Bedeutung.  227 

gelangte  die  Nachricht  von  dem  Siege  /1er  Flarnänder  bei  Courtray 
(1302,  11.  Juli)  nach  Italien.  Pierre  Flotte  und  Robert  von  Artois  waren 
gefallen.  Nun  war  der  König  zu  einer  Versöhnung  geneigt,  auf  welche 
die  Kurie  aber  höchstens  um  den  Preis  vollständiger  Unterwerfung  ein- 
zugehen bereit  war.  Am  festgesetzten  Tage  trat  die  Synode  zusammen. 
Trotz  des  königlichen  Verbotes  waren  viele  Franzosen  erschienen,  die 
nun  vom  König  als  Hochverräter  mit  dem  Verlust  ihrer  Regalien 
bestraft  wurden,  wogegen  der  Papst  alle  die  mit  dem  Bann  belegte,  die 
den  Prälaten  den  freien  Zutritt  zur  Synode  versagen.  Das  Ergebnis  der 
Synode  liegt  in  der  berühmten  Bulle  Unam  sanctam  vor.1)  Sie  enthält 
die  nochmalige  Festsetzung  jener  Prinzipien,  auf  denen  das  kirchlich- 
theokratische  System  seit  Gregor  VII.  ruhte.  Hier  wird  der  päpstliche 
Absolutismus  mit  der  Erklärung,  dafs  die  Unterwerfung  jeder  mensch- 
lichen Kreatur  unter  den  Papst  zu  ihrem  Seelenheil  notwendig  sei,  zum 
Glaubenssatz  erhoben. 

In  der  Besorgnis,  dafs  Philipp  im  Bunde  mit  den  Colonna  und  mit  Hilfe  eines 
gefügigen  Konzils  einen  Gegenpapst  wählen  könnte,  wird  mit  besonderer  Schärfe 
betont,  dafs  die  Kirche  nur  ein  Haupt  haben  könne.  Ausgehend  von  der  Einheit  der 
katholischen  Kirche,  die  mit  dem  ungenähten  Hemd  Christi  verglichen  wird,  verkündet 
die  Bulle  die  Theorie  von  den  zwei  Schwertern  (Ecce  duo  gladii  hie,  d.  h.  in  der  Kirche). 
Die  Kirche  besitzt  beide  Schwerter:  das  geistliche  und  das  weltliche.  Jenes  ist  von 
der  Kirche,  dieses  für  die  Kirche  zu  gebrauchen.  Das  eine  führt  der  Priester,  das 
andere  der  König  oder  Eitter  auf  Geheifs  des  Priesters.  Das  weltliche  Schwert  mufs 
unter  dem  geistlichen  stehen,  d.  h.  die  weltliche  Macht  mufs  der  geistlichen  unter- 
geordnet sein.  Wenn  die  weltliche  fehlt,  wird  sie  von  der  geistlichen  gerichtet.  Diese 
selbst  kann  von  niemandem  auf  Erden,  nur  von  Gott  im  Himmel  gerichtet  werden, 
denn  wiewohl  in  den  Händen  eines  Menschen,  stammt  sie  doch  von  Gott,  und  wer 
sich  ihr  widersetzt,  widersetzt  sich  der  Anordnung  Gottes.  Daher  ist  es  zum  Seelen- 
heil jedes  Menschen  notwendig,  dem  Papste  unterworfen  zu  sein. 

Trotzdem  'diese  Bulle  noch  im  besonderen  auf  den  französischen 
König,  den  Enkel  des  hl.  Ludwig,  die  Makel  manichäischer  Ketzerei 
warf  und  ihn  hiedurch  noch  mehr  erbitterte,  gab  der  Papst  den  Versuch 
nicht  auf,  den  König  zu  anderer  Gesinnung  zu  bringen.  Indem  er  ihm 
aber  solche  Bedingungen  vorlegte,  in  denen  von  ihm  das  Bekenntnis 
von  Schuld  und  Reue  verlangt  wird,  konnte  es  zu  keiner  Einigung 
kommen.  In  einer  Versammlung  der  ersten  Barone  des  Reiches  und 
der  Fügsamsten  unter  den  Prälaten,  die  am  12.  März  1303  im  Louvre 
tagte,  trat  Nogaret  mit  leidenschaftlichen  Anklagen  gegen  Bonifaz  VIII. 
auf,  der  auf  verbotenen  Wegen  zum  Papsttum  gelangt,  ein  Ketzer  und 
Simonist  sei  und  auf  einem  öffentlichen  Konzil  verurteilt  und  abgesetzt 
und,  um  gröfseres  Unglück  zu  verhüten,  bis  dahin  unschädlich  gemacht 
werden  müsse.  Nogaret  nahm  den  Standpunkt  des  Hauses  Colonna  ein. 
Er  sprach  mit  Wissen  und  Willen  des  Königs,  der  ihm  und  drei  andern 
fünf  Tage  zuvor  die  Vollmacht  gegeben,  in  seinem  Namen  in  Italien 
Bündnisse  und  Freundschaften  abzuschliefsen.  Die  Katastrophe  des 
Papstes  war  sonach  vorbereitet. 


*)  Ihr  Verfasser  ist  wahrscheinlich  der  oben  genannte  Ägidius  Colonna.] 
2)  Holtzmann,  S.  45  ff. 

15* 


228  Die  Aufträge  Nogarets.     Haltung  des  Papstes. 

§  52.    Die  Katastrophe  yon  Anagni. 

Die  Quellen  und  neuere  Literatur  vermerken  Döllinger  in  s.  Aufsatz  Anagni. 
Akademische  Vorträge  III,  S.  223 — 244  und  Holtzmann,  S.  66  ff  Drei  Augenzeugen 
bringen  Berichte :  Nogaret  bei  Dupuy,  Hist.  du  diff  erend,  s.  oben.  Eelatio  de  Boni- 
facio Vni.  capto  et  liberato.  MM.  Germ.  SS.  XXYIII,  621 — 626  (rührt  von  einem  Curti- 
sanen,  wahrscheinlich  franz.  Abstammung"1  her.  Die  Biographie  Bonifaz'  VIII. :  Ex 
chronicis  Urbevetanis  in  Döllinger.  Beitr.  III,  347 — 353.  Die  Vienner  Abschrift  einer 
gleichz.  Eelat.]  bei  Digard,  RQH.  XLIII.  Istorie  Pistolesi,  ed.  Biscioni.  1845.  Die 
zahlreichen  kürzeren  Berichte  italienischer,  franz.,  engl.  u.  deutscher  Berichte  s.  bei 
Holtzmann,  S.  69 — 74.  Hilfeschriften  wie  oben.  Die  neueste  sachgemäfse  Darstellung 
ist  die  Holtzmanns  S.  66—110.     S.  auch  Finke  8.  269  ff. 

Nogaret  machte  sich  noch  im  März  1303  auf  den  Weg  nach  Italien. 
Er  hatte  den  Auftrag,  den  Papst  zu  verhaften  und  nach  Frankreich  zu 
schaffen,  um  ihn  dort  durch  ein  allgemeines  Konzil  absetzen  zu  lassen. 
Die  Hauptperson  neben  ihm  war  Musciatto  Guidi,  ein  Florentiner  Bankier, 
der  mit  seinem  Bruder  Biccio  vom  König  in  Finanzsachen  häufig  ge- 
braucht wurde.1)  Auf  seiner  Burg  Staggia  im  Toskanischen  sollten  die 
letzten  Beratungen  stattfinden.  Im  Latinerland  hatte  Bonifaz  VIII.  für  seinen 
Nepoten  Peter  Gaetano  ein  von  Ceperano  bis  nach  Subiaco  reichendes 
Baronaireich  mit  grofsen  Kosten  geschaffen;  es  war  aufgebaut  auf  den 
Trümmern  des  Hauses  Colonna  zum  Schaden  des  dortigen  Landadels. 
Hier  fanden  sich  zahlreiche  Kräfte,  bereit,  mit  Nogaret  und  Colonna  dies 
Nepotenreich  zu  stürzen  oder  am  Papste  Rache  zu  nehmen.  Sowohl 
Bonifaz  VIII.  als  Philipp  IV.  schlössen  mit  ihren  bisherigen  Gegnern 
Frieden,  um  nicht  durch  Rücksichten  auf  die  übrigen  Feinde  im 
Kampfe  gehindert  zu  sein.  Am  30.  April  bestätigte  der  Papst  die  Wahl 
König  Albrechts  und  entband  ihn  von  allen  in  früheren  Bündnissen 
eingegangenen  Verpflichtungen.  Die  Rede,  in  der  er  das  Konsistorium 
von  der  dem  König  zuteil  gewordenen  Gnade  in  Kenntnis  setzt,  enthält 
nochmals  theoretische  Erörterungen  über  das  Verhältnis  zwischen  der 
geistlichen  und  weltlichen  Macht:  »WTie  der  Mond  sein  Licht  von  der 
Sonne,  hat  die  weltliche  Macht  nichts,  das  sie  nicht  von  der  kirchlichen 
empfinge.  Der  Papst  ist  es,  der  das  Kaisertum  von  den  Griechen  auf 
die  Deutschen  übertragen  hat.  Sieben  Fürsten  wählen  den  römischen 
König  und  künftigen  Kaiser  und  Monarchen  der  Welt.  Ihm  sind  alle 
Könige  und  Fürsten  Untertan.  Die  Franzosen  lügen,  wenn  sie  sagen, 
dafs  es  für  sie  keinen  Höheren  gebe,  denn  nach  dem  Rechte  sind  sie 
dem  Kaiser  unterworfen.«  Wie  mit  Albrecht  machte  Bonifaz  auch  mit 
Sizilien  Frieden.  Er  bestätigte  den  vor  einem  Jahr  zwischen  Karl  von 
Neapel  und  Friedrich  von  Sizilien  geschlossenen  Vertrag.  So  behielt 
nach  schweren  Kämpfen  endlich  doch  ein  staufischer  Sprosse  das  viel- 
umstrittene Eiland.  Auch  Philipp  machte  mit  England  Frieden;  dieses 
durfte  Guienne  und  Gascogne  als  französische  Lehen  behalten.  Ebenso 
unterliefs  er  in  Flandern  alle  gröfseren  Aktionen.  Aber  für  sein  Ziel, 
den  Papst  zu  fangen  und  auf  einem  Konzil  absetzen  zu  lassen,  konnte 
er  den  französischen  Klerus   unmöglich   gewinnen;    und    doch   war   ihm 


»)  Döllinger,  S.  226  ff. 


des  Königs  und  der  frz.  Nation.     Mal'snahmen  des  Papstes.  229 

um  dessen  Zustimmung  am  meisten  zu  tun.  Daher  sollte  es  der  Papst 
selbst  sein,  der  das  Konzil  berufe.  Am  13.  und  14.  Juni  berief  Philipp 
die  Vertreter  der  Stände  zusammen.  Hier  wurde  Bonifaz  VIII.  der 
schwersten  Verbrechen1)  beschuldigt;  es  wurde  erklärt,  dafs  Cölestin  nicht 
abdanken  durfte,  Bonifaz  VIII.  demnach  nicht  rechtmäfsiger  Papst  sei. 
Ein  Konzil  müsse  berufen  werden,  um  über  diese  Anklagen  zu  ent- 
scheiden. Von  einer  Einkerkerung  des  Papstes  und  der  Berufung  des 
Konzils  durch  einen  Vikar  war  keine  Rede.  Dafür  trat  nun  neben  den 
andern  auch  die  französische  Geistlichkeit  für  das  Konzil  ein.  Daneben 
blieben  freilich  die  Aufträge  bestehen,  die  Nogaret  empfangen  hatte. 
Dieser  mufste  aber  dann  für  alles,  was  er  tat,  nach  aufsen  hin  selbst 
die  Verantwortung  tragen.  Für  sein  Vorgehen  gewann  der  König  die 
Zustimmung  der  ganzen  Nation.  Eine  Volksversammlung  schlofs  sich 
am  24.  Juni  1303  seiner  Appellation  an  ein  allgemeines  Konzil  an. 
Die  Universität,  Städte,  Klöster  und  andere  Korporationen  gaben  die 
Zustimmung.  Bis  Ende  September  waren  nicht  weniger  als  700  Beitritts- 
erklärungen eingelaufen.  Wo  der  Eifer  für  die  Ehre  und  Freiheit  des 
Reiches  nicht  wirkte,  half  der  Zwang  nach.  Ein  Widerstreben  wurde 
nicht  geduldet.  Da  sich  der  König  auf  ein  allgemeines  Konzil  berufen 
hatte,  mufste  er  sich  auch  an  andere  Nationen  und  vor  allem  an  Rom 
wenden.  Schreiben  gingen  an  Könige  und  Stände  einzelner  Länder;  er 
wandte  sich  selbst  an  die  Kardinäle  und  bat  sie  um  ihre  Mitwirkung 
zur  Herstellung  des  Friedens;  um  den  Schein  zu  wahren,  dafs  er  den 
Willen  besessen,  den  Papst  zur  Abhaltung  eines  Konzils  zu  bewegen, 
verlangte  er  von  ihm  dessen  Berufung.  Ein  Abgesandter  erhielt  den 
Auftrag,  falls  er  nicht  zum  Papste  gelange,  die  Appellation  in  Rom  und 
andern  Städten  Italiens  an  die  Kirchentüren  anheften  zu  lassen.  Wahr- 
scheinlich wurde  auch  Nogaret  vom  Stande  der  Sache  verständigt.  Auch 
er  mufste  ja,  falls  er  Gewalt  brauchte,  beschönigende  Worte  hiefür  finden. 
Die  Ereignisse  hatten  ganz  Frankreich  aufgeregt  und  in  allen  Kreisen 
des  Landes  ein  Gefühl  der  Zusammengehörigkeit  geweckt,  wie  es  seit 
den  Tagen  von  Bouvines  nicht  mehr  gespürt  worden  war.2)  An  dem- 
selben 24.  Juni  erneuerte  der  König  seine  Ausfuhrsverbote  und  die 
Verfügung  wegen  der  Konfiskation  der  Güter  rebellischer  Prälaten. 
Bonifaz  VIII.  nahm  den  Kampf  mutig  auf,  täuschte  sich  aber  über  seine 
eigenen  Machtmittel  und  den  aus  der  Fremde,  vorab  vorn  deutschen 
Reich,  zu  erwartenden  Schutz.  Er  hatte  sich  in  seine  Vaterstadt  Anagni 
begeben,  die  ihm  für  viele  Wohltaten  verpflichtet  war.  Hier  entwickelte 
er  eine  fieberhafte  Tätigkeit.  Mit  Würde  lehnte  er  am  15.  August  den 
Vorwurf  der  Ketzerei  ab,  protestierte  gegen  die  Berufung  des  Konzils 
und  das  ganze  Verfahren  des  Königs  und  der  französischen  Stände. 
Jede  Appellation  von  ihm  sei  eine  nichtige,  denn  unter  den  Sterblichen 
gebe  es  keinen  Gleichen  oder  Höheren  als  ihn.  Er  behielt  sich  vor, 
gegen  die  Exzesse  des  Königs    und    die  Seinigen  einzuschreiten,    nahm 


1)  Sie  sind  aufgezählt  bei  Drumann  II,  89—92. 

2)  Holtzmann,  S.  59. 


230  Das  Attentat  von  Anagni. 

ihm  das  Recht  zur  Besetzung  erledigter  Pfründen,  entzog  den  Lehrern 
und  Studenten  der  Pariser  Universität  ihre  Privilegien.  Und  noch  feier- 
lichere Schritte  gedachte  er  zu  tun.  Am  8.  September  sollte  die  Bann- 
bulle veröffentlicht  werden,  die  Philipp  zerschmettern  und  seine  Unter- 
tanen ihres  Treueides  entbinden  sollte.  Mittlerweile  ereilte  den  Papst 
sein  Geschick.  Während  sich  seine  Hoffnung  auf  fremde  Hilfe  als 
trügerisch  erwies ,  hatte  sich  Philipp  mit  allen  Feinden  des  Hauses 
Gaetani  verbündet.  An  Nogaret  und  die  Seinen  schlössen  sich  Reginald 
von  Supino  und  Sciarra  an,  das  weltliche  Haupt  des  Hauses  Colonna. 
Sie  gewannen  einen  starken  Anhang.  Die  Bürger  von  Anagni  rührten 
keine  Hand  für  ihren  Wohltäter.  Nogarets  Bundesgenossen  aus  der 
Campagna  verlangten,  dafs  ihnen  das  französische  Banner  vorangetragen 
werde,  sie  allein  wollten  die  Verantwortung  nicht  tragen.  Nun  entrollte 
Nogaret  auch  das  päpstliche  Banner,  um  anzudeuten,  dafs  sein  Unter- 
nehmen nicht  gegen  die  Kirche  gerichtet  sei.  Am  7.  September  beim 
Morgengrauen  rückte  er  vor.  Die  Tore  von  Anagni  standen  offen. 
Unter  dem  Ruf:  »Es  lebe  Frankreich  und  das  Haus  Colonna«  drangen 
die  Scharen  ein.  Der  Palast  des  Papstes  und  jene  dreier  Kardinäle 
wurden  bestürmt,  die  letzteren  genommen.  Als  Bonifaz  —  es  war  sechs 
Uhr  —  sah,  dafs  er  in  die  Hände  der  Gegner  fallen  müsse,  begehrte 
er  einen  Waffenstillstand,  der  bis  drei  Uhr  nachmittags  gewährt  wurde. 
In  der  Zwischenzeit  bat  er  die  Bürger  um  Hilfe.  Diese  wiesen  ihn  an 
Nogaret  und  Sciarra.  Vier  Bedingungen  wurden  gestellt,  unter  denen 
ihm  das  Leben  gelassen  werden  sollte :  Restitution  der  abgesetzten  Kar- 
dinäle Jakob  und  Peter  Colonna.  Zurückgabe  ihres  Besitzes,  Resignation 
und  Gefangenschaft  in  der  Gewalt  seiner  Gegner.  Als  der  Papst  die 
Forderungen  hörte,  rief  er  aus :  Wehe  mir,  diese  Rede  ist  hart !  L  nd  da 
er  schliefslich  die  Bedingungen  zurückwies,  unternahm  Sciarra  einen 
neuen  Sturm  auf  die  Paläste  des  Papstes  und  seines  Nepoten.  Der 
Palast  des  Papstes  lehnte  an  die  Marienkirche;  von  ihr  aus  war  er  am 
leichtesten  zu  erobern.  Da  die  Tore  geschlossen  waren,  wurde  Feuer 
angelegt.  Inzwischen  fiel  der  Palast  des  Nepoten,  dieser  selbst  ergab 
sich  dem  Sieger.  Nach  einem  nochmaligen  Sturm  fiel  auch  der  Palast 
des  Papstes.  Der  eindringende  Haufen  fand  ihn  in  seinem  Zimmer  auf 
einem  Bette  liegen,  er  hielt  ein  Kreuz,  gefertigt,  wie  es  hiefs,  aus  dem 
Holze  des  Kreuzes  auf  Golgatha,  auf  der  Brust.  Drohend  wurde  die 
Annahme  der  Bedingungen,  vor  allem  Verzicht  auf  das  Papsttum  und 
Verbleiben  in  französischer  Gefangenschaft  verlangt.  Der  Papst  erklärte, 
kein  Ketzer  zu  sein  und  für  den  Glauben  zu  sterben.  Auf  Vorwürfe 
und  Anklagen  antwortete  er  mit  keiner  Silbe.  Gefragt,  ob  er  resignieren 
wolle,  erklärte  er,  lieber  das  Haupt  verlieren  zu  wollen :  »Hier  mein 
Nacken,  hier  mein  Haupt.«  Als  Sciarra  ihn  töten  wollte,  wurde  er  von 
den  andern  gehindert,  und  Nogaret  schrieb  sich  das  Verdienst  zu,  ihm 
das  Leben  gerettet  zu  haben;  er  wollte  ihn  ja  zweifellos  lebend  nach 
Frankreich  bringen  und  vom  Konzil  verurteilen  lassen.  Darin  liegt 
der  Gegensatz  zwischen  Nogaret  und  seinen  italienischen  Bundesge- 
nossen: diese   hatten   persönliche  Rache   zu  nehmen,   jener  nach  seinen 


Überfall  und  Haltung  des  Papstes.     Sein  Tod.  231 

Instruktionen  den  Papst  nach  Frankreich  zu  schaffen.  Von  Mifshand- 
lungen  war  keine  Rede.  Bis  zum  dritten  Tage  blieb  er  in  Haft.  In  der 
Zwischenzeit  wurde  sein  Palast  und  die  dort  aufgehäuften  Schätze  ge- 
plündert. Nicht  besser  erging  es  den  Palästen  der  Nepoten  und  Kar- 
dinäle. Arm  wie  Hiob  geworden,  soll  Bonifaz  in  dessen  Worte  aus- 
gebrochen sein :  Der  Herr  hat's  gegeben,  der  Herr  hat's  genommen,  der 
Name  des  Herrn  sei  gebenedeit!  Die  Herrschsucht  und  Habsucht  des 
Papstes  rächte  sich  an  ihm  selbst.  Die  Ansprüche,  die  er  für  die  päpst- 
liche Macht  erhob,  hatten  ihm  die  Feindschaft  Frankreichs,  seine  Ver- 
suche, sich  und  seine  Familie  zu  bereichern,  die  der  Barone  aus  der 
Campagna  zugezogen;  indem  sich  beide  verbanden,  mufste  er  erliegen.1) 
Während  seine  Todfeinde  noch  verhandelten,  ob  man  ihn  dem  Tode 
überliefern  oder  lebend  nach  Frankreich  schaffen  solle,  der  Gegensatz 
zwischen  Sciarra  und  Nogaret  sonach  jedes  ernstliche  Handeln  unmög- 
lich machte,  schlug  die  Stimmung  in  Anagni  um.  Die  Bürger  bewaff- 
neten sich.  Mit  den  Rufen :  »Es  lebe  der  Papst,  nieder  mit  den  Fremden«, 
zogen  sie  zum  Palast,  überwältigten  die  Wache  und  befreiten  den  Papst. 
Das  Ärgste  war  überstanden.  Zeitgenossen  und  Spätere  haben  diesen 
Sachverhalt  stark  übertrieben:  dafs  der  Papst  mit  dem  Mantel  des 
hl.  Petrus  geschmückt,  die  Krone  Konstantins  auf  dem  Haupte,  die 
Schlüssel  und  das  Kreuz  in  der  Hand,  auf  dem  päpstlichen  Throne 
sitzend,  seine  Feinde  empfangen  habe,  nach  anderen  Berichten  gar  mifs- 
handelt  worden  sei.  Der  Auftrag,  den  Papst  nach  Lyon  zu  bringen, 
konnte  aus  Mangel  an  militärischen  Machtmitteln  nicht  ausgeführt  werden. 
Nogaret  selbst  und  Sciarra  entflohen,  das  französische  Banner  wurde 
zerfetzt  und  durch  den  Strafsenkot  geschleift.  Aber  des  Papstes  Mut 
und  Kraft  war  gebrochen.  Nach  einigen  Tagen  kamen  die  Kardinäle 
Orsini  an  und  geleiteten  ihn  nach  Rom.  Er  nahm  seine  Wohnung  im 
Lateran.  Noch  hoffte  er,  an  seinen  Feinden  Rache  zu  nehmen  und  ein 
Konzil  nach  Rom  zu  berufen:  hier  sollten  Philipp  IV.  und  seine  Mit- 
schuldigen, und  zu  diesen  gehörte  auch  König  Karl  IL  von  Neapel, 
gestraft  werden.  Diese  Politik  mifsfiel  den  Orsini,  den  alten  Verbündeten 
des  Hauses  Anjou.  Sie  stellten  den  Papst  unter  strenge  Aufsicht  und 
führten  ihn  in  den  Vatikan;  ja  sie  riefen  Karl  von  Neapel  nach  Rom, 
um  im  Falle  einer  neuen  Papstwahl  in  der  Nähe  zu  sein.  Somit  war 
der  Papst  ein  Gefangener.2)  Zu  allem  Überflufs  erschien  jetzt  noch  der 
französische  Bote,  der  ihm  die  Junibeschlüsse  mitzuteilen  und  die  Be- 
rufung eines  Konzils  zu  verlangen  hatte.  Er  konnte  nicht  mehr  vor- 
gelassen werden.  Des  Papstes  Kräfte  waren  zu  Ende.  Zwischen  hohen 
Entwürfen  und  angstvoller  Zurückhaltung  schwankte  er  hin.  Infolge 
der  unerhörten  seelischen  Erschütterung  starb  er  aus  Gram  und  Ver- 
zweiflung am  12.  Oktober  1303  —  ein  Greis  von  86  Jahren.  Das  Wort, 
das  seinem  Vorgänger  in  den  Mund  gelegt  wird3),  schien  in  den  Augen 

*)  Holtzmann,  S.  94. 

2)  Vgl.  dazu  aber  Finke,  S  273. 

3)  Intrabit  ut  vulpes,  regnabit  ut  leo,  morietur  ut  canis.   Über  die  Genesis  dieses 
Satzes  s.  Finke,  S.  42. 


232  Sturz  der  Machtstellung  des  Papsttums. 

der  Zeitgenossen  erfüllt  und  ist  doch  nicht  mehr  als  ein  vaticinium  ex 
eventu,  —  Bonifaz  VIII.  fiel  durch  einen  Akt  roher  Gewalttat,  die  nie- 
mand entschuldigen  wird.  Noch  weniger  wird  man  hiebei  das  Welt- 
historische an  dem  Ereignis  übersehen.  Die  ungeheure  Macht,  die 
Gregor  VII.  beansprucht,  Alexander  III.  gefördert,  Innozenz  III.  in  förm- 
licher Weise  aufgerichtet  und  Innozenz  IV.  durch  den  Sturz  der  Staufer 
ausgebaut  hatte,  sie  stürzte  unter  Bonifaz  VIII.  für  immer  zusammen. 
Gegen  die  von  ihm  gelehrte  Vereinigung  der  beiden  Schwerter  in  eine 
Hand  sträubten  sich  die  Nationen.  Wie  in  Italien  Dante,  waren  in 
Frankreich  zahlreiche  Männer  an  der  Arbeit,  der  geistlichen  Gewalt 
gegenüber  auf  die  legitimen  Ansprüche  der  weltlichen  Macht  zu  ver- 
weisen. Über  Bonifaz  VIII.  selbst  urteilten  die  Zeitgenossen  nicht  un- 
günstig :  den  hochherzigen  Sünder  nennt  ihn  Benvenuto  von  Imola, 
der  grofse  Priester  heilst  er  bei  Dante,  und  dieser  ist  es,  der  das 
an  dem  Papste  begangene  Verbrechen  in  strengster  Weise  rügt.1) 


x)  Fegefeuer  XX,  85. 


IL  Teil. 

Das  Papsttum  unter  französischem  Einflufs  1303 — 1378. 
(Die  babylonische  Gefangenschaft  der  Päpste.) 


1 .  Abschnitt. 

Das  avignonesische  Papsttum  und  Philipp  der  Schöne. 


1 .   Kapitel. 

Kiemen s  V.  und  Philipp  der  Schöne. 

§  53.    Das  Pontifikat  Benedikts  XI.    und  die  Anfänge   Kleinens'  Y. 
Die  Verlegung  des  Papsttums  nach  Avignon  und  ihre  Bedeutung:. 

Quellen:  Le  Registre  de  Benoit  XI.  p.p.  Grandjean.  Paris  1884 — 86  Potth., 
Regg.  pontiff.  IL  Theiner,  I,  395  —  471.  Regestum  Clementis  papae.  Romae  1885 
bis  1888.  Tractatus  cum  Heinr.  VII.  MM.  Germ  LL.  II,  1.  Clementis  V  pap  ,  Philippi  etc., 
epp.  LXXI,  ap.  Baluze,  Yitae  pap.  Avenion.  Paris  1693.  S.  55 — 293.  Über  die  Vor- 
gänge bei  der  Wahl  Klemens'  V.  s.  d.  Schreiben  d.  Kardinals  Nap.  Orsini  an  Philipp 
d.  Seh  bei  Souchon,  Die  Papstwahlen  von  Bonif .  VIII.  bis  Urban  VI.  Braunschw. 
1888.  Jetzt  yornehml  der  Bericht  an  Jayme  II.  v.  Arag.  bei  Finke  S.  LXII.  Rayn. 
Ann.  Eccl.  Acta  inter  Bonifacium  etc  wie  oben.  Darstellende  Werke,  Bio- 
graphien: Bernardi  Guidonis  Vita  Bened.  papae,  Muratori  III,  2,  672  u.  Vita  Bene- 
dicti  XI  in  Eccard  Corp  hist.  I,  1461  ff.  Vitae  Clementis :  Prima  vita  auetore  Joanne 
canon.  s.  Victoris  Parisiensis,  Baluze  2 — 22.  Secunda  auet.  Ptol.  Luc.  ib.  23  56.  Tertia 
auet.  Bernardo  Guidonis,  ib.  56 — 62.  Quarta,  ib.  62 — 89.  Quinta  auet.  Veneto  coetaneo, 
ib.  85—94.  Sexta  auet.  Amalrico  Augerii  de  Biterris.  Murat.  ILI,  2,  451 — 466.  Chro- 
nisten: Chronica  Urbevetana  wie  oben.  Ptolemäus  v.  Lucca,  Hist.  eccl.  Murat.  XI, 
1224.  Ferretus  von  Vicenza,  Historia  rerum  in  Italia  gestarum  1250 — 1318.  Murat.  IX, 
1010.  Franciscus  Pipinus,  Chron.  bis  1314.  Mur  IX,  746.  Giovanni  Villani  Hist, 
Fiorentina.  Mur.  XIII.  Zur  Schlacht  von  Courtrai :  La  version  flamande  et  la  version 
francaise  de  la  bataille  de  Courtrai  p.  p.  Pirenne.  Brux.  1890.  (Funck-Brentano, 
Memoire  sur  la  bataille  de  Courtrai  et  les  chroniqueurs  qui  en  ont  traite  pour  servir 
a  1'historiogr  du  regne  de  Philippe  le  Bei.  Paris  1891.  Sevens,  Kortrijk  in  1302 
ende  slag  der  gülden  sporen.  Kortrijk  1893.  Navez,  Courtrai  ou  la  bat.  des  eperons 
d'or.  Brux.  1897.)  Raynald,  Ann.  Eccl.  Die  franz.  Quellen  s.  oben,  desgl.  die  für  die 
Bez.  zu  Deutschi ,  Engl.  usw.     Erg.  bei  Molinier  III,  187. 

Hilfsschriften.  Dupuy,  wie  oben.  Gregorovius  V.  Hefele  VI, 
D  r  u  m  a  n  n ,  Gesch.  Bonif.  VIII.  wie  oben.  G  a  u  t  i  e  r ,  Benoit  XL  Paris  1863.  Grand- 
jean,  Benoit  XI  avant  son  pontif.  Mel.  d'archeol.  1888.  Kindler,  Bened.  XL 
Posen    1891.     Funke,    Bened.    XL      Münster    1891    (dort    S.   7    auch    ältere    Werke). 


234  Benedikt  XI.  und  Philipp  der  Schöne. 

C.  Wenck,  Klemens  V.  und  Heinrich  VII.  dort  ausführliche  Literaturvermerke). 
Souchon,  wie  oben.  Finke,  wie  oben.  Baumgarten,  Untersuchungen  u.  Urkunden 
über  die  Camera  collegii  cardinalium  für  die  Zeit  von  1295—1437.  Leipz.  1898.  Für 
die  Gesch.  d.  ap.  Stuhls  im  14.  Jahrh.  überhaupt:  De  Loye,  Les  archives  de  la 
chambre  apost.  au  14e  siecle.  Paris  1899.  Für  den  Römerzug  s.  unten  §57.  Rabanis, 
Clement  V  et  Philippe  le  Bei.  1858.  Lacoste,  Nouvelles  etudes  sur  Clern.  V.  1896. 
Hef  ele,  Restitution  der  Colonnas  1304.  ThQ.-Schr.  1866.  Zöpffel-Hauck,  RE.  II,  565. 
Huyskens,  Kard.  Napol.  Orsini.     München  1902. 

1.  Noch  am  Todestag  Bonifaz'  VIII.  war  Karl  II.  von  Neapel 
in  Rom  eingerückt.  Die  Wahl  vollzog  sich  auch  diesmal  unter  dem  Ein- 
flufs  des  Hauses  Anjou.  Im  Kardinalskollegium  gab  es  drei  Parteien; 
der  Führer  der  ersten,  Napoleon  Orsini,  »der  es  vorzog,  Päpste  zu 
machen,  statt  selbst  einer  zu  werden«,  hatte  sich  Bonifaz  gegenüber 
feindlich  verhalten;  die  zweite  Gruppe  bestand  aus  Bonifazianern ;  aus 
der  dritten  Gruppe,  die  Bonifaz  ergeben  gewesen,  ohne  seine  Pläne  zu 
billigen ,  wurde  Nikolaus  Boccasini ,  General  der  Dominikaner ,  als 
Benedikt  XL  (1303 — 1304)  gewählt.  Nach  den  Stürmen  unter  seinem  Vor- 
gänger betrat  er  den  Weg  der  Versöhnung  und  Milde,  die  aber  weder 
in  Feigheit  noch  in  Schwäche  ihren  Grund  hatte.  Er  hob  die  meisten 
Verfügungen  gegen  das  Haus  Colonna  auf,  ohne  die  beiden  Kardinäle 
in  ihre  Würde  einzusetzen.  Dadurch  deutete  er  an,  dafs  auch  er  ihre 
Auflehnung  gegen  Bonifaz  VIII.  als  Vergehen  betrachte.  Mifslang  es 
ihm,  die  Gegensätze  zwischen  Weifen  und  Ghibellinen  zu  mildern ,  so 
behauptete  er  dem  König  Friedrich  von  Trinakrien  gegenüber  die  Lehens- 
hoheit des  Papsttums.  Schwierig  war  es,  ohne  Preisgebung  der  Ehre 
der  Kirche  geordnete  Beziehungen  zu  Frankreich  herzustellen ;  denn  noch 
war  Philipp  IV.  entschlossen,  den  verstorbenen  Papst  durch  ein  Konzil 
als  Ketzer  verurteilen  zu  lassen.  Indem  aber  Philipp  den  ersten  Schritt 
tat  und  eine  Gesandtschaft  nach  Rom  abschickte,  um  seine  Lossprechung 
entgegenzunehmen  (1304,  25.  März),  sprach  ihn  Benedikt  XL  vom  Bann 
los,  hob  die  wider  die  Universität  Paris  und  die  ungehorsamen  Prälaten 
erlassenen  Verfügungen  auf,  änderte  die  Bulle  Clericis  laicos  zugunsten 
des  Königtums  ab  und  legte  auch  die  übrigen  Streitigkeiten  grofsenteils  bei. 
Gegen  Nogaret  und  die  unmittelbaren  Täter  von  Anagni  war  der  Papst, 
der  die  Tat  mit  eigenen  Augen  gesehen  hatte,  aufs  äufserste  erbittert; 
darum  legte  er  ihn  mit  zwölf  anderen  Genossen,  unter  ihnen  Sciarra 
Colonna,  noch  besonders  in  den  Bann.  Seine  Begnadigung  erfolgte  erst 
unter  dem  nächsten  Pontifikat  (1311).  Die  Regierung  Benedikts  XL  steht 
mitten  in  einer  denkwürdigen  Entwicklung  des  Kardinalskollegiums.1) 
Indem  Nikolaus  IV.  die  Verordnung  erliefs,  dafs  die  Kardinäle  die  Hälfte 
sämtlicher  Einkünfte  der  römischen  Kirche  besitzen  und  an  deren  Re- 
gierung bei  Besetzung  der  Rektoren-  und  Kollektorenstellen  teilnehmen 
sollen,  erhielten  sie  einerseits  die  Mittel,  um  ihrer  hohen  Würde  ent- 
sprechend auftreten  zu  können,  anderseits  aber  auch  eine  rechtliche 
Grundlage  für  ihre  Mitwirkung  an  weltlichen  Regierungshandlungen. 
Sie  nahmen  nun  auf  die  Regierung  der  Kirche  grofsen  Einflufs,  der  nur 


l)  Funke,  S.  110. 


Die  Wahl  Klemens'  V.  235 

unter  Bonifaz  VIII.  unterbrochen  war.  Wie  bei  den  deutschen  Königs- 
wahlen machen  sich  in  der  Folgezeit  Wahlkapitulationen  bemerkbar,  ja 
einzelne  Kardinäle  bekunden  das  Streben,  das  Kardinalskollegium  zum 
wesentlichen  Faktor  in  der  Oberleitung  der  Kirche  zu  machen.  Benedikt  XI. 
starb  am  7.  Juli  1304  zu  Perugia.  Die  Plötzlichkeit  seines  Todes  rief  die 
Fabel  von  seiner  Vergiftung  hervor.  Allerdings  lag  dem  französischen 
König  daran,  gefügigere  Werkzeuge  auf  dem  päpstlichen  Stuhl  zu  be- 
sitzen, als  es  dieser  Papst  war,  der  mit  sich  nicht  schalten  liefs,  wie  es  den 
Wünschen  Philipps  entsprach. 

2.  Bei  der  Schroffheit  der  Parteigegensätze  im  Kardinalskollegium, 
in  welchem  sich  neben  Bonifazianern  Anhänger  Philipps  IV.  befanden, 
kam  ungeachtet  des  von  Neapel  geübten  Druckes  die  Neuwahl  erst  nach 
11  Monaten  zustande.  Gewählt  wurde  am  5.  Juni  1305  Bertrand  de  Got, 
Erzbischof  von  Bordeaux,  als  Klemens  V.  (1305 — 1314).  Die  Wahl  dieses 
Franzosen  mochte  sich  aus  mehreren  Gründen  empfehlen.  Hatte  er  im  Streite 
zwischen  Bonifaz  VIII.  und  Philipp  sich  auf  die  Seite  des  Papstes  ge- 
schlagen, so  war  seine  Parteinahme  nicht  so  weit  gegangen,  dafs  er  sich 
die  Gunst  des  Königs  verscherzt  hätte.  Dieser  wufste,  als  er  seine 
Kandidatur  den  Kardinälen  empfahl,  sehr  genau,  was  er  von  ihm  zu 
gewärtigen  habe.  Welche  Versprechungen  Klemens  dem  Könige  vor 
seiner  Wahl  gemacht,  ist  nicht  genau  zu  erweisen,  sicher  dagegen  ist, 
dafs  er  die  Kardinäle  durch  eine  Wahlkapitulation  gewann,  die  ihnen 
einen  legitimen  Einflufs  auf  die  Verwaltung  der  Kirche  gewährte1)  und 
gewärtigen  liefs,  dafs  das  Zusammenwirken  des  Papstes  und  der  Kardinäle 
die  Aufrichtung  der  Kirche  von  ihrem  tiefen  Fall  zur  Folge  haben  werde. 
Sein  Name  erinnert  an  Klemens  IV.,  der  auch  Franzose  gewesen  und  dem 
man  nachsagte,  dafs  er  aus  Liebe  zu  seinem  Volke  die  Kirche  zerrüttet 
habe.  Im  übrigen  führte  Klemens  V.  die  Verhandlungen  mit  Philipp  IV. 
erst  jetzt  zu  Ende.  Gegen  den  Wunsch  der  Kardinäle  verblieb  er  in 
Frankreich,  zunächst  um  den  Frieden  zwischen  Frankreich  und  England 
zu  befestigen.  Seine  Krönung  fand  (14.  November)  in  Lyon  statt,  das  dem 
französischen  König  bequem  lag.  Dieser  mochte  erwarten,  dafs  Klemens 
dem  Andenken  seines  Vorgängers  den  Prozefs  machen  werde ;  dann  konnten 
dessen  Akte  kassiert  und  die  Tat  von  Anagni  als  Rettung  der  Kirche 
hingestellt  werden.  In  der  Tat  kam  Klemens  V.  dem  König  weit  ent- 
gegen. Unter  den  zehn  Kardinälen,  die  er  am  15.  Dezember  1305  ernannte, 
waren  vier  aus  seiner  eigenen  Verwandtschaft,  unter  den  übrigen  befand 
sich  der  Beichtvater  und  der  Kanzler  des  französichen  Königs.2)  Jakob 
und  Peter  Colonna  wurden  in  ihre  Würden  wieder  eingesetzt.  Nunmehr 
befanden  sich  die  Bonifazianer  und  bald  auch  die  italienisch  gesinnten 
Kardinäle  in  der  Minderheit.  Dadurch  wurde  eine  Gewähr  für  das  vom 
Papst  anfänglich  kaum  beabsichtigte  Verbleiben  in  Frankreich  geboten. 


x)  Das  ist  durch  Souchon  S.  26  ff.  erwiesen.  S.  die  Stelle  aus  dem  Brief  Orsinis 
Quondam  (bei  der  Wahl  in  Perugia)  cum  multis  cautelis  .  .  .  hunc  .  .  .  elegimus.  Saepe  .  . 
cassatis  capitulis  electionis  absque  iuris  ordine  .  .  .  S.  186. 

a)  Wenck,  S.  48  ff.  - 


236  Das  Papsttum  in  Avignou.     Schäden  des  avignonesischen  Systems. 

Die  Forderung,  den  Prozefs  gegen  Bonifaz  VIII.  einzuleiten,  hielt  Philipp 
sechs  Jahre  lang  aufrecht  und  benützte  sie  zur  Einschüchterung  des  Papstes, 
dem  daran  liegen  niufste,  das  Ansehen  seines  Vorgängers  unversehrt  zu 
erhalten.  Dagegen  wurde  Frankreich  von  den  Wirkungen  der  Bulle 
Clericis  laicos  gänzlich  eximiert;  bei  der  xlbhängigkeit  des  Papstes  von 
Frankreich  verlor  auch  die  Bulle  TJnam  sanctam  für  dieses  ihre  Bedeutung. 
Nach  Rom  sandte  Klemens  seine  Vikare;  seine  Residenz  nahm  er  schliefslich 
(1308)  in  Avignon,  einer  Stadt,  die  seinem  Vasallen,  dem  König  von 
Neapel,  als  Grafen  der  Provence  gehörte  und  nicht  weit  von  Venaissin 
lag,  das  Raimund  von  Toulouse  1228  an  die  römische  Kirche  abgetreten 
hatte.  Die  Abwesenheit  des  Papstes  erzeugte  in  Rom  eine  förmliche 
Anarchie.  Machten  sich  einige  Adelsgeschlechter  zu  Herren  der  Stadt, 
so  verlor  diese  nun  auch  eine  reiche  Quelle  des  Einkommens,  seitdem 
der  Papst,  sein  Hofstaat  und  jener  der  Kardinäle  fehlte  und  der  Zuflufs 
der  Pilger  aufhörte.  Um  die  Ordnung  notdürftig  aufzurichten,  enthob 
der  Papst  die  Senatoren  ihrer  Würde  und  gab  dem  Volke  das  Recht, 
sich  seine  Vorstände  selbst  zu  wählen.  Mit  Schmerz  blickten  gebildete 
Römer  auf  die  Ereignisse  und  wandten  ihre  Blicke  dem  Kaisertum  zu, 
von  dem  sie  wie  Dante1)  ihre  Rettung  erwarteten. 

3.  Die  schweren  Schäden  der  Verlegung  der  römischen  Kurie  nach 
Avignon  boten  nicht  blofs  in  Rom  und  Italien,  sondern  im  ganzen  Abend- 
land Anlafs  zu  Klagen.2)  Schon  der  Kardinal  Napoleon  Orsini,  früher 
selbst  ein  eifriger  Förderer  Klemens'  V.,  klagt  das  ganze  System  Klemens'  V. 
an :  seine  Habgier  und  Simonie  und  die  bei  der  Kurie  eingerissene  Sitten- 
losigkeit.  Dabei  konnte  er  das  schwerste  Übel:  die  Abhängigkeit  der 
Kurie  von  der  französischen  Krone,  gar  nicht  einmal  nennen,  weil  das 
Schreiben,  in  welchem  er  davon  spricht,  an  den  König  gerichtet  ist.  Am 
meisten  sagte  dem  Papst  das  Klima  von  Bordeaux  zu,  dahin,  ^in  den 
Winkel  der  Gascogne«,  gedachte  er  noch  ein  Jahr  vor  seinem  Tode 
den  Sitz  der  Kurie  zu  verlegen.  Mit  zärtlicher  Liebe  hing  er  an  seiner 
Heimat  und  seiner  Verwandtschaft,  die  er  nach  Kräften  förderte,  so 
zwar,  dafs  er  geistliche  und  weltliche  Amter  in  gröfster  Menge  an  sie 
verteilte,  in  vielen  Fällen  an  Personen,  die  ihrer  ganz  unwürdig  waren : 
an  Knaben  und  ungebildete  Leute.3)  Unter  den  von  ihm  ernannten 
Kardinälen  sind  16  Gascogner  und  unter  diesen  vier  Nepoten.  Wie  er 
selbst  für  diese  sorgte,  taten  dies  auf  sein  Verlangen  auch  England  und 
Frankreich.  Unter  der  Habsucht  des  Papstes  hatte  die  französische 
Kirche  am  meisten  zu  leiden.  Zum  Zweck  der  Gelderpressung  wurde 
vielen  Kirchen  das  Wahlrecht  entzogen  und  Bischofssitze  durch  päpstliche 
Provision  besetzt.  Auf  lange  Zeit  hinaus  gilt  nicht  mehr  Würdigkeit 
und  persönliche  Tüchtigkeit  des  Bewerbers,  sondern  Reichtum  und  ein- 
flufsreiche  Verwandtschaft.     Aufser  den  Verwandten   und  Freunden  des 


*)  Purg.  VI :    Komm,  sieh  dein  Rom  in  Tränen  etc. 

2)  Zusammengestellt  bei  Wenck,  S.  64.    S.  Souchon,  S.  185. 

3)  Wenck,  S.  60 — 62.  Die  Stelle  in  Orsinis  Brief  ist  bezeichnend :  Nulla  remansit 
cathedralis  ecclesia  vel  alicuius  ponderis  praebendula.  que  non  sit  pocius  perditioni  quam 
provisioni  exposita.  Nam  omnes  quasi  per  emptionem  et  v enditionem  vel 
c arnem  et  sanguinem  possidentibus  immo  usurpantibus  advenerunt.  Weiteres  s.  §  61. 


Philipp  IV.  in  Flandern.     Die  Sporenschlacht.  237 

Papstes  werden  die  Philipps  IV.  am  meisten  gefördert.  Unter  dem  Vor- 
wand eines  Kreuzzuges,  der  dem  Papst  indessen  weniger  am  Herzen 
lag,  als  ihm  nachstehende  Geschichtsschreiber  zugeben,  wurden  von 
den  Kirchen  schwere  Auflagen  erhoben.  Bei  ihrer  Abhängigkeit 
von  Frankriech  wurde  die  Kurie  ganz  nach  den  Absichten  der 
französischen  Krone  gelenkt.  Hierin  ist  der  wichtigste  Grund  ihrer 
zahlreichen  Kämpfe  mit  anderen  Ländern  zu  suchen,  denn  bei  jedem 
Zusammenstofs  Frankreichs  mit  einer  andern  Macht  war  auch  die  Kurie 
in  Mitleidenschaft  gezogen.  Philipp  der  Schöne  nützte  diese  Lage  hart, 
rücksichtslos  und  mit  der  kühlen  Berechnung  des  Diplomaten  aus.  Schon 
im  Kampf  gegen  Flandern  stand  ihm  der  päpstliche  Rückhalt  zur  Ver- 
fügung. Im  Jahre  1301  mochte  es  scheinen,  als  sei  Flandern  fester  Besitz 
der  französischen  Krone  (s.  §  50).  Da  erhoben  sich  die  Unzufriedenen 
in  Brügge,  an  ihrer  Spitze  Peter  von  Koning,  der  Vorstand  der  Tucher  - 
zunft.  Die  Bewegung  wurde  unterdrückt  und  von  dem  französischen 
Statthalter  Jacques  de  Chätillon,  der  den  Weisungen  Pierre  Flottes  folgte, 
benützt,  um  die  Zügel  in  den  Städten  straffer  anzuziehen.  Darüber  ent- 
stand eine  Mifsstimmung,  die  von  den  gefangenen  Grafen  von  Flandern, 
Johann  und  Guy  von  Dampierre,  genährt  wurde  und  (1302)  zu  einer  all- 
gemeinen Erhebung,  den  »Matines  de  Bruges«,  der  Frühmette  von  Brügge, 
führte,  die  über  3000  Franzosen  das  Leben  kostete.  Aus  allen  flandrischen 
Städten  wurden  die  Franzosen  vertrieben  und  ein  Heer  Philipps  IV.  unter 
Robert  von  Artois  von  dem  flandrischen  Bürgerheere  am  11.  Juli  1302  in  der 
sogenannten  Sporenschlacht  von  Courtray  besiegt:  Artois,  de  Conne- 
table  und  Pierre  Flotte  fielen.  4000  goldene  Sporen  wurden  in  der  Kathe- 
drale zu  Courtray  aufgehängt.  Der  nächste  Feldzug  Philipps  brachte  keine 
Entscheidung.  Erst  als  er  Frieden  mit  England  geschlossen  und  den 
Streit  mit  dem  Papsttum  beendet  hatte,  brachte  er  unter  grofsen  An- 
strengungen ein  Heer  auf,  das  die  Gegner  bei  Mons-en-Pevele  (1304, 
18.  Aug.),  zurückdrängte,  ohne  aber  entscheidende  Vorteile  zu  erzielen. 
Die  flandrischen  Landesteile  mufsten  dem  Grafen  Guy  und  seinen  Söhnen 
gelassen  werden,  dagegen  versprachen  die  Flandrer,  200000  Livres  zu 
zahlen  und  als  Pfand  den  auf  dem  rechten  Ufer  der  Lys  liegenden  Teil 
von  Flandern  mit  Lille,  Douai  und  Bethune  zu  übergeben,  die  dann  im 
Besitz  der  Franzosen  blieben.  Auf  dem  Fürstenkongrefs  zu  Poitiers 
(im  Mai  1307)  erhielt  der  Frieden  auch  die  päpstliche  Bestätigung.  In  einer 
Klausel  wird  der  Bann  der  Kurie  gegen  die  flandrischen  Grafen  ge- 
schleudert, falls  sie  den  Friedenstraktat  verletzten.  Der  Bannstrahl  der 
Kirche   war  damit   in   den  Dienst   des  französischen  Königtums  gestellt. 

§  54.    Der  Templerprozefs. 

Quellen:  Die  erste  in  tendenziöser  Weise  zusammengestellte  Sammlung  rührt 
von  Dupuy  her  (s.  Gmelin  S.  213).  Die  eigentlichen  Prozefsakten  blieben  fast 
500  Jahre  unbekannt,  und  selbst  die  Protokolle  der  Verhöre  in  Paris  sind  erst  von 
Moldenhawer  (Prozefs  geg.  d.  Orden  d.  Tempelherren.  Hamburg  1792)  auszugsweise 
und  in  Übersetzung  publiziert  worden.  Michelet,  Proces  des  Templiers,  Collection  de  docu- 
ments  inedits  2  voll.  Paris  1841—1852  (ein  Quellenwerk  ersten  Ranges).  Ein  Teil 
der  oberital.  Akten  von  1311  bei  Bini,  Atti  della  r.  academia  di  Lucca  XIII,  1845.    Die 


238  Der  Templerprozefs. 

Regle  et  Statuts  secrets  des  Templiers  von  Maillard  de  Chanibure  1840  u.  1886  von 
H.  de  Curzon,  La  Regle  du  Temple  in  Soc.  de  l'histoire  de  France.  (Unter  d.  Quellen 
ist  d.  Templerregel  eine  der  wichtigsten.  Aus  ihr  ist  für  eine  angebl.  ketzerische  Ver- 
schuldung des  Ordens  nicht  das  mindeste  abzunehmen.  S.  Gmelin,  MJÖG.  XIV.  Siehe 
Körner,  Die  Templerregel.  Jena  1902.)  Urk. -Material  bei  Campomanes,  Disser- 
taciones  hist.  del  orden  de  los  Templarios.  Madr.  1747  u.  Mariana,  Hist.  gener.  de 
Espana.  Madrid  1649,  Einzelnes  in  Ferreira,  Memorias  e  noticias  da  celebre  ordern 
dos  Templarios.  Lisb.  1735.  Zur  engl.  Templergesch.  s.  Wilkins,  Conc.  Magn.  Brit.  II,  329 
bis  401.  Besonders  wichtig  ist  Boutaric,  Xotices  et  extraits  de  doc.  ined.  de  la  biblioth. 
imper.  XX,  2,  169.  Schottmüller  teilt  in  seinem  Buche  (s  unten)  die  Verhöre  v.  Poitiers, 
die  des  engl.  Prozesses,  die  Inquesta  facta  et  habita  in  Brundusio,  den  processus 
Cypricus  u.  den  Proc.  in  patrimonio  mit.  Prutz  hat  in  seinem  Buche  (s.  unten)  Re- 
gesten von  Templerurkk.  1145 — 1306,  Papsturkk.  1219—1319,  Urkk.  franz.  Könige  für 
die  Templer  u.  a.  aufgenommen.  Wichtig  ist  immer  noch:  Raynouard,  MM.  hist. 
relatifs  ä  la  condanmation  des  Templiers.  Paris  1813.  Von  besonderer  Wichtigkeit  sind 
die  Biographien  Klemens'  V.,  s.  oben.  (Am  wichtigsten  sind  die  vitae  III  u.  IV  aus 
der  Feder  Bernard  Guis.)  Keine  erzählende  Geschichtsquelle  gibt  eine  zusammen- 
hängende Darstellung  des  Templerprozesses.  Einzelnes  die  Continuatio  des  Guilelmus 
de  Nangiaco  u.  Villani,  s.  Schottmüller  I,  682 — 6V0.     Erg.  bei  Molinier  DU,  223. 

Hilfsschriften.  In  Havemann,  Gesch.  d.  Ausganges  des  Tempelherren- 
ordens, Stuttg.  u.  Tübingen  1846,  ist  die  gesamte  ältere  Lit.  vermerkt.  (Daher  werden 
die  Werke  von  Le  Mire,  Menenius,  Dupuy,  Gurtler,  Vertot,  Ferreira,  Campomanes, 
Anton,  Xikolai,  Stemler,  Le  Jeune,  Moldenhawer,  Raynouard  [wegen  der  Mitt.  aus 
Handschr.  s.  oben],  Graf,  Horky,  Addison,  Hammer,  übergangen.)  W  i  1  c  k  e ,  Gesch.  des 
Tempelherrenordens.  2  A.  1860.  Soldan,  Über  den  Prozefs  der  Templer.  HT.  NF.  VI. 
1845.  In  neuerer  Zeit  ist  die  Frage  über  Schuld  u.  L^nschuld  d.  T.  häufig  behandelt 
worden.  Sie  kann  nach  der  letzteren  Richtung  als  gelöst  betrachtet  werden.  Die 
(ketzerische)  Verschuldung  d.  T.  wurde  zuerst  von  Loiseleur,  La  doctrine  secrete 
des  Templiers.  Orl.  1872,  noch  mehr  von  Prutz,  Geheimlehre  und  Geheimstatuten 
des  Templerordens.  Berl.  1879,  vorgetragen.  Dort  ist  die  Gleichgültigkeit  der  Templer 
gegen  das  Christentum  betont  u.  werden  Zeugnisse  über  die  Zweifel  an  der  kirch- 
lichen Rechtgläubigkeit  des  Ordens  gesammelt.  Dieser  habe  eine  ketzerische  Ge- 
heimlehre gehabt  u.  u.  ä.  die  Menschwerdung  Christi  geleugnet.  Modifiziert  hat 
Prutz  seine  Ansichten  in  seinem  Buche :  Entwicklung  u.  Untergang  des  Templer- 
herrenordens. Berl.  1888.  S.  HZ.  64,  280.  Prutz,  Kulturgesch.  d.  Kreuzzüge. 
Berl.  1883.  Schottmüller,  Der  Untergang  des  Templerordens.  Berl.  1888,  tritt 
für  die  Unschuld  des  Ordens  ein.  Dessen  tragisches  Ende  ist  in  dem  selbst- 
süchtigen Willen  K.  Philipps  zu  suchen  (s.  Bemerkungen  Kleins  in  JBG.  XVI,  III,  171). 
Gegen  Prutz:  Gmelin,  Schuld  oder  Unschuld  d.  T.-O.  Stuttg.  1893.  —  Gmelin, 
Die  Templerregel  in  MJÖG.  XIV  (s.  dazu  JBG.  1897).  —  Prutz,  Forschungen  zur 
Gesch.  des  Templerordens.  1.  die  Templerregel.  Königsberger  Stud.  1.  —  Knöpf  ler, 
Die  Ordensregel  d.  T.  HJb.  VHI.  Boutaric,  Clement  V,  Philippe  le  Bei  et  les 
Templiers.  RQH.  X,  XI,  1871.  La  France  sous  Philippe  le  Bei.  Paris  1861.  Renan, 
La  papaute  hors  de  l'Italie.  RdDM.  XXXVIII.  Van  Os,  De  abolitione  ordinis  Templi. 
Würzb.  1876.  Lavocat,  Proces  des  freres  de  l'Ordre  du  Temple.  Paris  1888.  Lang- 
lois,  Le  Proces  d.  Tempi.  RdDM.  CHI.  Delisle,  Memoire  sur  les  Operations 
financieres  des  Templiers  (Mem.  de  l'Ac.  des  Insc.  XXXIII,  2).  In  gewissem  Sinne 
abschliefsend  Lea,  History  of  the  Inquisition  IH,  238  ff.  Döllinger,  Der  Unterg. 
des  Templerordens.  Ak.  Vortr.  HI  (dort  auch  Angaben  über  ital.  Lit.  zu  dem  Gegen- 
stand.) Jungmann,  Klemens  V.  u.  d  Aufh.  d.  Templerordens.  ZKath.  Theol.  I,  IH. 
C.  Wenck,  Klemens  V.  u.  Heinrich  VII.  Halle  1882.  S.  auch  Wenck  in  d.  GGA. 
1888,  1890,  1893,  1896  u.  RHist.  XL,  168.  Prutz,  Krit.  Bemerkungen  zum  Proz.  d. 
T.  DZG.  XL  Salvemini,  L'abolizione  d.  Ord.  di  Templari.  AStlt.  XV,  2. 
Orange,  The  fall  of  the  knigths  of  the  Temple.  Dublin  Rev.  1895.  Auf  d.  Literatur- 
angaben über  die  Gesch.  der  Templer  in  den  einzelnen  Ländern  wird  verzichtet.  Zum 
Konzil  v.  Vienne  s.  Ehrle  im  ALKG.  II,  III,  IV.  Heber,  Gutachten  u.  Reform- 
vorschläge f.  d.  Vienner  Generalkonzil.     Leipz.  1896.     Hefele,     Konzil-Gesch.  VI. 


Philipp  IV.  und  die  Templer.  239 

1.  Der  unglückliche  Krieg  gegen  Flandern  hatte  die  Mittel 
Philipps  IV.  erschöpft.  Er  stand  vor  dem  Zusammenbruch  seiner 
Pläne.  Da  lag  es  nahe,  sich  an  das  Gut  der  Kirche,  vor  allem  an  das 
des  Templerordens,  zu  halten,  dessen  Reichtum  ein  bedeutender  war 
und  in  den  Augen  der  Zeitgenossen  noch  viel  höher  eingeschätzt  wurde.1) 
Der  Orden  hatte  stets  eine  wichtige,  in  den  letzten  Zeiten  der  Christen- 
herrschauV  in  Syrien  aber  unrühmliche  Rolle  gespielt.  Er  besafs 
eine  Fülle  päpstlicher  Privilegien,  die  ihm  eine  Sonderstellung  gewährten 
und  dankte  der  Freigebigkeit  der  Fürsten  und  Grofsen  reichen  Besitz 
an  liegender  und  fahrender  Habe.  In  Frankreich  in  den  höheren 
Kreisen  geachtet,  war  er  in  denen  des  Volkes  wegen  des  IHochmuts 
seiner  Mitglieder  sehr  unbeliebt;  dem  aufstrebenden  Königtum  stand  er 
im  Wege,  denn  seine  Mitglieder,  auch  seine  Untertanen,  Bauern  und 
Handwerker,  waren  der  Einflufsnahme  durch  den  Staat  entzogen,  und  so 
störte  er  die  auf  die  Zentralisierung  der  Verwaltung  gerichteten  Absichten 
Philipps.  Das  Templergut  konnte  der  König  nur  bei  einer  förmlichen 
Aufhebung  des  Ordens  erlangen,  diese  konnte  aber  nur  erzielt  werden, 
wenn  gegen  ihn  die  Anklage  auf  Häresie  erhoben  und  begründet 
werden  konnte.  Dies  geschah  in  der  Tat.  Die  meisten  zeitgenössischen 
Quellen  melden,  dafs  die  Habgier  des  Königs  die  vornehmste  Ursache 
des  gegen  den  Orden  eingeleiteten  Prozesses  war.  Aber  den  König 
leitete  noch  ein  zweites  Motiv.  Sein  Vorgehen  gegen  Bonifaz  VIII.  hatte 
in  vielen  Kreisen  Entsetzen  erregt.  Noch  hatte  er  der  Kirche  keine 
entsprechende  Genugtuung  gegeben.  Das  konnte  geschehen,  wenn  er 
sich  zum  Retter  des  durch  die  Ketzer  bedrohten  Glaubens  aufwarf.  Es 
mufsten  sonach  die  Templer  als  Ketzer  erscheinen;  seine  Pflicht  war  es 
dann  einzuschreiten.  Um  den  Kampf  gegen  sie  aufzunehmen,  gewährte 
die  vom  König  abhängige  und  ihm  vielfach  verpflichtete  Inqui- 
sition die  entsprechenden  Mittel.  Die  Inquisitoren  standen  im  Solde  des 
Königs,  und  der  Ertrag  der  Konfiskation  flofs  seiner  Kasse  zu.  Was 
den  nächsten  Anlafs  zur  Einleitung  des  Prozesses  gab ,  ist  nicht  ganz 
sicher.  Es  wurde  behauptet,  dafs  eine  entsprechende  Zusage  des  Papstes 
eine  der  Bedingungen  seiner  Wahl  war.  Dies  ist  wenig  wahrscheinlich. 
Sicher  ist  nur,  dafs  der  König  dem  Papst  bei  dessen  Krönung  (1305, 
14.  November)  zuerst  Mitteilung  über  geheime  Verbrechen  der  Templer  und 
Mifsbräuche  im  Orden  machte.  Es  hielt  nicht  leicht,  Klemens  V.  zu  gewinnen ; 
doch  besafs  Philipp  ein  wirksames  Pressionsmittel:  er  drängte  auf  die 
Einleitung  des  Ketzerprozesses  gegen  Bonifaz  VIII.2)  Diese  Forderung 
erfüllte  den  charakterschwachen  Papst  mit  Schrecken;  so  oft  er  Be- 
denken zeigte  oder  die  Neigung  bekundete,  der  Rechtfertigung  der 
Templer  Gehör  zu  schenken,  wandten  Philipp  und  seine  Juristen  dies 
Mittel  an,  und  es  versagte  niemals  den  Dienst. 


*)  Döllinger,  S.  267.  Der  Kard.  Simon,  der  um  1300  einen  dem  Klerus  auferlegten 
Zehent  zu  erheben  hatte  und  den  genauen  Betrag  aller  kirchlichen  Güter  wohl  abzu- 
schätzen verstand,  legte  den  Templern  keine  höhere  Steuersumme  auf  als  den  Hospi- 
talitern;    die  Zisterzienser  zahlten  dagegen  doppelt  so  viel    als  die  beiden  Ritterorden. 

a)  Döllinger,  S.  255. 


240  Einleitung  des  Prozesses.     Verhaftung  und  Verhör  der  Templer. 

2.  Klemens  V.  mochte  den  Enthüllungen  des  Königs  anfangs  wenig 
Glauben  geschenkt  haben,  denn  noch  1306  berief  er  die  Meister  der 
Hospitaliter  und  Templer  zu  einer  gemeinsamen  Beratung  über  den  Kreuz- 
zug. Erst  im  August  1307  war  er  bereit,  eine  Untersuchung,  um  die  der 
Grofsmeister  selbst  gebeten  hatte,  einzuleiten.  Ohne  ihr  Ergebnis  abzu- 
warten, wurden  auf  Philipps  Befehl  am  13.  Oktober  alle  Templer  in 
Frankreich  verhaftet,  ihre  Güter  mit  Beschlag  belegt  und  die  Gefangenen 
dem  Inquisitor  übergeben.  Die  Klagen  gegen  den  Orden  umfafsten  fünf 
Punkte :  Verleugnung  und  Entweihung  des  Kreuzes,  Verehrung  eines  Idol- 
kopfes, Unzüchtigkeit,  Auslassung  der  Sakramentalworte  bei  der  Messe  und 
Gestattung  unnatürlicher  Ausschweifungen.  Auf  diese  Klagepunkte  hin 
wurden  die  Gefangenen  im  Tempel  zu  Paris  zwischen  dem  19.  Oktober 
und  24.  November  verhört  und,  wofern  sie  nicht  gestanden,  gefoltert. 
Sechsunddreifsig  Templer  erlagen  den  Qualen,  andere  starben  im  Ge- 
fängnis aus  Mangel  an  den  notwendigen  Lebensbedürfnissen.  Die  An- 
klagen waren  insgesamt  unbegründet.  Nie  und  nirgends  hat  ein  Templer 
ein  Geständnis  abgelegt,  das  ihm  nicht  durch  die  Folter  oder  durch  die 
Furcht  vor  ihr  entrissen  worden  wäre.  Wo  man  wider  sie  nicht  mit  der 
Folter  vorgehen  durfte,  waren  keine  belastenden  Zeugenaussagen  zu  er- 
langen. Da  der  Inquisitor  nur  das  Recht  hatte,  gegen  einzelne  Templer 
zu  verfahren,  allgemeine  Anordnungen  aber  nur  dem  Papste  zustanden, 
erhob  dieser  gegen  das  Verfahren  Einsprache.  Weil  er  fürchtete,  die 
Sache  könnte  seinem  Richterspruche  entzogen  und  die  Güter  des  Ordens 
vom  Staate  eingezogen  werden,  wollte  er  selbst  gegen  den  Orden  vor- 
gehen und  erliefs  am  22.  November  1307  eine  Bulle,  durch  die  er  alle 
Fürsten  zur  Verhaftung  der  Templer  aufforderte.  Hiedurch  wurde  die 
Sache  zu  einer  Angelegenheit  der  ganzen  Christenheit.  In  England, 
Irland  und  Wales  wurden  die  Templer  im  Januar  1308  verhaftet,  in 
Aragonien  zog  der  König  ihre  Besitzungen  ein,  in  Portugal  nahm  er  sie 
in  Schutz.  Dem  ausgesprochenen  Willen  des  Papstes  zum  Trotz  wollte 
Philipp  IV.  die  Untersuchung  nicht  aus  der  Hand  geben  und  griff  daher 
zu  einem  Mittel,  das  sich  schon  gegen  Bonifaz  VIII.  bewährt  hatte. 
Er  brachte  die  Sache  vor  die  Reichsstände.  Diese  begehrten,  dafs  der 
König  bei  der  Weigerung  des  Papstes  die  Ketzer  selbst  vertilgen  solle, 
und  drängten  auch  den  Papst  zu  weiteren  Mafsregeln.  Bei  einer  Zu- 
sammenkunft in  Pöitiers  verlangte  Philipp  von  Klemens  die  Einleitung 
des  Prozesses  gegen  die  Templer  und,  als  sich  der  Papst  weigerte,  den 
Prozefs  gegen  Bonifaz  VIII.  Um  dessen  Ruf  zu  schonen,  gab  Klemens  V. 
in  der  Templerfrage  nach.1)  Aber  die  Übergabe  der  Templer  an  den 
Papst,    die   nun   erfolgte,   war   nur  eine  scheinbare.      Sein  Stellvertreter 


*)  Aus  dieser  Zeit  stammt  der  Bericht  eines  Ohrenzeugen,  überliefert  durch  den 
Juristen  Alberich  de  Rosate  (Zit.  bei  "VVenck,  78):  Destructus  fuit  ille  ordo  tempore 
Clementis  pape  ad  prouocacionem  regis  Francie.  Et  sicut  audivi  ab  uno,  qui  fuit 
examinator  cause  et  testium,  destructus  fuit  contra  iusticiam.  Et  mihi  dixit,  quod  ipse 
Clemens  pr otulit  hoc:  Et  si  non  per  warn  iusticie  potest  destrui,  destruatur  tarnen 
per  viam  expediencie.  ne  scandalizetur  char us  filius  noster  rex  Francie. 
Siehe  zu  dieser  Stelle  Prutz,  224. 


Die  Haltung  des  Grofsmeisters.  241 

überliefs  ihre  Bewachung  dem  König,  und  die  Inquisitoren  walteten  ihres 
Amtes.     In   Poitiers   wurden   mittlerweile    72  Templer,  doch  nur  solche, 
die  bereits  Geständnisse  abgelegt  hatten,  aufs  neue  verhört.     Die  meisten 
blieben  bei  ihren  Aussagen.     Die  Würdenträger  wurden  in  Chinon  ver- 
nommen.    Molay   gestand   die  Verleugnung  Christi   und    Bespeiung  des 
Kreuzes  zu  und  bat  um  Gnade,  die  ihm  gewährt  wurde.    Aber  ohne  Folter 
wird  es  auch   hier    nicht  abgegangen   sein.     Da  Philipp  bisher  stets  auf 
die  Einberufung  eines   Konzils   gedrängt   hatte,  schrieb   es  Klemens  auf 
den  1.  Oktober  1310  nach  Vienne  aus.     Es  hatte  die  Aufgabe,  über  die 
Templerfrage,  Irrlehren,  den  Kreuzzug  und  die  Hebung  der  Kirchenzucht 
zu  verhandeln.     Der  Prozefs  gegen  Bonifaz  VIII.  sollte  im  Februar  1309 
zu  Avignon  weitergeführt    werden.      Mittlerweile   hatte   der   Papst   eine 
Bulle  erlassen,    welche    die  Templer  an   den   ihnen   gesetzten  Terminen 
vor  die  Inquisitoren  wies.     Der  Orden  als  solcher  sollte  für  seine  Sache 
Bevollmächtigte  ans  Konzil  senden.      Ein  Lichtblick   für  die  Verfolgten 
eröffnete   sich,    als   Heinrich  von  Luxemburg  zum  deutschen  König  ge- 
wählt wurde.    Der  Papst  hätte  nun  einen  Rückhalt  wider  die  steigenden 
Ansprüche  Frankreichs  gewonnen ;  aber  er  war  schon  zu  weit  gegangen, 
als    dafs    er    noch    zurücktreten    konnte.      Indem   er  den  Bischöfen   die 
Führung    der   Prozesse    in   ihren   Diözesen  überliefs,   regte  er  den  alten 
Hafs  der  Weltgeistlichkeit  gegen  die  Templer  auf,  denen  nun  nicht  selten 
neue    Geständnisse    abgeprefst    wurden.       Doch    erklärten    einzelne    im 
stolzen  Gefühl  ihrer  und  der  Unschuld  des  Ordens  die  Geständnisse  des 
Meisters   und  der  andern  für  erlogen.     Die  wichtigsten  Prozesse  fanden 
in  den  Diözesen  von  Paris,  Sens  und  Tours  statt.    Während  die  Bischöfe 
den   Prozefs   gegen   einzelne    Ordensmitglieder   führten,    hatte   der  Papst 
die  Untersuchung  gegen  den  Orden  als  solchen  einer  Kommission  über- 
geben, an  deren  Spitze  der  Erzbischof  von  Narbonne  stand.      Sie  hatte 
das   Material   herbeizuschaffen,    auf   Grund   dessen   das  Konzil   die  Ent- 
scheidung   fällen    sollte.      Sie    begann    ihre    Tätigkeit    in    Paris    (1309, 
7.  August).      Alle,    die   den   Orden  verteidigen   wollten,   wurden  für  den 
12.  November  vorgeladen,  aber  an  diesem  Tage  erschien   kein  Templer 
da  die  Aufforderung  den  Gefangenen  entweder  nicht  oder  unrichtig  zu- 
gestellt, einzelne  Personen  überdies  erst  noch  verhaftet   wurden.     Molay 
wurde    am    26.  November   verhört.      Gewarnt,    sich   auf   einen  Widerruf 
einzulassen,   war   er   entrüstet,   als   er  hörte,  was  man  ihm  als  sein  Ge- 
ständnis vorlas.      Er  verlangte    vor   den   Papst   geführt  zu  werden   und 
verzichtete  darauf,  den  Orden  vor  der  Kommission  zu  verteidigen.    Am 
28.  März  1310  waren  549  Templer  bereit,  dessen  Verteidigung  zu  über- 
nehmen.    Das  Verhör  der  Zeugen  (11.  April)   förderte   keine   neuen  Er- 
gebnisse zutage.      Die  Untersuchung    zog   sich  in   die   Länge.      Da  ver- 
sammelte   der    neuernannte    Erzbischof   von   Sens,    ein   Bruder   des    all- 
mächtigen Ministers   Enguerrand  von   Marigny,   ein  Provinzialkonzil   zu 
Paris  (10.  Mai)  und  befreite  unter  dem  Vorwand,  nicht  gegen  den  Orden 
als  solchen,  sondern  nur  gegen  die  einzelnen  Templer  seiner  Erzdiözese 
zu  verfahren,    den   Hof   von  den  entschiedensten   Zeugen.1)     Gleich   am 

x)  Soldan,  S.  407. 
Loserth,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  16 


242  Das  Urteil  des  Provinzialkonzils  von  Paris  und  seine  Vollstreckung. 

folgenden  Tage  wurden  54  Ritter,  weil  sie  ihre  Geständnisse  zurück- 
genommen hatten,  verurteilt  und  verbrannt.  Noch  aus  dem  Prasseln 
des  Feuers  hörte  man  die  Beteuerungen  ihrer  Unschuld.  Am  12.  Mai 
folgten  vier  Genossen.  Entsetzt  sah  die  Menge  ihrem  Martyrium  zu, 
ohne  an  ihre  Schuld  zu  glauben.  Der  Terrorismus  wirkte  schliefslich 
auf  die  Mehrzahl  der  übrigen  Templer.  Als  Aymer  de  Villiers-le-Duc 
vor  die  päpstliche  Kommission  trat,  beteuerte  er  laut  die  Unschuld 
seines  Ordens.  Seit  er  aber  die  54  habe  sterben  gesehen,  werde  er 
bekennen  was  man  wolle,  selbst,  dafs  er  den  Heiland  ans  Kreuz  ge- 
schlagen habe.  Die  päpstliche  Kommission  hatte  sich  vergebens  bei 
Marigny  verwendet.  Es  blieb  ihr  nichts  übrig,  als  ihre  Geschäfte  auf  ein 
halbes  Jahr  zu  vertagen ;  sie  führte  auch  dann  nur  ein  klägliches  Dasein, 
bis  sie  am  5.  Juni  1311  ihre  Sitzungen  schlofs.  Das  in  Paris  gegebene 
Beispiel  fand  in  den  Diözesen  Reims,  Rouen  und  Carcassone  Nachahmung. 
Überall  beteuerten  die   Templer  noch   in   den  Flammen   ihre   Unschuld. 

3.  Die  Ergebnisse  der  Untersuchung  in  den  andern  Ländern 
waren  sehr  verschiedene.  Je  mehr  ein  Land  dem  Einflüsse  Frankreichs 
und  der  Kurie  entrückt  ist,  desto  geringer  sind  die  Ergebnisse  der 
Untersuchung,  desto  milder  das  Los  der  Templer.  Weder  in  den  Staaten 
der  pyrenäischen  Halbinsel  noch  in  England  wurde  ihre  Schuld  erwiesen. 
Die  Verfolgung  war  dort,  wo  das  Königtum  oder,  wie  in  Deutschland, 
die  Landesfürsten  und  der  Adel  die  Hand  über  den  Templern  hielten, 
eine  laue.  Am  günstigsten  war  der  Verlauf  des  Prozesses  in  Cypern. 
Viele  von  den  Zeugen  und  einzelne  Templer  erklärten,  erst  durch  die 
Erlasse  des  Papstes  von  ihren  vermeinten  Verbrechen  gehört  zu  haben. 
Auf  dem  Konzil  wurden  die  Protokolle  über  die  Untersuchung  in  den 
einzelnen  Ländern  vorgelegt  und  geprüft,  dem  Orden  aber  versagt,  seine 
Verteidigung  zu  führen.  Ritter,  die  es  versuchten,  wurden  ins  Gefängnis 
geworfen.  Aber  das  Konzil  kam  nicht  zu  dem  Schlüsse,  dafs  der  Orden 
häretisch  sei.  Wieder  drängte  Philipp  den  Papst  vorwärts.  Am  5.  März 
1312  kam  er  selbst  nach  Vienne  und  nahm  an  den  Verhandlungen 
teil.  Der  Papst  gab  schliefslich  zu,  dafs  der  Orden  zwar  nicht  wegen 
Ketzerei  verurteilt  werden  könne,  aber  in  so  schlechtem  Rufe  stehe, 
dafs  er  seine  Aufgabe  nicht  mehr  zu  erfüllen  vermöge.  Auch  werde 
ihm  niemand  mehr  beitreten  wollen.  Unter  diesen  Umständen  sprach 
er  in  öffentlicher  Sitzung  (3.  April)  die  Aufhebung  des  Ordens  aus.1) 
Wenige  Wochen  später  wurde  das  Ordensgut  mit  Ausnahme  des  spanisch- 
portugiesischen den  Hospitalitern  zugesprochen.  Die  obersten  Würden- 
träger behielt  der  Papst  seinem  Urteilsspruch  bevor;  über  die  übrigen 
sollten  Provinzialsynoden  entscheiden,  die  für  unschuldig  Befundenen 
aus  den  Ordensgütern  erhalten,  die  Geständigen  nachsichtig  behandelt 
und  die  Rückfälligen  strenge  bestraft  werden.  Sein  eigentliches  Ziel,  in 
den  Besitz  des  Ordensgutes  zu  kommen,  erreichte  der  König  somit  nicht. 
Dafs  der  Verlauf  der  Angelegenheit  ein  anderer  war,  als  er  ihn  gewünscht 
hatte,  spricht  aber  nicht  gegen  seine  ursprünglichen  Absichten.    Übrigens 


x)  Die  Aufhebungsbulle  vom  22.  März  1312  auch  bei  Mirbt  Nr.  245. 


Aufhebung  des  Ordens.     Ende  Molays.  243 

behielt  er  das  Templergut  in  seinen  Händen.  Erst  seine  Nachfolger 
lieferten  es  zum  Teil  an  die  Hospitaliter  aus.  Auf  halbem  Wege  durfte 
er  aber  nicht  stehen  bleiben.  Es  folgte  noch  das  Ende  des  Grofs- 
meisters.  Zuvor  wurde  endlich  die  Angelegenheit  Bonifaz'  VIII.  zu  Ende 
geführt  und  seine  Rechtgläubigkeit  anerkannt.  Doch  wurde  ein  Dekret 
erlassen,  wonach  weder  dem  König  noch  seiner  Familie  jemals  vor- 
geworfen werden  sollte,  was  er  an  dem  Papste  verübt  hatte.  Und 
noch  ein  weiteres  Zugeständnis  mufste  dem  König  gemacht  werden. 
Alle  Bullen  Bonifaz'  VIII.,  die  dem  König  und  Frankreich  zum  Nach- 
teile gereichten,  mufsten  aus  den  päpstlichen  Registerbüchern  gerissen 
und  sonst  der  Vernichtung  preisgegeben  werden.  Nun  erst  wurde  auch 
Nogaret  vom  Banne  gelöst. 

4.  Der  feierliche  Schlufsakt  im  Templerprozesse  fand  am  11.  März 
1314  statt.  Es  handelte  sich  um  Molay  und  seine  Genossen.,  Vor  der 
Kirche  von  Nötredame  war  ein  rotausgeschlagenes  Gerüst  errichtet. 
Molay  und  die  Seinigen  wurden  vor  die  päpstlichen  Kommisäre  und 
den  Erzbischof  von  Sens  geführt  und  ihre  Verurteilung  zu  lebensläng- 
lichem Kerker  ausgesprochen.  Da  erhoben  sich  der  Grofsmeister  und  der 
Präzeptor  der  Normandie,  bestritten  die  Rechtmäfsigkeit  des  Urteils  und 
nahmen  ihre  früheren  Zugeständnisse  nicht  nur  zurück,  sondern  er- 
klärten auch  alle  dem  Orden  ungünstigen  Aussagen  der  übrigen  Templer 
für  ungültig.  Philipp  war  hierüber  aufs  höchste  entrüstet.  Sofort  erliefs 
er  den  Befehl,  die  beiden  auf  den  Scheiterhaufen  zu  führen.  Noch  an 
demselben  Abend  wurden  sie  ohne  Rücksicht  darauf,  dafs  sich  der  Papst 
die  Entscheidung  vorbehalten  hatte,  verbrannt.  Nicht  einmal  der  letzte 
Trost  wurde  den  Verurteilten,  denn  sie  waren  Ketzer,  gewährt. 

Einen  Monat  später  starb  der  Papst,  und  da  ihm  acht  Monate  darauf  auch  der 
König  im  Tode  nachfolgte,  gaben  die  beiden  rasch  nach  dem  Ende  Molays  folgenden 
Todesfälle  zu  der  Legende  Anlafs,  Molay  habe  angesichts  des  Todes  die  beiden  vor 
das  Tribunal  Gottes  gefordert.  Diese  und  ähnliche  Erzählungen  waren  in  Frankreich, 
Italien  und  Deutschland  verbreitet  —  gewifs  ein  Zeichen  des  schwer  verletzten 
Gerechtigkeitsgefühles  im  Volke  und  eine  schwere  Schädigung  von  Staat  und  Kirche  ; 
die  Templer  hatten  Cypern  zu  ihrem  Hauptsitz  gemacht  und  würden,  wären  sie  nicht 
vernichtet  worden,  dort  eine  Rolle  gespielt  haben,  wie  die  Hospitaliter  auf  Rhodus. 
Die  Christenheit  verlor  mit  ihrer  Vernichtung  ein  starkes  Bollwerk  gegen  den  Islam. 
Der  Prozefs  als  solcher  begründete  die  Härte  und  widernatürliche  Grausamkeit,  die  in 
der  französischen  Kriminaljustiz  bis  1789  fortbestand,  und  schliefslich  wurde  all  das, 
was  in  den  auf  der  Folter  erprefsten  Aussagen  der  Templer  eine  so  grofse  Rolle  spielt : 
die  Vorstellung  eines  persönlichen  Umgangs  mit  dem  Teufel,  das  Hexenwesen  u.  dgl. 
von  jetzt  an  förmlich  durch  die  höchste  staatliche  und  kirchliche  Autorität  bestätigt. 
Der  Weg,  wie  man  durch  die  Folter  sich  die  erforderlichen  Zugeständnisse  zu  ver- 
schaffen habe,  war  damit  vorgezeichnet.1) 

§  55.    Die  innere  Politik  Philipps  IV.  und  der  Ausgang  des 

kapetingischen  Hauses. 

Quellen  u.  Hilfsmittel  wie  oben.  Dazu:  Herbomez,  Notes  et  documents 
p.  servir  ä  l'histoire  des  rois,  fils  de  Philippe  le  Bei.    BiECh.  LIX,  497,  689.  Ducoudray, 

*)  Döllinger,  dem  (S.  262)  obige  "Worte  entnommen  sind,  schliefst  seine  Betrach- 
tung mit  den  Worten :  Wenn  ich  in  dem  ganzen  Umfange  der  Weltgeschichte  einen 
Tag  als  dies  nefastus  bezeichnen  sollte,  ich  wüfste  keinen  andern  zu  nennen  als  den 
13.  Oktober  1307. 

16* 


244  Erwerbung  Lyons.     Innere  Politik  Philipps  IV.     Die  Reichsstände. 

Les  origines  du  Parlement  de  Paris  et  la  justice  au  XLTIe  et  XI Ve  siecle.  Paris  1902. 
Aub  ert,  Le  Parlement  de  Paris  de  Philippe  le  Bei  ä  Charles  VII  (1314—1422).  Paris  1887. 
G.  H  uff  er,  Die  Stadt  Lyon  und  die  Westhälfte  des  Erzbistums  in  ihren  pol.  Bez. 
z.  d.  Reich  u.  zur  franz.  Krone.  Münster  1878.  Die  Schriften  v.  Piepape  u.  Funck- 
Brentano  s.  §  42.  Vi  oll  et,  Comment  les  femmes  ont  ete  exclues  en  France  de 
la  succession  ä  la  couronne.  Paris  1893.  Lehuguer,  Hist.  de  Phil,  le  Long.  t.  L 
Paris  1897.    Die  Kreuzzugsprojekte  s.  bei  Delaville  le  Roulx  I,  78  ff. 

1.  Der  letzte  grofse  Erfolg  Philipps  IV.  war  die  endgültige  Er- 
werbung der  Stadt  und  des  Gebietes  von  Lyon  (1313),  die  schon  sein 
Vater  vorbereitet  hatte.  Schon  1294  nahm  er  die  Stadt  in  seinen  Schutz 
und  erklärte,  dafs  sie  zu  Frankreich  gehöre.  Die  Beschwerden  des  Erz- 
bischofs blieben  erfolglos.  Im  Jahre  1307  wurde  der  Erzbischof  zu 
einem  Vertrag  gezwungen,  der  ihm  zwar  die  unmittelbare  Herrschaft 
über  die  Stadt  und  das  Gebiet  von  Lyon  beliefs,  aber  die  Oberherrschaft 
Frankreichs  aufs  neue  festsetzte.  Sein  Nachfolger  weigerte  sich,  dies 
anzuerkennen,  und  die  Bürger  von  Lyon  traten  auf  seine  Seite.  Aber 
die  vom  Kaisertum  erwartete  Hilfe  blieb  aus.  Als  der  König  ein  Heer 
unter  dem  Oberbefehl  seines  Sohnes  gegen  die  Stadt  sandte,  unterwarf 
sich  der  Erzbischof  und  trat  (am  22.  April  1312)  die  weltliche  Gerichts- 
barkeit in  Lyon,  die  deutsches  Reichslehen  war,  gegen  anderweitige 
Entschädigung  an  Philipp  IV  ab.  Im  folgenden  Jahre  wurde  Lyon 
militärisch  besetzt.  —  Gewalttätig  wie  die  äufsere  war  auch  die  innere 
Politik  dieses  Königs.  Kein  Mittel  wird  verschmäht,  wenn  es  gilt,  die 
Macht  des  Königtums  zu  mehren.  Auch  die  allgemeinen  Reichsstände 
bedeuten  in  jener  Zeit  eine  Steigerung  der  Machtfülle  des  Königtums, 
denn  sie  bilden  das  Gegengewicht  gegen  die  feudalen,  die  Befugnisse 
des  Königtums  einengenden  Gewalten.  Sie  wurden  schon  vor  Philipp  IV. 
berufen,  aber  ihre  Einberufung  hat  jetzt  den  Zweck,  der  Politik  des 
Königs  eine  Stütze  zu  gewähren.  Um  diesen  Zweck  zu  erreichen,  wurden 
wahrscheinlich  schon  1289,  1290  oder  1292,  sicher  aber  seit  1302  Ver- 
treter des  Bürgerstandes  hinzugezogen.  Die  Freiheiten  der  Städte  liefs 
der  König  wohl  gelten,  doch  wurde  die  Wirksamkeit  ihrer  Behörden  nicht 
selten  durch  die  königlichen  Beamten  behindert  und  sie  selbst  in  ihrer 
Entwicklung  zurückgehalten.  Die  allgemeinen  Lasten  erfuhren  durch  die 
Kriege  mit  dem  Ausland  eine  stetige  Steigerung,  und  der  vielfach  ver- 
mehrte Beamtenapparat  erheischte  derartige  Summen,  dafs  die  bisherigen 
Einnahmsquellen  aus  den  Domänen  und  Gefällen  nicht  mehr  ausreichten. 
Auch  die  Mittel  der  Münzverschlechterung,  Vertreibung  ausländischer 
Wechsler  und  Judenverfolgungen  versagten  schliefslich. *)  Um  neue  Geld- 
mittel zu  beschaffen,  wurden  an  Leibeigene  in  den  neuerworbenen 
Provinzen  des  Südens  Freibriefe  verkauft,  neue  Zölle  wie  die  maltote, 
eine  dreiprozentige  Warensteuer,  die  aide  de  l'ost,  eine  Art  Wehrsteuer, 
und  verschiedene  aides  feodales  erhoben. 2)  Ward  bei  ihrer  Einführung 
die  Zustimmung  der  allgemeinen  Reichsstände  für  notwendig  erachtet, 
so    wurde    dies    die    Grundlage    des    späteren   Steuerbewilhgungsrechtes. 


*)  S.  das  Kapitel  Juifs,  Lombards,  Monnaies  in  Langlois,  Hist.  de  France  III,  2,  222. 
2)  Coville,  S.  52  ff. 


Das  Parlament.     Die  Nachfolger  Philipps  des  Schönen.  245 

In  dem  gleichen  Mafse  wie  der  Einflufs  der  königlichen  Beamten  steigt, 
geht  der  des  alten  Feudaladels  zurück.  Die  altfeudalen  Grofswürden- 
träger  werden  meist  durch  Hof-  und  Kanzleibeamte  verdrängt.  Auch 
die  Mitglieder  des  grofsen  Rates  sind  nur  selten  aus  den  Reihen  des 
Adels  genommen ;  der  Besitz  von  Adelslehen  wird  Bürgerlichen  gestattet. 
Der  Wirkungskreis  des  obersten  Kgl.  Gerichtshofes,  der  curia  regis,  oder 
wie  sie  seit  dem  13.  Jahrhundert  heifst,  des  Parlaments,  ist  in 
stetigem  Aufnehmen  begriffen1).  Das  Parlament  wird  seit  1303  jährlich 
in  Paris  versammelt,  Ausschüsse  bereisen  von  Zeit  zu  Zeit  die  Provinzen. 
So  sind  die  Grands  Jours  de  Troyes,  die  Ecliiqiäers  de  Ronen  entstanden.  Das 
Königtum  Philipp  IV.  trägt  somit  einen  andern  Charakter  als  das  seiner 
Vorgänger;  durch  sein  ganzes  Dasein  »weht  der  schneidende  Luftzug 
der  neueren  Geschichte«.2)  Der  König  starb  unter  den  Vorbereitungen 
zu  einem  Kreuzzug,  erst  46  Jahre  alt,  am  29.  November  1314. 

2.  Schon  bei  seinen  Lebzeiten  hatte  sich  gegen  die  alles  erdrückende 
Gewalt  des  Königtums  eine  Opposition  der  feudalen  Kräfte  gebildet. 
Nach  seinem  Tode  scharte  sie  sich  um  Karl  von  Valois,  den  Oheim 
Ludwigs  X.  (1314 — 1316),  und  warf  ihren  ganzen  Hafs  auf  Marigny, 
der  neben  Nogaret  und  Plasian  als  Urheber  aller  unbeliebten  Mafsregeln 
Philipps  IV.  galt.  Er  konnte  sich  auf  dessen  Befehle  berufen,  auch  war 
gegen  seine  Rechnungen  kein  Einwand  zu  erheben,  daher  wurde  er  nicht 
als  Hochverräter,  sondern  als  Zauberer,  der  den  Tod  des  jungen  Königs 
geplant  habe,  verurteilt  und  starb  am  Galgen  zu  Montfaucon.  Die  all- 
gemeine Aufregung  zu  beschwichtigen,  wurden  den  Lehensrechten  und 
der  Gerichtsbarkeit  der  Grofsen  Zugeständnisse  gemacht,  die  Münze  auf 
den  Stand  Ludwigs  IX.  gebracht  und  die  Neuerungen  im  Steuerwesen  ab- 
gestellt, Der  Bürgerstand  mufste  aber  doch  in  seiner  Stellung  gelassen 
werden,  ja  aus  den  Tagen  Ludwigs  X.  stammt  die  Verordnung,  welche 
die  Leibeigenschaft  in  den  einzelnen  Kronländern  unter  gewissen 
Bedingungen  aufhebt. 3)  Wiewohl  der  Preis  für  diese  Wohltat  ein 
Mittel  war,  des  Königs  Einkünfte  zu  mehren  und  mitunter  so  er- 
schwerende Bedingungen  an  sie  geknüpft  wurden,  dafs  mancher  es  vorzog, 
Leibeigener  zu  bleiben,  enthielt  sie  doch  einen  wesentlichen  Fortschritt. 
Ludwig  X.  hinterliefs  bei  seinem  Tode  eine  Tochter  aus  erster  Ehe, 
namens  Johanna,  und  eine  schwangere  Gemahlin.  Sein  Bruder,  Philipp  V. 
(1316 — 1322)  sollte  die  Vormundschaft  führen,  falls  die  Witwe  mit  einem 
Sohne  niederkäme.  Das  geschah  in  der  Tat.  Der  Thronerbe  (Johann  I.) 
starb  aber  schon  nach  wenigen  Tagen.  Nun  meinten  viele,  der  Thron 
gebühre  der  Tochter  Ludwigs  X.,  da  kein  Gesetz  die  weibliche  Nachfolge 
verbiete.  Philipp  V.  brachte  es  jedoch  dahin,  dafs  er  als  König  an- 
erkannt und  gekrönt  wurde.     Eine  Reichsversammlung  setzte  fest  (1317, 


a)  Über  die  Ausgestaltung  u.  Befugnisse  des  Parlaments  s.  Langlois,  Textes  etc., 
wo  auch  die  entsprechende  Lit.  vermerkt  ist  (S.  XXVm  ff.).     Hist.  de  France  HI,  2,  327. 

2)  Ranke,  Franz.  Gesch.  I,  34. 

y)  Ordonnances  des  rois  de  France  I,  653.  Dort  die  Deklaration  Ludwigs  X.  vom 
3.  Juli  1315:  »Qu'il  ne  doit  y  avoir  que  des  hommes  libres  au  royaume  des  Francs.«- 
Cf.  BECh.  59,  710 


246  Philipp  V,     Der  Ausgang  des  kapetingischen  Hauses. 

2.  Februar),  dafs  in  Frankreich  Frauen  von  der  Thronfolge  ausgeschlossen 
seien1).  Philipp  V.  erinnert  durch  seine  umfassende  gesetzgeberische 
Tätigkeit  an  seinen  Vater.  Ohne  dafs  er  so  gewaltsam  verfuhr  wie  dieser, 
klagte  die  Bevölkerung  doch  über  seine  Reformen  in  Münze,  Mafs  und 
Gewicht  und  die  neuen  Steuern.  Er  liebte  es  daher,  die  Reichsstände 
vorzuschieben.  Diese  wurden  nun  öfter  berufen  und  ihnen  Vertreter 
der  Kommunen  beigesellt.  Noch  mehr  leistete  er  durch  seine  in  alle 
Zweige  des  Staatslebens  eingreifenden  Ordonnanzen.  Die  Zahl  der 
Parlamentsräte  wurde  vermehrt,  der  Gerichtsgang  vereinfacht  und  die 
Geschäftsordnung  verbessert.  Prälaten  wurden  zu  den  Gerichtshöfen 
nicht  mehr  zugelassen,  und  in  stärkerem  Mafse  als  vordem  traten 
juristisch  geschulte  Leute,  die  »Männer  der  Robe«,  ins  Parlament. 
Mit  Flandern  schlofs  Philipp  einen  vorteilhaften  Frieden,  doch  wurde 
die  Ruhe  im  Lande  durch  die  Pastorellen  gestört,  Hirten  und  Bauern, 
die  das  hl.  Land  zu  befreien  gedachten,  deren  Bewegung  aber  so  aus- 
artete, dafs  sie  durch  Gewaltmittel  unterdrückt  werden  mufste.  Auch 
Philipps  Nachfolger  Karl  IV.  (1322 — 1328),  ganz  das  Ebenbild  seines 
Vaters  und  daher  wie  dieser  der  Schöne  genannt,  regierte  in  dessen 
Geiste.  In  der  äufseren  Politik  trat  er  bedeutsamer  hervor;  vor  allem 
war  er  bemüht,  das  Kaisertum  an  das  kapetingische  Haus  zu  bringen. 
Glücklicher  war  er  in  seinen  Unternehmungen  gegen  England;  bei  der 
Schwäche  Eduards  IL  hielt  es  nicht  schwer,  die  französische  Herrschaft 
nach  dem  Süden  hin  auszudehnen.  Mit  ihm  erlosch  (1328,  1.  Februar) 
die  ältere  Linie  der  Kapetinger,  eine  Dynastie,  die  das  französische 
Königtum  auf  feste  Grundlagen  gestellt  und  das  Gebiet  Frankreichs 
mächtig  ausgedehnt  hat. 

2.  Kapitel. 

Die  Erneuerung  des  Kaisertums  unter  Heinrich  VII.  (1308—1313). 

§  56.    Die  Wahl  Heinrichs  YII.    Die  Erwerbung  Böhmens  durch  das 

Haus  Luxemburg. 

Quellen.  Urkk.  Böhmer,  Regg.,  Acta  imperii  inedita  u.  selecta  wie  oben.  Die 
Electio  Henrici  VII.  MM.  G.  LL.  II,  1,  490.  Coron.  ib.  503.  Coron.  Rom.  528.  Consti- 
tutiones,  ib.  490  ff.  Tractatus  cum  Clemente  V ,  cum  Philippo  IV.,  cum  Venetis,  ib. 
Dönniges,  Acta  Henrici  VII.  Berl.  1839.  Bonaini,  Acta  Henrici  VII.  Flor.  1877.  Wurth- 
Paquet,  Table  chronol.  de  chartes  et  diplomes  de  Henri  VII.  (Publ.  de  la  Soc.  arch.  de 
Luxembourg  XVH.)  C.  Cipolla  e  G.  Filippi,  Diplomi  inediti  di  Enrico  VII.  et  di  Lodo- 
vico  Bavaro.  Savona  1890.  Die  Regg.  Bened.  XI.  u.  Klemens'  V.  wie  oben.  Zu  den  G  e  - 
schichtschreibern  s.  Dönniges,  Kritik  d.  Q.  f.  d.  Gesch.  Hs.  VII.  Berl.  1841.  Dazu 
Lorenz,  DGQ.  II  u.  Dahlm.-Waitz-Steindorff,  2864-2879  u.  2881— 83.  Die  deutschen 
Quellen  sind  noch  grofsenteils  dieselben  wie  §  40.  Trotzdem  müssen  die  Königsaaler 
Geschichtsquellen  als  Hauptquelle  für  Böhmens  Erwerbung  u.  wegen  der  direkt  vom 
Kaiserhof  stammenden  Nachrichten  noch  besonders  genannt  werden.  Dazu  die  Historia 
mortis  Henrici  VII.  ap.  Freher  SS.  rer.  G.  645.  Rhythmi,  ibid.  15 — 19.  Gesta  Henrici  VII. 
imp.,  ed.  Waitz,  Forsch.  XV.  Gesta  Baldewini  de  Luczenburch  1298 — 1353  in  Gesta 
Treveror.  n.  Vecerius,  De  reb.  gestis  imp.  Henrici,  ed.  R.  Reineccius  II,  67.  Von 
italienischen  Quellen:  Nie.  de  Botrinto,  Relatio  de  Heinrici  VII.  itin.  Ital.   Böhmer 


*)  Quod  ad  coronam  xegni  Franciae  mulier  non  succedat. 


Die  Erneuerung  des  Kaisertums  unter  Heinrich  VII.  247 

FF.  I,  ed.  Heyck.  Innsbr.  1888.  Albertinus  Mussatus,  Hist.  aug.  sive  de  gestis  Henrici  VII. 
Murat.  X.  (Hauptquelle  für  die  Romfahrt.)  Dazu  die  Historia  Cortusiorum.  Muratori  XII. 
Fereto  von  Vicenza,  Histor.  rer.  in  Ital.  gestarum  1250 — 1318,  ed.  Murat.  IX.  Johannes 
de  Cermenate,  Historia  de  situ  etc.  ac  de  Mediolanensium  gestis  sub  imp.  Hehrico  VII., 
ib.  IX  Dino  Compagni,  Istoria  Fiorentina,  die  beste  Ausg.  v.  Del  Lungo,  s.  Potthast  I, 
332.  (Scheffer-Boichorst  hat  seine  Annahme  v.  D.  C.  als  einer  Fälschung  auf  Grund 
der  Arbeiten  Del  Lungos  hin  fallen  lassen,  s.  JBG.  1886  II,  258).  Giovanni  de 
Lemno,  ed.  Passerini,  Documenti  di  Storia  Ital.  VI.  Guilelmus  Ventura,  Memoriale  de 
gestis  civium  Astensium.  Mur.  XL  Dante,  Monarchia,  ed.  Witte.  Wien  1874.  Die 
übrigen  politischen  Schriften  s.  bei  der  Gesch.  Ludwigs  IV.  u.  Karls  IV. 

Hilfsschriften.  Die  Werke  von  Olenschlager,  Kopp,  Lichnowsky,  Prutz, 
Huber,  Lindner,  Lamprecht,  Palacky,  Bachmann,  Gregorovius,  Afsmann-Viereck,  wie 
oben.  Wichtig  ist:  Heidemann,  Peter  v.  Aspelt  als  Kirchenfürst  u.  Staatsmann. 
Berlin  1875,  s.  auch  Forschungen  IX  u.  XI,  S.  46 — 78.  Thomas,  Die  Königswahl 
Hs.  v.  L.  Strafsb.  1875.  P  ö  h  1  m  a  n  n ,  Zur  deutschen  Königswahl  v.  1308,  Forsch.  XVI,  356. 
Boutaric,  Welwert,  wie  oben.  Brosien,  Heinr.  VH.  als  Graf  v.  L.  For- 
schungen XV.  Wenck,  Klemens  V.  und  Heinrich  VII.  Halle  1882  (sehr  wichtig). 
Sommerfeld,  Die  Romfahrt  K.  Heinrichs  VH.  Königsbg.  1888.  —  H.  VH  u.  die 
lomb.  Städte.  DZG  H.  Barthold,  Die  Romfahrt  K.  Hs.  v.  L.  2  Bde.  Kgbg.  1830. 
Der  zweite  Teil  enth.  ein  (veraltetes)  Verzeichnis  der  Quellen  zur  Gesch.  Hs.  Pöhl- 
mann,  Der  Römerzug  Heinrichs  VH.  Nürnb.  1875.  Mas  slow,  Zum  Romzug  Hs.  VH. 
Freib.  1891.  Felsberg,  Beiträge  zur  Gesch.  d.  Römerzugs  Hs.  VH.  1886.  G.Weber, 
K.  Heinrich  VH.  in  Ital.  HT.  6.  F.  IV.  Prowe,  Die  Finanzverwaltung  am  Hofe 
Hs.  v.  L.  Berl  1888  (s.  Dahlm.-Waitz  3003).  Tobler,  Dante  u.  vier  deutsche  Kaiser. 
Berl.  1891.  Bertholet,  Hist.  de  Luxemb.  V.  Schotter,  Joh.  Gf.  v.  Luxemb.  u. 
K.  v  Böhmen.  1865.  Dominicus,  Baldewin  v.  Lützelb.  Kobl.  1862.  Lippert, 
Meifsen  u.  Böhmen  im  N.  Arch.  f.  sächs.  Gesch.  X.  Werveke,  Das  Geburtsjahr 
Heinr.  VH  DZG.  VLH,  146,  s.  auch  Irmer,  Erl.  Text  zu  der  Romfahrt  K.  Heinrichs  VH. 
Berl.  1881.  Kraussold,  Die  pol.  Bez.  zw.  Deutschi.  u.  Frankr.  während  der  Reg. 
Heinrichs  VH.     München  1900. 

1.  Nach  dem  unglücklichen  Ende  Albrechts  I.  wurde  der  Mainzer 
Erzbischof  Peter  von  Aspelt  Leiter  der  deutschen  Politik.  Niederer 
Herkunft,  war  er  am  Hofe  König  Rudolfs  in  die  Höhe  gekommen  und 
trat,  um  den  habsburgischen  Einflufs  in  Böhmen  zu  verstärken,  in  die 
Dienste  Wenzels  II.  In  der  Zeit  des  Einverständnisses  zwischen  diesem 
und  Albrecht  I.  erhielt  er  das  Bistum  Basel.  Als  aber  der  Gegensatz 
zwischen  Habsburg  und  Böhmen  aufs  neue  hervorbrach,  blieb  Peter 
auf  böhmischer  Seite.  Erst  unter  Wenzel  III.  zog  er  sich  in  sein  Bis- 
tum zurück.  Seine  Erhebung  zum  Erzbischof  von  Mainz  dankte  er 
französischer  Unterstützung.  Auch  Trier  wurde  mit  einem  Freunde 
Frankreichs  besetzt:  Baldewin  von  Lützelburg,  der  des  Deutschen 
kaum  mächtig  war.  Den  Kölner  Erzstuhl  hatte  Heinrich  von  Virne- 
burg  inne,  der  mit  Frankreich  im  Bunde  stand.  So  glaubten  die  Fran- 
zosen die  Zeit  gekommen,  in  die  Wahlbewerbung  einzutreten.  Ihr 
Publizist  Peter  Dubois  schrieb  nicht  blofs  für  die  Erhebung  Philipps 
auf  den  deutschen  Thron,  sondern  auch  für  die  Umgestaltung  der  deut- 
schen Reichsverfassung :  die  Kurfürsten  sollten  sich  gegen  eine  bestimmte 
Entschädigung  ihres  Wahlrechtes  begeben,  widrigenfalls  der  Papst  das 
Kurfürstentum  aufheben  und  selbst  einen  Kaiser  ernennen  würde. 
Philipp  IV.  ging  darauf  nicht  ein.  Er  wünschte  nur  die  Wahl  seines 
Bruders  Karl  von  Valois.  Da  sich  Frankreichs  Einflufs  in  diesem  Falle 
auf  Italien,    Deutschland  und  Ungarn  erstreckt  hätte,  blieb  Klemens  V. 


248        Die  Königswahl  Heinrichs  VII.     Umschwung  in  der  deutschen  Politik. 

den  Bitten  Philipps  unzugänglich.  Auch  die  in  Deutschland  erwachte 
nationale  Stimmung  sprach  gegen  die  Wahl  eines  Franzosen.  Der  Habs- 
burger Friedrich  der  Schöne  hatte  im  Hinblick  auf  die  deutsche  Königs- 
wahl auf  Böhmen  verzichtet.  Die  geistlichen  Kurfürsten  waren  aber 
weder  für  Habsburg,  dessen  entschlossener  Gegner  Peter  von  Aspelt 
war,  noch  für  ein  Mitglied  eines  weltlichen  Kurhauses.  Da  gelang  es 
Bälde win  von  Trier,  erst  Mainz  dann  Köln  für  die  Wahl  seines  Bruders 
Heinrich  von  Luxemburg  zu  gewinnen.  Noch  hatten  sich  die  weltlichen 
Kurfürsten  über  keinen  Bewerber  geeinigt,  als  sie  im  Oktober  1308  in 
Rense1)  mit  den  übrigen  zusammentraten.  Nach  längeren  Beratungen 
kam  eine  Vereinbarung  für  Heinrich  zustande,  der  nun  allerdings  den 
Kurfürsten  versprechen  mufste,  nicht  blofs  die  Reichsgüter  und  Einkünfte, 
die  ihnen  Albrecht  I.  genommen,  wieder  zu  erstatten,  sondern  auch 
Ersatz  für  den  erlittenen  Schaden  zu  leisten.  Zweifellos  wurde  er  auch 
verpflichtet,  wie  die  übrigen  Fürsten  so  auch  die  Habsburger  in  ihrem 
Besitz  zu  bestätigen. 2)  Ein  neues  Haus  —  das  dritte  seit  35  Jahren  — 
kam  in  Deutschland  zur  Herrschaft.  Und  dies  in  weniger  rühmlicher 
Art.  Die  Pläne  der  ersten  Habsburger,  das  Wahlreich  in  ein  Erbreich 
zu  verwandeln,  waren  endgültig  gescheitert,  ihre  Machtstellung,  die  dem 
Reiche  zugute  gekommen  wäre,  ging  ihm  verloren,  und  die  grofsen 
Vorteile  Albrechts  I.  den  Kurfürsten  gegenüber  gab  Heinrich  schon 
während  der  Wahlverhandlungen  preis.  Am  27.  November  1308  wurde  er  in 
Frankfurt  einstimmig  gewählt  und  am  6.  Januar  1309  in  Aachen  gekrönt. 

Hatten  sich  die  Fürsten  geweigert,  ein  Mitglied  des  französischen  Königshauses 
zu  wählen :  auch  Heinrich  war  nach  Sprache  und  Denkungsart  Franzose  3),  wenn  seine 
luxemburgische  Grafschaft  auch  ein  Bestandteil  des  deutschen  Reiches  bildete.  'Das 
Grafenhaus  stand  schon  in  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  in  Beziehungen 
zu  Frankreich,  und  Heinrich  selbst  hatte  sich  eng  an  dieses  angeschlossen :  Philipp 
der  Schöne  war  es,  der  ihn  zum  Ritter  schlug  und  dessen  Vasall  er  wurde.  Heinrichs 
Bruder  Baldewin  war  in  Frankreich  erzogen  worden,  und  französischer  Einflufs  hatte 
ihm  das  Erzbistum  Trier  verschafft.  In  zahlreichen  Kämpfen  hatte  sich  Heinrich  den 
Ruf  eines  tapferen  Kriegsmannes  erworben ;  mit  vollem  Verständnis  seiner  schwierigen 
Stellung  trat  er  nun  sein  Königtum  an. 

In  der  deutschen  Politik  trat  nun  ein  völliger  Umschwung  ein. 
Hatten  Heinrichs  unmittelbare  Vorgänger  nur  das  Erreichbare  angestrebt, 
so  kamen  nun  wieder  Tendenzen  zur  Geltung,  die  unter  den  Staufern 
die  herrschenden  waren :  die  Fragen  der  Herstellung  der  Kaisermacht 
und  eines  neuen  Kreuzzugsunternehmens  traten  in  den  Vordergrund, 
und  diese  Aufgaben  gestatteten  ihm  nicht,  sich  um  die  Zustände  in 
Deutschland    zu    kümmern.      Mehr    als   unter   den    letzten   Regierungen 


x)  Zum  erstenmal  wurde  an  dieser  Stätte  über  eine  Königs  wähl  beraten,  nachdem 
sie  wohl  schon  früher  ihrer  günstigen  Lage  wegen  —  in  der  Nähe  grenzten  die  Be- 
sitzungen der  vier  rheinischen  Kurfürsten  aneinander  —  als  Sitz  für  Beratungen  gewählt 
worden  war;  das  Xähere  bei  Lindner  I,  174  ff. 

2)  Heidemann,  S.  90. 

3)  Welwert,  p.  181 :  et  Von  vit  ce  spectacle  assez  curieux  d'un  empereur  d'Alle- 
magne  qui,  quoique  Allemand,  ne  savait  pas  Vallemand  et  dont  la  chancellerie  redigeait 
meine  les  diplömes  en  frangais. 


Die  Erwerbung  Böhmens  durch  das  Haus  Luxemburg.  249 

gelten  nun  die  Kurfürsten,  vor  allem  Peter  von  Aspelt.  Heinrich  VII. 
machte  nicht  den  geringsten  Versuch,  dem  ständischen  Regiment  seine 
Mitwirkung  bei  der  Herrschaft  streitig  zu  machen ;  im  Gegenteil :  König 
und  Kanzler  suchten  dies  Regiment  nach  Kräften  zu  fördern.  Die  Kur- 
fürsten hatten  dem  Papst  am  27.  November  1308  Mitteilung  von  der 
getroffenen  Wahl  gemacht  und  um  die  Kaiserkrone  für  den  Gewählten 
gebeten.  Klemens  V.,  der  Heinrichs  Wahl  willkommen  hiefs,  im  übrigen 
aber  gegen  die  Deutschen  um  so  herrischer  auftrat,  je  bitterer  er  seine 
Abhängigkeit  von  Philipp  dem  Schönen  empfand,  erteilte  ihr  gegen 
Frankreichs  Wünsche  schon  am  26.  Juli  1309  die  Approbation  und 
setzte  die  Kaiserkrönung  auf  den  2.  Februar  1312  fest. 

2.  Wiewohl  Heinrich  (1308 — 1313)  den  Habsburgern  die  Belehnung 
mit  ihren  Reichslehen  zugesagt  hatte,  zögerte  er  nicht  blofs  damit,  son- 
dern traf  auch  Verfügungen,  die  ihre  Spitze  gegen  sie  richteten.  So 
schob  er  die  Achtung  der  Königsmörder  hinaus,  entzog  Schwyz  und 
Unterwaiden  den  Habsburgern  und  erklärte  sie  für  reichsunmittelbar.  In 
Heilbronn  beginnt  er  hierauf  die  Verhandlungen,  die  zur  Erwerbung 
Böhmens  durch  die  Luxemburger  führten.  Es  kann  keinem  Zweifel 
unterliegen,  dafs  es  der  Erzbischof  Peter  von  Mainz  war,  der  die  Auf- 
merksamkeit des  Königs  auf  Böhmen  lenkte,  wo  er  16  Jahre  gewirkt 
und  das  er  nur  unter  dem  Zwang  der  Umstände  verlassen  hatte.  Nun 
stand  er  als  Metropolit  abermals  in  Verbindung  mit  Böhmen.  Die  Zu- 
stände dieses  Landes  waren  trostlose  und  König  Heinrich,  ein  lebens- 
froher, verschwenderischer,  zur  Regierung  unfähiger  Fürst,  aufserstande, 
ein  kräftiges  Regiment  aufzurichten.  Adel  und  Bürgertum  standen  ein- 
ander schroff  gegenüber,  und  bald  dachten  des  Königs  Gegner  an  seine 
Absetzung.  Hier  griff  der  Mainzer  Erzbischof  ein  und  knüpfte  Ver- 
bindungen mit  dem  Klerus  im  Lande  an.  Es  galt,  mit  Hilfe  der  ehr- 
geizigen Prinzessin  Elisabeth,  den  Luxemburgern  Böhmen  zu  verschaffen. 
Heinrich  VII.,  vor  dem  eine  böhmische  Gesandtschaft  (1309,  August) 
erschien,  erklärte  Böhmen  als  heimgefallenes  Lehen,  versprach  indes, 
keine  Verfügung  zum  Nachteil  Elisabeths  zu  treffen  und  suchte  einen  Aus- 
gleich mit  den  Habsburgern  herbeizuführen.  Auf  dem  Hoftage  von  Speyer, 
wo  auch  Graf  Eberhard  von  Württemberg  auf  die  Klage  schwäbischer 
Städte  und  anderer  Reichsangehöriger  wegen  Landfriedensbruches  vor- 
geladen und  Verhandlungen  über  die  Romfahrt  gepflogen  wurden,  ver- 
zichtete zuerst  Herzog  Friedrich  von  Österreich  auf  die  Belehnung  mit 
Mähren,  erhielt  dagegen  die  mit  den  österreichischen  Ländern  und  ver- 
sprach Hilfe  zur  Eroberung  Böhmens  und  für  den  Römerzug.  Jetzt 
erst  wurde  die  Acht  über  die  Königsmörder  ausgesprochen  und  Albrechts 
Leiche  zugleich  mit  der  seines  Vorgängers  in  der  Kaisergruft  zu  Speyer 
beigesetzt.  Die  Verhandlungen  mit  Böhmen  wurden  in  Nürnberg  und 
Eger  fortgesetzt.  Anfangs  Juli  1310  ging  eine  böhmische  Gesandtschaft 
nach  Frankfurt,  erhob  Klage  über  Heinrich  von  Kärnten  und  begehrte 
Gericht.  Die  Fürsten,  unter  dem  Vorsitz  des  Pfalzgrafen,  erklärten, 
Heinrich  besitze  Böhmen  nicht  zu  Recht,  da  er  im  Banne  war,  als  er 
das   Land   erhielt.     Die    Gesandten   baten   den   König,    Böhmen    seinem 


250  Die  Anfänge  der  Signorie  in  Oberitalien. 

Sohne  Johann  zu  verleihen;  der  König,  wohl  in  der  Hoffnung,  diesem 
dereinst  die  deutsche  Krone  zuwenden  zu  können,  war  der  Meinung, 
sein  Bruder  Walram  eigne  sich  mehr  zu  dieser  Stellung,  gab  aber 
schliefslich  ihrem  Wunsche  nach.  Am  31.  August  1310  wurde  Johann 
mit  Böhmen  belehnt,  worauf  seine  Vermählung  mit  Elisabeth  erfolgte. 
Böhmen  war  aber  erst  noch  zu  erobern.  Der  Erzbischof  Peter,  des 
jugendlichen  Königs  erster  Ratgeber,  ward  ausersehen,  ihn  daselbst  ein- 
zuführen. Der  Feldzug  dahin  war  schwierig,  denn  er  fiel  in  die  un- 
günstigste Jahreszeit,  dann  hatte  Heinrich  von  Kärnten  eine  feste  Stel- 
lung in  Prag,  überdies  noch  starken  Zuzug  von  dem  Markgrafen  von 
Meifsen  erhalten  ;  auch  waren  die  meisten  Städte  für  ihn.  Die  Eroberung 
von  Kuttenberg  mifslang,  und  vor  Prag  wurde  Johanns  Stellung  geradezu 
kritisch.  Da  öffnete  Verrat  den  Belagerern  die  Tore ;  Heinrich  von 
Kärnten  zog  sich  auf  die  Kleinseite  und  den  Hradschin  zurück.  Als  sich 
auch  noch  der  Meifsner,  dem  Peter  den  ruhigen  Besitz  von  Thüringen 
und  Meifsen  verbürgte,  von  ihm  abwandte,  verliefs  er  das  Land  und 
kehrte  nach  Tirol  zurück ;  doch  behielt  er  den  Titel  eines  Königs  von 
Böhmen  und  Polen  bei.  Johann  und  Elisabeth  wurden  am  7.  Februar 
1311  zu  Prag  gekrönt.  Damit  beginnt  die  Herrschaft  des  Hauses  Luxem- 
burg in  Böhmen,  die  bis  zu  seinem  Erlöschen  im  Jahre  1437  gedauert 
hat.  In  Deutschland  trat  nun  zu  den  beiden  grofsen  Territorialmächten,  der 
wittelsbachischen  und  habsburgischen,  als  dritte  die  luxemburgische  hinzu. 

§  57.     Die  Anfänge  der  Signorie  in  Oberitalien  und  die  Romfahrt 

Heinrichs  YII. 

Quellen  s.  §  56.  Zu  den  Hilfsschriften:  Cipolla,  Storia  delle  Signorie  Ita- 
liane dal  1313 — 1530  (greift  hie  und  da  noch  auf  die  Verhältnisse  unter  Heinrich  VII. 
zurück).  Milano  1881.  Vitale,  II  dominio  della  parte  guelfa  in  Bologna  1280 — 1327. 
Bol.  1901.  A.  Franchetti,  I  primordi  delle  signorie  e  delle  compagnie  di  Ventura. 
La  vita  Italiana  nel  Trecento.  Mil.  1892.  Orsi,  Signorie  e  principati  (1300 — 1530). 
Mil.  1901.  Hanauer,  Das  Berufspodestat  im  XHI.  Jahrh.  MJÖG.  XXHI,  377.  S  a  1  z  e  r , 
Über  die  Anfänge  der  Signorie  in  Oberitalien.  Berlin  1900.  O.  Hartwig,  Ein  Menschen- 
alter florentinischer  Gesch.  (1250—1292).  DZG.  I,  12  ff.,  H,  38  ff.,  V,  70  ff.,  241  ff.  Für 
Venedig  :  Lenel,  Die  Entstehung  der  Vorherrschaft  Venedigs  an  der  Adria.  Leipz.  1897. 
S  i  c  k  e  1 ,  Das  Vikariat  der  Visconti.    Wien.  SB.  1859. 

1.  Indem  Heinrich  VII.  die  Leitung  der  deutschen  Angelegenheiten 
dem  erfahrenen  Erzkanzler  Peter  überliefs,  wandte  er  sich  seinen  auf 
die  Erneuerung  der  Kaisermacht  gerichteten  Plänen  zu.  Sie  fanden 
nicht  allseitige  Billigung.  Zunächst  wurden  alle  Anordnungen  zur  Er- 
haltung des  Landfriedens  in  Deutschland  getroffen  und  sein  Sohn  zum 
Reichsvikar  diesseits  der  Alpen  auf  fünf  Jahre  ernannt.  Dem  Papste 
versprach  er,  in  Rom  ohne  seine  Einwilligung  keine  Änderungen  zu 
treffen,  nach  der  Lombardei  und  Toskana  Reichsvikare  zu  entsenden, 
welche  die  Rechte  der  Kirche  verteidigen  sollten,  und  in  der  nächsten 
Zeit  einen  Kreuzzug  zu  unternehmen.  In  Lausanne  leistete  er  (11.  Oktober) 
die  von  der  Kurie  geforderten  Eide.  Seine  Streitmacht  belief  sich  auf 
3000  Mann.  An  dem  Römerzug  nahmen  nur  seine  Brüder  Baldewin 
und  Walram,    einige    Grafen    aus    der   Nachbarschaft   Luxemburgs    und 


Politische  Lage  Italiens  bei  der  Ankunft  Heinrichs  VII.     Die  Signorie.         251 

Herzog  Leopold  von  Osterreich  Anteil.  Erst  in  Italien  hoffte  er  mehr 
Truppen  an  sich  zu  ziehen.  Über  den  Mont  Cenis  gelangte  er  am 
30.  Oktober  nach  Turin.  Sechzig  Jahre  waren  vergangen,  seit  Italien 
den  letzten  Kaiser  gesehen.  Nun  mochten  viele  glauben,  er  komme, 
die  Politik  Friedrichs  II.  wieder  aufzunehmen.  Das  ganze  Land  geriet 
in  eine  unruhige  Bewegung.  Die  Lage  der  Dinge  bei  seiner  Ankunft 
hat  er  selbst  geschildert1):  »Allerorten  hatten  die  Städte  sich  der  Rechte 
des  Reiches  bemächtigt;  sie  lagen  nicht  nur  widereinander,  sondern 
auch  in  ihrem  Inneren  in  Kampf  und  Fehde.  Die  stärkere  Partei  hatte 
die  schwächere  vertrieben,  und  während  jene  zumeist  unter  die  Herr- 
schaft einer  Familie  oder  eines  kühnen  Führers  geriet,  irrten  die  Ange- 
hörigen der  andern,  ihres  Besitzes  beraubt  und  von  Rachegefühlen  be- 
seelt, in  der  Fremde  umher.«  Überall  lagen  die  Weifen  mit  den  Ghi- 
bellinen  im  Kampfe,  aber  es  waren  nur  noch  die  Namen  der  alten 
Parteien.  Diese  selbst  hatten  einen  mannigfachen  Wandel  erlebt,  und 
die  Unsicherheit  der  Zustände  drückte  auf  alle.  Schien  es  eine  Zeitlang, 
als  sollte  das  Haus  Anjou  die  Herrschaft  über  ganz  Italien  erringen, 
so  lähmten  doch  die  Folgen  der  Sizilianischen  Vesper  seine  Macht.  Auf 
Karl  IL  war  dessen  kraftvoller  Sohn  Robert  gefolgt  (1309 — 1343),  der 
eben  erst  in  Avignon  aus  des  Papstes  Händen  die  Krone  erhalten  hatte 
und  Heinrich  VII.  mit  Verhandlungen  hinhielt.  In  den  besten  Kreisen 
Italiens  wurden  auf  den  kommenden  Kaiser  die  überschwänglichsten 
Hoffnungen  gesetzt2),  vor  allem  dafs  er  die  Gewalten  der  Stadttyrannen 
vernichten  werde.  In  den  gröfseren  Städten  waren  monarchische  Ge- 
walten —  die  Signorie  oder  Tyrannis  —  entstanden,  deren  Anfänge  noch 
in  die  Tage  Friedrichs  IL  zurückreichen.  In  den  einen  hatte  das  Volk, 
vom  Wunsche  nach  Frieden  beseelt,  die  oberste  Leitung  einem  einzigen 
Manne  übertragen,  in  andern  geschah  dies  wegen  Erschöpfung  der 
Kräfte  oder  durch  gewaltsame  Anmafsung.  Im  allgemeinen  erwuchs  die 
Signorie  aus  einer  Reihe  von  Faktoren,  die  bald  miteinander  in  Verbindung 
treten,  bald  widereinander  kämpfen.  In  Betracht  kommen  vier  städtische 
Amter :  das  des  Podestä  der  Kommune,  das  Amt  des  Potestas  merccdorum, 
des  Potestas  populi  und  das  Kriegskapitanat,  Ämter,  die  erst  —  das  eine 
hier,  das  andere  dort  —  auf  ein,  dann  auf  mehrere  Jahre,  endlich  auf 
Lebenszeit  oder  erblich  verliehen  und  deren  Amtsbefugnisse  allmählich 
zu  einer  unumschränkten  Gewalt  werden.  Daneben  ist  es  das  kaiserliche 
oder  päpstliche  Vikariat,  durch  dessen  Verleihung  Kaisertum  und  Papst- 
tum die  ursprünglich  unrechtmäfsige  Signorie  legitimierten.3)  Zu  Beginn 
des  13.  Jahrhunderts  wurden  die  Konsuln  der  Kommune  durch  einen 
einzigen  Podestä  ersetzt,  der  keineswegs  eine  absolute  Gewalt  besafs :  in 
dem  Podestä  ist  noch  eine  Art  Fortleben  der  römischen  Munizipal- 
verfassung zu  erkennen.  Der  Podestä  wird  aus  der  Nobilität  einer 
fremden  Stadt  genommen,  damit  er  ohne  Voreingenommenheit  die  Ge- 
schäfte versehe.     Er   hat   in  der  Regel  nur   eine    einjährige  Amtsdauer, 

»)  Regg.  336. 

2)  Faustissimi  cursus  Henrici  Caesaris  ad  Italiam  anno  primo  schreibt  Dante. 

3)  Salzer,  S.  26,  27. 


252  Ursprung  der  Signorie.     Die  alten  Mächte  Italiens. 

die  freilich  bald  vielfach  beseitigt  wurde.  Der  Podestä  ist  Anführer  im 
Kriege,  oberster  Richter  und  höchster  Exekutivbeamter  und  als  Richter 
an  die  Statuten  gebunden,  die  er  beim  Amtsantritt  zu  beschwören  hat. 
Als  Führer  der  siegreichen  Partei  wird  ihm  dies  Amt,  ja  selbst 
mehrere  Podestarien  übertragen  und  allmählich  die  erbliche  Herrschaft 
mit  erweiterter  Machtbefugnis  angebahnt.  So  entstand  die  Signorie  des 
Hauses  Este  in  Ferrara,  ebenso  jene  von  Ravenna  aus  dem  Podestat, 
die  übrigen  zumeist  aus  dem  Volkskapitanat ;  schon  1259  war  in  Mailand 
ein  Volkspodestä  auf  Lebenszeit  gewählt  worden:  Martin  Torre,  das 
Haupt  der  Volkspartei;  in  andern  Städten  wie  in  Verona  und  Pia- 
cenza  ist  neben  dem  Volkskapitanat  der  Podestat  über  die  Merca- 
danza  der  wichtigste  Faktor  für  die  Entstehung  der  Signorie.  War 
der  Ursprung  der  Signorie  nicht  überall  der  gleiche,  so  war  auch 
ihre  Wirkung  eine  verschiedene:  wohltätig  in  der  einen,  verderblich  in 
der  andern  Stadt;  sie  war  überdies  nicht  fest  begründet,  und  ganz 
unsicher  war  es,  wie  sich  das  Kaisertum  zu  ihnen  verhalten  würde. 
Wie  in  Mailand  das  Haus  della  Torre,  waren  in  Verona  die  della 
Scala  zur  Macht  gelangt.  Solche  Gewalten  gab  es  in  Pavia,  Cremona, 
Piacenza  u.  a.  Xicht  weniger  als  14  grofse  Städte  Oberitaliens  wurden  von 
ihnen  beherrscht.1)  Auch  hatten  sich  noch  einzelne  Dynastenhäuser  aus 
älterer  Zeit  wie  Montferrat,  Piemont  u.  a.  behauptet  und  verschie- 
dene Städte,  wenngleich  unter  schweren  Parteikämpfen,  ihre  alte  Freiheit 
bewahrt  oder  wie  Padua  neu  begründet.  Wie  im  Osten  von  Oberitalien 
die  in  loser  Abhängigkeit  vom  Kaisertum  stehende  Republik  Venedig, 
deren  aristokratische  Verfassung  eben  jetzt  zum  Abschlufs  kam,  durch 
ihre  starke  Herrschaft  in  den  östlichen  Meeren  und  ihren  gewinnreichen 
Handel  die  erste  Stelle  einnahm,  so  stand  im  Westen  Genua  trotz 
seiner  Kämpfe :  gegen  Venedig  um  die  Herrschaft  in  der  Levante,  gegen 
Pisa  um  die  in  den  westlichen  Aleeren  und  gegen  Neapel  und  die  be- 
nachbarten Fürsten  des  Festlandes,  mächtig  da,  wogegen  Pisa,  einst 
die  Vorkämpferin  im  Streit  gegen  die  Sarazenen,  durch  die  Niederlage 
von  Meloria  (1284)  gegen  die  Genuesen  und  die  stetigen  Kämpfe  gegen 
die  toskanischen  Rivalen  Lucca.  Siena  und  Florenz  seine  alte  Macht  ein- 
gebüfst  hatte.  In  Toskana  war  sie  auf  Florenz  übergegangen.  Die 
Florentiner  hatten  die  Schwächung  der  angiovinischen  Macht  benützt, 
um  ihre  inneren  Angelegenheiten  selbständig  zu  ordnen.  Sie  schafften 
den  obersten,  aus  Ghibellinen  und  Guelfen  bestehenden  Rat  ab  und 
schufen,  ohne  auf  König  Karls  Wünsche  Rücksicht  zu  nehmen,  eine 
neue  Behörde :  die  aus  den  Popolaren  gewählten  sechs  Prioren  der 
Zünfte  (1282).  Diese  wurden  auf  Kosten  der  Stadt  erhalten  und  wech- 
selten alle  zwei  Monate  ihr  Amt,  Es  war  die  neue  Signorie  von 
Florenz,  ein  Regiment  von  Kaufherren  und  Fabrikanten.  Da  sich 
der  Adel  nicht  darein  finden  konnte,  von  Popolaren  beherrscht  zu  werden, 
wurden  1293  strenge  Gesetze,  die  ordinamenti  della  giusüzia,  erlassen, 
nach   denen   37    der    ersten  Familien   des  Adels   von   den  Priorenstellen 


»)  Lindner,  S.  209. 


Ankunft  Heinrichs  YII.  in  Oberitalien.    Krönung  in  Mailand.  253 

auf  immer  ausgeschlossen  wurden,  so  dafs  der  Adel  schon  an  sich  als 
Strafe  galt.  Auch  die  Städte  in  den  Gebieten,  welche  die  Kirche  als 
ihr  Eigentum  beanspruchte,  Bologna,  Ravenna  u.  a.  lagen  in  fortwährenden 
inneren  und  äufseren  Kämpfen  widereinander;  auch  hier  bildeten  sich 
trotz  der  päpstlichen  Herrschaft  Signorien  aus,  wie  in  Ravenna  die  des 
Hauses  Polenta,  in  Rimini  die  der  Malatesta.  In  Rom  stritten  die 
ghibellinisch  gesinnten  Colonna  mit  den  weifischen  Orsini.  In  Unter- 
italien war  Neapel  durch  den  Vertrag  von  1302  (s.  oben)  stark  geschwächt, 
im  übrigen  auch  noch  durch  die  eifersüchtige  Rücksichtnahme  auf  das 
Haus  Aragon  in  Anspruch  genommen. 

2.  So  lagen  die  Dinge,  als  Heinrich  VII.  in  Italien  erschien.  Seine 
Boten  wurden  mit  Beifall  begrüfst  und  ihm  selbst  Gehorsam  gelobt.  Von 
den  Weifenhäuptern  schlössen  sich  einige  an;  die  lombardischen  Städte 
leisteten  die  Huldigung  um  so  lieber,  als  der  König  alle  gleichmäfsig 
behandelte.  Einzelne  legten  ihre  Freiheit  in  seine  Hände  nieder  und 
empfingen  von  ihm  ihre  Vikare.  Die  verbannten  Visconti  führte  er 
nach  Mailand  zurück,  das  seit  Otto  IV.  keinen  Kaiser  in  seinen  Mauern 
gesehen.  Guido  de  la  Torre  mufste  sich  demütigen.  Heinrich  VH. 
selbst  erhielt  die  Signorie.  Er  stellte  sich  über  die  Parteien.  Die 
alten  Parteinamen  sollten  verschwinden.  Am  6.  Januar  1311  wurde 
er  in  Mailand  gekrönt.  Aber  bald  türmten  sich  Schwierigkeiten  auf: 
der  König  war  genötigt,  die  Städte  zu  besteuern,  diese  selbst  unzufrieden 
mit  der  Einsetzung  kaiserlicher  Beamten.  Wenige  Tage  nach  seiner 
Krönung  kam  es  in  Mailand  zu  einem  Tumult.  Wohl  wurde  er  nieder- 
geworfen, aber  schon  wurde  es  deutlich,  dafs  der  König  aufserstande  sei, 
seine  Mission  als  Friedensfürst  zu  erfüllen.  Crema,  Lodi,  Cremona  und 
Brescia  sagten  sich  los.  Gezwungen,  mit  ihnen  zu  kämpfen,  verlor  er 
kostbare  Zeit.  Die  beiden  ersten  unterwarfen  sich,  Cremona  wurde  hart 
gezüchtigt,  nun  leistete  Brescia,  das  dasselbe  Schicksal  befürchtete,  ver- 
zweifelten Widerstand.  Statt  gegen  Florenz  zu  ziehen,  das  den  Wider- 
stand gegen  ihn  organisierte,  lag  er  vier  Monate  vor  Brescia.  Dort  fiel 
sein  tapferer  Bruder  Walram;  eine  Seuche  raffte  einen  Teil  des  Heeres 
dahin ;  auch  die  Königin  nahm  hier  den  Keim  ihrer  Krankheit  in  sich 
auf,  der  sie  am  13.  Dezember  in  Genua  erlag.  Mittlerweile  fiel  Brescia. 
Mit  Rücksicht  auf  die  Stimmung  der  Kurie  wurde-  es  milde  behandelt; 
das  gewann  ihm  aber  nicht  die  Sympathien  der  Weifen,  da  die  Häupter 
der  oberitalischen  Ghibellinen  auf  seiner  Seite  standen.  Über  Pavia, 
wo  er  eine  Reichsversammlung  abhielt,  eilte  er  nach  Genua  und  wurde 
dort  feierlich  empfangeD.  Wie  es  scheint,  erwarteten  die  Genuesen  von 
ihm  eine  kräftige  Förderung  in  der  Levante.  Sie  übertrugen  ihm  die 
volle  Staatsgewalt,  nahmen  von  ihm  einen  Statthalter  und  boten  reiche 
Geldunterstützung.  Noch  als  er  vor  Brescia  lag,  hatte  er  mit  König 
Robert  verhandelt;  dieser  sollte  am  Krönungstage  in  Rom  erscheinen, 
den  Huldigungseid  für  die  Provence  leisten  und  Heinrichs  Tochter  mit 
Roberts  Sohn  vermählt  werden.  Die  Verhandlungen  führten  jedoch  zu 
keinem  Ergebnis;  auch  die  mit  Frankreich  wegen  Abschlusses  eines 
Freundschaftsbündnisses   und   der  Belehnung   des  französischen  Prinzen 


254  Die  Kaiserkrönung  Heinrichs  VII.  und  König  Robert. 

Philipp  mit  Burgund,  sowie  jene  mit  Klemens  V.  wegen  der  Formalien 
der  Kaiserkrönung  zogen  sich  in  die  Länge.  König  Robert,  der  das 
Wiederaufleben  der  Ansprüche  nach  Konradin  befürchtete,  benützte  den 
Streit  zwischen  den  Häusern  Colonna  und  Orsini,  um  Rom  zu  besetzen, 
betrieb  die  Aufrichtung  eines  Bundes  mit  den  weifischen  Städten  Tos- 
kanas, vornehmlich  mit  Florenz,  über  das  Heinrich  VII.  am  24.  Dezember 

1311  die  Reichsacht  verhängte.  Den  Abfall  der  Weifen  beantwortete 
Heinrich  damit,  dafs  er  den  waffen gewaltigen  Grafen  Wrerner  von  Hom- 
burg zum  Generalkapitän  der  Reichsgetreuen  in  der  Lombardei  —  der 
Parteiname  der  Ghibellinen  wurde  vermieden  —  ernannte.  Am  16.  Februar 

1312  schiffte  er  sich  mit  800  Mann  in  Genua  ein  und  gelangte  am 
6.  März  nach  dem  getreuen  Pisa,  das  nun  der  Stützpunkt  seiner  Macht 
wurde.  Lucca,  Siena,  Parma  und  Reggio  wurden  in  die  Reichsacht 
erklärt.  Vom  ghibellinischen  Adel  begrüfst,  hielt  er  am  7.  Mai  seinen 
Einzug  in  Rom.  Da  sich  St.  Peter  mit  den  anliegenden  Stadtteilen  in 
den  Händen  der  von  König  Robert  unterstützten  Weifen  befand,  denen 
in  der  Stadt  selbst  blutige  Treffen  geliefert  werden  mufsten,  liefs  er  sich 
am  29.  Juni  1312  im  Lateran  durch  die  vom  Papst  beauftragten  Kar- 
dinäle zum  Kaiser  krönen. 

3.  Sein  nächstes  Ziel  war  die  Unterwerfung  König  Roberts.  Zu 
diesem  Zwecke  schlofs  er  ein  Bündnis  mit  König  Friedrich  von  Sizilien. 
Dies  und  das  selbstherrliche  Auftreten  Heinrichs  VII.  hatte  eine  Ver- 
stimmung des  Papstes  zur  Folge,  die  von  den  Weifen  und  Frankreich 
genährt  wurde.  Die  Erinnerungen  an  die  Staufer  wurden  wieder  lebendig. 
Doch  zögerte  der  Papst,  mit  den  schärfsten  Waffen  vorzugehen.  Er 
verlangte  bei  Strafe  des  Bannes  Räumung  Roms,  Waffenstillstand  mit 
Robert  auf  ein  Jahr  und  das  Gelübde,  Neapel  nicht  anzugreifen.  Dem- 
gegenüber verteidigte  der  Kaiser  sein  Vorgehen  in  kräftiger  Weise1), 
kam  aber  dem  Papste  soweit  entgegen,  dafs  er  Rom  verliefs  und  den 
Krieg  gegen  Robert  auf  das  nächste  Jahr  verschob.  Dagegen  beschlofs 
er,  Toskana  zu  unterwerfen.  König  Robert  wurde  schon  jetzt  vor  sein 
Tribunal  geladen,  um  sich  wegen  des  Hochverrates,  den  er  durch  seine 
Verbindung  mit  Rebellen  begangen,  zu  verteidigen.  Obwohl  der  Kaiser 
reichlichen  Zuzug  aus  Deutschland  und  Italien  erhalten  hatte,  war  er 
gezwungen,  die  Belagerung-  von  Florenz  nach  sechswöchentlicher  Dauer 
aufzuheben.  Den  Winter  über  weilte  er  in  Toskana  und  gründete  an 
der  Stelle  des  von  den  Weifen  zerstörten  Poggibonsi,  eines  wichtigen 
Knotenpunktes  der  Strafsenzüge  von  Florenz,  Siena  und  Pisa,  eine  neue 
Stadt,  Kaisersberg.  Mit  Eifer  wurden  die  Zurüstungen  zum  nächsten 
Feldzug  betrieben.  Robert,  welcher  der  Zitation  keine  Folge  geleistet, 
wurde  zum  Reichsfeind,  die  feindlichen  Städte  und  einzelne  Personen 
ihrer  Freiheiten  verlustig  erklärt,  Anfangs  März  zog  er  wieder  nach 
Pisa.     Indem  er  König  Robert   seines   Reiches   entsetzte    und   mit   dem 


*)  Die  Einzelheiten  bei  Lindner  I,  255.  Die  Antwort  des  Papstes  erschien  erst 
nach  dem  Tode  des  Kaisers  am  21.  März  1214.  Sie  hält  alle  Ansprüche  der  Kurie 
aufrecht.     Ebenda  S.  387. 


Heinrich  VII.  u.  Klemens  V.     Das  Ende  Heinrichs.  255 

Tode  bedrohte,  den  Konradin  erlitten,  mufste  er  mit  dem  Papst  in 
Streit  geraten.  Klemens  V.  kam  den  Angiovinen  zu  Hilfe :  er  sprach 
gegen  alle,  die  wider  Neapel  zu  Felde  ziehen  würden,  den  Bann  aus. 
Dagegen  suchte  der  Kaiser  den  Papst  eines  Besseren  zu  belehren  und 
bat  ihn  um  Beistand,  um  nach  Roberts  Niederwerfung  den  Kreuzzug 
antreten  zu  können.  Heinrich  VII.  täuschte  sich  über  die  Lage  der 
Dinge :  der  Papst  handelte  eben  ganz  unter  Frankreichs  Einflufs.  Mittler- 
weile hatte  König  Johann  von  Böhmen  einen  Reichstag  in  Nürnberg 
gehalten  (1313,  Januar).  Ein  starkes  Hilfsheer  sollte  in  der  kühleren 
Jahreszeit  von  Zürich  aus  nach  Italien  ziehen  und  zwei  Bräute  den  Zug 
begleiten :  Katharina  von  Österreich,  die  den  verwitweten  Kaiser,  des 
Kaisers  Tochter  Beatrix,  die  Pedro  von  Sizilien  heiraten  sollte.  Schon 
hatte  der  Kaiser  in  Pisa  ein  Heer  versammelt,  die  Genuesen  70,  die 
Pisaner  20,  Friedrich  von  Sizilien  50  Galeeren  aufgebracht  und  letzterer 
Reggio  in  Unteritalien  genommen.  Die  Ghibellinen  wurden  zu  kräftiger 
Mitwirkung  aufgefordert.  Den  Florentinern  entfiel  der  Mut,  König  Robert 
dachte  bereits  an  die  Flucht  in  die  Provence.  Am  8.  August  verliefs 
der  Kaiser  Pisa;  am  1.  September  wollte  er  in  Ostia  stehen,  um  Friedrich 
von  Sizilien  die  Hand  zu  reichen.  Schon  seit  längerer  Zeit  hatte  er 
sich  krank  gefühlt,  der  heifse  Sommer  und  die  Aufregung  steigerten 
seine  Abspannung.  Als  er  in  die  Nähe  von  Siena  kam,  war  seine  Kraft 
zu  Ende.  In  Buonconvento  brach  er  zusammen.  Nachdem  er  das 
Abendmahl  aus  den  Händen  eines  Dominikanermönches  genommen,  starb 
er  am  24.  August  1313.  Bald  vernahm  man  das  irrige  Gerücht,  dafs 
ihm  der  Mönch  beim  Abendmahl  Gift  gereicht  habe.  Das  Kloster  in 
Pisa  wurde  gestürmt,  und  auch  in  Deutschland  hatten  die  Dominikaner 
unter  schweren  Anschuldigungen  zu  leiden.  Das  Heer  löste  sich  auf. 
Die  Leiche  des  Kaisers  wurde  unter  allgemeinem  Wehklagen  der  Bürger 
im  Dome  zu  Pisa  beigesetzt.  In  die  Wehklagen  stimmten  alle 
Ghibellinen  Italiens  ein :  allen  voran  Dante,  der  nun  seine  Hoffnungen 
geknickt  sah.1)  Im  Lager  seiner  Feinde  wurde  die  Nachricht  von  Hein- 
richs Tode  mit  ungemessenem  Jubel  begrüfst.  Wohl  wünschte  Friedrich 
von  Sizilien,  den  Krieg  fortzusetzen,  aber  die  Deutschen  kehrten  heim. 
Auch  in  Deutschland  wurde  die  Trauerkunde  mit  tiefem  Schmerze  auf- 
genommen. Von  dieses  Kaisers  Taten  und  seinem  Tode  sangen  die 
Lieder  fahrender  Sänger;  war  es  auch  nur  ein  Phantom,  dem  er  nach- 
gestrebt hatte :  die  Erneuerung  des  Kaisertums  war  immerhin  im  Sinne 
der  grofsen  Kaiser  des  Mittelalters. 


x)  Paradies  XXX,  133—138. 


2.  Abschnitt. 

Kaiser- und  Papsttum  iin  Zeitalter  Ludwigs  des  Bayers. 


1.  Kapitel. 

Ludwig  der  Bayer  und  Friedrich  der  Schöne  von  Österreich 
Ms  zur  Schlacht  hei  Mühldorf  (1314—1322). 

§  58.    Die  Doppelwahl  des  Jahres  1314. 

Quellen.  Urkk.  u.  Briefe:  Böhmer,  Regg.  K.  Ludwigs  d.  B.  und  seiner 
Zeit  Fkft.  1839.  Dazu  Additamenturn  I — III.  Acta  imperii  selecta  wie  oben.  Acta 
imp.  ined.  wie  oben.  Riezler,  Urkk.  z.  bayr.  u.  deutsch.  Gesch.  1256 — 1343.  Forsch.  XX. 
Briefe  L.  d.  B.  Böhmer  FF.  1.  Urkk.  Ludwigs  in  Oefele,  Rer.  Boic.  SS.  I.  60  Urkk. 
Ludwigs  mitget.  v.  Weech,  Oberb.  Arch.  XXm.  Häutle,  Beitt.  zum  Itinerar  K.  Ls. 
Forsch.  XE  LYkk.  z.  Gesch.  des  Römerzuges  K.  L.  d.  B ,  herausg.  von  Ficker.  Inns- 
bruck 1865.  Urk.  Beitr.  z.  Gesch.  K.  Ludwigs  IV.,  herausg.  v.  Höfler.  Oberb.  Arch.  I. 
Löher,  Vatik.  Urkk.  z.  Gesch.  L.  d.  B.  Arch.  Z.  V,  VI.  J.  H.  Reinkens,  Ausz.  a.  d.  Urkk. 
d.  vatik.  Archivs  von  1315 — 1334  in  W.  Preger,  Die  Anfänge  d.  kirchenpol.  Kampfes. 
München  1882  u.  die  Verträge  L.  d.  B.  Ebenda  1883.  Abh.  d.  bayr.  Ak.  —  Vatik. 
Akten  zur  D.  Gesch.  in  der  Zeit  L.  d.  B.,  herausg.  v.  Riezler.  Innsbr.  1891.  Xachtr. 
HJb.  XJH.  Schwalm,  Reiseberichte.  NA.  XXLH,  XXV.  Cipolla  e  Philippi,  wie  §  57. 
Urkk.  zur  Gesch.  einzelner  Landschaften  d.  Zeit  s.  Dahlmann-Waitz-Steindorff  2911 
bis  2913,  2922.  Kleinere  urkk.  Beiträge  z.  Gesch.  L.  d.  B.,  ebenda  2915.  Zur  Gesch.  Friedr. 
des  Schönen:  Das  Register  Nr.  318  des  Arch.  der  arag.  Krone  in  Barcelona.  Briefe 
Jakobs  II.  v.  Aragon  an  Friedr.  d.  Seh.  1314 — 1327,  her.  v.  H.  v.  Zeifsberg.  SB. 
Wien.  Akad.  CXL.  Wien  1898.  U/rkk.  aus  dem  Arch.  d.  Krone  v.  Aragon  in  Zeifs- 
berg, Elisabeth  von  Aragonien,  Gemahlin  Friedr.  d.  Seh.  v.  Österreich.  1314 — 1330. 
SB.  Wien.  Ak.  CXXXVII.     Biik,  Regg.  in  Lichnowsky,  Gesch.  d.  H.  Habsburg  HL 

Die  Geschichtschreiber  verzeichnet  Böhmer  in  den  Regg.  Die  wichtigsten 
unter  den  deutschen  sind :  Vita  Lud.  imp.,  ed.  Böhmer  FF.  I.  (Lit.  b.  Dahlm.-Waitz- 
Steindorff  2884.)  Monach.  Fürstenfeld.  Chronica  de  gestis  prineipum  1273 — 1326, 
ebenda  (Lit.  DWSt.  2862).  Bayrische  Fortsetzung  der  Sächsischen  Weltchronik,  her. 
v.  Weiland.  D.  Chron.  H.  Von  bes.  Wichtigkeit  sind  die  Berichte  Peters  von  Zittau 
in  den  Königsaaler  GQ.  FF.  rer.  Austr.  I.  Abt.  VLH.  (S.  auch  DWSt.  Xr.  2864.)  Johannes 
Victoriensis,  das  Chronic.  Sampetr.  Erphord.  (DWSt.  2865),  die  Reinhardsbrunner  Annal. 
wie  oben.  Johann  v.  Winterthur,  Chronicon,  ed.  Wyfs.  Zur.  1856.  Heinrich  (von 
Eichstätt),  Fortsetzung  der  Flores  temporum,  fortges.  v.  Heinrich  dem  Tauben  bis  1362. 
(Lit.  DWSt.  2869).  Chronicon  de  ducis.  Bavar.  1311—1372.  Böhmer,  FF.  rV.  (DWSt. 
2871.)  Matthias  v.  Xeuenburg,  Chronic.  1273—1350  u.  1378  in  Böhmer,  FF.  IV  und 
Studer  1866.  (Lit.  bei  DWSt.  2873.)  Heinricus  de  Hervordia,  Lib.  de  reb.  memora- 
bilioribus  bis  1355,  ed.  Potth.  1859.  Konrad  von  Halberstadt,  Chronicon  bis  1353,  ed. 
Wenck.  Forsch.  XX.  Heinrich  Truchsefs  von  Diessenhoven,  Fortsetzung  des  Tolom. 
v.  Lucca  1316—1361.  Böhm.  FF.  TV.  Von  Städtechroniken  kommen  die  Strafsburger 
u.  Magdeburger  in  Betracht.  Städtechron.  VH,  "VJJJL.  Die  Annales  Austriae  wie  oben. 
Für  den  Römerzug  Albertinus  Mussatus,  Lud.  Bavarus.  Böhm.,  FF.  I.  Cortusiorum 
Historia.  Mur.  XU.  Villani,  wie  oben.  Die  Quellen  z.  Papstgesch.  s.  unten.  Desgl. 
die  kirchenpol.  Schriften. 


Politische  Lage  in  Deutschland  nach  dem  Tode  Heinrichs  VII.  257 

Hilfsschriften.  Ein  Verzeichnis  älterer  und  neuerer  Darst.  über  die  Gesch. 
Ludwigs  s.  in  Riezler,  Ludwig  IV.,  der  Bayer,  röm.  König  in  d.  ADB.  XIX,  475 — 476. 
S.  auch  Afsmann-Viereck,  Gesch.  d.  MA.  S.  102.  Das  Wichtigere  (mit  Ausschlufs  des 
Veralteten;  Olenschlager  noch  wegen  des  Urk.B.  wie  oben)  ist:  Kopp,  wie  oben. 
Riezler,  Gesch.  Bayerns  H  (enth.  von  S.  259  an  eine  ausgez.  Darstellung  der  Gesch.  Ls.). 
Heidemann,  Lindner,  Mayer,  v.  Krones,  Huber,  Gesch.  Österr.,  wie  oben.  Kurz, 
Gesch.  Österr.  unter  Friedr.  d.  Seh.  Linz  1818.  österr.  unter  Albrecht  H.,  ebenda  1819. 
Loserth,  F.  d.  Schöne.  ADB.  VH.  Zeifsberg,  s.  oben.  Weech,  K.  Ludwig 
d.  B.  u.  Johann  v.  Böhmen.  München  1860.  C.  Müller,  Der  Kampf  Ludwigs  d.  B. 
mit  der  röm.  Kurie.  Tübingen  1879.  2  Bde.  Palacky,  Bachmann,  Schotter, 
Dominicus  und  die  allg.  Werke  über  deutsche  Gesch.,  wie  oben.  Zur  Wahl  von  1314 : 
Mühlin g,  Gesch.  der  Doppelwahl  d.  J.  1314.  München  1882.  Fischer,  Ludwig IV. 
Nordhausen  1882.  Kunze,  Die  pol.  Stellung  d.  niederrhein.  Fürsten  1314 — 34.  Göttingen 
1886.  Priesack,  Die  Reichspolitik  des  Erzb.  Balduin  v.  Trier.  Götting.  1894.  Wenck, 
Franz.  Werbungen  um  d.  d.  Königskrone.     HZ.  86,  253.     S.  auch  §  60  u.  Kap.  TL. 

1.  Nach  Heinrichs  VII.  Tode  schien  es  sich  lediglich  darum  zu 
handeln,  welchem  der  beiden  Häuser,  die  zuletzt  die  Krone  besessen, 
der  Vorrang  zuerkannt  würde,  denn  die  Kandidatur  Karls  von  Valois 
oder  des  Grafen  Ludwig  von  Evreux  schien  ebenso  aussichtslos  wie  die 
der  oberbayerischen  Herzoge  u.  a. ;  die  Lage  War  diesmal  für  Habsburg 
günstiger.  Zwar  hatte  Peter  von  Aspelt  noch  eine  mafsgebende  Stellung, 
auch  war  zu  erwarten,  dafs  er  als  Begründer  der  luxemburgischen  Herr- 
schaft in  Böhmen  in  Gemeinschaft  mit  Baldewin  von  Trier  für  König 
Johann  von  Böhmen  eintreten  werde.  Aber  schon  hatte  seine  Macht 
eine  Einbufse  erlitten.  Köln  stellte  sich  aus  Eifersucht  auf  Mainz  auf 
Habsburgs  Seite.  «Schon  1312,  als  Heinrich  VII.  in  Italien  schwer  er- 
krankt war,  hatten  sich  die  Beziehungen  des  Pfalzgrafen  Rudolf  zu 
dem  Kaiser  und  demnach  zur  ganzen  luxemburgischen  Partei  ver- 
schlechtert. 

Friedrich  war  eine  männlich  schöne  Erscheinung,  tapfer  und  von  ritterlicher 
Gesinnung,  reichte  aber  an  diplomatischer  und  militärischer  Begabung  weder  an  seinen 
Vater  noch  in  letzterer  Hinsicht  an  seinen  Bruder  Leopold,  »die  Blume  der  Ritter- 
schaft«, heran.  Diplomatisch  begabter  war  ein  anderer  Bruder,  Albrecht  TL.  »der 
Weise«.  In  der  Zeit,  als  sein  Einverständnis  mit  Luxemburg  sich  innig  gestaltete  (1311) 
und  auch  wegen  der  italienisch  -  sizilischen  Verhältnisse  ein  solches  mit  Aragonien 
erwünscht  war,  hatte  er  um  die  Hand  der  Infantin  Elisabeth,  der  Tochter  König 
Jaymcs  von  Aragonien  geworben.  Die  Verbindung  kam  1314  zustande.  Wenige  Tage, 
nachdem  die  fremde  Königstochter  ihren  Einzug  in  Wien  gehalten,  konnte  sie  in  die 
Heimat  berichten,  dafs  ihr  Gemahl  bei  der  bevorstehenden  Königswahl  auf  vier 
Stimmen,  Köln,  die  Pfalz,  den  Herzog  Rudolf  von  Sachsen  und  den  Markgrafen  Hein- 
rich von  Brandenburg  rechnen  könne.  Auch  stand  Heinrich  von  Kärnten,  der  sich 
immer  noch  als  König  von  Böhmen  betrachtete,  auf  Seiten  Habsburgs. 

Friedrichs  Aussichten  waren  um  so  günstiger,  als  König  Johann 
von  Böhmen  kaum  auf  die  Zustimmung  der  Kurie  rechnen  konnte  und 
in  den  Kreisen  der  Kurfürsten  seine  allzu  grofse  Jugend  wider  ihn  geltend 
gemacht  wurde.  Zum  Unglück  für  Friedrich  war  ein  Krieg  zwischen 
Österreich  und  dem  Herzog  Ludwig  von  Oberbayern  ausgebrochen.  Im 
wittelsbachischen  Hause  lagen  die  Herzoge  Rudolf  von  Oberbayern  und 
Pfalz  und  sein  Bruder  Ludwig  seit  langem  im  Streite.  Stand  jener  schon  1291 
auf  Seiten  der  Gegner  Habsburgs,  so  war  Ludwig  durch  seine  Mutter 
Mechthild,  eine  Tochter  König  Rudolfs,  in  den  Sympathien  für  Habsburg 

Loserth,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  17 


258  Sieg  Herzog  Ludwigs  von  Bayern  bei  Gammelsdorf. 

erzogen  worden  und  nach  seines  Vaters  Tod  (1294)  nach  Wien  gegangen, 
wo  er  unter  den  Kindern  Albrechts  I.  aufwuchs.  1302  übernahm  er 
mit  seinem  Bruder  die  Regierung,  was  bald  zu  Streitigkeiten  führte. 
Im  Jahre  1310  war  Herzog  Stephan,  1312  Otto  von  Niederbayern  ge- 
storben. Nach  einer  letztwilligen  Verfügung  hatte  Ludwig  die  Vormund- 
schaft über  ihre  minderjährigen  Söhne  übernommen ;  da  ihm  sein  Bruder 
Rudolf  feindlich  gegenüberstand ,  suchte  und  fand  er  Anlehnung  an 
Österreich,  und  bahnte  ein  Verlöbnis  eines  der  minderjährigen  Herzoge 
mit  einer  habsburgischen  Prinzessin  an.  Sowohl  der  Einflufs  Österreichs 
als  der  Steuerdruck  der  Regierung  erregten  in  den  niederbayerischen 
Städten  grofse  Unzufriedenheit.  Indem  sie  sich  an  Rudolf  hielten,  ward 
Ludwig  genötigt,  die  Vormundschaft  mit  ihm  zu  teilen.  Auch  mufste 
er  ihm  die  Führung  der  Kurstimme  überlassen  (1313,  21.  Juni).  Die 
Folge  hievon  war,  dafs  nun  auch  das  habsburgische  Verlöbnis  gelöst 
wurde.  Die  Habsburger  waren  hierüber  sehr  erbittert;  zudem  hatten 
sich  nicht  nur  die  ihres  Einflusses  beraubten  Herzogin- Witwen,  sondern 
auch  ein  Teil  des  niederbayrischen  Adels  an  diese  um  Hilfe  gewandt. 
Darüber  kam  es  zum  Kriege.  Die  österreichischen  Herzoge  Friedrich 
und  Leopold  bereiteten  von  Schwaben  aus  einen  Einfall  vor,  ein  zweites 
Heer  sollte  in  Bayern  eindringen  und  wurde  hiebei  von  einem  unga- 
rischen Heerhaufen  unterstützt.  Bayern  kam  in  grofse  Not.  Herzog 
Ludwig  sammelte  indes  mit  ausserordentlicher  Tatkraft  ein  Heer;  ehe 
sich  noch  die  im  Osten  andringenden  Österreicher  mit  den  Heeres- 
abteilungen aus  dem  Westen  vereinigen  konnten,  brachte  er  jenen  am 
9.  November  1313  bei  Gammelsdorf  in  der  Nähe  von  Landshut  eine 
schwere  Niederlage  bei.  Dieser  Sieg  verbreitete  Ludwigs  Ruhm  mehr, 
als  er  es  nach  seinen  Folgen  verdient  hätte,  verschaffte  ihm  den  Ruf 
eines  volkstümlichen  Helden  und  hob  ihn  weit  über  seinen  älteren  Bruder 
empor.1)  Friedrichs  Thronbewerbung  geriet  nun  eine  Zeit  lang  ins  Stocken, 
bis  sich  die  beiden  Gegner  versöhnten.  Schien  damit  Friedrichs  Bewerbung 
wieder  auf  festerem  Boden  zu  stehen,  so  waren  anderseits  Trier  und 
Mainz  zur  Einsicht  gelangt,  dafs  Johanns  Wahl  nicht  durchzusetzen  sei, 
und  boten  nun  das  Reich  dem  sieggekrönten  Herzog  Ludwig  an.  Hiedurch 
gewannen  sie  auch  die  böhmische  Stimme,  die  durch  Johanns  Bewerbung 
gebunden  gewesen.  Auch  diesmal  wurden  den  Wählern  grofse  Zusiche- 
rungen gemacht.  Die  gröfsten  Schwierigkeiten  fand  Ludwig  bei  seinem 
Bruder  Rudolf,  der  auf  Habsburgs  Seite  trat,  da  seine  eigene  Kandidatur 
aussichtslos  war.  Dagegen  gewann  Ludwig  den  Markgrafen  Waldemar 
von  Brandenburg;  zu  ihm  hielt  auch  Sachsen -Lauenburg,  während 
Sachsen- Wittenberg  auf  der  Seite  Habsburgs  verblieb.  So  rückte  der  Wahl- 
tag —  der  19.  Oktober  —  heran.  Die  alte  Wahlstatt,  die  Frankenerde  bei 
Frankfurt,  war  von  der  luxemburgischen  Partei  besetzt.  Die  Österreicher 
lagerten  in  Sachsenhausen.  Sie  schlugen  die  Einladung  Peters,  sich  zur 
Wahl  an  dem  Wahlorte  einzufinden,  aus;  noch  an  demselben  Tage  wählten 

x)  TJnde  ob  hoc  nomen  säum  celebre  atqne  praeclara  gloria  ipsins  in  auribus 
multorum  yrincipum  latius  se  diffundebat,  sagen  die  ganz  gleichzeitigen  Königsaaler 
Geschichtsquellen. 


Die  zwiespältige  Königswahl.    Ludwig  v.  Bayern  u.  Friedrich  v  Österreich.       259 

Köln,  Pfalz,  Sachsen -Wittenberg  und  Heinrich  von  Kärnten,  der  die 
böhmische  Stimme  beanspruchte,  den  Herzog  Friedrich  zum  König.  Am 
folgenden  Tage  vollzog  die  luxemburgische  Partei  die  Wahl :  Ludwig 
wurde  von  Mainz,  Trier,  Böhmen,  Sachsen-Lauenburg  und  Waldemar 
von  Brandenburg,  dem  einige  Tage  später  auch  Heinrich  von  Branden- 
burg zustimmte,  gewählt.  Frankfurt  öffnete  ihm  die  Tore  und  die  Kur- 
fürsten  brachten    ihm   in   der  Bartholomäuskirche   ihre  Huldigung   dar. 

Ludwig  ragte  gleich  seinem  Gegner  durch  Wohlgestalt,  Mut,  persönliche  Tapfer- 
keit und  ritterliche  Gesinnung  vor  andern  hervor.  Sonst  waren  freilich  in  seinem 
Charakter  ganz  entgegengesetzte  Eigenschaften  vereint,  wie  es  ein  Zeitgenosse  sagt : 
»Töricht  zugleich  und  klug,  achtlos  und  sorgvoll,  träge  und  ungestüm,  niedergeschlagen 
und  heiter,  kleinmütig  und  tapfer,  bei  allem  Unglück  glücklich.«1)  Ohne  gelehrte 
Bildung,  nannte  er  sich  nicht  ohne  Absicht  einen  Krieger,  der  von  gelehrten  Sachen 
nichts  verstehe. 

Es  gab  nun  zwei  Könige  im  Reiche.  Statt  sieben  waren  neun 
Stimmen  abgegeben  worden,  von  denen  freilich  die  eine  Seite  der  andern 
einen  Teil  bestreiten  konnte.  Waren  auf  Ludwig  vier,  auf  Friedrich  nur 
zwei  gültige  Stimmen  gefallen,  so  war  zu  jener  Zeit  der  Majoritätsstand- 
punkt nicht  das  einzige  Kriterium  für  die  Rechtmäfsigkeit  einer  Wahl. 
Gröfseren  Wert  legte  man  darauf,  dafs  die  Krönung  von  dem  recht- 
mäfsigen  Erzbischof  und  am  rechten  Orte  vollzogen  wurde.  Hier  weisen 
beide  einen  Mangel  auf:  beide  wurden  am  25.  November  gekrönt;  König 
Ludwig  zu  Aachen,  aber  nicht  von  dem  Kölner  Erzbischof,  Friedrich 
zwar  von  diesem,  aber  in  Bonn.  Die  vornehmsten  Kriterien  für  die 
Rechtmäfsigkeit  der  Wahl  waren  sonach  nach  beiden  Seiten  hin  verteilt.2) 
Doch  hatte  Ludwig  den  Vorteil,  dafs  er  sich  im  Besitz  der  Reichs- 
kleinodien befand.  Da  keine  staatsrechtlichen  Bestimmungen  über  die 
Rechtmäfsigkeit  der  Wahl  vorlagen,  auch  keine  der  beiden  Parteien  die 
Entscheidung  bei  der  Kurie  suchte,  mufsten  die  Waffen  entscheiden. 

§  59.    Die  Entstehung  der  schweizerischen  Eidgenossenschaft. 

Quellen.  S.  Wyfs,  Gesch.  d.  Historiographie  in  der  Schweiz.  Zürich  1895 
S.  73 — 104.  Öchsli,  Die  histor.  Schriften  d.  Eidgenossenschaft.  Zürich  1869.  Segesser, 
»Amtliche  Sammlung  der  älteren  eidgen.  Abschiede«.  Bd.  1.  1245 — 1420,  2.  1421 — 1477. 
Luzern  1874.  Kopp,  Urkunden  zur  Gesch.  d.  eidgen.  Bünde.  2  Bde.  Luzern  u.  Wien 
1835  u.  1851.  Urkunden  zur  Schweizer  Gesch.  Herausg.  v.  Thommen.  1.  Bd.  (bis  1370). 
Basel  1899.  Bd.  H  bis  1410.  Ebenda  1901.  Die  Bundesbriefe  der  alt.  Eidgen.  1291—1533. 
Zusammengest.  v.  J.  J.  v.  Ah.  Einsiedeln  1890.  Das  älteste  Tellenlied  u.  Auszüge  aus 
der  Chronik  des  weifsen  Buches  von  Samen  bei  Dändliker  S.  626.  Über  die  hist. 
Volkslieder  der  Eidgenossen  s.  Wyfs,  S.  102 — 104.  , 

Hilfsschriften:  Aufser  Kopp  IV,  2,  A.Hub  er,  Die  Waldstätte  Uri,  Schwyz 
und  Unterwaiden  bis  zur  festen  Begründung  ihrer  Eidgenossenschaft.  Mit  einem  An- 
hang über  die  gesch.  Bedeutung  des  Wilhelm  Teil.  Innsbr.  1861.  W.  Vis  eher,  Die 
Sage  von  der  Befreiung  der  Waldstätte  nach  ihrer  allmählichen  Ausbildung.  Leipz.  1867. 
Rilliet,  Les  origines  de  la  confederation  Suisse.  Histoire  et  legende.  2.  A.  Genf  1868. 
Deutsch  1873.  Hungerbühler,  Etüde  critique  sur  les  traditions  relatives  aux  origines 
de  la  confäderation  Suisse.  Geneve  et  Bäle  1869.  Meyer  von  Knonau,  Die  Sage 
von  der  Befreiung  der  Waldstätte.     Basel  1873.     Rochholz,  Teil  u.  Gefsler  in  Sage 

x)  Matth.  v.  Neuenburg,  ed.  Stuttg.,  S.  56. 

2)  Daher  sagt  Johannes  v.  Victring :  Iliacos  intra  muros  peccatur  et  extra. 

17* 


260  Die  Entstehung  der  Schweizer  Eidgenossenschaft. 

u.  Geschichte.  Heilbr.  1877.  Öchsli,  Die  Anfänge  der  Schweizer  Eidgenossenschaft. 
Bern  1891.  G.  v.  Wyf  s,  Das  Reichsland  Uli  in  den  Jahren  1218—1309.  P.  Schweizer, 
Die  Freiheit  der  Schweizer.  Jb.  Schw.  Gesch.  X.  Dierauer,  Gesch.  der  schw.  Eid- 
genossenschaft. 1887,  Dändlicker,  Gesch.  d.  Schweiz  I.  Bresslau,  Das  älteste  Bündnis 
d.  Schweizer  Urkantone.  Jb.  Schweizer  Gesch  XX.  (S.  auch  AZ.  1892.  Nr.  202.) 
Walter,  Gründung  u.  Gründer  d.  Eidgen.  in  Gesch.  u.  Sage.    Winterth.  1897. 

1.  Der  Kampf  zwischen  den  beiden  Gegenkönigen  mufste  im  süd- 
lichen Deutschland,  wo  ihre  Hauptmacht  lag,  ausgefochten  werden.  Der 
Norden  des  Reiches  kümmerte  sich  seit  den  Tagen  Friedrichs  II.  wenig 
um  die  Kämpfe  des  deutschen  Königtums.  Hatte  Friedrich  eine  gröfsere 
Hausmacht,  so  besafs  Ludwig  von  Bayern  einen  gröfseren  Anhang  unter 
den  Fürsten,  und  war  Habsburgs  Macht  in  Schwaben  und  am  Oberrhein 
eine  ausschlaggebende,  so  war  die  Ludwigs  in  Franken,  am  Mittel-  und 
Niederrhein  die  stärkere.  Auf  Seiten  des  Witteisbachers  stand  die  Mehrheit 
der  Reichsstädte.  Blieb  Ludwigs  Bruder  Rudolf  fest  auf  Österreichs  Seite, 
so  kam  jenem  dagegen  die  schwere  Niederlage  zustatten,  die  Friedrichs  HI. 
tatkräftiger  Bruder  Herzog  Leopold  durch  die  Schwyzer  erlitt.  Diesen 
Kämpfen  dankt  die  schweizerische  Eidgenossenschaft  ihre 
Entstehung.  —  Die  Urkantone  der  Schweiz  liegen  östlich  und  südlich 
vom  Vierwaldstätter  See:  Schwyz,  Uri,  Unterwaiden.  Schon  im 
achten  Jahrhundert  wird  das  Tal  von  Uri  genannt.  Der  »Stier«  ist 
sein  charakteristisches  Landesabzeichen  schon  im  ersten  Landessiegel 
von  1243. ^  Grund  und  Boden  waren  in  verschiedenen  Händen:  Da 
waren  freie  Leute,  die  ihre  Güter  als  Eigen  besafsen,  dann  einheimische 
und  fremde  Adelsgeschlechter,  unter  ihnen  die  von  Attinghausen  und 
die  Grafen  von  Rapperswyl.  Der  wichtigste  Teil  von  Uri  endlich  war 
ursprünglich  königliches  Gut,  das,  durch  Schenkung  an  die  Frauen- 
münsterabtei  Zürich  gekommen  (853),  im  Namen  der  Äbtissin  durch 
Meier  verwaltet  wurde.  Diese  handhabten  auch  die  niedere  Gerichts- 
barkeit über  die  auf  den  Stiftsländereien  sitzenden  Hörigen,  Leibeigenen 
und  freien  Zinsleute.  Die  Leute  des  ganzen  Tales  bildeten  eine  Mark- 
genossenschaft und  benützten  gemeinsam  das  unverteilte,  aus  Wiesen 
und  Weiden  bestehende  Land.  So  bildete  sich  frühzeitig  eine  wirt- 
schaftliche Einheit  aus,  die  allmählich  durch  die  zu  bestimmten  Zeiten 
des  Jahres  abgehaltene  Gemeindeversammlung  zu  einer  politischen 
wurde.2)  Die  dem  Stifte  zugehörigen  Leute  waren  politisch  vor  den 
andern  bevorzugt :  sie  waren  vom  Gericht  und  der  Gewalt  der  Gaugrafen 
befreit  und  konnten  nur  von  dem  im  Namen  des  Königs  bestellten  Vogt 
des  Stiftes  belangt  werden.  Zweimal  im  Jahre  hielt  dieser  unter  der 
Linde  zu  Altdorf  Gericht  über  die  Leute  des  Stiftes,  mochten  sie  jetzt 
Freie  oder  Unfreie  sein.  Die  übrigen  Urner  standen  unter  dem  Gericht 
der  Gaugrafen,  bis  schliefslich  das  ganze  Urnerland  unter  die  hohe  Ge- 
richtsbarkeit des  Stiftes  von  Zürich  gelangte.  Die  Gewalt  als  Reichs- 
vögte hatten  zuerst  die  Lenzburger,  dann  die  Zähringer.  Diese  starben 
1218  aus,  worauf  Friedrich  IL   die  Reichs vogtei  in  Zürich   auflöste   und 


*)  Dändliker  I,  314. 
*)  Ebenda,  S.  315. 


TJri,  Schwyz  und  Unterwaiden.  261 

die  Schirmvogtei  des  Frauenmünsterstiftes  an  das  Reich  zurücknahm. 
In  Uri  behielt  die  Abtei  nur  i-hr  Einkommen  und  ihre  Gefälle;  die 
landeshoheitlichen  Rechte  kamen  an  den  Grafen  Rudolf  von  Habsburg, 
einen  Freund  des  Kaisers.  Die  Urner  »Gotteshausleute«  verloren  da- 
mit ihre  Immunität,  und  das  ganze  Tal  kam  in  Gefahr,  habsburgisches 
Untertanenland  zu  werden.  Erst  König  Heinrich,  der  Sohn  Friedrichs  II. 
löste  »seine  getreuen  alle  Männer  des  Tals  Uri«  aus  Habsburgs  Besitz 
und  nahm  sie  wieder  zuhanden  des  Reiches.1)  Von  jetzt  an  stand 
Uri  als  unmittelbare  Reichsvogtei  unter  dem  König  oder  Kaiser,  der 
mit  dem  aus  der  Zahl  der  Landleute  gesetzten  »Amman«  direkt  ver- 
kehrte. Als  Rudolf  König  wurde,  erkannte  er  die  Reichsunmittelbarkeit 
der  Urner  an  (1274). 

2.  Anders  lagen  die  Dinge  in  Schwyz.  Hatten  auch  hier  aus- 
wärtige Stifte  und  weltliche  Herren  Grundeigentum  mit  unfreien  In- 
sassen, so  gab  es  doch  der  Mehrheit  nach  noch  freie  Bauern,  die  keine 
Grundherrschaft  hatten  und  nur  die  Grafen  des  Zürichgaues  als  Ver- 
treter des  Königs  und  der  Reichsgewalt  anerkannten.  An  diese  —  es 
waren  im  12.  Jahrhundert  die  Grafen  von  Lenzburg  —  mufsten  die 
freien  Schwyzer  eine  Vogtsteuer  entrichten.  Nach  ihrem  Aussterben 
kamen  die  landgräflichen  Rechte  an  die  Habsburger.  Die  Schwyzer 
machten  zwar  den  Versuch,  sich  aus  diesem  Verhältnis  zu  lösen  und 
erhielten  von  Friedrich  II.  einen  Schutzbrief  mit  der  Versicherung,  dafs 
sie  zu  keiner  Zeit  der  Herrschaft  und  Gewalt  des  Reiches  entzogen 
werden  sollten :  nichtsdestoweniger  mufsten  sie  aber  doch  dem  Grafen 
Rudolf  Treue  schwören  und  sich  verpflichten,  keinem  andern  als  ihm 
anzuhängen.  Erst  als  Rudolf  H.  (von  der  Laufenburger  Linie)  nach  der 
Absetzung  Friedrichs  IL  ins  päpstliche  Lager  übertrat,  griffen  sie  gegen 
Habsburg  zu  den  Waffen  und  schlössen  —  es  ist  das  erste  eidgenössische 
Bündnis,  von  dem  wir  Kunde  haben  —  einen  Bund  mit  Unter- 
waiden und  Luzern.2)  Der  Ausgang  des  Kampfes  zwischen  Staat  und 
Kirche  machte  auch  dieser  »ghibellinischen  Vereinigung  am  Vierwald- 
stätter  See«  ein  Ende,  und  die  Habsburger  nahmen  ihre  landgräflichen 
Rechte  wieder  zuhanden.  Aber  die  einmal  erlangte  reichsunmittel- 
bare Stellung  blieb  unvergessen.  Als  Rudolf  König  wurde,  behielt  er 
die  Landgrafschaft  in  seinen  Händen.  Damit  waren  die  Schwyzer  tat- 
sächlich reichsunmittelbar.  Wie  die  Urner  bildeten  auch  sie  eine  Ge- 
meinschaft. Im  Jahre  1281  führen  sie  ein  eigenes  Siegel  mit  dem 
Bildnis  des  hl.  Martinus,  des  Schutzpatrons  von  Schwyz.  Als  Stellver- 
treter der  königlichen  Herrschaft  fungierte  ein  Landamman. 

3.  Wieder  anders  waren  die  Zustände  in  Unterwaiden,  ein 
Name,  der  seit  dem  14.  Jahrhundert  vorkommt.  Das  Land  war  durch 
die  Sarner  und  Engelberger  Aa  in  Obwalden  und  Nidwaiden  ge- 
schieden. Der  westliche  Teil  gehörte  zu  der  Grafschaft  im  Aargau, 
der  östliche  (wie  Uri  und  Schwyz)  zum  Zürichgau.    Der  gröfste  Teil  des 


*)  Dierauer,  S.  85. 
*)  Dierauer,  S.  91  ff. 


262  Der  ewige  Bund  von  1291  und  seine  Bedeutung. 

Grundbesitzes  war  in  den  HändeD  der  Habsburger,  des  niederen  Adels, 
einiger  Gotteshäuser  und  freier  Bauernschaften.  Die  Landgrafschaft 
besafsen  auch  hier  die  Habsburger,  wie  sie  auch  die  Vogtei  über  die 
Gotteshäuser  innehatten.  Aus  denselben  Gründen  und  zu  derselben 
Zeit  wie  die  Schwyzer  bildeten  auch  die  Unterwaldner  eine  Gemein- 
schaft. Von  den  drei  Landschaften  hatte  nur  Uri  die  Stellung  eines 
von  der  gräflichen  Gewalt  eximierten  reichsunraittelbaren  Territoriums. 
Nicht  so  gesichert  war  die  Stellung  der  Schwyzer,  doch  standen  auch 
sie  noch  in  direkter  Verbindung  mit  König  und  Reich.  Ihre  Stellung 
zu  sichern,  waren  sie  eifrig  bedacht,  und  von  ihnen  ist  zweifellos  die  An- 
regung zu  einer  dauernden  Verbindung  der  drei  Landschaften  ausgegangen. 
17  Tage  nach  dem  Tode  König  Rudolfs,  am  1.  August  1291  schlössen 
Schwyz,  Uri  und  Unterwaiden  einen  ewigen  Bund,  einander 
gegen  alle  feindlichen  Angriffe  beizustehen.  Dieser  Bund  ist  die 
Erneuerung  eines  älteren1),  der  in  den  Zeiten  Friedrichs  IL  ab- 
geschlossen worden  war.  Ist  er  zunächst  auch  nur  ein  Defensivbund, 
bestimmt,  Gewalt  und  Unrecht  abzuwehren  und  bezweckte  er  nur  die 
Erhaltung  des  einheimischen,  von  fremden  Einflüssen  unabhängigen 
Gerichtsstandes ,  so  nimmt  er  doch  gegen  Habsburg  Stellung.  Der 
Bundesbrief  ist  das  älteste  Dokument  der  schweizerischen  Eidgenossen- 
schaft.2) Nachdem  die  Waldstätte  den  ersten  Schritt  getan,  schlössen 
sie  (1291,  16.  Oktober)  unbedenklich  mit  Habsburgs  Gegnern  in  Ober- 
schwaben ein  Bündnis  auf  drei  Jahre  und  griffen  die  habsburgischen 
Besitzungen  an.  Vom  König  Adolf  erwirkten  die  Schwyzer  die  Be- 
stätigung ihres  Freiheitsbriefes  von  1240;  einen  gleichlautenden  erhielten 
auch  die  Urner.  Nach  Adolfs  Tod  mufsten  sie  allerdings  wieder  Öster- 
reichs Herrschaft  anerkennen.3)  Von  einem  tyrannischen  Regiment,  das 
König  Albrecht  geführt  hätte,  ist  keine  Rede;  vielmehr  blieben  die 
Rechte  der  Landschaften  ungekränkt.  Nach  Albrechts  Tode  nahmen  sie 
ihre  Bestrebungen  wieder  auf,  und  unter  Heinrich  VII.  erhielten  nicht 
blofs  die  Schwyzer  und  Urner  die  Bestätigung  ihrer  Freiheiten,  diese 
wurden  nun  auch  auf  Unterwaiden  ausgedehnt.  So  wurde  auch  dieses 
reichsunmittelbar.  Die  Waldstätte  standen  unter  einem  Reichsvogt  und 
waren  von  jedem  auswärtigen  Gerichte  mit  Ausnahme  des  kaiserlichen 
Hofgerichtes  befreit.  »Dem  Reiche  gegenüber  bildeten  Uri,  Schwyz 
und  Unterwaiden  fortan  eine  anerkannte  Einheit«.4)  Osterreich 
war  aber  nicht  gesonnen,  alte  Rechte  preiszugeben;  nach  seiner  Ver- 
söhnung mit  Heinrich  VII.  war  ihm  auch  dessen  Unterstützung  sicher, 
und  nur  der  frühe  Tod  des  Kaisers  bewahrte  die  Waldstätte  davor, 
sich  wieder  unter  Habsburg  beugen  zu  müssen.  Während  des  Zwischen- 
reiches gingen  die  Schwyzer  schon  angriffsweise  vor,  indem  sie  das  unter 
Habsburgs    Schirmvogtei    stehende    Kloster    Einsiedeln    überfielen    und 


1)  Antiquam  confederationis  formam  iuramento   vallotam  presentibus  innovando, 

2)  Näheres  bei  Dierauer  I,  100. 

3)  In  dieser  Zeit   erhielt  das   habsburgische  Urbarbuch   seine    definitive  Gestalt. 
S.  Schweizer  im  YI1I.  Bd.  d.  JB.  f.  Schw.  Gesch.  143  ff. 

4)  Dierauer,  S.  113. 


Die  Schlacht  zu  Morgarten  und  die  Erneuerung  des  ewigen  Bundes.  263 

plünderten.  Dieser  grobe  Landfriedensbruch  blieb  ungesühnt:  zwar 
wurden  sie  von  König  Friedrich  in  die  Reichsacht  getan,  doch  König 
Ludwig,  an  den  sie  sich  um  so  eifriger  anschlössen,  je  eher  sie  von 
ihm  die  erneute  Anerkennung  ihrer  reichsunmittelbaren  Stellung  er- 
warteten, sprach  sie  davon  los.  Nun  schritten  die  Habsburger  mit 
Wa.ffengewa.lt  ein.  Leopold  von  Österreich  zog  mit  einem  Reichsheer 
heran,  wurde  aber  von  den  im  Kampf  erprobten  Bauern,  die  schon  jetzt 
als  tüchtige  Söldner  galten1),  am  15.  November  1315  zu  Morgarten  am 
Egerisee  entscheidend  geschlagen.2)  Die  Sieger  erneuerten  am 
\).  Dezember  1315  zu  Brunnen  den  ewigen  Bund  von  1291  und  setzten 
fest,  dafs  keines  der  drei  Länder  und  kein  Eidgenosse  —  dieser  Name 
erscheint  hier  zuerst  in  deutscher  Form  —  ohne  Zustimmung  der 
übrigen  einen  Herrn  annehmen  oder  ein  Bündnis  abschliefsen  dürfe. 
König  Ludwig  bestätigte  im  folgenden  Jahre  die  älteren  Freiheitsbriefe 
der  drei  Orte,  und  zwar  erhielten  sie  nun  alle  die  gleichen  Freiheiten, 
»als  ob  sich  die  inneren  Verhältnisse  und  die  auswärtigen  Beziehungen 
bisher  bei  allen  gleich  entwickelt  hätten.«  Das  sind  die  Anfänge  der 
schweizerischen  Eidgenossenschaft. 

Die  Schweiz  hat  im  Streit  für  den  von  ihr  später  verleugneten  und  bekämpften 
Reichsgedanken  ihre  Unabhängigkeit  errungen.  In  späterer  Zeit,  als  man  von  der 
Zugehörigkeit  zum  deutschen  Reiche  nichts  mehr  wissen  wollte,  wurde  die  Entstehung 
der  Eidgenossenschaft  anders  dargestellt ;  vor  allem  nimmt  der  Gegensatz  zum  Hause 
Habsburg  immer  grellere  Farben  an.  Richtige  Überlieferungen  einerseits,  Irrtümer, 
lokale  Sagenstoffe  und  gelehrte  Kombinationen  anderseits  bildeten  die  Tellsage  in 
jener  Gestalt  aus,  in  der  sie  in  dem  sog.  »Weifsen  Buche  von  Samen«  (1470)  erscheint.3) 
Dort  wird  zuerst  von  Teil  und  seinem  Apfelschufs  berichtet.4)  Später  wurden  immer 
mehr  Einzelheiten  angefügt  und  das  Ganze  von  Agidius  Tschudi,  dem  schweizerischen 
Herodot,  zu  einer  abgerundeten  Erzählung  vereinigt.  Erst  der  Kritik  des  19.  Jahr- 
hunderts ist  es  trotz  des  Widerspruchs  der  gesamten  Schweiz  gelungen,  Wahrheit  und 
Dichtung  voneinander  zu  scheiden.5) 

§  60.    Der  Kampf  der  Gregenkönige. 

Zu  den  Quellen  kommt:  Der  strit  ze  Muldorf.  Böhmer.  FF.  I,  161.  Zusammen- 
stellung der  Quellen  bei  Kopp  IV,  2,  S.  439.  Zu  den  Hilfsschriften  :  Pfannenschmidt, 
Die  Schlacht  bei  Mühldorf.  Forschungen  HI.  u.  IV.  Weech,  Kritische  Bemerkungen. 
Forsch.  IV,  82.  Würdinger,  Über  die  von  König  Ludwig  gewonnene  Schlacht  bei 
Mühldorf.  SB.  bayer.  Ak.  1872.  Dobenecker,  Die  Schlacht  bei  Mühldorf  und  über 
das  Fragment  einer  österr.  Chronik.  MJÖG.  Erg.  I.  Döbner,  Die  Auseinandersetzung 
zwischen  Ludwig  IV.  dem  Bayer  und  Friedr.  dem  Schönen  v.  Österr.  Göttingen  1875. 
S  c  h  r  o  h  e ,  Der  Kampf  der  Gegenkönige  Ludwig  u.  Friedrich  um  das  Reich  bis  zur 
Entscheidungsschlacht  bei  Mühldorf.    Berlin  1902. 

Der  Sieg  der  Eidgenossen  war  für  die  Sache  des  Hauses  Österreich 
ein  harter  Schlag.  Die  ganze  Entwicklung  der  Dinge  in  den  Urkantonen 
hinderte  die  Österreicher,  ihre  Kräfte  frei  zu  entfalten.     Freilich  drohten 


*)  Dierauer,  S.  123. 

2)  Über  die  Schlacht,  ebenda  S.  124. 

5)  Die  Lit.  zur  Tellsage  s.  bei  Dierauer,  S.  133. 

4)  Dändliker,  1,  134.     Dierauer,  134  u.  637. 

5)  Neuestens  wurde  Tschudi  übrigens  noch  v.  A.  Schulte   als  Fälscher  erwiesen. 


264  Der  Kampf  der  Gegenkönige 

auch  König  Ludwig  grofse  Gefahren,  als  die  dem  Regimente  König 
Johanns  abgeneigten  Grofsen  Böhmens  Verbindungen  mit  Österreich  an- 
knüpften. Schon  sprach  man  von  einer  neuen  Königs  wähl,  bei  der  ent- 
weder die  Rechtsansprüche  Heinrichs  von  Kärnten  hervorgesucht  oder 
ein  Habsburger  berücksichtigt  werden  sollte.  Dem  Eingreifen  Ludwigs 
dankte  Johann  die  Erhaltung  seiner  Krone.  Ludwig  vermittelte  zu 
Ostern  1318  zu  Taufs  einen  Vertrag,  in  welchem  die  Böhmen  ihrem 
König  aufs  neue  Treue  gelobten.  Der  Krieg  zwischen  den  beiden  Gegen- 
königen neigte  sich  seit  1319  immer  mehr  auf  die  Seite  Habsburgs, 
dessen  Einflufs  auch  in  Italien  im  Steigen  begriffen  war.  Ein  schwerer 
Schlag  für  Ludwig  war  der  Tod  des  Erzbischofs  Peter  von  Mainz  (1320), 
der  bisher  in  die  Geschicke  Deutschlands  kräftig  eingegriffen  hatte  und 
den  man  nicht  mit  Unrecht  als  den  deutschen  Königsmacher  bezeichnet. 
Von  seinem  Nachfolger  Matthias  von  Buchegg  verlangte  die  Kurie,  sich 
an  Friedrich  anzuschliefsen.  Aber  schon  war  die  Entscheidung  gefallen. 
Die  Habsburger  hofften,  den  Krieg  im  Jahre  1322  durch  einen  Doppel- 
angriff Bayerns  von  Osten  und  Westen  ein  Ende  machen  zu  können. 
Während  Herzog  Leopold  aus  Vorderösterreich  vordrang,  zog  Friedrich, 
von  seinem  Bruder  Heinrich  begleitet  und  durch  Ungarn  verstärkt,  von 
Osten  heran  und  gelangte  bis  nach  Mühldorf  am  Tnn.  Hier  wollte  er 
Leopolds  Ankunft  erwarten.  Aber  dessen  Anmarsch  vollzog  sich  zu 
angsam;  zudem  wurden  die  Boten  der  Brüder  durch  Leute  des  Klosters 
Fürstenfeld  abgefangen.  Ludwig  hatte  sein  Heer  bei  Regensburg  ge- 
sammelt; seine  Bundesgenossen  trafen  grofsenteils  erst  am  Schlachttage 
ein ;  zu  ihnen  zählten  Böhmen,  die  Herzoge  von  Niederbayern,  Erzbischof 
Baldewin  und  der  Burggraf  von  Nürnberg.  Beide  Heere  waren  durch 
das  Flüfschen  Isen  geschieden.  König  Ludwig  zeigte  wenig  Lust,  sich 
in  eine  Schlacht  einzulassen,  wurde  aber  durch  den  stürmischen  Böhmen- 
könig mit  fortgerissen.  Auch  die  österreichischen  Heerführer  wünschten 
bei  Ludwigs  Übermacht  einem  Kampfe  auszuweichen ;  Friedrich  erklärte 
aber,  schon  so  viele  zu  Witwen  und  Waisen  gemacht  zu  haben,  dafs  er 
die  Entscheidung  nicht  länger  aufschieben  wolle.  Der  28.  September, 
der  Tag  des  hl.  Wenzel,  was  die  Böhmen  als  gutes  Anzeichen  nahmen, 
war  von  Ludwig  als  Schlachttag  angesagt  und  vom  Gegner  angenommen 
worden.  Die  Schlacht  selbst  endete  mit  einem  glänzenden  Erfolge 
Ludwigs. 

Das  bayrische  Heer  zählte  nebst  zahlreichem  Fufsvolk  1500 — 1800  Helme ;  beide 
Heere  waren  in  vier  Haufen  geteilt.  Im  österreichischen  Heere  standen  in  erster  Linie 
die  Herren  von  Wallsee  mit  dem  Banner  von  Steiermark,  in  zweiter  Friedrich  von 
Österreich,  durch  seine  königliche  Rüstung  allen  kenntlich,  in  dritter  sein  Bruder 
Heinrich  mit  dem  Banner  von  Österreich  und  in  vierter  die  Salzburger.  Ungarn  und 
Kumanen  hielten  sich  in  der  Reserve.  Auf  der  andern  Seite  hatte  Ludwig  das  Reichs- 
banner seinem  getreuen  Konrad  von  Schlüsselburg  anvertraut.  Er  selbst  hielt  sich  mit 
elf  gleichgekleideten  Begleitern  abseits,  wohl  um  die  Schlacht  zu  leiten.  Der  erste 
Angriff  des  Böhmenkönigs,  der  auf  das  rechte  Ufer  der  Isen  vordrang,  wurde  von  den 
Österreichern  und  Steirern  abgewiesen ;  als  Friedrich,  seinem  Bruder  zu  Hilfe  eilte, 
wurden  die  bayrischen  Reiter  geworfen.  König  Johann  selbst  fiel  zu  Boden ;  ein 
österreichischer  Ritter,  der  Ebersdorfer,  half  ihm  verräterischer  Weise  wieder  auf.  Um 
die  Mittagsstunde    schien  den  Österreichern   der  Sieg  gesichert   zu  sein,    da  gelang  es 


Die  Schlacht  bei  Mühldorf.  265 

auf  bayrischer  Seite,  das  Fufsvolk  zum  Stehen  zu  bringen.  Verstärkt  durch  Reiter, 
die  von  ihren  Pferden  abgesessen  waren,  drangen  die  Bayern  gegen  die  Österreicher 
vor,  stachen  ihre  Pferde  nieder  und  brachten  die  Reiter  zu  Fall.  Friedrich  von  Öster- 
reich erwartete  die  Ankunft  seines  Bruders.  In  der  Tat  näherte  sich  eine  Reiterschar, 
und  die  Österreicher  meinten,  es  seien  die  Ihrigen ;  es  war  indes  der  Burggraf  von 
Nürnberg,  der  sich  im  Hinterhalt  aufgestellt  hatte  und  die  Österreicher  in  der  Flanke 
und  im  Rücken  angriff.  Dieser  Angriff  entschied  das  Schicksal  des  Tages.  Zuerst 
flohen  die  Ungarn  und  Rumänen ,  ihnen  folgten  andere ;  an  1400  Ritter  wurden 
gefangen.  Unter  ihnen  befanden  sich  König  Friedrich  und  sein  Bruder  Heinrich. 
König  Friedrich  hatte  die  ganze  Zeit  hindurch  so  tapfer  gestritten,  dafs  ihm  alle  den 
Preis  zuerkannten.  Xun  wurde  er  vor  seinen  Gegner  geführt,  der  ihn  mit  den  Worten 
empfing:  »Herr  Oheim,  ich  sah  Euch  niemals  so  gern.«  »Und  ich  Euch  nie  so  ungern«, 
erwiderte  Friedrich.  Wie  einst  bei  Göllheim,  spielte  das  Fufsvolk  auch  hier  eine 
entscheidende  Rolle. 

Der  Sieg  entschied  über  die  Krone  des  Reiches.  Die  meisten 
Herren  und  Städte,  die  bisher  zu  Friedrich  gehalten  hatten,  erkannten 
nun  Ludwig  als  König  an.  Eine  nachdrückliche  Verfolgung  einzuleiten, 
war  dieser  nicht  stark  genug,  denn  noch  war  Leopolds  Macht  be- 
deutend. Seit  Jahrzehnten  war  in  Deutschland  keine  Schlacht  mehr  ge- 
schlagen worden,  die  sich  mit  der  von  Mühldorf  vergleichen  liefse;  die 
Erinnerung  an  sie  hat  sich  daher  tief  im  Volke  eingeprägt.  Sagen 
wie  die  vom  Ritter  Rindsmaul  und  dem  Feldhauptmann  der  Nürnberger, 
Seifried  Schweppermann  entstanden,  diese  freilich  erst  im  15.  Jahr- 
hundert. Herzog  Leopold  zog  sich  nach  Schwaben  zurück.  König 
Friedrich  wurde  zuerst  nach  Dornberg,  dann  in  die  Burg  Trausnicht l) 
gebracht.  Herzog  Heinrich  kam  nach  Bürglitz  in  Böhmen,  wo  er 
schlecht  genug  behandelt  wurde.  Die  Verbündeten  Ludwigs  erhielten 
reichlichen  Kostenersatz,  vor  allem  Böhmen  den  Pfandbesitz  von  Eger 
und  die  Reichsstädte  Altenburg,  Zwickau  und  Chemnitz. 


2.  Kapitel. 

Die  kirchenpolitischen  Kämpfe  unter  Ludwig  dem  Bayer  und 
die  deutsche  Opposition  gegen  die  weltliche  Vorherrschaft  des 

Papsttums. 

J5  61.    Die  Wahl  Johanns  XXII.  Das  arignonesische  Papsttum. 

Quellen  (für  das  ganze  Kapitel).  Zur  Gesch.  Johanns  XXII,  s.  aufser  §58 
noch  RE.  IX,  267.  Rayn.  Ann.  Eccl.  Theiner,  I,  471—606.  Lettres  Secr.  et  Cur. 
ed.  Coulon.  Paris  1901.  Ausz.  aus  den  Registern  Johanns  XXII.  v.  Höfler,  Oberb. 
Arch.  I.  S.  Abh.  der  b.  Akad.  XIV— XVm.  Vat.  Akten,  her.  v.  Riezler.  Martene 
u.  Dur.  Thes.  anecd.  U.  Blifs,  Calendar  of  ..  Papal  letters.  2  Bde.  London  1891. 
SchwalmimNA.  XXV — XXVI.  Acta  Salzburgo-Aquilejensia.  Bd.  I.  Her.  v.  A.  Lang. 
Graz  1903.  Die  Einleitung  enthält  die  wertvollsten  Zusammenstellungen  über  die 
kirchl.  Verwaltung  der  avign.  Periode.  Acta  Joh.  XXU,  ed.  Papebroch.  AA.  SS.  5.  Mai. 
Die  7  Lebensbeschreibungen  Joh.  XXU.  in  Baluze,  Vitae  papar.  Aven.  I,  113 — 196. 
Auch  in  Muratori  LH,  2  Abt.  Über  die  Literatur,  betreffend  die  Lehren  über  das  Ver- 
hältnis von  Staat  u.  Kirche  in  der  Zeit  L.  d.  B.,  s.  §  6  bei  Lorenz.    DGQ.  H,  333.     Aus 

*)  Die  slawisierte  Form  ist  Trausnitz. 


266  Die  kirchenpolitischen  Kämpfe 

der  reichhaltigen  Lit.  kann  hier  nur  das  Wichtigste  angegeben  werden  (die  älteren 
Schriften  eines  Landulf  von  Columna,  Joh.  v.  Columna,  Thomas  v.  Aquino,  Aegidius 
Romanus,  Johannes  v.  Paris,  Jordanus  v.  Osnabrück,  Engelbert  v.  Admont,  Dante, 
die  z.  T.  schon  oben  genannt  sind,  s.  Lorenz  a.  a.  0.  u.  an  den  einschl.  Stellen  bei 
Potthast).  Augustinus  Triumphus,  Summa  de  eccl.  potestate.  Rom  1584.  Übers. 
Auszug  bei  Friedberg,  De  finium  inter  ecclesiam  et  civitatem  regundorum  iudicio.  Lips. 
1861.  Zur  Gesch.  der  Minoriten  s.  oben  §4.  Zum  Armutsstreit  (De  paupertate  Christi) 
kommen  in  erster  Linie  die  Dekretalen :  Exiit  qui  seminat  (Sexti  Decret.  lib.  V,  tit.  XII,. 
cap.  m),  Exivi  de  paradiso  (Clement.  V.  tit.  XI,  c.  1),  Quorundam  exigit  (Extrav. 
Joh.  XXQ.,  lib.  XIV,  c.  1),  Quia  nonnunquam,  Ad  conditorem,  Cum  inter  nonnullos- 
u.  Quia  quorundam  (ebenda  cap.  2 — 5)  in  Betracht.  Eine  aktenm.  Darstellung  des 
Armutstreites  in  Johannes  Minorita,  Chronicon  de  gestis  contra  Fraticellos,  ed.  Baluze- 
Mansi  m,  206  (Lit.  Lorenz  II,  346—347).  Michael  de  Caesena,  Contra  errores- 
Johannis  XXII  papae  super  utili  dominio  ecclesiasticorum  et  abdicatione  bonorum 
temporalium  in  perfectione  Status  monachorum  et  clericorum.  Goldast,  Monarchia  H, 
1236 — 1360  (Lor.  347).  Wilhelm  v  Occam,  Compendium  errorum  Johannis  XXII, 
Goldast,  Mon.  II,  957  ff.  Reiches  Material  für  den  Armutstreit  findet  sich  in  Lukas 
Wadding,  Annales  Minorum.  (S.  auch  Riezler,  Widersacher  §  4.)  Über  den  mit  Er- 
bitterung geführten  Streit  über  die  kais.  u.  päpstl.  Macht  aufser  August.  Triumphus- 
vor  allem :  Marsiglio  von  Padua  u.  Joh.  v.  Jandun  (Lorenz  II,  347) :  Defensor  pacis 
seu  dictiones  vel  libri  tres  adversus  usurpatam  Romani  pontif.  iurisdictionem  (verf. 
vor  11.  Juli  1324  von  Marsiglio  mit  Beihilfe  Janduns),  gedr.  Goldast,  Monarchia  II,. 
154  ff.,  s.  Riezler  S.  193  u.  Müller  in  GGA.  1883.  (Jourdan,  Etüde  sur  Mannte  de 
Padoue.  Montaub.  1882.  Labanca,  Marsiglio  d.  P.  Päd.  1882.  Wurm,  Zu  M.  u.  0. 
Hist.  Jb.  1893.)  Marsiglio,  De  translatione  imperii,  ib.  147  ff.  De  iurisd.  imperatoris 
in  causis  matrim.  II,  1383.  Die  Informatio  de  nullitate  processuum  papae  Joh.  XXII. 
contra  Lud.  Bav.  (stammt  von  einem  Minoriten  aus  der  Umgebung  Ludwigs).  Goldast,. 
Mon.  I,  18—21.  Wilhelm  v.  Occam,  Defensorium  contra  errores  Johannis  XXII,  ed- 
Brown.  Fase.  rer.  expet.  et  fug.  Lugd.  1690  Dialogus  inter  magistrum  et  discipulunu 
Goldast,  Mon.  II,  399  ff.  —  Opus  nonaginta  dierum  de  utili  dominio  rerum  eccl. 
Goldast  II,  977  ff.  —  Super  potestate  summi  pontificis.  Goldast  II,  313  ff.  Tractatus- 
de  dogmatibus  Joh.  XXII.  papae.  Goldast  II,  740 — 770.  Alvaro  Pelayo,  De  planctu 
ecclesiae.  Yened.  1560  (s.  Schwab,  Gerson  24).  Lupoid  von  Bebenburg,  De  iure  regni 
et  imperii  Romani.  Arg.  1508  (Lorenz  II,  357).  Ritmaticum  querulosum.  Böhmer  FF.  I,. 
479.  Zur  Erg.  s.  die  Übersicht  der  theoretischen  Lit.  über  Staat  und  Kirche  von 
Thomas  v.  Aquino  bis  zum  Schisma  1270 — 1370  in  Riezler,  Lit.  Widersacher  S.  299. 

Hilfsschriften:  Pastor,  Souchon,  Lindner  u.  a.  wie  oben.  Christophe,. 
Hist.  de  la  Papaute  pendant  le  14e  siecle.  Paris  1853.  Bertrand y,  Recherches 
historiques  sur  l'origine  etc.  du  pape  Jean  XXII.  Paris  1854.  Verlaque,  Jean  XXHr 
sa  vie  et  ses  oeuvres  d'apres  des  documents  inedits.  Paris  1883  (s.  Müller  in  d.  Z.  f. 
KG.  VI,  VII).  Blumenthal,  Johann  XXH.,  Wahl  und  Persönlichkeit.  Z.  Kirch. 
G.  XXI,  4.  Hefele,  VI.  Für  die  Zust.  in  Avignon :  Woker,  Das  kirchl.  Finanz- 
wesen der  Päpste.  1878.  Gottlob,  Die  päpstl.  Kreuzzugssteuern  1892.  Ottenthai,. 
Die  päpstl.  Kanzleiregeln  v.  Joh.  XXH.  bis  Nik.  V.  1888.  Tan  gl,  Die  p.  Kanzlei- 
ordnungen von  1200—1500.  1894.  Tan  gl,  Das  Taxwesen  d.  p.  Kanzlei.  MJÖ'G.  XHL 
Kirsch,  Die  Finanzverw.  des  Kardinalkollegiums  im  13.  u.  14.  Jahrh.  1895.  Kirsch,. 
Die  p.  Kollektorien  in  Deutschi,  während  d.  14.  Jahrh.  Paderb.  1894.  König,  Die 
pästl.  Kammer  unter  Klemens  V.  u.  Joh.  XXH.  Wien  1894.  Bau  mg  arten,  Unter- 
suchungen u.  Urkk.  über  die  Camera  Collegii  cardinalium  1295 — 1477.  Leipzig  1898. 
Kirsch,  Die  Verwaltung  der  Annaten  unter  Klemens  VI.  RQ.-Schr.  XVI,  125. 
Göller,  Zur  Gesch.  d.  päpstl.  Finanzverwaltung.  Ebenda  XV,  284.  Sägmüller,. 
Der  Schatz  Johanns  XXH.  HJb.  XVHI,  37—57.  Gottlob,  Päpstl.  Darlehensschulden 
im  XIH.  Jahrh.  Ebenda  XX,  665—717.  Ehrle,  Proz.  über  den  Nachl.  Klemens  V. 
ALKG.  V,  s.  ebenda  S.  159  ff.  Hain,  Das  Almosenwesen  unter  Joh.  XXH.  RQS.  VI. 
E  u  b  e  1 ,  Zum  päpstl.  Reservations-  u.  Provisionswesen.  RQS.  VTU.  Pfugk-Harttungr 
Der  Johanniter-  u.  der  Deutsche  Orden  im  Kampfe  L  d.  B.  mit  der  Kurie.  Leipz.  1900. 
Gegner  u.  Hilfsmittel  Ludwigs  d.  B.  in  s.  Kampfe  mit  der  Kurie.   ZKG.  XXI.    Feite n,. 


unter  Ludwig  dem  Bayer.  267 

Forsch,  z.  Gesch.  L  d.  B.  Heidelb.  1900.  The  obald,  Beitr.  z.  Gesch.  Ludw.  d.  B.  Mann- 
heim 1897.  Hauptwerke  überden  Kampf  zwischen  Job.  XXII.  u.  K.  L.  v.  B.  sind : 
Riezler,  Die  lit.  Widersacher  der  Päpste  zur  Zeit  Ludwigs  des  Bayers.  Leipz.  1874  und 
Karl  Müller,  Der  Kampf  Ludwigs  des  Bayers  mit  der  römischen  Kurie.  2  Bde.  Tübingen 
1879/80  (wichtig  auch  wegen  der  beigeg.  Urkk.  u.  Korrespondenzen).  Sonst  Fried- 
berg,  Die  ma.  Lehren  über  das  Verhältnis  von  Staat  u.  Kirche.  ZKR.  VIII.  Fried- 
berg,  Die  Grenzen  zw.  Staat  u.  Kirche.  Tübingen  1872.  Die  ma.  Lehren  über  das 
Verhältnis  von  Staat  u.  Kirche.  2  Tle.  Leipz.  1874.  Bezold,  D.  Lehre  v.  d.  Volkssouver. 
im  MA.  HZ.  XXXH.  Schreiber,  D.  pol.  u.  relig.  Doktrinen  unter  L.  d.  B.  1858. 
Scaduto,  Stato  e  chiesa  negli  scritti  politici  dalla  fme  della  lotta  per  le  investiture 
sino  alla  morte  di  Ludovico  il  Bavaro.  Fir.  1882  Riezler,  Gesch  Bayerns  H. 
Döllinger,  Deutschlands  Kämpfe  mit  dem  Papsttum  unter  L.  d.  B.  Akad.  Vortr.  Ir 
118 — 137.  Noorden,  Kirche  u.  Staat  zur  Zeit  L.  d.  B.  Hist.  Vortr.  1884.  L.  Pfannen- 
schmid,  Sind  dem  Papste  Johann  die  Wahldekrete  der  Gegenk.  Ludwig  u.  Friedrich 
vorgelegt  worden  ?  Forsch.  I,  51.  C.Müller,  L.  d.  B.  Appellationen  gegen  Johann  XXH. 
ZKR.  NF.  XIX.  W.  Preger,  Der  kirchenpol.  Kampf  unter  Ludwig  d.  B.  u.  s.  EinÜufs 
auf  die  öffentl.  Meinung  in  Deutschland.  Münch.  1879.  Über  die  Anfänge  des  k.  K.  unter 
L.  d.  B.  München  1882.  —  Beiträge  und  Erörterungen  zur  Gesch.  d.  d.  Reiches  1330 
bis  1334.  Ebenda  1880.  Die  Politik  des  Papstes  Joh.  XXH.  in  Bezug  auf  Italien  und 
Deutschland.  Ebenda  1885.  M.  Schaper,  Die  Sachsenhäuser  Appellation  von  1324. 
Greifsw.  1888.  Marcour,  Anteil  der  Minoriten  am  Kampf  zw.  K.  Ludw.  d.  B.  und 
P.  Joh.  XXH.  bis  1328.  Emmerich  1874.  Gudenatz,  Mich.  v.  Caesena.  Diss,  1876. 
Schwemer,  Der  Kampf  L.  d.  B.  mit  der  Kurie.  Z.  allg.  G.  HI.  —  Papsttum  und 
Kaisertum.  Univ.  hist.  Skizzen  1899.  Feiten,  Die  Bulle  Ne  pretereat  etc.  Trier  1885. 
L  i  p  p  e  r  t ,  Zur  Gesch.  L.  d.  B.  MJÖG.  XIH.  E  h  r  1  e ,  Ludw.  d.  B.  und  die  Fraticellen  etc. 
Arch.  LKG.  I,  H.  E  h  r  1  e ,  Petrus  Joh.  Olivi  etc.,  ib.  LH.  Weiland,  Der  angebliche  Verzicht 
K.  L.  d.  B.  Gott.  Ges.  W.  1883,  Nr.  7.  —  ZumAusgleichmit  Habsburg:  Friedens- 
burg, L.  d.  B.  u.  F.  v.  Ost.  1325—26.  Göttingen  1877.  Preger,  Die  Verträge  L.  d.  B. 
mit  F.d.  Seh.  1325—1328.  München  1883.  Besser,  L.  d.  B.  u.  F.  d.  Seh.  im  März 
u.  April  1325.  Prog.  Altenburg.  Leupold,  Bertold  u.  Buchegg,  Strafsb.  1882.  Zum 
Römerzug:  Weltzien,  Unters,  ital.  Quellen  zum  Römerzug  L.  d.  B.  1888.  Tes- 
dorpf ,  Der  Römerzug  Ludwigs  d.  B.  Königsb.  1885.  Altmann,  Der  Römerzug  L.  d.  B. 
Berl.  1886.  C  h  r  o  u  s  t ,  Beitr.  z.  Geschichte  L.  d.  B.  I.  Die  Romfahrt  1327—1329.  Gotha  1887. 
Winkler,  Castruccio  Castracani.  Berl.  1897.  Eubel,  Der  Gegenpast  Nikolaus  V. 
u.  s.  Hierarchie.  HJb.  XH.  Sievers,  Die  pol.  Beziehungen  K.  Ludwigs  d.  B.  zu 
Frankreich  1314 — 1337.  Berl.  1896.  Engelmann,  w.  oben.  Höfler,  Aus  Avignom 
Prag  1868.  Pflugk-Harttung,  D.  Bez.  Ludwig  d.  Bayern  in  d.  Kanzlei  Joh.  XXH. 
HJb.  XXH,  329. 

1.  Von  den  24  Kardinälen,  die  es  beim  Tode  Klemens  V.  (1314, 
20.  April)  gab,  waren  acht  Italiener,  die  noch  an  seiner  Wahl  Anteil 
genommen.  Sie  hatten  diesen  Papst  gehafst  und  waren  nun  Feinde  der 
Gascogner,  einer  Partei,  die  erst  Klemens  V.  geschaffen  hatte.  Sie  zählte 
10  Mitglieder.  Auch  die  übrigen  sechs  Kardinäle  waren  Franzosen. 
Das  Kollegium  trat  in  Carpentras  zum  Konklave  zusammen.  Nach  zwölf- 
wöchentlicher Beratung  wurde  es  durch  einen  Tumult  unterbrochen. 
Von  den  Kardinälen  flüchteten  die  einen  nach  Valence,  andere  nach 
Avignon  oder  Orange.  Aufserstande,  die  Wahl  in  dem  unsicheren 
Carpentras  vorzunehmen,  schlugen  die  Italiener  als  Wahlort  Lyon  vor. 
Schon  schien  es  zu  einem  Schisma  zu  kommen,  denn  beide  Parteien 
waren  entschlossen,  unter  Umständen  allein  zu  wählen.  Von  allen 
Seiten  erschollen  Klagen  über  die  lange  Vakanz  des  Papsttums.  Dante 
erhob  seine  Stimme  namens  des  verwaisten  Italiens;  die  Könige  von 
Frankreich,  England  u.  a.  liefsen  es  nicht  an  Warnungen   fehlen.     Erst 


258  Die  Wahl  Johanns  XXII.     Seine  Politik. 

als  Graf  Philipp  von  Poitiers  gegen  die  in  Lyon  versammelten  Kardinäle 
Gewalt  brauchte,  bequemten  sie  sich  zur  Wahl.  Sie  fiel  am  T.August  1316 
auf  Jakob  Duese  aus  Ganors,  den  Kandidaten  der  italienisch-proven- 
calischen  Partei,  den  von  Xeapel  am  meisten  begünstigten  Kardinal  von 
Porto.  Er  wurde  gewählt,  nachdem  er  versprochen,  die  Kurie  nach  Rom 
zurückzuführen.  Als  Papst  nannte  er  sich  Johann  XXII.  (1316 — 1334). 
Er  zählte  bereits  72  Jahre.  Seine  kränkliche  Gesichtsfarbe,  gebeugte 
Haltung  und  schwache  Stimme  versprachen  kein  Pontifikat  von  langer 
Dauer.  Wenn  auch  Wilhelm  von  Occani  von  seiner  Gelehrsamkeit  nicht 
viel  hielt,  so  besafs  er  immerhin  bedeutendes  Wissen  und  bekundete  den 
Ehrgeiz,  als  grofser  Theologe  zu  gelten.  Gleichwohl  brachte  ihn  seine 
Teilnahme  an  den  theologischen  Streitigkeiten  der  Zeit  in  die  Gefahr, 
als  Ketzer  betrachtet  zu  werden.  Schon  als  Bischof  und  Kardinal  ein 
trefflicher  Verwaltungsbeamter,  trug  er  für  eine  geordnete  Verwaltung 
der  Kirche  Sorge.  Zu  dem  Zwecke  erliefs  er  eine  ausführliche  Kanzlei- 
ordnung und  gestaltete  auch  den  geistlichen  Gerichtshof  um.1)  Von 
seiner  unermüdlichen  Arbeitskraft  sprechen  heute  noch  die  59  Register- 
bände seines  Pontifikats  im  vatikanischen  Archiv  mit  ihren  mehr  als 
60000  Xummern  zählenden  Aktenstücken.  Dankte  er  sein  Emporkommen 
französischen  Einflüssen,  so  tat  er  als  Papst  alles,  was  Frankreich  fördern 
konnte.  Die  von  ihm  ernannten  Kardinäle  waren  nahezu  alle  Franzosen. 
Seiner  Zusage  zum  Trotz  schlug  er  seine  Residenz  in  Avignon  auf  und 
hat  diese  Stadt  auch  nicht  wieder  verlassen.  Je  entgegenkommender  er 
gegen  Frankreich  war,  um  so  hartnäckiger  suchte  er  seine  Herrschaft 
über  das  Kaisertum  aufrecht  zu  halten  und  fügte  dem  Anspruch  seines 
Vorgängers,  dafs  während  der  Erledigung  des  Kaisertums  die  Reichs- 
gewalt vom  Papst  zu  führen  sei,  neue  Ansprüche  von  unerhörter  Art 
hinzu,  so  dafs  sich  in  den  Kreisen  der  Gelehrten  und  Staatsmänner  eine 
heftige  Opposition  dagegen  kundgab. 

2.  Die  gröfste  Geschicklichkeit  besafs  Johann  XXII.  in  der  Mehrung 
der  kirchlichen  Einkünfte,  die  bei  den  allerdings  unabweislichen  Bedürf- 
nissen der  Kurie  doch  in  einer  Länder  und  Völker  beunruhigenden  Weise 
betrieben  wurde.  Ein  grofser  Teil  der  Einnahmen,  die  der  Kurie  bisher 
aus  den  Tributen  der  zinspnichtigen  Reiche,  dem  Census  exempter  Bis- 
tümer, Kirchen  und  Klöster,  dem  vom  Papste  auf  die  kirchlichen  Ein- 
kommen gelegten  Zehent  und  den  freiwilligen  Subsidien  des  Klerus  zu- 
geflossen waren,  wurde  seit  Xikolaus  IV.  (s.  oben)  für  die  Kardinäle 
verwendet.  Da  nun  einerseits  Einnahmen  aus  zinspflichtigen  Reichen 
wie  England  ausblieben,  auch  das  sonstige  Einkommen  der  Päpste  vielfach 
geschmälert  war,  während  sie  anderseits  neben  ihrer  kirchlichen  auch 
ihre  politische  Stellung  wahren  mufsten,  die  Unternehmungen  gegen 
die  Ungläubigen  ihre  Hilfe  beanspruchten  und  die  im  Interesse  des 
Kirchenstaates  geführten  Kriege  grofse  Summen  erforderten,  rnufste  die 
Kurie  auf  die  Schaffung  neuer  Einnahmequellen  bedacht  sein.  Zunächst 
kamen    die    Annaten    in    Betracht,    die    seit    der    zweiten    Hälfte    des 


!)  Lindner,  I,  S.  316. 


Charakteristik  des  avignonesischen  Papsttums.  269 

13.  Jahrhunderts  aus  den  verliehenen  Pfründen  von  den  Päpsten 
gefordert  wurden.  Klemens  IV.  hatte  1265  alle  Stellen,  deren  Inhaber 
an  der  Kurie  gestorben  waren,  der  päpstlichen  Besetzung  reserviert,  was 
damit  begründet  wurde,  dafs  dem  Papste  die  volle  Verfügung  über  alle 
Pfründen  zustehe.1)  Klemens  V.  dehnte  diese  Befugnisse  noch  viel  weiter  aus, 
und  Johann  XXII.  zog  alle  Stellen  dahin,  deren  Inhaber  er  selbst  geweiht 
oder  ernannt  hatte. 2)  Indem  er  Geistliche  von  ihren  Pfründen  hinweg 
auf  reichere  versetzte,  zog  die  Erledigung  einer  einzigen  Stelle  die  zahl- 
reicher anderer  nach  sich,  deren  Besetzung  dann  der  Kurie  zustand. 
Auch  wurden  zahlreiche  Stellen  vereinzelt  schon  seit  Innozenz  III., 
häufiger  seit  Innozenz  IV.  durch  Reservation  oder  Provision  ver- 
geben, und  selbst  da,  wo  ein  Bischof  durch  das  Kapitel  gewählt  ward, 
wurde  der  Wechsel  in  der  Stelle  ebenso  ausgenützt,  indem  das  Recht, 
den  Gewählten  zu  bestätigen,  immer  mehr  vom  Metropoliten  auf  den 
Papst  überging.  Der  Papst  verfügte  demnach  über  eine  ungeheure 
Anzahl  von  Stellen,  aus  denen  er  nun  bedeutende  Summen,  etwa  die 
Hälfte  des  Jahreseinkommens  der  Pfründe  bezog  (servitia  communia  oder 
annatae. 5)  Ebenso  wurde  das  Gebühren wesen  an  der  Kurie  festgeordnet 
und  dabei  die  Taxen  für  die  Erlangung  von  Dispensen,  Ablässen,  Ab- 
solutionen u.  s.  w.  gesteigert,  schliefslich  gewisse  Einkünfte,  wie  die 
Hinterlassenschaften  (Spolien)  der  Bischöfe  usw.,  der  Kurie  reserviert. 
Auch  die  Almosen  und  Vermächtnisse  von  Klerikern  und  Laien,  besonders 
die  Ablässe  und  vor  allem  die  grofsen  Jubiläen,  bildeten  eine  wesentliche 
Quelle  des  päpstlichen  Einkommens.  Alle  diese  Abgaben  wurden,  so- 
fern sie  nicht  gutwillig  gezahlt  wurden,  unter  Androhung  von  Bann 
und  Interdikt,  die  meisten  dadurch  eingehoben,  dafs  —  und  der  Gebrauch 
datiert  schon  seit  dem  Beginn  des  XIII.  Jahrhunderts  —  in  die  einzelnen 
Länder  Kollektoren4)  entsandt  wurden,  welche  die  an  den  päpstlichen 
Stuhl  zu  zahlenden  Abgaben  einzuheben  hatten.  Die  Einnahmen  aus 
allen  diesen  Quellen  waren  sehr  bedeutende,  wenngleich  sie  oftmals  viel 
zu  hoch  geschätzt  worden  sind.5)  Gleichwohl  befanden  sich  beim  Tode 
Johanns  XXII.  trotz  der  grofsen  Ausgaben  nicht  weniger  als  8  Millionen 
Mark  vor,  Summen,  die  aufgespeichert  wurden,  um  den  schon  lange 
geplanten  Kreuzzug  unternehmen  zu  können.  Dafs  es  dem  Papst  mit 
dem  Unternehmen  Ernst  war,  darf  wohl  nicht  bezweifelt  werden,  wie  er 


*)  Corp.  iur.  can.  Sexti  Decret.  Lib.  HI,  tit.  IV,  cap.  2:  Licet  ecclesiarum  plenaria 
disposicio  ad  Romanum  noscatur  pontificem  pertinere. 

2)  Für  das  Folgende  Kirsch,  1.  c.  XXIV  ff. 

3)  In  den  Regist.  Johanns  XXH.  bedeutet  »annata<  den  Zeitraum  eines  Jahres. 
Die  Einkünfte  des  ersten  Jahres  von  einer  Pfründe  »fructus  primi  anni«  oder  >fructus 
unius  annatae«.  Die  Abgabe,  die  etwa  die  Hälfte  des  Jahreseinkommens  betrug,  heilst 
unter  Klemens  VI.  annale  oder  annuale,  erst  später  auch  annata.  S.  hierüber  aufser 
Kirsch  jetzt  vornehmlich  A.  Lang,  S.  LXVI.  Dort  findet  sich  S.  LXVIH  über  den 
Verlauf  päpstlicher  Provisionen  alles  Nötige. 

4)  Das  Abendland  hat  7  Kollektorien :  Frankreich,  Deutschland  (mit  den  Kirchen- 
provinzen Trier,  Köln,  Mainz,  Prag  und  Livland),  die  Britischen  Inseln,  die  Iberische 
Halbinsel,  die  nordischen  Reiche,  Polen-Ungarn  und  Italien. 

5)  S.  Sägmüller  im  HJb.  XVIH,  37,  XX,  669.     Ehrle  im  ALKG.  V,  159. 


270        ^er  Ausbruch  des  Kampfes  zwischen  Johann  XXII.  u.  Ludwig  d  Bayer. 

denn  auch  die  Karten  und  Pläne,  die  ihm  der  Venezianer  Marino  Sanudo 
zusandte,  prüfen  liefs.  Gleichwohl  trug  der  Papst  kein  Bedenken,  das 
für  Kreuzzugszwecke  gesammelte  Geld  auch  in  anderer  Weise  zu  ver- 
wenden. 

§  62.    Der  Ausbruch  des  Kampfes  zwischen  Johann  XXII.  und 
Ludwig  dem  Bayer.    Die  Verhandlungen  der  Gregenkönige. 

1.  An  seinem  Krönungstage  richtete  Johann  XXII.  ein  Rund- 
schreiben an  alle  christlichen  Fürsten.  Die  Gegenkönige  wurden  darin 
als  Gewählte  behandelt,  wodurch  keinem  ein  Rechtsanspruch  eingeräumt 
wurde,  denn  erst  des  Papstes  Bestätigung  verleihe  ein  Recht  auf  die 
Krone.  Ludwigs  Wähler  erbaten  für  ihn  die  Kaiserkrone,  jene  Friedrichs 
die  Approbation  der  getroffenen  Wahl.  Johann  hielt  sechs  Jahre  hin- 
durch an  seiner  abwartenden  Stellung  fest.  Für  ihn  waren  zunächst  nur 
die  italienischen  Verhältnisse  mafsgebend.  König  Robert  hatte  nach 
Heinrichs  VII.  Tode  an  Klemens  V.  das  Begehren  gestellt,  entweder  die 
Wahl  eines  römischen  Königs  überhaupt  zu  verhindern  oder  ihr  die 
Bestätigung  zu  versagen,  in  jedem  Fall  aber  eine  Romfahrt  und  Kaiser- 
kxönung  zu  verhüten. x)  Das  wurde  nun  auch  des  Papstes  Programm. 
Wurde  keiner  der  Gewählten  zum  Kaiser  gekrönt,  dann  blieb  das  Im- 
perium erledigt,  dann  ist  aber  auch  »die  Reichs verweser seh aft  auf  den 
Papst  übergegangen,  denn  Gott  selbst  hat  ihm  in  der  Person  des  hl. 
Petrus  die  Rechte  des  irdischen  und  himmlischen  Imperiums  zugleich 
verliehen«.2)  Danach  wurden  die  Reichsbeamten  in  Italien,  falls  sie 
ihre  Würden  und  Amter  nicht  niederlegten,  mit  dem  Banne  bedroht 
und  König  Robert,  der  heftigste  Feind  der  Deutschen,  zum  Reichsvikar 
ernannt.  Die  Gegenkönige  liefsen  den  Angriff  unbeantwortet,  denn  wenn 
sie  auch  Reichsvikare  ernannten,  blieben  diese  doch  machtlos.  Hatte 
es  eine  Zeitlang  den  Anschein,  als  wolle  die  Kurie  den  Habsburger 
begünstigen  und  schlofs  Friedrich  mit  Robert  ein  förmliches  Bündnis 
zur  Bekämpfung  Matteo  Viscontis,  des  Führers  der  Ghibellinen  in  Ober- 
italien, so  änderten  sich  diese  Dinge  seit  der  Schlacht  bei  Mühldorf. 
Ludwig  hatte  dem  Papste  seinen  Sieg  gemeldet;  er  hielt  den  Thronstreit 
für  erledigt.  Nicht  so  der  Papst.  Dieser  erklärte  sich  wohl  zur  Ver- 
mittlung bereit,  verlangte  aber,  wie  es  scheint,  als  Preis  der  Anerkennung 
völligen  Verzicht  auf  die  deutsche  Herrschaft  in  Italien.  Nach  seinem 
Siege  war  Ludwig  am  wenigsten  dazu  geneigt,  vielmehr  sandte  er  Bertold 
von  Neifen  als  Reich svikar  nach  Italien,  um  die  vom  Papst  und  König 
Robert  bedrängten  Ghibellinen  zu  verteidigen.  Dies  brachte  den  Streit 
zwischen  Papst  und  König  zum  Ausbruch.  Am  8.  Oktober  1323  ver- 
kündigte Johann  XXII.  in  öffentlichem  Konsistorium  seinen  ersten  Prozefs 
gegen  Ludwig,  mahnte  ihn,  die  Regierung  binnen  drei  Monaten  nieder- 
zulegen und  nicht  eher  anzutreten,  bis  er  die  päpstliche  Bestätigung 
erlangt  habe.    Noch  suchte  Ludwig  den  Weg  der  Versöhnung.    Er  sandte 

1)  Müller  I,  S.  37. 

2)  Bulle  vom  31.  März  1317. 


Johann  XXII.  und  der  Armutsstreit.     Haltung  der  Minoriten.  271 

Boten  nach  Avignon  und  bat  um  Erstreckung  der  Frist,  um  seine  Ver- 
teidigung führen  zu  können.  Johann  gewährte  dies.  Inzwischen  erhob 
der  König  gegen  das  gehässige  Vorgehen  des  Papstes  Protest  (1323, 
18.  Dezember)  und  wies  darauf  hin,  dafs  der  an  üblicher  Stätte  durch 
die  Kurfürsten  oder  deren  Mehrheit  Erwählte  und  Gekrönte  römischer 
König  sei,  dem  das  Imperium  gebühre.  Dem  Papst  sei  nur  die  Kaiser- 
krönung vorbehalten. .  Eine  Prüfung  oder  Zurückweisung  des  Gewählten 
stehe  ihm  nicht  zu.  Schliefslich  legte  Ludwig  Berufung  an  ein  allgemeines 
Konzil  ein.  Den  Vorwurf  der  Ketzerei  abweisend,  bezichtigte  er  den 
Papst  häretischer  Gesinnung,  weil  er  die  Minoriten  in  deren  Streit  mit 
der  Weltgeistlichkeit  begünstige. 

2.  Bald  erhielt  er  an  den  Minoriten  selbst  Bundesgenossen.  Die 
Päpste  hatten  diesen  Orden  bisher  in  jeder  Weise  begünstigt  und  noch 
Nikolaus  III.  ihn  in  der  Bulle  Exiit  qui  seminat  gerühmt.  Nun  waren 
im  Orden  Strömungen  aufgetaucht,  die,  das  Armutsideal  verschärfend, 
selbst  die  zum  Leben  unentbehrlichsten  Dinge  aufzuspeichern  verboten. 
Schon  Klemens  V.  wollte  diese  Spaltungen  nicht  dulden.  Die  Frage,  ob 
der  Orden  absolut  nichts  (usus  pauper)  oder  mäfsigen  Besitz  (usus  moderatus) 
haben  dürfe,  entschied  das  Konzil  von  Vienne  im  Sinne  der  ersteren 
Richtung.  Aber  die  Unzufriedenheit  dauerte  fort.  Unter  den  Unzufriedenen 
gab  es  zwei  Richtungen :  die  Spiritualen  und  Fraticellen,  von  denen 
jene  selbst  die  Anlage  von  Vorratsräumen  verwarfen  und  noch  ärmlichere 
Kutten  anlegten.  Dagegen  wandte  sich  der  Papst  in  der  Dekretale 
Quorundam  exigit.  Schon  1318  wurden  in  Marseille  einige  Spiritualen 
als  Ketzer  verbrannt.  Noch  weiter  gingen  die  Fraticellen;  in  Katalonien 
und  Südfrankreich  starben  114  von  ihnen  den  Ketzertod.  Selbst  der 
Ordensgeneral  kam  mit  dem  Papst  in  Streit.  Der  Inquisitor  von  Nar- 
bonne  hatte  nämlich  den  Satz,  dafs  weder  Christus  noch  die  Apostel, 
persönlich  oder  gerneinsam,  Eigentum  besessen  hätten,  als  ketzerisch 
erklärt  und  der  Papst  die  Erklärung  gebilligt.  Dies  erregte  grofsen 
Unmut;  daher  gab  der  Papst  durch  die  Bulle  Quia  nonnunquam  die  von 
ihm  früher  verbotene  Diskussion  über  die  Regel  des  hl.  Franziskus  wieder 
frei.  Nun  erklärten  die  Minoriten,  die  Behauptung,  dafs  Christus  und 
die  Apostel  kein  Eigentum  gehabt,  sei  nicht  häretisch.  Erzürnt,  dafs 
sie  seinem  Ausspruch  Vorgriffen,  erklärte  der  Papst  diese  Behauptung 
als  ketzerisch  (1323,  12.  November),  und  als  die  Minoriten  sich  auf  die 
älteren  Entscheidungen  Nikolaus'  III.  und  Klemens'  V.  beriefen,  wurden 
sie  belehrt,  dem  Papste  stehe  es  zu,  Entscheidungen  seiner  Vorgänger 
zu  widerrufen.  Von  den  Minoriten  hatten  sich  einige  an  König  Ludwig 
gewendet.  Über  ihn  verhängte  der  Papst  am  23.  März  1324  die  Ex- 
kommunikation, die  hierauf  auch  auf  seine  Bevollmächtigten  in  Italien 
ausgedehnt  wurde.  Ludwig  erliefs  dagegen  (22.  Mai)  zu  Sachsen- 
hausen eine  Appellation1),  voll  von  Vorwürfen  gegen  den  Papst,   »den 


x)  Die  Frage,  ob  die  Stelle  über  die  Armut  Christi  mit  oder  ohne  Wissen  Ludwigs 
in  die  Appellation  eingeschaltet  wurde,  ist  noch  immer  nicht  befriedigend  gelöst. 
(Die  Lit.  s.  oben.) 


272        Die  Bundesgenossen  K.  Ludwigs.     Friedensverhandl.  der  Gegenkönige. 

Feind  des  Friedens  und  Zerstörer  des  Reiches«,  der  sich  die  Rechte  der 
Reichsfürsten  anmafse  und  die  evangelische  Lehre  der  Minoriten  von 
der  Armut  Christi  als  Ketzerei  verdamme.  Minoriten  waren  es,  die  an 
dieser  Appellation  mitarbeiteten  und  damit  die  Stellung  des  Königs,  der 
nun  auf  ein  rein  kirchliches  Gebief  übergriff,  verschlechterten.  Nach 
diesem  Schritte  war  kein  Einlenken  des  Papstes  zu  erwarten.  Am 
11.  Juli  1324  wurde  Ludwig  das  Reich  abgesprochen  und  er  selbst 
auf  den  1.  Oktober  vor  die  Kurie  zitiert.  Über  seine  Anhänger, 
Geistliche  und  Städte,  wurde  der  Bann  verhängt,  weltliche  Fürsten  mit 
dem  Bann,  ihre  Länder  mit  dem  Interdikt  bedroht.  Im  übrigen  erklärte 
der  Papst,  die  Rechte  der  Kurfürsten  nicht  schmälern  zu  wollen.  Um 
die  wider  ihn  erhobene  Anschuldigung  der  Ketzerei  zu  widerlegen,  erliefs 
er  am  10.  November  die  Dekretale  Quia  quorundam  mentes1),  ohne  hier- 
durch aber  den  Streit  über  die  Armut  Christi  eindämmen  zu  können.2) 
3.  Die  Abhängigkeit  der  Kurie  von  Frankreich  trat  auch  jetzt 
wieder  deutlich  hervor.  Statt  für  Friedrich  einzutreten,  drängte  Johann 
auf  die  Neubesetzung  des  deutschen  Thrones  und  schob  die  Kandidatur 
des  französischen  Königs  Karl  IV.  in  den  Vordergrund.  Für  diesen 
Plan  gewann  er  den  Herzog  Leopold.  Dieser  versprach,  ihn  auch  für 
den  Fall  zu  unterstützen,  wenn  Karl  IV.  —  soweit  gingen  schon  die 
Ansprüche  der  Kurie  —  vorn  Papste  durch  Provision  ernannt  werden 
sollte.  Leopolds  Brüder  sollten  reich  entschädigt  werden,  namentlich 
auch  durch  die  Wiederherstellung  ihres  Besitzes  in  Schwyz  und  Unter- 
waiden. Von  den  Kurfürsten  ging  keiner  auf  solche  Pläne  ein,  und 
einen  König  zu  ernennen,  wagte  schliefslich  der  Papst  doch  nicht.  Da 
sich  von  Ludwigs  bisherigen  Bundesgenossen  einige  seinen  Gegnern 
näherten  und  der  Krieg  eine  für  Bayern  ungünstige  Wendung  nahm, 
sah  Ludwig  sich  genötigt,  mit  den  Habsburgern  Verhandlungen  anzu- 
knüpfen ;  sein  tüchtigster  Diplomat,  Graf  Bertold  von  Henneberg,  schlofs 
in  Trausnicht  am  13.  März  1325  einen  Vertrag  ab,  in  welchem  Friedrich 
sich  verpflichtete,  der  Krone  zu  entsagen,  Ludwig  als  König  anzuerkennen 
und  mit  ihm  ein  Bündnis  gegen  jedermann,  auch  gegen  den  Papst,  zu 
schliefsen.  Eine  Ehebündnis  zwischen  Ludwigs  Sohn  Stephan  und 
Friedrichs  Tochter  Elisabeth  sollte  die  neue  Freundschaft  stützen.  Würden 
Friedrichs  Brüder  ihn  an  der  Ausführung  des  Vertrages  hindern,  dann 
sollte  er  wieder  in  die  Gefangenschaft  zurückkehren.  In  der  Tat  scheiterte 
der  Vertrag  an  dem  Widerstand  Leopolds,  und  Friedrich  kehrte  nach 
Bayern  zurück,  doch  nicht  mehr  als  Gefangener  nach  Trausnicht,  sondern 
als  Freund  des  Königs  nach  München.  Hier  kam  eine  neue  Überein- 
kunft zustande  (5.  September),  nach  welcher  beide  Könige  gemeinsam 
das  Reich  besitzen  sollten.  Würde  einer  der  Könige  nach  Italien  ziehen, 
sollte  der  andere  in  Deutschland  ungeteilt  die  Macht  besitzen.  Es  wurde 
demnach   ein  Verhältnis   in  Aussicht   genommen,   wie  es  einst  zwischen 

*)  Extrav.  Joh.  XXH,  tit.  XIV,  cap.  V. 

2)  Die  in  diesem  Streit  vorgetragenen  Lehrrneinungen  wirkten  durch  Fitz-Ralphs 
Buch  über  die  Armut  Christi  auf  Wiclif  ein.  S.  De  Pauperie  Salvatoris  in  De  Dominio 
Divino  (ed.  Poole)  und  De  Civ.  Dom.  HI,  ed.  Loserth. 


Der  Tod  Friedrichs  des  Schönen.     Die  Romfahrt  Ludwigs.  273 

Friedrich  IL  und  Heinrich  bestand.  Aber  auch  der  Münchner  Vertrag 
erwies  sich  als  undurchführbar.  Unter  diesen  Umständen  erklärte  sich 
Ludwig  in  Ulm  bereit  (1326,  7.  Januar),  ganz  vom  Königtum  zurück- 
zutreten, wenn  es  Friedrich  gelänge,  die  Bestätigung  des  Papstes  zu  er- 
halten, und  begab  sich  in  der  Tat  der  Ausübung  seiner  königlichen 
Rechte.  Aber  der  Papst  betrieb  eifriger  als  früher  die  französische 
Kandidatur1).  Mittlerweile  starb  Herzog  Leopold  am  28.  Februar  1326. 
Mit  ihm  verlor  Friedrich  seine  stärkste  Stütze.  Da  die  Habsburger  die 
Anerkennung  seines  Königtums  nicht  durchzusetzen  vermochten, 
trat  der  Münchner  Vertrag  wieder  in  Kraft.  Ludwig  kam  zu  Ende  1326 
mit  den  habsburgischen  Fürsten  Friedrich,  Heinrich  und  Albrecht  in 
Innsbruck  zusammen.  Die  hier  gepflogenen  Verhandlungen  nahmen 
einen  ungünstigen  Verlauf.  Friedrich  kehrte  nach  Österreich  zurück 
und  führte  den  Königstitel  bis  an  sein  Ende,  ohne  die  Rechte  eines 
deutschen  Königs  auszuüben.  Ein  nochmaliger  Versuch  (1328),  die  Be- 
stätigung des  Papstes  zu  erhalten,  erfuhr  eine  schroffe  Abweisung.  Er 
starb  am  13.  Januar  1330  zu  Gutenstein  im  Wiener  Walde.  Die  Leitung 
der  österreichischen  Politik  kam  nun  in  die  Hände  der  Herzoge  Albrecht 
und  Otto,  die  mit  König  Ludwig  am  6.  August  zu  Hagenau  ihren  end- 
gültigen Frieden  machten.  Der  Besitz  des  deutschen  Königtums  war 
diesem  nun  gesichert. 

§  63.    Der  Römerzug  Ludwigs. 

1.  Schon  seit  längerer  Zeit  hatte  Ludwig  den  Gedanken  einer 
Romfahrt  erwogen.  Als  er  (seit  Mitte  Januar  1327)  in  Trient  weilte,  erschienen 
die  Häupter  der  ghibellinischen  Partei  und  die  Abgesandten  der  reichs- 
treuen Städte:  Cane  grande  della  Scala  von  Verona,  Passarini 
Buonacossi  von  Mantua,  Marco  und  Azzo  Visconti,  die  Mark- 
grafen von  Este,  Boten  Castruccio  Castracanis,  Gesandte  König 
Friedrichs  von  Sizilien,  der  Pisaner  usw.  und  boten  ihm  jede  Unter- 
stützung an,  um  des  Reiches  Rechte  zu  wahren  und  sich  selbst  gegen 
die  Weifen  zu  schützen.  In  Ludwigs  Umgebung  weilten  Marsiglio  von 
Padua,  Johann  von  Jandun  und  die  Minoriten,  die  seinen  Schutz  auf- 
gesucht hatten.  Marsiglio,  um  1270  geboren,  hatte  das  Studium  der 
Philosophie  und  Medizin  betrieben,  eine  Zeitlang  auch  die  Feder  mit 
dem  Schwerte  vertauscht  und  war  dann  in  den  geistlichen  Stand  getreten. 
Minorit  ist  er  nicht  gewesen.  1312  war  er  Rektor  an  der  Pariser  Uni- 
versität. Dort  traf  er  noch  Männer,  die  im  Kampfe  gegen  Bonifaz  VIH. 
die  Interessen  des  Staates  verteidigt  hatten,  und  gewann  jene  Über- 
zeugungen, die  er  in  seinem  berühmten  Buche  Defensor  pacis  nieder- 
gelegt hat.  Grofsen  Einflufs  nahm  Occam  auf  ihn.  Vielleicht  hatte  er 
Beziehungen  zu  den  Minoriten,  die  an  Ludwigs  Hof  verweilten.  Er  trat 
als  Leibarzt  in  dessen  Dienst,  mit  ihm  sein  Freund  Johann  von  Jandun, 
mit  dem  er  noch  zuletzt  in  Paris  den  Defensor  pacis  abgefafst  hatte. 
Dieses    Werk    enthält   Theorien,    die    geeignet    waren,    die    bestehenden 

*)  Riezler  H,  365. 
Loserth,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  1" 


274  Marsiglio  von  Padua.     Der  Defensor  pacis. 

Grundsätze  über  Staat  und  Kirche  in  ihrem  gegenseitigen  Verhältnis 
über  den  Haufen  zu  werfen,  denn  sie  lassen  dem  Papst  keine  andere 
Macht,  als  sie  jeder  Priester  besitzt,  betonen  dagegen  um  so  nachdrück- 
licher der  kirchlichen  Gewalt  gegenüber  die  Rechte  des  Staates.  Ludwig 
nahm  die  Fremdlinge  zwar  mit  Verwunderung,  aber  doch  wohlwollend 
auf.  Sie  erklärten  dem  König,  seine  Pflicht  sei,  der  in  der  Kirche 
eingerissenen  Verwirrung  ein  Ende  zu  machen.  Das  Kaisertum  sei  älter 
als  das  Papsttum,  die  Gesetze  der  Kirche  dürften  auf  den  Staat  keine 
Anwendung  finden.  Kaiser  waren  es,  die  dereinstens  Päpste  ihrer  Wahl 
einsetzten,  Synoden  beriefen  und  diesen  die  Befugnis  einräumten,  auch 
in  Glaubenssachen  zu  entscheiden. 

Schon  der  Titel  Defensor  pacis,  Verteidiger  des  Friedens,  deutet  die  Richtung 
des  Buches  an.  Es  will  die  Verteidigung  des  durch  die  Ansprüche  der  Päpste  gestörten 
Friedens  übernehmen.1)  Der  Staat  ist  wegen  der  Wohlfahrt  und  des  Friedens  der 
Menschen  geschaffen.  Der  Frieden  ist  durch  die  falsche  Auffassung  vom  Priestertum, 
besonders  aber  durch  den  Anspruch  der  Päpste  auf  die  Jurisdiktion  und  Strafgewalt 
nicht  blofs  über  den  Klerus,  sondern  auch  über  die  Laien  gestört.  Sie  leiten  diesen 
Anspruch  aus  der  Schlüsselgewalt  Petri  ab.  Aber  die  betreffende  Stelle  wird  falsch 
aufgefafst.  In  Wahrheit  steht  weder  dem  römischen  noch  irgend  einem  andern 
Bischof  dies  Recht  zu.  Die  Kirche  ist  die  Gemeinschaft  aller  an  Christum  Glaubenden. 
Nicht  blofs  Priester,  auch  Laien  sind  Männer  der  Kirche.2)  Der  Begriff  des  Geistlichen 
darf  weder  auf  alle  Handlungen  noch  auf  alle  Güter  des  Klerus  ausgedehnt  werden. 
Wenn  ein  Geistlicher  weltliche  Dinge  betreibt,  kauft,  verkauft  u.s.w.,  so  fällt  dies 
unter  das  weltliche  Gesetz.  Kein  Papst  und  kein  Bischof  hat  Priestern  oder  Laien 
gegenüber  eine  richterliche  Gewalt,  sie  sei  ihm  denn  durch  den  menschlichen  Gesetz- 
geber übertragen.  Die  Gewalt,  die  Christus  seinen  Xachfolgern  übertrug,  beschränkt 
sich  auf  die  Verkündigung  der  Lehre  und  die  Spendung  der  Sakramente.  Die  Ex- 
kommunikation auszusprechen,  steht  keinem  einzelnen  Christen,  sondern  nur  der 
Gemeinschaft  der  Gläubigen  zu.  Die  Handlungen  eines  jeden  Menschen  stehen  unter 
dem  weltlichen  Gesetz,  nur  mufs  der  Geistliche  für  seine  Sünde  härter  gestraft  werden, 
da  er  besser  unterscheiden  kann.  Würde  man  die  Geistlichkeit  von  der  weltlichen 
Jurisdiktion  befreien,  so  möchten  die  meisten,  um  ihr  zu  entgehen,  in  den  geistlichen 
Stand  eintreten  und  so  den  Ruin  jedes  Staates  begründen.  In  zahlreichen  Sätzen 
schränkt  Marsiglio  die  Macht  der  Päpste  ein :  alle  Bischöfe  seien  einander  gleich,  auch 
Petrus  habe  keine  Superiorität  über  die  andern  Apostel  besessen.  Fälschlich  folgern 
die  Päpste  >die  Fülle  ihrer  Gewalt«  aus  der  Bibel;  sie  haben  diese  Gewalt  allmählich 
auf  das  weltliche  Gebiet  ausgedehnt;  während  sie  vordem  in  Armut  und  unter  der 
weltlichen  Gewalt  lebten,  vom  Kaiser  bestätigt,  ja  auch  abgesetzt  wurden,  sei  das  alles 
jetzt  durch  die  Übergriffe  des  Papsttums  verkehrt.  Damit  nicht  zufrieden,  okkupieren 
sie  ganze  Provinzen,  beanspruchen  die  Oberhoheit  über  Kaiser  und  Reich,  was  eine 
ganz  rechtswidrige  Unterschiebung  sei.  Im  Volke  ruht  die  Quelle  aller  Gewalten,  in 
seinen  Händen  liegt  die  Gesetzgebung,  und  der  Regent  ist  nur  sein  vollziehendes 
Werkzeug.  Er  ist  dem  Volke  verantwortlich  und  daher  auch  absetzbar.  Der  Primat 
des  Papstes  ist  weder  im  göttlichen  Rechte  noch  in  der  Bibel  begründet.  Marsiglios 
Buch  machte  einen  tiefen  Eindruck  und  wurde  ins  Italienische  und  Französische  übersetzt. 

2.  Nicht  ohne  Sorgen  liefs  sich  Ludwig  die  Unterstützung  der 
Fremdlinge  gefallen ;  auch  seine  Umgebung  machte  ihn  auf  das  Bedenk- 
üche dieser  Hilfeleistung  aufmerksam.  Die  in  Trient  versammelten 
Ghibellinen  drängten  ihn,  nach  Italien  zu  gehen,  wo  er  denn  auch  viele 


x)  S.  d.  sorgf.  Analvse  bei  Riezler,    S.  193  ff.,    u.  Preger  in  d.  Abh.  d.  Kgl.  bayr. 
Akad.  XIV,  6. 

2)  Einer  der  Hauptsätze  Wiclifs  und  Hussens. 


Die  Kaiserkrönung  Ludwigs.  275 

Anhänger  fand,  welche,  die  einen   aus  politischen,  die  andern  aus  kirch- 
lichen Motiven  seine  Ankunft  ersehnten.    Zu  diesen  gehörten  die  Mino- 
riten.     Ihren    Einflufs    sowie   den   Marsiglios    oder   Janduns   darf    man 
freilich  nicht  allzu  hoch  einschätzen.     Am  14.  März  1327  brach  Ludwig 
auf.     In  Bergamo   und  Como   wurde    er   freudig   begrüfst.     Noch   hoffte 
der  Papst,    dafs  sich  die  Weifen  seiner  erwehren  könnten,  erliefs  am  3. 
und  9.  April  neue  Prozesse,  gegen  ihn,  sprach  ihm  die  Reichslehen  ab, 
verhängte    gegen   ihn    als   Freund   der   Ketzer    die   kirchlichen    Strafen, 
verdammte  die  Appellation  von  Sachsenhausen  und  den  Defensor  pacis, 
forderte  ihn  auf,  Italien  zu  verlassen  und  sprach  namentlich  auch  über 
seine    geistlichen    Begleiter    den    Bann    aus.      Diese    Prozesse    fielen    in 
Deutschland    auf   unfruchtbaren  Boden.     In  vielen  Diözesen  wurden  sie 
nicht  verkündet,  und  wo  dies  geschah,  die  Geistlichkeit  von  den  Bürgern 
bedroht  und  dadurch  in  ihrem  Ansehen  geschädigt.     Am   17.  Mai  hielt 
Ludwig  seinen  Einzug  in  Mailand  und  wurde  am  Pfingstsonntag  (31.  Mai) 
von   den  exkommunizierten  Bischöfen  von  Arezzo  und  Brescia  gekrönt. 
Das  gute  Einvernehmen  mit  den  Visconti  hielt  freilich  nicht  an :  Galeazzo 
wurde  gestürzt,   da  er  die  Alleinherrschaft  anstrebte,  und  Graf  Wilhelm 
von  Montfort   als  Reichsverweser   eingesetzt.     Ludwig   erneuerte   seinen 
»gegen  Johann  von  Cahors«  gerichteten  Bund  mit  König  Friedrich  von 
Sizilien   und   erhielt   von   den   deutschen   Fürsten   und    Städten   kräftige 
Unterstützung.      Zählte    doch    sein   Heer    am   Tage    der   Kaiserkrönung 
mehr  als  5000  Ritter;  allerdings  war  der  deutsche  Episkopat  auf  diesem 
letzten   italienischen   Kriegszug    der   Deutschen    im    Mittelalter    fast   gar 
nicht  vertreten.     Am   8.  Oktober   gewann  Ludwig  Pisa.     König  Robert 
wurde   in   die   Acht   erklärt.     Dagegen    erhielt  Castruccio,   bisher   schon 
die  stärkste  Stütze  Ludwigs,  die  Herzogswürde  von  Lucca.    Am  7.  Januar 
1328  zog  Ludwig  in  Rom  ein.     Die  römischen  Ghibellinen  unter  Sciarra 
Colonna   nahmen   ihn   um  so  bereitwilliger  auf,  je  mehr  sich  der  Papst 
allen  Bitten,   nach  Rom  zurückzukehren,  versagte.    Eine  Volksversamm- 
lung  übertrug  Ludwig   (10.  Januar)   die  Signorie  und  Hauptmannschaft. 
Sieben  Tage  später  wurde  er  in  St.  Peter  zum  Kaiser  gekrönt.     Da  der 
päpstliche   Legat    noch    im    letzten  Augenblick   das   Interdikt  über    die 
Stadt   ausgesprochen   hatte,  verweigerten  viele  Geistliche  die  Vornahme 
kirchlicher  Handlungen.    Die  Salbung  verrichteten  die  gebannten  Bischöfe 
von  Castello  und  Aleria,  die  Krönung  vier  Syndici,  unter  ihnen  Sciarra 
Colonna,    als   Vertreter   des   römischen  Volkes.     Der  Krönungszug   ging 
nicht  wie  sonst  zum  Lateran,  sondern  auf  das  Kapitol,  wo  das  Krönungs- 
mahl  stattfand.     Tags    darauf   wurde   Castruccio   zum   Senator   ernannt. 
Statt  unverzüglich   gegen  Neapel  vorzurücken,   verlor  Ludwig   kostbare 
Zeit  in  Rom  *),  binnen  deren  die  welfischen  Einflüsse  wuchsen.     Mittler- 
weile  verkündigte   der  Papst,    der  »den  Bayer«    bereits  am  23.  Oktober 
auch  der  Pfalzgrafschaft  und  der  Kurwürde  entsetzt  hatte,  den  Kreuzzug 
gegen  ihn   (1328,   21.  Januar).      Wer   sich   daran    beteiligte,    erhielt  die 
Gnadenmittel  wie  sonst  die  Kreuzfahrer  nach  Palästina.      Das  ist  auch 


*)  Die  Gründe  der  Versäumnisse  Ludwigs  bei  Chroust,  S.  130. 

18 


276  Die  Absetzung  Johanns  XXII.     Nikolaus  V. 

später  oft  genug  geschehen.  Diesmal  war  aber  das  Mittel  noch  nicht 
verbraucht;  es  machte  auf  den  Kaiser  einen  grofsen  Eindruck  und  ist 
wohl  der  Grund,  weshalb  auch  er  nunmehr  gegen  den  Papst  zum 
Aufsersten  schritt.  Am  14.  April  1328  liefs  er  in  einer  auf  dem  Peters- 
platz tagenden  Volksversammlung  drei  Gesetze  verkünden,  nach  welchen 
gegen  einen  der  Ketzerei  Überwiesenen  auch  ohne  vorhergegangene 
Ladung  eingeschritten,  alle  Empörer  gegen  den  Kaiser  mit  Güterkonfis- 
kation bedroht  und  den  Notaren  befohlen  wurde,  die  Regierungsjahre 
des  Kaisers  in  ihre  Datierungen  aufzunehmen;  das  letzte  verfolgte  den 
Zweck,  das  Kaisertum  zur  allgemeinen  Anerkennung  im  bürgerlichen 
Leben  zu  bringen.1)  Vier  Tage  später  trat  die  Volksversammlung  aber- 
mals zusammen.  Nun  wTurde  der  Papst  als  Friedensstörer,  Ketzer  und 
Majestätsverbrecher  für  abgesetzt  erklärt.2)  Der  Kaiser  beruft  sich  auf 
das  Beispiel  Ottos  I.  Allerdings  zeigte  es  sich,  dafs  es  unmöglich  sei, 
das  Papsttum  auf  jene  Stellung  zurückzuführen,  die  es  vor  Gregor  VII. 
eingenommen  hatte.  Am  23.  April  wTurde  endlich  ein  Gesetz  erlassen, 
wonach  der  Papst  in  Rom  residieren  müsse  und  sich  von  da  ohne  Er- 
laubnis des  römischen  Klerus  und  Volkes  nicht  über  zwei  Tagereisen 
entfernen  dürfe.  Was  die  Absetzungsbulle  andeutete  und  wozu  den 
Kaiser  seine  Umgebung  und  das  römische  Volk  drängte,  folgte  nun 
nach.  Eine  Kommission  von  Geistlichen  und  Laien  wählte  am  12.  Mai 
den  Minoriten  Pietro  Rainalducci  von  Corbara  als  Nikolaus  V.  zum 
Papst;  er  wurde  vom  Kaiser  bestätigt,  ernannte  sieben  Kardinäle  und 
bestätigte  seinerseits  den  Kaiser  in  seiner  Würde.  Ebenso  w-urden  die 
früheren  Prozesse  des  Kaisers  gegen  Neapel  und  die  übrigen  Gegner 
in  Italien  einer-,  gegen  Johann  XXII.  anderseits  erneuert.  Indem  ein 
Bettelmönch  —  übrigens  nicht  der  erste  Fall  —  zum  Papste  erhoben 
w^ard,  wurde  das  Prinzip  der  evangelischen  Armut,  für  das  diese  kämpften, 
verkörpert.  Mit  Ausnahme  Roms  fand  dies  Vorgehen  in  den  meisten 
Kreisen  des  Abendlandes  Mifsbilligung ;  auch  deutsche  Geschichtschreiber 
verhehlen  ihren  Unmut  nicht.  Allerdings  war  es  nicht  der  Kaiser,  der 
den  Streit  begonnen  hatte ;  auch  ist  zu  bedenken,  dafs  fromme,  heilig- 
mäfsige  Männer  die  Lehre  von  der  Absetzbarkeit  des  Papstes  ver- 
kündeten.3) Mittlerweile  war  der  Zeitpunkt,  Neapel  zu  gewinnen,  ver- 
säumt. Im  Heere  herrschte  Not,  und  in  Rom  wuchs  die  Unzufriedenheit. 
Als  der  Kaiser  von  dort  abzog,  begleiteten  ihn  die  Verwünschungen  der 
Römer.  Die  Anhänger  des  Papstes  zogen  ein,  die  Anordnungen  des 
Kaisers  wurden  widerrufen,  die  Leichen  der  Deutschen  aus  den  Gräbern 
gerissen  und  in  die  Tiber  geworfen. 

3.  Schwer  traf  den  Kaiser  Castruccios  Tod  (3.  September).  Auch 
von  seinen  übrigen  Anhängern  waren  die  hervorragenderen  gestorben, 
andere   hatten   sich   dem   Papste   unterworfen.     Auch   diesmal   wrar   Pisa 


J)  Lindner,  375.     S.  auch.  Lorenz,  Papstwahl  und  Kaisertum,  S.  188. 

2)  Kopp  V,  275.     Baluze  IT,  512:  qui  cum  clero  et  populo  Romano  Johannem  de- 
posuit  de  papatu. 

3)  Daher    wälzen   billig   denkende  Geschichtschreiber,    wie   der  Königsaaler  Abt, 
die  Schuld  den  Minoriten  zu,  S.  455. 


Ende  der  Romfahrt.     Haltung  der  Minoriten  und  des  Gegenpapstes.  277 

Stützpunkt  des  Kaisertums.     Hier   fand  sich  Nikolaus  V.  ein,  und  bald 

war  die  Stadt  der  Sammelplatz  aller  Gegner  Johanns  XXII. 

Die  Häupter  des  Minoritenordens  stellten  sich  dem  Kaiser  zur  Verfügung :  der 
Ordensgeneral  Michael  von  Caesena,  der  Provinzial  von  England  Wilhelm  v.  Occain 
und  der  Ordensprokurator  Bonagratia  von  Bergamo.  In  Pisa  fand  das  gegen  Johann  XXII. 
begonnene  Prozefsvert'ahren  ein  merkwürdiges  Nachspiel.  In  einer  vom  Kaiser  be- 
rufenen Versammlung  erklärte  Michael  von  Caesena  den  Papst  als  Ketzer  seiner  Würde 
verlustig,  und  der  Kaiser  sprach  nun  seine  Absetzung  aus.  Diesmal  traten  kirchliche 
Beweggründe  hervor:  es  werden  alle  Ketzereien  Johanns  XXII.  aufgezählt.  Stand 
Ludwig  bei  der  Veröffentlichung  seiner  ersten  Sentenz  mehr  unter  Marsiglios  Einflufs, 
so  treten  nunmehr,  nicht  zu  seinem  Vorteil,  die  Minoriten  in  den  Vordergrund.  Am 
19.  Februar  1329  sprach  Nikolaus  V.  den  Bann  über  Johann  XXII  und  seine  Bundes- 
genossen aus  Ein  allgemeines  Konzil  wurde  nach  Mailand  berufen  und  eine  Stroh- 
puppe, die  Johann  XXH.  darstellte,  verbrannt. 

Aber  dem  Papst  blieben  seine  Anhänger  treu;  in  Deutschland 
waren  diese  schon  im  Sommer  1328  daran,  einen  Gegenkönig  aufzustellen, 
was  diesmal  aber  noch  an  dem  Widerstreben  Luxemburgs  scheiterte. 
Den  vereinten  Kräften  seiner  italienischen  Gegner  war  Ludwig  nicht 
gewachsen.  Im  Dezember  1329  zog  er  von  Pavia  nach  Trient.  Wohl 
gedachte  er  bald  wieder  nach  Italien  zu  ziehen.  Dazu  ist  es  aber  nicht 
mehr  gekommen.  Nachdem  er  den  Tod  seines  einstigen  Gegners,  Fried- 
richs von  Osterreich,  vernommen,  kehrte  er  nach  Bayern  zurück,  und  so 
fand  die  Romfahrt  ein  unrühmliches  Ende.  Bald  machte  der  vom  Kaiser 
verlassene  Gegenpapst  seinen  Frieden  mit  Avignon. 

Einen  Strick  um  den  Hals,  warf  er  sich  dem  Papst  im  August  1330  zu  Füfsen, 
nachdem  er  noch  in  dem  vom  Kaiser  abgefallenen  Pisa  seine  Irrtümer  abgeschworen 
hatte.  Er  wurde  in  anständiger  Haft  gehalten,  starb  indes  eines  frühen  Todes.  Schon 
1329  hatte  eine  Gesandtschaft  der  Körner  in  Avignon  dem  Kaiser  und  dem  Gegenpapst 
abgeschworen  und  feierlich  erklärt,  dafs  der  Kaiser  ebensowenig  ein  Recht  habe,  den 
Papst  abzusetzen,  als  das  römische  Volk  den  Kaiser  zu  krönen,  und  dafs  dem  Kardinals- 
kollegium allein  das  Recht  zustehe,  den  Papst  zu  wählen,  Nach  diesem  Widerruf 
wurde  die  Stadt  absolviert,  doch  mufste  sie  den  Majestätsrechten  entsagen,  die  sie 
zeitweise  an  sich  genommen  hatte.1)  Im  übrigen  behandelte  Johann  XXII.  seine  Gegner 
mit  Milde,  Fürsten  und  Städte  Italiens  sandten  Botschaften  nach  Avignon,  um  ihm 
zu  huldigen  oder  um  Verzeihung  für  ihre  Gegnerschaft  zu  bitten. 

S  64.    Das  Aufsteigen  des  Hauses  Luxemburg  in  Deutschland 

und  Italien. 

Quellen  wie  oben.  Zu  den  böhm.  s.  unten  §  69.  Zu  den  Hilfsschriften 
aufser  Kopp  V,  Müller,  Riezler,  Huber,  Krones,  Caro,  Gesch.  Polens, 
Grünhagen,  Gesch.  Schlesiens,  Egg  er,  Gesch.  Tirols,  Palacky,  Bachmann, 
8.  noch:  Heidemann,  Graf  Bertold  v.  Henneberg  als  Verweser  d.  Mark  Branden- 
burg, 1323—1330.  Forsch.  XVH.  Salchow,  Der  Übergang  d.  Mark  Brandenburg  an 
das  Witteisbach.  Haus.  Diss.  1893.  Kürschner,  Eger  u.  Böhmen.  Wien  1870.  Puy- 
maigre,  TIne  campagne  de  Jean  de  Luxemb.  RQH.  XLH.  Über  seinen  italien. 
Feldz. :  Pöppelmann:  Joh.  v  Böhmen  in  Italien.  AÖG.  XXXV.  Werunsky, 
Gesch.  Karls  IV.  I.  Zur  Kärntner  Frage  :  Stögmann,  Über  die  Vereinigung  Kärntens 
mit  Österr.  Wien.  SB.  XIX.  Hub  er,  Gesch  der  Vereinig.  Tirols  mit  Österr.,  s.  auch 
unten.  Weiland,  Der  angebl.  Verzicht  Ludwigs,  wie  oben.  Höfler,  Aus  Avignon. 
A  Böhm.  GW.  VI,  2.  Taube,  Ludwig  d.  Ältere  als  Markgraf  V.Brandenburg.  Berlin  1900.  (Dort 
S.  1—5  ein  Lit.-Verz.)  E.  V  oi  gt,  Die  Reichspolitik  Balduins  v. Trier.  1328—1334.  Gotha  1901. 

J)  Gregorovius  VI,   178. 


278  Die  Witteisbacher  in  Brandenburg.     König  Johann  von  Böhmen. 

1.  Die  Erfolge  des  Kaisers  beruhten  in  den  ersten  Jahren  seiner 
Regierung  im  wesentlichen  auf  seinem  Bund  mit  dem  Hause  Luxem- 
burg. Die  freundschaftlichen  Beziehungen  lockerten  sich,  als  es  Ludwig 
gelang,  Brandenburg  für  sein  Haus  zu  erwerben.  Am  14.  August  1319 
war  Markgraf  Waldemar,  ohne  Kinder  zu  hinterlassen,  gestorben.  Da 
auch  der  letzte  Sprosse  des  askanischen  Hauses  in  Brandenburg,  Heinrich 
der  Jüngere  von  J^andsberg,  schon  im  folgenden  Jahre  starb,  war  Branden- 
burg erledigt.  Schon  nach  Waidemars  Tode  wurden  von  allen  Seiten 
Ansprüche  auf  das  erledigte  Erbe  erhoben,  und  Brandenburgs  Nachbarn 
besetzten  die  ihnen  zunächst  gelegenen  Teile  des  Landes.  Ludwig  selbst 
ergriff  nach  dem  Beispiel  seiner  Vorgänger  die  Gelegenheit,  seinen  Haus- 
besitz zu  vergröfsern.  Nachdem  er  den  Böhmenkönig  mit  Bautzen  und 
Kamenz  belehnt,  dem  Fürsten  Bernhard  von  Anhalt  die  Pfalzgrafschaft 
Sachsen  samt  dem  Fürstentum  und  der  Mark  Landsberg  übertragen 
hatte,  übergab  er  in  dem  Augenblick,  da  der  Mühldorfer  Sieg  seine 
Stellung  gesichert  hatte,  Brandenburg  mit  der  Kurwürde  seinem  ältesten 
Sohne  Ludwig  (1323).  König  Johann  hatte  sich  Hoffnung  auf  den  Erwerb 
der  ganzen  Mark  gemacht,  Als  nun  auf  Ludwigs  Veranlassung  auch 
das  Eheverlöbnis  zwischen  Johanns  Tochter  Guta  und  Friedrich,  dem  Erben 
von  Meifsen,  gelöst,  dieser  mit  Ludwigs  Tochter  Mechthild  verlobt 
wurde  und  Ludwig  eine  Verständigung  mit  seinen  bisherigen  Gegnern 
suchte,  knüpfte  Johann  Verhandlungen  mit  Osterreich  und  Ungarn  an, 
entliefs  Heinrich  von  Österreich  aus  der  Gefangenschaft1)  und  versöhnte 
Heinrich  von  Kärnten,  dessen  Tochter  Margareta  (Maultasch)  mit  seinem 
Sohne  Johann  Heinrich  verlobt  wurde  (1327) 2).  Die  alten  Bundesgenossen, 
Ludwig  und  Johann,  hatten  sonach  Grund  zu  gegenseitigen  Klagen, 
denn  wie  jener  dem  Böhmenkönig  den  Separatfrieden  mit  Österreich, 
konnte  dieser  dem  Bayern  die  Durchkreuzung  seiner  Absichten  auf 
Brandenburg  und  Meifsen  zum  Vorwurf  machen.  Da  indess  ein  Bruch 
für  beide  Teile  schwere  Schäden  zeitigen  mufste,  lenkten  sie  wieder  in 
die  alten  Bahnen  ein.  Während  Ludwig  seinen  italienischen  Plänen 
nachging,  verfolgte  Johann  seine  Interessen  in  Deutschland.  Der  Böhmen- 
könig stand  damals  in  der  Blüte  seiner  Jahre :  nach  der  Schilderung 
des  kompetentesten  Zeitgenossen  das  Ideal  eines  fahrenden  Ritters,  be- 
geistert für  Kämpfe  und  Turniere  und  von  den  Taten  der  sagenhaften 
Artusritter,  deren  Tafelrunde  er  herzustellen  beabsichtigte,  war  er  so 
geschäftig,  dafs,  nach  einem  Sprichwort,  ohne  den  Böhmenkönig  niemand 
seine  Sache  zu  verrichten  vermochte.  War  bei  seinem  Auftreten  vieles 
nur  äufserer  Glanz  und  Schimmer,  so  bekundete  er  doch  diplomatische 
Talente  und  hielt  durch  grofse  Landerwerbungen  Böhmen  für  die  Kosten 
schadlos,    die   ihm   seine  Kreuz-  und  Querzüge  verursachten.     Zunächst 


0  Wogegen  die  Habsburger  auf  ihre  Rechte  auf  Böhmen  verzichteten  und 
9000  Mark  Silber  zahlten,  für  die  sie  Laa  und  AVeitra  verpfändeten  und  das  ihnen 
verpfändete  Znaim  zurückstellten. 

2)  Über  die  einzelnen  Phasen  dieser  Versöhnung,  die  schon  seit  1321  beginnen, 
s.  Palacky,  Bachmann,  "Weech  (S.  114)  u.  a.  1321  war  Johanns  ältester  Sohn  Wenzel 
(Karl  IV)  als  Verlobter  Margaretas  in  Aussicht  genommen  worden. 


Fortschritte  der  Luxemburger.  279 

nahm  er  Böhmens  Ansprüche  auf  Polen  wieder  auf  (1327).  Noch  wich- 
tiger waren  Böhmens  Fortschritte  in  Schlesien,  wo  zuerst  (1327)  die 
Herzoge  von  Ober-,  dann  (1329)  auch  die  meisten  Herzoge  von  Nieder- 
schlesien Johann  als  Oberherrn  huldigten.  Herzog  Heinrich  VI.  von 
Breslau  trat  ihm  schon  1327  sein  Land  gegen  dessen  Nutzgenufs 
auf  Lebenszeit  und  eine  Jahresrente  ab.  Der  Kreuzzug  Johanns  gegen 
Litthauen  (1328)  erhöhte  seinen  militärischen  Ruf.  Er  durfte  erwarten, 
dafs  die  Vermählung  Johann  Heinrichs  mit  Margareta  den  Erwerb  von 
Kärnten  und  Tirol  herbeiführen  werde.  Und  noch  höher  stiegen  seine 
Aussichten.  Als  er  im  Herbste  1330  in  Trient  verweilte,  erschienen 
Gesandte  der  Weifen  von  Brescia  und  boten  ihm,  um  sich  der  Angriffe 
Mastino  della  Scalas  zu  erwehren,  die  Herrschaft  über  ihre  Stadt  an. 
Ohne  sich  um  den  Kaiser  zu  kümmern,  zog  Johann  in  das  Land,  in 
welchem  17  Jahre  zuvor  sein  Vater  als  Kaiser  gestorben  war.  Wie 
dieser  erschien  er  als  Friedensstifter.  Die  vertriebenen  Ghibellinen 
mufsten  in  Brescia  aufgenommen  und  die  Parteinamen  der  Weifen  und 
Ghibellinen  beseitigt  werden.  Allmählich  gewann  er  über  Bergamo, 
Cremona,  Como,  Vercelli,  ja  selbst  über  Mailand,  Lucca,  Mantua  die 
Herrschaft,  und  selbst  entschieden  weifisch  gesinnte  Städte  wie  Parma, 
Modena  und  Reggio  schlössen  sich  an  ihn  an.  Er  nannte  sich  Herr 
von  den  Städten,  die  ihm  die  Signorie  übertragen  hatten  und  hegte  wohl 
die  Hoffnung,  dereinst  noch  die  Kaiserkrone  zu  tragen.1) 

2.  Die  von  den  Luxemburgern  beabsichtigte  Erwerbung  von  Tirol 
und  Kärnten  enthielt  für  Bayern  die  Gefahr,  auf  zwei  Seiten  von  luxem- 
burgischem Gebiet  eingeengt  zu  werden.  Auf  Kärnten  hatte  zudem 
Osterreich  begründeten  Anspruch.  Ohne  auf  die  vom  Kaiser  erst  jüngst 
zugunsten  des  Erbrechtes  der  Töchter  Heinrichs  von  Kärnten  gemachten 
Zusagen  Rücksicht  zu  nehmen,  und  trotzdem  Johann  Heinrich  als 
Margaretas  Bräutigam  bereits  am  Innsbrucker  Hof  erzogen  wurde,  die 
tirolischen  Grafschaften  übrigens  nicht  Reichs-,  sondern  bischöfliche 
Lehen  waren2),  kam  es  am  26.  November  1330  zu  einem  geheimen 
Vertrag  zwischen  dem  Kaiser  und  Otto  von  Österreich,  wonach  nach 
dem  Ableben  des  Kärtner  Herzogs  das  Haus  Habsburg  mit  Kärnten 
belehnt,  der  Kaiser  aber  in  den  Besitz  Tirols  gelangen  sollte.  Auf  dem 
Reichstage  von  Nürnberg  (1331  Frühling)  erhob  dieser  über  des  Böhmen- 
königs Übergriffe  in  Italien  lebhafte  Klagen;  die  Mehrheit  der  Fürsten 
erklärte,  dafs  sich  der  Kaiser  an  dem  diesseits  der  Alpen  liegenden 
Gebiete  König  Johanns  schadlos  halten  dürfe 3) ;  es  war  dies  die  Zeit, 
da  König  Johann  Parma,  Modena  und  Reggio  vom  Papst  zu  Lehen 
nahm  und  das  Versprechen  gab,  Ludwig  hinfort  weder  als  König  noch 
als  Kaiser  anzuerkennen.4)  Dieser  schlofs  (1331,  3.  Mai)  einen  neuen 
Bund  mit  Österreich,  seinen  Söhnen  Ludwig  von  Brandenburg  und 
Stephan  und  dem  Markgrafen  von  Meifsen ;  auch  die  Könige  von  Ungarn 

1)  .Friedensburg,  Forsch.  XIX,  200. 

2)  Huber  II,  158. 

3)  S.  meine  Ausg.  der  Königs.  Gesch. -Q.,  486. 

4)  Preger,  Beiträge,  S.  67. 


280  Die  böhmische  Herrschaft  in  Oberitalien  und  ihr  Ende. 

und  Polen  traten  bei  und  begannen  den  Krieg  gegen  Johann,  auf  dessen 
Seite  sein  Schwiegersohn  Heinrieh  der  Altere  von  Niederbayern  stand, 
wogegen  Ludwig  die  Unterstützung  Ottos  und  Heinrichs  d.  J.  von  Nieder- 
bayern erhielt.  Um  den  drohenden  Sturm  zu  beschwichtigen,  berief 
Johann  seinen  ältesten  Sohn  Wenzel  (Karl)  nach  Italien,  übertrug  ihm 
die  Regierung  der  lombardischen  Städte  und  eilte  nach  Deutschland. 
Geheime  Unterhandlungen,  die  er  mit  dem  Kaiser  in  Regensburg  pflog, 
hatten  das  Ergebnis,  dafs  er  Mailand,  Pavia,  Cremona,  Bergamo,  Novara, 
Parma ,  Reggio ,  Modena  und  Bobbio  gegen  eine  Pfandsumme  von 
120000  Dukaten  namens  des  Kaisers  verwalten  und  Lucca  als  Reichs- 
lehen besitzen  sollte.  Für  die  Zukunft  wurde  ein  Austausch  Kärnten- 
Tirols  gegen  Brandenburg  in  Aussicht  genommen.  Da  das  neue  Bündnis 
seine  Spitze  gegen  Osterreich  richtete,  löste  sich  der  Bund  zwischen 
diesem  und  dem  Kaiser.  Den  Krieg  zwischen  Böhmen  und  Polen  be- 
endete Johann  durch  einen  Waffenstillstand,  eilte  hierauf  nach  Mähren, 
um  gegen  Osterreich  zu  kämpfen.  Doch  auch  hier  kam  es  schon  1332 
zu  einem  Frieden,  der  die  an  Böhmen  verpfändeten  Orte  den  Österreichern 
zurückgab.  In  den  Friedensbedingungen  zwischen  Ludwig  und  Johann 
war  festgesetzt  worden,  dafs  jener  neue  Aussöhnungsversuche  mit  der 
Kurie  mache.  Trotzdem  Ludwig  geneigt  war,  seine  gelehrten  Ratgeber 
fallen  zu  lassen,  ging  der  Papst  auf  keinen  Frieden  ein.  —  Inzwischen 
verteidigte  Johanns  Sohn  nur  mühsam  seine  Stellung  in  Italien,  wo  sich 
die  Begeisterung  für  die  böhmische  Herrschaft  verlor,  seit  sie  die  Italiener 
zu  stärkeren  Leistungen  heranzog.  Es  entstand  eine  Liga,  die  sich 
ebenso  gegen  die  böhmische  Herrschaft  als  gegen  den  Papst  richtete. 
Zwar  gewann  Karl  am  25.  November  1332  einen  Sieg  bei  S.  Feiice 
im  Gebiete  von  Modena ;  an  die  Behauptung  seiner  Stellung  war  trotz 
französisch-päpstlicher  Hilfe,  die  ihm  von  seinem  Vater  zugeführt  wurde, 
nicht  zu  denken,  und  so  schlofs  Johann  am  19.  Juli  1333  mit  seinen 
Gegnern  einen  Waffenstillstand.  Ehe  dieser  noch  abgelaufen  war,  ver- 
liefs  er  Italien.  Damit  endete  die  kurze  Zeit  der  böhmischen  Herrschaft 
in  diesem  Lande. 

§  65.    Das  Ende  Johanns  XXII.  und  die  ersten  Jahre  Benedikts  XII. 

Quellen  wie  oben.  S.  auch  RE.  prot.  Theol.  IX,  267  u.  n,  566.  Für  Bene- 
dikt Xu.  s.  die  acht  Lebensbeschreibungen  in  B  a  1  u  z  e  I,  197  ff.  Muratori  III,  2,  527  ff. 
Theiner  II,  1 — 118.  D  u  c  h  e  s  n  e ,  Lib.  pontif .  IL  Hilfsschriften  wie  oben.  Dazu: 
Sievers,  Die  polit.  Beziehungen  Ludwigs  d.  B  zu  Frankreich.  Berl.  1896.  Glas- 
schröder,  Zu  den  Ausgleichsverhandl.  L.  d.  B.  mit  Benedikt  Xu.  im  Jahre  1336. 
RQ.-Sch.  HI.  Rohrmann,  Die  Prokuratorien  L.  d.  B.  Göttingen  1882.  S.  auch 
Hetzenecker,  Stud.  z.  Reichs-  u.  Kirchenpol.  d  Würzb.  Hochstiftes  1333 — 37. 
Augsburg  1901. 

1 .  Alle  Versuche  des  Kaisers,  die  Kurie  zu  versöhnen,  waren  bisher 
ergebnislos  verlaufen.  In  den  letzten  Monaten  1333  tauchte  ein  von 
König  Johann  ausgedachter  Plan  auf,  dafs  der  Kaiser  zugunsten  seines 
niederbayrischen  Vetters  Heinrich,  des  Schwiegersohnes  König  Johanns, 
auf  die  Kaiserkrone   verzichte.      Der  Kaiser   ging   darauf   wohl  nur  ein, 


Das  Ende  Johanns  XXII.     Benedikt  XII.  281 

um  die  Unversöhnlichkeit  Johanns  XXII.  aufzudecken.  Die  Kurie,  die 
sich  anfänglich  mit  dem  Entwurf  befreundete,  der  den  Franzosen  ganz 
Arelat  verschafft  hätte ,  sah  sich  bald  nach  einer  andern  Seite  hin  in 
Anspruch  genommen.  Ein  neuer  dogmatischer  Streit  war  ausgebrochen. 
Der  Papst  hatte  in  einer  Predigt  den  Gedanken  ausgesprochen,  dafs  die 
Seelen  der  Abgeschiedenen  erst  am  jüngsten  Tage  zur  Anschauung 
Gottes  gelangen  würden.  In  den  Streit,  der  darüber  entstand,  mischten 
sich  auch  die  Minoriten  ein.  Bedeutsamer  für  den  Kaiser  war  es,  dals 
es  im  Kardinalskollegium  selbst  zu  einer  Spaltung  kam.  Jene  Partei, 
die  unter  Orsinis  Führung  das  Papsttum  nach  Italien  zurückführen  wollte, 
knüpfte  Verbindungen  mit  ihm  an.  Ludwig  sollte  mit  Xeapel  Frieden 
schliefsen.  Die  Kardinäle  verlangten  vom  Kaiser  die  Entfernung  Mar- 
siglios.  Schon  hatte  ein  Minorit  im  Namen  des  Trierer  Erzbischofs  eine 
Appellation  an  ein  allgemeines  Konzil  ausgearbeitet.  Die  Sache  kam  aber 
nicht  mehr  zu  ihrem  Ende.  Johann  XXII.  hatte  für  den  2.  Dezember  1334 
ein  Konsistorium  anberaumt,  aber  er  erlag  schon  am  4.  Dezember  der 
Schwäche  des  Alters.  Seine  letzten  Sorgen,  denen  er  ( 1 334)  in  seiner 
Bulle  Quid  in  fidurorum  eventibus  Ausdruck  gab ,  gingen  dahin ,  Italien, 
wo  sein  Einflufs  immer  mehr  abnahm,  gänzlich  vom  Reiche  zu  trennen1). 

2.  Bei  seinem  Tode  bestand  das  Kardinalskollegium  aus  24  Mit- 
gliedern; unter  ihnen  waren  15  Franzosen.  Gewählt  wurde  der  Zister- 
zienser und  Kardinal  Jakob  Fournier  aus  Saverdun  bei  Toulouse.  Es 
ist  Benedikt  XII.  (1334 — 1342).  Ein  gelehrter2)  Theologe,  im  Gegensatz 
zu  seinem  Vorgänger  eine  stattliche  Erscheinung,  im  Essen  und  Trinken 
weniger  mafsvoll3)  als  dieser,  von  grofser  Sittenstrenge,  hielt  er  sich  auch 
von  Nepotismus  und  Simonie  freier.  Von  den  besten  Absichten  für  die 
Hebung  der  kirchlichen  Zucht  und  die  Abschaffung  der  bei  der  Kurie 
eingerissenen  Mifsbräuche  beseelt,  ein  aufrichtiger  Freund  des  Friedens, 
fehlte  es  ihm  gleichwohl  an  Willensstärke,  seine  guten  Absichten  durch- 
zuführen. Die  üblen  Folgen  der  Knechtschaft  des  Papsttums  in  Avignon 
machten  sich  auch  unter  seinem  Regiment  geltend.  In  England  erscholl 
die  Klage ,  dafs  aus  den  Einkünften  des  Papsttums  Englands  Gegner 
besoldet  würden.4)  In  der  Tat  stellte  Frankreich  an  den  Papst  die  un- 
gemessensten Forderungen.  Mit  Hilfe  des  Papsttums  meinte  es  die 
seinerzeit  von  Dubois  empfohlene  Politik  durchführen  zu  können.  So  lag 
es  dem  Papste  nahe,  mit  Deutschland  Frieden  zu  machen.  Ludwig  selbst 
schickte  den  Grafen  Ludwig  von  Ottingen  nach  Avignon  (1335,  April) 
und  beauftragte  ihn  auch  zu  Verhandlungen  mit  dem  Dauphin  Humbert 
von  Vienne,  dem  Arelat   als   deutsches  Lehen   überlassen  werden  sollte. 


1)  Die  Stelle  lautet  (mit  den  Verbesserungen  K.  Müllers)  S.  406 :  Nos  .  .  .  pro- 
vinciam  Italiae  ab  eodem  imperio  et  regno  Alemanniae  totaliter  eximentes  ipsam  a  sub- 
jectione,  communitate  et  iurisdictione  eorundem  regni  et  imperii  separamus,  dividimus  .  .  . 
quod  nullo  unquam  tempore  coniungantur  et  uniantur  aut  in  uno  corpore  existere 
censeantur. 

2)  Die  lit.  Werke  des  Papstes  aufgezählt  bei  Müller  II,  2. 

3)  Bibamus  papaliter.    Vita  VIII,  Baluze  I,  241. 

4)  Walsingh.,  Hist.  Anglic.  I  200—208. 


282       Die  Kärntnische  Frage  u.  d.  Häuser  AVittelsbach,  Habsburg  u.  Luxemburg. 

Dem  Kaiser  lag  an  der  Aussöhnung  mit  der  Kurie  um  so  mehr,  als  eine 
neue  schwierige  Frage  aufgetaucht  war.  Am  2.  April  1335  war  nämlich 
Heinrich  von  Kärnten  gestorben.  Da  von  seinen  beiden  Töchtern  die 
ältere  regierungsunfähig  war,  schien  die  Nachfolge  der  mit  dem  böhmischen 
Prinzen  Johann  Heinrich  vermählten  jüngeren  Tochter  Margareta  aufser 
Zweifel  zu  stehen.  Die  starke  Vergrößerung  der  luxemburgischen  Macht 
wollte  der  Kaiser  nicht  zugeben.  Daher  belehnte  er  (5.  Mai)  die  öster- 
reichischen Herzoge  mit  Kärnten  und  Südtirol ,  während  der  nördliche 
Teil  von  Tirol  für  die  Söhne  des  Kaisers  bestimmt  war.  Die  Habsburger 
beeilten  sich,  Kärnten  und  das  an  Kärnten  verpfändete  Krain  in  Besitz 
zu  nehmen,  die  Tiroler  aber  hielten  treu  zu  Margareta.  König  Johann 
konnte  keinen  Krieg  beginnen ,  da  er  an  den  bei  einem  Turnier  er- 
haltenen Wunden  in  Paris  krank  danieder  lag.  Die  Unterhandlungen 
seines  Solmes  verliefen  ohne  Ergebnis,  und  als  Johann  heimkehrte, 
wurde  ein  Waffenstillstand  bis  24.  Juni  1336  geschlossen;  bis  dahin  sollte 
über  den  Frieden  verhandelt  werden.  Mittlerweile  war  auch  die  Gesandt- 
schaft des  Kaisers  an  den  Papst  ergebnislos  verlaufen.  Sie  überbrachte  die 
Forderungen  der  Kurie.  Trotzdem  diese  alles  Mafs  überschritten,  setzte 
Ludwig  die  Verhandlungen  fort.  Schon  hatte  sich  aber  Frankreichs 
Einflufs  gegen  den  Frieden  geltend  gemacht;  den  Franzosen  lag  an  der 
Fortdauer  eines  Verhältnisses,  das  es  ermöglichte,  ihre  Absichten  auf 
Burgund  und  Italien  durchzuführen.  Auch  fürchteten  sie  von  der  Her- 
stellung des  Friedens  die  Rückkehr  des  Papstes  nach  Rom.  Der  Kampf 
um  die  kärntnische  Erbschaft,  der  die  Verhandlungen  mit  der  Kurie 
ungünstig  beeinnufste,  wurde  1336  zu  Ende  geführt,  ohne  dafs  Ludwig 
einen  Vorteil  gewann. 

Auf  Böhmens  Seite  traten  die  Könige  von  Polen  und  Ungarn.  Während  Johanns 
Sohn,  Markgraf  Karl  von  Mähren,  sich  in  Tirol  behauptete,  kämpfte  Johann  gegen 
die  Herzoge  von  Österreich  und  verwüstete  die  nördlich  von  der  Donau  gelegenen 
Teile  dieses  Landes.  Im  Juli  rückte  auch  Ludwig  ins  Feld  und  griff  Xiederbayern,  das 
Land  Heinrichs,  des  Verbündeten  Johanns,  an.  Rasch  eilte  der  Böhmenkönig  herbei 
und  lagerte  bei  Landau  an  der  unteren  Isar.  Den  Zuzug  des  Markgrafen  Karl  ver- 
hinderte des  Kaisers  Sohn  Ludwig  von  Brandenburg.  Von  Landau  aus  zog  der  Kaiser 
nach  Oberösterreich,  um  von  da  in  Böhmen  einzufallen.  Da  die  Österreicher  bisher 
allein  alle  Vorteile  aus  dem  Kriege  gezogen  hatten  und  eine  Entschädigung  des 
Kaisers  ablehnten,  trat  er  ganz  vom  Kampfe  zurück.  Dies  erleichterte  den  Friedens- 
schlufs  zwischen  Habsburg  und  Luxemburg,  der  am  9.  Oktober  1336  zustande  kam. 
Indem  die  Österreicher  auf  Tirol  und  das  Drautal  von  Sachsenburg  aufwärts  ver- 
zichteten, behielten  sie  Kärnten.  Ludwig  ging  leer  aus.  Der  Weg  nach  Italien,  um 
den  es  ihm  am  meisten  zu  tun  war,  blieb  ihm  verschlossen. 

3.  Inzwischen  hatte  Ludwig  (1336,  März)  neue  Prokuratorien  für 
seine  Gesandten  an  den  päpstlichen  Hof  ausgestellt;  aber  auch  dies- 
mal wurden  die  Verhandlungen  durch  französische  Einflüsse  gestört. 
Hätte  ich  zwei  Seelen,  sagte  Benedikt  XII.  einmal  dem  König  von 
Frankreich ,  ich  würde  eine  für  dich  dahingehen.11)  Und  doch  war 
Benedikt  XII.  noch  einer  der  besseren  Päpste  dieser  Zeit.  Trotz  aller 
Mifserfolge  sandte  Ludwig  im  Spätherbst  1336  neue  Boten  nach  Avignon; 


l)  Muratori  HI,  2,  534. 


Fruchtlose  Friedensbemühungen  des  Kaisers.    Sein  Anschlufs  an  England.      283 

er  suchte  zugleich  eine  Annäherung  an  Frankreich  und  war  zu  den 
gröfsten  Opfern  bereit:  Seine  gelehrten  Bundesgenossen  und  die  Minoriten 
wollte  er  opfern,  alle  Urteile  gegen  König  Robert  zurücknehmen,  die 
päpstliche  Approbation  für  sein  Königreich  nachsuchen,  die  Kaiser- 
krönung wiederholen  und  alle  Eide  seiner  Vorgänger  genehmigen.  Noch 
am  3.  Dezember  1326  ging  ein  Schreiben  an  den  Papst,  aber  alle  Mühe 
war  umsonst.  Der  Einflufs  Frankreichs  trat  wie  immer  dazwischen. 
König  Philipp  konnte  nicht  bewogen  werden,  seine  Politik  zu  ändern, 
und  das  war  für  die  Kurie  das  Mafsgebende.  Am  11.  April  1337  hielt 
der  Papst  in  Gegenwart  des  kaiserlichen  Sprechers  Markward  von  Randeck 
eine  feierliche  Ansprache  an  die  Kardinäle  :  Ludwig  sei  nicht  wahrhaft 
bufsf ertig ;  wäre  er  es ,  so  würde  er  Königtum  und  Kaisertum  nieder- 
legen.   Trotzdem  wurden  auch  jetzt  die  Verhandlungen  nicht  abgebrochen. 

§  66.    Das  englische  Bündnis  und  der  Kurverein  von  Rense. 

Zu  den  obengen.  Quellen  u.  Hilfsschr.  s.  Altmann  u.  Bernheim,  Ausgew. 
Urkk.  zur  Erläuterung  der  Verfassungsgesch.  Deutschlands  im  MA.  Berl.  1891.  S.  33 — 37. 
Eichhorn,  Über  den  Kurverein.  Abh.  Berl.  Ak.  1844.  J.  Ficker,  Zur  Gesch.  des 
Kurvereins  v.  Eense.  SB.  Wien.  Ak.  1853  (s.  NA.  XVHI).  Pauli,  K.  Ludwig  IV.  und 
K.  Eduard  IH.  in  Bilder  aus  Alt-Engl.  2.  A.  1876.  Pauli,  Die  Beziehungen  Eduards  HI. 
zu  Kaiser  Ludwig  IV.  1338/39.  Q.  u.  Er.  z.  bayr.  u.  d.  Gesch.  VII.  Schwalm,  Reise 
nach  Italien.    NA.  XXV. 

1.  Spät  genug  reifte  in  dem  Kaiser  der  Entschlufs,  »Avignon  in 
Paris  zu  bekämpfen«.1)  Der  grofse  Krieg  zwischen  England  und  Frank- 
reich (s.  unten)  war  unvermeidlich  geworden.  Eduard  III.  fand  bei  den 
niederrheinischen  Fürsten  Unterstützung  ;  in  ihren  Kreisen  tauchte  sogar 
der  Plan  auf,  dafs  Ludwig  zu  Eduards  Gunsten  auf  die  Krone  verzichte. 
Am  23.  Juli  1337  wurde  ein  Allianzvertrag  zwischen  beiden  geschlossen 
und  am  26.  August  von  Eduard  ratifiziert.  Ein  grofser  Krieg  Englands  und 
Deutschlands  mit  Frankreich  war  in  Sicht.  Aber  ein  Jahr  verstrich, 
ohne  dafs  ein  Angriff  auf  Frankreich  erfolgte.  Wieder  trat  der  Papst 
zugunsten  Frankreichs  auf  das  eifrigste  ein  und  warnte  England  vor 
einem  Bund  mit  dem  Kaiser,  diesen  vor  einem  Zusammengehen  mit 
England.  Ludwig  erhielt  einen  starken  Rückhalt  an  den  deutschen 
Fürsten,  von  denen  sich  nur  Böhmen  und  Niederbayern  auf  Frankreichs 
Seite  stellten,  während  die  österreichischen  Herzoge  neutral  blieben.  Im 
ganzen  Reiche  regte  sich  eine  kriegerische  Stimmung.  Die  Unver- 
söhnlichkeit  der  Kurie  brachte  es  so  weit,  dafs  sich  allerorten  Stimmen 
gegen  ihre  unerhörten,  die  Rechte  des  Königs  und  der  Kurfürsten,  die 
Würde  und  Selbständigkeit  des  Reiches  bedrohenden  Ansprüche  erhoben. 
Die  Führung  der  Kurfürsten  übernahm  der  Mainzer  Erzbischof  Heinrich 
von  Virneburg.  Eine  Versammlung  geistlicher  und  weltlicher  Fürsten 
und  Vertreter  einzelner  Städte  trat  am  27.  März  1338  in  Speyer 
zusammen.  Der  Kaiser  legte  ihr  alle  seine  bisherigen  Schritte  bei  dem 
Papste    vor    und    erklärte,  dafs    die    Aussöhnung    nur    von  Frankreich 


l)  Eiezler  H,  438. 


284  Die  Kurvereine  von  Lahnstein  und  Rense. 

verhindert  werde.  Er  selbst  sei  bereit,  den  päpstlichen  Forderungen  nach 
Billigkeit  und  Ehre  zu  entsprechen.  Die  Versammlung  schickte  eine 
Botschaft  mit  der  Bitte  an  den  Papst,  den  Kaiser  in  Gnaden  aufzunehmen ; 
sie  wurde  ungnädig  empfangen  und  die  Schuld  an  dem  Mifslingen  der 
Aussöhnung  dem  Kaiser  zugeschoben.  So  war  der  letzte  Versuch  einer 
friedlichen  Auseinandersetzung  gescheitert.  Der  Papst  soll  den  deutschen 
Gesandten  unter  Tränen  ein  Schreiben  des  Königs  von  Frankreich  vor- 
gewiesen und  auf  das  Los  Bonifaz'  VIII.  hingewiesen  haben,  das  seiner 
warte ,  falls  er  mit  dem  Bayer  Frieden  schlösse.  Diese  Nachricht  ist 
falsch,  aber  bezeichnend  genug  für  den  Grad  der  Abhängigkeit  der  Kurie 
von  allen  Strömungen  der  französischen  Politik  und  für  das  Urteil  der 
Menge  über  den  Grund  des  unwürdigen  Verhaltens  der  Kurie.1) 

2.  Jetzt  gelangte  die  nationale  Erregung  auch  in  Deutschland  zum 
Durchbruch.  Läfst  sie  sich  auch  nicht  mit  jener  der  französischen 
Stände  unter  Philipp  dem  Schönen  vergleichen,  so  war  es  doch  sehr 
bedeutend,  dafs  selbst  die  geistlichen  Mitglieder  des  Kurkollegiums  gegen 
die  Anmafsungen  der  Kurie  auftraten.  Das  geschah  durch  die  Kur- 
vereine von  Lahnstein  und  Rense  am  15.  und  16.  Juli  1338.  Am 
15.  Juli  fanden  sich  in  Lahnstein  alle  Kurfürsten  mit  Ausnahme  Böhmens 
ein  und  erklärten,  des  Reiches  und  ihre  eigenen  Rechte  und  Gewohn- 
heiten aufrecht  zu  erhalten  und  sich  hierin  durch  nichts  beirren  zu  lassen. 
Jeder  Kurfürst  sei  gehalten,  dem  andern  zu  helfen,  und  sich,  falls  ein  Zweifel 
entstünde,  der  Entscheidung  der  Mehrheit  zu  fügen.  Wer  sich  dagegen  auf- 
lehne, gelte  als  Meineidiger  und  Ehrloser.  Tags  darauf  traten  die  Kurfürsten 
und  andere  weltliche  und  geistliche  Reichsstände  in  den  Gärten  zu  Rense 
am  andern  Ufer  des  Rheins2)  aufs  neue  zusammen  und  einigten  sich  hier 
zu  weiteren  Beschlüssen,  die  reichsrechtliche  Geltung  haben  und  den  Ein- 
griffen der  Kurie  für  alle  Zukunft  ein  Ende  machen  sollten.  In  einer 
eidlichen,  von  drei  Notaren  aufgenommenen  Erklärung  bekunden  die 
Kurfürsten:  Es  sei  Rechtens  und  alten  Herkommens,  dafs  der 
von  allen  oder  von  der  Mehrheit  der  Wahlfürsten  Gewählte 
keinerlei  Nomination,  Approbation,  Konfirmation'Zustimmung 
oder  Autorität  der  Kurie  bedürfe,  um  die  Administration 
der  Güter  und  Rechte  des  Reiches  zu  übernehmen  und  den 
Königstitel  zu  führen.  Darauf  wurden  die  übrigen  Reichsstände  um 
ihre  Zustimmung  angegangen,  die  sie  rückhaltlos  gaben.  Dem  Papste  blieb 
fortan  nur  noch  eins  vorbehalten:  die  Kaiserkrönung;  doch  wurde  darüber 
nichts  festgesetzt.  Alles  andere :  der  königliche  Titel,  die  königliche  und 
kaiserliche  Regierung  folgt  aus  der  Kurfürsten  Wahl.  Am  Reichstage  zu 
Frankfurt  wurden  sodann  (6.  August)  zwei  Reichsgesetze  publiziert:  das 


J)  Matth.  v.  Neuenbürg,  ed.  Studer,  S.  85  f.  Das  Irrige  daran  hat  Weech  S.  70 
betont.  Es  wird  durch  Regg.  Nr.  148  u.  den  Bericht  des  Joh  Yerdensis,  eines  Trierer 
Geistlichen,  widerlegt,  der  sich  in  Avignon  aufhielt  (Würdtwein,  Nova  subsidia  XTTT,  46). 

2)  In  pomerio  sita  iuxta  villam  Renensem  .  .  .  ubi  principes  electores  sacri  imperii 
Romani  ad  habendos  tractatus  super  electionibus  aut  aliis  negociis  solent  convenire. 
S.  den  Kupferstich  bei  Olenschlager  und  die  dazu  gehörige  Vignette  S.  422.  Held- 
mann,  Die  Köln.  Stadt  Rhens  am  Rhein.    ZY.  hess.  Gesch.    NF.  XX.    S.  9. 


Die  Reichsgesetze  v.  Frankfurt  u.  d.  Zurückweisung  d.  päpst.  Ansprüche.         285 

eine  wies  die  Ansprüche  des  Papsttums  auf  die  Übertragung  der  kaiser- 
lichen Gewalt  zurück,  diese  stamme  von  Gott;  das  zweite  Gesetz 
setzt  die  Titel  und  Rechte  des  von  den  Kurfürsten  Erwählten  fest. 
Wunsch  des  Kaisers  war  es,  auch  noch  den  Kaisertitel  vom  Papste 
unabhängig  zu  stellen;  allein  die  Fürsten  widersprachen.  Auf  diesem 
Boden  finden  wir  erst  Maximilian  I.  wieder.  Zugleich  erging  der  Befehl, 
bei  Strafe  an  Leben  und  Gut  den  Gottesdienst  wieder  ordnungsmäfsig 
zu  halten.1)  Briefe  des  Papstes  sollten  fortan  nur  mit  Erlaubnis  des 
Diözesanbischofs  angenommen  und  verbreitet  werden  dürfen.  Die  Rechte 
des  Kaisers  wurden  durch  seine  gelehrten  Bundesgenossen,  vor  allem 
von  dem  Minoriten  Bonagratia  von  Bergamo  verteidigt,  den  ein 
wohlunterrichteter  Zeitgenosse  »eine  wahre  Rüstkammer  der  ganzen 
Jurisprudenz«  genannt  hat2).  Die  Beschlüsse  von  Lahnstein  und  Rense 
wurden  dem  Papste  mitgeteilt.  Sie  machten  auf  ihn  einen  mächtigen 
Eindruck.  Er  ordnete  auch  sofort  einen  Gesandten  an  den  Kaiser  ab. 
Gleichwohl  war  trotz  aller  Verhandlungen  ein  Ausgleich  zwischen  Kaiser  - 
und  Papsttum  in  weiterer  Ferne  als  früher.  Ludwig  stand  übrigens 
nicht  mehr  auf  dem  radikalen  Standpunkt  des  Defensor  pacis.  Marsiglio 
hatte  zur  Zeit  des  Frankfurter  Reichstages  seinen  Einflufs  bereits  verloren. 
3.  Als  die  Frankfurter  Tage  beendet  waren,  zog  Eduard  III.  von 
England  zum  Besuch  seines  deutschen  Bundesgenossen  heran  und  wurde 
auf  dem  festlichen  Tage  von  Koblenz  (5.  September),  nachdem  die 
Frankfurter  Reichsgesetze  und  neue  Gesetze  über  die  Reichsverfassung 
und  den  Landfrieden  verkündigt  worden  waren,  zum  Reichsvikar  für  die 
norddeutschen  Länder  ernannt.  Ludwigs  Macht  stand  fester  als  jemals 
zuvor.  Ein  kühnes  Vorgehen  gegen  Frankreich  bot  die  gröfsten  Aus- 
sichten; gleichwohl  scheute  er  ängstlich  vor  jeder  ernsten  Anstrengung 
zurück3).  Die  Unterhandlungen  mit  dem  Papste  hatte  er  im  Ernste 
niemals  aufgegeben  und  wollte  es  auch  nicht.  Dies  war  auch  der  Grund, 
weshalb  er  in  den  englisch-französischen  Thronstreit  nicht  eingriff  und 
mit  Frankreich  weiter  verhandelte.  Nicht  gegen  Frankreich,  wohl  aber 
nach  Italien  zu  ziehen,  dahin  gingen  seine  Absichten.  Nach  dem  grofsen 
Seesieg  der  Engländer  bei  Sluys  rief  Frankreich  die  Vermittlung  des 
Kaisers  an;  dies  führte  zu  einer  völligen  Schwenkung  in  seiner  Politik. 
Er  gab  das  Bündnis  mit  England  auf,  schlofs  sich  an  Frankreich  an 
und  nahm  das  an  Eduard  III.  verliehene  Reichsvikariat  wieder  zurück. 
Trotz  seiner  Schwenkung  erreichte  er  die  Versöhnung  der  Kurie  nicht, 
Benedikt  XII.,  erzürnt  über  das  ohne  sein  Zutun  abgeschlossene  deutsch- 
französische Übereinkommen,  begehrte  als  Preis  der  Versöhnung  voll- 
ständige Unterwerfung  und  hielt  an  diesem  Standpunkt  bis  zu  seinem 
Tode  fest.  Ludwig  beraubte  sich  durch  die  Preisgabe  des  englischen 
Bündnisses  aller  Errungenschaften,  die  sein  Zusammenwirken  mit  den 
Kurfürsten  gezeitigt  hatte.     Jetzt  suchten  auch  jene,    die  mit  der  Kurie 

*)  Henr.  dapif.  de  Diessenhoven  bei  Böhmer  FF.  IV,  29  ff. 

2)  Joh.  v.  Winterthur,  142. 

3)  Fast   alle   bedeutenderen    Geschichtschreiber   jener  Tage   tadeln   die   Energie- 
losigkeit Ludwigs,  so  vor  allem  Matth.  v.  Neuenburg  u.  Joh.  v.  Winterthur. 


286  Die  Witteisbacher  erwerben  Tirol. 

zerfallen  waren,  wie  Mainz  und  Trier,  Versöhnung  mit  ihr  und  folgten 
in  der  auswärtigen  Politik  dem  Beispiel  des  Kaisers,  dessen  Politik 
lediglich  von  der  Rücksichtnahme  auf  die  Interessen  seines  Hauses 
getragen  war. 

3.  Kapitel. 

Wittelsbach  und  Luxemburg. 

§  67.    Die  tirolisehe  Streitfrage.  Klemens  VI.  und  Kaiser  Ludwig. 

Quellen  wie  oben.  Über  die  angebl.  Schrift  Marsiglios :  Tractatus  consultationis 
super  divortio  matrimonii  inter  Johannem  et  Margaretam  etc.  ed.  Goldast,  Monarch.  II. 
1286  s.  Riezler,  Lit.  Wid.  254  u.  Müller  II,  160.  Occam,  Tractatus  de  iurisdictione 
imperatoris  in  causis  matrimonialibus.  Goldast  I,  21.  Riezler,  S.  254.  Von  den  dar- 
stellenden Quellen  kommt  schon  hier  die  Selbstbiographie  Karls  IV.  und  die  Chronik 
des  Benesch  von  "Weitmühl  in  Betracht.  S.  über  beide  unten  Abschn.  3.  Für  die  Gesch. 
Klemens'  VI.  s.  die  sechs  Lebensbeschreibungen  in  Baluze  I,  243—322.  Mur.  III,  2. 
Theiner  II,  118 — 241.  Werunsky,  Excerpta  ex  registris  Clementis  VI.  etc.  Inns- 
bruck 1885.  S.  auch  Dahlm.-Waitz-Steindorff,  Nr.  2922.  Dudik,  Ausz.  f.  Mährens  allg. 
Gesch.  aus  den  Regesten  der  Päpste  Benedikt  Xu.  u.  Klemens  VI.  Brunn  1880.  Von 
neueren  Darstellungen  zur  Tirol.  Frage  aufser  den  schon  oben  genannten  Werken 
bes.  H  u  b  e  r ,  Gesch.  d.  Vereinigung  Tirols  mit  Österreich.  Innsbruck  1864.  Die  übrige 
Lit.  s.  §  76.  AVeech,  Kais.  Ludwig  u.  K.  Joh.  v.  Böhmen  wie  oben  und  Weech, 
K.  Ludwig  d.  B.  u.  Papst  Klemens  VI.    HZ.  Xu,  315. 

1.  Unter  dem  Eindruck  der  Erfolge  Ludwigs  suchte  König  Johann 
wiederum  Anschlufs  an  ihn  und  erhielt  die  Belehnung  mit  Böhmen, 
Eger  und  den  schlesischen  Herzogtümern,  wogegen  er  auf  die  lombardi- 
schen Städte  mit  Ausnahme  von  Brescia  verzichtete.  Sein  Sohn  Johann 
Heinrich  wurde  mit  Tirol,  dessen  älterer  Bruder  Karl  mit  Feltre,  Belluno 
und  Cadore  belehnt.  Schienen  sich  sonach  die  Beziehungen  der  Häuser 
Luxemburg  und  Witteisbach  immer  freundlicher  zu  gestalten,  so  führte 
das  Tiroler  Zerwürfnis  einen  Bruch  herbei,  der  ein  Zusammengehen 
beider  fortan  unmöglich  machte.  Johann  Heinrich  lebte  mit  Margareta, 
die  wahrscheinlich  ihrer  Mundbildung  wegen  den  Beinamen  Maultasch 
erhalten1),  in  unglücklicher  Ehe.  Die  lebenslustige  Fürstin  fand  an 
ihrem  schwächlichen,  um  drei  Jahre  jüngeren  rohen  Gemahl  kein 
Gefallen  und  glaubte  sich  zu  der  Annahme  berechtigt,  aus  dieser  Ehe 
keine  Nachkommenschaft  zu  erhalten.  Die  tirolischen  Landherren  waren 
gegen  den  Fürsten  wegen  der  Begünstigung  Fremder  erbittert  und  über 
die  strenge  Finanzverwaltung  wenig  erfreut;  sie  beschlossen,  ihn  zu  ver- 
jagen und  für  die  Fürstin  einen  andern  Gemahl  zu  suchen.  Als  solcher 
ward  des  Kaisers  ältester  Sohn,  Markgraf  Ludwig  von  Brandenburg,  aus- 
ersehen. Zwar  mifslang  ihr  erster  Versuch,  diese  Pläne  durchzuführen, 
aber  sie  gewannen  den  Kaiser,  der  die  Gelegenheit  wahrnahm,  sich  den 
lange  ersehnten  Besitz  von  Tirol  zu  sichern.  Als  Johann  Heinrich  am 
2.  November  1341  von  einem  Jagdausflug  nach  Schlofs  Tirol  heimkehrte, 

l)  Huber  II,  172. 


Klemens  VI.  und  seine  Politik.  287 

fand  er  die  Tore  geschlossen  und  sein  Gefolge  verjagt.  Er  zog  nun 
selbst  aus  dem  Lande.  Tirolische  Herren  trugen  dem  Markgrafen  Ludwig 
die  Hand  Margaretas  und  die  Herrschaft  über  Tirol  an;  nach  einigem 
Zögern  ging  er  auf  ihre  Wünsche  ein.  Der  Bischof  von  Freising  fand 
sich  bereit,  die  Ehe  Margaretas  zu  trennen;  da  er  aber  eines  plötz- 
lichen Todes  starb  und  die  Bischöfe  von  Regensburg  und  Augsburg,  die 
darin  ein  Gottesgericht  sahen,  sich  weigerten,  die  Scheidung  vorzu- 
nehmen, wurde  sie  als  niemals  vollzogen  und  daher  ungültig  durch  einen 
kaiserlichen  Spruch1)  geschieden,  die  neue  Ehe,  ohne  auf  die  zwischen 
dem  Brautpaar  bestehende  Verwandtschaft  Rücksicht  zu  nehmen,  kirchlich 
eingesegnet  (1342,  10.  Februar)  und  Ludwig  nicht  nur  mit  Tirol,  sondern 
auch  mit  Kärnten  belehnt,  das  sich  allerdings  bereits  seit  sieben  Jahren 
in  den  Händen  der  Habsburger  befand.  Erreichte  Ludwig  hiedurch 
sein  Ziel,  einen  Zugang  nach  Italien,  so  erregte  sein  Vorgehen  nicht 
blofs  die  Eifersucht  der  Habsburger  und  schuf  ihm  die  tödliche  Feind- 
schaft der  Luxemburger,  sondern  entfremdete  ihm  auch  die  Sympathien 
zahlreicher  Zeitgenossen.  Kaum  hatte  Benedikt  XII.  die  ersten  Nach- 
richten über  die  Vorgänge  erhalten,  als  er  den  Patriarchen  von  Aquileja 
beauftragte,  die  Fürstin  von  ihrem  Vorhaben  zurückzuhalten  und,  falls 
dies  zu  spät  sei,  die  ehebrecherischen  Gatten  in  den  Bann  zu  tun. 

2.  Der  Bannfluch  war  des  Papstes  letzte  Tat  gegen  das  Kaiserhaus. 
Er  starb  am  25.  April  1342.  Das  Kardinalskollegium  wählte  den  Kardinal 
Peter  Roger  —  als  Klemens  VI.  (1342—1352)  zum  Papst.  Dieser  bildete 
in  allem,  nur  nicht  in  der  Politik,  den  vollkommensten  Gegensatz  zu 
seinem  Vorgänger.  Sprosse  eines  vornehmen  Hauses,  hatte  er  bei  seinen 
trefflichen  Anlagen  die  Stufen  der  Hierarchie  rasch  erklommen.  Ein 
Gönner  der  Künste  und  Wissenschaften,  erregte  er  als  Kanzelredner  die 
Bewunderung  des  böhmischen  Prinzen  Karl,  des  späteren  Kaisers.  Als 
Papst  hatte  er  einen  schlechten  Ruf.  Für  seinen  Hof  und  im  Interesse 
von  Freunden  und  Verwandten  wurden  die  von  seinen  beiden  Vor- 
gängern aufgehäuften  Schätze  verschwendet,  dem  Nepotismus  in  aus- 
gedehntem Mafse  gehuldigt  und  Amter  und  Würden  ohne  Rücksicht  auf 
die  Würdigkeit  der  Bewerber  verliehen.  Ein  Parteigänger  Frankreichs 
und  der  mit  diesem  verbündeten  Luxemburger,  war  er  ein  ausgesprochener 
Feind  der  Witteisbacher.  Hatte  der  Kaiser,  indem  er  auf  Kärnten  ver- 
zichtete, die  Habsburger  bewogen,  neutral  zu  bleiben,  so  versuchte  er 
nun  auch  einen  Ausgleich  mit  den  an  Landbesitz  und  ihrem  Ruf 
geschädigten  Luxemburgern.  Aber  diese  waren  nicht  einig.  Sie  fafsten 
den  Plan,  den  Kaiser  mit  Hilfe  des  Papstes  zu  stürzen.  Wiewohl 
Klemens  den  Kaiser  von  seiner  Wahl  nicht  verständigt  hatte,  machte 
Ludwig  doch  einen  Versuch,  in  abermalige  Verhandlungen  einzutreten. 
Aber  die  Lage  der  Dinge  war  jetzt  eine  andere;  die  Stimmung  von 
Rense,  die  ihm  jetzt  zugute  gekommen  wäre,  war  verflogen  und  die 
deutschen  Fürsten  geneigt,  unter  Umständen  eine  Neuwahl  vorzunehmen. 


*)  Der  Traktat  Occanis    (s.  oben)   ist   als    nachträgliche   Rechtfertigung   des  Vor- 
gehens des  Kaisers  anzusehen. 


288  Neue  Yersöhnungsversuche  des  Kaisers. 

Indem  Klemens  VI.  aus  dem  Verfahren  gegen  Ludwig  die  von  den 
deutschen  Fürsten  beanstandeten  Punkte  ausschied,  ward  die  Lage  des 
Kaisers  eine  bedenkliche.  Baldewin  von  Trier,  lange  Jahre  sein  eifriger 
Anhänger,  trat  jetzt  für  die  Interessen  seines  luxemburgischen  Hauses 
in  die  Schranken.  Schon  am  19.  Juli  1342  sandte  der  Papst  eine 
Weisung  nach  Italien,  sich  einem  etwaigen  Einfall  Ludwigs  zu  widersetzen. 
Am  Gründonnerstag  des  nächsten  Jahres  wurde  der  Prozefs  gegen  ihn 
erneuert  und  als  die  Zeit  von  drei  Monaten  verstrich,  ohne  dafs  er  sich 
zur  Verantwortung  stellte,  Johanns  XXII.  Prozesse  gegen  ihn  als  rechts- 
gültig erklärt  und  in  den  Kirchen  verkündigt.  Baldewin  erhielt  den 
Auftrag,  den  geeigneten  Kandidaten  für  eine  Neuwahl  zu  suchen;  jetzt 
wurde  zweifelsohne  an  die  Erhebung  eines  Luxemburgers  gedacht.  Noch 
waren  diese  nicht  völlig  gerüstet.  Markgraf  Karl  von  Mähren  schlofs 
mit  dem  Kaiser  einen  Waffenstillstand  (1343,  September);  auch  Frank- 
reich erhob  die  Stimme  für  ihn.  um  ihn  nicht  zum  Anschlufs 
an  England  zu  drängen.  Da  Ludwig  von  den  auf  seinen  Sturz  ab- 
zielenden Plänen  Kunde  hatte,  suchte  er  um  so  eifriger  die  Versöhnung 
der  Kurie  nach  und  kam  ihr  bis  aufs  äufserste  entgegen :  Er  gab  seine 
gelehrten  Bundesgenossen  preis,  bedauerte  seine  Appellationen  gegen 
Johann  XXII.  u.  s.  w. 1)  Als  er  selbst  auf  die  schwersten  Bedingungen, 
die  ihm  in  der  Erwartung  ihrer  Zurückweisung  gemacht  wurden,  einging, 
wurden  neue  Forderungen  laut.  Überall  stand  ihm  sein  Verhältnis  zu 
den  Luxemburgern  im  Wege;  daher  suchte  er  diese  zu  gewinnen  und 
trat  mit  dem  Markgrafen  in  Verhandlungen,  sie  waren  dem  Ziele  nahe, 
als  Boten  des  Königs  Johanns  dem  Markgrafen  statt  der  Lausitz,  durch 
die  Ludwig  die  Luxemburger  entschädigen  wollte,  die  deutsche  Königs- 
krone selbst  in  Aussicht  stellten,  worauf  Karl  die  Verhandlungen  abbrach 
und  mitten  im  Winter  mit  seinem  Vater  nach  Avignon  ging  (1344,  Februar). 
Unter  ihrem  Einflüsse  dürften  neue  Forderungen  an  Ludwig  gestellt 
worden  sein,  die  nicht  nur  dessen  kaiserliche,  sondern  auch  königliche 
Würde  in  Frage  stellten.  Auch  jetzt  brach  er  die  Verhandlungen  nicht 
ab,  aber  die  Reichsstände,  denen  er  die  Bedingungen  der  Kurie  mitteilte, 
wiesen  sie  zurück  (9.  September),  soweit  sie  dem  Reich  zum  Schaden 
gereichen.  Die  Städte  stellten  sich  mit  Entschiedenheit  auf  die  Seite 
des  Kaisers.  Auf  dem  Fürstentag  von  Bacharach,  der  wenige  Tage  später 
stattfand,  erhoben  die  Luxemburger  heftige  Klagen  gegen  ihn;  doch 
waren  sie  selbst  nicht  stark  genug,  um  das  Königtum  schon  jetzt  in 
Anspruch  zu  nehmen.  Ludwig  hatte  ihnen  zudem  an  Polen  und  Ungarn 
Feinde  erweckt  und  auch  die  Habsburger  sahen  mit  Sorge  auf  ihre 
steigende  Macht.  Unter  diesen  Umständen  setzte  Ludwig  seine  Ver- 
handlungen fort:  bei  der  Schroffheit  der  Kurie  war  ein  günstiger  Aus- 
gang freilich  nicht  zu  erwarten  und  so  trat  der  lange  Kampf  zwischen 
Kaiser-  und  Papsttum  in  seine  letzte  Phase. 


*)  Matth.  v.  Neuenbürg,  cap.  70 :  De  quo  papa  et  collegium  mirabantur  dicentes 
intra  se :  Iste  difßdentia  est  perplexus,  was  Riezler  übersetzt :  Der  ist  vor  Angst  verrückt 
geworden. 


Päpstlich-luxemburgischer  Bund  zum  Sturz  des  Kaisers.  289 

§  68.    Die  Wahl  Karls  IV.  und  das  Ende  Ludwigs  des  Bayers. 

1.  Die  Allianz  des  Kaisers  mit  Ungarn  und  Polen  barg  für  den 
Papst  und  die  Luxemburger  grofse  Gefahren.  Zudem  erhielt  Ludwigs 
Macht  durch  den  Anfall  von  Seeland,  Holland,  Friesland  und  Hennegau 
eine  bedeutende  Verstärkung.  Am  27.  September  1345  war  nämlich 
Graf  Wilhelm,  der  letzte  männliche  Sprosse  des  Hauses  d'Avesnes,  in 
der  Schlacht  bei  Staveren  gegen  die  Friesen  gefallen.  Seine  ältere 
Schwester  Margareta  war  mit  dem  Kaiser,  die  zweite  mit  König  Eduard  III. 
und  die  dritte  mit  dem  Markgrafen  von  Jülich  vermählt,  die  jüngste  starb 
unvermählt.  Hennegau  fiel  als  Frauenlehen  unmittelbar  an  die  Kaiserin;  aber 
auch  der  übrige  Besitz  wurde  als  erledigtes  Reichslehen  an  sie  gegeben.  Dieses 
Vorgehen  schädigte  das  Verhältnis  des  Kaisers  zu  England,  für  das  See- 
land als  Angriffspunkt  gegen  Frankreich  von  höchster  Bedeutung  war. 
Auch  die  Luxemburger,  die  nun  auch  in  der  unmittelbaren  Nähe  ihres 
Erblandes  bedroht  waren,  erhielten  Anlafs  zu  neuen  Beschwerden.  Trotz- 
dem nahm  Ludwig  nochmals  die  Verhandlungen  auf:  er  bot  dem  geld- 
bedürftigen Böhmenkönig  für  die  Abtretung  Tirols  die  Niederlausitz  und 
20000  Mark  Silber;  aber  die  Söhne  Johanns  besorgten,  dafs  er  das 
Geld  an  seine  Günstlinge  verschleudern  würde.  So  scheiterte  denn  der 
letzte  Ausgleichsversuch  der  feindlichen  Häuser.  Es  gelang  dem  Mark- 
grafen Karl,  seinen  Grofsoheim  Baldewin  von  Trier  ganz  für  seine  Pläne 
zu  gewinnen,  die  sich  mit  denen  der  Kurie  deckten.  Karl  wurde  der 
Kandidat  Klemens'  VI.  und  aller  mit  Ludwigs  Regiment  unzufriedenen 
Parteien  im  Reiche.  König  Johann  gab  seine  Ausgleichsversuche  auf 
und  ging  nach  Avignon,  wo  der  Papst  eben  daran  war,  Ludwigs  Stel- 
lung in  Deutschland  selbst  zu  untergraben.  Der  Erzbischof  von  Mainz, 
Heinrich  von  Virneburg,  der  treueste  Anhänger  Ludwigs,  wurde  durch 
den  jugendlichen  Grafen  Gerlach  von  Nassau  ersetzt.  Dieser  kühnen 
Mafsregel  gegen  den  ersten  Fürsten  des  Reiches  folgte  am  Gründonners- 
tag (13.  April)  die  feierliche  Verfluchung  des  Kaisers1);  den  Kurfürsten 
wurde  geboten,  zur  Neuwahl  zu  schreiten,  widrigenfalls  der  apostolische 
Stuhl,  von  dem  die  Kurfürsten  ihr  Wahlrecht  überkommen 
haben,  auf  dem  Weg  der  Provision  für  einen  rechtmäfsigen  König 
sorgen  würde.  Wenige  Tage  später  (20.  April)  beschwur  Karl  die  ihm 
vom  Papste  vorgelegten  Artikel :  die  Eide  zu  leisten,  die  sein  Grofsvater 
Heinrich  VII.,  »der  letzte  Kaiser«,  dem  Papste  geschworen,  alle  Zu- 
geständnisse früherer  Kaiser  und  Könige  an  die  Kirche  zu  erneuern, 
alle  Regierungshandlungen  Ludwigs  für  nichtig  zu  erklären,  Rom  aufser 
an  dem  zur  Krönung  bestimmten  Tage  nicht  zu  betreten  usw.  Die 
Forderungen  des  Papstes  enthielten  noch  mehr  als  die  (1343)  von  Ludwig 
zurückgewiesenen  Artikel.  Namentlich  wurde  dem  Papste  Ferrara  über- 
lassen und  die  vollständige  Unabhängigkeit  der  Provence,  Forcalquiers  und 

x)  Divinam  imploramus  potentiam,  ut  Ludovici  confutet  insaniam,  deprimat  et 
elidat  superbiam  et  eum  dexterae  suae  virtute  prosternat .  .  .  Veniat  ei  laqueus,  quem 
ignorat,  et  cadat  inipsum.  Sit  maledictus  ingrediens,  sit  maledictus  egrediens.  Percutiat 
eum  Dominus  amentia  et  cecitate. 

Loserth,  Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  19 


290  Die  Wahl  Karls  IV.    Seine  Jugend  und  seine  ersten  Erfolge. 

Pienionts  vom  Reiche  zugestanden.1)  Karl  genehmigte  alle  Forderungen 
der  Kurie,  und  sein  Vater  übernahm  die  Verpflichtung,  den  Sohn  zu 
ihrer  Einhaltung  anzumahnen.  Beide  gelobten  Ludwig  als  Ketzer  und 
Schismatiker  zu  bekämpfen,  jetzige  oder  spätere  Streitigkeiten  mit  Frank- 
reich und  Polen  dem  Schiedsrichteramt  des  Papstes  zu  unterwerfen  und 
den  König  von  Ungarn  abzuhalten,  Sizilien  anzugreifen,  um  dort  die 
Mörder  des  Königs  Andreas  (s.  unten)  zu  strafen.  Der  Papst  forderte 
nunmehr  (2$.  April)  im  Hinblick  auf  die  lange  Vakanz  des  Kaisertums 
die  Kurfürsten  auf,  zur  Neuwahl  zu  schreiten.  Die  Kurstimme  Branden- 
burgs wurde  als  die  eines  Gebannten  für  ungültig  erklärt.  Besondere 
Schreiben  an  Köln,  Trier  und  Sachsen  machten  die  Wahl  Karls  zur 
Pflicht.  Baldewin  von  Trier  wurde  von  dem  über  ihn  wegen  seiner 
früheren  Anhänglichkeit  an  Ludwig  verhängten  Bann  losgesprochen, 
worauf  er  den  Absagebrief  an  seinen  früheren  Herrn  einsandte.  Der 
Wahltag  wurde  auf  den  11.  Juli  1346  nach  Rense  ausgeschrieben.  Bei 
den  letzten  Vorbesprechungen  in  Trier  (Mai)  wurde  das  Mafs  der  »Hand- 
salben« festgesetzt.  Der  Papst  räumte  noch  einige  Hindernisse  weg,  die 
das  Verhältnis  der  Luxemburger  zu  Polen  und  Frankreich  betrafen. 
Am  festgesetzten  Tage  fanden  sich  fünf  Kurfürsten  in  Rense  ein,  von 
denen  der  eine  der  Vater,  der  andere  der  Grofsoheim  des  Kandidaten, 
der  dritte  ein  Kurfürst  ohne  Land  (Mainz),  die  andern,  Köln  und  Sachsen, 
um  hohe  Summen  bestochen  waren,  und  von  denen  Rudolf  von  Sachsen 
noch  entschuldigend  bemerkte,  dafs  er  vorn  Papste  gedrängt  werde.  Das 
Wahlrecht  der  Pfalz  wurde,  weil  der  Kurfürst  nicht  erschien,  als  aus- 
gefallen bezeichnet.  Die  fünf  Wähler  vereinigten  ihre  Stimmen  auf  den 
Markgrafen  Karl  von  Mähren. 

Karl  wurde  als  ältester  Sohn  König  Jobanns  ani  14.  Mai  1316  zu  Prag  geboren. 
In  der  Taufe  erhielt  er  den  Xamen  "Wenzel.  In  seine  zarteste  Jugend  fällt  der 
schwere  Kampf  seines  Vaters  mit  den  böhmischen  Baronen  und  mit  seiner  Gattin 
Elisabeth,  die  seit  dem  September  1316  in  dem  in  schöner  Waldeinsamkeit  gelegenen 
Schlosse  Bürglitz  weilte,  dann  im  März  des  nächsten  Jahres  nach  Prag  zurückkehrte, 
wo  sie  an  Stelle  des  Erzbischofs  Peter  von  Mainz  die  Regentschaft  übernahm.  Um 
den  Wechselfällen  des  Bürgerkrieges  nicht  ausgesetzt  zu  sein,  begab  sie  sich  nach 
dem  festen,  ihr  als  Leibgeding  zugewiesenen  Schlofs  Elbogen,  und  hier  verblieb  der 
jugendliche  Prinz,  auch  als  seine  Mutter  vom  König  nach  Melnik  verwiesen  ward. 
Um  den  König  mit  seiner  die  Rechte  des  Königtums  verteidigenden  Gemahlin  zu  ver- 
feinden, hatten  die  Führer  des  Adels  nämlich  das  Gerücht  verbreitet,  sie  gehe  damit 
um,  ihn  zugunsten  des  jungen  Prinzen  des  Thrones  zu  berauben.  So  unbegründet 
das  Gerücht  war,  es  liefs  im  Herzen  des  Königs  einen  Stachel  zurück;  der  junge 
Prinz  ward  nun  in  Elbogen  in  einer  Art  von  Haft  gehalten.  Vier  Jahre  alt,  kehrte  er 
nach  Bürglitz  zurück.  Der  ruhige  Aufenthalt  auf  den  weltentlegenen  Burgen 
mochte    den    Grund    zu    dem    verschlossenen  Wesen,    aber    auch    zu    jenem    bedäch- 

igen  Charakter  gelegt  haben,  den  er  im  vollen  Gegensatz  zu  seinem  Vater  besafs. 
Vielleicht  noch  aus  demselben  MiTstrauen  entfernte  dieser  den  Sohn  aus  dem  Lande 
und    gab    ihn    an    den  Hof   seines  Schwagers   Karl  IV.    von  Frankreich.      Hier  wurde 

Wenzel  erzogen.  Bei  der  Firmung,  die  Johann  XXII.  in  Avignon  an  ihm  vollzog,  legte 
ihm  der  König  seinen  eigenen  Xamen  Karl  bei,  und  dieser  ist  ihm  zuerst  in  Frank- 
reich, wo  der  Name  Wenzel  ein  ungewöhnlicher  war,  dann  auch  in  Böhmen  selbst 
geblieben.    Karl  erhielt  in  Frankreich  eine  ausgezeichnete,  fast  gelehrte  Erziehung  mit 


Würdigung  der  Zusagen  Karls  IV.  bei  Werunsky  I,  409 — 414. 


Der  >  Pfaffenkönig  c     Tod  K.  Johanns  bei  Cröcy.  291 

geistlichem  Einschlag.  Seine  Sprachkenntnisse  waren  bedeutend,  denn  er  sprach  und 
schrieb  nicht  blofs  das  Deutsche  und  Tschechische,  sondern  auch  das  Französische, 
Italienische  und  Lateinische.1)  Noch  in  früher  Jugend  wurde  er  mit  der  französischen 
Prinzessin  Margareta,  genannt  Blanka,  vermählt.  Nach  dem  Tode  Karls  IV.  weilte 
er  noch  zwei  Jahre  am  Hofe  Philipps  VI.  Von  jenen  Männern,  die  sein  Wesen  be- 
einflufsten,  gedenkt  er  des  Abtes  von  Fecamp,  des  späteren  Papstes  Klemens  VI.,  der 
als  solcher  kräftig  in  seine  Geschicke  eingriff.  Im  Jahre  1330  kam  er  nach  Luxem- 
burg, von  wo  ihn  sein  Vater  in  die  Lombardei  berief,  um  seine  dort  gewonnene 
Machtstellung  zu  behaupten.  Hier  bewährte  er  sich  als  Krieger  und  Diplomat.  Diese 
seine  Tätigkeit  hat  er  auf  Grund  seiner  an  Ort  und  Stelle  gemachten  Aufzeichnungen 
in  späteren  Jahren  anschaulich  und  anmutig  in  seiner  Selbstbiographie  beschrieben. 
Nach  elfjähriger  Abwesenheit  kehrte  er  (1333)  nach  Böhmen  zurück.  Wir  fanden, 
schreibt  er,  das  Königtum  so  heruntergekommen,  dafs  wir  nicht  eine  einzige  Burg 
antrafen,  die  nicht  mit  allen  ihren  Krongütern  verpfändet  gewesen  wäre.  Er  wurde 
nun  Markgraf  von  Mähren,  Statthalter  von  Böhmen  und  verstand  es,  die  materiellen 
Grundlagen  des  Königtums  zu  heben  und  das  verschleuderte  Gut  allmählich  wieder 
an  die  Krone  zu  bringen.  Kräftiger  als  Johann  trat  er  in  den  Kampf  um  das  Erbe 
des  Kärntners  ein  (1335).  Noch  einmal  erfafste  den  Böhmenkönig  das  Mifstrauen  gegen 
seinen  Sohn :  er  nahm  ihm  die  Verwaltung  aus  der  Hand  und  liefs  ihm  nichts  »als 
den  blofsen  Titel  eines  Markgrafen  von  Mähren  ohne  die  Sache«.  Aber  bald  erhielt 
er  seine  Stellung  zurück,  er  wurde  (1341)  als  alleinberechtigter  Erbe  des  Königreichs 
anerkannt  und  (1342)  mit  dessen  Verwaltung  betraut.  Mit  der  Wahl  seines  einstigen 
Lehrers  zum  Papst  stiegen  seine  Aussichten,  und  seine  Wahl  war  grofsenteils  Folge 
der  seit  Jahren  bestehenden  innigen  Beziehungen  zwischen  beiden. 

2.  Noch  am  Tage  der  Wahl  zeigte  sie  Karl  IV.  den  Fürsten  und 
Städten  an.  Die  Kurfürsten  schickten  die  Wahldekrete  an  den  Papst. 
Kein  geringerer  als  Occam  hat  ihr  Vorgehen  als  Treubruch  gegen  ihren 
früheren  Herrn  gegeifselt.  Es  war  eine  Wahl,  die  sachlich  den  Charakter 
einer  päpstlichen  Provision  hatte,  und  so  ist  die  von  Occam  und  andern 
Zeitgenossen  gebrauchte  Bezeichnung  eines  »Pfaffenkönigs«  durchaus 
gerechtfertigt.  Die  Krönung  sollte  am  27.  August  stattfinden.  Die 
Bürger  von  Aachen  wollten  davon  nichts  wissen  und  rüsteten  sich  zur  Gegen- 
wehr. Karls  Aussichten  im  Reiche  waren  ungünstig  genug,  denn  seine 
Wähler  waren  zu  keinen  besonderen  Opfern  bereit.  In  Trier  (oder  in 
Luxemburg)  traf  ihn  die  Bitte  König  Philipps  von  Frankreich,  ihm  gegen 
Eduard  III.  zu  Hilfe  zu  kommen.  Karl  IV.  und  sein  Vater  zogen  mit 
einer  Schar  von  500  Rittern  aus.  Am  26.  August  kam  es  bei  Crecy 
zur  Schlacht,  in  der  die  Franzosen  geschlagen  wurden  und  König  Johann 
fiel  (s.  §  79).  Mit  Mühe  und  Not  war  Karl  selbst  entkommen.  Er  hatte, 
wahrscheinlich  erst  in  einem  späteren  Gefechte,  drei  Wunden  erhalten, 
an  denen  er  eine  Zeitlang  im  Stifte  Ourcamp  (bei  Noyon)  daniederlag.2) 
Inzwischen  dachte  der  Kaiser  daran,  dem  Drängen  seiner  italienischen 
Bundesgenossen  nachzugeben  und  nach  Italien  zu   ziehen,   wo   man   die 


*)  Über  seine  Sprachkenntnisse  sagt  Ludolf  von  Sagan,  der  die  Verhältnisse 
in  Prag  aus  eigener  Anschauung  kannte:  Hie  Unguis  loquens  variis  Teutunicum proprie, 
Bohemicum  debite,  Gallicum  congrue  et  ydioma  latinum  loquebatur  magistraliter 
et  perfecte,  und  Königshof en :  under  den  sprochen  hette  er  dutsche  sproche  aller- 
liebest .  .  .  Zur  Stelle  Ludolf  s  ist  d.  Gold.  Bulle,  cap.  XXXI,  anzufügen,  wo  der  König 
von  Böhmen  denen  beigezählt  wird:  quibus  Teutonicum  ydioma  naturaliter  inditum 
scire  praesumatur.     Das  ward  erst  unter  dem  Hussitenkönig  Georg  anders. 

*)  Schlachtbericht  des  Ritters  Johann  von  Schönfeld  an  den  Bischof  von  Passau 
am  12.  Sept.  1346  in  Böhmer-Ficker,  Acta  imperii  selecta,  p.  750. 

19* 


292   Tod  und  Charakteristik  K.  Ludwigs.  Ausgang  seiner  gelehrten  Bundesgenossen. 

Aufstellung  eines  Gegenpapstes  beabsichtigte.  In  Deutschland  hatte  er 
die  Reichsstädte  für  sich ;  nicht  eine  von  den  rheinischen,  schwäbischen 
und  fränkischen  Städten  trat  auf  die  Seite  des  Luxemburgers.  Auch 
unter  den  Fürsten  besafs  er  einen  mächtigen  Anhang.  Auf  seine  Seite 
stellte  sich  aus  Eifersucht  auf  Luxemburg  auch  das  Haus  Habsburg.  Nach- 
dem Karl  in  öffentlichem  Konsistorium  (6.  November)  die  päpstliche 
Approbation  und  20  Tage  später  die  Salbung  und  Krönung  in  Bonn 
empfangen,  eilte  er  im  Aufzuge  eines  Knappen  nach  Böhmen.  Tiroler 
Adelige,  unzufrieden  mit  der  sparsamen  bayrischen  Verwaltung,  hatten 
in  ihm  die  Hoffnung  erweckt,  Tirol  wiederzugewinnen.  Mitte  März  1347 
kam  er,  als  Kaufmann  verkleidet,  nach  Trient.  Einige  oberitalienische 
Herren,  die  Bischöfe  von  Trient  und  Chur  und  der  Patriarch  von 
Aquileja  waren  für  ihn.  Das  ganze  Unternehmen  schien  um  so  aus- 
sichtsvoller, als  Markgraf  Ludwig  auf  einem  Zug  gegen  die  heidnischen 
Preufsen  begriffen  war.  Aber  die  Fürstin  Margareta  wies  alle  An- 
griffe auf  das  Schlofs  Tirol  tapfer  zurück,  und  als  Markgraf  Ludwig 
und  ihm  folgend  der  Kaiser  anrückten,  war  Karl  zu  einem  verlustvollen 
Rückzug  genötigt.  Er  sammelte  in  Böhmen  ein  neues  Heer,  um  den 
Kampf  gegen  den  Kaiser  selbst  aufzunehmen.  Noch  hatte  er  aber  die 
Grenze  seines  Reiches  nicht  überschritten,  als  er  die  Nachricht  vom 
Tode  des  Kaisers  erhielt.  Schon  krank,  war  dieser  von  München  aus 
auf  die  Jagd  geritten  (11.  Oktober).  Nicht  weit  vom  Kloster  Fürstenfeld 
sank  er,  vom  Schlage  gerührt,  vom  Pferde  und  verschied  in  den  Armen 
seiner  Begleiter.  Seine  letzten  Worte  waren:  »Maria,  süfse  Königin, 
unsere  Frau,  sei  bei  meinem  Scheiden!«  Verschiedene  Gerüchte  über 
seine  angebliche  Vergiftung  schwirrten  durch  die  Welt.1) 

Ludwig  war  in  der  Mitte  der  sechziger  Jahre,  als  ihn  der  Tod  ereilte.  Ein 
Herrscher,  der  bei  Zeitgenossen  und  Späteren  eine  ganz  widerspruchsvolle  Beurteilung 
gefunden  hat.  Trotz  seiner  Siege  bei  Gammelsdorf  und  Mühldorf  mehr  Diplomat  als 
Krieger,  war  er  unter  den  deutschen  Kaisern  der  letzte,  dessen  Regierung  durch  einen 
Kampf  zwischen  Staats-  und  Kirchengewalt  erschüttert  wurde.  Trotz  mächtiger  Bundes- 
genossen und  günstiger  politischer  Konstellationen,  trotz  des  Zusatmnenfallens  nationaler 
Interessen  mit  antipäpstlichen  Strebungen,  der  wachsenden  Einsicht  der  Laien  gegen 
die  "Übergriffe  der  Hierarchie,  trotz  der  Unterstützung  durch  seinen  gelehrten  Bundes- 
genossen war  er  nicht  imstande,  den  Kampf  zu  einem  glücklichen  Ende  zu  führen.2) 
Bei  allem  Verständnis  der  politischen  Fragen  war  er  von  einer  grenzenlosen  Unsicherheit 
in  der  Anwendung  geeigneter  Mittel;  daher  sein  fortwährendes  Schwanken,  das  ihn 
in  den  Buf  der  Unzuverlässigkeit  brachte.  Sehr  erfolgreich  war  sein  Wirken  für  seine 
Familie,  weniger  für  sein  Land,  am  wenigsten  für  das  Reich.  Doch  verdient  seine 
Sorge  für  den  Landfrieden  und  die  Hebung  des  Bürgerstandes  hervorgehoben  zu  werden. 
Beim  Bürgertum  war  er  sehr  beliebt,  und  die  Reichsstädte  gelangten  durch  die  unter 
seiner  Mitwirkung  geschlossenen  Bündnisse  zu  erhöhter  Bedeutung.  Von  seinen  ge- 
lehrten Bundesgenossen  starb  Jandun  schon  1328,  Marsiglio  zwischen  1339  und  dem 
10.  April  1343,  beide  unversöhnt  mit  der  Kirche.  Die  Minoriten  standen  nur  in  der 
Frage  »von  der  Armut  Christi«  wider  den  Papst.  Michael  von  Caesena  starb  am 
29.  November  1342  zu  München.  Erst  angesichts  des  Todes  gab  er  —  einer  übrigens 
nicht  ganz  einwandfreien  Quelle  zufolge  —  seinen  Widerstand  gegen  das  Papsttum 
auf.   Bonagratia  starb  vor  1340 ;  Occam  überlebte  seinen  Herrn  und  blieb  auch,  als  sich 


x)  Sorgsam  zusammengestellt  von  Riezler,  Gesch.  Bayerns  H,  499  ff. 
2)  Weech,  HZ.  XH,  345. 


Innerer  Zusammenhang  der  kirchlichen  Opposition  seit  Friedrich  II.  293 

die  bayrische  Partei  an  Günter  von  Schwarzburg  hielt,  im  Gegensatz  zu  Klemens  VI. 
und  dem  »Pfaffenkönig«.  Erst  als  er  nach  der  Versöhnung  der  feindlichen  Häuser 
Luxemburg  und  Witteisbach  nirgends  einen  sicheren  Platz  fand,  erklärte  er  seine 
Unterwerfung.  Es  mochte  ihm  schwer  genug  ankommen,  seine  Lehre  zu  widerrufen, 
dafs  die  Päpste  kein  Recht  haben,  Könige  ein-  und  abzusetzen.  Er  starb  nach  1349. 
Die  folgenden  Männer  der  Vorreformation  haben  sein  Andenken  hochgehalten  und 
aus  seinen  Lehren  geschöpft.  In  diesem  Sinne  knüpft  die  kirchliche  Opposition  Eng- 
lands unter  Wiclif  l)  an  die  literarischen  Widersacher  der  Päpste  im  Zeitalter  Ludwigs 
des  Bayers  an,  ebenso  wie  diese  an  die  kirchliche  Opposition  unter  Philipp  dem 
Schönen  und  wie  die  französische  in  ihren  Spuren  noch  in  die  Zeiten  Friedrichs  IL 
zurückführt. 


3.  Abschnitt. 

Kaiser-  und  Papsttum  im  Zeitalter  Karls  IV. 

(1347—1378). 


1.  Kapitel. 

Karl  IV.  und  der  Ausbau  der  luxemburgischen  Macht. 

§  69.   Der  Kampf  um  die  deutsche  Krone. 

Quellen.  Urkk.  Aufser  den  Acta  imperii  inedita  u.  Acta  imp.  selecta  s. 
Böhmer-Huber,  Regg.  d.  Kaiserreichs  unter  Karl  IV.  Innsbr.  1877.  Nachträge  1889. 
Lindner  u.  Bär  im  NA.  VEH,  IX.  Knothe  im  NA.  sächs.  Gesch.  XII.  Acta  Karoli  IV. 
imp.  inedita.  Innsbr.  1891.  Immer  reicher  wird  die  Zahl  der  Formulare ;  s.  Breslau, 
Handb.  d.  Diplom.  I.  Böhmer-Huber  LVIII  (dazu  MJÖG.  XX).  Aus  ihnen  sei  hervor- 
gehoben :  Summa  cancellariae  (Cancellaria  Caroli  IV.),  ed.  Tadra.  Prag  1895  mit  tschech. 
Einl.  u.  Noten.  Der  Collectarius  perpetuarum  formarum  d.  Joh.  v.  Gelnhausen  ed. 
H.  Kaiser.  Strafsb.  1898  (dort  S.  9  ausf.  Lit.-Angaben.  S.  auch  NA.  XXV  und  ZG. 
Mährens  u.  Schlesiens  VI.).  Cancellaria  Joh.  Noviforensis  AÖG.  LXHI.  Die  Cancellaria 
Arnesti  etc.  Zum  Urkundenwesen  der  lux.  Zeit  s.  das  grundlegende  Buch  v.  Lindner, 
Das  Urkundenwesen  Karls  IV.  u.  s.  Nachfolger.  Stuttgart  1882.  S.  Diekamp,  HJb.  IV 
u.  Schmitz,  RQ.-Schr.  VIU.  Die  Lit.  zur  Goldenen  Bulle  Dahlm.-Waitz-Steindorff  2924. 
Dazu :  Bernheim  u.  Altmann,  Ausgew.  Urkk.  Berl  1891  (dort  auch  die  andern  Aus- 
gaben u.  die  dazu  gehörige  Lit.).  Schwind  u.  Dopsch,  wie  oben.  Urkundenb  für 
einzelne  Länder  s.  in  DWSt.  Hinzuweisen  ist  noch  auf  die  gehaltvollen  Aufsätze  von 
Konrad  Burdach,  Böhmens  Kanzlei  unter  d.  Luxemburgern  u.  die  deutsche  Kultur 
im  Zentralbl.  f.  d.  Bibliotheksw.  VIH  (sep.  Halle  1893).  Grünhagen,  Korresp.  der  Stadt 
Breslau  mit  Karl  IV.  1347—1355.  Wien  1865.  Kürschner,  Die  Urkk.  Herzog  Rudolfs  IV. 
v.  Österreich.  Wien  1873.  Werunsky,  Excerpta  wie  oben;  die  Urkunden  der  Päpste 
s.  unten. 

Geschichtschreiber.  Böhmische:  Der  sog.  Dalimil  von  streng  nation.  Ge- 
sichtspunkt aus ;  früh  ins  Deutsche,  in  Prosa  u.  in  Reime  übertragen.  Gedr.  FF.  rer. 
Bohem.  HI,  kommt  nur  für  die  Gesch.  Johanns  noch  in  Betracht.  Wertvoller  sind 
auch  noch  für  die  Jugendzeit  Karls  die  Königsaaler  Geschichtsquellen  und  für  die 
weiteren  Jahre  die  Fortsetzung  und  die  Zusätze  des  Domherrn  Franz  v.  Prag,  heraus- 

*)  In  dem  noch  ungedruckten  Werke  Wiclifs  De  Veritate  Sacrae  Scripturae  liest 
man :  Dico,  quantum  ad  libros  Venerabilis  Inceptoris  (Occams  Beiname) :  Verecundor 
et  gaudeo,  si  in  veritatibus  convenimas.  Den  Vorwurf,  dafs  Occam  Ketzer  sei,  weist 
Wiclif  zurück. 


294  Kaiser-  und  Papsttum  im  Zeitalter  Karls  IV. 

gegeben  v.  Loserth   in  den  FF.  rer.  Austr.  I,   VIH  u.  danach  von  Emier  in  FF.  rer. 
Boh.  m.     Der  Domherr  Franz  hat  von  Karl  IV.  selbst  Nachrichten    erhalten   u.  kennt 
z.  B.  die  auf  Cola  Rienzi  bez.  Korrespondenz.     Für  die  Gesch.  Karls  IV.  selbst  bis  zu 
seiner  Königswahl  ist  seine  vortreffliche  Selbstbiographie  Hauptquelle :  Yita  Karoli  rV. 
imp.,  ed.  Böhmer  in  FF.  rer.  Germ.  I  u.  Emier  mit  der  tschech.  u.  deutschen  Redaktion 
in    FF.  Bohem.    HL      S.    auch    Geschichtschr.    d.    d.    Vorz.    XIV.  Jahrh.     5.  Bd.     Zur 
Charakteristik    der    theol.    Gelehrsamkeit   Karls  IV.  s.    die   Moralitates   Karoli  IV.,  ed. 
Wotke,  Z.  Gesch.  Mährens   u.  Schlesiens  I,  4.     Die   Chronica  ecclesiae  Pragensis   des 
Benesch  Krabice  von  Weitmühl  enthält  auch  die  vita  Karoli  IV.  mit  (zum  Teil) 
besseren    Angaben    u.    andere    bekannte    Quellen.     Herausg.    v.  Pelzel    u.    Dobrowsky, 
SS.  rer.  Boh.  II,  199 — 424  u.  v.  Emier  FF.  rer.  Boh.  TV.    Von  geringerem  Werte  für  die 
Gesch.  Karls  sind:  die  Chronik  Marignolas,  Dobner  MM.  II,  68—282  u.  FF.  rer.  Boh.  HI, 
492—604  —  sie  reicht  bis  1362  — ,  die  Chronik  Pulkawas,  Dobner  HE,  63—290,  Menken, 
SS.  rer.    Germ.  III,    1617    u.  FF.  rer.    Boh.  IV,    endlich    die    Summula    chronicae    tarn 
Romanae  quam  Bohemicae   des    Neplach   v.  Opatowitz,    Pez  SS.  rer.  Austr.  II  und  FF. 
rer.  Boh.  HL     Zum  Teil   kommt  für  Karls  Zeit    auch    schon  Ludolf   von  Sagan  in  Be- 
tracht.    Sein  Catalogus   abb.  Saganensium   ist  gedr.  von  Stenzel  in  SS.  rer.  Sil.  I,  sein 
Tractatus   de  longevo    schismate    ed     Loserth   AÖG.  LX.     Aufserböhmische  und 
schlesische  Quellen.     Neben   den  schon   oben   genannten  Quellen,   dem  Chronicon 
de  ducibus  Bavariae,  Chron.  Sampetrinum   Erphordiense,  den  Gesta  Treverorum,  Hein- 
ricus  de  Hervordia,  Heinrich  (von  Eichstätt?),  Heinricus  dapifer  de  Dissenhofen,  Johann 
v.  Winterthur    u.  Matth.  v.  Neuenburg:    Die    österr.   Annalen    und    zwar    vornehmlich 
die    von    Zwettl  u.  Matsee  im  IX.  Bd.  d.  MM.  Germ.  SS.   Mainzer  Aufzeichnungen: 
Chronici  Moguntini   miscelli   fragmenta   collecta    1329 — 1511    bei  Böhmer    FF.  IV,  367 
und  die  Gesta  archiepp.  Mog.  1138 — 1410,  ebenda  363—367.     Von  Städtechroniken  die 
von  Nürnberg,  Augsburg,  Strafsburg,  Magdeburg  u.  Lübeck   im  TV.,  V., 
VH.,  V1LL,  IX.  u.  XIX.  Bd.  der  Städtechroniken;  s.  die  entsprechende  Würdigung  und 
Literaturvermerke    aufser    bei    Huber,    Regg.    S.  LHI  ff.    bei    Lorenz  a.  a.  0.     Die  Lim- 
burger Chronik  1336—1398,  ed.  Rofsel,  Wiesbaden  1860.    Chronik  Detmars  des  Franzis- 
kaner-Lesemeisters,   herausg.    v.    Grautoff    im    1.    Bd.    d.    Lübeckischen    Chroniken. 
Wichtig  für  die  nordd.  Verhältnisse.    Chroniques  de  Metz,  p.  p.  Huguenin.  Metz  1838. 
Eberhard  Müllner,    Chronik    v.  Zürich,    ed.  Ettmüller   in  Mitt.  d.  antiq.    Ges.  v.  Zürich 
1844,  ed.  Henne  v.  Sargans  in  der  sog.  Klingenberger  Chronik  1861.    Johannes  v.  Guben, 
Jahrb.  v.  Zittau,  1255 — 1476.     SS.  rer.  Lusat.  NF.  1.     Johannes  Hocsemius,  Gesta  epp, 
Leod.  bis  1348  bei  Chapeaville,    Gesta  pontiff.  Leod.  H.      Levold   v.  Northof,    Chronic* 
com.  d.  Marca  1358,  ed.  Meibom  SS.  rer.  Germ.  I,  ed.  Trofs  1859.     Michaelis  de  Leone 
can.  Herbipolensis  Annotata  historica  1332 — 1354     Böhm.  FF.  1  u.  Johannes  Latomus, 
Acta  Frankfurtens.   793—1519;    wertvoll    für  1338—1356,  ed.  Böhm.  FF.  IV,   399—429. 
Von  italienischen  Quellen   (das  vollst.  Verzeichnis   bei  Böhmer-Huber  LVT,  LVH)  sind 
die  wichtigsten :  Das  chronicon  Estense  bis  1354  resp.  1476.   Muratori  XV.    Chroniques 
anciennes    de  Savoye    bis   Ende    des    XTV.  Jahrh.     MM.  hist.  Patriae  SS.  I.     Cronaca 
della  cittä  di  Perugia.  1309 — 1491.     Arch.   stör.  Ital.  XVIa.     Cronica  di  Pisa,    1089  bis 
1389.     Muratori  XV.     Cronica  Sanese  di  Neri  di  Donato  da  Siena,  1352 — 1381.     Mura- 
tori   XV.     Cortusiorum    historia    de    novitatibus    Paduae    et    Lombardiae,    1256 — 1358. 
Murat.  XH.     Johannis    Porta    de    Annoniaco    modus    coronationis    Caroli    Romanorum 
imperatoris  IV,    ed.  Höfler.   Beitt.  z    Gesch.  Böhmens  I.  2.  Bd.  Prag  1864.     Sozomenus 
presb.  Pistoriensis,   Specimen  historiae,    1362 — 1455.     Muratori    XVI.     Am    wichtigsten 
ist:  Villani  Giovanni,    Cronica  bis  1348,   fortgesetzt  v.  dessen  Bruder  Matteo    bis   1363 
und  von  des  letzteren  Sohn  Filippo  bis  1364.     Murat.  XTJT  u.  XIV.    Separat  auch  von 
A.  Racheli.     Trieste  1857.     Die    ungarischen  u.  polnischen  Quellen   sowie    die  Quellen 
zur  Geschichte  des  Papsttums  s.  bei  den  entsprechenden  Paragraphen. 

Hilfsschriften.  Hauptwerk  (aber  noch  nicht  ganz  vollendet):  Werunsky, 
Gesch.  Karls  TV.  u.  seiner  Zeit.  3  Bde.  Innsbr.  1880 — 1893.  Lindner,  Geschichte 
d.  d.  Reiches  unter  den  Habsburgern  u.  Luxemburgern.  2  Bde.  Die  allgem.  Werke 
zur  allgem.  mittelalterlichen,  deutschen,  bayrischen,  österreichischen,  böhmischen, 
mährischen  etc.  Gesch.  s.  oben.  Von  älteren  Darstellungen :  Pelzel,  Gesch.  Karls  IV., 
Königs  v.  Böhmen.    2  Bde.  Dresden  1783.    Für  einzelne  Perioden  u.  einzelne  Ereignisse: 


Karls  Anfänge  als  deutscher  König.  295 

L.  Worthmann,  Die  Wahl  Karls  IV.  zum  röm.  König.  Bresl.  1875.  Freyberg, 
Die  Stellung  der  Geistlichkeit  zur  Wahl  und  Anerkennung  Karls  IV.  Halle  1880. 
Mating-Samler,  Karl  IV.  v.  Lützelb.  Chemnitz  1872.  Janson,  Das  Königtum 
Günters  v.  Schwarzburg.  Leipzig  1880  (s.  DWSt.  Nr.  3054).  Rassow,  D.  Königt. 
G.  v.  Schw.  Progr.  Wolgast  1887.  Für  die  Beziehungen  zum  Papsttum  u.  Italien. 
Aufser  den  allg.  Werken  y.  Gregorovius  u.a.:  Palm,  Ital.  Ereignisse  in  den  ersten 
Jahren  Karls  IV.  Gott.  1873.  Werunsky,  Die  it.  Politik  Papst  Innozenz'  VI.  u. 
König  Karls'  IV.,  1353 — 1354.  Innsbr.  1878.  Der  erste  Römerzug  K.  Karls'  IV.  Innsbr. 
1878.  C  i  p  o  1 1  a ,  Karl  IV.  in  Mantua.  MJÖG.  in.  Menzel,  Ital.  Politik  K.  Karls'  IV. 
1355—1368.  Halle  1880.  1347—1368.  Progr.  Blankenburg  1898.  Stoy,  Die  pol.  Be- 
ziehungen zw.  Kaiser  u.  Papst  1360 — 1364.  Strafsb.  1881.  Matthes,  Der  zweite 
Römerzug  K.  Karls'.  Halle  1880.  Warnecke,  Der  zweite  Römerzug  K.  Karls  IV. 
Jena  1881.     Fournier,  Le  royaume  d'Arles  s.  unten. 

Bez.  zu  Frankreich:  Gottlob,  Karls  IV.  priv.  u.  pol.  Beziehungen  zu  Frankreich. 
Innsbr.  1883.  Scholz,  Die  Zusammenkunft  Karls  IV.  u.  Karls  V.  von  Frankreich 
1378.  Progr.  Brieg  1878.  Winkelmann,  Die  Bez.  Karls  IV.  zum  Königreich  Arelat. 
Strafsburg  1882.  Leroux,  Recherches  critiques  sur  les  relations  politiques  de  la 
France  avec  l'Allemagne  1292 — 1378.  Paris  1882.  Höfler,  Aus  Avignon  Abh. 
böhm.  G.  d.  W.  VI,  Ser.  I.  Prag  1868.  Beziehungen  Karls  IV.  zum  arelat.  Königreich, 
ib.  1865.  Zu  Österreich :  H  u  b  e  r ,  Gesch.  d  Vereinig,  wie  oben.  Gesch.  d.  Herzogs 
Rudolfs  IV.  Innsbr.  1865.  Steinherz,  Karl  IV.  und  die  österr.  Freiheitsbriefe. 
MJÖG.  IX.  Wi  1  h  e  1  m ,  Die  Erwerbung  Tirols  durch  Rudolf  v.  Österreich.  MJÖG.  XXIV. 
Kurz,  Österr.  unter  Rudolf  IV.  Linz  1818.  Österr.  unter  Albrecht  H.,  ib.  1821. 
Unter  Albrecht  DU.  1827.  Zu  Ungarn:  Steinherz,  Die  Bez.  Ludwig  I  zu  Karl  IV. 
MJÖG.  VIQ,  IX.  Zu  Witteisbach:  Riezler,  wie  oben.  Lindner,  Karl  IV.  und  die 
Witteisbacher  MJÖG.  XH.  Palm,  Zu  Karls  IV.  Politik  gegen  Bayern.  Forsch,  XV. 
Theuner,  Der  Übergang  der  Mark  Brandenburg  von  d.  Wittelsb.  an  das  Luxem- 
burgische Haus.  Berl.  1887.  (S.  Mark,  Forsch.  XIX.)  Kl  öden,  Die  Mark  Brandenb. 
unter  Karl  IV.  3  A.  Berl.  1890.  Diplom.  Gesch.  des  Markgrafen  Waldemar  1295  bis 
1323.  Berl.  1844.  Scholz,  Die  Erwerbung  der  Mark  Brandenb.  durch  Karl  IV. 
Breslau  1874.  Glasschröder,  Markwart  v.  Randeck,  Bisch,  v.  Augsb.  u.  Aquil.  Stud. 
z.  Gesch.  Ludwigs  des  Bayers  u.  Karls'  IV.  Z.  hist.  Ver.  Schwaben  u.  Neub.  XV,  XX, 
XXI.  Ahrens,  Die  Weitiner  u.  K.  Karl  IV.  1364—79.  Leipz.  1895.  Ferdinand, 
Kuno  v.  Falkenstein.  Erzb.  v.  Trier.  Diss.  1885.  Grünhagen,  Schlesien  unter 
Karl  IV.  ZVG.  Schles.  XVU.  Lippert,  Wettiner  u.  Witteisbacher  u.  d.  Lausitz  im 
14.  Jahrh.  Dresd.  1894.  Allgemeines:  Kroger,  Der  Einflufs  u.  die  Politik  K.  Karls  IV. 
bei  der  Besetzung  der  d.  Reichsbistümer.  Münster  1885  Friedjung,  K.  Karl  IV. 
u.  sein  Anteil  am  geistigen  Leben  seiner  Zeit.  Wien  1876.  Nuglisch,  D.  Finanzw. 
d.  d.  Reiches  unter  Karl  IV.  Strafsb.  1899.  K.  Burdach,  w.  oben.  Hecker,  Der 
schwarze  Tod  im  14.  Jahrh.  Berl.  1832.  NA.  1865.  Höniger,  Der  schwarze  Tod  in 
Deutschland.  Berl.  1882.  Lechner,  Das  grofse  Sterben.  Innsbr.  1884.  Rebouis, 
Etüde  historique  et  critique  sur  la  peste.  Paris  1888.  Lechner,  Die  grofse  Geifsel- 
fahrt  des  Jahres  1349.  HJb.  V.  S  auch  DWSt.  Nr.  3071— 3077.  Die  Königs  wähl 
Wenzels  s.  unten . 

1.  Für  die  Luxemburger  war  Kaiser  Ludwigs  Tod  ein  glückliches 
Ereignis,  ohne  das  sich  das  Königtum  Karls  IV.  ebensowenig  behauptet 
hätte  als  jenes  Friedrichs  des  Schönen.  Vor  diesem  hatte  er  freilich 
noch  die  unbedingte  Unterstützung  der  Kurie  voraus.  Um  sich  ihre 
Geneigtheit  zu  erhalten,  enthielt  er  sich  bis  zu  seiner  Approbation  aller 
Regierungshandlungen  und  liefs  sich  erst  zum  König  krönen,  als  diese 
erfolgt  war.1)  Dafür  hatte  er  freilich  die  dem  Papste  schon  früher  ge- 
machten Konzessionen   noch  mehrmals2)   erneuern  müssen.      Er  leistete 

*)  Te  nominavimus  in  regem  Romanorum.  Keine  blofse  Anerkennungsformel, 
s.  Werunsky  II,  74. 

2)  Im  ganzen  fünfmal.    Kegg.  XVI. 


296  Karl  IV.  und  die  Kurie.     Wahl  Eduards  m.     Seine  Ablehnung. 

dein  Papste  den  Treueid1)  und  schrieb,  dafs  er  seinen  Titel  » König  der 
Römer«  als  abhängig  von  Rom  betrachte.2)  Schliefslich  überliefs  er  dem 
päpstlichen  Stuhle  die  Lehensrechte,  die  das  Reich  noch  in  Avignon 
hatte.  Trotzdem  bekundete  die  Kurie  keine  hohe  Achtung  vor  ihm. 
Er  wurde  dort  »Söldling  und  Eilbote  der  Kurie«  genannt3),  und  hatte 
trotz  der  päpstlichen  Unterstützung  in  Deutschland  die  gröfsten  Schwierig- 
keiten zu  überwinden.  Die  wittelsbachische  Partei  hatte  zu  seinem  Glücke 
keinen  geeigneten  Kandidaten ;  dem  Markgrafen  von  Brandenburg,  der 
im  übrigen  ein  besserer  Heerführer  als  Diplomat  war,  stand  der  schlimme 
Ruf  wegen  seiner  tirolischen  Heirat  im  Wege.  Während  seine  Partei 
nach  einem  Thronkandidaten  suchte,  gewann  Karl  auf  seinem  Königs- 
ritt von  Cham  über  Regensburg  und  Nürnberg  durch  Franken,  Schwaben, 
den  Elsafs  und  die  mittleren  Rheingegenden  viele  Anhänger,  unter  die 
er  mit  verschwenderischer  Hand  Privilegien  und  sonstige  Vergabungen 
austeilte.  Noch  über  den  Tod  hinaus  erfuhr  der  »verdammte  Bayer« 
den  Hafs  der  Kurie.  Ihre  Ansprüche  waren  stark  gesteigert:  Niemand 
soll  als  König  und  Kaiser  anerkannt  werden,  der  nicht  von  der  Kirche 
approbiert  sei.4)  An  einzelnen  Orten  wie  Basel  traten  die  Bürger,  ja 
selbst  der  Klerus  Verunglimpfungen  des  Verstorbenen  entgegen.  Sie 
wollten  nicht  glauben,  dafs  Ludwig  je  ein  Ketzer  gewesen;  dagegen 
waren  sie  bereit,  den  von  der  Mehrheit  der  Kurfürsten  Gewählten,  auch 
ohne  des  Papstes  Approbation  als  König  und  Kaiser  anzuerkennen.5) 
Karl  mufste  hier  wie  an  andern  Orten  nachgeben.  Als  er  im  Februar 
1348  nach  Böhmen  zurückkehrte,  hatte  er  in  einem  grofsen  Teile  des 
Reiches  die  Huldigung  erhalten. 

2.  Mittlerweile  wählten  seine  Gegner ,  der  abgesetzte  Erzbischof 
Heinrich  von  Mainz,  der  Pfalzgraf,  der  Markgraf  von  Brandenburg  und 
Herzog  Erich  von  Sachsen-Lauenburg,  Eduard  III.  von  England  zum 
König.  Doch  gewann  ihn  Karl  IV.  für  sich,  indem  er  die  Erbrechte 
der  jüngeren  Schwestern  des  verstorbenen  Grafen  Wilhelm  von  Holland 
anerkannte.6)  Beide  schlofsen  einen  Bundesvertrag,  der,  um  den  Papst 
nicht  zu  verletzen,  seine  Spitze  allerdings  nicht  gegen  Frankreich  richten 
durfte.  Eduard  leimte  nun  die  Krone  ab  (10.  Mai).  Von  ausschlag- 
gebender Bedeutung  war  die  Stellungnahme  der  Habsburger.  Unter- 
handlungen,  die  Herzog  Albrecht  mit  Karl  IV.  gepflogen,  führten  (Juni) 
zu  einem  engeren  Bunde,  indem  der  König  seine  Tochter  Katharina  mit 
Albrechts  Sohn  Rudolf  verlobte.  Die  Habsburger  nahmen  nun  ihre 
Lehen  von  Karl  IV.  Die  Witteisbacher  stellten  dagegen  den  Markgrafen 
Friedrich  von  Meifsen,  in  dessen  Person  die  Erinnerung  an  das  Haus 
der  Staufer  wieder  lebendig  wurde7),  als  Thronkandidaten  auf.  Es  geschah 


x)  S.  aber  Werunsky  II,  75. 

2)  Regg.  253,  333. 

3)  Höfler,  Aus  Avignon,  30 

4)  Werunsky  II,  100. 

6)  Matth.  Nüw.,  cap.  98. 

«)  Böhmer-Huber,  355.     Riezler,  G.  B.  in,  6. 

7)  Abnepote  Friderici  imp.    Matth.  Xlvwenb.,  ed.  Studer,  153. 


Die  Witteisbacher  und  Karl  IV.     Der  falsche  Waldemar.  297 

in  der  Zeit,  als  sich  in  Nürnberg  ein  Umschwung  zugunsten  der  Witteis- 
bacher vollzog.  Doch  gelang  es  Karl,  ihre  Macht  zu  schwächen,  indem 
er  den  Herzog  Barnim  von  Pommern  von  seiner  Abhängigkeit  von 
Brandenburg  befreite  und  Albrecht  und  Johann  von  Mecklenburg,  denen 
er  das  bisher  brandenburgische  Lehen  Stargard  als  Lehen  des  Reiches 
übergab,  zu  Herzogen  und  deutschen  Reichsfürsten  erhob.  Die  Versuche 
Albrechts  von  Österreich  zwischen  Witteisbach  und  Luxemburg  zu  ver- 
mitteln, zerschlugen  sich,  als  die  Witteisbacher  von  der  holländischen  Ab- 
machung vernahmen.  Rachedürstend  schwur  der  Brandenburger,  den 
»Böhmen«  niemals  als  römischen  König  anzuerkennen.1)  Aber  nicht 
lange  hernach  gewann  Karl  IV.  nicht  blofs  den  Meifsner  durch  Geld 
und  andere  Versprechungen,  er  wufste  auch  ein  abenteuerliches  Gerücht, 
das  jetzt  durch  das  ganze  Reich  ging,  zum  Schaden  der 
Witteisbacher  auszunützen.  Anfangs  August  1348  verbreitete  sich  die 
Kunde,  Waldemar  von  Brandenburg,  von  dem  man  glaubte,  dafs  er 
vor  29  Jahren  gestorben,  sei  nicht  tot.  Er  habe  damals,  von  schwerer 
Gewissensqual  über  seine  nahe  Verwandtschaft  mit  seiner  Gemahlin 
Agnes  gepeinigt,  einen  andern  —  einen  einstigen  Gaukler  —  an  seiner 
Statt  beerdigen  lassen  und  dann  eine  Pilgerfahrt  nach  Palästina  unter- 
nommen. Es  war  ein  offenkundiger  Betrug,  denn  Waldemar  hatte 
wegen  seiner  Verwandtschaft  mit  Agnes  vom  Papste  Dispens  erhalten, 
konnte  also  nicht  deswegen  von  Gewissenbissen  gequält  sein.  Der  Be- 
trüger —  ein  Bauer  und  Müller  —  benützte  seine  Ähnlichkeit  mit  dem 
Gestorbenen  und  wufste  sich  einen  solchen  Glauben  im  Volke  zu  ver- 
schaffen, dafs  noch  im  August  25  Städte  der  Mark  auf  seine  Seite 
traten.  Es  rächte  sich  jetzt,  dafs  Markgraf  Ludwig  es  nicht  verstanden 
hatte,  sich  dort  einen  starken  Anhang  zu  schaffen,  sich  am  liebsten  im 
heimatlichen  Süden  aufhielt  und  die  Beamtenstellen  in  der  Mark  mit 
Bayern  besetzte.  Dazu  kam  seine  Ehe  mit  Margareta  und  sein 
schlechtes  Verhältnis  zur  Kirche :  all  das  gestaltete  seine  Stellung  zu 
einer  schwierigen.  Unsicher  ist,  ob  Karl  IV.  von  dem  Betrug  gewufst. 
Von  den  benachbarten  Fürsten  erkannten  jene,  die  mit  der  Verleihung 
der  Mark  an  Ludwig  nicht  einverstanden  gewesen  (s.  oben),  den  Präten- 
denten an,  und  am  2.  Oktober  1348  erteilte  ihm  Karl  IV.  die  Belehnung,  nicht 
ohne  sich  zuvor  die  Niederlausitz  abtreten  zu  lassen.  Für  den  Fall  von 
Waidemars  unbeerbtem  Tode  wurden  Ludwigs  Gegner,  die  Herzoge 
Rudolf  und  Otto  von  Sachsen  und  die  Grafen  Albrecht  und  Waldemar 
von  Anhalt,  belehnt.  Markgraf  Ludwig  hatte  die  ihm  in  Brandenburg 
drohende  Gefahr  bisher  unterschätzt.  Nun  eilte  er  dahin  und  wurde 
die  Seele  des  Widerstandes  der  ganzen  wittelsbachischen  Partei.  Zwar 
wurde  Ruprecht  der  Jüngere  von  der  Pfalz  gefangen,  Ludwig  selbst 
aber  schlug  die  Angriffe  Karls  und  seiner  Verbündeten  auf  Frank- 
furt a,  d.  0.  siegreich  ab. 

3.    Um  dem  König  erfolgreicher  entgegentreten  zu  können,  wählte 
die   wittelsbachische   Partei    am   30.    Januar    1349    den  Grafen    Günter 

x)  Regg.  723  a. 


298      Wahl  u.  Tod  Günters  v.  Schwarzburg.    Frieden  Karl  IV.  ni.  d.  "Witteisbachern. 

von  Schwarzburg  zum  König.  Ein  treuer  Anhänger  der  Witteis- 
bacher, hatte  er  sich  bisher  trotz  seiner  unbedeutenden  Hausmacht  durch 
kriegerische  Tüchtigkeit  einen  .Namen  gemacht.  Aber  Karl  verstand  es, 
die  Interessen  der  pfälzischen  von  denen  der  bayrischen  Witteisbacher 
zu  trennen.  Seit  dem  1.  August  1348  Witwer,  gewann  er  die  Hand  der 
Prinzessin  Anna,  der  einzigen  Tochter  des  Pfalzgrafen  Rudolf  und  er- 
langte hiedurch  nicht  blofs  die  wertvolle  Unterstützung  der  Pfalz,  sondern 
auch  die  Anwartschaft  auf  Rudolfs  Besitz.  Günters  Lage  wurde  um  so 
hoffnungsloser,  als  er  einem  unheilbaren  Siechtum  verfiel.  Nun  gaben 
ihn  auch  die  bayrischen  Witteisbacher  preis;  am  26.  Mai  1349  ver- 
zichtete er  gegen  Zahlung  von  20000  Mark  Silber  auf  die  königliche 
Würde,  erlag  aber  schon  nach  wenigen  Wochen  seiner  Krankheit.  In 
weiten  Kreisen  verbreitete  sich  das  Gerücht,  ein  Frankfurter  Arzt,  von 
Karl  IV.  bestochen,  habe  ihm  Gift  gereicht ;  aber  Günter  starb  nicht 
an  Gift,  auch  nicht  an  jener  entsetzlichen  Pest  —  dem  schwarzen  Tod, 
wie  man  sie  100  Jahre  später  nannte  —  die  damals  ganz  Europa  ver- 
heerte und  in  deren  Gefolge  eine  schwere  Judenverfolgung  und  die 
grofse  Geifslerbewegung  auftraten,  sondern  an  den  Folgen  eines  Schlag- 
flusses, der  ihn  bereits  am  9.  April  getroffen  hatte.  Inzwischen  hatte 
Karl  IV.  auch  mit  seinen  übrigen  Gegnern  Frieden  geschlossen.  Er 
erklärte,  weder  Gerlach  von  Mainz  gegen  Heinrich  von  Virneburg,  noch 
den  falschen  Waldemar,  den  er  bezeichnenderweise  noch  jetzt  seinen 
Vetter  nennt,  gegen  den  Markgrafen  Ludwig  zu  unterstützen,  seine  An- 
sprüche auf  Kärnten,  Tirol  und  Görz  aufzugeben,  endlich  dahin  zu 
wirken,  dafs  Ludwig  vom  Banne  gelöst  werde.  Unter  solchen  Umständen 
erkannte  dieser  Karls  Königtum  an.  Karl  liefs  sich  nun  nochmals,  dies- 
mal zu  Aachen,  krönen  (1349,  25.  Juli).  Neue  Mifshelligkeiten  zwischen 
ihm  und  dem  Brandenburger  wurden  unter  der  Vermittlung  des  Pfälzers 
beigelegt.  Jetzt  erst  gab  Karl  IV.  den  falschen  Waldemar  preis  und 
und  belehnte  Ludwig  mit  der  Mark  (1350,  16.  Februar).  Dagegen  lieferten 
die  bayrischen  Witteisbacher  die  bisher  in  München  aufbewahrten 
Reichskleinodien  aus.  Sie  wurden  nach  Prag  überführt :  ein  äufseres 
Zeichen  dafür,  dafs  die  Vormacht  im  Reiche  von  den  Witteisbachern 
an  die  Luxenburger  übergegangen  sei.1) 

§  70.  Der  äufsere  und  innere  Ausbau  der  luxemburgischen  Hausmacht. 

Zu  den  oben  verz.  Quellen :  Die  Maiestas  Karolina  u.  der  Ordo  iudicii  terrae  im 
Cod.  iur.  Boh.  H.  Darstellungen:  F.  Pelzel,  Die  Majest.  Karol.  MVGDB.  VI,  69—78. 
Werunsky,  Die  MK..  Z.  d.  Savignystiftung  IX.  Gesch.  Karls  IV.  HI,  76.  Die  Aktenst. 
zur  Gesch.  der  Prag.  Univ.  MM.  hist  univ.  Prag.  4  Bde.  Prag  1830—48.  Tomek, 
Gesch.  der  Prag.  Univ.  1849.  Paulsen,  Gesch.  d.  gelehrten  Unterr.  Leipz.  1885. 
S.  auch  HZ.  XLV,  258.  Werunsky,  Gesch.  Karls  IV.  II,  331.  Denifle,  Die  Uni- 
versitäten des  MA  I.  Kaufmann,  Gesch.  d.  d.  Univ.  II.  Höfler,  Magister  Hus. 
Prag  1864.  S.  93— 112.     Burdach,  wie  oben.     Die  Lit.  zur  Tiroler  Frage  s.  §  76 

1.  Hatte  Karl  IV.  den  Besitz  der  deutschen  Krone  vor  allem  des- 
wegen   erstrebt,    um    sich    vor   Verlusten   wie    es   jener   Tirols   war,    zu 


x)  Riezler  HI,  30. 


Der  äufsere  Ausbau  der  lux.  Hausmacht.  299 

sichern,  so  benützte  er  seine  Stellung  nunmehr  vornehmlich  zur 
Festigung  und  Mehrung  seines  Hausbesitzes.  Das  Beispiel  seines  Vor- 
gängers hatte  gelehrt,  dafs  dies  auch  bei  den  jetzigen  Zuständen  des 
Reiches  noch  aussichtsvoll  sei,  und  Karl  erreichte  in  unablässiger,  mehr 
als  zwanzigjähriger  Arbeit,  dafs  das  luxemburgische  Hausgebiet  die  be- 
deutendste Macht  in  Mitteleuropa  repräsentierte.1)  Diese  Mehrung,  die 
keineswegs  eine  äufserliche  und  lose  sein  sollte,  sondern  auf  die  Dauer 
berechnet  war2),  vollzog  sich  meist  durch  friedliche  Mittel :  durch  seine 
überlegene  Diplomatie,  seine  Heiraten  und  Erb  vertrage  mit  benachbarten 
Fürstenhäusern.  Zwar  starb  seine  zweite  Gemahlin  Anna  von  der  Pfalz  noch 
vor  ihrem  Vater,  nichtsdestoweniger  wufste  Karl  sich  die  an  Böhmen 
grenzenden  Teile  der  Oberpfalz  zu  sichern3),  so  dafs  die  Grenzen 
Böhmens  bis  vor  die  Tore  Nürnbergs  vorgeschoben  wurden.  Die  Oppo- 
sition Ludwigs  von  Brandenburg  beseitigte  er  dadurch,  dafs  er  die 
Interessen  der  einzelnen  Zweige  des  wittelsbachischen  Hauses  gegeneinander 
kehrte.  Durch  seine  Vermählung  mit  Anna,  der  Nichte  und  Erbin  Herzog 
Bolkos  von  Schweidnitz  und  Jauer,  gewann  er  die  Anwartschaft  auf 
diese  schlesischen  Herzogtümer,  die  bisher  noch  ausserhalb  des  böhmi- 
schen Lehensverbandes  standen.  Die  bedeutendste  Erwerbung,  die  der 
Mark  Brandenburg,  hängt  mit  Ereignissen  zusammen,  die  den  Ver- 
lust der  unter  so  schweren  Opfern  erworbenen  Grafschaft  Tirol  für  das 
Haus  Witteisbach  zur  Folge  hatten.  Am  13.  Januar  1363  war  Herzog 
Meinhard,  Sohn  des  1361  gestorbenen  Markgrafen  Ludwig  des  Älteren 
von  Brandenburg  und  Margaretas,  ohne  direkte  Erben  zu  hinterlassen, 
gestorben.  Schon  bei  Meinhards  Lebzeiten  hatte  Albrecht  IL  von 
Österreich  alle  Vorsichtsmafsregeln  getroffen,  dessen  Erbe  seinem  Hause 
zu  sichern.  Kaum  hatte  Rudolf  IV.  von  Österreich,  der  seinem  Vater 
Albrecht  IL  (1358)  in  der  Regierung  gefolgt  war,  vom  Tode  Meinhards 
Kunde  erhalten,  so  bewog  er  Margareta,  Tirol  und  ihre  Witwengüter 
in  Bayern  an  die  Herzoge  von  Österreich,  als  ihre  nächsten  Verwandten, 
zu  übergeben  (1363,  26.  Januar).  Hatte  das  kühne  Vorgehen  Rudolfs 
die  Hoffnungen  Karls  IV.,  dereinst  Tirol  zurückzugewinnen,  vernichtet, 
so  erhielt  er  doch  nunmehr  die  Anwartschaft  auf  einen  andern  nicht 
minder  reichen  Erwerb.  Nach  Meinhards  Tode  hätte  Oberbayern  an 
seine  Oheime,  die  Markgrafen  Ludwig  den  Römer4)  und  Otto  von 
Brandenburg,  fallen  sollen,  denen  Meinhards  Vater  (1351)  Brandenburg 
gegen  den  Alleinbesitz  Oberbayerns  überlassen  hatte.  Nun  rifs  aber  ihr 
Bruder  Stephan  von  Bayern-Landshut  Oberbayern  an  sich.  Allerdings 
lag  die  Vereinigung  der  ober-  und  niederbayrischen  Länder  im  Interesse 
Bayerns,    auch   bot   Stephans    Charakter   eine   bessere  Garantie  für  eine 


*)  Der  Umfang  der  luxemburgischen  Macht  bei  Werunsky  II,  325. 

2)  Daher   wird   in   den  Urkk.  betont,    dafs    die  Vereinigung   des    neuen  Erwerbs 
mit  dem  älteren  Besitz  für  ewige  Zeiten  gelten  solle.    S.  Huber,  Regg.  653. 

3)  Auch  diesen  Besitz  erklärte  Karl  IV.  als  unveräuf serlichen   Bestandteil 
des  Königreichs  Böhmen  (Regg.  2019)  u.  ähnlich  bezügl.  Brandenburgs  Regg.  536. 

4)  So   genannt,    weil    er   als    erster   geboren  wurde,    als    sein  Vater  Kaiser   war. 
Riezler  H,  453. 


300     Erwerbungen  der  Luxemburger.    Der  innere  Ausbau  der  lux.  Hausruacht. 

tüchtige  Regierung,  als  jene  der  beiden  Brandenburger,  die  sich  in  der 
Mark  wenig  bewährt  hatten ;  aber  sein  Vorgehen  hatte  diese  aufs  tiefste 
erbittert.  Sie  schlössen  sich  eng  an  den  Luxemburger  an,  und 
Karl  nützte  den  Streit  im  wittelsbachischen  Hause  meisterhaft  aus. 
Schon  am  18.  März  1363  überliefsen  sie  für  den  Fall,  als  sie  ohne 
männliche  Leibeserben  sterben  würden ,  Brandenburg  und  die  Lausitz 
an  Wenzel,  den  Sohn  Karls  IV.  und  dessen  andere  Erben,  wogegen 
Karl  seine  Tochter  Elisabeth  dem  Markgrafen  Otto  verlobte.  So  wurden 
die  übrigen  Witteisbacher  schon  jetzt  von  der  Nachfolge  in  Branden- 
burg ausgeschlossen,  und  so  ging  auch  diese  zweite  grofse  Erwerbung 
Kaiser  Ludwigs  für  sein  Haus  verloren.  Otto  heiratete  übrigens  nicht 
Elisabeth,  sondern  Katharina,  die  älteste  Tochter  des  Kaisers  und  Witwe 
Herzog  Rudolfs  von  Osterreich.  Da  die  Ehe  kinderlos  blieb  und 
Ludwig  der  Römer  bereits  1366  starb,  war  der  Anfall  Brandenburgs  an 
Böhmen  nur  eine  Frage  der  Zeit  (s.  unten).  Die  Lausitz  war  1360  von 
den  Brandenburgern  an  Meifsen  verpfändet  worden ;  1364  von  Karl  IV. 
ausgelöst  und  an  Bolko  von  Schweidnitz  übergeben,  kam  sie  schon  drei 
Jahre  später  durch  Kauf  an  Böhmen.  Mit  Österreich  und  Ungarn 
schlofs  Karl  Erbverträge,  durch  welche  die  Aussichten  der  Luxemburger 
noch  viel  glänzender  wurden,  namentlich  hatte  es  1364,  als  der  Erb- 
vertrag zwischen  Luxemburg  und  Habsburg  zustande  kam,  eher  den 
Anschein,  es  würde  Luxenburg  das  Haus  Habsburg  beerben,  als  umge- 
kehrt. Ungeachtet  seiner  Beteuerungen,  die  in  seinen  Händen  vereinigte 
Macht  beisammen  zu  halten,  überliefs  Karl  IV.  schon  1349  Mähren  als 
böhmisches  Mannslehen  seinem  Bruder  Johann  Heinrich,  gab  dem 
jüngsten  Bruder,  Wenzel,  die  Grafschaft  Luxemburg  und  erhob  sie 
(1354)  zu  einem  Fürsten-  und  Herzogtum.  (Die  übrigen  Teilungen 
s.  unten.) 

2.  Als  ein  Monarch ,  der  aus  eigener  Erfahrung  die  meiste  Be- 
lehrung zog,  war  Karl  IV.  entschlossen,  das  böhmische  Königtum  auf 
jene  unverrückbare  Grundlage  zu  stellen,  auf  der  er  in  seiner  Jugend, 
ehe  noch  die  Stürme  des  englisch  -  französischen  Thronstreites  über 
Frankreich  hinweggingen ,  das  französische  gefunden  hatte ;  danach 
sollte  das  Reich  einheitlich  verwaltet,  die  Justiz  geregelt,  die  materiellen 
und  geistigen  Kräfte  des  Landes  gehoben  und  Sicherheit  in  Handel 
und  Wandel  hergestellt  werden.  Zur  Durchführung  seiner  Reformen 
fehlte  es  nicht  an  geeigneten  Kräften.  Das  Beste  freilich  leistete  er 
selbst.  Unter  seinen  Beratern  ragt  Arnest  von  Pardubitz  hervor,  seit  1343 
Bischof,  seit  1344  Erzbischof  von  Prag,  ein  tüchtiger  Staatsmann  und  Kirchen- 
fürst,  'dem  Böhmen  die  Herstellung  geordneter  Zustände  auf  kirchlichem 
Gebiete  dankte.  Neben  ihm  steht  der  Kanzler  Johann  von  Neumarkt,  seit 
1354  Bischof  von  Olmütz,  einer  der  bedeutendsten  Staatsmänner  des 
karolinischen  Zeitalters,  bis  gegnerischer  Einflufs  ihn  aus  seiner  Stellung 
verdrängte.  Er  war  es,  der  die  Reform  der  königlichen  Kanzlei  durch- 
führte, den  König  auf  seinen  Reisen  begleitete,  mit  ihm  Italien  besuchte 
und,  in  nahen  Beziehungen  zu  Petrarca  stehend,  mit  diesem  der  neuen 
humanistischen     Richtung     (s.    unten)     huldigte.       Seit     Karl     IV.    die 


Die  Majestas  Karolina.  301 

Reichskanzlei  dem  Einflufs  der  drei  Erzkanzler1)  entrückte  und  unter 
die  Leitung  eines  eigenen  Hofbeamten  stellte,  womit  sie  aus  der  geist- 
lichen Sphäre  in  die  einer  Staatsbehörde,  aus  dem  Zustand  schwanken- 
den Umherirrens  in  feste  Verbindung  mit  dem  Mittelpunkt  des  Reiches 
gebracht  wurde,  gab  es  einen  wirklichen  Hofkanzler  in  neuerem  Sinne.2) 
Gleichzeitig  bildete  sich  ein  fest  organisierter  Hof  rat  aus,  der  einem 
modernen  Staatministerium  vergleichbar  war.  Damit  war  die  Grund- 
lage für  die  Entwicklung  eines  weltlichen  Staatsbeamtentums  gegeben. 
Um  Böhmen  von  jeder  auswärtigen  Abhängigkeit  zu  lösen,  wurde  der 
uralte  Verband  der  Prager  Kirche  mit  Mainz  gelöst,  das  Bistum  Prag 
(1344)  zum  Erzbistum  erhoben  und  Salbung  und  Krönung  der  Könige 
Böhmens  dem  Erzbischof  von  Prag  zugewiesen.  Indem  Arnest  von 
Pardubitz  sein  Krönungsrecht  zum  erstenmal  ausübte  (1347,  2.  September), 
kam  ein  neues  Krönungsritual  zur  Anwendung,  das  bezeichnender  Weise 
kein  anderes  war,  als  das  der  Könige  von  Frankreich  und  in  seinem 
Ursprung  bis  in  die  Zeiten  der  Karolinger  zurückreicht.3)  Wohl  be- 
stätigte Karl  den  böhmischen  und  mährischen  Ständen  ihre  alten 
Privilegien,  vornehmlich  die,  dafs  die  Amter  an  Landesangehörige  ver- 
liehen und  der  Adel  des  Landes  nicht  zu  Kriegsdiensten  aufser  Land 
verwendet  werden  dürfe,4)  schränkte  aber  schon  im  folgenden  Jahre  das  den 
Grofsen  zustehende  Recht  der  Königswahl  auf  den  einzigen  Fall  ein, 
dafs  vom  königlichen  Stamm  weder  ein  männlicher  noch  ein  weiblicher 
Sprosse  mehr  vorhanden  sei.  Hiedurch  sollte  der  Wiederkehr  von  Zu- 
ständen vorgebeugt  werden,  wie  sie  nach  dem  Aussterben  der  nationalen 
Dynastie  in  Böhmen  geherrscht  hatten.  Diese  Anordnung  bedeutete 
eine  starke  Beschränkung  der  ständischen  Befugnisse. 

Die  gleiche  Richtung  verfolgen  die  einleitenden  Sätze 6)  jenes  Gesetzbuches, 
das  er  im  Lande  einzuführen  gedachte  und  das  wesentlich  im  Hinblick  auf  die  unter 
König  Johann  eingerissene  Anarchie  zusammengestellt  wurde.  Die  vorhandenen  Übel- 
stände  mit  der  Wurzel  auszutilgen,  dachte  Karl  schon  1348  daran,  ein  böhmisches 
Landrecht  abfassen  zu  lassen,  eine  Arbeit,  die,  schon  von  Ottokar  II.  und  Wenzel  II. 
in  Aussicht  genommen,  daran  gescheitert  war,  dafs  der  böhmische  Adel  dafür  nicht 
gewonnen  werden  konnte,  weil  er  von  der  Einführung  eines  geschriebenen  Gesetzes 
eine  Verminderung  seines  Einflusses  auf  die  Rechtspflege  befürchtete,  die  er  gewohnt 
war,  in  seinem  Interesse  auszubeuten.  Die  Arbeit,  für  die  Karl  IV.  vielleicht  auch  die 
Vorarbeiten  seiner  Vorgänger  benützte,  zog  sich  lange  hinaus,  und  erst  als  er 
von  seinem  Römerzuge  heimgekehrt  war,  konnte  er  dem  Landtag  den  Entwurf  eines 
böhmischen  Landrechtes  vorlegen 6),  dessen  wichtigste  Bestimmungen  auf  eine  starke 
Kräftigung   der   königlichen    Gewalt   abzielen  und  die  Würde  und  Macht  und  das  An- 


*)  Von  Mainz,  Köln  und  Trier. 

2)  Burdach,  S.  172. 

3)  Loserth,  Die  Krönungsordnung  der  Könige  von  Böhmen.   AÖG.  LIV. 

4)  Böhmer-Huber,  336,  663. 

5)  Majestas  Karolina,  Prooemium  5  in  Jirecek  Cod.  iur.  Boh.  H,  2,  105/6 :  regno 
ipso  variis  turoinious  et  procellis  iactato,  multimode  coepit  primum  iustitiae  potestas 
tremenda  tepescere  .  .  .  Die  Zeit,  »da  die  Verwegenheit  und  Menge  der  Verbrechen  an- 
wuchs, Raub  und  Mord  die  Strafsen  erfüllte  und  niemand  in  seiner  eigenen  Behausung- 
Sicherheit  fand,  da  sie  das  Königtum  nicht  gewähren  konnte«  etc.  .  .  . 

6)  Es  umfafst  109  Kapitel.  S.  die  ausführlichen  Erörterungen  hierüber  bei 
Werunsky  HI,  76  ff. 


302  Sorge  für  Böhmen.     Gründung  der  Universität  Prag. 

sehen  der  böhmischen  Krone  aufrecht  erhalten.1)  Schon  hier  wie  später  in  der 
Goldenen  Bulle  wird  Böhmens  Stellung  im  deutschen  Reiche  eine  privilegierte.  Sonst 
werden  vornehmlich  die  Rechte  des  Königs  als  des  > Obereigentümers c  des  Kloster- 
gutes und  sein  Verhalten  in  Streitsachen  wider  ihn  herausgehoben.  Xur  unbe- 
scholtene, im  Lande  ansässige  und  der  Landessprache  kundige  Personen  sollen 
zu  Beamten  genommen,  die  Rechtspflege  unparteiisch  und  jede  Einmischung  ausge 
schlössen  sein.  Als  Majestäts verbrechen  wird  unter  andern  auch  die  Ketzerei  be- 
zeichnet ;  ihre  Strafe  ist  der  Feuertod.  So  nutzbringend  die  Gesetzgebung  Karls  dem 
Lande  und  seinen  Bewohnern  gewesen  wäre,  die  Barone  versagten,  zunächst  aus  den- 
selben Gründen  wie  früher,  ihre  Zustimmung ;  der  Hauptgrund  war  zweifellos 
der  scharfe,  den  Baronen  wenig  zusagende,  auf  die  Mehrung  der  königlichen  Macht 
gerichtete  Zug  des  Entwurfs.  Doch  gelang  es  dem  König,  einzelne  wichtigere  An- 
ordnungen beim  nächsten  Landtag  durchzusetzen,  wobei  er  sich  freilich  in  der  Haupt- 
sache auf  die  Herstellung  des  Landfriedens  beschränkte. 

3.  Für  die  Aufrechthaltung  des  Landfriedens  setzte  er  alle  seine 
Kräfte  ein.  In  diesem  Sinne  hatte  er  schon  1347  den  schlesischen 
Herzogen  untersagt,  widereinander  Krieg  zu  führen;  nunmehr  verfolgte 
er  den  Räuberunfug  im  Lande  in  unerbittlicher  Weise.  Im  Hinblick 
auf  diese  Tätigkeit  schien  seine  Regierung  den  Späteren  als  die  gute 
alte  Zeit.'2)  Hatte  Karl  IV.  die  grofsen  Vorteile,  die  ein  kräftiger  Bürger- 
stand dem  Königtum  gewährte,  kennen  gelernt,  so  wurde  dieser  nun 
auch  in  Böhmen  in  jeder  Weise  gefördert.3)  Diesem  Zwecke  galt  die 
Gründung  der  Neustadt  Prag,  die  Xeugründung  städtischer  Gemein- 
wesen und  die  Ausgestaltung  älterer ;  das  Gedeihen  aller  wurde  durch 
Gewährung  von  Nutzungen  und  Auflagen,  Unterstützung  gemeinnütziger 
Unternehmungen,  Hebung  des  Handwerks,  Erschliefsung  neuer  Erwerbs- 
zweige, Anlage  und  Sicherung  von  Handelsstrafsen  wesentlich  gefördert. 
Die  gröfste  Förderung  erhielt  die  Hauptstadt  durch  die  Errichtung  des 
Studium  generale  —  der  ersten  Universität  im  deutschen  Reiche  —  im 
Jahre  1348. 

Auch  hier  war  französisches  Vorbild  mafsgebend*):  aber  Karl  war  auch  ohnedies 
ein  Fürst,  der  wie  kein  zweiter  unter  den  Zeitgenossen  in  der  Pflege  des  Unterrichts 
und  Förderung  der  Wissenschaft  eine  der  wichtigsten  Aufgaben  der  Fürsten  erkannt 
hat,  und  in  der  Tat  hat  kein  zweiter  an  der  Gründung  und  Förderung  so  vieler  Uni- 
versitäten mitgewirkt  als  Karl  IV. :  er  hat  die  Generalstudien  von  Arezzo  und  Pavia, 
Orange,  Genf  und  Lucca  gestiftet,  von  denen  freilich  die  beiden  letzten  nicht  ins 
Leben  getreten  sind,  und  hat  den  Universitäten  von  Siena  und  Florenz  wichtige  Privi- 
legien verliehen.  Durch  die  Gründung  einer  Universität  auf  dem  Boden  des  deutschen 
Reiches  bewirkte  er,  dafs  der  Einflufs  der  italienischen  und  französischen  Kultur  auf 
Deutschland  ein  stärkerer  wurde  als  früher.  Schon  am  26.  Januar  1347  gab  Klemens  VI. 
die  Bewilligung,  dafs  in  Prag  ein  Studium  generale  aufgerichtet  werde,  und  in  der 
Stiftungsurkunde   vom   7.  April  1348    spricht  Karl  IV.  den  Wunsch  aus,   dafs  Böhmen 


x)  Dahin  gehört  z.  B.  Kap.  15 :  De  prohibita  divisione  terrarum  regni  oder  De 
regina  Boemiae  secundo  nubente.  Zweifellos  ist  auf  die  skandalöse  Verbindung  Kunigundens 
mit  Zawisch  von  Falkenstein  hingewiesen.  Wenn  in  Zukunft  ein  solches  Ereignis  ein 
treten  sollte,  verliert  die  Witwe  ihre  Witwenbezüge  und  mufs  aus  dem  Land  weichen. 

2)  Ludolf  v.  Sagan  (Zeitgenosse),  ed.  Loserth.  AÖG.  LX,  408:  Gloriosus  iste 
princeps  Karolus  .  .  .  in  regno  Bohemorum  tantarn  pacis  procuravit  habundanciam.  ut 
non  levaret  in  eo  gens  contra  g entern  .  .  .  In  silvis  et  in  rupibus  pax  fuit  et  securitas, 
ut  nee  depredari  formidare  haberent.  qui  aurum  publice  in  via  portare  vellent. 

3)  Einzelheiten  bei  Bachmann,  S.  821  ff. 

4)  S.  Benesch,  S.  350:    *ad  modum  et  consuetudinem  studii  Parisiensis*  .  .  . 


Karl  IV.  und  die  Landfriedensbündnisse.  303 

aufser  den  Gütern,  womit  die  Natur  es  so  reich  bedacht  hat,  auch  eine  Fülle  ein- 
sichtiger Männer  erhalte,  damit  seine  Bewohner  ihren  Wissensdurst  nicht  bei  fremden 
Völkern  zu  stillen  gezwungen  seien,  sondern  ihn  daheim  zu  befriedigen  und  selbst 
wissensdurstige  Jünglinge  anzulocken  vermögen ;  das  letztere  traf,  wenn  auch  nicht 
gleich,  denn  die  Universität  hatte  anfänglich  unter  finanziellen  Schwierigkeiten  zu 
leiden  *),  doch  noch  während  der  Regierungszeit  Karls  IV.  ein.2)  Der  neuen  Univer- 
sität und  ihren  Gliedern  wurden  alle  jene  Vergünstigungen  zugesichert,  deren  sich 
die  Mitglieder  der  Universitäten  Paris  und  Bologna  zu  erfreuen  hatten:  die  Fähigkeit, 
Statuten  mit  bindender  Kraft  zu  machen,  eigene  Gerichtsbarkeit,  besonderer  Schutz 
und  Freiheit  von  Zöllen.  Unsicher  ist,  ob  die  Universität  gleich  von  Anfang  an  in 
die  vier  Nationen  der  Böhmen,  Bayern,  Polen  und  Sachsen  gegliedert  war,  oder  ob, 
was  wahrscheinlicher  ist,  diese  Gliederung  erst  später  erfolgte.3) 


§  71.    Karl  IT.  und  die  Landfriedensbündnisse.    Die  Kämpfe  in  der 
Schweiz.    Die  Beziehungen  Karls  IV.  zur  Kirche. 

E.  Fischer,  Die  Landfriedensverfassung  unter  Karl  IV.  Göttingen  1883.  V  i  e  1  a  u, 
Beiträge  zur  Gesch.  d.  Landfriedens  unter  Karl  IV.  Halle  1877.  Mendthal,  Die  Städte- 
bündnisse und  Landfrieden  in  Westfalen.  Königsb.  1879.  Kelleter,  Die  Landfriedens- 
bündnisse  zwischen  Maas  u.  Rhein  im  14.  Jahrh.  1888.  Zurbonsen,  wie  oben.  Frei- 
berg,  Die  Stellung  der  Geistlichkeit  zur  Wahl  u.  Anerkennung  Karls  IV.  Halle  1880. 
Kroger,  Der  Einflufs  u.  die  Politik  Karls  IV.  bei  der  Besetzung  der  deutschen  Reichs- 
bistümer. Münster  1885.  L  o  e  g  e  1 ,  Die  Bischofswahlen  zu  Münster,  Osnabrück  und 
Paderborn  seit  dem  Interregnum  bis  zum  Tode  Urbans  VI.    Münster  1883. 

1.  Karl  IV.  schlofs  mit  mächtigen  Herren  oder  Städten  Landfriedens- 
bündnisse  oder  begünstigte  jene,  die  ohne  sein  Zutun  entstanden 
waren.  Diese  Bündnisse  bezweckten  die  Hintanhaltung  von  Fehden, 
die  Erhaltung  der  Sicherheit  der  Strafsen  und  die  Gewährung  von  Schutz 
und  Hilfe  für  alle  Mitglieder.  Zur  wirksameren  Betätigung  ihrer  Auf- 
gabe traten  einzelne  Bündnisse  miteinander  in  Verbindung,  ja  mitunter 
gehören  einzelne  Herren  und  Städte  mehreren  an.  Um  die  Landfriedens- 
bestimmungen durchzuführen,  wird  von  den  Bündnissen  ein  gemeiner 
Landfriedenszoll  erhoben.  Landfriedensbrecher  werden  strenge  gestraft4); 
wenn  sie  über  eine  gröfsere  Macht,  über  Burgen  und  Schlösser  verfügen, 
wird  das  ganze  Landfriedensaufgebot  gegen  sie  geschickt  und  die  Schul- 
digen zur  Anerkennung  des  Landfriedens  gezwungen.    Der  Schwerpunkt 


x)  Paulsen,  HZ.  XLV,  258,  Werunsky  II,  336.  Besser  dotiert  wurde  die  Univ. 
erst  1366,  was  mit  der  Eivalität  mit  der  in  Wien  1365  gestifteten  Univ.  zusammenhängt. 

2)  Da  Benesch  noch  vor  Karl  IV.  starb,  ist  seine  Angabe  wichtig :  Et  facta  est 
civitas  Pragensis  ex  studio  huiusmodi  famosa  et  celebris  in  terris  alienis  etc.  Die 
erste  Einrichtung  ist   noch  aus  Franz  v.  Prag,  Königs.  Gesch.-Quell.  S.  600  ersichtlich. 

3)  Werunsky,  S.  334. 

4)  »Es  soll  ein  schädlicher  Mann,  der  in  einer  Stadt  verfestet  ist,  verfestet 
sein  in  allen  Städten  und  Landen  des  Friedens.  Jeder,  in  dessen  Gebiet  er  kommt, 
hat  die  Pflicht,  ihn  festzunehmen  und  entweder  selbst  zu  richten  oder  einer  andern 
Behörde  auszuliefern.  Ein  solcher  Friedensbrecher  hat  keinen  Anspruch  auf  irgend 
welchen  Schutz  und  Unterstützung:  kein  freies  Geleit,  kein  feiler  Kauf  wird  ihm 
gewährt.  Jeder  darf  ihn  angreifen  oder  berauben,  im  Notfalle  selbst  töten,  ohne 
damit  einen  Bruch  des  Landfriedens  begangen  zu  haben,«  usw.  Fischer,  S.  15. 
Welche  »richterliche»  Strafen  den  Friedensbrecher  oder  seine  Gehilfen  erwarten,  wird 
in  den  Urkk.  nirgends  genau  angegeben. 


304  Organisation  des  Landfriedens.     Die  Eidgenossen  und  Habsburg. 

der  Bündnisse  liegt  in  den  Behörden,  denen  die  Leitung  ihrer  An- 
gelegenheiten anvertraut  ist.  In  der  Zeit  von  1340  bis  in  die  Tage 
König  Wenzels  steht  an  der  Spitze  des  Bundes  eine  Geschworenen- 
kommission, die  als  oberste  Gerichtsbehörde  im  Gebiete  des  Landfriedens 
fungiert.  Die  Zahl  der  Geschworenen  war  in  den  einzelnen  Bündnissen 
verschieden.  Sie  schwankt  zwischen  5  und  15.  In  den  kaiserlichen 
Landfriedensbündnissen  wird  der  Obmann  vom  Kaiser  ernannt.  Die 
fränkischen,  bayrischen  und  schwäbischen  sind  meist  kaiserliche,  d.  h. 
unter  persönlicher  Beteiligung  des  Kaisers  oder  auf  dessen  Aufforderung 
auf  2 — 3,  höchstens  4  Jahre  geschlossene  Landfriedensbündnisse.  Die 
erstgenannten  gehen  noch  auf  Ludwig  den  Bayer  zurück;  so  auch  die 
rheinischen,  und  wetterauischen,  soweit  sie  unter  Beteiligung  des  Kaisers 
geschlossen  sind.  Die  älteste  Geschichte  haben  die  westfälischen,  die 
schon  seit  der  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  bestanden  und  bei  denen  eine 
unmittelbare  Beteiligung  des  Kaisers  nicht  stattfand.  In  Brandenburg 
und  den  Ostseeländern  wurden  in  der  Zeit  des  falschen  AValdemar  und 
dann  wieder,  als  die  Mark  an  den  Kaiser  kam,  für  Thüringen  1372 
unter  Beteiligung  des  Kaisers,  für  Sachsen  1348  und  1372  ohne  diesen, 
Landfriedensbündnisse  geschlossen.  Es  war  sonach  ein  ganzes  Xetz. 
das  über  Deutschland  gezogen  wurde.  Die  Organisation  des  Landfriedens 
dehnte  sich  auch  auf  jene  Gegenden  aus,  wo  es  infolge  allzu  starker  Zer- 
splitterung an  einer  mächtigen  Territorialherrschaft  fehlte. 1)  Diese 
Tätigkeit  wurde  unter  den  folgenden  Kaisern  fortgesetzt,  Erst  unter 
Maximilian  I.    erfolgte    wieder  ein  direktes  Eingreifen  der  Reichsgewalt. 

2.  Trotz  aller  Landfriedensbündnisse  konnten  Kriege  einzelner 
Reichsstände  untereinander  nicht  verhütet  werden.  Am  bedeutendsten 
war  jener  Kampf,  der  zur  Ausdehnung  des  Bundes  der  schweizerischen 
Eidgenossen  über  seine  ursprünglichen  Grenzen  geführt  hat.  Nachdem 
die  habsburgische  Stadt  Luzern  (1332)  mit  den  drei  Waldstätten  einen 
ewigen  Bund  geschlossen  hatte,  wurde  sie  zwar  wieder  unterworfen, 
wartete  aber  nur  auf  den  Augenblick,  um  die  österreichische  Herrschaft 
abzuschütteln.  Dieser  fand  sich,  als  die  aus  Zürich  vertriebenen  patrizi- 
schen  Geschlechter  mit  Hilfe  des  Grafen  Johannes  von  Habsburg  (Rappers- 
wyl)  den  Versuch  machten  (die  Züricher  Mordnacht  am  23.  Februar 
1350),  das  Regiment  der  Zünfte  zu  stürzen.  Die  Verschwörung  mifslang, 
und  Rapperswyl  wurde  erobert.  Da  nun  Albrecht  IL  in  die  Sache  ein- 
griff, schlössen  die  Züricher  mit  Schwyz,  Uri,  Unterwaiden  und  Luzern 
einen  ewigen  Bund.  Es  kam  zum  Kriege.  Zwar  einigten  sich  beide 
Teile  auf  die  Einsetzung  eines  Schiedsgerichts,  da  aber  von  habsburgischer 
Seite  nicht  blofs  Vergütung  des  Schadens,  sondern  auch  die  Unterwerfung 
von  Schwyz  und  Unterwaiden  unter  die  Herrschaft  Habsburgs  verlangt 
wurde,  brach  der  Krieg  von  neuem  aus.  Die  Eidgenossen  gewannen 
(1352)  Glarus,  das  sich  dem  Bunde  anschlofs,  und  eroberten  Zug,  das 
zum  Beitritt    gezwungen   wurde.     Im   folgenden  Jahre  schlofs  sich  auch 


x)  Huber,    Regg.,    S.  XXII.     Dort    die    Zusammenstellung    der    einzelnen    Land- 
friedensbündnisse. 


Die  Kirchenpolitik  Karls  IV.  305 

Bern  an  die  alten  drei  Orte  an.  Mittlerweile  hatte  Markgraf  Ludwig 
von  Brandenburg,  der  auf  Habsburgs  Seite  stand,  eine  Einigung  der 
Kämpfenden  auf  Grund  des  Zustandes  vor  dem  23.  Februar  1350  zu- 
stande gebracht  (1352);  bald  kam  es  aber  zu  neuem  Streit.  Auf  die 
Klage  Albrechts  II.  rückte  Karl  IV.  selbst  an  der  Spitze  einer  Heeres- 
macht gegen  Zürich  (1354),  aber  erst  im  folgenden  Jahre  bequemte  sich 
dieses  auf  Grund  des  Vertrags  von  1352  zum  Frieden.  Glarus  und  Zug 
kehrten  unter  Habsburgs  Herrschaft  zurück,  und  auch  die  Luzerner 
wurden  gezwungen,  ihre  schuldigen  Abgaben  an  Habsburg  zu  zahlen. 
3.  Bei  seinen  Verhandlungen  mit  der  Kurie  vor  der  Königswahl 
hatte  sich  Karl  IV.  verpflichtet,  alle  auf  unrechtmäfsige  Weise  in  den 
Besitz  ihrer  Bistümer  gelangten  Bischöfe,  demnach  alle  Anhänger  Kaiser 
Ludwigs,  zu  verjagen  und  die  von  der  Kurie  ernannten  zu  unterstützen. x) 
Von  einem  freien  Wahlrecht  der  Domkapitel  ist  kaum  mehr  die  Rede; 
vielmehr  gelangt  jetzt  auch  in  Deutschland  das  System  der  päpstlichen 
Provisionen  zu  allgemeiner  Geltung.  An  die  Stelle  des  legitimen 
Einflusses,  den  die  Kapitel  bisher  auf  die  Bischofs  wählen  ausgeübt 
hatten,  trat  die  Supplikation,  die  es  den  Päpsten  ermöglichte,  das  Pro- 
visionssystem als  finanzielle  und  politische  Mafsregel  in  mafsloser  Weise 
auszubilden.  Hiedurch  wurde  ein  Episkopat  geschaffen,  der  blofs  der 
weltlichen  Politik  und  persönlichen  Vorteilen  huldigte,  wie  denn  auch 
die  Zahl  der  Bischöfe,  die  sich  die  kirchlichen  Weihen  erteilen  liefsen, 
stetig  abnahm2).  Wollte  der  König  Einflufs  auf  die  Besetzung  der  Bis- 
tümer nehmen,  so  mufste  auf  diplomatischem  Wege  auf  die  Provision 
eines  dem  Königtum  angenehmen  Kandidaten  hingewirkt  werden.  Um 
die  alten  Rechte  wenigstens  einigermafsen  aufrecht  zu  halten,  einigten 
sich  die  Domkapitel  in  der  Form  einer  Postulation  über  einen  geeigneten 
Kandidaten,  um  dessen  Provision  die  Kurie  ersucht  wurde.  Diesen 
Änderungen  trug  Karl  IV.  willig  Rechnung.  Im  übrigen  waren  seine 
Beziehungen  zu  Klemens  VI.  weniger  herzlich,  als  man  nach  der  Anteil- 
nahme des  Papstes  an  Karls  Wahl  erwarten  sollte.  Schon  seine  Ver- 
mählung mit  einer  Wittelsbacherin  war  nicht  nach  den  Wünschen  des 
Papstes,  der  die  Wahl  einer  französischen  Prinzessin  empfohlen  hatte.8) 
In  kühler  Weise  wies  der  Papst  auch  Karls  Wünsche  wegen  einer  Aus- 
söhnung der  Kurie  mit  Ludwig  dem  Brandenburger  ab,  liefs  vielmehr 
Bann  und  Interdikt  gegen  Ludwig  und  seine  Länder  nochmals  ver- 
kündigen4) und  ging  auch  weder  auf  die  Forderung  Karls,  seinen  Kanzler 
Nikolaus  von  Prag  auf  den  Erzstuhl  von  Köln  zu  befördern,  ein,  noch  kam 
er  dessen  Wünschen  entgegen,  als  er  die  Absicht  bekundete,  seinen 
Romzug  zu  unternehmen,  um  den  Frieden  unter  den  Parteien  Italiens 
herzustellen. 


*)  Theiner,  Cod.  dipl.  dorn.  temp.  S.  Sedis  II,  158. 
*)  Kroger,  2—3. 

3)  Als  hätte  das  französische  Königshaus  keinen  Philipp  den  Schönen  aufzu- 
weisen, wird  beigefügt :  que  velut  peculiaris  ipsius  ecclesie  filia  ab  eins  devotione  nun- 
quam  declinavit. 

4)  Böhmer,  Regg.,  127. 

Loserth,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  20 


306  Die  grofsen  Signorien  Oberitaliens. 


2.  Kapitel. 

Der  Eömerzug  Karls  IV.  und  die  Verhältnisse  Italiens. 

§  72.   Die  politischen  Zustände  Ober-  und  Mittelitaliens  in  der  Xitte 

des  14.  Jahrhunderts. 

S.  oben  §  56,  57  u.  69.  Dazu:  Yriarte,  Venise,  hist.  etc.  Paris  1896.  Battistella, 
La  repubblica  di  Yenezia.  Bologna  1897.  Musatti,  La  storia  pol.  di  Venezia  secondo  le 
Ultimi  ricerche.  Päd.  1897.  Lenel,  Die  Entst.  d.  Vorherrsch.  Venedigs  a.  d.  Adria. 
Strafsb.  1897.  Zu  Marino  Falier  s.  Lazzarini,  Marino  Faliero ,  La  congiura.  NA. 
Ven.  XIII.  Imperiale  di  S.  Angelo,  Caffaro  i  suoi  tempi.  Turino  1894.  Caro, 
Genua  u.  die  Mächte  am  Mittelmeere.  1257 — 1311.  Halle  1897.  Gabotto,  Storia  di 
Piemonte  n.  prima metä  d.  s.  XIV.  Torino  1894.  Cipolla,  Compendio  di  storia  politica 
di  Verona.  1900  (enthält  die  Gesch.  der  Visconti  mit  besonderer  Berücksichtigung  von 
Verona).     Perrens,  Histoire  de  Florence.    B.  IV,  1313 — 58. 

1.  Die  Ausbildung  der  Signorien  (s.  §  57)  in  Ober-  und  Mittel- 
italien war  in  der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  der  Hauptsache  nach  ab- 
geschlossen. Neben  Venedig  und  Genua,  die  ihre  republikanische  Staats- 
form bewahrt  haben,  neben  den  Dynasten  von  Montf errat,  Savoyen  u.  a., 
deren  Ursprung  ein  anderer  und  älterer  ist,  zählte  man  in  Oberitalien 
fünf  grofse  Signorien:  Mailand,  Verona,  Padua,  Mantua  und 
Ferrara;  ihnen  gelang  es,  die  nächst  gelegenen  Landschaften,  die 
kleineren  Signorien  und  die  noch  vorhandenen  republikanischen  Staats- 
formen aufzusaugen.  Koch  erinnert  die  Wahl,  die  nach  dem  Tode  eines 
Signoren  vom  grofsen  Rate  vorgenommen  und  vom  Volke  bestätigt  wird, 
an  den  demokratischen  Ursprung  der  Signorie ;  aber  diese  Wahl  wird 
allmählich  zur  leeren  Formsache,  da  der  regierende  Fürst  noch  zu  Leb- 
zeiten seinen  Sohn  oder  Bruder  zum  Mitregenten  annimmt  oder  seinen 
Stellvertreter  oder  Nachfolger  designiert.  Allmählich  ward  eine  feste  Erb- 
folge, die  Primogenitur,  eingeführt  und  damit  zugleich  die  Unteil- 
barkeit des  Staatsgebietes  ausgesprochen.  In  Verona  regierte  das  Haus 
der  Scaliger,  in  Padua  die  Carrara,  in  Mantua  die  Gonzaga, 
in  Ferrara  die  Este  und  in  Mailand  die  Visconti.  Den  letzteren 
war  es  gelungen,  die  Gebiete  von  Mailand,  Como,  Bergamo,  Brescia, 
Cremona,  Crema,  Lodi,  Novara,  Asti,  Alessandria  und  selbst  Pavia  unter 
ihre  Herrschaft  zu  bringen.  Blieben  in  den  Signorien  die  Einrichtungen 
der  republikanischen  Staatsverfassung  bestehen,  so  war  doch  der  alte 
kriegerische  Geist  und  die  Anteilnahme  am  politischen  Leben  in  dem 
Grade  erloschen,  in  welchem  ihr  Wohlstand  zunahm.  Von  einer  Geltend- 
machung der  Rechte  des  römischen  Königs  in  Ober-  und  Mittelitalien 
ist  kaum  noch  die  Rede,  dagegen  nahmen  die  Päpste  während  der  Vakanz 
des  Kaisertums  das  Reich svikariat  in  Italien  in  Anspruch.  Der  Gegen- 
satz zwischen  Guelfen  und  Ghibellinen  erlosch,  und  die  einzelnen 
Dynasten  waren  bemüht,  sich  von  jeder  Art  von  Oberherrschaft,  sei  es 
die  kaiserliche  oder  die  päpstliche,  frei  zu  halten. 


Genua.     Die  Verfassung  Venedigs.     Marin  Falieri.  307 

2.  Von  den  Republiken  Oberitaliens  gehörte  nur  Genua,  freilich 
auch  nur  dem  Namen  nach,  zum  Reiche.  War  sein  Besitz  auch  in 
Oberitalien,  auf  Korsika  und  Sardinien  ein  mäfsiger,  so  war  es  stark 
durch  seine  Kolonien  in  der  Levante  und  mit  Erfolg  an  der  Arbeit,  den 
Venezianern  die  Seeherrschaft  streitig  zu  machen.  Bei  der  Schwäche 
der  Adelsparteien  erhielt  das  Volk  dies  Übergewicht;  1339  wurde  sein 
Führer  Simone  Boccanera,  ein  volksfreundlicher  Adeliger,  als  Doge  aus- 
gerufen und  ihm  15  Räte  aus  dem  Volke  zur  Seite  gestellt.  Ein  Teil 
des  Adels  mufste  aus  der  Stadt  ziehen,  doch  schon  nach  fünf  Jahren 
nötigten  die  zurückgebliebenen  Adeligen  den  Dogen,  eine  Teilung  der 
Amter  zwischen  Adel  und  Volk  vorzunehmen.  —  Im  Gegensatz  dazu 
behauptete  die  aristokratische  Republik  in  Venedig  nicht  nur  ihre  volle 
Macht,  sondern  umgab  sie  mit  neuen  Stützen.  Die  Machtbefugnisse  des 
Dux  —  des  Dogen  —  waren  so  eingeengt,  dafs  er  kaum  mehr  als  den 
äufseren  Glanz  der  Herrschaft  behielt.  Es  war  Pietro  Gradenigo,  der 
es  als  Doge  1297  veranlafste,  dafs  das  eigentliche  Volk  von  Venedig  von 
den  Staatsämtern,  ja  selbst  von  der  Wahl  zu  diesen  und  von  der  Legis- 
lative ausgeschlossen  wurde  (Serrata  del  Gran  Consiglio,  der  Schlufs  des 
Grofsen  Rates).  Der  Grofse  Rat  —  er  bestand  aus  1200  Mitgliedern  — 
wurde  nicht  mehr  frei  gewählt,  sondern  den  ratfähigen  Familien  ent- 
nommen; 1315  wurde  ein  Buch  angelegt,  in  das  ihre  Namen  eingetragen 
wurden.  Diese  Familien  bestanden  teils  aus  Adeligen  teils  aus  den  durch 
Handel  reich  gewordenen  Kaufherren.  Der  Grofse  Rat  hatte  nicht 
blofs  die  Legislative,  sondern  auch  das  Recht,  über  Bündnisse  mit  fremden 
Mächten,  über  Krieg  und  Frieden  zu  entscheiden,  die  obersten  Beamten 
des  Staates  zu  ernennen,  Senatsbeschlüsse  aufzuheben  usw.  Aus 
seiner  Mitte  wurden  41  Wähler  genommen,  denen  die  Dogenwahl  zu- 
stand. Der  Grofse  wurde  von  dem  Kleinen  Rat,  dem  Rate  des  Dogen, 
einberufen.  Er  bestand  nur  aus  sechs  Mitgliedern,  die  mit  dem  Dogen 
nicht  verwandt  sein  durften.  Daneben  bestand  die  Quarantia,  der 
Rat  der  Vierzig,  der  im  Einvernehmen  mit  dem  Kleinen  Rate  die  Gesetzes- 
vorlagen ausarbeitete,  die  hernach  dem  Grofsen  Rate  zur  Entscheidung 
vorgelegt  wurden.  Die  Quarantia  hatte  vornehmlich  die  Justizpflege 
über  sich.  Die  sechs  Mitglieder  des  Kleinen  Rates  mit  Einschlufs  des 
Dogen  und  die  drei  Häupter  der  Quarantia  bilden  die  Signoria  von 
Venedig.  Neben  dem  ordentlichen  gab  es  noch  ein  aus  60  Personen 
bestehendes  Kollegium  der  »Erbetenen«  (Pregati,  Consiliiim  Pogatorum), 
das  von  Fall  zu  Fall,  namentlich  wenn  auswärtige  oder  Fragen  der 
Handelspolitik  zu  beraten  waren,  berufen  wurden.  Die  oberste  Polizei 
hatte  der  Rat  der  Zehn,  der,  vom  Grofsen  Rat  auf  die  Dauer  eines 
Jahres  gewählt,  sein  Augenmerk  auf  die  Aufrechthaltung  des  herrschenden 
Regiments  zu  richten  hatte.  Ihm  gelang  es  1355,  die  Verschwörung 
des  Dogen  Marin  Falieri  zu  entdecken,  der,  gestützt  auf  die  niedere 
Volksmenge,  die  Herrschaft  der  Aristokratie  brechen  und  allem  Anscheine 
nach  auch  in  Venedig  eine  starke  monarchische  Gewalt  aufrichten  wollte,  wie 
sie  in  Mailand  bestand.  Falieri  wurde  auf  derselben  Riesentreppe  ent- 
hauptet,   auf  der   er   vorher   zum  Dogen  gekrönt  worden  war;   die  Teil- 

20* 


308  Die  Herrschaft  der  Demokratie  in  Florenz  und  Toskana. 

nehmer  an  der  Verschwörung  wurden  an  den  Fenstern  des  Dogenpalastes 
aufgeknüpft.1)  Nach  aufsen  hin  umfafste  Venedig  nun  auch  die  Trevisaner 
Mark,  altes  Reichsland,  hatte  auf  Aquilejas  Kosten  eine  Anzahl  istrischer 
Städte  erworben,  beherrschte  die  Küstenstädte  und  Inseln  Dalniatiens 
und  hatte  in  den  griechischen  Gewässern  den  alten  Besitzstand  behauptet. 
Der  Gegensatz  zu  Genua  führte  1350  zu  einem  abermaligen  Krieg,  der 
die  Genuesen  zwang  (1353),  den  Erzbischof  Giovanni  Visconti  zum 
Signore  zu  erwählen.  Ihm  gelang  es,  Genua  die  alte  Stellung  wieder  zu 
verschaffen.  Die  Macht  des  Hauses  Viskonti  war  nun  freilich  so  be- 
drohlich gestiegen,  dafs  Venedig  mit  den  Signoren  von  Padua,  Mantua 
und  Verona  zu  einer  Liga  zusammentrat. 

3.  Während  sich  in  der  Lombardei  die  Signorien  ausbildeten, 
standen  in  Mittelitalien  die  alten  Republiken  noch  in  voller  Stärke  da. 
Vor  allem  in  Florenz.2)  Noch  waren  hier  nach  den  Satzungen  von 
1293  die  Adeligen  vom  Regimente  ausgeschlossen;  vollberechtigt  waren 
nur  die  Bürger  der  21  Zünfte,  an  deren  Spitze  je  einige  frei  gewählte 
oder  durchs  Los  bestimmte  Vorsteher  standen,  die  namens  der  Zunft 
die  Gewerbepolizei  und  Gerichtsbarkeit  ausübten.  Die  '  ersten  sieben 
Zünfte,  die  des  »fetten  Volkes«  (popolo  grosso),  waren  die  der  Notare, 
Tuchmacher,  Wechsler,  Wollweber,  Seidenweber,  Ärzte  und  Kürschner; 
die  übrigen  umfafsten  die  kleinen  Leute,  den  popolo  minuto.  Nahezu 
60  Jahre  hatte  das  »fette  Volk«  das  Regiment  besessen,  nun  forderten 
die  kleinen  Leute  Anteil  daran.  Mit  Hilfe  des  Adels,  der  von  einer 
Umwälzung  die  Wiederherstellung  seiner  Macht  erwartete,  und  unterstützt 
vom  popolo  minuto,  gelang  es  dem  Franzosen  Gautier  de  Brienne, 
der  zum  Herzogsgeschlechte  Athens  gehörte  (§  37)  und  daher  kurzweg 
Herzog  von  Athen  genannt  wurde,  einem  Günstling  König  Roberts  von 
Neapel,  sich  zum  Signoren  von  Florenz  auf  zuwerfen  (1341).  Aber  schon 
nach  zwei  Jahren  wurde  er  verjagt  und  vierzehn  Bürger,  je  sieben  vom  Adel 
und  vom  popolo  grasso,  mit  der  Vollmacht  ausgestattet,  den  Staat  neu  zu  kon- 
stituieren. Nach  einem  Versuch,  auch  den  Adel  am  Regimente  Anteil 
nehmen  zu  lassen,  wurde  die  Verfassung  noch  mehr  in  demokratischem 
Sinne  umgestaltet :  es  wurden  nämlich  acht  Prioren  der  Zünfte  und  ein 
Bannerherr  der  Gerechtigkeit,  der  den  Vorsitz  hatte,  eingesetzt;  zwei 
von  den  Prioren  waren  den  oberen,  je  drei  den  mittleren  und  niederen 
Zünften  entnommen,  das  Amt  des  Bannerherrn  wechselte  unter  den  drei 
Klassen  des  Volkes.3)  Der  popolo  grasßo  war  über  den  Verlust  seiner 
Herrschaft  untröstlich  und  schalt  über  die  bisher  verachteten  niederen 
Zünfte;  diese  führten  indes  das  Regiment  in  ebenso  fester  Weise,  wie 
es  die  andern  bisher  getan  hatten.  —  Ahnlich  wie  in  Florenz  lagen 
die  Dinge  in  Sie  na.  In  Pisa,  das  soeben  erst  nach  heftigen  Kämpfen 
mit  Florenz  Lucca  erworben  hatte,  stand  ein  Kriegshauptmann,  der  auch 
Signore    genannt    ward,    aber    freilich   nicht   die   Machtbefugnisse   lom- 


»)  Andr.  Danduli  Chron.,  Mur.  XII,  424. 

2)  Die  Gröfse  des  Staatsbesitzes  bei  Werunsky  II,  399. 

3)  Die  übrigen  Veränderungen  s.  bei  Werunsky  IT,  406. 


Der  Kirchenstaat.     Cola  Rienzi.  309 

bardischer  Signoren  hatte ,  an  der  Spitze  der  Regierung.  Noch  hatte 
das  Volk  hier  die  gesetzgebende  Gewalt.  Die  Exekutive  lag  in  den 
Händen  von  12  Volksältesten,  die  alle  zwei  Monate  wechselten  und 
deren  Oberhaupt  der  Cayitano  del  popolo  (Volkshauptmann)  war.  In 
Toskana  gab  es  noch  kleine  republikanische  Gewalten  in  Arezzo  und 
Volterra  und  dynastische  Herrschaften  wie  die  der  Tarlati  und  Casali,  die 
sich  aber  gegen  die  Übermacht  der  Florentiner  auf  die  Dauer  nicht  zu 
behaupten  vermochten. 

§  73.    Cola  Rienzi  und  der  Kirchenstaat.1)   Innozenz  VI.  und  die 
Mission  des  Kardinals  Albornoz. 

Quellen:  Aufser  Theiner,  Cod.  dip.  SS.  II.  Die  Statuten  von  1363,  herausg. 
von  Camillo  Re.  Rom  1880.  Die  Korrespondenz  Rienzis  im  Epistolario  di  Cola  di 
Rienzo  a  cura  di  Gabrielli.  Roma  1890.  Die  Vita  di  Cola  di  Rienzo  bei  Muratori  III, 
besser  bei  Zefirino  del  Re.  2.  ed.  Firenze  1854.  Neuere  Arbeiten :  Papencordt,  Cola 
di  Rienzo  u.  s.  Zeit.  Hamb.  1841.  Rodocanachi,  Cola  di  Rienzo.  Hist.  de  Rome 
1342 — 1354.  Paris  1888.  Filippini,  Cola  de  Rienzo  et  la  cour  d'Avignon.  Studi  storici. 
vol.  X.  Sonst,  wie  oben.  Zur  Gesch.  Innozenz'  VI.  s.  seine  Lebensbeschreibungen  bei 
Muratori  III,  2,  589  ff.  Baluze  I,  321.  Raynaldus  Annal.  Eccl.,  "Werunsky,  Excerpta 
wie  oben.  Werunsky,  Gregorovius  u.  Reuniont  s.  o.  Rodocanachi,  L'organi- 
sation  municipale  de  Rome  au  XIV  siecle.  Le-Moyen  Age,  1895,  73  ff.  Wurm,  Kar- 
dinal Albornoz,  der  zweite  Begründer  des  Kirchenstaates.    Paderb.  1892 

1.  Auch  Rom  war  in  der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  von  Partei- 
kämpfen zwischen  Adeligen  und  Bürgern  erfüllt;  doch  blieben  hier  jene 
im  Besitz  der  Regierungsgewalt.  Wohl  übertrug  das  Volk  dem  Papste 
bei  seinem  Regierungsantritt  die  oberste  Senators-  und  Hauptmanns- 
würde, er  übergab  sie  aber,  meist  auf  die  Dauer  von  sechs  Monaten, 
an  einen  Stellvertreter  aus  dem  obersten  Adel.  Die  Versuche  des  Volkes, 
die  oberste  Gewalt  in  die  eigenen  Hände  zu  nehmen,  hatten  keinen 
Erfolg,  da  Rom  auch  nicht  im  entferntesten  jene  wirtschaftliche  Blüte, 
demnach  auch  die  Zünfte  nicht  jene  Macht  aufzuweisen  vermochten  wie 
etwa  in  Mailand  und  Florenz.  Die  Adeligen  der  Campagna  und  Mari- 
tima hielten  sich  von  jeder  Abhängigkeit  von  Rom  frei  und  besafsen 
auf  ihren  Gebieten  den  Blutbann.  Die  wichtigsten  Adelsfamilien  sind 
noch  die  Colonna  und  Orsini,  zu  ihnen  treten  seit  Innozenz  III. 
die  Conti,  seit  Honorius  III.  die  Savelli,  seit  Bonifaz  VIII.  die 
Gaetani.  Neben  ihnen  gibt  es  noch  eine  gröfsere  Anzahl  hervor- 
ragender Adelsgeschlechter  wie  die  Frangipani.  Aufser  reichem  Besitz 
aufserhalb  Roms  gehören  ihnen  in  der  Stadt  starke  Burgen,  von  denen 
aus  sie  ihre  unablässigen  Kämpfe  führen.  Die  Abwesenheit  der  Päpste 
erzeugte  eine  förmliche  Anarchie,  und  die  Notlage  des  Volkes  führte 
1343  zu  einer  Umwälzung,  die  den  Hauptleuten  der  13  Stadtregionen 
die  Stellung  von  Regenten  verschaffte;  sie  bekleideten  sie  im  Namen 
des  Papstes.  Sie  sandten  damals,  ihr  Vorgehen  zu  rechtfertigen,  einen 
jungen  Notar  nach  Avignon.  Es  war  Cola  di  Rienzo.  Cola  (Nikolaus), 
nach  seinen  Angaben  1313  oder  1314  geboren,  war  der  Sohn  Maddalenas, 

*)  Die  Gröfse  des  Kirchenstaates  bei  Werunsky  II,  423. 


I 

310      Emporkommen  Rienzis.    Sein  Wirken  als  Tribun  und  Befreier  des  Volkes. 

einer  Wäscherin,  und  des  Weinschenken  Renzo  oder  Rienzo  (Lorenzo), 
der  nicht  weit  vom  Ponte  quattro  Capi  eine  ärmliche  Herberge  hielt. 
Cola  hat  sich  durch  eifrige,  wenngleich  späte  Studien  aus  niederem 
Stand  in  die  Höhe  gebracht.  Das  Studium  der  alten  Bauwerke  und  der 
Klassiker  hatte  in  ihm  die  Begeisterung  für  Roms  alte  Gröfse  und  die 
Sehnsucht,  sie  zu  erneuern,  wachgerufen.  Von  schöner  Körpergestalt, 
besafs  er  hohe  Geistesgaben,  vor  allem  eine  ungewöhnliche  Beredsam- 
keit ;  auch  sein  Stil  wird  gelobt,  wenngleich  er  nach  modernem  Geschmak 
zu  überladen  ist.  Dunkle  Gerüchte,  als  sei  er  ein  Sohn  Kaiser 
Heinrichs  VII.,  hoben  ihn  aus  der  Menge  heraus.  Daher  verschmähte 
er  es,  sich  einem  Handwerk  zu  widmen,  und  trat  in  den  Stand  der  Notare. 
Dem  Papst,  dem  die  Beredsamkeit  des  jungen  Römers  mehr  gefiel  als 
die  Umwälzung  in  Rom,  ernannte  wieder  zwei  Senatoren.  Cola  selbst 
erhielt  die  Stelle  eines  Notars  der  städtischen  Kammer  (1344  April). 
In  Avignon  lernte  er  Petrarca  kennen,  der  dort  als  Gast  des  Kardinals 
Colonna  verweilte.  Nach  Rom  zurückgekehrt,  war  er  bemüht,  auf  die 
Regierung  und  das  Volk  einzuwirken:  auf  jene,  um  die  Leiden  der 
unteren  Klassen  zu  mildern,  auf  dieses,  um  in  ihm  die  Erinnerung  an 
seine  einstige  Majestät  zu  wecken.  Beim  Volke  hatte  er  ein  leichteres 
Spiel  als  bei  den  Baronen.  Am  Pfingstfeste  1347  kam  es  zu  einer  Er- 
hebung, die  ihm  zugleich  mit  dem  päpstlichen  Vikar  Raimondo  von 
Orvieto  die  Signorie  über  Rom  verschaffte.  Raimondo  wurde  vor- 
geschoben, um  den  Papst  zu  besänftigen.  Wenige  Tage  später  liefs  er 
sich  zum  Tribunen  und  Befreier  des  Volkes  ernennen.-1)  Die 
Dauer  seines  Amtes,  für  das  er  anfangs  nur  drei  Monate  begehrte,  war 
nicht  beschränkt.  Der  Grofse  und  Kleine  Rat  der  Stadt,  die  Drei- 
zehnmänner und  Richterkollegien  blieben  bestehen.  Er  nannte  sich 
nach  seinem  phantastischen  Sinn  und  seiner  Eitelkeit:  Nikolaus,  durch 
die  Autorität  unseres  gnädigsten  Herrn  Jesus  Christus  der  Gestrenge 
und  Gnädige,  der  Tribun  der  Freiheit,  des  Friedens  und  der  Gerechtig- 
keit und  der  erlauchte  Befreier  der  römischen  Republik. 

2.  Cola  schuf  in  Rom  feste  Ordnung.  Als  sich  Stephan  Colonna 
dawider  erhob,  ward  der  Adel  auf  seine  Güter  verwiesen  und  zur  Hul- 
digung gezwungen.  Die  Richterkollegien  und  die  Zünfte  huldigten  dem 
Tribunen.  Er  stellte  mit  eiserner  Strenge  Sicherheit  des  Lebens  und 
Eigentums  in  Rom  her  und  minderte  die  Lasten  der  Bürger.  Der 
Titel  »Herrc  wurde  den  Baronen  genommen  und  nur  dem  Papst  ge- 
lassen, die  Justiz  ohne  Ansehen  der  Person  geübt,  eine  geordnete  Ver- 
waltung eingeführt,  lästige  Zölle  abgeschafft  und  die  Marktpreise  ge- 
regelt. Schon  wurden  unter  Colas  Namen  Münzen  geschlagen.  Der 
Papst,  über  diese  Neuerungen  erschreckt,  bestätigte  Cola  und  Raimondo 
als  Rektoren.  Cola  behandelte  die  päpstliche  Herrschaft  mit  Rücksicht. 
Erst,  als  er  sich  gesichert  hielt,  griff  er,  über  die  römische  Machtsphäre 
hinaus,  in  die  Verhältnisse  des  übrigen  Italien  ein.  Kommunen  und 
Signoren  Italiens  wurden  aufgefordert,  Gesandte  nach  Rom  zu  schicken, 


a)  Für  die  Einzelheiten  der  Vorgänge  s.  jetzt  "Werunsky  II,  428  ff. 


»Sein  Sturz.     Cola  und  Karl  IV.  311 

um  über  einen  allgemeinen  Frieden  zu  beraten.  Vor  diesen  erklärte  er, 
(1.  August),  dafs  die  Kaiserwahl  und  die  Herrschaft  über  das  römische 
Reich  dem  römischen  Volke  und  dem  ganzen  hl.  Italien  zustehe.  Prä- 
laten, erwählte  Kaiser  (Ludwig  und  Karl),  Kurfürsten  und  Fürsten,  die 
ein  Recht  auf  die  Kaiserwahl  beanspruchten,  wurden  bis  zum  nächsten 
Pfingsfest  vor  seinen  Richterstuhl  geladen.  Das  Volk  klatschte  Beifall, 
und  der  Protest  Raimondos  verhallte  ungehört.  Vierzehn  Tage  später 
liefs  sich  Cola  eine  silberne  Krone,  Szepter  und  einen  silbernen  Weihe- 
apfel überreichen  und  untersagte  fremden  Monarchen,  Italiens  Boden 
zu  betreten,  und  den  Italienern,  die  Parteinamen  Guelfen  und  Ghibellinen 
zu  gebrauchen.  Je  mehr  er  sich  aber  in  phantastische  Träumereien  verlor, 
desto  mehr  schwankte  der  Boden  unter  seinen  Füfsen.  Alle  seine 
Gegner,  auch  das  Papsttum,  dem  er  seine  Abwesenheit  vorwarf  und 
gegen  das  er  Verbindungen  mit  Kaiser  Ludwig  und  Ungarn  angeknüpft 
hatte,  machten  seinem  Regiment  nach  siebenmonatlicher  Dauer  ein  Ende 
(1347,  15.  Dezember).  Die  Sympathien  des  Volkes  hatte  er  verloren: 
es  klagte  über  Willkür  in  der  Verwaltung  und  die  Erhöhung  der  Salz- 
steuer. Cola  floh  nach  Neapel  und  von  da  in  die  Abruzzen.  Der 
Kardinallegat  Bertrand  hob  seine  Verordnungen  auf  und  sprach  über 
ihn  den  grofsen  Kirchenbann  aus.  Rom  selbst  verfiel  einer  ärgeren 
Anarchie  als  früher,  und  viele  Römer  wünschten  die  geordneten  Zustände 
unter  Cola  zurück.  —  Während  das  grofse  Jubiläum  von  1350  prunkvoll 
gefeiert  wurde,  lebte  Cola  in  der  Wildnis  des  Monte  Majella.  Von  den 
Fraticellen,  die  dort  hausten,  hatte  einer,  Fra  Angelo,  seine  Hoffnungen 
wieder  aufgerichtet.  Er  gab  ihm  Schreiben  an  den  römischen  König 
mit.  Fra  Angelo  meinte  wohl,  es  seien  noch  die  Zeiten  Ludwigs  des 
Bayers.  Cola  kam  nach  Prag  und  suchte  Karl  IV.  für  seine  Pläne  zu 
gewinnen.  Er  rühmte  sich  seiner  Abstammung  von  Heinrich  VII.1) 
Dann  war  ja  Karl  sein  Blutsverwandter.  Er  verhiefs,  ihn  nach  Rom 
zu  führen,  wenn  er  ihm  das  Regiment  über  die  Stadt  überlasse.  Karl 
ging  auf  Colas  Pläne,  die  ihm  viel  Ketzerisches  zu  enthalten  schienen2), 
nicht  ein.  Er  liefs  den  Tribunen  dem  Erzbischof  von  Prag  übergeben, 
der  ihn  in  seinem  Schlosse  Raudnitz  an  der  Elbe  in  strenger  Haft  hielt. 
Auch  diesen  suchte  Cola  zu  gewinnen,  aber  Arnest  tadelte  den  Joachi- 
mismus seines  Gefangenen,  den  Karl  IV.  endlich  (1251  Juli)  unter  sicherem 
Geleite  nach  Avignon  bringen  liefs.  Cola  sollte  hier  als  Werkzeug  des 
Papsttums  gebraucht  werden. 


1)  Vielleicht  hat  Cola  erst  hier  das  Märchen  erfunden,  um  seinen  Plänen  den 
Erfolg  zu  sichern.  Karl  IV.  wies  ihn  kühl  ab. 

2)  Für  Rienzi  finden  sich  einige  gute  Nachrichten  beim  Domherrn  Franz  von  Prag 
(ed.  Loserth  ind.  Königsaaler  GQ.  601) ;  sie  sind  auch  für  das  Fortleben  des  Armuts- 
ideals unter  den  Minoriten  bezeichnend :  Ein  armer  Priester  werde  Papst  werden  und 
nach  Rom  zurückgehen.  Das  werde  dann  in  Wahrheit  ein  Reich  Christi  sein:  Post 
quindecim  annos  deberet  esse  unus  pastor  et  una  fides,  et  quod  prefatus  novus  papa, 
dominus  rex  noster  et  ipse  tribunus  deberent  esse  quasi  vestigmm  sanctae  Trinitatis  — 
ein  Abbild  der  hl.  Dreieinigkeit  auf  Erden.  Der  Domherr  Franz  kannte  durch  den  Erz- 
bischof von  Prag  den  ganzen  zwischen  Cola  und  dem  Kaiser  stattgefundenen  Verkehr. 
S.  Schiefser  in  MVGDB.  XXXIV,  315. 


312  Innozenz  VI.     Die  Mission  Albornoz'  und  Colas  Ende. 

3.  Arn  6.  Dezember  1352  starb  Klemens  VI.  Die  Absicht  des 
französischen  Königs  Johann,  nach  Avignon  zu  gehen,  um  die  Neuwahl 
nach  seinem  Sinne  zu  lenken,  bewog  die  Kardinäle,  unverweilt  einen 
Papst  zu  wählen.  Nach  einem  Papst,  der  in  unerhörter  Weise  dem 
Nepotismus  gefrönt  hatte,  war  es  notwendig,  ein  sittenstrenges  Oberhaupt 
zu  wählen.  Man  dachte  an  den  im  Rufe  der  Heiligkeit  stehenden 
Generalprior  der  Kartäuser,  Jean  Birel;  gewählt  wurde  schliefslich  als 
Innozenz  VI.  (1352 — 1362)  der  Kardinalbischof  Stephan  Aubert,  aller- 
dings erst,  nachdem  er  eine  Kapitulation  beschworen,  welche  die  Macht- 
befugnisse des  Papsttums  zugunsten  der  Kardinäle  einschränkte.  Der 
Papst  erklärte  nach  seiner  Thronbesteigung  die  Kapitulation  für  nichtig, 
da  »es  offenes  Unrecht  sei,  die  von  Gott  schrankenlos  verliehene  Gewalt 
durch  menschliche  List  in  Grenzen  einzudämmen.«  In  seinem  Lebens- 
wandel, bis  auf  seine  Geldgier  und  seinen  Nepotismus,  untadelig,  begann 
er  sein  Regiment  mit  einer  Reformierung  des  päpstlichen  Hofes.  Viele 
Reservationen  wurden  eingezogen  und  streng  befohlen,  dafs  jeder  Prälat 
sich  an  den  Sitz  seines  Benefiziums  begebe.  Dadurch  wurde  die  Kurie 
von  einer  Schar  von  Müfsiggängern  befreit.  Die  Ausgaben  der  Hof- 
haltung wurden  eingeschränkt  und  kirchliche  Gnadenbezeugungen  rnafs- 
voller  als  früher'  verliehen.  Die  wichtigste  Aufgabe  erschien  einem 
Papste  von  solcher  Tatkraft  aber  die  Wiedereroberung  des 
Kirchenstaates.  Sie  wurde  dem  Kardinal  Agidius  Albornoz  zuge- 
wiesen, einem  Manne,  der  erst  gegen  die  Mauren  gefochten,  dann  Geist- 
licher geworden  war.  Am  30.  Juni  1353  zum  Legaten  für  Italien  und 
zum  Generalvikar  der  päpstlichen  Provinzen  bestimmt,  wurde  ihm  Cola 
als  Gehilfe  beigegeben.  Noch  herrschte  in  Rom  die  Erinnerung  an  die 
glückliche  Zeit  seines  Regiments.  Er  versprach,  die  Stadt  wieder  zu 
erheben.  Nach  langem  Zögern  von  Albornoz  zum  Senator  ernannt,  ver- 
traute er  wie  die  übrigen  Signoren  Italiens  mehr  fremden  Söldnern  als 
dem  eigenen  Volke.  Am  1.  August  1354  hielt  er  in  der  Stadt  einen 
feierlichen  Einzug.  Aber  bald  schlug  die  Meinung  um;  man  merkte, 
dafs  er  ein  anderer  geworden  und  wie  ein  Tyrann  regiere.  Bei  einem 
Tumulte  fand  er  am  8.  Oktober  1354  sein  Ende.  —  Selbst  seine  Leiche 
fand  bei  seinen  Feinden  keine  Gnade;  sie  wurde  geschändet.  Noch 
schlimmer  als  in  Rom  waren  die  Zustände  in  den  Provinzen  des  Kirchen- 
staates. Sie  standen  unter  Rektoren,  die  die  kurze  Zeit  ihrer  Amts- 
führung (6  Monate)  zu  ihrer  Bereicherung  benützten.  Die  Herrschaft 
des  Papsttums  befand  sich  in  förmlicher  Auflösung,  die  Barone,  grofse 
und  kleine  Kommunen  benützten  die  Anarchie,  um  ihre  Gebiete  durch 
Annexionen  zu  vergröfsern. 

§  74.    Die  Zustände  im  Königreich  Neapel. 

Quellen  s.  Capasso,  p.  120.  Theiner,  MM.  Hung.  hist.  Raynald,  Ann. 
Eccl.,  wie  oben.  Unter  den  erzählenden  Quellen  ist  die  wichtigste :  Dominicus  de 
Gravina,  Chronicon  de  rebus  in  Apulia  gestis  1333 — 1350.  Murat.  XII.  Chronicon  Estense 
u.  Villani  wie  oben.  Carraciolo,  Vita  di  Giovanna  I.  Vers.  ital.  di  S.  Angelozzi.  1901. 
Von  ungar.  Quellen :    Johannis  de  Kikullew  Hist.  Ludowici  reg.  Hung.  in  Schwandtner. 


Neapel  unter  Johanna  I.    Ermordung  ihres  Gemahls,  Andreas  v.  Ungarn.        313 

SS.  rer.  Hung.  I.  u.  Chronicon  de  gestis  Hungarorum.  Besser  als  die  in  deutscher 
Sprache  erschienenen  Werke  zur  Geschichte  Ungarns  orientieren  die  österr.  Geschichts- 
bücher von  Huber,  Krones  u.  a.  Baddeley,  Queen  Johana  I.  of  Naples,  Sicily  and 
Jerusalem.    London  1893. 

1.  Nicht  besser  als  im  Kirchenstaate  sah  es  in  Neapel  aus,  seit  König 
Robert,  der  langjährige  Führer  der  Guelfen  Italiens,  am  19.  Januar  1343 
gestorben  war.  Sein  Sohn  Herzog  Karl  von  Kalabrien  war  ihm  schon 
14  Jahre  im  Tode  vorangegangen  und  hatte  zwei  Töchter  hinterlassen, 
von  denen  die  ältere,  Johanna,  mit  dem  Prinzen  Andreas  von  Kalabrien, 
dem  zweiten  Sohne  des  verstorbenen  Königs  Karl  von  Ungarn,  vermählt 
war.  Nach  König  Roberts  letztwilliger  Verfügung  war  Johanna  alleinige 
Erbin ;  bis  zur  Vollendung  des  24.  Jahres  sollte  ihr  ein  Regentschaftsrat 
zur  Seite  stehen  und  die  Verwaltung  führen.  Roberts  Anordnungen 
hatten  den  ungarischen  Zweig  des  Hauses  Anjou  verletzt,  der  nähere 
Ansprüche  auf  Sizilien  hatte;  denn  die  Belehnungsurkunde  von  1265 
enthielt  die  Bestimmung,  dafs  in  Sizilien  immer  der  Erstgeborene  folgen 
und  Männer  den  Frauen  in  der  Nachfolge  vorangehen  sollten.  Dann 
gebührte  die  Nachfolge  dem  Prinzen  Andreas,  und  König  Ludwig  von 
Ungarn  war  entschlossen,  für  dies  Recht  seines  Bruders  einzutreten. 
Schon  1343  suchte  er  um  die  Vermittlung  Karls  IV.,  seines  Schwagers, 
beim  Papste  nach,  aber  Klemens  VI.  war  nicht  geneigt,  auf  Ludwigs 
Wünsche  einzugehen,  denn  es  schien  ihm  bedenklich,  dafs  eine  und  die- 
selbe Familie  in  Ungarn  und  Sizilien  herrsche  und  die  Hilfsquellen 
Siziliens  mehr  zu  Ungarns  als  zur  Verfügung  des  Papsttums  stünden. 
Zudem  stand  Andreas  in  Sizilien  gänzlich  vereinsamt;  die  Königin 
Johanna ,  eine  leidenschaftliche ,  genufssüchtige  und  verschwenderische 
Frau,  eine  Freundin  glanzvoller  Feste  und  in  Liebesabenteuer  verstrickt, 
hafste  den  schwerfälligen ,  ungarischen  Prinzen ,  wandte  dagegen  ihre 
ganze  Liebe  dem  Prinzen  Ludwig  von  Tarent,  einem  Brudersohn  des 
verstorbenen  Königs,  zu.  Auch  die  übrigen  Mitglieder  des  sizilischen 
Angiovinenhauses  waren  von  tiefem  Grolle  gegen  die  ungarische  Linie 
erfüllt  und  die  Mutter  Ludwigs  von  Tarent  darauf  bedacht,  den  Ehebund 
zwischen  Johanna  und  Andreas  zu  lösen,  um  ihrem  Sohne  mit  der  Hand 
der  Königin  die  Krone  Siziliens  zu  verschaffen.  Unter  solchen  Um- 
ständen zögerte  der  Papst  mit  der  Entscheidung.  Zwar  erhielt  Andreas 
den  königlichen  Titel,  aber  die  Krönung  wurde  verschoben  und  schliefslich 
Johanna  (1344,  19.  Nov.)  als  mündig  erklärt.  Am  18.  September  des 
folgenden  Jahres  wurde  Andreas  von  Anhängern  der  Königin  nach  Aversa 
gelockt1)  und  dort  erdrosselt.  Im  Dezember  gebar  die  Königin  einen 
Sohn,  Karl  Martell,  und  wählte  Papst  Klemens  VI.  zum  Paten. 

2.  Als  König  Ludwig  von  Ungarn  von  diesen  Vorgängen  Kunde 
erhielt,  forderte  er  vom  Papste  als  dem  Oberlehensherrn  Siziliens  strenges 
Gericht.  Zu  den  Mitschuldigen  wurden  aufser  der  Königin  mehrere 
Mitglieder  des  königlichen  Hauses  gerechnet.  Andreas'  nachgeborener 
Sohn  sollte  der  Königinmutter  Elisabeth,   die  Verwaltung  Siziliens  bis  zu 

*)  Nach  den  neueren  Untersuchungen  ist  der  Beweis  für  die  Mitschuld  Johannas 
nicht  erbracht  und  Karl  von  Durazzo  unschuldig.  JBG.  1897,  HI,  315. 


314  -Rachezug  König  Ludwigs  von  Ungarn  nach  Xeapel. 

seiner  Grofsjährigkeit  dem  König  Ludwig  übergeben  und  der  Königin 
Johanna  die  Wiederverraählung  mit  einem  Prinzen  des  sizilischen 
Hauses  untersagt  werden.  Der  Papst  kam  solchen  Wünschen  nur  teil- 
weise entgegen.  Die  Untersuchung  gegen  die  Mörder  wurde  lässig  ge- 
führt und  die  Hauptschuldigen  aufserhalb  der  Untersuchung  gelassen. 
Nicht  genug  daran,  heiratete  Johanna  noch  vor  Ablauf  des  Trauerjahres 
mit  päpstlicher  Einwilligung  ihren  früheren  Buhlen  Ludwig  von  Tarent. 
Auf  das  hin  beschlofs  König  Ludwig,  einen  Rachezug  nach  Italien  zu 
unternehmen.  Nachdem  er  sich  mit  Kaiser  Ludwig  verständigt  und  die 
Signorien  Italiens  bewogen  hatte,  ihm  den  Durchzug  zu  gestatten,  schickte 
er  einige  Magnaten  nüt  Geld  und  Truppen  nach  Italien ,  folgte ,  unein- 
geschüchtert  durch  die  Mahnungen  und  Drohungen  der  Kurie,  im 
November  1347  selbst  nach  und  erhielt  am  Weihnachtsfeste  zu  Aquila 
die  Huldigung  der  zahlreich  versammelten  Grofsen.  Johanna  und  ihr 
Gemahl  waren  in  die  Provence  geflohen.  Karl  von  Durrazzo  und  die 
übrigen  Prinzen  leisteten  die  Huldigung.  Karl  von  Durazzo,  der  Johannas 
Schwester  Maria  geheiratet  hatte  und  den  ungarischen  Plänen  auf  Neapel  im 
Wege  stand ,  wurde ,  wiewohl  ihm  keine  Schuld  am  Tode  des  Andreas 
nachgewiesen  wurde,  zu  Aversa  an  der  Stelle  enthauptet,  wo  Andreas 
ermordet  worden  war,  und  seine  Brüder  Ludwig  und  Robert  nebst  den 
Brüdern  Ludwigs  von  Tarent  gefangen  nach  Ungarn  geführt.  Als  Karl 
Martell,  der  nachgeborene  Sohn  des  Andreas,  gestorben  war  (1348,  19.  Juni), 
nahm  Ludwig  selbst  den  Titel  eines  Königs  von  Sizilien  an  und  begehrte 
vom  Papste  die  Krönung.  Klemens  VI.,  über  dies  Vorgehen  Ludwigs, 
der  übrigens  schon  im  Mai  1348  nach  Ungarn  zurückgekehrt  war,  in 
hohem  Grade  erbittert,  bereitete  Johanna  und  ihrer  Schwester  in  Avignon 
einen  glänzenden  Empfang  und  protestierte  gegen  die  Eingriffe  Ludwigs 
in  seine  lehensherrlichen  Rechte.  Im  übrigen  machte  sich  die  ungarische 
Herrschaft,  die  zur  Erhaltung  ihrer  militärischen  Macht  hohe  Steuern 
einhob  und  manche  Gewalttat  duldete,  in  Neapel  bald  so  verhafst,  dafs 
eine  Einladung  an  Johanna  erging,  in  ihre  Heimat  zurückzukehren. 

3.  In  ihrer  Geldnot  überliefs  Johanna  dem  Papste  gegen  Zahlung 
von  80000  Goldgulden  ihre  landesherrlichen  Rechte  auf  Avignon, 
worauf  auch  Karl  IV.,  da  Avignon  wie  die  ganze  Provence  Lehen  des 
Reiches  war,  bereitwilligst  einging  (s.  oben).  Die  vom  Papste  erhaltenen 
Geldsummen  setzten  die  Königin  in  den  Stand,  ihre  Restaurationspolitik 
in  Sizilien  wieder  aufzunehmen.  Ein  deutscher  Kondottiere,  Werner,  der 
sich  Herzog  von  Urslingen  (s.  §  6,2)  nannte  und  bisher  in  den  Diensten 
Ungarns  gestanden1)  und  der  von  Ludwig  entlassen  worden  war,  weil 
er  eben  damit  umging,  ihn  an  Johanna  zu  verraten,  trat  in  ihren  Sold; 
an  seiner  Seite  hielten  die  Königin  und  ihr  Gemahl  ihren  Einzug  in 
Neapel.  König  Ludwig  zog  im  Frühling  1350  noch  einmal  nach  Italien, 
erkannte  aber  die  Unmöglichkeit,  Neapel  von  Ungarn  aus  zu  behaupten, 
und  ging  auf  einen  von  päpstlicher  Seite  vorgeschlagenen  Vergleich  ein, 


*)  Ein  Mann,  den  die  Inschrift  seines  Wappenrockes  als   »Feind  Gottes,  des  Mit- 
leids und  Erbarmens«  bezeichnete.     S.  Werunsky,  478. 


Die  Romfahrt  Karls  IV.     Petrarca  und  Karl  IV.  315 

nach  welchem  er  gegen  Zahlung  von  300000  Goldgulden  die  gefangenen 
Prinzen  freiliefs  und  seine  eigenen  Ansprüche  auf  Neapel  aufgab.  Schliefslich 
verzichtete  er  auch  auf  die  Geldentschädigung ,  da  er  seinen  Zug  nach 
Neapel  nicht  aus  Habsucht  unterommen  habe,  sondern  um  den  grausamen 
Tod  seines  unschuldigen  Bruders  zu  rächen.1)  Wohl  wurde  der  Prozefs 
wegen  der  Mitschuld  der  Königin  in  Avignon  weitergeführt,  endete  aber 
mit  einem  Freispruch  unter  der  hohnvollen  Motivierung,  dafs  sie  zur 
Zeit  des  Mordes  verhext  gewesen  sei  und  sich  daher  in  unzurechnungs- 
fähigem Zustand  befunden  habe. 

§  75.   Der  Römerzug  Karls  IY. 

1.  Acht  Jahre  verstrichen,  bis  Karl  IV.  seine  Romfahrt  antrat. 
Befolgte  die  Kurie  seit  seiner  Versöhnung  mit  dem  wittelsbachischen 
Hause  eine  Politik  der  Zurückhaltung,  so  waren  die  Signorien  und 
Freistaaten  in  Ober-  und  Mittelitalien  im  Interesse  ihrer  Selbständigkeit 
wenig  geneigt,  das  Unternehmen  zu  unterstützen,  und  Karl  selbst  zögerte 
aus  Furcht,  in  die  Parteikämpfe  Italiens  verwickelt  zu  werden.  So  ver- 
sagte er  sich  den  Lockungen  Colas  und  wies  auch  die  Versicherungen 
Petrarcas,  dafs  ihn  Italien  mit  Sehnsucht  erwarte,  um  den  Glanz  des 
römischen  Namens  und  die  Machtfülle  des  Reiches  wieder  herzustellen, 
mit  der  kühlen  Bemerkung  ab ,  dafs  dem  Kaisertum  wohl  noch  ein 
glanzvoller  Name  geblieben,  seine  Macht  aber  gesunken  sei.  Selbst 
der  Ehrgeiz  des  Hauses  Visconti,  der  Republiken  und  Signorien  in 
gleicher  Weise  bedrohte  und  diesen  den  Anschlufs  an  den  deutschen 
König  nahelegte,  brachte  ihn  nicht  zu  einer  Änderung  seines  Ver- 
haltens. Mittlerweile  war  Albornoz  in  Italien  erschienen.  Je  be- 
deutender seine  Erfolge  waren ,  um  so  eher  glaubte  die  Kurie,  der 
Erneuerung  des  Kaisertums  entraten  zu  können ,  die  Kardinäle  be- 
fürchteten, dafs  Karl  auf  der  Rückkehr  des  Papsttums  nach  Rom  be- 
stehen würde.  Daher  zogen  sich  die  Verhandlungen  über  die  Romfahrt 
hinaus,  und  schliefslich  war  Karl  durch  die  Kämpfe  in  Deutschland  in 
Anspruch  genommen.  Erst  als  Venedig  und  die  Signoren  von  Verona, 
Padua  und  Mantua  und  der  Markgraf  von  Ferrara,  von  Mailand  bedrängt, 
erklärten,  bei  längerem  Zuwarten  der  übernommenen  Verpflichtungen 
gegen  ihn  ledig  zu  sein,  brach  er  mit  der  geringfügigen  Zahl  von  300 
Rittern  auf  und  kam  über  Udine  und  Padua  nach  Mantua.  Seine  Rom- 
fahrt hatte  vom  Aussehen  alter  Römerzüge  wenig  an  sich.  Den  Italienern 
erschien  er  wie  ein  Kaufmann,  der  zur  Messe  zieht.  In  Mantua  erhielt 
er  den  Besuch  Petrarcas,  der  sich,  auch  diesmal  vergebens,  bemühte, 
den  König  für  eine  Weltherrschaft  im  Sinne  der  alten  Imperatoren  zu 
begeistern.  Den  Antrag  des  Königs,  ihn  nach  Rom  zur  Kaiserkrönung 
zu  begleiten,  lehnte  der  von  der  Antike  begeisterte  Dichter,  den  eine 
mittelalterliche  Krönung  wenig  sympathisch  berührte,  ab.  Im  Bewufstsein 
seiner  Schwäche  vermittelte  Karl  IV.  einen  Frieden  zwischen  seinen 
Verbündeten   und   den   Visconti.      Indem    er   diesen    das   Reichsvikariat 


*)  Werunsky,  484. 


316  Huldigung  der  Florentiner.     Die  Kaiserkrönung. 

über  Mailand  überliefs,  versprachen  sie  ihm  einen  Beitrag  von  50000 
Goldgulden  zur  Kaiserkrönung.  Am  6.  Januar  1355  empfing  er  in  der 
Ambrosiuskirche  zu  Mailand  die  eiserne  Krone.  In  Pisa  wurde  er  als 
Enkel  des  unvergefslichen  Heinrich  VII.  vom  Hause  der  Gambacorta 
glänzend  empfangen.  Die  Pisaner  mochten  den  Beginn  einer  neuen  Ära 
erwarten.  Sie  übertrugen  ihm  die  Signorie  ihrer  Stadt.  Hier  erwartete 
er  seine  Gemahlin  Anna  und  die  Verstärkungen,  die  ihm  aus  Deutsch- 
land zuströmten.  Endlich  fanden  sich  auch  die  Florentiner  ein,  die  sich 
noch  in  den  letzten  Monaten  bemüht  hatten ,  eine  Liga  gegen  ihn  zu- 
stande zu  bringen.  Nachdem  ihm  Siena,  Volterra  und  einige  kleinere 
Orte  die  Signorie  übertragen  hatten,  leistete  ihm  auch  Florenz  —  einst 
die  Seele  des  Widerstandes  gegen  seinen  Grofsvater  —  die  Huldigung 
(21.  März).  Neun  Tage  zuvor  war  der  Kardinalbischof  Peter  von  Ostia 
angekommen,  der  mit  der  Kaiserkrönung  beauftragt  war.  Am  2.  April 
langte  Karl  vor  Rom  an.  Seinem  Gelöbnis  zufolge  durfte  er  die  Stadt 
nur  am  Krönungstage  betreten.  Daher  zog  er,  in  Pilgergewandung  in  die 
Stadt  und  besuchte  ihre  Kirchen  und  Heiligtümer.  Den  feierlichen  Einzug 
hielt  er  am  Ostersonntag  (5.  April).  Nachdem  er  die  dem  Papst  ge- 
schworenen Eide  erneuert,  vollzog  der  Legat  an  ihm  und  der  Königin 
in  St.  Peter  die  Krönung;  Karl  wiederholte  auch  die  von  ihm  als 
römischem  König  dem  Papst  geleisteten  Eide  und  bestätigte  der  Kirche 
ihre  Rechte  und  ihren  Besitz.  Noch  an  demselben  Tage  verliefs  er  die 
Stadt  —  zur  gröfsten  Erbitterung  aller  jener,  die  seine  Ankunft  so  heifs 
ersehnt  hatten.1) 

2.  So  friedlich  wie  diese  war  lange  keine  Kaiserkrönung  vor  sich 
gegangen  —  aber  um  welchen  Preis !  Dem  Kaiser  war  jedes  Recht  auf 
die  Stadt  genommen,  von  der  er  den  Namen  trug.  Um  den  Preis  der 
tiefsten  Selbsterniedrigung  war  der  Friede  erkauft,  Zum  erstenmal 
waren  die  Prätensionen  der  Päpste  vollkommen  anerkannt2),  und  dies  in 
einem  Augenblick,  der  vom  völligen  Zusammenbruch  der  päpstlichen 
Weltherrschaft  nicht  weit  entfernt  war.  Vergebens  hatten  die  Römer 
den  Kaiser  aufgefordert  zu  bleiben,  die  alten  Kaiserrechte  an  sich  zunehmen 
oder  der  Stadt  die  alte  Freiheit  zurückzugeben.  Er  wollte  den  Frieden  der 
Gesamtheit  nicht  der  Rache  einzelner  aufopfern.  Den  beabsichtigten 
Zweck  hatte  er  erreicht:  alle  Parteien  erkannten  seine  Herrschaft  an 
und  nahmen  ihre  Lehen  von  ihm.  Eine  ungeheure  Anzahl  von  Ver- 
fügungen, die  er  an  seinem  Krönungstag  traf,  hielt  die  Erinnerung  daran 
fest;  dann  zog  er  fort,  nicht  ohne  die  Römer  ermahnt  zu  haben,  dem 
Papste  treu  zu  bleiben.  In  Pisa  kam  es  zu  einem  Tumulte;  es  war 
nämlich  das  Gerücht  verbreitet,  er  wolle  Lucca  den  Pisanern  entziehen. 
In  der  Nacht  vom  20.  auf  den  21.  Mai  wurde  in  seinem  Palaste  Feuer 
gelegt;  nur  mit  Lebensgefahr  konnte  er  sich  retten.  Am  folgenden  Tage 
brach  ein  von  den  Gambacorta  angestifteter  Aufstand  aus,  der  mühsam 


x)  Petrarca:  0  infamem  diem !  0 pudendum  foedus !  Caesar  hie  noster  rapto  dia- 
demate  in  Germaniam  abiit  patriis  latebris  et  nomine  contentus  imperii  ■  .  .  Quem  recu- 
peraturum  perdita  sperabamus,  suum  servare  non  audet. 

2)  Werunsky  II,  575. 


Ergebnis  der  Romfahrt.     Gesetzgebung  im  deutschen  Reiche.  317 

unterdrückt  und  strenge  bestraft  wurde.  Sieben  Bürger,  unter  ihnen 
drei  vom  Hause  Gambacorta,  wurden  enthauptet.  Der  Aufenthalt  in 
Pisa,  wo  die  Gebeine  seines  Grofsvaters  ruhten,  ja  selbst  in  Italien,  war 
dem  Kaiser  verleidet.  So  rasch  er  konnte,  eilte  er  heim.  Einem 
Flüchtling  gleich,  durchzog  er  die  Lombardei.  »Wenn  dir«,  schreibt 
Petrarca,  »auf  deiner  Heimkehr  dein  Vater  oder  dein  Grofsvater  be- 
gegnet wären,  was  meinst  du  wohl,  dafs  sie  gesagt  hätten?«  In  Cremona 
wurde  er  erst  nach  zweistündigem  Warten  und  nur  ohne  Waffen  und 
ohne  grofse  Begleitung  eingelassen.  Am  3.  Juli  1355  langte  er  in 
Augsburg  an.  Mit  kühlem  nüchternen  Blick  betrachtete  man  in  Deutsch- 
land diese  Romfahrt.  Die  meisten  Chronisten  sprechen  nicht  davon. 
Doch  hatte  sie  immerhin  ein  wichtiges  Ergebnis :  Was  die  Päpste  seit 
Johann  XXII.  eifrig  erstrebten,  den  Zusammenhang  zwischen  Deutsch- 
land und  Italien  völlig  aufzulösen,  hatte  sich  als  undurchführbar  erwiesen. 


3.  Kapitel. 

Die  Gesetzgebung  Karls  IV.  im  deutschen  Reiche. 
Der  zweite  Romzag. 

§  76.  Die  Goldene  Bulle.   Karl  IV.  und  Rudolf  IV.  von  Österreich. 

Der  Text  der  Gold.  Bulle,  ein  Abdruck  des  Harnackschen  mit  den  Verbesse- 
rungen Lindners  und  Brefslaus  bei  Altmann  und  Bernheim,  Ausgew.  Urkk.  Altere 
Drucke  bei  Böhmer-Huber,  Regg.,  2397  und  Potthast  I,  194  ff  Harnack,  Das  Kur- 
fürstenkollegium bis  zur  Mitte  des  14  Jahrh.  1883.  Dort  S.  202  der  kritische  Abdruck 
der  ältesten  Ausfertigung  d.  g.  B.  Lindner,  Die  G.  B.  u.  ihre  Originalausfertigungen. 
MJÖG.  V.  Harnack,  Die  älteste  Ausfertigung  der  G.  B.  Forsch,  z.  d.  G.  XXIV.  Lindner, 
Über  d.  G.  B.  ib.  XXV.  Nerger,  D.  G.  B.  nach  ihrem  Ursprung  und  reichsrecht- 
lichen Inhalt.  Prenzl.  1877.  Hahn,  Ursprung  u.  Bedeutung  d.  G.  Bulle.  Breslau  1902. 
Von  älteren  Arbeiten:  Olenschlager,  Neue  Erläuterungen  der  Goldenen  Bulle. 
Frankf.  1766.  Zur  Gesch.  Rudolfs  von  Österreich:  Kurz,  Österreich  unter  Herzog 
Rudolf  IV.  Linz  1820.  Hub  er,  Gesch.  Rudolfs  IV.  Innsbruck  1865.  Wilhelm,  Die 
Erwerbung  Tirols  durch  Herzog  Rudolf  von  Österreich.  MJÖG.  XXTV,  29  ff.  Die  Lit. 
über  die  österr.  Privilegien  in  Doeberl,  MM.  Germ,  selecta  IV,  86—99.  Doch  ist 
noch  Fr.  Kürschner,  die  Urkk.  H.  Rudolfs  IV.  AÖG.  XLIX  anzufügen.  Jäger, 
Francesco  Petrarcas  Briefe  an  Karl  IV.  etc.    AÖG.  XXXVffl. 

1.  Wie  Karl  IV.  der  Rechtsunsicherheit  in  seinen  Erblanden  durch 
Einführung  eines  geschriebenen  Landrechtes  abhelfen  wollte,  so  galt  es 
auch  im  Reiche,  die  Quellen  jener  Streitigkeiten  zu  verstopfen,  die  seit 
dem  Königtum  Adolfs  von  Nassau  die  ruhige  Entwicklung  der  Dinge 
gestört  hatten.  Demgemäfs  wurden  dem  Reichstage  in  Nürnberg  (1355, 
November),  folgende  Gegenstände  zur  Beratung  und  Beschlufsfassung 
vorgelegt:  1.  Die  Bestimmung,  wer  als  Kurfürst  zu  gelten  habe,  2.  die 
Verbesserung  der  Münze,  3.  die  Verminderung  der  Zölle,  4.  die  Errich- 
tung eines  Landfriedens  und  5.  die  Entscheidung  der  Königswahl  durch 
die  Majorität  der  Kurfürsten.  Die  letzte  Frage  war  zweifelsohne  die 
wichtigste,  sollte  in  Zukunft  jeder  Streit  um  das  Reich  vermieden  werden 
und   ihre  Regelung  im  Augenblicke   um  so  leichter,  als  der  Kaiser  mit 


318  Die  Goldene  Bulle.     Ihr  Inhalt 

allen  Kurfürsten  auf  gutem  Fufs  stand.  Gab  es  über  die  Siebenzahl 
der  Stimmen  keinen  Streit,  so  war  es  doch  bei  dem  Umstand,  als  einige 
Kurhäuser  in  mehrere  Linien  zerfallen  waren,  unsicher,  welche  die  wahl- 
berechtigte sei.  Von  den  beiden  sächsischen  Stimmen  der  Wittenberger 
und  Lauenburger  war  diese  die  ältere,  hatte  aber  geringeres  Ansehen, 
keinen  bedeutenden  Besitz  und  zerfiel  auch  ihrerseits  in  mehrere  Linien, 
auch  war  sie  noch  zuletzt  auf  Seiten  der  Gegner  Karls  zu  finden;  da- 
gegen hatten  die  Wittenberger  seit  König  Rudolf  die  Kur  ausgeübt  und 
erschienen  sonach  als  die  beati  possidentes.  Gewichtige  Gründe  sprachen 
sonach  dafür,  ihnen  die  Kurwürde  zuzuweisen.  Im  Wittelsbachischen 
Hause  sollte  nach  dem  Familien  vertrag  von  1329  das  Kurrecht  zwischen 
Pfalz  und  Bayern  wechseln,  nun  wurde  es  endgültig  der  pfälzischen 
Linie  zugesprochen.  Die  bayrische  Linie  konnte  sich  bei  dieser  Ent- 
scheidung beruhigen,  weil  sie  ohnehin  im  Besitz  der  Brandenburgischen 
Kur  war.  Am  10.  Januar  1356  wurden  in  feierlicher  Weise  die  23  ersten 
Kapitel  der  Goldenen  Bulle  publiziert.  Sie  nimmt  von  dem  biblischen 
Satz  ihren  Ausgang,  dafs  jedes  Reich,  das  in  sich  geteilt  ist,  zu  Grunde 
gehen  mufs.  Schon  habe  die  Zwietracht  auch  die  Kurfürsten  ergriffen, 
durch  die  wie  durch  einen  siebenarmigen  im  Lichterglanz  strahlenden 
Leuchter  das  Reich  erhellt  werden  soll.  Es  folgen  nun  zuerst  die  Be- 
stimmungen über  den  Vorgang  bei  der  Wahl,  über  den  Rang  und  die 
Rechte  der  Wähler  und  ihre  Beziehungen  zu  den  andern  Fürsten. 

Kurfürsten  sind  die  Erzbischöfe  von  Mainz,  Köln  und  Trier,  als  die  Erzkanzler 
für  Deutschland,  Italien  und  das  linksrheinische  Land  (mit  Ausnahme  des  Elsafs  und 
des  Kölner  Erzsprengeis;  nebst  dem  Königreich  Arelat.  Haupt  der  Reichskanzlei  ist, 
in  dessen  Amtsbezirk  der  Kaiser  verweilt ;  freilich  hat  die  Erzkanzlerwürde  ihre  alte 
Bedeutung  verloren  (s.  oben).  Unter  den  weltlichen  Kurfürsten  nahm  früher  die  Pfalz 
die  erste  Stelle  ein;  jetzt  steht  Böhmen  voran,  dessen  König  des  Reiches  Erzmund- 
schenk ist.  Ihm  folgen  der  Pfalzgraf  vom  Rhein,  des  Reiches  Erztruchsefs,  der  Herzog 
von  Sachsen  als  Erzmarschall  und  der  Markgraf  von  Brandenburg  als  Erzkämmerer 
des  Reiches.  Der  Erzbischof  von  Mainz  hat  das  Ableben  des  Königs  den  Kurfürsten 
mitzuteilen  und  sie  binnen  Monatsfrist  nach  Frankfurt  am  Main  zur  Xeuwahl  zu  laden. 
Die  Wahl  findet  drei  Monate  nach  geschehener  Ladung  statt.  Kommt  er  seiner 
Pflicht  nicht  nach,  so  versammeln  sich  die  übrigen  Kurfürsten  auch  ohne  besondere 
Ladung.  Sie  treten  unter  freiem  Geleite  bei  sonstigem  Verlust  des  Kurrechtes  ent- 
weder selbst  oder  durch  Bevollmächtigte  zusammen  und  vollziehen  die  Wahl  in  der 
Bartholomäuskirche  zu  Frankfurt.  Stimmenmehrheit  entscheidet ;  der  Gewählte  gilt 
als  einstimmig  gewählt.  Die  Meinung  des  Gesetzgebers  hiebei  war  zweifellos,  dafs 
sich  mindestens  vier  Stimmen  auf  einen  Kandidaten  vereinigen.  Die  Krönung  findet 
zu  Aachen  statt.  Von  einem  Bestätigungsrecht  des  Papstes  ist  keine  Rede.1)  Vor 
jeder  andern  Regierungshandlung  hat  der  Gewählte  die  Rechte  der  Kurfürsten  zu 
bestätigen.  Ihre  Rang-  und  Sitzordnung  in  Gegenwart  des  Kaisers  sowie  die  Reihen- 
folge ihrer  Abstimmung  ist  genau  festgesetzt.  Den  Kurfürsten  darf  kein  anderer 
Fürst  vorgezogen  werden.  Das  Wahlrecht  wird  nur  einem  Mitglied  des  Kurhauses 
und  zwar  dem  Besitzer  des  Kurlandes  zuerkannt.  Dieses  darf  nicht  geteilt  werden, 
denn  auf  ihm  ruht  das  Recht  der  Kur  und  die  Führung  des  Erzamtes.  Es  wird  nach 
dem  Rechte  der  Erstgeburt  vererbt.  Wenn  ein  Kurfürst  ohne  rechtmäfsige  Söhne  stirbt, 
folgt  ihm  der  älteste  Bruder,  und  dieser  erhält  die  Vormundschaft,  falls  der  Kurfürst 
unmündige  Söhne  hinterläfst.  Er  übt  dann  die  Kur  aus,  bis  der  älteste  von  diesen 
das  18.  Lebensjahr  erreicht  hat.      Ist    ein    Kurhaus    erloschen,    so    wird    die  Kur  vom 

J)  Lindner  II,  51. 


und  ihre  Bedeutung.     Haltung  Rudolf«  IV.  v.  Österreich.  319 

König  weiter  verliehen.  Ausgenommen  ist  Böhmen,  wo  die  Stände  das  Recht  der 
Königswahl  haben.  Dann  folgen  die  besonderen  Rechte  der  Kurfürsten,  vor  allem 
die  Böhmens.  Er  hat  den  Vortritt  vor  den  übrigen,  ja  er  geht  jedem  andern  König 
voran.  Sein  Schenkenamt  braucht  er  nicht,  mit  der  Krone  geschmückt,  auszuüben,  falls 
er  nicht  will.  Ebenso  darf  von  seinen  Untertanen  keiner  an  ein  höheres  Gericht, 
selbst  nicht  an  das  des  Kaisers  appellieren.  Auch  die  andern  Kurfürsten  haben 
grofse  Vorrechte  :  das  Bergwerks-,  Münz-  und  Salzregal,  den  Judenschutz  und  die  voll- 
kommene Gerichtsbarkeit  über  ihre  Untertanen.  Nur  falls  diesen  das  Recht  verweigert 
wird,  dürfen  sie  an  das  Hofgericht  appellieren.  Die  Kurfürsten  versammeln  sich  jährlich, 
vier  Wochen  nach  Ostern,  um  sich  über  die  Angelegenheiten  des  Reiches  zu  beraten. 
Es  war  somit  eine  regelmässige  Anteilnahme  der  Kurfürsten  an  der  Regierung  des 
Reiches  in  Aussicht  genommen.  Ist  das  Reich  erledigt,  so  übernimmt  im  Süden  der 
Pfalzgraf,  im  Norden  der  Herzog  von  Sachsen  die  Reichsverweserschaft. 

2.  Diese  Anordnungen  kamen  nur  den  Kurfürsten  zugute,  doch 
gab  es  auch  solche,  die  für  alle  bestimmt  waren.  Es  wird  z.  B.  den 
Lehensträgern  untersagt,  Bündnisse  unter  sich  oder  mit  anderer  Herren 
Untertanen  zu  schliefsen.  Vasallen,  die  ihre  Herren  bekriegen,  werden 
mit  Verlust  ihres  Lehens  bestraft.  Fehden  müssen  ordnungsmäfsig  an- 
gesagt sein,  widrigenfalls  sie  als  Verbrechen  gelten.  Am  schlechtesten 
kommen  die  Städte  hinweg,  denn  die  Goldene  Bulle  verbietet  alle 
Innungen  und  alle  Städtebündnisse,  ebenso  die  Aufnahme  von  Pfahl- 
bürgern usw.  Der  Schlufs  dieser  Gesetzgebung  erfolgte  auf  dem  Reichs- 
tag zu  Metz  (25.  Dezember).  Hier  wurden  die  letzten  acht  Kapitel  der 
Goldenen  Bulle  veröffentlicht :  das  erste  bestimmt  nicht  blofs  die  Un- 
verletzlichkeit des  Königs,  sondern  auch  der  Kurfürsten,  die  andern  be- 
treffen die  Ordnung  an  Hof  tagen  usw.  Die  Nürnberger  und  Metzer  Reichs- 
gesetze sind  unter  dem  Namen  der  Goldenen  Bulle  bekannt,  nach  dem 
Goldsiegel,  das  an  ihren  Ausfertigungen  hängt.  Sie  enthalten  nichts 
wesentlich  Neues,  aber  es  war  doch  notwendig,  dafs  das  alte  Herkommen 
in  förmlicher  Weise  Gesetz  und  die  deutsche  Königs  wähl  von  dem  An- 
spruch der  Päpste  auf  ihre  Approbation  unabhängig  werde.  Da  die 
Goldene  Bulle  bezüglich  der  Kaiserkrone  keine  Verfügungen  traf,  blieb 
hierüber  auch  in  Zukunft  alles  freier  Vereinbarung  des  Königs  mit  dem 
Papste  überlassen.  Der  Anspruch  des  Papstes  auf  die  Reichsverweser- 
schaft während  der  Vakanz  des  Kaisertums  fiel  nun  wenigstens  für 
Deutschland  hinweg.  Für  Italien  blieben,  da  nichts  Näheres  vereinbart 
wurde,  die  Abmachungen  in  Kraft,  die  Karl  IV.  1346  mit  dem  Papste 
getroffen  hatte. 

3.  Da  die  Goldene  Bulle  fast  nur  den  Interessen  der  Kurfürsten 
entgegen  kam,  fühlten  sich  die  andern  Fürsten  von  ihr  nur  wenig  be- 
friedigt. Am  wenigsten  Herzog  Rudolf  IV.  von  Österreich  (1358 — 1365), 
ein  hochstrebender  Fürst,  der  es  nimmer  vergafs,  dafs  sein  Geschlecht 
dem  Reiche  bereits  drei  Könige  gegeben  und  der  von  seiner  eigenen 
Gröfse  so  eingenommen  war,  dafs  er  seine  Urkunden  nach  den  Jahren 
seiner  Geburt  datierte  und  das  Zimmer,  in  dem  er  geboren  ward,  als 
Kapelle  einrichtete.  Empfand  er  es  mit  bitterem  Schmerze,  an  Ehren 
und  Würden  hinter  den  Kurfürsten  zurückzustehen,  so  griff  er  gleich 
im  ersten  Jahre  zu  dem  in  jener  Zeit  oft  gebrauchten  Mittel  der  Urkunden- 
fälschung und  liefs  in  seiner  Kanzlei  fünf  Urkunden  anfertigen,  in  denen 


320  Die  politischen  Ziele  Herzog  Rudolfs  IV.  von  Österreich. 

gesagt  wird,  dafs  schon  alte  Kaiser  wie  Cäsar  und  Nero  den  Herzogen  Öster- 
reichs dieselben  oder  noch  gröfsere  Rechte  verliehen,  als  sie  die  Goldene 
Bulle  den  Kurfürsten  zuwies.  Danach  hat  Österreich  nahezu  keine  Ver- 
pflichtung gegen  das  Reich,  dieses  ist  aber  gehalten,  dem  Herzog  in  seinen 
Unternehmungen  beizustehen.  Rudolf  legte  sich  den  Titel  »Pfalz-Erz- 
herzog« bei,  bestimmt  seinen  Rang  unmittelbar  nach  den  Kurfürsten 
und  setzt  die  Unteilbarkeit  seines  Landbesitzes  fest. x)  Er  verfolgte  die 
Tendenz  aus  Österreich  einen  in  sich  geschlossenen,  von  Kaiser  und 
Reich  unabhängigen  Staat  zu  schaffen.  Karl  IV.,  an  den  er  sich  wandte, 
schöpfte  Verdacht  und  verlangte  bezüglich  der  angeblichen  Privilegien 
Julius  Cäsars  und  Kaiser  Neros  ein  Gutachten  Petrarcas,  das  für  die 
Absichten  Rudolfs  schlimm  genug  lautete.  Der  Kaiser  versagte  denn 
auch  den  Privilegien  seine  Betätigung.  Darüber  kam  es  zu  einem  Streite, 
in  welchen  auch  die  Tiroler  Frage  (s.  oben)  hereinspielte.  Erst  als  der 
Herzog  seine  Herrschaft  in  Tirol  fest  begründet  hatte,  wurde  auf  dem 
Fürstenkongrefs  zu  Brunn  (1364)  Frieden  geschlossen.  Schon  1361  hatte 
Rudolf  eine  Erbenngung  mit  Ungarn  geschlossen.  Ein  Erbvertrag  mit 
dem  Grafen  Albrecht  von  Görz  sicherte  ihm  (1363)  bei  dessen  kinder- 
losem Ableben  den  Besitz  der  Windischen  Mark,  Möttlings  und  Istriens. 
Diese  Gebiete  fielen  (erst  1374)  an  Krain,  das  nun  zum  Herzogtum  er- 
hoben wurde.  Ein  dritter  Erb  vertrag  wurde  (1364)  mit  dem  böhmi- 
schen Herrscherhause  vereinbart.  Für  den  Fall  des  Aussterbens  des 
einen  oder  andern  Geschlechts  in  männlicher  und  weiblicher  Linie 
sollte  das  überlebende  folgen.  Mit  dem  Abschlufs  dieser  Erbverträge 
war  ein  Gedanke  ausgesprochen,  der  später  zur  Tat  wurde  und  zur 
Bildung  des  österreichischen  Kaiserstaates  geführt  hat. 2)  Auch  in  seiner 
inneren  Regierung  erwies  sich  Rudolf  IV.  als  schöpferisches  Talent.  Es 
genügt  hier,  an  seine  Münz-  und  Steuerordnung,  an  seine  Reformen  im 
Gerichtswesen,  an  die  Gründung  der  Wiener  Universität  (1365),  den  Bau 
des  Stephansdomes  zu  erinnern. 3)  Mitten  unter  grofsen  Entwürfen  starb 
er  eines  frühen  Todes  am  27.  Juli  1365. 


§  77.    Karl  IT.  und  das  Königreich  Arelat.    Der  zweite  ßömer- 

zug  (1368—1369). 

Quellen  zur  Gesch.  Urbans  V.:  Die  Biographien  bei  Baluze,  363  ff.  Mural.  LH 
2,  610  ff.  Urbain  V,  Lettres  secretes  p.  p.  Lecachez,  Paris  1901  u.  bei  Albanes  (s.  unten). 
Iter  Italicum  Urb.  V.  auctore  Garasco  de  Llmoina.  Baluze  IL,  668  ff.  Albanes,  Actes  anciens 
et  documents  concern.  Urbain  Y  publ.  p.  Chevalier.  Paris  1897.  Lit.  zu  L'rban  V.  s.  in 
H.  Jb.  XXII,  1,  180.  Kirsch,  Die  Rückkehr  der  Päpste  Urban  Y.  u.  Gregor  XL  von 
xAvignon  nach  Rom.  Paderborn  1898.  Magnan,  Histoire  d'Urbain  Y.  Paris  1862. 
AYar  necke,  Der  zweite  Römerzug  Karls  IY.  Altona  1881.  Matthes,  wie  oben.  Novacek, 
Karls  IV.  Aufenthalt  in  Avignon  1365.  Z.  böhm.  Mus.  1894.  Temple-Leader  e 
G.  M  a  r  c  o  1 1  i ,  Giovanni  Acuto  (Sir  John  Hawkwood)  storia  d'un  condottiere.  Firenze  1889 


x)  S.  das  Xähere  über  die  österr.  Freiheitsbriefe  samt  der  dazu  gehörigen  Literatur 
qei  Huber  II,  262. 

-'    Ebenda  S.  280. 

3)  Das  Xähere  hierüber  ebenda  S  281. 


Karl  IV.  und  das  Königreich  Arelat.  321 

1.  Die  Politik  Karls  IV.  dem  Königreich  Arelat  gegenüber  war 
weder  einheitlich  noch  überhaupt  von  festen  Gesichtspunkten  getragen. 
Bei  der  Tendenz  des  französischen  Königtums,  seinen  Besitz  nach  Osten 
hin  zu  vermehren,  und  der  tatkräftigen  Unterstützung  Frankreichs  durch 
die  Kurie  wäre  eine  deutsche  Rekuperationspolitik  im  Westen  auch  dann 
mit  Schwierigkeiten  verbunden  gewesen,  wenn  ein  Kaiser  von  kriegerischer 
Veranlagung  den  deutschen  Thron  eingenommen  hätte.  Die  ent- 
scheidenden Ereignisse  fanden  in  den  ersten  Regierungsjahren  Karls  IV. 
statt:  die  von  Frankreich  1349  vollzogene  Erwerbung  des  Delphinats. 
Seitdem  der  Dauphin1)  Humbert  IL  von  Vienne  zugunsten  des  fran- 
zösischen Thronfolgers  abgedankt  hatte  (s.  unten  §  78),  hielt  es  schwer, 
die  südlich  vom  Delphinat  gelegenen  Teile  von  Arelat  beim  Reich  zu 
erhalten.  Als  Karl  IV.  in  Metz  verweilte,  erhielt  der  Dauphin  Karl 
(1356,  26.  Dezember)  nebst  der  Bestätigung  aller  Privilegien  früherer 
römischer  Könige  und  Kaiser  für  das  Delphinat  zugleich  das  Reichs- 
vikariat  über  alle  dem  Reich  daselbst  zustehenden  Rechte.  Erkannte 
der  Dauphin  damit  die  Hoheit  des  Reiches  an,  so  trat  er,  seitdem  er 
König  von  Frankreich  geworden  (1364)  Deutschland  gegenüber  schärfer 
auf  als  sein  Vater.  Die  französische  Krone  und  das  Delphinat  waren 
nunmehr  in  einer  Hand  vereinigt  und  Karl  V.  auch  nicht  gewillt,  den 
Kaiser  als  Oberlehensherrn  von  Burgund  anzuerkennen.  Dagegen  hatte 
der  Kaiser  schon  1361  Savoyen  und  alle  seine  im  Arelat  gelegenen 
Territorien  aus  dem  Verband  mit  diesem  gelöst  und  dem  Reiche  un- 
mittelbar einverleibt.  Nichtsdestoweniger  war  im  Arelat  französischer 
Einflufs  in  stetigem  Vordringen  und  das  der  Grund,  weshalb  der  Kaiser 
(1365)  eine  Fahrt  dahin  unternahm  und  sich  —  der  erste  Fall  seit  der 
Krönung  Friedrichs  I.  1178  —  in  Arles  zum  König  krönen  liefs.  Graf 
Amadeus  von  Savoyen  erhielt  das  Reichsvikariat  von  Arelat,  das  ihm 
allerdings  schon  im  folgenden  Jahre  wieder  entzogen  wurde.  Im  übrigen 
begnügte  sich  der  Kaiser  mit  der  formellen  Anerkennung  seiner  Ober- 
herrlichkeit. Hatte  er  durch  die  engere  Verbindung  Savoyens  mit  dem 
Reiche  den  französischen  Einflufs  zurückzudrängen  versucht,  so  ernannte 
er  doch  am  Ende  seiner  Regierung  den  Dauphin  zum  Reichsstatthalter 
und  General vikar  nicht  blofs  in  Delphinat,  sondern  auch  im  Arelat  und 
leistete  hiedurch  dem  Vordringen  Frankreichs  einen  mächtigen  Vorschub. 

2.  Nach  dem  Abzüge  Karls  aus  Rom  unterwarf  Albornoz  seine 
Gegner  teils  durch  Gewalt,  teils  gewann  er  sie  durch  diplomatische  Mittel 
Die  Malatesta,  Montefeltro,  Manfredi  u.  a.  beugten  sich,  und  schon  1357 
konnte  er  seine  Aufgabe  als  gelöst  ansehen.  Die  Unterworfenen  blieben 
als  Vikare  im  Besitz  ihrer  Herrschaften,  und  so  wurde  der  Kirchenstaat 
in  eine  Anzahl  von  Vikariaten  aufgelöst;  doch  gab  es  kaum  ein  anderes 
Mittel,  die  Autorität  der  Kirche  aufrecht  zu  halten.2)  Den  Städten,  denen 
Albornoz  als  Befreier  erschien,  machte  er  begreiflich,  dafs  die  Herrschaft 

*)  Über  den  Ursprung  d.  Namens  Dauphin  s.  die  Note  2  auf  S.  336. 
2)  Alles  Nähere  über  die  Formen   der   neu  aufgerichteten  Herrschaft   bei  Grego- 
rovius  VI,  384. 

Loserth,  Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  21 


322  Urban  V.     Die  bösen  Gesellschaften. 

der  Kirche  unter  allen  die  mildeste  sei.  Um  für  die  kostspieligen 
Unternehmungen  des  Papstes  das  nötige  Geld  zu  gewinnen,  mufsten 
manche  Überstände  geduldet  werden.  Innozenz  VI.  starb  am  12.  Sep- 
tember 1362.  Noch  weilte  Albornoz  in  Italien;  die  übrigen  20  Kardinäle, 
unter  ihnen  acht  Verwandte  des  vorletzten,  drei  des  letzten  Papstes, 
wählten  am  28.  Oktober  den  Abt  des  Benediktinerklosters  St.  Viktor  bei 
Marseille,  einen  Mann,  den  seine  genaue  Kenntnis  der  italienischen  Ver- 
hältnisse empfahl.  Er  wurde  am  6.  November  als  Urban  V.  (1362 — 1370) 
inthronisiert.  Unter  den  Päpsten  der  ganzen  Periode  ist  er  der  trefflichste. 
Ein  ausgesprochener  Feind  des  Nepotismus  und  des  übertriebenen  Luxus 
an  der  Kurie,  erliefs  er  gleich  im  Anfang  strenge  Gebote  gegen  die 
Häufung  von  Pfründen.  Drei  Dinge  lagen  ihm  vor  allem  auf  dem 
Herzen :  die  Schwächung  des  Hauses  Visconti,  ein  Türkenkrieg  und  die 
Rückkehr  nach  Rom.  Der  letzte  Punkt  war  der  wichtigste;  denn  schon 
empfanden  alle  Völker  die  Abhängigkeit  des  Papsttums  von  den  je- 
weiligen Interessen  des  französischen  Königtums  auf  das  bitterste;  wie 
sie  einst  die  Quelle  für  den  unversöhnlichen  Kampf  der  Kurie  gegen 
das  Kaisertum  Ludwigs  abgab,  so  griff  sie  auch  in  den  zwischen  England 
und  Frankreich  (s.  §  78)  ausgebrochenen  Erbfolgekrieg  ein.  Unter  diesen 
Umständen  war  Karl  IV.  darauf  bedacht,  das  Papsttum  wieder  nach 
Rom  zu  führen,  wo  es  seinen  universellen  Charakter  zu  wahren  ver- 
mochte. Zu  dem  Zwecke  führte  er  mit  dem  Papste  lange  Verhandlungen. 
Arn  23.  Mai  1365  hielt  er  seinen  Einzug  in  Avignon.  Hier  wurden  die 
nötigen  Mafsnahmen  für  den  Kreuzzug  und  für  die  Unterdrückung  der 
sog.  bösen  Gesellschaften  (comitivae)  getroffen,  der  Söldnerbanden,  die 
unter  der  Führung  ehrgeiziger  Adeliger,  selbst  solcher  aus  den  Familien 
Colonna,  Orsini,  Savelli  u.  a.,  Italien  und  Frankreich  mit  Mord  und 
Plünderung  heimsuchten  und,  gut  organisiert,  wie  sie  waren,  wandernden 
Militärstaaten  glichen.  Dieses  »Proletariat  der  aus  ihren  Fugen  gehenden 
westeuropäischen  Gesellschaft«  fand  seinen  Nährboden  in  dem  durch  den 
langen  Krieg  zerrütteten  Frankreich  und  dem  von  Parteikämpfen  zer- 
fleischten Italien.1)  —  Städte  und  Märkte,  Kirchen  und  Klöster  wurden 
geplündert,  wofern  es  nicht  einzelne  Körperschaften  vorzogen,  sich  durch 
Zahlung  von  Geldern  vor  ihren  Raubzügen  zu  sichern.  So  wurden  selbst 
Albornoz  und  die  Königin  Johanna  gezwungen,  Soldverträge  mit  einzelnen 
Kondottieren  abzuschliefsen.  Pläne  zur  Vernichtung  dieser  Gesellschaften 
wurden  jetzt  in  Avignon  entworfen.  Das  Wichtigste  der  Verhandlungen 
betraf   aber   die  Rückkehr   des  Papstes   nach  Rom,    dessen    Gebiet   bald 


l)  Die  eingehendste  Schilderung  über  die  Verwüstungen  der  bösen  Gesell- 
schaften s.  in  dem  ausgezeichneten  Buche  Denifles,  La  guerre  de  Cent  Ans 
et  la  d^solation  des  eglises,  monasteres  et  höpitaux  en  France,  II,  cap.  10.  Ich  hebe 
nur  einen  Fall,  das  Kloster  Montolieu  bei  Carcassonne,  heraus  (S.  615) :  Le  monasüre 
etait  expose  aux  ravages  des  bandes  qui  y  venaient  sans  cesse  et  y  restaient  quelquefois 
pendant  trois  mois.  Elles  installaient  leurs  chevanx  dans  Veglise.  le  cloitre  et  ailleurs, 
sans  epargner  le  sanctuaire.  Le  culte  divin  cessait  etc.  Die  entsprechenden  TTrkk.  aus 
den  päpstl.  Reg.  ebenda.  S.  auch  I,  377  aus  den  Reg.  Vat.  Urbani  V. :  Dudum  .  .  .  multe 
gentes  armigere,  app  ellate  comitive,  de  diversis  nationibus  in  multis  agminibus 
congregate  .  .  .  etc. 


Eückkehr  des  päpstl.  Stuhles  nach  Rom.     Zweite  Romfahrt  Karls  IV.        323 

hierauf  durch  die  Söldnerbanden  des  Engländers  John  Hawkwood  ver- 
wüstet wurde.  Am  13.  April  1366  erliefs  Urban  V.  eine  Bannbulle  gegen 
die  in  Italien  hausenden  Gesellschaften  und  ihre  »bluttriefenden  Bestien«. 
Der  Kaiser  bot  zu  ihrer  Unterdrückung  die  Hilfe  des  Reiches,  und  am 
19.  September  kam  es  zum  Abschlufs  einer  Liga,  gegen  »künftige«  böse 
Gesellschaften,  wodurch  aber  die  bisherigen  —  unter  ihnen  die  ärgste  John 
Hawkwoods  —  in  förmlicher  Weise  anerkannt  wurden.  Eine  neue  Romfahrt 
des  Kaisers  sollte  die  Reise  des  Papstes  sichern.  Diesen  Plan  mufste 
Karl  aber  aufgeben,  da  er  mit  den  Vorbereitungen  hiezu  im  Rückstande 
war.  Der  Papst  selbst  trat  seine  Reise  zur  festgesetzten  Frist  an.  Gegen 
den  Willen  fast  aller  seiner  Kardinäle  und  die  dringendsten  Abmahnungen 
Karls  V.  von  Frankreich,  der  von  der  Verlegung  des  päpstlichen  Stuhles 
nach  Rom  das  meiste  zu  fürchten  hatte,  brach  Urban  V.  am  30.  April 
1367  dahin  auf.  Auf  einer  von  Neapel,  Venedig,  Genua  und  Pisa  bereit 
gehaltenen  Flotte  schiffte  er  sich  in  Marseille  ein.  Am  16.  Oktober  hielt 
er  seinen  Einzug  in  Rom.  Die  Stadt  war  in  dem  elendesten  Zustand : 
verwüstet  und  halb  verödet;  von  den  schönsten  antiken  Denkmälern 
wraren  nicht  wenige  erst  in  den  jüngsten  Zeiten  zugrunde  gegangen. 
Aber  ohne  die  Hilfe  des  Kaisers  konnte  der  Papst  den  Ubelständen  nicht 
beikommen.  Die  Teilnahme  der  deutschen  Fürsten  und  Städte  an  dem 
zweiten  Zuge  Karls  nach  Italien  war  keine  freudige.  Leute  und  Geld 
wurden  unwillig  gegeben.  Für  sein  Unternehmen  waren  eben  die  öffent- 
lichen Zustände  im  Reiche  zu  ungünstig.  Von  Prag  aus  erfolgte  am 
2.  April  1368  der  Auszug.  Sein  Heer  wird  nach  einzelnen  Angaben  auf 
70000  Mann  veranschlagt.  Von  den  Reichsfürsten  nahmen  aufser 
einigen  Bischöfen  nur  der  Herzog  Albrecht  von  Sachsen  und  Markgraf 
Wilhelm  von  Meifsen  Anteil.  Der  Zug  richtete  sich  weniger  gegen  die 
Söldnerbanden  als  gegen  Barnabö  Visconti,  der  sich  verschiedene  Gewalt- 
taten gegen  Besitzungen  der  Kirche  und  das  Haus  Gonzaga  hatte  zu- 
schulden kommen  lassen.  Nach  längerem  Kampfe  ward  mit  ihm  ein 
Frieden  geschlossen  (27.  August),  der  ihn  zu  geringen  Leistungen  ver- 
pflichtete, aber  im  Besitz  seines  Gebietes  beliefs.  Am  21.  Oktober  traf 
Karl  IV.,  vom  Papste  feierlich  eingeholt,  in  Rom  ein.  Auf  dem  Zuge 
leistete  er  diesem,  alter  Sitte  gemäfs,  das  officium  stratoris,  indem  er  den 
Zelter  des  Papstes  eine  Strecke  weit  führte,  eine  Zeremonie,  die  man 
jetzt  noch  weit  weniger  verstand  als  in  den  Tagen  Barbarossas,  über 
die-  sich  die  Geschichtschreiber  aber  noch  mehr  aufregten  als  früher. 
Am  29.  Oktober  langte  die  Kaiserin  an.  am  1.  November  erfolgte  ihre 
Krönung.  Die  Anwesenheit  des  Kaisers  in  Italien  dauerte  bis  in  den 
Juli  1369.  Den  Städten  gegenüber,  die  er  wieder  fester  an  das  Kaisertum 
zu  knüpfen  versuchte,  gewann  er  manche  Vorteile.  Genua  erkannte  seine 
Herrschaft  an.  Siena,  wo  es  am  18.  Januar  zu  einem  Aufstand  kam, 
hatte  eine  Geldbufse  von  20000  Goldgulden  zu  zahlen;  Pisa,  das  sich 
wegen  verschiedener  Neuerungen  des  Kaisers  Ungnade  zugezogen,  verlor 
die  Herrschaft  über  Lucca,    das   gegen   eine   starke   Geldzahlung   reichs- 


a)  Werunsky  III,  342. 

21* 


324       Heimkehr  des  Kaisers.     England  und  Frankreich  irn  Zeitalter  Karls  IV. 

unmittelbar  wurde ,  und  mufste  eine  bedeutende  Geldsumme  zahlen, 
ebenso  Florenz,  das  sich  dem  Kaiser  gegenüber  feindselig  verhielt.  Den 
eigentlichen  Zweck  der  Romfahrt,  die  Austilgung  der  Kompagnien,  hat 
der  Kaiser  nicht  erreicht.  Noch  während  seines  Aufenthalts  in  Italien 
brach  Barnabö  Visconti  den  Frieden,  und  fremde  Söldnerbanden  ver- 
wüsteten Italien  nicht  weniger  als  früher.  »Mit  gefüllter  Börse,  von 
Italien  mifsachtet«,  kehrte  der  Kaiser  im  August  über  Bologna  und 
Udine  in  die  Heimat  zurück.  Unter  diesen  Umständen  reute  es  den 
Papst,  nach  Rom  gegangen  zu  sein.  Er  mochte  geringen  Trost  darin 
finden,  dafs  er  an  dem  Tage,  wo  er  ein  Jahr  früher  den  Kaiser  des 
Westens  empfangen  hatte,  nun  in  St.  Peter  den  Kaiser  des  Ostens, 
Johannes  Paläologos,  aufnahm,  der  gekommen  war,  seine  Hilfe  gegen 
die  Türken  zu  erflehen.  Urban  V.  beschlofs  die  Rückkehr  nach  Avignon 
ungerührt  durch  die  Bitten  der  Italiener,  die  Bestürzung  der  Römer  und 
die  Klagen  der  hl.  Brigitta.  Kaum  war  er  in  Avignon  angelangt,  als  er 
erkrankte.  Er  starb  am  19.  Dezember  1370.  Das  Volk  erblickte  in 
seinem  Tode  die  Strafe  des  Himmels,  weil  er  Rom  verlassen. 


4.  Kapitel. 

England  und  Frankreich  im  Zeitalter  Karls  IV.  Der  100jährige 

Krieg.   Erster  Teil  1328—1380. 

§  78.    Die  Genesis  des  Thronstreites.    Die  Anfänge  Philipps  VI.  und 

Eduards  in. 

Französische    Quellen.      Korresp.,    Urkunden    und    Akten:     E.  Cosneau,   Les 
grands    traites    de    la    guerre    de    Cent  Ans.      Paris    1889.      Ordonnances    des    rois    de 
France  II — VI.      Moranville,    Eapports   ä   Philippe  VT    sur   l'etat    de    ses    rinances. 
BECh.  XLVHI,  380.    V i a r d ,  Les  Journaux  du  tresor  sous  Philippe  VI.    1889.    Viard, 
Lettres    d'Etat    de    Philippe  VT.    1898.      Viard,    Documents    parisiens    du    regne    de 
Philippe    VI.     1899  — 1900.      Simon     Lingonensis,    Acta    legationum,     quas    pro 
summis  pontificibus  etregibus  Franciae  plures  egit,  Martene  et  Durand,  Thes.  anecd.  IV,  961 
Duc   d'Aumale,    Notes  et  documents  relatifs  ä  Jean,  roi  de  France.    Londres.  1856 
Delisle,  Mandements   et  actes  divers  de  Charles  V.     Paris  1873.     Guesnon,  Doc 
ined.  sur  l'invasion  anglaise  ...  au  temps    de  Philippe  VI  et  Jean  le  Bon.    Bull,  hist 
et  phil.  1897,  208—59.    Delisle,  Etienne  Marcel,  lettres  et  doc.  div.,  Mem.  Soc.  Hist 
Paris  XXIV.     Ergänzungen   für   einzelne   Provinzen    u.  Institutionen    s.  in  Lavisse 
Coville,  Histoire  de  France  IV,  1,  an  der  Spitze  der  einzelnen  Kapitel.    Geschieht 
Schreiber:  Anonymus  monachus  S.  Dionysii  continuator  prior  Guilelmi  de  Xangiaco 
chronici    1300 — 1340,   ed.    Geraud.     Paris  1843.  —  Contin.   posterior  (Jean  de  Venette), 
1340 — 1368,  ibid.  —  Grandes  chroniques  de  Saint-Denys,  stückweise  im  TEL,  V. — VHL, 
X.-XE,  XVn,  XX.  u.  XXI.  Bd.  v.  Bouquet.     (Lit.  bei  Potth.  I,  316.)  —  Jean  le  Bei, 
Les  Vrayes  Chroniques  1326 — 1361,  ed.  Polain,  Bruxelles  1863.  —  Chronique  parisienne 
de  1316—1339.    Mem.  Soc.  H.  Paris  XI,  1884.  —  Chronique  des  quatre  premiers  Valois, 
1327—1363.  Ebenda  1862.  —  Chronique  normande  du  XIV  siecle  1298—1370,  ib.  1882. 
Froissart,  Chroniques  de  France  etc.  1307 — 1400,  ed.  Kervyn  de  Lettenhove  Brux.  20  voll. 
(Andere   Ausg.    bei    Potth.  I,   473.)   —    Chronographia    regum  Francorum    (Cronica    de 
Berno),  ed.  Moranville,  tom.  I,  1270—1328,  tom.  II,  1328—1380.    Paris  1891—93.    Petite 
chronique  de  Guyenne   bis  1442.     BECh.  XL  VIT.     Richard  Lescot,    Chronique,    ed.  Le- 
moine  1896.     Recits  d'un  bourgeois    de  Valenciennes  bis  1366,    ed.  Kervyn  de  Letten- 


Der  hundertjährige  Krieg.  325 

hove.  Löwen  1877.  Chroniques  de  Flandre,  ed.  Kervyn  d.  L.  unter  dem  Titel :  Istore 
et  croniques  de  Flandre  in  Collect,  des  croniques  beiges  ined.  Brüssel  1879 — 80.  Pierre 
Cochon,  Chronique  normande  bis  1430,  ed.  Beaurepaire.  Rouen  1870.  Cuvelier,  Chro- 
nique  de  Bertrand  du  Guesclin,  Coli,  de  doc.  in£d.  Ser.  I,  no.  10.  Christine  de  Pisan, 
Hist.  de  Charles  V,  ap.  Buchon,  Choix  de  chroniques  IV,  s.  Potth.  I,  222.  Aegidius 
Li  Muisis,  Chronicon  maius  et  minus  ed.  de  Smet,  Corp.  chron.  Flandriae  II.  Chronique 
du  petit  Thalamus  de  Montpellier  p.  p.  la  Soc.  arch.  de  Montpellier.  1836.  Histoire 
de  messire  Bertrand  connestable  de  France  etc.,  ed.  Buchon,  Choix  d.  doc.  Paris  1861. 
Andere  Ausgab,  u.  Lit.  s.  Potthast  I,  385.  Miguel  del  Verms,  Chronique  des  comtes 
de  Foix,  Buchon  IV.  (Zur  angeb.  Chronique  des  Tard-venus  s.  Delisle  in  BECh.  L. 
Paris  1889.  Danach  ist  die  Chronik  d.  T-v.  eine  grobe  Fälschung  des  19.  Jahrh.) 
Für  kleinere  Quellen  s.  auch  die  bibliogr.  Anzeigen  Moliniers  in  DZG.  III,  V,  X. 

Englische  Quellen.  Aufser  Grofs  Bibliogr.  s.  Liebermann  DZG.  IV,  175  ff., 
VIII,  135  ff.  Korresp.  u.  Staatsvertr.  in  Rymer,  Foedera,  wie  oben  I,  IL  A  Calendar 
of  the  Patent  Rolls  Edward  III,  vol.  I— VI,  1327—45.  Lond.  1891—1902.  A  Calendar 
of  the  Close  Rolls  preserved  in  the  publ.  rec.  off.  Edward  III,  1327—37.  Lond.  1898 
bis  1901.  Year  Books  of  the  reign  of  King  Edward  III,  ed.  by  Picke.  Duckett,  Orig. 
documents  relat.  to  the  hostages  of  John  King  of  France  and  the  treating  of  Bretigny 
1360.  Lond.  1891.  Calendar  of  entries  in  the  papal  registers,  ed.  Bliss,  vol.  II, 
1305—1341.  Für  die  kirchl.  Verhältnisse:  Wilkins,  Conc.  Magn.  Brit.  II,  III.  Urk. 
u.  Korresp.  s.  auch  in  den  Historians  of  the  Church  of  York  ant  its  archbishops. 
Rolls  Ser.  71.  Literae  Cantuarienses.  Rolls  Series  85.  Ramsay  Cart.,  ib.  79.  Harpes- 
field,  Hist.  Anglic.  Douai  1622.  Dort  urk.  Material  aus  aufgehob.  Stiften.  Ann.  Eccl. 
v.  Raynald.  Akten  zur  engl.  Kirchenpol.  s.  in  Loserth,  Studien  zur  engl.  Kirchenpol. 
Wiener  Sitz.-Ber.  CXXXV1.  Die  Werke  Wiclifs  s.  unten.  Die  Urkk.  zur  Verf.-Gesch. 
s.  oben.  Wichtig  für  Eduard  III.  u.  seine  drei  Nachfolger:  Moranville,  Extraits  de 
journaux  du  tresor  1345 — 1419.  BlilCh.  1888.  Crecy  and  Calais,  ed.  Wrottesley. 
Lond.  1897.  Sonstige  mil.  Quellen  s.  Grofs  p.  373.  Von  Geschichtschreibern  sind 
einzelne  bereits  bei  der  Gesch.  Eduards  II.  genannt  worden,  so  die  Annales  Paulini, 
Baker,  das  Chronicon  von  Lanercost,  Fordun,  die  Gesta  Edwardi  u.  die  Scalacronica. 
Auch  Hemingburgh  kommt  noch  bis  1346  in  Betracht.  Avesbury,  Robert  of,  De 
gestis  mirabilibus  regis  Edwardi  III.  Rolls  Series.  Lond.  1889 ;  wichtig  für  die  milit. 
Angelegenheiten  in  den  Jahren  1339 — 56.  Knigthon,  Henry,  Chronicon  bis  1366, 
fortges.  bis  1395.  Rolls  Ser.  Lond.  1889—1895.  2  Bde.  Jan  de^Klerk,  Van  den  Derden 
Edewart,  Rymkronik  ed.  Willems,  Gent  1840.  Wichtig  für  1337 — 41.  Murimuth,  Adam, 
Continuatio  chronicarum  bis  1347,  fortges.  bis  1380.  Rolls  Ser.  Lond.  1889.  (Fortsetz, 
in  der  Ausgabe  Hogs.  Lond.  1846.)  Gesta  monasterii  St.  Albani  II,  HI.  Rolls  Series 
1867 — 69  s.  Walsingham  §  91.  Walsingham,  Historia  Anglicana,  ed.  Riley.  Rolls  Ser. 
1863.  Eulogium  Historiarum  (bis  1366,  fortges.  bis  1413),  ä  monacho  Malmesburiensi. 
Rolls  Ser.  Lond.  1858 — 63.  3  Bde.  Zeitgenössisch  von  1356  an.  Chronicon  Angliae 
auctore  monacho  s.  Albani.  Rolls  Ser.  Lond.  1874.  Sehr  wichtig  für  1376/7.  Über 
das  Chronic.  Angliae  Petriburgense  ed.  Giles.  Lond.  1845  s.  Liebermann  N.  Arch.  XVIII,  235 
Capgrave,  The  Chronicle.  Rolls  Series  1858.  Islip,  Simon  (Erzb.  von  Canterbury), 
De  Speculo  regis  Edwardi  III.  seu  tractatu  quem  de  mala  regni  administratione  con- 
scripsit,  ed.  Paris  1891.  (Gesch.  1337.)  Political  poems  and  songs  relating  to  English 
history,  ed.  Wright.  RS.  1859 — 61.  Wyntoun,  Andr.  of,  The  originale  cronykil  of 
Scotland  bis  1408  in  Versen,  ed.  Laing,  Histor.  of  Scotland  I,  III,  IX.  Edinb.  1872—79. 
Von  ital.  Quellen  ist  Villani  (s.  oben)  wichtig. 

Hilfsschriften.  Ihre  Zahl  ist  sehr  grofs.  Vollständige  Angaben  s.  in  M  o  n  o  d 
u.  Lavisse-Coville,  Histoire  de  France  IV,  1,  an  der  Spitze  der  einzelnen  Kapitel. 
Hauptwerk  ist  jetzt  das  des  berühmten  Archivars  am  vatik.  Archiv,  Denifle,  La  deso- 
lation  des  eglises,  monasteres  et  höpitaux  en  France  =  La  guerre  de  Cent  Ans  jusqu'ä 
la  mort  de  Charles  V.  2  Bde.  Paris  1899  (s.  RQH.  1898).  Funck-Brentano  s.  §  50. 
S.  L  u  c  e ,  La  France  pendant  la  guerre  de  Cent  Ans.  1890 — 1893.  D  e  p  r  e  z ,  Les 
preliminaires  de  la  guerre  de  Cent  Ans.  La  papaute,  la  France  et  l'Angleterre  (1328 
bis  1342).  Paris  1902.  Petit-Dutaillis  et  Paul  Collier,  La  diplomatie  francaise  et  le 
traUe"  de  Bretigny.   Le  Moyen-Age.   II  Ser.,  tom.  I.    MirotetDeprez,  Les  ambassades 


326  Das  Ende  der  Kapetinger.     Eintritt  des  Hauses  Valois. 

anglaises  pend.  la  guerre  de  Cent  Ans.  BECh.  LEX.  Vi  oll  et,  Histoire  des  institutions 
politiques  de  la  France  II.  1898.  Viard,  La  France  sous  Philippe  de  Valois.  RQH.  LIX. 
1896.  Yiard,  Les  ressources  extra ordinaires  de  la  royaute  sous  Philippe  VI. 
RQH.  XLIY.  1888.  Boislisle,  Le  budget  et  la  population  de  la  France  sous  Ph. 
de  V.  Paris  1875.  S.  Luce,  Histoire  de  Bertrand  Du  Guesclin  et  de  son  epoque. 
La  jeunesse  de  Bertrand  (1320—1364).  2  ed.  Paris  1882.  Zell  er,  Charles  Y  et  Du 
Guesclin,  La  diplomatie  et  la  guerre.  Paris  1886.  Debidour,  Hist.  de  Du  Guesclin. 
Paris  1880.  Gombert,  Un  liberateur  du  pays  D.G.  Lille  1897.  Stoddart,  B.  d.  G. 
New  York  1897.  Die  übrigen  Schriften  zu  Du  Guesclin  s.  in  Potthast  I,  385 — 86. 
Pirenne,  Hist.  de  Belgique  IL  Kervyn  de  Lettenhove,  Hist.  de  Flandre.  6  voll. 
1853 — 54.  —  Jacques  d'Artevelde.  1863.  Ashley,  James  and  Philipp  van  Artevelde. 
1883.  Plaine,  La  guerre  de  la  succession  de  Bretagne.  1886.  De  la  Borderie, 
Hist.  de  Bretagne  III.  Leroux  wie  oben.  Guiffrey,  Histoire  de  la  reunion  du  Dauphine 
ä  la  France.  1868.  Fournier,  Le  Royaume  d'Arles  et  de  Vienne.  1891.  Molinier, 
La  reunion  de  Montpellier  ä  la  France.  RH.  1884.  Yalois,  Le  Conseil  du  roi  aux 
14e — 16e  siecles.  1888.  Secousse,  Menioires  pour  servir  ä  l'histoire  de  Charles  le 
Mauvais.  Paris  1759.  —  Preuves  de  l'hist.  de  Ch.  le  M.  1758.  Delachenal, 
Premieres negotiations  de  Ch.  le  M.  avec  les  Anglais.  BECh.  LXI.  Perrens,  Etienne 
Marcel.  2e  6d.  1875.  Tessier,  La  mort  d'Etienne  Marcel.  1886.  Lazard,  Un 
Bourgeois  de  Paris,  Etienne  Marcel.  Paris  1890.  E.  Meyer,  Charles,  roi  de  Navarre, 
comte  d'Evreux.  1898.  S.  Luce,  Histoire  de  la  Jacquerie.  2e  ed.  1895.  Dessales, 
La  rancon  du  roi  Jean.  1850.  Prou,  Etüde  sur  les  relations  polit.  d'Urbain  V  avec 
les  rois  de  France  Jean  H.  et  Charles  Y.  1888.  B  e  n  o  i  s  t ,  La  politique  du  roi  Charles  V. 
1886.  Müller,  L'influence  considerable  des  mariages  princiers  et  des  femmes  en 
g^neral  au  moyen-äge,  partic.  pendant  la  guerre  de  Cent  Ans  entre  la  France  et 
l'Angleterre  (1337 — 1453).  Heidelb.  1897.  Lavisse,  Etüde  sur  le  pouvoir  royal  au 
temps  de  Charles  V.  RH.  XXYI.  Daumet,  Etüde  sur  l'alliance  de  la  France  et 
de  la  Castille.  1898,  G  u  i  g  e ,  Les  Recits  de  la  guerre  de  Cent  Ans  :  Tard-venus  en 
Lyonnais,  Forez  et  Beaujolais  1356 — 1369.  Lyon  1887.  Die  Beziehungen  zu  Deutschi., 
Spanien,  dem  Papst  s.  an  den  betreffenden  Stellen.  Für  England  aufser  Pauli,  Green, 
Gneist,  Stubbs  s.  Longmann,  The  lue  and  the  times  of  Edward  IH.  1869. 
Mackinnon,  The  hist.  of  Edward  IH.  1900.  Ashley,  Histoire  des'doctrines  econo- 
miques  de  1  Angleterre  1900.  Pearson,  Engl.  Hist.  in  the  14 1h  Century.  Lond.  1876. 
Warburton,  Edward  IH.  London  1875.  Moisant,  Le  Prince  Noir  en  Aquitaine 
1355 — 1370.     Vaissete,  Hist.  generale  de  Languedoc  IX.    1885. 

1.  Weder  der  Friedensschlufs  von  1259,  noch  der  Vertrag  von 
Montreuil  1299  hatte  den  Kämpfen  zwischen  England  und  Frankreich 
ein  Ende  bereiten  können.  Der  Vertrag  von  Montreuil  bestimmte, 
dafs  Philipps  IV.  Tochter  Isabella  den  englischen  Thronerben 
und  nachherigen  König  Eduard  IL  heiraten  sollte.  Dieser  Ehe 
entsprofste  Eduard  III.  Als  er  den  Thron  bestieg  (1327,  Januar), 
war  der  letzte  männliche  Sprosse  der  älteren  Linie  der  Kapetinger, 
Karl  IV.,  bereits  der  Krankheit  verfallen,  der  er  am  1.  Februar  1328 
erlag.  Die  Sukzesionsfrage  war  schon  1317  dahin  entschieden  worden, 
dafs  sie  die  weibliche  Nachfolge  ausschlofs  (s.  §  55).  Karl  IV.  hinter- 
liefs  eine  Tochter  und  eine  schwangere  Gemahlin.  Vor  seinem  Tode 
war  festgesetzt  worden,  dafs,  wenn  seine  Gemahlin  einen  Sohn  gebären 
sollte,  sein  Vetter  Philipp  von  Valois  Vormund  und  Regent  sein  solle. 
Würde  sie  mit  einer  Tochter  niederkommen,  so  sollten  die  Pairs  die 
Krone  übergeben,  dem  sie  gebühre.  Am  1.  April  gebar  die  Königin 
eine  Tochter.  Es  handelte  sich  nun  um  die  Nachfolge.  Eduard  III. 
stand  als  Neffe  der  letzten  drei  Könige  diesen  zweifellos  näher  als  ihre 
beiden  Vettern  Philipp  von  Valois  und  Philipp  von  Evreux,  aber  diese 


Philipp  VI.     Ausschlufs  der  Frauen  von  der  Nachfolge  in  Frankreich.         327 

waren  Deszendenten  von  männlicher,  Eduard  III.  von  weiblicher  Seite. 
Wiewohl  dieser  seine  Ansprüche  vor  die  12  Pairs  des  Reiches  brachte, 
entschieden  diese  für  Philipp,  das  Haupt  des  Hauses  Valois.  Jetzt  erst 
bürgerte  sich  die  Regel  ein,  dafs  Sprossen  der  weiblichen  Linie  kein 
Recht  auf  die  Krone  besitzen.  Im  Grunde  war  es  nicht  das  vielberufene 
salische  Gesetz ,  sondern  nationale  Erwägungen  *),  von  denen  die 
Pairs  geleitet  waren  und  denen  schon  früher  Sugerius  Ausdruck  ver- 
liehen hatte.2)  Am  Dreifaltigkeitstage  wurde  Valois  als  Philipp  VI. 
(1328 — 1350)  gekrönt.  Der  Eigenbesitz  seines  Hauses:  die  Grafschaft 
Valois  und  das  jüngst  ererbte  Anjou  und  Maine  wurden  dem  Kronlande 
angefügt  und  die  Ansprüche  Johannas,  der  Tochter  Ludwigs  X.,  und 
ihres  Gatten  Philipp  von  Evreux  dahin  verglichen,  dafs  ihnen  Philipp  VI. 
Navarra  überliefs,  aber  die  Champagne  zurückbehielt,  wofür  er  ihnen 
die  Grafschaften  Angouleme  und  Mortaine  zuwies.  Eine  neue  Dynastie 
übernahm  jetzt  die  Aufgabe,  die  grofsen  Errungenschaften  der  Kapetinger: 
das  nationale  Königtum  und  die  Einheit  des  französischen 
Staates,  zu  schützen.  Die  neue  Dynastie  schlug  neue  Wege  ein: 
Hatten  die  Kapetinger  eine  auf  die  Hebung  der  bürgerlichen  Interessen 
hinzielende  Politik  verfogt,  so  behielt  Philipp  VI.  seine  Vorliebe  für  den 
Adel  und  dessen  feudalen  Rechte  bei,  in  einer  Zeit,  da  das  englische 
Königtum  sich  eng  an  das  gewerbtätige  Bürgertum  anschlofs.  Im  Sinne 
dieser  Politik  nahm  Philipp  VI.  wieder  den  Kampf  gegen  die  flandrischen 
Bürgerschaften  auf,  die  sich  gegen  das  feudale  Regiment  des  Grafen 
Ludwig  I.  erhoben  hatten.  Zu  dessen  Unterstützung  drang  er  mit  einem 
Ritterheer,  bei  dem  sich  auch  Fürsten  und  Herren  aus  dem  deutschen 
Reiche  eingefunden  hatten,  in  Flandern  ein  und  gewann  bei  Kassel 
einen  glänzenden  Sieg.  Ludwig  nahm  an  den  Aufständischen  grausame 
Rache :  die  Privilegien  der  kleineren  Städte  wurden  vernichtet,  ihre 
Mauern  niedergerissen  und  ihre  völlige  Vernichtung  nur  durch  die 
Zahlung  bedeutender  Summen  abgewendet.  Jetzt  erst  wurde  der  Grund 
zu  dem  Hasse  gelegt,  der  die  flandrischen  Städte  bewog,  sich  in  den 
Kämpfen  der  späteren  Jahre  auf  die  Seite  des  bürgerfreundlichen  eng- 
lischen Königs  zu  stellen.  Die  Erfolge  Frankreichs  bewogen  die  Königin 
Isabella  von  England,  ihre  auf  einen  Angriff  Frankreichs  gerichteten  Ab- 
sichten aufzugeben.  Am  6.  Juni  1329  leistete  Eduard  III.  in  der  Kathe- 
drale zu  Amiens  als  Herzog  von  Guienne,  Graf  von  Ponthieu  und  Mont- 
reuil  dem  König  Philipp  die  Huldigung.  Da  England  bald  hierauf 
seinen  Kampf  gegen  Schottland  aufnahm,  gewann  es  den  Anschein,  als 
sollte  das  Haus  Valois  von  keiner  Seite  angegriffen  werden.  Während 
der  rauschenden  Feste,  an  denen  Könige  und  Fürsten  Europas  teil- 
nahmen, wurde  über  Pläne  verhandelt,  die,  wie  die  Neubegründung  des 
abendländischen   Rittertums,  einen  phantastischen  Beigeschmack  hatten. 


J)  Cont.  Guill.  Xang.  II,  83 :  Uli  de  regno  Franciae  non  aequanimiter  ferentes 
subdi  regimini  Anglorum  .  .  . 

2)  Nee  fas  nee  naturale  est  Francos  Anglis  subdi.  Suger.  ed.  Lecoy  de  la  Marche, 
p.  12.     Denifle,  p.  5. 


328  Eduard  IEL     Der  schottische  Krieg.     Der  Sturz  Mortimers. 

Auch  ein  neues  Kreuzzugsunternehmen  trat  in  Sicht1),  für  das  der  Papst 
Bewilligungen  machte  und  zu  welchem  die  Könige  von  Böhmen,  Ara- 
gonien  und  Navarra  das  Kreuz  nahmen.  Schon  wurden  in  den  Häfen 
des  südlichen  Frankreich  Schiffe  versammelt  und  der  Beginn  des 
Unternehmens  auf  1336  festgesetzt.  Ehe  noch  dieser  Zeitpunkt  heran- 
kam, traten  Ereignisse  ein,  die  den  Ausbruch  des  Krieges  mit  England 
unvermeidlich  machten. 

2.  Mit  grofser  Hast  hatte  die  Königin  Isabella  die  Thronbesteigung 
Eduards  III.  (1327  —  1377)  betrieben.  Die  Krönung  fand  am 
1.  Februar  1327  statt.  Der  junge  König  wurde  von  seiner  Mutter  und 
diese  von  ihrem  Liebhaber  Roger  Mortimer  beherrscht.  Das  Parlament, 
das  trotz  des  Thronwechsels  weiter  tagte,  stiefs  den  gegen  Lancaster 
erlassenen  Spruch  um.  Die  Feinde  der  Speriser  wurden  in  ihre  Rechte 
wieder  eingesetzt;  die  Königin  liefs  sich  für  die  im  Kriege  aufgewendeten 
Kosten  entschädigen;  ihren  Liebhaber  belohnte  sie  mit  dem  Titel  eines 
Grafen  von  March.  Die  Schotten  drangen  während  dieser  Vorgänge 
mit  4000  Rittern  und  Schildknappen  und  20000  nach  Landessitte  be- 
waffneten Männern  über  die  schlechtverteidigten  Grenzen  und  nötigten 
den  König  im  Vertrage  von  Northampton  (1328),  Schottlands  Unabhängig- 
keit förmlich  anzuerkennen  und  Robert  Bruce  als  König  zu  bestätigen. 
Die  Vermählung  des  schottischen  Thronerben  David  mit  Eduards 
Schwester  Johanna  sollte  den  neuen  Freundschaftsbund  besiegeln.  Das 
grofse  Werk  Eduards  I.  war  vernichtet;  König  Robert  hatte  das  Ziel 
seines  Lebens:  Schottlands  Unabhängigkeit  erreicht.  Ein  Jahr  nach 
Abschlufs  des  Friedens  starb  er.  Sein  Testament  enthielt  die  Weisung, 
sein  Herz  in  Jerusalem  beizusetzen.  Der  schmähliche  Friede  wurde  in 
England  mit  Erbitterung  aufgenommen.  Londons  Bürger  verhinderten 
die  Zurückgabe  des  schottischen  Königssteines.  Die  schwächliche  äufsere 
Politik  bereitete  den  Sturz  Mortimers  vor.  Wohl  blieben  die  ersten 
Versuche,  ihn  zu  beseitigen,  erfolglos,  ja  eine  Verschwörung  wider  ihn 
hatte  den  Sturz  des  Grafen  von  Kent,  eines  Oheims  des  Königs,  zur 
Folge;  aber  schon  war  Eduard  III.,  den  seine  Mutter  mit  Philippa  von 
Holland  und  Hennegau  vermählt  hatte,  entschlossen,  nicht  länger  ein 
Werkzeug  in  der  Hand  seiner  Mutter  und  ihres  Buhlen  zu  bleiben.  Mit 
Unterstützung  einiger  Lords  nahm  er  Mortimer  zu  Nottingham  ge- 
fangen und  die  Regierung  in  die  eigenen  Hände.  Das  Parlament  ver- 
urteilte Mortimer  wegen  seiner  an  Eduard  IL,  dem  Grafen  von  Kent 
und  andern  begangenen  Verbrechen,  wegen  Unterschlagung  von  Geldern 
und  der  von  ihm  widerrechtlich  angemafsten  Gewalt  zum  Tode.  Im 
übrigen  nützte  Eduard  III.  seinen  Sieg  mafsvoll  aus.  Seine  Mutter 
wurde  zwar  vom  Hofe  verwiesen,  behielt  aber  ein  reichliches  Einkommen ; 
selbst  Mortimers  Witwe  bekam  ihre  Eigengüter  wieder.  Zwanzig  Jahre 
später  wurde  auch  das  Urteil  wider  Mortimer  zugunsten  seines  Sohnes 
kassiert.  Die  Nachkommen  der  von  Mortimer  Hingerichteten,  gelangten 
nun  wieder  zu  Ehren.      Eduard   III.   lenkte   in  Eduards  I.    Bahnen  ein. 


x)  Die  Kreuzzugspläne  Philipps  b.  Delaville  le  Roulx  I,  86.    Lit.  s.  oben  §  39. 


Erfolge  in  Schottland.     Ausbruch  des  franz.  Krieges.  329 

Gegen  den  schottischen  König  David,  der  am  24.  November  1331  zu 
Scone  feierlich  gesalbt  wurde,  erhob  sich  das  Haus  Baliol.  Eduard  III. 
zögerte,  gegen  seinen  Schwager  mit  Ansprüchen  auf  Schottland  aufzu- 
treten, schliefslich  reizte  ihn  aber  die  Aussicht,  die  Stellung  seines 
Grofsvaters  zurückzugewinnen.  Daher  trat  er  Eduard  Baliol  nicht  in 
den  Weg,  als  sich  dieser  in  England  einschiffte,  an  der  Küste  von  Fife 
landete  und  siegreich  bis  Perth  drang.  David  floh  nach  Frankreich, 
und  Baliol  liefs  sich  am  4.  Oktober  1332  zu  Scone  krönen.  Willig 
erkannte  er  Englands  Oberhoheit  an  und  verpflichtete  sich,  Berwick  ab- 
zutreten. Dagegen  erhob  sich  die  nationale  Partei  Schottlands.  Baliol 
wurde  zur  Flucht  nach  England  gezwungen  und  in  das  gefährdete  Ber- 
wick eine  Besatzung  gelegt.  Jetzt  erst  trat  Eduard  III.  nachdrücklich 
zu  Baliols  Gunsten  ein.  Mit  einem  starken  Heere  brach  er  nach  Norden 
auf,  schlofs  Berwick  ein  und  errang  am  19.  Juli  1333  bei  Hallidon 
Hill  einen  glänzenden  Sieg.  Der  Zauber  der  Unüberwindlichkeit  war 
gebrochen,  der  seit  Bannockburn  auf  Schottlands  Waffen  ruhte.  Berwick 
verblieb  bei  England,  und  Schottlands  Krone  fiel  Baliol  zu.  Ein  Parla- 
ment, das  vom  10.  bis  12.  Februar  1334  in  Edinburg  tagte,  erkannte 
Eduard  III.  als  Oberlehensherrn  an  und  bestätigte  die  Abtretung  des 
Landstriches  östlich  von  Dumfries  bis  Linlithgow.  König  David  erhielt 
von  Philipp  VI.  Schlofs  Gaillard  in  der  Normandie,  die  alte  Burg  König 
Richards,  als  Wohnsitz  angewiesen.  Die  Abtretung  schottischen  Landes 
empörte  das  nationale  Empfinden  der  Schotten.  Nach  Eduards  Heim- 
kehr sah  Baliol  sich  zur  Flucht  nach  Berwick  genötigt.  Zweimal  — 
1335  und  1336  —  zog  ihm  Eduard  III.  gegen  die  Anhänger  des  Hauses 
Bruce  zu  Hilfe,  und  seine  Anstrengungen  wären  von  Erfolg  gekrönt  ge- 
wesen, hätte  nicht  der  Ausbruch  des  französischen  Krieges  den  Schotten 
die  ersehnte  Rettung  gebracht. 

§  79.  Eduard  III.  und  Philipp  VI. 

1.  Hatte  Eduard  III.  seine  Ansprüche  auf  die  französische  Krone 
bisher  zurückgestellt,  so  wurde  es  doch  schon  1336  mit  Rücksicht  auf 
die  offene  Erklärung  Philipps  VI.,  dafs  alte  Verträge  ihn  verpflichten, 
dem  König  David  Unterstützung  zu  gewähren,  deutlich,  dafs  England 
entweder  auf  die  Oberherrschaft  in  Schottland  und  den'  daselbst  ge- 
wonnenen Erwerb  verzichten  oder  den  Kampf  gegen  Frankreich  auf- 
nehmen müsse.  So  ging  aus  dem  schottischen  der  französische  Krieg 
hervor.  Angeeifert  wurde  Eduard  III.  durch  Robert  von  Artois,  einen 
Urenkel  des  bei  Mansurah  (1250)  gefallenen  Bruders  Ludwigs  IX.  Robert 
suchte  nämlich  die  1302  an  seine  Tante  Madame  Mahaut  gekommene 
Grafschaft  Artois  durch  alle  Mittel  in  seinen  Besitz  zu  bekommen  und 
scheute  hiebei  selbst  vor  Urkundenfälschung,  ja  noch  vor  schwereren 
Verbrechen  nicht  zurück.1)  Vom  Parlament  verurteilt,  vom  König  des 
Landes  verwiesen,  zum  Verlust  seiner  Güter   verurteilt,    entfloh  er  nach 


*)  Die  Literatur  zum  Prozefs  Roberts  v.  Artois  s.  bei  Coville  in  Lavisse,  Histoire 
de  France  IV,  1,  6. 


330         Die  Machtmittel  Frankreichs  u.  Englands.    Beiderseitige  Bundesgenossen. 

Brabant  und  fand  am  englischen  Hofe  Aufnahme.  In  Frankreich  wurde 
er  (im  März  1337)  des  Verbrechens  der  beleidigten  Majestät  schuldig 
erkannt  und  als  Feind  des  Königs  und  Königreiches  erklärt.  Der  Kampf 
zwischen  Frankreich  und  England  nahm  gleich  von  Anfang  an  grofse 
Dimensionen  an.  Die  Kräfte  beider  Staaten  waren  bei  Beginn  des 
Kampfes  sehr  ungleich.  Im  Vergleich  zu  Frankreich,  das  die  Politik 
der  Kapetinger  fast  zum  ersten  Staat  Europas  erhoben  hatte  und  das 
durch  die  Macht  des  Papsttums  unterstützt  wurde,  mufste  England  als 
armes  Land  erscheinen.  Bei  der  fünfmal  so  starken  Bevölkerung  Frank- 
reichs vermochte  es  dem  fünfmal  so  starken  Ritterheer  der  Franzosen 
nur  8000  Bewaffnete  entgegenzustehen.1)  Was  ihm  aber  an  eigenen 
Truppen  abging,  suchte  es  durch  die  seiner  Bundesgenossen  zu  ersetzen, 
und  diese  fand  er  bei  den  deutschen  durch  Frankreich  bedrohten  Fürsten 
im  Nordwesten  des  Reiches  oder  bei  jenen,  die  durch  Verwandtschaft 
an  das  englische  Königshaus  geknüpft  waren:  Eduards  Gattin  war  eine 
Holländerin,  seine  älteste  Schwester  an  den  Grafen  von  Geldern  ver- 
mählt. Mit  Jülich  und  Hennegau.  Köln  und  Brabant  wurden  Bündnisse 
geschlossen.  Reiche  Subsidien  hielten  diese  Fürsten  am  enghschen 
Bunde  fest.2)  Bei  den  Beziehungen  des  Papsttums  zu  Frankreich  hielt 
es  nicht  schwer,  auch  den  Kaiser  Ludwig  auf  Englands  Seite  zu  ziehen, 
und  am  23.  Juli  1337  wurde  ein  Subsidienvertrag  mit  ihm  geschlossen. 
Aber  dessen  Unterstützung,  unbedeutend  und  unsicher,  versagte  in  dem 
Augenblick,  als  sich  eine  Aussicht  auf  Versöhnung  mit  dem  Papste 
zeigte  (s.  oben).  Vorteilhafter  war  die  Hilfe  der  flandrischen,  auf  den 
Handelsverkehr  mit  England  angewiesenen  Städte.  England  konnte  als 
der  gröfste  Wollproduzent  des  Westens  bei  aller  Förderung,  die  Eduard  HL 
der  Tuchindustrie  Englands  angedeihen  liefs,  nur  einen  Teil  seiner  Roh- 
produkte verarbeiten.  Xeun  Zehntel  der  enghschen  Wolle  versorgten 
die  Webstühle  von  Brügge  und  Gent.3)  Während  Eduard  III.  aus  dem 
Ausfuhrzoll  eine  beträchtliche  Einnahme  —  sie  wird  auf  30000  Pfd. 
jährlich  veranschlagt  —  bezog,  waren  die  flandrischen  Städte  auf  die 
englische  Wollzufuhr  derart  angewiesen,  dafs  ihre  Unterbrechung  die 
blühende  flandrische  Tuchindustrie  vernichtet  hätte.  Dazu  kam  ein 
politisches  Moment :  der  Hafs  der  demokratischen  Städte  gegen  das  den 
Feudalismus  begünstigende  Frankreich.  Ihr  Führer  war  Jakob  von 
Artevelde,  ein  Mann  adeliger  Herkunft,  als  Mitglied  der  mächtigen 
Brauer zunft  von  Gent  und  Ruewart  oder  Protektor  von  Flandern  von 
gröfserem  Einflufs  als  selbst  der  Herr  dieses  Landes.  Um  die  deutschen 
Verbündeten  zu  gröfserem  Eifer  anzuspornen,  traf  Eduard  mit  dem 
Kaiser  in  Koblenz  zusammen  und  liefs  sich  von  ihm  zum  Reichsvikar 
auf  dem  linken  Rheinufer  ernennen.  Als  solchem  huldigten  ihm  die 
versammelten  Fürsten  und  erklärten  sich  zur  Hilfe  bereit.  Diese  wurde 
ihm  freilich  nicht  von  allen   gewährt.     Benedikt  XII.  protestierte  gegen 


1)  Die  Berechnung  in  Green  I,  267. 

2)  Eduard  HI.    griff   der  Politik  Godolphins  u.  Pitts   vor   und   wurde  der  Kriegs- 
zahlmeister der  ärmeren  Fürsten  Deutschlands.    Green,  S.  267. 

s)  Green,  S.  267. 


Beginn  des  Krieges.     Grofser  Seesieg  der  Engländer  bei  Sluys.  331 

das  englische  Vikariat  in  Nordwestdeutschland;  Eduard  III.  legte  seine 
Würde  nieder  und  nahm  die  Verhandlungen  mit  Frankreich  wieder  auf. 
Gleichwohl  dachte  er  keinen  Augenblick  daran,  einem  Krieg  auszuweichen. 
Dieser  sollte  in  Guienne  defensiv,  von  den  Niederlanden  aus  offensiv 
geführt  werden.  Aber  der  erste  Feldzug  (1339)  mit  der  vergeblichen 
Belagerung  von  Cambray  brachte  dem  König  keine  Erfolge.  Er  kehrte 
nach  England  zurück,  um  neue  Hilfsmittel  aufzutreiben.  Das  Parlament 
gewährte  solche  Bewilligungen,  die  ihn  in  den  Stand  setzten,  den  Krieg 
kräftig  fortzuführen.  Die  Franzosen  fanden  bei  Navarra,  Böhmen, 
einzelnen  deutschen  Fürsten  und  den  Genuesen1)  Unterstützung  und 
rechneten  namentlich  auch  auf  die  der  Schotten.  Von  ihren  Heeres- 
abteilungen drang  eine  in  Flandern  ein,  eine  zweite  wandte  sich  gegen 
den  Grafen  von  Hennegau;  die  Flandrer  wurden  überdies  noch  auf  der 
Seeseite  bedroht.  Sie  sandten  Eilboten  nach  England  und  baten  um 
schleunige  Hilfe.  Schon  drohten  die  Franzosen  mit  einem  Angriff  auf 
Antwerpen  und  erwogen  den  Plan  einer  Landung  in  England. 
Eduard  III.  brach  am  22.  Juni  von  Orwell  auf.  Mit  seinen  200  Schiffen 
griff  er  die  schlechtgeführte  französische  Flotte,  die  vor  der  Swyne- 
mündung  so  dicht  aufgestellt  war,  dafs  sie  sich  nicht  frei  zu  bewegen 
vermochte,  bei  Sluys  an2)  und  brachte  ihr  nach  neunstündigem  Kampfe, 
dank  dem  Eingreifen  der  Vlämen,  eine  vernichtende  Niederlage  bei. 
Alle  Schiffe  der  Franzosen,  bis  auf  20,  wurden  genommen  oder  versenkt. 
Haufenweise  sprangen  die  Franzosen  ins  Meer.  An  30000  von  ihnen 
sollen  umgekommen  sein.3)  In  ganz  Flandern  und  weit  darüber  hinaus 
wurde  der  Sieg  über  die  Franzosen  mit  Jubel  begrüfst4):  er  machte 
Eduard  für  30  Jahre  zum  Herrn  des  Meeres.  Er  wandte  sich  gegen 
Tournay,  indes  Robert  von  Artois  St.  Omer  belagerte.  Schliefslich  ver- 
mittelte Johanna  von  Valois,  verwitwete  Gräfin  von  Hennegau  und  beiden 
Königen  verwandt,  unterstützt  von  dem  päpstlichen  Legaten,  einen 
Waffenstillstand  (25.  September),  in  den  auch  Schottland  eingeschlossen 
wurde.  Der  Kaiser  trat  nicht  lange  nachher  ganz  vom  Bunde  gegen 
Frankreich  zurück. 

2.  Der  Krieg  hatte  die  Mittel  des  englischen  Königs  erschöpft. 
Dunkle  Gerüchte  über  Pläne  der  englischen  Regierung  wider  ihn  waren 
in  Umlauf.  Da  er  sich  von  ihr  nicht  genügend  unterstützt  glaubte,  er- 
schien er  unerwartet  in  London  und  stürzte  die  oberste,  von  den  Bischöfen 
von  Chichester  und  Lichfleld  gebildete  Verwaltung.  Zum  erstenmal 
erhielt  ein  Ritter,  Robert  de  Bourchier,  das  Staatssiegel;  auch  aus  den 
übrigen  Verwaltungszweigen  wurden  die  Geistlichen  entfernt.  Das  Parla- 
ment gewährte  reiche  Mittel  zur  Fortführung  des  Kampfes,  freilich  nicht 
ohne  dafs  der  König  ihm  neue  Zugeständnisse  machte :  vor  allem  sollte 


*)  Die  Anteilnahme  der  Italiener  s.  bei  Coville,  46 — 47. 

2)  Die  Franzosen  nennen  die  Schlacht :  la  bataille  de  VEcluse.    Zusammenstellung 
der  Quellen  zur  Schlacht  bei  Mackinnon,  159. 

3)  Wie  Philipp  VI.    die  Kunde    durch  seinen  Hofnarren  zugetragen  wird,    s.  bei 
Walsingham,  148. 

4)  Jan  de  Klerk :   Van  deser  hoeger  victorien  —  die  ewelijc  blijft  in  memorien  .  .  . 


332  Der  Erbfolgestreit  in  Bretagne. 

die  Geistlichkeit  fortan  vor  Eingriffen  weltlicher  Beamten  gesichert,  die 
Inhaber  der  obersten  Staatsämter  auf  die  Magna  Charta  vereidigt  und 
bei  Beginn  jedes  Parlaments  auf  kurze  Zeit  ihrer  Ämter  enthoben  werden, 
um  den  Lords  über  ihre  Amtsführung  Rechenschaft  zu  geben.1)  Wohl 
protestierte  der  König  gegen  das  Statut  als  ein  ihm  abgerungenes;  die 
äufsere  Politik  hinderte  es  aber,  dafs  es  zu  einem  schärferen  Zusammen- 
stofs  kam.  Der  Waffenstillstand  mit  Frankreich  wurde  mehrmals  ver- 
längert, und  Klemens  VI.  gab  sich  alle  Mühe,  einen  förmlichen  Frieden 
herzustellen.  König  Eduard  hätte  Grund  genug  gehabt,  darauf  ein- 
zugehen: er  hatte  eben  erfahren,  wie  geringer  Verlafs  auf  den  Kaiser 
und  die  Reichsfürsten  sei.  Aber  nun  war  zum  schottischen  noch  ein 
anderer  Streitfall  gekommen.  Am  30.  April  1341  war  Johann  III. , 
Herzog  der  Bretagne,  ohne  Kinder  zu  hinterlassen,  gestorben.  Eine 
Nichte,  Johanna  von  Penthievre,  Tochter  seines  vor  sechs  Jahren  ver- 
storbenen jüngeren  Bruders  Gui,  und  der  jüngste  Bruder,  Johann  von 
Montfort,  erhoben  auf  das  Erbe  Ansprüche :  Johanna  auf  Grund  des 
in  Bretagne  herrschenden  Repräsentationsrechtes,  das  Frauen  von  der 
Nachfolge  nicht  ausschlofs,  Johannn  von  Montfort,  weil  die  Bretagne 
Lehen  und  Pairie  des  Königreichs  sei,  darin  keine  andere  Nachfolge 
gelten  dürfe  als  im  Königreiche  selbst.  Die  Bretagne  bestand  aus  zwei 
voneinander  völlig  verschiedenen  Teilen :  die  sog.  französische  Bretagne, 
das  Land  der  » Gallos«  mit  den  Diözesen  Rennes,  Nantes,  Dol,  Saint- 
Malo  und  einem  Teil  von  Saint-Brieuc  —  Der  Osten  des  Landes  hielt  zu 
Johanna  und  ihrem  Gemahl  Karl  von  Blois,  die  bretonische  Landschaft, 
in  der  noch  die  alte  keltische  Sprache  gesprochen  ward  —  der  Westen  — 
zu  Montfort.  Fand  Johanna  die  Unterstützung  Philipps  VI.,  so  trat 
Eduard  III.  für  Montfort  ein  und  damit  für  das  Recht,  das  er  in  Frank- 
reich selbst  bestritt;  in  jedem  Falle  war  es  ihm  willkommen,  in  der  Bre- 
tagne jenes  Einfallstor  nach  Frankreich  zu  gewinnen,  das  ihm  bisher 
gefehlt  hatte. 

3.  Der  Krieg  wurde  erst  1345  nachdrücklicher  aufgenommen,  nach- 
dem die  Stände  in  beiden  Ländern  reichere  Mittel,  in  Frankreich  die 
Salz-,  in  England  die  Wollsteuer,  zur  Verfügung  gestellt  hatten.  In 
Guienne  errang  Graf  Derby  bedeutende  Erfolge,  Eduard  selbst  richtete 
sein  Augenmerk  auf  Flandern.  Hier  war  sein  bedeutendster  Anhänger, 
Jakob  von  Artevelde,  der  noch  zuletzt  den  Plan  verfolgt  hatte,  die 
flandrische  Dvnastie  zu  stürzen  und  den  Prinzen  von  Wales  zum  Herrn 
des  Landes  zu  machen,  von  einem  erregten  Volkshaufen  ermordet 
worden  (1345,  24.  Juli).  Die  flandrischen  Städte  blieben  zwar  auf  eng- 
lischer Seite,  der  Kampf  konnte  aber  doch  erst  im  folgenden  Jahre 
weitergeführt  werden.  Ende  Juni  1346  hatte  Eduard  III.  eine  mächtige 
Flotte  mit  einem  starken  Kriegsheer  in  Portsmouth  und  Southampton 
versammelt.  Er  hatte  die  Absicht,  nach  dem  südlichen  Frankreich  zu 
ziehen;  widrige  Winde  oder,  wie  man  meint,  die  Überredungskunst 
Gottfrieds  von  Harcourt,   bewogen  ihn,    nach  der  Normandie  zu  ziehen, 


x)  Gneist,  402. 


Die  Schlacht  von  Crecy.     Niederlage  Frankreichs.  333 

um  dies  Land,  die  Heimat  des  englischen  Adels,  dessen  Wiedererwer- 
bung die  englischen  Könige  niemals  aufser  acht  gelassen,  zu  erobern. 
Am  12.  Juli  landete  er  im  Hafen  von  La  Hogue.  Die  Franzosen 
hatten  ihre  Hauptmacht  nach  dem  Süden  gesandt,  doch  war  ihr  Heer, 
das  die  Gegner  bei  Rouen  erwartete,  immer  noch  um  das  Doppelte 
stärker.  Eduard  war  über  Caen  an  das  linke  Seineufer  gezogen  und 
bis  vor  Paris  gekommen.  Dort  bot  ihm  Philipp  die  Schlacht  an,  aber 
Eduard  wies  sie  angesichts  der  Überlegenheit  des  Gegners  zurück  und 
überschritt  bei  Poissy  die  Seine.  Von  dort  aus  zog  er  nach  dem  Norden 
um  sich  mit  den  Flandrern  zu  vereinigen.  Nachdem  er  sich  den  Über- 
gang über  die  Somme,  wo  Philipp  ihn  festhalten  wollte,  erkämpft  hatte, 
lagerte  er  bei  dem  Städtchen  Crecy.  Hier  kam  es  am  26.  August  1346 
zum  Kampfe.  Dem  englischen  Heere,  das  etwas  mehr  als  30000  Mann 
zählte,  standen  die  Franzosen  mit  12000  Rittern  und  60000  sonstigen 
GewafTneten  entgegen ;  sie  gedachten,  ein  anderes  Bouvines  zu  gewinnen, 
und  in  der  Tat  waren  alle  Vorteile  der  numerischen  Macht  und  der  Lage 
auf  ihrer  Seite.  Nichtsdestoweniger  brachte  ihnen  das  überlegene  Feld- 
herrntalent Eduards  III.  und  die  Tapferkeit  des  jungen  Prinzen  von 
Wales  eine  furchtbare  Niederlage  bei.1)  König  Johann  von  Böhmen, 
der  mit  seinem  Sohne,  dem  Markgrafen  Karl  von  Mähren,  am  Kampfe 
teilnahm  (s.  oben)  und  das  erste  der  drei  Treffen  der  Franzosen  be- 
fehligte, fand  im  Gewühl  des  Kampfes  gegen  die  aus  ihrer  Wagenburg 
vorbrechenden  Scharen  des  Prinzen  von  Wales  den  Tod.  Die  Blüte 
der  französischen  Ritterschaft,  an  1600  Barone  und  20000  Gemeine,  lag 
erschlagen  auf  der  Walstatt.2)  Sie  war  vernichtet  worden  von  englischen 
und  niederländischen  Kriegern  aus  dem  Volke.  Es  war  ein  Sieg  leicht 
bewaffneter  Kriegsscharen  über  schwer  bewaffnete  Ritter.  Nach  Villani 
verwendeten  die  Engländer  Geschütze,  die  kleine  Eisenkugeln  warfen, 
Trofs  und  Pferde  niederschlugen  und  einen  Lärm  machten,  dafs  man 
meinte,  es  donnere.3)  Es  war  die  erste  grofse  Feldschlacht,  die  England 
auf  dem  Festlande  gewann.  Sie  vernichtete  die  grofsen  Errungenschaften 
der  kapetingischen  Könige  seit  Philipp  II.  August  und  gab  England 
seine  mafsgebende  Stellung  auf  dem  Kontinent  zurück.  Die  Engländer 
gewannen  nun  einen  Erfolg  nach  dem  andern.  Ein  in  Nordengland 
eingedrungenes  Heer  der  Schotten  wurde  (17.  Oktober)  bei  Nevil's 
Crofs  geschlagen  und  König  David  zum  Gefangenen  gemacht.  Um 
eine  bequemere  Operationsbasis  gegen  Frankreich  zu  haben,  wurde  Calais 
belagert  und  nach  elf  Monaten  erobert.  Philipp  VI.  sah  sich  gezwungen, 
um  einen  Waffenstillstand  anzusuchen.  Eduards  Ansehen  stand  so  hoch, 
dafs  ihm  die    wittelsbachische   Partei   nach   dem  Tode   des  Kaisers   die 


*)  Die  Quellen  zur  Schlacht  s.  in  Böhrner-Huber,  Regg.  S.  23  u.  Köhler,  S.  385. 
Dort  auch  ein  Plan ;  Mackinnon,  S.  313  (mit  Lit.-Ang.,  unter  denen  aber  die  deutsche  fehlt). 

2)  Cecidit  ßos  tocius  militiae  Gallicorum. 

3)  Einer  der  am  Kampfe  teilnehmenden  Genuesen  unter  Grimaldi  u.  Doria,  sie 
standen  unter  Johann  von  Böhmen,  liefs  Villani  zweifellos  Mitteilungen  zugehen. 
Einzelheiten  bei  Köhler.     Dazu  Denifle  I,  43,  Note  8.    Villani,  ed.  Triest.   I,  484. 


334  Frankreich  erwirbt  die  Dauphine.     Johann  der  Gute. 

deutsche  Kaiserkrone  anbot.  Er  war  klug  genug,  sie  abzulehnen.1)  Die 
Kämpfe  hatten  schliefslich  den  einen  Gegner  ebensowie  den  andern  mit- 
genommen. Unter  päpstlicher  Vermittlung  ward  am  28.  September  1347 
ein  Waffenstillstand  auf  ein  halbes  Jahr  abgeschlossen  und  die  entsetz- 
liche Pest,  die  1348  ganz  Europa  durchzog,  mahnte  die  kriegerisch  Ge- 
sinnten zur  Ruhe.  Der  Waffenstillstand,  wiederholt  erneuert,  dauerte 
bis  1355.  Nach  so  vielen  Unfällen  gelang  Philipp  VI.  die  Erwerbung 
der  Dauphine  (1349);  am  22.  August  des  folgenden  Jahres  starb  er. 
Bei  allem  ritterlichen  Wesen  hatte  er  für  die  wahren  Aufgaben  des 
Königtums  kein  Verständnis,  ihm  fehlte  es  nicht  blofs  an  der  politischen 
Begabung  der  letzten  Kapetinger,  sondern  auch  an  Ratgebern,  wie  sie 
diesen  in  so  reichem  Mafse  zu  Gebote  standen. 

§  80.     Soziale  und  politische  Kämpfe  unter  König  Johann  (II.)  dem 

Outen  (1350—1364). 

1.  König  Johann  (IL)  war  31  Jahre  alt,  als  er  die  Regierung  an- 
trat. Sein  Ideal  eines  Ritters  und  Helden  war  sein  Schwiegervater,  der 
bei  Crecy  gefallene  Böhmenkönig  Johann.  Wie  dieser  lebte  er  in  der 
zum  grofsen  Teil  schon  entschwundenen  Welt  des  Rittertums,  ein  tapferer, 
ritterlicher  König,  verschwenderisch,  selbst  als  sein  Land  aus  tausend 
Wunden  blutete,  von  einer  Gutmütigkeit,  die  ihn  beim  Volke  beliebt 
machte  und  der  er  seinen  Beinamen  verdankte.  Ohne  Sinn  für  die 
wirtschaftliche  Entwicklung  des  Landes,  hatte  er  despotische  Anwand- 
lungen, die  ihm  im  eigenen  Lager  heftige  Gegner  schufen.  Zu  diesen 
gehörte  König  Karl  der  Böse  von  Navarra,  der  durch  seine  Mutter 
Johanna,  der  Tochter  Ludwigs  X.,  den  letzten  Kapetingern  näher  stand 
als  König  Johann;  wohl  hatten  seine  Eltern  keine  Absichten  auf  die 
Krone  kundgegeben,  aber  er  hielt  sich  zu  solchen  Ansprüchen  durchaus 
berechtigt;  mit  dem  König  seit  1354  wegen  der  Ermordung  des  Conne- 
tables  verfeindet,  stand  er  mit  England  in  Verbindung.  Das  Ziel 
Eduards  III.,  der  den  Krieg  im  folgenden  Jahre  wieder  begann,  war 
die  völlige  Loslösung  seines  südfranzösischen  Besitzes  von  Frankreichs 
Lehenshoheit.  Dorthin  zog  nun  der  Prinz  von  Wales,  oder  wie  er  nach 
seiner  schwarzen  Rüstung,  die  er  zu  tragen  liebte,  um  seine  schöne 
Gesichtsfarbe  mehr  hervortreten  zulassen,  genannt  wird,  der  schwarze 
Prinz.  Frankreichs  Lage  war  eine  trostlose.  Die  Stände  von  Languedoil 
benützten  die  Notlage  des  Königs,  um  ihre  Machtbefugnisse  zu  erhöhen. 
Sie  waren  auf  den  2.  Dezember  1355  berufen  worden,  um  die  zur  Kriegs- 
führung notwendigen  Mittel  zu  bewilligen.  Wortführer  der  Städte  war 
der  Tuchmacher  Etienne  Marcel,  Vorstand  der  Pariser  Kaufmann- 
schaft, ein  ebenso  kühner  und  entschlossener  als  ehrgeiziger  Mann,  den 
seine  Geschäfte  in  vielfache  Berührung  zu  den  städtischen  Körperschaften 
Flanderns  gebracht  hatten  und  der  von  einer  tiefen  Bewunderung  für 
deren  Freiheiten  erfüllt  war.  Die  Stände  versprachen  die  nötigen  Mittel, 
um   30000  Mann   auf   ein  Jahr   zu   besolden,    bewilligten   die  Salz-   und 

x)  Dicens  se  malle  prosequi  ius  suum. 


Soziale  u.  politische  Kämpfe  unter  Johann  d.  Guten.    Fortgang  d.  Krieges.       335 

eine  allgemeine  Warensteuer,  beschlossen  aber,  deren  Verwaltung  selbst 
In  die  Hand  zu  nehmen,  und  erhoben  den  Anspruch,  sich,  auch  ohne 
berufen  zu  sein,  in  drei  Monaten  wieder  zu  versammeln,  um  die  Aus- 
führung ihrer  Beschlüsse  zu  überwachen,  und  nach  einem  Jahre,  um 
die  Rechnungen  zu  prüfen.  Ihre  Delegierten  organisieren  die  königlichen 
Truppen,  halten  Musterung  und  zahlen  den  Sold.  Alle  andern  Auf- 
lagen hören  auf;  Rechtshilfe  gegen  Mifsbrauch  der  Gewalt  und  Über- 
griffe der  Beamten  ist  allen  gesichert,  das  Recht  der  hievon  Betroffenen 
mit  den  Waffen  Widerstand  zu  leisten,  wird  anerkannt.  —  Indem  die 
Stände  die  Steuererhebung  und  Finanzkontrolle  an  sich  rissen,  waren 
die  wesentlichen  Ansätze  gegeben,  um  das  absolute  Königtum  durch 
ein  ständisches  Regiment  zu  beschränken.  Gab  der  König  im  Drange 
der  Not  nach,  so  war  er  doch  nicht  gewillt,  sich  solche  Einschränkungen 
auf  die  Dauer  gefallen  zu  lassen.  Die  Unbeliebtheit  der  neuen  Steuern 
kam  ihm  zugute.  In  einigen  Landschaften  kam  es  zu  offenem  Wider- 
stand; daher  wurden  sie  durch  eine  allgemeine  Einkommensteuer  ersetzt, 
deren  Einhebung  gleichfalls  unter  ständische  Aufsicht  gestellt  wurde. 
Die  Kluft  zwischen  König  Johann  und  Karl  von  Navarra  hatte  sich 
inzwischen  erweitert ;  dieser  stand  im  Verdacht,  den  Dauphin  gewonnen 
und  das  Volk  zum  Widerstand  gegen  die  neuen  Steuern  aufgereizt  zu 
haben.  Nach  einer  scheinbaren  Versöhnung  ward  Karl  während  eines 
Gastmahls  gefangen  genommen  (1356,  5.  April),  seine  Ratgeber,  unter 
ihnen  Harcourt,  enthauptet  und  er  selbst  von  Schlofs  zu  Schlofs  geschleppt. 
Nun  wandten  sich  alle  Freunde  Navarras  den  Engländern  zu  und  er- 
kannten Eduard  III.  als  legitimen  Herrscher  von  Frankreich  an. 

2.  Das  Frühlingsparlament  von  1355  hatte  dem  englischen  König 
reiche  Mittel  zum  Kriege  gewährt.  Drei  Heere  wurden  ausgerüstet,  aber 
der  Feldzug  von  1355  entsprach  nicht  den  Hoffnungen  Eduards,  denn 
noch  war  es  dem  König  Johann  gelungen,  den  Navarresen  vom  eng- 
lischen Bündnis  abzuziehen.  Auch  für  1356  lagen  die  Dinge  für  Eng- 
land nicht  günstig.  Erst  die  Schreckenstat  vom  5.  April  änderte  diese 
Lage.  12  Tage  später  sandte  Karls  Bruder  Philipp  von  Navarra  seine 
Absage  an  den  König,  bald  folgte  sein  grofser  Anhang.  Eduard  III. 
gewährte  bereitwillig  die  erbetene  Hilfe  und  gab  Lancaster  den  Auftrag, 
den  Kampf  in  der  Normandie  aufzunehmen.  Der  Prinz  von  Wales 
hatte  die  Absicht,  von  Südfrankreich  aus  nordwärts  zu  ziehen,  um  sich 
mit  ihm  zu  verbinden.  Er  hatte  den  Krieg  bisher  mit  solcher  Grausam- 
keit geführt,  dafs  er,  selbst  um  hohe  Summen,  keinen  Kundschafter 
fand,  der  ihm  bedeutet  hätte,  wo  der  König  stünde  und  wie  stark  er 
wäre.  Anfang  August  brach  er  von  der  Dordogne  gegen  die  Loire  auf. 
Am  28.  überschritt  er  den  Cher,  am  7.  September  erreichte  er  bei  Tours 
die  Loire,  wenige  Tage  später  erschien  das  französische  Heer  —  es  zählte 
an  60000  Mann  —  bei  Blois.  Noch  machte  der  Papst  Vermittlungs- 
versuche, die  aber  durchaus  vergeblich  waren.  Bei  der  Übermacht  der 
Franzosen,  geriet  der  Prinz  in  eine  gefährliche  Lage  und  war,  um  dem 
Kampfe  auszuweichen,  zu  grofsen  Zugeständnissen  geneigt.  Aber  die 
Franzosen,   in  der  Meinung,    den  Sieg  schon  in  den  Händen  zu  haben, 


336  Die  Schlacht  bei  Maupertuis. 

verlangten,  dafs  sich  der  Prinz  ergebe.  Dieser  nahm  den  ungleichen 
Kanrpf  auf.1)  Seine  Stellung  war  trefflich  gewählt:  er  stellte  sich  — 
arn  19.  September  —  bei  Maupertuis,  zwei  Meilen  nördlich  von 
Poitiers,  auf  einer  kleinen  Anhöhe  auf,  wo  sich  nur  auf  schmalem,  von 
Hecken  und  Weinbergen  eingefafstem  Wege  die  Möglichkeit  zum  Kampfe 
bot.  In  diesem  Hohlweg  liefs  König  Johann,  bei  aller  Tapferkeit  ein 
schlechter  Feldherr,  den  Angriff  aufnehmen.  Bald  war  der  Weg  von 
Menschen  und  Pferden  angefüllt,  während  die  vordersten  Reihen  vor 
dem  dichten,  aus  den  Hecken  auf  sie  niedergehenden  Pfeilregen  zurück- 
wichen. In  dieser  Verwirrung  griff  eine  auf  einem  Hügel  zur  Rechten 
aufgestellte  Reiterschar  die  Franzosen  in  der  Flanke  an,  während  der 
Prinz  auf  die  Front  losstürmte  und  die  Pfeile  der  englischen  Armbrust- 
schützen die  Verwirrung  vermehrten.  König  Johann  und  sein  jüngster 
Sohn  wurden  gefangen,  die  Blüte  des  französischen  Heeres  erlag  auf 
dem  Schlachtfeld  oder  auf  der  Flucht.  Ungeheuer  grofs  war  die  Beute 
an  Gold  und  Silber  und  den  Loskauf  summen  der  Gefangenen.  Der 
schwarze  Prinz,  der  den  andern  in  der  Schlacht  durch  Mut  und  Kalt- 
blütigkeit vorangeleuchtet  hatte,  ging,  selbst  stark  geschwächt,  nach 
Bordeaux.  Am  24.  Mai  des  folgenden  Jahres  hielt  er  seinen  Einzug  in 
London,  bescheiden,  als  wäre  er  selbst  der  Besiegte,  hinter  dem  ge- 
fangenen König  reitend.  Im  Palaste  Savoyen  nahm  Johann  seine 
Wohnung.  Inzwischen  kam  durch  die  Vermittlung  des  Papstes  ein 
Waffenstillstand  auf  zwei  Jahre  zustande.  Nicht  minder  grofs  als  in 
Frankreich  waren  Englands  Erfolge  in  Schottland.  Ein  Bündnis  der 
Iren  und  Schotten  hatte  Eduard  III.  gezwungen,  nach  England  zurück- 
zukehren (1355,  November).  Nun  verzichtete  Eduard  Baliol  (1356,  Januar) 
zu  seinen  Gunsten  auf  die  Krone.  Der  Kampf  dauerte  indes  weiter, 
und  erst  die  Nachricht  von  dem  grofsen  englischen  Siege  in  Frankreich 
bewog  auch  die  Schotten  einzulenken.  Eine  Stände  Versammlung  zu 
Edinburg  (1357,  26.  September)  bot  die  Hand  zum  Frieden.  Gegen 
Zahlung  von  100000  Mark  Silber  sollte  König  David  die  Freiheit  er- 
halten. Damit  hatte  Eduard  III.  freie  Hand  gewonnen,  um  den  Kampf 
gegen  Frankreich  wieder  aufzunehmen. 

3.  König  Johanns  Regierung  hatte  sich  als  zu  schwach  erwiesen, 
den  äufseren  Feind  zu  besiegen,  und  der  Adel  seinen  Waffenruhm  ein- 
gebüfst.  Beide,  Königtum  und  Adel,  verspürten  nun  die  Folgen  der 
Niederlage.  Bürger  und  Bauern  hielten  mit  ihren  Aufserungen  des 
Hasses  nicht  zurück.     Im  Namen  des  Königs  hatte  der  Dauphin2)  Karl 

x)  Die  Schlacht  bei  Poitiers  oder  Maupertuis  am  19.  September  1356  bei  Köhler  II, 
417—449.  Mit  Karte  u.  Schlachtplan.  Zur  Sache  auch  Denifle  I,  112.  Über  die  Schwierig- 
keiten, welche  die  Darstellung  der  Schlacht  bietet,  s.  S.  128  u.  Thompson  zu  Baker 
de  Swynbrocke,  300—314. 

2)  Über  den  Ursprung  des  Xamens  Dauphin  s.  Prudhomme,  BECh.  LIV,  428. 
Danach  ist  Delphinus  d'abord  un  prenom  (S.  Delphinus),  puis  un  nom  patronimique, 
puis  un  titre  de  dignite.  II  prend  definitiv ement  ce  dernier  sens  dans  les  deux  pays 
(Auvergne  et  Dauphine)  ä  la  fin  du  13e  siede  vers  Vannee  1282.  Damals  wird  noch 
geschrieben :  Nos  Humbertus  Delphinus,  Vienne  et  Albonis  comes  .  .  .  1285  spricht  man 
schon  von  einem  Delphinatus. 


liltienne  Marcel  und  die  Forderungen  der  Reichsstände.  337 

die  Zügel  der  Regierung  ergriffen,  doch  auch  er  wurde  von  der  allge- 
meinen Volkserregung  betroffen.  Bald  erhob  sich  neben  ihm  eine  Ge- 
walt zu  aufserordentlicher  Bedeutung,  die  Etienne  Marcels1),  der 
sich  in  den  Tagen  der  Not  bewährt  hatte.  Am  16.  Oktober  1356  traten 
die  Stände  zusammen.  Von  den  800  Mitgliedern  gehörte  ungefähr 
die  Hälfte  dem  Bürgerstande  an.  Sie  wurde  von  Marcel  geführt.  Ihm 
stellte  sich  Robert  le  Coq  zur  Seite,  der  beredte  Bischof  von  Laon, 
früher  Advokat  beim  Pariser  Parlament,  der  geheime  Führer  der  Agi- 
tation gegen  den  König,  ein  Freund  Karls  des  Bösen  und  seiner  Pläne. 
Den  beiden  gesellte  sich  Johann  von  Piquigny  zu,  der  Wortführer  des 
Adels.  Diese  Männer  begehrten  Abschaffung  bestehender  Mifsbräuche 
und  Kontrolle  der  Regierung  durch  ständische  Ausschüsse.  Der  Dauphin 
war  hierüber  betroffen.  Unter  dem  Vorwand,  seinen  Oheim,  den  Kaiser 
in  Metz  zu  besuchen,  damit  er  sich  für  die  Befreiung  seines  Vaters 
einsetze,  vertagte  er  die  Reichsstände.  Er  hoffte,  bei  den  Provinzial- 
ständen  seine  Forderungen  leichter  durchzusetzen.  Doch  auch  diese 
traten  zum  Teil  in  die  Fufsstapfen  der  allgemeinen  Stände.  Auch  der 
Kaiser  konnte  seinem  Neffen  keine  Hilfe  gewähren,  und  als  dieser  durch 
strengeres  Auftreten  den  trotzigen  Sinn  der  Stände  zu  brechen  unter- 
nahm, wurde  die  Stimmung  in  Paris  immer  erregter.  Marcel  liefs  die 
Bürger  unter  Waffen  treten.  Nun  wich  der  Dauphin  zurück ;  er  zog 
die  leichte  Münze,  die  zur  Erregung  der  Bürger  beigetragen  hatte,  ein, 
gab  die  mifsliebigsten  Räte  preis  und  berief  die  Reichsstände.2)  Die 
Not  des  Landes  war  inzwischen  aufs  höchste  gestiegen.  Die  Gefangenen 
von  Maupertuis  mufsten  ausgelöst  werden;  um  das  Lösegeld  zusammen- 
zubringen, wurden  ihre  Hörigen  aufs  äufserste  gequält,  überdies  zogen 
die  bösen  Gesellschaften  raubend  und  sengend  umher.  Die  Stände 
traten  am  5.  Februar  1357  zusammen.  In  beredten  Worten  schilderte 
le  Coq  das  allgemeine  Elend  und  versprach  schliefslich,  die  geforderten 
Mittel  aufzubringen,  falls  die  verlangten  Reformen  durchgeführt  würden. 
Die  Forderungen  der  Stände  umfafsten  67  Artikel,  die  zumeist  eine 
starke  Einschränkung  der  königlichen  Gewalt  enthielten :  vor  allem 
alleinige  Kontrolle  über  Einhebung  und  Verwendung  der  neuen  Steuern. 
Zu  dem  Zwecke  sollten  sie  sich  dreimal  im  Jahre,  auch  ohne  besondere 
Berufung  durch  den  König,  versammeln  dürfen.  Alle  mifsliebigen  Be- 
amten sollten  entfernt,  Mitglieder  der  Reichsstände  in  den  königlichen 
Rat  aufgenommen,  eine  bessere  und  raschere  Handhabung  der  Justiz 
eingeführt,  alle  Privatfehden  unterdrückt  und  zahlreiche  Mifsbräuche 
abgeschafft  werden.  Ein  Ausschufs  von  36  Mitgliedern  —  je  zwölf  aus 
jedem  Stande  —  wurde  eingesetzt  und  erhielt  die  gewünschte  Kontrolle. 
Da  in  dem  Ausschufs  die  bürgerlichen  Elemente  und  unter  diesen  die 
von  Paris  überwogen,  kam  die  Leitung  in  die  Hände  der  Pariser  Depu- 
tierten. Die  Zustände  in  Paris  und  auf  dem  Lande  wurden  immer 
trostloser;    Karl  von  Navarra,    aus    der  Haft   entkommen,    strebte   offen 

x)  S.  Luce,  Pieces  inedites  relatives  ä  Etienne  Marcel.  BlilCh.  XXI. 
2)  Über  die  Reichsstände  von  1356    s.  Delachenal,   Journal    des  Etats  G^näraux 
reunis  ä  Paris  en  Octobre  135,6.    NRH.  du  droit  1900. 

Loserth,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  22 


338  »Le  gouvernement  par  la  parole.«     Die  Jacquerie. 

nach  der  Krone  und  gewann,  von  Marcel  und  le  Coq  unterstützt,  eine 
Stellung,  die  der  des  Dauphins  nichts  nachgab.  Beide  —  Karl  von 
Navarra  und  der  Kronprinz  —  appellierten  durch  wiederholte  Ansprachen 
an  das  Volk1),  das  so  förmlich  zum  Richter  angerufen  wurde.  Le  Coq 
stellte  den  Satz  auf,  die  Stände  seien  berechtigt,  die  Thronfolge  zu 
ändern.  Während  eines  stürmischen,  von  Navarra  veranlafsten  Tumultes 
der  Pariser  (1358,  22.  Februar)  wurden  des  Dauphins  Ratgeber,  die 
Marschälle  der  Champagne  und  Normandie  getötet,  die  übrigen  Offiziere 
zur  Flucht  gezwungen,  dem  Dauphin  selbst  die  blaurote  Parteimütze  der 
Pariser  aufs  Haupt  gesetzt.  Dieser  sah  sich  gezwungen,  das  Geschehene 
gutzuheifsen  und  Karl  von  Navarra  Amnestie  und  ein  Jahreseinkommen 
zu  bewilligen.  Die  Machthaber  von  Paris  nötigten  den  Dauphin,  um 
ihn  von  seinem  Vater  unabhängiger  zu  machen,  den  Titel  »Regent  des 
Königreiches«  anzunehmen  (14.  März).  Trotz  der  Mahnungen 
Marcels  folgten  nur  wenige  Städte  dem  Beispiel  von  Paris.  Schliefshch 
gelang  es  dem  Dauphin,  von  dort  zu  entkommen.  Er  sammelte  seinen 
Anhang,  berief  einzelne  Provinzialstände,  dann  die  allgemeinen  Stände 
nach  Compiegne  und  erhielt  gegen  einige  Zugeständnisse  Zusiche- 
rungen der  Treue  und  Hilfe.  In  Paris  war  Marcels  Macht  noch  gestiegen ; 
schon  konnte  er  es  wagen,  Münzen  schlagen  zu  lassen  und  mit  den 
Engländern  in  Verbindung  zu  treten.  Bevor  aber  der  Kampf  mit  dem 
Kronprinzen  ausbrach,  hatte  sich  die  Gärung  auch  unter  dem  Land- 
volke verbreitet,  und  so  kam  es  zu  jenem  furchtbaren  Aufstand,  der  unter 
dem  Namen  der  Jacquerie2)  bekannt  ist. 

4.  Ergrimmt  über  den  feudalen  Druck  und  die  Plagen  der  Söldner- 
banden, gegen  die  sie  der  Adel  nicht  schützte,  erhoben  sich  die  Bauern, 
der  bisher  so  verachtete  Jacques  Bonhomme3),  und  wandten  sich, 
angeregt  von  den  Pariser  Vorgängen,  gegen  den  Adel.  Zuerst  wurden 
in  der  Umgebung  von  Beauvais  die  Schlösser  niedergebrannt,  die  Archive 
mit  den  Verzeichnissen  der  feudalen  Lasten  vernichtet,  die  gefangenen 
Ritter  getödtet  und  Frauen  und  Kinder  mifshandelt.  Dann  dehnte  sich 
der  Aufstand  in  die  Gegend  von  Ponthieu  und  Amiens,  in  die  Champagne 
und  nach  Isle  de  France  aus.  Hier  hatten  sich  an  die  100000  Bauern 
erhoben:  es  war  ein  Bauernkrieg,  der  alle  Leidenschaften  der  rohen 
Menge  entfesselte.  Hie  und  da  schlössen  sich  auch  die  Bürger  an.  In 
dieser  Not  einigte  sich  der  Adel  zu  gemeinsamem  Widerstand.  Aus 
Hennegau,  Flandern,  Brabant  und  andern  Landschaften  kam  Zuzug. 
Den  gutbewarfheten  disziplinierten  Ritterscharen  konnten  die  Bauern 
nicht  widerstehen :  zu  Tausenden  wurden  sie  niedergehauen,  ihre  Häuser 
verbrannt,  ihre  Felder  verwüstet.  Der  Adel  vergalt  ihnen  mit  doppeltem 
Mafse.      Zwischen    der  Seine    und    Marne    allein  wurden  noch  vor  dem 


x)  Le  gouvernement  par  la  parole. 

2)  S.  aufser  Luce  auch  Flamm  ennont,  La  Jacquerie  en  Beauvaisis  RH.  DL 

3)  Jakob  der  Tölpel.  Richtiger  ist  wohl  die  Ableitung  des  Wortes  jacque  von  dem 
ad.  seccho  (byrrus),  s.  Denifle  I,  211.  Um  1360  hatten  die  fz.  Ritter  ein  Kriegs- 
gewand la  jacque,  dessen  Namen  sie  wohl  nicht  von  diesem  so  verwünschten  Jacques 
übernommen  haben  werden. 


Marcels  Ende.     Der  Sieg  des  Dauphins.     Der  Friede  von  Bretigny.  339 

24.  Juni  nicht  weniger  als  20000  Bauern  getötet.  Ihrer  Niederlage 
folgte  die  der  Bürger  auf  dem  Fufse,  trotzdem  Etienne  Marcel  die  Re- 
volte der  Bauern  nicht  veranlafst  hatte  und  diese  auch  den  Plänen 
Karls  von  Navarra  im  Wege  stand.  Der  siegreiche  Adel  scharte  sich 
um  den  Dauphin.  Um  sich  zu  retten,  rief  Marcel  den  König  von 
Navarra  nach  Paris  und  liefs  ihn  zum  Kapitän  wählen.  Da  sich  dieser 
nicht  stark  genug  fühlte,  um  den  Kampf  gegen  das  legitime  Königtum 
aufnehmen  zu  können,  und  mit  dem  Dauphin  in  Verbindung  trat,  wurde 
er  von  den  Parisern  abgesetzt.  Marcels  letzte  Hoffnung  beruhte,  da 
auch  die  flandrischen  Städte  sich  seinen  Hilferufen  versagten,  auf  der 
Unterstützung  der  verrufenen  Söldnerbanden.  Sein  Ansehen  in  Paris 
selbst  schwand  dahin;  der  Dauphin  gewann  in  der  Stadt  selbst  eine 
Partei,  und  Marcel  wurde  am  31.  Juli  1358  von  deren  Führer  Jean 
Maillart  in  einem  Gefechte  getötet.1)  Wenige  Tage  nachher  hielt  der 
Regent  seinen  Einzug  und  schlug  die  Reste  der  populären  Partei  vollends 
zu  Boden.  Le  Coq  war  mit  der  Hilfe  Karls  von  Navarra  entkommen 
und  erhielt  in  der  Folge  das  Bistum  Calahorra.  Der  König  von  Navarra 
trat  nun  ganz  auf  Englands  Seite.  Die  Lage  Frankreichs  wurde 
eine  noch  trostlosere  als  früher.  Am  24.  März  1359  schlofs  der  ge- 
fangene König  den  Präliminarfrieden  von  London,  in  welchem 
er  die  nördlichen  und  westlichen  Provinzen  Frankreichs  an  England 
abtrat  und  die  Zahlung  von  4  Millionen  Talern  verhiefs.  Dieser  Frieden 
wurde  jedoch  von  den  Ständen  als  »unerträglich  und  unausführbar« 2) 
verworfen.  Daher  traf  Eduard  III.  Anstalten,  den  Kampf  wieder  auf- 
zunehmen. Da  schlofs  der  Dauphin  mit  Karl  von  Navarra  Frieden. 
Eduard  III.  landete  im  Oktober  1359  in  Calais,  zog  bis  vor  Reims, 
zwang  den  Herzog  von  Burgund,  einen  Waffenstillstand  zu  erkaufen, 
und  drang  bis  in  die  Nähe  von  Paris.  Als  die  Not  den  höchsten  Grad 
erreichte,  gelang  es  den  päpstlichen  Legaten,  einen  Frieden  herbeizu- 
führen. Er  kam  am  8.  Mai  1360  zu  Bretigny,  einem  Weiler  bei  Chartres 
zustande.  Die  Engländer  erhielten  Gascogne,  Guienne  und  Poitou  mit 
den  dazu  gehörigen  Grafschaften,  dann  Calais  und  Guines  als  souveräne 
Herrschaften  und  3  Millionen  Goldstücke,  wogegen  Eduard  III.  seine 
Ansprüche  auf  ganz  Frankreich  aufgab. 

So  schmerzvoll  dieser  Friede  auch  war,  er  war  notwendig,  da  sich  das  Elend  im 
ganzen  Lande  bis  ins  Unerträgliche  gesteigert  hatte.  Um  die  Loskaufsumme  aufzu- 
bringen, mufste  König  Johann  bei  Galeazzo  Visconti  ein  Anlehen  machen,  dem  Sohne 
Viscontis  eine  Tochter  zur  Ehe  und  eine  Grafschaft  als  Lehen  geben.  Um  den  Kreuz  - 
zugszehent  zu  erhalten,  nahm  er  das  Kreuz.  Wohl  gab  er  die  besten  Versprechungen, 
den  Gewalttätigkeiten  in  Frankreich  ein  Ziel  zu  setzen,  die  Gerechtigkeit  zu  hand- 
haben, gute  Münze  zu  prägen:  in  Wirklichkeit  tat  er  nichts,  um  wenigstens  der  ärgsten 
Plage,  der  herrenlos  gewordenen  Kompagnien,  die  nun  das  eigene  Land  ausplünderten, 
los  zu  werden.  Wie  wenig  er  seine  Aufgaben  verstand,  zeigt  sein  Verhalten  in  der 
burgundischen    Frage.     Nachdem    die    kapetingische    Seitenlinie    in   Burgund,    wo    sie 

*)  Über  seine  Pläne  Lavisse-Coville,  S.  141.  In  seinem  letzten  Schreiben  an  die 
Vlämen  spricht  Marcel  von  den  *saintes  ordonnances^,  die  er  verteidigen  will.  Sein 
Werk  ist:  V  etablissement  d'un  regime  de  controle  de  la  royaute  par  les  Etats  et  surtout 
par  les  bonnes  villes. 

2)  Ni  passable  ni  faisable. 

22* 


340  Karl  V.,  der  "Weise.     Frankreichs  Erhebung. 

330  Jahre  regiert  hatte,  erloschen  war,  gab  er  dies  Land,  statt  es  bei  der  Krone  zu 
halten  und  sie  für  die  eben  erlittenen  Verluste  einigermafsen  zu  entschädigen,  an 
seinen  jüngsten  Sohn  Philipp  (1363),  den  er  zugleich  zum  ersten  Pair  von  Frankreich 
erhob.  Er  hatte  sich  nach  England  begeben,  die  Ehre  seines  Sohnes  Ludwig  herzustellen, 
der  die  Erlaubnis  Eduards  KL,  nach  Calais  zu  gehen,  um  dort  die  Loskaufsumme  einzu- 
treiben, benützt  hatte,  um  sich  nach  Frankreich  zu  flüchten.  In  London  starb  König 
Johann  am  8.  April  1364. 

§  81.    Frankreichs  Erhebung  unter  Karl  Y.  (1364—1380). 

1.  Karl  V.  war  27  Jahre  alt,  als  er  am  19.  Mai  1364  in  Reims 
gekrönt  wurde.  Die  Zeit  der  inneren  Kämpfe,  während  der  er  die 
schweren  Schäden  der  Staatsverwaltung  kennen  lernte ,  war  ihm  eine 
treffliche  Schule,  und  er  benutzte  ihre  Lehren  so  gut,  dafs  ihm  schon 
Zeitgenossen  den  Beinamen  des  W eisen  gaben.  Es  bedurfte  keines 
besonderen  Ansporns,  ihn  zu  einer  Politik  des  Friedens  zu  bewegen. 
Bei  seiner  zarten  Gesundheit  gingen  seine  Neigungen  mehr  auf  die 
Pflege  der  Wissenschaften  und  Künste  als  des  Krieges.  Von  seinem 
Palaste  aus  leitete  er  klug  und  geschickt  die  Gesamtinteressen  des 
Landes.  Von  einem  erklärlichen  Widerwillen  gegen  die  Reichsstände 
erfüllt,  zog  er  die  provinziellen  Stände  den  allgemeinen  vor,  ohne  diese 
gänzlich  zu  vernachlässigen.  Allerdings  wurden  Überschreitungen  ihrer 
Kompetenzen  nicht  geduldet.  Um  sich  von  ihnen  unabhängiger  zu 
stellen,  half  er  aus  eigenem  Antrieb  vielen  Übelständen  ab,  führte  einen 
sparsamen  Haushalt  ein,  setzte  den  Münzverschlechterungen  ein  Ziel  und 
hielt  die  Beamten  zu  genauer  Pflichterfüllung  an.  Den  Adel,  dem  er 
nicht  durch  kriegerische  Eigenschaften  voranleuchten  konnte,  gewann  er 
durch  Freigebigkeit,  die  Geistlichkeit  durch  ausgiebige  Hilfe,  die  dringend 
not  tat,  denn  Kirchen  und  Klöster  hatten  in  den  Stürmen  der  voran- 
gegangenen Regierung  ebenso  gelitten  als  der  Adel  und  die  Bürger; 
die  letzteren  gewann  er  durch  seine  Sorge  für  den  Frieden.  Bei  seiner 
Scheu  vor  den  Reichsständen  ging  ein  Teil  der  Legislative  an  die  Par- 
lamente über;  bei  diesen  wurden  Verordnungen  proklamiert  und  ein- 
getragen und  an  die  Unterbehörden  geschickt,  um  ihnen  das  Ansehen 
von  Gesetzen  zu  geben.  So  wurde  das  Gesetz,  welches  die  Grofsjährigkeit 
des  Königs  mit  dem  15.  Jahre  festsetzt,  nicht  von  den  Reichsständen, 
sondern  vom  Pariser  Parlament  publiziert1). 

2.  Es  war  für  den  König  ein  Glück,  dafs  er  das  Kriegswesen  einem 
so  tüchtigen  Manne  überlassen  konnte  wie  Bertrand  du  Guesclin, 
einem  bretonischen  Ritter  aus  uraltem,  allerdings  verarmtem  Geschlechte. 
Du  Guesclin  wurde  als  der  älteste  von  10  Geschwistern  um  1320  auf 
La  Motte  Broon  zwischen  Rennes  und  Dinan  geboren.  Von  schwärzlicher 
Gesichtsfarbe,  häfslich  und  unbeholfen,  rang  er  sich  anfänglich  nur 
mühsam  durch.  Die  ersten  Feldzüge  machte  er  unter  Karl  von  Blois. 
Beim  Regierungsantritt  Johanns  des  Guten  trat  er  in  dessen  Dienste,  und 
bald  galt  er  nicht  nur  als  der  tapferste  Ritter,  sondern  auch  als  geschickter 
Organisator   und   tüchtiger   Feldherr.      Die   Art   der   Kriegsführung   war 

*)  Schlosser,  Weltgesch.  in  zus.  Erz.  IV,  2,  198. 


Bertrand  du  Guesclin.     Die  Tard-venus.  341 

seit  Eduards  III.  Kriegen  eine  andere  geworden.  In  der  Schlacht  wurde 
nicht  mehr  wie  beim  Turniere  gekämpft,  wo  sich  der  Ritter  nach 
eigenem  Gutdünken  den  ebenbürtigen  Gegner  heraussucht,  auch  geben 
nicht  mehr  die  Ritter  den  Ausschlag,  sondern  das  Fufsvolk,  unter  dessen 
Schutz  geübte  Bogenschützen  in  den  Kampf  eingreifen  und  der  Ritter- 
schaft vorarbeiten,  die  dann  die  Entscheidung  herbeiführt. *)  Statt  der 
Edelleute  werden  Mietstruppen  verwendet,  Söldnerkompagnien,  die  unter 
der  militärischen  Zucht  eines  militärisch  gebildeten  Feldhauptmanns 
stehen.  Du  Guesclin  verstand  es  durch  nächtliche  Überfälle,  über- 
raschende Märsche,  verstellte  Flucht  und  andere  Kriegslisten  den  Erfolg 
an  seine  Fahnen  zu  fesseln.2)  Den  ersten  gröfseren  Kampf  führte  er 
gegen  Karl  von  Navarra,  der,  in  der  Hoffnung,  mit  Burgund  belehnt  zu 
werden,  getäuscht,  den  Krieg  begonnen  hatte  und  nun  (1364,  16.  Mai) 
bei  Cocherel  besiegt  wurde.  Der  berühmte  Heerführer  der  navarresischen 
Truppen,  der  Captal  de  Buch,  wurde  gefangen.  Karl  trat  nun  seinen  Besitz 
in  der  Normandie  gegen  die  Herrschaft  Montpellier  ab.  Du  Guesclin 
erhielt  als  Dank  die  Grafschaft  Longueville.  Allmählich  kam  auch 
die  Bretagne  zur  Ruhe.  Hier  kämpfte  Du  Guesclin  im  Auftrage  Karls 
von  Blois  gegen  Jean  Chandos,  den  berühmten  englischen  Feldherrn, 
der  Montforts  Truppen  befehligte.  Bei  Auray  —  im  Departement 
Morbihan  —  kam  es  zur  Schlacht.  Trotzdem  die  Ordnung  der  fran- 
zösischen Massen  eine  so  vorzügliche  war,  dafs  sie  dem  feindlichen 
Feldherrn  die  Aufserung  entlockte,  er  habe  nie  ein  besser  geordnetes 
Heer  gesehen,  erlitt  Du  Guesclin  eine  Niederlage  und  wurde  selbst 
gefangen  (1364,  29.  September).  In  Bretagne  kam  nun  das  Haus  Montfort 
zur  Regierung. 

2.  Die  Niederlage  Guesclins  hinderte  den  König  nicht,  ihn  zum 
Führer  der  grofsen  Kompagnien  zu  ernennen,  die  er  im  Einverständnis 
mit  dem  Papst  nach  Spanien  sandte.  War  Frankreich  schon  seit  Mau- 
pertuis  von  Söldnerbanden  überflutet3),  so  blieben  trotz  des  Friedens 
von  Bretigny  noch  viele  in  einzelnen  Provinzen  zurück.  Ende  1361 
bildete  sich  in  der  Champagne  die  »grofse  Kompagnie«.  Sie  zählte 
15000  Mann.  Eine  Truppe,  die  der  König  wider  sie  aufgeboten  hatte, 
wurde  vernichtet.  Man  hiefs  sie  Tard-venus  —  die  Spätgekommenen, 
was  man  wohl  so  gedeutet  hat,  dafs  auch  sie  noch  ihren  Anteil  an  der 
Beute  haben  wollten.  Es  gelang  nun  Karl  V.,  sie  nach  Spanien  abzu- 
lenken, wo  Engländer  die  Sache  Pedros  des  Grausamen,  Franzosen  die 
Heinrich  Trastamaras  verfochten  (s.  §  83).  Guesclin  selbst  führte  die 
grofse  Kompagnie  nach  Spanien  und  verhalf  Trastamara  zum  Siege  von 
Montiel  (1369).  Indem  Heinrich  Kastilien  gewann,  verlor  England  eine 
wichtige    Stütze,    die   es   bisher    an    diesem   Lande    besessen   hatte.     Im 

a)  Näheres  bei  Köhler  H,  356. 

2)  H.  Martin,  Hist.  de  Fr.  V,  243. 

3)  So  wurden  im  Winter  1357  der  Süden  Frankreichs  durch  die  Banden  Regnaults 
du  Cervole,  genannt  der  Erzpriester,  weil  er  ein  Benefizium  zu  Vergnes  besafs,  die 
Mitte  durch  die  Banden  des  Wallisers  Rufin  und  die  Normandie  durch  die  Robert 
Knolles  heimgesucht. 


342        Siegreicher  Fortgang  des  engl.  Krieges.    Der  Waffenstillstannd  v.  Brügge. 

übrigen  stand  ein  neuer  Krieg  zwischen  Frankreich  und  England  bevor. 
Der  schwarze  Prinz,  ein  besserer  Feldherr  als  Staatsmann,  führte  in 
Aquitanien  eine  so  drückende  Herrschaft,  dafs  sich  Herren,  Klerus  und 
Städte  schon  1369  an  Karl  V.  um  Hilfe  wandten.  Zwar  hatte  der 
französische  König  im  Frieden  von  Bretigny  auf  die  Oberherrlichkeit 
über  Aquitanien  verzichtet,  nun  erklärte  er  aber  den  Vertrag  für  ungültig, 
da  dessen  Bedingungen  nicht  eingehalten  worden  seien.  Er  lud  den 
schwarzen  Prinzen  vor  den  Lehenshof;  dieser  erklärte,  er  werde  kommen, 
aber  mit  60000  Mann.  Karl  V.  ging  mit  kluger  Voraussicht  zu  "Werke. 
Indem  er  seinen  jüngsten  Bruder  Philipp  von  Burgund  mit  der  Erb- 
tochter Ludwigs  von  Flandern  vermählte,  begründete  er  die  Gröfse 
Burgunds.  Dann  berief  er  die  Reichsstände  nach  Paris  (1369.  9.  Mai;. 
Stände  und  Königtum  gingen  hier  Hand  in  Hand.  Für  England  lagen 
die  Dinge  höchst  ungünstig.  Eduard  III.  war  alt  und  schwach,  der 
schwarze  Prinz  siechte  an  unheilbarem  Leiden  dahin,  die  Bevölkerung 
im  südlichen  Frankreich  ersehnte  ihre  Vereinigung  mit  Frankreich,  und 
der  verbündeten  kastiliseh-französischen  Flotte  war  die  englische  nicht 
gewachsen.  Wohl  bewilligte  das  englische  Parlament  die  notwendigen 
Mittel,  der  Krieg  nahm  aber  eine  den  Engländern  ungünstige  Wendung. 
Als  ihr  Führer  Chandos  gefallen  war.  Du  Guesclin  aus  Spanien  heim- 
kehrte und  Erfolg  auf  Erfolg  errang,  der  schwarze  Prinz  sich  endlich 
nach  England  zurückzog,  war  Frankreichs  Übergewicht  in  Guienne  ent- 
schieden.  Die  kastilische  Flotte  errang  1372  bei  La  Pochelle  einen 
Sieg  über  die  englische,  und  England  verlor  allmählich  seinen  Besitz  in 
Frankreich  bis  auf  Calais.  Bordeaux.  Bayonne  und  einige  feste  Punkte. 
Im  Jahre  1374  wurde  unter  der  Vermittlung  des  Papstes  der  Waffen- 
stillstand von  Brügge  geschlossen.  Ein  Jahr  nach  dessen  Ablauf  starb 
der  schwarze  Prinz,  und  1377  folgte  ihm  der  alte  König  Eduard  III.  im 
Tode  nach  (s.  §  82).  Diese  günstige  Lage  nützte  Karl  V.  aus.  um  alles 
französische  Land,  das  sich  noch  in  englischem  Besitze  befand,  zurück- 
zugewinnen. Aber  diese  Absichten  erfüllten  sich  nicht,  denn  sowohl 
Calais  als  Bordeaux  blieben  in  den  Händen  der  Engländer,  und  ebenso 
schlug  ein  Versuch,  die  Bretagne  zu  gewinnen,  fehl.  Ehe  der  Kampf 
noch  geendet,  starb  Karl  V.  am  16.  September  1380.  Der  Krieg  mit 
England  endete  vorläufig  ohne  Friedensschlufs.  In  beiden  Reichen 
brachen  schwere  innere  Kämpfe  aus  und  die  auswärtigen  Verhältnisse 
wurden  darüber  weniger  beachtet. 

§  82.    Die  Weiterbildung  der  englischen  Verfassung. 

1.  Wie  sein  Grofsvater  besafs  auch  Eduard  III.  starke,  selbstherrliche 
Neigungen,  die  durch  seine  kriegerische  Veranlagung  und  seine  militärischen 
Erfolge  noch  gekräftigt  wurden:  aber  auch  ihn  zwang  die  durch  die 
unaufhörlichen  Kriege  hervorgerufene  Geldnot,  den  Ständen  gröfsere 
Zugeständnisse  zu  machen,  als  sich  mit  seinem  stolzen  Wesen  vertrug. 
Bis  dahin  hatten  Geistlichkeit,  Barone ,  Pitter  und  Städte  gesondert 
beraten;    aus  Motiven,    die   in   ihrem   letzten  Grunde   nicht    deutlich  zu- 


Die  Gemeinen.     Macht  des  Parlaments.     Formen  der  pari.  Beratung.  343 

tage  liegen,  schlössen  sich  allmählich  die  Ritter  aufs  engste  an  die  Ver- 
treter der  Städte  an  und  bildeten  vereint  mit  diesen  eine  einzige  Gruppe, 
die  Gemeinen,  und  ein  einziges  Haus,  das  Unterhaus,  wogegen 
sich  die  Vertreter  der  Geistlichkeit  und  die  Lords  im  Oberhause  ver- 
sammelten. Zu  den  geistlichen  Lords  gehören  Erzbischöfe,  Bischöfe  und 
einzelne  Abte,  zu  den  weltlichen  die  Besitzer  der  grofsen  Kronlehen,  die 
vom  König  zum  Parlament  berufen  wurden.  Aus  dieser  Berufung  ent- 
sprang die  Befugnis  des  Königs,  Pairs  zu  ernennen 1).  Die  Rechte  der 
weltlichen  Lords  gingen  auf  ihre  Erben  über.  Bei  rein  geistlichen  An- 
gelegenheiten traten  die  Prälaten  zu  eigenen  Beratungen  zusammen  und 
so  auch  die  Lords,  wenn  sie  über  Standesangehörige  zu  Gericht  safsen 
oder  Beschwerden  von  den  Gemeinen  an  sie  gelangten.  Die  letzteren 
erhielten  für  ihre  Tätigkeit  Taggelder,  die  nicht  aus  der  Staatskasse, 
sondern  von  jenen  Verbänden  gezahlt  wurden,  von  denen  sie  zum 
Parlament  entsandt  wurden. 2)  Da  bei  der  stetigen  Geldnot  der  Krone 
die  alljährliche  Berufung  des  Parlaments  notwendig  würde,  stieg  dessen 
politischer  Einrlufs  immer  höher.  Es  ist  kein  Zweig  der  gesamten  Staats- 
verwaltung, der  nicht  von  der  parlamentarischen  Tätigkeit  berührt  worden 
wäre :  das  Parlament  fungiert  als  oberstes  Reichsgericht ,  als  steuer- 
bewilligende, gesetzgebende,  die  gesamte  Verwaltung  des  Staates  kontrol- 
lierende Versammlung.  Wenn  auch  der  König  noch  das  Recht  hat, 
Ordonnanzen  zu  erlassen,  so  dürfen  diese  doch  nicht  mit  den  Freiheits- 
briefen in  Widerspruch  stehen,  auch  besitzen  sie  nicht  das  Gewicht, 
wie  die  mit  dem  Parlament  getroffenen  Vereinbarungen  (Statuten).  Arn 
nachdrücklichsten  tritt  die  Tätigkeit  des  Parlaments  unter  Eduard  III. 
in  den  auswärtigen  Angelegenheiten  und  im  Kriege  hervor;  aber  auch 
sonst  steigerte  sich  seine  Machtfülle  von  Jahr  zu  Jahr.  Schon  besteht 
es  darauf,  dafs  rechtsgültige  Statuten  nur  von  ihm  ausgehen  dürfen. 
Von  mafsgebender  Bedeutung  war  seine  Stellungnahme  in  den  kirchen- 
politischen Fragen  der  Zeit. 

2.  Bei  der  tatkräftigen  Unterstützung,  welche  die  französische  Krone 
auch  in  politischen  Fragen  von  der  Kurie  erhielt,  konnte  es  in  England 
an  Zusammenstöfsen  zwischen  Staats-  und  Kirchengewalt  nicht  fehlen. 
Da  die  Geldsendungen  Englands  an  die  Kurie  einer  unmittelbaren  oder 
mittelbaren  Unterstützung  des  französischen  Erbfeindes  gleichkamen, 
wurden  jene  Leistungen,  zu  denen  England  verpflichtet  war,  wie  der 
Lehenszins,  entweder  überhaupt  nicht  oder  doch  nur  höchst  ungern 
vollzogen  und  gegen  andere,  welche  die  Kurie  unter  verschiedenartigen 
Titeln  von  der  englischen  Kirche  erhob,  ein  Widerspruch  laut,  in  den 
nicht  selten  der  englische  Klerus  selbst  mit  einstimmte.  Wohl  machte 
die  Kurie  wiederholt  den  Versuch,  diesen  Übelständen  durch  Herbei- 
führung eines  dauerhaften  Friedens  zwischen  England  und  Frankreich 
ein  Ende  zu  machen,  aber  die  päpstliche  Vermittlung  führte  doch  meist 
nur   zu  Waffenstillständen    auf  kurze   Frist   und   selbst   der  Friede   von 


1)  Winkelmann,  Verf. -Gesch.  S.  772. 

2)  Ebenda.    Die  Ritter  erhielten  4,  die  Städtevertreter  2  sh. 


344  Die  Kirchenpolitik  Englands  unter  Eduard  III. 

Bretigny  hatte  keiDen  langen  Bestand.  So  war  fast  die  ganze  Regierungszeit 
Eduards  III.  mit  schweren  kirchenpolitischen  Kämpfen  angefüllt.  Wenn 
das  Königtum  anders  als  in  Deutschland  daraus  als  Sieger  hervorging, 
dankte  es  dies  dem  kraftvollen  Eintreten  des  Parlaments,  das  selbst  die 
durch  Verträge  begründeten  Ansprüche  der  Kurie  anfocht.  —  Der  Streit 
zwischen  der  Staats-  und  Kirchengewalt  kam  zum  Ausbruch,  als  Klemens  VI. 
zwei  neu  ernannten  Kardinälen,  von  denen  der  eine  sein  Nepot  war, 
Einkünfte  in  der  Höhe  von  2000  Mark  auf  die  Erzbistümer  York  und 
Canterbury  anwies.  Das  Parlament  sandte  (1343,  18.  März)  ein  Schreiben 
voll  von  Klagen  an  den  Papst,  dafs  infolge  der  verschiedenartigen 
Reservationen,  Provisionen  und  Kollationen  englische  Pfründen  nicht 
nur  an  Fremdlinge,  sondern  selbst  an  Landesfeinde  kämen.  Die  Schäden 
dieses  Gebahrens  werden  scharf  betont:  das  Seelenheil  der  Gläubigen 
laufe  Gefahr,  die  Kirchen  verfallen,  die  Armenpflege  höre  auf,  und  die 
Frömmigkeit  des  Volkes  werde  verringert.  Die  Geschäftsträger,  welche 
die  Kardinäle  nach  England  sandten,  um  ihre  Einkünfte  einheben  zu 
lassen,  wurden  in  den  Kerker  geworfen  und  sodann  aus  dem  Lande 
gewiesen.  Das  Statut  Act  of  Provision  (1344)  bestimmte :  Wer  Bullen, 
Prozesse  u.  dgl.  von  der  Kurie  nach  England  bringt,  wird  mit  beständiger 
Kerkerhaft  oder  Landesverweisung  bestraft;  alle  Provisionen  werden  bei 
Verlust  der  Pfründen  verboten  und  das  Recht  des  Königs  auf  die 
Besetzung  der  Bistümer  betont.  Ein  anderes  Statut  » Praemunire«.  ver- 
bietet Appellationen  von  einem  königlichen  Gerichtshof  an  die  Kurie, 
ja  im  Jahre  1354  drohten  die  Lords,  die  von  ihren  Vorfahren  gewidmeten 
Stiftungen  einzuziehen,  falls  sie  wie  bisher  durch  Provision  verliehen 
würden.  Allen  Mahnungen  des  Papstes  zum  Trotz  blieben  die  Beschlüsse 
von  1344  in  Kraft  und  wurden  derart  durchgeführt,  dafs  Prälaten,  die 
ihre  Würden  durch  Provision  erlangt  hatten,  nicht  in  den  Besitz  ihrer 
Temporalien  kamen.  Die  Opposition  gegen  die  Machtansprüche  des 
Papsttums  war  äufserst  scharf  und  hat  zum  Teil  Berührungspunkte  mit 
der  unter  Ludwig  dem  Bayer,  deren  letzter  Vertreter  Occam  erst  in 
diesen  Jahren  starb.  Im  übrigen  war  das  Verhalten  des  englischen 
Königs  den  Päpsten  gegenüber  kein  gleichmäfsiges.  Eine  leichtere  Auf- 
gabe als  Klemens  VI.  hatte  sein  Nachfolger  Innozenz  VI.,  von  dem  man 
die  Hoffnung  hegte,  er  würde  seine  Vermittlerrolle  nicht  einseitig  zu- 
gunsten Frankreichs  durchführen.  Als  Urban  V.  den  König  an  seine 
Lehenspflicht  mahnte  (1365,  6.  Juni)  und  den  seit  33  Jahren  nicht  mehr 
gezahlten  Lehenszins  eintreiben  wollte1),  erklärte  das  Parlament,  weder 
König  Johann  noch  irgend  ein  anderer  habe  das  Recht  gehabt,  das 
Reich  ohne  Zustimmung  der  Nation  einer  fremden  Macht  zu  unter- 
werfen. Sollte  der  Papst  seine  Forderung  mit  Gewalt  durchsetzen  wollen, 
so  würden  ihm  die  Stände  Widerstand  leisten.  Die  Ansprüche  des  Papst- 
tums   und    des    englischen    Königtums    standen    während    der    ganzen 


*)  Man  pflegte  bisher  damit  das  erste  Auftreten  Wiclifs  als  Eeformator  in  Zu- 
sammenhang zu  bringen.  Wie  wenig  dies  der  Fall  ist,  s.  in  meinen  Studien  zur  eng- 
lischen Kirchenpolitik  und  in  meinem  Aufsatz :  The  beginnings  of  "Wiclifs  activity  in 
ecclesiastical  politics.     Engl.  Hist.  Key.     1896,  April. 


Opposition  gegen  die  Ansprüche  der  Kurie.  345 

Regierung  Eduards  III.  in  einem  schneidenden  Widerspruch :  Verlangte 
der  Papst  als  Oberlehensherr  das  Verfügungsrecht  über  das  englische 
Kirchengut,  sollte  die  Geistlichkeit  von  der  Gerichtsbarkeit  des  Königs 
eximiert  sein,  so  behauptete  dagegen  die  weltliche  Gewalt  ihr  Recht, 
das  Kirchengut  einzuziehen,  falls  die  Geistlichkeit  den  Befehlen  des 
Königs  trotze,  sie  betont  auch  dem  Klerus  gegenüber  ihre  oberste 
richterliche  Gewalt  und  ihren  legitimen  Einflufs  auf  die  kirchlichen 
Wahlen  und  ihr  Recht  auf  Verleihung  der  Temporalien.  Unter  solchen 
Umständen  mufsten  die  gegenseitigen  Beziehungen  stets  gespannte  bleiben. 
Der  Streit  wurde  zeitweise  beiseite  gestellt,  aber  immer  wieder  mit 
grofsem  Eifer  aufgenommen,  namentlich  dann,  wenn  wie  beim  Wieder- 
ausbruch des  französischen  Krieges  das  Papsttum  in  den  Verdacht  kam, 
dem  französischen  Königtum  als  Stütze  zu  dienen.  Wortführer  der 
englischen  Opposition  gegen  die  Machtansprüche  der  Kurie  wurde  in 
den  letzten  Lebensjahren  Eduards  III.  Johannes  aus  Wyclif,  dessen 
Wirksamkeit  aber  erst  seit  dem  Ausbruch  des  Schismas  (1378)  eine 
wahrhaft  reformatrische  wird. 

5.  Kapitel. 

Der  englisch -französische  Erbkrieg  und  die  Staaten  der 

Pyrenäischen  Halbinsel. 

S  83.    Kastilien  und  der  englisch-französische  Thronstreit. 

Quellen.  S.  §  12.  Dort  die  allg.  Werke.  Desgl.  die  Urkunden.  Dazu: 
Coleccion  de  doc.  ined.  public,  por  Joaquin  Casafi  y  Alegre  (Pactos,  tractados  y 
avenencias  que  mediaron  entre  los  reyes  de  Aragon,  Navarra  y  el  bastardo  Enrique 
de  Trastamara).  Madr.  1894.  Daumet,  Innocent  VI  et  Blanche  de  Bourbon.  Lettres 
du  pape  p.  d'apres  les  reg.  du  Vatican.  Paris  1899.  Geschichtschreiber  bis 
zum  Ausgang  d.  MA.  Kastilien.  Emanuel  Cerratensis,  Chronicon  Hispaniae  bis 
1282,  bei  Florez,  Esp.  sagr.  II,  205.  Crönica  general  de  Espafia  (verf.  auf  Anregung 
Alfons'  X.  des  Weisen,  nicht  von  ihm  selbst.  D.  Auszug :  La  estoria  de  los  infantes 
de  Lara,  herausg.  v.  Holland  1860  enthält  Sage.  Die  andern  Ausg.  s.  bei  Potthast  I,  233. 
Sonst  s.  R.  Beer,  Span.  Lit.  Gesch.,  S.  107  u.  119.  —  Chronique  des  rois  de 
Castille  (1248—1305),  Fortsetz.  v.  Rod.  v.  Toledo  s.  §  12,  ed.  BECh.  LIX,  325—378. 
Chronica  del  inuy  esclarecido  principe  y  rey  D.  Alfonso  1252 — 1312 ;  früher  Fernan 
Sanchez  de  Tovar  zugeschrieben.  Vall.  1554 ;  s.  Potthast  I,  229.  Castigos  e  documentos 
del  rey  Don  Sancho,  ed.  Gayangos,  Escrit.  ant.  al  s.  XV,  79 ;  s.  hierüber  Beer  S.  115. 
Baist  in  Gröbers  Grundrifs  II,  2,  415.  Crönica  del  .  .  .  Rey  Fernando  (el  IV.).  Vall.  1554. 
S.  dazu  Potth.  I,  230.  Crönica  del  .  .  .  rey  Don  Alonso  el  onceno  1312—1350.  Col. 
de  las  cronicas  y  memorias  VII.  Madr.  1787.  (Über  die  historiogr.  Tätigkeit  unter 
Alfonso  XI  s.  Beer  S.  124.)  Das  Poema  de  Alfonso  XL  (Madr.  1863)  schildert  die  Schlacht 
am  Salado.  Johannes  Emanuel,  Chron.  Hispan.  1274 — 1329.  Florez,  Esp.  sagrada  II,  209. 
(Über  Juan  Manuel  s.  Baist  S.  418.)  Pedro  Lopez  de  Ayala  (s.  Beer  S.  138—140): 
Crönica  del  rey  D.  Pedro,  reicht  aber  bis  1396,  bis  ins  6.  Regierungsjahr  Heinrichs  III. 
(Der  richtigere  Titel :  Cronicas  de  los  reyes  de  Castilla  D.  Pedro,  D.  Enrique  H, 
D.  Juan  I,  D.  Enrique  HI.)  Ed.  Col.  de  las  cronicas  I,  IL  S.  Schirrmacher,  Gesch. 
Span.  V,  Beil.  H.  Klein,  Gesch.  d.  Dramas  VIII,  678.  Baist,  S.  435.  Alvar  Garcia, 
Crönica  d.  D.  Juan  II  de  Castilla  1420—1434.  Col.  de  doc.  ined.  XCIX ;  fortges.  von 
unbekannter  Hand  (1429 — 1435)  u.  überarbeitet  von  Perez  de  Guzman  bis  1454,  ergänzt 
von  Valera  u.  Carvajal,  s.  Baist,  436.     Die  Angaben  bei  Potth.  sind   unrichtig.      Pörez 


346  Die  pyren.  Staaten  und  der  englisch-sp.  Thronstreit. 

de  Guznian,  De  las  generaciones  y  semblanzas  ö  obras  de  los  excelentes  reyes  de 
Espana  D.  Enrique  HI  e  D.  Juan  IL  Biblioth.  IL,  697 — 719  .  .  Alphonsus  a  Carthagena, 
Rer.  Hisp.  anacephalaeosis,  Schott,  Hisp.  illustr.  I,  246  =  Bei.  SS.  rer.  Hispan.  LI,  611. 
Diego  Enriquez  del  Castillo,  Crönica  1454 — 74.  Col.  de  las  crönicas  VII.  Alonso  de 
Palencia,  Crönica  1454  — 1474.  Als  Ganzes  noch  ungedruckt.  Die  von  Holland 
(Tübingen  1850)  mitgeteilten  Bruchstücke  sind  ein  geringwertiger  Auszug  der  lat. 
Dekaden,  s.  Baist  436.  Rodericus  Sancii  Hist.  Hispan.  bis  1469.  Bei.  I,  290.  Andreas 
Bernaldez,  Crönica  del  rey  D.  Fernando  y  Ysabel  1488 — 1513.  Xoch  ungedruckt,  aber 
schon  von  Prescott  ausgenützt.  S.  Ticknor  156.  Pulgar,  Crönica  de  los  reyes  D.  Fer- 
nando y  Dona  Ysabel  bis  1490.  Vallad.  1565.  Valera  (s.  oben),  Crönica  de  Espana. 
Sevilla  1567.  Einzelne  Ereignisse.  Crönica  de  D.  Alvaro  de  Luna,  Paso  honroso 
(Weg  der  Ehre,  Erzählung  des  Kampfes  an  der  Brücke  von  Orbigo  bei  Leon  1434) 
u.  Seguro  de  Tordesülas  (Burgfriede  v.  T.)  in  Col.  de  las  cron.  V.  Diaz  Gamez 
Gutierre,  Crönica  de  don  Petro  Niuo  (1375 — 1436  ,  ib.  LH,  s.  Wolf  in  d.  Wien.  Jb.  LIX. 
Crönica  del  Gran  Capitan  D.  Gonzalvo  del  Cördoba  v.  Pulgar,  ed.  Martinez  de  la  Rosa 
1834.  Alvaro  Gomez,  De  rebus  gestis  a  Fr.  Ximeneo  Hisp.  ill.  I,  927.  Carlos  de 
Viana,  Crönica  de  los  reyes  de  Xavarra,  reicht  bis  1450,  ed.  Pampel.  1843.  Peter 
Martyr,  Opus  Epp.  Amst.  1620.  Ergänzungen  s.  in  Gröbers  Grundr.  H,  2,  436 — 37. 
Aragonien.  Zu  Jayme  I  b.  noch  §12.  Desclot  Bernat,  Croniques  ö  conquestes 
de  Catalunya.  In  katal.  Sprache.  Schliefst  mit  1285  ab.  L  nter  dem  Titel :  Chronique 
de  Pierre  LH  bei  Buchon,  Chroniques  etrangeres.  Paris  1840.  Chronik  v.  Ramon 
Muntaner  s.  oben  §  46.  Dort  auch  die  Quellen  für  den  Kampf  um  Sizilien  (als  Kunst- 
werk u.  als  hist.  Quelle  vom  gröfsten  Wert  für  die  aragon.  Gesch.  im  1.  Vieitel  des 
14.  Jahrh.  Gröbers  Grundr.  H,  2,  120).  Crönica  del  Rey  de  Aragon  Don  Pedro  IV  el 
Ceremonioso  von  Bernat  Dezcoll,  ed.  Bare.  1885  (s.  Pages  in  Romania  XYLTI).  La  fi 
del  comte  Urgel,  crönica  del  segle  XV.  Bibl.  de  la  Revista  catalana.  Anelier,  Guerra 
civil  de  Pamplona  seu  Histoire  de  la  guerre  de  Xavarre  en  1276 — 77.  Coli,  de  doc.  ined, 
Paris  1856.  (Augenzeuge,  s.  Stimming  in  Gröbers  Gr.  H,  2,  39.)  Libre  dels  feyts  de 
Cathalunya  von  Mossen  Bernat  Boades.  Bibl.  Catal.  V.  —  Mossen  Pere  Tomich,  Petit 
memorial  de  algunes  histories  e  fets  antichs  (Gesch.  d.  Könige  von  Aragon  bis  Alfons  V.) 
Biblioth.  Cat.  V.  Bracelli,  De  bello  Hispano  in  Graevii  Thes.  ant.  Ital.  I.  Panormita, 
De  dictis  et  factis  Alfonsi  libri  IV,  ed.  Chyträus.  Rostock  1590.  Miquel  Carbonell, 
Chroniques  de  Espanya  bis  zum  Tode  Juans  H.  Bare.  1546.  Marinaeus,  De  rebus  Hisp. 
memorabilibus  libri XXII.  Bei.  IL  Xebrisa  reete  Pulgar),  Decades  duae  Hisp.  rer.  a  Ferd. 
rege  et  Isabella  reg.  gestarum  Hisp.  illustr.  I,  786.  M,  Ritius,  De  regib.  Hisp.  libri  tres, 
ib.  664 — 75.  Lorenzo  de  Carvajal,  Annal.  del  rey  Fernando.  Col.  de  doc.  ined.  XVIH. 
Gonzalo  Fernandez  de  Oviedo,  Las  Quincuagenas  de  los  reyes,  s.  Maurenbrecher,  Stud. 
u.  Skizzen  58.  Zurita,  Hist.  del  rey  Hernando  el  Catholico  1579.  Zurita,  Annales 
de  la  Corona  de  Aragon  1610  (s.  auch  Gröbers  Grundrifs  117).  Einzelnes:  Proceso 
contra  el  rey  de  Mallorca  Coli,  de  doc.  ined.  de  Aragon.  XXIX.  Alvaro  Campanes  y 
Fuertes,  Chron.  Mayoric.  Palma  1892.  Cyrnaeus,  De  rebus  Corsicis.  Murat.  XJXIV. 
Portugal  s.  §  12  u.  Gröbers  GrundriTs  210  ff.,  242  ff.  Dazu:  Vida  de  S.  Isabel.  AA. 
SS.  4.  Juli.  Ruy  de  Pina :  Chronica  do  .  .  .  Diniz,  ed.  Ferreyra.  Lisb.  1729  ...  de 
Affonso  IV.  Lisb.  1653.  Fernam  Lopes,  Chronica  do  Senhor  D.  Pedro  I  oitavo  rey 
de  Port.  Colleccaö  de  livros  ined.  de  hist.  Port.  IV.  1816.  Chronica  do  Fernando 
nono  rey  de  Portugal,  ibid.  Crönicas  del  rey  D.  Joham  de  gloriosa  mem.  o  I  deste 
nome  e  as  dos  reys  D.  Duarte  e  D.  Affonso  o  V  (ergänzt  von  Joäo  de  Zurara).  Lisb. 
1743.  Ruy  de  Pina,  Chronica  do  senhor  rey  D.  Duarte,  ib.  I.  (Über  Duarte  als  Schrift- 
steller s.  Gröber,  Grundrifs  H,  2,  243.)  —  Crönica  do  senhor  Affonso  V.  Coli,  de  liv. 
ined.  I.  Matthaeus  de  Pisano,  Gesta  Johannis  de  bello  Septensi  seu  Livro  da  guerra 
de  Ceuta,  ib.  I,  7 — 57.  Ruy  de  Pina,  Chronica  d'Elrei  D.  Joäo  II  (s.  Azurara).  Coli, 
de  lib.  ined.  H.  Azurara,  Chronica  do  descobrimento  e  conquista  de  Guine  (Gesch. 
d.  Entdeckungsfahrten  Heinrichs  d.  Seefahrers  bis  1448),  ed.  Paris  1841.  Chronica  do 
conde  D.  Duarte  de  Menezes.  Coli,  de  liv.  ined.  HI.  Chronica  do  conde  Dom  Pedro 
de  Menezes,  ib.  H,  205 — 635.  Alvares,  Chronica  dos  feitos,  vida  e  morte  do  infante 
santo  Ferdinando  que  morreo  em  Fez,  ed.  Lisb.  1527  (s.  Act.  SS.  5.  Juni.  [Olfers]),  Leben 
des  standhaften  Prinzen.   Berl.  1887.)    Über  die  Schriften  Heinrichs  d.  S.  s.  Gröber  248 


Alfons  X.  von  Kastilien.  347 

Coronica  do  Condestabre  de  Portug.  Nuno  Alvares  Pereyra  1362 — 1432.  Lisb.  1848. 
Cronicas  dos  Reis  de  Portugal  por  Christoval  Rodr.  Acenheiro  in  Coli.  d.  doc.  ined.  V, 
136,  s.  dazu  Herculano,  Lendas  e  narratives,  p.  73.  Granada.  Makkari :  Annal.  sur 
l'hist.  des  Arabes  d'Espagne  par  al  Makkari  p.  p.  R.  Dozy,  Dugat,  Krehl  et  Wright. 
Leyde  1855 — 61.  Im  Auszuge  v.  Gayangos.  London  1840,  s.  Wüstenfeld,  D.  Geschicht- 
schreiber der  Araber  559.  Ibn-el-Chatib,  Geschichte  d.  Khalifen  im  Orient,  Spanien 
u.  Afrika.  Casiri  II,  177 ;  Gesch.  d.  Fürsten  v.  Granada  bis  1364.  Ebenda  246  ff. 
Complexus  de  hist.  Gran.  Casiri  II,  71.  —  Briefe  u.  Nachrichten,  Wüstenfeld  439. 
Ibn  Chaldoun,  Exempla  proposita  etc.  Wüstenfeld  456.  Chronique  des  Almohades  et 
des  Hafcides  attrib.  ä  Zerkechi.  Trad.  franc.  par  Fagnan.  Paris  1895  (reicht  von  1098 
bis  1436). 

Hilfsschriften.  Die  allgem.  Werke  zur  Gesch.  Kastiliens,  Aragoniens,  Portu- 
gals u.  Granadas  s.  §12.  Dazu:  J.  Catalina  Garcia,  Castilla  y  Leon  durante  los 
reinados  de  Pedro  I,  Enrique  II,  Juan  I  y  Henrique  III,  t.  1—3.  Mad.  1891 — 1901. 
Baudon  deMony,  Relations  politiques  des  comtes  de  Foix  avec  la  Catalogne. 
Paris  1896.  Daumet,  liltude  sur  l'alliance  de  la  France  et  de  la  Castille  aux  XI Vme — XVrae 
siecles.  Paris  1898  (wichtig  wegen  der  darin  mitget.  Urkk.).  Mercier,  Hist.  de 
l'Afrique  septentrionale.  Paris  1888.  Lippi,  Archivio  communale  di  Cagliari.  1897 
(mit  Dokumenten  zur  Gesch.  d.  Insel  zur  Zeit  der  Eroberung  durch  Jayme  IL).  Zur 
Literat,  s.  das  Verzeichnis  in  R.  Beer  S.  141  ff.  Einzelheiten:  H.  v.  Zeifsberg, 
Elisabeth  v.  Aragonien.  Wiener  Sitzungsber.  CXXXVII,  s.  auch  CXL  (Briefe  Jakobs  IL 
an  Friedrich  d.  Seh.).  Merimee,  Hist.  de  Don  Pedro.  Paris  1848.  Salazar,  Casa 
de  Lara  III.     Moucheron,  S.  Elisabeth  d'Aragon,  reine  de  Portugal.     Paris  1896. 

1.  Bei  den  grofsen  Erfolgen  des  Kreuzes  über  den  Halbmond  in 
Spanien  im  Zeitalter  Innozenz'  III.  schien  der  gänzliche  Fall  von 
Granada  nur  eine  Frage  der  nächsten  Zeit  zu  sein:  gleichwohl  hinderte 
der  Zwiespalt  und  die  gegenseitige  Eifersucht  der  christlichen  Staaten 
diese  Entwicklung.  In  Kastilien  war  auf  Ferdinand  III.  (s.  §  12)  sein 
Sohn  Alfons  X.  (1252 — 1284)  gefolgt  —  eine  der  bedeutendsten  Per- 
sönlichkeiten seiner  Zeit.  Hat  ihm  auch  die  Nachwelt  den  Beinamen 
»des  Weisen«  gegeben,  so  sprechen  doch  seine  Erfolge  in  der  Politik 
wenig  dafür ;  eher  könnte  er  wegen  seiner  Neigungen  für  Wissenschaften 
und  Künste  »der  Gelehrte«  genannt  werden.  Ihm  dankt  Salamanca 
seinen  hohen  Ruf;  die  astronomischen  Anstalten,  die  dort  nach  dem 
Muster  der  berühmtesten  Observatorien  des  Orients  angelegt  wurden,  und  das 
grofse  astronomische,  nach  seinem  Namen  benannte  Tafelwerk  kosteten  be- 
deutende Summen.  Nicht  weniger  war  er  auch  um  die  historischen  Studien 
bemüht ;  unter  den  abendländischen  Fürsten  war  er  der  erste,  der  öffentliche 
Verhandlungen,  Dokumente  und  Gesetze  nicht  mehr  in  Latein,  sondern  in 
der  Muttersprache  abfassen  und  selbst  die  Bibel  ins  Kastilische  übersetzen 
liefs.  In  dem  Codigo  de  las  siete  partidas  wurde  ein  einheitliches  Gesetz- 
buch geschaffen,  bestimmt,  die  Sonderrechte  und  Gerichtsgebräuche  zu 
beseitigen.  Nur  drei  Städte  Kastiliens  behielten  ihre  besonderen  Fueros. 
Für  die  Regierungsgeschäfte  besafs  Alfons  X.  geringe  Begabung.  Nicht 
selten  traten  während  seiner  Regierung  anarchische  Zustände  ein  und 
doch  trieb  ihn  sein  Ehrgeiz  an,  nach  dem  Besitz  des  Kaisertums  zu 
streben.  Für  die  Durchführung  dieser  Pläne ,  den  Aufwand  für  seine 
gelehrten  Anstalten  und  seine  anspruchsvolle  Hofhaltung  reichten  die 
Einnahmen  des  Staates  nicht  hin,  und  die  Verschlechterung  der  Münze, 
die  er  ins  Werk  setzte,  hatte  eine  schwere  Schädigung  des  Handels  und 
Gewerbes    zur    Folge.      Wegen    der    Ausdehnung    seines   Reiches    nach 


348  Alfons  X.  und  das  Kaisertum.     Sancho  TV.  und  Fernando  IV. 

Süden  war  er  mit  Portugal  in  Streit  geraten;  er  legte  ihn  bei,  indem 
er  Alfons  III.  seine  Tochter  Beatrix  zur  Gattin  und  Algarve  als  Lehen 
gab;  auch  im  Streit  mit  England  und  Navarra  um  den  Besitz  der 
Gascogne  und  Navarras  war  er  zur  Nachgiebigkeit  gezwungen,  und  seine 
Absichten  auf  die  Ausdehnung  des  kastilischen  Einflusses  in  Afrika  gab 
er  angesichts  des  Widerstrebens  der  Aragonesen  auf.  Als  Sprosse  des 
Stauferhauses  von  einer  Partei  auf  den  deutschen  Thron  berufen,  brachte 
er  dem  Phantom  der  Kaiserherrschaft  grofse  Opfer  und  geriet  hierüber 
mit  seinem  Bruder  Heinrich  in  Streit,  da  er  die  Regentschaft  für  die 
Zeit  seiner  Abwesenheit  aus  Kastilien  nicht  diesem,  sondern  seiner  Gattin 
zugedacht  hatte.  Heinrich  wurde  zwar  besiegt,  spielte  aber  nebst  seinem 
Bruder  Friedrich  noch  in  den  Kämpfen  Konradins  (s.  oben)  eine  Rolle. 
Während  er  sich  (1275),  um  seine  Absichten  auf  das  Kaisertum  durch- 
zusetzen, zu  einer  Unterredung  mit  Gregor  X.  nach  Beaucaire  begab, 
führte  sein  älterer  Sohn  Fernando  de  la  Cerda,  der  mit  Blanka, 
einer  Tochter  Ludwigs  IX.,  vermählt  war,  die  Regentschaft.  Eben  damals 
war  der  Beherrscher  von  Granada  im  Bunde  mit  Marokko,  dem  als  Preis 
für  seine  Hilfe  Algesiras  und  Tarifa  abgetreten  wurden,  in  Kastilien 
eingebrochen.  Während  des  Feldzuges  erkrankte  Fernando  und  starb 
mit  Hinterlassung  zweier  Söhne  Alfonso  und  Fernando.  Nach  den  neuen, 
aber  noch  nicht  publizierten  Gesetzen  waren  diese  erbberechtigt,  dagegen 
standen  sie  nach  altem  kastilischen  Erbrecht  vor  ihrem  Oheim  zurück, 
und  demgemäfs  erkannten  die  Stände  den  zweiten  Sohn  des  Königs, 
Sancho,  als  Erben  Kastiliens  an.  Die  Witwe  Fernandos  protestierte 
dagegen  und  wandte  sich  an  Frankreich  um  Schutz.  Darüber  kam  es 
zu  einem  Kriege,  dessen  Ausgang  Alfons  X.  nicht  mehr  erlebte.  Mit  seinem 
eigenen  Sohne  zerfallen,  starb  er  am  4.  April  1284. 

2.  Sancho  IV.  (1284 — 1295)  hatte  gegen  die  Ansprüche  seiner  von 
Frankreich  und  Aragonien  unterstützten  Neffen,  der  Infanten  de  la 
Cerda,  gegen  die  seines  Bruders  Juan,  der  den  ihm  einst  von  seinem 
Vater  zugeheifsenen  Besitz  von  Sevilla  begehrte,  endlich  gegen  die  Über- 
macht der  Häuser  Haro  und  Lara  einen  schweren  Stand.  Kastilien 
war  mehrere  Jahre  hindurch  der  Schauplatz  wüster  Parteikämpfe,  in  die 
sich  die  Mauren  von  Granada  und  Marokko  einmischten.  Auch  bot  die 
Nachfolge  seines  Sohnes  Fernando,  der  aus  seiner  von  der  Kirche  nicht 
anerkannten  Ehe  mit  einer  Verwandten  Maria  de  Molina  stammte,  grofse 
Schwierigkeiten.  In  der  Tat  erhoben  sich  gegen  Maria,  die  für  ihren 
unmündigen  Sohn  Fernando  IV.  (1295 — 1312)  die  Regierung  führte, 
von  allen  Seiten  Gegner:  so  der  Infant  Juan,  der  die  Rechtmäfsigkeit 
Fernandos  bestritt,  die  Infanten  de  la  Cerda,  König  Diniz  von  Portugal,  der 
die  Mitgift  seiner  kastilischen  Mutter  Beatrix  begehrte,  Aragonien,  ja  selbst 
der  Infant  Henrique,  der  als  ältester  männlicher  Agnat  die  Regentschaft 
forderte.  Donna  Maria  behauptete  sich  mit  Hilfe  der  Bürgerschaften, 
denen  sie  durch  Aufhebung  drückender  Lasten  entgegenkam.  In  Kastilien 
Leon,  Galicien,  Andalusien  und  Murcia  gründeten  die  Städte  Hermandades, 
Brüderschaften,  um  die  Rechte  der  Krone  zu  schützen.  Durch  eine 
Doppelheirat  ihrer  Kinder   mit    denen  Diniz'    von  Portugal    gewann   sie 


Alfonso  XI.     Der  Sieg  am  Salado.     Pedro  der  Grausame.  349 

dessen  Hilfe  und  setzte  auch  bei  der  Kurie  die  Legitimierung  ihres 
Sohnes  durch.  Endlich  wurde  auch  mit  den  Infanten  de  la  Gerda  ein 
Abkommen  getroffen.  In  Gemeinschaft  mit  Aragonien  begann  Fernando 
den  Kampf  gegen  Granada,  starb  aber,  ehe  er  noch  beendet  war.  Über 
die  Vormundschaft  für  seinen  Sohn  Alfonso  XI.  (1312 — 1350)  wurden 
langwierige  Kämpfe  geführt  und  nach  deren  Beendigung  der  Krieg 
gegen  Granada  in  Angriff  genommen  (1316);  die  Infanten  Pedro  und 
Juan,  die  die"  Regentschaft  führten,  verloren  (1319)  am  Xenil  Schlacht 
und  Leben.  Als  Alfonso  grofsjährig  geworden,  zog  er  die  Zügel  der 
Regierung  straffer  an  und  brachte  verschleudertes  Gut  an  die  Krone  zurück. 
Doch  hinderten  Streitigkeiten  mit  den  Infanten  Manuel,  Juan  und  den 
Cerdas  die  ruhige  Entwicklung  des  Landes  um  so  mehr,  als  sich  auch  die 
benachbarten  Mächte  einmischten.  1330  kam  es  zum  Frieden,  als 
Kastilien,  Aragonien  und  Portugal  sich  zum  Kampfe  gegen  die  Mauren 
zusammenfanden.  Der  Krieg  wurde,  allerdings  mit  langen  Unterbrechungen, 
bis  an  das  Ende  der  Regierung  Alfons'  XL  geführt.  Die  inneren  Zustände 
Kastiliens  litten  vornehmlich  unter  den  Wirren,  die  durch  das  Verhältnis 
des  Königs  zu  seiner  Geliebten  Leonore  von  Guzman  hervorgerufen  wurden 
und  die  der  Adel  ausnützte,  um  seine  Macht  zu  mehren.  Erst  1337  er- 
folgte die  Herstellung  geordneterer  Verhältnisse.  Und  nun  konnte  auch 
der  Kampf  gegen  die  Mauren  erfolgreicher  aufgenommen  werden.  Am 
30.  Oktober  1340  erlitten  sie  am  Flüfschen  Salado  bei  Algesir as  eine 
gänzliche  Niederlage.  Der  Sieg  konnte  indes  aus  Mangel  an  Mitteln  nicht 
ausgenützt  werden,  und  so  zog  sich  der  Kampf,  für  den  die  Mauren  ansehnliche 
Opfer  brachten,  in  die  Länge.  Dies  bewog  auch  die  Stände  von  Burgos,  eine 
starke  Steuer  —  Alcavala  — ,  ein  Zwanzigstel  von  jedem  Verkauf  —  zu  be- 
willigen, die,  zuerst  nur  für  Burgos  und  nur  für  die  D  au  er  des  Krieges  bestimmt, 
seit  1349  auf  das  ganze  Reich  ausgedehnt  wurde.  Schliefslich  fiel  Algesiras 
in  die  Hände  der  Kastilier,  und  die  Mauren  sahen  sich  zum  Abschlufs  eines 
zehnjährigen  Waffenstillstandes  gezwungen.  Der  sehnlichste  Wunsch 
des  Königs  war  die  Eroberung  von  Gibraltar.  Unruhen,  die  in  Marokko 
ausgebrochen  waren,  boten  ihm  Anlafs  zur  Einmischung.  Mit  Hilfe  der 
Aragonesen  schritt  er  zur  Belagerung  der  Stadt,  die  bald  in  solche  Not 
kam,  dafs  ihr  Fall  unmittelbar  zu  erwarten  war.  Da  brach  im  Heere 
der  Belagerer  eine  Pest  aus,  der  auch  der  König  zum  Opfer  fiel  (1350). 
3.  Alfonso  hinterliefs  aus  rechtmäfsiger  Ehe  Pedro  den  Grau- 
samen (1350 — 1369),  aus  der  Verbindung  mit  Leonore  de  Guzman  sieben 
Söhne,  unter  ihnen  als  ältesten  Heinrich  Grafen  von  Trastamara.  Diese  alle 
samt  Leonore  hatten  die  Rache  der  so  lange  zurückgesetzten  Königin- Witwe 
und  ihres  Günstlings  Albuquerque  zu  gewärtigen.  In  der  Tat  wurde  Leonore 
als  Gefangene  nach  Sevilla  geführt  und  ihre  ältesten  Söhne  Heinrich  und 
Friedrich  verhaftet.  Eine  schwere  Krankheit,  in  die  Pedro  verfiel,  rief  die 
Hoffnungen  der  Kronprätendenten  Fernando  von  Aragon  und  Juan  Nurlez 
de  Lara  wach.  Zunächst  fiel  Leonore  dem  Hasse  ihrer  Feinde  zum  Opfer  (1351). 
War  Pedro  an  diesem  Morde  unbeteiligt,  so  trat  der  grausame  Zug  seines 
Charakters  hervor,  als  er  Garci  Laso  und  drei  andere  Bürger  von  Burgos 
wegen  ihrer  Sympathien    für    das  Haus  Lara    in    der  Verteidigung    der 


350  Die  Politik  Pedros.    Blanka  v.  Bourbon  u.  Maria  de  Padilla. 

alten  Rechte  von  Burgos  töten  liefs.     Trastamara  entkam  nach  Asturien. 
Den  in  Valladolid  versammelten  Cortes  bestätigte  Pedro  zwar  (1351)  die 
alten  Freiheiten,   nahm   aber   abhanden   gekommene  Kronrechte  zurück 
und  bemühte  sich,  die  Macht  des  Königtums  auf  Kosten  des  Adels  und 
der  Bürger   zu   mehren.     Um   eine  Stütze   an  Frankreich   zu   gewinnen, 
verlobte  ihn  Albuquerque  mit  Blanka  von  Bourbon.    Blanka   hielt  als 
Braut  ihren  Einzug  in  Valladolid  (1353),    aber  Pedro   weigerte   sich,   die 
Ehe  einzugehen.     Er   hatte    vor  der  Verlobung  ein  Edelfräulein  Maria 
de  Padilla  kennen  gelernt  und  Beziehungen  zu  ihr  angeknüpft.    Wie- 
wohl   er    sich    auf  Zureden  Albuquerques   und   Mahnungen  des  Papstes 
mit  Blanka  vermählte,  liefs  er  von  Maria   nicht   nur   nicht   ab,    sondern 
vermählte   sich   heimlich   mit  ihr.     Aus  Hafs  gegen  den  ihm  unbequem 
gewordenen  Albuquerque  und   auf  Zureden   seines  Oheims  Alfonso  von 
Portugal   hatte    er   sich  kurz  zuvor  mit  seinen  Halbbrüdern  ausgesöhnt. 
Nach  dem  Sturze  Albuquerques  und  seiner  Anhänger  fielen  die  wichtigsten 
Amter     den    Verwandten     Marias    zu.       Pedro    war    im    Begriff,     den 
Kampf  mit  den  Berbern  aufzunehmen,    als  sich  des  Königs  Halbbrüder 
Heinrich    und   Friedrich   mit  Albuquerque    zur   Absetzung   Pedros    und 
Erhebung    des   portugiesischen  Kronprinzen    auf    den   Thron   Kastiliens 
verbanden.     Eben  hatte  Maria  de  Padilla  den  Entschlufs  gefafst,  sich  in 
ein  Kloster  zurückzuziehen,    als  Pedro   von   einer   heftigen  Leidenschaft 
zu  Johanna  de  Castro,  der  Witwe  Diegos  von  Haro  und  Schwester  der  unglück- 
lichen Inez   de  Castro  (§  85)  erfafst  wurde.     Zwei  Bischöfe  fanden  sich, 
die  des  Königs  Ehe  mit  Blanka  für  ungültig  erklärten,    aber   schon   am 
Tage,  nachdem  er  sich  mit  Johanna  vermählt  hatte,   kehrte   er   auf   die 
Kunde  von  der  Verschwörung,    an    der   sich   auch  das  Haus  Castro  be-- 
teiligte,   zu  Maria  zurück.     Dies  Vorgehen   rief   seine   Gegner  unter   die 
Waffen.     Blanka   hatte    sich   unter   den  Schutz    der  Bürger   von  Toledo 
gestellt.     Da  Verhandlungen    zwischen    Pedro    und    seinen    Gegnern   zu 
keinem  Ziele   führten,   wurde    er  in  Toro   eingeschlossen   und  zum  Ein- 
lenken gezwungen.    Dies  war  aber  nur  ein  scheinbares,  denn  schon  nach 
Jahresfrist  (1355)  war  er  wieder  Herr  der  Lage.    Das  schlechte  Regiment 
seiner  Gegner  führte  die  kommunalen  Gewalten  in  sein  Lager.     Blanka 
wurde  in  Toledo  gefangen  genommen,  Trastamara  entwich  nach  Frank- 
reich und  die  Königin-Mutter  nach  Portugal,  wo  sie  nicht  lange  nachher 
starb.     Des  Königs  Halbbrüder  Friedrich   und  Tello   wurden  begnadigt. 
Aragoniens    zweideutiges  Verhalten    während    des   Bürgerkrieges   hatten 
Pedro  verletzt ;  da  nun  ein  aragonesischer  Flottenführer  zwei  genuesische 
Schiffe  im  Hafen  von  Cadix  wegnahm    und   die  geforderte  Genugtuung 
verweigerte,  kam  es  zu  einem  Kriege,  der  mit  mehrfacher  Unterbrechung 
und  wechselndem  Glück  fünf  Jahre  hindurch  (1356 — 1361)  geführt  wurde. 
Pedro    unterstützte    hiebei    die  Ansprüche    des    aragonesischen    Prinzen 
Fernando  gegen  dessen  Stiefbruder  Pedro  IV.,  wogegen  dieser  die  Hilfe 
Trastamaras    und    anderer    kastilischer  Grofsen    gewann.     Pedro    bewies 
während    dieser  Kämpfe   eine  Grausamkeit,    der   er    zumeist   seinen  Bei- 
namen verdankte;  man  darf  aber  nicht  übersehen,    dafs  er  in  einzelnen 
Fällen  aus  Notwehr  handelte.    Es  fielen  Juan  de  la  Cerda,  Don  Friedrich, 


Pedro  d.  Grausame  und  Heinrich  Trastarnara.  351 

der  aragonische  Infant  Juan  u.  a.  Verschwörungen  und  Niederlagen 
boten  stets  Anlafs  zu  Exekutionen.  Um  seine  finanziellen  Mittel  zu 
stärken,  liefs  Pedro  dem  Schatzmeister  Samuel  el  Levi  seine  Schätze  ab- 
nehmen und  ihn  auf  die  Folter  werfen,  der  er  erlag.  Der  Frieden  mit 
Aragonien  stellte  den  Status  quo  ante  bellum  wieder  her.  Von  der 
Amnestie,  die  Pedro  erliefs,  waren  Trastamare,  der  Infant  Fernando  und 
eine  Anzahl  Grofser  ausgeschlossen.  Auch  in  seinen  auswärtigen  Be- 
ziehungen verfuhr  Pedro  treulos  und  grausam.  So  wurde  Mohammed  VI. 
von  Granada,  der  sich  im  Vertrauen  auf  den  Schutz  Pedros  gegen  seine 
Widersacher  nach  Sevilla  begeben  hatte,  ermordet.  Die  Königin  Blanka 
starb,  erst  25  Jahre  alt,  von  denen  sie  zehn  in  Kerkerhaft  zugebracht 
hatte,  im  Sommer  1361,  wie  es  hiefs  an  Gift,  das  der  König  ihr  reichen 
liefs,  wahrscheinlicher  aber  an  der  Pest,  der  nicht  lange  nachher  auch 
ihre  Nebenbuhlerin  Maria  de  Padilla  erlag.  Dieser  wurde  nach  ihrem 
Tode  die  Ehre  zuteil,  als  rechtmäfsige  Königin  anerkannt  zu  werden, 
ihre  Kinder  legitimiert  und,  als  ihr  einziger  Sohn  Alfonso  (1362)  starb, 
Bestimmungen  über  die  Nachfolge  der  Töchter  getroffen. 

4.  In  Frankreich  hatte  Blankas  Schicksal  lebhafte  Teilnahme  erregt. 
Daher  fand  Trastarnara  hier  bereitwilliges  Entgegenkommen.  König 
Johann  sicherte  ihm  den  Beistand  der  durch  den  Frieden  von  Bretigny 
freigewordenen  Kompagnien  zu.  Auch  Aragonien  versprach  Hilfe.  Da- 
gegen schlofs  Pedro  einen  Vertrag  mit  England  (1363),  und  auch  Navarra 
fand  sich  zum  Anschlufs  willig.  Unzufrieden  mit  dieser  Lage  der  Dinge, 
war  der  Infant  Fernando  von  Aragonien,  der  als  Enkel  Fernandos  IV. 
selbst  Ansprüche  auf  Kastilien  geltend  machte.  Im  Begriff,  nach  Frank- 
reich zu  gehen,  wurde  er  bei  einem  von  Trastarnara  gemachten  Versuch, 
ihn  gefangen  zu  nehmen,  getötet  (1363).  Navarra,  das  vorn  englisch- 
kastilischen  Bunde  zurückgetreten  war,  Aragonien  und  Trastarnara 
schlössen  das  Bündnis  von  Uncastillo.  Jetzt  wurden  die  aus  Franzosen, 
Bretonen  und  Engländern  bestehenden  Kompagnien  in  Sold  genommen. 
Ihr  Führer  war  Du  Guesclin.  In  Calahorra,  der  ersten  kastilischen 
Stadt,  die  man  betrat,  wurde  Trastarnara  zum  König  ausgerufen  und 
am  18.  April  1366  gekrönt.  Er  fühlte  sich  so  sicher,  dafs  er  einen  Teil 
seiner  Truppen  entliefs.  Pedro  war  mittlerweile  nach  Galizien  entkommen. 
Er  eilte  nach  Bayonne.  Am  23.  September  1366  schlofs  er  mit  dem 
schwarzen  Prinzen  und  Karl  von  Navarra,  dem  sein  Bündnis  mit  Trasta- 
rnara unbequem  geworden  war,  den  Vertrag  von  Libourne  (bei  Bordeaux), 
in  welchem  er  an  England  und  Navarra  grofse  Zugeständnisse  an  Land 
und  Geld  machte.  Den  Kräften  des  schwarzen  Prinzen  war  Trastarnara 
nicht  gewachsen:  am  3.  April  1367  siegten  die  Engländer  bei  Najera. 
Du  Guesclin  wurde  gefangen,  Trastarnara  entfloh  nach  Frankreich,  und 
Pedro  wurde  wieder  Herr  seiner  Länder.  Noch  auf  dem  Schlachtfeld 
entzweite  er  sich  mit  dem  Sieger,  dessen  Ratschläge  zur  Schonung 
seiner  Gegner  er  abwies.  Da  er  überdies  die  Bedingungen  des  Ver- 
trages von  Libourne  nicht  erfüllte,  trat  der  schwarze  Prinz  den  Rückzug 
an,  Trastarnara,  der  mittlerweile  einen  stärkeren  Rückhalt  an  Frankreich 
gewonnen    hatte,    stand    schon    im   September    wieder    auf   kastilischem 


352  Die  Schlacht  bei  Montiel.     Das  Ende  Pedros  d.  G. 

Boden  und  brachte  Burgos  und  zahlreiche  andere  Städte  auf  seine  Seite. 
Nur  Toledo  leistete  hartnäckigen  Widerstand.  Aber  erst  als  Frankreich 
selbst  den  Kampf  gegen  England  aufnahm,  war  Pedro  verloren.  Du 
Guesclin,  durch  die  Grosmut  des  schwarzen  Prinzen  aus  der  Gefangen- 
schaft befreit,  zog  wieder  nach  Kastilien.  Am  14.  März  1369  kam  es 
bei  Montiel  zum  Entscheidungskampf.  Pedro  wurde  geschlagen  und 
im  Kastell  von  Montiel  eingeschlossen.  Er  machte  den  Versuch,  Du 
Guesclin  auf  seine  Seite  zu  ziehen,  und  scheinbar  ging  dieser  auf  Ver- 
handlungen ein.  Als  Pedro  aber  nächtlicherweile  in  Du  Guesclins  Zelte  er- 
schien, trat  auch  Trastamara  ein.  Zwischen  den  Brüdern  entspann  sich 
ein  Kampf,  und  Trastamara  versetzte  dem  König  den  Todesstofs. 

Pedro  war  erst  35  Jahre  alt,  ein  Mann,  dem  es  weder  an  Geist  noch  Ent- 
schlossenheit fehlte  und  der  durch  seine  strenge  Gerechtigkeit  —  man  hiefs  ihn  auch 
Pedro  den  Richter  —  Ansehen  hatte.  Aber  sein  schrankenloser  Eifer  für  den  monarchi- 
schen Absolutismus  und  die  Grausamkeit,  mit  der  er  alle  niedertrat,  die  seinen  Ab- 
sichten widerstrebten,  endlich  die  Nichtbeachtung  der  herrschenden  Sitte  erweckten 
eine  Gegnerschaft,  der  er  erlag.  Seine  Töchter  Konstanze  und  Isabella  wurden,  jene 
an  den  Herzog  Johann  von  Lancaster,  diese  an  den  Herzog  Edmund  von  York  ver- 
mählt, die  nun  die  Verteidigung  ihrer  Ansprüche  auf  Kastilien  übernahm. 

5.  Trotzdem  Heinrich  IL,  der  Unechte  (1369—1379),  in  Kastilien 
Anerkennung  fand,  war  seine  Stellung  eine  schwierige,  da  der  Makel  der 
Illegitimität  auf  ihm  haftete ;  zunächst  erhob  Fernando  IV.  von  Portugal 
als  Enkel  einer  kastilischen  Königstochter  Ansprüche  und  wurde  von 
Granada  und  Aragonien  unterstützt;  ebenso  beanspruchte  Johann  von 
Lancaster  die  kastilische  Krone.  Pedros  hinterlassene  Schätze  boten 
indes  neben  den  reichen  Bewilligungen  der  Stände  die  Mittel,  Heer  und 
Flotte  instand  zu  halten.  Doch  benützte  der  Sultan  von  Marokko  die 
Gunst  der  Verhältnisse,  um  sich  des  unverteidigten  Algesiras  wieder 
zu  bemächtigen.  Fernando  IV.  schlofs  zwar  1371  Frieden,  unterstützte 
aber  nachher  doch  Lancaster,  wogegen  Heinrich  die  Allianz  Frankreichs 
gewann.  Mit  Hilfe  der  Kastilier  schlugen  die  Franzosen  die  Engländer 
unter  dem  Grafen  von  Pembroke  in  der  Seeschlacht  von  Roch  eile. 
Heinrich  rückte  in  Portugal  ein  und  errang  bedeutende  Vorteile,  bis  es 
unter  Vermittlung  des  Papstes  1373  zum  Frieden  kam,  in  welchem  Por- 
tugal Englands  Sache  aufgab  und  dem  französisch-kastirischen  Bunde 
beitrat.  Auch  Aragonien  machte  endlich  (1374)  seinen  Frieden  mit 
KastilieD.  Das  französische  Bündnis  verwickelte  Heinrich  in  einen  Krieg 
mit  Navarra,  den  er  (1379)  glücklich  beendigte.  Zugleich  gelang  es  ihm, 
Biskava,  das  der  Infant  Tello  als  Lehen  hatte,  nach  dessen  Tode  wieder 
mit  der  Krone  zu  vereinigen. 

§  84.    Aragonien  und  Sizilien  yon  Pedro  III.  bis  Pedro  IV. 

(1276—1387). 

über  die  einschlägigen  sizilischen  Quellen  s.  Capasso,  Le  fonti  della  storia  delle 
provincie  Xapolitane.     Napoli  1902.     S.  120  ff. 

1.  König  Jayme  I.  (Jakob)  hatte  sein  Reich  (s.  §  12)  dermafsen 
geteilt,  dafs  sein  älterer  Sohn  Pedro  III.  (1276 — 1285)  Aragonien,  Kata- 
lonien  und   Valencia,    der   jüngere,  Jayme,    als   aragonisches   Lehen  das 


Pedro  HL,  der  Grof«e.     Der  Erwerb  Siziliens.     Alfonso  III.  353 

Königreich  Mallorka  und  die  Grafschaften  Roussillon,  Cerdagne  und 
Montpellier  erhielt.  Pedro  gab  noch  vor  seiner  Krönung  die  Erklärung 
ab,  seine  Krone  weder  namens  der  römischen  Kirche  noch  durch  sie 
zu  besitzen.  Seine  erste  Regierungszeit  war  mit  Kämpfen  gegen  die 
Mauren,  gegen  katalonische  Grofse,  die  über  Beeinträchtigung  ihrer 
alten  Rechte  klagten,  endlich  durch  Streitigkeiten  mit  seinem  Bruder, 
der  sich  seiner  Lehenspflicht  entziehen  wollte,  ausgefüllt.  Erst  als  die 
Ruhe  hergestellt  war,  wandte  er  sich  der  äufseren  Politik  zu.  Im 
Begriff  mit  Alfonso  von  Kastilien  gegen  Navarra  zu  ziehen,  wurde  er 
durch  die  sizilischen  Verhältnisse  auf  einen  andern  Schauplatz  geführt. 
Die  Ereignisse,  die  der  Sizilianischen  Vesper  folgten,  brachten  ihm  wohl 
den  Besitz  Siziliens,  verwickelten  ihn  aber  in  einen  Kampf  mit  dem 
Papsttum,  mit  Frankreich  und  Neapel  (s.  oben  §  46),  der  für  ihn  um  so  ge- 
fährlicher zu  werden  drohte,  als  die  Stände  von  Aragonien,  die  weder 
bei  Beginn  noch  bei  der  Fortsetzung  des  sizilischen  Unternehmens  um 
Rat  gefragt  worden  waren,  sich  zur  Wahrung  ihrer  alten  Freiheiten 
verbanden,  bei  dem  Volke  überdies  auch  die  Unzufriedenheit  über  die 
durch  den  Krieg  verursachten  Auflagen  und  das  vom  Papste  verhängte 
Interdikt,  in  stetigem  Wachsen  war.  Selbst  die  glänzendsten  Erfolge 
im  Kriege  gegen  Neapel  und  Frankreich  konnten  über  die  inneren 
Schwierigkeiten  nicht  täuschen.  Der  König  sah  sich  daher  genötigt, 
den  Ständen  auf  dem  Reichstage  von  Saragossa  (1283,  3.  Oktober)  ein 
Generalprivilegium  zu  verleihen,  das  ihnen  alle  bisherigen  Vorrechte 
und  Freiheiten  bestätigte,  ihn  bei  allen  wichtigeren  Fragen  an  den  Rat 
der  Barone,  Ritter  und  achtbaren,  guten  Männer  aus  den  Flecken  band 
und  zur  jährlichen  Berufung  des  Reichstages  verpflichtete.  Auch 
den  katalonischen  Ständen  wurden  die  alten  Freiheiten  bestätigt,  dies 
um  so  mehr,  je  eifriger  sich  die  Katalonier  im  Kampfe  um  Sizilien  auf 
die  Seite  des  Königs  gestellt  hatten.  Als  Pedro  III.  damit  umging, 
seinen  Bruder  Jayme  von  Mallorka  wegen  seiner  Treulosigkeit  zu  strafen 
und  die  Balearen  einzuziehen,  ereilte  ihn  am  11.  November  1285  der 
Tod.  Er  nahm  den  Ruhm  ins  Grab,  der  vereinten  Macht  der  Kirche 
und  zweier  mächtiger  Königreiche  Widerstand  geleistet  zu  haben,  Grund 
für  die  Aragonesen,  ihn  den  Grofsen  zu  nennen.  Doch  starb  er  ver- 
söhnt mit  der  Kirche ;  auf  dem  Totenbett  gab  er  der  römischen  Kirche 
das  Königreich  Sizilien  zurück. 

2.  In  Aragonien,  Katalonien  und  Valencia  folgte  sein  ältester  Sohn 
Alfonso  III.,  der  Freigebige  (1285 — 1291),  in  Sizilien  trotz  der  Verzicht- 
leistung des  Vaters  der  zweite  Sohn  Jayme.  Jener  vollendete  die 
Eroberung  der  Balearen.  Den  ständischen  Gewalten  in  Aragonien  und 
Katalonien  kam  er  noch  weiter  als  sein  Vater  entgegen;  der  Streit  mit 
der  Kurie  und  Frankreich  wurde  (1290)  unter  englischer  Vermittlung 
beigelegt,  indem  er  das  Zugeständnis  machte,  seinen  Bruder  Jayme  nicht 
zu  unterstützen;  allerdings  bot  die  Sache  für  diesen  keine  gröfseren 
Gefahren,  da  die  Siege  seines  Feldherrn  Loria  seine  Macht  in  Sizilien 
noch    mehr    befestigten.      Als   Alfonso    eines    frühzeitigen    Todes    starb, 

Loserth,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  23 


354  Jayrne  II.,  der  Gerechte.     Friedlich  (II.)  v.  Sizilien.     Die  Katalanen. 

folgte  ihm  Jaynie  II.,  der  Gerechte,  (1291 — 1327)  in  der  Regierung.  In 
Sizilien  setzte  er  seinen  jüngeren  Bruder  Friedrich  zürn  Statthalter 
ein.  Die  Rücksichtnahme  auf  seine  Untertanen,  vornehmlich  auf  die 
Geistlichkeit,  welcher  der  Papst  die  Anerkennung  des  Königs  untersagte, 
solange  dieser  im  Banne  sei,  der  Wunsch  des  Papstes,  die  christlichen 
Mächte  des  Abendlandes  zum  Kampfe  gegen  den  Islam  zu  einen,  brachte 
einen  Friedensschlufs  unter  den  bisherigen  Gegnern  zustande.  Jayme 
entsagte  seinen  Ansprüchen  auf  Sizilien;  die  Sizilianer  mochten  indes 
von  der  Restauration  des  Hauses  Anjou  nichts  wissen  und  hoben  den 
Infanten  Friedrich  auf  den  Thron  (1296).  Dagegen  wurde  nun  Jayme 
vom  Papste  mit  Sardinien  und  Korsika  belehnt  (1297),  zum  Fahnen- 
träger der  Kirche  und  Admiral  der  Flotte  ernannt,  die  diese  zum  Kampfe 
gegen  ihre  Feinde  ausrüsten  würde.  Friedrich  behauptete  sich  aber 
trotz  eines  Sieges,  den  die  Katalonier  über  die  Sizilianer  errangen,  viel- 
leicht aber  auf  Geheifs  ihres  Königs  nicht  ausnützten.  Überdies  wurde 
Jayme  in  die  Streitigkeiten  mit  Kastilien  über  die  Thronfolge  Fernandos  IV. 
verwickelt,  die  erst  1305  durch  den  Frieden  von  Campillo  beigelegt 
wurden.  Beide  Reiche  verbanden  sich  hierauf  (1309)  zum  Kampfe  gegen 
Granada,  ohne  freilich  besondere  Erfolge  zu  erzielen.  Ein  wichtiger 
Erwerb  für  die  Dynastie  war  die  Grafschaft  Urgel,  die  nach  dem  Ab- 
sterben des  letzten  Grafen  von  Cabrera  an  die  Krone  fiel.  Mittlerweile 
hatte  sich  König  Friedrich  von  Sizilien  seiner  Gegner  so  glänzend  er- 
wehrt, dafs  ihm  im  Frieden  von  Neocastro  (1302)  der  Besitz  der  Insel 
zugesprochen  wurde  (s.  oben).  In  diesen  Kämpfen  hatten  sich  die  kata- 
lonisch-aragonesischen  Heerscharen  durch  ihre  ungestüme  Tapferkeit 
hervorgetan.  Sie  traten  in  den  Dienst  der  Byzantiner  und  zogen  nach 
der  Ermordung  ihres  Führers  Roger  de  Flor  plündernd  durch  die  Halb- 
insel, bis  sie  in  die  Dienste  Walters  von  Brienne,  des  Herzogs  von 
Athen,  traten.  Als  sich  dieser  ihrer  entledigen  wollte,  setzten  sie  ihn 
(1312)  ab  und  erhoben  Manfred,  den  zweiten  Sohn  König  Friedrichs 
auf  den  Herzogsstuhl  von  Athen.  Aragonien  und  Sizilien  gingen  seit 
dem  Frieden  mit  Anjou  und  dem  Papste  für  lange  Zeit  getrennte  Wege. 
Den  Besitz  von  Sardinien  konnte  Jayme  IL  erst  nach  langwierigen 
Kämpfen  mit  Pisa  erlangen  (1326),  dagegen  behauptete  Genua  seine 
Herrschaft  über  Korsika.  Um  die  einzelnen  Reiche  Aragoniens  für 
immer  aneinander  zu  knüpfen,  setzte  der  Reichstag  von  Taragona  (1319) 
fest,  dafs  die  Königreiche  Aragonien  und  Valencia,  die  Grafschaft  Barce- 
lona und  die  Lehenshoheit  über  Mallorka  unzertrennt,  ein  jedes  Land 
im  übrigen  im  Besitz  seiner  Sonderrechte  und  seiner  Verfassung  ver- 
bleiben solle.  Jaymes  Gesetzgebung  ist  durch  ihre  humane  Tendenz 
ausgezeichnet:  der  Reichstag  von  Saragossa  schränkte  den  Gebrauch 
der  Tortur  auf  vereinzelte  Fälle  ein :  denn  die  Folter  sei  imstande,  den 
Schuldigen,  der  stark  genug  sei,  ihre  Qualen  auszuhalten,  als  unschuldig 
zu  erweisen,  den  Unschuldigen,  der  schwach  sei,  als  Schuldigen  hinzu- 
stellen. Jaymes  ältester  und  gleichnamiger  Sohn,  der  in  den  neugegrün- 
deten, mit  dem  reichen  Templergut  ausgestatteten  Orden  von  Montesa 
eingetreten  war,  hatte  schon  1319  auf  die  Nachfolge  verzichtet.    Darum 


Alfonso  IV.     Pedro  IV.,  der  Zeremoniöse.  355 

folgte  nun  der  zweite  Sohn,  Alfonso  IV.,  der  Gütige  (1327 — 1336), 
dessen  Kräfte  zunächst  durch  die  Kämpfe  mit  dem  auf  Aragoniens 
Machtentfaltung  eifersüchtigen  Genua  in  Anspruch  genommen  wurden. 
Als  er  gegen  seine  Verordnung  von  1328,  dafs  binnen  zehn  Jahren 
kein  Krongut  ohne  die  dringendsten  Beweggründe  veräufsert  werden 
dürfe,  dem  Sohne  seiner  zweiten  Gemahlin  Eleonore  von  Kastilien  reichen 
Länderbesitz  anwies  und  die  Stände  für  das  Recht  der  Unteilbarkeit 
des  Reiches  eintraten  und  ihre  Forderungen  durchsetzten,  hatte  die 
Königin  auf  ihre  Klage,  dafs  ihr  kastilischer  Bruder  solches  Vorgehen 
als  Hochverrat  ahnden  würde,  die  Antwort  zu  vernehmen :  der  König 
von  Kastilien  gebietet  über  Untertanen,  der  von  Aragonien  über  freie 
Staatsbürger. 

3.  Alfonsos  Sohn  Pedro  IV.,  der  Zeremoniöse  (1336 — 1387),  wider- 
rief die  seiner  Stiefmutter  gemachten  Schenkungen,  worauf  sie  die  Hilfe 
Kastiliens  anrief.  Es  kam  zu  einem  längeren  Streite,  der  im  Hinblick 
auf  die  mit  den  Sarazenen  von  Marokko  drohenden  Kämpfe  durch  den 
Spruch  eines  Schiedsgerichts  beigelegt  wurde,  wonach  die  Königin- Witwe 
zwar  ihren  Besitz  behielt,  aber  auf  die  Ausübung  der  Gerichtsbarkeit 
verzichten  mufste.  Am  Siege  am  Flusse  Salado  hatte  Pedro  IV.  keinen 
Anteil,  da  ihn  zuerst  Unruhen  auf  Sardinien,  dann  Streitigkeiten  mit 
seinem  Vetter,  dem  König  Jayme  IL  von  Mallorka,  der  sich  der  Lehens- 
hoheit entziehen  wollte,  in  Anspruch  nahmen.  Da  Jayme  die  Ladung 
vor  des  Königs  Gericht  unbeachtet  liefs,  wurde  ihm  der  Besitz  aller 
Lehen  und  Güter  abgesprochen  (1343)  und  die  Balearen  auf  ewige  Zeiten 
den  aragonesischen  Reichen  einverleibt  (1344).  Jayme  starb  während 
der  Versuche,  seinen  Besitz  wieder  zu  gewinnen  (1349);  seinem  gleich- 
namigen Sohne  blieb  nichts  als  der  Königstitel.  Waren  die  Unruhen 
auf  Sardinien  noch  1336  durch  einen  Frieden  mit  Genua  beigelegt 
worden,  so  brach  der  Kampf  1347  von  neuem  aus,  als  sich  das  Haus 
Doria  gegen  die  aragonische  Herrschaft  erhob  und  Genua  den  Augen- 
blick benützen  wollte,  um  seinen  Einflufs  auf  die  Insel  zurückzugewinnen. 
Pedro  IV.  schlofs  dagegen  ein  Bündnis  mit  Venedig,  und  gewann  be- 
deutende Erfolge,  aber  seine  Herrschaft  über  die  Insel  blieb  doch  eine 
unsichere.  Von  der  gröfsten  Bedeutung  war  der  lange  Streit  Pedros  IV. 
mit  seinen  Stiefbrüdern,  denn  er  rief  nicht  nur  die  Einmischung  Kasti- 
liens hervor,  sondern  hatte  auch  grofsen  Einflufs  auf  die  Verfassung 
von  Aragonien.  Da  Pedro  aus  seiner  Ehe  mit  Maria  von  Navarra  keine 
Söhne  hatte,  wollte  er,  den  Gesetzen  des  Landes  entgegen,  seiner  Tochter 
Konstanze  die  Nachfolge  verschaffen  und  bewog  seinen  Oheim  Pedro 
und  einzelne  Grofse  ihr  die  Huldigung  zu  leisten  (1347).  Damit  wurden 
die  Rechte  Jaymes,  des  Grafen  von  Urgel,  und  der  übrigen  Mitglieder 
vom  Mannestamm  des  königlichen  Hauses  verletzt,  denen  nach  heimischem 
Recht  ein  näheres  Recht  auf  die  Krone  zustand.  Für  Jayme  traten 
nicht  blofs  dessen  Stiefbrüder  Fernando  und  Juan,  sondern  auch  die 
Stände  in  die  Schranken.  Es  bildete  sich  eine  Union  zur  Wahrung  der 
verletzten  Rechte,  die  auch  in  Valencia  Nachahmung  fand  und  den  König 

23* 


356  Fortbildung  der  ständischen  Rechte  Aragoniens. 

bewog,  seine  Anordnungen  zu  widerrufen.  Kaum  aber  fühlte  er  sich 
durch  seinen  Anhang  in  Katalonien  und  Valencia  genügend  gekräftigt. 
als  er  dagegen  protestierte.  Nach  Jaymes  Tode  trat  der  Infant  Fernando 
an  die  Spitze  der  Union ;  wiewohl  er  als  Neffe  Alfons'  XI.  von  Kastilien 
dessen  Unterstützung  fand,  endete  der  Kampf  doch  zugunsten  des  König- 
tums, denn  Pedro  IV.  hatte  an  dem  tapferen  Grafen  Pedro  von  Exerica, 
der  sich  an  die  Spitze  einer  Gegenunion  stellte,  eine  mächtige  Unter- 
stützung gewonnen  und  besafs  an  dem  staatsklugen  Majordomus  Bernardo 
de  Cabrera  einen  trefflichen  Berater.  Die  Union  der  aragonischen  Stände 
erlitt  bei  Epila  (1348)  eine  gänzliche  Niederlage.  Pedro  stellte  durch 
seinen  Sieg  das  Ansehen  des  Königtums  wieder  her,  schwur  aber  doch 
den  Ständen  zu,  die  Freiheiten,  Rechte  und  Gewohnheiten  des  Landes 
getreu  zu  beobachten  und  setzte  fest,  dafs  dieser  Eid  auch  von  seinen 
Nachfolgern  und  sämtlichen  Beamten  des  Reiches  geleistet  werden  solle. 
Zugleich  wurde  dem  Justitia  eine  Gewalt  übertragen,  welche  die  kon- 
stitutionellen Freiheiten  mehr  sicherte,  als  dies  durch  die  Union  möglich 
gewesen  wäre :  er  wurde  der  verfassungsmäfsige  Richter  in  allen  künf- 
tigen Streitigkeiten  zwischen  Königtum  und  Ständen  und  der  Stände 
untereinander.  Nun  wurde  auch  Valenzia  unterworfen.  Die  Union 
wurde  bei  Miglata  (1348,  Dezember)  geschlagen.  Die  Schuldigen  wurden 
härter  gestraft  als  in  Aragonien,  auch  erhielt  der  Justitia  hier  geringere 
Rechte.  Die  Ruhe  wurde  noch  mehr  befestigt,  als  des  Königs  dritte 
Gemahlin,  Eleonore  von  Sizilien,  ihm  einen  Sohn  gebar,  den  Infanten 
Juan,  denn  nun  waren  die  Ansprüche  des  Infanten  Fernando  vernichtet, 
und  die  Partei,  die  zu  ihm  gehalten  hatte,  löste  sich  auf.  Mit  Pedro 
dem  Grausamen  führte  Pedro  IV.  einen  fast  ununterbrochenen  Kampf; 
wie  jener  die  Ansprüche  des  Infanten  Fernando,  unterstützte  dieser 
Heinrich  von  Trastamara.  Der  Krieg  mit  Kastilien  fand  erst  durch  den 
Frieden  von  Almazan  (1374,  10.  Mai)  ein  Ende;  Pedro  IV.  gab  seine 
kastilischen  Eroberungen  gegen  den  Ersatz  der  Kriegskosten  zurück  und 
vermählte  seine  Tochter  Eleonore  mit  dem  kastilischen  Thronerben 
Johann.  Im  Juli  1377  starb  König  Friedrich  III.  von  Sizilien,  ohne 
einen  legitimen  Sohn  zu  hinterlassen.  Als  Erben  des  Reiches  bestimmte 
er  seine  Tochter  Maria  und,  wenn  diese  ohne  legitime  Erben  stürbe, 
seinen  unechten  Sohn  Wilhelm;  falls  auch  dieser  ohne  legitime  Söhne 
abginge,  sollte  das  Königreich  Sizilien  an  seine  Schwester  Eleonore 
fallen,  die  mit  Pedro  IV.  vermählt  war.  Pedro  erhob  indes  schon 
jetzt,  gestützt  auf  das  Testament  Friedrichs  IL,  auf  das  ganze  Erbe 
Anspruch  und  setzte  ihn  trotz  der  Gegnerschaft  Urbans  VI.  auch 
durch.  Indem  er  sich  Titel  und  Herrschaft  über  Sizilien  für  seine  Lebens- 
zeit vorbehielt,  ernannte  er  seinen  jüngeren  Sohn  Martin  1380  zum 
Generalstatthalter  von  Sizilien,  worauf  sich  auch  die  Herzogtümer  Athen 
und  Neopatria  der  Krone  Aragoniens  unterwarfen.  Die  letzten  Zeiten 
seines  Lebens  wurden  durch  Streitigkeiten  mit  seinem  älteren  Sohne 
Johann  getrübt,  die  durch  seine  vierte  Gemahlin  Sibilla  de  Forcia  hervor- 
gerufen worden  waren.  Als  Pedro  IV.  am  5.  Januar  1387  starb,  folgte 
ihm  in  dem  Besitz  Aragoniens  Johann  I. 


Portugals  Fortachritte  unter  K.  Diniz.     Die  Universität  Coinibra.  357 

§  85.  Die  Entwicklung  Portugals  Tom  letzten  Viertel  des  13.  bis 
zum  letzten  Viertel  des  14.  Jahrhunderts. 

1.  Seit  Portugal  irn  Kampfe  mit  den  Mauren  seine  natürlichen 
Grenzen  erreicht  hatte,  konnte  es  sich  ungestört  entwickeln.  Unter  der 
Fürsorge  weiser  Könige  fielen  hier  frühzeitig  die  Schranken,  die  die  ein- 
zelnen Stände  voneinander  schieden.  Während  der  Friedensjahre  ge- 
langten die  Städte  zu  Reichtum  und  Macht;  im  Verkehr  zwischen  Bürgertum 
und  Adel  trat  ein  Zustand  ein,  der  sich  mit  dem  der  italienischen  Städte- 
republiken vergleichen  läfst.  Begründer  dieser  Blüte  war  König  Diniz 
(1279 — 1325),  den  die  dankbare  Mitwelt  el  Justo  (den  Gerechten)  oder 
et  Labrador  (den  Ackerbauer)  genannt  hat.  Schon  bei  Lebzeiten  seines 
Vaters  an  der  Regierung  beteiligt,  bestieg  er  mit  18  Jahren  den  Thron. 
Drei  Jahre  später  heiratete  er  Isabella,  die  Tochter  Pedros  III.  von 
Aragonien,  eine  Urenkelin  Kaiser  Friedrichs  IL,  deren  hohe  Tugenden 
sie  in  den  Ruf  der  Heiligkeit  brachten.  In  seinem  Eifer,  die  der  Krone 
entfremdeten  Güter  und  Gerechtsame  wieder  zu  gewinnen,  kam  er  in 
schwere  Streitigkeiten  mit  dem  Klerus.  Kirchenstrafen  und  Interdikte 
folgten,  bis  (1289)  ein  Konkordat  —  die  erste  Konkordia  —  den  Frieden 
herstellte.  Doch  bedurfte  es  noch  zweier  Konkordien,  bis  das  Einver- 
nehmen zwischen  Staats-  und  Kirchengewalt  gesichert  war;  immerhin 
endete  der  Streit  hier  nicht  mit  einer  Niederlage  des  Königtums.  Das 
von  den  Cortes  (1291)  beschlossene  Amortisationsgesetz  verbot  die  fort- 
gesetzte Bereicherung  des  Klerus  durch  Verkäufe,  Schenkungen  und 
Vermächtnisse.  Das  selbständige  Vorgehen  «der  Krone  der  Kurie  gegen- 
über zeigte  sich  auch  später  noch  im  Templerprozefs,  denn  die  Stiftung 
des  Christusordens  bedeutete  in  Wirklichkeit  nichts  anderes,  als  die 
Wiederherstellung  der  Templer  unter  anderm  Namen  (1319).  Sie  er- 
hielten all  ihr  Gut  zurück  und  dazu  noch  als  Hauptsitz  das  stark 
befestigte  Castro  Marim  in  Algarve.  Die  Beziehungen  des  Königreiches 
zu  den  auswärtigen  Mächten  waren  meist  friedliche.  Nur  durch  den 
Infanten  Alfonso,  der  übrigens  auch  das  Königtum  Diniz'  durch  haltlose 
Ansprüche  anfocht,  wurde  Portugal  eine  Zeitlang  in  die  Thronstreitigkeiten 
Kastiliens  verwicklt.  Hervorragend  sind  die  Verdienste  des  Königs 
Diniz  um  die  Förderung  der  materiellen  und  geistigen  Interessen  des 
Landes.  Die  gröfste  Sorgfalt  verwendete  er  auf  den  Anbau  des  Landes. 
Da  wurden  Sümpfe  entwässert,  wüste  Ländereien  unter  den  Pflug  ge- 
nommen und  eingegangene  Ortschaften  wiederhergestellt.  Bergbau  und 
Handel  erfuhren  die  Fürsorge  des  Königs.  Schon  konnte  sich  die  por- 
tugiesische Marine  an  gröfsere  Aufgaben  an  der  afrikanischen  Küste 
wagen.  Für  die  geistigen  Bedürfnisse  des  Volkes  wurde  1290  in  Lissabon 
eine  Universität  errichtet,  die  1308  nach  Coimbra  verlegt  wurde.  Die 
letzten  Jahre  des  Königs  waren  durch  Streitigkeiten  mit  seinem  Sohne 
Alfonso  getrübt,  der  von  der  Sorge  beherrscht  war,  der  Vater  möchte 
die  Krone  seinem  natürlichen  Sohne  Alfonso  Sanchez  hinterlassen. 

2.  Alfonso  IV.  (1325 — 1357)  behielt  das  Mifstrauen  gegen  seinen 
Bruder   bis   zu  dessen  Tode  bei.     Einem  Lieblingswunsche  der  Königin 


358  Alfonso  IV.     Der  Sieg  am  Salado.     Inez  de  Castro. 

folgend  hatte  der  König  seine  Tochter  Maria  mit  Alfonso  XL  von 
Kastilien  vermählt.  Sein  Sohn,  der  Thronerbe  Pedro,  vermählte  sich 
seinerseits  mit  Blanka,  der  Tochter  des  Infanten  Pedro  von  Kastilien. 
Die  beiden  von  der  Politik  geschlossenen  Ehen  waren  unglücklich.  Wie 
Alfonso  XL  von  Kastilien  seine  Gunst  Eleonoren  von  Guzman  zuwandte, 
verstiefs  Pedro  seine  Gattin  Blanka  und  vermählte  sich  mit  Konstanze, 
der  früher  von  Alfonso  XL  zurückgewiesenen  Tochter  des  Infanten  Juan, 
Herzogs  von  Villena.  Darüber  kam  es  zu  einem  Kriege  zwischen  Por- 
tugal und  Kastilien,  der  schliefslich  durch  die  Vermittlung  des  Papstes 
beigelegt  wurde  (1339).  Beide  Staaten  einigten  sich  nunmehr  zum 
Kampfe  gegen  die  Mauren,  und  der  grofse  Sieg  am  Salado  war  wesentlich 
ein  Verdienst  Alfonso s  IV.  Grofsmütig  verzichtete  er  auf  die  reichen 
Kriegstrophäen  zugunsten  seines  Schwiegersohnes.  —  In  Portugal  selbst 
kam  es  wenige  Jahre  nachher  zu  tragischen  Ereignissen  im  königlichen 
Hause.  Mit  Konstanze  war  als  deren  Verwandte  und  Hoffräulein 
Inez  de  Castro  an  den  Hof  gekommen  und  hatte  durch  Schönheit  und 
Anmut  den  Erbprinzen  derart  gefesselt,  dafs  er  sich,  als  er  Witwer  ge- 
worden, heimlich  mit  ihr  vermählte.  Sie  gebar  ihm  vier  Kinder.  Mifs- 
günstig  bückten  die  Grofsen  auf  den  Einflufs  ihrer  Brüder;  die  Sache 
erhielt  ein  gefährlicheres  Aussehen,  als  sich  zahlreiche  Kastilianer  vor 
Pedro  dem  Grausamen  nach  Portugal  flüchteten.  Je  eifriger  der  Infant 
sich  dem  Wunsche  des  Königs  und"  der  Grofsen,  sich  wieder  zu  ver- 
mählen, entgegensetzte,  um  so  mehr  wuchs  der  Verdacht,  dafs  er  heimlich 
mit  Inez  vermählt  sei.  Im  Rate  des  Königs  brach  sich  die  Überzeugung 
durch,  dafs  nur  ihr  Tod  das  Reich  vor  grofsen  Gefahren  zu  schützen 
vermöge.  Während  der  Infant  auf  der  Jagd  weilte,  wurde  sie  trotz  ihres 
Flehens  um  Schonung  mit  Wissen  des  Königs  ermordet  (1355).  Aus 
Schmerz  und  Rachsucht  griff  Pedro  zum  Schwerte;  endlich  gelang  es 
seiner  Mutter,  ihn  friedlich  zu  stimmen.  Die  drei  Hauptschuldigen  be- 
folgten aber  den  Rat,  den  ihnen  der  König  selbst  gab,  aus  dem  Lande 
zu  fliehen.  Hatten  die  Kämpfe  Alfonsos  IV.  ihm  den  Vorwurf  ein- 
getragen, ein  undankbarer  Sohn,  ein  ungerechter  Bruder  und  grausamer 
Vater'  gewesen  zu  sein  :  für  sein  Land  und  Volk  war  seine  Regierung, 
die  er  im  Geiste  seines  Vaters  führte,  eine  wohltätige,  und  wenn  er  gegen 
Bruder  und  Sohn  mit  starrer  Strenge  einschritt,  geschah  es,  weil  er  die 
Pflichten  als  Regent  über  die  des  Bruders  und  Vaters  stellte. 

3.  Pedro  I.  (1357 — 1367)  nahm  an  zweien  der  Mörder,  die  Kastilien 
ausgeliefert  hatte,  grausame  Rache.  Der  dritte  war  nach  Frankreich  ent- 
kommen. Vor  den  Grofsen  erklärte  er  hierauf  seine  Ehe  mit  Inez  als  eine 
rechtmäfsige  und  veranstaltete  ihr  eine  glänzende  Krönungs-  und  Toten- 
feier. Gleich  seinem  Vater  und  Grofsvater  auf  die  Hebung  des  Landes 
bedacht,  einigte  sich  Pedro  mit  den  Cortes  (1361)  zur  Abstellung  ver- 
schiedener Mifsbräuche.  Er  bestätigte  den  Gemeinden  ihre  Gerechtsame 
und  Freiheiten ,  sorgte  für  geordnete  Verwaltung  und  bessere  Hand- 
habung der  Justiz  und  überwachte  mit  unnachsichtiger  Strenge  die 
Einhaltung  seiner  Anordnungen  —  einer  Strenge,  die  ihm  den  Beinamen 
des  Strenggerechten,  ja  des  Grausamen,  eintrug.     Nicht  selten  verschärfte 


Blüte  Portugals  unter  Pedro  I.     Verfall  unter  Fernando.  359 

er  die  Urteile  des  Richters.  Gesetz  und  König  waren  ihm  dasselbe,  weshalb 
er  in  der  Verletzung  des  Gesetzes  eine  solche  seiner  eigenen  Person 
erblickte.  Nahm  unter  seiner  friedlichen,  durchaus  geordneten  Verwaltung 
Portugal  einen  Aufschwung,  dafs  man  am  Grabe  dieses  Königs  sagen 
durfte :  Solche  zehn  Jahre  hat  Portugal  niemals  gehabt,  so  verschleuderte 
sein  Sohn  Fernando  (1367 — 1383),  was  vier  Könige  gesammelt  und 
aufgebaut  hatten.  Hatten  sich  diese  von  kriegerischen  Verwicklungen 
fern  gehalten,  so  erschöpfte  er  durch  seine  unbesonnenerweise  unter- 
nommenen Kriege  gegen  Heinrich  Trastamara  die  Mittel  des  Landes. 
Wiewohl  er  sich  nach  dem  ersten  Friedensschlufs  (1371)  mit  der 
kastilischen  Infantin  Leonore  verlobt  hatte,  fiel  er  in  die  Schlingen  der 
schönen  Gattin  eines  angesehenen  Edelmannes,  Leonore  Teiles,  entführte 
sie  und  machte  sie  trotz  des  allgemeinen  Unwillens  zu  seiner  Gemahlin. 
Sie  verstand  es  zwar,  sich  durch  Anmut,  Leutseligkeit  und  Freigebigkeit 
einen  Anhang  zu  schaffen,  die  Masse  des  Volkes  blieb  ihr  aber  immer 
abgeneigt.  Der  zweite  Krieg,  den  Fernando  im  Bunde  mit  Lancaster 
(s.  oben)  gegen  Kastilien  führte,  endete  (1373)  unrühmlich  wie  der  erste. 
Der  Hafs  des  Volkes  gegen  die  Königin  wuchs,  als  sie  des  Königs 
Bruder  Johann,  der  sich  mit  ihrer  schönen  und  tugendhaften  Schwester 
Maria  Teiles,  der  Witwe  des  angesehenen  Edelmannes  Alvaro  Diaz  di 
Sousa,  vermählt  hatte,  durch  die  Hoffnung  auf  die  Hand  ihrer  Tochter 
Beatrix  und  die  Nachfolge  in  Portugal  zur  Ermordung  seiner  Gemahlin 
verleitete,  ihn  aber  eben  dadurch  um  die  Nachfolge  brachte.  Die  ihm 
zugesagte  Prinzessin  wurde  mit  dem  Erben  Kastiliens  und  als  Fernando 
sich  nochmals  gegen  dieses  mit  England  verband,  mit  dem  Sohne  des 
Herzogs  von  Cambridge,  hierauf  nach  dem  unglücklich  geführten  Kriege 
abermals  mit  dem  kastilischen  Thronerben  verlobt,  schliefslich  mit  König 
Johann  von  Kastilien  selbst,  der  während  des  Krieges  Witwer  geworden 
war,  vermählt.  Für  Portugal  bestand  demnach  beim  Tode  Fernandos 
die  Gefahr,  mit  Kastilien  vereinigt  zu  werden. 


6.  Kapitel. 

Der  Norden  und  Osten  Europas  und  der  Ausgang  Karls  IV. 

§  86.   Die  nordischen  Staaten  bis  zum  Ausgang  der  alten  Dynastien. 

Quellen  s.  §  13.  Dazu  Diplomat.  Isl.  II  (bis  1350)  und  in.  (bis  1415).  Kop. 
1893—96.  Urk.  Mat.  auch  in  Styffe,  Bidrag  tili  Skandinaviens  Historia  I,  1314—97, 
II  bis  1448.  Stockh.  1859 — 64.  Die  Zahl  der  darstellenden  Quellen  steht  zu  ihrer  Be- 
deutung in  keinem  Verhältnis.  S.  d.  Verz.  bei  Potthast  II,  1724—27.  Daraus  die 
Narratio  litis  inter  Christophorum  I  regem  Daniae  et  Jacobum  etc.  Langeb.  V,  583 — 614. 
MM.  Germ.  SS.  XXIX,  214.  Lit.  bei  Potth.  II,  805.  Actiones  adversariae  Erici  regis  et 
Johannis  archiep.  Lund.  coram  curia  1296—1299,  ib.  VI,  275 — 372.  Actio  in  Esgerum 
arch.  Lund.  cor.  pontif.  Rom.  a.  1317,  ib.  VI,  536—545.  Die  Hakonar-Saga  and  a  frag- 
ment  of  Magnus-Saga,  ed.  Vigfusson  in  Rolls  Ser.  88,  reicht  v.  1203—1276.  Hilfs- 
schriften  wie  §  13.  Dazu:  D.  Schäfer,  Die  Hansestädte  und  König  TTaldemar 
von  Dänemark  bis  1376.  Jena  1879.  D.  Schäfer,  Gesch.  der  Hanse  und  Lindner 
wie  oben.      Daenell,   Gesch.  d.  Hanse  in  der  2.  Hälfte  des  14.  Jahrh.      Leipz.  1897. 


360  Niedergang  der  dänischen  Königsniacht  seit  Waldemar  II. 

W.  Stein,  Beitr.  z.  Gesch.  d.  d.  Hanse  bis  um  d.  Mitte  des  15.  Jahrh.  Giefsen  1900. 
(Dehler,  Die  Bez.  Deutschlands  zu  Dänemark  v.  d.  Köln.  Konföder.  bis  zum  Tode 
Karls  IV.  Halle  1892.  Girgensohn,  Die  skand  Polit  d.  Hanse  1375—95.  üpsala  1899. 
De  nicke,  Die  Hansestädte,  Dänemark  u.  Norwegen  1369 — 76.  Halle  1880.  Keutgen, 
Die  Bez.  d.  Hanse  zu  England.  Giefsen  1890.  Reinhard,  Valdemar  Allerdag  1880. 
Rosenorn,  Greve  Gert  of  Hülsten  etc.  Kop.  1901.  Hildebrand,  Sverriges  Medeltid 
1350-1521.  Stockh.  1817.    Über  Quellen  u.  Hilfsschr.  s.  auch  unten,  §  130. 

1.  Seit  Dänemark  infolge  des  Verlustes  seiner  Vormachtstellung 
im  Norden  Europas  unter  Waldemar  II.  die  jüngeren  Königssöhne  nicht 
mehr  mit  auswärtigen  Ländern  versorgen  konnte,  sondern  mit  dänischen 
Landesteilen  ausstattete,  kam  es  zu  einer  Zerrüttung  des  Reiches,  die 
fast  100  Jahre  andauerte.  Schon  unter  Waidemars  IL  nicht  unbegabtem 
Sohne  Erich  (1241  — 1250),  wegen  einer  den  Bauern  auferlegten  mifs- 
liebigen  Steuer,  der  »Pflugpfennig«  genannt,  kam  der  Satz  zur  Geltung, 
dafs  der  König  seine  Würde  der  Wahl  der  Grofsen  verdanke.  Sein 
Bruder  Abel  (1250 — 1252)  wurde  erst  gewählt,  nachdem  er  sich  von 
dem  Verdacht  der  Teilnahme  an  dem  Morde  gereinigt  hatte ,  dem 
Erich  erlegen  war.  Ein  Freund  der  Städte ,  wie  denn  auch  zu 
seinem  Krönungsreichstage  zum  erstenmal  Städtevertreter  erschienen, 
fand  er  im  Kampfe  gegen  die  Friesen,  die  sich  weigerten,  den  Pflug- 
pfennig zu  zahlen,  den  Tod.  Die  Regierung  seines  Bruders  Christoph 
(1252 — 1259)  ist  durch  seinen  Streit  mit  dem  Erzbischof  Jakob  von  Lund 
bemerkenswert,  der,  ohne  den  König  zu  fragen,  das  Erzbistum  an  sich 
genommen  hatte.  Indem  Christoph  dem  Klerus  seinen  Schutz  entzog 
und  ihn  so  allen  Angriffen  aussetzte,  wurde  das  Interdikt  über  das  Land 
verhängt.  Der  Kampf  endete  erst  unter  seinem  Sohne  Erich  Glip- 
ping  (1259 — 1286)  und  zwar  auch  hier  mit  einer  Minderung  der  könig- 
lichen Gewalt.  Wichtige  Kronrechte  gingen  an  Adel  und  Geistlichkeit 
verloren.  Während  diese  Zusicherungen  gegen  willkürliche  Verhaftung 
und  Strafen  erhielten,  geriet  der  Bauernstand  allmählich  in  Leibeigen- 
schaft. Auf  dem  Reichstag  von  1282  mufste  Erich  geloben,  alljährlich 
zur  Fastenzeit  eine  Reichsversammlung  zu  berufen.  Die  Kämpfe  seines 
Sohnes  Erich  Menved  (1286  — 1319)  mit  dem  Erzbischof  von  Lund 
und  Bonifaz  VIII.  endeten  mit  einer  vollständigen  Niederlage  des 
Königs.  Ebenso  unglücklich  war  er  in  seinen  Streitigkeiten  mit  Nor- 
wegen und  Schweden,  und  trotz  einzelner  Erfolge  mifslang  sein  Versuch, 
Transalbingien  und  Mecklenburg  wieder  an  Dänemark  zu  bringen.  Sein 
Bruder  Christoph  IL  (1320 — 1326),  als  Freund  der  Deutschen  un- 
beliebt, hatte  vor  seiner  Wahl  eine  Kapitulation  beschworen,  die  die 
Rechte  des  Königtums  noch  mehr  einengte.  Solche  Kapitulationen  sind 
bei  allen  späteren  Königswahlen  bis  zur  Einführung  des  Erbrechtes  der 
Krone  und  des  absoluten  Königtums  (1660)  in  Gebrauch.  Alljährlich 
sollte  ein  Parlament  zusammentreten,  wegen  freier  Verteidigung  der 
Landesrechte  niemand  zur  Verantwortung  gezogen  und  neue  Gesetze 
nur  mit  Zustimmung  der  Reichsversammlung  erlassen  werden.  Öffent- 
liche Volksgerichte  sollten  Freiheit  und  Eigentum  der  einzelnen  schirmen. 
Von  den  Gerichten  durfte  an  den  König  und  zuletzt  an  das  Parlament 
appelliert    werden.      Verhaftungen    sind    nur    auf    Grund    gerichtlicher 


Drohender  Zerfall  Dänemurks.  361 

Untersuchung  gestattet.  Zwar  werden  auch  Freiheit  des  Handels  und 
des  Bürgerstandes  Rechte  verbürgt,  am  meisten  ist  aber  für  Klerus  und 
Adel  gesorgt,  denen  der  ruhige  Besitz  des  auf  Kosten  der  Krone  er- 
worbenen Gutes  gesichert  ist.  Bezüglich  der  Steuern  und  Abgaben  ist 
das  Königtum  an  ihre  Zustimmung  gebunden.  Stärker  als  früher  wird 
nun  auch  die  Oberherrlichkeit  des  Papsttums  über  Dänemark  betont, 
indem  der  Papst  den  Ständen  verbot,  den  König  zu  krönen,  es  sei  denn 
mit  Zustimmung  des  Erzbischofs  von  Lund.1)  Der  König  hatte  mit 
alledem  versprochen,  was  er  weder  halten  wollte  noch  konnte.  Unter 
dem  Vorwand,  die  Schulden  seiner  Vorgänger  zu  bezahlen,  legte  er 
(1323)  eine  starke  Steuer  auf  Klerus  und  Adel  als  Besitzer  des  Kron- 
gutes. Hierüber  kam  es  zu  schweren  Kämpfen.  Der  König  und  sein 
bereits  zum  Nachfolger  gewählter  Sohn  Erich  wurden  zur  Flucht  ge- 
nötigt und  Graf  Gerhard  von  Holstein  als  Reichsverweser  eingesetzt 
(1326).  Während  Christoph  IL  mit  Hilfe  deutscher  Fürsten  sein  Reich 
wieder  zu  gewinnen  hoffte,  wählten  die  Stände  Gerhards  Neffen  und 
Mündel,  den  zwölfjährigen  Herzog  Waldemar  III.  (1326  — 1330)  zum 
König.  Indem  sich  Gerhard  den  Besitz  von  Südjütland  (Schleswig) 
auf  immerwährende  Zeiten  übertragen  liefs,  wodurch  Schleswig  und 
Holstein  vereinigt  wurden,  und  auch  andere  Grofse  durch  Übertragung 
von  Lehen  zu  gewinnen  hofften,  gewann  es  den  Anschein,  als  würde 
sich  Dänemark  in  eine  Anzahl  voneinander  unabhängiger  Fürstentümer 
auflösen.2)  Dies  und  der  Unmut  der  Dänen  über  die  Begünstigung  der 
Holstein  er  führten  Christoph  IL  (1330 — 1332)  auf  den  Thron  zurück.3) 
Doch  schon  im  folgenden  Jahre  brachen  neue  Kämpfe  aus,  und  Christoph 
mufste  seinem  Gegner  Gerhard  Fünen  und  Nordjütland  pfandweise  über- 
lassen. Des  Königs  Sohn  Erich  war  im  Kampfe  gefallen ;  der  König  selbst  starb 
im  nächsten  Jahre.  Wohl  suchte  nun  sein  Sohn  Otto  die  Krone  zu  ge- 
winnen, dem  »grofsen«  Grafen  Gerhard  war  er  aber  nicht  gewachsen; 
dieser  konnte  daran  denken,  selbst  die  Herrschaft  über  Dänemark  zu 
gewinnen.  Das  holsteinische  Regiment  war  jedoch  so  verhafst,  dafs 
sich  Schonen  lieber  an  Norwegen  anschlofs,  dessen  König  Magnus  mit 
dem  Papste  in  Verhandlung  trat,  um  ganz  Dänemark  zu  gewinnen.4) 
Dieses  Reich  bestand  jetzt  aus  vier  voneinander  unabhängigen  Ge- 
bieten: Nordjütland  mit  Fünen  und  Holstein  unter  den  holsteinischen 
Grafen  Gerhard  und  Johann,  Schleswig  unter  dem  ehemaligen  König 
Waldemar  III.  und  Schonen  unter  Magnus.  Dieses  »Zwischenreich« 
dauerte  acht  Jahre  und  fand  erst  ein  Ende,  als  Gerhard  (1340)  dem 
Hasse  der  Dänen  erlegen  war.  Unter  Kaiser  Ludwigs  Vermittlung  kam 
es  zu  einem  Vergleich  zwischen  Gerhards  Söhnen  und  Waldemar  HL, 
nach  welchem  dieser  auf  die  Krone  verzichtete  und  seine  Schwester  mit 
Waldemar  IV.,  dem  Sohne  Christophs  IL,  vermählte,  der  nun  von 
den    Grofsen    zum    König    gewählt    wurde.      Damit   fand   die   traurigste 

x)  Rayn.  ad.  a.  1320. 

2)  Dahlmann  I,  461—464. 

3)  Aus  dieser  Zeit  stammt  der  Planchis  de  statu  regni  Daniae  bei  Langebeck  VI,  551. 

4)  Dahlmann,   477. 


362  Norwegen.     Schweden  unter  den  ersten  Folkrmgern. 

Periode  der  dänischen  Geschichte  ihren  Abschlufs.  Je  trostloser  sich 
die  politischen  Zustände  Dänemarks  in  dieser  Zeit  gestaltet  hatten,  um 
so  hilfloser  stand  es  der  Hanse  gegenüber,  die  sich  unter  diesen  Ver- 
hältnissen zur  Vormacht  des  Nordens  erhob. 

2.  Auch  in  Norwegen  geriet  schon  Magnus  Lagabetters  (§  13) 
Sohn  Erich  II.  (1280 — 1299),  wegen  seines  von  den  Bauern  gegen 
Klerus  und  Adel  unterstützten  Versuches,  die  Übermacht  der  Hierarchie 
zu  brechen,  der  Priesterfeind  genannt,  in  einen  aussichtslosen  Kampf 
mit  der  Hanse,  die  eben  jetzt  den  ausschliefslichen  Handel  in  Norwegen 
erlangte.  Sein  Bruder  Hakon  VII.  (1299—1319)  stellte  die  guten  Be- 
ziehungen zur  Kirchengewalt  wieder  her.  Ein  Versuch,  seiner  Tochter 
Ingeborg  die  Nachfolge  zu  verschaffen,  mifslang,  doch  wurde  ihr  Sohn 
Magnus  (Smek),  den  sie  ihrem  Gemahl,  Erich  von  Schweden,  geboren 
hatte,  nach  Hakons  Tode  gewählt,  so  dafs,  da  Magnus  (1319 — 1363) 
auch  in  Schweden  zur  Regierung  gelangte,  beide  Reiche  durch  Personal- 
union miteinander  vereinigt  waren.  —  Wie  die  dänische  und  norwegische 
ist  auch  die  schwedische  Geschichte  dieses  Zeitraums  von  inneren 
Kämpfen  angefüllt. 

3.  Für  den  ersten  Folkunger  Walde  in  ar  I.  (1251 — 1275)  führte 
dessen  tatkräftiger  Vater  Birger  Jarl  (f  1266)  lange  Zeit  die  Regierung, 
warf  aber  durch  die  Bestimmung,  dafs  auch  seinen  jüngeren  Söhnen 
Teile  des  Reiches  zugewiesen  würden  und  die  Töchter  das  Recht  erhielten, 
halb  soviel  als  die  Söhne  zu  erben,  die  Fackel  der  Zwietracht  in  das 
eigene  Haus.  Mit  Hamburg  und  Lübeck,  sowie  mit  England  wurde  ein 
reger  Verkehr  unterhalten  und  Stockolm,  das  vielleicht  schon  länger  be- 
stand, mit  Befestigungen  versehen.  Eine  volkreiche  Stadt  wurde  es  erst 
im  14.  Jahrhundert.1)  Waldemar  verlor  unter  seinen  Liebeshändeln  das 
Reich  an  seinen  Bruder  Magnus  (1275 — 1290),  der  sich  vornehmlich  auf 
Gerhard  von  Holstein  und  dessen  deutsche  Ritterschaft  stützte.  Seiner  Sorge 
für  den  Landfrieden  und  das  Gut  der  Bauern  dankt  er  seinen  Beinamen 
Laduläs(Scheunenschlofs);  er  war  es,  der  das,  was  von  den  Bauern  bisher  will- 
kürlich erprefst  wurde,  in  eine  regelmäfsige,  demnach  weniger  drückende, 
dafür  aber  freilich  dauernde  Belastung  umwandelte.  Indem  er  allen, 
»die  zu  Rosse  dienten,  Abgabenfreiheit  gewährte«,  schuf  er  das  erste 
Privilegium  des  Adels.  Auch  die  Geistlichkeit  erhielt  zahlreiche  Ver- 
günstigungen. Für  seinen  minderjährigen  Sohn  Birger  (1290 — 1318) 
führte .  der  Marschall  Torkel  Knutson  die  Regentschaft.  Unter  ihm  wurde 
Karehen  unterworfen  und  Schwedens  Herrschaft  über  Finnland  ausge- 
dehnt; bei  dieser  Gelegenheit  erhielten  die  Hanseaten  grofse  Vorrechte. 
Unter  Torkels  w^eiser  Regentschaft  wurden  die  alten  Volksrechte  aufge- 
zeichnet, das  >:Uplandsgesetz«,  das  von  königlichen  Lagmännern  geprüft, 
von  allen  Männern  genehmigt  und  vom  König  bestätigt  wurde.2)  Nach- 
dem Torkel  dem  Hasse  der  Brüder  des  Königs,  Erichs  und  Waidemars, 
zum  Opfer  gefallen  war  (1306),  verlor  der  König  selbst  seine  Gewalt  an 


*)  Geijer,  S.  158. 
2)  S.  172. 


Dänemarks  Wiederaufrichtung  durch  Waldemar  IV.  363 

sie  und  wurde  von  ihnen  gefangen  gehalten.  Nur  Magnus,  sein  Erst- 
geborener, hatte  sich  nach  Dänemark  gerettet.  Mit  Hilfe  deutscher 
Ritterscharen,  die  der  Dänenkönig  geworben,  wurde  Birger  in  seine 
Herrschaft  wieder  eingesetzt,  doch  mufsten  seinen  Brüdern  Teile  des 
Reiches  überlassen  werden.  Sieben  Jahre  später  lockte  Birger  sie  an 
seinen  Hof,  nahm  sie  gefangen  und  liefs  sie  des  Hungertodes  sterben. 
Darüber  entstand  ein  Aufruhr.  Birgers  Sohn  Magnus  wurde  gefangen 
und  wegen  der  Verbrechen,  die  sein  Vater  befohlen,  er  selbst  aber  nicht 
gehindert  hatte,  hingerichtet.  Birger  selbst,  der  sich  aus  dem  Lande 
geflüchtet  hatte,  starb  aus  Schmerz  über  den  schmachvollen  Tod  seines 
Sohnes.  Nun  wurde  der  erst  drei  Jahre  alte  Sohn  seines  Bruders  Erich, 
Magnus  (Smek),  dem  als  Enkel  Hakons  VII.  auch  Norwegen  zu- 
fiel (1319 — 1363),  von  den  schwedischen  Ständen,  zu  denen  nun  auch 
bereits  Vertreter  der  Städte  und  Bauern  gehörten,  zum  König  gewählt. 
Seine  schwache  Regierung,  die  er  seit  1333  selbständig  führte,  stand  im 
vollen  Gegensatz  zu  dem  kraftvollen  Regiment,  das  soeben  in  Dänemark 
unter  Waldemar  IV.  grofse  Erfolge  errang. 

4.  Die  Absichten  Waidemars  IV.  Atterdag  (1340 — 1375)  gingen 
dahin,  die  alte  Macht  Dänemarks  wieder  herzustellen  und  das  drückende 
Übergewicht  der  Hanse  zu  brechen.  Ein  kluger  Politiker  wie  sein 
Zeitgenosse  Karl  IV.,  wartete  er  in  der  Politik  die  rechte  Stunde  ab, 
in  der  ihm  der  Erfolg  gesichert  war *),  und  war  selbst  zu  Zugeständnissen 
an  seine  mächtigen  Nachbarn  geneigt,  in  der  Zuversicht,  sie  bei  besserer 
Zeitlage  wieder  zurücknehmen  zu  können.  Entlegene,  schwer  zu  be- 
hauptende Besitzungen  gab  er  auf ;  so  die  jenseits  des  Oresunds  (Schonen, 
Halland  und  Bleckingen),  die  er  gegen  eine  Geldentschädigung  an  König 
Magnus  von  Schweden  überliefs.  Die  Söhne  Gerhards  von  Holstein 
liefs  er  im  Besitz  von  Fünen,  die  dänischen  Ansprüche  auf  Estland 
verkaufte  er  an  den  Deutschen  Orden  (1346);  dagegen  erwarb  er  von 
seinem  Oheim,  dem  Grafen  Johann  von  Holstein  Seeland,  das  von  da 
an  »der  Pfeiler  des  Reiches«  wurde,  und  gewann  bereits  1348  Fünen 
zurück.  Im  folgenden  Jahre  konnte  nach  langer  Zeit  wieder  ein  allge- 
meiner Reichstag  in  Roeskilde  abgehalten  werden.  Da  die  grofsen  Ver- 
luste Dänemarks  eine  Folge  der  anarchischen  Zustände  unter  den  vor- 
hergegangenen Regierungen  waren,  führte  er  ein  scharfes  Regiment  und 
hielt  es  selbst  gegen  die  bittere  Stimmung,  die  im  Adel  und  Volke 
wegen  des  Druckes  seiner  Auflagen  und  der  Verschlechterung  der  Münze 
wider  ihn  herrschte,  aufrecht.  Doch  vermied  er  es,  allgemeine  Reichs- 
versammlungen einzuberufen,  und  verhandelte  lieber  mit  den  einzelnen 
Provinzen.  Die  Schwäche  des  Königs  Magnus  bot  ihm  Gelegenheit,  sich 
in  die  Verhältnisse  Schwedens,  wo  sich  der  Prinz  Erich  gegen  seinen 
Vater  erhoben  hatte,  einzumischen.  Um  die  Dänen  hiefür  zu  gewinnen, 
machte  Waldemar  auf  dem  Reichstag  von  1360  das  Zugeständnis,  fortan 
im  Sinne  der  Landesfreiheiten  zu  regieren  und  die  gesetzlichen  Reichs- 


*)  Daher  sein  Beiname  > Atterdag «  nach  seinem  Wahlspruche :   »Morgen  ist  auch 
ein  Tag.« 


364  Eroberung  von  Wisby.     Ausgang  der  Folkunger  in  Schweden 

tage  zu  berufen.  Die  kräftige  Unterstützung  seines  Volkes  setzte  ihn 
in  den  Stand,  die  an  Schweden  verlorenen  Provinzen  zurückzugewinnen. 
Dänemark  hatte  nun  wieder  den  Umfang  wie  unter  Gorm  dem  Alten. 
Waldemar  warf  sein  Auge  nunmehr  auf  die  schwedische  Insel  Gothland, 
wo  die  Stadt  Wisby,  eines  der  mächtigsten  Mitglieder  der  Hanse,  zu 
aufserordentlicher  Blüte  gelangt  wrar,  die  von  Waldemar  mit  scheelem 
Auge  betrachtet  wurde.  Den  Anlafs  zum  Kriege  boten  ihm  seine  Be- 
ziehungen zu  Schweden  und  Norwegen,  wo  König  Magnus  angesichts 
der  in  diesen  Ländern  gegen  Dänemark  herrschenden  Stimmung  das 
Eheverlöbnis  seines  Sohnes  Hakon,  dem  er  Norwegen  überlassen  hatte, 
mit  Margareta,  der  Tochter  Waidemars  IV.,  aufgelöst  hatte.  Dieser 
segelte  mit  einer  gewaltigen  Flotte  nach  Oland,  eroberte  Borgholm  und 
landete  in  der  Nähe  von  Wisby.  Statt  sich  auf  die  Verteidigung  ihrer 
Mauern  zu  beschränken,  zog  die  Bürgerschaft  dem  dänischen  Heere 
entgegen,  erlitt  aber  am  27.  Juli  1361  eine  Niederlage.  Am  folgenden 
Tage  hielt  Waldemar  seinen  Einzug  in  Wisby,  wo  ihm  reiche  Schätze, 
meist  aus  Kirchen  und  Klöstern,  als  Siegesbeute  zufielen.  Die 
Tradition  führt  den  späteren  Verfall  der  Hansestadt  auf  diese  Niederlage 
zurück;  sie  wurde  aber  nicht  nur  nicht  zerstört,  sondern  erhielt  die 
Bestätigung  ihrer  alten  Freiheiten  und  Gleichstellung  mit  andern 
dänischen  Städten.  Indem  sie  die  schwedische  mit  der  dänischen  Herr- 
schaft vertauschte,  blieb  sie  im  Verband  der  Hanse.  Die  Ursachen  ihres 
Niederganges  liegen  vielmehr  darin,  dafs  sie  den  Wettbewerb  mit  den 
Inländischen  Städten,  die  den  Verkehr  zwischen  Rufsland  und  dem 
Westen  unmittelbar  aufnahmen,  nicht  auszuhalten  vermochte.  Der 
Überfall  durch  die  Dänen  stellte  nun  allerdings  auch  ihre  Sicherheit  als 
Stapelplatz  in  Frage.  Noch  ehe  die  Niederlage  von  Wisby  den  Hanse- 
städten bekannt  war,  verbot  ein  Hansebeschlufs  (1361,  1.  August)  den 
Verkehr  mit  Dänemark.  Die  Hanse  schlofs  einen  Bund  mit  Norwegen 
und  Schweden.  Schonen  sollte  den  Dänen  wieder  abgenommen  werden, 
und  Graf  Heinrich  von  Holstein  suchte  die  Stellung  des  »grofsen« 
Grafen  wieder  zu  gewinnen.  Der  Erfolg  des  Krieges  entsprach  diesen 
Erwartungen  nicht,  und  so  wavrde  ein  Waffenstillstand  bis  1364  abge- 
schlossen. Gothland  blieb  in  dänischem  Besitz,  und  auch  das  Bündnis 
der  Hanse  mit  den  beiden  nordischen  Staaten  wurde  gelöst. 

5.  Die  allgemeine  Mifsstimmung  gegen  die  Regierung  des  Königs 
Magnus  von  Schweden  führte  schliefslich  zu  einer  Umwälzung,  die  ihn 
des  Thrones  beraubte  und  seinen  Schwestersohn  Albrecht  von 
Mecklenburg  (1363 — 1389)  zur  Herrschaft  berief.  Magnus  fiel  in  die 
Hände  seiner  Gegner.  Mit  seiner  Thronentsetzung  endete  die  Herrschaft 
der  Folkunger  in  Schweden.  Er  erhielt  erst  1371  seine  Freiheit  wieder. 
Drei  Jahre  später  starb  er,  indem  er  in  der  Nähe  von  Bergen  im  Meere 
ertrank.  Da  Waldemar  IV.  auch  die  Hansestädte  in  ihren  Rechten  ver- 
letzt hatte,  drangen  zuerst  die  preufsischen  Städte  auf  ernste  Mafsnahmen, 
und  als  Hakon  von  Norwegen  Waidemars  Beispiele  folgte,  beschlofs  die 
Hanse  auf  einer  von  77  Städten  beschickten  Tagfahrt  zu  Köln  (1367, 
November)  den  Krieg  gegen  beide  Könige.    Schweden,  Mecklenburg,  die 


und  der  Estrithiden  in  Dänemark.  365 

Grafen  von  Holstein  und  der  Adel  von  Jütland  hielten  zur  Hanse. 
Schonen  und  Gothland  sollten  an  Schweden  zurückfallen.  Am  5.  Februar 
1368  wurde  der  Krieg  an  Dänemark  erklärt  und  einige  Wochen  später  Klage 
bei  dem  Kaiser  erhoben.1)  Waldemar  ging,  um  Bundesgenossen  zu 
finden,  nach  Deutschland,  aber  sein  Werben  war  umsonst.  Seine  Gegner 
zerstörten  Kopenhagen,  eroberten  Schonen  und  errangen  gegen  Hakon 
solche  Vorteile,  dafs  er  um  Frieden  bat.  Im  folgenden  Jahre  fiel  das 
tapfer  verteidigte  Helsingborg.  Da  Waldemar  noch  immer  im  Auslande 
weilte,  schlofs  der  dänische  Reichsrat  mit  den  Hansestädten  eine  Über- 
einkunft (1369,  30.  November),  die  ihnen  alle  früheren  Privilegien  be- 
stätigte und  zwei  Drittel  sämtlicher  Einkünfte  aus  den  Vogteien  in 
Schonen  auf  15  Jahre  zuwies.  Sollte  die  Krone  des  Reiches  auf  einen 
andern  König  übergehen,  so  sollte  das  nach  dem  Rat  der  Städte  ge- 
schehen. Das  Abkommen  wurde  am  30.  Mai  1370  in  Stralsund  bestätigt. 
Waldemar  IV.,  dessen  Hoffnung  auf  auswärtige  Hilfe  nicht  in  Erfüllung 
ging,  erteilte  ihm  am  29.  Dezember  1371  seine  Bestätigung,  Hakon  be- 
stätigte der  Hanse  vier  Jahre  später  alle  ihr  von  seinen  Vorfahren  ge- 
wahrten Freiheiten.  Das  Reichsgebiet  Dänemarks  und  Norwegens  blieb 
ungeschmälert,  da  den  Städten  weniger  an  unsicherem  Landerwerb 
als  an  geordneten  Zuständen  in  beiden  Ländern  gelegen  war,  unter 
denen  allein  ihr  Handel  gedeihen  konnte.  Es  bezeichnet  die  Macht- 
stellung der  Hanse,  dafs  Karl  IV.,  als  er  am  20.  Oktober  1375  in 
Lübeck  seinen  Einzug  hielt,  die  Bürgermeister  der  Stadt  als  Herren 
begrüfste :  Fünf  Städte,  Rom,  Venedig,  Pisa,  Florenz  und  Lübeck  seien 
es,  denen  der  Name  der  Herrschaft  gegeben  sei.  —  In  demselben  Monate 
starb  Waldemar  Atterdag.  Mit  ihm  erlosch  der  Mannsstamm  des  Ge- 
schlechtes der  Estrithiden. 

§  87.    Die  Blütezeit  des  Deutschen  Ordens  (1309—1382). 

Quellen,  s.  §  29.  Hilfsschr.  ebenda.  Dazu  Sattler,  Der  Staat  d.  D.  Ordens 
zur  Zeit  seiner  Blüte.  HZ.  XLIX.  L.  Weber,  Preufsen  vor  500  Jahren.  Danzig  1878. 
Woltmann,  Der  Hochm.  Winrich.  v.  Knieprode  u.  s.  nord.  Polit.    Diss.  1901. 

1.  Im  Jahre  1294  starb  das  pommer ellische  Fürstenhaus  mit  Herzog 
Mestwin  aus.  Pommerellen  umfafste  das  Gebiet  an  der  unteren  Weichsel 
westwärts  bis  an  die  Netze.  Auf  das  Erbe  erhoben  die  Herzoge  von  Pommern 
und  Grofspolen,  die  Markgrafen  von  Brandenburg  und  der  Fürst  von 
Rügen  Ansprüche ;  aber  auch  der  Deutsche  Orden,  dem  schon  ein  Oheim 
Mestwins  (1276)  das  Gebiet  von  Mewe  überlassen  hatte.  Polens  Kraft 
war  durch  Thronstreitigkeiten  gelähmt.  Wenzel  IL,  der  die  Oberhand 
behielt  (s.  §  45),  begünstigte  das  in  Pommerellen  begüterte  Haus  der 
Swenza;  als  König  Albrecht  mit  Wenzel  III.  Frieden  schlofs  (1305, 
5.  August),  wurde  Pommerellen  als  Entschädigung  Brandenburgs  für  die 
Preisgebung  seiner  Meifsner  Pfandschaft  in  Aussicht  genommen.  Der  Tod 
Wenzels  III.  schuf  eine  völlig  neue  Lage.  Wladislaw  Lokietek,  der  in 
ganz  Polen  Anerkennung  fand,  verweigerte  die  Herausgabe  Pommerellens, 

l)  Huber,  Regg.  R.  461. 


366       Der  deutsche  Orden.   Erwerbung  Pomnierellens.    Abschlufs  d.  Ordensstaates. 

verfolgte  die  Swenza  und  trieb  sie  zum  Anschlufs  an  Brandenburg.  Der 
deutsche  Orden  sah  mit  Besorgnis  auf  die  steigende  Macht  der  Branden- 
burger, die  sich  in  Danzig  festsetzten,  und  folgte  einem  Hilferufe  der 
daselbst  eingeschlossenen  Polen.  Kaum  hatten  die  Ordensritter  die 
ihnen  eingeräumte  Hälfte  der  Burg  besetzt,  nötigten  sie  die  Branden- 
burger zum  Abzug,  bemächtigten  sich  der  andern  Hälfte,  überfielen  die 
Stadt  und  nahmen  sie  in  Besitz.  Zu  spät  eilte  Lokietek  herbei;  er  ver- 
mochte die  von  den  Rittern  für  die  Zurückgabe  verlangte  Summe  nicht 
zu  bezahlen.  Der  Orden  besetzte  nun  auch  noch  Dirschau  und 
Seh  wetz  und  kaufte,  um  ein  Rechtstitel  auf  den  neuen  Besitz  zu 
haben,  Brandenburgs  Ansprüche.  Als  Heinrich  VII.  diesen  Vertrag  be- 
stätigte (1310,  27.  Juli),  war  der  Besitz  Pommerellens  für  Preufsen  im 
wesentlichen  gesichert;  auch  die  Proteste  des  Polenkönigs  und  des  Erz- 
bischofs von  Riga  konnten  daran  nichts  ändern.  Als  der  Orden  von 
der  Herzogin  Salome  von  Kujavien  auch  noch  das  sogenannte  Werder, 
d.  i.  das  Land  zwischen  Weichsel,  Nogat  und  Haff,  erwarb,  war  der  Orden 
Herr  der  Weichselmündung  und  Polen  vom  Meere  abgeschnitten.  Diesen 
Verlust  konnte  es  nimmer  verwinden.  Danzig,  das  hundert  Jahre  zuvor 
nur  wenige  Deutsche  beherbergte,  wuchs  nun  mächtig  empor ;  diese  letzten 
Erwerbungen  schlössen  den  Ordensstaat  äufserlich  ab. 

2.  Indem  der  Orden  seine  Kräfte  in  Preufsen  konzentrierte,  konnte 
er  seine  Aufgabe  auch  jetzt  im  Sinne  der  alten  Statuten,  aber  in  anderer 
Art  als  in  Syrien  lösen.  Hiefür  gab  sich  allerorten  lebhaftes  Interesse 
kund.  Gehörte  es  einst  zum  guten  Ton,  eine  Kreuzfahrt  nach  Jerusalem 
zu  machen,  so  strömten  nun  die  Ritterscharen  nach  Preussen,  um  an 
den  »Heidenfahrten«  nach  Litauen  teilzunehmen.  Das  ganze  14.  Jahr- 
hundert ist  mit  diesen  »Reisen«  angefüllt,  und  oft  genug  stehen  deutsche 
Fürsten  wie  König  Johann  von  Böhmen1),  sein  Sohn  Karl  (IV.),  der 
Graf  von  Holland,  u.  a.  an  ihrer  Spitze.  Des  Ordens  Ziele  sind  nicht 
mehr  wie  früher  allein  auf  die  Armen-  und  Krankenpflege,  auf  fromme 
Übungen  und  den  Kampf  gegen  die  Ungläubigen  gerichtet:  aus  einem 
einfachen  Ritterorden  wird  nun  ein  Ordensstaat  mit  einer  geordneten 
Landesverwaltung,  Rechtspflege,  Wehrverfassung  und  allen  Aufgaben, 
die  ein  Staat  zu  lösen  hat.  Wohl  sind  die  alten  Amter  geblieben,  ihre 
Bedeutung  ist  aber  eine  gröfsere,  denn  jedes  Ordensmitglied,  ob  Mönch 
oder  Ritter,  ist  je  nach  den  Umständen  Soldat,  Verwaltungsbeamter  oder 
Diplomat2),  der  Hochmeister,  vom  Kaiser  mit  Preufsen  und  dem  Kulmer- 
land  belehnt,  Fürst  des  Reiches  und  als  solcher  im  Besitz  der  Landes- 
hoheit. In  den  äufseren  Angelegenheiten  sind  ihm  die  Landesbischöfe 
von  Samland ,  Kulm ,  Ermeland  und  Pomesanien  unterworfen ,  deren 
Domkapitel  sich  aus  den  Ordenspriestern  ergänzen.  Unter  dem  Hoch- 
meister stehen  die  fünf  Gebietiger,  der  Grofskomtur,  der  die  Auf- 
sicht über  den  Ordensschatz,  die  Vorräte  und  Magazine  hat,  der  Ordens- 

*)  Eodem  anno  marchio  Moraviae  (Karl  IV.)  et  comes  Hollandiae  ac  multi  alii 
prineipes  transiverunt  Prussiam  contra  Litivanos.  Benesch  a.  a.  1343.  S.  Johanns 
Kreuzfahrten  1330,  1337,  1345. 

2)  Prutz  I,  34. 


Politik  des  Ordensstaates.     Seine  Organisation.  367 

marsch  all,  der  für  das  Kriegswesen,  der  Spittler,  der  für  die  Kranken- 
pflege, der  Trapier,  der  für  das  Bekleidungs-  und  der  Trefsler,  der 
für  das  Finanzwesen  zu  sorgen  hat.  Umfangreicher  Besitz  wird  von 
einem  Landmeister  verwaltet.  Nur  bezüglich  der  Besetzung  der  fünf 
obersten  Stellen  ist  der  Hochmeister  an  die  Zustimmung  des  Konvents 
der  Hauptburg  gebunden:  zu  den  Beratungen  über  Verträge,  Ordens- 
gesetze und  Statuten  wird  das  aus  den  Landmeistern  und  obersten  Ge- 
bietigern  bestehende  Generalkapitel  berufen.  Hier  wird  die  Wahl, 
nach  Umständen  freilich  auch  die  Absetzung,  des  Hochmeisters  voll- 
zogen. Über  jeden  der  zwanzig  Bezirke  des  Ordenslandes  steht  ein 
Komtur  und  ihm  zur  Seite  die  Brüder  des  Konvents  als  Räte,  Ver- 
waltungsbeamte oder  Offiziere.  Entferntere  oder  kleinere  Bezirke  leitet 
ein  Komtur  ohne  Konvent.  Dem  Orden  steht  somit  nicht  nur  ein 
stehendes  Heer,  sondern  auch  ein  tüchtiges  Beamtentum  zur  Verfügung : 
Einrichtungen,  die  den  meisten  Staaten  dieses  Zeitraumes  noch  fehlen.1) 
Dieses  Staatswesen  ergänzt  seinen  Bedarf  an  Beamten  und  Offizieren  aus 
dem  Überschufs  der  ritterrnäfsigen  Klassen  des  deutschen  Volkes,  demnach 
aus  jenen  Bestandteilen  des  Laientums,  das  die  höchste  Bildung,  gröfste 
Tatenlust  und  kriegerische  Kraft  besafs.  Als  geistlicher  Orden  verfügte 
es  über  geeignete ,  diplomatisch ,  wirtschaftlich  und  politisch  geschulte 
Kräfte.  Allerdings  hätte  der  Orden  sich  gegen  eine  unbotmäfsige  Be- 
völkerung und  die  Feindschaft  der  Litauer  und  Polen  nicht  zu  behaupten 
vermocht,  hätte  nicht  das  Zuströmen  deutscher  Bürger  und  Bauern  un- 
gehemmt bis  in  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  fortgedauert.  Von  den 
Städten,  die  —  es  sind  gegen  60  —  in  den  Jahren  1233 — 1416  in  Preufsen 
entstanden  sind,  waren  nur  20  älteren  Ursprungs,  solche,  denen  der 
Orden  Stadtrechte  verlieh ;  die  übrigen  sind  auf  das  ihnen  im  vorhinein 
verliehene  Stadtrecht  hin  von  Unternehmern  begründet  worden.  Was 
das  Bürgertum  im  Mutterlande  bisher  für  die  wirtschaftliche  und  geistige 
Kultur  geleistet,  wurde  sonach  mit  einemmal  in  das  bisher  städtelose 
Preussen  übertragen.2)  Die  Städte  haben  entweder  Lübecker  oder  Magde- 
burger Recht  und  geniefsen  eine  ausgedehnte  Autonomie.  Die  Gerichts- 
barkeit über  die  Preufsen  auf  dem  Lande  übt  der  Landesherr,  über  die 
deutschen  Hintersassen  der  Grundherr.  Für  die  deutschen  Freien  auf 
dem  Lande  sind  Schöffengerichte  bestimmt.  Wie  in  den  Städten  die 
Bürger,  wurde  auf  dem  Lande  eine  zahlreiche  deutsche  Bauernschaft 
angesiedelt.  Die  grofse  Masse  der  eingeborenen  Bevölkerung  war  seit 
dem  letzten  grofsen  Aufstand  in  die  Stellung  von  hörigen  Bauern  herab- 
gedrückt worden,  dagegen  erhielten  die  Treugebliebenen  mannigfache 
Vergünstigungen  und  schlössen  sich  allmählich  an  die  Deutschen 
an.  In  den  Städten  gelangten  Gewerbe  und  Handel  unter  starker  Be- 
einflussung durch  die  Hanse  zur  Blüte,  wenn  auch  die  endlosen  Kämpfe 
gegen  Litauer  und  Polen  ihre  volle  Entwicklung  hinderten. 

3.    Diese  Kämpfe   nahmen   einen   gefährlicheren  Charakter  an,  seit 
Polen   sich  mit  Litauen  verbündete,    dessen  Herrscher  Gedimin  seine 

x)  Sattler,  S.  233. 

2)  Prutz,  66.  Über  d.  Beding.,  unter  denen  sich  d.  Kolonisation  vollzog,  s.  Sattler,  239  ff. 


368  Blütezeit  des  Deutschen  Ordens  unter  Winrich  von  Knieprode. 

Tochter  Anna  mit  Lokieteks  Sohn  Kasimir  vermählte.  Dazu  kam  noch, 
dafs  der  Orden  in  den  kirchenpolitischen  Kämpfen  Ludwigs  des  Bayers 
zum  Kaiser  hielt  und  zeitweise  die  Gunst  der  Kurie  einbüfste.  Der  seit 
1327  gegen  Polen  geführte  Krieg  wurde  1343  durch  den  Frieden  von 
Kaiisch  beendet;  jetzt  erst  entsagte  Polen  dem  schmerzlich  vermifsten 
Pommerellen  und  dem  Kulmerland,  wogegen  es  allerdings  die  Gebiete 
von  Kujavien  und  das  Dobrinerland  zurückerhielt.  Dem  Dänenkönig 
Waldemar  Atterdag  kaufte  der  Orden  seine  Ansprüche  auf  Estland  ab 
(1346).  Die  kräftige  Entwicklung  des  Ordensstaates  war  neben  der 
stetigen  Unterstützung  der  abendländischen  Ritterschaft  der  Tüchtigkeit 
der  Hochmeister  zu  danken,  unter  deren  Leitung  nicht  blofs  die  wirt- 
schaftlichen und  militärischen ,  sondern  auch  die  geistigen  Interessen 
ihre  Pflege  fanden ,  wie  beispielshalber  unter  dem  Hochmeister  Luther 
von  Brnunschweig1),  den  schon  seine  nahen  Beziehungen  zu  Thüringen 
auf  die  Pflege  der  Dichtkunst  hinwiesen,  die  Marienburg  zeitweise  das 
wurde,  was  früher  die  Wartburg  gewesen.  Die  gröfste  Blütezeit  ist 
die  Winrichs  von  Knieprode  (1351 — 1382),  dessen  unleugbaren 
Verdienste  die  folgende  Zeit  im  Hinblick  auf  ihre  spätere  schlimme  Lage 
zu  hoch  eingeschätzt  hat.  Aber  wenn  man  auch  davon  absieht,  was 
Dichtung  und  Sage  von  ihm  melden ,  bleibt  noch  genug  übrig,  um  in 
ihm  einen  Staatsmann  ersten  Ranges  zu  erblicken.  Heftiger  als  unter 
seinem  Vorgänger  entbrannte  der  Kampf  gegen  die  Litauer,  doch 
führte  er  ihn  nur,  wenn  er  nicht  zu  vermeiden  war.  Fast  Jahr  für  Jahr 
wurden  gröfsere  und  kleinere  Heerfahrten  unternommen.  Den  gröfsten 
Sieg  gewann  Winrich  am  17.  Februar  1370  bei  Rudau  an  Samlands 
Nordküste;  doch  brachte  der  Tag  keine  Entscheidung.  Wie  die  Ritter 
wurden  auch  die  Bürger  zum  Kriegsdienst  herangezogen.  Damit  jene 
auch  für  den  Verwaltungsdienst  befähigt  seien ,  wurden  sie  in  ent- 
sprechender Weise  herangebildet.  Fortan  mufste  ein  jedes  Ordenshaus 
zwei  gelehrte  Brüder  besitzen,  einen,  der  in  der  Theologie  und  den  andern, 
der  im  Rechte  bewandert  war.  Die  Rechte  wurden  in  Kulm  gelehrt. 
Daneben  gab  es  im  Lande  elementare  Schulen,  Pfarrschulen  und  städtische 
Anstalten,  in  denen  Latein  gelehrt  wurde.  In  Wormditt  hatte  der  Bischof 
von  Ermeland  eine  Anstalt  zur  Ausbildung  der  Junker,  in  Hiltberg  ein 
Seminar  für  junge  Geistliche.  Trotz  der  unaufhörlichen  Kämpfe  war 
die  Verwaltung  des  Landes  eine  vorzügliche.  Es  war  die  Zeit ,  wo 
Elbing  und  Thorn,  Kulm,  Danzig  und  Königsberg  mächtig  emporblühten, 
und  der  Handel  schwungvoll  und  gewinnreich  nach  den  Niederlanden 
einer-,  nach  Polen,  Ungarn  und  Rufsland  anderseits  betrieben  wurde. 
Von  Winrichs  drei  nächsten  Nachfolgern  wirkten  der  erste,  Konrad 
Zöllner  von  Rothenstein  (1282 — 1290),  und  der  letzte,  Konrad 
von  Iungingen  (1393 — 1407)  nach  seinem  Vorbilde.  Dagegen  traten 
unter  der  dazwischen  liegenden  Verwaltung  Konrads  vonWallenrod 
(1391 — 1393)  schon  die  tiefen  Gegensätze  zwischen  den  Regierenden  und 
Regierten  hervor. 

x)   Eine    ins    einzelne    eingehende    Ordensgeschichte    kann    hier    nicht    gegeben 
werden.     Es  mufs  genügen,  die  allgemeinen  Momente  herauszuheben. 


Polen  und  Ungarn  im  XIV.  Jahrhundert.  369 

§  88.    Polen  und  Ungarn  im  Zeitalter  Karls  IV. 

Über  die  Quellen  zur  poln.  Gesch.  (vgl.  §  45)  s.  Zeifsberg,  Die  poln. 
Historiographie  im  MA.  Leipz.  1873.  Wojciechowski,  0  rocznikach  polskiech  X — XV. 
(Über  poln.  Jahrbücher.)  Krakau  1880.  Ketrzynski,  0  roczn.  polsk.  ib.  1896.  Über  die 
Bearb.  polnischer  Gesch.  u.  deren  Quellen  s.  Finkel,  Bibliogr.  hist.  polsk.  I,  II. 
Lemb.  1891 — 1900.  Dazu  die  entsprechenden  Jahrg.  d.  JBG.  bes.  1887.  Das  urk.  Mat. 
in  den  zahlr.  Urkk.-Büchern  u.  Monum.  medii  aevi  hist.  res  gest.  Poloniae  illustrantia 
(s.  hierüber  JBG.  X,  211).  tom  1,  8.  Cod.  dipl.  eccl.  cathedr.  Cracov.  2.  Cod.  ep. 
saec.  XV  (1384—1462).  4—7.  Libr.  antiquissimi  civ.  Cracov.  (1360-1506)  3,  9,  10.  Cod. 
dipl.  Pol.  Minor,  bis  1386.  Für  die  ausw.  Beziehungen  vor  allem  Theiner,  Vetera  Mon. 
Pol.  I.  Die  Geschichtschreiber  in  MM.  hist.  Polonica  II— VI.  Bd.  II,  ed.  Bie- 
lowski,  die  ff.  die  Krak.  Akademie.  Nicht  auf  alle  Quellen  kann  hier  Rücksicht 
genommen  werden.  Auch  werden  der  Bequemlichkeit  wegen  die  in  den  MM.  Germ.  hist. 
verzeichneten  zitiert.  Die  Annales  Sandivogii  bis  1360.  MMG.  hist.  XXIX,  425.  Ephe- 
merides Wladislavenses  bis  1366,  ebenda  687  ff.  Annales  Cuiaviae.  MM.  Pol.  hist.  III,  206. 
Chronica  Cracoviae  seu  Polonorum  anonymi  archidiaconi  Gnesnensis  brevior  bis  1395 
(v.  1370-1384  von  Joh.  v.  Czarnkow),  ib.  II,  619  ff.  Annales  Polonici  bis  1378/ed.  in 
Historiarum  Pol.  et  Lithuan.  Script,  collectio  v.  Mitzier  de  Kolof  III,  26.  Annales  Polo- 
norum vornehml.  IV.  in  MM.  G.  SS.  XIX.  Ann.  Poloniae  Cont.  13  u.  14,  ib.  Chron. 
princ.  Pol.  bis  1382.  SS.  rer.  Sil.  v.  Stenzel  I,  38.  S.  auch  Grünhagen,  Wegweiser,  wie 
oben.  Hilfsschriften:  Roepell-Caro  wie  oben.  Szujski,  Dzieje  Polskie  1 — 4. 
Lemb.  1862/63.  Bobrzynski,  Dz.  P.  Warschau  1887.  Balzer,  Die  polnische  Thron- 
folge I.  Nach  dem  Tode  Kasimirs  d.  G.  Mon.  Anz.  Krak.  Ak.  1897.  Zur  ung.  Ge- 
schichte s.  Marczali,  Ungarns  Geschichtsquellen  Berl.  1882.  Kaindl,  Stud.  z.  d. 
ung.  Geschichtsq.  1—16.  Wien  1894—1902.  Akten  bei  Fejer,  tom.  VIII,  IX.  Cod. 
dipl.  Andegav.  I— VI  (1301—1357).  Theiner,  MM.  Hung.  I  u.  H  (1352—1526).  MM. 
Slav.  meridion.  II,  III.  Chron.  Monacence  bis  1329.  Florianus,  Hist.  Hung.  FF. 
dorn.  HI,  214—249.  Chronicon  pictum  Vindobonense  bis  1330,  ib.  II,  100—245.  Chron. 
Posoniense  bis  1330,  ib.  IV,  1 — 44.  Heinr.  v.  Muglen,  Ung.  Reiinchron.  bis  1332 
ed.  Kovachich.  Ofen  1805.  Historia  Jadrensis  obsidionis,  Schwandtner  HI,  665  ff.  Madius, 
Hist.  de  gestis  Rom.  imp.  et  summ,  pontificum,  ed.  Brunelli  Progr.  Zara  1878.  Chron. 
Zagrabiense  et  Varadinense,  Florianus  III,  250 — 261.  Chron.  Dubnicense  bis  1355  u.  1479, 
ib.  III,  1 — 204.  Summa  hist.  tabula  a  Cutheis  de  gestis  civium  Spalat.,  ed.  Schwandtner. 
SS.  rer.  Hung.  III,  654 — 661.  Johannes  archid.  de  Kikullew,  Historia  Ludovici  reg. 
Hungariae  1342—1382.  Schwandtner  1.  c.  I,  171—199.  Hilf  Schriften :  Die  allg. 
Werke  zur  österr.  Gesch.,  vornehmlich  v.  Krones  u.  Huber.  Unkritisch  ist  Fefslers 
Gesch.  Ung.  auch  in  der  neuen  Aufl.  v.  Klein.  Fast  noch  unkritischer  das  Werk  von 
Csuday,  Gesch.  d.  Magyaren.  Deutsch  v.  Darvay.  Berl.  1899.  In  vieler  Beziehung 
ist  noch  die  ältere  Darstellung  von  Engel  vorzuziehen.  Für  einzelnes  v.  Krones, 
Der  Thronkampf  der  Prernysl.  u.  Anjous  in  Ungarn,  ZÖst.  Gym.  1863 — 1865.  Hub  er, 
Ludwig  I.  und  die  ungar.  Vasallenländer.  AÖG.  LXVI.  Jirecek,  Gesch.  der  Bulg. 
Prag  1876.  Klaic-Bojnicic,  Gesch.  Bosniens.  Leipz.  1885.  Ruvarac,  Die  Regierung 
des  Banus  Turko  (1353—1377).  Wien  1896.  Kallay,  Gesch.  der  Serben,  deutsch  von 
Seh  wicker.  Xenopol,  Histoire  des  Roumains  I.  Paris  1896.  R  Osler,  Rom.  Studien. 
Leipz.  1871.  Picot  etBengesco,  Alexandre  le  Bon,  prince  de  Moldavie.  Vienne  1889. 
Onciul,  Zur  Gesch.  d.  Bukowina.  Czernowitz  1885.  Über  die  Famil.  Gara  s.  Wertner, 
Szaz.  XXXI.    Zur  Lit.  für  die  Zeiten  Ludwigs  d.  G.  s.  auch  JBG.  1900,  HI,  240. 

1.  Zu  Beginn  und  zu  Ende  dieser  Periode  stehen  Polen  und  Ungarn 
in  engster  Verbindung  miteinander..  Das  Band,  welches  das  Herrscher- 
haus der  Pfemysliden  um  sie  geschlungen,  wurde  früh  gelöst.  In  Polen 
behauptete  sich  Wladislaw  Lokietek  (1306 — 1333),  der  alte  Gegner 
der  böhmischen  Herrschaft.  Sein  Königtum  wurde  von  dem  Luxem- 
burger Johann,  der  sich  als  Rechtsnachfolger  der  alten  böhmischen 
Dynastie  auch  in  Polen  betrachtete  und  den  polnischen  Königstitel  annahm, 

Loserth,  Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  ^4 


370  Wladislaw  Lokietek,  König  von  Polen.     Anschlufs  von  Litauen. 

lange  bestritten.  Um  das  während  des  Thronstreites  verlorene 
Pommerellen  zurückzugewinnen,  verband  sich  Lokietek  mit  dem  über  das 
Vorgehen  des  Deutschen  Ordens  in  Livland  erbitterten  Erzbischof  von 
Riga  und  brachte  wie  dieser  seinen  Streit  zur  Entscheidung  an  die 
Kurie.  Die  Aufrichtung  einer  starken  einheitlichen  Königsgewalt  in 
Polen  bot  grofse  Schwierigkeiten.  In  Krakau,  wo  die  deutsche  Bürger- 
schaft und  der  Bischof  dem  Königtum  Wladislaws  widerstrebten,  inufste 
noch  111  ein  von  den  schlesischen  Piasten  unterstützter  Aufstand  nieder- 
geworfen werden.  Je  mehr  sich  aber  die  Piasten  Schlesiens  an  deutsches 
Wesen  anschlössen,  um  so  eifriger  trat  die  nationale  Partei  für  Wladislaw 
ein,  und  der  Gedanke  wurde  laut,  dafs  Polen  einer  einheitlichen  Spitze 
bedürfe  und  diese  mit  dem  Nimbus  und  der  Weihe  einer  vom  Papst 
legitimierten  Krone  geschmückt  sein  müsse.1)  Geistlichkeit,  Adel,  Bürger 
und  Burginsassen  baten  (1317)  den  Papst,  dem  Herzoge  Wladislav  die 
seit  den  Tagen  Pfemyslaws  (s.  oben)  verwaiste  Krone  zu  verleihen.2) 
Trotz  Böhmens  Einsprache  willfahrte  der  Papst  (1319)  der  Bitte,  und 
trotz  des  Widerspruchs  der  Piasten  von  Masovien  und  Kujavien,  die  nicht 
geneigt  waren,  der  Einigung  Polens  Opfer  zu  bringen,  liefs  sich  Wladislaw 
samt  seiner  Gemahlin  durch  den  Erzbischof  von  Gnesen  krönen  (1320, 
21.  Januar).  Zugunsten  Polens  entschied  der  Papst  auch  den  Streit 
über  Pommerellen,  ohne  freilich  auf  der  Durchführung  seiner  Ent- 
scheidung zu  bestehen,  vielmehr  wurde  sie  auf  den  Einspruch  des  Ordens 
hin  wieder  aufgehoben.  Um  die  Grofsen,  Geistliche  und  Laien,  an  sich 
zu  fesseln,  wurde  ihnen  bei  allen  wichtigen  Reichsangelegenheiten  eine 
beratende  Stimme  eingeräumt,  und  um  in  der  äufseren  Politik  erfolg- 
reicher auftreten  zu  können,  ein  Bündnis  mit  dem  ungarischen  König 
Karl  Robert  geschlossen,  dem  Wladislaw  (1320)  seine  Tochter  Elisabeth  zur 
Ehe  gab.  Von  gröfster  Bedeutung  wurde  sein  Anschlufs  an  Litauen,  mit 
dessen  Unterstützung  er  die  an  den  Deutschen  Orden  verlorenen  Gebiete 
zurückzugewinnen  hoffte.  Er  vermählte  seinen  Sohn  und  Erben  mit 
Aldona  (Anna),  der  Tochter  Gedimins  und  tat  so  einen  Schritt,  wie  ein 
ähnlicher  später  (1386)  zur  Union  beider  Länder  geführt  hat.  Für  den 
Augenblick  hatte  der  Bund  freilich  nicht  das  gewünschte  Ergebnis,  denn 
Pommerellen  blieb  dem  Orden,  und  Schlesien  schlofs  sich  (1327)  für 
immer  dem  luxemburgischen  Machtbereich  an.  Wladislaws  Sohn  Kasimir 
(1333 — 1370),  der,  ohne  ein  Kriegsmann  zu  sein,  sich  den  Beinamen 
des  Grofsen  verdiente,  suchte  das  Band  der  Einheit  um  die  polnischen 
Länder  straffer  zu  ziehen  und  durch  seine  Politik  des  Friedens  den 
Wohlstand  des  während  der  Kriege  seines  Vaters  arg  zerrütteten  König- 
reiches zu  hebeD.  In  diesem  Sinne  schlofs  er  (1343)  den  Frieden  von 
Kaiisch  (s.  oben).  Die  Streitigkeiten  mit  Böhmen  wurden  dahin  aus- 
geglichen, dafs  Johann  auf  den  polnischen  Königstitel,  Kasimir  auf  die 
Oberherrschaft  über  Schlesien  verzichtete.  Während  Polens  Macht  im 
Westen  zurückgedrängt  wurde,    gelang  es  Kasimir,  Wolhynien  und   den 


*)  Caro  H,  71. 

2)  Die  böhm.  Herrschaft  in  Polen  galt  sonach  als  Usurpation. 


Kasimir  der  Grofse,  der  Bauernkönig.     Karl  Robert  von  Ungarn.  371 

gröfsten  Teil  des  Halitscher  Landes  an  sich  zu  bringen.  Grofs  waren 
seine  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Verwaltung  und  Rechtspflege,  bei 
denen  er  sich  jene  Einrichtungen  nicht  entgehen  liefs,  die  sich  in 
Deutschland  erprobt  hatten.  Um  den  Übelständen  abzuhelfen,  die  durch 
die  Teilungen  des  polnischen  Reiches  bisher  hervorgerufen  worden 
waren,  wurde  (1347)  den  Ständen  Grofspolens  zu  Petrokow,  denen  von 
Kleinpolen  zu  Wislitza  ein  Gesetzentwurf  vorgelegt,  der  die  alten  Rechts- 
gewohnheiten des  Volkes  und  die  Verordnungen  früherer  Fürsten 
zusammenstellte  und  1368  von  einer  gemeinsamen  Versammlung  geist- 
licher und  weltlicher  Würdenträger  zu  Wislitza  als  allgemeines  Gesetzbuch 
angenommen  wurde. *)  Wegen  der  Sorge  Kasimirs  für  den  Bürger-  und 
Bauernstand  pflegt  man  diesen  König  wohl  auch  den  Begründer  des 
polnischen  Bürgerstandes  und  den  Bauernkönig  zu  nennen.  Beides  mit 
Recht;  wie  er  die  Bauern  gegen  den  Druck  des  Adels  in  Schutz  nahm, 
so  hat  er  zahlreiche  offene  Städte  mit  festen  Mauern  umgeben  und 
deutsche  Bürger  ins  Land  gezogen.  Für  die  geistige  Bildung  des  Volkes 
sorgte  er,  indem  er  (1364)  den  Grund  zu  der  Universität  in  Krakau 
legte,  die  allerdings  erst  1400  ihre  feste  Begründung  erhielt.  Kasimir 
hatte  keine  männlichen  Leibeserben.  Trotzdem  die  kujavische  Linie 
zweifellos  ein  näheres  Recht  auf  die  Krone  hatte,  bestimmte  er  doch 
seinen  Neffen,  König  Ludwig  von  Ungarn,  zu  seinem  Nachfolger. 

2.  Im  Kampfe  gegen  die  Pf emysliden  und  vom  Papsttum  unterstützt, 
war  in  Ungarn  das  Haus  Anjou- Neapel  mit  Karl  Robert  (1307 — 1342) 
zur  Regierung  gekommen.    Eine  am  Rakosfelde  bei  Pest  tagende  Reichs- 
versammlung erklärte  (1307,  10.  Oktober),  »ihn  mit  seiner  Nachkommen- 
schaft, wie  es  die  königliche  Erbfolge   mit  sich  bringt,  zum  König  und 
natürlichen  Herrn  anzunehmen«.2)    Aber  der  Versuch  der  Kurie,  Ungarn 
in  dieselbe  Abhängigkeit  wie  Neapel  zu  bringen,  wurde  abgewiesen  und 
ihr  nur  das  Recht  zugestanden,  jenen  als  König  zu  bestätigen,    den  die 
Stände   frei   gewählt  hätten.     Es   dauerte   allerdings   fast   ein   Jahrzehnt, 
ehe  Karl  Robert  —  trotzdem  er  zweimal  gekrönt  wurde  —  die  allgemeine 
Anerkennung    fand.      Die    Wirren    der    letzten    Jahrzehnte    hatten    die 
ungarische  Königsmacht   in   ihren  Grundfesten   erschüttert,    Besitzungen 
und  Rechte  der  Krone  waren  an   die  Magnaten  gekommen,  von   denen 
einige,  wie  die  Schubitsch  in  Dalmatien,  Kroatien  und  Bosnien  oder 
die  Czaky  im  nordwestlichen  Ungarn,  eine  fast  königliche  Macht  besafsen. 
Gegen  einzelne  mufste   ein   jahrelanger  Kampf  geführt  werden,    andere 
wurden    durch    Gnadenbezeigungen   und    materielle  Vorteile    gewonnen. 
Karl  Robert  wandte   frühzeitig   seine  Aufmerksamkeit  dem   ungarischen 
Städtewesen  zu.     Städte  wie  Gran,    Stuhlweifsenburg,   vornehmlich   aber 
Bartfeld  und  Kaschau  erfuhren    seine  Gnade,   und  die  deutsche  Koloni- 
sation machte  bedeutende  Fortschritte.    Grofs  sind  die  Leistungen  dieses 
Königs   für   die   Hebung  der  Wehrkraft,    die  Verbesserung   des   Finanz- 
wesens und  der  Rechtspflege.    Seit  den  zwanziger  Jahren  befestigte  sich 


x)  Das  Statut  von  Wislitza,  Caro,  Gesch.  Polens,  589. 
3)  Fejer  VIII,  1,  221. 

24 


372       Serbien  unter  Stephan  Duschan.    Die  Walachei.    Ludwig  d.  G.  v.  Ungarn. 

seine  Macht  so  bedeutend,  dafs  er  den  Reichstag  zur  Seite  schieben 
konnte  und  durch  einen  Rat  von  Prälaten  und  hohen  Beamten  ersetzte. 
Nun  trat  er  auch  nach  aufsen  hin  kraftvoller  auf,  ohne  freilich  immer 
die  gewünschten  Erfolge  zu  erzielen.  So  liefs  sich  Zara,  das  sich  gegen 
Venedig  empört  und  Ungarns  Herrschaft  angenommen  hatte,  nicht  nur 
nicht  behaupten,  es  gelang  den  Venezianern  noch,  Trau,  Sebenico  und 
Spalato  zu  gewinnen.  Der  Ban  von  Bosnien  war  tatsächlich  von  Ungarn 
unabhängig,  und  Serbiens  Angriffe  auf  Südungarn  mufsten  mit  Waffen- 
gewalt zurückgewiesen  werden.  Dabei  wurde  Serbien  so  wenig  geschwächt, 
dafs  es  sich  unter  Stephan  Urosch  III.  und  Stephan  Duschan 
(1331 — 1355)  zur  ersten  Macht  auf  der  Balkanhalbinsel  erhob.  Vergeblich 
war  auch  Karl  Roberts  Versuch  (1330),  die  Walachei  zu  erobern.  Dort 
hatte  um  1290  Radu  Negru  (Rudolf  der  Schwarze)  mit  rumänischen, 
ihres  schismatischen  Glaubens  wegen  in  Siebenbürgen  bedrängten  Volks- 
genossen das  walachische  Fürstentum  begründet;  sein  zweiter  Nach- 
folger Alexander  (Bassarabe  1325 — 1365)  konnte  Karl  Roberts  Angriffe 
um  so  erfolgreicher  abweisen,  als  dieser  sein  Augenmerk  mehr  den  Ver- 
hältnissen des  Abendlandes,  vornehmlich  denen  Neapels,  zuwandte  (s.  oben), 
in  den  Kämpfen  im  deutschen  Reiche  als  Vermittler  auftrat  und  in  die 
Streitigkeiten  Böhmens,  Polens  und  des  Deutschen  Ordens  kräftig  eingriff. 
Wie  zu  Wladislaw  Lokietek,  stand  Karl  Robert  auch  zu  dessen  Sohn  Kasimir 
in  freundschaftlichen  Beziehungen.  Da  dieser  von  seiner  Gemahlin  Anna 
von  Litauen  keine  Kinder  hatte,  fafste  Karl  Robert  die  Erwerbung 
Polens  ins  Auge  und  setzte  es  bei  der  Freundschaft,  die  ihn  mit  dem 
verwandten  polnischen  Königshause  verband,  auch  durch,  dafs  sein  älterer 
Sohn  als  Thronerbe  in  Polen  angenommen  wurde  (1339).  Ludwig 
(1342 — 1382)  führte  die  Regierung  im  Geiste  seines  Vaters,  doch  viel 
tatkräftiger  und  erfolgreicher  weiter.  Sein  Ziel  ging  nicht  blofs  dahin, 
die  dem  Reiche  verloren  gegangenen  Besitzungen  wieder  zu  gewinnen, 
sondern  auch  Ungarns  Ansprüche  auf  einzelne  Nachbarländer  zur  Geltung 
zu  bringen;  er  wurde  hierin  derart  vom  Glück  begünstigt,  dafs  Ungarn 
unter  ihm  eine  Ausdehnung  erreichte,  die  es  weder  vor  noch  nach  ihm 
jemals  besessen  hat.  Als  er  die  wegen  der  Steuergesetze  seines  Vor- 
gängers erregte  Stimmung  unter  den  Sachsen  Siebenbürgens  beschwichtigte, 
fand  sich  der  Woiwode  Alexander  freiwillig  bei  ihm  ein  und  erkannte 
Ungarns  Oberhoheit  über  die  Walachei  an  (1343).  In  den  nächsten 
Jahren  wandte  er  sein  Augenmerk  teils  den  Verhältnissen  Kroatiens  und 
Dalmatiens  zu,  wo  er  die  Grofsen  und  die  der  Schutzherrschaft  Venedigs 
unterworfenen  Küstenstädte  wieder  zu  unterwerfen  bemüht  war,  teils  dem 
Königreiche  Neapel,  wo  er  die  Ermordung  seines  Bruders  Andreas  rächte 
(s.  oben).  Ludwigs  Oheim,  König  Kasimir  von  Polen,  hatte  im  Kampfe 
gegen  die  Litauer  (1349)  zwar  den  gröfsten  Teil  der  ehemaligen  Fürsten- 
tümer Halitsch  und  Wladimir  erobert,  aber  nicht  behaupten  können. 
Ludwig  zog  seinem  Oheim  zu  Hilfe  (1351)  und  bewog  die  Litauer- 
fürsten Kieystut  und  Olgierd  nicht  blofs  zum  Frieden,  sondern  auch 
zur  Annahme  des  Christentums,  falls  Kieystut  vom  Papste  die  Königs- 
krone erhalte.     Die  Fürsten    hielten    sich   aber  wenig  an  ihre  Zusagen; 


Gröfste  Ausdehnung  Ungarns  im  Mittelalter.  373 

schon  im  folgenden  Jahre  zog  Ludwig  im  Bunde  mit  Kasimir  gegen  sie 
zu  Felde  und  trat  diesem  seine  Ansprüche  auf  Rotrufsland  ab,  doch 
unter  der  Bedingung,  dafs  dieses  Land  zugleich  mit  Polen  beim  kinder- 
losen Abgang  Kasimirs  an  Ungarn  fallen  solle. 

3.  In  den  vierziger  Jahren  hatten  Rumänen  aus  der  Marmarosch, 
die  unter  den  ungarischen  Königen  von  alters  her  eine  nationale  Auto- 
nomie unter  eigenen  Woiwoden  genossen1),  während  eines  Kriegszuges 
Ludwigs  gegen  die  Tataren,  unter  ihrem  Führer  Dragosch,  die  nach 
dem  Flusse  Moldova  benannte  Moldau  besetzt  und  die  Grundlagen  zu 
dem  späteren  Fürstentum  Moldau  gelegt.2)  Ludwig  betrachtete  es 
als  Gebiet  der  ungarischen  Krone.  Der  Woiwode  Bogdan3),  der  gleichfalls 
aus  der  Marmarosch  dahin  gezogen  war,  richtete  das  Land  als  selbst- 
ständiges Staatswesen  ein  und  behauptete  sich  gegen  die  Nachkommen 
des  Dragosch  ebenso  wie  gegen  Ludwig.  Er  ist  sonach  der  wahre 
Begründer  des  moldauischen  Fürstentums  (1348).  König  Ludwig  mufste 
sich  mit  der  Anerkennung  seiner  Oberhoheit  und  Zahlung  eines  Tributes 
begnügen.  —  Auch  der  Ban  von  Bosnien  erkannte  (1356)  Ungarns 
Oberhoheit  an;  weniger  richtete  Ludwig  gegen  Stephan  Duschan  von 
Serbien  aus,  der  sich  1346  zum  Zaren  der  Serben  hatte  krönen  lassen 
und  dessen  Macht  von  der  Donau  bis  an  die  Meerbusen  von  Patras  und 
Volo  und  von  Timok  bis  ans  Adriatische  und  Jonische  Meer  reichte. 
Als  nach  seinem  Tode  (1355)  seine  Söhne  Urosch  und  Simeon  mit- 
einander in  Streit  gerieten,  sammelte  Ludwig  ein  Kreuzheer  gegen  die 
»ketzerischen«  Serben,  wandte  sich  aber  gegen  die  Venezianer,  welche 
die  Herausgabe  der  dalmatinischen  Städte  verweigerten,  und  gewann  im 
folgenden  Jahre  Spalato  und  Trau,  dessen  Einwohner,  der  venezianischen 
Herrschaft  müde,  sich  an  ihn  anschlössen.  Nach  hartem  Kampfe  wurde 
auch  Zara  erobert,  und  da  die  ungarischen  Truppen  auch  in  der  Terra 
firma  Vorteile  errangen,  schlofs  Venedig  (1358)  einen  Frieden,  in  welchem 
es  alle  Inseln  und  Küstenplätze  zwischen  dem  Quarnero  und  Durazzo 
abtrat.  Zugleich  verzichtete  der  Doge  auf  den  Titel  eines  Herzogs  von 
Kroatien  und  Dalmatien.  Ungarn  besafs  nun  den  lang  ersehnten  Zutritt 
zum  Meere.  Erst  jetzt  wurde  der  Kampf  gegen  Serbien  erfolgreich  auf- 
genommen ;  die  Grofsmachtstellung  dieses  Staates  brach  schon  wenige 
Jahre  nach  dem  Tode  ihres  Begründers  zusammen  —  freilich  nicht  unter 
den  Schlägen  der  Ungarn,  sondern  der  Osmanen  (s.  unten).  Auch  König 
Twartko  von  Bosnien,  der  von  seinem  Bruder  und  den  Grofsen  vertrieben, 
in  Ungarn  Hilfe  suchte,  erkannte  dessen  Oberherrschaft  an.  Endlich 
setzte  sich  Ludwig  auch  in  den  Besitz  des  zu  Bulgarien  gehörigen 
Gebietes  von  Widdin  und  bildete  aus  den  gewonnenen  Landschaften  und 
einigen  altungarischen  Bezirken  ein  eigenes  Banat.  Seine  Macht  im 
Süden  hatte  damit  ihren  Höhepunkt  erreicht.  Mit  der  ungarischen 
Oberhoheit  ging  die  katholische,  von  Franziskanern  geleitete  Propaganda 

1)  Onciul,  Zur  Gesch..  der  Bukowina,  S.  24. 

2)  Den  Kern  des  Fürstentums  bildet  die  Bukowina.  Hier  war  die  Fürstenresidenz 
Suczawa,  bis  sie  im  16.  Jahrh.  nach  Jassy  verlegt  wurde. 

3)  Die  Lilien  auf  Bogdans  Münzen  weisen  auf  die  Lilien  des  Hauses  Anjou  hin. 


374  Die  Erwerbung  Polens.     Kämpfe  in  Italien. 

Hand  in  Hand.  Die  ungarische  Macht  war  aber  nicht  stark  genug,  die 
Balkanstaaten  unter  ihrer  Herrschaft  zu  behaupten.  Schon  1365  weigerte 
sich  der  walachische  Fürst  Laie  (1365 — 1372)  eine  Zeitlang,  die  Zu- 
stimmung Ungarns  zu  seiner  Thronbesteigung  einzuholen,  und  ein  Krieg, 
der  aus  unbekannten  Ursachen  im  Herbste  1368  oder  im  Frühjahr  1369 
ausbrach,  endete  für  Ungarn  ungünstig.  Um  den  Woiwoden  an  sich 
zu  fesseln,  überliefs  Ludwig  ihm  das  Gebiet  von  Fogarasch.  Dem  Bei- 
spiel der  Walachen  folgten  die  Bulgaren;  um  sich  der  Angriffe  des 
Bulgarenkaisers  Schischman  zu  erwehren,  übergab  Ludwig  das  Gebiet 
von  Widdin  dem  Bulgaren  Strazimir  als  Vasallenfürstentum. 

4.  Das  Zurückweichen  Ungarns  bot  um  so  gröfsere  Gefahren,  als 
eine  straflere  Zusammenfassung  aller  christlichen  Kräfte  auf  der  Balkan- 
halbinsel gegen  die  steigende  Macht  der  Osmanen  erforderlich  und  nur 
Ungarn  imstande  war,  diesen  mächtigen  Feind,  der  sich  1356  bei 
Gallipoli  festgesetzt  hatte  und  1363  Adrianopel  eroberte,  nach  Asien 
zurückzuwerfen.  In  der  Tat  fafste  König  Ludwig  10  Jahre  später  auf 
Bitten  des  griechischen  Kaisers  den  Plan,  den  Kampf  gegen  die  Osmanen 
zu  Wasser  und  zu  Lande  aufzunehmen,  ohne  ihn  aber  angesichts  der 
allgemeinen  politischen  Lage  durchführen  zu  können.  Und  doch  drangen 
die  Türken,  nachdem  sie  1371  die  Serben  besiegt,  den  König  Vulkaschin 
getötet  und  die  serbischen  Fürstentümer  in  Mazedonien  teils  erobert 
teils  tributpflichtig  gemacht  hatten,  immer  näher  an  Ungarns  Grenzen 
heran.  König  Twartko  von  Bosnien  machte  sich  von  der  ungarischen 
Herrschaft  frei,  und  auch  der  walachische  Fürst  Padu  IL  erscheint  als 
völlig  unabhängig.  Die  Oberherrschaft  über  das  westliche  Bulgarien  und 
das  nördliche  Serbien  war  gleichfalls  nur  noch  eine  nominelle.  Einen 
Ersatz  für  so  grofse  Einbufsen  bot  die  Erwerbung  Polens,  zu  dessen 
König  Ludwig  am  17.  November  1370  gekrönt  wurde.  Die  Verwaltung 
dieses  Landes  übertrug  er  seiner  Mutter  Elisabeth,  die  ihrer  Aufgabe 
freilich  wenig  gewachsen  war  und  1377  auf  ihre  Stellung  verzichtete. 
Übrigens  wurde  Rotrufsland  (Ende  1380  oder  anfangs  1381)  von  Polen 
abgetrennt  und  mit  Ungarn  vereinigt.  —  Als  Sprosse  des  Hauses  Anjou 
wandte  Ludwig  den  Verhältnissen  Italiens  grofse  Aufmerksamkeit  zu, 
unterstützte  die  Mission  des  Kardinals  Albornoz  und  war  Gegner  der 
dem  Papsttum  feindlichen  Visconti.  Daher  gelangte  er  in  Italien  zu 
einem  Ansehen,  mit  dem  sich  das  des  Kaisers  nicht  messen  konnte. 
Sprach  man  doch  1359  von  einer  Ersetzung  Kaiser  Karls  IV.  durch 
König  Ludwig  von  Ungarn.  Er  half  Franz  von  Carrara  in  dem  Kampfe 
gegen  Venedig,  der  (1373)  zu  dessen  Gunsten  endete;  der  Krieg  wurde 
fünf  Jahre  später  wieder  aufgenommen;  der  Friede  von  Turin  (1381) 
liefs  auch  diesmal  die  territorialen  Verhältnisse  ungeändert,  bis  auf  Triest, 
das  die  Venezianer  an  den  Patriarchen  von  Aquileja  abtraten.  Hatte 
Ludwig  diesen  Krieg  nur  lau  geführt,  wiewohl  eine  ausgiebige  Schwächung 
Venedigs  in  Ungarns  Interesse  lag,  so  trugen  eben  auch  hier  wie  in  der 
Politik  gegen  die  Balkanstaaten  die  angiovinischen  Hausinteressen  den 
Sieg  über  den  Vorteil  Ungarns  davon.  Ludwig  dachte  erst  daran,  Neapel 
für  seine  älteste  Tochter  Katharina  zu  erwerben;  als  diese  starb,  ruhten 


Karl  von  Durazzo  wird  König  v.  Neapel.     Die  ung.-poln.  Grofsmacht.         375 

seine  Pläne,  bis  sie  in  anderer  Gestalt  1378  wieder  aufgenommen  wurden. 
Da  die  Königin  Johanna  beim  Ausbruch  des  Schismas  (s.  unten)  sich 
auf  Avignons  Seite  gestellt  hatte,  wurde  sie  von  Urban  VI.  gebannt. 
Neapels  Krone  sollte  nun  an  den  Sohn  des  1348  enthaupteten  Prinzen  Karl 
von  Kalabrien,  Karl  von  Durazzo,  gelangen,  der  an  Ludwigs  Hof  erzogen 
und  von  ihm  zum  Herzog  von  Dalmatien  und  Kroatien  ernannt  worden 
war.  Zu  seinen  Gunsten  hatte  Ludwig  seinen  Ansprüchen  auf  Neapel 
entsagt,  wogegen  Karl  auf  seine  Rechte  auf  Ungarn  und  Polen  zu- 
gunsten der  Töchter  Ludwigs  verzichtete.  Ein  ungarisches  Heer  rückte 
in  Italien  ein;  Karl  wurde  vom  Papste  mit  Neapel  belehnt  (1381),  Johanna 
im  Castell  deh"  Uovo  belagert,  gefangen  genommen  und  (1382)  erdrosselt. 
Noch  in  demselben  Jahre  starb  König  Ludwig  selbst.  War  seine  Macht 
nach  aufsen  hin  eine  überragende,  so  waren  auch  die  Zustände  im  Innern 
Ungarns  befriedigendere  als  jemals  zuvor.  Ludwig  hat  im  Geiste  seines 
Vaters  die  Macht  des  Königtums  gestärkt  und  gehoben,  und  nie  war  die 
Königsmacht  in  Ungarn  so  unumschränkt  als  damals.  Der  Reichstag 
wurde  nicht  einberufen  und  die  wichtigsten  Angelegenheiten  mit  einem 
dem  Könige  durchaus  ergebenen  Rate  von  Prälaten,  Magnaten  und 
Würdenträgern  erledigt.  Bei  dem  guten  Zustand  der  Finanzen  konnte 
Ludwig  der  Bewilligungen  des  Reichstages  entraten.  Um  den  Adel  für 
seine  Kriege  zu  gewinnen,  gewährte  er  ihm  reichliche  Vergabungen;  die 
Städte  wurden  zwar  begünstigt,  nicht  selten  aber  doch  derart  mit  Steuern 
belastet,  dafs  £ie  zu  Aufständen  geneigt  waren.  Ludwig  hob  Handel  und 
Gewerbe,  freilich  auch  nur,  um  sie  für  seine  Finanzen  auszubeuten.  Für 
die  höhere  Bildung  im  Lande  wurde  1367  in  Fünfkirchen  eine  Universität 
gestiftet,  welcher  der  Papst  aber  die  theologische  Fakultät  versagte. 
Alles  in  allem  erschien  die  ungarisch-polnische  Grofsmacht  nach  aufsen 
hin  bedeutender  als  sie  in  Wirklichkeit  war;  das  Wichtigste  wurde  aufser 
acht  gelassen,  sie  gegen  die  anwachsende  Türkenmacht  zu  einem 
unüberwindlichen  Bollwerk  auszugestalten. 

§  89.    Die  letzten  Regierungsjahre  Karls  IT.  und   der  Ausgang  des 

avignonesischen  Papsttums. 

Quellen  wie  oben.  Für  die  Wahl  Wenzels  s.  noch  deutsche  Reichstagsakten  1 . 
München  1868.  Zur  Gesch.  Gregors  XI.  Die  Vita  Gregorii  prima  bis  quarta.  Baluze,  Vitae 
pap.  Aven,,  S.  425  ff.  Muratori  III,  2.  645  ff.  Itinerarium  D.  Greg.  XI.  incepturn  XIII. 
Sept.  a.  1376  a  Petro  Aurelio  Alectensi  exaratum.  Murat.  III,  2.  Zur  Reise  Karls  IV. 
nach  Frankreich  die  Entrevue  du  Charles  IV  ...  et  de  Charles  V  p.  p.  Godefroy.  Paris  1614. 

Hilfsschriften  wie  oben.  Dazu  Kirsch,  Die  Rückkehr  der  Päpste  Urban  V. 
und  Gregor  XI.  von  Avignon  nach  Rom.  Paderborn  1898.  Scholz,  Die  Rückkehr 
Gregors  XI.  von  Avignon  nach  Rom.  Progr.  Hirschb.  1884.  Mirot,  La  politique  pontif. 
et  le  retour  du  Saint  Siege  ä  Rome  en  1376.  Paris  1899.  Sylvestre,  Budes  et  les  Bretons 
en  Italic  Bl^Ch.  LVIII.  Zur  Wahl  Wenzels  s.  Lindner,  Gesch.  d.  d  Reiches  unter 
K.Wenzel  I.  Henrich,  De  Wenceslai  regni  Romanorum  electione  1868.  Jenkner, 
tTber  die  Wahl  König  Wenzels  1873.  L  i  n  d  n  e  r ,  Die  Wahl  König  Wenzels  Forsch.  XIV, 
240  ff.  Höf  ler,  Karls  IV.  Ordnung  der  Nachfolge  im  Reich.  1376.  MVGDB.  HI. 
Wenzels  von  Luxemburg  Wahl  zum  römischen  König  1376.  Wien.  SB.  LX,  649 — 674. 
Weizsäcker,  Rense  als  Wahlort.  Abh.  d.  Berl.  Ak.  1891.  Schmidt,  Die  staats- 
rechtliche   Anwendung    der  Goldenen    Bulle    bis    zum    Tode    Sigmunds.     Halle  1894. 


376  Karl  IV«  und  cue  Witteisbacher. 

Klüpfel,  Der  Schw.  Bund.  HT.  VIF.,  2.  Lindner,  Zur  Gesch.  des  Bchwäb. 
Städtebundes.  Forsch.  XIX,  s.  auch  Vi  seh  er.  Ebenda  II  u.  III.  Vochezer,  ebenda  XV. 
Jacob  sen,  Die  Schlacht  bei  Reutlingen.  1882.  Für  die  Bez.  zu  Frankr. :  Gottlob  und 
Fournier  w.  o.  Scholz,  Die  Zusammenkunft  Karls  IV.  u.  Karls  V.  v.  Frankr.  Progr.  Brieg 
1877.  Winke lmann,  Die  Beziehungen  Karls  IV.  zum  Königreich  Arelat.  Strafsburg  1827. 
Valois,  Le  Pro j et  de  manage  entre  Louis  de  France  et  Catherine  de  Hongrie  et 
le  voyage  de  l'empereur  Charles  IV  a  Paris.  Paris  1893.  Zur  Ländert :  die  oben 
genannten  Handbücher  zur  böhm.  Gesch.  Dazu  Gelbe,  Herzog  Johann  von  Görlitz 
XL.  Mag.  LIX.  Schlesinger,  Eine  Erbteilungs-  u.  Erbfolgeordnung  v.  21.  Dez.  1376. 
MVGDB.  XXXI,  1. 

1.  Die  bayrischen  Herzoge  hatten  den  Verlust  Tirols  lange  Zeit 
hindurch  nicht  verschmerzen  können  und  noch  1365  Verträge  mit  Mein- 
hard  von  Görz  gegen  Ost  erreich  geschlossen.  Während  sich  die  Habs- 
burger, denen  es  seit  Rudolfs  IV.  Tode  an  einer  zielbewufsten  Leitung 
fehlte,  an  den  Kaiser  anschlössen,  lehnte  Bayern  sich  an  Ungarn  an, 
zu  dem  sich  Österreich  in  gespannten  Beziehungen  befand,  seitdem  das 
Verlöbnis  Elisabeths,  der  voraussichtlichen  Erbin  König  Ludwigs,  mit 
Herzog  Albrecht  von  Österreich  aufgelöst  wurde.  Karl  IV.  hatte  die 
Habsburger  versöhnt,  indem  er  dem  Herzog  seine  eigene  Tochter  Elisabeth 
als  Gattin  anbot.  Die  Verstimmung  zwischen  Österreich  und  Ungarn 
blieb  bestehen.  Die  bayrischen  Herzoge  schlössen  mit  Ungarn  einen 
Vertrag,  der  sogar  die  Teilung  des  österreichischen  Gebietes  in  Aussicht 
nahm  (1367).  Aber  Österreich  konnte  auf  die  Hilfe  Karls  IV.  und  der 
in  Osterreich  begüterten  geistlichen  Fürsten  des  Reiches  rechnen.  Da 
Ungarn  sich  schliefslich  ruhig  verhielt,  hatte  der  Feldzug,  den  die 
Bayern  1368  gegen  Tirol  unternahmen,  einzelner  Vorteile  ungeachtet,  nicht 
den  gewünschten  Erfolg.  Im  Frieden  von  Schärding  verzichteten  sie 
(1369,  29.  September)  gegen  eine  Geldentschädigung  und  einige  feste 
Plätze  endgültig  auf  Tirol.  So  hatte  sich  auch  dieses  Mal  das  luxem- 
burgische Haus  in  Gegensatz  zu  den  Wittelsbachern  gestellt.  Um  so 
eifriger  schlössen  sich  diese  der  Koalition  an,  die  König  Ludwig  gegen 
den  Kaiser  zustande  gebracht  hatte.  Auch  der  Pfalzgraf  war  diesmal 
geneigt,  für  die  Interessen  des  wittelsbachischen  Gesamthauses  einzu- 
treten. Xoch  mehr  war  dies  mit  dem  Markgrafen  Otto  von  Branden- 
burg der  Fall.  Schon  1370  fafste  der  Kaiser  den  Verdacht,  dafs  Otto 
den  mit  den  Luxemburgern  geschlossenen  Erb  vertrag  brechen  und 
Brandenburg  den  Söhnen  seines  Bruders  Stephan  zuwenden  wolle.  Um 
ihm  zuvorzukommen,  erwarb  er  Fürstenberg  a.  d.  Oder,  liefs  es  als 
Stützpunkt  für  einen  Angriff  auf  Brandenburg  befestigen,  zog  Herzog 
Magnus  von  Braunschweig  von  seinem  Bunde  mit  Otto  ab,  brachte 
Pommern  und  Sachsen  auf  seine  Seite  und  wufste  auch  diesmal  die 
Interessen  der  AVittelsbacher  zu  teilen.  Indem  er  Wenzel  mit  Johanna, 
der  Tochter  Herzog  Albrechts  von  Straubing,  vermählte,  und  dessen 
gleichnamigen  Sohn  mit  seiner  Tochter  Anna  verlobte,  erhielt  er  sogar 
noch  die  Aussicht  auf  den  Erwerb  eines  Teils  von  Xiederbayern.  Otto 
von  Brandenburg  war  isoliert,  denn  seine  Bundesgenossen  waren  fern. 
Dahin  gelangt,  richtete  der  Kaiser  an  ihn  die  Forderung,  schon  jetzt  der  Re- 
gierung zu  entsagen.     Otto    trat  dagegen  in  der  Hoffnung  auf  die  Hilfe 


Die  Luxemburger  erwerben  Brandenburg.     Die  Nachfolgefrage.  377 

des  Pfalzgrafen,  der  bayrischen  Herzoge,  Ungarns,  Salzburgs  und  Meifsens 
gegen  den  Kaiser  auf,  der  ihm  nun  (1371,  22.  Juni)  den  Krieg  erklärte 
und  in  die  Mark  einbrach.  Eine  Reihe  glücklicher  Ereignisse  besserte 
die  Lage  des  Kaisers:  die  Wahl  Gregors  XL,  der  für  ihn  eintrat,  der 
Tod  Kasimirs  von  Polen,  wodurch  Ungarns  Kraft  auf  Polen  gelenkt  wurde, 
der  Tod  Gerlachs  von  Mainz,  der  sich  gleichfalls  den  Gegnern  des  Kaisers 
zugesellt  hatte,  nun  aber  durch  einen  Verwandten  Karls  ersetzt  wurde. 
Es  half  Otto  wenig,  dafs  Dänemark  die  Herzoge  Pommerns  zum  frieden 
bewog.  Wohl  brachen  die  Ungarn  in  Mähren  ein,  Karl  schlofs  aber 
mit  Ludwig  einen  Waffenstillstand  bis  1373  und  benützte  die  Zwischen- 
zeit, den  Bund  seiner  Gegner  völlig  zu  sprengen.  Schliefslich  war  Otto 
von  Brandenburg  auf  seine  eigenen  Kräfte  angewiesen.  Unter  diesen 
Umständen  kam  es  am  15.  August  1373  zu  dem  Frieden  von  Fürsten- 
walde, in  welchem  Otto  gegen  Zahlung  von  500000  Goldgulden, 
die  Beibehaltung  des  Titels  und  der  Rechte  eines  Kurfürsten  und  den 
Nutzgenufs  einiger  oberpfälzischer  Schlösser,  Brandenburg  schon  bei 
Lebzeiten  an  die  Luxemburger  abtrat.  Von  den  drei  grofsen  Erwerbungen 
Kaiser  Ludwigs  war  sonach  auch  die  zweite  für  Witteisbach  verloren. 
Der  Erwerb  Brandenburgs  durch  den  Kaiser  hatte  zur  Folge,  dafs  er 
nun  auch  den  maritimen  Interessen  des  Reichs  näher  trat.  Doch  dauerte 
seine  Regierung  nicht  mehr  lange  genug,  um  auf  die  Staaten  des 
Nordens  noch  einen  gröfseren  Einflufs  zu  gewinnen. 

2.  Die  grofsen  Landerwerbungen  des  Kaisers  konnten,  wie  das 
wittelsbachische  Beispiel  gelehrt  hatte,  nur  dann  als  gesichert  angesehen 
werden,  wenn  es  ihm  gelang,  seinem  Hause  auch  die  Kaiserkrone  zu 
verschaffen.  Wenn  er  starb,  ohne  die  Nachfolge  im  Reiche  zu  dessen 
Gunsten  geregelt  zu  haben,  stand  bei  der  ungeheuren  Macht  Böhmens 
zu  gewärtigen,  dafs  sich  die  Rivalen  dieses  Hauses  gegen  die  Wahl  eines 
Luxemburgers  aussprechen  würden.  Wiewohl  nun  die  Goldene  Bulle 
die  Königswahl  erst  nach  der  durch  Tod  erfolgten  Erledigung  des  Thrones 
in  Aussicht  nahm,  gingen  Karls  Bestrebungen  dahin,  noch  zu  seinen 
Lebzeiten  die  Krone  des  Reiches  seinem  bereits  zum  König  Böhmens 
gekrönten  Sohne  Wenzel  zu  verschaffen.  Seine  Bemühungen  reichen 
schon  in  das  Jahr  1367  zurück.  Bei  der  Schwierigkeit,  die  Kur- 
fürsten schon  jetzt  zu  gewinnen,  suchte  er  zuerst  Anschlufs  an  die 
Reichsstädte.  Seit  der  Erwerbung  der  Mark  Brandenburg  begannen  die 
Verhandlungen  mit  den  einzelnen  Kurfürsten,  von  denen  nur  einige, 
wie  Trier  und  Pfalz,  schwer  zu  gewinnen  waren.  Die  Preise  für  die 
einzelnen  Stimmen  waren  je  nach  der  Schwierigkeit,  sie  zu  erlangen, 
verschieden,  alle  aber  sehr  bedeutend.  Aufser  den  Kurfürsten  wurden 
auch  die  mächtigeren  Fürsten  des  Reiches,  wie  Österreich,  Württem- 
berg u.  a.,  bewogen,  Wenzels  Wahl  anzuerkennen.  Da  dieser  noch  jung 
an  Jahren  war,  mufste  gewartet  werden,  bis  er  das  15.  Lebensjahr  er- 
reicht hatte  und  damit  nach  altem  Rechte  mündig  wurde.  Trotzdem 
die  Goldene  Bulle  das  Approbationsrecht  der  Wahl  durch  die  Kurie  nicht 
anerkennt,  legte  Karl  auch  auf  ihre  Zustimmung  grofses  Gewicht.  Diese 
verlangte  Erneuerung    der   von   Karl  IV.    dem   Papste  Klemens  VI.  ge- 


378  Rückkehr  d.  päpstl.  Stuhles  nach  Rom.     Die  Königswahl  Wenzels. 

schworenen  Eide.  Sie  stellte  sich  damit  auf  einen  Standpunkt,  der  mit 
ihrer  augenblicklichen  Lage  nichts  gemein  hatte.  Auf  dem  päpstlichen 
Stuhl  safs  Gregor  XL  (1370—1378),  ein  Mitglied  der  Familie  Roger,  die 
seit  Klemens  VI.  einen  grofsenTeil  der  obersten  kirchlichen  Ämter  und  damit 
den  ganzen  Einflufs  in  den  Angelegenheiten  der  Kirche  an  sich  gerissen 
hatte.  Der  Mahnungen  von  italienischer  Seite  ungeachtet,  behielt  Gregor  XL 
seine  Residenz  in  Avignon  bei.  Schliefslich  konnten  aber  die  Rufe  aus 
Italien  und  die  der  grofsen  Heiligen  jener  Tage,  der  hl.  Brigitta  und 
Katharina  von  Siena,  nicht  mehr  überhört  werden.  Vornehmlich,  waren 
es  freilich  politische  Motive,  die  das  Papsttum  an  die  Heimkehr  mahnten. 
Ganz  Italien  erhob  sich  gegen  die  verhafsten  französischen  Legaten  und 
deren  Hochmut  und  unerträgliche  Tyrannei.  Fast  überall  trat  ein  Hafs 
gegen  die  weltliche  Macht  des  Papsttums  und  den  weltlichen  Besitz  der 
Kirche  zutage.  Die  Visconti,  Florenz ,  einst  die  eifrigste  Verteidigerin 
des  Papsttums,  die  übrigen  Städte  Toskanas  schlössen  einen  Bund  gegen  die 
Legaten,  »die  ungerechten  Pastoren  der  Kirche«.  In  Florenz  wurde 
das  Inquisitionsgebäude  niedergerissen,  das  Kirchengut  eingezogen  und 
die  Priesterschaft  an  Leib  und  Leben  bedroht.  In  den  Städten  des 
Kirchenstaates  entstand  ein  offener  Aufruhr.  Im  März  1376  erhob  sich, 
von  Florenz  unterstützt,  Bologna.  Da  sprach  Gregor  XL  den  Bannfluch 
über  die  Florentiner  aus  und  erklärte  ihr  Hab  und  Gut  als  vogelfrei, 
In  England  und  Frankreich ,  wo  sie  sich  als  Geldwechsler  aufhielten, 
ward  Hand  darauf  gelegt.  Unter  diesen  Umständen  mufste  der  Papst 
zurückkehren,  sollten  nicht  alle  Erfolge  des  Kardinals  Albornoz,  ja  der 
Kirchenstaat  selbst  verloren  gehen.  Trotz  der  Warnungen  seiner  Ange- 
hörigen und  des  Unwillens  der  an  Frankreich  hängenden  Kardinäle  brach 
Gregor  XL  am  2.  Oktober  1376  von  Marseille  auf  und  traf  im  Januar  1377 
in  Rom  ein.  Eine  der  wichtigsten  Fragen,  an  die  er  herantrat,  betraf 
sein  Verhältnis  zum  Kaiser.  Schon  am  20.  März  1376  hatte  Karl  IV. 
dem  Papste  erklärt,  die  Kurfürsten  gedächten,  am  1.  Juni  die  Wahl 
zu  vollziehen  und  ihr  unmittelbar  die  Krönung  folgen  zu  lassen. 
Gregor  XL  verlangte,  dafs  die  Krönung  wenigstens  nicht  vor  erlangter 
Approbation  stattfinde.  Doch  auch  dagegen  waren  die  Wähler,  und 
Karl  IV.  erklärte  sich  schliefslich  nur  dazu  bereit,  Wahl  und  Krönung 
um  einige  Tage  zu  verschieben,  damit  der  Papst  die  Wahl  noch  vor  der 
Krönung  approbieren  könne.  Ohne  weiteres  Zögern  wurde  nun  Wenzel 
am  10.  Juni  1376  in  Frankfurt  gewählt  und  am  6.  Juli  in  Aachen  ge- 
krönt, ehe  der  Papst  noch  in  die  Lage  kam,  die  Bestätigung  zu  erteilen. 
Wenzel  war  nunmehr  rechtmäfsiger  König  und  trat  auch  als  solcher  auf. 
Da  sich  der  Papst  aber  weigerte,  Wenzels  Wahl  anzuerkennen,  bat 
Karl  noch  nachträglich  um  die  Genehmigung  der  Wahl.  Von  einem 
scharfen  Auftreten  des  Papstes  konnte  aber  keine  Rede  sein.  Nach 
allen  Seiten  warteten  seiner  die  schwierigsten  Aufgaben ;  es  galt,  rebellische 
Städte  und  Landschaften  zu  unterwerfen,  die  unterworfenen  zu  pazifizieren 
und  neue  Organisationen  zu  schaffen.  Mitten  unter  Plänen  aller  Art, 
und  ehe  noch  der  Friede  mit  den  Florentinern  hergestellt  war,  starb 
Gregor  XL,  dessen  Wille  stark,  dessen  Kräfte  aber  schwach  waren,  am 


Der  schwäbische  Städtebund.     Schlacht  bei  Reutlingen.  379 

27.  März  1378  —  der  letzte  der  avignonesischen  Päpste.  Erst  nach  dem 
Ausbruch  des  Schismas  erfolgte  die  Anerkennung  des  Königtums  Wenzels 
durch  den  Papst  und  Gegenpapst. 

3.  Um  die  Kosten  der  Erwerbung  Brandenburgs  und  der  Königs- 
wahl  Wenzels  hereinzubringen,  war  der  Kaiser  genötigt,  den  Städten  aufser- 
gewöhnliche  Steuern  aufzubürden.  Dagegen  vereinigten  sich  am  4.  Juli  1376 
vierzehn  schwäbische  Städte  zum  schwäbischen  Städtebunde,  der  bis 
April  1380  dauern  sollte  und  den  Zweck  verfolgte,  jede  Verpfändung  oder 
ungewöhnliche  Besteuerung  zu  verhindern.  Sie  wollten  »unbeschätzt,  un- 
versetzt,  unverkauft  bei  ihrer  gewöhnlichen  Steuer«  beim  Reiche  ver- 
bleiben. Vergebens  begehrte  Karl  IV.  die  Auflösung  des  Bundes  und 
erklärte  die  Städte  in  die  Acht.  Sein  Versuch,  sie  mit  Waffengewalt  zu 
bezwingen,  mifslang:  er  mufste  nach  kurzer  Belagerung  Ulms  abziehen 
und  überliefs  die  Fortsetzung  des  Kampfes  den  bayrischen  Herzogen 
und  dem  Grafen  Eberhard  von  Württemberg.  Es  entstand  so  ein  Gegen- 
satz zwischen  Reichsstädten  und  Fürsten ,  der  über  ein  Jahrhundert 
dauerte.  Eberhards  Sohn  Ulrich  erlitt  am  14.  Mai  1377  bei  Reut- 
lingen eine  entscheidende  Niederlage.  Schliefslich  wurde  ein  Land- 
frieden festgesetzt,  der  die  Städte  vor  Verpfändung  sicherte  und  ihnen 
das  Recht  gemeinsamer  Verteidigung  gewährte.  Der  schwäbische 
Städtebund  breitete  sich  rasch  aus;  selbst  die  österreichischen  Herzoge 
schlössen  mit  ihm  ein  Schutz-  und  Trutzbündnis  (1378,  13.  Februar). 
Der  Krieg  gegen  Württemberg  wurde  schliefslich  durch  die  Vermittlung 
des  Kaisers  zugunsten  der  Städte  beigelegt.  Die  nächsten  Bemühungen 
des  Kaisers  betrafen  die  Herstellung  eines  allgemeinen  Landfriedens 
im  Reiche. 

4.  Karl  IV.  hatte  in  den  letzten  Jahren  mit  qualvollen  Leiden  zu 
kämpfen.  Trotzdem  unterzog  er  sich  noch  anstrengenden  Reisen.  Von 
Tangermünde1),  wo  er  gern  verweilte,  zog  er  im  Herbst  1377  über  West- 
falen an  die  Stätten,  wo  er  seine  Jugend  verlebt  hatte.  Um  Frankreich 
seinem  Hause  günstig  zu  stimmen,  übertrug  er  dem  Dauphin  das  Reichs- 
vikariat  über  ganz  Burgund;  die  Angliederung  dieser  Landschaften  an 
Frankreich  machte  hiedurch  einen  grofsen  Schritt  vorwärts.  Über  die 
Teilung  des  von  ihm  beherrschten  Ländergebietes  hatte  Karl  IV.  bereits 
im  Jahre  1376  Verfügungen  getroffen.  Danach  erhielt  Wenzel  Böhmen, 
Schlesien,  Bautzen  und  den  westlichen  Teil  der  Niederlausitz,  die  luxem- 
burgischen Besitzungen  in  Bayern,  Franken  und  Sachsen  und  die  Ober- 
hoheit über  sämtliche  Länder  der  böhmischen  Krone;  das  so  mühsam 
erworbene  Brandenburg  wurde  der  Führung  der  Kurstimme  wegen,  die  mit 
der  böhmischen  nicht  in  einer  Hand  vereinigt  sein  durfte,  an  den  zweiten 
Sohn  Sigmund  gegeben,  der  jüngste,  Johann,  erhielt  das  neugeschaffene 
Herzogtum  Görlitz  und  die  Neumark.2)     Im  Königreiche  und  den  beiden 


*)  Zahn,  Karl  IV.  in  Tangermünde.    1902. 

2)  Die  betreffende  Urkunde  vom  21.  Dez.  1376  (sie  findet  sich  in  einem  Saazer 
Formelbuch)  ist  in  deutscher,  nicht  ganz  korrekter  Übersetzung  erhalten.  Siehe 
Schlesinger  in  den  MVGDB.  XXXI,  5—13. 


380  Charakteristik  Karls  IV. 

andern  Ländern  sollte  das  Recht  der  Primogenitur  festgehalten  und 
die  Rechte  der  Hauptlinie  bei  ihrem  etwaigen  Erlöschen  im  Mannesstamm 
auf  die  mährische  Linie  (s.  oben)  übergehen.  Für  Brandenburg  wurde 
bestimmt,  dafs  nach  dem  Erlöschen  der  Linie  Sigmunds  die  Johanns 
von  Görlitz  zu  folgen  habe.1)  Sollte  die  böhmische  und  mährische  Linie 
im  Mannesstamm  erlöschen,  dann  sollte  »die  älteste  Tochter  des  Ge- 
schlechtes« die  Nachfolge  erhalten.  Von  einem  Erbrecht  Herzog  Wenzels 
von  Luxemburg,  des  jüngsten  Bruders  Karls  IV ,  ist  in  der  Ordnung 
keine  Rede;  dagegen  hatte  dieser  auf  den  Wunsch  Karls  IV.  noch  am 
31.  Januar  1378  König  Wenzel  zum  Erben  seines  Herzogtums  und  der 
Grafschaft  Chiny  eingesetzt,  falls  er  —  wie  zu  erwarten  stand  —  ohne 
Erben  stürbe. 

5.  Karl  IV.  starb  mitten  unter  seinen  Bemühungen  zur  Beilegung  des 
Schismas  (s.  unten)  an  einem  schleichenden  Fieber  am  29.  November  1378. 
Sein  Wirken  ist  schon  von  seinen  Zeitgenossen  verschiedenartig  beurteilt,  von 
den  einen  ebenso  übermäfsig  gelobt  wie  von  den  andern  getadelt  worden.2) 
Wenn  man  sein  Vorgehen  gegen  die  Witteisbacher  tadelt,  wird  übersehen, 
dafs  er  sich  von  keiner  grundsätzlichen  Feindschaft  gegen  dieses  Haus 
leiten  liefs,  wohl  aber  als  tüchtiger  Diplomat  —  und  nach  dieser  Seite  lag 
seine  ganze  Stärke  —  sich  die  Schwächen  seiner  wittelsbachischen  wie 
seiner  andern  Gegner  zunutze  machte.  Es  ist  ebenso  richtig,  dafs  er  die 
Interessen  seiner  Erbländer  mit  gröfstem  Erfolge  wahrgenommen,  als  es 
unrichtig  ist,  dafs  er  darüber  die  des  übrigen  Deutschland  vernachlässigt 
habe.  Der  Satz  vom  Erzstiefvater  des  deutschen  Reiches  ist  wenig 
gerecht.3)  Viel  von  dem,  was  er  für  seine  Erblande  tat,  kam  dem  ganzen 
Reiche  zugute.  Nur  wenige  seiner  Zeitgenossen  hatten  gleich  ihm  nicht 
nur  für  das  wirtschafthche  Gedeihen,  sondern  auch  für  den  geistigen 
Fortschritt  aller  seiner  Länder  Sinn.  Er  unterstützte  Gelehrte,  Dichter 
und  Künstler.  Mit  Petrarca,  dem  bedeutendsten  Dichter  der  Zeit,  steht  er 
in  regem  Verkehr.  Unter  den  Wissenschaften,  die  seine  volle  Gunst 
geniefsen,  ist  es  vornehmlich  die  Geschichte:  sie  erschien  ihm  als  die 
wahre  Lehrerin  des  Lebens,  und  darum  hat  er  in  den  Tagen,  als  sein 
jugendlicher  Sohn  die  Krone  des  Reiches  erlangte,  selbst  zur  Feder  ge- 
griffen, um  ihm  und  seinen  Nachfolgern  zu  zeigen,  wie  sie  sich  in 
kritischen  politischen  Lagen  zu  verhalten  haben.  Höher  steht  ihm 
freilich  noch  die  Gottesgelehrtheit.  Fast  ebensogut  wie  sein  einstiger 
väterlicher  Freund  und  Lehrer  und  späterer  Gönner  Klemens  VI.  ver- 
stand er  es,  Bibelstellen  zu  erläutern  und  Homüien  zu  schreiben.    Auch 


x)  Daher  sollte  Johann  von  Görlitz  schon  jetzt  den  Titel  eines  Markgrafen  von 
Brandenburg  führen. 

*)  S.  hierüber  schon  Palacky  II,  2,  397  ff.,  jetzt  vornehmlich  Huber  in  der  Ein- 
leitung zu  den  Regesten  und  Lindner,  DG.  II,  93  ff. 

3)  Das  AVort  vom  Vater  des  böhmischen  und  Stiefvater  des  deutschen  Reiches, 
das  Maximilian  I.  von  Karl  IV.  gebraucht,  finde  ich  schon  bei  Ludolf  von  Sagan, 
Tractatus  de  longevo  schismate  (AÖG.  60,517):  Et  talem  vasollum  homagialem  iuratum 
et  subditum  sibi  electorem  et  camerarium  imperii  auferre  volumus  propter  facta  Karoli 
seinper  Augusti.  Salva  eins  igitur  in  hoc  reverencia  magis  Augustus  fuisse  creditur 
natalis  soll  sui  Bohemici  quam  imperialis  et  Romani. 


Das  Ende  des  avignonesischen  Papsttums.  381 

sonst  sind  es  oft  genug  wissenschaftliche  Fragen,  die  er  erörtert.  Prag 
wird  unter  ihm  eine  Stadt  der  Gelehrten,  Dichter  und  bildenden  Künstler. 
In  Böhmen  werden  deutsche,  bald  auch  tschechische  Bibelübersetzungen 
veranstaltet;  hier  wird  das  beste  deutsche  Prosawerk  der  Zeit  —  der 
Ackermann  aus  Böhmen  —  seinem  englischen  Orignal  nachgebildet.  Der 
Stil  in  den  Briefen  und  Urkunden  der  kaiserlichen  Kanzlei  —  noch 
stark  verkünstelt  und  schwulstig  —  wird  für  die  Kanzleien  fürstlicher 
und  städtischer  Amter  mafsgebend  und  die  deutsche  Kanzleisprache 
seines  Hofes  eines  der  wesentlichsten  Elemente,  aus  denen  sich  das  Neu- 
hochdeutsche entwickelt.  So  kann  Karl  IV.  in  gewissem  Sinne  schon 
als  Förderer  der  neuen  humanistischen  Richtung  bezeichnet  werden.  Ist 
mit  dem  Ende  des  avignonesischen  Papsttums  und  dem  Ausbruch  des 
grofsen  Schismas  der  Ausgang  einer  grofsen  Entwicklungsperiode  der 
mittelalterlichen  Geschichte  gegeben,  so  stellten  ihn  seine  humanistischen 
Bestrebungen  bereits  an  den  Beginn  einer  neuen  Periode;  an  diese  reicht 
er  auch  in  anderm  Sinne  heran,  denn  unter  seiner  Regierung  zeigen 
sich  bereits  die  Spuren  jener  gewaltigen  Opposition,  welche  die  Kirche 
in  ihren  Grundfesten  erschütterte.  Schon  konnte  ein  Mann  wie  Milicius 
von  Kremsier  es  wagen,  dem  Kaiser  in  grofser  Versammlung  das  bittere 
Wort  zuzuschleudern ,  er  sei  der  grofse  Antichrist,  der  dem  Ende  der 
Dinge  verangehe.  In  Böhmen  mehr  als  sonst  im  deutschen  Reiche 
mehrten  sich  die  Anzeichen  jener  kirchlichen  Bewegung,  der  das  be- 
ginnende Schisma  die  Wege  ebnete  und  die  der  politischen  Oberherrschaft 
der  Päpste  ein  völliges  Ende  bereitete. 


«» »*g» 


II. 

Die  Zeit  der  grofsen  Konzilien 
und  des  Humanismus 

(1378—1492). 


I.  Teil. 

Die  Zeit  des  Schismas  und  der  grofsen  Konzilien 
l  .  1378-1449. 


1.  Abschnitt. 

Papsttum  und  Kaisertum  im  Zeitalter  der  grofsen 

Konzilien. 


1.  Kapitel. 

Das  grofse  Schisma. 

§  90.   Die  Kirche  und  die  kirchlichen  Oppositionsparteien  beim  Aus- 
bruch des  Schismas. 


Das  Quellenmaterial  für  die  Gesch.  der  Katharer,  Waldesier,  Spiritualen 
und  der  ihnen  verwandten  Gruppen  s.  §§  3,  5  u.  61.  Dazu:  Salimbene  wie  oben 
(für  die  Gesch.  der  Apostoliker).  Die  Historia  fratris  Dolcini,  samt  Additamentum, 
bei  Muratori  IX,  427  ff.,  448  ff.  Prozesse  gegen  die  Spiritualen  ed.  Ehrle,  ALKG.  d. 
MA.  HI,  IV.  Zu  den  Mystikern :  Deutsche  Mystiker  des  14.  Jahrh.  I,  II.  (Bd.  II  enth. 
Meister  Eckhart.)  26  Predigten  Es,  herausg.  v.  Sievers.  ZDA.  XV.  Tauler,  ed.  Ham- 
burger. Frkf.  1864.  Suso,  ed.  Diepenbrock.  3.  A.  1854.  Denifle,  Bd.  1  u.  2.  München 
1876—1878.  Mathilde  v.  Magdeburg,  ed.  Morel.  1869.  Rusbroeke,  ed.  David.  Gent  1860— 68. 
Andere  Ausg.  s.  in  Überweg,  §  36.  Nikol.  v.  Basel,  Leben  u.  ausg.  Schriften.  Wien  1866. 
(S.  Langenberg,  Quellen  u.  Forschungen  zur  Gesch.  d.  d.  Mystik.  Bonn  1902.)  Neuere 
Lit. :  s.  oben  §§  3,  5,  61,  die  Werke  von  L  e  a  u.a.  Dazu  S  a  c  h  s  s  e ,  Bernardus  Guidonis 
und  die  Apostelbrüder.  1891.  Hausrath,  Die  Arnoldisten,  wie  oben.  Haupt, 
Waldensertum  u.  Inquisition  \m  so.  Deutschi.  ZGW.  1.  Deutsch-böhmische  Waldenser 
um  1390.  ZKG.  Wattenbach,  Über  die  Inquisition  gegen  d.  Waldenser  in  Pommern 
und  Brandenburg.  Ab.Berl.  Ak.  1886.  Haupt,  Beiträge  zur  Gesch.  der  Sekten  von 
freiem  Geist  und  das  Beghardentum.  ZKG.  VII  (s  auch  Haupt  in  der  RE.  prot 
Th.  H,  586,  woselbst  die  übrige  Lit.  zur  Gesch.  der  Beginen  u.  Begarden).  Watten- 
bach,  Über  die  Sekten  der  Brüder  vom  freien  Geist.  SBBerl.  Akad.  1887.  Preger, 
Gesch.  d.  deutschen  Mystik  im  MA.  3  Bde.  1874—93.  Böhringer,  Die  deutschen 
Mystiker  des  14.  u.  15.  Jahrh.  Zürich  1855.  Martensen,  Meister  Eckart.  1842.  Bach, 
M.  Eckart,  der  Vater  der  deutschen  Spekulation.  Wien  1864.  Lasson,  ME.  der 
Mystiker.  Berl.  1868.  Denifle,  M.  Es.  lat.  Schriften  u.  die  Grundanschauung  seiner 
Lehren.  ALKG.  H.  Kramm,  Meister  Eckart  im  Lichte  D.scher  Funde.  1889. 
Jostes,  ME.  u.  s.  Jünger.  Coli.  Frib.  fasc.  4.  1895.  Schmidt,  Johannes  Tauler 
v.  Strafsburg.  Hamb.  1841.  Iiltudes  sur  le  mysticisme  Allemand  au  14©  siecle.  Paris  1847. 
Loserth,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  25 


386  Ansprüche  des  Papsttums  auf  die  Weltherrschaft. 

Die  Gottesfreunde  im  14.  Jahrh.  Jena  1854.  Greith,  D.  Deutsche  Mystik  im  Prediger- 
orden. Freib.  1861.  M.  Rieger,  Die  Gottesfreunde  im  MA.  Heidelb.  1879.  Jundt, 
Les  amis  de  Dieu  au  14?  siecle.  Paris  1879.  —  Rulman  Merswin  et  l'ami  de  Dieu 
de  l'Oberland.  Paris  1890.  Denifle.  Die  Dichtungen  der  Gottesfreunde  im  Oberl. 
ZDA.  XXIV.     Rieder,  Z.  Frage  d.  Gottesfr.    ZG.  Oberrh.    NF.  XVII. 

1.  Trotz  aller  Einbufse,  die  das  Papsttum  an  äufserer  Machtstellung 
und  Ansehen  bei  den  Völkern  des  Abendlandes  im  avignonesischen  Zeit- 
alter erlitten  hatte,  hielten  die  Päpste  in  der  Theorie  jene  Rechte  und 
Ansprüche  aufrecht,  die  sie  aus  dem  Satze,  dafs  sie  Stellvertreter  Christi 
auf  Erden  seien,  gefolgert  hatten.  Päpstlich  gesinnte  Schriftsteller,  wie 
Augustinus  Triumphus  oder  Alvaro  Pelayo  (f  1352),  dehnten  sie  sogar 
noch  mafslos  aus.  Nach  Pelayo  ist  die  ganze  Christenheit  Ein  Reich, 
in  diesem  Reiche  Ein  Fürst,  und  dieser  Fürst  ist  der  Papst.  Seine 
Gewalt  umfafst  das  Geistliche  und  Weltliche ;  sie  ist  eine  absolute ;  erst 
durch  sie  hat  jede  andere  Gewalt  ihre  Berechtigung.  Der  Papst  allein 
vermag  mehr  als  die  übrige  Kirche.  Sein  Tribunal  ist  das  Tribunal 
Christi.  Wer  ihn  nicht  als  Haupt  anerkennt,  hat  Christus  nicht  zum 
Haupte ;  ohne  Gemeinschaft  mit  ihm  gibt  es  kein  ewiges  Leben.  Von 
seinem  Urteil  ist  keine  Berufung  gestattet,  es  sei  denn  an  Gott.  Ihm  ist 
die  oberste  Gerichtsbarkeit  auch  über  Fürsten  und  ihre  Reiche  gegeben. 
Als  Vikarius  Christi  aber  auch  kraft  der  Schenkung  Konstantins  ist  er 
Herr  des  römischen  Reiches.  Zwar  hat  er  dies  an  Karl  den  Grofsen 
gegeben  und  gestattet,  dafs  die  Kurfürsten  die  Wahl  vornehmen,  aber 
sie  haben  dies  Recht  nur,  so  lange  die/Kirche  es  zuläfst,  denn  sie  allein 
hat  die  Macht,  Reiche  zu  übertragen  und  Fürsten  ihrer  Gewalt  zu 
entkleiden.  Der  Kaiser  ist  des  Papstes  Vikar,  ihm  leistet  er  den 
Lehenseid. 

2.  Das  theokratische  System,  das  nun  seit  Innozenz  III.  auf  allen 
Völkern  des  Abendlandes  lastete,  war  allerdings  schon  stark  erschüttert. 
Erst  hatte  die  französische,  dann  die  deutsche  Opposition,  eine  immer 
schärfer  als  die  andere,  die  Unabhängigkeit  des  Königtums  in  allen  welt- 
lichen Fragen  betont;  schärfer  als  beide  war  die  englische  an  der  Arbeit, 
die  Oberherrschaft  der  Päpste  in  weltlichen  Fragen  niederzuringen. 
Schon  konnte  Pedro  von  Aragonien  dem  Papste  Klemens  VI.  erklären, 
als  König  aufser  Gott  keinen  Oberen  anzuerkennen ;  schon  wurde  in  den 
Tagen  Ludwigs  des  Bayers  gelehrt,  dafs  die  Einheit  der  Kirche  zwar 
nicht  zerrissen  werden  dürfe ,  zu  deren  Erhaltung  die  Existenz  des 
Papsttums  aber  nicht  unbedingt  notwendig  sei,  dafs  sich  vielmehr  die 
Kirche  jederzeit  die  ihrem  Wesen  und  ihrer  Aufgabe  entsprechende 
Verfassung  geben  könne.1)  Was  diese  Angriffe  auf  die  Machtstellung 
des  Papsttums  unterstützte,  war  der  beispiellose  Verfall  der  kirchlichen 
Zucht  infolge  der  Verweltlichung2)  des  Klerus.     Je  mehr  die  Abhängig- 


x)  Die  Zitate  aus  Schwab,  Johann  Gerson,  S.  24  ff.  S.  auch  Riezler,  Lit.  Wider- 
sacher,  S.  284  ff. 

2)  Die  englische  Opposition  nennt  es  »Verkaiserung«  der  Kirche  und  führt 
alles  "Übel  in  ihr  auf  die  sog.  konstantinische  Schenkung  zurück.  Daher  rnufs  auf 
Zustände  zurückgelenkt  werden,  die  vor  dieser  Schenkung  bestanden.     S.  unten. 


Niedergang  des  theokratischen  Systems.    Verfall  des  kirchlichen  Lebens.       387 

keit  von  Frankreich  Machtstellung  und  Ansehen  der  Kurie  untergrub, 
um  so  mehr  suchte  sie  ihre  Verluste  einerseits  durch  starres  Festhalten 
an  übertriebenen  Ansprüchen,  so  wenig  sie  ihrer  nunmehrigen  Lage  ent- 
sprachen, anderseits  durch  eine  Fülle  äufseren  Glanzes,  in  dem  nun 
der  Hof  des  Papstes  erstrahlte,  zu  verdecken.  Die  kostspielige  Hof- 
haltung der  Päpste,  ihre  Fürsorge  für  die  Nepoten,  die  glänzende  Aus- 
stattung der  Kardinäle  und  nicht  zum  wenigsten  der  Aufwand  für  die 
Aufrechterhaltung  des  weltlichen  Besitzes  im  fernen  Italien  hatte  eine 
stetige  Steigerung  der  finanziellen  Bedürfnisse  der  Kurie  und  demgemäfs 
eine  harte  Bedrückung  der  einzelnen  Landeskirchen  zur  Folge.  Die 
Annaten,  Reservationen,  Provisionen,  Spolien,  Anwartschaften,  die  Ge- 
bühren für  die  Konfirmationen  (s.  §  61),  all  das  reichte  zur  Befriedigung 
dieser  Bedürfnisse  nicht  mehr  aus  ;  und  der  Druck  auf  die  einzelner 
Landeskirchen  wurde  um  so  härter  empfunden,  als  die  ungeheuren 
Summen,  die  von  den  Prälaten  erhoben  wurden,  von  diesen  auf  die 
Niederstehenden  abgewälzt  wurden  und  von  ihrer  Verwendung  für 
religiöse  Zwecke  schon  längst  keine  Rede  mehr  war.  Wohl  machten 
einzelne  Päpste  Versuche,  den  Übelständen  zu  steuern,  aber  Erfolge  in 
dieser  Richtung  reichten  kaum  über  die  Regierungszeit  eines  Papstes 
hinaus.  Verwandte  des  Papstes  und  der  Kardinäle,  Günstlinge  des  Hofes 
wurden  mit  den  fettesten  Pfründen  beteilt  und  Benefizien  um  Geld  da- 
hin gegeben.  Schon  galt  der  Satz,  dafs  am  Hofe  des  Papstes  ohne  Geld 
nichts  zu  erhalten  sei.1)  In  der  Tat  wucherte  in  Avignon  die  Simonie 
wie  in  den  schlimmsten  Zeiten  des  11.  Jahrhunderts.2)  Der  Kauf  und 
Verkauf  von  geistlichen  Amtern  hatte  zur  Folge,  dafs  oft  untaugliche  oder 
unwürdige  Personen  zu  hohen  Kirchenämtern  befördert  wurden.  Um 
das  Ziel  ihres  Ehrgeizes  bequemer  zu  erreichen,  vernachlässigten  Bischöfe 
und  andere  Kleriker  ihre  Residenzpflicht  und  strömten  am  Hofe  des 
Papstes  zusammen.  Nach  dem  Vorgange  der  Kurie  gestaltete  sich  das 
kirchliche  Leben  an  den  Höfen  der  übrigen  Hierarchie  —  nur  in  ver- 
gröberter Form,  je  mehr  man  in  die  Tiefe  stieg.  In  seltenen  Fällen 
erfüllt  diese  Hierarchie  ihre  Pflicht,  das  Volk  zu  erziehen.  Die  Visitations- 
akten einzelner  Kirchenprovinzen  bieten  ein  grauenhaftes  Bild  vom 
Verfall  der  Kirchenzucht.  Da  ist  kaum  eine  Kirche,  an  der  ein  Visi- 
tator ein  Leben  der  Geistlichkeit  in  Gemäfsheit  der  kirchlichen  Vor- 
schriften fände.  Die  stärksten  Klagen  betreffen  den  Verfall  der  Zucht 
im  Hinblick  auf  den  Zölibat.  Wohl  werden  in  den  einzelnen  Sprengein 
Synoden  gehalten,  die  scharfe  Verordnungen  wider  die  im  Klerus 
eingewurzelten  Laster  erlassen;  sie  trugen  aber  geringe  Frucht,  weil 
das  an  den  obersten  Stellen  gegebene  Beispiel  bis  in  die  untersten 
wirkte. 3) 

3.    Unter  solchen  Umständen  erstarkten    die   älteren,  lange  nieder- 
gehaltenen   Oppositionsparteien    der  Kirche,    wie    die   Waldesier,    die 

*)  Peter  von  Königsaal :   Curia  Romana  non  pascit  ovem  sine  lana. 

2)  Die  hl.  Brigitta  an  Gregor  XI. :  In  curia  tua  residet  .  ,  .  vorago  pessima  horri- 
bilis  simoniae,  iam  nunc  magis  veneratur  lupanar,  quam  sancta  .  .  .  ecclesia. 

3)  Schwab,  40. 

25* 


388  ^te  un(i  neue  Oppositionsparteien. 

nicht  blofs  in  Südfrankreich,  iro.  nördlichen  Italien,  Süddeutschland  und 
den  Rheingegenden,  sondern  auch  im  Norden  bis  nach  Preufsen  und 
Polen  eine  kraftvolle  Propaganda  entfalteten.  Neben  ihnen  erhoben  sich 
neue  Oppositionsparteien:  in  Italien  die  Apostoliker,  die,  von  den 
Minoriten  abzweigend,  unter  Segarelli  von  Parma  und  nach  dessen 
Verbrennung  (1300)  unter  Dolcino  in  Oberitalien  grofsen  Zulauf  fanden 
und  deren  Reste  nach  Dolcinos  Hinrichtung  sich  bis  nach  Frankreich 
und  Spanien  verliefen.  Ihr  Streben  ist  es,  nach  der  Lehre  und  dem 
Beispiel  der  Apostel,  deren  Heiligkeit  und  Vollkommenheit  durch  ein 
Leben  evangelischer  Armut  zu  erreichen.  In  Mittel-  und  Süditalien  be- 
haupten sich  allen  Verfolgungen  der  kirchlichen  Behörden  zum  Trotz  die 
Fraticellen.  In  Deutschland  treten  freie  Vereinigungen  von  Männern 
und  Frauen,  wie  sie  schon  im  11.  Jahrhundert  bestanden,  hervor,  in 
denen  das  Drängen  der  Laienwelt  nach  einer  selbsttätigen,  der  priest  er- 
heben Bevormundung  sich  entwindenden  Teilnahme  an  der  Lösung  der 
religiösen  Grundfragen,  zugleich  aber  auch  an  einer  Verinnerlichung 
des  kirchlichen  Lebens  zum  Durchbruch  gelangt  ist.1)  Es  sind  die  Be- 
ginen  und  Begarden2),  von  denen  jene  in  eigenen  Häusern  —  den  Be- 
ginenhöfen  —  den  Versuchungen  dieser  Welt  entrückt,  unter  eigener 
Leitung  ihr  Leben  nach  dem  »Gesetze  Christi«  führten.  Das  Ideal 
des  älteren  Beginentums  war,  in  selbstgewählter  Armut  zu  leben.  »Wann 
kommt  der  Tag»,  ruft  die  neunjährige  Patrizierstochter  Margareta  Ebner 
aus,  »dafs  ich  betteln  soll  um  Gotteswillen!»  Als  das  Ideal  schwand,  suchten 
die  Leute  vor  Not  und  Elend  in  den  Beginenhäusern  Zuflucht :  aus  den 
Stätten  religiöser  Begeisterung  wurden  Armenhäuser.  Um  1400  hatten 
selbst  kleine  deutsche  Städte  ihre  Beginenhäuser.  Vielfach  wurden 
Mendikanten  mit  ihrer  kirchlichen  Leitung  betraut,  und  ihre  Verbindung 
mit  den  Spiritualen  leitet  ihren  Eintritt  in  die  kirchliche  Opposition 
ein.  Die  Beginen  lebten  übrigens  nicht  blofs  in  den  von  frommer  Hand 
gestifteten  Versorgungshäusern,  sondern  in  asketischer  Weise  auch  ein- 
zeln als  Einsiedlerinnen  und  widmen  sich  der  Krankenpflege.  In  den 
Niederlanden  gewannen  die  Brüder  vom  gemeinsamen  Leben, 
die  sich  unter  der  Führung  Gerhard  Groots  aus  Deventer  vornehm- 
lich mit  Volks-  und  Jugendunterricht  beschäftigten,  grofsen  Anhang. 
i\.uch  ihr  Ziel  ist,  die  Vollkommenheit  in  der  Nachfolge  Christi  zu  er- 
reichen. Gerhard  Groot  gehört  schon  den  Mystikern  zu,  wogegen 
Meister  Eckart  (t  1327),  den  man  wohl  auch  —  freilich  nicht  mit 
Recht  —  den  Vater  der  deutschen  Spekulation  genannt  hat,  noch  auf 
dem  Boden  der  Scholastik  steht.  Wiewohl  auf  den  Lehren  älterer 
Theologen  fufsend,  suchte  er  mit  kühner  Originalität,  das  Alte  in  neuem 
Geiste  umgestaltend,  das  Christentum  durch  transzendenten  Vernunft- 
gebrauch begreif  lieh  zu  machen.  Wäre  Gott,  lehrte  er,  imstande,  sich 
von  der  Wahrheit  abzuwenden,    ich  würde  Gott  verlassen  und  mich  an 


x)  Haupt,  Beginen  u.  Begarden,  RE.  517. 

2)  Genannt  nach  dem  Lütticher  Priester  Lambert  le  Beghe  (f  1187),  dessen  Auf- 
treten in  einzelnen  Zügen  eine  Verwandtschaft  mit  dem  des  Pierre  Waldes  und  Franz 
von  Assisi  hat- 


Die  deutsche  Mystik.  389 

die  Wahrheit  heften.  Ihm  folgten  Johannes  Tauler  in  Strafsburg 
(f  1361),  der  den  Pantheismus,  von  dem  Eckard  nicht  ganz  freizu- 
sprechen ist,  vermeidend,  in  seinen  ergreifenden  Predigten  an  die  Nach- 
folge Christi  mahnt,  dann  Heinrich  Seuse  (Suso)  aus  Überlingen, 
der  »Minnedichter  der  Gottesliebe«,  hierauf  der  Verfasser  der  »deutschen 
Theologie«,  eines  Buches,  das  noch  auf  Luther  tiefen  Eindruck  machte, 
endlich  Johannes  Rusbroeck  (f  1381)  »der  kontemplative  Mystiker« 
und  wie  Meister  Eckart  pantheistischer  Lehren  verdächtig.1)  Während 
die  beiden  ersten  des  Menschen  Seele  durch  strengste  Selbstzucht  von 
allem  Aufserlichen  abziehen,  bis  sie  selig  in  Gottes  Anschauung  mit  ihm  eins 
ist,  suchen  die  andern  den  Weg  zur  Gottheit  im  innigsten  Verkehr 
mit  dem  Jesukind,  dem  leidenden  Heiland  und  der  Gottesmutter.  Ihre 
Erbauungsschriften  schreiben  die  Mystiker  in  der  Sprache  des  Volkes, 
auch  greifen  Klosterfrauen,  wie  Margareta  Ebner,  zur  Feder,  um 
ihre  mystischen  Anschauungen  aufzuzeichnen.  Diese  ganze  Gruppe 
»gottesinniger«  Menschen  verabscheut  äufserliche  Werkheiligkeit,  ersetzt 
sie  durch  die  innigste  Anbetung  des  dreieinigen  Gottes  und  weist  statt  auf 
die  Legenden  auf  die  Bibel  hin,  die  nun  durch  sie  weiten  Kreisen  des 
Volkes  zugänglich  wird. 

4.  Die  Kirche  trat  diesen  Oppositionsgruppen  je  nach  ihrer  Be- 
deutung mit  geistlichen  und  weltlichen  Waffen  entgegen.  Von  den 
letzten  Päpsten  waren  Urban  V.  und  Gregor  XL  mit  gröfstem  Eifer  um 
die  Erhaltung  der  herrschenden  Kirchenlehren  besorgt.  Gregor  XL  er- 
liefs  die  schärfsten  Bullen  gegen  die  Ketzereien,  wo  sie  sich  fanden : 
gegen  ketzerische  Lehren,  die  in  Katalonien  verbreitet  wurden,  gegen 
die  Waldesier  in  Deutschland,  besonders  aber,  wo  sie  nun  kräftiger  auf- 
traten, im  nördlichen  Italien,  Savoyen,  im  Delphinat  und  in  Venaissin; 
er  kämpfte  gegen  jene  Mystiker  in  Böhmen,  die  als  Vorläufer  Hussens 
bekannt  sind,  sowie  gegen  einige  als  ketzerisch  bezeichnete  Sätze  des 
Sachsenspiegels,  die  Karl  IV.  auf  seinen  Wunsch  hin  von  einer  Kom- 
mission ausheben  und  verdammen  liefs.  Am  schärfsten  schritt  er  aber 
gegen  die  unter  Wiclifs  Führung  stehende  englische  Opposition  ein,  als 
diese  Miene  machte,  aus  dessen  Lehren  die  entsprechenden  Folge- 
rungen zu  ziehen  und  das  englische  Kirchengut  für  Zwecke  des  Staates 
einzuziehen. 

§  91.  Johann  von  Wiclif 2)  und  die  kirchliche  Opposition  in  England. 

Quellen:  Von  den  zahlreichen  Werken  Wiclifs  ist  noch  vieles  ungedruckt. 
Man  kannte  bis  ins  19.  Jahrhundert  den  Trialogus,  der,  zum  erstenmal  1527  in  Basel, 
dann  1753  zu  Leipzig  und  Frankfurt  gedruckt,  nun  in  der  Ausgabe  Gotthard  Lechlers 
unter    dem    Titel    Joannis    Wiclif   Trialogus    cum    supplemento   Trialogi  Oxoniae  1869 


x)  Über  den  Pantheismus  Eckarts  s.  Denifle,    ALKG.  II,  518  ff. 

2)  In  Deutschland  wird  nach  Lechlers  Vorgang  Wiclif,  in  England  neuestens  Wyclif 
geschrieben.  Letztere  Schreibung  hat  nach  Matthew  das  meiste  für  sich.  (Academy  1884, 
Juni  7.)  In  Böhmen  wurde  im  15.  Jahrh.  meist  Wiclef  geschrieben,  und  so  ist  diese 
Schreibweise  dort  auch  heute  noch  verbreitet.  Dafs  neben  Wyclif  auch  Wiclif  be- 
gründet ist,  s.  bei  Buddensieg  92. 


390  Johann  von  Wiclif 

vorliegt.  In  gewissem  Sinne  ist  der  Trialogus  Wielife  Hauptwerk,  da  er  im  wesentlichen 
eine  kurze  Zusammenfassung  seiner  grofsen  12  Bücher  umfassenden  Summa  Theologiae 
enthält.  Lechler  gab  übrigens  schon  1863  den  kleinen  Traktat  Ws. :  De  Officio  pastorali 
heraus.  Von  den  englischen  Schriften  erschien  zuerst  seine  Predigt  »Wicket«,  Nürn- 
berg 1546  (Oxford  1612,  dann  1828  in  4°  u.  8°),  hierauf  die  Objections  of  Freres,  ed. 
by  Thomas  James,  Oxford  1608  Two  short  treatises  against  the  Orders  of  the  begging 
Mars),  die  Übersetzung  des  NT. ;  New  Testament,  translated  out  of  the  Latin  Vulgata 
by  John  Wiclif,  about  1380,  ed.  by  John  Lewis  1731.  (Die  späteren  Ausg.  bei  Budden- 
sieg  in  der  Vorrede  zur  Ausgabe  des  Pol.  Werks,  p.  II.)  Drei  Traktate  wurden  1851 
durch  Todd  in  Dublin  herausgegeben:  Three  Treatises  by  John  Wyclyffe :  1.  Of  the 
Church  and  her  Merubers.  2.  Of  the  Apostasie  of  the  Church.  3.  Of  Antichrist  and 
his  Meynee.  Die  für  die  Kenntnis  der  reformatorischen  Gedanken  Ws.  wichtigeren 
Bücher  sind  die  lateinischen,  von  denen  man,  abgesehen  vom  Trialogus,  einzelne  nur 
aus  beiläufigen  Zitaten  seines  Gegners  Thomas  Netter  of  Waiden  kannte,  dessen 
Doctrinale  Antiquitatum  Fidei  Ecclesiae  catholicae  (um  1427  geschrieben  und  1572  zu 
Venedig  gedruckt)  für  die  Kenntnis  von  Ws.  Schriften  nicht  weniger  wichtig  war,  als 
die  demselben  Netter  of  Waiden  zugeschriebenen  Fasciculi  zizanniorum  magistri  Johannis 
Wiclif  cum  tritico,  ed.  by  Shirley.  Lond.  1858  in  Rer.  Brit.  SS.  med.  aevi  tom.  V  Einige 
kleinere  Schriften  sind  im  Pseudo-Knigton  u.  den  Werken  von  Lewis  u.  Vaughan  (s.  unten) 
abgedruckt.  Zu  übersehen  sind  nicht  die  Schriften  Stephans  von  Dolein,  des  mähri- 
schen Hauptgegners  Johannes  Hufs',  vornehmlich  der  Antiwiclif  (s.  Loserth,  Die 
lit.  Widersacher  des  Hufs  in  Mähren.  Z.  f.  G.  Mährens  u.  Schlesiens  I),  der  gleichfalls 
Zitate  aus  Ws.  Werken  enthielt.  Epochemachend  wurden  die  Arbeiten  Walter  Wad- 
dington Shirley  s,  mit  dem  die  neuere  Wiclif -Forschung  beginnt.  Er  stellte  einen 
Katalog  sämtlicher  Werke  Wiclifs  zusammen :  A  Catalogue  of  the  Original  Works  of 
John  Wiclif.  Oxford  1865.  Hier  zählt  er  nicht  weniger  als  96  lateinische  und  65  englische 
Werke  Wiclifs  mit  ihren  Fundorten  auf  und  gibt  Kunde  von  verlorenen  und  unter- 
schobenen Schriften  Wiclifs.  Jetzt  erst  war  ein  kritisches  Studium  derselben  möglich 
geworden.  Eine  Oxforder  Kommission  fafste  den  Entschlufs,  eine  Auswahl  lateinischer 
und  englischer  Schriften  Wiclifs  herauszugeben,  liefs  sich  hiebei  aber  mehr  von 
sprachlichen  und  kulturgeschichtlichen  als  von  khchenhistorischen  Beweggründen 
leiten.  So  kam  es,  dafs  die  englischen  Schriften  Ws.  zuerst  in  Angriff  genommen 
wurden.  Zuerst  erschienen  die  »Select  English  Works  of  John  Wyclif,  ed.  by  Thomas 
Arnold.  1869 — 71.  3  Bde.,  von  denen  1  u.  2  Predigten,  3  eine  Anzahl  exegetischer, 
didaktischer  u.  polemischer  Traktate  enthält.1)  Neun  Jahre  später  liefs  F.  Matthew,  der 
bedeutendste  Wiclif-Forscher  des  heutigen  England,  seine  Ausgabe  The  English  Works 
of  John  Wyclif,  hithero  unprinted,  London  1880,  erscheinen.  Hier  sind  nicht  weniger 
als  38  kleinere  Schriften  Wiclifs  enthalten.  Mehr  als  in  England  geschah  für  die 
Wiclif-Forschung  noch  vor  Shirley  in  Deutschland.  Zu  beachten  ist,  dafs  G.  Lechler 
seiner  Geschichte  Ws.  reiche  Auszüge  aus  dessen  Schriften  beibrachte.  Vereinzelt  liefs 
dann  R.  Buddensieg  eine  der  wichtigsten  Streitschriften  Ws.,  De  Christo  et  adversario  suo 
Antichristo,  Gotha  1880,  erscheinen.  Buddensieg  hatte  bereits  eine  vollständige  Ausgabe 
der  lat.  Streitschriften  Wiclifs  in  Angriff  genommen  und  beendet  (Leipzig  1883),  als 
die  Fünfhundert]  ahrfeier  Wiclifs  (1884)  den  Anlafs  zur  Gründung  einer  Wiclif  -  Society 
gab,  die  die  Aufgabe  übernahm,  sämtliche  bisher  ungedruckte  Schriften  Ws.  zu  publi- 
zieren. Bisher  sind  25  Werke  Ws.  publiziert  worden  :  1.  u.  2.  John  Wiclifs  Polemical 
Works  in  Latin,  London  1883 ;  enthalten  26  Traktate  gegen  die  Bettelorden  und  das 
Papsttum.  Unter  ihnen  wichtige  Flugschriften  wie  die  Cruciata  u.  a.  3.  De  Civili 
Dominio.  4  Bde.  1.  von  Reginald  Lane  Poole,  2. — 4.  von  Loserth  herausgeg.  London 
1885 — 1904  (3.  ist  im  Druck);  wichtig,  weil  am  Beginn  der  sog.  reform.  Periode  (1376/77) 
geschrieben.  4.  De  Compositione  hominis,  ed.  Beer.  Lond.  1884.  5.  Traktatus  De 
Ecclesia,  ed.  Loserth.  Lond.  1884.  Dies  ist  äufserer  Umstände  wegen  der  wichtigste 
Traktat  Ws.  Von  Hufs  exzerpiert,  ist  er  in  dieser  Gestalt  bisher  als  Hussens  geistiges 
Eigentum  bekannt  gewesen  und  bildete  die  Grundlage  zu  seiner  Verurteilung.) 
6.  Dialogus  sive  speculum  ecclesiae  militantis,  ed.  Pollard.   1886.    7.  Traetatus  de  Bene- 


*)  Über  eine  schon  1845  gedruckte  Predigt  s.  Buddensieg,  Pol.  Werke  of  W.  III. 


und  die  kirchliche  Opposition  in  England.  391 

dicta  Incarnatione,  ed.  Harris.  1886.  8. — 11.  Sermones  1—4,  ed.  Loserth.  1897 — 1890. 
Für  die  hussitische  Lehre  wichtig  Viele  der  Predigten  gingen  in  Böhmen  unter  dem 
Namen  des  Hufs,  und  diese  sind  die  aufregendsten.  12.  De  Officio  regis,  ed.  Pollard 
et  Sayle.  1887.  13.  De  Apostasia,  ed.  Dziewicki.  1889.  De  Dominio  Divino,  ed.  R.  L. 
Poole.  1890.  Beigegeben  ist  Fitz-Ralph:  De  Pauperie  Salvatoris.  Man  entnimmt,  wie 
W.  von  F.-R.  beeinflufst  war.  15.  Quaestiones.  De  Ente  Praedicamentali,  ed.  Beer.  1891. 
16.  De  Eucharistia  Tractatus  rnaior,  ed.  Loserth.  1893.  Von  besonderer  Wichtigkeit. 
Er  enthält  die  Abendmahlslehre  der  Taboriten  (mit  Ausnahme  des  Kelches).  17.  De 
Blasphemia,  ed.  Dziewicki.  1894.  18.— 20.  Logica,  ed.  Dziewicki.  1895—99.  21.-24.  Opus 
Evangelicum  (Teil  3  u.  4  führen  auch  den  Sondertitel :  De  Antichristo).  London  1898. 
25.  De  Sirnonia,  ed.  Herzberg-Fränkel  et  Dziewicki.  1898.  Demnächst  werden  erscheinen 
De  Veritate  Sacrae  Scripture,  ed.  Buddensieg  u.  de  Potestate  Papae,  ed.  Loserth.  Der 
letztgenannte  Traktat  ist  von  Hufs  für  De  Ecclesia  gleichfalls  oft  wörtlich  ausgenützt. 
Noch  ungedruckte  Werke  s.  in  dem  Katalog  Shirleys.  Über  einige  verlorene  Flug- 
schriften Ws.  s.  Loserth,  HZ.  75,  S.  475.  —  Das  urk.  Material  bei  Rymer,  Foedera, 
Raynald  Annales,  Wilkins,  Concil.  Magnae  Brit.  vol.  HI.  Die  vatikanischen  Register 
—  soweit  sie  durchforscht  sind  —  bringen  Ws.  Namen  erst  in  seiner  Verbindung  mit 
Hus,  ein  Beweis,  dafs  man  während  der  Wirren  des  Schismas  seiner  Sache  nicht  die 
zu  erwartende  Aufmerksamkeit  geschenkt  hat.  Zwei  Urkunden  f.  W.  teilt  Twemlow 
mit:  Wycliffe's  Preferments  and  university  degrees  in  EHR.  XV,  529.  Acts  and 
Monuments  by  John  Foxe  II.  Urk. -Material  aus  dem  vatikanischen  Archiv  über  englische 
Verhältnisse  jener  Zeit  in  Loserth,  Stud.  zur  englischen  Kirchenpolitik  Wien.  SB.  136. 
Litterae  Cantuarienses.  Rolls  Ser.  85.  DieHist.  Eccl.  Anglic.  von  Harpesfield  wie  oben.  Ein 
von  Wiclif  selbst  für  seine  hist.  Studien  benutztes  Werk  ist  das  Polychronicon  Ranulphi 
Higden,  ed.  by  C.  Babington  and  Lumby.  vol.  1 — 9.  1865 — 86.  in  den  Rolls  Series.  Der 
letzte  Teil  enthält  schon  einige  Angaben  über  Wiclif  selbst.  Auf  Wiclif  feindlichem  Stand- 
punkt, aber  wegen  der  Bannbullen  wichtig  ist  Th.  Walsingham,  Hist.  Anglic.  2.  voll.,  ed.  Riley . 
London  1862/66.  Die  Gesta  monast.  St.  Albani  s.  §  78.  Chronicon  Angliae  1328 — 1388  auctore 
Monacho  St.  Albani,  ed.  Thompson.  London  1874.  Rolls  Ser.  64.  Gesta  abbatum  monasterii 
St.  Albani,  ib.  28.  Ypodigma  Neustriae,  ib.  Vn.  Eulogium  Historiarum,  ed.  Haydon,  ib.  1863. 
Henri ci  Knighton,  Chron.  ed.  by  Lumby,  ib.  London  1889 — 1895.  Einzelnes  zur  Gesch. 
Wiclifs  u.  der  Lollarden  in  Capgrave,  The  Chronicle  of  England.     Rolls  Series  1858. 

Hilfsschriften:  Von  älteren  sind  wegen  der  darin  enthaltenen  urkundlichen 
Materialien  noch  unentbehrlich  :  Lewis,  The  History  of  the  Life  and  Sufferings  of 
the  Reverend  and  Learned  John  Wicliffe.  DD.  London  1720.  Lowth,  The  Life  of 
William  of  Wykeham,  Bishop  of  Winchester.  2  ed.  London  1759.  Vaughan,  The 
life  and  opinion  of  John  de  Wicliffe.  2  ed.  London  1831.  Hauptwerk:  G.  Lechler, 
Johann  v.  Wiclif  u.  die  Vorgeschichte  der  Reform.  2  Bde.  Leipzig  1873.  Der  zweite 
Band  enthält  eine  vollst.  Gesch.  des  Hussitismus.  Dasselbe  in  engl.  Übersetzung : 
John  Wycliffe  and  his  English  Precursors  by  Lechler,  transl.  by  Lorimer,  a  new  ed. 
revised.  London  1884.  Eine  Reihe  biogr.  Schriften  erschien  anläfslich  der  Fünfhundert- 
jahrfeier. Die  bedeutendste  ist:  Buddensieg,  Joh.  Wiclif  u.  seine  Zeit.  Gotha  1885. 
M.  Burrows,  Wiclifs  Place  in  History.  Lond.  1881.  Pennington,  J.  Wiclif,  Life, 
Times  and Teaching.  Lond.  1884.  Buddensieg,  John  Wiclif,  Patriot  and  Reformer.  1884. 
Sergeant,  John  Wyclif,  last  of  the  schoolmen  and  first  of  the  Engl.  Reformers.  1893. 
Stevenson,  The  truth  about  John  Wiclif.  1885.  Vattier,  J.  Wycliffe,  sa  vie,  ses 
oeuvres,  sa  doctrine.  1886.  Pauli,  Gesch.  Engl.  IV.  Gotha  1855.  Pauli,  Aufsätze 
zur  engl.  Gesch.  1870.  Green,  Gesch.  d.  engl.  Volkes  I.  Einzelne  Partien  seiner 
Gesch.  behandeln:  Loserth,  Über  Ws.  erstes  Auftreten  als  Kirchenpolitiker  (Fest- 
schrift v.  Krones.  1885).  Loserth,  The  beginnings  of  Wyclifs  activity  in  ecclesiastisal 
politic.  EHR.  1896.  Loserth,  Stud.  z.  engl.  Kirchenpol.  wie  oben.  Über  den  Beginn 
des  Angriffs  Ws.  auf  die  Abendmahlslehre  handelt  Matthew  in  EHR.  1890.  April. 
Matthew,  The  Autorship  of  the  Wycliffite  Bible.  EHR.  1895.  Wiegand,  De 
Ecclesiae  notione  quid  Wiclif  docuerit.  Lipsiae  1891.  Delplace,  Wycliffe  and  his 
teaching  concerning  the  primacy.  The  Dublin  Rev.  1884.  F  ü  r  s  t  e  n  a  u  ,  J.  v.  Ws.  Lehren 
von  der  Einteilung  der  Kirche  und  der  Stellung  der  weltlichen  Gewalt.  Berl.  1900. 
Höfler,  Anna   v.   Luxemburg,    Denkschriften    d.  W.  Ak.    1870.     Heine,  Ws.  Lehre 


392  Die  Anfänge  Wielife. 

vom  Güterbesitz  1903.  Den  Wiclifismus  in  seinem  Einflufs  auf  Böhmen  behandelt : 
Loserth,  Hus  u.  Wiclif.  Prag  1884.  In  engl.  Übersetzung :  Wiclif  and  Hus.  Lond.  1884. 
Loserth,  Über  die  Beziehungen  zw.  engl.  u.  böhm.  Wiclifiten.  MJÖG.  XII.  Poole, 
On  the  intercourse  between  Engl,  and  Bohemian  Wiclif  fites.  EHR.  1892.  Loserth, 
Die  lat.  Predigten  Ws.  und  ihre  Ausnützung  durch  Hus.  ZKG.  IX.  Loserth,  Die 
Wiclifsche  Abendmahlslehre  und  ihre  Aufnahme  in  Böhmen.  MVGDB.  XXX. 
Förster,  W.  als  Bibelübersetzer.  ZKG.  XII.  Ward,  Wyclif  and  the  beginning  of 
the  Reformation.  London  1888.  Loserth,  Neuere  Ersch.  d.  Wiclif -Lit.  HZ.  LHI. 
Trevelyan,  s.  §  123.  Die  gesamte  Lit.  über  die  Lollarden  s.  RE.  XI,  615 — 626 
(Buddensieg).  Von  sonstigen  Werken  sind  trotz  ihres  in  vielen  Stücken  veralteten 
Standpunktes  immer  noch  Jäger,  Neander  u.  Böhringer  (s.  oben)  zu  nennen. 

1.  Johann  von  Wiclif  entstammte  einem  im  nordwestlichen  York- 
shire  angesessenen  angelsächsischen  Adelsgeschlechte.  Der  Sitz  der 
Familie,  die  in  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  ausstarb1),  war 
Wycliffe.  Dort  oder  in  dem  heute  verschwundenen  Weiler  Spreswell 
wurde  Wiclif  zwischen  1320 — 1330  geboren.2)  1344  kam  er  nach  Oxford, 
das  durch  Männer  wie  Roger  Bacon,  Robert  Grosseteste,  Thomas  Brad- 
wardine,  Wilhelm  Occam,  Richard  Fitzralph  u.  a.  berühmt  geworden 
war.  Aus  den  Schriften  Occams  zog  Wiclif  reiche  Belehrung.3)  An 
der  Universität  gab  es  scharfe  politische  und  wissenschaftliche  Reibungen. 
Die  aus  dem  Norden  Englands  stammenden  »Borealen«  folgten  anti- 
päpstlichen Traditionen,  die  Südländer  hielten  sich  an  das  kuriale  System. 
Nicht  minder  heftig  war  der  Widerstreit  zwischen  den  Nominalisten  und 
Realisten.  Unter  diesen  Kämpfen  ging  Wiclifs  Studienzeit  hin.  Lebhaft 
war  sein  Interesse  für  die  Naturwissenschaften  und  Mathematik.4)  Von 
den  Zeitgenossen  haben  auch  seine  Gegner  ihn  als  bedeutenden  Dia- 
lektiker anerkannt.  Am  eifrigsten  wandte  er  sich  der  Theologie  und 
dem  kanonischen  Rechte  zu.  Seine  Schriften  erweisen  ihn  als  trefflichen 
Kenner  des  römischen  und  heimischen  Rechtes  und  der  älteren  eng- 
lischen Geschichte.  Mitglied  des  Balliol-Kollegiums,  wurde  er  1360  dessen 
Vorstand.  Schon  hatte  er  sich  durch  seine  logischen  Untersuchungen 
einen  klangvollen  Namen  gemacht.  Mit  der  Universität  blieb  er  auch 
dann  noch  in  Verbindung,  als  er  (1361)  eine  Pfarrstelle  in  Lincolnshire 
erhielt;  1365  wurde  er  Vorstand  der  Canterbury-Hall  in  Oxford,  an  der 
junge  Männer  für  ihr  kirchliches  Amt  vorgebildet  wurden.  Die  Stelle 
wurde  ihm  zwei  Jahre  später  genommen  und  die  Leitung  der  Halle 
Mönchen  anvertraut,  was  gegen  die  Absichten  des  Gründers  dieser  Halle 
verstiefs,  der  ihre  Leitung  in  den  Händen  von  Weltgeistlichen  wissen 
wollte. 5)  Wiclif  appellierte  nach  Rom,  aber  ohne  Erfolg. 6)  Zwischen 
1366  und  1372  wurde  er  Doktor  der  Theologie ;  1368  erhielt  er  die  Rektorei 
in  Ludgershall   und   sechs  Jahre   später   die    Kronpfarre  Lutterworth 


*)  Die  Familie  war  streng  katholisch. 

8)  Matthew  entscheidet  sich  für  1324,  Lechler  für  1320,  Buddensieg  für  1330. 

3)  S.  hierüber   meinen  Exkurs  Wiclif   u.  Occam.    Wiener  SB.  CXXXVI,  111. 

4)  Quanto  fui   iunior,   collegi  proprietates   lucis   et   alias   veritates  mathematicas. 
Gern  zitiert  er  den  Thüringer  Witelo,  einen  Physiker  des  13.  Jahrh. 

5)  De  Ecclesia,  S.  371. 

6)  Doch  ist  der  schwere  Kampf,    den    er   später   mit   den  Bettelmönchen    durch- 
focht, nicht  auf  diesen  Umstand  zurückzuführen. 


Sein  Auftreten  als  Kirchenpolitiker.  393 

in  Leicestershire.  Daneben  besafs  er  eine  Pfründe  an  der  Kollegiatkirche 
in  Westbury,  die  er  aber  wieder  aufgab,  um  nicht  gegen  seine  Über- 
zeugung eine  Pfründe  zu  besitzen,  ohne  die  Seelsorge  auszuüben.  Die 
vornehmste  Stätte  seiner  Wirksamkeit  war  Oxford,  wo  er  seine  ersten 
Werke  schrieb  und  wo  er  jene  zündenden  Predigten  hielt,  deren  Wirkung 
später  in  Böhmen,  wo  sie  als  solche  des  Hufs  galten,  zutage  trat.  Der 
Beginn  seiner  reformatorischen  Tätigkeit  hängt  nicht  —  wie  man  meint  — 
mit  der  von  Urban  V.  gestellten  Forderung  des  Lehenszinses  zusammen, 
sondern  ist  erst  zehn  Jahre  später  anzusetzen1);  gleichwohl  hat  er  die 
Grundsätze,  die  im  Parlament  der  Kurie  gegenüber  laut  wurden,  zu 
seinen  eigenen  gemacht,  als  unter  dem  Druck  des  opferreichen  Krieges 
das  Mifstrauen  gegen  das  »französische«  Papsttum  allgemein  war, 
als  die  Gemeinen  die  Entfernung  der  Geistlichen  aus  den  obersten 
Staatsämtern  durchsetzten  und  Stimmen  laut  wurden,  die  auf  eine 
Säkularisierung  des  englischen  Kirchengutes  abzielten.  Der  päpstliche 
Kollektor  Arnold  Garnier,  der  1372  in  England  erschien,  um  die  päpst- 
lichen Gefälle  einzuheben,  wurde  erst  zugelassen,  nachdem  er  einen  Eid 
geschworen,  nichts  Feindseliges  wider  den  König  zu  unternehmen.  Die 
päpstlichen  Schreiben  mufsten  vor  ihrer  Veröffentlichung  dem  geheimen 
Rate  vorgelegt  werden.  Unter  solchen  Umständen  lag  der  Kurie  alles 
an  der  Herstellung  des  Friedens,  und  an  dem  Kongrefs,  der  im  Sommer 
1374  in  Brügge  tagte,  nahm  auch  Wiclif  als  Mitglied  einer  Kommission 
von  Rechtskundigen  und  Theologen  Anteil,  die  dem  Herzog  Johann 
von  Lancaster,  dem  Führer  der  englischen  Abordnung,  beigegeben  waren. 
Damals  trat  Wiclif  dem  Herzog,  seinem  späteren  Gönner,  nahe.  Die 
Verhandlungen    zogen  sich  in  die  Länge,  ohne  zum  Frieden  zu  führen. 

2.  Der  Mifserfolg  der  Regierung  brachte  das  ganze  Land  in  Er- 
regung. Auf  dem  »guten«  Parlament  (1376,  28.  April)  wurden  alle 
Forderungen  abgelehnt,  falls  nicht  die  Mifsbräuche  in  der  Verwaltung 
abgeschafft  würden.  Führer  der  Opposition  —  und  zu  ihr  hielt  aus 
Eifersucht  auf  Johann  von  Lancaster  auch  der  schwarze  Prinz  —  war 
Peter  de  la  Mare,  der  erste  grofse  Parlamentsredner  Englands.  Die 
Minister  Latimer  und  Lyons  wurden  angeklagt  und  verurteilt  und  des 
altersschwachen  Königs  Maitresse  Alice  Perrers  vom  Hofe  entfernt.  In 
diesen  kummervollen  Augenblicken  starb  der  schwarze  Prinz.  Die  Oppo- 
sition setzte  gegen  Lancasters  Wünsche  und  Hoffnungen  die  Anerkennung- 
Richards  von  Bordeaux,  des  Sohnes  des  schwarzen  Prinzen,  als  Erben 
des  Reiches  durch.  Inzwischen  wurden  die  Beschwerden  gegen  die 
bisherige  Verwaltung  zusammengestellt;  viel  schlimmer  als  die  Beziehungen 
zu  Frankreich  wurde  die  kirchenpolitische  Lage  des  Landes  beurteilt. 
In  der  langen  —  140  Titel  zählenden  —  Bill  klangen  die  gegen  die 
Übergriffe  der  Kurie  gerichteten  Sätze  am  schärfsten :  da  sollten  alle 
Reservationen   und  Provisionen   beseitigt,    die   Ausfuhr   des  Geldes    ver- 


:)  Der  grofse  Irrtum  aller  älteren  und  neueren  Wiclif-Forscher  hatte  darin  seinen 
Grund,  weil  man  die  Abfassungszeit  des  von  Lewis  S.  363  mitgeteilten  Traktates  auf 
ein  Jahrzehnt  zu  früh  angesetzt  hat. 


394  Wiclif  als  Reformator.     Das  gute  Parlament. 

boten,  die  fremden  Kollektoren  aus  dem  Lande  entfernt  werden.  Der 
König  gab  auf  solcbe  Forderungen  eine  ausweichende  Antwort.  Das 
gute  Parlament  war  kaum  entlassen,  als  Lancaster  seinen  alten  Einflufs 
wieder  erhielt.  Alice  Perrers  kehrte  an  den  Hof  zurück,  und  eine  völlige 
Reaktion  erfolgte.  Das  nächste  Parlament  bestand  zumeist  aus  Kreaturen 
Lancasters.  Die  Beschlüsse  des  guten  Parlaments  wurden  aufgehoben, 
starke  Geldforderungen  gestellt  und  bewilligt.  Die  Lage  des  Klerus 
war  eine  schwierige:  eben  jetzt  gingen  die  schärfsten  Angriffe  auf  ihn 
und  zwar  von  einer  Seite  nieder,  von  der  sie  nicht  erwartet  wurden. 
Jetzt  erst  tritt  Wiclif  bedeutender  auf.  Unter  Lancasters  starkem  Schutz 
genügte  ihm  seine  Lehrkanzel  nicht  mehr,  um  seine  Lehren  zu  verkünden. 
Er  hatte  seit  seiner  Heimkehr  von  Brügge  begonnen,  seine  Ideen  über 
Kirche  und  Staat  in  einer  Reihe  von  Werken  niederzulegen.  Schon  in 
seinen  Schriften  »von  der  göttlichen  Herrschaft«  und  »von  den  zehn 
Geboten«  tritt  er  gegen  jede  weltliche  Herrschaft  der  Kirche  auf.  In 
weltlichen  Dingen  steht  der  König  höher  als  der  Papst ;  das  Einsammeln 
der  Annaten  und  Ablafsgelder  sei  Simonie.  Erst  mit  seinem  grofsen 
Werke  »von  der  bürgerlichen  Herrschaft«  griff  er  in  die  Politik  des 
Tages  ein.  Hier  finden  sich  als  Niederschlag  jener  Ideen,  von  denen 
das  gute  Parlament  beherrscht  war,  Lehren,  die  der  Kirche  jede  welt- 
liche Herrschaft  absprechen.  Von  seinen  Sätzen  scheinen  manche  förm- 
lich der  langen  Bill  des  guten  Parlaments  entnommen  zu  sein. 

Da  finden  sich  die  heftigsten  Klagen  gegen  die  Bedrückung  der  englischen 
Kirche  durch  die  Kurie,  über  die  früher  ungewohnten  Provisionen,  Exernptionen, 
Appellationen,  die  Besetzung  der  Bistümer  mit  untauglichen  Personen.  Der  Priester 
darf  nicht  Herr,  sondern  mufs  Diener  seiner  Herde  sein.  Das  weltliche  Regiment 
kommt  weltlichen  Herrschern  zu.  Die  Regierung  mufs  in  "Ühereinstimmung  mit  >  Gottes 
Gesetze,  d.  h.  der  Bibel,  erfolgen,  daher  mufs  sie  der  Herrscher  kennen.  Am  besten 
wäre  es,  würde  die  Welt  nach  ihr  regiert.  Ist  schon  die  Herrschaft  der  Könige  oft 
schlecht,  am  schlimmsten  ist  die  der  Priester.  Diese  dürfen  sich  nicht  auflehnen, 
wenn  Laien  ihre  politischen  Rechte  ausüben.  Die  Frage  der  Einziehung  des  Kirchen- 
gutes  wird  breit  erörtert :  "Wenn  weltliches  Gut  den  Klerus  an  der  Erfüllung  seiner 
Pflichten  verhindert,  mufs  es  ihm  genommen  werden ;  tut  es  der  König  nicht,  so  übt 
er  Verrat  an  Gott.  In  diesem  Werke  finden  sich  achtzehn  scharf  markierte  Thesen, 
die  ihre  Spitze  insgesamt  gegen  das  herrschende  Kirchenregiment  und  den  weltlichen 
Besitz  der  Kirche  richten.  Er  hat  sie  im  Herbst  und  Winter  1376  vor  seinen  Schülern 
in  Oxford  verteidigt.  Da  heifst  es,  die  Kirche  mufs  arm  sein  wie  in  den  Tagen  der 
Apostel,  der  grofse  Besitz  bringt  ihr  kein  Heil ;  am  besten  wäre  es,  wenn  der  Staat 
die  Fürsorge  für  die  Geistlichkeit  übernimmt. 

3.  Wiclif s  Lehren  gewannen  bei  den  Lords  und  im  Volke  rasch 
Boden.  In  verschiedenen  Kirchen  Londons  trat  er  als  gefeierter  Kanzel- 
redner auf.  Die  ersten,  die  sich  gegen  seine  Thesen  erhoben,  waren 
die  besitzenden  Orden.  Auf  ihre  Klage  hin  erteilte  der  Papst  der  Uni- 
versität zu  Oxford  und  dem  Episkopat  den  Tadel,  gegen  Wiclif  nicht 
eingeschritten  zu  sein.  Dieser  wurde  auf  den  19.  Februar  1377  nach 
St.  Paul  vorgeladen.  Als  er  dort  erschien,  begleiteten  ihn  vier  Bettel- 
mönche. Als  Lancaster,  der  ihm  diese  als  Verteidiger  beigegeben,  sich 
selbst  in  die  Sache  mischte,  entstand  ein  Tumult,  und  die  Versammlung 
ging  resultatlos  auseinander.    Der  Bischof  von  London  brachte  die  Sache 


Der  Tod  Eduards  III.  u.  Gregors  XI.     Wiclifs  letzte  Phase.  395 

Wiclifs,  der  immer  schärfer  für  die  Einziehung  des  Kirchengutes  eintrat, 
an  die  Kurie.  Wiclif  wurde  vor  das  päpstliche  Tribunal  zitiert  und  aus 
seinen  Sätzen  19  als  anstöfsig  bezeichnet,  darunter  solche,  die  das  Privat- 
eigentum überhaupt  in  Frage  stellten.  Er  sollte  sonach  auch  als  Revo- 
lutionär in  politischen  Dingen  erscheinen.  Die  Lage  Englands  war  aber 
eine  solche,  dafs  Wiclifs  Gegner  gelähmt  waren:  Am  21.  Juni  1377 
starb  Eduard  III.,  dessen  ruhmloses  Ende  einen  traurigen  Kontrast  zu 
den  glänzenden  Tagen  von  Crecy  und  Maupertuis  bildet.  Von  dem 
festländischen  Länderbesitz  war  fast  alles  verloren  und  die  wirtschaftliche 
Lage  des  Landes  in  starkem  Gegensatz  zu  jener  in  den  ersten  Jahr- 
zehnten seiner  Regierung.  Sein  Nachfolger  Richard  IL  stand  unter 
Lancasters  Einflufs,  und  dieser  war  Wiclifs  Gönner.  So  kam  es,  dafs 
die  Bullen  gegen  Wiclif,  wiewohl  vom  22.  Mai  datiert,  erst  am  18.  De- 
zember zur  öffentlichen  Kenntnis  gelangten.  Im  Parlament,  das  sich 
im  Oktober  versammelte,  kam  es  auch  diesmal  zu  scharfen  Kundgebungen 
gegen  die  Kurie.  Unter  den  Gutachten,  die  AViclif  damals  auf  die 
Weisung  der  Regierung  für  das  Parlament  ausarbeitete,  spricht  sich  eines 
mit  aller  Entschiedenheit  gegen  die  Aussaugung  Englands  durch  die 
Kurie  aus.  Die  wirtschaftlichen  Schäden  dieses  Systems  für  England 
und  für  dessen  Landesverteidigung  werden  herausgehoben.1)  Diese 
Sprache  schien  dem  König  und  dem  Rate  zu  scharf.  Nach  der  Ver- 
tagung des  Parlaments  wurde  Wiclif  in  Gemäfsheit  der  päpstlichen 
Aufträge  zur  Verantwortung  gezogen.  Im  März  1378  erschien  er  im 
erzbischöflichen  Palast  zu  Lambeth,  um  sich  zu  verteidigen.  Ehe  noch 
die  Untersuchung  beendet  war,  versuchte  eine  lärmende  Volksmenge, 
ihn  mit  Gewalt  zu  befreien.  Nur  um  den  Schein  zu  wahren,  wurde 
ihm  untersagt,  über  die  strittigen  Lehrsätze  zu  sprechen.  Gegen  die 
Weisungen  Roms  auf  freiem  Fufse  belassen,  stellte  er  nun  seine  Ansichten 
in  33  Sätzen  zusammen  und  sandte  sie  dahin.  Die  Volksmassen,  ein 
Teil  der  Grofsen,  sein  alter  Gönner  Lancaster  standen  auf  seiner  Seite. 
Ehe  von  Rom  aus  noch  eine  Antwort  eintreffen  konnte,  starb  Gregor  XL 

4.  Mit  dem  grofsen  Schisma  beginnt  die  letzte  und  wichtigste  Phase 
in  der  Wirksamkeit  Wiclifs.  Unbehindert  durch  die  kirchlichen  Behörden, 
wandte  er  sich  predigend  und  lehrend  an  das  Volk :  in  gelehrten  Büchern, 
in  lateinischen  und  englischen  Flugschriften,  nicht  zuletzt  durch  seine 
Bibelübersetzung  und  seine  Predigten,  und  entfaltete  eine  literarische 
Tätigkeit,  die  ihrem  Umfange  nach  kaum  von  einem  zweiten  Schrift- 
steller des  späteren  Mittelalters  übertroffen  wurde.  Hatte  er  bisher  Be- 
denken, den  päpstlichen  Primat  anzugreifen,  so  läfst  er  nun  alle  Schranken 
fallen.  Dem  Angriff  der  Hierarchie,  oder  wie  man  sagte,  der  Kirche, 
ausgesetzt,  lehrte  er  nunmehr:  Die  Hierarchie  ist  nicht  die  Kirche. 
Den  Unterschied  zwischen  dem,  was  Kirche  ist  und  was  die  grofse 
Menge  unter  Kirche  versteht,  darzulegen,  ist  der  Zweck  seines  grofsen 
Buches  »von  der  Kirche«. 


*)  Fase,  zizanniorum,  258. 


396  Wiclifs  Lehre  von  der  Kirche. 

»Es  gibt  nur  eine  allgemeine  Kirche  und  aufser  ihr  kein  Heil.  Haupt  dieser 
Kirche  ist  Christus.  Kein  Papst  darf  sich  anrnafsen,  Haupt  der  Kirche  zu  sein.  Er 
weifs  ja  nicht  einmal,  ob  er  zur  Seligkeit  prädestiniert,  also  ein  Mitglied  der 
Kirche  sei,  denn  nur  die  von  Ewigkeit  her  zur  Seligkeit  Bestimmten  gehören  ihr  an. 
Niemand  brauche,  um  selig  zu  werden,  dem  Papste  gehorchen.  Schon  in  der  Zeit, 
da  man  vom  Papsttum  nichts  gewufst,  habe  es  heiligmäfsige  Männer  gegeben.  Man 
dürfe  den  Papst  nicht  als  Haupt  der  allgemeinen,  sondern  höchstens  der  streitenden 
Kirche  auf  Erden  ansehen,  aber  auch  nur  dann,  wenn  seine  Handlungen  den  Glauben 
erwecken,  dafs  er  es  sei  Dem  Christen  genügt  zum  Seelenheil  der  vollendete  Glaube. 
Bei  päpstlichen  Anordnungen  mufs  untersucht  werden,  ob  sie  schriftgemäfs  seien,  und 
dies  ist  der  Grund,  weshalb  jeder  Christ  die  hl.  Schrift  kennen  müsse.  Des  Menschen 
Heil  beruht  auf  der  Gnade  Gottes  in  der  Vorherbestimmung,  nicht  auf  der  Verbindung 
mit  der  amtlichen  Kirche  und  der  Vermittlung  der  Hierarchie.»  In  diesem  Kirchen- 
begriff Wiclifs  liegt  somit  die  Anerkennung  des  freien  und  unmittelbaren  Zuganges 
der  Gläubigen  zur  Gnade  Gottes,  >des  allgemeinen  Priestertums  der  Gläubigen«.  *)  Der 
Anspruch  des  Klerus  auf  irdische  Herrschaft  wird  auch  hier  verworfen,  dagegen  die 
Zivilgewalt  des  Königtums  über  ihn  nachdrücklich  betont:  »Der  König  ist  nicht  mehr 
Herr  von  England,  wenn  mehr  als  der  vierte  Teil  des  Landes  der  Toten  Hand  zugehört 
und  seiner  Macht  entzogen  ist.  Privilegien  und  irdische  Güter  sind  dem  Klerus  be- 
dingungsweise gegeben.  Erfüllt  er  die  Bedingungen  nicht,  so  verfällt  er  der  Strafe 
der  Gütereinziehung  Auch  die  weltliche  Herrschaft  der  römischen  Kirche  ist  aus  der 
Bibel  nicht  zu  erweisen  und  weder  die  Notwendigkeit,  dafs  der  Kaiser  aus  päpstlichen 
Händen  die  Krone  empfange,  noch  der  Anspruch  der  Päpste  auf  Weltherrschaft  in  ihr 
begründet.  Sowohl  die  weltliche  als  die  geistliche  Gewalt  rührt  unmittelbar  von  Gott 
her,  ohne  dafs  die  eine  die  andere  einsetzte  oder  autorisierte. 8)  In  einer  Flugschrift 
aus  derselben  Zeit,  weist  Wiclif  noch  insbesondere  die  Unabhängigkeit  Englands  in 
weltlichen  Dingen  vom  Papste  nach.  In  dem  Buch  »von  der  Gewalt  des  Papstes«8) 
wird  selbst  die  geistliche  Machtfülle  der  Priester  sehr  eingeschränkt.  Petrus  hatte 
wohl  einen  gewissen  Vorrang  vor  den  andern  Aposteln  und  ihn  verdient  durch  seinen 
Glauben,  seine  Demut  und  Liebe.  Er  wurde  Christi  Stellvertreter,  weil  er  in  Leben 
und  Lehre  ihm  folgte,  und  so  kann  niemand  sein  Nachfolger  sein,  der  Christo  nicht 
nachfolgt.  Keine  menschliche  Wahl  gilt,  wenn  sie  der  Gottes  nicht  entspricht.  Von 
der  Art  der  Wahl  ist  die  durch  das  Los  die  sicherste.  Alle  Wahlgesetze  sind  über- 
flüssig. Des  Petrus  Vorrang  bezog  sich  übrigens  auf  keine  allgemeine  Jurisdiktion 
über  die  streitende  Kirche  oder  die  andern  Apostel.  Paulus  konnte  den  Petrus  »in 
seiner  eigenen  Pfarre  tadeln«.  Will  der  Papst  —  schon  dieser  Name  gefällt  Wiclif 
nicht  —  Christi  Stellvertreter  sein,  so  mufs  er  in  Armut  leben.  Wäre  das  anders,  so 
hätte  schon  Christus  die  Kirche  dotiert.  Vor  der  Dotation  der  Kirche  waren  die 
Kaiser  die  obersten  Priester.  Die  Bischöfe  lebten  arm  und  entbehrten  —  wie  ironisch 
beigefügt  wird  —  jener  Vollendung,  die  jetzt  die  Kirche  durch  ihren  Reichtum  besitzt. 
Wiclif  leugnet  die  universelle  Macht  des  Papstes  in  der  Kirche.  Einst  wurde  sie 
regiert  durch  den  gemeinsamen  Rat  der  Priester :  dieser  war  es,  der  auch  Petrus  aus- 
gesandt hat.  Sein  Primat  bestand  in  keiner  äufseren  Herrschaft,  sondern  in  der  gröfseren 
Demut.  Ein  gröfseres  Regiment  als  Petrus  hat  Paulus  besessen.  Da  sich  Wiclif  bei 
seinen  Ausführungen  auf  die  Bibel  beruft,    spricht  er  von  ihr  als  der  alleinigen  Norm 


J)  Daher  fallen  die  Unterschiede  zwischen  Klerus  u.  Laien  und  kann  auch  ein 
Laie  das  Abendmahl  spenden.  Gleichwohl  drückt  sich  W.  hierüber  noch  sehr  vor- 
sichtig aus.  Die  Konsequenzen  daraus  haben  erst  seine  eigentlichen  Schüler  —  die 
Taboriten  —  gezogen. 

2)  In  allen  gröfseren  Werken  Wiclifs  aus  seinen  letzten  sechs  Lebensjahren 
finden  sich  diese  Erörterungen.  Es  kann  daher  von  einer  besonderen  Inhaltsangabe 
aller  dieser  Werke  abgesehen  werden,  und  nur  jene  dürfen  in  die  Darstellung  ein- 
bezogen werden,  die  später  auf  die  Entwicklung  der  hussitischen  Lehre  bedeutungsvoll 
wurden :  das  sind  aufser  De  Ecclesia  und  De  Potestate  Pape  vornehmlich  seine  Abend- 
mahlslehre und  seine  Predigten. 

3)  Noch  ungedruckt,  Daher  sind  die  Auszüge  oben  etwas  ausführlicher. 


Christ  und  Antichrist.     Das  Schriftprinzip.     Die  Bibelübersetzung.  397 

des  Glaubens.  Die  Gesetze  des  Papstes  ihr  gleichzustellen,  sei  eine  Anmafsung  ohne- 
gleichen. Schon  hier,  schärfer  noch  in  den  späteren  Streitschriften,  betont  er  den 
Gegensatz  zwischen  dem  Leben  Christi  und  der  heutigen  Päpste :  Jener  ist  die  Wahr- 
heit, dieser  die  Lüge,  jener  arm,  dieser  reich  usw.  Da  der  Papst  sonach  in  allem 
Christo  zuwider  ist,  ist  er  in  Wahrheit  ein  Antichrist.  Von  allen  Reformatoren  vor 
Luther  hat  Wiclif  das  Schriftprinzip  am  stärksten  betont,  und  je  mehr  sich  der  Streit 
mit  seinen  Gegnern  verdichtete,  um  so  mehr  zog  er  sich  auf  dies  erste  Fundament  aller 
christlichen  Lehrmeinung  zurück.  Ihm  dieses  Fundament  unter  den  Füfsen  hinweg- 
zuziehen, war  die  wenig  dankenswerte  Arbeit  seiner  Gegner,  und  um  deren  Argumente, 
dafs  sie  z.  B.  auch  Falsches  enthalte,  zu  widerlegen,  schrieb  er  sein  Buch  >von  der 
Wahrheit  der  hl.  Schrift<  ').     Diese  reiche  zur  Regierung  der  Kirche    vollkommen  aus. 

In  den  folgenden  Schriften  Wiclifs  tritt  eine  sich  stetig  steigernde 
Feindschaft  gegen  das  bestehende  Kirchenregiment  zutage.  Fast  in  allen 
wird  beklagt,  dafs  Gottes  Gesetz  —  die  Bibel  —  dem  Volke  unbekannt 
sei,  und  gefordert,  dafs  sie  das  Gemeingut  jedes  Christen  werde.  Sie 
wurde  demnach  zu  Zwecken  allgemeinen  Gebrauches  in  die  Sprache 
des  Volkes  —  seit  Ulfilas  zum  erstenmal  in  eine  germanische  Sprache 
—  übersetzt.  Die  nationale  Ehre  erheischte  es  gleichfalls:  denn  schon 
gab  es  Lords,  die  französische  Bibeln  besafsen. 2)  Wiclif  selbst  ging  ans 
Werk.  Zwar  läfst  sich  der  Anteil,  den  er  an  der  Bibelübersetzung  ge- 
nommen, nicht  bis  ins  einzelne  bestimmen,  sicher  aber  ist,  dafs  er  per- 
sönlich daran  beteiligt  war  und  die  Arbeit  in  jeder  Weise  gefördert  hat. 3) 
Kurz  nach  seinem  Tode  war  das  Werk  in  den  Händen  des  Volkes. 
»Das  Kleinod  der  Geistlichen«,  klagt  ein  Zeitgenosse,  »ist  in  ein  Spielzeug 
der  Laien  verkehrt  worden.«  Durch  die  Arbeit  an  der  Übersetzung 
des  Neuen  Testaments  wurde  seine  Überzeugung  »von  der  Allein- 
genügsamkeit der  Bibel  zum  Regiment  dieser  Welt« 4)  noch  mehr  ge- 
festigt :  »Und  wenn  es  hundert  Päpste  gäbe«,  lehrt  er,  '»und  alle  Bettel- 
mönche Kardinäle  würden,  man  dürfte  ihnen  nur  insoweit  glauben,  als 
sie  mit  der  hl.  Schrift  übereinstimmen.« 

5.  Wiclifs  Lehren  von  der  Verweltlichung  der  Kirche  hätten  ihn 
in  eine  Linie  mit  den  Bettelorden  stellen  müssen,  wie  ja  noch  1377 
Minoriten  seine  Verteidiger  waren.  Nannte  er  damals  noch  die  Mendi- 
kanten  einen  verehrungswürdigen  Orden,  dessen  Liebe  zur  Armut  »er 
bis  zu  den  Sternen  erhob«,5)  so  gewahrt  man  bald  die  Spuren  eines 
Risses.  Mit  der  Erklärung :  die  Sache  der  besitzenden  Orden  sei  Sache 
aller  Orden,  wandten  sich  nämlich  die  Mendikanten  gegen  ihn,  und 
nun   nahm  Wiclif   auch   gegen  sie  den  Kampf  auf:    die  Kirche  bedürfe 


x)  Sie  wird  eben  gedruckt. 

2)  Matthew,  The  English  Works  of  Wyclif,  429. 

3)  Matthew,  The  Autorship  etc.  EHR.  1895.  Eine  Polemik  gegen  Gasquet,  der 
Ws.  Autorschaft  leugnete.  Wiclif  selbst  wird  die  Übersetzung  des  NT.  zugeschrieben. 
Das  AT.  übersetzte  zum  gröfsten  Teil  sein  Freund  Hereford,  den  Best  Wiclif.  Über- 
arbeitet und  verbessert  wurde  das  Ganze  von  dem  zweiten  Freunde  Ws.,  John  Purvey. 
Dessen  Arbeit  war  1388  vollendet.  W.  wurde  so  der  Meister  der  englischen  Prosa,  wie 
zur  selben  Zeit  Chaucer  der  der  engl.  Poesie. 

*)  De  sufficientia  legis  Christi.  Diesen  Titel  führt  eine  von  Hufs  wörtlich  ab- 
geschriebene Predigt  Wiclifs. 

5)  Chron.  a.  Mon.  St.  Albani. 


398       Wielife  Kampf  gegen  d.  Bettelorden  u.  d.  Hierarchie.    D.  armen  Priester. 

keiner  neuen  Sekten  —  so  nennt  er  nieist  die  Orden  —  keiner  neuen 
Religionen,  ihr  genüge  die  Religion  Christi,  wie  sie  ihr  in  den  ersten 
Jahrhunderten  ihres  Bestandes  genügte.  Damit  begann  eine  Polemik, 
die  von  Jahr  zu  Jahr  leidenschaftlicher  geführt  wurde.  Nicht  weniger 
als  20  Streitschriften  —  meist  knappe  Flugschriften  —  hat  er  gegen  die 
»Sekten«  geschleudert.  Aber  fast  heftiger  noch  tritt  er  in  seinen  Pre- 
digten, im  »Spiegel  der  streitenden  Kirche«,  im  Trialog  wider  sie  auf. 
Sie  seien  Körperschaften,  die  in  der  Bibel  keine  Begründung  haben, 
verderblichen  Lastern  frönen,  Kirche  und  Staat  zur  Last  fallen  und 
samt  ihren  stolzen  Tempelbauten  vernichtet  werden  müssen.  Diese 
Predigten  hatten  eine  unmittelbare  Wirkung:  In  London  und  andern 
Städten  kam  es  zu  einer  lebhaften  Erregung  des  Volkes.  Schon  wurden 
den  Mönchen  die  Almosen  entzogen,  schon  wurden  sie  an  die  körper- 
liche Arbeit  gewiesen.  Noch  gröfsere  Wirkungen  hatten  diese  Angriffe 
auf  die  Orden  und  ihren  Besitz  in  Böhmen.  Indem  nämlich  Hufs  diese 
Lehrsätze  seines  englischen  Meisters  wortgetreu  aufnahm,  die  Taboriten 
diesem  Beispiel  folgten,  kam  es  zu  jenem  ungeheuren  Klostersturm,  dem 
die  herrlichen  Stifte  und  in  weiterer  Folge  das  böhmische  Kirchengut 
zum  Opfer  fiel.  Freilich  fiel  es  nicht,  wie  Wiclif  es  wünschte,  an  den 
Staat,  sondern  an  die  Barone  des  Landes.  Sein  Kampf  schlug  immer 
heftigere  Wogen:  zuletzt  sind  es  nicht  mehr  die  Bettelmönche  allein, 
die  ganze  Hierarchie,  voran  »das  Nest,  das  die  letzte  Zufluchtstätte  der 
Mönche  bildet«,  die  römische  Kurie  wird  Zielpunkt  seiner  Angriffe.  In 
umfangreichen  Werken,  wie  seinem  unvollendet  gebliebenen  Antichrist, 
oder  in  kleineren  Flugschriften,  wendet  er  sich  gegen  das  »zweigeteilte« 
Papsttum,  dessen  Kriege  besonders  scharf  gegeifselt  werden.  Aus  dem- 
selben Grunde,  um  diese  Hierarchie  aufs  schärfste  zu  treffen,  tritt  er 
der  herrschenden  Lehre  von  der  Transsubstantiation  entgegen,  indem 
er  die  Ansicht  bekämpft,  als  könne  der  Priester  Gott,  ein  Geschöpf 
seinen  Schöpfer,  »machen«  (conficere).  Im  Sakramente  sehen  wir  den 
Herrn  nicht  mit  leiblichen  Augen,  sondern  im  Glauben,  wie  sich  der 
Mensch  im  Spiegel  sieht,  im  Gleichnisse.  Wir  berühren  und  fassen 
ihn  nicht  und  nehmen  ihn  nicht  körperlich,  sondern  im  Geiste  zu  uns. 

6.  Indem  Wiclif  die  bestehende  Hierarchie  abschaffen  will,  setzt 
er  an  ihre  Stelle  einfache  Priester  (poor  priests),  die  in  Armut  lebend 
das  Evangelium  verkünden  und  denen  jede  weltliche  Herrschaft  unter- 
sagt ist.  Diese  verbreiteten  ihre  Lehren  in  den  breiteren  Schichten  des 
Volkes.  Im  Sommer  1381  fafste  Wiclif  selbst  seine  Lehre  vom  Abend- 
mahl in  12  kurze  Sätze  zusammen,  und  machte  sich  anheischig,  sie 
gegen  jedermann  zu  verteidigen1).  Da  schritt  die  englische  Hierarchie 
wider  ihn  ein.  Der  Kanzler  der  Universität  liefs  einige  von  den  Sätzen 
als  ketzerisch  erklären.  In  Gegenwart  der  Kommission,  die  ihm  dies 
Urteil  mitten  in  seinem  Auditorium  verkündete,  erklärte  er,  weder  der 
Kanzler   noch   sonst   jemand   vermöge    etwas  an  seiner  Überzeugung  zu 


x)  Gedruckt  Fase.  ziz.  105 — 6.     Das  Bekenntnis  seiner  Abendmahlslehre  ebenda, 
S.  115.  Seine  Flugschrift  Wycket,  d.  i.  die  enge  Pforte,  s.  Shirley,  A  Catalogue,  S.  33. 


Die  Lollarden.     Der  Bauernaufstand  u.  dessen  Rückwirkung  auf  Wiclif.        399 

ändern,  und  appellierte  —  nicht  etwa  an  den  Papst  oder  an  die  geist- 
lichen Behörden  des  Landes,  sondern  an  Richard  II.  Sein  Auftreten 
wird  immer  kühner,  sein  Anhang  immer  gröfser.  Jeder  zweite  Mann, 
schreibt  ein  Zeitgenosse,  ist  ein  Lollarde1),  ein  Unkrautsäer,  wie  man 
seine  Anhänger  nannte.  Mitten  in  diese  grofse  Bewegung  fiel  nun  aber 
(1381)  der  grofse  Bauernaufstand  (s.  §  123).  Wiewohl  Wiclif  seine  Mifs- 
billigung  darüber  aussprach  und  die  Sympathien  der  Aufständischen 
eher  auf  Seiten  der  Bettelmönche  waren,  wurde  der  Aufstand  ihm  zur 
Last  gelegt  und  die  Verfolgung  gegen  ihn  eingeleitet.  Der  alte  Gegner 
Wiclif s,  William  Courtenay,  jetzt  Erzbischof  von  Canterbury,  berief  am 
17.  Mai  eine  Notablenversammlung  nach  London,  um  über  seine  Lehren 
zu  Gericht  zu  sitzen.  Während  der  Versammlung  entstand  ein  Erd- 
beben. Erschreckt  baten  die  Teilnehmer,  von  weiterer  Beratung  abzu- 
stehen. Courtenay  erklärte  es  aber  als  gutes  Vorzeichen :  der  Reinigung 
des  Reiches  von  Irrlehren.  So  wurden  nun  24  Lehrsätze  Wiclifs  teils 
als  ketzerisch  (10)  teils  als  irrig  (14)  erklärt2).  Courtenay  suchte  die 
Hilfe  des  Staates  zur  Ausrottung  der  »armen  Priester«  zu  gewinnen, 
das  Haus  der  Gemeinen  lehnte  es  aber  ab,  darauf  einzugehen.  Gleich- 
wohl gelang  es  ihm,  der  Lollardenbewegung  in  Oxford  Herr  zu  werden. 
Wiclif  selbst  wurde  im  Herbste  1382  vor  eine  Kommission  gerufen,  aber 
im  Hinblick  auf  die  Stimmung  im  Unterhause  geschont.  Er  zog  sich 
auf  seine  Pfarre  nach  Lutterworth  zurück.  Jetzt  sandte  er  erst  recht 
Flugschriften  unter  die  Menge:  die  schärfsten  gegen  Urban  VI.,  als  das 
Kreuz  gegen  die  dem  Gegenpapst  anhängenden  Flandrer  gepredigt  wurde. 
Am  28.  Dezember  1384  wurde  er,  während  er  Messe  las,  vom  Schlage 
gerührt  und  starb  drei  Tage  später.  Übersieht  man  seine  Tätigkeit,  so 
gewahrt  man  ein  methodisches  Vorgehen  auf  dem  Wege  der  Reformation : 
Steht  er  1376  noch  etwa  auf  dem  Standpunkt  der  kirchlichen  Opposition 
unter  Ludwig  dem  Bayer  und  Eduard  HL,  so  ist  er  vier  Jahre  später 
schon  auf  einer  Stufe  angelangt,  auf  der  man  erst  wieder  die  kirchliche 
Bewegung  des  16.  Jahrhunderts  findet.  Indem  er  die  Bibel  als  die 
alleinige  Autorität  für  den  Glauben  bezeichnet,  zieht  er  hieraus  die  ent- 
sprechenden Folgerungen.  Er  kämpft  gegen  die  bisherige  Lehre  von 
den  Sakramenten,  von  denen  er  einige  wie  die  Firmung  und  letzte 
Ölung  ganz  oder  die  Priesterweihe  in  ihrer  bisherigen  Bedeutung  ver- 
wirft. Die  Ohrenbeicht  nennt  er  eine  späte  Erfindung,  den  Zölibat 
unsittlich  und  verderblich.  Er  verwirft  die  Schlüsselgewalt  des  Papstes, 
die  Sündenvergebung  durch  den  Priester,  den  Heiligenkultus,  den  Bilder- 
und   Reliquiendienst,    Wallfahrten,    Totenmessen   und    zuletzt    auch    das 


x)  Über  das  Entstehen  des  Namens  (von  Lollium,  der  Lolch,  das  Unkraut)  siehe 
Lechler  II,  4,  und  Buddensieg,  616.  Solche  aus  der  Pflanzenwelt  stammende  Namen 
sind  damals  beliebt,  s.  Fasciculi  zizannionim  =  die  Unkrautbündel  des  Netter  of  Waiden 
oder  die  Medulla  tritici  =  das  Mark  des  Weizens  von  Stephan  v.  Dolein.  Anders  die 
Erklärung  Buddensiegs  von  »löllen«,  lullen,  in  den  Schlaf  singen,  die  für  die  Anfänge 
zutreffen  mag;  die  Zeitgenossen  Wiclifs  dachten  aber  zweifellos  an  die  Ableitung  von 
■»lollium*. 

2)  Sie  sind  gedruckt  Fase.  ziz.  301  ff. 


400  Das  grofse  Schisma. 

Fegefeuer.  Indem  er  den  bisherigen  Begriff  der  Kirche  bestreitet,  gibt 
er  die  bestehende  Ordnung  der  kirchlichen  Hierarchie  preis  und  dies 
in  einer  Zeit,  in  der  es  das  Aussehen  hatte,  als  sollte  die  Kirche  infolge 
des  unseligen  Schismas  ganz  in  Trümmer  gehen. 


§  92.    Das  grofse  Schisma.    Tri) an  TL  und  Kiemen s  VII. 

Quellen:  Zur  Krit.  s.  Jahr,  Die  Wahl  Urbans  VI.  Was  in  den  verschiedenen 
Ländern  an  urk.  u.  brieflichem  Material  über  das  Schisma  vorhanden  ist,  verzeichnet 
Noel  Yalois,  La  France  et  le  Grand  Schisme  d'Occident.  4  Bde.  Paris  1896 — 1902 
in  den  Einleitungen  zu  den  einzelnen  Bänden.  Über  Frankreich  hinaus  wird  das 
Schisma  hier  auch  in  seinen  Wirkungen  auf  die  übrigen  Länder  besprochen.  Des- 
gleichen in  dem  sonst  wenig  kritischen  Buche  von  Gay  et,  Le  Grand  Schisme  d'Occident. 
2  Bde.  Paris  1898.  (Wichtig  die  Pikees  justificatives :  Ie  serie:  Principales  depositions. 
IIe  serie :  Casus  et  attestations  des  cardinaux ;  doch  läfst  auch  die  Ed.  zu  wünschen 
übrig.)  B  u  1  a  e  u  s ,  Hist.  univ.  Paris  tom.  IV  u.  B  a  1  u  z  e ,  Vitae  pap.  Aven.  LI.  Cartular. 
univ.  Paris  (mit  dem  IV.  Bd.  bis  1406.  Paris  1897)  Für  Deutschland  kommt  die  DRA. 
I-VII  in  Betracht.  Fraknöi,  MM.  Vatic.  hist.  reg.  Ung.  illustr.  Budap.  1888.  Ray- 
naldi,  Ann.  Eccl.  für  Benedikt  XIII.  Ehrle  im  ALKG.  Über  röm.  Akten  s.  Pastor  I,  685 
Für  die  Anfänge  wichtig  :  Lettere  di  S.  Caterina  di  Siena,  ed.  Tommaso.  Firenze  1860. 
Die  Werke  Jenzensteins  AÖG.  LV.  der  Liber  De  Consideratione  noch  ungedruckt  (Cod. 
Vat.  1112).  Einzelnes  auch  in  Simons feld,  Anal.  z.  Papst-  u.  Kirch.-Gesch.  Abh 
Münch.  Ak.  1891.      Lrkk.    und   Darst.  in  Andreas  v.  Reg.  ed.   Leidinger,  Münch.  1903. 

Darstellende  Quellen.  Lebensbeschr.  d.  Päpste  :  Acta  Erbani  VI.,  ed.  Pape- 
broch.  AA.  SS.  5.  Mai.  95—101.  De  Urbano  VI.,  Mur.  ILT,  2,  712.  De  creatione  Urbani 
et  .  .  .  Gebennensis  auetore  Thoma  de  Acerno,  ib.  715 — 30.  Pileus  de  Prata,  Ep.  pro 
electione  Erbani  ad  Lud.  com.  Flandriae,  ed.  d'Achery.  Spicilegium  IV,  301.  Vita 
Clementis  VII  auet.  anon.,  ed.  Baluze,  Vitae  pap.  Aven.  I,  485,  Vita  alia  auet.  Petro 
de  Herentals,  ib.  539.  Narratio  de  morte  Clementis  VII  et  electione  Bened.  XIII, 
ib.  561.  Zur  Wahl  Bonifaz'  IX.,  s.  Döllinger,  Beitr.  z.  pol.,  kirchl.  u.  Kulturgesch.  II,  361. 
Gesta  Benedicti  XHI  auet.  anonymo  (für  die  Zeit  von  1406),  ed.  Murat.  III,  2,  777. 
Johannes  XXIIL,  s.  unter  Nyem.  Flistor.  Martini  V,  AA.  SS.  5.  Mai,  112,  s.  auch  unter 
Ant.  Petri,  Xarratio  de  forma  et  modo  electionis  Martini  V  auet.  anon  ,  Mansi,  Conc. 
XXVTH,  889.  Die  Lebensbeschr.  der  Heiligen  dieser  Zeit:  Katharina  v.  Siena,  Petrus 
v.  Luxemburg  u.  Vincentius  Ferreri,  s.  AA.  SS.  30.  April,  2.  Juli  u.  5.  April.  Die  reiche 
Lit.  zur  efsteren  bei  Potth  H,  1238.  —  Eigentliche  Geschichtschr.  des  Schismas  gibt 
es  nur  wenige  :  Theoderici  de  Xyern,  De  Scismate,  libri  tres,  ed.  G.  Erler.  Leipz.  1890. 
(Über  Xyem,  Xiem  oder  Xieheim  s.  die  Literatur  bei  Lorenz  H,  313,  Vildhaut  II,  498, 
Potth.  II,  1051—55)  De  Schismate  reicht  bis  1410.  Erlers  Ausg.  fügt  als  Additamentum 
Xyems  Bericht  über  die  Schlacht  bei  Xikopolis  (aus  einer  Paderborner  Handschr.)  an. 
Von  andern  Werken  Xyems :  Nenius  unionis,  eine  1407 — 08  veranstaltete  Sammlung 
von  Akt.  u.  Korresp.,  bestimmt,  die  konziliare  Partei  in  Deutschland  zu  fördern,  ed. 
Schard.  Xürnb.  1560.  De  bono  Romani  pontificis  regimine  =  Ep.  ad  Joh.  XXHI , 
ed.  Rattinger.  HJb.  V.  Historia  Johannis  XXLTI.,  ed.  v.  d.  Hardt,  Mag.  Conc.  Const.  H,  336. 
Andere  Werke  Xyems  s.  §  94,  107  und  vollst.  Potthast  u.  Lorenz  a.  a.  O.  Gobelinus 
Persona,  Cosmodromium  (d.  i.  der  Weltenlauf)  bis  1418,  ed.  Hansen.  Münster  1900. 
Lit.  bei  Lorenz  H,  323  u.  Potthast  I,  532,  s.  auch  Abels  in  d.  Z.  f.  vat.  Gesch.  LVII. 
Ludolf  von  Sagan,  Tractatus  de  longevo  schismate  1378 — 1422,  ed.  Loserth.  AÖG.  LX. 
Dort  auch  Ludolf s  Soliloquium  de  schismate.  Antonius  Petri,  Diarium.  Rom  1404 — 1417, 
ed.  Murat,  XXIV,  973.  Erwähnungen  des  Schismas  finden  sich  in  den  meisten  Städte- 
chroniken der  Zeit,  vor  allem  den  italienischen:  Genua  (Potthast,  1030),  Venedig 
(Murat.  XV,  XXLT),  Montferrat  (XXIII),  Mailand  (XVI,  XIX),  Padua  (XVII),  Vicenza 
(XIIP,  Florenz -Pisto ja  (XVI— XX),  Pisa,  Siena  (XV,  XLX  ,  Bologna  (XVLU),  Este- 
Ferrara  (XVI,  XVHI,  XXIV),  Rimini  (XV),  Forli  (XXH,  Reggio  (XVHI),  Perugia  (XIX), 
Diar.  Rom  (XXIV),  Xeapel  (s.  Erler,  Mur.  XXII,  XXIII),  Laur.  Bonincontri  (XXL)  u.  a. 


Das  grofse  Schisma.  401 

Streitschriften  u.  Schriften  zur  konzil.  Idee.  Für  u.  gegen  Urban : 
(Pastor  I,  686,  Valois  I,  127.)  Thom.  de  Acerno  u.  Pileus  de  Prata,  s.  oben.  Factum 
magistri  Jacobi  de  Seva  missum  Universität!  Parisiensi  super  electione  Urbani. 
Casus  bei  Bulaeus,  Hist.  univ.  Paris.  IV,  485 — 514.  Johannes  de  Lignano,  De  schismate, 
ein  Gutachten  von  1380.  Rayn.  Ann.  Eccl.  a.  a.  1380.  Tractatus  de  electione,  inthronis. 
et  coronat.  Urban  VI.  bei  Pastor  I,  684 — 85.  Über  die  Schrift  De  Fletu  Ecclesiae  siehe 
Valois  I,  127.  Baldus,  De  schismate,  geschr.  nach  1378,  s.  Savigny,  Gesch.  d.  r.  R. 
im  MA.  VI,  206.  Ein  zweites  Gutachten  v.  1380  bei  Rainald.  Ann.  Eccl.  Bartholomaeus 
de  Saliceto,  Cons.  pro  Urbano  VI.  Cod.  Vat.  5608.  Joh.  de  Spoleto,  Dialogus  de 
tollendo  schismate.  Pastor  I,  686.  Nicolaus  de  Pitonto,  Consilium  sup.  schismate.  Cod. 
Vat.  4192.  Zabarella,  De  schismate,  ed.  Schard,  De  iurisd.  imperiali.  Basel  1566. 
Konrad  von  Gelnhausen,  Ep.  concordiae  sive  Tractatus  de  congreg.  conc.  tempore 
schismatis  v.  1380,  ed.  Martene  et  Durand,  Thes.  anec.  II,  1200.  Inhalt  auch  bei 
Scheuffgen,  Beitt.  z.  Gesch.  d.  gr.  Schismas.  Freib.  1889.  Heinrich  Hembuche  v.  Langen- 
stein, Epistola  pacis  (88  Kapp,  in  Form  eines  Dialogs :  Das  Schisma  könne  nur  durch 
ein  Konzil  beseitigt  werden),  ed.  Helmstedt  1778 — 79  (über  den  Druck  Kneer,  S.  66).  Ausf. 
Auszüge  bei  Scheuffgen,  43.  —  Epistola  concilii  pacis  (=  Consilium  pacis  de  unione  etc.). 
v.  d.  Hardt  II,  3 — 60.  Andere  Drucke  dieser  u.  andere  Schriften  Langensteins  siehe 
Kneer  92  ff.  —  Die  zahlreichen  grofsen  Werke  u.  Flugschriften  des  Petrus  de  Alliaco 
s.  bei  Tschackert:  Pierre  d'Ailli.  Goth.  1877.  S.  auch  Potthast  II,  913  u.  unten  107.  — 
Die  beste  u.  vollst.  Ausgabe  der  Werke  Gersons  ist  die  von  du  Pin.  Antwerp.  1706. 
Verz.  der  Werke  Gersons  bei  Potth.  I,  504.  Dazu  das  Chartularium  univ.  Paris,  ed. 
Denifle-Chatelain  III — V.  Die  Werke  d.  Nicolaus  .von  Clemangis  in  d.  Ausg.  v.  Lydius. 
Lugd.  Bat.  1613. 

Hilfsschriften:  Aufser  den  allg.  Werken  v.  Gregorovius,  Pastor,  Hef  ele  u.  a. 
jetzt  vor  allem  N.  Valois,  wie  oben.  (Dort  auch  Ergänzungen  zur  Lit.)  Sonst  Gayet, 
wie  oben.  Salembier,  Le  Grand  Schisme  d'Occident.  Paris  1900.  AI  das y,  Gesch. 
d.  g.  Schismas  (magyar.).  Budapest  1896.  S  o  u  c  h  o  n ,  Die  Papstwahlen  in  der  Zeit  d. 
grofsen  Schismas  I.  Braunschw.  1898.  Creighton,  A  history  of  the  papacy  from  the 
schism  to  the  sack  of  Rome.  N.  York  1897.  Siebeking,  Beitr.  z  Gesch.  d.  gr.  Kirchen- 
spaltung. Dresden  1881.  Veraltet:  Maimbourg,  Hist.  du  grand  Schisme.  Über  den  Aus- 
bruch d.  Seh.:  Lindner,  Die  Wahl  Urbans  VI.  HZ.  XXVIII.  (Dort  u.  bei  Hefele- 
Knöpfler,  Konz. -Gesch.  VI,  729 — 776  u.  Souchon,  Die  Papstwahlen  v.  Bonif.  VIII.  bis 
Urban  VI.,  S.  81 — 109,  auch  eine  Zusammenstellung  des  Quellenmaterials.  S.  auch 
Pastor  I,  98.)  Valois,  L'election  d'Urbain  VI.  RQH.  1880.  Jahr,  wie  oben.  Fabisz, 
Quidnam  Poloni  gesserint  adv.  schism.  oeeid.  synodosque  Const.  et.  Basil.  Würzb.  1879. 
E  u  b  e  1,  Die  avign.  Obedienz  d.  Mendikantenorden.  Paderb.  1900.  —  Die  Provisiones  prael. 
währ.  d.  g.  Seh.  RQSch.  IV.  —  Das  Itinerar  d.  Päpste  z.  Z.  d.  g.  Schismas.  HJb.  XVI. 
Erler,  Florenz,  Neapel  u.  d.  päpstl.  Schisma.  Leipz.  1879.  Feret,  La  faculte  de  theol. 
d.  Paris  et  ses  docteurs  plus  celebres  HI,  IV.  Paris  1895 — 96.  Valois,  Le  röle  de 
Charles  V  etc.  Ann.  Bull.  etc.  XXIV.  —  Louis  Ier  duc  d'Anjou  et  le  gr.  schisme.  RQH. 
XXXVI.  L'expedition  et  la  mort  de  Louis  Ier  1382—84.  Paris  1894.  Kehrmann, 
Frankreichs  innere  Kirchenpol.  v.  d.  Wahl  Klemens'  VII.  bis  Alexander  V.  1378 — 1409. 
Diss.  1890.  K.  Hase,  Caterina  v.  Siena.  4.  Aufl.  1892.  Capecelatro,  Storia  di 
s.  Caterina  da  Siena  e  del  papato  del  suo  tempo.  Fir.  1864.  Chirat,  Sainte  Catherine 
de  Sienne  et  l'^glise  au  XlVe  siecle.  Paris  et  Lyon  1888,  s.  auch  JBG.  XVI,  III,  223. 
Durrieu,  Le  royaume  d'Adria.  Paris  1880.  Sauerland,  Das  Itinerar  d.  Gegenp. 
Klemens'  VII.  HJb.  XIH.  (Die  übrige  Lit.  s.  bei  Potth.  II,  1239,  s.  auch  JBG.  XVI, 
III,  223.)  Zur  konz.  Idee:  Kneer,  Die  Entstehung  der  konz.  Idee.  Rom  1893.  (S.  auch 
Hist.  Viertel] .  IH,  381.)  Scheuffgen,  wie  oben.  K.  Wenck,  Konrad  v.  Gelnhausen  etc. 
HZ.  LXXVI,  661.  Falk,  D.  mittelrh.  Freundeskreis  d.  Heinr.  v.  Langenstein.  HJb.  XV. 
Sauerland,  Joh.  Dominici  u.  s.  Verhalten  z.  d.  kirchl.  Unionsbestrebungen.  1406 — 1415. 
Für  einzelnes:  Finke,  Quellen  u.  Forschungen  z.  Gesch.  d.  Konst.  Konzils  1889. 
Über  Joh.  v.  Legnano  s.  Bosdari,  Giovanni  da  L.  canonista  etc.  in  Atti  et  Memorie 
della  r.  deput.  di  storia  pat.  p.  1.  prov.  di  Romagna.  3  Ser.  vol.  XIX.  Im  Anhang  sind 
30  Dok.  abgedr.  Die  beste  Monographie  über  Ailly  ist  Tschackert,  wie  oben. 
Salembier,  Pet.  d.  Alliaco.  1886.  Tschackert,  P.  d.  A.  u.  die  ihm  zugeschriebenen 
Loserth,  Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  26 


402  Die  Wahl  Urbans  VI. 

Traktate  De  diffic.  reformat.  in  conc.  univ.  und  Monita  de  necessitate  reformationis. 
Jb.  d.  Tbeol.  XX.  ZKG.  I.  Finke,  wie  oben.  Die  ausgezeichneteste  Arbeit  über 
Gerson  ist  J.B.Schwab,  Johannes  Gerson.  "Würzburg  1858.  Masson,  Jean  Gerson, 
sa  vie,  son  temps,  ses  oeuvres.  Lyon  1894.  Müntz,  Nicolaus  de  Clemanges.  Strafs- 
burg 1840.  Schuberth,  Ist  N.  v.  Cl.  Verfasser  des  Buches  De  corrupto  statu 
ecclesiae?  Kneer,  Kard.  Zabarella.  Münst.  1891.  Köfsler,  Kard.  Joh.  Dominici. 
Freib.  1893.  Sonst  s.  über  Ailli,  Gerson  u.  Clemanges  d.  RE.  v.  Hauck,  und  Wetz  er 
u.  Weite,  Kirchenlex.  Kummer,  Die  deutschen  Bischofswahlen  1378 — 1418. 
Diss.  1891. 

1.  Von  den  23  Mitgliedern  des  Kardinalskollegiums  waren  beim 
Tode  Gregors  XI.  nur  16  in  Rom  anwesend.  Unter  ihnen  hatten  die 
Franzosen  zwar  das  Übergewicht,  waren  aber  in  zwei  Parteien  gespalten : 
die  stärkere  der  Limousiner  und  die  schwächere  der  Gallier.  Die  letztere 
zählte  aber  bedeutende  Männer  wie  Robert  von  Genf  und  Petrus  de 
Luna  in  ihrer  Mitte.  Unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  wäre  auch  jetzt 
die  Wahl  eines  Franzosen  erfolgt.  In  ganz  Italien,  vorab  in  Rom, 
herrschte  aber  gegen  das  französische  Papsttum  grofse  Erbitterung.  Um 
die  Neuwahl  vor  gewalttätiger  Einflufsnahme  zu  sichern,  hatte  noch 
Gregor  XL  (19.  März)  den  Kardinälen  die  Bestimmung  hinterlassen,  sie 
ohne  Rücksicht  auf  ihre  abwesenden  Kollegen,  wo  und  wann  sie  wollten, 
selbst  mit  blofser  Zweidrittelmajorität  vorzunehmen.  Noch  ehe  der  Papst 
die  Augen  geschlossen,  setzten  sich  die  Römer  für  die  Wahl  eines  Italieners 
und  das  Verbleiben  der  Kurie  in  Rom  ein.  Den  Wünschen  des  Volkes 
schlössen  sich  die  Stadtbehörden  und  selbst  italienische  Prälaten  an. 
Bewaffnete  Volkshäufen  drängten  (7.  April)  unter  stürmischem  Rufen 
nach  der  Wahl  eines  Römers  oder  wenigstens  eines  Italieners  bis  vor 
den  Vatikan,  wo  sich  die  Kardinäle  zum  Konklave  versammelt  hatten. 
Derselbe  Vorgang  wiederholte  sich  am  folgenden  Tage.  In  St.  Peter 
wurden  wie  zum  Sturm  die  Glocken  geläutet.  Da  sich  unter  den 
italienischen  Kardinälen  keiner  befand,  der  den  andern  Parteien  genehm 
gewesen  wäre,  einigten  sie  sich  auf  den  Erzbischof  Bartholomäus 
Prignano  von  Bari,  der  als  Vizekanzler  der  römischen  Kirche  hohes 
Ansehen  hatte,  sich  durch  Gerechtigkeitsliebe  und  Sittenstrenge  aus- 
zeichnete, als  Feind  der  Simonie  galt  und  als  Neapolitaner  sich  den  Höfen 
von  Neapel  und  Frankreich  empfahl.  Bei  seinen  alten  Beziehungen  zu 
den  französischen  Kardinälen  durften  diese  in  ihm  ein  gefügiges  Werk- 
zeug, unter  L'mständen  selbst  die  Zurückverlegung  der  Kurie  nach 
Avignon  erwarten.  So  wurde  er  nominiert  und,  trotzdem  einzelne 
Kardinäle  auf  den  Tumult  der  Strafse  hinwiesen,  der  eine  freie  Beratung 
unmöglich  mache,  auch  gewählt.  Als  die  Kardinäle  zögerten,  die  Wahl 
eines  Nichtrömers  zu  publizieren,  brach  die  Volksmasse,  durch  die  rnifs- 
verstandene  Nachricht  von  der  Wahl  eines  übelberüchtigten  Nepoten1) 
Gregors  XL  in  Erregung  versetzt,  mit  dem  Rufe :  v  Wir  wollen  einen 
Römer!«  in  den  Palast.  Die  bestürzten  Kardinäle  vermochten  nicht  zu 
entfliehen,  und  einer  von  ihnen  rief:  Der  Kardinal  (Tibaldeschi)  von 
St.  Peter  —  er  war  bei  den  Römern  beliebt  — ■  ist  Papst,    Sofort  wurde 


*)  Johannes  von  Baro  (statt  Bari). 


Rechtmäfsigkeit  der  Wahl.     Grund  zum  Schisma.  403 

dieser  mit  den  päpstlichen  Gewändern  bekleidet  und  auf  einen  Sessel 
gehoben.  Mittlerweile  entkamen  die  andern.  Als  nun  die  Menge  aus 
Tibaldeschis  Mund  die  Wahrheit  vernahm,  wurden  Verwünschungen 
laut.  Man  suchte  nach  dem  Papst,  um  ihn  zur  Abdikation  zu  zwingen. 
Prignano  hatte  sich  mit  Mühe  in  einem  Winkel  des  Vatikans  geborgen. 
Am  nächsten  Tage  berief  er  die  Kardinäle  und  liefs  sich  inthronisieren. 
Indem  er  den  Namen  Urban  VI.  (1378 — 1389)  annahm,  deutete  er  seine 
Absicht  an,  in  Rom  zu  verbleiben.  Am  18.  April  wurde  er  gekrönt  und 
die  geschehene  Wahl  der  Christenheit  mitgeteilt.  Auch  die  in  Avignon 
zurückgebliebenen  Kardinäle  erkannten  ihn  an,  und  Robert  von  Genf, 
der  spätere  Gegenpapst,  meldete  dem  Kaiser  die  erfolgte  Wahl. *) 

2.    War    die    Wahl    Urbans    VI.    auch    in    einer    etwas    formlosen 
Weise   erfolgt,    so    war    sie    doch    keineswegs   ungültig.      Indem  sie   die 
Kardinäle  später  noch  besonders  bestätigten,   sich  an  der  Inthronisation 
des    Gewählten    beteiligten,    Schenkungen   und   Benefizien   von   ihm   er- 
baten, in  seinem  Konsistorium   erschienen,   über  die  Wahl  an  Kollegen 
und    Freunde    berichteten,     wurde    sie    von    ihnen    als    rechtmäfsig    an- 
erkannt,   und  würde  auch  wohl  niemals  von  ihnen   angefochten  worden 
sein,   wäre  er  den  Kardinälen   in  mafs voller  Weise   entgegengekommen. 
Nicht    in    dem    hochfahrenden    Wesen    des  Papstes    allein,    auch    nicht 
in  der  Abweisung  des  Wunsches  der  Ultramontanen2),  nach  Frankreich 
zurückzukehren,  endlich  auch   nicht   in   den   bei  Urbans  VI.  Wahl  vor- 
gekommenen Unregelmäfsigkeiten  liegt  der  Grund  zum  folgenden  Schisma : 
entscheidend   war   der   Gegensatz    der   Interessen   der   Kar- 
dinäle    und     der     absolutistischen     Regierungsweise     des 
Papstes.3)      Ohne    den    seit    Innozenz    III.     und    Bonifaz    VIII.    ein- 
getretenen Wandel   der  Dinge   zu   beachten   und    die   politische  Einsicht 
seiner  grofsen  Vorgänger   zu  besitzen,   wollte  Urban  VI.    sein  Regiment 
im  Sinne  der   grofsen  Päpste   des   13.  Jahrhunderts   führen.     Indem   er 
mit  seinen  Reformen  bei   der  Kurie  selbst  den  Anfang  machte,  das  un- 
kirchliche Leben  der  Kardinäle  und  Prälaten,  ihren  Luxus  und  Wucher 
und   ihre    Simonie   in   offenem   Konsistorium    rügte,    die   Annahme   von 
Provisionen  und  Geschenken  fremder  Fürsten  verbot  und  ihrem  Wunsche, 
nach  Frankreich  zurückzukehren,  entgegentrat,  bildete  sich  unter  ihnen 
eine   Opposition,    die   sich   von   Tag   zu   Tag  verschärfte    und   sie   dazu 
brachte,    die   Unregelmäfsigkeiten    der  Wahl   hervorzukehren   und   diese 
als    eine    ungültige    hinzustellen.      Schon    nach    Monatsfrist    wurde    an 
Deutschland,  Frankreich,    Kastilien  und  Portugal  das  Ansinnen   gestellt, 
die  Wahl   nicht   anzuerkennen.     Als  der  Papst   hierauf   drohte,    so  viele 
Italiener   zu  Kardinälen   zu   machen,    dafs   ihre  Zahl   die   der  Ultramon- 
tanen übersteigen  würde,   kam  es  dahin,    dafs  sie  selbst   entweder   ihren 
Erkorenen  stürzen  oder   sich  ihrer  Macht   begeben   mufsten.     Den  Kar- 
dinälen kam  der  Umstand  zustatten,  dafs  einer  von  ihnen,  Orsini,  gegen 


*)  Littera  Gebennensis  bei  Pastor  I,  686—688. 
2)  D.  i.  der  französisch-gesinnten  Kardinäle. 
s)  Souchon  I,  5. 

26* 


404  Gegensatz  zwischen  Kardinalat  und  Papsttum.     Wahl  Kleruens'  VII. 

die  Rechtsgültigkeit  der  Wahl  Verwahrung  eingelegt  hatte.  Unter  dem 
Vorwand,  dafs  die  Luft  in  Rom  ungesund  sei,  begaben  sich  erst  drei, 
dann  die  übrigen  Ultramontanen,  teils  mit  teils  ohne  Erlaubnis  des 
Papstes,  nach  Anagni.  Nur  die  Italiener  blieben  bei  ihm.  Entscheidend 
war  das  Eingreifen  Frankreichs.  Karl  V.  hatte  das  gröfste  Interesse 
daran,  die  Kurie  nach  Avignon  zurückzuführen;  daher  unterstützte  er 
die  ultramontanen  Kardinäle  durch  Geld  und  bewog  auch  die  Königin 
Ton  Neapel,  ihnen  Schutz  zu  gewähren.  Ein  Versuch  des  Papstes,  sich 
mit  seinen  Gegnern  um  den  Preis  der  Anerkennung  aller  vom  Kardinalat 
seit  einem  Jahrhundert  erlangten  Rechte  zu  versöhnen,  nüfslang.  Die 
Kardinäle  gewannen  einen  bretonischen  Heerhauien,  suchten  den  An- 
schlufs  der  italienischen  Kollegen,  schilderten  (9.  August)  in  einem 
Manifest  die  Vorgänge  bei  der  Wahl,  kündigten  dem  Papste  den  Gehorsam 
auf  und  forderten,  dafs  sich  die  Christenheit  von  ihm  lossage.  Das 
Verlangen  der  italienischen  Kardinäle,  die  Entscheidung  auf  einem 
Konzil  zu  suchen,  war  ebenso  vergebens  wie  die  Versuche,  den  Papst 
zum  Rücktritt  zu  bewegen.  Da  schritten  die  Ultramontanen  am  20.  Sep- 
tember zu  Fondi,  im  Beisein  aber  ohne  Mitwirkung  der  Italiener,  zur 
Neuwahl  und  erhoben  den  Angesehensten  aus  ihrer  Mitte,  Robert  von 
Genf,  zum  Papste.  Schon  sein  Name  —  Klemens  VII.  (1378 — 1394)  — 
wies  auf  die  politische  Richtung  hin1),  die  er  einschlagen  würde.  Am 
31.   Oktober  wurde  er  gekrönt.     Damit  war  das  Schisma  vollzogen. 

3.  Noch  ehe  die  Ultramontanen  den  entscheidenden  Schritt  getan, 
ernannte  Urban  VI.  (am  18.  September)  29  Kardinäle,  so  dafs  das  Kol- 
legium nunmehr  54  Mitglieder  zählte.  Damit  meinte  er,  denn  noch  er- 
wartete er  die  Rückkehr  der  Ultramontanen,  sich  eine  verläfsliche 
Majorität  unter  den  Kardinälen  geschaffen  zu  haben.  Aber  eben  dieser 
Schritt  entfremdete  ihm  seine  Gegner  noch  mehr,  da  sie  bisher  in  der 
beschränkten  Anzahl  von  Kollegen  eines  ihrer  wesentlichsten  Privilegien 
erblickt  hatten.  Indem  Urban  VI.  das  System,  Kardinäle  in  grofser 
Zahl  zu  ernennen,  beibehielt,  büfste  das  Kollegium  auch  nach  aufsen  hin 
an  Wertschätzung  ein. 2)  Das  Wichtigste  war  die  Haltung  der  weltlichen 
Mächte.  Die  engsten  Beziehungen  knüpfte  Klemens  VII.  zu  Frankreich 
an.  Als  wTollte  er  seine  Abstammung  von  den  Königen  Frankreichs3) 
und  sein  Bündnis  mit  Frankreich  aller  Welt  vor  Augen  führen,  nahm 
er  die  französischen  Lilien  in  sein  Papstsiegel  auf.  Der  königliche  Rat 
sprach  sich  für  seine  Anerkennung  aus,  und  nur  die  Universität  Paris 
hielt  anfangs  zu  Urban  VI.  Karl  V.  bemühte  sich,  auch  die  andern 
Mächte  für  den  Gegenpapst  zu  gewinnen.  Diese  Bemühungen  hatten 
nur  dort  Erfolg,  wo  die  politischen  Interessen  mit  denen  Frankreichs 
Hand  in  Hand  gingen.  Dagegen  begrüfste  der  Kaiser  die  Loslösung  des 
Papsttums  vom  Einflüsse  Frankreichs  und  erkannte  Urban  VI.  als  recht- 
mäfsigen  Papst  an.     Er  tat  dies   trotz  des  hochmütigen  Verfahrens,   das 


x)  Vgl.  die  Politik  der  Päpste  Klemens  IV — VI. 
-    Einzelnheiten  darüber  bei  Souchon,  S.  25. 
s)  Valois  I,  109. 


Haltung  Urbans  VI.  und  der  weltlichen  Mächte.  405 

Urban  gegen  seine  Gesandten  eingeschlagen  hatte,    als  sie  von  ihm   die 
endliche  Approbation  Wenzels  begehrten.     Nach  eingetretenem  Schisma 
wurde  seine  Stellung   zum  Kaisertum   allerdings    eine   andere.     Hielt   er 
bisher  an  seinem  Anspruch  fest,  Könige  ein-  und  abzusetzen,  so  erklärte 
er  nun,  sich  fortan  nur  mit  kirchlichen  Angelegenheiten  zu  beschäftigen 
und  Beschwerden  der  deutschen  Kirche  nach  des  Kaisers  Rat  erledigen 
zu  wollen.     Karl  IV.  trat  denn  auch  mit  seiner  ganzen  Autorität  für  ihn 
ein,    und  Wenzel   schritt   auf   diesen  Wegen    fort.      Der   Reichstag    vom 
Februar  1379  beschlofs,  dafs  nach  dem  etwaigen  Tode  Wenzels  niemand 
gewählt   werden   dürfe ,    der   sich    nicht    zur   Obedienz    Urbans  VI.   ver- 
pflichte;   der   Legat,   Kardinal  Pileus  de   Prata,  befestigte  den  König   in 
dieser   Gesinnung.     Erst    später   gelang    es    französischen   Einflüssen,    in 
einem  Teil  des  Reiches  Anhang  zu  finden :  die  Stellungnahme  Deutsch- 
lands zog  Ungarn,    Polen  und  die  nordischen  Staaten  auf  Urbans  Seite. 
In  England   war   der   Kampf  gegen  Klemens  VII.    ohnedies    mit   einem 
Kampfe  gegen  Frankreich  gleichbedeutend.    Der  Abgesandte  des  Gegen- 
papstes durfte  nicht  wagen,  englischen  Boden  zu  betreten;  dagegen  trat 
Schottland    auf    seine    Seite.      Während    Portugal    zu    Urban   VI.    hielt, 
blieben    Kastilien   und   Aragonien   neutral,    bis   sie    sich   aus   politischen 
Rücksichten  an  Klemens  VII.  anschlössen,    für   den   sich   auch  Navarra 
erklärte.      Von    den    Signorien    und    andern    Staaten    Italiens    hielt   die 
Mehrzahl    zu    Urban  VI.     Für    ihn    erklärten    sich    auch    der   Kirchen- 
staat  und    die   Romagna,    zumal   seit   seine    Truppen   bei   Marino    einen 
Sieg  über   die  Gegner    errangen   (1379,   29.  April)   und   die   Engelsburg, 
die  bisher  in  deren  Besitz  gewesen,  kapitulierte.    Von  den  Universitäten 
war  Bologna  für  Urban  VI.  tätig.    Seine  Rechtmäfsigkeit  wurde  hier  von 
den    berühmten    Rechtsgelehrten    Johannes   von    Lignano,    Baldus    von 
Perugia,    Bartolomeo   von  Saliceto   und  Thomas  von  Acerno   verfochten. 
Besonders     eifrig    wirkte    die    hl.    Katharina    von     Siena,     die    Jeanne 
d'Arc  des  Papsttums,  für  Urban  VI.,   indem  sie  in  diesem  Sinne  Briefe 
an  die  Kardinäle  und  die  Königin  Johanna  von  Neapel  richtete.     Diese 
hatte    anfangs    die  Wahl    eines  Neapolitaners   zum  Papste   mit   Freuden 
begrüfst.     Als  sich  Urban  VI.  aber  weigerte,  ihren  vierten  Gemahl  Otto 
von  Braunschweig-Tarent  zum  König  von  Neapel  zu  krönen,  und  Gerüchte 
von    seinen   Absichten   sprachen,   Neapel   seinem   eigenen  Neffen,    Fran- 
cesco Prignano,   zu  verschaffen,    als   ihr   rücksichtslose  Aufserungen   des 
Papstes  über  ihren  Lebenswandel  zugetragen  wurden,  trat  sie  zu  Klemens  VII. 
über.     Schon  war   sie  aber  ihrer  eigenen  Herrschaft  nicht  mehr   sicher. 
König  Ludwig  von  Ungarn,  der  seiner  älteren  Tochter  Maria  die  Nach- 
folge in  Ungarn  und  Polen  sichern  wollte,  hatte  den  Thron  von  Neapel 
Karl  von  Durazzo  als  Entschädigung  zugedacht  (§  88),  wozu  L^rban  VI. 
die  Hand   bot.     Dagegen   wollte   Klemens  VII.  aus  dem  gröfseren  Teile 
des  Kirchenstaates  ein  neues  Lehensreich  Adria1)  gründen  und  es  Ludwig 
von    Anjou,    dem    Bruder   Karls  V.    von    Frankreich,    übergeben.      Die 
Schlacht   von  Marino    zerstörte    diesen   Plan.     Klemens   floh   von  Fondi 


*)  Über  das  Reich  Adria  s.  Valois  I,   167. 


406  Das  Schisma.     Seine  Aufnahme  und  seine  Wirkungen. 

nach  Neapel;  dort  von  dem  urbanistisch  gesinnten  Volke  am  Leben 
bedroht,  eilte  er  nach  Frankreich  und  schlug  in  Avignon  seinen  Sitz  auf. 
4.  Die  Christenheit  hatte  nunmehr  einen  Papst  in  Rom,  einen 
zweiten  in  Avignon.  Die  älteren  Spaltungen  in  der  Kirche  waren  meist 
von  der  weltlichen  Gewalt  ausgegangen  und  trugen  daher  von  vornherein 
den  Charakter  der  Gewalttat  an  sich.  Das  jetzige  Schisma  aber  nahm 
von  den  obersten  Würdenträgern  der  Kirche  selbst  seinen  Ausgang;  es 
mufste  in  der  ganzen  christlichen  Welt  den  tiefsten  Eindruck  machen, 
als  sich  die  eigenen  Wähler  des  Papstes  von  ihm  lossagten.  Da  die 
Wahl  unter  eigentümlichen  Umständen  erfolgt  war,  hielt  es  nicht  schwer, 
den  Sachverhalt  zu  entstellen  und  die  Wahrheit  ganz  zu  verhüllen. 
Daher  wurden  selbst  geistesstarke  Männer  unsicher.  Wie  schwer  es  war 
zu  erkennen,  wer  der  rechte,  wer  der  falsche  Papst  sei,  sieht  man  daraus, 
dafs  auf  beiden  Seiten  heiligmäfsige  Männer  standen :  die  hl.  Katharina 
von  Siena  stritt  für  Urban  VI.,  Vinzentius  Ferrerus  und  Petrus  von 
Luxemburg  für  Klemens  VII.  Nicht  wenige  Männer  erklärten  denn 
auch  ganz  offen,  nicht  zu  wissen,  welcher  Papst  der  rechtmäfsige  sei.1) 
Die  ganze  Christenheit  geriet  in  die  gröfste  Not;  man  hatte  ja  nicht  nur 
zwei  Päpste  mit  ihren  Kardinälen,  die  mit  weltlichen  und  geistlichen 
Waffen  widereinander  stritten :  in  manchen  Diözesen  gab  es  Bischöfe 
der  einen  und  andern  Obedienz,  man  stritt  um  Abteien  und  Pfarren, 
und  so  wurde  der  Kampf  bis  in  die  untersten  Kreise  getragen.  Das 
Papsttum  erlitt  »in  diesem  grofsen  Elend  der  Welt«  die  gröfste  Einbufse 
an  seiner  bisherigen  Macht.  Schon  durch  die  Tatsache,  dafs  es  zwei- 
geteilt war,  an  seiner  Autorität  arg  geschädigt,  wurde  es  nunmehr  auch 
von  der  weltlichen  Macht  wieder  abhängiger,  als  es  seit  Jahrhunderten 
der  Fall  war;  indem  beide  Päpste  um  die  Anerkennung  der  weltlichen 
Mächte  warben,  mufsten  diesen  grofse  Zugeständnisse  gemacht  werden, 
und  wurden  auf  Kosten  der  Kirche  die  landesherrlichen  Rechte  bedeutend 
erweitert.2)  Diese  Zustände  wurden  immer  ärger,  je  mehr  sie  einwurzelten, 
der  finanzielle  Druck  zweier  Kurien  allmählich  unerträglich  und  die 
Übelstände  in  der  kirchlichen  Verwaltung  jedem  Auge  sichtbar.  Schon 
konnte  man  Stimmen  vernehmen,  wie  die  der  englischen  Opposition, 
welche   die   Notwendigkeit   des  Papsttums   überhaupt   in   Frage   stellten. 

§  93.    Der  Kampf  der  Gegenpäpste  bis  zum  Tode  Urbans  VI. 

Bonifaz  IX. 

Zu  den  oben   angemerkten  Hilfsschriften    s.  Eisenhardt,   Die  Eroberung  des 
Königreichs  Xeapel  d.  Karl  v.  Durazzo.    Halle  1896. 

1.    Bereits  am   29.  November   1378    hatte    Urban   VI.    wider    seine 

Gegner  und  dessen  Anhänger  den  Bann  verhängt,  das  Kreuz  gepredigt 

und  im   folgenden  Jahre    den  Kreuzzug    aufs   neue   ausgeschrieben;   die 

Königin  Johanna  wurde  ihres  Reiches  verlustig  erklärt  (1380,  21.  April), 

Karl  von  Durazzo  mit  Neapel  belehnt,  zum  König  gekrönt  (1381,  2.  Juni) 
. 

*)  Eine  gute  Zusammenstellung  des  einschlägigen  Materials  bei  Pastor  I,  117. 

2)  Pastor,  S.  120,  Note  5.    Dort  die  übrige  Literatur. 


Karl  von  Durazzo.     Verschwörung  der  Kardinäle  gegen  Urban  VI.  407 

und  zum  Senator  von  Rom  ernannt.  Dafür  versprach  er,  den  Nepoten 
des  Papstes,  Francesco  Prignano,  mit  Capua,  Amaln  und  andern 
süditalischen  Grafschaften  zu  belehnen.  Die  Königin  Johanna  machte 
dagegen  Ludwig  von  Anjou  zum  Erben  ihres  Besitzes,  und  Klemens  VII., 
der  nun  auch  seinerseits  Manifeste  gegen  Urban  VI.  erliefs,  gab  hiezu 
seine  Zustimmung.  Da  Karl  V.  von  Frankreich  im  September  1380 
gestorben  war,  blieb  Ludwig  als  Vormund  des  minderjährigen  Königs 
Karl  VI.  in  Frankreich  zurück.  Karl  von  Durazzo  besetzte  Neapel, 
schlug  Otto  von  Braunschweig,  nahm  ihn  gefangen  und  liefs  die  Königin 
Johanna  erdrosseln.1)  Erst  im  Frühling  1382  brach  Ludwig  auf,  um 
seine  Ansprüche  durchzusetzen.  Am  30'.  Mai  in  Avignon  zum  König 
von  Jerusalem  und  Sizilien  gekrönt,  rückte  er,  ohne  Rom  zu  berühren, 
bis  vor  Neapel.  Statt  seine  Übermacht  und  die  günstige  Stimmung  des 
Volkes  rasch  auszunützen,  zog  er  den  Krieg  in  die  Länge;  als  er  am 
20.  September  1384  starb,  zerstreuten  sich  die  Reste  seines  von  Hunger 
und  Seuchen  arg  mitgenommenen  Heeres,  und  auch  die  Hilfstruppen, 
die  bereits  im  Anmarsch  waren,  kehrten  über  die  Alpen  zurück. 

2.  Mittlerweile  hatten  sich  die  Beziehungen  Urbans  VI.  zu  König 
Karl  und  den  Kardinälen  getrübt.  Um  dem  Kriegsschauplatz  näher  zu 
sein  und  den  König  an  seine  Zusagen  zu  mahnen,  hatte  Urban  VI.  den 
Plan  gefafst,  sich  samt  der  Kurie  nach  Neapel  zu  begeben.  Trotz  des 
Widerstrebens  der  Kardinäle  machte  er  sich  auf  den  Weg,  wurde  in 
Aversa  von  Karl  empfangen ,  bald  aber  als  Gefangener  nach  Neapel 
geführt.  Erst  nachdem  er  seine  Forderungen  herabgemindert  hatte, 
kam  es  zu  einem  Vergleich :  dem  Nepoten  wurde  Nocera  gegeben  und 
eine  Geldentschädigung  zugesagt,  bis  es  nach  dem  Abzug  Ludwigs  von 
Anjou  möglich  sein  werde,  ihn  ganz  zu  befriedigen.  Nach  dessen  Tode 
steigerte  sich  aber  die  Mifsstimmung  zwischen  Papst  und  König.  Unter 
den  Kardinälen  selbst  kam  es  zu  einem  Komplott.  Dem  Papste  sollte 
ein  Kuratorium  zur  Seite  gestellt  werden,  an  dessen  Zustimmung  er  in 
allen  wichtigen  Fragen  gebunden  sein  sollte;  eine  förmliche  Gefangen- 
nahme und  Überwachung  des  Papstes  war  die  notwendige  Voraussetzung 
dazu.  Für  die  Ausführung  des  Anschlages  war  der  20.  Januar  1385 
bestimmt.  Es  durfte  erwartet  werden,  dafs  die  durch  die  Verlegung  der 
Kurie  nach  Nocera  und  einen  abermaligen  Kardinalsschub  erbitterten 
Kardinäle  sich  anschliefsen  würden.  Das  Komplott  wurde  indes  ver- 
raten, sechs  Teilnehmer  in  den  Kerker  geworfen  und  mit  unmenschlicher 
Härte  behandelt.  Unter  der  Folter  gestanden  sie ,  was  man  wollte.2) 
Vor  einem  Konsistorium  von  fünf  Kardinälen  wurden  die  Unglücklichen 
ihrer  Amter  entsetzt,  König  Karl  als  Mitschuldiger  vor  den  Richterstuhl 
des  Papstes  zitiert  und,  da  er  nicht  erschien,  in  den  Bann  gelegt  und 
seines  Reiches  verlustig  erklärt.  Karl  sandte  nunmehr  ein  Belagerungs- 
heer nach  Nocera,  das  der  Papst  fünf  Monate  lang  verteidigte,  bis  es  von 

1)  Die  verschiedenen  Angaben  über  ihr  Ende  sind  von  Erler,  Nyem,  De  scisrnate 
S.  48  zusammengestellt. 

2)  Ebenda  S.  78,  91  ff.  Erat  enim  —  sagt  der  Augenzeuge  Nyem  —  cor  eius  (des 
Papstes),   qaoad  miserandum  ipsis,  Deucalionis  lapidibus  atque  silice  durius. 


408      Tötung  der  gefangenen  Kardinäle.    Tod  Karls  von  Durazzo  u.  Urbans  VI. 

bretonischen  Söldnern  entsetzt  wurde  (1385,  7.  Juli).  Urban  VI.  begab  sich 
nach  Genua.  Die  gefangenen  Kardinäle  wurden  hinter  ihm  mitgeschleppt. 
Den  Bischof  von  Aquila,  der  Miene  machte,  zu  entfliehen,  liefs  er  unter- 
wegs hinrichten.  Die  in  Neapel  zurückgebliebenen  Kardinäle  hatten 
ihm  mittlerweile  wegen  seines  Willkürregiments  ihre  Obedienz  entzogen 
und  verlangten  die  Entscheidung  über  das ,  was  zu  geschehen  habe, 
durch  ein  Konzil.  Von  den  gefangenen  Kardinälen  wurde  auf  Betreiben 
Englands  einer  entlassen1),  die  andern  fünf  im  Kerker  getötet.2)  Von 
Genua  zog  Urban  nach  Lucca ,  um  in  das  Königreich  Neapel  zurück- 
zukehren. 

3.  Mittlerweile  war  König  Ludwig  von  Ungarn  gestorben.  Eine 
mächtige  Adelspartei  wünschte  die  Erhebung  König  Karls  von  Neapel, 
des  nächsten  männlichen  Verwandten  des  verstorbenen  Königs.  Karl 
folgte  dem  Rufe,  fand  aber  in  Ungarn  einen  frühzeitigen  Tod  (s.  §  96). 
Nun  eilte  Otto  von  Braunschweig  aus  Avignon,  wohin  er  entkommen 
war,  herbei,  um  Neapel  für  den  Sohn  Ludwigs  von  Anjou  zu  gewinnen. 
Karls  Witwe  Margareta  knüpfte  dagegen  mit  Urban  Verbindungen  an. 
um  es  für  ihren  Sohn  Ladislaus  zu  behaupten ;  der  Papst  selbst  wünschte 
es  für  seinen  Nepoten  zu  erwerben.  Herzog  Otto  besetzte  Neapel  (1387,  Juli) 
und  hielt  es  trotz  des  Bannspruches  Urbans  VI.  fest;  Margareta  entfloh 
mit  ihrem  Sohne  in  das  feste  Gaeta.  Urban  VI.  hatte  sich  von  Lucca 
nach  Perugia  begeben,  um  von  da  gegen  Neapel  zu  ziehen,  Mangel  an 
Geld  nötigten  ihn  aber  zur  Umkehr.  Erst  jetzt  ging  er  nach  Rom, 
geriet  jedoch  hier  mit  den  Bürgern  in  Zwist.  Um  seinem  Geldmangel  ab- 
zuhelfen, versprach  er  das  Jubelfest  statt  im  Jahre  1400  schon  1390  zu 
feiern.  Er  starb  aber  bereits  am  15.  Oktober  1389,  wie  man  sagte,  an 
Gift,  das  ihm  die  Römer  eingaben. 

Mit  ihni  stieg  einer  der  gewalttätigsten  Männer  ins  Grab,  die  je  auf  dem  Stuhle 
Petri  gesessen.  Bei  seiner  Erhebung  von  den  besten  Absichten  geleitet,  voll  von  Eifer 
und  Pflichtgefühl,  hatte  er  nicht  das  mindeste  Verständnis  für  die  Entwicklung  des 
Papsttums  seit  dem  letzten  Jahrhundert.  "Wenn  er  das  Schisma  auch  nicht  hervorrief, 
so  fällt  die  Schuld,  dafs  es  sich  einwurzeln  konnte,  vornehmlich  ihm  zu,  und  hätte  es 
nicht  schon  seit  1378  bestanden,  so  wäre  es  zweifellos  1385)  während  seines  Auf- 
enthaltes in  Xocera  ausgebrochen.3)  Seine  Überhebung  und  unmenschliche  Grausam- 
keit gegen  die  Kardinäle  befestigte  in  diesen  die  Überzeugung,  dafs  ihnen  ein  recht- 
licher Anspruch  auf  die  Eegierung  der  Kirche  zustehe.4)  Bei  seinem  tyrannischen 
Vorgehen  mufsten  die  von  weltlicher  und  geistlicher  Seite  unternommenen  Versuche, 
dem  Schisma  ein  Ende  zu  machen,  ebenso  ergebnislos  verlaufen  wie  die  Kriegszüge, 
zu  denen  er  die  Christenheit  gegen  Klemens  VII.  und  die  mit  diesem  verbündeten 
Mächte  aufrief. 

4.  Nach  dem  Tode  Urbans  VI.  hoffte  Klemens  VII.  auf  den  An- 
schlufs  der  italienischen  Kardinäle,  aber  diese  wählten  nach  langen  Ver- 
handlungen den  Kardinal  Tomacelli  als  Bonifaz  IX.  (1389 — 1404)  zum 
Papste,  der,  seines  Vorgängers  Fehler  vermeidend,  den  Ansprüchen  des 
Kardinalkollegiums    willig    entgegenkam,    die    Kardinäle    reichlich    aus- 

l)  Aston. 

-    Die  verschiedenen  Berichte  über  ihren  grauenhaften  Tod  bei  Xyem,  110. 
3)  Hefele-Knöpfler  VI,  801. 
*    Souchon,  S.  40  ff. 


Bonifaz  IX.     Die  ersten  Unionsversuche  und  die  Universität  Paris.  409 

stattete  und  ihnen  den  früheren  Einflufs  auf  die  Verwaltung  der  Kirche 
wieder  zurückgab.  Sein  Charakter  bot  aber  arge  Blöfsen.  Die  Zeit- 
genossen tadelten  seine  Habsucht  und  Simonie.  Die  Erträgnisse  der 
Jubeljahre  von  1390  und  1400  füllten  seine  Kassen;  in  allen  Ländern 
der  römischen  Obedienz  wurden  Bullen  um  Geld  feilgeboten.  Bei  alledem 
reichten  diese  Erträgnisse  zur  Erhaltung  eines  Heeres  und  den  Ver- 
waltungskosten nicht  aus ,  daher  wurden  die  einzelnen  Länder  durch 
drückende  Auflagen  beschwert.  Ämter  und  Würden  der  Kirche  teilte 
der  Papst  unter  seine  zahlreichen  Verwandten  aus.  Die  Geldnot  zwang 
ihn,  päpstliche  Gebiete  wie  Ferrara,  Urbino,  Rimini,  Bologna  u.  a.  an 
städtische  Magistrate  oder  Signoren  als  päpstliche  Vikare  zu  übergeben. 
Dadurch  gewann  er  die  Mittel,  die  päpstliche  Macht  im  Kirchenstaate 
auf  eine  festere  Grundlage  zu  stellen.  Das  wichtigste  war,  dafs  er  die 
volle  Herrschaft  über  Rom  erhielt.  Mit  dem  Hause  Durazzo  machte 
er  Frieden.  Ein  Legat  krönte  im  Mai  1390  den  jungen  Ladislaus  zum 
König,  wofür  dieser  die  Angriffe  Ludwigs  IL  von  Anjou  und  des  Gegen- 
papstes siegreich  abwies.  Den  Kampf  gegen  Klemens  VII.  führte 
Bonifaz  IX.  mit  geistlichen  und  diplomatischen  Mitteln.  So  bereit  er 
war,  die  Einheit  der  Kirche  herzustellen,  wollte  er  dies  doch  nur  um 
den  Preis  der  vollständigen  Vernichtung  seines  Gegners.  Schon  mehrten 
sich  indes  die  Stimmen,  die  gebieterisch  die  Beseitigung  des  Schismas 
forderten. 

§  94.    Die  ersten  Unionsversuche  und  die  konziliare  Theorie. 
Die  kirchliche  Reformpartei  in  Frankreich. 

1.  Der  Gedanke,  das  Schisma  durch  ein  allgemeines  Konzil  zur 
Lösung  zu  bringen,  war  schon  bei  dessen  Ausbruch  aufgetaucht.  Den 
italienischen  Kardinälen  lag  er  nahe.  Auch  Urban  VI.  dachte  daran. 
In  diesem  Falle  hätte  es  freilich  unter  seiner  Leitung  stehen  und  in 
seinem  Sinne  entscheiden  müssen.  Von  gröfster  Wichtigkeit  in  der  Frage 
des  Schismas  war  die  Stellungnahme  der  Universität  Paris,  deren  durch 
die  kirchenpolitischen  Kämpfe  unter  Philipp  dem  Schönen  gesteigertes 
Ansehen  jetzt  auf  dem  Höhepunkt  stand.  Anfangs  nahm  sie  eine  zu- 
wartende Stellung  ein ;  erst  auf  das  Drängen  der  Krone  erklärten  sich 
die  juristische  und  medizinische,  später  auch  die  theologische  Fakultät 
für  Klemens  VII.  Die  Artistenfakultät,  ihrer  Zahl  nach  gröfser  als  die 
drei  andern,  umfafste  die  normannische,  französische,  pikardische  und 
englische  Nation.  Zur  pikardischen  gehörten  Vlämen,  zur  englischen 
auch  Schotten,  Iren,  Dänen,  Schweden,  Böhmen,  Polen,  Ungarn  und 
vornehmlich  auch  Deutsche.  Bei  allen  war  die  Haltung  des  Heimat- 
landes mafsgebend.  Während  sich  die  normannische  und  französische 
Nation  an  Klemens  VII.  hielten,  standen  die  pikardische  und  die  Mehr- 
heit der  englischen  Nation  zur  römischen  Obedienz.  War  auch  die 
Majorität  der  Universität  auf  der  Seite  Klemens'  VII. ,  so  blieben  doch 
Urbans  Anhänger  unbehelligt.  In  den  Kreisen  der  Universität  erscholl 
nun  gleichfalls  der  Ruf,    die  Streitfrage    durch   ein  Konzil   erledigen   zu 


410  Konrad  von  Gelnhausen  und  Heinrich  von  Langenstein. 

lassen.  Karl  V.  gab  einem  Professor  an  der  Universität,  Konrad  von 
Geinhansen,  im  Mai  1380  den  Auftrag,  seine  Gedanken  über  die  Be- 
seitigung des  Schismas  durch  ein  allgemeines  Konzil  darzulegen.  So 
entstand  die  Epistola  concordiae,  die  mit  Entschiedenheit  auf  die  Berufung 
eines  Konzils  hindrängt.  In  gewöhnlichen  Zeitläufen,  wird  dort  gelehrt, 
werde  ein  Konzil  vom  Papste  berufen,  in  aufsergewöhnlichen  versammle 
sich  die  Kirche  auch  ohne  päpstliche  Autorität  als  allgemeines  Konzil, 
und  könne  selbst  über  den  Papst  zu  Gericht  sitzen.  Nicht  auf  diesem, 
sondern  auf  der  Gesamtheit  der  beim  Konzil  versammelten  Gläubigen 
beruhe  die  Fülle  aller  kirchlichen  Gewalt.  Entschiedener  als  Karl  V. 
trat  Prinz  Ludwig  von  Anjou  für  den  Gegenpapst  ein,  der  nun  mit 
dessen  Hilfe  die  französische  Kirche  schonungslos  brandschatzte.  Immer 
lauter  wurde  daher  der  Ruf,  ihrem  Notstand  auf  konziliarem  Wege  ein 
Ende  zu  machen.  Indem  die  Universität  einen  Beschlufs  in  diesem 
Sinne  fafste,  Ludwig  von  Anjou  der  Konzilsberufung  widerstrebte,  ver- 
liefs  eine  Anzahl  angesehener  Lehrer  die  Universität  und  die  konziliaren 
Theorien  Konrads  von  Gelnhausen  wurden  nun  auch  aufserhalb  Frank- 
reichs verbreitet.  Noch  vor  Konrad  von  Gelnhausen  trat  Heinrich 
Hembuche  aus  Langenstein  bei  Marburg  in  Hessen  in  seiner  Epistola 
pacis  für  die  gleichen  Ideen  ein.  Noch  entschiedener  stellte  er  sich  zwei 
Jahre  später  (1381)  in  seinem  »Friedenskonzil«  (Epistola  concilii  pacis) 
auf  diesen  Standpunkt.  In  den  wichtigsten  Teilen  dieser  Schrift  steht 
Langenstein  auf  den  Schultern  Gelnhausens;  1383  an  die  Wiener  Uni- 
versität berufen,  verteidigte  er  in  Schreiben  an  den  Kaiser  und  andere 
Fürsten  den  Gedanken  an  die  konziliare  Lösung  der  kirchlichen  Krise. 
In  seinem  Friedensgedicht  (carmen  pro  pace)  erklärt  er  die  Konzils- 
berufung als  Aufgabe  des  Kaisers.  Aber  schon  tritt  ein  neuer  Gedanke 
ein,  der  der  Zession:  Beide  Päpste  verzichten  auf  ihre  Würde,  und 
ein  neuer  Papst  wird  gewählt.  Davon  wollten  weder  Klemens  VII.  noch 
Bonifaz  IX.  etwas  wissen.  Der  letztere  nannte  diesen  Weg  zur  Be- 
seitigung des  Schismas  einen  verwegenen  Eingriff  in  Gottes  Ordnung. 
Die  Universität  Paris  empfahl  schliefslich  (1394)  einen  dreifachen  Weg 
zur  Herstellung  der  kirchlichen  Einheit:  den  des  Kompromisses1), 
des  allgemeinen  Konzils  und  der  freiwilligen  Zession  beider  Päpste. 
Der  letzte  war  es,  an  den  sich  zunächst  die  Mehrheit  der  abendländischen 
Christenheit  klammerte. 

2.  Mit  diesen  Fragen  befafsten  sich  in  nächsten  Jahren  die  ge- 
feiertesten Lehrer  an  der  Pariser  Hochschule ;  sie  opponierten  zugleich 
auch  gegen  die  bestehenden  Zustände  in  der  Kirche  und  verlangten 
deren  Reform  an  Haupt  und  Gliedern.  Diese  Opposition  ist  im  Gegen- 
satz zur  englischen  oder  später  zur  böhmischen  eine  friedliche.  Die 
Schriften  der  Führer  unterscheiden  sich  kaum  wesentlich  von  denen 
einzelner  Kirchenväter  der  früheren  Zeit.  Ihre  Reformgedanken  sind  auf 
die  Reinheit  der  Kirche  und  daher  auf  die  Abschaffung  der  zahlreichen 


*)  D.  h.  die  Schlichtung  des  Streites  sollte  einer  von  beiden  Päpsten  gewählten 
Kommission  übertragen  werden. 


Pierre  d'Ailli.     Gerson.     Nikolaus  von  Clemangis.  411 

Mifsbräuche  gerichtet,    die  nun  in  der  Kirche    eingerissen   waren.     Von 
den  älteren  Kirchenlehrern  scheidet  sie  höchstens  das  Moment,    dafs  sie 
bereits   Anknüpfungspunkte    an    die    humanistischen   Bestrebungen    be- 
sitzen.    Ihre  grofsen  Vertreter    sind    Pierre  d'Ailli,    Johannes   von 
Gerson  und  Nikolaus  von  Clemangis.    Pierre  (1350  geboren)  hatte 
seine  Studien  im  Kollegium   von  Navarra   zu  Paris  gemacht,   wo  er  als 
Stipendiat  von  einer  Unterstützung  des  Hofes  lebte.     Seine  Vorlesungen 
über  Philosophie  erregten  Aufsehen.     Er  vertiefte   sich   in  das  Studium 
Occams  und  wurde  einer  der  bedeutendsten  Vertreter  des  Nominalismus. 
In  seineD  Kanzelreden   tadelte   er    das    üppige   Leben    der   Geistlichkeit 
und   ihren   unchristlichen    Wandel   in    kräftiger  Akzenten.      Schon  früh 
tritt    bei    ihm    ein    konservativer   Zug  an  den  Tag,    der  sich  allmählich 
verstärkte  und  ihn  zu  einem  mutigen  Verteidiger  der  kirchlichen  Dogmen 
machte.     Wie  mächtig  das  Schisma  auf   ihn   einwirkte,    sieht    man    aus 
seinen  Schriften,  von  denen  mehrere  die  Lehre  von  der  Kirche  behandeln. 
Im  Hinblick  auf   den   Wankelmut   des   Apostelfürsten   und   die   jetzigen 
streitenden    Päpste    dürfe    niemand    zweifeln,    dafs   Christus    allein    der 
Fels  sei,  auf   dem   die  Kirche  ruhe ,  im   geistigen  Sinne  die  hl.  Schrift, 
beziehungsweise  die  in   ihr   enthaltene  Wahrheit.      Finden    sich   sonach 
in  seinen  Schriften  Sätze,    die   an  Wiclifs  Schreibweise  mahnen,    so  hat 
er  freilich  die  Folgerungen  aus  dem  Satze,  dafs  die  Schrift  das  Fundament 
sei,  auf  dem  die  Kirche  ruhe ,   nicht  gezogen.     Während  er  lehrt,    dafs 
auch  ein  Papst  im   Glauben   irren   könne,    scheut   er  sich,   die  Unfehl- 
barkeit  der  Konzilien    anzuerkennen,    und    war    daher  schon  in  jungen 
Jahren  ein  Mann,  der  zwischen  den  Parteien   stand.      1386   ging   er  als 
Abgesandter  der  Universität   an   die    römische  Kurie.      1389    wurde    er 
Kanzler  der  Universität.     An  deren  Versuchen,  das  Schisma  beizulegen, 
nahm  er  noch  Anteil;  als  sie  sich  aber  an  Klemens  VII.  anschlofs  (1382), 
mufste  er  sich  beugen,  und  es  vergingen  nahezu  25  Jahre,  bis  er  wieder 
auf  die  Einberufung   eines    allgemeinen    Konzils    drang.      Um    so   mehr 
eiferte   er  für   die  Reform   der  Kirche.     Nachdem   er   das  Bistum  Laon 
abgelehnt  hatte,    weil  ihn   der   König    in  seiner  Nähe  behalten    wollte, 
wurde  ihm  1385  das  Bistum  Puy  und  schon  zwei  Jahre  später  das  Erz- 
bistum Cambray  zuteil.     Seine  hervorragendste  Tätigkeit  entfaltete  er  in 
den  ersten  Jahren  des  15.  Jahrhunderts.    So  auch  Gerson.    Dieser  —  sein 
eigentlicher  Name  lautet  Jean  Charlier  —  wurde  am  14.  Dezember  1363 
zu  Gerson  in  der  Diözese  Reims  als  ältestes  der  zwölf  Kinder  einer  wohl- 
habenden Bauernfamilie  geboren.   Die  ganze  Familie  hatte  eine  mönchische 
Gesinnung;    drei   seiner  Brüder   wurden   Mönche,    und  vier   von  seinen 
Schwestern  lebten  wie  Nonnen  im  Hause  ihrer  Eltern.    Auch  Gerson  kam  in 
das  Kollegium  Navarra.    Mit  Eifer,  in  anderrn  Sinne  freilich  als  die  Huma- 
nisten, trieb  er  klassische  Studien :  sie  boten  ihm  Gelegenheit,  die  Sprache 
zu  lernen,  in  der  die  Heiligen  ihre  gedankenreichen  Schriften  geschrieben. 
Die  philosophischen  Studien  trieb  er  unter  Aillis  Leitung  im  Sinne  der 
nominalistischen  Scholastik.      Am   innigsten  wandte   er  sich  der  Mystik 
zu,  ohne  ihre  Ausschreitungen  zu  teilen.     Sie  ist  ihm  die  wahre  Theologie. 
Ihre  Aufgabe  ist,  zur  Bufse  und   zum  Glauben   zu  führen.     1375  Nach- 


412  Die  Reformgedanken  der  französischen  Opposition. 

folger  Aillis  in  der  Kanzlerwürde,  bekleidete  er  diese  Stellung  bis  an  sein 
Lebensende.  Die  Not  der  Kirche  ging  ihm  tief  zu  Herzen.  Schon  in 
einer  Rede,  die  er  bei  der  Erlangung  des  theologischen  Doktorgrades 
hielt,  führt  er  den  Gedanken  aus,  der  Inhaber  eines  geistlichen  Amtes, 
und  sei  es  selbst  der  Papst,  sei  verpflichtet,  sein  Amt  niederzulegen, 
sobald  er  wahrnehme ,  dafs  er  durch  dessen  Fortführung  der  Kirche 
Schaden  zufüge.  Daran  knüpfen  alle  seine  späteren  Erörterungen  an, 
die  auf  die  Beilegung  des  Schismas  so  grofsen  EinfluTs  hatten.1)  Den 
Heifsspornen  freilich,  die  Urban  IV.  bekämpften,  trat  er  scharf  entgegen : 
Bei  der  Meinungsverschiedenheit  der  Gelehrten  über  die  Gültigkeit  der 
Wahlen  Urbans  und  Klemens'  dürfe  man  keinen  Schismatiker  nennen, 
es  genüge,  Christus  als  Haupt  der  Kirche  anzuerkennen.  Sei  doch  die 
Kirche  auch  bei  Erledigung  des  päpstlichen  Stuhles  ohne  sichtbares 
Haupt.  Dabei  war  er  wie  Ailli  weit  von  dem  Radikalismus  entfernt,  der 
in  England  und  bald  auch  in  Böhmen  um  sich  griff.  Er  will  von  einer 
Bibelübersetzung  nichts  wissen :  in  Laienhänden  könne  sie  eine  Quelle 
von  Irrtümern  sein.  Auslegen  dürfe  sie  nur.  wer  von  der  Kirche  berufen 
sei,  und  selbst  dazu  bedürfe  es  eigener  Normen.  Im  Sinne  seiner  mystisch- 
praktischen  Richtung  mahnt  er  die  Geistlichkeit  streng  an  die  Pflicht,  das 
Volk  durch  Lehre  und  Predigt  zu  erbauen.  Sein  Ansehen  war  ein  un- 
bestrittenes, als  er  im  Gefolge  seines  Lehrers  in  die  grofsen  Fragen  der 
Kirchenpolitik  eintrat.  —  Sein  jüngerer  Zeitgenosse  war  Nikolaus 
Poillevillain  aus  Clemangis,  einer  kleinen  Ortschaft  in  der  Cham- 
pagne. Um  1367  geboren,  trat  er  gleichfalls  in  das  Kollegium  Navarra 
und  erwarb  dort  als  Gersons  Schüler  jene  Beredsamkeit,  die  von  den 
Zeitgenossen  als  >tulhanische«  angestaunt  wurde.  Seine  Tätigkeit  war 
durchaus  auf  das  Praktische  gerichtet.  Das  Schisma  betrachtet  er  als 
die  Folge  der  Verderbnis  der  Kirche  ;  wohl  werde  der  Glaube  nicht  ge- 
fährdet werden ,  denn  dieser  ruhe  auf  fester  Grundlage ,  wohl  aber  die 
äufsere  Macht  der  Kirche.  Besser  als  andere  Zeitgenossen  erkannte  er 
diese  Verderbnis,  zugleich  aber  auch  die  Schwierigkeit  des  Läuterungs- 
prozesses. 1393  wurde  er  Rektor  der  Pariser  Universität  und  griff  nun 
auch  wie  Ailh  und  Gerson  lebhaft  in  die  Unionsfrage  ein. 

§  95.    Das  Schisma  vom  Tode  Kleinens  VII.  bis  zum  Pisaner  Konzil 

(1394—1409). 

Quellen.  Zu  den  obigen :  Vita  Innocentii  VII.,  Murat.  III,  2,  832  ff.,  844  ff. 
Antonii  Petri  Diarium  Rom.  Mur.  XXIV.  Aufser  den  schon  oben  genannten  Hilfs- 
schriften:  G oller,  K.  Sigismunds  Kirchenpolitik  1404 — 1413.  1902.  Sauerland, 
Gregor  Xu.  von  seiner  Wahl  bis  zum  Vertrag  von  Marseille.  HZ.  XXXIV,  74 — 120. 
(Dort  auch  eine  Übers,  über  die  einschl.  Quellen.)  E  h  r  1  e ,  Xeue  Materialien  z.  Gesch. 
Peters  v.  Luna.  ALKG.  VI,  139  ff.  Haupt,  Das  Schisma  des  ausg.  14.  Jahrh. 
ZGOberrh.    XF.  V. 

1.  In  einer  längeren  Denkschrift  beleuchtete  Clemangis  die  Vor- 
schläge der  Universität  zur  Herstellung  der  kirchlichen  Einheit.  Ihre 
Wirkung  ging  aber  durch  den  Tod  Klemens'  VII.  (1394,   16.  September) 

*)  Schwab,  S.  89  ff. 


Benedikt  XIII.     Zession  und  Obedienzentziehimg.  413 

verloren.  Statt  wie  der  französische  Hof  und  die  Universität  es  wünschten, 
eine  Neuwahl  zu  unterlassen,  wählten  die  ultramontanen  Kardinäle  ihren 
Kollegen  Petrus  von  Luna,  der  sich  Benedikt  XIII.  (1394 — 1417) 
nannte,  einen  Mann  von  grofsen  Talenten,  Beredsamkeit  und  muster- 
haftem Lebenswandel,  der  unter  andern  Umständen  eine  Zierde  des 
päpstlichen  Stuhles  gewesen  wäre.  Die  Kardinäle  hatten  sich  vor  der 
Wahl  eidlich  verpflichtet,  falls  einer  von  ihnen  gewählt  würde,  abzu- 
danken, wenn  dies  von  ihnen  gefordert  würde.  Diesen  Eid  wiederholte 
Benedikt  und  bat  um  die  Hilfe  des  französischen  Hofes  zur  Beilegung 
des  Schismas.  Schliefslich  verwarf  er  aber  den  Weg  der  Zession  und 
empfahl  eine  Zusammenkunft  mit  Bonifaz  IX.  Die  Folge  davon  war, 
dafs  ihm  die  Mehrheit  seiner  Kardinäle  entgegentrat.  Da  die  weltlichen 
Mächte  sich  für  die  Zession  einsetzten,  traten  die  beiden  Gegner  (1396) 
miteinander  in  Verbindung.  Der  deutsche  Reichstag,  der  im  Mai  1397 
tagte  und  bei  welchem  sich  Gesandte  von  England  und  Frankreich  ein- 
fanden, schickte  eine  Gesandtschaft  an  Bonifaz  mit  der  Forderung, 
Mittel  und  Wege  zur  Herstellung  der  kirchlichen  Einheit  ausfindig  zu 
machen.  Bonifaz  IX.  verstand  es  aber,  die  Gesandten  auf  seine  Seite 
zu  ziehen.  Zum  Zwecke  der  Herstellung  der  kirchlichen  Einheit  unter- 
nahm König  Wenzel  eine  Reise  nach  Frankreich  (1398) ;  er  selbst  ver- 
pflichtete sich,  Bonifaz  IX.  zur  Abdankung  zu  bringen;  dagegen  sollte 
Karl  VI.  den  Gegenpast  fallen  lassen.  Dieser  lehnte  die  Abdikation  ab, 
und  Bonifaz  IX.  erklärte  sich  nur  in  dem  Falle  dazu  bereit,  dafs  sein 
Gegner  das  gleiche  tue.  Der  Weg  der  Zession  war  somit  ungang- 
bar geworden. 

2.  Am  22.  Mai  1398  berief  Karl  VI.  abermals  eine  Versammlung, 
die  den  Ausspruch  fällte,  dafs  Benedikt  XIII.  als  hartnäckigem  Ver- 
teidiger des  Schismas  die  Obedienz  zu  entziehen  sei  (via  subtractionis). 
Die  Subtraktion  wurde  in  der  Tat  publiziert  und  Benedikt  XIII.  mitge- 
teilt. Sofort  kündigten  ihm  achtzehn  Kardinäle  den  Gehorsam  auf, 
nahmen  Söldner  in  den  Dienst  und  belagerten  den  Papst  in  seinem 
Palaste  zu  Avignon.  Dem  Beispiele  Frankreichs  folgten  Kastilien, 
Navarra,  die  Provence  und  mehrere  Städte  Flanderns.  Nur  König 
Martin  von  Aragonien  blieb  Benedikt  treu,  und  durch  seine  Vermitt- 
lung kam  ein  Vertrag  zustande,  nach  welchem  die  Belagerung  aufge- 
hoben wurde.  Wiewohl  nun  Benedikt  zu  resignieren  versprach,  falls 
sein  Gegner  dasselbe  täte  oder  mit  Tod  abgehe,  blieb  er  doch  in  Ge- 
fangenschaft, die  vier  Jahre  dauerte,  ohne  dafs  die  Unionsfrage  gelöst 
worden  wäre.  Bonifaz  IX.  verhielt  sich  ihr  gegenüber  ablehnend; 
freilich  waren  auch  seine  Versuche,  Wenzel  unter  dem  Versprechen  der 
Kaiserkrone  an  sich  zu  stehen,  vergebens,  und  die  Absetzung  Wenzels, 
dem  seine  Gegner  unter  andern  Beschuldigungen  (s.  unten)  den  Vor- 
wurf machten,  der  Kirche  nicht  zum  Frieden  geholfen  zu  haben  und 
die  Wahl  Ruprechts,  der  schon  als  Pfalzgraf  für  Bonifaz  IX.  tätig  ge- 
wesen, änderte  an  diesen  Verhältnissen  nichts.  Bonifaz  IX.  starb  am 
1.  Oktober  1404.  Wäre  nun  Benedikt  XIII.  seinem  Eide  entsprechend 
von  seiner  Würde  zurückgetreten,    so  hätte  das  Schisma  seine  natürliche 


414  Innozenz  VII.     Die  Frage  der  Konzilsberufung. 

Lösung  gefunden.  Seine  Gesandten  weilten  in  Unionsangelegenheiten 
in  Rom,  als  der  Tod  des  Papstes  erfolgte;  da  sie  für  die  neue  Lage  der 
Dinge  aber  keine  Vollmachten  hatten  und  an  der  Neigung  Benedikts 
abzudanken  zweifelten,  so  traten  die  römischen  Kardinäle  am  14.  Oktober 
zum  Konklave  zusammen.  Wiederum  verpflichteten  sie  den,  der  aus 
ihrer  Mitte  gewählt  würde,  mit  allen  Mitteln,  auch  um  den  Preis  des 
Verzichtes  auf  die  eigene  Würde,  für  die  Beendigung  des  Schismas  zu 
wirken.  Gewählt  wurde  der  Neapolitaner  Cosimo  dei  Migliorati,  ein 
leutseliger,  friedliebender,  in  Verwaltungssachen  erfahrener  Mann,  der 
nun  als  Innozenz  VII.  (1404 — 1406)  den  päpstlichen  Stuhl  innehatte. 
Stellte  er  eine  Reihe  von  Mifsbräuchen  ab  und  zog  er  bei  der  Auswahl 
der  Kardinäle  mehr  als  seine  Vorgänger  Verdienst  und  Würdigkeit  in 
Betracht,  so  nahm  er  doch  unter  dem  Einflufs  des  Königs  Ladislaus 
von  Neapel  allmählich  eine  geänderte  Haltung  an  und  setzte  den  Unions- 
bestrebungen der  Kardinäle  Widerstand  entgegen.1) 

3.  Zu  Ende  1403  hatte  Franz  von  Zabarella,  Rechtslehrer  in 
Padua,  ein  Gutachten  verfafst,  das  von  dem  Satze  ausgeht,  dafs  der 
Streit  nur  von  einem  allgemeinen  Konzil  entschieden  und  dieses  nur 
von  dem  Kardinalskollegium,  weil  ihm  das  Recht  der  Papstwahl  zustehe, 
berufen  werden  könne.  Zwei  Jahre  später  arbeitete  auch  der  Rechtsgelehrte 
Peter  von  Ancarano  aus  Bologna  auf  Wunsch  des  Kardinals  Cossa  ein 
Gutachten  aus,  das  zu  dem  Schlüsse  führt :  Einer  von  den  beiden  Päpsten, 
am  besten  beide,  müfsten  zum  Rücktritt  bewogen,  bezw.  gezwungen 
werden,  nicht  aus  Rechtsgründen,  sondern  im  Interesse  der  Kirchen- 
einheit. Hier  handelt  es  sich  also  nicht  mehr  um  die  Frage,  ob  einer 
der  beiden  Päpste  ein  gröfseres  Recht  auf  den  Stuhl  Petri  besitze,  son- 
dern darum,  dafs  beide  entfernt  und  auf  einem  von  den  beiderseitigen 
Kardinälen  zu  berufenden  Konzil  ein  neuer  Papst  gewählt  werde.2)  Am 
6.  November  1406  starb  Innozenz  VII.  Unter  den  Kardinälen  herrschte 
Geneigtheit,  die  Neuwahl  zu  verschieben  und  sich  mit  dem  französischen 
König,  der  soeben  ein  französisches  Generalkonzil  berufen  hatte,  in 
Verbindung  zu  setzen.  Aber  sie  befürchteten  Unruhen  in  Rom  und 
waren  in  Sorge  über  die  Haltung  des  Königs  Ladislaus,  endlich  war  es 
nicht  sicher,  ob  sich  Benedikt  XIII.  zur  Abdankung  entschliefsen  würde. 
So  schritten  sie  zur  Wahl;  auch  diesmal  schwuren  sie,  falls  einer  von 
ihnen  gewählt  würde,  abzudanken,  sobald  es  das  Unionswerk  erheische. 
Zugleich  wurden  genauere  Bestimmungen  über  die  Art  des  Vorganges 
getroffen.  Die  Kardinäle  wünschten  einen  Träger  der  Tiara,  selbstlos 
genug,  um  mit  ihrer  Hilfe  auf  die  Union  hinzuarbeiten.  Als  solcher 
empfahl  sich  der  hochbetagte  Kardinal  Angelo  Correr,  ein  Venezianer, 
dessen  Gelehrsamkeit  und  Sittenreinheit  ebenso  bekannt  waren  wie  sein 
Eifer  für  die  Einheit  der  Kirche.  Er  wurde  am  30.  November  gewählt 
und  nahm  den  Namen  Gregor  XII.  (1406 — 1415)  an.     Er  erklärte  sich 


*)  Souchon,    S.  81.      Finke,    Zum   Konzilsprojekt   Innozenz'   VII.      RQSchr.  Chr. 
A.  IV.    1893. 

2)  S.  auch  Reichstagsakten  VI,  521. 


Gregor  XII.  und  Benedikt  XIII.  415 

auch  nach  der  Wahl  bereit,  irn  Falle  der  Abdikation  des  Gegners  ab- 
zudanken, damit  beide  Kardinalskollegien  gemeinsam  zur  Papst  wähl 
schreiten  könnten,  und  richtete  Schreiben  dieses  Inhalts  an  Prälaten, 
Fürsten  und  Universitäten.  Die  gleiche  Gesinnung  bekundete  Benedikt  XIII. 
Gesandte  beider  setzten  Savona  als  Zusammenkunftsort  für  die  Unter- 
handlungen fest.  Da  vollzog  sich  1407  in  Gregor  XII.  eine  Wand- 
lung. Seine  Verwandten,  die  ihn  beherrschten  und  die  er  mit  Amter 
und  Würden  überschüttete,  wollten  von  einer  Abdikation  des  Papstes 
ebensowenig  wissen,  als  König  Ladislaus,  der  die  Wahl  eines  französi- 
schen Interessen  dienenden  Papstes  befürchtete.  Plötzlich  fand  Gregor, 
dafs  Savona  keine  genügende  Bürgschaft  für  seine  Sicherheit  gewähre. 
Die  dringendsten  Mahnungen  einer  französischen  Gesandtschaft,  die  zur 
Ausforschung  der  Gesinnung  beider  Päpste  abgeschickt  wurde  und  bei 
der  sich  Ailli  und  Gerson  befanden,  fanden  bei  ihm  so  wenig  Gehör  wie 
die  des  Gegenpapstes.  Dieser  erschien  zur  bestimmten  Zeit  in  Savona. 
Gregor  XII.  wich  der  Zusammenkunft  aus  und  geriet  in  ein  gespanntes 
Verhältnis  zu  seinen  Kardinälen,  ja  als  König  Ladislaus  Rom  besetzte  x), 
wurde  behauptet,  dafs  sich  Gregor  XII.  darüber  freue. 

4.  Um  gegen  die  älteren,  ihm  weniger  ergebenen  Kardinäle  ein 
Gegengewicht  zu  erhalten,  ernannte  er  vier  neue;  noch  war  aber  deren 
Präkonisation  nicht  vollzogen,  als  ihn  jene  verliefsen  und  nach  Pisa 
gingen.  Von  hier  aus  erliefsen  sie  zwei  Denkschriften :  die  eine  an 
Gregor  XII.,  in  der  sie  an  den  besser  zu  unterrichtenden  Papst,  an 
Christus,  an  ein  allgemeines  Konzil  und  den  künftigen  Papst  appellieren, 
die  zweite  an  die  christlichen  Fürsten,  in  der  sie  an  die  von  Gregor  XII. 
eingegangenen  Verpflichtungen  erinnern  und  um  Unterstützung  ihrer 
Unionsbestrebungen  bitten.  Noch  erkannten  sie  ihn  als  rechtmäfsigen 
Papst  an.  Gregor  selbst  erliefs  eine  Erklärung  mit  heftigen  Anschuldi- 
gungen gegen  sie.  Endlich  brach  sich  die  allgemeine  Überzeugung 
Bahn,  dafs  es  keinem  der  Päpste  mit  dem  Unionswerke  Ernst  sei.  In 
Frankreich  hatte  Benedikt  XIII.  an  dem  Herzog  von  Orleans,  der  am 
23.  November  1407  ermordet  wurde,  seine  Stütze  verloren.  Der  König 
verfügte,  wenn  sich  die  Gegner  nicht  bis  zum  nächsten  Himmelfahrts- 
feste verglichen  hätten,  würde  sich  Frankreich  neutral  erklären.  Als 
Benedikt  darauf  in  heftiger  Weise  antwortete,  erklärte  ihn  die  Universität 
als  hartnäckigen  Schismatiker  und  Häretiker  seiner  Würden  verlustig. 
Es  sollte  ihm  der  Gehorsam  entzogen  und  gegen  seine  Anhänger  nach 
den  Gesetzen  eingeschritten  werden.  Der  König  bestätigte  alles.  Viele 
Verdächtige,  unter  ihnen  Clemangis,  wurden  verhaftet  und  von  den 
Vorgängen  die  Kardinäle  beider  Obedienzen  mit  der  Bitte  in  Kenntnis 
gesetzt,  dem  Schisma  ein  Ende  zu  machen.  Benedikt  XIII.  begab  sich 
seiner  Sicherheit  wegen  nach  Perpignan.  Dorthin  schrieb  er  ein  Konzil 
auf  Allerheiligen  1408  aus'2)  und  schob  das  Scheitern  der  Union  auf 
Gregor  XII.      Dieser  behauptete  seine  Unschuld,  schrieb  gleichfalls  ein 


*)  Gregorovius  a.  a.  0. 

2)  S.  Ehrle,  Aus  den  Akten  des  Afterkonzils  von  1408.    ALKG.  V,  387. 


416  Die  Neutralität  in  Frankreich  und  anderen  Staaten. 

Konzil  aus,  das  zu  Pfingsten  entweder  in  Ravenna  oder  im  Patriarchate 
Aquileja  tagen  sollte,  und  begab  sieh  in  den  Schutz  der  Malatesta  nach 
Rimini.  Mittlerweile  hatte  Frankreich  die  Fürsten  des  Abendlandes  von  der 
Neutralitätserklärung  verständigt  und  zu  gleichem  Vorgehen  eingeladen. 
Böhmen,  Ungarn  und  Navarra  schlössen  sich  an.  In  Frankreich  traf 
eine  Synode  die  nötigen  Vorkehrungen  für  die  Zeit  der  Neutralität,  Die 
beiderseitigen  Kardinäle  waren  inzwischen  in  Livorno  zusammengetreten 
und  hatten  am  29.  Juni  1408  eine  feierliche  Urkunde  unterzeichnet,  in 
der  sie  erklärten ,  wegen  der  Nachlässigkeit  beider  Prätendenten  ein 
Generalkonzil  beider  Parteien  zu  berufen,  um  den  Frieden  in  der  Kirche 
herzustellen.  Die  Kardinäle  Gregors  forderten  dessen  Anhänger  auf, 
ihm  gleichfalls  die  Obedienz  zu  versagen.  Beide  Päpste  und  die  fürst- 
lichen Höfe  wurden  eingeladen,  auf  dem  Konzil  zu  erscheinen,  das  auf 
den  25.  März  1409  nach  Pisa  ausgeschrieben  wurde.  Die  Kardinäle 
Gregors  führten  gegen  diesen  eine  schärfere  Sprache,  als  die  der  anderen 
Obedienz  gegen  Benedikt,  gegen  den  auch  nicht  so  viele  Schmähschriften 
verbreitet  wurden.  Allerdings  hatte  Gregor  seine  Wähler  und  die 
katholische  Welt  durch  sein  Vorgehen  mehr  enttäuscht  als  Benedikt. 
Die  Schlichtung  des  Streites  bot  ja  auch  die  gröfsten  Schwierigkeiten; 
im  früheren  Mittelalter  war  es  die  Kaisergewalt,  an  welche  die  öffent- 
liche Meinung  in  letzter  Linie  appellierte ;  diese  war  jetzt  aber  zum 
leeren  Schatten  geworden  und  bot  ein  ähnliches  Bild  dar  wie  das 
Papsttum   selbst. 


&' 


2.  Kapitel. 

Das  Schisma  und  das  deutsche  Reich  unter  Wenzel  von  Böhmen 

und  Euprecht  you  der  Pfalz. 

§  96.    Die  ersten  Regierungsjahre  Wenzels.  Der  Zusammenbruch  der 
ungarisch-polnischen  Grofsinacht  und  die  Erwerbung  Ungarns  durch 

die  Luxemburger. 

Quellen.  Urkk. :  Deutsche  Reichstagsakten  unter  König  Wenzel,  herausg.  von 
Weizsäcker.  Bd.  I,  1376—1387,  n,  1388—1397,  EI,  1397— 1400.  München  1867— 1878. 
(S.  auch  oben  3.  Abschn.  §  69.)  Urk.  s.  in  Pelzel,  Lebensgesch.  des  römischen 
u.  böhmischen  Königs  Wenzeslaus.  Prag  1788 — 90.  Die  Acta  in  curia  Romana  (I,  125 — 126 
sind  auch  in  Pubitschka,  Chronol.  Gesch.  Böhmens,  abgedruckt.  Einzelnes  in  den 
Acta  imperii  selecta  und  inedita  wie  oben.  Das  Itinerarium  Wenzels  von  1379 — 1387 
in  Lindner,  Gesch.  d.  d.  Reiches  unter  König  Wenzel  I,  427 — 436.  Dort  §  13  auch 
einzelne  Urkk.    Über  das  Urkundenwesen  s.  Lindner   wie  oben. 

Erzählende  Quellen  ruit  Ausschlufs  der  zur  huss.  Bewegung  gehörigen ;  über 
diese  s.  unten  §  106):  Gobelinus  Persona  wie  §  92.  Herrrnann  Korner,  Chronica 
novella,  ed.  Schwalm.  Göttingen  1895.  Lit.  bei  Potth.  I,  356.)  Dietrich  Engelhus, 
Chronicon  bis  1420.  Leibnitz,  SS.  rer.  Brunsw.  LI,  978.  Von  bes.  Wichtigkeit  ist  Ludolf 
von  Sagan,  s.  oben.  Doch  sieht  er  in  Wenzel  nichts  als  den  Gönner  der  Hussiten. 
Limburger  Chronik  bis  1398  bezw.  1402  (Verfasser  Tileman  Elhen  von  Wolfhagen  in 
Niederhessen),  ed.  Wyfs  in  MM.  Germ.  Deutsche  Chroniken  IV.  (Lit.  Potth.  I,  305  . 
Dynter,  Libellus  de  imperatoribus  bis  Friedrich  III.,  1442,  in  Dynteri  Chronica  ducum 
Lotharingiae  I,  1,  9 — 111.     Chronica  des  Landes  Österreich  bis  1398,   ed.  Pez.    SS.  rer. 


Das  deutsche  Reich  unter  König  Wenzel.  417 

Austr.  I,  1043 — 1158,  unter  dem  Titel:  Matthaei  cuiusdam  vel  Gregorii  Hageni.  Germ. 
Austr.  Chron.  (Lit.  Potth.  I,  232.)  Ebendorfer  de  Haselbach,  Chronica  regum  Roma- 
norum (Ldber  augustalis  bis  1458),  ed.  Pfibram.  MJÖG.,  Erg.-Bd.  III.  Innsbr.  1890.  (Lit. 
Potth.  I,  388.)  Die  kleine  Chronik  von  Klosterneuburg  bis  1428.  AÖG.  VII,  227.  Chro- 
nicon  Moguntinum  bis  1406  (1478)  (Verfasser :  Johannes  Kungstein,  s.  Scheffer-Boichorst 
in  MJÖG.  X1H,  152),  ed.  Hegel,  Chr.  d.  d.  Städte  XVIH.  Auszüge  zur  Reichsgesch. 
unter  Wenzel  u.  Ruprecht  (1381—1403)  v.  Pauli,  FDG.  XVH.  Theoderich  v.  Nyem, 
wie  oben.  Justinger,  Berner  Chronik  bis  1421,  ed.  Studer.  Bern  1870.  (Lit.  Potth.  I,  692.) 
Acta  de  exauctoratione  Wenceslai  imp.  et  Ruperti  imp  electione  a.  1400.  Martene  Ampi. 
Coli.  IV,  7  —  140.  —  Zur  Erwerbung  Ungarns  Urkk.  in  Fejer,  Cod.  dipl.  Hung.  IX,  X.  MM. 
Hung.,  Acta  extera  TU,  MM.  Slav.  merid.  IV.  Altmann,  Regg.  Sigismunds.  Innsbruck 
1896 — 1900.  Darstellende  Werke  :  Laurentius  de  Monacis,  Carmen  de  casu  illustrium 
reginarum  et  de  lugubri  exitu  Caroli  Parvi  im  App.  ad  Chron.  Venetum.  Ven.  1788. 
Forma  relationis  facta  per  L.  d.  M.  MM.  Hung.,  Acta  extera  III,  623.  Joh.  de  Thurocz, 
Chron  Hung.,  ed.  Schwandtner  I,  39 — 291  (reicht  bis  1464).  Paulus  de  Paulo,  Me- 
moriale  1371 — 1407,  ib.  IH,  723 — 754.  Raphainus  de  Caresinis,  Contin.  Andreae  Danduli 
bis  1388,  Murat,  XII,  13  ff.  Windecke,  Denkwürdigkeiten  zur  Gesch.  des  Zeitalters 
Kaiser  Sigismunds,  ed.  Altmann.    Berl.  1893. 

Hilfsschriften.  Hauptwerk:  Th.  Lindner,  Gesch.  des  deutschen  Reiches 
unter  König  Wenzel.  2  Bde.  Braunschweig  1875 — 80.  Lindner,  Deutsche  Gesch.  unter 
den  Habsburgern  u.  Luxemburgern  IL  Stuttg.  1893.  Lind  n er,  in  d.  A.  D.  Biogr.  XLI. 
Pelzel,  wie  oben.  Zur  kirchl.  Frage  aufser  den  schon  genannten :  Eschbach,  Die 
kirchliche  Frage  auf  den  d.  Reichstagen  1378 — 1380.  Göttingen  1887.  Voifs,  König 
Wenzel  u.  die  röm.  Kurie.  1876.  Ch.  Mayer,  Das  Schisma  unter  König  Wenzel  und 
die  d.  Städte.  FDG.  XVI,  353.  Zanutto,  II  cardinale  Pileo  di  Prata  e  sua  prima 
legazione  in  Germania  (1378 — 82).  Udine  1901.  Kneebusch,  Die  Politik  König 
Wenzels  etc.  Progr.  Dortmund  1889.  Vahlen,  Der  deutsche  Reichstag  unter  König 
Wenzel.  Leipzig  1892.  Valois,  Une  ambassade  Allemande  ä  Paris  en  1381. 
BECh.  LIII.  Haupt,  Das  Schisma  des  ausgehenden  14.  Jahrh.  in  seiner  Einwirkung 
auf  die  Landschaften  d.  Oberrheins.  ZG  Oberrh.  XLV.  H.  Haupt,  Markgr.  Bernh. 
V.Baden,  Kirchl.  Pol.  während  d.  gr.  Schismas  1378 — 1415.  Ebenda  XLV.  Friedens- 
burg, Landgr.  Hermann  H.  v.  Hessen  u.  Erzb.  Adolf  v.  Mainz  (1373—1393).  ZV  hess.  G. 
NF.  XL  Schatz,  Stellung  Leopolds!  von  Österreich  zum  Schisma.  StMBCOXIH. 
Höfler,  Anna  von  Luxemburg.  DWienAk.  1870.  Zur  Erwerbung  Ungarns  aufser 
den  Handbüchern  zur  öst.  Geschichte  v.  Krön  es,  Huber,  Mayer  u.  denen 
zur  böhmischen  Geschichte  von  Bachmann,  Palacky,  Pubitschka  s.  Huber, 
Die  Gefangennahme  der  Königinnen  Elisabeth  u.  Maria  und  die  Kämpfe  Sigismunds 
gegen  die  neapol.  Partei  1386 — 1395,  AÖG.  LXVI.  Fefsler-Klein,  Gesch.  Ungarns n, 
Szälay,  Gesch.  Ung.  II,  Csudayl,  Klaic-Bojnicic,  Gesch.  v.  Bosnien,  184  ff. 
Aschbach,  Gesch.  K.  Sigismunds  I.  Arndt,  Die  Bez.  Sigismunds  zu  Polen  bis  zum 
Ofener  Schiedssprüche  1412.    Halle  1897. 

1.  König  Wenzel  hatte  beim  Tode  seines  Vaters  das  18.  Lebensjahr 
noch  nicht  vollendet.  Er  war  körperlich  und  geistig  anders  geartet  als 
dieser.  Von  starkem  Körperbau  —  Petrarca  nennt  ihn  einen  robusten 
Jäger  —  auch  geistig  nicht  ohne  Begabung,  fehlten  ihm  die  staats- 
männische Veranlagung  seines  Vaters  und  dessen  Ernst  und  unermüdliche 
Tätigkeit  in  den  Geschäften.  Wiewohl  er  eine  gute  Erziehung  erhalten 
hatte1),  trat  auch  das  Interesse  an  literarischen  und  künstlerischen 
Schöpfungen  bei  ihm  weniger  hervor  als  bei  Karl  IV.  Man  rühmte 
sein  freundliches  Wesen  und  seine  Redegewandtheit;  es  fehlte  ihm 
anfangs    nicht    an  Eifer   und   Einsicht   in   der  Wahl   seiner   Mittel;    ein 


*)  Erat  bene  literatus,  congrue  loquens  latine,  Dinter.     Dort  findet  sich  auch  die 
bekannte  Anekdote :   Wenceslaus,  alter  Nero,  Si  non  fui,  adhuc  ero. 

Loserth,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  27 


418  Charakteristik  Wenzels.     Seine  Kirchenpolitik. 

Freund  strenger  Gerechtigkeit,  verstand  er  es  auch,  mit  seinen  finanziellen 
Mitteln  besser  hauszuhalten  als  seine  Brüder,  aber  man  gewahrte  doch 
auch  schon  in  jüngeren  Jahren  die  dunklen  Seiten  seines  Charakters: 
seine  ungezügelte  Freude  am  Weidwerk  und  lustigen  Gelagen,  seinen 
Hang  zum  Trunk  und  sein  jähzorniges  Wesen.  Allerdings  sind  manche 
Geschichten  über  seine  unmenschliche  Grausamkeit  und  seine  würdelose 
Lebensführung  nichts  als  ein  haltloses  Gespinst  von  Fabeln  und  Anekdoten, 
die  aus  diesem  König  einen  zweiten  Nero  und  ein  vollständiges  Zerrbild 
gemacht  haben.  Schon  Zeitgenossen  zeichnen  sein  Bild  grau  in  grau, 
schelten  ihn  als  Gönner  jener  Ketzerei,  die  den  Deutschen  um  so  ver- 
abscheuungswürdiger  war,  als  ihr  Grundzug  der  tschechische  Nationalhafs 
gegen  das  deutsche  Wesen  war1);  daher  wird  Wenzel  schliefslich  selbst 
als  Deutschenfeind  hingestellt.2)  Im  Anfang  erschien  seine  Politik  als 
eine  Fortführung  der  seines  Vaters ;  auch  standen  ihm  noch  dessen 
bewährte  Ratgeber  zur  Seite.  Er  hielt  nicht  blofs  an  Urban  VI.  fest, 
der  ihm  den  Empfang  der  Kaiserkrone  in  Aussicht  stellte,  sondern  suchte 
ihm  auch  die  Anerkennung  der  übrigen  Mächte  zu  gewinnen.  Gleich 
der  erste  Reichstag  (1379,  Februar — März)  war  vornehmlich  der  kirch- 
lichen Frage  gewidmet.  Der  Erfolg  war  freilich  kein  vollständiger,  denn 
nur  die  rheinischen  Kurfürsten  schlössen  sich  Wenzels  Erklärung  für 
Urban  VI.  an3);  ihrem  Beispiele  folgten  zunächst  nur  wenige  Reichs- 
stände, ja  einzelne  wie  Herzog  Leopold  III.  von  Österreich  knüpften  Ver- 
bindungen mit  Avignon  an  (s.  oben). 

Auch  der  zweite  Eeiehstag  (September)  fafste  keinen  allgemeinen  BeschluTs  in 
Sachen  des  Schismas,  doch  dehnte  sich  der  schon  am  27.  Februar  zugunsten  Urbans 
geschlossene  Bund  immer  weiter  aus.  Köln,  Trier  und  Pfalz  schlössen  hierauf  am 
11.  Januar  1380  zu  Oberwesel  einen  Bund  gegen  jedermann,  der  sich  an  den  Gegen- 
papst halte :  eine  Drohung  gegen  die  Anhänger  Klemens',  zugleich  aber  auch  eine 
Stellungnahme  gegen  den  König,  der  in  dieser  Frage  Eücksicht  auf  Frankreich  und 
Österreich  zu  nehmen  hatte  und  daher  auch  in  der  lärchlichen  Frage  eine  friedliche 
Politik  verfolgte.  Schon  jetzt  wurden  Klagen  gegen  den  König  laut,  der  seine  Pflichten 
vernachlässige,  und  schon  taucht  der  Gedanke  auf,  auf  den  die  Kurfürsten  bis  zu 
seiner  Absetzung  immer  zurückkommen,  ihm  für  den  Fall,  dafs  er  nicht  im  Reiche 
erscheine,  einen  Reichsverweser  zu  setzen,  der  seinen  Aufenthalt  daselbst  nehme. 
Auf  dem  nächsten  Reichstage  (1380,  15.  April"  trat  abermals  eine  Anzahl  von  Ständen 
auf  die  Seite  Urbans  VI ,  im  nächsten  Jahre  auch  Adolf  von  Mainz,  der,  in  seinem 
Erzbistum  von  Ludwig  von  Meifsen  angefochten,  zum  Gegenpapst  gehalten  hatte.  Die 
allgemeine  Lage  gestaltete  sich  so,  dafs  fast  die  gesamte  Geistlichkeit  des  Reiches, 
bis  auf  die  in  jenen  Gegenden,  in  denen  Frankreichs  Einflufs  oder  der  Leopolds  von 
Österreich  vorherrschte,  auf  der  Seite  Urbans  stand.  Allerdings  gab  es  fast  überall 
Unterströmungen.  Selbst  in  den  Ländern  Wenzels  und  in  seiner  eigenen  Familie 
fand  der  Gegenpapst  Anhänger.  Die  Bemühungen  Wenzels  zugunsten  Urbans  wirkten 
nun  auch  auf  seine  äufsere  Politik  ein. 

2.  Die  traditionelle  Politik  des  luxemburgischen  Hauses  gebot  den 
Anschlufs  an  Frankreich.     Noch  Karl  IV.  hatte  zuletzt  die  alten  Bande 


x)  Wie  gehässig  sich  schon  Zeitgenossen  über  ihn  aussprachen,  sieht  man  fast 
aus  jeder  Zeile  Ludolfs  v.  Sagan. 

8)  Hostis  Teutunicorum  .  .  .  Verbum  Dei  in  lingua  Teutunica  Präge  in  ecclesiis 
predicari  prohibens  usw. 

8)  DRA.  I,  233. 


Das  deutsch-englische  Bündnis.     Die  ungarische  Nachfolgefrage.  419 

erneuert.  Auch  Wenzel  war  nicht  gewillt,  sie  zu  lösen.  Im  August  1380 
wurde  das  Bündnis  erneuert,  ja  die  Franzosen  hofften,  Wenzel  auch  in 
der  Kirchenfrage  auf  ihre  Seite  zu  ziehen.  Sie  setzten  ihre  Hoffnungen 
auf  die  Vermählung  ihres  Königs  Karl  VI.  mit  Wenzels  Schwester,  Anna. 
Diesen  Absichten  arbeitete  Urbans  Legat  Pileus  de  Prata  entgegen,  indem 
er  die  Werbung  König  Richards  II.  von  England  um  Annas  Hand 
unterstützte.  Eine  stattliche  Gesandtschaft,  der  sich  auch  Pileus  an- 
schlofs,  begab  sich  nach  London.  Dort  wurde  (1381,  2.  Mai)  aufser  dem 
Heiratsvertrag  zwischen  Richard  und  Anna  auch  ein  Bündnis  zwischen 
England  und  dem  deutschen  Reiche  geschlossen,  das  seine  Spitze  gegen 
Klemens  VII.  kehrte.  Aber  die  Hoffnung  Englands  und  Urbans  VI., 
dafs  die  Verbindung  der  beiden  Regentenhäuser  einen  Umschwung  in 
Wenzels  französischer  Politik  herbeiführen  würde,  ging  doch  nicht  in 
Erfüllung.  Wenzel  liefs  sich  weder  zu  einem  offensiven  Vorgehen  gegen 
Frankreich  bewegen,  noch  hinderte  er  es,  dafs  deutsche  Fürsten  Sold- 
verträge mit  ihm  abschlössen.  Als  sich  Ludwig  von  Anjou  aufmachte, 
um  seinen  Gegner  Karl  von  Durazzo  aus  Neapel  zu  vertreiben,  suchte 
Urban  VI.  den  König  Wenzel  zur  Romfahrt  zu  bewegen.  Auch  England 
liefs  es  nicht  an  Mahnungen  fehlen :  der  bedeutendste  englische  Kon- 
dottiere,  John  Hawkwood,  erhielt  den  Auftrag,  die  Sache  des  Papstes  zu 
fördern.  Auf  Wenzel  waren  auch  die  Hoffnungen  der  italienischen 
Patrioten  aus  Petrarcas  Schule  gerichtet;  er  hatte  die  Absicht,  im 
April  1383  nach  Italien  zu  ziehen,  um  die  Kaiserkrone  zu  empfangen, 
und  diese  Politik  hätte  die  deutsche  Opposition  gegen  ihn  im  Keime 
erstickt  und  Urban  zum  völligen  Siege  verholfen.  Da  trat  ein  Ereignis 
ein,  das  seiner  Politik  eine  Wendung  gab. 

3.  Am  11.  September  1382  starb  König  Ludwig  von  Ungarn  und 
Polen.  Von  seinen  Töchtern  war  die  ältere,  Maria,  mit  Wenzels  Bruder, 
Sigmund,  die  jüngere,  Hedwig,  mit  Wilhelm,  dem  ältesten  Sohn  Leopolds  III. 
von  Osterreich,  verlobt.  Beide  Reiche  sollten  an  Maria  kommen,  Hedwig 
war  eine  Geldentschädigung  zugedacht.  Noch  im  Juli  1382  hatte  Ludwig 
die  polnischen  Kronbeamten  bewogen,  Maria  als  Königin  anzuerkennen 
und  ihrem  Verlobten  die  Huldigung  zu  leisten.  Wenige  Tage  nach 
Ludwigs  Tode  wurde  Maria  in  Stuhlweifsenburg  gekrönt.  Aber  Polen 
wollte  von  der  Fortdauer  der  Union  nichts  wissen.  Ein  Teil  der  Grofsen 
wünschte  die  Erhebung  eines  Piasten,  des  Herzogs  Ziemowit  von  Masovien. 
Eine  Versammlung  des  grofspolnischen  Adels  erklärte  (1382,  November), 
nur  jene  Tochter  Ludwigs  als  Königin  anzuerkennen,  die  ihre  Residenz 
in  Polen  aufschlagen  würde.  Die  Königin- Witwe  Elisabeth,  die  auch  ihrer 
zweiten  Tochter  ein  Königreich  hinterlassen  wollte,  kam  den  Wünschen 
der  Polen  entgegen  und  entband  sie  (1383,  Februar)  ihrer  Verpflichtungen 
gegen  Maria  und  Sigmund.  Hedwig  sollte  zu  Pfingsten  in  Krakau 
gekrönt  werden.  Das  bedeutete  eine  Schädigung  des  luxemburgischen 
Hauses,  und  diesen  Interessen  opferte  Wenzel  nunmehr  die  der  Kirche. 
Indem  er  Jobst  von  Mähren  zum  Reichsvikar  in  Italien  ernannte,  war 
seine  Romfahrt  vertagt  —  zur  Freude  der  Franzosen,  die  eben  noch 
eine    Gesandtschaft    abgeordnet  hatten,    um    ihn   von    der   Bekämpfung 

27* 


420     Lösung  der  Union    zwischen  Ungarn  und  Polen.     Der  ungar.  Thronstreit. 

Ludwigs  von  Anjou  abzuhalten.  Dazu  war  Wenzel  bereit;  denn  Ludwig 
allein  war  imstande,  Karl  von  Durazzo,  den  bedeutendsten  Mitbewerber 
Sigmunds  um  die  ungarische  Krone,  in  Italien  festzuhalten.  König 
Wenzel  zwang  die  Königinwitwe  Elisabeth,  auf  die  Durchführung  ihrer 
Pläne  für  den  Augenblick  zu  verzichten.  Hedwigs  Krönung  wurde  auf 
den  Herbst  vertagt,  und  Sigmund  ging  an  der  Spitze  einer  ungarischen 
Heeresmacht  nach  Polen,  mufste  sich  aber  bald  von  der  Aussichtslosigkeit 
seiner  Nachfolge  überzeugen.  Als  die  polnischen  Grofsen  drohten,  mit 
der  Wahl  eines  arideren  Königs  vorzugehen,  wurde  Hedwig  endlich  nach 
Polen  gesandt  und  am  15.  Oktober  1384  zur  Königin  gekrönt.  Damit 
war  Polen  für  Sigmund,  von  dem  man  eine  Begünstigung  des  deutschen 
Bürgertums  befürchtete,  verloren.  Dieselbe  Besorgnis  hegten  die  Polen 
aber  auch  gegen  Hedwigs  Verlobten,  Wilhelm.  Sie  luden  daher  den 
litauischen  Grofsfürsten  Jagiello  ein,  sich  um  Hedwigs  Hand  zu 
bewerben.  Am  18.  Januar  1385  erschien  eine  litauische  Gesandtschaft 
in  Krakau  und  versprach  nicht  blofs  die  Christianisierung  von  Litauen, 
sondern  auch  dessen  Union  mit  Polen.  Herzog  Leopold  sollte  die  Geld- 
summe erhalten,  die  ihm  versprochen  war,  falls  die  Ehe  seines  Sohnes 
mit  Hedwig  nicht  zustande  käme.  Die  jugendliche  Königin,  deren  Herz 
dem  Österreicher  gehörte,  wies  die  Gesandten  an  ihre  Mutter.  Als 
Leopold  diese  an  die  Einhaltung  des  Versprechens  mahnte,  erklärte  sie 
sich  dazu  bereit,  und  Hedwig  lud  ihren  Verlobten  ein,  nach  Krakau  zu 
kommen.  Dort  wurde  er  aber  nicht  eingelassen.  Die  beiden  Verlobten 
hielten  im  Franziskanerkloster  ihre  Zusammenkünfte.1)  Die  Ankunft 
Wilhelms  durchkreuzte  die  Pläne  der  Polen,  die  sich  mit  Jagiello  bereits 
geeinigt  hatten.  Von  der  Aussicht  auf  den  Gewinn  Litauens  geblendet, 
zwangen  sie  Hedwig,  dem  Grofsfürsten  die  Hand  zu  reichen.  Am 
15.  Februar  1386  empfing  er  die  Taufe,  drei  Tage  später  wurde  die 
Vermählung  gefeiert,  am  4.  März  wurde  er  zum  König  gekrönt.  Die 
Union  mit  Ungarn  war  zerrissen. 

4.  Auch  in  LTngarn  fand  Sigmund  Gegner,  unter  denen  sich  zeit- 
weise selbst  die  Königinwitwe  befand.  Gegen  den  Einflufs,  den  sie  dem 
Palatin  Nikolaus  von  Gara  gewährte,  erregte  die  Familie  der  Horwäthi 
einen  Aufstand  im  südlichen  Ungarn  und  beschlofs  die  Erhebung  König 
Karls  von  Neapel,  des  nächsten  männlichen  Verwandten  Ludwigs,  auf 
den  ungarischen  Thron.  Statt  sich  nunmehr  an  das  luxemburgische 
Haus  zu  halten,  ging  Elisabeth  mit  dem  Plan  um,  das  Verlöbnis  ihrer 
Tochter  mit  Sigmund  zu  lösen  und  sie  mit  Ludwig  von  Orleans,  dem 
Bruder  Karls  VI.,  zu  vermählen.  Sigmund,  nicht  gewillt,  Braut  und 
Reich  leichten  Kaufes  zu  opfern,  rückte,  vom  König  Wenzel  und  seinem 
Vetter  Jobst  unterstützt,  in  LTngarn  ein  (1385,  August).  Karl  von  Neapel 
hatte  gegen  den  Willen  seiner  Gemahlin  dem  an  ihn  gerichteten  Rufe 
Folge  geleistet.  Man  kennt  die  Motive  nicht,  die  ihn  bewogen,  die 
Tochter  seines  Wohltäters  ihrer  Krone  zu  berauben.  Das  Wahrscheinliche 
ist,  dafs  er  durch  den  Besitz  Ungarns  sich  auch  in  dem  von  Neapel  zu 


*)  Über  den  Vollzug  ihrer  Ehe  mit  Wilhelm  s.  Caro,  Gesch.  Polens  H,  506. 


Karl  von  Neapel  und  Sigmund  von  Luxemburg.  421 

befestigen  hoffte.  Indem  er  seinen  Sohn  Ladislaus  in  Neapel  zurückliefs, 
ging  er  nach  Ungarn.  Am  12.  Dezember  1385  erschien  er  in  Zengg. 
Jetzt  gab  Elisabeth  ihre  französischen  Pläne  auf,  und  reichte  Maria  ihrem 
Verlobten  die  Hand.  Aber  die  Mehrheit  der  Grofsen  wollte  von  ihm 
nichts  wissen.  Die  Verpfändung  eines  Teiles  vom  nordwestlichen  Ungarn 
an  seine  mährischen  Vettern  hatte  ihn  allgemein  verhafst  gemacht. 
Während  er  nach  Böhmen  zurückkehrte,  rückte  Karl,  dessen  Anhang 
immer  gröfser  wurde,  bis  Ofen,  nahm  den  Titel  Gubernator  an  und 
wurde  von  den  Ständen  zum  König  proklamiert  und  am  31.  Dezember  1385 
in  Stuhlweifsenburg  gekrönt.  Die  Königinnen,  denen  das  Schicksal 
Johannas  von  Neapel  drohte,  ergaben  sich  scheinbar  in  ihr  Geschick 
und  wohnten  selbst  der  Krönung  bei.  Aber  Elisabeth  wartete  nur  auf 
den  Augenblick  der  Rache.  Nachdem  sie  mit  ihren  Getreuen  den  Plan 
festgesetzt  hatte,  liefs  sie  am  Abend  des  7.  Februar  1386  den  König  zu 
einer  Unterredung  in  ihre  Gemächer  einladen;  dort  wurde  er  mit  einer 
Streitaxt  an  Stirn  und  Auge,  dem  Anscheine  nach  tödlich,  verwundet, 
nach  Wischegrad  geschleppt  —  und,  als  seine  Wunden  zu  heilen  begannen, 
am  24.  Februar  erdrosselt. 1)  Elisabeth  und  Maria  nahmen  die  Regierung 
wieder  an  sich,  und  das  luxemburgische  Haus  beeilte  sich,  den  Zwischenfall 
zu  seinem  Vorteil  auszunützen.  König  Wenzel  selbst  erschien  in  Ungarn. 
Unter  seiner  Vermittlung  wurde  ein  Vertrag  vereinbart,  der  Sigmund 
zwar  von  der  Regierung  ausschlofs,  ihm  aber  reiche  Einkünfte  und  seinem 
Vetter  für  die  verpfändeten  Gebiete  eine  Geldentschädigung  gewährte. 
Dieser  Vertrag  befriedigte  keinen  der  beiden  Teile.  Als  Sigmund,  um 
neue  Truppen  heranzuziehen,  nach  Böhmen  zog,  gewannen  die  Partei- 
gänger des  Hauses  Neapel  im  südlichen  Ungarn  immer  mehr  Boden. 
Als  sich  die  beiden  Königinnen  (am  25.  Juli)  von  Diakovar  nach  Gara 
begeben  wollten,  wurden  sie  von  Horwäthi  und  einer  Schar  Bewaffneter 
angegriffen,  ihrer  Schätze  beraubt,  Gara,  sein  Vetter  Johann  und  Nikolaus 
Forgach  vor  dem  Angesicht  der  Königinnen  enthauptet  und  sie  selbst 
gefangen  gesetzt.  Man  hegte  die  Absicht,  sie  an  die  Witwe  Karls  aus- 
zuliefern. Auf  die  Nachricht  hie  von  eilte  Sigmund  nach  Ungarn,  als 
dessen  »Hauptmann«  er  nunmehr  von  Marias  Anhängern  anerkannt 
wurde.  Zu  Anfang  1387  unternahm  er  einen  Zug  nach  Kroatien,  um 
Gattin  und  Schwiegermutter  aus  den  Händen  ihrer  Gegner  zu  befreien. 
Um  auf  ihre  Gegner  in  terroristischem  Sinne  einzuwirken,  liefsen  die 
Horwäthi  die  Königin- Witwe  vor  den  Augen  ihrer  Tochter  erdrosseln;  in 
der  Tat  zog  sich  Sigmund,  um  nicht  ein  ähnliches  Geschick  über  seine 
Gemahlin  heraufzubeschwören,  zurück  und  überliefs  das  ganze  südliche 
Ungarn  seinem  Schicksal.  Auch  sonst  wurde  Ungarn  von  allen  Seiten 
bedrängt,  und  so  stürzte  die  von  Ludwig  dem  Grofsen  gewonnene  Macht- 
stellang  zusammen.  Im  Norden  nahm  Hedwig  Rotrufsland  weg,  als  dessen 
Erbin  sie  sich  betrachtete ;  im  Süden  überfiel  der  serbische  Fürst  Lazar, 
der  Verbündete  der  Horwäthi  das  Macsoer  Banat;  Twartko  von  Bosnien 
bedrängte  Dalmatien,  und  der  Woiwode  Mircea  von  der  Walachei  schlofs 


x)  Neuere  Lit.  s.  JBG.  1897,  III,  316. 


422     König  Sigmund  behauptet  Ungarn.     König  Wenzel    und  der  Landfrieden. 

gegen  Ungarn  ein  Bündnis  mit  Polen.  Und  schon  drängten  auch  die 
Türken  gegen  Ungarns  Grenzen.  Die  Horwäthi  waren  inzwischen  mit 
König  Ladislaus  von  Neapel  in  Verbindung  getreten  und  suchten  den 
Kampf  kräftig  zu  Ende  zu  führen.  Da  gewann  Sigmund  die  Hilfe 
Venedigs,  dessen  Seeherrschaft  auf  der  Adria  gefährdet  war,  falls  Ungarn 
und  seine  stattlichen  Küstengebiete  mit  Neapel  vereinigt  würden.  Der 
Unterstützung  Venedigs  dankte  es  Sigmund,  dafs  ihn  Marias  Anhänger 
zum  König  wählten.  Am  31.  März  1387  wurde  er  in  Stuhlweifsenburg 
gekrönt.  Nun  galt  es,  die  Königin  zu  befreien;  während  ungarische 
Truppen  Novigrad  auf  der  Landseite  einschlössen,  wurde  es  auf  der  See- 
seite von  den  Venezianern  belagert.  An  diese  lieferten  die  Belagerten 
gegen  die  Zusicherung  freien  Abzugs  die  Königin  aus.  In  Agram  ver- 
einigte sie  sich  am  4.  Juli  1387  mit  ihrem  Gemahl. 

§  97.    König  Wenzel  und  der  Landfrieden  in  Deutschland. 

Quellen  wie  §  96.  Zu  den  Akten :  Janssen,  Frankfurts  Reichskorrespondenz  I, 
S.  1 — 64.  Zur  Gesch.  der  Regierungszeit  König  Wenzels.  S.  auch  S.  487  ff.  Hilfs- 
schriften aufser  den  bereits  genannten  vor  allem  das  Buch  von  Lindner.  W.  Vischer, 
Gesch.  des  schwäbischen  Städtebundes  1376—1389.  FDG.  II.  —  Zur  Gesch.  d.  schw. 
Städteb.,  ib.  HI.  Lindner,  Zur  Gesch.  d.  schw.  Städteb.,  ib.  XIX,  31  ff.  Vochezer, 
Zur  Gesch.  d.  schw.  Städteb.  der  Jahre  1376—1389,  ib.  XV,  1-18.  Klüpfel,  Der 
schwäbische  Bund.  HT.  VI.  F.  2.  93 — 135.  Quid  de,  Der  rheinische  Städtebund  von 
1381.  Westd.  Z.  IL  —  Der  schw.-rhein.  Städtebund  irn  Jahre  1384  bis  zum  Abschlufs 
der  Heidelberger  Stallung.  Stuttg.  1884.  E  b  r  a  r  d ,  Der  erste  Annäherungsversuch  Wenzels 
an  den  schwäb.-rhein.  Städtebund  1384 — 85.  Strafsb.  1877.  Wutke,  Beitr.  z.  Gesch.  des 
groüsen  Städtebundkrieges  1387 — 88.  M.  Salzb.  Landesk.  XXVIH.  Über  einen  älteren 
Bund  s.  Seeliger,  Der  Bund  der  Sechsstädte  in  der  Ob.-Lausitz  1346 — 1437.  X.  Laus. 
Mag.  LXXH.  Schindelwick,  Die  Politik  der  Reichsstädte  des  früheren  schwäb. 
Städtebundes  1389—1401.  Breslau  1888.  Hinneschiedt,  Die  Politik  K.  Wenzels 
zwischen  Fürsten  und  Städten  im  Südw.  des  Reiches.  Progr.  Darmst.  1892.  Derselbe, 
K.  Wenzel,  Ruprecht  I.  u.  der  Ständekampf  in  Südwestdeutschland  1387—89.  ZGORh.  XHI. 
Landau,  Die  Rittergesellschaften  in  Hessen  während  des  14.  u.  15.  Jahrh.  Z.  hess. 
Gesch.     Suppl.   I. 

1.  Wie  in  der  kirchlichen  Frage  knüpfte  Wenzel  auch  bei  seinen  Be- 
mühungen um  die  Aufrechthaltung  des  Landfriedens  an  die  Politik 
Karls  IV.  an  und  hat  zu  diesem  Zwecke  in  seinen  ersten  Regierungs- 
jahren eine  reiche  gesetzgeberische  Tätigkeit  entfaltet.  Aber  seine  Macht 
reichte  nicht  aus,  die  allgemeinen  Gesetze  gegen  die  Willkür  der  parti- 
kularen Gewalten  zur  Anerkennung  zu  bringen.  Die  Reichsstädte  wider- 
strebten in  der  Besorgnis,  gegen  die  mit  dem  Königtum  verbündete 
Fürstenmacht  ihre  Unabhängigkeit  zu  verlieren,  den  Bemühungen  des 
Königtums  um  die  Herstellung  eines  allgemeinen  Landfriedens,  und  da 
auch  die  Fürsten  der  Aufrichtung  einer  starken  Zentralgewalt  entgegen- 
traten, so  erhielt  Wenzels  Politik  ein  schwankendes  Aussehen.  Es  ist 
charakteristisch,  dafs  ihm  ein  Zeitgenosse  den  Wunsch  auf  die  Lippen 
legt:  es  möchten  sowohl  Herren  als  Städte  zunichte  werden.1)  Die 
gröfste  Bedeutung  beanspruchte  der  schwäbische  Städtebund,  der  beim 
Tode  Karls  IV.    nicht   weniger   als   89  Mitglieder    zählte    und    auf    dem 

x)  DRA.  XCVI. 


Der  schwäbische  und  rheinische  Städtebund  und  die  Bitterbündnisse.         423 

Reichstage  von  1379  (Februar-März)  Anerkennung  durch  den  König  ver- 
langte.    Seine   kraftvolle   Entwicklung1)   wurde   vom   niederen  Adel   mit 
scheelem  Auge  betrachtet,    der,    von   der  Fürstengewalt  eingeengt,    sich 
nunmehr  auch  von  den  Städten  bedroht  sah,  vdie   durch   ihre    treffliche 
Organisation    und    die  neuen  Kriegsmittel  —  das  Geschützwesen  —  im- 
stande waren,  nicht  blofs  Übergriffe  der  Ritter  zu  ahnden,  sondern  sich 
auch    selbst    solche    zu    gestatten.     In   ihrer  Vereinzelung    Fürsten   und 
Städten  gegenüber  machtlos,   traten   sie   nun   ebenfalls  zu  gegenseitigem 
Schutze  zusammen.     So   entstanden  1379  in  Hessen  und  an  der  oberen 
Lahn   der  Bund  der  Hörner,    in  Westfalen  die  Falkner,    unter  dem 
fränkischen    Adel    die    Georgsgesellschaft,    in    Süddeutschland  die 
Gesellschaft  von  St.  Wilhelm,  namentlich  aber  die  vom  »brimmenden 
Löwen«,    genannt  vom  Wappen,    das  die  Ritter  in  Gold,  die  Knappen 
in  Silber  auf  ihrer  Rüstung  trugen.     Der  Löwenbund,  im  Oktober  1379 
von  rheinischen  und  wetterauischen  Herren   und  Grafen  auf  drei  Jahre 
geschlossen,  gewann  schon  im  folgenden   Jahre  eine  starke  Verbreitung. 
Ulrich  von  Württemberg,    die   mächtigsten   Herren   von    Schwaben,    die 
Bischöfe  von  Augsburg  und  Strafsburg,  ja  selbst  die  Stadt  Basel,  traten 
ihm  bei.     So  gab  es  eine  starke  Vereinigung,  die  sich  unmittelbar  gegen 
den  Bund  der  Städte  richtete.     Ursprünglich   nur   zur  Verteidigung   be- 
stimmt, wurde  ihre  Richtung  bald  eine  aggressive  und  die  blofse  Existenz 
dieser  Bündnisse  eine  Gefahr  für  den  öffentlichen  Frieden.     Ihre  Grün- 
dung   hatte    zunächst   den  Erfolg,    dafs    die  Städte    sich  noch  enger  an- 
einander schlössen  und  ihren  Bund   erweiterten.     Um  ihre  Unabhängig- 
keit besorgt,  die  durch  den  Herzog  Leopold  III.  von  Österreich  gefährdet 
schien,    verbündeten    sich   Hagenau,    Kolmar,   Mülhausen  u.  a.  auf  fünf 
Jahre,   »um  beim  Reiche  zu  bleiben,  und  nicht  versetzt  oder  verpfändet 
zu  werden«  (1379).  Ein  erfolgreicher  Angriff  des  Löwenbundes  (1380)  auf 
Frankfurt  legte  es  auch   den  rheinischen  Städten   nahe,    sich   zu   einem 
Bündnisse  zu  vereinigen.     So  kam  am  20.  März  1381  der  rheinische 
Städtebund    zustande,   dem  Frankfurt,  Mainz,  Speyer,  Worms,  Strafs- 
burg,  Hagenau    und  Weifsenburg  angehörten  und  der  bis  Weihnachten 
1384  dauern  sollte.    Hatte  der  schwäbische  Städtebund  eine  grosfe 
politische  Bedeutung,  indem  er  es  als  seine  wichtigste  Aufgabe  erkannte, 
die  Reichsfreiheit  der  Städte  zu  wahren,    so   ging   der  rheinische  aus 
dem  augenblicklichen  Bedürfnisse  wirksamen  Schutzes  gegen  die  Ritter- 
bündnisse und  die  mit  ihnen  verbündeten  Fürsten  hervor ;  daher  traten 
ihm  von  den  elsässischen  Städten  nur  solche  bei,  die,  wie  Hagenau  und 
Weifsenburg,    unmittelbar   bedroht   waren.     Dagegen   schlössen   die  Mit- 
glieder  des   schwäbischen  Städtebundes    in    der  Überzeugung,    dafs    die 
Ritterbündnisse  vornehmlich  wider  sie  gerichtet  seien,  am  17.  Juni  1381 
ein  Schutzbündnis  mit  dem  rheinischen  Bund  auf  drei  Jahre.    Im  übrigen 
behielten  beide  Teile  ihre  gesonderte  Existenz.     Keiner  sollte  in  Sachen 
des  Bundes  ohne  Wissen    des   andern  Frieden   schliefsen,    kein  Mitglied 
ohne   gegenseitiges   Einverständnis    aufgenommen   werden   usw.     Würde 


!)  Bezeichnend  hiefür  bes.  DKA.  I,  S.  251,  Nr.  141. 


424     Bund  der  Fürsten.     Der  Landfrieden  v.  Wesel  und  d.  Vertrag  v.  Ehingen. 

es  jemand  versuchen,  die  Städte  von  dem  Bunde  zu  trennen,  so  sollte 
gegen  ihn  —  und  wäre  es  auch  der  König  selbst  — -  mit  allen  Mitteln 
eingeschritten  werden.  Wie  im  Norden  Deutschlands  die  Hanse,  gab 
es  nun  auch  im  Süden ,  einen  Bund  von  Städten  von  grofser  Stärke, 
wenn  auch  nicht  mit  der  trefflichen  Organisation  der  Hanse. 

2.  Die  Vereinigung  der  beiden  Städtebündnisse  im  Süden  des 
Reiches,  deren  Gründung  den  Bestimmungen  der  Goldenen  Bulle  wider- 
sprach, erregte  die  Besorgnis  des  Königs  und  der  Fürsten.1)  Auch  diese 
suchten  sich  nun  enger  aneinander  zu  schliefsen.  Am  21.  Juni  1381 
einigten  sich  zunächst  die  rheinischen  Kurfürsten  zu  gemeinsamem 
Handeln :  sie  verpflichteten  sich,  innerhalb  der  nächsten  sechs  Jahre  in 
keinen  Städte-  oder  andern  Gesellschaftsbund  einzutreten,  sondern  sie 
für  ihre  Länder  zu  verbieten,  endlich  sich  gegenseitig  zu  unterstützen, 
falls  einer  von  ihnen  angegriffen  werden  sollte.  Auf  dem  Frankfurter 
Reichstage  (1381  September)  legte  Wenzel  den  Entwurf  eines  allgemeinen 
Landfriedens  vor,  der  sich  gegen  die  Städtebündnisse  kehrte.  Indem 
darin  das  ganze  Reich  in  mehrere  Distrikte  geteilt  und  die  einzelnen 
städtischen  Gruppen  gröfseren  landesfürstlichen  Territorien  zugewiesen 
wurden,  sollte  der  Zusammenhang  der  Städte  unterbrochen  werden. 
Diese  wollten  ihre  Bündnisse  nicht  preisgeben  und  wehrten  sich  nicht  blofs 
gegen  den  Entwurf  des  Königs,  sondern  legten  einen  Gegenentwurf  vor2), 
der  von  einer  Einteilung  des  Reiches  in  Kreise  nichts  enthielt  und  Zu- 
lassung des  Städtebundes  im  Rahmen  des  Landfriedens  begehrte.  Da 
bot  Herzog  Leopold  von  Osterreich,  dessen  Absichten  auf  Oberitalien 
gerichtet  waren,  und  der  deshalb  nicht  in  den  Kampf  der  Städte  ein- 
bezogen werden  wollte,  seine  Vermittlung  an.  Kurze  Zeit  nachdem  die 
vier  rheinischen  Kurfürsten  sich  in  dem  sog.  Landfrieden  von 
Wesel  (1382,  9.  März)  gegen  alle  Gesellschaften  ihrer  Ländergebiete 
gewandt  hatten,  wurde  unter  Leopolds  Vermittlung  der  Vertrag  von 
Ehingen  abgeschlossen  (9.  April),  der  den  Frieden  zwischen  dem 
schwäbischen  Bunde  einer-  und  den  Rittergesellschaften  und  den  mit 
ihnen  verbündeten  Fürsten  anderseits  bis  Anfang  1384  festsetzte.  Nach- 
dem die  Rittergesellschaften  die  Macht  der  verbündeten  Städte  erprobt 
hatten,  lösten  sie  sich  bis  auf  die  von  St.  Georg  allmählich  auf.  Der 
Umstand,  dafs  Verträge,  wie  der  von  Ehingen,  zwischen  Städten,  Ritter- 
schaften und  Fürsten  ohne  Zuziehung  des  Reichsoberhauptes  geschlossen 
wurden,  mufste  dessen  Ansehen  in  hohem  Grade  schädigen.  Seine  Be- 
mühungen gingen  fortan  dahin,  alle  eigenmächtigen  Bündnisse  der  Reichs- 
stände untereinander  aufzulösen  und  einen  Landfrieden  aufzurichten, 
dessen  Haupt  er  selbst  sein  sollte.  Gegen  derartige  Pläne  erneuerten 
die  Städte  ihre  Bündnisse:  die  rheinischen  bis  1392,  die  schwäbischen 
bis  1395,  beide  ihren  Bund  bis  1391.  Für  die  Landfriedensbestrebungen 
Wenzels  lagen  sonach  die  Verhältnisse  ungünstig.  Zwar  verkündigte  er 
auf  dem  Reichstag  von  Nürnberg  am  11.  März  1383  einen  Landfrieden 


1    DRA.  I,  S.  314. 

2)  DRA.  I,  Xr.  181.  S.  namentlich  Punkt  15,  S.  324. 


Die  Heidelberger  Stallung  vom  Jahre  1384.  425 

über  das  ganze  in  vier  Kreise  eingeteilte  Reich  auf  zwölf  Jahre1)  und 
gebot  drei  Tage  nachher  den  geistlichen  und  weltlichen  Fürsten,  Grafen, 
Herren,  Rittern  und  Knechten,  sich  ihm  anzuschliefsen,  aber  die  Städte 
lehnten  mit  Ausnahme  von  Basel  den  Beitritt  ab,  weil  ihnen  der  Verzicht 
auf  ihre  Sonderbündnisse  zugemutet  wurde.  Es  war  daher  lediglich  ein 
Herrenbund,  der  auf  dem  Nürnberger  Reichstage  aufgerichtet  wurde.  Da 
die  Städte  hievon  nichts  wissen  wollten,  suchte  Wenzel  wenigstens  einen 
Anschlufs  der  beiden  grofsen  Städtebündnisse  an  den  Landfrieden  zuwege 
zu  bringen,  und  erreichte  seine  Absichten  auf  dem  Heidelberger 
Stallungstage  am  26.  Juli  1384,  auf  welchem  der  rheinische  und 
schwäbische  Städtebund  dem  Nürnberger  Landfrieden  beitraten;  jene 
erhielten  damit  eine  tatsächliche,  wenn  auch  nicht  rechtliche  Anerkennung.2) 

§  98.  Die  Schweizer  Eidgenossenschaft  und  Leopold  III.  von  Österreich. 

Der  süddeutsche  Städtekrieg. 

S.  Wyfs,  Gesch.  der  Historiographie  in  der  Schweiz,  wie  §  59.  Über  die  Quellen 
zur  Sempacher  Schlacht  s.  Th.  v.  Liebenau,  Die  Schlacht  bei  Senipach.  1886.  Dazu 
Kleifsner,  Die  Quellen  zur  Schlacht  von  Sempach  und  die  Winkelriedsage.  Gott.  1873. 
Das  urk.  Material  bei  Liebenau.  ASchwG.  XVII.  Darstellende  Quellen :  Das  Luzerner 
Bürgerbuch,  s.  Lorenz.  DGQ.  I,  122.  Twinger  von  Königshofen,  Strafsb.  Chronik, 
ed.  Hegel.  ChrDSt.  VIII.  Justinger,  Berner  Chronik  bis  1421,  ed.  Studer.  Bern  1871. 
Gregor  Hagen  (Johann  Sefner),  wie  oben.  Konstanzer  Weltchronik,  herausg.  v.  Kern. 
Freib.  1869.  Die  Klingenberger  Chron.,  ed.  Henne  von  Sargans.  Gotha  1861.  (Lorenz, 
DGQ.  74,  75.)  Müllner,  Jb.  v.  Zürich,  fortges.  bis  1386,  ed.  Ettmüller.  Zürich  1844.  Alle 
diese  Quellen  wissen  von  Winkelrieds  Tat  nichts.  Erst  Bullinger  u.  Tschudi  melden 
200  Jahre  nach  den  Ereignissen,  dafs  WTinkelrieds  Eingreifen  die  Wendung  für  die 
Eidgenossen  herbeiführte.  Wichtig  sind  die  alten  Lieder,  s.  Lilienkron,  Die  histor. 
Volkslieder  der  D.  I.     Dazu  Lorenz,  wie  unten. 

Neuere  Darstellungen  :  Dändliker,  Gesch.  d.  Schweiz  I,  621.  Di  er  au  e  r  I,  325. 
Liebenau,  Die  Schlacht  bei  Senipach,  wie  oben.  Liebenau,  Arnold  v.  Winkelried, 
seine  Zeit  u.  seine  Tat.  Aarau  1862.  Lorenz,  Leopold  HI.  und  die  Schweizer  Bünde. 
(Mit.  d.  Beil.  die  Sempacher  Schlachtlieder.)  In  Drei  Bücher  Gesch.  u.  Politik.  Berl.  1 876. 
Tobler,  Die  Bez.  d.  Schweiz.  Eidgen.  zu  den  d.  Reichsstädten.  Diss.  1879.  Gehrig, 
Die  Winkelriedfrage.  Burgdorf  1883.  0.  Hartmann,  Die  Schlacht  bei  Sempach. 
Frauenb.  1886 — 87.  ßauchenstein,  Winkelrieds  Tat  bei  Sempach  ist  keine  Fabel.  1886. 
Bernouilli,  Winkelrieds  Tat  bei  Sempach.  1886.  Öchsli,  Zur  Sempacher  Schlacht- 
feier. Zürich  1886.  Bürkli,  Der  wahre  Winkelried,  ib.  1886.  S türler,  Die  Fackel  zum 
Sempacher  Streit.  Anz.  Schw.  G.  1881.  Daguet,  La  question  de  W.  1883.  S.  auch 
Vaucher,  RH.  XXXII.  Die  Lit.  über  Näfels  von  B 1  u m n e r  HJb.  v.  Glarus.  S.  aufser 
Dändliker  (der  an  der  Überlieferung  von  Ws.  Heldentod  festhält)  u.  Dierauer  (der  sie  nicht 
für  genügend  beglaubigt  hält),  Lindner,  Stalin,  Huber  H,  wie  oben.  Über  die  milit. 
Seite  s.  Köhler  n,  614,  wie  oben.  Zöfsmair,  Pol.  Gesch.  v.  Vorarlberg  Pr.  Gym. 
Feldkirch  1877—79. 

1.  Die  Heidelberger  Einigung  erfüllte  die  auf  sie  gesetzten  Hoff- 
nungen nicht.      Zuerst    geriet    Herzog    Leopold    III.    in    einen  scharfen 

x)  Gedruckt  RA.  I,  Nr.  205.  Die  vier  >  Parteien«  sind:  1.  Die  Länder  der  böhm. 
Krone.  Dazu  Brandenburg,  Sachsen  u.  Lüneburg.  2.  Trier,  Köln,  Pfalz,  Hessen,  Baden. 
3.  Österreich,  Bayern,  Lothringen,  die  Bischöfe  von  Strafsburg,  Augsburg,  Regensburg 
und  die  Grafen  von  Württemberg  und  4.  die  Bischöfe  von  Bamberg,  Würzburg  und 
Eichstätt,  die  Mark-  und  Landgrafen  von  Meifsen  u.  Thüringen,  Pfalzgraf  Ruprecht 
der  Jüngste  und  der  Burggraf  Friedrich  von  Nürnberg.  Die  übrigen  Fürsten,  Herren, 
Ritter  und  Städte  sollten  den  zunächst  gelegenen  »Parteien«  beigegeben  werden. 

2)  Die  »Heidelberger  Stauung«  gedr.  RA.  I,  Nr.  246. 


426  Leopold  III.  von  Österreich  und  die  Eidgenossen.     Der  Pfaffenbrief. 

Gegensatz  zum  schwäbischen  Bund.  In  dem  Vertrag  von  Neuberg  (in 
Steiermark)  war  ihm  von  seinem  Bruder  Albrecht  III.  das  ganze  später 
sog.  Innerösterreich1),  dann  Feltre  und  Belluno,  Tirol  und  Vorder- 
österreich überlassen  worden  (1379).  Im  folgenden  Jahre  boten  ihm  die 
von  Ungarn  und  Genua  bedrohten  Venezianer  Treviso  an  und  zwei 
Jahre  später  erwarb  er  Triest.  Seine  Absichten  gingen  dahin,  eine  un- 
mittelbare Verbindung  seines  schwäbischen  Besitzes  mit  dem  übrigen 
Österreich  herzustellen.  Nachdem  er  1375  die  Grafschaft  Feldkirch  er- 
worben hatte,  erhielt  er  sechs  Jahre  später  den  Besitz  des  Grafen  Rudolf 
von  Hohenberg  am  oberen  Neckar.  Mit  Hilfe  Wenzels,  mit  dem  er  trotz 
seiner  Haltung  in  der  Schismafrage  in  gutem  Einvernehmen  stand,  hoffte 
er  in  Schwaben  ein  abgerundetes  Fürstentum  zu  begründen.  König 
Wenzel  hatte  ihm  in  der  Tat  (1379)  die  Vogtei  in  Ober-  und  Nieder- 
schwaben pfandweise  überlassen.  All  das  erregte  den  Widerspruch  des 
schwäbischen  Städtebundes  und  der  benachbarten  Fürsten.  Daher  er- 
hielt er  die  Landvogteien  erst  1382  und  zwar  nicht  als  Pfand,  das  wohl 
nicht  mehr  ausgelöst  worden  wäre,  sondern  als  Amt,  das  ihm  jederzeit 
entzogen  werden  konnte.  Schon  1384  schien  es  zu  einem  Kriege  zu 
kommen,  als  sich  das  von  Österreich '  bedrohte  Basel  an  den  schwäbi- 
schen Städtebund  anschlofs.  Dieser  suchte  seine  Bundesgenossen  an 
den  Schweizern,  die  trotz  des  Regensburger  Friedens  (s.  oben)  in  so 
gespannten  Beziehungen  zu  Österreich  standen,  dafs  oft  genug  der 
Ausbruch  eines  neuen  Krieges  befürchtet  wurde.  So  hatten  die  vier 
Waldstätte  schon  1365  die  Befugnis  erlangt,  unbeschadet  der  sonstigen 
Rechte  Österreichs,  in  Zug  einen  Ammann  einzusetzen,  und  dies  Recht 
im  sog.  Torbergischen  Frieden  (1368)  auch  behauptet,  Zwei  Jahre 
später  schlössen  Zürich,  Luzern,  Zug,  Uri,  Schwyz  und  Unterwaiden 
»zur  Wahrung  ihres  heimischen  Gerichtsstandes  und  des  Landfriedens« 
den  sogen.  Pfaffenbrief,  der  seine  Spitze  gleichfalls  gegen  Österreich 
richtete.2)  Tritt  hier  das  Bestreben  hervor,  den  Übergriffen  geistlicher 
Gerichtsbarkeit  entgegenzutreten,  so  ist  das  wichtigere  Moment  doch  in 
der  Tatsache  zu  suchen,  dafs  zum  erstenmal  Grundsätze  über  Polizei- 
verwaltung und  innere  Politik  für  die  sechs  Orte  aufgestellt  werden. 
Man  findet  hierin  die  Keime  eines  Gemeinwesens,  dessen  Mitglieder  ihr 
Territorium  zum  erstenmal  als  »Unsere  Eidgenossenschaft«  be- 
zeichnen.3) Der  Torberger  Friede  wurde  1376  auf  elf  Jahre  verlängert, 
aber  die  zweideutige  Haltung  Leopolds  III.  im  Kiburger  Kriege, 
der  die  Macht  dieses  Hauses  brach,  hatte  zur  Folge,  dafs  sich  die 
freundlichen  Beziehungen  zwischen  den  Schweizern  und  Österreich 
wieder  lockerten. 


x)  Steiermark,  Kärnten,  Krain,  die  Windische  Mark  u.  Isterreich. 

2)  »Wer  innerhalb  der  eidgen.  Städte  oder  Länder  wohnen  will  und  den  Herzogen 
von  Österreich  durch  einen  Eid  verpflichtet  ist,  der  soll  auch  schwören,  den  Nutzen 
und  die  Ehre  der  eidgen.  Städte  und  Länder  zu  fördern.  Kein  Geistlicher,  der  in  der 
Eidgenossenschaft  wohnt,  mag  er  auch  ein  Fremder  sein,  darf  ein  fremdes  —  geist- 
liches oder  weltliches  —  Gericht  anrufen«  etc. 

3)  Dierauer,  S.  282  ff.    Dort  die  einschl.  Literatur. 


Das  Konstanzer  Bündnis.     Die  Schlacht  bei  Sempach.  427 

2.  Unter  den  Eidgenossen  fühlten  sich  Luzern  und  Bern,  an  deren 
Mauern  Österreichs  Macht  heranreichte,  von  Leopolds  Plänen  am  meisten 
bedroht.  Nachdem  rheinische  und  schwäbische  Städte  schon  zu  Anfang 
1384  mit  den  Eidgenossen  in  Verbindung  getreten  waren,  wurde  (am 
21.  Februar  1385)  zwischen  dem  rheinischen  und  schwäbischen  Städte- 
bund einerseits,  Zürich,  Luzern,  Zug,  Bern  und  der  mit  Bern  ver- 
bündeten Reichsstadt  Solothurn  anderseits  das  Konstanzer  Bündnis 
auf  9  Jahre  geschlossen.  Es  war  unmittelbar  gegen  Osterreich  gerichtet. 
Leopolds  Lage  hatte  sich  verschlimmert,  seit  Österreich  und  die  Luxem- 
burger wegen  der  polnischen  Frage  in  Zwist  geraten  waren  und  Wenzel 
dem  Herzoge  die  Vogtei  in  Schwaben  entzogen  hatte.  Österreich  suchte 
solange  als  möglich  dem  Kampfe  auszuweichen,  aber  eine  Reihe  von 
Übergriffen  der  Schweizer  hatten  ihn  unvermeidlich  gemacht.  Zwar  war 
ein  Handstreich  der  Züricher  auf  die  österreichische  Stadt  Rapperswyl 
mifsglückt,  dagegen  gelang  der  Anschlag  der  Luzerner  auf  das  Städtchen 
Rotenburg  (1385,  28.  Dezember).  Die  schwäbischen  Reichsstädte  be- 
schlossen nun  auf  die  Hilferufe  der  Eidgenossen  hin  den  Krieg.  Da 
Nürnberg,  das  den  Krieg  als  einen  ungerechten  betrachtete,  die  rheini- 
schen Städte,  denen  diese  Streitigkeiten  ferne  lagen,  und  selbst  einzelne 
schwäbische  Orte  aus  Sorge  vor  der  Feindschaft  der  Fürsten  zum  Frieden 
drängten,  Leopold  III.  überdies  Abhilfe  der  Beschwerden  versprach,  kam  es 
zunächst  zu  einem  Waffenstillstand,  der  bis  zum  2.  Juli  dauern  sollte.  Als 
sich  die  Eidgenossen  aber  weigerten,  die  eroberten  Plätze  herauszugeben, 
begann  der  Kampf.  Auf  Österreichs  Seite  stand  der  benachbarte,  durch  das 
Anwachsen  demokratischer  Tendenzen  beunruhigte  Adel,  schwäbische  und 
burgundische  Edle,  aber  auch  viele  Bürger  aus  den  Vorlanden.  Leopold 
sammelte  sein  Herr  in  Brugg,  wandte  sich  aber  nicht,  wie  seine 
Gegner  erwarteten,  gegen  Zürich,  sondern  gegen  Luzern,  Die  Führung 
hatte  der  österreichische  Amtmann  Johann  von  Ochsenstein.  Die  Eid- 
genossen stellten  sich  —  1500  Mann  stark  —  beiSempach  auf.  Dort 
trafen  die  Österreicher  auf  sie ;  in  der  hügeligen,  von  Hohlwegen  und 
Wasserläufen  durchschnittenen  Gegend ,  in  der  die  Reiterei  sich  nicht 
entfalten  konnte,  kam  es  am  Morgen  des  9.  Juli  zur  Schlacht.  Von 
den  österreichischen  Rittern  —  sie  waren  in  drei  Treffen  geteilt,  von  denen 
der  Herzog  das  zweite  führte  —  safs  ein  bedeutender  Teil  ab  und 
kämpfte  zu  Fufs.  Die  Schweizer  bildeten  einen  Keil,  um  in  den  öster- 
reichischen Heerhaufen  einzudringen.  Ihre  Kraft  brach  sich  an  den 
langen  Speeren,  welche  die  Österreicher  vorstreckten;  sie  selbst  kämpften 
mit  kurzen  Waffen:  Streitäxten,  Hellebarden  und  Morgensternen.  Erst 
in  der  Mittagsstunde  trat  eine  Wendung  ein.  Die  heifse  Julisonne  er- 
schwerte den  Rittern  den  Kampf.  Viele  erstickten,  andere  sanken  aus 
Erschöpfung  zu  Boden.  Vielleicht  war  auch  die  Leitung  keine  einheit- 
liche. Die  Schweizer  brachen  in  die  österreichischen  Heerhaufen  ein. 
Der  Herzog  eilte  wohl  herzu,  konnte  die  Sache  aber  nicht  mehr  wenden. 
Er  erlag  nach  tapferem  Kampfe.  Sein  Tod  gab  das  Signal  zu  regelloser 
Flucht.  Auch  der  Feldhauptmann  fiel.  Der  Sieg  der  Eidgenossen 
machte  berechtigtes  Aufsehen.      Die    wirklichen   Vorgänge   der  Schlacht 


428  Die  Schlacht  bei  Xäfels.     Die  Mergentheimer  Stallung. 

wurden  allmählich  verdunkelt,  und  die  Tradition  von  der  heldenmütigen 
Selbstaufopferung  Arnolds  von  Winkelried  gewann  allmählich  Glauben. 
An  Stelle  der  Söhne  des  gefallenen  Herzogs  übernahm  Albrecht  III. 
die  Regierung.  Auch  die  Glarner  und  Berner  traten  nun  in  den  Kampf 
ein.  Den  schwäbischen  Städten  kam  dessen  Fortsetzung  nicht  gelegen, 
da  ihnen  selbst  ein  Kampf  mit  dem  Herzog  Stephan  von  Bayern  drohte. 
Sie  vermittelten  daher  einen  Waffenstillstand,  der  am  12.  Oktober  1386 
auf  Grund  des  Status  quo  abgeschlossen  wurde  und  bis  zum  2.  Februar  1387 
dauern  sollte,  dann  aber  um  ein  ganzes  Jahr  verlängert  wurde.  Da 
Albrecht  III.  nicht  geneigt  war,  auf  die  verlorenen  Besitzungen  seines 
Hauses  zu  verzichten,  begann  der  Krieg  1388  von  neuem.  Jetzt  war  es 
Glarus,  gegen  das  sich  Österreich  wandte.  Schon  während  des  Sem- 
pacher  Krieges  hatten  die  Glarner  ihre  lange  unterbrochenen  Beziehungen 
zu  den  Eidgenossen  wieder  angeknüpft,  dann  die  zu  Österreich  gelöst. 
Dieses  führte  den  Kampf  anfangs  mit  Glück :  Wesen,  der  Schlüssel  zum 
Kanton  Glarus,  wurde  erobert.  Schliefslich  erlitten  die  Österreicher  aber 
am  9.  April  1388  bei  dem  Dorfe  Näfels  durch  die  Bauernhaufen  der 
Glarner  eine  völlige  Niederlage.  Der  weitere  Verlauf  des  Krieges  war 
den  Eidgenossen  weniger  günstig.  Ihre  Kraft  brach  sich  an  den 
Mauern  des  gut  verteidigten  Rapperswyl.  Für  den  Ausgang  des 
Krieges  waren  indes  jene  Ereignisse  mafsgebend,  die  sich  soeben  in 
Süddeutschland  abspielten. 

3.  Der  Fall  Leopolds  III.  hatte  den  König  nicht  veranlassen 
können,  seine  schwankende  Politik  aufzugeben.  Herrschte  schon  1384 
bei  einzelnen  Reichsfürsten  die  Absicht  vor,  ihm  einen  Stellvertreter  an 
die  Seite  zu  setzen,  weil  er  sich  zu  wenig  um  das  Reich  kümmere,  in 
Wirklichkeit,  weil  die  luxemburgische  Macht  in  zu  starkem  Aufnehmen 
begriffen  war.  so  kamen  sie  1387,  als  er  ihnen  nicht  die  erwartete  Hilfe 
gegen  die  Städte  leistete,  auf  ihre  Absichten  zurück.  Dies  bewog  ihn, 
den  Städten  näher  zu  treten:  am  21.  März  machte  er  dem  schwäbischen 
Bunde  die  Zusage,  ihn  nicht  aufzulösen,  die  städtischen  Rechte  und  Frei- 
heiten wider  jedermann  zu  schützen,  wogegen  sie  sich  verpflichteten, 
ihm  beizustehen,  wenn  ihn  jemand  »vom  Königreich  drängen  wollte.« 
Die  Seele  der  wider  ihn  gerichteten  Bewegung  war  Erzbischof  Adolf 
von  Mainz,  doch  auch  von  den  übrigen  Fürsten  waren  ihm  nur  wenige  er- 
geben, und  selbst  auf  die  Städte  durfte  er  nicht  viel  bauen.  Die  rheini- 
schen Städte  gingen  überhaupt  ihre  eigenen  Wege,  die  rheinischen  Kur- 
fürsten aber  verpflichteten  sich  (23.  April),  gemeinsam  zu  handeln,  wenn 
Wenzel  etwa  »das  Reich  an  einen  andern  bringen  wollte.«  Trotz  dieser 
unsicheren  Lage  der  Dinge  kam  es  zwischen  Fürsten  und  Städten  noch 
zu  Verhandlungen;  am  5.  Xovember  1387  wurde  die  M  ergentheimer 
Stallung  mit  dem  schwäbischen  Städtebund  geschlossen,  die  im  wesent- 
lichen eine  Erneuerung  der  früheren  war,  freilich  ebensowenig  Erfolg 
hatte  als  diese.  Der  Friede  wurde  durch  die  bayrischen  Herzoge 
Stephan,  Friedrich  und  Johann  gestört,  die  den  Verbündeten  der  schwäbi- 
schen Städte,  Erzbischof  Piligrim  von  Salzburg,  nach  Raitenhaslach 
lockten  und  gefangen  nahmen.     Auf  das  hin  kündigten  der  schwäbische 


Niederlagen  der  Städte  bei  Döffingcn  u.  Worms.    Der  Reichstag  von  Eger.     429 

und  rheinische  Städtebund  den  Herzogen  den  Krieg  an;  auch  Wenzel 
sandte  ihnen  seine  Absage,  zog  sich  aber  bald  wieder  vom  Kampfe  zu- 
rück und  überliefs  es  den  Städten,  ihren  Streit  mit  den  Fürsten  auszu- 
fechten.  Unter  diesen  war  Graf  Eberhard  von  Württemberg  der  rührigste. 
Voll  Begier,  die  im  letzten  Kriege  erlittenen  Demütigungen  zu  rächen, 
bedrängte  er  Efslingen  und  Reutlingen  und  griff  die  Bundesstädte  bei 
Döffingen  an.  Hier  kam  es  am  23.  August  1388  zur  Schlacht.  Der 
Anfang  des  Kampfes  war  den  Städtern  günstig :  Eberhards  Sohn  Ulrich 
und  zahlreiche  Herren  und  Ritter  fielen.  Im  kritischen  Augenblick  er- 
schienen jedoch  befreundete  Streitkräfte,  deren  Eingreifen  Eberhard  den 
Sieg  verdankte.  Es  war  die  bedeutendste  Schlacht,  die  dazumal  in 
Deutschland  geschlagen  wurde,  obwohl  auf  beiden  Seiten  kaum  mehr 
als  4000  Mann  kämpften.  Der  Krieg  löste  sich  von  nun  an  in  eine 
Reihe  von  Einzelkämpfen  auf;  die  rheinischen  Städte  erlitten  bei 
Worms  durch  den  Pfalzgrafen  Ruprecht  schwere  Verluste  (6.  November), 
dagegen  errangen  die  Regensburger  vor  ihren  Mauern  einen  glänzenden 
Erfolg  über  die  Ritterschaft  Herzog  Albrechts  von  Bayern.  Das  allge- 
meine Elend  machte  den  Wunsch  nach  Beendigung  des  Krieges  rege. 
Diese  erfolgte  zuerst  in  der  Schweiz.  Hatten  die  Niederlagen  des 
schwäbischen  und  rheinischen  Städtebundes  auch  auf  die  Eidgenossen 
Eindruck  gemacht,  so  war  Österreichs  Macht  doch  stark  geschwächt 
und  beide  zum  Frieden  geneigt,  der  am  23.  April  1389  auf  sieben  Jahre  ge- 
schlossen wurde.  Luzern,  Zug  und  Glarus  waren  für  Osterreich  ver- 
loren. Der  Friede  wurde  am  16.  Juli  1394  auf  zwanzig  Jahre  verlängert. 
Die  Unabhängigkeit  der  acht  Orte  wurde  von  Osterreich  anerkannt. 
Nachdem  bereits  1388  mehrfache  Versuche,  den  Krieg  auch  in  Süd- 
deutschland beizulegen,  gemacht  worden  waren,  wurde  auf  den  28.  März 
1389  ein  Tag  für  die  Verhandlungen  nach  Bamberg  angesetzt.  Fürsten 
und  Städte  hofften  den  König  zum  persönlichen  Erscheinen  zu  bestimmen, 
waren  aber  entschlossen,  auch  ohne  ihn  zu  tagen.  Um  sich  die  Initiative 
nicht  aus  den  Händen  winden  zu  lassen,  berief  er  schliefslich  selbst 
und  zwar  für  dieselbe  Zeit  einen  Reichstag  nach  Eger.  Da  aber 
die  Bamberger  Zusammenkunft  doch  stattfand,  verschob  er  den  Termin 
auf  den  21.  April.  Auch  in  Eger  setzte  er  seine  schwankende  Politik 
fort.  Nachdem  er  den  Städten  die  besten  Zusicherungen  gemacht  hatte, 
forderte  er  von  den  Parteien  die  Auflösung  ihrer  Bündnisse ;  beide 
Parteien  sollten  sich  mit  ihm  zu  einem  Landfrieden  vereinigen.  Dies 
konnten  die  Fürsten,  nicht  aber  die  Städte  zugestehen.  Doch  gelang  es 
dem  König,  die  Einigkeit  der  städtischen  Bündnisse  zu  lösen.  Am 
2.  Mai  1389  erschien  die  Aufforderung  an  sie,  ihre  Bünde  aufzugeben 
und  dem  Landfrieden  beizutreten1),  der  drei  Tage  nachher  verkündigt 
wurde.  Er  galt  für  den  Rhein,  Bayern,  Schwaben,  Franken,  Hessen, 
Thüringen  und  Meifsen.  In  jedem  dieser  Kreise  wählten  die  Fürsten 
und  Städte  je  vier  Bevollmächtigte,  denen  der  König  als  neunten  den 
Obmann  setzte.  Sie  traten  zu  bestimmten  Zeiten  und  Orten  alljährlich 
zusammen,    um    über  die  Landfriedensangelegenheiten  zu  beraten.     Der 

l)  DKA.  Nr.  76. 


430  König  Wenzel  und  die  Wirren  in  Böhmen. 

Landfriede  sollte  sechs  Jahre  dauern.  Nürnberg,  Regensburg  und 
Weifsenburg  erklärten  schon  in  Eger  ihren  Beitritt.  Die  übrigen  Städte 
kamen  in  eine  üble  Lage :  entweder  mufsten  sie  diesem  Beispiele  folgen 
oder  mit  geschwächten  Kräften  den  Kampf  mit  der  gestärkten  Fürsten- 
macht wieder  aufnehmen.  Der  rheinische  Städtebund  war  geneigt,  den 
Widerstand  fortzusetzen,  die  schwäbischen  Städte  wollten  sich  auf  einem 
Tage  zu  Nürnberg  am  13.  Juni  entscheiden.  Inzwischen  schlössen  sich 
aber  Efslingen,  Nördlingen,  Schweinfurt.  Windsheim  und  Weinsberg  dem 
Landfrieden  an,  und  auch  die  rheinischen  und  wetterauischen  Städte 
folgten  diesem  Beispiel.  Der  schwäbische  Städtebund  erklärte  nun  auf 
dem  Nürnberger  Tage  seine  Auflösung  und  den  Eintritt  der  Städte  in 
den  Landfrieden. 

Kleinere  Vereinigungen  von  Städten  blieben  allerdings  auch  weiterhin  noch 
bestehen ;  so  traten  die  sieben  Bodenseestädte,  deren  Mittelpunkt  Konstanz  war,  und 
die  schon  innerhalb  des  grofsen  Bundes  eine  gewisse  Selbständigkeit  bewahrt  hatten, 
dem  Landfrieden  nicht  bei  und  hielten  an  ihrem  Bunde  fest,  ja,  im  Februar  1390 
wurde  Ulm  wieder  Vorort  eines  aus  12  Städten  bestehenden  Bundes :  aber  diese  Bünd- 
nisse hatten  bei  weitem  nicht  mehr  die  Bedeutung  der  früheren.  Von  ihren  Zielen 
hatten  die  Reichsstädte  das  Wichtigste  durchgesetzt :  nicht  mehr  verpfändet  zu  werden, 
das  andere,  dem  Fürstentum  gegenüber  selbst  eine  geschlossene  Macht  zu  bilden, 
erreichten  sie  nicht,  dazu  waren  ihre  Interessen  zu  ungleichartig,  die  Verfassung  ihres 
Bundes  zu  mangelhaft.1) 

§  99.    König  Wenzel  und  die  Wirren  in  Böhmen. 

Quellen:  Frk.-Material  in  tschech.  Sprache  s.  im  Archiv  cesky.  Über  Jenzen- 
steins  Werke  s.  §  92  u.  96.  Dazu :  Vita  Joannis  de  Jenzenstein.  Prag  1793.  Relatio 
Joh.  d.  J.  de  se  ipso.  Epistola  apologetica  ad  .  .  .  H.  de  Rosenberg.  FFRA.  VI,  12 — 17. 
Die  Quellen  zur  Gesch.  Johanns  v.  Xepomuk  bei  Frind,  Der  hl.  J.  v.  X.  Prag  1879. 
S.  auch  AÖG.  LVTI  u.  LX.     Ebendorfer  wie  oben. 

Hilfsschriften:  Die  Werke  zur  böhm.  Gesch.  s.  oben.  Dazu:  Grünhagen, 
K.  Wenzel  u.  d.  Pfaffenstreit  zu  Breslau.  AÖG.  XXXVEI.  Die  Beschwerde  des  Bresl. 
Rates  an  den  Papst.  ZGASchles.  XIX.  Die  ältere  Lit.  über  Johann  von  Xepomuk 
bei  Reimann,  wie  unten.  0.  Abel,  Die  Legende  vom  hl.  Joh.  v.  Xepomuk.  Berl.  1863. 
(Der  Kultus  des  hl.  J.  ist  von  den  Jesuiten  eingeschmuggelt  worden,  um  den  Hufs- 
kultus zu  verdrängen^  Dagegen  Frind,  wie  oben.  E.  Reim  an  n,  J.  v.  X.  nach 
Sage  u.  Gesch.  HZ.  XX VII.  Tomek,  Gesch.  v.  Prag  HI  tschechisch).  Lindner, 
Gesch.  d.  d.  R.  unter  Wenzel  u.  D.  G.  Frind,  Kirchengesch.  von  Böhmen  LH. 
Hub  er  II,  wie  oben. 

1 .  Auch  in  Böhmen  hielt  Wenzel  während  der  ersten  Zeit  an  der  Politik 
seines  Vaters  fest.  Den  niederen  Ständen  gewogener  als  dem  hohen 
Adel,  war  er  ein  eifriger  Förderer  des  Städtewesens  und  seiner  wirtschaft- 
lichen Entfaltung.  Im  Anfange  noch  von  Staatsmännern  aus  der  Schule 
und  Umgebung  Karls  IV.  beraten,  umgab  er  sich  nach  deren  Tod  am 
liebsten  mit  Leuten  vom  niederen  Adel  oder  vom  Bürgerstande,  die  sich  ihm 
durch  unbedingte  Fügsamkeit  und  rücksichtsloses  Verfahren  empfahlen : 
Männer,  die,  wie  Georg  von  Roztok,  Sigmund  Huler,  Hynek  Pluh  von 
Rabstein  u.  a.,  mafsgebenden  Einflufs  gewannen  und  ihn  bei  der  Tüch- 
tigkeit, die  sie  in  den  ihnen  anvertrauten  Zweigen  der  Verwaltung  be- 
kundeten,   auch    zu   behaupten  vermochten.     Trotz  seiner  Verstimmung 

J)  Lindner  II,  160. 


König  Wenzel  und  die  Geistlichkeit.     Johann  von  Jenzenstein.  431 

wagte  der  hohe  Adel  keinen  Widerstand.  Eine  besondere  Schärfe  kehrte 
der  König  unter  dem  Einflufs  seiner  Günstlinge  gegen  die  Geistlichkeit 
hervor,  mit  der  er  in  bedenkliche  Konflikte  geriet.  Schon  im  Breslauer 
»Pfaffenkrieg«  von  1381,  zu  welchem  die  Verletzung  des  sog.  Meilenrechtes x) 
der  Stadt  durch  die  Geistlichkeit  den  Anlafs  bot,  wurde  es  deutlich,  dafs 
Wenzel  die  Unterordnung  der  geistlichen  unter  die  weltliche  Gewalt  in  einer 
Weise  anstrebte,  wie  es  keiner  seiner  Vorgänger  getan.  Er  erklärte : 
Er  wolle  Herr  im  Reiche  sein.  Bei  den  kirchlichen  Verhältnissen  dieser 
Zeit  kamen  die  Breslauer  Domherren  in  die  Lage,  Wenzels  Gnade  an- 
rufen zu  müssen.  Bedeutender  war  der  Konflikt  mit  seinem  früheren 
Günstling,  dem  Erzbischof  von  Prag,  Johann  von  Jenzenstein, 
dessen  asketische  Neigungen  ihm  wenig  zusagten  und  der  die  Strenge, 
die  er  gegen  sich  selbst  ausübte,  auch  von  anderen  verlangte.  Bei  seiner 
streitsüchtigen  Natur  mit  aller  Welt  zerfallen,  verlor  Jenzenstein,  trotz- 
dem er  die  Sache  Urbans  VI.  mit  Eifer  verfochten  hatte,  auch  noch  die  Gunst 
des  Papstes.  Da  er  mit  Eifer  für  die  Erhaltung  der  Rechte  seiner  Kirche 
besorgt  war,  konnten  Reibungen  mit  Wenzels  Günstlingen,  welche  die 
Immunitäten  des  Erzbistums  nicht  immer  schonten,  nicht  ausbleiben; 
schon  1384  legte  er  aus  Anlafs  eines  Streites  mit  einem  Günstling  des 
Königs  sein  Kanzleramt  nieder.  Heftige  Kämpfe  hatte  er  mit  dem 
Unterkämmerer  Huler,  der  sich  der  besonderen  Gunst  Wenzels  erfreute, 
zu  bestehen.  Es  kam  so  weit,  dafs  Jenzenstein  den  Bann  über  Huler 
aussprach.  Schon  drohte  der  König,  den  Erzbischof  und  seine  Vikare 
zu  ertränken.  Die  Gelegenheit,  die  Drohung  wenigstens  zum  Teil  wahr 
zu  machen,  bot  ihm  die  Frage  über  die  Errichtung  eines  neuen  Bistums. 

Der  König  hatte  den  Wunsch,  ein  solches  im  südwestlichen  Böhmen  zu  gründen 
und  an  einen  seiner  Günstlinge  zu  verleihen.  Es  sollte  mit  den  Gütern  des  reichen 
Benediktinerstiftes  Kladrau  ausgestattet  werden.  Man  wartete  nur  den  Tod  des  alten 
Abtes  ab,  um  die  Sache  durchzuführen.  Kaum  war  dieser  gestorben,  so  vollzogen  die 
Mönche  die  Neuwahl,  und  der  Generalvikar  des  Erzbischofs  beeilte  sich,  sie  zu  be- 
stätigen. Es  war  dies  Johann  von  Pomuk  (oder  Nepomuk),  der  Sohn  Wölfeis,  eines 
deutschen  Bürgers  dieser  Stadt,  der  bisher  an  den  Streitigkeiten  des  Erzbischofs  als 
dessen  Sekretär,  dann  als  Vikar  teilgenommen  hatte  und  gegen  den  Wenzel  seine 
Drohungen  vornehmlich  gerichtet  hatte.  Über  die  Vereitlung  seines  Wunsches  war 
der  König  in  hohem  Grade  erbittert.  In  rauhem  Tone  begehrte  er  vom  Erzbischof 
die  Herausgabe  des  bischöflichen  Gutes  als  Kammergutes  des  Königs. 2)  Die  Eäte 
Wenzels  bemühten  sich  um  einen  Ausgleich.  Als  der  Erzbischof  aber  am  20.  März 
1393  mit  seinem  Gefolge  bei  Hofe  erschien,  wurde  Wenzel  derart  vom  Zorn  übermannt, 
dafs  er  unter  heftigen  Schmähungen  nicht  nur  den  Vertrag  zerrifs,  sondern  auch  den 
Offizial  Nikolaus  Puchnik,  Johann  von  Pomuk,  den  Meifsner  Propst  Wenzel  und  den 
Erzbischof  selbst  verhaften  und  ins  Kapitelhaus  abführen  liefs.  Jenzenstein  konnte, 
von  seinen  Waffenträgern  geschützt,  in  den  erzbischöflichen  Palast  gelangen  und  ent- 
floh nach  kurzem  Verweilen  aus  Prag.  Des  Königs  Absicht,  ihn  ohne  viel  Geschrei 
aufheben  zu  lassen,  war  vereitelt.  An  dem  Verhör  der  Gefangenen  nahm  Wenzel 
selbst  Anteil  und  die  Einzelheiten,  die  nun  zur  Sprache  kamen,  steigerten  seine  Wut. 

x)  Meilenrecht,  wonach  kein  Handwerk,  Krug  oder  Markt  innerhalb  einer  Meile 
von  der  Stadt  geduldet  wurde.  Es  sollte  in  obigem  Falle  kein  Schweidnitzer  Bier  in 
Breslau  verbraucht  werden.     S.  Tschoppe  u.  Stenzel,  Urk.-Samml.,  S.  252 — 53. 

2)  Et  si,  fügte  er  bei  —  der  Brief  war  übrigens  in  vulgari  Teutonico  verfafst : 
aliquid  contra  me  attentabis  vel  meos,  volo  te  submergere  Utesque  sedare,  Pragam  veni. 
Cap.  XXVI  der  Acta  in  Curia  Rom. 


432  Johann  von  Xepomuk. 

Dem  hochbetagten  Domdechanten  Bohmlaw  schlug  er  mit  dem  Knauf  seines  Schwertes 
blutige  Kopfwunden.  Puchnik,  Pomuk,  der  Propst  Wenzel  und  der  Hofmeister  des 
Erzbischofs  wurden  zur  Folterung  aufs  Rathaus  geschleppt.  Abends  erschien  der 
König  selbst  und  begehrte  von  den  Gefangenen  nicht  nur  Stillschweigen  über  das 
Geschehene,  sondern  auch  Stellungnahme  gegen  Jenzenstein.  Der  Propst,  der  Hof- 
meister und  Puchnik,  dieser,  nachdem  er  die  Qualen  der  Folter  gekostet,  waren  dazu 
bereit,  nur  Johann  von  Pomuk  blieb  allen  Martern  gegenüber,  bei  denen  der  König 
selbst  Hand  anlegte1  ,  standhaft:  er  wurde  freilich  in  derartiger  Weise  mifshandelt,  dafs 
er  unter  keinen  Umständen  mit  dem  Leben  davon  gekommen  wäre.  Der  König  be- 
fahl nun,  ihn  in  che  Fluten  der  Moldau  zu  werfen.  Die  Hände  auf  dem  Rücken,  die 
Füfse  an  den  Kopf  gebunden,  ein  Stück  Holz  im  Munde,  wurde  Johann  auf  die  Prager 
Brücke  geschleppt  und  von  dort  um  9  Uhr  abends  in  die  Moldau  gestürzt.2'  Jenzen- 
stein war  inzwischen  in  seine  feste  Burg  Geiersberg  an  der  sächsischen  Grenze  ent- 
kommen. Von  Reue  über  sein  Vorgehen  erfai'st.  Buchte  Wenzel  die  Versöhnung  mit 
ihm  nach.  Da  die  Verhandlungen  hierüber  zu  keinem  Ziele  führten,  ging  Jenzenstein 
nach  Rom  (1393  April)  und  reichte  eine  Anklageschrift  gegen  den  König  ein,  erreichte 
aber  keine  Genugtuung ;  denn  es  war  Wenzel  gelungen,  die  Kurie  auf  seine  Seite  zu 
ziehen. 

2.  Ob  das  grausame  Verfahren  Wenzels  gegen  die  obersten  Würden- 
träger der  böhmischen  Kirche  darin  seinen  Grund  hatte,  dafs  er  schon 
damals  von  einer  gegen  ihn  gerichteten  Verschwörung  Kunde  hatte,  ist 
unsicher.  Gewifs  ist,  dafs  sein  Vorgehen  den  übelsten  Eindruck  machte. 
Bemüht,  jenen  Einflufs  auf  die  Leitung  der  Staatsgeschäfte  zurückzu- 
gewinnen, den  er  vor,  zum  Teil  noch  unter  Karl  IV.  besessen  hatte, 
nützte  der  Adel  diese  Vorgänge  für  seine  auf  den  Sturz  der  Günstlings- 
herrschaft gerichteten  Pläne  aus.  Der  böhmische  unter  der  Führung- 
Heinrichs  von  Rosenberg  stehende  Herrenbund  wäre  dem  König  freilich 
kaum  gefährlich  geworden,  wären  nicht  arge  Zerwürfnisse  im  königlichen 
Hause  selbst  hinzugekommen.  Erst  jetzt  kamen  die  Schäden  der  Länder- 
teilung Karls  IV.  an  den  Tag.  Die  mährische  Linie  verfolgte  ihre 
eigenen  Pläne.  Markgraf  Jost ,  dem  Wenzel  (1383)  das  Herzogtum 
Luxemburg  pfandweise  übertragen  und  der  für  die  dem  Könige  Sig- 
mund in  L  ngarn  geleisteten  Dienste  die  Mark  Brandenburg  erhalten 
hatte  (1388),  strebte  offen  nach  der  Krone,  auf  die  ihm  Wenzel  selbst 
—  wohl  in  anaufrichtiger  Weise  —  Hoffnung  gemacht  hatte.  Auch  an 
Sigmund  fand  Wenzel,  trotz  der  für  ihn  gebrachten  Opfer,  keine  Stütze. 
Bei  einem  Streite  zwischen  Jost  und  Prokop  stellte  Wenzel  sich  auf  die 
Seite  des  letzteren.  Josts  Absichten  gingen  dahin.  Wenzels  Stellung  in 
Böhmen  zu  erschüttern.  Er  gewann  den  Beistand  Wilhelms  von  Meifsen 
und  Albrechts  III.  von  Osterreich,  denen  auch  Sigmund  beitrat,  und 
verband  sich  am  5.  Mai  1394  mit  dem  Herrenbund  zur  Herstellung  der 
alten    böhmischen    Landesverfassung;    drei   Tage    später   wurde  Wenzel, 

1    Ipseque  solus  manum  et  ignem  ad  latera  vicarii  et  officialis  apposuit. 

2)  Davon,  dafs  er  getötet  wurde,  weil  er  sich  weigerte,  zu  bekennen,  was  die 
Königin  gebeichtet,  wissen  die  gleichzeitigen  und  alle  näherstehenden  Quellen  nichts. 
Die  älteste  Nachricht  über  Xepomuk  bringt  aufser  Jenzenstein  Ludolf  von  Sagan 
(ed.  Loserth;,  der  als  Augustiner  ausgezeichnete  Verbindungen  mit  dem  Augustiner- 
kloster Raudnitz  hatte.  Über  che  Verletzung  des  Beichtgeheimnisses  berichtet  erst  zwei 
Menschenalter  später  Ebendorfer :  Confessorem  etlam  uxoris  sue  was  J.  nicht  war) 
Johannem  .  .  .  ut  fertur,  quia  sigillum  ronfessionis  detraxit.  ipsum  in  Mol  da  via  suffo- 
cari  praeeepit. 


Gefangennahme  Wenzels.     Stimmung  im  Reiche.  433 

als  er  von  seinem  Jagdschlosse  Bettlern  nach  Prag  zurückkehrte,  von 
den  Verschworenen  überfallen,  nach  Prag  gebracht  und  gezwungen,  .Tost 
zum  Verweser  des  Königreiches  zu  ernennen.  Die  Nachricht  hievon 
rief  eine  tiefe  Bewegung  im  Lande  hervor,  denn  weder  der  niedere  Adel 
noch  die  Bürger  wünschten  eine  Änderung  des  Regiments.  Die  Prager 
traten  für  Wenzel  unter  die  Waffen,  aber  die  Barone  wufsten  sie  zu 
überreden,  dafs  Josts  Ernennung  mit  Wenzels  freiem  Willen  ge- 
schehen sei.  Wenzels  Bruder,  Johann  von  Görlitz,  rief  die  Getreuen  des 
Königs  unter  die  Waffen,  rückte,  von  Prokop  und  Swantibor  III.  von 
Pommern  unterstützt,  gegen  Prag  vor,  worauf  die  Barone  den  König 
nach  dem  südlichen  Böhmen  (22.  Juni)  und  von  dort  nach  Wildberg 
bei  Linz,  auf  ein  Schlofs,  entführten,  das  den  Herren  von  Starhemberg 
gehörte.  In  Böhmen  wurde  nun  Johann  von  Görlitz  »als  rechter  Herr 
und  Verweser  der  Krone«  für  die  Zeit  der  Gefangenschaft  Wenzels  an- 
erkannt. Die  Kunde  von  diesen  Ereignissen  erregte  im  deutschen  Reiche 
grofses  Aufsehen.  Ohne  Sympathien  für  Wenzel  zu  bekunden,  empfand 
man  seine  Gefangennahme  als  eine  dem  Reiche  zugefügte  Schmach ;  ein 
Reichstag,  den  Pfalzgraf  Ruprecht  nach  Frankfurt  berief,  forderte  ent- 
schiedenen Tones  seine  Freilassung.  Am  2.  August  wurde  denn  auch 
Wenzel  in  Krumau  in  Freiheit  gesetzt.  Die  Aufständischen  erhielten 
Amnestie,  die  Verweserschaft  Josts  wurde  beseitigt;  im  übrigen  sollten 
aber  auch  die  Herren  bei  ihren  Rechten  verbleiben.  Über  die  künftige 
Regierung  wollte  sich  Wenzel  dem  Ausspruch  eines  Schiedsgerichts 
fügen.  Hatten  die  Landherren  auch  ihre  Absichten  nicht  erreicht,  so 
hatte  Wenzels  Ansehen  doch  einen  schweren  Stofs  erlitten.  An  allen 
Orten  war  man  nur  zu  geneigt,  die  Anklagen  der  Barone  als  berechtigt 
anzuerkennen.  In  Deutschland  begann  man  die  Frage  eines  Thron- 
wechsels ernst  zu  erwägen,  und  in  Böhmen  kam  es  zu  neuen  Unruhen, 
da  Wenzel  seine  Günstlinge  in  Amtern  und  Würden  liefs.  Um  sich  in 
seiner  Stellung  zu  befestigen,  forderte  er  von  Klöstern  und  Städten  in 
Böhmen,  selbst  von  deutschen  Reichsstädten,  Unterstützung,  schlofs  mit 
treugebliebenen  Baronen  Verträge,  erneuerte  alte  Bündnisse  mit  aus- 
wärtigen Mächten,  wie  mit  Frankreich  und  Polen,  und  knüpfte  mit  Herzog 
Stephan  von  Xiederbayern  Verbindungen  an.  Um  sich  an  Osterreich 
zu  rächen,  unterstützte  er  die  in  Albrechts  Ungnade  gefallenen  Herren 
von  Liechtenstein-Nikolsburg,  wogegen  Albrecht  mit  Jost  und  den  un- 
zufriedenen böhmischen  Herren  einen  neuen  Bund  auf  sieben  Jahre 
schlofs  (1394,  17.  Dezember).  Die  böhmischen  Herren  erneuerten  hierauf 
(1395,  10.  Januar)  zu  Wittingau  ihren  Bund.  Dieser  Koalition  war  Wenzel 
nicht  gewachsen,  er  knüpfte  mit  seinen  Gegnern  Verhandlungen  an,  die 
aber  ein  jähes  Ende  fanden,  als  er  Jost  treuloserweise  gefangen  nahm 
und  an  Prokop  die  Botschaft  sandte,  sich  ganz  Mährens  zu  bemächtigen. 
Jost  mufste  allerdings  bald  wieder  freigelassen  werden,  denn  Wenzel 
hatte  die  Rache  seiner  Landherren  zu  befürchten,  in  deren  Geleite 
Jost  gekommen  war.  Im  Bunde  mit  den  böhmischen  Baronen  und 
Albrecht  III.,  der  das  Reichsvikariat  in  Deutschland  zu  erreichen  hoffte, 
begann  Jost  den  Kampf  von  neuem.     Auch  der  Tod  Albrechts  besserte 

Loserth,    Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  28 


434  Die  Kurfürsten  und  König  Wenzel. 

die  Verhältnisse  nicht,  denn  die  Unbeständigkeit  Wenzels  führte  nun 
auch  Johann  von  Görlitz,  den  mutmafslichen  Erben  der  Krone,  in  das 
Lager  seiner  Gegner.  Da  Johann  am  1.  März  1396,  ohne  männliche 
Erben  zu  hinterlassen,  starb,  zog  der  König  seine  Besitzungen  ein.  Die 
Neumark  kam  an  Sigmund.  Um  eine  Stütze  gegen  den  Herrenstand 
zu  gewinnen,  sicherte  Wenzel  Sigmund  die  Nachfolge  in  Böhmen  zu, 
ernannte  ihn  zum  Reichs vikar  und  übertrug  ihm  das  Schiedsrichteramt 
in  seinem  Streite  mit  Jost  und  den  Baronen.  Der  oberste  Regierungsrat 
wurde  danach  mit  Mitgliedern  des  Herrenbundes  besetzt.  Jost  ging  leer 
aus.  Daher  begann  er  nach  Sigmunds  Abzüge  den  Streit  von  neuem. 
Wenzel  sah  sich  in  seiner  Not  gezwangen,  nachzugeben.  Jost  erhielt 
nunmehr  die  Ober-  und  Niederlausitz  und  die  Belehnung  mit  Branden- 
burg (1397  Februar).  Die  Aussöhnung  Wenzels  mit  seinem  Vetter,  die 
auf  Kosten  Sigmunds  erfolgte,  war  auch  diesmal  keine  aufrichtige; 
denn  als  einige  Monate  nachher  vier  Günstlinge  des  Königs  ermordet 
wurden  und  Jost,  auf  den,  wie  es  scheint,  der  Verdacht  ruhte,  mit  den 
Mördern  im  Einverständnis  gewesen  zu  sein,  nach  Prag  eilte,  um  die 
Lage  der  Dinge  auszunützen,  befahl  ihm  Wenzel,  die  Stadt  zu  verlassen, 
und  entzog  ihm  die  Lausitz.  Der  Kampf  begann  unter  diesen  Umständen 
von  neuem.  Wenzels  Lage  wurde  durch  die  Ereignisse  erschwert,  die 
sich  in  Deutschland  verbreiteten  und  zu  seinem  Sturze  führten. 

§  100.    Die  Absetzung  König  Wenzels. 

Quellen  wie  oben  §  96  u.  97.  S.  auch  Zabarella,  Consilia.  M.JÖG.  XI.  Hilfs- 
schriften zu  den  §  96  genannten :  Mau,  K.  Wenzel  u.  die  rheinischen  Kurfürsten.  1887. 
Höhl  bäum,  Der  Fürsten-  u.  Städtetag  zu  Frankfurt  im  Mai  1397.  Mitt.  St.  Arch. 
Köln.  XFH.  AVenck,  Die  Wettiner  im  1-4.  Jahrh.,  insb.  Markgraf  Wilhelm  u.  König 
Wenzel.  Leipz.  1897.  Gerits,  Zur  Geschichte  desErzb.  Johann  IL  von  Mainz.  Halle  1882. 
Wegele,  Fürstb.  Gerhard  und  der  Städtekrieg  im  Hochstift  Würzburg.  Xördl.  1861. 
Erler,  Das  Gutachten  des  Pfalzgr.  Ruprecht  über  die  zwischen  K.  Wenzel  v.  B. 
und  K.  Karl  VI  von  Frankreich  geplante  Zusammenkunft  in  Reims.  ZGOb.  Rh. 
XLIX,  1 — 28.  Romano,  Gian  Galeazzo  Visconti  e  gli  eredi  di  Bernabö.  Milano  1891. 
Si gier schmidt,  De  Wenceslao  rege  Romanorum  etc.  depositione  1876.  Löher, 
Das  Rechtsverfahren  bei  K.  Wenzels  Absetzung.  Münch.  HJb.  1865.  Harnack,  Hat 
eine  rechtliche  Befugnis  zur  Absetzung  des  K.  W.  im  d.  R.  bestanden?  FDG.  XXVI. 
Lindner,  Über  die  bei  der  Absetzung  K.  Ws.  verlesenen  Artikel.  MJÖG.  VII. 
Weizsäcker,  Der  Pfalzgraf  als  Richter  über  den  König.  A.  kgl.  Ges.  d.  W.  Göttingen  XXHI. 
Weizsäcker,  Zur  Absetzung  K.  Ws.  DZ.  f.  Gesch.  HI.  —  Die  Vorgeschichte  der 
Thronrevolution  v.  1100  in  offiziöser  Darstellung  ebenda  VII,  142. 

1.  Statt  zu  den  Waffen  zu  greifen,  um  die  Gefangennahme  des 
Königs  zu  rächen,  begnügten  sich  die  deutschen  Fürsten  mit  politischen 
Demonstrationen.  Seit  sieben  Jahren  war  Wenzel  aller  Aufforderungen 
ungeachtet  nicht  mehr  ins  Reich  gekommen.  Schon  1395  forderte  eine 
Botschaft  der  rheinischen  Kurfürsten  in  drohender  Weise  sein  Erscheinen, 
i  widrigenfalls  sie  daran  denken  wollten,  was  zu  tun  wäre«.  Durch 
Sigmunds  Ernennung  zum  Reichsvikar  (1396)  war  wenig  geholfen, 
denn  ihn  nahmen  Ungarns  Angelegenheiten  vollauf  in  Anspruch.  So 
rückte  allmählich  die  Frage  der  Ersetzung  Wenzels  durch  einen  andern 
König  in  den  Vordergrund.  Entscheidend  wurde  die  enge  Verbindung 
der  Kürfürsten   von  der  Pfalz    und  von  Mainz.     Schon  am  23.   Oktober 


Beschwerden  der  Kurfürsten.     Letzter  Erfolg  Wenzels.  435 

1396  schlofs  Graf  Johann  von  Nassau,  damals  noch  Domherr  von  Mainz, 
mit  den  Pfälzern  einen  Bund,    »ihnen   zu   allen  Ehren    zu   helfen,    nach 
denen  sie  streben  wollten«.     Indem  Wenzel  der  Kandidatur  Johanns  für 
das  Mainzer  Erzbistum  in  den  Weg  trat,  erhielt  er  an  ihm  einen  Gegner, 
und  da  die  Kurie  dessen  Wahl  bestätigte,    stellte  sie  sich  gleichfalls  auf 
die  Seite  der  Gegner  Wenzels.     Dieser  lud    nun  allerdings  Fürsten  und 
Reichsstädte  zum  Reichstag  nach  Nürnberg  (1397,  29.  April),  doch  weder 
er  selbst  noch  die  Stände  erschienen.     Dagegen  beriefen  die  rheinischen 
Kurfürsten1)   die  Reichsstände   auf   den  13.  Mai  nach  Frankfurt.     Wohl 
war  Wenzel  geladen,  doch  sollte  die  Versammlung  auch  ohne  ihn  tagen. 
Ohne   auf   Sigmund   Rücksicht    zu   nehmen,    beschlofs   sie,    Wenzel   um 
die  Einsetzung  eines  Reichsvikars  zu  ersuchen.    Ein  Fürsten-  und  Städte- 
tag  am   25.  Juli   verlief   wegen  mangelhaften  Besuches  resultatlos.     Um 
nicht  auch  die  Reichsstädte  in  das  Lager  der  frondierenden  Fürsten  zu 
treiben,  erschien  Wenzel    im  Herbste   auf   dem  Reichstag  zu  Nürnberg; 
hier    kam    ein    Landfrieden    zustande,    der    ihm    den   Dank    der    Städte 
sicherte ;  eine  Anzahl  von  Raubburgen  wurde  gebrochen,  im  Würzburgi- 
schen  das  städtische  Element    gegen    den  Bischof   geschützt.     Indem  er 
aber  die  Städte  daselbst  zu  Reichsstädten   erklärte,    erregte    er    den  Un- 
willen der  Fürsten,    die  hierin  eine  Parteinahme   des   Reichsoberhauptes 
für  rebellische  Untertanen  erblickten.    Um  seine  Stellung  zu  verbessern, 
hielt  er  im  Dezember  1397  und  Januar  1398  einen  Reichstag  in  Frank- 
furt ab.     Hier  überreichten  die  Kurfürsten  ihm  eine  Beschwerdeschrift2), 
die    neue    Klagen    enthielt:    über    seine   Untätigkeit    in    der   Frage    des 
Schismas,  die  Verschleuderung  von  Rechten  und  Besitzungen  des  Reiches 
in  Deutschland  und  Italien  und  sein  gewalttätiges  Vorgehen  gegen  geist- 
liche und  weltliche  Personen  in  Böhmen.     In  Italien   hatte    er   1395    an 
Gian  Galeazzo  Visconti  Titel  und  Rang  eines  Herzogs  und  seinem  Hause 
die  bis  dahin  usurpierte  fürstliche  Würde  verliehen ;  nun  wurde  geklagt, 
dafs  er  hiedurch  die  Florentiner,  Galeazzos  Feinde,  in  die  Arme  Frank- 
reichs getrieben  und  dieses  sich  Genuas  bemächtigt  habe.     Die  übrigen 
nur    zum  Teil    berechtigten   Klagen    betrafen   Verluste    des   Reiches    in 
Savoyen,  Brabant  usw.     Nachdem  Wenzel  eine  Landfriedensordnung  auf 
zehn  Jahre  erlassen  und  einen  Streit  zwischen  rheinischen  und  schwäbischen 
Städten  geschlichtet  hatte,  ging  er,  um  nicht  dem  Vorwurf  der  Untätigkeit  in 
der  Kirchenfrage  zu  begegnen,    nach  Frankreich  und  unterhandelte  mit 
Karl  VI.    in    Reims    über    die    Beilegung    des    Schismas    im  Sinne    der 
Zession.     Wiewohl  sich  die  Kurfürsten  früher  selbst  in  dieser  Richtung 
gehalten  hatten,  wollten  sie,  und  vor  allem  Ruprecht  III.  von  der  Pfalz, 
von   einer   Preisgebung  Bonifaz'  IX.    nichts    wissen.      Im    übrigen    ging 
Wenzel  seine  eigenen  Wege  und  bekräftigte  das  Bündnis  mit  Frankreich 
durch    die  Verlobung   seiner  Nichte  Elisabeth  von  Görlitz   mit   Ludwig, 
dem  Sohne   des  Herzogs    von  Orleans.     Der  Frankfurter  Reichstag   war 
der  letzte,    den   er   abhielt.     Es   war   ihm  für  den  Augenblick  gelungen, 
die  Opposition  der  Kurfürsten  einzudämmen. 

*)  Ohne  den  Mainzer,  der  noch  nicht  aus  Rom  heinigekehrt  war. 
2)  Gedr.  RA.  HI,  22.     Dazu  Lindner,  Beil.  XVIII. 

28* 


436  Die  Frage  der  Absetzung  Wenzels. 

2.  Als  er  im  August  1398  nach  Böhmen  zurückgekehrt  war,  brachen 
unter  den  Luxemburgern  neue  Mifshelligkeiten  aus :  Jost  suchte  sich  der 
Lausitz  zu  bemächtigen  und  knüpfte  mit  den  böhmischen  Landherren 
an,  denen  die  gemachten  Zusagen  nicht  eingehalten  worden  waren; 
er  fand  eine  Stütze  an  Sigmund,  der  sich  von  dem  Markgrafen  Prokop 
in  seinem  eigenen  Lande  bedroht  sah.  Diese  Zerwürfnisse  wurden  von 
den  Kurfürsten  benützt,  um  ihrer  Opposition  eine  schärfere  Richtung 
zu  geben;  sie  fanden  den  nächsten  Anlafs  in  den  Zollvergünstigungen, 
die  Wenzel  einzelnen  Fürsten  und  Herren  gewährte.  Auf  der  Versamm- 
lung in  Boppard,  die  von  Mainz,  Köln  und  der  Pfalz  beschickt  ward 
(1399,  11.  April),  sollte  über  den  Landfrieden  und  Zollangelegenheiten 
beraten  werden,  insgeheim  aber  verpflichteten  sich  die  Kurfürsten,  in 
Sachen  des  Reiches,  der  Kirche  und  der  Kur  gemeinsam  zu  handeln 
und  jedem  Versuch  einer  Verkleinerung  des  Reiches  entgegenzutreten. 
Eine  zweite  Versammlung  fand  wenige  Monate  später  in  Marburg  statt. 
Während  Wenzel  meinte,  es  handle  sich  einzig  und  allein  um  die  Ein- 
setzung eines  Reichsverwesers,  und  die  Berufung  eines  neuen  Reichstages 
ins  Auge  fafste,  traten  die  Kurfürsten  bis  auf  jene,  die  dem  Hause 
Luxemburg  angehörten,  und  andere  Fürsten  und  Herren  im  September 
1399  in  Mainz  zusammen.  Hier  drang  die  Ansicht  durch,  clafs  unver- 
züglich ein  anderer  römischer  König  gewählt  werden  müsse. 
Wiewohl  noch  von  fünf  Häusern  gesprochen  wird,  die  für  die  Königs- 
wahl in  Betracht  kämen,  galt  doch  bereits  Ruprecht  III.  von  der  Pfalz 
als  der  geeignete  Kandidat.  Auf  dem  nächsten  Tage  —  er  wurde  im 
Xovember  in  Frankfurt  abgehalten  —  fanden  sich  auch  Vertreter  der 
Städte  ein.  Wenzel  war  hiezu  so  wenig  wie  zu  dem  früheren  eingeladen 
worden.  Zu  einem  Zuge  ins  Reich,  der  ihn  noch  retten  konnte,  war  er 
nicht  zu  bewegen.  Seine  letzte  Hoffnung  waren  die  Reichsstädte.  Sie 
wurden  nun  an  ihr  Versprechen  gemahnt,  ihm  beizustehen,  wenn  ihn 
jemand  »vom  Königreich  dringen  wollte.  Noch  auf  dem  Städtetage 
zu  Efslingen,  wo  sich  auch  Vertreter  von  Schweizer  Städten  einfanden, 
wurde  erklärt,  zum  König  zu  stehen;  er  müsse  vor  allem  aber  selbst 
handeln.  Das  war  aber  seine  Sache  nicht.  LTm  so  eifriger  waren  seine 
Gegner.  Am  1.  Februar  1400  einigten  sich  fünf  Kurfürsten  und  sieben 
Fürsten  dahin,  einen  andern  römischen  König  zu  wählen, 
»um  dengrofsen  und  schweren  Irrungen  und  Gebrechen  zu  widerstehen.«1) 
Der  Papst,  von  dem  Vorhaben  verständigt,  gab  eine  ausweichende  Antwort. 
Auf  dem  nächsten  Fürsten-  und  Städtetage  in  Frankfurt  (Mai-Juni) 
wurden  noch  mehr  Fürsten  für  den  Anschlufs  gewonnen.  Ein  Verbot 
Wenzels,  in  seiner  Abwesenheit  über  Reich  und  Kirche  Beschlüsse  zu 
fassen,  fand  keine  Beachtung,  denn  schon  war  seine  Absetzung  eine  be- 
schlossene Sache ;  wandten  sich  auch  Sachsen  und  Braunschweig  von 
dem  Bunde  ab,  so  liefsen  sich  die  übrigen  Fürsten  in  ihrem  Vorgehen 
nicht  stören  und  beschlossen,  am  11.  August  in  Oberlahnstein  zu- 
sammenzutreten,   »und    wenn    der  König   auch   nicht    erscheinen   sollte, 


1    RA.  III,  Nr.  106-7.    Lindner,  Beil.  XXVI. 


Seine  Absetzung.     Rechtsgrundlage  des  kurfürstlichen  Verfahrens.  437 

das  Reich  zu  bestellen«.  Auch  der  Kurfürst  von  Sachsen  und  Jost  von 
Mähren  waren  geladen.  Würden  sie  nicht  erscheinen,  würde  man  ohne 
sie  vorgehen.  Noch  hätte  ein  fester  Entschlufs  den  König,  den  Frank- 
furt von  dem  Vorhaben  der  Fürsten  verständigt  hatte,  retten  können. 
Aber  er  zögerte.  So  nahmen  die  Ereignisse  ihren  Lauf.  Am  10.  August 
traten  die  vier  rheinischen  Fürsten  in  Oberlahnstein  zusammen.  Dafs 
Wenzel  nicht  erschien,  wurde  dahin  gedeutet,  dafs  er  sich  des  Reiches 
nicht  weiter  annehmen  wolle.  Die  Absetzung  des  Königs  wurde  sonach 
beschlossen.  Über  den  Nachfolger  hatte  man  sich  längst  geeinigt.  Nur 
um  der  Form  zu  genügen,  wurde  Ruprecht  um  seine  Zustimmung  gefragt. 
Er  gelobte,  die  Rechte  der  Kurfürsten  zu  bestätigen,  die  seit  30  Jahren 
am  Rhein  errichteten  Zölle  zu  widerrufen,  Mailand  und  die  übrigen  dem 
Reiche  entfremdeten  Länder  zurückzubringen  und  für  das  Wohl  der  Kirche 
zu  sorgen.  Am  20.  August  erklärte  der  Mainzer  den  König  Wenzel  als 
einen  unnützen,  trägen,  unachtsamen  Entgliederer  und  unwürdigen  In- 
haber des  Reiches  für  abgesetzt.  Alle  Reichsangehörigen  wurden  ihrer 
Pflichten  gegen  ihn  losgesprochen  und  an  den  künftigen  König  gewiesen.1) 

Die  dem  König  zum  Vorwurf  gemachten  Vergehen  sind  grofsenteils  schon  in 
den  Frankfurter  Klagepunkten  des  Jahres  1397  enthalten.  Es  war  eine  starke  Über- 
treibung des  Sachverhalts ;  an  vielen  Gebrechen  waren  die  Kurfürsten  ebenso  schuldig 
als  der  König.  Das  Verfahren  wider  ihn  entbehrte  jeder  rechtlichen  Grundlage.  Zudem 
war  der  Zeitpunkt  der  Absetzung  schlecht  gewählt  und  die  Frage,  ob  der  neue  Herrscher 
sich  gegen  den  alten  behaupten  würde,  nicht  leicht  zu  bejahen.  Gewifs  rechneten 
die  Kurfürsten  auf  die  sprichwörtliche  Untätigkeit  Wenzels.  Wohl  rief  dieser  aus : 
»Ich  will  das  rächen  oder  tot  sein«,  und  Jost  fügte  bei :  »Wir  wollen  das  rächen,  oder 
ich  will  kein  Haar  in  meinem  Barte  behalten«  2),  aber  diese  Drohungen  waren  leerer 
Schall.  In  Wirklichkeit  tat  Wenzel  keinen  ernsthaften  Schritt,  ihnen  den  nötigen 
Nachdruck  zu  verleihen,  und  bei  dem  Eigennutz,  den  che  Luxemburger  selbst  in  dieser 
äufsersten  Notlage  Wenzels  an  den  Tag  legten,  ward  ihm  ein  tatkräftiges  Vorgehen, 
auch  wenn  er  es  beabsichtigt  hätte,  unmöglich  gemacht. 

§  101.    Die  Wahl  König  Rup rechts.    Der  böhmische  Krieg. 
Der  Römerzug  Ruprechts. 

Quellen.  Urkk. :  Chmel,  Regesta  Ruperti.  Frankf.  1834.  (Lindner,  Das  XJrk.- 
Wesen,  wie  oben.)  Köln  u.  König  Ruprecht :  Briefe,  herausg.  v.  Höhlbaum.  Mitt. 
aus  d.  Stadtarch.  von  Köln  XIV.  G.  Seeliger,  Aus  Ruprechts  Registern.  NA.  XIX. 
DRA.  unter  König  Ruprecht,  ed.  Weizsäcker.  Gotha  1882 — 88.  (S.  auch  Stern,  König 
Ruprecht  v.  d.  Pf.  in  s.  Beziehungen  zu  den  Juden.  Kiel  1898.)  Janssen,  Frankfurts 
Reichskorrespondenz  I.  Freib.  1863—72.  S.  65—153  und  526—807.  Geschicht- 
schreiber: s.  oben  §  96.  Dazu:  Andreas  de  Gataris,  Chronic.  Patavinum. 
Murat.  XVH,  7—944  (s.  aber  Lindner,  MJÖG.  XHI,  377).  Cronaca  di  Buonaccorso  Pitti, 
ed.  Firenze  1720.  Die  Verhandl.  mit  Ruprecht  bei  Janssen  a.  a.  O.  I,  641.  DRA.  IV, 
361.  Sercambi,  Croniche  bis  1409,  ed.  Fonti  per  la  stör.  d'Italia  XIV.  XV.  1892—93. 
Sozomenus,  Historiae  seu  Chronicon  univ.  bis  1455.  Murat.  XVI.  Piero  Minerbetti, 
Crom  Fiorentina,  ed.  Tartini.  RItSS.  II,  79—628.  Hilfsschriften:  Höfler, 
Ruprecht  v.  d.  Pfalz,  genannt  Klein,  röm.  König.  Freib  1861.  Th  orbecke,  Ruprecht. 
D.  K.  ADB.  XXIX.  Häusser,  Gesch.  d.  rh.  Pfalz  I.  Heidelb.  1861.  Lindner,  D.  G., 
wie  oben.   Weizsäcker,  Die  Urkunden  der  Approbation  K.  Ruprechts.  A.  Berl.  Ak.  1889. 

x)  Die  Absetzungsurkunde  in  RA.  in,  Nr.  204  (deutsche)  u.  205  (lat.  Fassung). 
Eine  treffliche  Zusammenstellung  älterer  u.  neuerer  Ansichten  über  Wenzels  Absetzung 
und  deren  Rechtsgrundlage  s.  bei  Lindner  II,  430 — 440. 

2)  RA.  ICE,  S.  299. 


438  Die  Wahl  König  Ruprechts. 

Frey,  Verh.  mit  d.  Kurie  über  d.  Approbat.  Diss.  1886.  Helmolt,  K.  Ruprecht  1401. 
HJb.  XV.  E.  Bergmann,  Zur  Gesch.  d.  Romzuges  R.  v.  d.  Pf.  Braunschw.  1891. 
Winkelmann,  Der  Romzug  Ruprechts  v.  d.  Pf.  Innsbr.  1892.  Helmolt,  K.  Rs. 
Zug  nach  Italien.  Leipz.  1892.  Donemiller,  Der  Römerzug  Rs.  und  dessen  Verh. 
zu  Österreich,  bes.  zu  Herzog  Leopold.  Rudolf swerth  1881.  Th.  Lindn.er,  Die  Schlacht 
bei  Brescia.  MJÖG.  XIII.  Piva,  Yenezia,  Scaligeri  e  Carraresi.  Rovigo  1899.  Romano, 
Gian  Galeazzo  Visconti  e  gli  eredi  di  Bernabö.  Milano  1891.  Schmitz,  Konrad  von 
Soltau.  1891.  Sommerlad,  Matthäus  v.  Krakau.  Halle  1891.  Schindelwick,  wie 
oben.  Liebisch,  Beitr.  z.  Gesch.  Ruprechts.  Xeutitschein  1900.  S.  auch  Sehe  11- 
hafs,  Das  Königslager  vor  Aachen  u.  vor  Frankfurt.  Berl.  1887.  Palacky,  wie  oben. 
Aschbach,   Gesch.  K.  Sigmunds,  I.    Hamb.  1838. 

1.  Der  Absetzung  Wenzels  folgte  die  Wahl  Ruprechts  auf  dem 
Fufse  nach.  Der  Sohn  des  tatkräftigen  Kurfürsten  Ruprecht  IL  war  er 
von  diesem  und  seinem  gleichnamigen  Grofsoheim  in  die  Staatsgeschäfte 
eingeführt  worden.  Da  er  selbst  einen  Sohn  namens  Ruprecht  hatte, 
gab  es  bis  1390  in  der  kurfürstlichen  Familie  gleichzeitig  vier  Träger 
dieses  Namens.  Man  unterschied  sie  durch  Beinamen.  So  hiefs  Rup- 
recht III.  Klem,  ein  Name,  dessen  Bedeutung  nicht  sicher  zu  erklären 
ist.1)  Er  hatte  sich  seit  1370  in  Fragen  der  deutschen  Politik  und  im 
Felde  hervorgetan.  Seit  1398  Kurfürst,  ging  sein  Streben  auf  die  Macht- 
vergröfserung  seines  Kurhauses.  Er  lieh  den  revolutionären,  auf  Wenzels 
Sturz  gerichteten  Absichten  der  geistlichen  Kurfürsten  seine  Unter- 
stützung, weil  sie  seinen  Hausinteressen  entsprachen.  In  der  Kirchen- 
politik hielt  er  unwandelbar  zur  römischen  Obedienz.  Ein  milder  und 
gerechter  Fürst.  Freund  der  Wissenschaften  und  ihrer  Jünger,  liefs  er 
sich  die  Förderung  der  Universität  Heidelberg  angelegen  sein.  Zu  seinen 
Freunden  gehörte  der  in  den  Kreisen  der  sog.  Vorreformatoren  gefeierte 
Bischof  von  Worms.  Matthäus  v  o  n  K  r  a k  a  u.  —  Am  21 .  August,  dem 
Tage  nach  Wenzels  Absetzung,  setzten  die  Kurfürsten  nach  Rense  über 
und  wählten  dort  Ruprecht  (1400 — 1410)  zum  König.2)  Drei  Tage 
später  meldeten  sie  Wenzels  Absetzung  und  Ruprechts  Wahl  dem  Papste 
und  baten  um  seine  Approbation.  Bonifaz  IX.  mochte  erwarten,  dafs 
Ruprecht  tatkräftiger  als  Wenzel  in  der  Kirchenfrage  zu  Roms  Gunsten 
einschreiten  würde.  Gegen  das  Versprechen,  sich  in  der  Schismafrage 
ganz  an  seine  Politik  anzuschliefsen,  erbot  er  sich  zur  sorgsamen  Prüfung 
der  Wahlvorgänge.  Offenbar  wollte  er  zuwarten,  bis  Ruprecht  in  Deutsch- 
land allgemein  anerkannt  sei.3)  Für  die  grofsen  Fragen,  deren  Lösung 
der  König  übernommen  hatte,  fehlte  diesem  weniger  der  gute  Wille  als 
die  entsprechenden  Mittel.  Erst  am  26.  Oktober  1400,  nachdem  er 
6  Wochen  und  3  Tage  vor  den  Mauern  gelagert  —  öffnete  ihm  Frankfurt 
die  Tore  und  leistete  die  Huldigung.  Solange  hatte  es  noch  auf  einen 
Umschwung  zu  Wenzels  Gunsten  gewartet.  Aachen  verweigerte  ihm 
vollends  den  Eintritt.  Daher  wurde  seine  Krönung  erst  am  6.  Januar  1401 
in  Köln  vollzogen.  Leicht  gewann  er  die  übrigen  rheinischen  Städte, 
schwerer  die  schwäbischen;  am  längsten  standen  der  Xorden  und  Osten 

1    Die  Zeitgenossen  sahen  darin  eine  Verkürzung  von  Klemens.  RA.  IV,  Xr.259,  S.303. 
a)  Es  wählten  die  drei  geistlichen  Kurfürsten  aber  mit  vier  Stimmen,  weil  dann, 
wenn  ein  Kurfürst  gewählt  wird,  seine  Zustimmung  als  Stimme  gilt. 
3)  RA.  IV,  17. 


Der  böhmische  Krieg.     Galeazzo  Visconti  von  Mailand.  439 

des  Reiches  abseits.  Auch  die  meisten  Fürsten  zögerten  mit  dem  An- 
schlufs.  Ruprecht  mufste  seinen  Gegner  entweder  mit  Gewalt  bezwingen 
oder  durch  friedliche  Mittel  zum  Verzicht  auf  die  Krone  bewegen  oder 
ihm  endlich  durch  den  Empfang  der  Kaiserkrone  seine  Anhänger  ab- 
wendig machen.  Er  betrat  alle  drei  Wege  nacheinander,  aber  alle  mit 
halben  Mitteln  und  darum  auch  mit  unbefriedigenden  Ergebnissen.  Den 
Krieg  gegen  Böhmen  begannen  die  bayrischen  Herzoge  in  der  Oberpfalz. 
Im  Norden  Böhmens  errang  der  Markgraf  von  Meifsen  einige  Erfolge. 
Erst  nach  dem  Übertritt  Nürnbergs  nahm  Ruprecht  den  Kampf  nach- 
drücklicher auf,  wogegen  Wenzel  Böhmens  Grenzen  im  Norden  und 
Westen  nach  altem  Brauch  durch  Verhaue  und  Grenzbefestigungen  in 
Verteidigungszustand  setzte. 1)  Darauf  bedacht,  mit  Wenzel  einen  an- 
nehmbaren Frieden  zu  schliefsen,  um  sich  der  Lösung  der  italienischen 
Frage  zuzuwenden,  verlangte  er  von  diesem  Verzicht  auf  die  Krone  und 
Huldigung,  wogegen  er  ihn  gegen  jedermann,  der  ihm  die  Krone  streitig 
mache  —  gemeint  war  Sigmund  —  verteidigen  würde. 2)  Da  Wenzel 
darauf  nur  eingehen  wollte,  wenn  ihm  Titel  und  Würde  eines  römischen 
Kaisers  verblieben,  zerschlugen  sich  die  Verhandlungen.  Während  Ruprechts 
Sohn  Ludwig  mit  Erfolg  im  Westen  Böhmens,  »im  Lande  vor  dem  Walde«, 
operierte,  drangen  die  Meifsner  und  die  Truppen  des  böhmischen  Herren- 
bundes, der  sich  wie  auch  die  Markgrafen  Jost  und  Prokop  an  Ruprecht 
angeschlossen  hatte,  bis  in  die  Nähe  von  Prag ;  kaum  hatte  der  Herren- 
bund aber  seine  nächsten  Ziele  —  die  Einsetzung  eines  Regentschaftsrates  — 
erreicht,  schlofs  er  mit  Wenzel  Frieden,  und  den  Markgrafen  blieb  nichts 
übrig,  als  diesem  Beispiel  zu  folgen.  Die  Meifsner  mufsten  die  eroberten 
Gebiete  räumen.  So  endete  der  unter  guten  Auspizien  begonnene  Feldzug 
ohne  Ergebnis. 3)  Die  Schuld  daran  trug  Ruprecht,  der,  in  seine  italieni- 
schen Pläne  vertieft,  es  verabsäumt  hatte,  seine  volle  Kraft  einzusetzen. 
2.  In  Italien  hatte  Ruprechts  Wahl  bei  allen  Gegnern  Galeazzo 
Viscontis  Anklang  gefunden.  Galeazzo  hatte  1385  seinen  Oheim  Barnabö 
und  dessen  Söhne  verdrängt.  Er  hatte  bisher  eine  friedliche  Rolle 
gespielt.  Seit  er  aber  die  Herrschaft  seines  Oheims  mit  seiner  eigenen 
vereinigt  hatte,  trat  er  als  Eroberer  auf,  und  Mailand  bildete  nun  eine 
ständige  Gefahr  für  die  benachbarten  Signorien,  die  freilich  durch  ihre 
Zwietracht  sein  Aufwärtssteigen  beförderten.  Mit  Francesco  di  Carrara 
stürzte  er  die  Scaliger  in  Verona  und  Vicenza  (1387),  verbündete  sich 
dann  (1388)  mit  Venedig  gegen  Carrara  und  erhielt  aus  deren  Besitz 
Padua,  Belluno,  Feltre  und  Valsugana,  während  das  Gebiet  von  Treviso 
an  Venedig  kam.  Doch  gewann  der  jüngere  Francesco  von  Carrara 
Padua  1389  zurück.  Da  Galeazzo  bei  weiterem  Vordringen  nach  Osten 
mit  Venedig  in  Streit  geraten  mufste,  wandte  er  seinen  Blick  auf  das  in 
kleine  Staaten  zersplitterte  Toskana,  kämpfte  im  Bunde  mit  den  Häusern 
Gonzaga  und  Este  1390  gegen  das  von  Florenz  unterstützte  Bologna  und 
sicherte    im    Frieden   von    1392    seine   Eroberungen.      Nachdem    er   von 

*)  S.  meinen  Aufsatz  »Der  Grenzwald.  Böhmens«  in  MVGDB.  XX,  77. 

2)  Diese  und  die  übrigen  Bedingungen  RA.  Nr.  340. 

3)  Ludolf  v.  Sagan,  S.  431.    Andere  Belegstellen  bei  Höfler,  S.  222. 


440  Die  Romfahrt  Ruprechts  and  ihr  Ausgang. 

Wenzel  (1395)  die  Herzogswürde  erhalten  (s.  oben),  fafste  er  den  Erwerb 
von  Genua  ins  Auge,  geriet  darüber  aber  mit  Frankreich  in  Streit,  das 
nun  mit  Florenz  und  Bologna,  dem  Markgrafen  von  Ferrara  und  den 
Herren  von  Padua  ein  Bündnis  sehlofs  und  sich  in  den  Be>itz  von  Genua 
setzte.  Galeazzo  führte  den  Krieg  nicht  ohne  Erfolg;  der  Anschlufs 
Venedigs  an  seine  Gegner  zwang  ihn  aber  zu  einem  Waffenstillstand  auf 
zehn  Jahre.  Nun  richtete  er  seine  Pläne  wieder  auf  Toskana.  Pisa  und 
Siena  kamen  in  seine  Gewalt  (1399 1:  im  Januar  1400  erkannte  auch 
Perugia  seine  Herrschaft  an.  Sein  nächstes  <  >pfer  sollte  Florenz  sein; 
und  die  Florentiner  waren  es  nun.  die  sich,  wie  Venedig  und  Franz  von 
Carrara,  an  Ruprecht  wandten  und  ihm  reiche  Geldsummen  zur  Ver- 
fügung stellten,  wenn  er  noch  1401  zu  Felde  zöge.  Da  auch  von  andern 
Seiten  Aufforderungen  an  ihn  gelangten,  welche  die  Herstellung  der 
Kaisermacht  zum  Ziele  hatten1),  so  kam  die  Frage  des  Römerzuges  auf 
dem  nächsten  Reichstage  zur  Sprache,  und  Ruprecht  suchte  nach  allen 
Seiten  Anknüpfungspunkte :  in  der  Schweiz,  in  England.  Aragonien  und 
selbst  in  Frankreich.-)  Von  besonderer  Wichtigkeit  war  es.  dafs  er  die 
Unterstützung  Österreichs  gewann,  wiewohl  dieses  noch  ein  Jahr  zuvor 
ein  Bündnis  mit  Galeazzo  abgeschlossen  hatte.  Mitte  September  1401 
setzte  sich  das  Heer  von  Augsburg  aus  in  Bewegung.  Es  zählte  ur- 
sprünglich 15000  Berittene.  Da  die  Mittel  zu  seiner  Unterhaltung 
fehlten  und  die  Florentiner  erklärten.  Hilfsgelder  erst  zu  leisten,  wenn 
das  Heer  den  Boden  Italiens  betreten  hätte,  wäre  es  vorteilhafter  gewesen, 
den  Feldzug  aufzugeben ;  aber  Ruprecht  wollte  die  bereits  aufgewendeten 
Mittel  nicht  verlieren;  er  entliefs  ein  Drittel  und  zog  in  langsamen 
Märschen  nach  Süden,  indes  Galeazzo  die  ihm  hiedurch  gegönnte  Frist 
ausnützte  und  ein  Heer  zusammenbrachte,  das,  besser  gerüstet  als  das 
deutsche,  auch  in  seiner  Treue  zuverlässiger  war.  Von  Trient  zog 
Ruprecht  bis  vor  Brescia;  hier  erlitten  die  Deutschen  am  24.  Oktober  durch 
eine  im  Hinterhalt  liegende  Reiterschar  der  Mailänder  grofse  Verluste. 
Eine  eigentliche  Schlacht  fand  aber  nicht  statt.  Da  Brescia  nicht,  wie 
man  hoffte,  durch  Verrat  fiel,  weil  Galeazzo  eine  Verschwörung  daselbst 
noch  im  Keime  erstickte,  die  Stadt  auch  zu  stark  war,  als  dafs  sie  im 
Sturm  genommen  werden  konnte,  der  König  sich  übrigens  in  keine 
lange  Belagerung  einlassen  wollte,  fafsten  die  deutschen  Fürsten  den 
Entschlufs,  nach  Hause  zu  ziehen.  Der  König  brach  das  Lager  ab  und 
zog  sich  nach  Trient  zurück.  So  war  der  Römerzug  schon  in  seinen 
Anfängen  gescheitert.  Ruprecht  entliefs  den  gröfsten  Teil  seines  Heeres ; 
mit  dem  Reste  zog  er  durch  das  Pustertal  nach  Friaul  und  Padua,  wo 
er  den  Winter  zubrachte.  Er  machte  den  Versuch,  neue  Bundesgenossen 
zu  werben,  aber  die  Venetianer  hielten  sich  zurück.  Ihr  Bestreben  war 
es,  einen  allgemeinen  Frieden  in  Italien  herzustellen.  Da  schliefslich  auch 
der  Papst  für  die  Anerkennung  Ruprechts  zu  schwere  Bedingungen 
stellte,  kehrte  der  König,  einem  Besiegten  gleich,  >;ohne  Heer  und  ohne 
Geld,  ohne  Krone  und  ohne  Ehre«  in  die  Heimat  zurück. 


1    RA.  IX,  Nr.  261. 
2j  Nr.  258—263. 


Die  zweite  Gefangennahme  Wenzels  und  die  Pläne  Sigmunds.  441 

§  10*2.    Ruprecht  und  die  Luxemburger  von  1401—1406. 

Der  Maribacher  Bund. 

Hilfsschriften  s.  oben.  Dazu:  Pelzel,  Dipl.  Beweise,  dai's  K.  Wenzel  nicht  drei- 
mal, sondern  nur  zweimal  gefangen  wurde.  Abh.  einer  Privat-G  es.  in  Böhmen  IV,  18—50. 
Zum  Maibacher  Bund  findet  sich  das  urk.  Material  in  RA.  V,  VI.  S.  auch  Schmitz, 
Der  Fürstentag  zu  Frankfurt  1409.  H.Tb.  XVI.  Friedländer,  Zur  Gesch..  des  Marb. 
Bundes.  Giefsen  1893.  Gerits,  Z.  G.  d.  Erzb.  Job.  III.  von  Mainz.  Diss.  Halle  1882. 
Fester,  Markgr.  Bernhard  I.  v.  Baden.    Karlsruhe  189(3. 

1.  Der  unglückliche  Ausgang  der  Romfahrt  wirkte  auf  Ruprechts 
Stellung  in  Deutschland  nachteilig  ein.  Der  Reichsverweser  Pfalzgraf 
Ludwig  war  aus  Mangel  an  Erfahrung  und  Mitteln  aufserstande,  die 
Ordnung  aufrecht  zu  erhalten.  Nach  langem  Zwiste  fanden  sich  die 
Luxemburger  in  dem  Bestreben  zusammen,  ihre  alte  Machtstellung  wieder 
zu  erwerben.  Bereits  im  November  1401  hatte  Galeazzo  Wenzel  zur 
Romfahrt  aufgefordert  und  ihm  seine  Heeresmacht  zur  Verfügung  gestellt. 
Jetzt  schlofs  sich  Wenzel  eng  an  Sigmund  an,  verlieh  ihm  aufs  neue 
das  Reich svikariat  (1402,  4.  Februar)  und  ernannte  ihn  zum  Verweser 
in  Böhmen.  Wenn  sich  Wenzel  auch  die  königliche  Würde  im  Reiche 
und  in  Böhmen  vorbehielt,  so  sollte  er  doch  in  allen  Dingen  an  den 
Rat  seines  Bruders  gebunden  sein.  Dieser  wurde  sonach  der  wahre 
Beherrscher  Böhmens. x)  Schon  teilt  er  Galeazzo  seine  Absicht  mit,  ver- 
eint mit  Wenzel  in  Italien  zu  erscheinen. 2)  Die  Grenze  gegen  Bayern 
sollte  durch  den  Markgrafen  Prokop  gesichert  werden.  Aber  die  guten 
Beziehungen  zwischen  Wenzel  und  Sigmund  hatten  keinen  Bestand. 
Ein  heftigerer  Zwist  als  der  frühere  brach  aus.  Im  Einverständnis -mit 
den  hervorragendsten  Landesbaronen  liefs  Sigmund  den  König  verhaften 
und  nach  dem  Hradschin  abführen  (1402,  6.  März).  Auch  diesmal  standen 
der  niedere  Adel  und  das  Bürgertum  zu  Wenzel.  Dagegen  suchte  Sig- 
mund seine  Beziehungen  zu  auswärtigen  Mächten  enger  zu  knüpfen, 
drückte  die  gegnerische  Bewegung  in  Böhmen  nieder,  nahm  Prokop 
gefangen  und  führte  Wenzel  nach  der  oberösterreichischen  Burg  Schauen- 
burg.  Er  hatte,  woran  man  mit  Unrecht  zweifelt,  die  Absicht,  ihn  zur 
Kaiserkrönung  nach  Italien  zu  führen.  Um  die  Habsburger  zu  gewinnen, 
erneuerte,  er  die  alten  Erbverträge  mit  ihnen,  versprach,  im  Falle  er  ohne 
männliche  Erben  stürbe,  Ungarn  einem  der  drei  Herzoge,  Wilhelm, 
Albrecht  IV.  oder  Ernst  zu  vermachen,  entzog  seinem  Vetter  Jost,  der 
sich  in  Verhandlungen  mit  Ruprecht  eingelassen  hatte ,  die  ihm  den 
Besitz  Böhmens  verschaffen  sollten,  die  Nachfolge  in  Ungarn,  bestimmte 
auf  dem  Prefsburger  Reichstage  (1402,  24.  September)  Herzog  Albrecht 
zu  seinem  Nachfolger  und  verschaffte  ihm  die  Zustimmung  der  ungarischen 
Stände.  Wenzel  war  mittlerweile  an  die  Herzoge  von  Österreich  aus- 
geliefert worden   und   wurde    zu  Wien   in    einer   leichten  Haft   gehalten. 

*)  So  icollen  wir  .  .  .  unser m  bruder  genzlich  gehorsam  sein  u.  unsere  sacken  nach 
seinem  rat  .  .  .  volfürn,  beide,  in  dem  hl.  reich  u.  dem  kunigreich  zu  Behem,  doch  in 
sulcher  weis  u.  masse,  dafs  wir  herre  und  bey  unsern  ivürden  bleiben.  So  auch  Sig- 
mund an  Galeazzo.  KA.  Y,  189.  Über  Wenzels  Absichten  auf  die  Kaiserkrone  ebenda  S.  196. 

2)  RA.  V,  189  ff. 


442  Zerwürfnisse  unter  den  Luxemburgern. 

Wenn  es  Sigmund  mit  Wenzels  Kaiserkrönung  auch  ernst  war :  sein 
Plan  konnte  nicht  mehr  ausgeführt  werden,  da  Galeazzo  bereits  am 
3.  September  1402  starb.  In  Böhmen  erzielte  Sigmund  grofse  Erfolge. 
Mit  den  durch  die  Verpfändung  der  Neumark  an  den  Deutschen  Orden 
gewonnenen  Mitteln  warb  er  ein  Heer,  unterwarf  Kuttenberg  und 
bemächtigte  sich  der  dort  aufgehäuften  Schätze  Wenzels.  Aber  mitten 
unter  solchen  Erfolgen  in  Böhmen  gewann  es  den  Anschein,  als  sollte 
ihm  Ungarn  verloren  gehen.  Im  Süden  dieses  Landes  hatte  sich  die 
angiovinische  Partei  erhoben  und  Ladislaus  am  5.  August  1403  in  Zara 
zum  König  von  Ungarn  gekrönt.  Über  die  Parteinahme  Bonifaz'  IX. 
für  Ruprecht  und  Ladislaus  erbittert,  entzog  Sigmund  dem  Papste  alle 
Einkünfte  in  Böhmen  und  warf  hierauf  den  ungarischen  Aufstand  nieder. 
Inzwischen  war  aber  Wenzel  seiner  Haft  entkommen.  In  Böhmen 
freudig  empfangen,  versöhnte  er  sich  mit  den  mährischen  Vettern  und 
entzog  Sigmund  die  Regierung.  Dieser  erklärte  an  die  österreichischen 
Herzoge,  denen  er  die  Schuld  an  Wenzels  Entkommen  beimafs,  den 
Krieg,  liefs  sich  aber  durch  das  Versprechen,  ihm  gegen  Wenzel  Hilfe 
zu  leisten,  wieder  beschwichtigen  (1404,  April).  Die  Verbündeten 
begannen  den  Kampf  mit  einem  Angriff  auf  Mähren ;  als  aber  Albrecht  IV. 
starb  (14.  September),  schlössen  seine  Brüder  einen  Waffenstillstand  und 
schliefslich  einen  Frieden  und  ein  förmliches  Bündnis  (1405,  Februar) 
mit  Wenzel,  der  sich  überdies  auch  noch  durch  ein  Bündnis  mit  Polen 
gegen  Sigmunds  Angriffe  schützte.  Der  ungarische  König  mischte  sich 
nun  fast  ein  halbes  Jahrzehnt  hindurch  weder  in  die  böhmischen  noch 
auch  in  die  deutschen  Angelegenheiten,  wozu  ihn  die  Drohung  Wenzels, 
ihm  die  Nachfolge  zu  entziehen  oder  Teile  Böhmens  zu  veräufsern, 
bewogen  haben  mag.  Der  Tod  Prokops  förderte  die  Herstellung  der 
Ruhe  in  Böhmen,  denn  indem  Wenzel  dessen  Besitz  Jost  übertrug,  er- 
hielt er  auch  von  dieser  Seite  die  Versicherung  kräftiger  Unterstützung 
und  konnte  nun  daran  denken ,  den  Kampf  gegen  Ruprecht  nach- 
drücklich aufzunehmen. 

2.  Ruprecht,  der  das  Scheitern  des  Römerzuges  der  kühlen  Haltung 
des  Papstes  und  der  geringen  Unterstützung  seiner  italienischen  Bundes- 
genossen beimafs,  berief  noch  von  Italien  aus  einen  Kurfürstentag  nach 
Mainz,  um  die  Reichsangelegenheiten  zu  besprechen.  Statt  aber  die 
grofsen  Zeitfragen  in  Beratung  zu  ziehen,  wurde  nur  ein  Münzedikt  er- 
lassen (1402,  23.  Juni)  und  eine  Landfriedensordnung  für  Franken  fest- 
gesetzt. Die  Vermählung  seines  Sohnes  Ludwig  mit  der  englischen 
Prinzessin  Blanka  führte  keine  Änderung  in  der  bisherigen  Politik  her- 
bei, dagegen  legte  die  Haltung  des  Papstes  ilim  den  Anschlufs  an  die 
französische  Kirchenpolitik  nahe.  Dadurch  konnte  er  wenigstens  eine 
Stütze  gegen  Mailand  erhalten,  über  dessen  Fortschritte  seine  italienischen 
Freunde  Klage  führten.1)  Um  der  Schuldenlast,  die  er  sich  durch  die 
Romfahrt  aufgeladen  hatte,  los  zu  werden,  begehrte  er  nicht  nur  von 
den    Reichsstädten   ausserordentliche    Beiträge,    sondern   nahm   auch   die 


l)  RA.  V,  285,  325. 


Der  Marbacher  Bund.     König  Ruprechts  Krönung.  443 

Mitgift  seiner  Schwiegertochter  in  Anspruch,  wofür  er  seinem  Sohne 
Reichsgüter  verpfändete.  Die  Annäherung  an  Frankreich  hatte  jedoch 
ein  frühzeitiges  Ende,  und  schon  im  Frühjahr  1403  kehrte  er  zur 
römischen  Obedienz  zurück.  Italienische  Einladungen  zu  einer  neuen 
Romfahrt  blieben  zunächst  im  Hinblick  auf  sein  Verhältnis  zu  den 
Luxemburgern  vergeblich ;  dann  aber  zeigten  sich  schon  die  Ansätze  der 
Opposition  jener  Fürsten,  denen  er  seine  Wahl  verdankte.  Sie  traten 
mit  Ludwig  von  Orleans,  dem  Verlobten  von  Wenzels  Nichte  Elisabeth, 
in  Beziehungen.  Selbst  Erzbischof  Johann  von  Mainz  findet  sich  unter 
Ruprechts  Gegnern;  nur  die  rasche  Entschlossenheit,  mit  der  Ruprecht 
den  Markgrafen  Bernhard  von  Baden  demütigte,  vereitelte  ihre  Pläne. 
So  nahm  er  den  Gedanken  an  einen  zweiten  Römerzug  wieder  auf,  wozu 
ihm  der  Papst,  der  ihm  endlich  auch  die  Approbation  gewährt  hatte 
(1403,  1.  Oktober)  den  zehnten  Teil  aller  geistlichen  Einkünfte  in  Deutsch- 
land bewilligte.1)  Das  italienische  Unternehmen  schien  diesmal  um  so 
aussichtsvoller  zu  sein,  als  mit  Galeazzos  Tode  dessen  Macht  zusammen- 
gebrochen war.  Aber  zuerst  trat  ihm  der  Streit  mit  Franz  von  Carrara 
über  den  Besitz  Veronas,  dann  die  deutsche  Opposition  hindernd  in  den 
Weg.  Eine  Anzahl  von  Fürsten,  durch  seine  Hauspolitik  in  ihren 
Interessen  verletzt,  schlofs  am  14.  September  1405  in  Marbach  einen 
Bund  auf  fünf  Jahre  zu  dem  Zwecke,  um  alle  Eingriffe  des  Königs  in  die 
Rechte  einzelner  Bundesglieder  abzuwehren.2)  Als  solche  Eingriffe 
wurden  nun  schon  die  Versuche  des  Königs,  seine  Macht  zu  festigen, 
angesehen.  In  dem  Briefe,  der  ihm  den  Abschlufs  des  Bundes  meldet, 
versichern  sie  ihn  ihrer  freundlichen  Gesinnung,  »so  lange  man  sie  bei 
ihren  fürstlichen  Freiheiten  und  Rechten  lasse«.  Dem  Reichstage  zu  Mainz 
(20.  Oktober),  auf  dem  über  ihre  Beschwerden  verhandelt  werden  sollte, 
blieben  sie  fern ;  den  nächsten  (6.  Januar)  wollten  sie  nur  dann  beschicken, 
wenn  sie  der  König  »nur  mit  der  Güte«  ansprechen  wolle.  Die  gegen- 
seitige Aussprache  führte  aber  nur  zu  gröfserer  Verbitterung.  Erst  nach 
langen  Verhandlungen  wurde  ein  Friede  zwischen  dem  König  und  dem 
Erzbischof  Johann  vereinbart  (1407,  Februar),  wonach  weder  Ruprecht 
noch  der  Erzbischof  ohne  Wissen  der  andern  Bündnisse  eingehen,  der 
Marbacher  Bund  nicht  über  die  bestimmte  Zeit  hinaus  verlängert,  auch 
keine  neuen  Bundesmitglieder  aufgenommen  werden  sollten.  Da  Ruprecht 
die  geforderte  Auflösung  des  Bundes  nicht  erreichte,  bedeutete  der 
Friedensschlufs  eine  Niederlage  des  Königtums.  Der  Marbacher  Bund 
und  das  bisher  bestrittene  Bündnisrecht  der  Reichsstände  hatte  jetzt, 
soweit  Fürsten  in  Betracht  kamen,  in  gewissem  Sinne  Anerkennung 
gefunden.3)  Die  Lage  des  Königs  wurde  übrigens  jetzt  eine  bessere. 
Nachdem  sich  der  Herzog  von  Geldern  zu  seiner  Anerkennung  bequemt 
hatte,  gab  auch  Aachen  den  Widerstand  auf.  Jetzt  erst  —  am 
14.  November  1407  —  wurde  Ruprecht  daselbst  gekrönt.  Wenzels 
Versuche,    Ruprechts    Zerwürfnis   mit   dem    Marbacher   Bund   zu   seinen 

*)  S.  547. 

2)  Die  Bundesurk.  ebenda  S.  750—61. 

s)  KA.  VI,  103. 


444  König  Ruprecht  und  das  Schisma. 

Gunsten  auszunützen,  schlugen  fehl,  und  die  Stadt  Rotenburg,  die.  von 
Ruprecht  in  die  Reichsacht  erklärt,  in  ihrem  Kampfe  wider  den  Burg- 
grafen von  Nürnberg1)  seine  Hilfe  nachgesucht  hatte,  mufste  sich  (1408, 
Juli)  unterwerfen.  Dagegen  gelang  es  Ruprecht  nicht,  Brabant  ans  Reich 
zurückzubringen,  wozu  er  sich  bei  seiner  Thronbesteigung  verpflichtet 
hatte.  Xach  dem  Tode  Herzog  Wenzels  von  Luxemburg  hatte  dessen 
Witwe  Johanna  ihren  Neffen  Anton,  den  zweiten  Sohn  Philipps  von 
Burgund .  an  Sohnes  Statt  angenommen  und  als  Erben  von  Brabant 
huldigen  lassen.  Als  solcher  folgte  er  ihr  trotz  Ruprechts  Einsprache 
(1406)  nach.  Um  den  Herzog  auf  seine  Seite  zu  ziehen,  gab  ihm  König 
Wenzel  (1408)  seine  Nichte  Elisabeth  von  Görlitz  zur  Ehe,  verschallte 
ihm  das  Herzogtum  Luxemburg  als  Pfandbesitz  und  schlofs  mit  Burgund 
und  Brabant  ein  Bündnis  gegen  Ruprecht. 2)  Noch  einmal  hatte  Wenzel 
Aussicht,  den  Sieg  über  seinen  Gegner  davonzutragen.  Diesem  galten 
Bonifaz  IX..  Innozenz  VII.  und  Gregor  XII.  als  die  rechtmäfsigen  Päpste. 
In  dieser  Überzeugung  wurde  er  durch  die  Gelehrten  seiner  Umgebung 
und  die  Heidelberger  Professoren  bestärkt,  die  das  Vorgehen  der  konziliaren 
Partei  für  ein  verwerfliches  hielten.  Ruprecht  war  demnach  aus- 
gesprochener Gegner  der  Kardinäle,  die  das  Konzil  nach  Pisa  aus- 
geschrieben und  den  Kardinal  Landulf  von  Bari  in  Konzilssachen  nach 
Deutschland  gesandt  hatten.  Es  gelang  diesem  nicht,  den  König  zu 
gewinnen.  Dies  Verhalten  brachte  Ruprecht  in  einen  Gegensatz  zur 
Mehrheit  der  deutschen  Fürsten,  die,  wie  Mainz  und  Köln,  den  konziliaren 
Ideen  huldigten.  Um  so  gröfseren  Erfolg  hatte  Landulf  in  Böhmen. 
Wenzel  verbot,  Gregor  XII.  als  rechtmäfsigen  Papst  anzuerkennen  und 
versprach,  sich  den  Konzilsbeschlüssen  zu  fügen.  Dagegen  gelobte 
Landulf  namens  der  Kardinäle,  dafs  er  vom  Konzil  als  römischer  König 
anerkannt  würde.  Ruprecht  blieb  trotzdem  seiner  Haltung  treu :  er 
forderte  Fürsten  und  Städte  auf,  sich  an  Gregor  XII.  zu  halten,  und  erhob 
Einspruch  gegen  die  von  den  Kardinälen  berufene  Versammlung  (s.  §  103). 
Das  Konzil  erkannte  dagegen  Wenzel  als  römischen  König  an  und  gab 
seinen  Gesandten  den  Vortritt  vor  den  andern.  Ruprechts  Vorgehen 
mufste  ihm  im  Reiche  zu  den  alten  noch  neue  Gegner  schaffen,  da  sich 
die  Mehrheit  der  Fürsten  für  die  Haltung  des  Konzils  entschied.  Wieder 
regten  sich  seine  alten  Feinde,  und  es  drohte  zu  einem  Kriege  und 
diesmal  auch  zur  Einmischung  Frankreichs  zu  kommen.  Da  starb 
Ruprecht  am  18.  Mai  1410  auf  seinem  Schlosse  Landskron  bei  Oppenheim. 

§  103.    Das  Konzil  von  Pisa  (1409). 

Quellen.  Über  Quellensauiuilungen  s.  Hefele-Knöpf ler  VI,  992.  RE2.  Potth.  Iy  338. 
Sie  sind  in  vier  von  Anhängern  der  Konzilspartei  und  Ohrenzeugen  veranstalteten 
Sammlungen  enthalten.  Concilium  Pisanum  universale  in  Harduin  YHI,  5  ff.,  Mansi 
XXYI,  1136  ff.,  Labbe  XV,  1127—1152.  Fomia  servata  in  celebratione  concilii  etc. 
Harduin  46  ff.,  Mansi  1184,  Labbe  1176.  Acta  concilii  Pisani  ex  MS.  Vindob.  Mansi 
XXVn,  115,    Labbe  XV,  136,    v.  d.  Haardt  II,  90.    Mansi  XXVII,  358  ff.     Martene  et 


1    Die  Materialien  hierüber  ebenda  8.  174.    Urkk.  S.  208 ff. 
2)  Ebenda  S.  342. 


Versuche  der  Kardinäle  zur  Beilegung  des  Schismas.     Äilli's  Thesen.         445 

Durand.  Vet.  Scr.  ampl.  Coli.  VII  u.  Conciliuni  Pisanum  super  electione  unici  summi 
pontificis  celebratum  ex  Historia  Karoli  VI  regia  Francorum  a  naonacho  Sandiönysiano. 
Mansi  XXVII,  1—10,  Harduin  115-120,  Labbe  1248.  Von  kl.  Quellen:  Bonifatius 
Ferrers  Traktat,  ed.  Martene  et  Durand.  Thes.  II,  1436  mit  Aillis  Gegenschrift :  Apologia 
concilii  Pisani,  ed.  Tschackert,  Append.  31.  Die  von  Mansi  XXVJULi  gesammelten  örkk. 
und  Notizen.    Rayn.  Ann.  Eccl.    DKA.  VI.     Geschichtschreiber  wie  oben  §  96. 

Hilf  s  schrif  te  n  :  Maimbourg,  Hist.  du  grand  Schisme  d'Occident.  Lenfant, 
Histoire  du  Concile  de  Pise.  2  Bde.  Amsterd.  1724 — 1727.  Hefele,  Christophe, 
wie  oben.  Wessenberg,  Die  grofsen  Kirchenversammluhgen  des  15.  u.  16.  Jahrh. 
2.  Bd.  Konst.  1840.  Räumer,  Die  Kirchenversammlungen  von  Pisa,  Kostnitz  u.  Basel. 
HT.  NF.  X.  Sauerland,  Gregor  XII.  v.  s.  Wahl  bis  zum  Vertrag  von  Marseille.  HZ. 
XXXII.  —  Kard.  Joh.  Dominiei  u.  s.  Verhalten  zu  den  kirchl.  Unionsbestrebungen 
1406 — 1415.  ZKG.  IX,  X.  Hof  ler,  Ruprecht  v.  d.  Pf.,  wie  oben.  Kötzschke, 
Ruprecht  v.  d.  Pfalz  und  das  Konzil  zu  Pisa.  Jena  1889.  Erler,  Florenz,  Neapel  und 
das  päpstl.  Schisma.  HT.  1889.  —  Z.  G.  d.  pis.  Konz.  Progr.  Leipz.  1884.  Schmitz,  Zur 
Gesch.  d.  Konz.  v.  Pisa  1409.  RQSchr.  IX,  1895.  Stuhr,  Die  Organisation  und  Ge- 
schäftsordnung des  Pisaner  u.  Konst.  Konzils.  Schwerin  1891.  Rofsbach,  Das  Leben 
Carvajals  und  das  schism.  concil.  Pisanum.  Diss.  1892.  Befs,  Gerson  u.  d.  kirchenpol. 
Parteien  Frankreichs  vor  d.  Konz.  zu  Pisa.  Diss.  1890.  Meister,  Das  Konzil  von 
Cividale.  HJb.  XHI.  Schmitz,  Die  Quellen  z.  Gesch.  d.  Konz.  v.  Cividale.  RQSch.  VIEL 
Zimmermann,  Die  kirchl.  Verfassungskämpfe  im  15.  Jahrh.  1882.  Die  allg.  Werke 
wie  oben. 

1.  Während  die  Kardinäle  beider  Obedienzen  von  Pisa  aus  neue 
Einladungsschreiben  aussandten,  versuchten  sie  es  noch  einmal,  freilich 
vergebens,  beide  Päpste  zur  Zession  zu  bewegen.  Dafs  Kardinäle  gegen 
den  Papst  ein  allgemeines  Konzil  ansagten,  die  Verfassung  der  Kirche 
demnach  nicht  eine  streng  monarchische,  sondern  eine  repräsentative 
sein  sollte,  fand  keineswegs  überall  Billigung1),  aber  die  Mehrheit  der 
Gläubigen  sah  in  dem  Drange  nach  Beendigung  des  Schismas  über 
kanonistische  Bedenken  hinweg,  von  den"  Universitäten  vornehmlich 
Bologna  und  Paris,  von  den  Gelehrten  Ailli  und  Gerson.  Bologna  gab 
ein  Gutachten  in  diesem  Sinne  ab ,  und  mit  ihrem  stimmte  das  Urteil 
der  französischen  Theologen  überein.  Auf  der  Provinzialsynode  von  Aix 
(1409,  1.  Januar)  und  etwas  später  zu  Taraskon  stellte  Ailli  eine  Reihe 
antipäpstlicher  Thesen  auf.2)  Im  gleichen  Sinne  schrieb  er  seine  Schrift 
„über  das  Konzil."     Den  29.  Januar  begann  Gerson  seinen  Traktat  y>von 


*)  Hefele  VI,  920. 

2)  Die  wichtigsten  sind:  Haupt  der  Kirche  ist  Christus.  In  der  Einheit  mit  ihm, 
nicht  notwendig  in  der  Einheit  mit  dem  Papste,  besteht  die  Einheit  der  universalen 
Kirche.  Auch  ohne  Papst  bleibt  sie  Eine:  denn  wo  immer  sich  zwei  oder  drei  in 
Christi  Namen  versammeln,  ist  er  unter  ihnen.  Auch  nach  natürlichem  Rechte.  Da  jeder 
Körper  der  Trennung  widerstrebt,  hat  die  Kirche  diese  Gewalt  und  hat.  sie  geübt  und 
Konzilien  abgehalten,  ohne  dafs  der  Papst  den  Vorsitz  führte.  Wenn  dies  Recht 
später  beschränkt  wurde,  ist  es  deswegen  nicht  aufgehoben.  Daher  kann  die  Kirche 
auch    jetzt    in    gewissen    Fällen    ein    allgemeines    Konzil    berufen,    1.  bei  Sedisvakanz, 

2.  wenn  der  Papst  dem  Wahnsinn  oder  der  Ketzerei  verfällt  oder  sonst  untauglich  wird, 

3.  wenn  er  die  verlangte  Berufung  beharrlich  verweigert  und  -4.  wenn  mehrere  Präten- 
denten um  das  Papsttum  streiten.  Ailli  fafste  aber  nicht  die  sofortige  Absetzung  der 
beiden  Päpste  ins  Auge.  Sie  sollen  gehalten  sein,  ihre  Zession  selbst  anzubieten,  und 
erst  wenn  sie  diese  verweigern,  darf  das  Konzil  zur  Neuwahl  schreiten.  Diese  empfiehlt 
sich  nur  dann,  wenn  es  sicher  ist,  dafs  die  ganze  Christenheit  oder  ihr  gröfster  Teil 
ihr  beistimmt  und  die  Obedienz  der  beiden  Prätendenten  aufhebt,  denn  sonst  würde 
zum  alten  ein  neues  Schisma  kommen. 


446  Gersons  Traktat  v.  d.  Einheit  der  Kirche.     Das  Pisaner  Konzil. 

der  Einheit  der  Kirche«.1)  Er  widerlegt  die  Bedenken  gegen  die  Zession 
und  die  Versammlung  eines  Konzils  ohne  Autorisation  des  Papstes. 
Falls  viele  Anhänger  des  einen  oder  des  andern  Papstes  eine  Neuwahl 
nicht  anerkennen  würden,  sei  sie  zu  unterlassen  und  Anstalt  zu  treffen, 
dafs  nach  dem  Tode  des  einen  der  Prätendenten  keine  Neuwahl  statt- 
finde, denn  es  sei  besser,  den  Frieden  später  als  gar  nicht  zu  erhalten. 
Gerson  empfiehlt  übrigens  die  Union  mit  einer  Reformation  der  Sitten 
in  allen  Gliedern  der  Kirche  einzuleiten.  Die  Winke  der  beiden  bezüg- 
lich der  Neuwahl  wurden  vom  Konzil  weniger  berücksichtigt  als  die  von 
ihnen  aufgestellten  Prinzipien.  Gersons  Haltung  war  wie  die  Aillis  eine 
versöhnliche.2)  Ob  das  Konzil  den  heifs  ersehnten  Frieden  bringen 
werde,  war  zweifelhaft,  denn  noch  gab  es  Mächte,  die,  wie  Florenz, 
Venedig,  Siena,  Karl  Malatesta  von  Rimini,  König  Sigmund,  für  eine 
Vergleichung  der  streitenden  Parteien  stimmten.  Aber  ihre  Pläne  fanden 
nicht  die  Zustimmung  der  Kardinäle,  die  das  Erscheinen  der  Päpste 
vor  dem  Konzil  und  Verzicht  auf  ihre  Würde  verlangten.  Andere 
Kreise  arbeiteten  dahin,  immer  mehr  Anhänger  für  die  Obedienzent- 
ziehung  zu  gewinnen  und  so  beide  zur  Nachgiebigkeit  zu  zwingen.  Diese 
selbst  waren  bemüht,  die  öffentliche  Meinung  gegen  die  Kardinäle  auf- 
zuregen. Die  letzteren  wünschten  die  Unterstützung  des  römischen 
Königs,  damit  er,  wie  Otto  I.  die  kirchliche  Ordnung  herstelle.  Hein- 
rich IV.  von  England  mahnte  Ruprecht  an  seine  Pflicht,  als  Vogt  der 
Kirche  für  die  Herstellung  der  kirchlichen  Einheit  zu  wirken.  Wiewohl 
Ruprecht  bei  seiner  Wahl  hierüber  Versprechungen  gemacht  hatte,  hielt 
er  an  Gregor  NIL  fest;  von  dem  Verhalten  der  Kardinäle  erwartete  er 
höchstens  eine  Verschärfung  des  Schismas.  Mittlerweile  hatte  Gregor  XII. 
den  von  ihm  abgefallenen  Kardinälen  Verzeihung  verheifsen,  falls  sie  binnen 
30  Tagen  zu  ihm  zurückkehren  würden.  Als  dies  nicht  geschah,  wurden 
.sie  in  den  Bann  gelegt  und  mit  Verlust  ihrer  Würden  bestraft.  Kurz 
zuvor  hatte  auch  Benedikt  XIII.  mit  seinen  Kardinälen  endgültig  gebrochen, 
nicht  ohne  sie  gewarnt  zu  haben,  eine  neue  Papstwahl  vorzunehmen. 

2.  Am  Feste  Maria  Verkündigung  (25.  März)  wurde  das  Konzi]  im 
Langschiffe  des  Domes  zu  Pisa  eröffnet,  Die  Kardinäle  beider  Obedienzen 
waren  nahezu  vollzählig  anwesend.  Man  zählte  zur  Zeit  der  höchsten 
Frequenz  24  Kardinäle,  4  Patriarchen,  12  Erzbischöfe,  80  Bischöfe,  87  Äbte, 
die  zahlreichen  Vertreter  der  abwesenden  Bischöfe  und  Abte,  Prioren 
und  Generale  der  einzelnen  Orden,  Vertreter  der  Universitäten,  von 
mehr  als  100  Domkapiteln,  300  Doktoren  der  Theologie  und  Gesandte 
fast  aller  Staaten  des  Abendlandes.  In  der  ersten  Sitzung  predigte  der 
Kardinal  von  Mailand  »über  die  Schuld  der  beiden  Päpste  und  die  Not- 
wendigkeit eines  allgemeinen  Konzils«.  Da  beide  Päpste  weder  selbst  er- 
schienen waren  noch  Vertreter  gesandt  hatten,  wurden  sie  (dritte  Sitzung) 
für    hartnäckig    erkannt    und    die    Kardinäle,    die   noch    auf  ihrer  Seite 


1    Analyse  bei  Schwab,  223  ff. 

a)  Dieselben  Grundgedanken  kehren  in  seiner  Schrift   »von  der  Absetzbarkeit  des 
Papstes«    (de  auferibilitate  papa)  wieder,   die  er  während  des  Konzils  geschrieben  hat. 


Vorladung  der  Päpste.     Ihre  Absetzung.  447 

standen,  vorgeladen.  Arn  10.  April  erschien  Karl  Malatesta,  der  Schützer 
Gregors ;  Gesandte  Ruprechts  hatten  zuvor  noch  mit  diesem  verhandelt ; 
er  weigerte  sich,  in  Pisa  zu  erscheinen,  weil  die  Florentiner  seine  Gegner 
seien,  und  verlangte  Verlegung  des  Konzils  an  einen  andern  Ort.  In  der 
vierten  Sitzung  brachten  die  deutschen  Gesandten  24  Bedenken  J)  gegen 
das  Vorgehen  der  Kardinäle  vor,  verlangten  Verlegung  des  Konzils  an 
einen  andern  Ort,  wo  Gregor  XII,  erscheinen  müfste,  widrigenfalls  ihm 
der  König  die  Obedienz  entziehen  würde.  Darauf  ging  das  Konzil  nicht 
ein,  und  die  Gesandten  verliefsen  Pisa  (21.  April),  nachdem  sie  gegen 
das  Vorgehen  der  Pisaner  Berufung  eingelegt  hatten.  Die  Kardinäle 
machten  wiederholte  Versuche,  Malatesta  auf  ihre  Seite  zu  bringen,  er 
sollte  den  Papst  bestimmen,  nach  Pisa  zu  gehen  und  seinem  Versprechen 
nach  zu  resignieren.  Dieser  erklärte  aber  bestimmt,  sich  an  keinen  Ort 
des  Florentiner  Gebiets  zu  begeben.  In  der  fünften  Sitzung  wurde  eine 
Denkschrift  über  die  Entstehung  und  den  Fortgang  des  Schismas  vor- 
gelegt, in  den  folgenden  drei  Sitzungen  der  Standpunkt  des  Konzils 
verteidigt  und  in  der  neunten  bis  zur  fünfzehnten  der  Prozefs  gegen  die  beiden 
Päpste  verhandelt.  Während  der  Verhandlungen  wurde  (29.  Mai)  durch 
den  Pariser  Magister  Pierre  Plaoul  die  Erklärung  abgegeben,  dafs  d  i  e 
Kirche  über  dem  Papste  stehe.  Der  Urteilsspruch  gegen  beide 
Päpste  erfolgte  in  der  fünfzehnten  Sitzung  (5.  Juni) :  Petrus  de  Luna 
und  Angelo  Correr  wurden  als  notorische  Schismatiker  und  Häretiker 
ihrer  Würde  entsetzt,  die  römische  Kirche  als  vakant  und  alle  von 
beiden  gegen  die  Kardinäle  geschleuderten  Sentenzen,  auch  ihre  jüngsten 
Kardinalsernennungen  für  null  und  nichtig  erklärt.  Am  10.  und  13.  Juni 
geschahen  die  Vorbereitungen  zur  Neuwahl.  Einstimmig  erklärten  die 
Kardinäle,  falls  einer  von  ihnen  gewählt  würde,  das  Konzil  nicht  aufzu- 
lösen, ehe  die  notwendige  Reform  an  Haupt  und  Gliedern  erfolgt 
sei.  Würde  ein  anderer  gewählt,  so  würde  von  ihm  vor  Verkün- 
digung der  Wahl  das  gleiche  Versprechen  verlangt  werden.  Nur  ein 
solcher    solle   Papst   werden,    den   beide  Kollegien   entweder   einstimmig 


*)  S.  auch  RA.,  VI.,  334,  497,  die  Bedenken  im  Einzelnen  bei  Hefele-Knöpfler 
VI.,  999.  Ihre  Einwendungen  bezogen  sich  hauptsächlich  auf  die  Frage,  ob  die  Kar- 
dinäle, nachdem  sie  den  Papst  als  rechtmäfsigen  Inhaber  des  päpstlichen  Stuhles 
anerkannt  hatten,  ihm  den  Gehorsam  entziehen  konnten,  ob  sie  ein  allgemeines  Konzil 
berufen  dürfen,  da  sie  keine  Autorität  dazu  haben,  oder  wie  sich  zwei  Kollegien,  von 
denen  das  eine  das  wahre  und  legitime,  das  andere  das  falsche  und  illegitime  sei,  zu 
einem  einzigen  vereinigen  und  das  eine  dem  andern  Recht  und  Macht  geben  könne, 
einen  Papst  zu  wählen.  Die  Widerlegung  dieser  Einwendung  hatte  der  Rechtsgelehrte 
Pietro  d'Anchorano  ausgearbeitet  und  in  der  7.  Sitzung  vorgetragen.  Seine  scharf- 
sinnigen Erörterungen  vermochten  doch  nicht  alle  Bedenken  zu  zerstreuen.  Das  Konzil 
antwortete,  dafs  man  bei  einem  solchen  Schisma  den  Gehorsam  nicht  blofs  versagen 
könne,  sondern  müsse,  zumal  Gregor  XII.  seiner  Handlungsweise  nach  nicht  nur  als 
Schismatiker,  sondern  auch  als  Ketzer  betrachtet  werden  müsse.  Wenn  ein  allgemeines 
Konzil  berufen  werden  mufs  und  der  Papst  es  nicht  berufen  kann  oder  will,  ist  es 
Pflicht  der  Kardinäle,  es  zu  berufen.  Die  Mitglieder  beider  Kollegien  könnten  sich 
mit  Recht  zu  einem  einzigen  vereinigen,  um  die  Einheit  der  Kirche  herzustellen.  In 
diesem  Falle  dürfe  man  selbst  mit  Exkommunizierten  und  Schismatikern  in  Verbin- 
dung treten. 


448  Die  Wahl  Alexanders  V.     Ergebnisse  des  Konzils. 

oder  mit  Zweidrittelmehrheit  wählen.  Zugleich  wurden  die  Kardinäle 
zur  Vornahme  der  Wahl  legitimiert.  Am  15.  Juni  traten  sie  zum  Kon- 
klave zusammen.  Tags  zuvor  waren  Gesandte  Benedikts  XIII.  und 
Aragoniens  erschienen,  wagten  aber  bei  der  Stimmung  des  Volkes  nicht, 
ihre  Aufträge  zu  vollziehen.  Unter  den  Kardinälen  genofs  der  Erzbischof 
von  Mailand,  Peter  Philarghi,  grofses  Ansehen.  Von  Geburt  kandioti- 
scher  Grieche,  vereinigte  er  die  Stimmen  der  Wähler  zum  guten  Teil  auch 
aus  dem  Grunde  auf  sich,  weil  man  von  ihm  die  Vereinigung  der  grie- 
chischen und  lateinischen  Kirche  erwartete.  Er  nannte  sich  Alexander  V. 
(1409 — 1410).  Er  versprach  im  gesäumte  Durchführung  der  Reformation- 
und  verlangte  die  Wahl  eines  Ausschusses  der  gelehrtesten  und  tüch- 
tigsten Männer  aller  Xationen,  um  mit  den  Kardinälen  die  Sache  zu 
beraten,  erklärte  aber  bereits  in  der  23.  Sitzung  (7.  August),  die  Refor- 
mation wegen  der  Abreise  vieler  Prälaten  nicht  durchführen  zu  können ; 
daher  verschob  er  sie  mit  Zustimmung  der  Versammlung  auf  das  nächste 
Konzil.  So  schlofs  die  Synode ;  die  abendländische  Kirche  hatte  drei 
Päpste  aber  keine  Reform.  Xur  einige  Anträge,  die  eine  Milderung  der 
schweren  kirchlichen  Auflagen  und  eine  Erweiterung  der  durch  die 
Päpste  beschränkten  bischöflichen  Jurisdiktionsrechte  betrafen,  fanden 
Berücksichtigung.  Im  Augenblick  konnte  wohl  auch  nicht  mehr  ge- 
schehen, denn  die  Reform  bedurfte  grofser  Vorbereitungen;  um  diese 
ins  Werk  zu  setzen,  wurde  schon  jetzt  der  Befehl  erteilt,  dafs  alle  Diö- 
zesen ,  Kirchenprovinzen  und  Orden ,  entsprechende  Gutachten  ein- 
reichen sollten. 

3.  Kapitel. 

König  Sigmund  und  das  Konzil  yon  Konstanz. 

§  104.    Die  Wahl  Sigmunds.     Die  Belehnung   der  Hokenzollerii  mit 

Brandenburg'. 

Vrkk.  u.  Korresp. :  Altinann,  Regesta  imp.  XI.  Die  Lrkk.  Kaiser  Sigmunds. 
2  Bde.  Iimsbr.  1896 — 1900.  Die  ungar.  Urkk.  in  Fejer  Cod.  dipL  Hungariae.  Für  Polen: 
Cod.  epist.  Yitoldi,  ed.  Prohazka,  Krakau  1882,  und  der  Liber  cancell.  Stanisl.  Ciolek, 
ed.  Caro,  Arch.  f.  öst.  Gesch.,  XLV  und  LH.  J.  Caro,  Aus  der  Kanzlei  Sigmunds. 
AÖG.  LIX.  Brefslau,  Regg.  Sigismunds.  Forschung.  XYffl.  Bd.  DRA.  unter  K.  Sig- 
mund, ed.  Kerler,  Herre  und  Beckmann.  München  1878—1901.  RA.  Bd.  VII—  Xu/ 
Janssen,  Frankfurts  Reichskorresp.  I,  S.  154 — 269,  wie  oben.  Weiteres  s.  unten  §  107,. 
112  und  115. 

E  r  z  ä  h  1  e  n  d  e  Q  u  e  1 1  e  n :  Städtechroniken  wie  oben.  Dazu  :  Eberhart  Windeckes 
Denkwürdigkeiten  zur  Gesch.  des  Zeitalters  K.  Sigmunds.  Herausgeg.  von  Altmann. 
Berlin  1893.  Lit.  bei  Potthast  I,  1118  u.  Lorenz  LT,  294.  Andreas  v.  Regensburg, 
Chronic,  pontiff.  et  imp.  Romanor/  Conc.  Const.  und  Diarium  sexennale  1422 — 1427, 
herausg.  v.  Leidinger,  München  1903.  Engelbert  Wusterwitz,  Märkische  Chronik  nach 
Angelus  und  Hafftitz,  herausgeg.  v.  Heidemann.  Berl.  1878.  Reicht  von  1388 — 1425. 
Lorenz  II,  125.    Dort  die  übrigen  markischen  Quellen. 

Hilfsschriften:  Aschbach,  Gesch.  Kaiser  Sigmunds.  4  Bde.  Hamburg 
1838  —  1845.  Lindner,  Deutsehe  Gesch.  unter  den  Habsburgern  u.  Luxemburgern  II. 
St.  1893.  Li n  dn  er,  Kaiser  Sigmund.  A DB.  XXXIV.  Droysen,  Gesch.  d.  preufs.  Pol. 
I.  Bd.  v.  Bezold,  König  Sigmund  u.  che  Reichskriege  gegen  die  Husiten  enth.  auch 
Reichsgesch.  .  Münch.  1872.   Hub  er,  Gesch.  Österr.  II,  Pala  cky  ,  Gesch.  Böhmens  LH. 


Die  politischen  Parteien  in  Deutschland  beim  Tode  Köni^-  Ruprechts.         449 

Fefsler-Klein,  Gesch.  v.  Ungarn  II.  Csuday,  Gesch.  v.  Ungarn  I.  S.  auch  noch 
Hormayer,  Ost.  Plutarch.  XVII.  Einzelschriften:  Sehr  oll  er,  Die  Wahl  Sigmunds 
zum  röm.  König.  Breslau  1875.  Kaufmann,  Die  Wahl  etc.  MVGDB.  XVII.  Quid  de, 
Konig  Sigmund  und  d.  d.  Reich  1410—1419.  1.  Abt.  Die  Wahl  Sigmunds.  Gott.  1881. 
Schrohe,  Die  Wahl  Sigmunds  zum  röm.  König.  MJÖG.  XIX.  Schwerdfeger, 
Papst  Johann  XIII.  u.  die  Wahl  Sigismunds.  Wien  1898.  Finke,  König  Sigmunds 
reichsstädtische  Politik  1410—1418.  Tüb.  1880.  Dietz,  Die  pol.  Stellung  der  deutschen 
Städte.  Giefsen  1889.  B retholz,  Zur  Biographie  Jodoks.  ZGMährens  III.  Heuer, 
Städtebundsbestrebungen  unter  Sigmund.  Berl.  1887.  T  u  m  b  ü  1 1 ,  Schwäbische  Einigungs- 
bestrebungen. MJÖG.  X.  Ch.  Mayer,  Der  bayr.-österr.  Krieg  1410  und  die  schwäb. 
Städte.  Forsch.  XV,  131.  W  e  i  g  e  1 ,  Die  Landfriedensverhandlungen  unter  K.  S.  Halle  1884. 
Wendt,  Der  deutsche  Reichstag  unter  König  Sigmund.  Breslau  1 889.  Kagelmacher, 
Filippo  Maria  Visconti  u.  König  Sigmund  1413—1431.  S.  dazu  DZG.  VH,  323.  Zur  Er- 
werbung der  Mark  Brandenburg  durch  die  Hohenzollern  :  Schwalbe,  Die  Übertragung 
des  Kurf.  Brandenburg  an  Friedlich  I.  v.  H.  Progr.  1869.  Heidemann,  Die  Mark 
Brandenburg  unter  Jobst  v.  Mähren.  Berlin  1881.  Pr  u  tz,  Preufs.  Geschichte  I.  Stuttg  1900. 
Priebatsch,  Die  Hohenzollern  und  der  Adel  der  Mark  HZ.  88,  193.  Götze,  Die  Erwerb, 
d.  Mark  durch  d.  Hohenzollern.  Mark.  Forsch.  XV.  Brandenburg,  König  Sigmund 
und  Kurfürst  Friedrich  I.  V.Brandenburg  1409 — 1428.  Berl.  Diss.  1891.  0.  Franklin, 
Die  deutsche  Politik  Friedrichs  I.  v.  Brandenburg.  Berl.  1851.  v.  Kl  öden,  Die  Quitzows 
und  ihre  Zeit.  3.  Aufl.  Berlin  1890.  Riedel,  Zehn  Jahre  aus  der  Gesch.  der  Ahnherren 
des  preufs.  Königshauses.  Berlin  1851.  J.  Voigt,  Die  Erwerbung  der  Neumark  1402 — 1457. 
Berl.  1863.  Ranke,  Zwölf  Bücher  preufsischer  Gesch.  I  (Werke  XXV).  Eberhard, 
Ludwig  III.,  Kurfürst  von  der  Pfalz  und  das  Reich. 

1.  Schroffer  als  bei  der  Wahl  Ruprechts  standen  die  Parteien  in 
Deutschland  bei  dessen  Tod  einander  gegenüber.  Zum  politischen  war 
noch  der  kirchliche  Gegensatz  hinzu  gekommen.  Während  Pfalz  und 
Trier  auf  Seiten  Gregors  XII.  standen,  waren  Mainz  und  Köln  Anhänger 
des  Konzilpapstes.  Für  Brandenburg  und  Sachsen  galt  Wenzel,  dessen 
Anhang  durch  die  jüngsten  Ereignisse  gestiegen  war,  als  rechtmäfsiger 
König.  Nachdem  Heinrich  IV.  von  England  eine  Thronbewerbung  ab- 
gelehnt hatte,  wandte  sich  die  mainz-kölnische  Partei  an  den  ihr  von 
Johann  XXIII.  (§  105)  empfohlenen  König  von  Ungarn.  Sigmund  empfahl 
sich  als  Mitglied  des  luxemburgischen  Hauses,  dem  zwei  Kurstimmen  ge- 
hörten und  der  schon  seit  1396  den  Titel  eines  Reichsvikars  führte.  Von 
den  ihm  gestellten  Bedingungen  sagte  ihm  die  am  wenigsten  zu,  welche 
die  Ernennung  des  Reichsvikars  von  der  Zustimmung  der  deutschen 
Fürsten  abhängig  machte.  Er  lehnte  sie  daher  ab  (1410,  25.  Juli).  Nun 
wandten  sich  Mainz  und  Köln  an  Jost.  Dieser,  ein  habgieriger,  gewissenloser 
Fürst,  »der  grofse  Lügner«,  wie  ihn  Windecke  nennt,  im  übrigen  im 
Besitz  einer  starken  Hausmacht  und  reicher  Geldmittel,  ging  ohne  Zögern 
auf  die  von  Sigmund  zurückgewiesenen  Bedingungen  ein  und  trat,  um 
die  Mehrheit  der  Stimmen  zu  gewinnen,  mit  König  Wenzel  und  Sachsen 
in  Unterhandlungen.  Noch  waren  diese  nicht  abgeschlossen,  als  der 
Wahltag  erschien.  Mittlerweile  hatten  sich  auch  Pfalz  und  Trier  durch 
den  Burggrafen  Friedrich  von  Nürnberg,  der  1409  aus  Ruprechts 
Diensten  in  die  Ungarns  getreten  war,  an  Sigmund  gewandt.  Indem 
dieser  Ruprechts  Regierungshandlungen  anerkannte  und  in  der  Kirchen- 
frage eine  tolerante  Haltung  einnahm,  sicherten  beide  Kurfürsten  ihm 
(5. — 6.  August)  ihre  Stimmen  zu.  Als  die  vier  rheinischen  Wähler  am 
1.  September  zur  Wahl  erschienen,  waren  die  Verhandlungen  der  beiden 

Loserth,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  29 


450  J°st  von  Mähren  u.  K.  Sigmund  v.  Ungarn.     Die  "Wahl  Sigmunds. 

andern  Kurfürsten  mit  Jost  noch  nicht  abgeschlossen.  Mainz  und  Köln, 
noch  immer  geneigt,  für  Sigmund  zu  stimmen,  verlangten  nur  den 
Beitritt  der  Pfalz  und  Triers  zur  Pisaner  Obedienz.  Hier  aber 
fanden  sie  hartnäckigen  Widerstand.  Diese  beiden  drängten  auf  die 
Vornahme  der  Wahl  am  20.  September.  Um  sie  zu  verhüten,  belegte 
der  Mainzer  das  Wahllokal  —  die  Bartholomäuskirche  —  mit  dem 
Interdikt.  Da  traten  Pfalz  und  Trier  hinter  dem  Hochaltar  der  Kirche 
auf  dem  Kirchhofe  zusammen,  erkannten  den  Burggrafen  von  Nürnberg 
als  Bevollmächtigten  des  zur  Kur  berechtigten  Markgrafen  von  Branden- 
burg an  und  wählten  Sigmund  zum  römischen  König.  Mainz  und  Köln 
warteten  auf  die  Boten  Josts  und  Wenzels.  Diese  erschienen  am 
28.  September.  Da  Wenzel  erklärte ,  im  Interesse  der  Einigkeit  auf  die 
Krone  zu  verzichten,  und  seine  Boten  beauftragte,  mit  Mainz  und  Köln 
zu  stimmen,  wurde  Markgraf  Jost  von  Mähren  mit  den  Stimmen  von 
Mainz,  Köln  und  Böhmen  zum  König  gewählt  (1.  Oktober).  Es  war 
sonach  die  kirchliche  Frage,  welche  die  zwiespältige  Wahl  hervorge- 
rufen hatte.  Beiden  Wahlen  fehlten  die  Vorbedingungen,  sie  zu  einer 
rechtsgültigen  zu  machen.1)  Weder  der  eine  noch  der  andere  der  Ge- 
wählten machte  einen  Versuch,  vom  Reiche  Besitz  zu  ergreifen.  Erst  als 
Sigmund  erwarten  durfte,  sich  durch  ein  Übereinkommen  mit  Jost  be- 
haupten zu  können,  erklärte  er,  die  Wahl  anzunehmen.2)  Für  den 
8.  Januar  ward  eine  Zusammenkunft  beider  in  Ofen  festgesetzt,  sie  fand 
aber  nicht  statt,  und  Jost  starb  bereits  zehn  Tage  später  in  Brunn.  Nun 
gingen  auf  die  Mahnung  Johanns  XXIII.  auch  Mainz  und  Köln  zu 
Sigmund  über  und  brachten  auch  Wenzel  und  mit  diesem  Rudolf  von 
Sachsen  auf  seine  Seite.  Am  9.  Juli  1411  traf  Sigmund  ein  Überein- 
kommen mit  Wenzel,  nach  welchem  diesem  die  Kaiserkrone  bestimmt 
war;  Sigmund  sollte  sich  mit  der  Würde  eines  römischen  Königs  be- 
gnügen, die  Einnahmen  aus  dem  Reiche  unter  beide  geteilt  und  eine 
Neuwahl  zwar  vorgenommen  werden,  doch  so,  dafs  Sigmund  König 
bleibe.  Die  Neuwahl,  gegen  die  sich  Sigmund  eine  Zeitlang  sträubte, 
fand  am  21.  Juli  1411  statt,  Er  hielt  sich  übrigens  an  das  ihm  durch 
die  erste  Wahl  gegebene  Recht  und  rechnete  nach  ihr  die  Jahre  seiner 
Regierung. 

Sigmund  war  jetzt  44  Jahre  alt,  eine  männlich  schöne  Erscheinung,  >ein  hübscher 
Herre«,  von  ritterlichem,  gewinnendem  Wesen.  Ohne  literarische  Neigungen,  besafs 
er  eine  ausgezeichnete  Bildung,  die  Gabe  eindrucksvoller  Rede  und  sprach  nicht 
weniger  als  sieben  Sprachen.  Voll  Ehrgeiz  und  Unternehmungslust,  zeigte  er  in  den 
Geschäften  unermüdliche  Ausdauer.  In  den  Kämpfen  gegen  die  Türken  hatte  er 
militärischen  Ruf  erlangt.  Für  politische  und  wirtschaftliche  Fragen  bekundete  er 
Interesse,  und  dem  kirchlichen  Notstand  der  Zeit  kam  er  mit  einem  Eifer  entgegen, 
der  die  Bewunderung  der  Zeitgenossen  erregte.  Diesen  blieben  freilich  auch  die 
schlechten  Seiten  seines  Charakters  nicht  verborgen :  in  Ungarn  klagte  man  über 
seine  Verschwendung  und  Grausamkeit,  in  Böhmen  über  seine  Gewalttätigkeiten, 
überall  über  seinen  unmoralischen  Lebenswandel,  worin  ihn  übrigens  seine  zweite 
Gemahlin,  Barbara  von  Cilli,  noch  übertraf.    Wiewohl   er  sich  um  die  deutsche  Krone 


x)  Schrohe,  S.  481. 
2)  RA.  Nr.  36,  37. 


Charakteristik  Sigmunds.    Die  Hohenzollern  in  Brandenburg.  451 

lebhaft  bemüht  hatte,  beschränkte  sich  seine  Politik  nicht  auf  Deutschland  allein,  viel- 
mehr stellte  er  die  Interessen  Ungarns  und  in  der  Folge  auch  die  Böhmens  denen 
Deutschlands  voran.  Gab  er  doch  ein  Land  auf,  auf  welchem  im  Grunde  seine  in 
Deutschland  errungene  Machtstellung  beruhte,  die  Mark  Brandenburg,  deren  Verlust 
seine  hussitischen  Untertanen  nimmermehr  verschmerzt  haben. x)  Es  ist  aber  doch 
nicht  zu  übersehen,  dafs  er  seine  Stellung  im  Reiche  in  einer  Weise  auffafste,  die 
an  die  alten  deutschen  Kaiser  erinnert.  Er  liebte  es,  als  Haupt  der  Christenheit  und 
Schirmherr  der  Kirche  zu  erscheinen.  Für  die  unleugbar  grofse  Idee  der  Herstellung 
der  kirchlichen  Einheit  hat  er  die  schwersten  Opfer  gebracht  und  die  beschwerlichsten 
Fahrten  unternommen. 

2.  Im  Besitz  jener  Länder,  die  einen  grofsen  Teil  des  heutigen 
Osterreich  bilden,  sah  Sigmund  in  ihrer  Vereinigung  ein  Gebot  der 
Notwendigkeit,  um  den  Kampf  gegen  die  Türken  mit  Erfolg  aufnehmen 
zu  können.  Nachdem  er  oft  genug  auf  die  Zusammengehörigkeit  dieser 
Länder  hingewiesen,  hat  er  auch  auf  ihre  Vereinigung  hingearbeitet. 
Von  diesem  höheren  Gesichtspunkt  aus  wird  man  die  Entäufserung  der 
von  seinem  übrigen  Ländergebiet  weit  entlegenen  Mark  Brandenburg  zu  be- 
trachten haben.  Sigmund  und  Jost  fanden  die  Anarchie  in  diesem 
Lande  bereits  in  voller  Blüte.2)  Seit  jener  in  die  polnisch-ungarischen 
Thronstreitigkeiten  verwickelt  wurde,  hatte  Brandenburg  für  ihn  nur 
noch  als  steuerzahlende  Provinz  und  Pfand  ob  jekt  bei  der  Aufnahme 
von  Darlehen  eine  Bedeutung.  Noch  ärger  wurde  es  unter  Jost;  selbst 
Mähren,  das  er  1375  von  seinem  Vater  in  blühendem  Zustande  über- 
nommen hatte,  bot  bald  ein  Bild  allgemeiner  Gesetzlosigkeit  dar.  Nach 
Josts  Tode  hatte  Sigmund  Brandenburg  zurückerhalten.  Eine  Abord- 
nung von  Märkern  schilderte  ihm  in  Ofen  die  Lage  der  Mark,  worauf 
er  ihnen  eröffnete,  dafs  er  den  Burggrafen  Friedrich  VI.  von  Nürnberg 
mit  der  Herstellung  der  Ordnung  betraut  habe.  Am  8.  Juli  1411  be- 
stellte er  ihn  zum  Verweser  und  obersten  Hauptmann  mit  allen  Rechten, 
das  Kurrecht  ausgenommen,  und  verschrieb  ihm  als  Beitrag  für  die  Her- 
stellung geordneter  Zustände  die  Summe  von  100000  ungarischen  Gulden.3) 
Hiedurch  sollte  Friedrich  für  seine  baren  Auslagen  entschädigt  und  für 
seine  persönlichen  Bemühungen  entlohnt  werden.  Da  zu  erwarten  stand, 
dafs  der  stets  geldbedürftige  König  diese  Summe 4)  niemals  bezahlen  würde, 
war  es  aufser  Zweifel,  dafs  der  Burggraf  schon  jetzt  begründete  Aussicht 
auf  den  dauernden  Besitz  des  Kurlandes  besafs.  Der  Chronist  der  Mark 
begrüfst  sein  Erscheinen  in  der  Mark  mit  den  Worten:  »Gott  hat  ihn 
also  von  der  Höhe  hergesandt«. 

Damit  beginnt  die  welthistorische  Mission  des  Hohenzollernschen  Hauses.  Die 
Burggrafen  von  Nürnberg  entstammen  einem  alten  schwäbischen  Geschlechte,  das 
nach  seiner   am  Zollerberge  6),  am  westlichen  Abhang  der  schwäbischen  Alb,  erbauten 


1)  Höfler,  Gesch.  d.  hussit.  Bew.  I,  472.  S.  die  V  erteidigung  dieser  Mafsregel  durch 
Ludolf  von  Sagan,  p.  516. 

2)  S.  aufser  Heidemann  auch  Droysen,  Gesch.  d.  pr.  Pol.  I,  19  ff. 

3)  Regg.  Nr.  58. 

4)  Die    im    folgenden   Monat   aus   Anlafs    der  Verlobung  Johanns,    des    ältesten 
Sohnes  des  Burggrafen,  mit  einer  Tochter  Rudolfs  von  Sachsen  noch  erhöht  wurde. 

5)  Engelbert  Wusterwitz,  S.  84. 

6)  Wahrscheinlich  von  Söller,  die  Höhe. 

29* 


452  Ältere  Geschichte  der  Hohenzollern.     Friedrich  VI.     (I.) 

Stammburg  benannt  ist.  Der  Stammvater  der  Hohenzollern,  Graf  Burchard,  starb  1061. 
Sein  Urenkel  Friedlich  I.,  mit  der  Gräfin  Sophie  von  Raabs,  der  Erbtochter  des  Burg- 
grafen Konrad  II.  von  Nürnberg,  vermählt,  erhielt  die  Stammgüter  dieses  Hauses  in 
Österreich  und  Franken  und  wurde  1191  mit  der  Burggrafschaft  Nürnberg  belehnt. 
Die  Burggrafen  hatten  ihren  Sitz  in  der  kaiserlichen  Pfalz  daselbst ;  die  Stadt  hatte 
sich  zwar  schon  früh  von  ihren  Verpflichtungen  gegen  sie  frei  gemacht,  aber  die 
Stellung  der  Burggrafen  war  auch  ohne  das  bedeutend  genug.  Sie  führten  die  Auf- 
sicht über  die  zahlreichen  Reichs-  und  die  Erbgüter  des  staufischen  Hauses  und  hatten 
den  Heer-  und  Gerichtsbann.  Für  sich  selbst  erhielten  sie  zunächst  nur  die  Nutzniefsung 
von  einer  Anzahl  von  Gütern  und  Einkünften,  aber  sie  erwarben  durch  Kauf,  Pfand- 
und  Erbschaft  und  nicht  zuletzt  auch  durch  Geschenke  der  Kaiser  reichen  Eigenbesitz. 
Nach  dem  Tode  des  Meraniers  Otto  H.  (1248),  fiel  ein  Teil  des  meranischen  Besitzes 
an  Ottos  Schwestern,  von  denen  eine  mit  dem  Burggrafen  Friedlich  DU.  vermählt  war. 
Als  meranisches  Erbe  erhielten  die  Zollern  Bayreuth  und  die  Lehenshoheit  über  das 
Land  Regnitz  mit  der  Stadt  Hof.  Seit  1227  waren  sie  in  die  zwei  heute  noch  blühen- 
den Linien  geteilt.  Ihr  Ansehen,  im  raschen  Aufschwung  begriffen,  war  zwar  kein 
solches,  dafs  sie  nach  dem  Ausgang  der  Staufer  selbst  die  Hand  nach  der  Krone 
hätten  ausstrecken  dürfen,  aber  bei  der  zentralen  Lage  ihres  Besitzes  und  ihren  mannig- 
fachen dynastischen  Verbindungen  vermochten  sie  doch  immer  bei  deutschen  Königs- 
wahlen grofsen  Einflufs  auszuüben.  So  erwarb  sich  schon  Friedlich  DU.  erst  um  die 
Wahl  Rudolfs  von  Habsburg,  dann  um  die  Begründung  der  Machtstellung  des  habs- 
burgischen  Hauses  grofse  Verdienste.  Hielten  die  Zollern  treu  zum  Reiche,  so  doch 
nicht  immer  zu  dem  Geschlechte,  das  sich  in  dem  Besitz  des  Reiches  zu  behaupten 
suchte.  Friedlich  IV.  stand  auf  der  Seite  Ludwigs  des  Bayers.  Er  erwarb  durch 
Kauf  Ansbach.  Die  Macht  seines  Sohnes  stieg  durch  den  Anfall  der  Herrschaft 
Plassenberg  mit  der  Stadt  Kulmbach.  Er  ist  der  erste  Hohenzoller,  der  in  nahe  Be- 
rührung zur  Mark  Brandenburg  kam,  wo  er  1345  als  Stellvertreter  des  Markgrafen 
Ludwig  das  Amt  eines  Hauptmanns  erhielt.  Karl  IV.  bestätigte  den  Burggrafen  (1363) 
die  fürstliche  Würde  und  erteilte  ihnen  fürstliche  Rechte ;  allgemein  wird  den  Burg- 
grafen aber  erst  seit  1385  der  Fürstentitel  gegeben.  v)  Friedrich  V.  teilte  1398  seinen 
Besitz  derart,  dafs  Johann  III.  Bayreuth,  Friedrich  Ansbach  erhielt.  Die  burggräflichen 
Rechte  und  die  Besitzungen  in  Österreich  blieben  gemeinsam.  Stand  jener  auch  nach 
dem  Umschwung  der  Dinge  im  Reiche  im  Jahre  1400  auf  seiten  Wenzels,  so  hielt 
dieser  zu  König  Ruprecht.  Die  Rotenburger  Fehde  s.  oben)  brachte  ihn  in  grofse 
Geldnot,  was  ihn  bewog,  in  die  Dienste  König  Sigmunds  zu  treten. 

Friedrich  VI.  hatte  nach  seinem  Erscheinen  in  der  Mark  (1412) 
einen  hartnäckigen,  zwei  Jahre  währenden  Kampf  gegen  den  unbot- 
mäfsigen  märkischen  Adel  zu  bestehen,  der  bisher  unter  der  Führung 
der  Quitzow,  Rochow  und  anderer  jeder  landesherrlichen  Autorität 
Trotz  geboten  hatte.2)  Am  30.  April  1415  verlieh  Sigmund  dem  Burg- 
grafen für  seine  erfolgreiche  Teilnahme  an  den  grofsen  Angelegenheiten 
der  Kirche  und  des  Reiches  die  Mark  Brandenburg  samt  der  Kur- 
würde. Zwar  wurde  auch  jetzt  noch,  um  den  König  Wenzel  zu  beruhigen, 
der  Rückfall  des  Landes  an  das  Haus  Luxemburg  vorbehalten,  indem 
aber  daran  die  Bedingung  geknüpft  wurde,  dafs  in  diesem  Falle  die 
Schuldforderungen  Friedrichs  in  der  Höhe  von  400000  Gulden  beglichen 
werden  mufsten,  war  zu  erwarten,  dafs  die  Verleihung  eine  dauernde 
sein  würde.  Die  Belehnung  erfolgte  in  feierlicher  Weise  in  Konstanz 
am  18.  April  1417. 


a)  Ficker,  Vom  Reichsfürstenstand,  S.  211. 
-    Dafs   die    landläufige    Geschichtsschreibung   das    Bild    von    diesen    Kämpfen 
einigermafsen  verschoben  hat,  s.  bei  Priebatsch,  S.  205. 


Das  Papsttum,  nach  dem  Konzil  von  Pisa.  453 

§  105.    Das  Schisma  unter  Alexander  V.  und  Johann  XXIII. 
Das  römische  Konzil  1412 — 1413. 

Quellen,  s.  oben.  Schmitz,  Die  Quellen  zur  Gesch.  d.  Konz.  v.  Cividale. 
RQSchrChrA.  IV.  Neues  Aktenmaterial  für  die  Jahre  1410 — 1414  findet  sich  in 
der  trefflichen  Publikation  Finkes,  Acta  concilii  Constantiensis.  1.  Bd.  Akten  zur  Vor- 
gesch.  des  Konst.  Konzils  1410 — 1414.  Münster  1896.  Ebenso  in  dessen  Forschungen 
und  Quellen  zur  Gesch.  des  Konstanzer  Konzils.  Paderborn  1889.  Zum  Konzil  von  1413 
s.  d.  Diarium  des  Antonius  Petri  bei  Muratori  XXIV,  1029.  Palacky,  Doc.  mag.  Joan. 
Hus  u.  Loserth,  Beiträge  z.  Gesch.  d.  hus.  Bew.  V.  De  Joanne  XXIII.,  Murat.  III,  12,  846. 
Niem,  Hist.  de  vita  Johannis  XXIII  pont.  Rom.  v.  d.  Hardt  II,  p.  15,  365 — 410.  Lib. 
pontii".,  ed.  Duchesne  IL  Einzelne  Dokumente  zur  Gesch.  Johanns  XXIII.  s.  in  dem 
Buch  von  Gozzadini  (s.  unten). 

Hilfsschriften:  Schwerdfeger  u.  Kage  Imacher  wieoben.  Sauerbrei, 
Die  ital.  Polit.  K.  Sigmunds  1410 — 1415.  Diss.  1893.  Gozzadini,  Xanne  Gozzadini  e 
Baldassare  Cossa  poi  Giovanni  XXIII.  Bologna  1880.  Hunger,  Zur  Gesch.  Papst 
Joh.  XXIII.  Bonn  1876.  E.  Göller,  König  Sigismunds  Kirchenpolitik  vom  Tode 
Bonifaz'  IX.  bis  zur  Berufung  des  Konst.  Konzils.  Freib.  1902.  Souchon  und  Kötzschke 
wieoben.    Blumenthal,  Johann  XIII,  seine  Wahl  u.  seine  Persönlichkeit,  ZKG.  XXL 

1.  Das  Pisaner  Konzil  hatte  der  Kirche  die  ersehnte  Einheit  nicht  ge- 
bracht. Gregor  XII.  und  Benedikt  XIII.  legten,  jener  auf  der  Synode 
zu  Cividale  gegen  Alexander  V.,  den  >:  Schismatiker«  Petrus  von  Candia, 
Einsprache  ein.  Wie  Gregor  in  Neapel  und  andern  Teilen  Italiens,  bei 
König  Ruprecht  und  einzelnen  deutschen  Reichsfürsten,  fand  Benedikt 
in  Spanien,  Portugal  und  Schottland  Anerkennung.  Indem  die  übrigen 
Länder  der  Obedienz  Alexanders  V.  zugehörten,  war,  wie  die  Zeitgenossen 
klagten,  aus  der  »verruchten«  Zweiheit  eine  »verfluchte«  Dreiheit  ge- 
worden.1) Während  in  Deutschland  früher  weder  Klemens  VII.  noch 
Benedikt  XIII.  dauernden  Anhang  gefunden  hatten,  zerrifs  die  Pisaner 
Neuwahl  Deutschland  in  Gegensätze,  die  meist  mit  inneren  Streitigkeiten 
verquickt  waren.  Entschieden  sich  einzelne  Bischöfe  für  den  einen 
Papst,  so  traten  nicht  selten  Abte  und  niedere  Geistliche  desselben 
Sprengeis  für  den  andern  ein.  Erkannten  z.  B.  in  der  Kirchenprovinz  Mainz 
der  Erzbischof,  dann  die  Bischöfe  von  Strafsburg,  Halberstadt  und 
Hildesheim  den  Konzilspapst  an,  so  hielten  sich  die  Bischöfe  von  Worms, 
Speyer,  Eichstätt,  Würzburg  an  Gregor  XII.,  und  Paderborn  und  einige 
andere  waren  unsicher.  Gregor  XII.  wollte  zwar  seine  Würde  nieder- 
legen, falls  dies  auch  die  andern  Päpste  täten,  aber  die  Pisaner  Partei 
konnte  nicht  gestatten,  dafs  der  Konzilspapst  ebenso  behandelt  werde, 
wie  seine  Gegner,  sondern  suchte  ihm  die  Obedienz  der  ganzen  Christen- 
heit zu  verschaffen.  Gregor  XII.,  der  sich  in  Cividale  nicht  sicher  fühlte, 
begab  sich  zum  König  Ladislaus,  der  für  seinen  Schützling  den  Kirchen- 
staat besetzt  hatte.  Alexander  V.  legte  ihn  daher  in  den  Bann,  erklärte 
ihn  des  Thrones  verlustig  und  gewann  im  Bunde  mit  Ludwig  IL  von 
Anjou  und  den  Florentinern  den  ganzen  Kirchenstaat.  Das  Haupt- 
verdienst hiebei  hatte  der  Kardinal  Cossa,  der  die  Liga  zustande  ge- 
bracht hatte.  Unter  diesen  Umständen  kam  die  vom  Konzil  beschlossene 
Vorbereitung    einer  Reform    der  Kirche   an   Haupt   und  Gliedern   nicht 


l)  Finke,  Forschungen  S.  281  u.  1. 


454  Tod  Alexanders  V.     AYahl  und  Charakter  Johanns  XXIII. 

einmal  über  die  Anfänge  hinaus.  Alexander  V.  stand  ganz  unter  Cossas 
EinfTufs;  dieser  bewog  ihn,  die  Kurie  nach  Bologna  zu  verlegen,  wo 
Cossa  selbst  schon  durch  sieben  Jahre  ein  eisernes  Regiment  geführt 
hatte  und  Papst  und  Kurie  noch  mehr  in  seine  Abhängigkeit  ge- 
rieten. Hier  erkrankte  der  Papst  und  starb  in  der  Xacht  vom  3.  auf 
den  4.  Mai  1410.  Es  verbreitete  sich  das  Gerücht,  dafs  Cossa  ihn  habe 
vergiften  lassen. 

2.  Malatesta  suchte  die  rasche  Vornahme  einer  Neuwahl  zu  ver- 
hindern, aber  schon  hielt  Cossa  den  Augenblick  für  gekommen,  selbst 
den  Thron  zu  besteigen,  den  er  schon  zu  Lebzeiten  Alexanders  beherrscht 
hatte.  So  wenig  Sympathien  er  auch  unter  den  Kardinälen  hatte :  die 
Rücksicht  auf  seine  militärische  Macht  und  auf  Ludwig  IL  von  Anjou, 
der  von  ihm  eine  kräftige  Unterstützung  seines  Kampfes  gegen  Ladis- 
laus  erwartete,  bewog  sie,  ihre  Stimmen  auf  ihn  zu  vereinigen  (1410, 
17.  Mai).  Er  bestieg  als  Johann  XXIII.  (1410 — 1415)  den  päpstlichen 
Stuhl.  Sein  Leumund  war  schon  vor  seiner  Wahl  der  schlechteste,  und 
es  hält  schwer,  aus  den  verschiedenartigsten  Gerüchten  über  ihn  Wahres 
und  Falsches  zu  scheiden :  man  wufste  von  ihm  zu  erzählen,  dafs  er 
Leute  mit  eigener  Hand  getötet,  unschuldiges  Blut  vergossen,  die  Zeit, 
bis  er  Papst  geworden,  nicht  gebeichtet  habe,  dafs  er  an  kein  Jenseits 
glaube  usw.  Viele  Anschuldigungen  sind  sicher  falsch  oder  übertrieben ; 
was  aber  noch  übrig  bleibt,  ist  für  ihn  belastend  genug.  Balthasar  Cossa 
entstammte  einer  vornehmen  aber  verarmten  Familie  Neapels,  deren 
Gewerbe  der  Kriegsdienst  zur  See  war,  und  so  soll  auch  Balthasar  sich 
in  seiner  Jugend  an  den  Raubzügen  beteiligt  haben,  zu  denen  der 
Kampf  der  Gegenkönige  Xeapels  Anlafs  bot.  Sein  Emporkommen  dankte 
er  Bonifaz  IX.,  mit  dem  er  wahrscheinlich  verwandt  war.  Das  geistliche 
Wesen  lag  ihm  freilich  fern,  hatte  er  doch  vor  seiner  Wahl  noch  nicht 
einmal  die  Priesterweihe  erhalten.  1396  Archidiakon  von  Bologna,  wurde 
er  1402  Kardinal.  1403  erhielt  er  die  Aufgabe,  den  Legationsbezirk  von 
Bologna  dem  hl.  Stuhl  zurückzuerobern.  Hiebei  erwies  er  sich  als  grau- 
sam und  habgierig.  Die  mit  Gregor  XII.  entzweiten  Kardinäle  ver- 
pflichtete er  sich  durch  Geldunterstützung  und  seine  diplomatischen  Ver- 
bindungen. Von  ihm  erwarteten  seine  Wähler,  dafs  er  .das  Krumme 
gerade  machen;  würde.1)  Von  den  im  Unionskampf  bewährten  Männern 
zog  er  Ailli  und  Zabarella  ins  Kardinalskollegium.  Den  Kardinälen  liefs  er 
zwar  einen  wesentlichen  Anteil  an  den  Geschäften,  doch  schufen  ihm 
sein  Nepotismus,  sein  ausgedehnter  Amterhandel,  seine  Erpressungen 
und  die  Laster,  deren  er  offen  beschuldigt  wurde,  heftige  Gegner. 

3.  Zunächst  unterstützte  er  Ludwig  von  Anjou  mit  allem  Nach- 
druck. Ladislaus  wurde  (1411,  19.  Mai)  bei  Rocca  sicca  geschlagen, 
stand  aber  bald  wieder  kampfgerüstet  da  und  zwang  Ludwig,  sich  in 
die  Provence  zurückzuziehen.  Es  war  umsonst,  dafs  Johann  XXIII. 
Ladislaus  vor  seinen  Richterstuhl  zitierte  und  das  Kreuz  wider  ihn  pre- 
digen   liefs.     In  Böhmen    hatte    dies    eine    heftige   Erregung    zur   Folge 


r    ilndirecta  dirigere< 


Das  römische  Konzil  von  1412.  455 

(s.  §  106).  Als  Ladislaus  den  mächtigen  Kondottiere  Sforza,  der  den 
Ruhm  seines  Hauses  begründete,  für  sich  gewann,  sah  sich  Johann  XXIII. 
zu  einem  Vertrage  genötigt  (1412,  Juni),  der  Ladislaus  in  seinem  Be- 
sitze bestätigte.  Jetzt  gab  dieser  die  Obedienz  Gregors  XII.  preis.  Nun 
war  Malatesta  fast  noch  der  einzige,  der  dieses  Papstes  Sache  verfocht. 
Für  Johann  XXIII.  hatte  mittlerweile  auch  Ruprechts  Tod  günstige 
Aussichten  eröffnet,  denn  Sigmund  war  ein  Feind  Ladislaus'  und  somit 
auch  Gregors.  Johann  XXIII.  rühmte  sich  später  noch  seiner  Verdienste 
um  Sigmunds  Wahl.  Von  den  drei  Päpsten  suchte  ein  jeder  in  seiner 
Art  das  Schisma  beizulegen :  Johann  war  bemüht,  den  Gegenpäpsten  ihre 
Obedienz  abwendig  zu  machen,  diese  unterhandelten  miteinander,  ohne 
dafs  die  Verhandlungen  zum  Ziele  führten.  Alle  Hoffnungen  beruhten 
auf  Sigmund,  der  seinerseits  nur  von  einem  allseitig  anerkannten  Kirchen- 
oberhaupt die  Kaiserkrone  empfangen  wollte.1)  Seine  Absichten  waren 
daher  auf  das  Zustandekommen  eines  Konzils  gerichtet,  dessen  Fort- 
setzung schon  in  Pisa  beschlossen  war.  Diesem  Beschlüsse  nachzu- 
kommen, berief  Johann  auf  den  April  1412  eine  Kirchenversammlung 
nach  Rom.  In  Frankreich  wurden  grofse  Vorbereitungen  dazu  getroffen. 
Ailli  und  die  Universität  von  Paris  entwarfen  Reform  vorschlage.  Eine 
Gesandtschaft  ging  an  die  Kurie,  um  Frankreichs  Wünsche  vorzubringen. 
Soweit  sie  die  Interessen  des  Königs  betrafen,  kam  ihnen  der  Papst 
entgegen ;  den  allgemeinen  Reformations vorschlagen  gegenüber  bekundete 
er  aber  nur  geringes  Entgegenkommen.  Aus  andern  Ländern  erschienen 
wenig  Teilnehmer,  und  die  Verhandlungen  betrafen  fast  ausschliefslich 
die  kirchlichen  Zustände  Böhmens.  Dort  aber  spottete  man  über  die 
hierüber  gefafsten  Beschlüsse  nicht  weniger  als  über  die  geringe  Zahl 
der  auf  diesem  »Winkelkonvent«  Erschienenen.2)  Die  kirchlichen 
Zustände  Böhmens  erheischten  aber  ebenso  sehr  eine  ernsthafte  konziliare 
Behandlung  wie  die  Frage  der  endlichen  Beilegung  des  Schismas. 

§  106.    Die  Ausbreitung  des  Wicliflsmus  in  Böhmen  und  die  Anfänge 

des  Hassitentums. 

Quellen:  Einzelnes  auch  §  112.  Die  Ausgabe  von  Hussens  Werken  :  Joannis  Hus 
et  Hieronymi  Pragensis  historia  et  monumenta.  2  t.  Norimb.  1558  u.  1.  vol.  Frankf.  1715 
ist  unzulänglich.  Das  gilt  auch  von  seinen  Schriften  in  tschechischer  Sprache,  ed.  Erben, 
Prag  1865 — 68.  In  beiden  ist  nicht  geschieden,  was  Hufs'  und  Wiclifs  geistiges  Eigen- 
tum ist.  Daher  sind  hier  jene  Werke  Wiclifs  anzuführen,  die  Hufs  mehr  oder  minder 
wortgetreu  ausgeschrieben  hat  (s.  oben  §  91).  Briefe  u.  Dokumente  (s.  auch  MM.  Vati- 
cana,  tom.  V.  ed.  Krofta.  Prag  1903).  Palacky,  Documenta  magistri  Joannis  Hus. 
Prag  1869.  (Nachträge  von  Nedoma,  Boleslavsky  kodex  z  doby  husitske,  d.  h.  Bunz- 
lauer  Kod.  aus  der  Hussitenzeit.)  Briefe  des  Hufs  nach  dem  böhm.  Urtext,  deutsch  von 
Mikowec.  Leipz  1849.  (Maresch,  Comenium  I,  1,  s.  Xovotny,  Hus,  Listy.  Poznämky 
kriticke  a  chronologicke\    Prag  1898   [Yestnik  1895].     Mistra  Jana  Husi    sebrane  spisy. 


*)  Finke,  Q.  u.  F.  S.  7. 

2)  Es  ist  nicht  ohne  Interesse,  zu  sehen,  wie  gering  die  böhmische  Bewegung 
damals  noch  von  so  reformfreundlichen  Männern  wie  Glemangis  eingeschätzt  wurde. 
Er  spricht  von  Verhandlungen  auf  dem  römischen  Konzil:  In  rebus  supervacuis, 
nichil  ad  utilitatem  ecclesiae  pertinentibus. 


456  Ausbreitung  des  Wiclifisinus  in  Böhmen. 

Spisy  latinske,  ed.  Flajshans.  Prag  1903.  Opera  Omnia,  tom.  I.  fasc.  1.  Expositio  Decalogi. 
Hufs'  Predigten  übers,  v.  Novotny.  Görlitz  1855.  v.  d.  Hardt,  wie  oben.  Dazu  jetzt:  Finke, 
Forschungen  etc.,  und  Acta  concilii  Con«t.,  wie  oben.  Von  grofser  Wichtigkeit 
sind  trotz  der  beispiellosen  Mängel  in  Bezug  auf  die  Ausgabe  als  solche  (s.  hierüber 
Palacky,  Hussitentum  und  Prof.  Höfler.  2.  A.  1868^  die  Geschichtschreiber  d.  hussiti- 
schen  Bewegung,  herausg.  v.  C.  Höfler,  1 — 3  Fontes  rer.  Austr.  SS.  2,  6,  7  .  Wien 
1856 — 66.  Von  den  wichtigeren  Werken  finden  sich  im  Bd.  1  die  Historien  des  Lorenz 
von  Bfezova  nicht  Brezina)  und  Peter  von  Mladenowitz  (hier  besser  zu  benützen  als 
in  den  Documenta,  ed.  Palacky  ,  im  Bd.  2  die  grofse  Taboritenchronik  des  Johann 
von  Lukawetz  u.  Nikolaus  von  Pelhiimow,  im  Bd.  3  eine  Verdeutschung  der  tschechi- 
schen Annalen  der  Hussitenzeit,  die  als  Bd.  3  in  den  SS.  rer.  Bohemic.  von  Pelzel, 
Dobrowsky  u.  Palacky  Prag,  1829  herausgegeben  sind.  Viele  Materialien  zur  Vor- 
geschichte des  Hussitentums  s.  in  Höfler,  Concilia  Pragensia.  Eine  korrektere  Ausgabe 
der  wichtigeren  Chroniken  aus  der  Hussitenzeit  enthält  der  5.  Bd.  der  Fontes  rer.  Bohem. 
Prag  1893.  Hier  die  Chronik  des  Bfezova,  das  chronicon  universitatis  Prag  und  die 
Chronik  des  Bartossek  v.  Drahonic  in  der  Ausg.  v.  Jar.  Goll.  Loserth,  Beitr.  z.  Gesch. 
d.  huss.  Bewegung,  1 — 5.  AÖG.  55,  57,  60,  75,  82.  1.  enthält  den  Cod.  epist.  des  Prager 
Erzb.  Joh.  v.  Jenzenstein  ;  2.  das  Leben  und  die  Schriften  des  Magisters  Adalbertus  Ranconis 
de  Ericini o :  3.  den  Traktat  Ludolfs  von  Sagan  nie  longevo  schismate«  ;  4.  Streit- 
schriften und  Lnionsverhandlungen  zwischen  Katholiken  und  Hussiten  1412 — 1413  und 
5.  gleichz.  Berichte  u.  Aktenstücke  zur  Ausbreitung  des  Wiclifismus  in  Böhmen  und 
Mähren  1410 — 1419.  (Beachtung  verdient  unter  den  Beilagen  Nr.  1,  gleichz.  Bericht 
über  das  Ende  des  Hufs."  Wichtig  ist  auch  jetzt  noch  die  von  streng  katholischem 
Standpunkt  aus  verfafste  Historia  Hussitarum  des  Cochläus,  s.  dazu  Loserth,  Die  Denk- 
schrift des  Breslauer  Dornherrn  Nikolaus  Tempelfeld  von  Brieg  über  die  Wahl  Georgs 
von  Podiebrad.  Ein  Beitrag  zur  Krit.  der  Hussitengesch.  des  Cochläus.  AÖG.  61. 
Quellen  z.  d.  Hussitenkriegen  s.  unten.  Zu  Hieronymus :  Processus  iudiciarius  contra 
Jeronimum  de  Praga  habitus  Viennae  1410 — 1412,  ed.  Klicman.    Prag  1898. 

Hilfsschriften:  Die  älteren  Arbeiten  bis  auf  Palacky,  selbst  Helferts 
Hufs  u.  Hieronymus,  Prag  1853,  sind  ganz  veraltet.  Von  der  Gesch.  Böhmens  von 
Palacky  ist  der  gröfsere  Teil,  nämlich  III,  1 — 3,  IV,  1 — 2  u.  V,  1  u.  2  der  Gesch. 
des  Hussitentums  gewidmet.  Dazu  gehören  noch  die  beiden  Arbeiten  Palacky  s, 
Über  die  Beziehungen  und  das  Verhältnis  der  Waldenser  zu  den  ehemaligen  Sekten 
in  Böhmen  u.  die  Vorläufer  des  Hussitentums  in  Böhmen.  NA.  Prag  1869.  Höfler, 
Magister  Johannes  Hufs  u.  der  Abzug  der  deutschen  Studenten  und  Professoren  aus 
Prag.  1864.  Berger,  Johannes  Hufs  u.  König  Sigismund.  Augsb.  1871.  Lechler, 
Johann  v.  Wiclif,  wie  oben.  Der  zweite  Band  behandelt  das  Hussitentum,  aber  noch 
stark  im  Geiste  Palacky-Neanders.  Kritischer  ist  sein  Johannes  Hufs.  Ein  Lebensbild 
aus  d.  Vorgesch.  d.  Reformation.  Halle  1890.  E.  Denis,  Hufs  et  la  guerre  des  Hussites. 
Paris  1878  eine  blofse  Paraphrase  der  Arbeiten  Palackys  ohne  eigenes  Quellenstudium ). 
Die  Frage  des  Geleitsbriefes  für  Hufs  behandeln:  Uhlmann,  K.  Sigmunds  Geleit  für 
Hufs  u.  das  Geleit  im  MA.,  Halle  1894,  und  Müller,  K.  Sigmunds  Geleit  für  Hufs. 
HVSchr.  1898,  1.  Die  Genesis  der  huss.  aus  der  Lehre  Wiclifs  im  einzelnen  er- 
wiesen in  Loserth,  Hufs  u.  Wiclif,  Prag  1884  engl.  Wiclif  and  Hufs.  Lond.  1884'  und 
in  Loserths  Einleitungen  zu  seiner  Ausgabe  v.  Wiclifs  De  Ecclesia,  Sennones,  De 
Eucharistia  u.  Opus  Ev.,  dann  in  seinen  Aufsätzen  :  Über  die  Beziehungen  zwischen 
englischen  u.  böhm.  Wiclifiten,  MJÖG.  XII,  und  Der  Kirchen-  und  Klostersturm  der 
Hussiten  und  sein  Ursprung.  Z.  Gesch.  u.  Pol.  V.  In  mehreren  kleineren  Schriften 
Loserths,  so  namentlich  in  der  Einleitung  zu  seiner  Ausgabe  von  Wiclifs  De  Eucha- 
ristia wird,  was  meist  übersehen  wird,  scharf  betont,  dafs  die  Taboriten  die  eigentlichen 
Schüler  Wiclifs  sind.  Ihren  mehr  oder  minder  waldensischen  Zusatz  betonen:  Preger, 
Über  das  Verhältnis  der  Taboriten  zu  den  Waldensern  des  14.  Jahrh.  Abh.  MA.  28,  1 
s.  dagegen  Loserth,  GGA.  1889  Nr.  12,  1891  Nr.  4  und  richtiger,  weil  modifiziert) 
Haupt,  Waldensertum  u.  Inquisition  im  so.  Deutschland.  Freiburg  i.  B.  1890.  Krum- 
meis, Gesch.  der  böhm.  Ref.,  Gotha  1866  und  Utraquisten  u.  Taboriten,  Gotha  1871, 
standen  schon  beim  Erscheinen  auf  einem  antiquierten  Standpunkt.  Von  den  Werken 
der  lit.  Widersacher  des  Hufs  ist  noch  das  wenigste  gedruckt.    Sehr  beachtenswert  sind 


Die  sogen.   Vorläufer  der  huss.  Bewegung.     Der  Magister  Hüls.  457 

die  Schriften  des  Karthäuserpriors  Stephan  von  Dolein  (St.  Josaphat  bei  Olmütz),  gedr. 
im  IV.  Bd.  von  Pez,  Thes.  anecd.,  s.  hierüber  Loserth,  Die  lit.  Widersacher  des  Hufs 
in  Mähren.  ZV.  f.  Gesch.  Mährens  u.  Schlesiens  I,  4.  Zusammenfassend:  Loserth, 
Die  kirchl.  Reformbewegung  in  England  im  14.  Jahrb.  u.  ihre  Aufnahme  u.  Durch- 
führung in  Böhmen.    Antrittsvorlesung.    Leipz.  1893. 

1.  Trotz  der  Blüte  Böhmens  im  karolinischen  Zeitalter  machte 
sich  auch  dort  der  Verfall  der  kirchlichen  Zucht  geltend,  und  die  Klagen 
über  die  Verkommenheit  des  Klerus  ertönten  dort  ebenso  laut  als  in 
den  übrigen  Staaten  des  Abendlandes.  Um  so  reicheren  Beifall  fanden 
jene  Männer,  die  voll  reformatorischen  Eifers  gegen  die  Übelstände  in 
der  Kirche  ankämpften  und  im  Geiste  der  Mystik  durch  Unterricht  und 
Predigt  auf  die  Volksmassen  einwirkten.  Gegen  die  Mifsbräuche  in  den 
Bettelorden  und  die  übertriebene  Bilder-  und  Reliquienverehrung  zog 
der  Augustinermönch  Konrad  von  Waldhausen,  Prediger  an  der 
Teynkirche  in  Prag,  zu  Felde.  Nach  ihm  wirkten  Militsch  von 
Kre msier,  dessen  scharfes  Wort  selbst  des  Kaisers  nicht  schonte, 
und  Matthias  von  Janow  in  gleichem  Sinne.  Man  pflegt  diese 
Männer  irrigerweise  Vorläufer  des  Hussitentums  zu  nennen ;  sie  alle  blieben 
in  Wort  und  Schrift  auf  dem  Boden  der  herrschenden  Kirche.  Selbst 
die  Abendmahlsstreitigkeiten  ihrer  Zeit  hatten  nur  die  Frage  des  oft- 
maligen oder  täglichen  Empfangs  des  Abendmahls  zum  Gegenstand. 
Am  Bestand  des  Dogmas  und  der  hierarchischen  Gestaltung  der  Kirche 
ward  erst  gerüttelt,  seit  der  Wiclifismus  seinen  Einzug  in  Böhmen  hielt. 
Sein  Wortführer  war  der  Magister  Johannes  Hufs. 

Hufs1)  stammte  aus  dem  im  südlichen  Böhmen  gelegenen  Markt- 
flecken Hussinetz  (Husinec),  nach  dem  er  sich  anfangs  Johannes  de 
Hussynecz  nannte  und  schrieb.  Wie  viele  seiner  Zeitgenossen  wurde  er 
nach  seinem  Geburtsorte  genannt,  und  dieser  Name  lautet  abgekürzt 
Hufs,  wie  sich  der  Magister  selbst  zu .  schreiben  pflegte.  —  Tag  und 
Jahr  seiner  Geburt  sind  unbekannt.2)  In  ärmlicher  Weise,  wie  später 
Luther,  mufste  es  sich  durchbringen ;  als  Sängerknabe  und  Ministrant. 
Zum  geistlichen  Stand  trieb  ihn  kein  innerer  Drang,  sondern  die  Aus- 
sicht auf  das  bequeme  Leben  der  Geistlichkeit.  Seit  der  Mitte  der  acht- 
ziger Jahre  weilte  er  in  Prag,  wo  er  seine  höheren  Studien  machte.  Er 
war  kein  hervorragender  Student.  Wohl  prunkt  er  in  seinen  Schriften 
mit  gelehrten  Zitaten,  aber  diese  sind  ausnahmslos  aus  Wiclif  genommen. 
Leidenschaftlichkeit  und  Anmafsung  bildeten  den  Grundzug  seines  Wesens. 
Von  seiner  Spitzfindigkeit  werden  Beispiele  genug  erzählt.  Er  selbst 
tadelte  an  sich  in  späteren  Jahren,  dafs  er  an  den  Eitelkeiten  der  Welt, 
schönen  Kleidern  u.  dergl.  Gefallen  gefunden.  Die  Doktorwürde  hat  er 
niemals  erlangt;  übrigens  gewann  er  an  der   Universität  rasch   Geltung: 


*)  Wiewohl  heute  die  tschechische  Schreibweise  Hus  (u.  demnach  auch  husitisch 
und  Husite)  gebräuchlich  ist,  entspricht  der  deutschen  Aussprache  doch  die  Schreibung 
Hufs  u.  Hussite,  wie  auch  die  deutsch  oder  lateinisch  schreibenden  Zeitgenossen  richtig 
die  iHussen«.  u.  Hussitae  schrieben. 

2)  Man  nennt  als  seinen  Geburtstag  den  6.  Juli,  aber  das  ist  sein  Sterbetag,  den 
die  Hussiten  festlich  begingen;  s.  Loserth,  Hufs  u.  Wiclif. 


458  Übertragung  des  "Wiclifismiis  nach  Böhmen. 

1401  Dekan  der  philosophischen  Fakultät,  wurde  er  schon  im  folgenden 
Jahre  Rektor.  An  der  Universität  trat  er  mit  Männern  wie  Andreas 
von  Brod,  Stephan  von  Palecz  u.  a.  in  der  warmen  Liebe  für  die  Inter- 
essen des  tschechischen  Volkes  zusammen.  Zwei  Jahre,  nachdem  er 
Priester  geworden  (1400),  erhielt  er  das  Amt  eines  Predigers  an  der 
Bethlehemskirche  in  Prag.  Als  solcher  hatte  er  an  Sonn-  und  Feier- 
tagen das  Wort  Gottes  in  tschechischer  Sprache  zu  verkündigen. 

2.  Seit  sich  Wenzels  Schwester  Anna  mit  Richard  IL  von  England 
vermählte  und  zahlreiche  Böhmen  an  ihren  Hof  zog,  wurden  Wiclifs 
Schriften  in  Böhmen  bekannt.  Hufs  selbst  war  schon  als  Student  mit 
ihnen  vertraut.  Den  Traktat  De  veris  universalibus  hat  er  mit  eigener  Hand 
(1398)  abgeschrieben.  Lange  bevor  er  noch  von  Wiclifs  Reformgedanken 
erfüllt  war,  hat  er  sich  dessen  philosophische  Ideen  angeeignet.  Seine 
Neigung  zu  kirchlichen  Reformen  wurde  erst  geweckt,  seit  er  auch  die 
theologischen  Schriften  Wiclifs  kennen  lernte.  Noch  1393  ist  er  von 
tiefster  Ergebenheit  gegen  die  Gnadenschätze  der  römischen  Kirche  er- 
füllt: er  opfert  seine  letzten  vier  Groschen,  um  des  Jubiläumsablasses 
teilhaftig  zu  werden.  Gleichzeitige  und  spätere  Quellen  melden  überein- 
stimmend, dafs  es  Wiclifs  Bücher  waren,  »die  ihm  die  Augen  öffneten«, 
während  er  sie  las  und  wieder  las«.  Der  sog.  Hussitismus  ist  in  den 
ersten  anderthalb  Jahrzehnten  seines  Bestandes  eben  nichts  anderes  als 
der  auf  böhmischen  Boden  verpflanzte  Wiclifismus.  Als  solcher  galt  er 
in  Böhmen  bis  zum  Tode  des  Hufs,  um  dann  abgeschwächt  in  den  Utra- 
quismus  und  folgerichtig  fortgeführt  in  das  Taboritentum  überzugehen. 
Die  theologischen  Schriften  Wiclifs  wirkten  in  Böhmen  wie  ein  Feuer- 
brand. Die  ersten  von  ihnen  sind  1401  und  1402  durch  Hieronymus 
von  Prag  dahin  gebracht  worden.  Gegen  ihre  Verbreitung  erhob  sich 
die  Universität,  welche  (1403)  die  Disputation  über  45  Sätze  untersagte,, 
die  Wiclif  teils  wirklich  angehörten,  teils  ihm  nur  zugeschrieben  wurden, 
ein  Verbot,  das  1408  mit  der  Beschränkung  erneuert  wurde,  dafs  diese 
Sätze  nicht  in  irrigem  oder  ketzerischem  Sinne  vorgetragen  würden. 
Unter  dem  Erzbischof  Sbinko  von  Hasenburg  (seit  1403)  genofs  Hufs 
anfangs  grofses  Ansehen :  1405  war  er  als  Synodalredner  tätig,  wobei  er 
die  Fehler  des  böhmischen  Klerus  aufs  schärfste  rügte.  Sein  gutes  Ein- 
vernehmen mit  dem  Erzbischof  tritt  namentlich  in  der  Wilsnacker  An- 
gelegenheit zutage,  wo  Sbinko,  von  Hufs  auf  die  groben  Täuschungen 
bei  der  Reliquie  des  hl.  Blutes  Christi  daselbst  aufmerksam  gemacht,, 
die  Pilgerfahrten  dahin  verbot.  Damals  schrieb  Hufs,  um  sein  Vor- 
gehen zu  rechtfertigen,  seine  Abhandlung  De  omni  sanguine  Christi  glori- 
ficato,  >dafs  alles  Blut  Christi  verklärt  sei::  ein  Christ  habe  nicht  nötig,. 
Zeichen  und  Wunder  zu  suchen,  er  möge  sich  an  die  hl.  Schrift  halten. 
Bald  trübte  sich  das  Einvernehmen  zwischen  dem  Erzbischof  und  Hufs,, 
denn  dessen  Predigten  gegen  die  Habsucht  und  das  unordentliche  Leben 
der  Geistlichkeit  erregten  Anstofs.  Die  Geistlichkeit  überreichte  (1408) 
eine  Klageschrift,  und  Hufs  wurde  seiner  Stelle  als  Synodalprediger  ent- 
hoben. Es  ist  wahrscheinlich,  dafs  er  jetzt  den  Traktat  De  arguendo 
clero  pro  concione  verfafst  hat,  auch  diesmal,  um  sein  Verhalten  zu  recht- 


Hufs  als    tschechischer  Patriot  und  Wiclifit.  459 

fertigen.  Für  die  Entwicklung  der  Verhältnisse  an  der  Prager  Univer- 
sität wurde  die  Frage  der  Neutralität  irn  Schisma  von  entscheidender 
Wichtigkeit.  König  Wenzel,  der  die  Zügel  der  Regierung  im  Reiche 
wieder  zu  ergreifen  gedachte,  dessen  Pläne  aber  von  Gregor  XII.  keine 
Förderung  erwarten  durften,  sagte  sich  von  ihm  los  (s.  oben)  und  befahl 
seinen  Prälaten  Neutralität  den  beiden  Päpsten  gegenüber.  Ein  Gleiches 
erwartete  er  von  der  Universität.  Aber  der  Erzbischof  blieb  Gregor  XII. 
treu,  und  an  der  Universität  erklärte  sich  nur  die  böhmische  Nation 
unter  Hufs  dafür.  Hierüber  erbittert,  erliefs  Wenzel  am  19.  Januar 
ein  Dekret,  wonach  der  böhmischen  Nation  bei  allen  Universitätsange- 
legenheiten drei,  den  auswärtigen  (deutschen)  Nationen  nur  eine 
Stimme  eingeräumt  wurde.  Laut  pries  Hufs  von  der  Kanzel  herab  die 
Liebe  des  Königs  zu  seinem  Volke.  Da  es  den  Deutschen  nicht  gelang, 
das  Dekret,  welches  das  an  der  Universität  bestehende  Recht  umstiefs, 
rückgängig  zu  machen,  verliefsen  Tausende  deutscher  Doktoren,  Magister 
und  Studenten  im  Laufe  des  Sommers  1409  die  Stadt.  Die  nächste 
Folge  der  Auswanderung  war  die  Gründung  des  Universität  Leipzig. 
Prag  sank  von  seiner  universellen  Bedeutung  auf  die  Stufe  einer  national- 
tschechischen Hochschule  herab ;  die  Auswanderer  aber  verbreiteten  den 
Ruf  von  den  böhmischen  Ketzereien  in  alle  Länder.  Der  Erzbischof 
war  isoliert,  Hufs  auf  der  Höhe  seines  Ansehens.  Er  wurde  der  erste  Rektor 
der  tschechisch  gewordenen  Universität  (Oktober  1410)  und  genofs  die 
Gunst  des  Hofes ;  namentlich  war  ihm  die  Königin  Sophie  sehr  gewogen. 
Inzwischen  überfluteten  die  Wiclif sehen  Lehren  Stadt  und  Land. 
So  lange  Sbinko  in  der  Obedienz  Gregors  XII.  verharrte,  blieb  alles 
Einschreiten  dagegen  erfolglos,  ja  einige  Anhänger  des  Hufs  konnten 
es  unternehmen,  den  Erzbischof  bei  Alexander  V.  zu  verklagen.  Als 
sich  aber  Sbinko  diesem  unterwarf,  änderte  sich  die  Lage ;  der  Erz- 
bischof gewann  bei  der  Kurie  ein  geneigtes  Ohr,  als  er  dem  Papste  vor- 
stellte, alles  Unheil  in  Böhmen  rühre  von  den  Wiclifiten  her.  Eine 
Bulle  ermächtigte  den  Erzbischof,  gegen  den  Wiclifismus  vorzugehen: 
alle  wielifi tischen  Bücher  sollten  abgeliefert,  wielifitische  Lehren  wider- 
rufen und  die  Predigt  an  andern  als  den  herkömmlichen  Orten  unter- 
sagt werden.  Die  Bulle  wurde  am  9.  März  1410  veröffentlicht.  Hufs, 
überzeugt,  dafs  Alexander  V.  falsch  berichtet  worden,  appellierte  an  den 
besser  zu  unterrichtenden  Papst.  Der  Erzbischof  liefs  sich  indes  nicht 
beirren :  er  befahl,  alle  Schriften  Wiclifs  zum  Zwecke  ihrer  Prüfung  ein- 
zuliefern und  liefs  die  eingelieferten  Bücher  (über  200)  im  Hofe  des 
erzbischöflichen  Palastes  in  Gegenwart  des  Domkapitels  und  einer  grofsen 
Menge  von  Priestern  verbrennen.  Dies  Vorgehen  rief  eine  unbeschreib- 
liche Erregung  hervor,  um  so  mehr,  als  Sbinko  zwei  Tage  später  den 
Bann  über  Hufs  und  seine  Anhänger  aussprach.  An  einzelnen  Orten 
kam  es  zu  stürmischen  Auftritten.  Der  Erzbischof  wurde  in  Spottliedern 
verhöhnt  und  der  Gottesdienst  gestört.  Wer  es  wagte,  den  Bann  wider 
Hufs  zu  verkünden,  wurde  am  Leben  bedroht.  Die  Regierung  verbot 
zwar  das  Singen  von  Spottliedern,  verurteilte  aber  den  Erzbischof,  die- 
in  ihrem  Eigentum  geschädigten  Eigentümer  der  verbrannten  Bücher  zu 


460  Der  Ablafsstreit  in  Prag. 

entschädigen,  und  verfügte  auf  seine  Weigerung  die  Teniporaliensperre 
gegen  ihn.  Hufs  und  seine  Anhänger  liefsen  sich  so  wenig  einschüchtern, 
dafs  sie  den  erzbischöflichen  Geboten  zum  Trotz  einzelne  Werke  Wiclifs 
in  öffentlichen  Disputationen  verteidigten.  Die  Macht  seiner  Anhänger 
wuchs  von  Tag  zu  Tag,  und  der  Ruf  von  den  Erfolgen  des  böhmischen 
Wiclifismus  brachte  auch  dessen  Anhänger  in  England  in  freudige  Er- 
regung. »Das  ganze  böhmische  Volk«,  schreibt  Hufs  dahin,  »lechzt 
nach  der  Wahrheit,  es  will  nichts  wissen  als  das  Evangelium,  und  wo 
in  irgend  einer  Stadt  oder  in  einem  Dorfe  oder  Schlosse  ein  Prediger  der 
hl.  Wahrheit  erscheint,  strömt  das  Volk  zu  ganzen  Haufen  zusammen. 
Unser  König,  sein  ganzer  Hof,  die  Barone  und  das  gemeine  Volk  sind 
für  das  Wort  Christi.«  Nach  wie  vor  hielt  Hufs  seine  Predigten  in  der 
Bethlehemskapelle;  sein  Ton  wurde  immer  kühner.  Zwar  wurde  am 
15.  März  1411  der  Bann  gegen  ihn  verkündet  und  auf  den  Gemeinde- 
rat ausgedehnt,  endlich  das  Interdikt  über  Prag  verhängt,  aber  alle  diese 
Mafsregeln  blieben  ohne  Erfolg,  und  Sbinko  sah  sich  genötigt,  einen 
Ausgleich  zu  versuchen.  Während  dieser  Wirren  starb  er  am  28.  Sep- 
tember 1411.  Mit  seinem  Tode  tritt  die  kirchliche  Bewegung  in  Böhmen 
in  eine  neue  Phase.  Ein  wichtiges  Moment  darin  bildet  der  Ablafs- 
streit, der  im  Jahre  1412  in  Prag  ausbrach,  denn  er  bot  den  Anlafs, 
dafs  sich  die  bisher  befreundeten  Parteien  unter  den  Neuerern  schieden. 

3.  Im  Herbste  1411  erliefs  Johann  XXin.  seine  Kreuzzugsbulle 
gegen  Ladislaus  von  Neapel  (s.  oben).  Auch  in  Prag  wurde  das  Kreuz 
gepredigt  und  das  Volk  von  Ablafspredigern  unter  Trommelschlag  in  die 
Kirchen  gewiesen,  wo  die  Opferkästen  aufgestellt  waren.  Es  entwickelte 
sich  ein  förmliches  Ablafsgeschäf t :  der  Ablafs  wurde  für  Diakonate  und 
Pfarren  an  Unterhändler  verkauft.  29  Jahre  waren  vergangen,  seit 
Urban  VI.  unter  ähnlichen  Umständen  den  Kreuzzug  gegen  Flandern 
gepredigt  hatte.  Damals  erhob  Wiclif  in  seinen  Predigten  Protest  und 
schrieb  seine  berühmte  Cruciata.  Dies  Beispiel  ahmte  Hufs  nach ;  auf 
Katheder  und  Kanzel  erhob  er  seine  Stimme;  er  meinte,  die  ganze 
Universität  mitreifsen  zu  können.  Hier  war  aber  der  Punkt,  wo  ihn 
seine  Freunde  verliefsen,  die  ihm  so  lange  zur  Seite  gestanden.  Die 
theologische  Fakultät  trat  für  den  Papst  in  die  Schranken.  Am  7.  Juni  1412 
hielt  Hufs  im  grofsen  Saale  des  Karolinums  einen  Vortrag  über  die  Frage, 
ob  es  nach  der  Bibel  erlaubt  sei,  diese  Kreuzzugsbullen  zu  befürworten.  Hufs 
erhebt  dagegen  eine  Reihe  von  Einwänden,  die  wörtlich  Wiclifs  Buch 
»von  der  Kirchen  und  seiner  Flugschrift  »von  der  Lösung  von  Schuld  und 
Strafe«  entnommen  sind :  Kein  Papst  ist  befugt,  namens  der  Kirche  das 
Schwert  zu  ergreifen.  Vergebung  erlangt  der  Mensch  durch  wirkliche 
Reue  und  Bufse,  nicht  um  Geld.  Wer  nicht  prädestiniert  ist  (s.  oben  §  91), 
dem  kann  kein  Ablafs  helfen,  und  ob  jemand  prädestiniert  ist,  kann  auch 
der  Papst  nicht  wissen.  Wenn  dessen  Bullen  gegen  die  hl.  Schrift  sind, 
mufs  man  ihnen  Widerstand  leisten.  Wenige  Tage  später  verbrannte 
ein  Volkshaufe ,  geführt  von  dem  auch  in  englischen  Wiclifitenkreisen 
bekannten    Wok   von    Waldstein    die   päpstlichen   Bullen ,    ein   Ereignis, 


Verbannung  des  Hüls  aus  Prag.     Ausgleichsversuche.  46  1 

dessen  Begründung  man  auch  bei  Wiclif  fand.1)  Jetzt  erst  liefs  der  König 
jede  Schmähung  des  Papstes  und  den  Widerstand  gegen  die  Bullen 
ahnden,  und  so  wurden  drei  Leute  aus  den  niederen  Ständen,  die  den 
Geistlichen  während  der  Predigt  offen  widersprochen  und  den  Ablafs 
einen  Betrug  genannt  hatten,  enthauptet.  Es  waren  die  ersten  Märtyrer 
der  hussitischen  Kirche.2)  Der  Schrecken  über  diese  Vorgänge  hielt  nicht 
lange  an,  daher  griff  die  Fakultät  zu  schärferen  Mitteln;  sie  verdammte 
nicht  blofs  die  45  Artikel  aufs  neue,  sondern  fügte  noch  einige  bei,  die 
von  Hufs  herrührten.  Der  König  verbot  nun,  die  Artikel  zu  lehren. 
Doch  weder  Hufs  noch  die  Universität  stimmten  einer  solchen  summarischen 
Verurteilung  zu,  sondern  verlangten,  dafs  zuerst  die  Schriftwidrigkeit  der 
Artikel  erwiesen  werde.3)  Die  Prager  Tumulte  hatten  in  ganz  Böhmen 
unliebsames  Aufsehen  gemacht.  Die  päpstlichen  Legaten  und  der  Erz- 
bischof von  Prag  suchten  Hufs  zu  bewegen,  den  Widerstand  gegen  die 
Bullen  aufzugeben,  und  der  König  machte  einen  freilich  erfolglosen 
Versuch ,  die  katholische  und  hussitische  Partei  einander  zu  nähern. 
Mittlerweile  hatte  sich  die  Prager  Pfarrgeistlichkeit  mit  ihren  Klagen  an 
den  Papst  gewendet,  und  nun  wurde  über  Hufs  der  grofse  Kirchenbann 
verhängt.  Die  verschärften  Mafsregeln  wider  ihn  und  seine  Anhänger 
vermehrten  aber  nur  die  Aufregung  im  Volke.  Hufs  sah  sich  schliefslich 
genötigt,  einem  Wunsche  des  Königs  entsprechend,  sich  aus  Prag  zu  ent- 
fernen. Seine  Abwesenheit  hatte  aber  nicht  die  erwartete  Wirkung.  Die 
Aufregung  dauerte  fort  und  wurde  durch  seine  Sendschreiben  an  seine 
Anhänger  noch  vermehrt. 

4.  Der  Verruf,  in  den  Böhmen  der  Ketzerei  wegen  gekommen, 
ging  dem  König  nahe.  Er  nahm  nun  selbst  die  Ausgleichung  der 
Gegensätze  in  die  Hand  und  berief  für  den  2.  Februar  1413  eine  Synode 
nach  Böhmisch-Brod.  Sie  trat  aber  nicht  dort,  wo  Hufs  hätte  erscheinen 
dürfen,  sondern  im  erzbischöflichen  Palaste  (6.  Februar)  zusammen.  Die 
Parteiführer  fehlten.  Doch  wurden  von  beiden  Seiten  Vorschläge  zur 
Herstellung  des  kirchlichen  Friedens  erstattet.  Hufs  verlangte,  dafs 
Böhmen  in  kirchlicher  Beziehung  dieselben  Freiheiten  habe  wie  andere 
Länder:  Approbationen  und  Exkommunikationen  demnach  nur  mit  Zu- 
stimmung der  Staatsgewalt  verkündigt  werden  dürfen.4)  Zu  einer  Einigung 
kam  es  nicht.  Trotzdem  gab  der  König  die  Hoffnung  auf  eine  friedliche 
Lösung  nicht  auf :  eine  Kommission  sollte  an  dem  Einigungswerke  weiter- 
arbeiten. Als  die  Gegner  des  Hufs  den  Unionsversuchen  des  Königs 
Schwierigkeiten  bereiteten,  wurden  sie  ebenfalls  aus  Prag  verwiesen. 
Beide  Parteien  suchten  ihre  Lehrsätze  nunmehr  ausführlich  zu  begründen. 
So  entstanden  die  Streitschriften  eines  Andreas  von  Brod,  Stanislaus  von 
Znaim,  Stephan  Palecz5)  u.  a.     Von  allen  diesen  ist  das  Buch  des  Hufs 


1)  Op.  Ev.  II,  c.  37. 

2)  Beitr.  zur  Gesch.  d.  huss.  Bew.  V,  334—350. 

3)  Hufs   schrieb    seine    Defensio  quorundum    articidorum  Joannis   Wiclif.     Seine 
Motive  stammen  auch  hier  ganz  aus  Wiclif. 

4)  Ganz  der  Standpunkt  Wiclif s.    Serm.  II T,  519. 

5)  Loserth,  Beitr.  z.  Gesch.  d.  huss.  Bew.  IV,  315. 


462  Hussens  Buch  von  der  Kirche.     Höhepunkt  seiner  Wirksamkeit. 

von  der  Kirche«  von  jeher  am  meisten  zitiert  und  je  nach  dem 
Standpunkt  der  Leser  bewundert  oder  getadelt  worden.  Und  doch  ist 
es  nichts  als  ein  matter  Auszug  aus  dem  gleichnamigen  Werke  Wiclifs 
und  in  den  letzten  Kapiteln  aus  dessen  (noch  ungedrucktem)  Buche :  Von 
der  Gewalt  des  Papstes.  Wie  einstens  Wiclif  wollte  auch  Hufs  der  Welt 
den  Unterschied  zwischen  dem,  was  die  Kirche  ist  und  was  man 
.sich  gewöhnlich  unter  ihr  vorstellt,  zeigen.  Mit  Wiclifs  Worten  erklärte 
er,  was  die  Kirche  ist.  Nachdem  nun  auch  die  Gegner  des  Hufs 
aus  Prag  gewiesen  waren ,  gewann  sein  Anhang  den  ganzen  Boden  für 
sich.  Eine  seltene  Gabe  der  Überredung  stand  ihm  zu  Gebote ;  in  Stadt 
und  Land  fiel  ihm  alles  zu.  Er  war  jetzt  der  Führer  seines  Volkes. 
Einen  heftigen  Schlag  erlitten  seine  Gegner,  als  König  Wenzel  den 
Deutschen  im  Altstädter  Rate  das  Heft  aus  der  Hand  nahm  und  ver- 
fügte, dafs  in  Zukunft  neben  9  Deutschen  auch  9  Tschechen  als  Rats- 
herren fungieren  sollen.  Mittlerweile  war  Hufs  teils  mit  der  Abfassung 
seiner  Streitschriften  teils  mit  Predigten  an  das  Volk  in  der  Umgebung 
der  einem  seiner  Gönner  gehörigen  Burg  Koz'i  hradek  bei  Austie  be- 
schäftigt. Daher  hat  sich  eben  dort  die  Erinnerung  an  seine  von  ihm 
besonders  hochgehaltene  pastorale  Tätigkeit  lange  lebendig  erhalten  und 
ist  dort  wenige  Jahre  später  die  Stadt  Tabor  entstanden.  Schon  ver- 
suchte der  böhmische  Wiclifismus ,  dem  aufser  dem  böhmischen  der 
gröfsere  Teil  des  mährischen  Herrenstandes  zufiel,  auch  in  Polen,  ja 
selbst  in  Ungarn,  Kroatien  und  Ost  erreich  festen  Fufs  zu  fassen.  Wohl 
griff  nun  die  Kurie  ein  (s.  oben  §  105);  aber  ihre  Kraft  war  durch  das 
Schisma  gelähmt.  Wirksame  Mafsregeln  gegen  den  böhmischen  Wiclifismus 
waren  erst  von  einem  allgemeinen  Konzil  zu  erwarten. 

§  107.    Das  Konzil  von  Konstanz.    Vorbereitungen  und  Anfänge. 

Zu  den  Quellen  im  allgemeinen:  Finke,  Zur  Beurteilung  der  Akten  d.  K.  K. 
Forschungen  XXIII,  503—20.  Finke,  Kl.  Quellenstudien  zur  Gesch.  d.  K.  K.  HJb.VDL 
Derselbe,  Forschungen  u.  Quellen  z.  G.  d.  K.  K.  Paderb.  1889.  S.  62—68.  Befs,  Quellen- 
studien z.  G.  d.  K.  K.  ZKG.  XILI.  Sammlungen  von  Akten,  Streitschriften, 
Geschichtschreibern  usw. :  Schelstrate,  Compendium  chronolog.  rer.  ad  decr.  Const. 
pertinentia.  Rom.  1686.  Hauptwerk  noch  heute:  H.  v.  d  Hardt,  Magnum  oec.  Constant. 
Concilium.  VI  tomi.  Frankf.  u.  Leipz*.  1700.  Akten  u.  Dekrete  im  4.  Bd  Bourgeois 
du  Chastenet,  Nouv.  bist,  du  Concil  de  Constance.  Paris  1718.  Mansi,  Concil.  Coli, 
tom.  XXVII.  u.  XXVIII.  Döllinger,  Beitr.  z.  G.  d.  15.  u.  16.  Jahrh.  II.  Manch.  1863. 
S.  269  ff.  Raynaldus.  Ann.  Eccl.  Finke,  Forschungen  u.  Quellen,  wie  oben.  Akten  zur 
Vorgesch.  des  Konstanzer  Konzils  in  seiner  Ausgabe  der  Acta  Concilii  Consta  nciensis. 
1.  Bd.  Münster  1896.  Briefe  der  Kölner  Universitätsgesandten  in  Martene  u.  Durand. 
Thes.  novus  II,  Petrus  de  Pulka,  Abges.  der  Wiener  Universität,  Briefe  her.  v.  Firnhaber. 
AÖG.  XV.  1 — 70:  der  Frankfurter  in  Frankfurts  Reichskorrespondenz  v.  Janssen,  wie  oben; 
der  Deutschen  Ordensgesandsch.  v.  Befs.  ZKG.  XVI.  Einzelnes  bei  Altmann,  Regg. 
K.  Sigmunds.  Tagebücher:  Finke,  Zwei  Tagebücher  über  das  Konstanzer  Konzil. 
RQSchrChA.  I.  Knöpfler,  Ein  Tagebuchfragment  über  das  Konst.  Konz.  HJb,  XI. 
=  Acta  et  actitata  in  Conc.  Const.  Fillastre,  Diarium  concilii  Constantiensis  1414 — 1418, 
ed.  Finke  in  Forschungen  u.  Quellen,  163 — 242  Andreas  v.  Regensb.,  Concil.  Const. 
ed.  Leidinger.  Jacob,  de  Cerretanis,  Regestum  omnium  gestorum  tarn  ante  .  .  .  quam  in 
ipso  gen.  concilio  Const.  1413—1417  Ausz.  aus  den  oftiz.  Konzilsakten  .  Finke,  For- 
Bchungen  u.  Quellen,  243—266.    <  >rigo  conc.  Constanc.  1414.    Alansi  XXVII,  532 — 534. 


Das  Konzil  von  Konstanz.  463 

Darstellungen:  Richenthal,  Chronik  des  Konst.  Konzils,  herausgeg.  von  ßuck. 
BlYStuttg.  CLVIII.  Vrie,  Historia  concilii  Constantiensis  libri  octo,  ed.  v.  d.  Hardt  I, 
p.  I,  2-221  (s.  Finke,  FQ.  38-51).  Gebhard  Dacher,  Hist.  Magnatum  in  Constanc. 
Concilio.  Mansi  XXVIII,  625—654.  (Aufzähl,  der  Teilnehmer  am  Konzil.)  Von  zeit- 
genöss.  Gesch.  s.  Gobelinus  Persona,  Cosmodromium,  wie  oben.  Theodericus  de  Nyem, 
Historia  de  vita  Johannis  XXIII.  pontificis  Romani,  ed.  '  v.  d.  Hardt  II,  389.  Von 
kirchenpolitischen  Schriften  mögen  nur  die  wichtigsten  genannt  sein ;  s.  zunächst  die 
anonymen  Schriften  über  die  Zustände  beim  Klerus  und  dessen  Reformbedürftigkeit 
bei  Walch,  Monimenta  medii  aevi.  Göttingen  1757—64.  vol.  I.  Fas.  II — IV.  Besonders 
aufgezählt  bei  Potthast  unter  dem  Schlagwort  Auctoris  anonymi  etc.  I,  124 — 25.  Andreas 
de  Randuf,  De  modis  uniendi  ac  reformandi  ecclesiam  in  concilio  generali  v.  d.  Hardt  I,  5, 
p.  68 — 142.  Lit.  bei  Potth.  I,  504,  wurde  von  Hardt  Gerson,  v.  Lenz  Nyem  (auch  von 
Finke,  Z.vat.G.  LV,  261)  zugeschrieben.  Für  Randuf  treten  Schwab  u.  Sägmüller  ein. 
Theodericus  de  Xyem,  De  difficultate  reformationis  ecclesiae  in  universali  concil.  ib.  I,  6, 
225—89.  v.  d.  Hardt  irrig  Ailli  zugeschrieben.  —  De  necessitate  reformationis  ecclesiae 
in  capite  et  membris  =  Monita  de  necessitate  ref.  ...  in  principio  concil.  Const. 
ib  I,  7,  277—309.  v.  d.  H.  hat  es  fälschlich  Ailli  zugeschrieben  Der  Schlufs  nach 
einer  röm.  Handschr.  in  Finke ,  Forsch,  etc.,  268—278.  Lit.  bei  Potthast.  Petrus 
de  Alliaco,  Capita  agendorum  sive  Tractatus  agendorum  in  concilio  generali  Const. 
(früher  Zabarella  zugeschrieben),  v.  d.  Hardt  I,  9,  506  ff.  Lit.  Potth.  II,  914  (s.  dazu 
Steinhausen,  Analect.  ad  hist.  Conc.  Const.  Berl.  1862).  Canones  reformationis  in  conc. 
Const.  in  Gerson  Opp.,  ed.  Dupin  II,  903.  Die  übrigen  Reformationsschriften  Aillis 
s.  bei  Tschackert,  wie  oben.  Gerson,  De  auct.  eccles.  concilii  iuris  papae  et  cardinalium. 
Ebenda  II,  926—960.  —  Tractatus  de  potestate  ecclesiastica  et  de  orig.  iuris  et  legum 
in  concil.  Const.  editus,  v.  d.  Hardt  VI,  78 — 137.  Die  übrigen  Werke  Gersons  s.  Pott- 
hast I,  504  ff.  Zabarella,  De  schismatibus  auctoritate  imperatoris  tollendis,  ed.  Schard, 
De  iurisd.  imp.  1566.  (Andere  Drucke  s.  Potth.  I,  1124.)  Traktat  u.  Gegentraktat  über 
die  päpstl.  u.  kaiserl.  Gewalt  bei  Finke,  Forschungen  z.  Gesch.  des  Konst.  Konzils  278 — 283. 
Tractatus  de  annatis,  ebenda  283 — 287.  Impugnatio  cathedrae  sedis  Rom.  ecclesiae  in 
conc.  Const.,  ebenda  288 — 297.  Nikolaus  de  Clemangis,  Selectae  epistolae  I,  2,  1 — 70. 
De  corrupto  ecclesiae  statu  ib.  I,  3,  1 — 52.  Entw.  im  Arch.  stör.  Ital.  Ser.  IV,  XIII. 
Bezüglich  der  sonstigen  zahlreichen  Reformationsschriften  mufs  auf  v.  d.  Hardt  ver- 
wiesen werden.  Concordata  Anglicanae  nationis  et  Martini  V  papae,  v.  d.  Hardt  I,  25  p. 
1079—1084.  Hübler  207—215.  Concordata  Germ,  nationis,  ib.  I,  24,  1055—1069.  Auch 
Ludew.  Reliq.  mss.  FX  und  Hübler  S.  164—193.  Das  rom.  Konkordat,  v.  d.  Hardt  IV,  1567  ff. 
Hübler  S.  194—206. 

Hilfsschriften:  Lenfant,  Hist.  du  Conc.  de  Const.  2  Bde.  Amst.  1714 — 27. 
Bourgeois  de  Chastenet,  wie  oben.  R o y k o ,  Gesch.  d.  allg.  Kirchenversamm- 
lung v.  Kostnitz.  Wien  u.  Prag  1782.  Wessenberg,  Die  grofsen  Kirchenversamm- 
lungen des  15.  u.  16.  Jahrh.  II,  1840.  Tosti,  Gesch.  des  Konziliums  von  Konstanz, 
aus  dem  Ital.  v.  Arnold.  Schaffhausen  1860.  H  e  f  e  1  e  ,  Konziliengeschichte.  VII.  Bd.  1867. 
Marmor,  Gesch.  d.  K.  v.  K.  1860.  F.  v.  Raumer,  Die  Kirchenvers,  von  Pisa, 
Kostnitz  u.  Basel.  HT.  NF.  XL  W  y  1  i  e ,  The  Council  of  Constance  to  the  Death  of 
John  Hus.  London  1900.  (Enthält  6  Vorlesungen :  Sigmund  —  Constance  —  The 
Council  —  Deposition  —  John  Hus-Trial  —  John  Hus-Death,  ohne  Neues  zu  bieten.) 
K  e  p  p  1  e  r ,  Die  Polit.  d.  Kard.-Koll.  in  Konstanz  von  Januar — März  1415.  Heiligenst.  1899. 
L.  Lenz,  Apologie  snemu  Kostnickeho  (Apologie  d.  K.  K.  in  bezug  auf  die  Ver- 
urteilung der  45  Artikel  Wiclifs).  Prag  1896.  S  t  u  h  r ,  Die  Organisation  und  Geschäfts- 
ordnung des  Pis.  u.  Konst.  Konz.  Berl.  Diss.  1891.  Siebeking,  Die  Organ,  u.  Gesch. 
d.  K.  K.  Leipz.  1872.  Müller,  Der  Kampf  um  die  Auktorität  auf  dem  Konst.  Konzil. 
Jber.  d.  Gewerbsch.  Berl.  1860.  Stein  hausen,  wie  oben.  Blumenthal,  Die  Vor- 
gesch.  d.  K.  K.  bis  zur  Berufung.  Halle  1897.  Hübler,  Die  Konst.  Reformation  und 
die  Konkordate  von  1418.  Leipz.  1867.  (Mit  reichhaltigem  Quellenregister.)  Chroust, 
Zu  den  K.  Konkord.  DZG.  I.  Finke,  Der  Strafsburger  Eklektenprozefs  vor  dem  K.  K. 
Strafsb.  Studien  VI.  Goeller,  K.  Sigmunds  Kirchenpolitik  vom  Tode  Bonifaz'  IX. 
bis  zur  Berufung  des  Konstanzer  Konzils.  Freib.  i.  B.  1902.  Zöfsmaier,  Herzog  Fried- 
richs Flucht  von  Konstanz  nach  Tirol.  Pr.  Innsbruck  1894.    Finke,  Gregor  XII.  und 


464  Verdienste  Sigmunds  um  das  Zustandekommen  des  Konzils. 

König  Sigmund.  RQSchr.  I.  Feret,  wie  oben.  Schmitz,  Die  franz.  Politik  u.  die 
Unionsverhandlungen  d.  K.  v.  K.  Düren  1879.  Lenz,  K.  Sigmund  u.  Heinrich  V.  von 
England.  Berlin  1879.  Lenz,  Drei  Traktate  aus  dem  Handschriftenzvklus  d.  K.  K. 
Marb.  1S7G.  J.  Caro,  Das  Bündnis  v.  Canterbury.  Gotha  1861.  G i e r t h ,  Vermittlungs- 
versuche Sigmunds  zw.  Frankr.  u.  Engl.  1410.  Halle  1896.  Befs,  Das  Bündnis  von 
Canterbury.  MJÖG.  XXII:  Fromme,  Die  span.  Xation  u.  das  K.  Konzil.  Münster  1894, 
und  erweitert  1896.  Bern  h  a  r  d  t ,  Der  Einflufs  des  Karchnalkollegs  auf  die  Verhand- 
lungen d.  K.  K.  1880.  Befs,  Zur  Gesch.  d.  K.  K.  Marb.  1891.  Befs,  Johann  Falken- 
berg u.  der  preufsisch-polnische  Streit  vor  dem  Konstanzer  K.  ZKG.  XVI.  Trutt- 
mann,  Das  Konklave  zu  Konst.  Strafsb.  1899.  Teigmann,  Das  Konklave  in 
Konstanz  1417.  Strafsb.  1900.  Fromme,  Die  Wahl  Martins  V.  RQSchr.  1896.  — 
Der  erste  Prioritätsstreit.  RQSchChA.  X.  Heydenreich,  Das  K.  K.,  Beil. 
Allg.  Z.  1896.  Höfler,  Der  Streit  der  Polen  u.  Deutschen  vor  dem  K.  K.  1879. 
Simonsfeld,  Analekten  zur  Papst-  u.  Konziliengesch.  Abh.  bayr.  Akad.  III.  Kl.  XX. 
Funck,  Martin  V.  u.  d.  K.  v.  Konst.  Kirchengesch.  Abh.  I.  Befs,  Die  Annatendebatte. 
ZKG.  XXII.    Aschbach,  Gesch.  K.  Sigmunds,  wie  oben.    S.  auch  §  106  u.  112. 

1.  Hatten  hervorragende  Gelehrte  wie  Zabarella  schon  vor  dem 
Pisaner  Konzil  dem  Kaisertum  die  Aufgabe  vindiziert,  in  kirchlichen 
Dingen  Ordnung  zu  scharfen,  so  erwarteten  bald  alle  abendländischen 
Zeitgenossen  von  ihm  allein  Hilfe  gegen  die  allgemeine  Not.  Und  dies 
um  so  mehr,  als  die  Staaten  des  Südens  und  Westens  von  schweren 
Kämpfen  und  Parteiungen  heimgesucht  waren.  Wenn  es  daran  auch 
in  den  Reichen  Sigmunds  nicht  fehlte,  wandte  er  sich  doch  voll  Eifer 
dieser  wichtigen  Aufgabe  zu  und  suchte  Fürsten,  Kommunen  und  gelehrte 
Korporationen  hiefür  zu  begeistern. 1)  Der  von  Johann  XXIII.  für  die 
Fortsetzung  des  römischen  Konzils  in  Aussicht  genommene  Termin 
konnte  nicht  eingehalten  werden;  am  8.  Juni  1413  wurde  nämlich  Rom 
von  König  Ladislaus,  der  unter  nichtigen  Vorwänden  seine  Verträge 
gebrochen  hatte,  erobert  und  der  Papst  zur  Flucht  genötigt.  Sigmund 
war  der  einzige  Herrscher,  der  Rom  für  den  Papst  zurückgewinnen 
konnte,  um  so  gefügiger  mufste  sich  dieser  den  Absichten  des  Königs 
erweisen.  Wünschte  der  Papst  als  Ort  des  Konzils  Bologna  oder  Rom, 
so  trat  Sigmund  für  einen  Ort  ein,  der  dem  Einflufs  jedes  der  drei 
Päpste  so  weit  als  möglich  entrückt  war. 2)  Als  Sigmund  im  Oktober  1413 
in  Oberitalien  erschien,  um  Filippo  Maria  Visconti  zu  unterwerfen, 
wurden  auch  die  Konzilspläne  kräftig  gefördert  und  bei  seiner  Zu- 
sammenkunft mit  dem  Papste  in  Lodi  festgesetzt,  dafs  das  Konzil  zu 
Allerheiligen  1414  in  Konstanz  zusammentreten  solle. B)  Wohl  gab  es 
noch  eine  Zeit,  in  der  die  Konzilspläne  Sigmunds  zu  scheitern  schienen, 
als  der  Papst  nach  Ladislaus'  Tode  (1414,  6.  August)  die  Wieder- 
gewinnung des  Kirchenstaates  in  Angriff  zu  nehmen  beabsichtigte;  um  so 
eifriger  setzten   sich  die  Kardinäle  dafür  ein,    und   einige  von  ihnen  be- 


*)  Seine  Verdienste  bei  Ludolf  v.  Sagan,  Kap.  51.  Andere  Belege  bei  Schwab,  S.  497. 

■    Finke,  Acta  I,  171. 

3)  Näheres  hierüber  in  der  Copia  instnonenti  super  concilio  celebrando  bei  Palacky, 
Documenta  S.  5(57  :  Ipse  rex  nominavit  eisdem  pro  loco  concilii  civitatem  C  onst  an- 
tiensem  ...  locum  idoneum,  tutum  et  con  v  en  i  entern  omnibus  nacionibus  ad 
concilium  venturis.  Auch  Zabarella  wurde  das  Verdienst  zuerkannt,  auf  Konstanz 
hingewiesen  zu  haben,    v.  d.  Hardt  J,  IX,  540:  Fuit  imprimis  auctor  huius  loci  statuendi. 


Programmentwürfe  und  Reform  vorschlüge.  465 

schäftigten  sich  schon  jetzt  mit  der  Zusammenstellung  von  Programm- 
entwürfen und  Reform  vorschlagen,  womit  sich  auch  weitere  Kreise  eifrig 
bemühten. 

Aillis  Programm  —  er  hat  es  in  der  Schrift  »von  der  kirchlichen  Gewalt«,  die 
am  1.  Oktober  1416  in  der  Paulslärche  zu  Konstanz  öffentlich  verlesen  wurde,  nieder- 
gelegt —  war   ein    durchaus   gemäfsigtes.     An    der   bestehenden  Hierarchie    soll   nicht 
gerüttelt,    die  Kirche    nicht   auf   den  Stand   der    apostolischen  Zeit   zurückgeführt,  das 
Papsttum    dagegen    mit   einer  Reihe    von  Schranken    umgeben   werden.     Für  die  Ver- 
waltung  der   kirchlichen   Einkünfte    und   zur   Verhütung   von  Mifsbräuchen   wird   ein 
aus   allen  Kirchenprovinzen   gewählter  Ausschufs    dem  Papst  als  Regierungskollegium 
zur  Seite    stehen. x)     Trotz    seines   konservativen  Standpunktes   verlangt  Ailli,  dafs  der 
Papst,   wiewohl  Träger   der  Kirchengewalt,    doch  dem  allgemeinen  Konzil  unterworfen 
sei.     Unfehlbarkeit,    so   lehrt   er  in  seiner  Schrift   »vom  allgemeinen  Konzil«,  hat  nur 
die  allgemeine  Kirche  und,  wie  man  glauben  darf,  auch  das  allgemeine  Konzil,  wenn 
es    sich   auf   die   hl.  Schrift  stützt.     Die  wichtigsten  Reformideen  Aillis  finden  sich  in 
seinen  Tractatus  agendorum  und  Canones  reformationis.    Um  die  Kirchenverbesserung  an 
Haupt  und  Gliedern  durchführen  zu  können,  sollen  alle  zehn  Jahre  General-  und  von 
drei   zu    drei  Jahren  Provinzialkonzilien  gehalten  werden.     Jene  beschlief sen  über  die 
allgemeinen  Reformen  in  der  Kirche,  die  Vereinigung  der  morgen-  und  abendländischen 
Kirche    und   den  Kampf   wider  den  Islam.     Er  empfiehlt  die  Abschaffung  einer  Reihe 
von  Mifsbräuchen,  Erleichterung  in  den  kirchlichen  Abgaben,  Verminderung  der  Zahl 
der  Kardinäle  und  Einschränkung  der  Exkommunikation.     Eine  durchgreifende  Reform 
ist    dem   Prälatenstand    und    dem   Mönchtum    zugedacht.      Gersons   Programm   findet 
sich   in    seiner    Schrift     >  Von   der   Kirchengewalt   und   dem    Ursprung    des   Rechtes.*2) 
Die    englische  Opposition   leugnete  wie  einst  schon  Marsiglio  die  göttliche  Einsetzung 
des  Primats    und   führt   ihn    auf   kaiserlichen  Ursprung    zurück.     Von    solchem  Stand- 
punkt sind  Ailli  und  Gerson  weit  entfernt.     Gerson  bezeichnet  die  Leugnung  der  Not- 
wendigkeit und  des  göttlichen  Rechtes  des  Primats  geradezu  als  Häresie.     Gegenüber 
der  Lehre  der  meisten  französischen  Theologen,  nach  welcher  die  Kirche  die  Gemein- 
schaft  von  Gleichberechtigten  ist,    welche   die  Befugnis  besitzt,  sich  die  ihren  Bedürf- 
nissen entsprechende  Verfassung  zu  geben,  wonach  diese  also  eine  repräsentative  ist, 
lehrt  Gerson :   »Die  kirchliche  Gewalt,  übernatürlichen  Ursprungs  und  unveränderlich, 
hat   ihren    Schwer-    und   Schlufspunkt    im   Primat,    der    unmittelbar   von    Christus   im 
Interesse  der  kirchlichen  Einheit  geschaffen  ist«.    Wiewohl  diese  Lehre  mit  der  obigen 
unverträglich   ist,    hat   man    sie    doch   miteinander   in    Einklang    zu    bringen  versucht. 
Gerson    scheidet   nämlich  zwischen  »Gewalt  an  sich«   und   »Gewalt  in  ihren  Trägern«. 
Während  jene,  als  von  Gott  herrührend,  unwandelbar  ist,  ist  es  diese  nicht.    Den  Primat 
hat  Gott  geschaffen,    der  Papst  ist  durch  die  Kirche  gesetzt.    Der  Primat  ist  von  dieser 
unzertrennbar,  vom  Papst  kann  sich  die  Kirche  scheiden,  so  oft  es  in  ihrem  Interesse 
liegt.     Die  Gewalt   des  Primats   kann    als    die    höchste  von  niemanden,    auch  von  der 
Kirche  nicht,  gerichtet  werden,  die  des  Papstes  unterliegt  dem  Richterstuhl  der  Kirche, 
die    sie    auf  dem  allgemeinen  Konzil  einschränken,  suspendieren  oder  an  sich  ziehen 
kann.     Primat  und  Papst  verhalten  sich  wie  Göttliches  und  Menschliches  zueinander. 
Die    Fülle    der   kirchlichen    Gewalt   ruht   demnach    in    der    Kirche,    wird   aber  zufolge 
göttlicher  Anordnung   vom  Papste    geübt ;    doch   hat   sie   vermöge  ihrer  Unfehlbarkeit 
stets  die  Regulierung  dieser  Gewalt  mifsbräuchlicher  Übung  gegenüber  in  den  Händen. 
So   ist   der  Papst   zwar  der  Höchste  in  der  Kirche,  steht  aber  ebensowenig  über  der 
Kirche   wie    der   Teil    über   dem    Ganzen.      Diese  Ansichten   hat  Gerson   in  Konstanz 
eifrig  vertreten  und  darum  die  entgegengesetzten  Lehren  des  Wiclifisinus  schonungslos 
verurteilt,   trotzdem   selbst   einzelne  Mitglieder  des  Konzils    die  Behauptung,    dafs   der 
Papst  zum  Kirchenregiment  notwendig  sei,  als  eine  irrige  angriffen.    Da  eine  Stellung, 
wie    sie    Gerson    dem  Papste   zuweist,   weder   mit   dem  Begriff   des  Primats    noch   mit 


x)  Ein  solches  Verlangen  hatte  schon  Johannes  von  Paris  gestellt.    S.  oben. 
2)  Das   Folgende    zum  Teil   nach   Schwab,    722  ff.     Eine    ausgezeichnete  Analyse 
findet  sich  auch  bei  Hübler,  385—388. 

Loserth,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  30 


466  Beginn  des  Konzils.     Haltung  Johanns  XXIII. 

dem  der  kirchlichen  Gewalt  als  einer  unmittelbar  von  Christus  gegebenen  im  Einklang 
steht,  konnte  es  an  Gegnern  seiner  Auffassung  nicht  fehlen,  welche  wie  Turrecremata 
die  schwachen  Seiten  solcher  Theorien  angriffen ;  ebenso  konnten  die  Päpste  fortan 
auf  der  göttlichen  Grundlage  ihres  Rechtes  fassend  ihre  Anspräche  bis  zu  Mifsbräuchen 
steigern  und  jeden  Angriff  auf  diese  als  einen  Angriff  auf  das  göttliche  Recht  des 
Primats  verdächtigen.  Diese  Grundlehren  Gereons  halfen  dem  Papsttum,  den  früheren 
Einflufs  auf  die  Gestaltung  des  kirchlichen  Lebens  zurückzugewinnen. 

Anders  Randuf.  Seine  Schrift  -»Von  der  Art,  die  Kirche  zu  einigen  und  zu 
reformieren,*  zeigt  eine  Ähnlichkeit  mit  den  Lehren  der  englischen  Opposition,  ja  geht 
in  einzelnem  über  alles  hinaus,  was  von  dieser  gelehrt  wurde.  Auch  hier  ist  zwischen 
der  allgemeinen  Kirche,  deren  Haupt  Christus,  und  der  partikularen  geschieden,  als 
deren  Haupt  man  den  Papst  anzusehen  pflegt.  Die  Gewalt  der  römischen  Kirche  ist 
eine  beschränkte  und  ihr  von  der  allgemeinen  Kirche,  die  alle  Christen  umfafst,  ge- 
geben. Nur  diese  allein  hat  das  Recht  zu  binden  und  zu  Lösen,  sie  wird  durch  das 
allgemeine  Konzil  repräsentiert,  das  unbedingt  über  dem  Papste  steht  und  die  Befugnis 
hat,  dessen  Gewalten  einzuschränken,  aufzuheben  und  ihn  abzusetzen.  Von  diesem 
Konzil  gibt  es  keine  Appellation.  Seine  Beschlüsse  sind  den  Evangelien 'gleichzuhalten, 
wie  von  diesen  gibt  es  auch  von  den  Beschlüssen  des  Konzils  keine  Dispens.  Zur 
Aufrechthaltung  der  Gewalten  der  allgemeinen  Kirche  sind  alle  Mittel  erlaubt  Der 
Zweck  der  Einheit  heiligt  jedes  Mittel,  denn  alle  Ordnung  ist  um  der  Gesamtheit 
willen  da,  und  der  einzelne  mufs  der  Allgemeinheit  weichen.  —  Mit  einem  Programm 
war  auch  der  jetzige  Wortführer  des  Wiclifismus  —  Johannes  Hufs  —  in  Konstanz 
erschienen,  aber  nicht  dazu  gekommen,  die  Lehren  seines  englischen  Meisters  daselbst 
zu  verkünden. 

2.  Mit  schweren  Sorgen  trat  Johann  XXIII.  am  1.  Oktober  1414 
die  Reise  nach  Konstanz  an.  Schon,  dafs  auch  seine  Gegner  geladen 
waren,  wies  darauf  hin.  dafs  ein  Richterspruch  des  Konzils  bestimmt 
sei,  das  Schisma  zu  enden.  Daher  sah  er  sich  nach  stärkerem  Schutze 
um,  als  ihm  der  Geleitsbrief  Sigmunds  geben  konnte :  er  schlofs  mit 
Friedrich  von  Österreich  einen  Vertrag,  der  diesen  zum  Schutze  des 
Papstes  verpflichtete,  und  gewann  den  Markgrafen  von  Baden  durch 
reiche  Geschenke.  Am  28.  Oktober  hielt  er  seinen  Einzug  in  Konstanz. 
Am  5.  Xovember  fand  die  Eröffnung,  am  16.  die  erste  Sitzung  des 
Konzils  statt.  So  grofsartig  sich  die  Versammlung  im  folgenden  Jahre 
gestaltete,  im  Anfange  war  sie  spärlich  besucht.  Von  den  Versammelten 
scheuten  sich  die  einen,  die  Unionsfrage  in  Angriff  zu  nehmen,  die 
andern  wünschten  sie  erst  nach  der  Ankunft  der  Franzosen  und  Eng- 
länder zu  erledigen.  Daher  wurde  anfangs  nur  über  vorbereitende 
Dinge  verhandelt.  Schon  jetzt  platzten  die  Gegensätze  aufeinander. 
Am  17.  Xovember  war  Ailli  eingetroffen;  am  folgenden  Tage  beantragten 
die  vom  Papst  Johann  abhängigen  Italiener  in  einer  Sondersitzung,  über 
die  Anerkennung  des  Pisaner  Konzils  und  die  Ausführung  der  dort  ge- 
fafsten  Beschlüsse  zu  beraten.  Dagegen  erhob  Ailli  Einsprache :  >  Zuerst 
müfsten  die  Boten  Gregors  XII.  und  Benedikts  XIII.  gehört  werden, 
sonst  sei  es  nicht  möglich,  mit  ihnen  zu  verhandeln  und  die  Union  auf 
friedlichem  Wege  zu  erreichen.  :  Johann  XXIII.  gab  sich  hierauf  der 
Hoffnung  hin.  die  Tätigkeit  des  Konzils  auf  die  Behandlung  der  Glaubens- 
angelegenheit ablenken  zu  können.  Es  wurde  denn  auch  mit  der  Er- 
örterung der  wielif-hussitischen  Frage  begonnen  (s.  unten).  Trotzdem  ging 
die  Mehrheit  des  Konzils  ihren  eigenen  Weg.  Am  19.  Xovember  erschienen 
Gesandte    Gregors    XII.     unter    der    Führung    des    Kardinals    Dominici 


Gleichuiäfsige  Behandlung  der  Päpste.     Geschäftsordnung  des  Konzils.        467 

und  erhielten  im  Augustinerkonvent  eine  Wohnung  angewiesen.  Als 
sie  dort  das  päpstliche  Wappen  Gregors  XII.  angebracht  hatten,  wurde 
es  in  der  Nacht,  wahrscheinlich  auf  Befehl  Johanns  XXIII. ,  wieder  ent- 
fernt. Eine  Versammlung  von  Kardinälen  und  Prälaten  entschied  am 
nächsten  Tage,  dafs  man  dies  Wappen  nur  dulden  könne,  wenn  Gregor  XII. 
selbst  anwesend  sei,  ein  Zugeständnis  an  diesen,  das  mit  den  Beschlüssen 
von  Pisa  nicht  im  Einklang  stand ;  als  die  Italiener  beantragten, 
Johann  XXIII.  Vollmacht  zu  geben,  in  Gemäfsheit  der  Bestimmungen 
von  Pisa  wider  seine  beiden  Gegner  vorzugehen,  falls  er  es  nicht  für 
besser  erachte,  sich  mit  ihnen  in  Frieden  zu  einigen,  erklärte  Ailli,  dafs 
die  Beschlüsse  von  Pisa  nicht  binden  könnten,  und  empfahl,  mit 
Gregor  XII.  und  Benedikt  XIII.  in  Unterhandlungen  einzutreten. 
Darüber  verzögerte  sich  die  Abhaltung  der  zweiten  Sitzung  bis  zum 
2.  März  1415.  Inzwischen  war  Sigmund  am  24.  Dezember  eingetroffen. 
Von  Ailli  unterstützt,  setzte  er  es  durch,  dafs  die  Gesandten  Gregors 
und  Benedikts  als  päpstliche  Legaten  empfangen  werden  sollten.  Die 
Boten  Benedikts  erklärten  seine  Bereitwilligkeit,  mit  Sigmund  in  Nizza 
zusammenzutreffen.  Einige  Tage  später  boten  die  Gesandten  Gregors 
dessen  Resignation  an,  falls  auch  die  beiden  andern  Päpste  zurück- 
treten würden.  Allseitig  war  der  Wunsch  vorhanden,  die  Union  zum 
Abschlufs  zu  bringen.  Es  war  Wilhelm  Fillastre,  Kardinal  von  San 
Marco,  der  den  Gedanken  aussprach,  dafs  alle  drei  Päpste J  gleich  be- 
handelt werden  sollten.  Danach  sollte  auch  Johann  XXIII.  abdanken, 
dazu  sei  er  verpflichtet,  wenn  er  wirklich  der  gute  Hirte  sein  wolle. 
Das  Wort  rifs  die  meisten  mit.  Noch  hoffte  Johann  XXIII.  die  Mehr- 
heit zu  erlangen,  falls  nach  Köpfen  abgestimmt  würde,  denn  die  Italiener 
waren  am  stärksten  vertreten,  viele  arme  Bischöfe  von  ihm  abhängig 
und  noch  in  der  letzten  Zeit  nicht  weniger  als  50  Kurialisten  zu  Haus- 
prälaten ernannt  worden.  Um  ihm  diese  Mehrheit  zu  entziehen,  wurde 
beschlossen,  nicht  nach  Köpfen,  sondern  nach  Nationen  abzustimmen. 
Die  Prälaten  wurden  sonach  in  vier  Nationen,  die  italienische, 
französische,  englische  und  deutsche  geteilt.  Zu  der  letzten  gehörten 
auch  die  Böhmen,  Ungarn,  Polen,  Schotten,  Dänen  und  Skandinavier. 
Jede  Nation  wählte  aus  ihrer  Mitte  eine  Anzahl  Deputierter,  die  unter 
einem  allmonatlich  wechselnden  Präsidium  standen.  Diese  vier  Depu- 
tationen berieten  gesondert  und  setzten  sich  sodann  mit  den  andern  in 
Verbindung.  Waren  sie  in  einer  Sache  einig,  so  wurde  sie  vor  die 
Vollversammlung  gebracht,  in  der  jeder  der  vier  Nationen  eine  Stimme 
eingeräumt  war.  Aufserdem  wurde  aber  schliefslich  noch  den  Kardi- 
nälen eine  fünfte  Stimme  zugewiesen.  Der  in  der  Vollversammlung 
gefafste  Beschlufs  wurde  sodann  in  der  feierlichen  Sitzung  als  Konzils- 
beschlufs  verkündigt.  Erst  jetzt  nahmen  die  Verhandlungen  einen 
rascheren  Gang  und  wurden  die  Hauptaufgaben  des  Konzils  ihrer  Er- 
ledigung zugeführt.  Solche  waren  die  Herstellung  der  kirchlichen  Union 
(causa  unionis),  die  Sicherung  des  katholischen  Glaubens  gegen  Irrlehren 
(causa  fidel)  und  die  Durchführung  der  allgemeinen  Reformation  an 
Haupt  und  Gliedern  (causa  reformationis) . 

30* 


468  Die  Flucht  Johanns  XXIH. 

§  108.    Die  Beilegung  des  Schismas. 

1.  Wäre  Johann  XXIII.  eine  unbemakelte  Persönlichkeit  gewesen 
und  dem  Verlangen  nach  einer  durchgreifenden  Reformation  der  Kirche 
entgegengekommen,  so  hätte  er  seine  beiden  Gegner  leicht  besiegen  und 
entscheidenden  Einflufs  auf  die  Verhandlungen  gewinnen  können.  Aber 
schon  zu  Anfang  1415  wurden  heftige  Klagen  über  seine  Lebensführung 
laut.  Bald  kam  es  hierüber  zu  lebhaften  Anschuldigungen,  deren 
öffentliche  Erörterung  dem  Papste  peinlich,  dem  Ansehen  des  Papsttums 
und  der  Kirche  abträglich  sein  mufste.  Man  benützte  diese  Lage,  ihn 
zur  Abdankung  zu  bewegen.  Und  in  der  Tat  gab  er  in  der  zweiten 
öffentlichen  Sitzung  das  eidliche  Versprechen  ab,  abzudanken,  falls 
seine  Gegner  dasselbe  täten.  Es  handelte  sich  nur  noch  darum, 
Benedikt  XIII.  für  die  Zession  zu  gewinnen.  Sigmund  selbst  erklärte 
sich  bereit,  mit  Ferdinand  von  Aragonien  über  Benedikts  Abdankung 
zu  verhandeln.  Johann  XXIII.  bereute  aber  bald  seine  Nachgiebigkeit. 
Er  rechnete  darauf,  jene  Mitglieder  des  Konzils  auf  seine  Seite  zu 
ziehen,  die  von  allzu  schroffen  Mafsregeln  gegen  ihn  nichts  wissen 
wollten;  daher  weigerte  er  sich,  Sigmund  Vollmacht  für  die  Verhand- 
lungen mit  Benedikt  zu  geben,  in  seinem  Namen  die  Abdankung  aus- 
zusprechen, erklärte  sich  dagegen  bereit,  mit  Benedikt  in  Nizza  selbst 
zu  verhandeln.  Schon  fürchtete  man,  er  werde  seine  Reise  benützen, 
um  das  Konzil  zu  sprengen.  Bald  waren  denn  auch  Gerüchte  über 
seine  Flucht  in  Umlauf.  Trotz  sorgsamer  Bewachung  der  Stadttore 
gelang  es  ihm  mit  Unterstützung  Herzog  Friedrichs  von  Tirol,  während 
eines  Turniers  in  der  Kleidung  eines  Stallknechts  in  die  österreichische 
Stadt  Schaff  hausen  zu  entkommen  (20.  März).  Von  hier  schickte  er  Briefe 
an  Sigmund  und  die  Kardinäle  und  gab  seine  Absicht  kund,  von  seinem 
Zessionsversprechen  nicht  zurückzutreten.  Die  Flucht  des  Papstes 
erzeugte  in  Konstanz  allgemeine  Aufregung.  Viele  folgten  ihm.  Der 
Papst  selbst  rief  seine  Kurialen  zu  sich  und  erhob  Beschwerde  wider 
jene  Partei,  die  alle  Macht  an  sich  gerissen,  durch  gewaltsame  Mafs- 
regeln den  Abschlufs  des  Friedens  bedroht  und  ihm  kein  anderes  Mittel 
als  die  Flucht  übrig  gelassen  habe.  Aber  seine  Hoffnung,  die  Auflösung 
des  Konzils  zu  erreichen,  täuschte  ihn.  Mitglieder  der  französischen, 
englischen  und  deutschen  Nation  wirkten  mit  Sigmund  einträchtig  zu- 
sammen, und  Gerson,  jetzt  schon  die  Seele  des  Konzils  genannt,  trat 
in  einer  feurigen  Rede  für  dessen  Erhaltung  ein  (23.  März).  Vielen 
Mitgliedern  erschienen  seine  scharfen,  gegen  das  Papsttum  gerichteten 
Sätze  anstöfsig.  Noch  entflohen  einzelne  Kardinäle  und  Kurialen  nach 
Schaffhausen,  die  übrigen  beschlossen  dagegen  (dritte  Sitzung)1),  dafs 
niemand  das  Konzilium  auflösen,  verlegen  oder  verlassen  dürfe,  ehe 
nicht  die  Kirchenspaltung  beseitigt  und  die  Kirchenverbesserung  zustande 
gebracht  sei. 2)  Friedrich  von  Tirol  wurde  von  Sigmund  zur  Verant- 
wortung vorgeladen  und,  da  er  nicht  erschien,  in  die  Reichsacht  erklärt 


1    Der  von  den  Kardinälen  aufser  Ailli  nur  Zabarella  beiwohnte. 

8    Quousque  ecclesia  sit  reformata  in  fiele  et  morlbns,  in  eapite  et  membHs. 


Die  Superiorität  der  Konzilien.     Der  Prozefs  gegen  Johann  XXIII.  469 

(30.  März).  Nun  entwich  der  Papst  nach  Laufenburg ;  seine  Lage  ver- 
schlechterte sich  mit  jedem  Tage;  war  es  bisher  noch  den  Kardinälen 
gelungen,  die  Verkündigung  von  Beschlüssen  zu  verhindern,  die  der 
päpstlichen  Autorität  abträglich  waren,  so  wurden  nunmehr  (fünfte 
Sitzung,  6.  April)  vier  Dekrete  verlesen,  von  denen  die  beiden  ersten 
die  Superiorität  des  Konzils  über  den  Papst  aussprachen,  die 
beiden  andern  ihre  Spitze  gegen  Johann  XXIII.  richteten :  das  Konzil 
repräsentiere  die  ganze  streitende  Kirche;  seine  Gewalt  rühre  unmittelbar 
von  Christus  her,  und  ein  jeder  sei  ihm  in  Sachen  des  Glaubens,  der 
Beilegung  des  Schismas  und  der  Reformation  der  Kirche  unterworfen. 
Johann  dürfe  die  Kurialen  vom  Sitz  des  Konzils  nur  mit  dessen  Zu- 
stimmung abberufen,  die  von  ihm  seit  seiner  Entfernung  verfügten 
Strafen  seien  kraftlos. 

2.  Der  Papst  war  nunmehr  auch  von  den  letzten  Kardinälen, 
die  noch  bei  ihm  geweilt  hatten,  verlassen,  sein  Sturz  nur  noch  eine 
Frage  der  Zeit.  Von  seinen  Anhängern  entwichen  die  einen  in  ihre 
Heimat,  die  andern  begaben  sich  zum  Konzil  zurück.  Mittlerweile 
begann  Sigmund  den  Kampf  gegen  Herzog  Friedrich.  Von  allen  Seiten 
erhielt  dieser  Fehdebriefe.  Am  rührigsten  waren  die  Eidgenossen,  und 
die  vorderösterreichischen  Gebiete  fielen  grösstenteils  in  ihre  Hände. 
Johann  XXIII.  hatte  sich  nach  Freiburg  und  von  dort,  um  dem  be- 
freundeten Burgund  näher  zu  sein,  nach  Breisach  geflüchtet.  Die  Wider- 
standskraft Friedrichs  war  bald  gebrochen.  Schon  am  7.  Mai  unterwarf 
er  sich,  gelobte,  den  Papst  in  acht  Tagen  in  des  Königs  Gewalt  nach 
Konstanz  einzuliefern,  und  bis  dies  geschehen,  selbst  als  Geisel  daselbst 
zu  bleiben.1)  In  allen  Ländern  Friedrichs  sollte  dem  König  gehuldigt 
werden.  Nicht  alle  taten  es ;  vornehmlich  konnte  Tirol  nicht  zur  Unter- 
werfung unter  den  König  gebracht  werden.  Daher  blieb  Friedrich  in 
Haft.  Mittlerweile  unterhandelten  Gesandte  des  Konzils  mit  dem  Papst 
über  die  Abdankung.  Ohne  eine  endgültige  Antwort  zu  geben,  ging 
er  nach  Neuenburg,  in  der  Absicht,  über  Burgund  nach  Avignon 
zu  fliehen.  Daran  gehindert,  kehrte  er  nach  Freiburg  zurück  und 
erklärte  sich  jetzt  zur  Zession  selbst  für  den  Fall  bereit,  clafs  die  beiden 
andern  Päpste  nicht  zurücktreten  würden.  Aber  schon  hatte  beim 
Konzil  eine  Stimmung  gegen  ihn  die  Überhand  gewonnen,  die  auf  seine 
Verurteilung  und  Absetzung  abzielte.  In  dem  wider  ihn  (2.  Mai) 
eröffneten  Prozefs  wurde  er  der  Häresie,  Förderung  des  Schismas,  der 
Simonie  und  anderer  Verbrechen  beschuldigt.  Nun  wurde  auch  den 
Kardinälen  das  Stimmrecht  entzogen  und  gefordert,  dafs  sie  sich  hin- 
fort ihren  Nationen  anzuschliefsen  hätten,  der  Papst  hierauf  sus- 
pendiert und  die  ungeheuerlichsten  Anklagen  gegen  ihn  vorgebracht : 
dafs  er  ein  unreines,  unverbesserliches  Leben  führe,  seinen  Vorgänger 
vergiftet,  ketzerischen  Lehren  gehuldigt  habe  usw.  Das  wenigste  von 
diesen  Anklagen 2)  war  gerechtfertigt ;  es  ist  ist  aber  immerhin  bemerkens- 


*)  S.  Zöfsmaier,  S.  10. 

2)  Die  72  Anklagepunkte  bei  Hefele  VIT,  125. 


470  Absetzung  Johanns  XXIII.,  Abdankung  Gregors  XII. 

wert,  dafs  man  den  Papst  solcher  Verbrechen  beschuldigen  durfte.  Er 
hatte  allen  Mut  verloren.  Man  hatte  ihn  nach  Radolfszell  geführt  und 
in  einen  festen  Turm  gelegt.  Jetzt  erklärte  er,  sich  allen  Beschlüssen 
zu  fügen,  man  möge  nur  seine  Ehre,  seinen  Stand  und  seine  Person  im 
Auge  behalten.  In  der  zwölften  Sitzung  (29.  Mai)  wurde  seine  Ab- 
setzung ausgesprochen  und  die  Christen  des  Gehorsams  gegen  ihn  ent- 
bunden, jede  Neuwahl  ohne  des  Konzils  Genehmigung  untersagt  und 
verboten,  einen  der  drei  Päpste  aufs  neue  zu  wählen.  Mit  dem  Wunsche, 
er  möchte  niemals  Papst  geworden  sein,  nahm  er  den  Ausspruch  ent- 
gegen und  empfahl  sich  der  Gnade  des  Konzils.  Er  wurde  in  der 
Burg  Rheinhausen  (später  Eichelsheim  genannt)  bei  Mannheim  gefangen 
gehalten.  Erst  nach  drei  Jahren  erhielt  er  auf  Verwendung  Martins  V. 
die  Freiheit  und  trat  dann  als  erster  Kardinal  wieder  in  die  Reihe  der 
Kirchenfürsten  ein.  Das  Urteil  wider  ihn  ward  in  den  Ländern  seiner 
Obedienz  verkündet  und  zumeist  anerkannt. 

3.  Nun  legte  auch  Gregor  XII.,  nachdem  er  das  Konzil  auch  in 
seinem  Namen  berufen,  durch  seinen  Bevollmächtigten  Karl  Malatesta 
seine  Würde  nieder  (4.  Juli),  wurde  zum  Kardinalbischof  von  Porto  und 
lebenslänglichen  Legaten  von  Ancona  ernannt.  Auch  seine  Obedienz 
löste  sich  auf.  Zur  völligen  Herstellung  der  Union  fehlte  nur  noch  der 
Verzicht  Benedikts  XIII.  Trotzdem  er  aufgefordert  worden  war,  seiner 
Würde  zu  entsagen,  um  nicht  als  Schismatiker  und  Häretiker  behandelt 
zu  werden,  wurden  Verhandlungen  mit  ihm  angeknüpft.  Die  Flucht 
Johanns  hatte  Sigmund  gehindert,  nach  Nizza  zu  gehen.  Dann  wurde 
Perpignan  als  Ort  der  Zusammenkunft  ausersehen.  Auch  diese  kam 
nicht  zustande.  Sigmund  trat  nun,  von  den  Segenswünschen  des 
Konzils  begleitet,  am  18.  Juli  die  Reise  an,  um  mit  Benedikt  persönlich 
zu  verhandeln.  Die  Verhandlungen,  die  in  Narbonne,  dann  in  Per- 
pignan gepflogen  wurden,  führten  aber  zu  keinem  Ziele.  Benedikt  be- 
gehrte Verwerfung  des  Pisaner,  Auflösung  des  Konstanzer  und  Berufung 
eines  neuen  Konzils,  seine  Anerkennung  als  Papst  und  nach  seiner 
Zession  eine  hervorragende  Stellung.  Sigmund  konnte  darauf  nicht 
eingehen  und  kehrte  nach  Narbonne  zurück.  Nachdem  auch  die  Ver- 
suche der  spanischen  Fürsten,  Benedikt  zum  Rücktritt  zu  bewegen,  ge- 
scheitert waren,  schlofs  Sigmund  einen  Vertrag  mit  den  Gesandten 
Frankreichs,  Aragoniens,  Kastiliens,  Navarras  und  Schottlands,  wonach 
das  Konzil  die  Obedienz  Benedikts  XIII.  einlud,  in  Konstanz  zu  er- 
scheinen. Nun  entzogen  die  Staaten,  die  zu  seiner  Obedienz  gehört 
hatten,  ihm  den  Gehorsam.  Sigmund,  bemüht,  auch  sonst  die  Auf- 
gaben des  Konzils  zu  fördern,  die  durch  den  Kampf  zwischen  England 
und  Frankreich  (s.  unten)  gefährdet  waren,  nahm  auf  Wunsch  Frank- 
reichs die  Friedensvermittlung  zwischen  beiden  in  die  Hand  und  begab 
sich  nach  Paris  und  London,  ohne  freilich  seine  Absicht  zu  erreichen. 
Erst  Ende  Januar  1417  kehrte  er  nach  Konstanz  zurück.  Dort  hatten 
sich  mittlerweile  am  15.  September  1416  die  Aragonier  eingefunden. 
Als  die  letzten  erschienen  —  im  Frühling  1417  —  die  Kastilier.  Die 
Spanier   bildeten   nunmehr   die   fünfte   Nation.      Inzwischen    war   auch 


Absetzung  Benedikts  XIII.     Der  Prozefs  gegen  Hufs.  47 \ 

(1416,  5.  November)  das  Verfahren  gegen  Benedikt  XIII.  eingeleitet 
worden.  27  Klagepunkte,  die  sich  insgesamt  auf  die  Verweigerung  der 
Zession  bezogen  —  denn  sein  Privatleben  war  unbemakelt  —  wurden 
gegen  ihn  eingereicht  und  am  26.  Juli  1417  das  Urteil  gegen  ihn  als 
Schismatiker  und  Häretiker  ausgesprochen.  Er  hielt  an  seiner  Würde 
fest  und  zog  sich  nach  Peniscola  bei  Valencia,  einem  seiner  eigenen 
Familie  gehörigen  Schlosse  zurück.  Dort,  nicht  in  Konstanz,  liefs  er 
sich  vernehmen,  sei  die  Kirche.    Dort  ist  er  im  November  1424  gestorben. 

§  109.    Der  Prozefs  des  Hufs  und  Hieronymus  von  Prag. 

1.  Dem  Könige  Sigmund  lag  als  Erben  der  böhmischen  Krone 
daran,  den  Makel  der  Häresie  von  Böhmen  zu  nehmen.  Auch  Hufs 
wünschte ,  dem  wüsten  Geschrei  ein  Ende  zu  machen ,  und  war  gern 
bereit,  der  Aufforderung  Sigmunds,  nach  Konstanz  zu  gehen,  Folge  zu 
leisten.  Dort  hoffte  er  Grofses  zu  erzielen  :  aus  den  dahin  mit- 
genommenen Predigten  entnimmt  man  seine  Absicht,  die 
versammelten  Väter  zu  seinen,  d.  h.  zu  Wiclifs  Haupt- 
lehren zu  bekehren.  Sigmund  stellte  ihm  einen  Geleitsbrief  aus, 
der  allerdings  nicht  viel  mehr  als  ein  Reisepafs  war,  bestimmt,  ihm  Er- 
leichterungen auf  der  Fahrt  zu  gewähren.  Drei  Herren  vom  böhmischen 
Adel  hatten  den  Auftrag,  für  seine  Sicherheit  auf  der  Reise  und  während 
des  Konzils  zu  sorgen. 

Nachdem  er  sich  in  Prag  mit  Zeugnissen  über  seine  Rechtgläubigkeit 
versehen  und  wie  in  der  Ahnung,  dafs  er  in  den  Tod  gehe,  sein  Haus 
bestellt  hatte,  machte  er  sich  auf  den  Weg.  Den  Absichten  Sigmunds 
entsprechend,  hätte  er  die  Reise  in  dessen  Begleitung  machen  sollen, 
und  das  wäre  für  seine  Sache  auch  besser  gewesen.  Am  11.  Oktober 
brach  er  auf.  Mit  Freuden  meldete  er  nach  Hause,  die  Deutschen  kämen 
ihm  —  er  hatte  das  zweifellos  nicht  erwartet —  freundlich  entgegen.  Er  sollte 
es  bald  in  der  Tat  erfahren,  dafs  seine  ärgsten  Feinde  unter  den  eigenen 
Landsleuten  ständen.  Diese  hatten  sich  schon  gerüstet:  am  3.  November 
langte  Hufs  in  Konstanz  an,  und  schon  am  folgenden  Tage  konnte  man 
an  den  Kirchentüren  lesen,  dafs  Michael  von  Deutschbrod  gegen  den 
Ketzer  Hufs  auftreten  werde.  Dieser  befand  sich  anfangs  auf  freiem 
Fufse.  Aber  schon  nach  wenigen  Wochen  gelang  es  seinen  Widersachern, 
ihn  auf  das  Gerücht  hin  ,  dafs  er  zu  fliehen  beabsichtige,  gefangen  zu 
setzen  (28.  November).  Zwar  brauste  Sigmund  auf,  als  er  hörte,  dafs 
man  seinen  Geleitsbrief  mifsachte ,  und  liefs  die  Prälaten  seinen  Zorn 
fühlen,  als  diese  aber  auf  die  Drohung  des  Königs,  das  Konzil  zu  ver- 
lassen, antworteten,  dafs  es  damit  eben  aufgelöst  wäre,  schickte  er  sich 
in  die  Tatsache.  So  war  Hussens  Schicksal  besiegelt.  Bereits  am 
4.  Dezember  hatte  der  Papst  einen  Ausschufs  mit  der  Voruntersuchung 
gegen  ihn  betraut.  Die  Belastungszeugen  wurden  vernommen,  ohne  dafs 
ihm  ein  Anwalt,  um  den  er  gebeten  hatte  und  der  ihm  anfangs  auch 
verheifsen  ward,  gegeben  wurde.  Auf  die  Nachricht,  dafs  Jakob  von  Mies 
in  Prag  begonnen  habe,  das  Abendmahl  unter  beiden  Gestalten  zu  spenden, 


472  Die  Verhöre  des  Hufs. 

kam  zu  den  ihm  zur  Last  gelegten  (42)  Irrtümern  noch  der  Laienkelch 
als  Anklagepunkt  hinzu. 

Hussens  Lage  verschlechterte  sich,  seit  Johann  aus  Konstanz 
entwichen  war.  Bisher  Gefangener  des  Papstes  und  in  stetem  Verkehr 
mit  seinen  Freunden,  wurde  er  nun  der  Hut  des  Bischofs  von  Konstanz 
übergeben  und  in  dessen  Burg  Gottlieben  am  Rhein  gebracht.  Hier 
weilte  er,  bei  Tag  gefesselt,  des  Nachts  mit  den  Händen  an  die  Wand 
gekettet,  schlecht  genährt  und  von  Krankheit  gepeinigt.  Da  durch  die 
Flucht  Johanns  XXIII.  die  Vollmacht  der  mit  seiner  Sache  betrauten 
Kommission  erloschen  war,  wurde  sie  nun  an  vier  andere  Prälaten  über- 
geben, unter  denen  sich  auch  der  Kardinal  d'Ailli  befand.  Dieser  Aus- 
schult hatte  auch  die  Berichterstattung  über  Wiclifs  Lehre  übernommen, 
da  das  Konzil  in  richtiger  Erwägung  beide  Angelegenheiten  als  untrennbar 
ansah.  Als  nun  am  4.  Mai  das  Verdammungsurteil  über  Wiclif  gefällt 
wurde,  war  dies  für  Hufs  von  übelster  Vorbedeutung. 

Am  5.  Juni  wurde  er  zum  erstenmal  verhört  und  zu  dem  Zwecke 
in  das  Franziskanerkloster  gebracht,  wo  er  die  letzten  Wochen  seines 
Lebens  zubrachte.  Nachdem  er  sich  bereit  erklärt  hatte,  zu  widerrufen, 
falls  man  ihm  etwas  Irriges  nachweise ,  wurden  ihm  die  aus  seinen 
Schriften  gezogenen  Sätze  nebst  den  Zeugenaussagen  vorgelesen; 
wie  er  jedoch  auf  einzelne  Punkte  antworten  wollte,  schrien  viele  zu- 
gleich auf  ihn  ein ;  schwieg  er  aber,  so  erklärte  man  es  als  Beweis  seines 
Irrtums.  Unmutig  brach  er  in  die  Worte  aus :  Ich  hatte  gedacht,  mehr 
Anstand  und  Güte  und  bessere  Zucht  beim  Konzil  zu  finden.  Das 
Verhör  wurde  am  7.  Juni  fortgesetzt.  Sigmund  war  selbst  anwesend; 
es  nahm  daher  auch  einen  würdigeren  Gang.  Ein  Engländer  meinte 
den  leibhaftigen  Wiclif  vor  sich  zu  haben ,  als  er  Hussens  Antworten 
hörte.  Es  kam  denn  auch  sein  Verhältnis  zu  jenem  zur  Sprache;  seine 
tiefe  Verehrung  Wiclifs  gab  er  zu,  dagegen  bestritt  er,  die  Wiclifsche 
Abendmahlslehre  oder  die  45  Artikel  verteidigt  zu  haben :  er  sei  nur 
gegen  deren  Verurteilung  in  Bausch  und  Bogen  aufgetreten.  Noch 
mahnte  ihn  der  König,  sich  der  Gnade  des  Konzils  zu  überlassen;  er 
wolle  keinen  Ketzer  in  Schutz  nehmen.  Hufs  antwortete  demütig,  er  sei 
nicht  gekommen,  etwas  hartnäckig  zu  behaupten,  sondern  lasse  sich  eines 
Besseren  belehren,  falls  man  ihm  einen  Irrtum  nachweise. 

Beim  letzten  Verhör  (am  8.  Juni)  wurden  ihm  39  seiner  Lehrsätze 
vorgelesen.  Hufs  lehnte  einige  ab ,  andere  versuchte  er  zu  erläutern. 
Dem  König  hatte  man  das  Gemeingefährliche  einiger  Lehren  für  den 
Bestand  der  weltlichen  Herrschaft  nahegelegt,  um  ihn  wider  Hufs  zu  er- 
bittern. Ailli  mahnte  diesen  schliefslich,  sich  zu  fügen,  dann  werde  man 
seiner  schonen.  Hufs  erklärte,  bereit  zu  sein,  sich  eines  Besseren  zu 
belehren.  Nur  bitte  er  um  Gehör,  um  seine  Ansichten  besser  zu  be- 
gründen. Sowohl  jetzt  als  auch  nach  dem  Verhör  bis  zu  Ende  des 
Monats  wurden  Versuche  gemacht,  ihn  zum  Widerruf  zu  bewegen.  Er 
hat  sie  alle  abgelehnt,  Am  18.  Juni  wurden  die  Artikel  formuliert,  wie 
sie  die  Grundlage  seiner  Verurteilung  bilden  sollten.  Zu  25  von 
ihnen    machte    er   teils    erklärende,    teils    einschränkende   Bemerkungen. 


Seine  Verurteilung  und  Verbrennung.  473 

Arn  24.  wurden  seine  Bücher  zum  Feuer  verurteilt.  Acht  Tage  später 
überreichte  er  dem  Konzil  eine  Erklärung,  durch  die  er  sich  dem 
gegnerischen  Standpunkt  so  weit  näherte,  als  es  ihm  möglich  war.  Zu 
einer  Verständigung  ist  es  nicht  mehr  gekommen.  Für  das  Verhalten 
König  Sigmunds  waren  politische  Erwägungen  mafsgebend.  Er  hielt  zur 
Meinung  jener,  die  Hussens  Rückkehr  fürchteten:  /Dann  würde  das 
Feuer  erst  recht  auflodern.  Am  besten  sei  es,  hier  die  Wurzel 
abzugraben,  dort  die  Aste  zu  vernichten;  der  Schrecken  würde  seine 
Wirkung  tun.«  Hufs  selbst  gab  sich  keiner  Täuschung  hin.  Das 
Martyrium  entsprach  seinem  eigenen  Wunsche.  Für  ihn  war  es  kein 
Zweifel,  dafs  Sigmund  ihm  das  Wort  gebrochen.  Setzt  euer  Vertrauen, 
schreibt  er,  nicht  auf  die  Fürsten.  —  Am  6.  Juli  —  es  war  ein  Sonn- 
abend —  erfolgte  in  feierlicher  Volksversammlung  im  Dom  seine  Ver- 
urteilung und  hierauf  seine  Verbrennung. 

Der  Bischof  von  Lodi  hielt  eine  Bede  über  die  Pflicht,  die  Ketzerei  auszurotten ; 
dann  wurden  einzelne  der  von  Hufs  und  Wiclif  aufgestellten  Sätze  und  so  auch  ein 
Bericht  über  seinen  Prozefs  verlesen.  Hufs  machte  mehrmals  den  Versuch,  Einsprache 
zu  erheben.  Nochmals  betonte  er :  Frei  bin  ich,  versehen  mit  dem  Geleitsbrief  des 
Königs,  der  hier  sitzt,  hieher  gekommen,  meine  Unschuld  zu  erweisen  und  von 
meinem  Glauben  Rechenschaft  zu  geben.  Es  ist  eine  alte  Sage,  dafs  er  bei  diesen 
Worten  fest  auf  den  König  blickte  und  dieser  errötete.  Ein  italienischer  Prälat  ver- 
kündigte den  Richterspruch :  Hufs  sei  ein  Ketzer  und  als  solcher  zu  behandeln.  Auch 
jetzt  widersprach  Hufs,  fiel  auf  die  Knie  und  bat  um  Verzeihung  für  seine  Feinde. 
Dann  erfolgte  seine  Degradation ;  schliefslich  wurde  die  Sentenz  verkündigt,  dafs  ihm 
alle  seine  kirchlichen  Rechte  genommen  und  er  dem  weltlichen  Arm  übergeben  werde. 
Eine  ellenhohe  Papiermütze  wurde  ihm  aufgesetzt,  welche  die  Umschrift :  Haeresiarcha 
trug.  Auf  des  Königs  Befehl  übernahm  der  Pfalzgraf  Ludwig  den  Verurteilten,  mit 
ihm  zu  tun,  »als  mit  einem  Ketzer«.  So  wurde  Hufs,  während  das  Konzil  weiter 
tagte,  unter  einem  starken  Geleite  von  Bewaffneten  abgeführt.  Er  ging  festen  Schrittes, 
singend  und  betend  zur  Richtstätte,  dem  »Brühl«  zwischen  Stadtmauer  und  Graben. 
Dort  kniete  er  nieder,  breitete  die  Hände  aus  und  betete  laut.  Von  den  Anwesenden 
meinten  einige,  man  solle  ihm  einen  Beichtvater  geben ;  dagegen  eiferte  ein  Geist- 
licher: einem  Ketzer  dürfe  weder  Gehör  noch  ein  Beichtvater  gegeben  werden.  Die 
Henker  banden  seine  Hände  rückwärts  mit  Stricken  und  seinen  Hals  mit  einer  Kette 
an  einen  Pfahl,  um  den  Holz  mit  Stroh  aufgeschichtet  wurde,  so  dafs  es  ihm  bis  an 
den  Hals  reichte.  Noch  im  letzten  Augenblicke  mahnte  ihn  der  Reichsmarschall  von 
Pappenheim,  sein  Leben  durch  einen  Widerruf  zu  retten.  Er  lehnte  dies  ab.  Da 
wurde  der  Scheiterhaufen  angezündet.  Mit  erhobener  Stimme  sang  er :  Christus,  du 
Sohn  des  lebendigen  Gottes,  erbarme  dich  meiner.  Als  er  zum  drittenmal  anhob  und 
fortfuhr:  der  du  geboren  bist  aus  Maria  der  Jungfrau,  schlug  ihm  der  Wind  die 
Flamme  ins  Gesicht ;  noch  bewegte  er  die  Lippen  und  das  Haupt,  dann  erstickte  er 
lautlos.  Sein  Todeskampf  dauerte  so  lange,  als  man  schnell  zwei,  aufs  höchste  drei 
Vaterunser  betet.  Seine  Kleider  wurden  in  das  brennende  Feuer  geworfen,  seine 
Asche  gesammelt  und  in  den  nahen  Rhein  geschüttet. 

Die  berühmtesten  Theologen  beim  Konzil  hielten  seine  Verdammung  für  durch- 
aus gerechtfertigt.  Seine  von  Wiclif  übernommene  Lehre  von  der  Kirche  als  der  Ge- 
meinschaft aller  zur  Seligkeit  vorherbestimmten,  verletzte  die  bestehende  Kirchen- 
verfassung. Ailli  hätte  selbst  den  Purpur  ablegen  müssen,  hätte  er  Hufs  anerkannt.  l) 
Noch  schärfer  urteilte  Gerson :  doch  verdient  immerhin  seine  Äufserung  erwähnt  zu 
werden :  Man  habe  Hufs  als  Häretiker  erklärt  und  verdammt.  Hätte  man  ihm  einen 
Advokaten  gewährt :  niemals  wäre  er  überwiesen  worden. 2) 


»)  Tschackert,  S.  275. 

£)  388. 


474  ( Charakteristik  des  Hufs.     Sein  Verhältnis  zu  Wiclif. 

Hatte  der  gröfste  Teil  des  tschechischen  Volkes  schon  bisher  an  ihm  wie  an 
einem  Apostel  gehangen,  so  wurde  er  jetzt  als  Märtyrer  und  Heiliger  verehrt ;  auf 
Wegen  und  Strafsen  ertönten  Klagelieder.  Sein  Fest  wurde  mit  vorgeschriebenem 
Zeremoniell  am  6.  Juli  gefeiert.  Einen  Lobspruch,  der  freilich  zu  überschwänglich 
ist,  als  dafs  er  ganz  wahr  sein  könnte,  hat  ihm  die  Prager  Universität  in  einem  an 
»verschiedene  Königreiche  und  Länder«  ausgegangenen  Ausschreiben  (vom  23.  Mai 
1416)  gewidmet.  Sie  nennt  ihn  die  Tugend  selbst  und  einen  Lehrer  ohnegleichen. 
Hufs  besafs  ja  zweifellos  hohe  Tugenden.  In  den  Kämpfen  an  der  Prager  Universität 
und  mit  seinen  kirchlichen  Gegnern  kehrte  er  aber  doch  nicht  selten  die  rauheste 
Seite  hervor;  er  greift  zum  Schmäh-  und  Scheltwort.  Er  war  ein  viel  zu  leidenschaft- 
licher Kämpfer  für  die  nationalen  Interessen  seiner  Nation  —  der  geheiligten  — ,  als 
dafs  er  den  Deutschen  gerecht  werden  konnte ;  denn  daran  ist  kein  Zweifel :  von  Hafs 
gegen  die  Deutschen  kann  er  nicht  freigesprochen  werden.  Auch  was  seine  Gelehr- 
samkeit betrifft,  müssen  starke  Einschränkungen  gemacht  werden  :  denn  wo  er  über 
Wiclif  hinausgeht,  wird  er  unsicher,  schwerfällig  oder  weitschweifig.  Was  an  refor- 
matorischen Schriften  aus  seiner  Feder  vorliegt,  ist  nicht  viel ;  im  wesentlichen  sind 
es  seine  Streitschriften  gegen  Stanislaus  und  Palecz  und  sein  Buch  von  der  Kirche, 
und  auch  hier  ruht  alles  auf  Wiclif.  Dafs  ihm  alle  Werke  Wiclifs  bekannt  waren, 
darf  man  bezweifeln.  Man  weifs,  dafs  er  Wiclifs  Trialogns  übersetzt  und  dem  Mark- 
grafen Jodok  von  Mähren  und  andern  vornehmen  Männern,  auch  Laien  und  selbst 
Frauen  übersendet  hat.  Daneben  kannte  er  Wiclifs  Werke  vom  Leibe  des  Herrn, 
von  der  Kirche,  von  der  Gewalt  des  Papstes  und  namentlich  die  Predigten  sehr  genau. 
Wiclifs  Buch  von  der  Kirche  hat  er  sich  ganz  zu  eigen  gemacht.  Dieses  und  das 
Buch  De  potestate  papae  enthalten  das  Wesentliche  seiner  Lehre.  Was  er  in  seinen 
Predigten  über  die  Verderbtheit  der  Kirche  sagt,  über  die  grofsen  Schäden  des  Besitzes 
der  Toten  Hand  für  die  Besitzer  und  für  ganze  Länder  und  Reiche,  über  die  Pflicht 
der  Obrigkeit,  die  Kirche  zu  reinigen :  all  das  stammt  meist  wortgetreu  aus  Wiclifs 
Predigten.  Es  ist  wohl  das  bezeichnendste  Moment,  dafs  jene  drei  grofsen  Reden, 
durch  die  er  das  ganze  Konzil  hinreifsen  wollte,  wortgetreu  Predigten  Wiclifs  sind  *), 
und  dafs  sie  in  Böhmen  als  Predigten  des  Hufs  gegolten  haben,  wie  ja  Hufs  auch 
sonst  in  seinen  kleineren  Arbeiten  an  den  Stellen,  wo  Wiclif  von  Anglia  spricht,  ein- 
fach Boemia  substituiert.  Es  ist  im  allgemeinen  richtig,  dafs  er  die  Angriffe  Wiclifs 
auf  die  sakralen  Einrichtungen  der  Kirche  nur  in  geringem  Ausrnafs  übernommen  hat, 
aber  anderseits  weifs  man  darüber  doch  nichts  Endgültiges  zu  sagen,  da  er  seine  Lehre 
eben  nicht  wie  Wiclif  in  grofsen  Werken  oder  in  knapper  Verkürzung  zusammen- 
fassend vorgetragen  hat.  Es  steht  trotz  seiner  Behauptung,  die  Wiclifsche  Lehre  vom. 
Abendmahl  nicht  gelehrt  zu  haben,  nicht  ganz  fest,  dafs  dem  so  ist.  Gerade  für 
diese  Lehre  war  in  Böhmen  der  Boden  wohl  vorbereitet  Man  hatte  dort  in  der 
zweiten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  lebhaft  gestritten,  ob  man  das  Abendmahl  nur 
einmal  oder  oft  oder  selbst  täglich  nehmen  solle.  Jetzt  stiefs  man  auf  eine  Lehre, 
die  den  Wert  des  Abendmahls,  in  der  bisherigen  Weise  genommen,  nur  gering  an- 
schlug und  die  bisherigen  Ansichten  über  Transsubstantiation  über  den  Haufen  zu 
werfen  drohte.  Nach  einer  freilich  nicht  über  jeden  Zweifel  erhabenen  Angabe  wurde 
Wiclifs  A.bendmahlslehre  schon  1399  in  Prag  verbreitet.  Seit  1403,  wo  sie  verboten 
ward,  gewann  sie  erst  recht  an  Boden.  Hufs  mag  sie  ja  vielleicht  nur  »in  scholastischer 
Weise«  vorgetragen  haben,  in  jener,  welche  die  Gründe  für  und  gegen  erörtert,  ohne 
selbst  Partei  zu  ergreifen.  Nur  so  läfst  sich  der  Widerspruch  zwischen  den  Anschul- 
digungen seiner  Gegner  und  seiner  Abwehr  erklären.  Wenn  er  ihr  aber  auch  eine 
Zeit  zuneigte,  festgehalten  hat  er  an  ihr  nicht,  Dagegen  wurde  sie  von  der  radikalen 
Partei  —  den  Taboriten  —  lebhaft  aufgegriffen  und  der  Mittelpunkt  ihres  ganzen 
Systems. 

Die  grofsen  Erfolge  des  Hufs  in  seiner  Heimat  sind  nur  aus  seiner  geradezu 
unvergleichlichen  pastoralen  Tätigkeit,  die  jene  der  alten  berühmten  Prediger  Böhmens 
weit  hinter  sich  liefs  und  deren  Ruf  noch  in  späten  Tagen  lebendig  war,  zu  erklären. 


*)  Es  sind  die  Predigten :  De  sufßcientia  legis  Christi.  De  fidei  suae  elueidatione 
und  De  pace. 


Hieronymus  von   Prag  and  seine  Propaganda  für  Wiclif.  475 

Aber  auch  hier  ist  er  nur  der  gelehrige  Schüler  des  Engländers  gewesen.  Wie  Wicht* 
in  seinen  letzten  Lebensjahren  eine  umfassende  Tätigkeit  entwickelt,  seine  Predigten 
sammelt,  seine  t  einfachen  Priester <  aussendet  und  Belehrungen  gibt,  wer,  was  und 
wie  man  dem  Volke  zu  predigen  habe:  so  ersehnt  auch  Hufs,  in  die  enge  Kerkerzelle 
eingeschlossen,  seine  Befreiung  nur,  um  dem  Volke  durch  seine  Predigt  zu  nützen, 
und  wie  er  selbst  von  der  höchsten  Wertschätzung  der  Predigt  durchdrungen  war,  so 
verstand  er  es  auch,  die  Massen  für  sie  zu  begeistern.  Er  hat  in  der  Bethlehems- 
kapelle eine  ans  Demagogische  streifende  Tätigkeit  entfaltet;  als  er  1413  und  1414 
im  Exil  weilte,  predigte  er  in  Dörfern,  auf  freiein  Felde,  selbst  im  Walde.  Seine 
Predigten  waren  oft  durch  ihren  Inhalt  aufreizend ;  er  zieht  seine  Streitsachen  mit 
den  geistlichen  Vorgesetzten  herein,  gibt  sein  Urteil  über  einzelne  Ereignisse  aus  der 
Geschichte  dieser  Tage  ab  oder  ruft  endlich  seine  Gemeinde  zum  Zeugen  oder  zum 
Richter  auf.  Eben  dies  demagogische  Wesen  schuf  ihm  seinen  grofsen  Anhang,  und 
so  wurde  er,  ohne  selbst  Theoretiker  in  theologischen  Fragen  zu  sein,  der  rechte 
Apostel  seines  englischen  Meisters.  Er  hatte  Genossen,  die  ihn  an  Wissen  und  an 
Beredsamkeit  überragten,  in  der  Kunst  der  Beherrschung  der  Menge  war  er  unübertroffen. 
2.  Sein  Schicksal  teilte  Hieronymus  von  Prag.  Er  entstammte 
einem  Prager  Geschlechte.  Es  ist  ein  alter,  auf  eine  Verwechslung  mit 
Nikolaus  Faulfisch  zurückreichender  Irrtum ,  wenn  man  als  seinen 
Familiennamen  Faulfisch  nennt.  Nachdem  er  seine  ersten  Studien  in 
Prag  gemacht  und  Baccalaureus  geworden  —  den  priest  er  liehen  Stand 
strebte  er  nicht  an  —  zog  er  nach  Oxford.  Dort  lernte  er  Wiclif s 
Schriften,  vornehmlich  den  Dialogus  und  Trialogus,  kennen  und  brachte 
sie  —  spätestens  1402  —  nach  Prag.  Hier  duldete  es  ihn  nicht  lange: 
er  ging  auf  Reisen,  die  ihn,  wie  man  meint,  selbst  nach  Jerusalem 
führten.  In  Paris  befand  er  sich  im  Besitz  AViclif  seh  er  Schriften  (1404); 
er  schreibt  an  die  Prager  Freunde,  er  werde  ihnen  Bücher  senden,  über 
die  sie  eine  grofse  Freude  haben  würden.  In  Paris  wurde  er  Magister. 
Dann  ging  er  nach  Heidelberg,  wo  er  1406  wegen  Verteidigung  realistischer 
Lehrsätze  aus  der  artistischen  Fakultät  ausgeschlossen  wurde.  Für  die 
Philosophie  Wiclifs  war  er  auch  in  Köln,  tätig.  1407  weilte  er  wieder 
in  Prag.  Am  Stimmenstreit  nahm  er  lebhaften  Anteil,  mehr  aber  noch 
an  den  Kämpfen  um  die  Lehren  Wiclifs:  diesen  pries  er  ganz  offen  als 
heiligen  Mann,  »dessen  Doktrinen  man  gröfseren  Glauben  beimessen 
dürfe  als  selbst  dem  hl.  Augustinus  <.  Seit  1410  datieren  seine  Yev- 
suche,  den  Wiclifismus  in  Ungarn,  Kroatien,  Österreich  und  Polen  aus- 
zubreiten. Am  20.  März  1410  hielt  er  in  Ofen  vor  König  Sigmund  eine 
Rede,  voll  von  Angriffen  gegen  den  verweltlichten  Klerus.  Bis  hieher 
verfolgten  ihn  die  Klagen  des  Prager  Erzbischofs,  und  auf  dessen  Betreiben 
liefs  ihn  Sigmund  in  Haft  nehmen.  Bald  aber  —  es  ist  nicht 
ganz  sicher,  ob  er  nicht  inzwischen  nach  Prag  geführt  wurde  —  traf  er 
in  Wien  ein.  Hier  kam  er  wegen  seiner  Propaganda  für  Wiclif  vor  das 
bischöfliche  Gericht,  wo  ihm  aufser  den  45  Artikeln  auch  noch  das  ganze 
bisherige  Verhalten  in  Heidelberg,  Prag,  Ofen  usw.  vorgehalten  wurde. 
Hieronymus  erklärte  die  meisten  Anschuldigungen  für  Klatsch.  Er  gelobte, 
die  Stadt  nicht  zu  verlassen,  bis  er  sich  von  dem  Verdacht  der  Ketzerei 
befreit  habe.  Er  sah  indes  diese  Zusage  als  eine  erzwungene  an  und 
entwich  nach  Vöttau  in  Mähren.  Er  verfiel  nun  auch  hier  der  Ex- 
kommunikation. Mit  aufserordentlicher  Lebhaftigkeit  beteiligte  er  sich 
an  dem  Ablafsstreit  in  Prag  (1412),   wo   er  durch  die  Kraft  seiner  Rede 


476  I)er  Prozefs  des  Hufs.     Seine  Verurteilung  und  sein  Ende. 

selbst  Hufs  überragte.  Im  folgenden  Jahre  war  er  für  seine  Ideen  in 
Krakau  tätig  und  ging  im  Gefolge  des  Grofsfürsten  Witold  nach  Litauen 
und  Rufsland,  um  dort  die  Angehörigen  der  griechischen  Kirche  für 
seine  Lehre  zu  gewinnen.  Als  Hufs  im  Begriffe  war,  nach  Konstanz  zu 
gehen,  sprach  ihm  Hieronymus  zu,  sich  gegen  die  wider  ihn  vorgebrachten 
Anschuldigungen  zu  verteidigen,  er  werde  ihm  im  Falle  der  Not  zu 
Hilfe  eilen.  Das  führte  er,  ohne  auf  Hussens  Warnungen  zu  achten, 
aus  und  traf  am  4.  April  1415  in  Konstanz  ein.  Die  Bemühungen  der 
böhmischen  Barone,  ihn  zum  Wegzug  zu  bewegen,  hatten  den  Erfolg, 
dafs  er  aus  Konstanz  flüchtete  und  von  Überlingen  aus  den  Versuch 
machte,  freies  Geleit  vorn  König  und  Gehör  beim  Konzil  zu  erhalten. 
Als  ihm  das  nicht  in  der  gewünschten  Weise  zuteil  wurde,  machte  er 
sich  auf  die  Heimreise.  Schon  hatte  er  fast  die  heimatliche  Grenze  er- 
reicht, als  er  am  15.  April,  in  Hirschau  erkannt,  gefesselt  und  auf  Befehl 
des  Konzils  nach  Konstanz  zurückgeführt  wurde.  Noch  am  Tage  seiner 
Ankunft  (23.  Mai)  wurde  er  einem  Verhör  unterzogen,  dann  ruhte  seine 
Angelegenheit,  bis  Hussens  Prozefs  entschieden  war.  Er  kam  in  eine 
harte  Haft,  die  dem  kräftigen  Mann  ans  Leben  griff  und  seine  Willens- 
kraft beugte.  Am  19.  Juli  wurde  er  wieder  verhört:  es  handelte  sich 
um  den  Stützpunkt  der  Wiclifschen  Lehre :  das  Abendmahl.  Man  gab 
sich  Mühe,  ihn  zum  Widerruf  zu  bewegen,  um  so  mehr,  als  der  Tod  des 
Hufs  die  erwartete  Wirkung  in  Böhmen  nicht  gezeitigt  hatte.  In  der 
Tat  erklärte  er  sich  am  10.  September  hiezu  bereit,  leistete  ihn  nicht 
blofs  tags  darauf,  sondern  wiederholte  ihn  auch  in  einer  vom  Konzil 
festgesetzten  Fassung,  die  alle  Reservationen  ausschlofs.  Und  doch  er- 
langte er  seine  Freiheit  nicht.  Das  Konzil  begehrte  seine  Mitwirkung 
zur  Beruhigung  der  Gemüter  in  Böhmen:  er  sollte  im  Sinne  seines 
Widerrufs  an  König  Wenzel,  an  die  Königin,  die  Universität,  an  Adelige 
und  das  Volk  Schreiben  richten,  er  schrieb  nur  an  Latzko  von  Krawar; 
von  weiteren  Schreiben  wollte  er  nichts  mehr  wissen.  Sein  Gewissen 
war  erwacht.  Über  das  fernere  Verfahren  wider  ihn  war  man  nicht 
einig:  eine  gemäfsigte  Partei  verlangte  seine  Freilassung;  an  der  Spitze 
der  andern  standen  wieder  seine  eigenen  Landsleute ;  ihnen  schlofs  sich 
Gerson  an,  und  auf  ihr  Betreiben  wurde  der  Prozefs  gegen  ihn  wieder 
aufgenommen.  Da  er  keine  Schriften  wie  Hufs  veröffentlicht  hatte, 
mufste  man  sich  auf  Zeugenaussagen  beschränken.  Am  23.  Mai,  dem 
Jahrestag  seiner  Konstanzer  Haft,  wurde  ihm  ein  öffentliches  Verhör 
bewilligt  und  am  26.  Mai  fortgesetzt.  Nicht  nur  der  Italiener  Poggio 
Bracciolini,  sondern  mancher  andere  war  von  der  Kraft  seiner  Rede  aufs 
tiefste  ergriffen;  in  beredten  Worten  führte  er  aus,  dafs  die  wider  ihn 
vorgebrachten  Klagen  falsch  seien,  seine  Rede  ging  aber  nicht  in  einen 
Widerruf  aus,  sondern  in  eine  Verherrlichung  des  Hufs:  den  habe  er 
von  Jugend  an  als  reinen  und  heiligmäfsigen  Mann  und  getreuen  Prediger 
gekannt.  Seine  gröfste  Sünde  sei,  ihn  verleugnet  zu  haben.  Damit  hatte 
sich  Hieronymus  sein  L^rteil  gesprochen.  Die  Versuche,  ihn  umzustimmen, 
schlugen  fehl,  und  so  wurde  er  am  30.  Mai  1416  als  rückfälliger  Ketzer 
verurteilt.     Mit   heiterem  Antlitz   ging   er   zum   Tode.      Ein   Zeitgenosse 


Die   Konstanzer  Reformation.  477 

hörte  ihn  sagen:  Ihr  verdammt  mich,  wiewohl  ich  unschuldig  bin.  Ich 
aber  werde  euch  einen  Stachel  zurücklassen.  Ich  rufe  euch  auf,  mir 
binnen  100  Jahren  vor  dem  allmächtigen  Gott  Rede  zu  stehen.  Als  man 
den  Holzstofs  anzündete,  stimmte  er  das  Osterlied  an :  Salve  festa  dies, 
den  Umstehenden  beteuerte  er  seine  Unschuld.  Seine  letzten  (in 
tschechischer  Sprache  gesprochenen)  Worte  waren :  Gott  Vater,  vergib 
mir  meine  Sünden !  Rauch  und  Qualm  erstickten  seine  Stimme.  Fast 
eine  Viertelstunde  bewegte  er  noch  die  Lippen. 

§  110.    Die  Konstanzer  Reformation  und  die  Wahl  Martins  Y. 

Hilfsschriften  s.  oben.     Dazu  Fromme,   Die  Wahl  Papst  Martins  V.    RQSchrChA .  X . 

1.  Schon  Johann  XXIII.  hatte  (1414,  Dezember)  den  Entwurf 
einer  Reformation  der  Kirche  eingebracht,  sich  dabei  aber  lediglich  auf 
eine  Revision  der  päpstlichen  Hausordnung  beschränkt.  Als  die  Fragen 
des  Schismas  und  des  Glaubens  zu  einem  vorläufigen  Abschlufs  gelangt 
waren,  wurde  ein  Reformationsausschufs  gewählt  (1415,  Juli),  der  aus 
drei  Kardinälen  und  je  acht  Deputierten  der  vier  Nationen  bestand.  Auch 
jetzt  wurde  zunächst  nur  die  Reform  der  Kurie  in  Angriff  genommen, 
bald  aber  umfafste  das  Programm  des  Ausschusses  alle  Fragen  der 
Kirchenreform,  und  da  von  allen  Seiten  Reformvorschläge  erstattet  und 
an  den  Aussufs  geleitet  wurden,  ging  die  Arbeit  rasch  vorwärts.  Die 
Ergebnisse  liegen  im  ersten  Reform  atorium  vor.1)  Dann  geriet  die 
Arbeit  ins  Stocken,  und  im  Herbste  trat  ein  förmlicher  Stillstand 
ein.  Nur  über  einzelnes  war  eine  Übereinkunft  erzielt  und  die  Frage 
der  Reformation  der  Kirche  an  ihrem  Haupte  durchberaten  worden. 
Danach  sollten  öfter  als  bisher  allgemeine  Konzilien  gehalten,  durch 
genauere  Bestimmungen  Spaltungen  verhütet  werden  usw.  Erst  1417 
wurden  die  Arbeiten  wieder  in  Angriff  genommen,  erfuhren  aber  neue 
Hemmnisse.  Wünschten  Sigmund  und  die  Reformationspartei,  nach 
Benedikts  XIII.  Absetzung  zuerst  die  Reformfrage  zu  erledigen,  so  ver- 
langte die  kuriale  Partei  erst  Vornahme  der  Papstwahl,  um  dann  in 
Gemeinschaft  mit  dem  Papste  die  Reform  zu  vollziehen.  Nach  langem 
Streite  wurde  ein  Kompromifs  geschlossen,  wonach  zunächst  die  Reform 
der  capita  ecclesiae  erfolgen,  die  der  übrigen  Glieder  nach  geschehener 
Papstwahl  vorgenommen  werden  sollte.  Nun  wurde  ein  neuer,  aus 
25  Mitgliedern  bestehender  Reformausschufs  gewählt,  dessen  Arbeiten 
—  das  zweite  Reformator ium2)  —  sich  auf  die  Reform  des  oberen 
Klerus  beschränkten.  Das  Werk  wurde  auch  diesmal  nicht  zu  Ende 
geführt,  da  die  kuriale  Partei  immer  lebhafter  auf  die  Vornahme  der 
Papstwahl  drängte.  Schon  sannen  die  Kardinäle  und  ihr  Anhang  auf 
die  Flucht.  Auf  ihrer  Seite  standen  die  Spanier  und  der  gröfsere  Teil 
der  Italiener  und  Franzosen  ;  als  endlich  auch  noch  die  Engländer  aus 
politischen  Motiven  zu  ihnen  übertraten,  standen  die  Deutschen  allein, 
und  selbst  von  ihnen  schwenkte  noch  ein  Teil  zu  jenen   ab.     Im  letzten 

*)  v.  d.  Hardt  I,  583—644. 
2)  650—653. 


478  Zurückstellung  der  Reformation.     Wahl  Martins  V. 

Augenblick  führte  der  Oheirn  Heinrichs  V.  von  England,  der  einflufsreiche 
Bischof  Heinrich  von  Winchester,  einen  Kompromifs  herbei,  wonach 
die  bereits  fertig  gestellten  Reformdekrete  publiziert,  im  übrigen  aber  der 
Papstwahl  der  Vorrang  gelassen  wurde.  Doch  sollte  die  Reformation 
durch  Konzilsbeschlufs  sichergestellt  werden.  Die  Kardinäle  hatten  ge- 
siegt. Die  Causa  reformationis  wurde  zurückgestellt,  trotzdem  das  Pisaner 
Konzil  zeigte,  wie  wenig  auf  die  Durchführung  der  Reformation  nach 
vollzogener  Papstwahl  gerechnet  werden  konnte.1)  Entscheidend  war  der 
Abfall  der  Franzosen,  bisher  der  eifrigsten  Vorkämpfer  der  Reform.2) 
Es  wurden  sonach  am  9.  Oktober  1417  fünf  Reformdekrete  publiziert, 
die  im  Anschlufs  an  die  beiden  Reformatorien  Bestimmungen  über  den 
Zeitpunkt  künftiger  Konzilien 3)  und  Vorsichtsmafsregeln  gegen  die 
Wied erkehr  eines  Schismas  enthielten,  die  Unversetzbarkeit  des  höheren 
Klerus  festsetzten  und  dem  Papst  die  bisherigen  Gebühren  für  Visi- 
tationen und  die  Hinterlassenschaft  verstorbener  Prälaten  (Spolien)  ent- 
zogen. Dann  wurde  die  Verpflichtung  des  Papstes  zur  Reform  der 
Kirche  und  der  Modus  bei  der  jetzigen  Papstwahl  verhandelt.  Am 
30.  Oktober  wurde  das  Kautions-  und  Wahlgesetz  publiziert :  danach 
erfolgt  die  Ausführung  der  Reformation  im  Wege  der  Vereinbarung 
zwischen  Papst  und  Konzil,  und  wird  der  Umfang  der  Reformation 
auf  den  Papst  und  die  römische  Kurie  beschränkt,  die  Reformatio  in 
membris  tritt  zurück;  die  einzelnen  Punkte  des  dem  Papste  auferlegten 
Reformwerkes  —  im  ganzen  18 4)  —  handeln  von  der  Zahl,  den  Quali- 
täten und  der  Nationalität  der  Kardinäle,  den  päpstlichen  Reservationen, 
den  Annaten  und  andern  Abgaben,  der  Verleihung  von  Benefizien  usw. 
Es  war  demnach  nur  ein  kleiner  Teil  der  bisherigen  Arbeiten  bestimmt, 
erledigt  zu  werden,  und  selbst  dieser  erfuhr  nachher  noch  eine  wesent- 
liche Verkürzung.  Das  Wahlgesetz  bestimmte,  dafs  diesmal  aufser  den 
(23)  Kardinälen  je  sechs  Deputierte  der  fünf  Nationen  an  der  Wahl 
teilnehmen  und  der  Papst  von  mindestens  zwei  Dritteln  der  Wähler 
gewählt  werden  solle.  Aus  der  Wahl  ging  der  Kardinal  Otto  Colonna 
hervor,  der,  weil  er  am  Tage  des  hl.  Martin  gewählt  wurde  (11.  November), 
den  Namen  Martin  V.  (1417—1431)  annahm.  Die  Hoffnung  auf  eine 
umfassende  Reform  schwand  bald;  schon  der  erste  Regierungsakt  des 
Papstes,  der  Erlafs  seiner  Kanzleiregeln,  nahm  auf  das  Kautionsgesetz 
keine  Rücksicht,  denn  die  Kanzleiregeln5)  enthalten  die  meisten  Über- 
griffe, über  die  bisher  geklagt  wurde.  Wohl  wurde  ein  neuer  —  der 
dritte  —  Reformationsausschufs  eingesetzt  und  seinen  Beratungen  teils 
die  früheren  Arbeiten  teils  neue  Entwürfe  zugrunde  gelegt,  —  die  Arbeit 
rückte  aber  bei  den  Sonderinteressen  der  Teilnehmer  nicht  vor.  Am 
wenigsten  konnte  in  der  Kollations-  und  Annatenfrage  eine  Einigung 
erzielt  werden.      Französische   und  deutsche  Prälaten  standen  gegen  die 

*)  Hübler,  S.  30.  Dort  die  Gründe  des  Verhaltens  der  romanischen  Nationen. 

2)  Über  eine  der  wichtigsten  Ursachen  dazu  s.  §  111. 

3)  Das  nächste  soll  in  5,    das  folgende  in  7,    die  späteren  von  10  zu    10  Jahren 
gehalten  werden. 

4)  Deutsch  bei  Hefele,  S.  324.     Lat.  bei  Hübler,  39. 
6)  Gedr.  v.  d.  Hardt  I,  965. 


Verzicht  auf  die  allgemeine  Reformation.     Die  Konkordate.  479 

spanischen  und  italienischen;  die  zugleich  mit  den  französischen  Uni- 
versitäten die  Provisionsrechte  des  Papstes  verteidigten;  die  Engländer, 
durch  ihre  Landesgesetzgebung  (s.  oben)  gegen  Eingriffe  der  Kurie  ge- 
schützt, hielten  den  Staues  quo  für  erwünscht.  Auf  eine  allgemeine,  ein- 
heitliche und  gleichförmige  Kirchenverbesserung  mufste  sonach  verzichtet 
werden.  Mochte  eine  jede  Nation  zusehen,  wie  sie  am  besten  fuhr. 
Zuerst  (1418,  Januar)  reichte  die  deutsche  Nation  ein  Verzeichnis  ihrer 
Wünsche1)  ein,  dann  folgten  nicht  ohne  Rüge  Sigmunds,  an  den  sie 
sich  gewandt  hatten,2)  die  Franzosen  und  die  andern.  Martin  V.  über- 
reichte ihnen  eine  Reformakte,  die  zwar  einzelne  Wünsche  befriedigte,  aber 
wegen  ihrer  Uniformität  auf  Widerspruch  stiefs.  Die  Schuld,  dafs  keine  all- 
gemeine Vereinbarung  zustande  kam,  trifft  somit  mehr  die  Nationen  als  den 
Papst.  Schliefslich  wurden  (am  2 1 .  März)  jene  Punkte,  über  die  alle  schon  bisher 
übereingekommen  waren,  als  Reformbeschlüsse  verkündigt.  Es  waren  ihrer 
sieben,  sie  betrafen  aber  meifst  nur  Fragen  des  päpstlichen  Finanzwesens.3) 
2.  Mit  den  sieben  Dekreten  erlangte  die  Reformation  am  Haupte  der 
Kirche  einen  gewissen  Abschlufs.  Die  Reformatio  in  membris  erhielt  ihre 
Erledigung  in  den  Konkordaten,  die  Martin  V.  mit  den  einzelnen  Nationen 
abschlofs.  Jene  waren  vom  Plenum,  diese  von  den  Nationen  genehmigt. 
Es  handelte  sich  vornehmlich  um  die  Annaten,  über  deren  Last  Fran- 
zosen4) und  Deutsche5)  vor  allem  klagten.  Da  die  französische  Nation 
in  dem  Prioritätsstreit  über  die  Papstwahl  sich  an  die  beiden  andern 
romanischen  Nationen  angeschlossen  hatte ,  gingen  diese  nun  auch 
beim  Abschlufs  der  Konkordate  gemeinsam  vor,  und  so  wurden  nun 
Übereinkommen  mit  der  deutschen ,  englischen  und  den  kon- 
föderierten romanischen  Nationen  geschlossen.6)  Die  Dauer  des 
deutschen  und  romanischen  Konkordates  wurde  auf  fünf  Jahre,  d.  h. 
bis  zum  nächsten  allgemeinen  Konzil,  bestimmt;  im  englischen  blieb 
sie  unbestimmt.  Die  Zahl  der  Kardinäle  wird  auf  24  festgesetzt; 
sie     werden,     um     dem     Übergewicht    einer    einzelnen     Nation     vorzu- 

x)  Avisamenta  nat.  Germ.  etc.  ib.  999. 

2)  Sie  hatten  sich  an  ihn  gewandt :  ut  papam  ad  ecclesiae  reformationem  digna- 
retur  informare.  Er  wies  sie  bitter  ab :  Dum  nos,  ut  reformatio  fieret,  priusquam  ad 
electionem  s.  pontificis  procederetur,  instäbamus,  vos  papam.  priusquam  fieret  reformatio. 
habere  voluistis.    Et  ecce,  Papam  habetis  .  .  .  illum  adite. 

3)  1.  Die  seit  1378  erteilten  Exemptionen  sind  ungültig.  Ohne  triftigen  Grund 
dürfen  keine  mehr  erteilt  werden.  2.  Verbot  der  Häufung  von  Pfründen.  3.  Verzicht 
des  Papstes  auf  vakante  Benefizien.  4.  Ungültigkeit  simonistischer  Wahlen.  5.  Recht- 
zeitige Weihe  des  Benefiziaten.  6.  Beschränkung  der  Auflegung  eines  Kirchenzehents 
durch  den  Papst.     7.  Gesetz  über  die  Lebensweise  der  Kleriker. 

4)  Nationis  Gallicae  .  .  .  declaratio  de  annatis  non  solvendis;  v.  d.  Hardtl,  761 — 791: 
a  praelatorum  benefieiis  et  praelaturarum v  vacantibus  et  quoties  racabant,  etiamsi  ter  aut 
pluries  vacassent  in  anno,  pro  qualibet  mutatione  tituli  voluerunt  (sc.  papa  et  curia) 
habere  et  exigere  fruetus  primi  anni  .  . . 

5)  Niem,  De  scismate  II,  7.  Die  engl.  Nation  hatte  schon  1352  ihre  Statut  of 
provisors,  das  alle  Personen,  welche  die  päpstliche  Verleihung  einer  Pfründe  annahmen, 
mit  Gefängnisstrafe  u.  Konfiskation  der  Einkünfte  bestraft.  Gueist,  EVG.  403.  Die  Strafen 
in  einzelnen  Städten  Italiens  s.  v.  d.  Hardt  I,  782. 

6)  Das  deutsche  bei  Hübler  164—193,  das  romanische  194 — 206,  das  englische 
207—215. 


480  ^ie  Frage  vom  Tyrannenmord.     Schlnfs  und  Ergebnisse  des  Konzils. 

beugen,  aus  allen  Nationen  genommen.  Den  Bettelorden  soll  nur  je 
einer  angehören.  Sie  sollten,  mit  Ausnahme  jener,  die  aus  fürstlichen 
Häusern  stammen,  Doktoren  der  Theologie  oder  der  Rechte  sein  und 
unter  dem  Beirat  der  übrigen  Kardinäle  erwählt  werden.  Die  übrigen 
Bestimmungen  beziehen  sich  auf  die  Vergebung  der  Benefizien,  Besetzung 
kirchlicher  Würden  usw.  —  So  war  nun  auch  die  dritte  Aufgabe  des 
Konzils  gelöst,  freilich  in  einer  Weise,  die  nicht  überall  auf  Beifall 
rechnen  konnte.  Das  Konzil  hatte  daneben  noch  zahlreiche  andere  Auf- 
gaben zu  lösen ;  viel  Zeit  verbrauchte  es  mit  der  Prüfung  der  Theorien 
des  Pariser  Magisters  Jean  Petit  (Johannes  Parvi).  Während  der 
Wirren  unter  Karl  VI.  war  Herzog  Ludwig  von  Orleans  auf  Anstiften 
Johanns  von  Burgund  (1407,  23.  November)  getötet  worden  (s.  §  126). 
In  Paris  sah  man  darin  die  Erlösung  vom  Joch  eines  Tyrannen,  und  die 
Universität  ging  in  ihren  Sympathien  für  Burgund  so  weit,  dafs  einer  ihrer 
Professoren,  Jean  Petit,  den  Satz  aufstellen  durfte,  dafs  es  nach  natür- 
lichem, moralischem  und  göttlichem  Gesetz  nicht  blofs  erlaubt,  sondern 
geboten  sei,  einen  Tyrannen  zu  töten,  zumal  wenn  er  so  mächtig  ist,  dafs 
der  Arm  der  Gerechtigkeit  ihn  nicht  erreichen  kann.  Diese  Lehre 
erregte  an  vielen  Orten  Entsetzen  und  wurde  für  Gerson,  der  sonst  dem 
Hause  Burgund  verpflichtet  war  und  darum  längere  Zeit  schwieg, 
schliefslich  aber  als  christlicher  Lehrer  sie  öffentlich  mifsbilhgte,  eine 
Quelle  vieler  Leiden.  Nachdem  sie  der  Bischof  von  Paris  schon  1414 
verdammt  hatte,  wurde  sie  auf  Gersons  Betreiben  auf  die  Tagesordnung 
des  Konzils  gesetzt  und  verurteilt.  So  grofs  war  freilich  die  Furcht  vor 
der  Macht  des  Burgunders,  dafs  die  versammelten  Väter  nicht  wagten, 
Petits  Namen  zu  nennen.  Da  sich  Gerson  mit  der  schwächlichen  Ent- 
scheidung des  Konzils  nicht  beruhigte,  sondern  immer  wieder  an  diese 
Frage,  die  für  ihn  zu  einer  persönlichen  wurde,  herantrat,  verlor  er 
schliefslich  allen  Einflufs.  Die  Rache  Burgunds  fürchtend,  lebte  er 
später  längere  Zeit  in  der  Fremde,  und  erst  des  Herzogs  Tod  (1419) 
bahnte  ihm  den  Weg  in  die  Heimat.  Am  19.  April  1418  wurde  Pavia 
als  Ort  des  nächsten  Konzils  bestimmt,  womit  die  Nationen  mit  Aus- 
nahme der  französischen  zufrieden  waren.  Die  45.  und  letzte  Sitzung 
fand  am  22.  April  statt.  Sowohl  der  Papst  als  der  König  blieben  aber, 
noch  längere  Zeit  in  Konstanz,  um  einzelne  Geschäfte  zu  erledigen. 
Erst  am  16.  Mai  verliefs  Martin  V.  die  Stadt  und  wurde  von  Sigmund 
bis  Gottlieben  begleitet.  Von  den  Hauptaufgaben  des  Konzils  war  nur 
eine:  die  Herstellung  der  kirchlichen  Einheit  gelöst,  die  trau- 
rigen Folgen  der  Lösung  der  zweiten  —  die  Zurückstauung  des 
Wiclifismus  in  Böhmen  und  Mähren  —  wurden  in  beiden  Ländern 
bereits  sichtbar  und  die  dritte  —  die  Durchführung  der  Reformation  — 
blieb  in  den  Anfängen  stecken.  Gegen  die  vom  Konzil  beschlossene 
Lehre  von  der  Superiorität  der  allgemeinen  Konzilien  über  den  Papst, 
hatte  Martin  V.  schon  am  10.  März  1418  eine  Bulle  des  Inhalts  er- 
lassen, dafs  es  in  keinem  Falle  gestattet  sei,  vom  Papste  an  ein  Konzil 
zu  appellieren.  Damit  waren  die  bedeutsamen  Dekrete  der  vierten  und 
fünften  Sitzung  tatsächlich  annulliert. 


König  Sigmund  in  Ungarn.     Beziehungen  zu  den  Nachbarstaaten.  4SI 

§  111.    König*  Sigmund  und  das  Reich  in  der  Zeit  des  Konzils 

von  Konstanz. 

Quellen  u.  Hil f  s s c h r i f  t e n  wie  oben.  Dazu  L enz,  König  Sigismund  und 
BeinrichV.  v. England.  Berl.  1874.  Gierth,  wie  unten  §  125.  Caro,  Gesch.  Polens  III. 
Kurz,  Österr.  unter  Albrecht  II.  Stein wenter,  Gesch.  der  Leopoldiner.  AÜG.  LVIII. 
Xenopol,  Histoire  des  Roumains  I.  Paris  1896.  Kai n dl,  Gesch.  der  Bukowina  IL 
Czernowitz  1896.  Eberhard,  Ludwig  III.,  Kurf.  v.  d.  Pfalz  u.  das  Reich  1410—1427. 
Diss.  Giefsen  1896.     Verci,  Storia  della  Marca  Trevigiana  XIX. 

1.  Die  Verwicklungen,  in  die  Sigmund  als  König  von  Ungarn  mit 
dessen  Nachbarstaaten  geriet ,  brachten  es  mit  sich ,  dafs  er  erst  drei 
Jahre  nach  seiner  Wahl  zum  Empfang  der  Krone  in  Deutschland  er- 
schien. Ungarns  Macht  war  im  Süden  von  Venedig  bedroht,  das  1409 
von  König  Ladislaus  Zara  erkauft  hatte  und  sich  in  den  Besitz  von  ganz 
Dalmatien  setzen  wollte,  im  Norden  von  Polen,  das  die  ungarischen 
Vasallenfürstentümer  im  Nordosten  und  Osten  der  Karpathen  tribut- 
pflichtig gemacht  oder  ganz  unterworfen  hatte  und  dem  Deutschen  Orden 
bei  Tannenberg  (s.  unten)  eine  zermalmende  Niederlage  beibrachte. 
Im  April  1411  trug  König  Wladislaw  den  Venezianern  ein  Bündnis  an, 
bald  darauf  verband  er  sich  gegen  Sigmund  mit  dem  walachischen 
Woiwoden  Mircea.  Ebenso  feindlich  verhielt  sich  Herzog  Ernst  von 
Österreich,  weil  Sigmund  den  Herzog  Albrecht  V.,  den  er  mit  seiner 
Tochter  Elisabeth  verlobte  (1411,  Oktober),  aus  seiner  bisherigen  Vor- 
mundschaft frei  machte.  Daraufhin  vermählte  sich  Ernst  mit  Cimburgis 
von  Masovien,  einer  Nichte  des  polnischen  Königs,  und  schlofs  mit  Polen 
und  Litauen  ein  Bündnis.1)  Da  es  aber  der  bejahrte  Polenkönig  auf 
keinen  Krieg  ankommen  lassen,  Ungarn  des  Deutschen  Ordens  wegen 
nicht  zu  den  Waffen  greifen  wollte,  wurde  1411  ein  Waffenstillstand  und 
im  folgenden  Jahre  der  Friede  von  Lublau  geschlossen,  der  Polen  im 
Besitz  seiner  Erwerbungen  liefs.  Der  Krieg  gegen  Venedig  und  Mailand 
wurde  seit  1411  ohne  Entscheidung  geführt,  bis  Sigmund,  im  Begriff, 
den  kirchlichen  Fragen  näher  zu  treten,  mit  den  Venezianern  auf  Grund 
des  Status  quo  zu  Triest  einen  Waffenstillstand  schlofs  (1413,  17.  April). 
Seine  nächsten  Bemühungen  waren  der  Beseitigung  des  Schismas  und 
dem  Versuche  gewidmet,  Kaiser  und  Reich  in  Oberitalien  wieder  zur 
Geltung  zu  bringen.  Er  hatte  die  Absicht,  bis  zur  Konzilseröffnung  in 
Italien  zu  verweilen ,  aber  der  Wunsch ,  sich  die  deutsche  Krone  aufs 
Haupt  zu  setzen,  um  dann  mit  gröfserem  Ansehen  auf  dem  Konzil  auf- 
treten zu  können  und  die  Überzeugung ,  nur  durch  sein  persönliches 
Erscheinen  die  Reichsstände  für  seine  italienischen  Pläne  gewinnen  zu 
können,  bewog  ihn  schliefslich,  über  Piemont  nach  Deutschland  zu  ziehen. 
Im  Juli  1414  hielt  er  in  Speyer  einen  Reichstag,  um  die  Fehden  im 
Reiche  beizulegen  und  Hilfe  gegen  Mailand  zu  erhalten.  Statt  nun  die 
Fahrt  nach  Aachen  zu  machen,  zwang  ihn  die  feindselige  Haltung  der 
Herzoge  von  Berg,  Brabant  und  Burgund,  nach  Koblenz  zu  gehen.  Der 
Herzog  von  Berg  war  nämlich  erbittert,  dafs  Sigmund  gegen  seinen  von 


l)  S.  bes.  RA.  VII,  Nr.  125. 
Loserth,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  31 


482  Krönung  in  Aachen.     Die  pol.  Reformvorschläge  Sigmunds 

einer  Minderheit  znrn  Erzbischof  von  Köln  gewählten  Bruder  den  von 
der  Mehrheit  gewählten  Propst  Dietrich  von  Mors  anerkannte,  die  beiden 
andern,  weil  er  Brabant  für  das  Reich  und  Luxemburg  für  die  böhmische 
Krone  wieder  zurückforderte  (s.  oben).  Erst  als  die  ihm  von  der  berg- 
brabantischen  Koalition  drohenden  Gefahren  durch  den  Übertritt  Rainalds 
von  Geldern  auf  seine  Seite  beseitigt  waren,  zog  er  nach  Aachen  und 
wurde  am  8.  November  1414  zugleich  mit  seiner  Gemahlin  Barbara 
gekrönt. 

2.  Von  Aachen  ausging  Sigmund  nach  Süddeutschland.  In  Konstanz 
wartete  seiner  die  schwere  Aufgabe,  die  Arbeiten  des  Konzils  zu  einem 
glücklichen  Ende  leiten  zu  helfen.  Seine  weiteren  Wünsche  gingen  dahin 
alle  politischen  Zwistigkeiten  in  der  Christenheit  beizulegen,  damit  sie 
ihr  ersehntes  Ziel,  die  Befreiung  des  hl.  Grabes,  endlich  erreiche.  Aber 
bei  dem  Widerstreben  der  Partei  des  Grafen  von  Armagnac  vermochte  er 
nicht  einmal  den  Frieden  zwischen  England  und  Frankreich  zustande 
zu  bringen.  Daher  schlofs  er  am  15.  August  1416  zu  Canterbury  ein 
Schutz-  und  Trutzbündnis  mit  Heinrich  V.  von  England1),  forderte  alles, 
was  dem  römischen  Reiche  von  den  Franzosen  geraubt  worden,  wieder 
zurück,  versprach,  Englands  Ansprüche  auf  Frankreich  zu  unterstützen, 
und  bemühte  sich ,  die  Kurfürsten  für  seine  antifranzösische  Politik  zu 
gewinnen.  Nach  Konstanz  zurückgekehrt,  betrieb  er  die  Rüstungen 
gegen  Frankreich  mit  allem  Eifer ;  trotz  der  Unterstützung  der  deutschen 
Fürsten  unterblieb  jedoch  der  auf  den  Sommer  1417  angesetzte  Feldzug. 
Die  Folge  der  englischen  Bündnisse  war  die  Feindschaft  der  französischen 
Nation  beim  Konzil,  die  nicht  zögerte ,  sich  auf  die  Seite  der  andern 
romanischen  Nationen  zu  stellen.  Da  die  Kämpfe  über  die  Priorität 
der  Papstwahl  vor  der  Kirchenreforrn  in  diese  Zeit  fielen,  blieb  Sigmund 
in  Konstanz.  Es  ist  übrigens  die  Frage,  ob  das  Reich  militärisch  in  der 
Lage  gewesen  wäre,  den  Krieg  gegen  Frankreich  aufzunehmen.  Seine 
Unzulänglichkeit  erwies  sich  nicht  lange  nachher  im  Kriege  gegen  die 
Hussiten.  Ein  Erfolg  Sigmunds  war  es  noch,  als  er  am  24.  Januar  1418 
die  Approbation  des  Papstes  und  die  Zusicherung  der  Kaiserkrone  erhielt, 
War  sein  Ansehen  in  Italien  ein  geringes,  so  vermochte  er  seine  Autorität 
nicht  einmal  in  Deutschland  zur  Geltung  zu  bringen.  Bald  nach  seiner 
Ankunft  hatte  er  einen  Landfrieden  für  Franken  festgesetzt  (1414, 
30.  September)  und  auf  dem  Konstanzer  Reichstag  im  Februar  1415  den 
Versuch  gemacht,  die  Städte  für  den  Plan  der  Aufrechthaltung  des  ge- 
meinen Friedens  zu  gewinnen.  Der  Neuaufrichtung  eines  starken  Städte- 
bundes unter  seinem  Protektorat  geneigt,  hätte  er  mit  dessen  Unter- 
stützung der  königlichen  Gewalt  die  erwünschte  Kräftigung  verschafft; 
aber  selbst  die  Städte  widerstrebten  einer  strafferen  Lmterordnung  unter 
die  Autorität  des  Königs.  Da  dieser  Plan  nicht  durchgeführt  werden 
konnte ,  sollte  das  Reich  zur  Aufrechthaltung  des  Landfriedens  in  vier 
Kreise  geteilt  und  an  die  Spitze  eines  jeden  ein  Hauptmann,  über  das 
Ganze  ein  vom  König  ernannter  Oberhauptmann  gesetzt  werden.     Dieser 


l)  Gedr.  RA.  VII,  332  ff. 


und  ihre  Ablehnung  durch  die  Reichsstände.  483 

wäre  der  Sache,  wenn  auch  nicht  dem  Namen  nach  Reichsvikar  gewesen 
und  damit  ein  Amt  geschaffen  worden,  dessen  Errichtung  von  einzelnen 
Stünden  schon  lange  gewünscht  wurde.  Die  Städte  nahmen  auch  diesen 
Plan  mit  Mifstrauen  auf,  und  als  der  König  im  März  1417  nochmals 
auf  seine  städtefreundlichen  Absichten  zurückkam,  einigten  sich  die 
Kurfürsten  zu  gemeinsamem  Vorgehen  gegen  seine  Forderungen.  So 
scheiterten  seine  Vorschläge  zu  einer  besseren  Ausgestaltung  der  deutschen 
Verfassung  und  der  Aufrechthaltung  des  Landfriedens  ebensosehr  an  der 
Engherzigkeit  der  Städte  als  an  der  Selbstsucht  der  Fürsten.  Im  übrigen 
liefsen  diese  Reformversuche  doch  ihre  Spuren  zurück :  In  den  Tagen 
Albrechts  IL  und  Friedrichs  III.  wurde  an  diese  Bestrebungen  wieder 
angeknüpft.  Den  grofsen  Forderungen  der  Städte  kam  Sigmund  insoweit 
entgegen,  dafs  er  sie,  soweit  es  in  seinen  Kräften  stand,  gegen  den  Druck 
der  Fürsten  und  des  Adels  in  Schutz  nahm,  ihnen  neue  Privilegien  ver- 
lieh und  die  Zusicherung  gab,  dafs  sie  nicht  verpfändet  werden  sollten. 
Solche  Zusicherungen  hatten  freilich  nur  geringen  Wert,  und  Verpfändungen 
sind  auch  in  der  Folgezeit  häufig  genug  vorgenommen  worden.  Als 
Sigmund  nach  siebenjähriger  Abwesenheit  nach  Ungarn  zurückkehrte, 
um  für  dessen  Schutz  gegen  Türken  und  Venezianer  Fürsorge  zu 
treffen,  ernannte  er  (1418,  2.  Oktober)  für  die  Zeit  seiner  Entfernung 
aus  Deutschland  den  Kurfürsten  Friedrich  von  Brandenburg  zum  »Statt- 
halter und  Verweser«. 


4.  Kapitel. 

Die  Hussitenkriege. 

§  112.    Die  kirchliche  Bewegung  in  Böhmen  vom  Tode  des  Hufs  bis 

zum  Ausbruch  des  Krieges. 

Quellen.  S.  oben  §  106,  107.  Urkunden:  D.  Archiv  cesky,  Casopis  historicky 
und  die  MYGDB  enthalten  zahlreiche  urkundliche  Materialien.  Eine  methodisch  an- 
gelegte Sammlung  von  Urkk.  u.  Briefen  ist  die  von  Palacky  :  Urk.  Beiträge  zur  Gesch. 
des  Hussitenkrieges.  2  Bde.  Prag  1873.  Für  die  Nachbarländer :  Beck-Loserth,  Urk.  Bei- 
trage. Z.  f.  Gesch.  Mährens  u.  Schlesiens  1896.  Für  die  Jahre  1415—1419  s.  noch  Palacky, 
Documenta  mag.  Joann.  Hus,  wie  oben,  und  Loserth,  Beiträge  zur  Gesch.  der  huss. 
Beweg.  Y.  Grünhagen,  Geschichtsquellen  der  Hussitenkriege.  SS.  rer.  Sil.  VI.  Breslau  1871. 
Cod.  dipl.  Lusatiae  super.  II,  enthaltend  die  Urkk.  des  Oberlausitzer  Hussitenkrieges, 
hcrausg.  von  Je  cht.  Bd.  1  u.  2.  Görlitz  1896 — 1900.  Cod.  epistolaris  Vitoldi  magni 
ducis  Poloniae  (MM.  med.  aevi  bist.  res.  gest.  Pol.  illustrantia,  t.  VI),  ed.  Prochaska. 
Crac.  1882,  reicht  bis  1430. 

Geschichtschreiber  u.  Chroniken:  Eine  gute  Übersicht  bei  F.  v.  Bezold, 
K.  Sigmund  u.  die  Reichskriege  gegen  die  Hussiten.  München  1872,  und  Lorenz  I,  317. 
In  Betracht  kommen :  Annales  patrio  sermone  scripti.  SS.  rer.  Boh.  III,  Prag  1829. 
Deutsch  bei  Höfler,  Gesch.  der  huss.  Beweg,  in  (dazu  die  kleineren  Chroniken,  ebenda 
Bd.  1  u.  2,  und  Dobner,  MM.  Boh.  hist.  LTI,  IV,  VI,  auf  die  hier  nicht  näher  ein- 
gegangen wird).  Chronicon  univ.  Pragensis  1348 — 1420.  Höfler  I,  13—17.  Jetzt  besser 
von  Goll.  FF.  rer.  Boh.  V  (dazu  Rustler,  das  sog.  Cbron.  univ.  Prag.  Leipz.  1886,  und 
Goll  in  den  SB.  d.  kgl.  böhm.  Ges.  d.  W.  1884).  Chron.  Treboniense  1419—1439. 
Höfler  I,  50—65.  Chron.  veteris  collegiati  1419—1441.  S.  78—101.  Bartosek  v.  Drahonic, 
Chronicon  1419—1443,  und  Addit.  1394—1428,  ed.  Goll.  FF.  rer.  Boh.  V.  Am  wichtigsten 

31* 


484  Dic  kirchl.  Bewegung  in  Böhmen  nach   dem  Tode  des  Hufs. 

sind  :  Bfezova  u.  Mladenowitz,  s.  oben.  Von  Bfezova  ist  auch  ein  Gedicht  auf  den  Sieg 
von  Taus  vorhanden:  Höfler  I,  596—620,  Groll,  545 — 563.  Die  von  Höfler  an  Mladeno- 
witz angehängte  Predigt  des  Hus  gehört  Wiclif  an.  Die  Taboritenchronik,  Ludolf  von 
Sagan  und  die  Denkschrift  des  Nikolaus  Tempelfeld  v.  Brieg,  s.  oben.  Chronicon 
Procopii  notarii  bis  1419.  Höfler  I,  67 — 76.  Die  in  tschechischen  Reimen  abgefafste 
Darstellung  der  Ereignisse  v.  1413 — 1474  in  Pelzel  u.  Dobrowsky.  SS.  rer.  Boh.  IH,  470. 
Über  einzelne  Ereignisse  :  Die  Historien  des  Magisters  Johannes  Leonis,  ed.  Schlesinger. 
Prag  1877  s.  dazu  Tupetz.  MYGDB.  XX  u.  Loserth.,  ebenda  XXXI  .  Anonymus  de  orig. 
Taboritarum  et  de  morte  Wenceslai,  Höfler  I,  528 — 534.  Kleinere,  unbedeutende  Quellen : 
Höfler  III,  260.  Auswärtige  Quellen:  Andreas  von  Regensburg  ausf.  Würdigung 
in  Bezold,  S.  15  fiV  :  Diarium  septennale  1422 — 1427,  1433.  Chronica  Hussitarum  etc. 
herausg.  von  Leidinger  wie  oben.  Eberhard  Windecke,  wie  oben.  Thomas  Ebendorfer, 
Chronica  regum  Romanorum,  ed.  Pribram.  MJÖG.  Erg. -Bd.  III.  S chle si s c  li  c  G  e  - 
s  c h i  c  h  t  s  c  h  reiber,  s.  Grünbagene  < *< }.  d.  Hussitenkrieg.  Die  Lausitze  r  in 
Jecht,  wie  oben.  Aufzeichnungen  aus  der  Hussitenzeit  Wenzels  v.  Iglau,ed.  Loserth. 
MYGDB.  XIX.  Dort  IL,  184  das  Lied  von  der  Schlacht  bei  Aussig  und  XXII  das 
Lied  über  die  Schlacht  bei  Wischehrad.  Cochläus,  Hist.  Hussitarum,  Burkhard  Zink, 
die  Magdeb.  Schöppenchronik  und  Hermann  Corner,  wie  oben.  Enea  Silvio,  Hist. 
Boh.  Ausg.  bei  Potth.  I,  22.  Bei  der  Bedeutung  Pilsens  in  der  letzten  Zeit  des 
Krieges  ist  auch  Tanner,  Hist.  urb.  Pilsnae  descriptio  zu  nennen.  Progr.  des  <  >.  Gymn. 
v.  Pilsen  1862-1864,  1880,  1890,  1896. 

Hilfsschriften:  Palacky  und  die  übrigen  Geschichten  Böhmens  wie  oben. 
Wichtig  ist  Tomek,  Gesch.  v.  Prag  IV  tschechisch  .  Lenfant,  Hist.  de  la  guerre 
des  Hussites  et  du  concile  de  Basle.  Amst.  1731.  Theo  bald,  Hussitenkrieg.  Witten- 
berg 1609  s.  Krejcik  in  MYGDB.  XXXIX,  63,  dort  che  Lit.  über  Theobald  .  Krummel , 
Gesch.  d.  böhm.  Ref.,  wie  oben.  —  Utraquisten  u.  Taboriten,  wie  oben.  Lechler, 
wie  oben.  Bernhardt,  Die  Inanspruchnahme  d.  Reiches  durch  die  Hussitenkriege. 
Diss.  Halle  1901.  Tomek,  Dejiny  välek  Husitskych  1419—1436  Gesch.  d.  Hussiten- 
kriege). Prag  1S98.  F.  v.  Bezold,  K.  Sigismund  u.  che  Reichskriege  gegen  che  Hussiten. 
3  Bde.  München  1872.  Zur  Gesch.  des  Hussitentums.  München  1874.  W.  W.  Tomek, 
Johann  Zizka.  Ebers,  von  Prochazka.  Prag  1882.  Nachträge  z.  Lit.  über  Zizka  s.  JBG. 
XVI,  III,  316.  Loserth,  Die  kirchliche  Reformbewegung  in  England  im  14.  Jahrh., 
wie  oben.  Frind,  Kirchengesch.  von  Böhmen,  3 — 4.  Grünhagen,  Die  Hussiten- 
kämpfe  der  Schlesier.  Breslau  1S72.  Gr.  Kroker,  Sachsen  und  die  Hussitenkriege. 
NA.  f.  sachs.  Gesch.  XXI.  Friefs,  Herzog  Albrecht  Y.  v.  Osten*,  u.  che  Hussiten.  1872. 
Br  et  holz,  Die  Übergabe  Mährens  an  Herzog  Albrecht  Y.  im  Jahre  1423.  AÖG.  LXXX. 
Erben,  Das  Aufgebot  Albrechts  V.  MJÖG.  XXIIL  K  u  r  z ,  Österreich  unter  Albrecht  II. 
2  Bde.  Wien  1835.  Enth.  Urkk.  zur  Gesch.  d.  Hussitenkriege.  Ja  ritsch,  Der  dritte 
Kreuzzug  gegen  die  Hussiten  1427.  Wien  1900.  Bielohlawek,  Ursachen  ül.  Verlauf 
der  Kriegsereignisse  in  Böhmen  1434.  Braunau  1894.  Koller,  Worin  äufserte  sich 
das  Wesen  des  Hussitismus  ?  Progr.  Olmütz  1883  —  84.  Zöllner,  Zur  Yorgesch.  des 
Bauernkrieges.  Progr.  Dresden  1872.  Loserth,  Der  Kirchen-  und  Klostersturm  der 
Hussiten,  wie  oben.  Goll,  König  Sigmund  und  che  Polen  1420—1436.  MJÖG.  XY. 
Lewicki,  Ein  Blick  in  die  Politik  König  Sigmunds  in  Bezug  auf  che  Hussitenkriege. 
AÖG.  LXHI.  Höfler,  Die  Schlacht  am  Zizkaberge.  Wiener  SB.  XCV.  Wulf,  Die 
huss.  Wagenburg.  Berl.  1889.  Pr.  Jb.  LXYIII.  —  Die"  Zahlen  der  huss.  Heere.  MYGDB. 
XXXI,  92.  Wie  de  mann,  Dasselbe.  Ebenda  S.  297.  Görlitzer,  Der  huss.  Einfall 
in  die  Mark.  Berl.  1891.  S.  Binder,  Die  Hegemonie  der  Prager  im  Hussitenkrieg. 
Prag  1901,  s.  dazu  .1.  Goll,  Zur  Gesch.  des  Hussitenkrieges.  SB.  d.  böhm.  Gesch. 
d.  W.  1901.  Klee  an  da,  Polen  u.  Böhmen  z.  Z.  des  Hussitenkrieges.  1895.  Die  Schriften 
von  Brandenburg  u.  Eberhard  s.  §  111. 

1.  Schon  die  Verhaftung  des  Hufs  hatte  in  Böhmen  und  Mähren 
peinliches  Aufsehen  erregt.  Als  nun  gar  die  Nachricht  von  seinem  Tode 
anlangte,  brachen  heftige  Bewegungen  gegen  die  katholische  Geistlichkeit 
aus.  In  Prag  wurden  die  Wohnungen  jener  Priester,  die  man  als  Hussens 
Widersacher    kannte,    gestürmt    und  geplündert.     Selbst    der  Erzbischof 


Der  hussitische  Herreübund.     Die  Haltung  Wenzels.  485 

konnte  sich  nur  mit  Mühe  vor  der  Wut  des  Volkes  retten.  Nicht  besser 
lagen  die  Dinge  auf  dem  Lande.  Überall  empfand  man  das  Verfahren 
gegen  Hufs  als  dem  Lande  zugefügte  Schmach  und  seine  Verbrennung 
als  Justizmord.  Wenzel  liefs  aus  Groll  gegen  Sigmund  den  Dingen 
freien  Lauf,  und  seine  Gemahlin  begünstigte  offen  Hussens  Freunde.  An 
der  Spitze  der  Regierung  standen  erklärte  Hussiten.  Um  das  Volk  vor 
grösseren  Ausschreitungen  abzuhalten,  wurde  ein  Landtag  nach  Prag 
einberufen,  der  auch  aus  Mähren  stark  besucht  war.  Am  2.  September 
legten  der  Herren-  und  Ritterstand  einen  feierlichen  Protest  gegen  die 
Verbrennung  des  Hufs  und  die  Gefangenschaft  des  Hieronymus  ein  und 
erklärten  jene  für  Lügner,  die  Böhmen  in  den  Ruf  der  Ketzerei  brächten. 
Drei  Tage  später  trat  in  Form  eines  Landtagsschlusses  der  hussitische 
Herrenbund  zusammen  und  verpflichtete  sich,  die  freie  Predigt  des 
Evangeliums  auf  allen  seinen  Gütern  und  Besitzungen  zu  schirmen  und 
der  bischöflichen  Gewalt  nur  da  Folge  zu  leisten,  wo  dies  den  biblischen 
Anforderungen  entspricht.  In  strittigen  Fällen  sollte  man  sich  an  die 
Entscheidung  der  Universität  halten.  Der  Bund  wurde  auf  sechs  Jahre 
festgesetzt.  Ihm  trat  der  ganze  hussitische  Adel  des  Landes  bei,  und  so 
erhielt  das  an  das  Konzil  gesandte  Schreiben  nicht  weniger  als  452  Siegel. 
Dieser  Herrenbund  erhob  somit  seine  Fahne  für  das  Schriftprinzip. 
Wäre  der  König  dem  Bunde  beigetreten,  so  wären  seine  Beschlüsse 
gesetzeskräftig  geworden;  er  verweigerte  es  und  näherte  sich  dem  katho- 
lischen Herrenbunde,  der  sich  nun  gleichfalls  gebildet  hatte  und  sich 
verpflichtete,  an  dem  König,  der  römischen  Kirche  und  dem  Konzil 
festzuhalten.  Stand  somit  der  Ausbruch  eines  Bürgerkrieges  in  Sicht, 
so  kamen  noch  die  Verfügungen  des  Konzils  hinzu,  die  nicht  geeignet 
waren,  die  Gemüter  zu  beruhigen.  Einen  Sturm  des  Unwillens  erregte 
es,  als  der  eifrigste  Gegner  des  Hufs,  Bischof  Johann  von  Leitomischl, 
genannt  der  Eiserne,  als  apostolischer  Legat  nach  Böhmen  abgesendet 
wurde.  Während  der  Erzbischof  von  Prag  und  der  Bischof  Wenzel  von 
Olmütz  eine  zuwartende  Stellung  einnahmen,  trat  das  Prager  Domkapitel 
mit  aller  Schärfe  gegen  die  Neuerer  auf  und  verhängte  endlich  das 
Interdikt  über  Prag.  Diese  Mafsregel  half  nicht  viel,  denn  schon  be- 
fanden sich  die  besten  Pfarreien  in  Prag  in  den  Händen  hussitischer 
Priester,  und  die  Beschlüsse  des  Konzils  gegen  die  hussitischen  Barone 
fanden  keine  Beachtung. 

Martin  V.,  der  schon  als  Kardinal  gegen  Hufs  eingeschritten  war, 
nahm  nach  Beendigung  des  Konzils  den  Kampf  wider  den  Hussitismus 
energisch  auf.  Die  hussitische  Lehre  sollte  vollständig  ausgerottet 
werden.  König  Wenzel  ergriff  nun  Mafsregeln  im  römischen  Sinne. 
Hussitisch  gesinnte  Staatsmänner  und  Heerführer  mufsten  vom  Hofe 
weichen,  katholische  Geistliche  wurden  in  ihre  Pfründen  wieder  ein- 
gesetzt usw.  Darüber  entstand  eine  allgemeine  Aufregung;  als  einige 
neu  eingesetzte  antihussitische  Ratsherren  vom  Rathause  aus  eine  hussi- 
tische Prozession  verhöhnten,  stürmte  die  Menge  das  Rathaus  und  warf 
sieben  Ratsherren  zu  den  Fenstern  hinaus.  Den  König  Wenzel  brachte 
die  Kunde  hievon  in  so  heftige  Aufwallung,  dafs  er  vom  Schlage  gerührt 


486    Der  Prager  Fenstersturz  und  der  Tod  Wenzels.     Untraquisten  und  Taboriten. 

wurde.     Er  starb  am  16.  August  1419  auf  seinem  Schlosse  Wenzelstein 
bei  Kundratitz.     Sein  Erbe  war  König  Sigmund. 

2.  Iq  den  letzten  vier  Jahren  hatte  sich  der  Hussitismus  organi- 
siert. Von  Anfang  an  finden  wir  zwei  Parteien:  während  die  nächsten 
Anhänger  Hussens  auf  der  von  ihm  gezeichneten  Linie  stehen  blieben, 
ja  manche  sich  wieder  der  alten  Lehre  zuwandten  und  also  die 
ganze  hierarchische  und  gottesdienstliche  Ordnung  der  Kirche  unan- 
getastet liefsen,  drängte  die  radikale  Partei  zu  einem  vollständigen 
Anschlufs  und  zur  Durchführung  der  Doktrinen  Wiclifs,  desses  Predigten 
nun  erst  in  Böhmen  ihre  volle  Wirkung  taten.  Man  weifs,  dafs  diese 
Predigten  von  leidenschaftlichem  Hafs  gegen  die  Klostergeistlichkeit, 
vorab  gegen  die  Bettelmönche,  durchweht  sind  und  dafs  sie  energisch 
die  Zurückführung  der  Kirche  auf  den  Stand  in  der  Zeit  der  Apostel, 
demnach  die  Beseitigung  der  bestehenden  Hierarchie  und  die  Säkulari- 
sierung des  Kirchengutes  fordern.  Diese  Theorien  suchen  die  Radikalen 
unter  den  Hussiten  in  die  Wirklichkeit  umzusetzen :  sie  predigen  die 
sufficientia  legis  Christi:  nur  das  göttliche  Gesetz,  d.  i.  die  Bibel,  ist  R.egel 
und  Richtschnur  für  den  Menschen,  und  dies  nicht  nur  in  kirchlichen, 
sondern  auch  in  politischen  und  bürgerlichen  Sachen.  Selbst  die  sozia- 
listische und  kommunistische  Richtung,  die  zeitweise  bei  ihnen  platz- 
griff, geht  auf  die  Bibel  zurück  und  fand  schon  in  Wiclifs  Predigten 
einen  beredten  Ausdruck.  Sie  verwarfen  all  das,  was  nicht  in  der  Bibel 
begründet  ist:  den  Heiligenkultus,  den  Bilderdienst,  die  Fasten,  die  über- 
flüssigen Feiertage,  die  Segnungen  und  Weihen  jeglicher  Art.  den  Eid, 
die  Fürbitten  für  die  Toten,  die  Ohrenbeichte,  die  Ablässe,  die  Sakra- 
mente der  Firmung  und  der  letzten  Ölung,  liefsen  die  Laien,  auch 
Frauen,  zum  Predigtamt  zu,  wählten  ihre  Priester  selbst  und  spendeten 
Taufe  und  Abendmahl  in  den  einfachsten  Formen,  waren  Feinde  der 
stolzen  Kirchenbauten  und  des  Prunkes  beim  Gottesdienst  und  nahmen 
von  Kirchen  und  Altären  und  priesterlichen  Gewändern  Umgang.  Im 
Sinne  der  Wiclif  sehen  Lehre  von  der  Gemein  Schädlichkeit  der  geistlichen 
Orden  begannen  sie  ihre  Opposition  gegen  diese,  was  seit  1419  zu  den 
vandalischen  Verwüstungen  der  böhmischen  Klöster  führte.  Vor  allem 
aber  hielten  sie  sich  an  die  Wiclif  sehe  Abendmahlslehre,  und  eben  diese 
ist  es,  durch  die  sie  sich  am  meisten  von  den  Gemäfsigten  unter  den 
Hussiten  unterschieden. 

Das  Programm  der  Gemäfsigten  ist  in  den  vier  Prager  Artikeln 
enthalten,  die  im  Juli  1420  vereinbart  und  in  lateinischer,  tschechischer 
und  deutscher  Sprache  verbreitet  wurden.     Sie  lauten : 

1.  Gottes  Wort  soll  in  Böhmen  frei  und  ungehindert  gepredigt 
werden.  2.  Das  Sakrament  des  Leibes  und  Blutes  Christi  soll  allen  ge- 
treuen Christen  gemäfs  der  Einsetzung  Christi  unter  beiderlei  Gestalten 
gereicht  werden.  3.  Die  weltliche  Herrschaft  und  das  irdische  Gut,  das 
der  Klerus  gegen  Christi  Gebot  zum  Abbruch  seines  geistlichen  Amtes 
und  zum  Schaden  des  weltlichen  Armes  besitzt,  soll  ihm  genommen  und 
die  Priester  zum  Wandel  Christi  und  der  Apostel  zurückgeführt  werden. 
4.  Alle  Todsünden  und  besonders  die  öffentlichen,  dem  göttlichen  Gesetz 


Der  Kirchen-  und  Klostersturm  der  Hussiten.  4  87 

zuwiderlaufenden  Unordnungen  sollen  von  den  zuständigen  Obrigkeiten 
abgetan  werden. 

Die  Ansiebten  der  Gernäfsigten  fanden  ihre  volle  Vertretung  an 
der  Universität,  im  höheren  Adel  und  vornehmlich  in  Kreisen  der 
Prager  Bürger:  daher  nannte  man  die  ganze  Partei  anfangs  nicht  anders 
als  die  Prager;  da  sie  unter  den  vier  Artikeln  das  gröfste  Gewicht 
auf  den  zweiten  legten  und  der  Kelch  das  Wahrzeichen  wurde,  unter 
dem  sie  kämpften,  hiefsen  sie  auch  die  Kalixtiner  oder  Utraquisten. 

Die  Radikalen  hatten  ihren  Mittelpunkt  in  dem  Städtchen  Austie 
an  der  Luschnitz,  südlich  von  Prag.  Da  dieses  nicht  fest  genug  war, 
gründeten  sie  auf  einem  benachbarten  Hügel  eine  Stadt,  die  sie  Tabor 
nannten,  weshalb  die  radikal  Gesinnten  Taboriten  genannt  wurden. 
Sie  bildeten  das  treibende  Element  und  fafsten  die  eigentliche  Kraft  des 
Hussitismus  in  sich ;  denn  sie  sind  es,  die  im  Sinne  des  alten  Testa- 
mentes mit  dem  Schwerte  in  der  Hand  die  Feinde  des  Gesetzes  Gottes 
(der  Bibel)  austilgen  und  das  Reich  Gottes  ausbreiten  und  für  den 
ersten  Zweck  blutige  Kriege  führen,  für  den  zwTeiten  durch  eine  ebenso 
strenge  und  blutige  Strafrechtspflege  sorgen,  indem  sie  nicht  blofs  auf 
schwere  Verbrechen,  wie  Mord,  Todschlag  und  Unzucht,  sondern  auch 
auf  Sünden  wie  Meineid  und  Wucher  die  schwersten  Strafen  setzen  und 
endlich  auch  die  in  dem  Gesetze  Gottes  geforderten  Zustände  auf  die  ge- 
sellschaftlichen Verhältnisse  der  Welt  zur  Anwendung  bringen.  Freilich 
hatten  auch  sie  von  Anfang  an  von  Sekten  zu  leiden :  chiliastische  und 
andere  Strömungen  machten  sich  geltend,  und  auch  gegen  die  kriege- 
rische Richtung  entstand  eine  scharfe  Opposition. 

§  113.    Der  Krieg  gegen  die  Hussiten  bis  zum  Kurverein  von  Bingen 

(1419—1424). 

» 

1.  Nach  Wenzels  Tod  lösten  sich  in  Prag  und  andern  Landes- 
teilen alle  Bande  der  Ordnung  auf;  die  in  hussitischen  Kreisen  gegen 
den  Klerus  und  vornehmlich  gegen  die  Mönche  herrschende  Erbitterung 
machte  sich  in  dem  furchtbaren  Kirchen-  und  Klostersturm  Luft,  dem 
nicht  blofs  Heiligenbilder,  Altäre  und- Kirchengegenstände,  sondern  auch 
zahlreiche  Klöster  zum  Opfer  fielen  und  der  in  wenig  Jahren  fast  das 
gesamte  Mönchtum  aus  dem  Lande  hinwegfegte.  Ein  Schrei  der  Ent- 
rüstung ging  durch  die  abendländische  Welt.  Das  Treiben  der  Massen 
erfüllte  die  gernäfsigten  Elemente  mit  Schrecken.  Erbe  der  Krone  war 
Sigmund,  der  letzte  vom  Mannesstamm  der  Luxemburger.  Für  ihn 
traten  aber  nur  die  Katholiken :  Prälaten,  der  kleinere  Teil  des  Adels 
und  die  deutschen  Landesbewohner  entschieden  ein.  Seine  Gegner 
waren  die  Taboriten,  Feinde  des  Königtums,  die  nun  die  Wahl  eines  Bischofs 
ins  Auge  fafsten,  der  sich  von  Rom  losreifsen  sollte.  Zu  den  Männern, 
die,  ohne  die  Abschaffung  des  Königtums  anzustreben,  schon  jetzt  die 
Notwendigkeit  eines  Kampfes  zur  Verteidigung  des  Glaubens  einsahen, 
gehörte    Johann   Zizka1)    von    Trotznow.     Er    stammte    aus    einer 

x)  Z  ist  wie  im  ital.  gi  zu  lesen. 


488  Zizka  v.  Trotznow.     Sigmund  und  die  Parteien  in  Böhmen. 

niederen  Adelsfamilie  und  wurde  zu  Trotznow1),  einem  Meierhofe  bei 
Budweis,  in  den  letzten  Lebensjahren  Karls  IV.  geboren.  An  der  Wende 
des  Jahrhunderts  verwaltete  er  für  sich  und  seine  Geschwister  das 
Familiengut.  Als  Kämmerer  —  wie  man  meint  —  der  Königin  Sophie 
trat  er  in  den  Hof  dienst.  Dafs  er  an  der  Tannenberger  Schlacht  teil- 
genommen, ist  leere  Vermutung.  Dagegen  war  er  an  späteren  Fehden 
Wenzels,  bei  denen  er  ein  Auge  einbüfste,  beteiligt  und  erwarb  sich 
jene  Kenntnis  des  Landes  und  Übung  in  der  Kriegskunst,  als  deren 
Meister  er  sich  später  erwies.  Er  eiferte  für  das  Gesetz  Christin,  das 
er  als  fleifsiger  Besucher  der  Bethlehemskapelle  kennen  gelernt  hatte; 
von  tiefem  Schmerz  über  Hussens  Ende  erfüllt,  teilte  er  den  Hafs  seiner 
Partei  gegen  die  Mönche  und  wurde  daher  in  der  Zeit  seiner  Macht 
ihr  unerbittlichster  Verfolger.2) 

2.  Die  Kalixtiner  hatten  nicht  die  Absicht,  Sigmunds  Rechte  an- 
zutasten, falls  er  auf  ihre  Forderungen  einging.  Diese  wurden  auf  dem 
Landtage  von  den  utraquistischen  Ständen  formuliert:  die  Geistlichkeit 
darf  keine  weltliche  Herrschaft  besitzen,  keine  päpstliche  Bulle  im  Lande 
publiziert,  kein  Landesbewohner  vor  ein  geistliches  oder  weltliches  Ge- 
richt aufser  Land  zitiert  werden  und  kein  Ausländer  in  ein  Amt  ein- 
gesetzt werden ;  in  den  königlichen  Städten,  wo  sich  Tschechen  auf- 
halten, werden  tschechische  Magistrate  eingesetzt  und  die  Gerichte  in 
tschechischer  Sprache  erledigt.  Sigmund  wünschte  keine  fremde  Ein- 
mischung, um  die  Gegensätze  nicht  noch  zu  verschärfen.  Indem  er 
erklärte,  im  Sinne  Karls  IV.  regieren  und  die  ständischen  Forderungen 
in  Erwägung  ziehen  zu  wollen,  suchte  er  Zeit  zu  gewinnen,  bis  er  Un- 
garn gesichert  und  sich  durch  Reichstruppen  verstärkt  hätte.  Die  von 
der  verwitweten  Königin  mühsam  zustande  gebrachte  Einigung  zwischen 
Kalixünern  und  Katholiken  zerschellte  an  den  Bestrebungen  der  radi- 
kalen Parteien,  denen  die  von  ihren  Geistlichen  fanatisierten  Bauern- 
massen zuströmten.  Sigmund  hatte  die  Regierung  zunächst  der  Königin- 
Witwe  und  einigen  Mitgliedern  des  Herrenstandes  übergeben,  unter  denen 
der  Oberstburggraf  Tschenek  von  Wartenberg  der  mächtigste  war.  Als 
Utraquist  den  Katholiken  verhafst,  war  er  den  Radikalen  zu  gemäfsigt, 
und  eben  diese  erhielten  durch  Volksversammlungen,  die  unter  freiem 
Himmel  tagten,  stets  neue  Verstärkung  und  veranlafsten  wiederholte 
Plünderungen  von  Kirchen  und  Klöstern.  Sie  suchten  auch  Prag  zu 
gewinnen  und  beriefen  eine  Volksversammlung  auf  den  10.  November 
dahin.  Hiebei  kam  es  auf  der  Kleinseite  zu  Strafsenkämpfen,  die  Zizka 
zuerst  bei  den  breiteren  Volksmassen  bekannt  machten.  Die  Königin 
flüchtete  nach  Wenzelstein.  Schliefslich  ward  ein  Waffenstillstand  bis 
zum  23.  April  1420  vereinbart.  Die  Regentschaft  verhiefs  Freiheit  der 
Religion  und  der  Kommunnion  unter  beiden  Gestalten.     Die  Radikalen 

l)  Tschechisch:  Trocnov.  In  den  letzten  Lebensjahren  nannte  er  sich  aber  nach 
der  ihm  gehörigen  Burg  Kaiich    Kelchberg)  bei  Leitmeritz   »vom  Kelche«. 

2  Ludolf  v.  Sagan  494;  trägt  etwas  stark  auf,  aber  was  er  Tatsächliches  bringt, 
ist  auch  aus  andern  Quellen  erwiesen.  Tomeks  sonst  verdienstliche  Monographie 
nimmt  Zizka  zu  sehr  in   Schutz. 


Ilafs  der  Tschechen  gegen  die  Deutschen.  489 

verzichteten  auf  weitere  Angriffe  und  versprachen  den  Wischehrad, 
dessen  sie  sich  bemächtigt  hatten,  zurückzustellen.  Zizka  zog  mit  den 
Seinen  nach  Pilsen  und  machte  erst  dieses  und,  als  er  es  nicht  zu  halten 
vermochte,  Tabor  zum  Mittelpunkt  seiner  Unternehmungen.  Mitte  De- 
zember erhielt  Sigmund  in  Brunn  die  Huldigung  der  mährischen  Stände. 
Statt  nach  Böhmen  ging  er  nach  Breslau  und  entschied  in  der  polnisch- 
preufsischen  Streitsache  zugunsten  des  Ordens,  was  ihm  den  Hafs  des 
Grofsfürsten  Witold  zuzog.  Seine  bisherige  Politik  der  Mäfsigung  hatte 
ihm  grofse  Vorteile  verschafft;  viel  zu  früh  ging  er  zum  Angriff  über. 
Fest  entschlossen,  keine  kirchlichen  Neuerungen  zu  dulden,  befahl  er 
den  Hussiten,  »der  Wiclifie  zu  entweichen  ;  (1420,  10.  Februar),  veranlafste 
Martin  V.  zur  Kreuzpredigt,  liefs  den  Pragern  zum  warnenden  Beispiel 
23  Breslauer,  die  sich  zwei  Jahre  zuvor  an  einem  Aufstand  wider  ihren 
Magistrat  beteiligt  hatten,  enthaupten  und  einen  Prager  Bürger,  der  sich  in 
Breslau  in  hussitischem  Sinne  geäufsert,  verbrennen;  von  den  schle- 
sischen  Fürsten  und  Städten  und  der  Lausitz  wurde  Unterstützung  ge- 
fordert. Daher  traf  ihn  der  Hafs  jener  Elemente,  die  unter  Johann  von 
Selau,  einem  ehemaligen  Mönch,  den  Beschlufs  fafsten,  die  Kommunion 
unter  beiden  Gestalten  mit  Gut  und  Blut  zu  verteidigen.  Ein  Manifest  der 
Prager  forcierte  die  Städte  Böhmens  zum  Anschlufs  auf  und  gofs  die 
leidenschaftlichsten  Beschuldigungen  auf  die  Deutschen  als  »die  natürlichen 
Feinde  des  tschechischen  Volkes«  aus.  Um  den  Hafs  gegen  Sigmund 
in  alle  Volksschichten  zu  tragen,  wurde  das  Gerücht  verbreitet,  er  be- 
absichtige, das  tschechische  Volk  auszutilgen  und  das  Land  mit  Deut- 
schen zu  bevölkern.  In  Wirklichkeit  waren  die  Deutschen  an  Leben 
und  Gut  gefährdet  und  die  deutschen  Familien  —  die  reichsten  der 
Stadt  —  zur  Flacht  aus  Prag  gedrängt.1)  Ihr  Besitz  wurde  eingezogen 
und  an  Hussiten  entweder  umsonst  oder  zu  billigen  Preisen  überlassen. 
So  ging  es  fortan  in  den  Städten,  wo  der  tschechische  Wiclifismus  zum 
Siege  gelangte :  der  Charakter  des  Kampfes  war  eben  von  Anfang  an 
auch  ein  nationaler.  Der  radikalen  Strömung  konnten  sich  die  Utra- 
quisten  nicht  entziehen.  Tschenek  fiel  von  Sigmund  ab  und  schlofs  mit 
Prag  einen  Bund.  Ein  Aufruf  an  alle  Böhmen  und  Mähr  er  sprach  dem 
König  jedes  Recht  auf  die  Herrschaft  ab.2)  Die  Angriffe  auf  Kirchen 
und  Klöster  begannen  aufs  neue.  Mittlerweile  hatte  sich  Zizka  ein 
schlagfertiges  Heer  gebildet.  An  Leuten,  die  zu  jedem  Opfer  für  ihren 
Glauben  bereit  Avaren,  fehlte  es  nicht,  wenn  auch  die  Zahlen  über  die 
hussitischen  Heere  wie  über  die  ihrer  Gegner  in  den  Quellen  meist 
übertrieben  werden.  Zwar  konnte  Zizka  seine  Massen  nicht  nach  dem 
Muster  damaliger  Heere  einrichten  —  dazu   reichten   seine  Mittel   nicht 

l).  Bfezova,  S.  354,  8.  dazu  Lippert,  die  Tschecliisierung  der  böhmischen  Städte 
im  15.  Jahrhundert.  MVGDB.  V,  181.  Xach  der  gewöhnlichen  Überlieferung  sollen  in 
der  Altstadt  allein  720  Häuser  verlassen  worden  sein  —  seit  Jahrhunderten  deutscher 
Besitz,  der  jetzt  an  fremde  Ankömmlinge  verteilt  wurde.  Typisch  für  das  Vorgehen 
ist  das  von  Palacky  III,  2,  216  erzählte  Beispiel  von  Jaromierz  —  einst  Germer  ge- 
nannt —  wozu  aber  noch  Ludolf  von  Sagan,  S.  493,  heranzuziehen  ist, 

2)  Das  Aktenst.  im  Arch.  Cesky  III,  210.  Eine  gleichzeitige  Widerlegung  aller 
dem  König  zum  Vorwurf  gemachten  Vergehen  bei  Ludolf  von  Sagan,  511  ff. 


490  Bildung  und  Ausrüstung  des  Hussitenheeres.     Beginn  des  Krieges. 

aus  —  er  rüstete  es  aber  so  aus  und  verschaffte  ihm  eine  derartige  Manövrier- 
fähigkeit, dafs  es  einem  jeden  Ritterheer  überlegen  war.  Wie  bei  den 
Schweizern  bestand  es  zumeist  ans  Fufsvolk;  ein  beträchtlicher  Teil 
konnte  nicht  ständig  verwendet  werden.  Die  meisten  Taboriten  — 
Handwerker  und  Bauern  —  stiefsen  nur  im  Falle  des  Bedürfnisses  zum 
Heer  und  wurden  mit  Waffen  versehen,  mit  deren  Gebrauch  sie  von 
Jugend  an  vertraut  waren :  Lanzen,  Streitkolben,  Armbrüsten,  nament- 
lich aber  mit  Dreschflegeln,  die.  um  die  Wucht  des  Schlags  zu  erhöhen, 
mit  Eisen  beschlagen  waren.  Weiber,  die  mit  ins  Feld  rückten,  sorgten 
für  die  Bedürfnisse  der  Männer,  und  selbst  halbwüchsige  Burschen, 
fanden  als  Schleuderer  Verwendung.  Um  sein  Fufsvolk  gegen  die  Angriffe 
eines  Reiterheeres  zu  sichern,  bediente  Zizka  sich  der  Wagen,  deren 
Führung  seinen  Bauernhaufen  keine  Schwierigkeit  bot  und  die  auch 
sonst  schon  für  Kriegszwecke  —  zu  Verschanzungen  —  Anwendung 
gefunden  hatten.  Seine  Neuerung  bestand  in  der  Benützung  dieser 
Wagen  auch  für  den  Angriff,  auf  dem  Marsch,  im  Lager  und  bei  dem 
in  Schlachtordnung  aufgestellten  Heere.1)  Es  wurden  jetzt  förmliche 
Wagenburgen  errichtet,  d.  h.  die  WTagen  in  mehrfacher  Reihe  so  auf- 
gestellt und  durch  herabhängende  Bretter  derart  geschützt,  dafs  sie  jeden 
Augenblick  aus  dem  Zusammenhang  gelöst  und  mitten  in  die  Feinde 
geführt  werden  konnten.  Innerhalb  der  Wagenreihe  waren  die  Fufs- 
truppen  vor  unerwarteten  Angriffen  gesichert. 

3.  Anfangs  Mai  1420  rückte  Sigmund  über  Glatz  und  Xachod  in 
Böhmen  ein.  Tschenek  überlieferte  gegen  Zusage  der  Amnestie  und 
Gewährung  des  Kelches  die  Prager  Burg  an  Bevollmächtigte  des  Königs, 
und  als  dieser  bis  nach  Kuttenberg  vorrückte,  boten  auch  die  Prager 
die  gleichen  Bedingungen  an.  Der  König  forderte  aber  bedingungslose 
Unterwerfung  und  begann,  durch  Kreuzfahrer  und  Truppen  deutscher 
Fürsten  verstärkt,  die  Belagerung  von  Prag  (30.  Juni),  dem  Zizka  zu 
Hilfe  geeilt  war.  Am  14.  Juli  versuchten  die  Meifsner  einen  Angriff 
auf  den  Witkow-  (seither  Zizka-)Berg,  den  die  Hussiten  besetzt  hatten, 
um  die  Verbindung  mit  der  Stadt  zum  Zwecke  ihrer  Verproviantierung 
aufrecht  zu  erhalten.  Den  Verteidigern  kamen  so  viele  Hussiten  aus 
Prag  zu  Hilfe,  dafs  der  Angriff  aufgegeben  werden  mufste.  Die  Deutschen 
legten  dem  Gefecht  keine  Bedeutung  bei,  für  die  Belagerten  war  es  aber 
von  Wichtigkeit,  dafs  die  Verbindung  mit  dem  Osten  ungestört  blieb.2) 
Sigmund  hoffte  immer  noch,  durch  Verhandlungen,  zu  denen  er  von 
böhmischen  Grofsen  aufgefordert  wurde,  auf  friedlichem  Wege  in  den 
Besitz  des  Reiches  zu  kommen.  Die  deutschen  Fürsten,  die  eine  Zeit- 
lang  untätig  vor   Prag  lagen,    beschlossen    abzuziehen.       Nachdem   sich 


1    Tomek,  S.  35.    Dazu  MVGDB.  V,  XXXI,  297. 

-  Zu  der  tendenziösen,  allein  auf  dem  nicht  korrekten  Text  Brezovas  auf- 
gebauten Darstellung  von  Zizkas  grofsem  Sieg  ist  auf  Höfler,  Die  Schlacht  am  Zizka- 
berg,  (einen  Aufsatz,  der  auf  einem  von  dem  Markgrafen  von  Meifsen  an  den  Herzog 
von  Bayern  gerichteten  Brief  fufst  ,  und  auf  den  bisher  zu  wenig  beachteten  Ludolf 
zu  verweisen,  der  das  Treffen  kaum  bemerkt.  Dessen  geringe  Bedeutung  auch  bei 
v.  Bezold  I,  41. 


Der  Landtag  v.  Czaslau.     Absetzung  Sigmunds.     Erfolge  der  Hussiten.         491 

Sigmund  am  31.  Juli1)  auf  dem  Hradschin  hatte  krönen  lassen,  um 
seinen  Gegnern  den  Vorwand,  dafs  er  nicht  gekrönt  sei,  zu  nehmen, 
hob  er  die  Belagerung  auf.  Die  Grofsen  zogen  aus  seiner  bedrängten 
Lage  den  gröfsten  Nutzen,  indem  sie  ihn  zu  jener  massenhaften  Ver- 
pfändung von  Kirchengut  zwangen,  die  ihm  so  sehr  verdacht  wurde, 
und  doch  gewann  er  an  ihnen  keine  feste  Stütze.  Als  er,  um  den  von 
den  Pragern  belagerten  Wischehrad  zu  retten,  vor  Prag  zog,  erlitt  er 
(1420,  1.  November)  eine  Niederlage,  die  den  Verlust  des  Wischehrad 
zur  Folge  hatte.  Vom  Adel  traten  nun  die  meisten  auf  die  Seite  der 
Hussiten.  Die  Städte,  geschreckt  durch  die  Rache,  welche  sie  an  den 
eroberten  deutschen  Plätzen  nahmen,  unterwarfen  sich  freiwillig  und  so 
auch  der  Erzbischof  von  Prag,  der  sich  (21.  April)  zur  Annahme  der 
vier  Artikel  erklärte.  Selbst  in  Mähren,  wo  nun  der  König  weilte, 
wandte  der  Adel  sich  dem  Utraquismus  zu.  Um  nicht  alles  zu  verlieren, 
gewährte  Sigmund  —  freilich  nur  provisorisch  —  Duldung.  Im  Juni  1421 
trat  ein  allgemeiner  Landtag  in  Czaslau  zusammen.  Hier  wurde  Sigmund 
»als  Feind  der  böhmischen  Nation«  des  Thrones  verlustig  erklärt  und 
eine  provisorische  Regierung  eingesetzt.2)  Die  rheinischen  Kurfürsten 
hatten  sich  mittlerweile  über  die  dem  König  zu  leistende  Hilfe  geeinigt 
(April);  zahlreiche  Stände  traten  dieser  Einigung  bei,  so  dafs  im  Laufe 
des  Sommers  ein  starker  antihussitischer  Bund  zustande  kam.  Aber  die 
kriegerischen  Vorbereitungen  waren  weder  umfassend  noch  gründlich 
genug;  Sigmund,  von  Ungarns  Angelegenheiten  in  Anspruch  genommen, 
sah  mifstrauisch  auf  das  selbständige  Vorgehen  der  Kurfürsten,  von 
denen  sein  früherer  Freund,  Friedrich  I.  von  Brandenburg  sich  gegen 
des  Königs  Willen  in  ein  Bündnis  mit  Polen  einliefs.3)  Erst  Ende  August 
sammelte  sich  das  deutsche  Heer  bei  Eger.  Sigmund  sollte  von  Mähren, 
die  Schlesier  von  Nordosten  und  die  Meifsner  von  Norden  her  in  Böhmen 
einbrechen.  Nur  Friedrich  von  Meifsen,  »die  Geifsel  der  Hussiten«, 
hatte  einen  Erfolg,  indem  er  am  5.  August  den  Pragern,  die  Brüx 
belagerten,  eine  Niederlage  beibrachte.  Sigmund  griff  nur  zögernd  in  den 
Kampf  ein,  und  das  deutsche  Heer,  das  bis  vor  Saaz  gelangte,  lief  vor 
den  Scharen  Zizkas  auseinander  (2.  Oktober).  Wohl  hatte  sich  der  König 
mit  Herzog  Albrecht  V.  von  Österreich  verbündet,  aber  es  fehlte  auch 
jetzt  an  dem  notwendigen  Zusammenwirken.  Während  Albrecht  in 
Mähren  einbrach  und  nach  der  Eroberung  von  Jaispitz  wieder  den  Heim- 
weg antrat,  rückte  Sigmund  über  Iglau  in  Böhmen  ein,  nahm  Kutten- 
berg weg,  schlofs  das  böhmische  Heer  unter  Zizka  auf  den  Höhen  von 
Kang  ein,  hatte  aber  nicht  die  Absicht,  sich  mit  ihm  in  einen  Kampf 
einzulassen,  sondern  es  auszuhungern.  Doch  gelang  es  Zizka,  durch- 
zubrechen. Durch  bewaffnete  Bauernscharen  verstärkt,  griff  er  (1422, 
6.  Januar)  die  Königlichen  bei  Nebowid  so  unvermutet  an,  dafs  sie 
Kuttenberg  preisgaben   und   in    der  Richtung   nach  Deutschbrod  flohen. 


*)  Über  das  Datum  Lenz,  König  Sigismund  und  Heinrich  V,  S.  208. 

2)  Alle  Stände  traten  zugleich  (7.  Juni)  den  4  Artikeln  bei.  Arch.  Cenkf  IH,  226. 

3)  Brandenburg,  König  Sigmund,  S.  108  ff. 


492  Zizkas  Siege.     Korybut  in  Böhmen. 

Zizka  holte  sie  bei  Habern  ein.  schlug  einen  Teil  des  Heeres,  das  sieh 
ihm  bei  Deutschbrod  entgegenstellte  (8.  Januar),  nützte  aber  seinen 
Sieg  nicht  aus. 

4.  Zur  Aufrichtung  einer  bleibenden  Ordnung  war  Zizka  wenig 
befähigt,  Dies  wurde  nun  von  anderer  Seite  versucht.  Schon  im 
April  1420  hatten  hussitische  Adelige  Wladislaw  von  Polen  und,  als 
dieser  ablehnte,  Witold  von  Litauen  die  Krone  angetragen,  der  sich 
(1421,  Juni),  in  der  Hoffnung  auf  einen  Ausgleich  mit  der  Kirche,  zu 
ihrer  Annahme  bereit  zeigte.  Eine  böhmische  Gesandtschaft  an  ihn 
wurde  (1421,  September)  auf  dem  Gebiet  des  Herzogs  Johann  von  Troppau 
gefangen.  Dies  rief  in  Polen  gröfsere  Aufregung  hervor  als  in  Böhmen. 
Sigmund  Korybut.  Witolds  Xeffe,  machte  sich  auf,,  um  im  Verein  mit 
den  Pragern  den  Herzog  zu  bekämpfen.  In  Prag  selbst  war  es  inzwischen 
zu  grofsen  Zerwürfnissen  gekommen.  Als  Johann  von  Selau  seine 
Macht  gegen  die  Gemäfsigten  zur  Geltung  brachte,  wandten  sich  die 
vornehmsten  Barone  Sigmund  zu,  und  auch  Polen  trat  mit  ihm  in  neue 
Verhandlungen  ein,  aber  Sigmunds  Niederlage  bei  Deutschbrod  änderte 
die  Sachlage.  Nach  dem  Sturze  Johanns  von  Selau  (1422,  5.  Februar) 
nahm  Witold  seine  Pläne  wieder  auf.  Indem  er  dem  Papste  die  Wieder- 
gewinnung der  Böhmen  in  Aussicht .  stellte  und  um  Suspension  des 
Bannes  und  der  Kreuzpredigt  bat.  sandte  er  ein  Hilfsheer  unter  Korybut 
nach  Böhmen.  Dieser  trat  selbst  zum  Kelche  über,  übernahm  für  Witold 
die  Regierung,  brachte  die  konservativen  Elemente  wieder  zur  Geltung 
und  suchte  den  Kämpfen  taboritischer  Heerhaufen  gegen  einzelne  Städte 
oder  Adelige  ein  Ende  zu  machen.  Seine  Stellung  wurde  von  Zizka  in 
förmlicher  Weise  anerkannt.  Das  schimpfliche  Ergebnis  der  Kriegs- 
führung der  Verbündeten,  mehr  noch  die  Berichte  von  dem  grausamen 
Wüten  der  Hussiten  erregten  inzwischen  im  deutschen  Reiche  allgemeine 
Entrüstung.  Schon  begehrten  einzelne  Stimmen  Sigmunds  Ersetzung 
durch  einen  andern  König.  Um  Böhmen  nicht  in  Korvbuts  Händen 
zu  lassen,  trat  er  jetzt  mit  gröfserern  Eifer  auf  und  wurde  vorn  Papste 
und  den  Reichsfürsten,  die  ein  Übergreifen  hussitischer  Tendenzen  in 
ihre  Länder  befürchteten,  unterstützt.  Der  Reichstag  zu  Nürnberg 
beschlofs  zu  Ende  August  1422  eine  doppelte  Kriegsrüstung:  ein  Heer 
sollte  für  den  »täglichen  Krieg1),  ein  anderes  zu  dem  Zwecke  auf- 
geboten werden,  um  rasch  in  Böhmen  einzudringen  und  den  von  den 
Hussiten  belagerten  Karlsstein  zu  entsetzen. 2)  Das  deutsche  Heer  unter 
dem  Kurfürsten  von  Brandenburg  drang  bis  Tachau  vor,  gewann  aber 
ebensowenig  Vorteile  als  der  Markgraf  von  Meifsen.  der  mit  einer  Heeres- 
abteilung am  Südabhang  des  Erzgebirges  stand.  Zur  besseren  Fürsorge 
für  das  Reich  hatte  Sigmund  den  Erzbischof  Konrad  von  Mainz  zum 
Statthalter  für  Deutschland  ernannt3),  wogegen  Ludwig  von  der  Pfalz 
Einsprache  erhob,  weil  das  Vikariat  im  Reiche  der  Pfalz  zustehe.    Eben- 

*)  »Täglicher  Krieg  .  Es  war  die  Aufstellung  eines  Heeres  bezweckt,  das  bis  zur 
Niederwerfung  der  Hussiten  im  Felde  bleiben  sollte.  DRA.  VIU,  Nr.  145. 
2    Ebenda  Nr.  148,  15t). 
3;   Ebenda  Nr.  164  ff. 


Der  Kurverein  von   Bingen.  493 

sowenig  befriedigte  die  Verleihung  der  erledigten  sächsischen  Kur  an 
Friedrich  von  Meifsen  den  Kurfürsten  Friedrich  I.  von  Brandenburg, 
der  sie  für  seinen  Sohn  Johann  in  Anspruch  nahm.  Bei  der  ungenügenden 
Unterstützung  des  Kreuzheeres  durch  Sigmund  zog  es  sich  im  Dezember 
1422  wieder  aus  Böhmen  zurück.  Sigmunds  Verhandlungen  mit  Polen 
und  Litauen  führten  dazu,  dafs  nicht  nur  Korvbut  aus  Böhmen  ab- 
berufen, sondern  auch  Hilfe  gegen  die  Ketzer  zugesagt  wurde  (1423, 
30.  März).  Auch  das  deutsche  Reich  sollte  sich  am  Kampfe  beteiligen. 
Aber  mit  Ausnahme  Österreichs  unternahm  keiner  der  Fürsten  einen 
ernsthaften  Angriff  auf  Böhmen.  Die  Schuld  wurde  auf  die  zweideutige 
Haltung  Polens  geschoben.  Die  Hussiten  gingen  selbst  zur  Offensive 
über,  drangen  unter  Zizka  in  Mähren  und  Ungarn  ein  und  gelangten 
bis  Tyrnau,  traten  aber  dann,  als  die  Ungarn  immer  weiter  zurückwichen, 
den  Rückzug  an.  Sigmund  überliefs  seinem  Schwiegersohn  Albrecht  V. 
schon  jetzt  ganz  Mähren  als  böhmisches  Lehen  und  erklärte  ihn,  falls 
der  luxemburgische  Mannesstamm  ausstürbe ,  zu  seinem  Thronerben 
(1423,  4.  Oktober). 


§  114.    Der  Kurverein  von  Bingen  und   der  Hussitenkrieg  bis  zum 

Konzil  Ton  Basel  (1424—1481). 

Hilfsschriften:  Droysen,  v.  B  e  z  o  1  d ,  Wendt,  Lindner,  Branden- 
burg, wie  oben.  Schuster,  Der  Konflikt  zwischen  Sigismund  und  den  Kurfürsten 
1424—26.  Jena  1885.  Lindner,  Der  Binger  Kurverein.  M.TÖG.  XIV.  DZG.  IX. 
Heuer,  Der  Binger  Kurverein  1424.  DZG.  YIII.  Brandenburg,  Der  Binger  Kur- 
verein in  seiner  verfassungsgesch.  Bedeutung.  Ebenda  XI.  Lindner  und  Heuer, 
ebenda  IX,  119.  Herre,  Die  Hussitenverhandlungen  auf  dem  Strafsb.  Reichstag  1429. 
Q.  u.  Forsch,  aus  it.  Arch.  IL 

1.  Der  unglückliche  Fortgang  des  Krieges  und  der  Ruf,  dafs 
Sigmund  ihn  nicht  ernsthaft  betreibe,  gab  den  Kurfürsten,  von  denen 
Pfalz  und  Brandenburg  in  gespannten  Beziehungen  zum  König  standen, 
Gelegenheit,  unter  dem  Schein  der  Fürsorge  für  das  Reich  mafsgebenden 
Einflufs  auf  die  Reichsregierung  zu  gewinnen.  Dies  geschah  durch  den 
Kurverein  von  Bingen  (1424,  17.  Januar),  einer  folgerichtigen  Fort- 
bildung der  kurfürstlichen  Politik  der  letzten  sieben  Jahre.  Sie  nahm 
den  Ausgangspunkt  von  dem  Vertrag  vom  7.  März  1417  (s.  oben  §  111). 
Zwei  Jahre  später  erteilten  die  Kurfürsten  dem  König  ungefragt  Rat- 
schläge1) über  seine  auswärtige  Politik.  Je  mehr  er  deren  Schwer- 
gewicht nach  Osten  verlegte,  um  so  lebhafter  wurde  die  Erinnerung  an 
die  Zustände,  die  der  Absetzung  Wenzels  vorhergingen.  Im  folgenden 
Jahre  trugen  sie  sich  bereits  mit  Absetzungsplänen;  1422  beriefen  sie 
einen  Reichstag  und  nötigten  den  widerstrebenden  König,  zu  erscheinen. 
Das  Jahr  darauf  brachten  sie  es  dahin,  dafs  der  von  ihm  ernannte 
Reichsverweser,  Erzbischof  Konrad  von  Mainz,  seine  Stelle  niederlegte. 
Jetzt  traten  sie  in  Bingen  zu  einer  Einigung  zusammen,  die  sich 
unmittelbar   gegen    den  König    kehrte,    indem    sie    sich    »zur  Erfüllung 


x)  Die  Bundesurk.  DRA.  VIH,  Nr.  294,  295.     Brandenburg,  S.  70  ff. 


494  Sprengung  des  Karfürstenbundes.     Kampfe   der  huss.  Parteien. 

ihrer  ihnen  von  Gott  gesetzten  Aufgaben  als  eine  dauernd  tätige 
Körperschaft  konstituierten  und  für  den  Fall  eines  Angriffs  auf 
einen  von  ihnen  und  zur  Beschlufsfassung  über  alle  das  Reich,  die 
Kirche  und  die  Kurfürsten  betreffenden  Angelegenheiten  zusammen- 
traten«. Sollte  der  König  das  Reich  schmälern,  was  hinsichtlich  des 
Ordensstaates  Preufsen  befürchtet  wurde,  oder  ohne  ihre  Zustimmung 
einen  Reichsvikar  ernennen,  so  dürfen  sie  seinen  Anordnungen  ent- 
gegentreten. Auf  dem  Kurfürstentage  im  Juli  1424  verlangten  sie  ein 
Aufsichtsrecht  über  seine  Amtsführung  und  das  Recht  der  Gehorsams- 
aufkündigung. Was  die  Kurfürsten  in  Bingen  festsetzten,  schlofs  eine 
Verfassungsänderung  in  sich.  »Waren  bisher  König  und  Reichstag 
alleinige  Faktoren  der  Reichsregierung,  so  versuchte  nun  das  Kur- 
kollegium sich  zwischen  beide  zu  schieben.«  Ihr  Programm  kam  freilich 
nicht  vollständig  zur  Ausführung.  Zunächst  wurde  der  Text  des  Bundes- 
vertrags1) gemildert,  dann  hätte  die  Einigkeit  unter  ihnen  nicht  lange 
Bestand.  Sigmund  war  über  ihr  Vorgehen  auf  das  höchste  erbittert. 
Unmutig  erklärte  er,  dafs  er  und  Ungarn  bisher  die  Hauptlast  des 
Krieges  getragen.  Immerhin  war  noch  der  Reichstag,  den  er  im 
Januar  1425  nach  Wien  berief,  von  den  Kurfürsten  nicht  beschickt, 
und  als  Sigmund  den  Versuch  machte,  Städte  und  Reichsritter  gegen 
sie  zu  gewinnen,  tauchten  neue  Absetzungspläne  auf.  Das  Entscheidende 
war,  dafs  der  neue  Kurfürst  von  Sachsen,  der  als  Xachbar  Böhmens 
Sigmunds  Hilfe  nicht  entbehren  konnte,  sich  von  den  übrigen  Kurfürsten 
trennte.  In  Weizen  schlofs  er  am  25.  Juli  1425  ein  Schutz-  und  Trutz - 
bündnis  mit  Sigmund  und  verpflichtete  sich,  dessen  Schwiegersohn  nicht 
nur  zur  Krone  Böhmens,  sondern  auch  zur  deutschen  Königswürde 
behilflich  zu  sein.  Dafür  erhielt  er  nunmehr  (1.  August)  die  Belehnung 
mit  Sachsen.  Als  sich  schliefslich  auch  der  Kurfürst  von  Brandenburg, 
dessen  weitausgreifende  Pläne  bei  den  andern  Verbündeten  keine  Unter- 
stützung fanden,  mit  Sigmund  verständigte,  war  die  Vereinigung  von 
Bingen  vorläufig  gesprengt. 

2.  Während  die  Angriffe  der  Kreuzheere  auf  Böhmen  zum  grofsen 
Leidwresen  der  Kurie  aufhörten,  wurde  dieses  selbst  der  Tummelplatz 
wüsten  Parteikampfes,  der  dem  grofsen  Führer  der  Taboriten  nochmals 
Gelegenheit  bot,  im  Kampfe  gegen  die  Utraquisten  bei  Maleschau  sein 
überlegenes  Feldherrntalent  zu  beweisen  (1424,  7.  Juni).  Nur  im 
Pilsner  Kreise  behauptete  sich  die  königliche  Partei.  Inzwischen  hatte 
Korybut  mitten  unter  den  polnischen  Kriegsrüstungen  gegen  die  Hussiten 
gegen  den  Wunsch  seiner  Oheime,  einem  Rufe  der  Prager  folgend,  die 
Leitung  der  Dinge  daselbst  in  die  Hand  genommen.  Gegen  ihn  wandte 
sich  Zizka,  der  nun  die  Absicht  hatte,  Prag  zu  erobern  und  eine  neue 
Ordnung  der  Verhältnisse  zu  begründen.  Da  gelang  es  dem  Magister 
Johann  von  Rokytzan,  der  durch  Beredsamkeit  und  nationalen  Eifer 
hervorragte,  einen  Waffenstillstand  zustande  zu  bringen,  worauf  sich  die 
vereinigte  Macht    der  Hussiten    gegen   Mähren   wandte.     Im   Lager  von 


»)  Lindner,  MJÖG.  XIII,  410—413. 


Zizkas  Tod.     Die  Waisen.     Siege  Prokops  des  Kahlen.  495 

Pfibislau  erkrankte  Zizka  an  der  Pest  und  starb  am  11.  Oktober  1424. 
Der  Zug  nach  Mähren  wurde  trotzdem  fortgesetzt  und  führte  zu  einer 
Erstarkung  der  utraquistischen  Partei,  die  hier  freilich  auch  jetzt  kein 
entscheidendes  Übergewicht  erlangte.  In  Böhmen  kam  es  zu  neuem 
Bürgerkriege.  Korybut  stellte  sich  auf  die  Seite  der  Prager  gegen  die 
Taboriten  und  die  Anhänger  Zizkas,  die  aus  Trauer  über  den  Verlust 
ihres  Feldherrn  sich  »Waisen«  nannten  und  in  kirchlichen  Fragen  wie 
einst  Zizka  einen  gemäfsigteren  Standpunkt  einnahmen  als  die  Taboriten. 
In  ihren  Reihen  befanden  sich  hervorragende  Krieger  aus  Zizkas  Schule. 
Der  bedeutendste  Prokop  der  Kahle  oder  der  Grofse,  seinem 
Meister  zwar  nicht  in  der  Kunst  der  Kriegführung,  wohl  aber  an  diplo- 
matischem Talent  überlegen.  Von  Zizka  unterschied  er  sich  auch 
darin,  dafs  er  Friedensverhandlungen  nicht  aus  dem  Wege  ging.  Während 
aber  Zizka  strenge  Manneszucht  hielt,  änderte  sich  nun  der  Charakter 
der  Taboriten-  und  Waisenheere,  die  ein  Gemisch  beutegieriger  Elemente 
wurden  und  dem  eigenen  Land  zur  Last  fielen.1)  Noch  gab  Sigmund 
die  Hoffnung  nicht  auf,  die  Hussiten  niederzuwerfen ;  aber  der  Reichstag 
von  Wien  (1426,  Februar)  verlief  resultatlos,  und  als  der  König  am 
Reichstag  zu  Nürnberg  30000  Mann  begehrte,  gingen  die  Stände  darauf 
nicht  ein.  Während  noch  beraten  wurde,  rückten  die  Hussiten  unter 
Prokop  und  Korybut  vor  Aussig,  das  die  Sachsen  besetzt  hielten,  und 
schlugen  (1426,  16.  Juni)  ein  sächsisches  Entsatzheer,  das  zwar  dem 
Gegner  überlegen  war,  aber  einen  grofsen  Mangel  an  Disziplin  bekundete, 
in  die  Flucht. 2)  Haufenweise  lagen  die  Toten  »wie  die  Garben  auf 
dem  Feld;.  Die  Hussiten  nützten  ihren  Sieg  nicht  aus,  sondern  be- 
gannen ihre  inneren  Kämpfe  von  neuem.  Aber  auch  in  Deutschland 
hinderte  die  allgemeine  Zerfahrenheit  jeden  nationalen  Aufschwung. 
Fürsten  und  Städte  waren  in  endlose  Fehden  verwickelt,  Sigmund  durch 
die  Türken  und  Venezianer  in  Anspruch  genommen.  Im  Kleinen 
wurde  der  Grenzkrieg  nicht  ohne  Glück  geführt ;  Albrecht  V.  machte 
einige  anerkennenswerte  Anstrengungen  und  begann  im  August  die 
später  Belagerung  von  Lundenburg,  sah  sich  aber  schon  zwei  Monate 
zum  Abzug  genötigt.  Nun  griffen  die  Hussiten  Osterreich  selbst  an  und 
brachten  dem  österreichischen  Aufgebot  eine  Niederlage  bei. 

3.  Die  blutigste  Periode  des  Hussitenkrieges  begann  erst  1427 : 
In  Böhmen  wurde  die  gemäfsigte  Richtung  zurückgedrängt,  Korybut 
gefangen  und  seine  Anhänger  aus  Prag  vertrieben.  Mit  Prokop  dem 
Kahlen  kam  die  Partei  ans  Ruder,  die  im  Angriffskrieg  den  gröfseren 
Vorteil  erblickte.  Von  nun  an  wurden  die  Nachbarländer  von  Raub- 
und  Plünderungszügen  heimgesucht.  Albrechts  Scharen  erlitten  vor 
Zwettl  eine  Niederlage.  Der  Reichstag,  der  im  Frühling  1427  in  Frank- 
furt tagte,  beschlofs  endlich  einen  allgemeinen  Kriegszug  gegen  die 
Hussiten.  Diesmal  sollte  Böhmen  von  vier  Seiten  angegriffen  werden : 
Das   Hauptheer    sollte   von   Nürnberg    aus    in  Böhmen   eindringen,    der 


*)  Tomek,  S.  231. 

2)  Lied  von  der  Schlacht.    Deutsch:     MVGDB.  II,  184  ff. 


496  Schlacht  bei  Mies.     Raubzüge  der  Hussiten. 

Herzog    von    Sachsen    im  Xorden,    die    Schlesier    vom    Osten    und    die 
Österreicher    vom   Süden    in   Böhmen    einbrechen.     Für    die    deutschen 
Heere  war  die  Lage   auch   insofern  günstig,    als   sich   viele  Utraquisten, 
erbittert  über  den  Sieg  der  Radikalen,  mit  dem  Markgrafen  von  Branden- 
burg in  Verbindung  gesetzt  hatten.   Das  Hauptheer,  das  übrigens  nicht, 
wie  hussitische  Quellen   wollen,    80000  Reiter    und    ebensoviel  Fufsvolk, 
sondern  kaum    den   zehnten  Teil  davon   zählte,    unter   der  Führung  des 
Erzbischofs  von  Trier  und  des  Markgrafen  von  Brandenburg,  der  indes 
vor    der   Entscheidung    erkrankte,    rückte    vor   Mies,    das    den    Herbst 
zuvor  in  die  Hände  der  Taboriten  gefallen  war.  und  begann  gegen  den 
AVillen  des  Brandenburgers  die  Belagerung  der  Stadt.     Sie  wurde   zwar, 
als   sich   die  Nachricht    von    der  Ankunft    des  hussitischen  Heeres    ver- 
breitete (2.  August)  aufgehoben  und    ein  in  der  Xähe   befindlicher  Berg- 
besetzt,  hiebei  kam  es  aber  zu  einer  Panik     des  gemeinen  Volkes«,  von 
der  schliefslich  auch  die  deutschen  Reiter-  und  das  Fufsvolk  mitgerissen 
wurden,    so  dafs  sie   in   regelloser  Flucht  gegen  Tachau  eilten    und    ein 
Teil  selbst  über  die  Grenze  floh.     Wie  viele  niedergemacht  wurden,    ist 
nicht  überliefert.     Gewifs  war  der  Verlust    an  Wägen   und  Gepäck  sehr 
bedeutend.     Tachau  wurde  am  11.    August   erobert   und   die   Einwohner 
getötet,     Auf   die   Kunde    hievon    zogen    sich    auch    die  Schlesier    nach 
eiuem   glücklichen  Gefecht    bei  Xachod   über    die  Grenze    zurück.     Die 
schmähliche  Flucht  vor  Mies,  so  abträglich  sie  dem  Ansehen  der  Deutschen 
war,  hatte  noch  immer   nicht   die  Wirkung,    dafs    Fürsten,   Herren    und 
Städte    sich    zur    Herstellung    ihres    militärischen   Ansehens    zusammen- 
gefunden hätten.     König  Sigmund,  mit  andern,  zum  Teil  weitaussehenden 
Projekten,    selbst  mit   der  Wiedereroberung   des   hl.  Landes   beschäftigt. 
hielt    sich    abseits.     Der    Kardinal    Heinrich  Winchester   unternahm   es, 
die    deutschen    Kräfte    zu    gemeinsamem    Widerstand    zu    organisieren. 
Auf  dem  Frankfurter  Reichstag   wurde  endlich  (1427,    2.  Dezember i  ein 
Reichskriegssteuergesetz  beschlossen,    das  jeden  nach   seinem  Vermögen 
zur  Zahlung  eines   »Hussengeldes«  verpflichtete.      Aber    der   Ertrag   war 
nur    gering,    die  Zurüstungen    zum    Kriege  selbst  ungenügend.     Zudem 
starb    der   Kurfürst    von   Sachsen,    der    kräftigste    und    wohl    auch    der 
glücklichste    Widersacher    der    Hussiten    am    5.    Januar    142S.      Gegen 
Friedrich    von    Brandenburg,     dem    die    Hauptmannschaft     übertragen 
wurde,    regte    sich    das    alte    Mifstrauen    Sigmunds.     Mittlerweile    unter- 
nahmen die  Hussiten   ihre  Mord-    und  Raubzüge  in    die  Nachbarländer ; 
schon    begann    eine  Anzahl    von  Fürsten    und    Städten    ihre    Schonung 
von    den  Hussiten    um  Geld    zu    erkaufen    und    Verträge   mit   ihnen    zu 
schliefsen;    schon  dachten    diese   daran,    sich    dauernd   in  Schlesien  fest- 
zusetzen, und   nur  in    einzelnen  Landschaften,    wie  in  der  Lausitz,    war 
die  Gegenwehr  so    stark,    dafs  der   hussitische   Angriff   siegreich  zurück- 
gewiesen   wurde.       Allmählich    rang     sich    aber    nicht    nur    unter    den 
Katholiken,   sondern  selbst  unter   den  Taboriten   der  Gedanke    an  einen 
friedlichen  Ausgleich  durch.     Am   4.  April  1429  ritt  Prokop    der  Kahle 
in  Prefsburg  ein,    um  mit  Sigmund,    dem   seiner  Römerfahrt    wegen  die 
Regelung  seiner  Beziehungen  zu  den  Hussiten  dringend  erwünscht  war. 


Die  ersten  Friedensverhandlungen  und  ihr  Scheitern.  497 

zu  verhandeln.  Indem  dieser  aber  ihre  unbedingte  Rückkehr  in  den 
Schofs  der  Kirche,  jener  Gehör  vor  einem  allgemeinen  auch  von 
Griechen  und  Armeniern  beschickten  Konzil  und  schlicfslich  von  Sig- 
mund als  Preis  für  seine  Anerkennung  als  König  auch  noch  Annahme 
des  hussitischen  Glaubens  verlangte,  diese  Bedingungen  auch  noch  vom 
böhmischen  Landtag  verschärft  wurden,  mufsten  die  Verhandlungen 
scheitern.  Sigmund  entwarf  Pläne  für  die  Wiederaufnahme  des  Kampfes 
im  Sommer;  die  Taboriten  unternahmen  dagegen  im  Herbst  einen 
Feldzug  in  die  Ober-  und  Niederlausitz,  im  Dezember  nach  Meifsen  und 
Sachsen  und  drangen  unter  grauenvollen  Verheerungen  bis  in  die  Nähe 
von  Magdeburg.  Zwei  gegen  sie  im  nördlichen  Deutschland  aufgestellte 
Heere  wagten  keinen  Widerstand.  Von  Sachsen  zogen  sie  nach  dem 
östlichen  Franken  in  die  Oberpfalz.  Der  Kurfürst  Friedrich  von  Branden- 
burg bewog  sie  gegen  Zahlung  bedeutender  Summen  zum  Abzug.  Auch 
jetzt  waren  die  Hussiten  bei  allen  ihren  Erfolgen  bemüht,  sich  den  Weg 
zu  einer  friedlichen  Vereinbarung  zu  bahnen.  Der  Kurfürst  und  andere 
Fürsten  mufsten  ihnen  freies  Geleite  zu  einem  »gütlichen  Tag«  in  Nürn- 
berg versprechen.  Dort  sollte  über  die  vier  Artikel  disputiert  und  ein 
Weg  der  Verständigung  gesucht  werden.  Damit  war  zum  erstenmal 
auf  jene  Grundlage  hingewiesen,  aus  der  in  der  Folge  die  Kompaktaten 
erwachsen  sind.  Trotzdem  die  abendländische  Welt  mit  solchem  Eifer 
nach  einem  friedenbringenden  Konzil  begehrte,  dafs  scharfe  Plakate 
dieses  Inhalts  selbst  an  den  Toren  des  Vatikans  angeschlagen  wurden, 
verhielt  sich  die  Kurie  ablehnend  und  verbot  alle  Erörterungen  über 
Glaubenssachen  mit  den  Hussiten.  Bald  wurden  König  und  Kurfürsten 
als  Ketzerfreunde  gescholten.  Sigmund  wünschte  übrigens  die  Verhand- 
lungen mit  den  Hussiten  als  seinen  Untertanen  selbst  in  der  Hand  zu 
behalten.  So  scheiterte  dieser  Annäherungsversuch,  und  Taboriten  und 
Waisen  setzten  ihre  Plünderungszüge  in  die  benachbarten  Länder  fort. 
Die  Kurie  hatte  lange  auf  Polen  und  Litauen  ihre  Hoffnung  gesetzt; 
indem  aber  Grofsfürst  Witold  mit  Sigmunds  Hilfe  die  Königskrone  zu 
erhalten  und  das  Band  zwischen  Polen  und  Litauen  zu  zerreifsen 
suchte,  neigte  Polen  in  so  bedenklicher  Weise  den  Hussiten  zu,  dafs 
im  Frühling  1431  ein  Kolloquium  zwischen  Hussiten  und  polnischen 
Magistern  stattfinden  konnte,  welches  freilich  keine  besseren  Ergebnisse 
hatte  als  der  Anknüpfungsversuch  von  Prefsburg. 

4.  Mittlerweile  war  die  Konzilsangelegenheit  in  ein  entscheidendes 
Stadium  gekommen  (s.  unten).  Kardinal  Cesarini  war  als  Vertreter  des 
Papstes  in  Deutschland  erschienen,  um  die  Leitung  des  Konzils  zu 
übernehmen.  Ganz  begeistert  für  einen  Waffengang  gegen  die  Ketzer 
traf  er  auf  dem  Nürnberger  Reichstage  ein,  der  sich  im  Februar  1431 
versammelte.  Hier  bildete  neben  dem  Landfrieden  der  Hussitenkrieg 
den  wichtigsten  Verhandlungsgegenstand.  So  lebhaften  Anteil  Cesarini 
nahm:  Sigmund  versprach  sich  mehr  von  Verhandlungen.  Die  Stände 
waren  diesmal  zu  gröfseren  Opfern  bereit.  .  Cesarini  selbst  zog,  das  Kreuz 
predigend,  in  den  Rheingegenden  umher.  Er  hatte  durch  die  katholischen 
Böhmen  die  Überzeugung   gewonnen,    die  Hussiten   könnten   nur  durch 

Loser th,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  32 


498  Die  Niederlage  des  Kreuzheeres  bei  Taus. 

die  Gewalt  der  Waffen  bekehrt  werden.  Das  Kreuzheer,  von  dem 
Markgrafen  Friedrich  von  Brandenburg  geführt  und  von  Cesarini  be- 
gleitet, setzte  sich  Anfang  Juli  —  an  lOOOOO  Mann  stark  —  in  Be- 
wegung. Auch  diesmal  sollte  Böhmen  von  allen  Seiten  angegriffen 
werden,  aber  nur  die  Schlesier  und  Österreicher  waren  aufser  dem 
Hauptheere  gerüstet.  Dieses  rückte  am  1.  August  bei  Tachau  über  die 
Grenze  und  kam  bis  Taus  (14.  August),  lief  aber  auf  die  Nachricht 
vom  Anrücken  Prokops  des  Grofsen  »in  ehrloser  Flucht  aus  Böhmen«.1) 
Wie  bei  den  früheren  Zügen  lagen  eben  auch  diesmal  die  Ursachen  der 
Niederlage  ebenso  sehr  in  der  elenden  Einrichtung  als  in  der  schlechten 
Führung  des  Heeres.  Es  war  der  letzte  grofse  Angriff,  der  seitens  des 
Reiches  auf  die  Hussiten  gemacht  wurde. 

§  115.     Das  Pontifikat  Martins  V.     Eugen  IV.  und  die  Anfänge   des 

Konzils  von  Basel. 

Quellen.  Urkk.  u.  Korrespondenzen.  Eine  methodisch  angelegte  Samm- 
lung bisher  nicht  publizierter  Quellen  zur  Gesch.  des  Basler  Konzils  hat  neuestens 
J.  Hall  er  in  Angriff  genommen:  Concilium  Basiliense.  Studien  u.  Dokumente  zur 
Gesch.  der  Jahre  1431—1436.  2  Bde.,  bis  1433  reichend.  Basel  1896/97.  Sonst  sind  die 
Akten  bei  Mansi,  Concil.  Coli.  XXIX— XXXI,  Harduin  VIII— IX,  Martene  u.  Durand, 
Yet.  SS.  et  MIM.  ampl.  Coli.  YI1I,  D'Achery,  Spicil.  III  zu  finden.  Repertorium  Ger- 
manicum.  Regg.  a.  d.  päpstl.  Archiven  z.  Gesch.  d.  d.  Reiches  u.  seiner  Territorien  im 
14.  u.  15.  Jahrh.  Pontifikat  Eugens  IV.  (1431—1447)  I.  Herausg.  v.  Arnold.  Berl.  1897. 
Einzelnes  im  Arch.  cesky  III  ff.  u.  im  2.  Bd.  der  Urk.  Beiträge  z.  Gesch.  d.  Hussiten- 
krieges  v.  Palacky.  Dazu  Haller  in  seinen  Beiträgen  zur  Gesch.  d.  Basler  Konzils  4. 
ZGORh.  1901.  E.  v.  Muralt,  Urkk.  z.  Gesch.  d.  Kirchenversamml.  zu  Basel  u.  Lausanne. 
Anz.  für  Schw.  Gesch.  1881.  Andreas  Gattaro,  Tageb.  d.  Venet.  Gesandten  beim  Konz. 
zu  Basel  1433 — 35.  Herausg.  v.  Wackernagel.  Deutsch  v.  Zehntner.  Basler  Jahrb.  1885. 
Acta  Nicolai  Grands,  Urkk.  u.  Akt.,  betreffend  die  Bez.  Schlesiens  zum  Basler  Konzil. 
Cod.  dipl.  Sil.  XV.  Von  Gesandtschaftsberichten  ist  einzelnes  in  Bulaeus, 
Hist.  un.  Paris.,  in  Bianco,  Die  alte  Univ.  Köln  u.  den  Berr.  des  Vertreters  von  Kloster- 
neuburg im  VIII.  Bd.  der  WSB.  zu  finden.  Jetzt  kommen  vor  allem  die  Berichte  des 
Abtes  Ulrich  Stöckel  von  Tegernsee,  Haller  I,  60 — 106,  u.  Doc.  I,  163—464  in  Betracht. 
Von  Protokollen  liegt  das  Handregister  des  Notars  Petrus  Bruneti  vor.  Ebenda  II 
(s.  dazu  Beer  im  124.  Bd.  der  WSB.  Palacky,  ebenda  XI  und  Haller  in  HZ.  LXXIV). 
Von  Briefen  sind  einzelne  noch  aus  der  reichen  Korrespondenz  des  Enea  Silvio  zu 
nennen.  S.  darüber  Haller  I,  12.  G.  Voigt,  Die  Briefe  des  Aeneas  Silvius  vor  seiner 
Erhebung  auf  d.  päpstl.  Stuhl.  AÖG.  XVI,  323—424  u.  Weifs,  Aeneas  Sylvius  Picco- 
lomini  als  Papst  Pius  II.  mit  149  bisher  ungedr.  Briefen.  Ausg.  der  Briefe  der  Enea 
s.  in  Potthast  I,  20.  Eine  krit.  Gesamtausgabe  wird  vorbereitet.  Für  die  Bez.  zum 
Hussitentum  s.  Palacky,  wie  oben. 

Geschichtschreiber:  Des  gröfsten  Ruhmes  hatte  sich  bisher  (s.  darüber 
Haller  I,  12)  Enea  Silvio  zu  erfreuen.  (Birk,  Aeneas  Silvius  de  Piccolomini  als  Geschicht- 
schreiber des  Basler  Konzils.  Theol.  QSchr.  LXXVI,  577.)  Unter  seinen  Arbeiten  sind 
vornehmlich  zu  nennen  :  Commentarii  de  concil.  Basiliensi  =  Historia  concilii  Basi- 
liensis  libri  III  (das  mittlere  Buch,  die  Absetzung  Eugens  IV.  enthaltend,  ist  verloren). 
Ausg.  bei  Potth.  I,  23.  Wichtiger :  De  rebus  Basileae  gestis  stante  vel  dissoluto  concilio 
(versch.  v.  dem  vorigen) ;  beginnt  mit  dem  Konst.  Konzil,  ed.  Fea :  Pius  II  a  columniis 
vindicatus  Rom.  1823,  s.  Haller,  23.  Desgleichen  bieten  viel  Material  seine  Historia  Boh. 
und   Historia  Friderici  IH  (Ausg.  u.  Lit.   bei  Potthast).    —   Eine   breit   angelegte,   aber 


x)  Oswald  v.  Wolkenstein  ist  ganz  mutlos :  Got  muss  für  uns  vechten  —  suln  die 
Hussen  vergan  —  Von  herren,  rittern  und  von  knechten  —  Ist  es  ungetan.  Hist.  Ver. 
Ob.-Pfalz  LI,  89. 


Das  Konzil  von  Basel.  499 

unvollendet  gebliebene  Geschichte  des  Basler  Konzils  lieferte  Johannes  v.  Ragusa : 
Initium  et  prosecutio  Basiliensis  concilii  1417 — 1431,  ed.  Palacky  in  MM.  Concil.  der 
W.  Ak.  I,  131.  —  Tractatus,  quomodo  Bohemi  reducti  sunt  ad  unitatem  ecclesie, 
ib.  133 — 286,  s.  dazu  Haller,  S.  18.  —  De  modo,  quo  Greci  fuerant  reducendi  ad  eccle- 
siam  per  concil.  Basil.  in  Haller  I,  331 — 364  (s.  auch  die  Oratio  ad  artic.  primum  de 
comm.  sub  utraque  bei  Canisius  Lectiones  antiq.  et  Basnage  IV,  467).  Der  bedeutendste 
Geschichtschreiber  des  Konzils  ist  Johannes  de  Segovia  (über  ihn :  Zimmermann,  Juan 
de  Seg.  Diss.  Bresl.  1882  u.  jetzt  vornehmlich  Haller  I,  20  ff.  Derselbe :  Zu  dem  Leben 
und  den  Schriften  des  Johann  v.  Segovia  in  d.  Z.  f.  Gesch.  d.  Ob. -Rh.  NF.  XVI.)  Sein 
Hauptwerk  ist :  Historia  gestorum  generalis  synodi  Basil.  lib.  XV,  ediderunt  Birk  et 
Beer.  MM.  Conc.  II  et  IH.  Aus  seiner  Feder  stammen  noch :  De  auctoritate  ecclesie, 
s.  Haller,  27.  De  trib.  veritatibus  fidei,  ebenda  28.  De  neutralitate,  ebenda  30.  Justi- 
ficatio  sententiae  latae  contra  Gabrielern,  ebenda  36.  De  magna  auctoritate  episcoporum 
in  concil.  generali,  ebenda  40.  Die  Haupt  quelle  für  sein  Werk  waren  aufser  eigenen 
Aufzeichnungen  che  Protokolle  der  Notare.  Aegidius  Carlerius,  Liber  de  legationibus 
concilii  Basiliensis  pro  reductione  Bohemorum,  ed.  Birk.  MMC.  I,  359 — 700  (andere 
Schriften  bei  Potth.  I,  188).  Johannes  de  Turonis,  Regestrum  autorum  in  legationibus 
a  sacro  concilio  in  Boemiam  1433 — 1437,  ed.  Birk.  MMC.  I,  785 — 867.  Petri  Zatecensis, 
Liber  diurnus  de  gestis  Boh.  in  concil.  Basil.,  ed.  Palacky.  Ebenda  I,  287 — 357.  Eben- 
dorfer,  Diarium  gestorum  per  legatos  concil.  Basil.  pro  reduccione  Bohem.,  ib.  I,  701 — 783. 
NA.  IV.  —  Zum  Teil  gehören  auch  noch  die  Quellen  von  §  112,  wie  Bartoschek  u.  a., 
hierher.  Von  den  Lausitzern :  Johannes  v.  Guben  in  SS.  rer.  Lus.  I.  Aus  den  deutschen 
Städtechron.  vornehmlich  die  Nürnberger.  Zur  Gesch.  d.  Päpste:  Vita  Martini  V 
pontific.  Romani  auctore  Jordano,  ed.  Papebroch  in  Propylaeo  ad  AA.  SS.  Mai.  H,  61. 
De  Martino  V,  Lib.  pontif.,  ed.  Duchesue.  App.  II,  p.  555  f.  Muratori  III,  2,  857—868  = 
Duchesne  515 — 523.  Vita  Eugenii  IV  papae  Script,  a  coaetaneo.  Murat.  III,  2,  868 — 878. 
Lib.  pontif.  IL  App.  II,  536.  Carta  foederis  inter  Eugenium  et  Philippum  Mariam  etc. 
Mur.  IH,  2,  899—902.  Vespasianus,  vitae  Eugenii  IV  et  Nicolai  V.  Muratori  XXV,  253  ff. 
Aeneas  Silvius,  Oratio  de  morte  Eugenii  creationeque  et  coronatione  Nicolai  V.,  1447. 
Mur.  1.  c.  878 — 898.  Obitus  Eugenii  IV  papae.  AA.  SS.  5.  Mai.  Epistola  de  morte 
Eugenii  IV.  Mur.  III,  2,  902 — 904.  Vita  Juliani  Cesarini  auctore  Vespasiano  ap.  Ughelli, 
Italia  sacra  ni,  671.  Handschriftl.  Nachträge  aus  röm.  Biblioth.  s.  bei  Pastor  I.  Gegen 
das  Papsttum :  Confutatio  primatus  papae,  angeblich  v.  Heimburg,  in  Wirkl.  v.  Matthias 
Döring.    Ausg.  bei  Potth.  I,  431.    Dort  auch  die  betr.  Lit. 

Hilfsschriften:  Lenfant,  Histoire  de  la  guerre  des  Hussites  et  du  concile 
de  Basle.  Amst.  1731.  Wessenberg,  wie  oben  Bd.  IL  Harzheim,  Conc.  Germ.  V. 
Binterim,  Deutsche  Konz.  VII.  Richter,  Hist.  concil.  gen.  H.  Hefele,  Konzilien- 
gesch.  VII.  Creighton.  A  history  of  the  Papacj'  n.  The  Council  of  Basel.  London.  NA. 
Richter,  Organisation  u.  Geschäftsordnung  des  Basler  Konzils.  Leipz.  1877.  Thommen, 
Basel  u.  d.  B.  Konzil.  Basl.  Jb.  1895.  S.  auch  Anz.  Schw.  Gesch.  XXVI.  G.  Voigt, 
Enea  Silvio  de  Piccolomini  als  Papst  Pius  H.  u.  sein  Zeitalter.  3  Bde.  Berl.  1856 — 62. 
A.  Weifs-,  L.  Pastor,  Gregorovius  u.  a.,  wie  oben.  Guiraud,  L'Etat  pontifical 
apres  le  grand  schisme.  Paris  1898.  Abert,  Papst  Eugen  IV.  Mainz  1884.  Raumer, 
Die  Kirchenversammlungen  v.  Pisa,  Kostnitz  u.  Basel,  s.  oben.  S.  auch  Herre  u.  Beck- 
mann in  der  Einleitung  zu  den  DRA.  X.  Brefsler,  Die  Stellung  der  deutschen  Uni- 
versitäten zum  Basler  Konzil.  Leipz.  1885.  Zimmermann,  Die  kirchl.  Verfassungs- 
kämpfe, wie  oben.  Puckert,  Die  kurfürstliche  Neutralität  während  des  Basler  Konzils. 
Leipz.  1858.  Bachmann,  Die  deutschen  Könige  u.  die  kurf.  Neutralität.  AÖG.  1888. 
Kluckhohn,  Herzog  Wilhelm  III.,  Protektor  des  Basler  Konzils.  Forsch.  IL  Geb- 
hardt,  Die  Gravamina  der  d.  Nation  gegen  den  röm.  Hof.  Bresl.  1886.  2.  A.  1896. 
Aschbach,  G.  K.  Sig.  Bd.  IV  wie  oben.  Gebhardt,  Die  Confut.  primatus  papae. 
NA.  IL  Albert,  Matthias  Döring.  München  1889.  Für  die  böhm.  Frage  s.  oben  §  113. 
Zur  kirchl.  Union  mit  den  Griechen  findet  sich  die  Literatur  bei  Krumbacher, 
S.  1091 — 92.  S.  auch  Pichler,  Gesch.  der  kirchl.  Trennung  zw.  dem  Orient  u.  Okzi- 
dent. 2  Bde.  München  1864 — 65  u.  Zhischmann,  Die  Unionsverhandlungen  etc. 
seit  dem  Anfang  des  15.  Jahrh.  bis  zum  Konzil  v.  Ferrara.  Wien  1858.  Zu  Nikolaus 
v.  Cusa,  s.  unten. 

32* 


500  Das  Pontifikat  Martins  V. 

1.  Gegen  die  Wünsche  der  Deutschen  und  Franzosen,  von  denen 
jene  deutsche  Orte,  diese  Avignon  in  Vorschlag  gebracht  hatten,  schlug 
Martin  V.  seine  Residenz  in  Rom  auf.  Allerdings  dauerte  es  zwei  Jahre, 
bis  er  dahin  gelangte.  Über  Mantua  [ging  er  nach  Florenz,  wo  er  an- 
gesichts der  trostlosen  Lage  des  Kirchenstaates  zwei  Jahre  blieb.  Erst 
Verhandlungen  mit  Johanna  IL  von  Neapel,  die  Rom  und  Benevent 
besetzt  hielt,  und  dem  Kondottiere  Braccio  di  Montone,  der  einen  grofsen 
Teil  Mittelitaliens  beherrschte,  machten  ihm  die  Bahn  frei.  Doch  mufsten 
dem  Kondottiere  Perugia,  Assisi,  Todi  und  Jesi  gelassen  werden;  er 
mochte  hoffen,  sich  hier  eine  selbständige  Herrschaft  zu  gründen.  Im 
Juli  1420  unterwarf  sich  Bologna  dem  Papste ,  der  zwei  Monate  später 
seinen  Einzug  in  die  ewige  Stadt  hielt.  Diese  bot  nach  dem  Ausspruch 
eines  Zeitgenossen  nicht  einmal  das  Aussehen  einer  Stadt  dar :  in  den 
schmutzigen,  von  Schutt  angefüllten  Gassen  trieben  Räuber  ungescheut 
ihr  Handwerk.  Denkmäler  der  Antike  waren  noch  während  der  jüngsten 
Wirren  zugrunde  gegangen.  Ebenso  trostlos  sah  es  in  den  Provinzen 
aus,  die  im  übrigen  nur  lose  mit  Rom  zusammenhingen.  Überall  war 
Neues  zu  schaffen.  Martin  V.  widmete  sich  dieser  Aufgabe  mit  grofsem 
Eifer  und  Geschick.  Sein  Regiment  täuschte  jene,  die  an  ihm  einen 
milden  Herrscher  zu  finden  meinten.  Bei  seiner  an  Geiz  grenzenden 
Sparsamkeit  gelang  es  ihm,  die  ärgsten  Übelstände  zu  beseitigen  und  eine 
neue  Ordnung  zu  begründen.  Wenn  Rom  seine  politische  Unabhängigkeit 
verlor,  behielt  es  doch  das  Recht  kommunaler  Selbstverwaltung.  Nach 
Braccios  Tode  (1424)  kehrten  auch  die  von  ihm  beherrschten  Städte  unter 
die  unmittelbare  Herrschaft  des  Papstes  zurück.  Dagegen  blieben  die 
meisten  Übelstände ,  über  die  in  Konstanz  Klage  geführt  worden  war, 
bestehen :  die  Gelderpressungen ,  Bestechungen  und  der  Nepotismus. 
Seit  jener  Zeit  werden  die  Nepoten  auf  Kosten  Neapels  oder  des  Kirchen- 
staates mit  Fürstentümern  versorgt.  Zunächst  stieg  das  Haus  Colonna 
zu  ungeheurer  Macht  empor;  ja  der  Papst  hegte  den  Plan,  seinem  Hause 
den  Thron  von  Neapel  zu  verschaffen.  Die  Reste  des  Schismas  wurden 
beseitigt,  als  der  letzte  Gegenpapst  Ägidius  Muiloz ,  den  die  Kardinäle 
Benedikts  XIII.  nach  dessen  Tode  (1424)  als  Klemens  VIEL  gewählt 
hatten1),  abdankte  (1429).  Hiebei  hatte  sich  Alfonso  de  Borja,  Rat  des 
Königs  von  Aragonien,  grofse  Verdienste  erworben  und  zum  Dank  das 
Bistum  Valencia  erhalten.  Es  ist  der  Borgia,  der  dieses  Hauses  Ansehen 
begründete. 

2.  Die  gröfsten  Sorgen  bereitete  dem  Papst  der  Kampf  gegen  die 
konziliaren  Ideen.  Der  Streit  über  die  Superiorität  der  Konzilien  hatte 
ihn  mit  solchem  Hafs  gegen  diese  erfüllt,  dafs  er  selbst  die  Erinnerung 
an  sie  verabscheute.2)  Nichtsdestoweniger  mufste  er  in  Gemäfsheit  der 
Konstanzer  Beschlüsse  ein  Konzil  nach  Pavia  berufen  (1423).  Eine 
Pest,  die  dort  ausbrach,  bot  ihm  den  Anlafs,  es  nach  Siena  zu  verlegen; 
als  es  in  die  Bahnen  der  Konstanzer  Versammlung  einlenkte,  wurde  es 


r  Nicht  ohne  auch  seinerseits    einen  Gegenpapst  in  Benedikt  XIV.  zu  erhalten. 
2)  Pastor  H,  197. 


Die  Frage  der  Kirchenreforni.     Eugen  IV.  501 

auf  sieben  Jahre  verschoben.  Dann  wurde  bestimmt,  dafs  es  in  Basel 
zusammentreten  solle.  Diese  lange  Zeit  blieb  für  die  beabsichtigte  Re- 
formation der  Kirche  völlig  unbenutzt,  nur  dafs  der  Papst  eine  Reihe 
reformfreundlicher  Männer,  wie  Julian  Cesarini,  in  das  Kardinalskollegium 
aufnahm.  Und  doch  wäre  eine  gründliche  Kirchenreformation  das  ge- 
eigneteste Gegenmittel  gegen  das  »hussitische  Gift«  gewesen,  das  bereits 
über  die  böhmischen  Grenzen  hinausdrang  und  auch  schwere  politisch- 
soziale Gefahren  heraufzubeschwören  schien.  Dem  Papste  schien  es 
genug,  mit  den  Waffen  gegen  die  Hussiten  vorzugehen,  aber  diese  ver- 
sagten, und  der  Ruf  nach  einem  Konzil  wurde  immer  lauter  und  pochte 
endlich  selbst  an  die  Tore  des  Vatikans.  Martin  V.  ernannte  nun  allerdings 
noch  den  Präsidenten  für  das  Konzil  —  Julian  Cesarini  —  starb  aber, 
bevor  es  eröffnet  wurde,  am  20.  Februar  1431.  Nahm  er  den  Ruhm 
mit  ins  Grab,  Wiederhersteller  der  weltlichen  Macht  des  Papsttums  ge- 
wesen zu  sein ,  so  war  doch  die  Erbschaft  für  seinen  Nachfolger  eine 
bittere.  Der  Ruf  nach  der  Kirchenreform  liefs  sich  nicht  mehr  über- 
hören. Anderseits  wollten  sich  aber  auch  die  Kardinäle,  die  Martin  V. 
in  demselben  Grade  zurückgesetzt,  wie  er  seine  Verwandten  begünstigt 
hatte,  vor  der  Wiederkehr  solcher  Zustände  schützen.  Nach  der  Wahl- 
kapitulation, die  sie  entwarfen,  sollte  der  künftige  Papst  seinen  Hof  an 
Haupt  und  Gliedern  reformieren,  ihn  nicht  ohne  ihre  Zustimmung  an 
einen  andern  Ort  verlegen,  bei  Kardinalsernennungen  die  in  Konstanz 
begründete  Ordnung  einhalten,  gegen  ihre  Person  und  ihr  Vermögen  nichts 
Feindseliges  vornehmen,  ihnen  die  Hälfte  des  Einkommens  der  Kurie 
zuweisen  und  ohne  ihre  Einwilligung  keine  wichtigere  den  Kirchenstaat 
betreffende  Regierungshandlung  vornehmen.  Es  war  die  Frage,  ob  der 
Papst  mit  solchen  Einschränkungen  seiner  Gewalten  auszukommen  ver- 
möchte. Auch  wenn  die  Wahl  nicht  auf  einen  Mann  von  dem  Charakter 
Urbans  VI.  fiel,  waren  schwere  Kämpfe  zu  gewärtigen.1) 

3.  In  den  Tagen  Gregors  XII.  war  dessen  Neffe  Gabriele  Con- 
dulmaro  in  die  Höhe  gekommen.  Aus  einer  venezianischen  Adels- 
familie stammend,  hatte  er  seine  Habe  an  die  Armen  gegeben  und  war 
in  ein  Augustinerkloster  getreten.  Noch  unter  Gregor  XII.  war  er 
Bischof  von  Siena,  dann  (1408)  Kardinal  geworden.  Auf  ihn  fiel  nun 
die  Wahl  der  Kardinäle.  Er  nannte  sich  Eugen  IV.  (1431 — 1447).  Ein 
Mann  von  ehrfurchtgebietendem  Aufsern,  von  einfacher  Lebensweise  und 
so  freigebig,  dafs  er  stets  in  Schulden  steckte,  weniger  gebildet,  als  von 
einem  Papste  der  humanistischen  Zeit  erwartet  ward,  ohne  nepotische 
Anwandlungen,  von  mönchischen  Neigungen,  geringer  Welterfahrung 
und  Selbständigkeit  wurde  er  bei  seinem  Hang  zu  gewaltsamem  Vor- 
gehen in  Konflikte  getrieben,  die  ihn  für  seine  Kämpfe  seiner  natürlichen 
Stützen  beraubten.  So  demütigte  er  wohl  die  Nepoten  seines  Vorgängers, 
aber  nicht  ohne  sich  neue  Gegner  zu  schaffen.  Er  bestätigte  die  Ver- 
legung des  Konzils  nach  Basel  und  erneuerte  Cesarinis  Vollmachten. 
Dieser  hatte   das  Konzil   zu  eröffnen,    sobald    eine   genügende  Zahl  von 


J)  Pastor  I,  232. 


502  Eröffnung  und  Geschäftsordnung  des  Konzils.     Sigmunds  Romfahrt. 

Mitgliedern  eingetroffen  war.  Da  Cesarini  beim  Heere  gegen  die  Hussiten 
verweilte,  eröffneten  es  seine  Vertreter  Johann  von  Palomar  und  Johann 
von  Ragusa  (1431,  23.  Juli).  Die  Kunde  vom  kläglichen  Ausgang 
der  letzten  Kreuzfahrt  erfüllte  die  versammelten  Väter  mit  Angst  und 
Trauer,  fachte  den  Eifer  für  die  Reform  aufs  höchste  an  und  schob  die 
hussitische  Frage  um  so  mehr  in  den  Vordergrund,  als  nun  die  Über- 
zeugung von  der  alleinigen  Möglichkeit  ihrer  Lösung  auf  dem  Konzil 
eine  allgemeine  wurde.  Cesarini,  vordem  Verteidiger  des  Ketzerkrieges, 
wurde  nun  Anwalt  des  Friedens.  Dabei  bewahrte  die  hussitische  Gefahr 
das  Konzil  vor  einem  vorzeitigen  Ende.  Seit  Cesarinis  Einzug  (9.  September) 
erschienen  die  Mitglieder  in  grofser  Zahl,  erfüllt  vom  Glauben  an  ihre 
Mission  für  die  Verbesserung  der  Kirche.  Mittlerweile  beschlofs  Sigmund, 
seine  Romfahrt  zu  unternehmen,  um  als  Kaiser  mit  gröfserer  Autorität 
beim  Konzil  aufzutreten ,  wohl  auch  in  der  Hoffnung  ,  den  Papst  ent- 
weder selbst  zum  Erscheinen  zu  bewegen  oder  doch  für  eine  wahre 
Reform  zu  gewinnen.  Nachdem  er  den  Herzog  Wilhelm  von  Bayern 
zum  Protektor  des  Konzils  ernannnt  hatte,  zog  er,  von  wenigen  begleitet, 
über  den  Lukmanier  nach  Italien  und  erhielt  am  25.  November  in  Mailand 
die  lombardische  Krone.  Aber  die  erwartete  Hilfe  des  Herzogs  Philippo 
Maria  von  Mailand  blieb  aus.  Stärkere  Hemmnisse  seiner  Fahrt  türmten 
sich  auf,  seit  Eugen  IV.  mit  dem  Konzil  in  Konflikt  geraten  war.  Dieses 
hatte  am  26.  September  eine  Geschäftsordnung  beschlossen,  die  nicht 
blofs  die  Freiheit  der  Abstimmung  sicherte,  sondern  auch  die  Gliederung 
nach  Nationen  vermied,  die  sich  in  Konstanz  nicht  bewährt  hatte,  zudem 
auch  mit  dem  allgemeinen  Charakter  der  Kirche  in  Widerspruch  stand. 
Statt  der  Nationen  wurden  vier  Konvente ,  »heilige  Deputationen« ,  ge- 
bildet und  zwar  nach'  den  ihnen  zugewiesenen  Gegenständen :  über 
Glaubenssachen  und  Ketzereien,'  über  Angelegenheiten  des  Friedens, 
über  die  kirchliche  Reform  und  über  allgemeine  Sachen,  die  zu  be- 
handeln und  zur  Beschlufsfassung  vorzubereiten  waren. 

Die  Deputationen  berieten  getrennt,  jede  unter  einem  eigenen  Präsidenten,  der 
wie  die  Unterbeamten  allmonatlich  neu  gewählt  wurde.  Überdies  wurde  eine  jede 
der  vier  Sektionen  nach  je  vier  Monaten  neu  gebildet.  Ein  Ausschufs  von  vier  Per- 
sonen verteilte  allmonatlich  die  neuangekommenen  unter  die  Deputationen.  Zwölf 
Männer,  aus  jeder  Deputation  drei,  von  denen  monatlich  8  ausschieden,  verteilten 
die  Beratungsgegenstände  unter  die  Deputationen.  Über  die  Reihenfolge  in  der  Be- 
handlung verfügte  der  Präsident.  In  den  Deputationen  ward  nach  Köpfen,  in  der 
Generalversammlung  nach  Deputationen  abgestimmt.  Bei  dieser  Verhandlungsmethode 
überwog  der  Einflufs  der  geringeren  Würdenträger,  die  zugleich  die  zahlreicheren 
waren.  Es  wurde  verhindert,  dafs  sich  Parteigruppierungen  nach  Nationen  bildeten 
oder  dafs  eine  einzelne  Persönlichkeit  eine  überragende  Stellung  gewann.  Die  Be- 
schlüsse einer  Deputation  wurden  den  drei  andern  mitgeteilt,  und  erst  wenn  sie  von 
drei  Deputationen  gebilligt  waren,  an  die  Vollversammlung  des  Konzils  gebracht.  Zur 
Bestreitung  der  Kosten  wurden  von  den  einzelnen  Kirchen  der  zwanzigste  Teil  ihres 
Einkommens  genommen.  Das  Konzil  wies  eine  Reihe  glänzender  Talente  auf:  durch 
ihre  Kühnheit  taten  sich  die  Juristen  und  einzelne  Vertreter  der  Mönchsorden  und 
des  Prälatenstandes,  vor  allem  des  französischen,  hervor.  Schon  traten  in  der  glänzen- 
den Beredsamkeit  einzelner  die  Früchte  humanistischer  Schulung  zutage. 

Der  Eifer  der  Väter  für  die  Sache  der  Reform  erregten  den  Arg- 
wohn der  Kurie.     Am   14.  Dezember   hatte    die    erste   feierliche  Sitzung 


Eugen  IV.  und  das  Konzil.  503 

stattgefunden.  Kurze  Zeit  nachher  versuchte  der  Papst  auf  Grund  ver- 
schiedener, grofsenteils  irriger  Nachrichten,  die  ihm  von  Basel  zugegangen 
waren,  unter  dem  Vorwand,  dafs  die  Zahl  der  Erschienenen  zu  gering, 
die  Reise  nach  Basel  zur  Winterszeit  ungünstig,  der  Aufenthalt  daselbst 
wegen  der  Hussitengefahr  unsicher  und  die  Ankunft  der  Griechen  für 
die  Unionsverhandlungen  nicht  zu  erwarten  sei,  das  Konzil  aufzulösen 
und  es  nach  anderthalb  Jahren  unter  seiner  persönlichen  Teilnahme  in 
Bologna  wieder  zu  versammeln.  Cesarini  und  die  übrigen  Väter  mifs- 
billigten  dies  Vorgehen.  Die  letzteren  sprachen  in  einem  Rundschreiben 
ihre  Absicht  aus,  beim  Konzil  zu  verbleiben.  Die  zweite  Sitzung  (1432, 
15.  Februar)  wiederholte  das  Konstanzer  Dekret,  dafs  jeder  Christ,  somit 
auch  der  Papst,  in  Sachen  des  Glaubens  usw.  (s.  oben)  einem  allgemeinen 
Konzil  gehorchen  müsse,  und  dafs  ein  rechtmäfsig  versammeltes 
Konzil  ohne  eigene  Zustimmung  von  niemand  aufgelöst  werden  dürfe. 
Noch  bemühte  sich  Cesarini,  den  Papst  zur  Zurückziehung  der  Auf- 
lösungsbulle zu  bewegen,  hatte  aber  keinen  Erfolg.  In  der  dritten 
Sitzung  wurde  der  Papst  unter  scharfen  Drohungen  gemahnt,  die 
Auflösung  des  Konzils  zu  widerrufen  und,  als  diese  Mahnung  erfolg- 
los blieb ,  des  Ungehorsams  angeklagt  (6.  September).  Das  Verhalten 
des  Konzils  war  zweifellos  ein  revolutionäres,  da  es,  unzufrieden  mit 
der  gesetzgebenden  Gewalt,  in  die  Exekutive  des  Papstes  eingriff.  Gleich- 
wohl wurde  sein  Verhalten  von  einem  der  bedeutendsten  Publizisten, 
Nikolaus  von  Cues,  in  seiner  berühmten  Schrift  »De  concordantia 
catholica«  verteidigt.  Nach  allen  Seiten  wurden  Gesandte  geschickt,  das 
Recht  des  Konzils  in  Schutz  zu  nehmen,  und  von  allen  Seiten  kamen 
zustimmende  Erklärungen.  England  und  Frankreich  stellten  sich  auf 
seine  Seite,  der  deutsche  König  hörte  nicht  auf,  es  in  seiner  Haltung 
zu  bestärken.  Hatten  jene  Mächte  nur  ein  einziges  Interesse,  das  an 
der  Reform  der  Kirche,  so  kam  bei  Sigmund  noch  die  besondere  Rück- 
sicht auf  das  Interesse  seines  Hauses  hinzu.  Kam  nämlich  die  ersehnte 
Einigung  zwischen  den  Böhmen  und  dem  Konzil  zustande,  so  sicherte 
dies  auch  die  luxemburgische  Herrschaft  in  Böhmen.  Anderseits 
konnte  freilich  auch  Sigmund  durch  das  Konzil  einen  ständigen  Druck 
auf  den  Papst  ausüben  und  ihn  zwingen,  ihm  die  Kaiserkrone  auf- 
zusetzen.1) 

§  116.    Die  Kaiserkrönung  Sigmunds.    Die  Kompaktaten. 

1.  Die  Hoffnung  Sigmunds,  den  Papst  zur  Zurücknahme  der  Auf- 
lösungsbulle zu  bewegen  erfüllte  sich  ebensowenig  wie  die  Erwartung  des 
Papstes,  den  König  durch  Gewährung  einer  Sondersynode  für  die  deutschen 
und  böhmischen  Angelegenheiten  vom  Konzil  zu  trennen.  Dieses  erklärte 
(18.  Dezember),  jedes  andere  Konzil,  das  der  Papst  etwa  berufen  würde, 
von  vorherein  als  ein  schismatisches.  Am  19.  Februar  1433  wurde 
Eugen  IV.  aufs  neue  der  Ungehorsams  angeklagt  und  eine  Proklamation 

*)  Voigt  I,  58. 


504  Kaiserkrönung  Sigmunds.     Die  Bulle  Dudum  sacrum. 

hierüber  an  die  Türen  des  Münsters  geheftet,  Indem  sich  das  Konzil 
immer  enger  an  Sigmund  anschlofs,  ward  Eugen  IV.,  der  zugleich  von 
einer  Partei  der  Kardinäle  bedrängt  wurde,  gezwungen,  einzulenken. 
Aber  seine  Erklärung,  ein  Konzil  in  Basel  abhalten  zu  lassen,  fand 
keine  Aufnahme,  ebensowenig  als  sein  Begehren,  dafs  seine  Legaten 
das  Recht  der  Entscheidung  hätten.  Die  elfte  Sitzung  beschlofs,  dafs 
der  Papst  gleich  den  übrigen  Gliedern  der  Kirche  verpflichtet  sei,  auf 
dem  Konzil  zu  erscheinen  oder  sich  durch  Gesandte  vertreten  zu  lassen. 
Sonst  würde  ein  Konzil  sich  auch  ohne  Berufung  durch  den  Papst 
konstituieren,  und  sollte  er  ihm  Hindernisse  bereiten,  ihn  suspendieren, 
ja  selbst  absetzen.  Ein  allgemeines  Konzil  dürfe  überhaupt  nur  unter 
Zustimmung  von  zwei  Dritteln  seiner  Mitglieder  aufgelöst  werden. 
Wären  solche  Beschlüsse  allgemein  anerkannt  worden,  so  hätte  die 
Kirche  ihre  monarchische  Gestaltung  durch  eine  republikanische  ersetzt. 
In  der  Tat  war  der  Papst  schon  von  der  Absetzung  bedroht.  Da  griff 
Sigmund  ein.  Indem  Eugen  die  Vermittlung  zwischen  dem  König  einer- 
seits und  Venedig  und  Florenz  anderseits  in  die  Hände  nahm,  legten 
Sigmunds  Gesandte  vor  dem  Papste  aufser  dem  gewöhnlichen  (s.  oben) 
noch  den  besonderen  Eid  ab,  dafs  er  Eugen  IV.  für  den  rechtmäfsigen 
Papst  halte  und  seine  Rechte  schützen  werde.  Darauf  empfing  er  zu 
Pfingsten  (1433.  31.  Mai)  aus  seinen  Händen  die  Kaiserkrone.1) 

2.  Sigmund  war  indes  keinesfalls  gewillt,  das  Konzil  fallen  zu 
lassen.  Um  die  Schwierigkeiten  zwischen  Papst  und  Konzil  aus  dem 
"Wege  zu  räumen,  erschien  er  am  11.  Oktober  1433  in  Basel.  Wieder 
stand  er,  wie  einst  in  Konstanz,  mitten  in  der  Bewegung,  die  so  mächtig 
in  die  Geschicke  der  Kirche  eingriff.  Zunächst  bewirkte  er  eine  Ver- 
längerung der  dem  Papste  gesetzten  Termine.  Nun  wurden  wichtige 
Reformbeschlüsse  gefafst,  dafs  in  jeder  Diözese  jährlich  zwei  Provinzial- 
konzile  abgehalten,  der  Klerus  zu  einem  frommen  Leben  gemahnt,  das 
Volk  an  Sonn-  und  Feiertagen  unterwiesen,  die  Synodalstatuten  zur 
Verlesung  gebracht  und  der  Lebenswandel  des  Klerus  überwacht  werde 
(6.  Dezember).  Inzwischen  war  der  Papst  in  grofse  Bedrängnis  geraten: 
der  Kondottiere  Fortebraccio  drang,  von  Mailand  aufgereizt,  in  die  Nähe 
Roms,  und  Francesco  Sforza,  der  in  Mailands  Dienste  getreten  war, 
besetzte  die  Marken  und  das  römische  Tuscien.  In  dieser  Not  unterwarf 
sich  Eugen  IV.  und  zog  seine  Bullen  zurück.  Die  Bulle  Dudum 
sacrum,  betreffend  die  Approbation  des  Konzils  und  den  Widerruf  des 
Papstes,  —  sie  kam  am  5.  Februar  1434  zur  Verlesung  —  bezeich- 
net den  Höhepunkt  des  Konzils.  Allseitig  anerkannt,  war  es  in 
diesem  Augenblick  die  oberste  Macht  in  der  Christenheit.  Auch  die 
böhmische  Frage  ging  nun  ihrer  Lösung  zu.  Schon  drangen  die 
politischen  Tendenzen  des  radikalen  Hussitismus  in  breite  Schichten  des 
deutschen  Volkes  ein;  es  war  die  höchste  Zeit,  eine  neue  Bahn  zu 
betreten ;  unter  den  Hussiten  aber  gewann  die  friedliche  Stimmung  an 
Boden,  waren  doch  trotz  aller  Siege  nach   13  jährigem  Kampfe  Böhmens 


1    Seit  jener  Zeit  führte  er  auf  seinen  Siegeln  den  doppelten  Reichsadler. 


Sieg  der  konziliaren  Ideen.     Die  Hussiten  und  das  Konzil.  505 

Nebenländer  noch  grofsenteils  im  katholischen  Lager,  bedeutende  Orte 
Böhmens  noch  unbesiegt  und  das  Land  von  der  Kriegsfurie  völlig  zer- 
fleischt. Die  Einladung  des  Konzils  an  die  Hussiten  (1431,  15.  Oktober), 
Gesandte  nach  Basel  zu  schicken,  fand  um  so  bessere  Aufnahme,  als  von 
bedingungsloser  Unterwerfung  nicht  mehr  die  Rede  war.  Kalixtiner 
und  Waisen  waren  bereit,  dem  Rufe  zu  folgen;  nur  die  Taboriten  hatten 
sich  eben  noch  in  einem  Manifest  an  das  deutsche  Volk  aufs  heftigste 
gegen  den  Papst  und  die  Hierarchie  ausgesprochen.  In  Eger  begannen 
die  ersten  Verhandlungen  (1432,  Mai):  Böhmische  Gesandte  sollten  in 
Basel  freies  Gehör  finden,  die  Kreuzzugsbullen  aufser  Kraft  gesetzt  und 
die  Gesandten  in  der  Ausübung  ihres  Gottesdienstes  nicht  gehindert 
sein.  Zur  Grundlage  der  Erörterung  über  die  vier  Artikel  sollte  die 
Bibel  und  der  Zustand  der  Kirche  in  der  apostolischen  Zeit  nebst 
den  Konzilien  und  Kirchenlehren,  die  sich  auf  jene  stützen,  ge- 
nommen werden.  Den  Abschlufs  eines  Waffenstillstandes  schlugen  die 
Hussiten  ab. 

3.  Am  4.  Januar  1433  erschien  die  aus  15  Mitgliedern  bestehende 
Gesandtschaft  aller  hussitischen  Parteien  in  Basel.  Die  bedeutendsten 
Mitglieder  waren  Prokop  der  Grofse,  der  Taboritenbischof  und  Verfasser 
der  grofsen  Taboritenchronik,  Nikolaus  von  Pilgram,  Johann  Rokytzana, 
Haupt  der  Utraquisten,  und  Peter  Payne,  ein  englischer  Wiclifit,  seines 
Glaubens  wegen  aus  England  verjagt  und  seit  fast  drei  Dezennien  für 
die  Ausbreitung  des  Wiclifismus  in  Böhmen  tätig.  Hier  disputierten 
die  Böhmen  drei  Monate  gegen  die  Theologen  des  Konzils.  Am  meisten 
wurde  Payne  gefürchtet,  der  sich,  »einer  schlüpfrigen  Schlange  gleich«, 
aus  den  schwierigsten  Lagen  herauszuwinden  wufste.  Das  einzige  Re- 
sultat der  Verhandlungen  war ,  dafs  die  Beziehungen  zwischen  dem 
Konzil  und  den  Hussiten  nicht  abgebrochen  wurden.  Schon  trat  zu- 
tage, dafs  der  Hussitismus,  selbst  in  gemäfsigter  Form  nicht  allgemeine 
Kirchenlehre  werden  könne,  sondern  ihm  höchstens  Duldung  gewährt 
würde.  Die  Verhandlungen  wurden  in  Prag  fortgesetzt.  Die  Konzils- 
gesandtschaft gewann  bei  den  unter  den  Utraquisten  bestehenden  Gegen- 
sätzen Einflufs  auf  den  Adel,  der  den  politischen  Radikalismus  des 
Taboritentums  nicht  minder  verabscheute  als  den  kirchlichen  und  jetzt 
die  reichen  Früchte  der  hussitischen  Revolution  für  sich  in  Sicherheit 
bringen  wollte :  die  ungeheure  Masse  böhmischen  Kirchen-  und  Kron- 
gutes. Noch  mufsten  freilich  neue  Gesandtschaften  gewechselt  werden, 
bis  man  die  Formel  fand,  die  das  Konzil  befriedigte,  ohne  die  Mehr- 
heit der  Utraquisten  zu  verletzen.  Erst  am  30.  November  1433  wurden 
auf  einem  von  Böhmen  und  Mähren  beschickten  Landtage  die  sog. 
Prager  Kompaktaten,  in  denen  nach  Analogie  der  vier  Prager 
Artikel  die  Vorschläge  des  Konzils  enthalten  waren,  festgesetzt:  1.  Das 
Abendmahl  wird  in  Böhmen  und  Mähren  dem,  der  danach  verlangt, 
unter  beiden  Gestalten  gereicht,  doch  haben  die  Priester  zu  erklären, 
dafs  Christus  unter  jeder  der  beiden  Gestalten  gegenwärtig  sei.  2.  Die 
Bestrafung  der  Sünden  hat  in  Gemäfsheit  der  Bibel  und  der  Anord- 
nungen   der    hl.  Väter,    doch    nicht    von    Privatpersonen,    sondern    von 


506  Die  Kompaktaten.     Niederlage  der  Taboriten  bei  Lipan. 

dem  zuständigen  Richter  zu  erfolgen.  3.  Gottes  Wort  soll  frei,  aber 
nur  durch  die  von  den  Vorgesetzten  bestellten  Prediger  verkündet 
werden.  4.  Geistliche,  die  nicht  Mönche  seien,  und  so  auch  die  Kirchen, 
dürfen  Güter  besitzen,  die  von  Geistlichen  als  Verweser  treu  verwaltet 
werden.  Niemand  dürfe,  ohne  Kirchenraub  zu  begehen,  sich  Kirchen- 
gut aneignen.  Priester  aller  Parteien,  vom  Adel  bestürmt,  gelobten, 
diese  Vorschläge  anzunehmen.  Doch  stellten  sie  unverzüglich  neue 
Forderungen.  Die  einen  verlangten  Freiheit  der  Kommunion  für  alle, 
die  danach  verlangen,  auch  für  die  Kinder,  die  andern,  dafs  alle  Be- 
wohner Böhmens  verhalten  sein  sollten,  das  Abendmahl  unter  beiden 
Gestalten  zu  nehmen.  Es  sollte  sonach  die  utraquistische  Glaubens- 
einheit zwangsweise  in  Böhmen  eingeführt  werden.  Anderseits  be- 
gehrten aber  auch  die  Gesandten,  dafs  zwischen  Katholiken  und  Hussiten 
wenn  nicht  Friede,  doch  ein  Waffenstillstand  hergestellt  werde.  Die 
Hussiten  sollten  danach  ihr  Heer  von  den  seit  dem  Sommer  belagerten 
Pilsen  hinwegführen.  Diese  waren  unter  der  Bedingung  dazu  bereit, 
dafs  alle  Bürger  von  Pilsen  Utraquisten  würden ;  da  dies  abgelehnt  wurde, 
wurde  die  Belagerung  fortgesetzt.  Die  Gesandten  verliefsen  Prag,  ohne 
die  Gewähr  des  Friedens  mit  sich  zu  nehmen.  Noch  versuchte  ein 
Abgesandter  aller  Utraquisten  —  Martin  Lupacz  — ,  das  Konzil  für 
die  von  ihnen  gewünschten  Abänderungen  zu  gewinnen;  es  wollte  aber 
von  weiteren  Zugeständnissen  nichts  mehr  wissen,  und  so  schien  es, 
als  sollte  es  noch  einmal  zu  einem  allgemeinen  Kampfe  kommen.  Das 
Konzil  bewilligte  neue  Kreuzzugssteuern.  Da  wurde  die  Sache  von  den 
Parteien  Böhmens  selbst  zum  Austrag  gebracht. 

4.  Da  die  böhmischen  Friedensparteien  den  Frieden  nicht  mit 
den  Taboriten  und  Waisen  erreichen  konnten,  mufste  er  im  Kampfe 
gegen  sie  erzwungen  werden.  Der  utraquistische  Adel  sammelte  ein  Heer 
zum  Entsatz  von  Pilsen  und  schlofs,  von  der  Prager  Altstadt  gegen  die 
Neustadt  zu  Hilfe  gerufen,  mit  jener  einen  Bund,  der  die  Herstellung 
eines  allgemeinen  Friedens  zum  Ziele  hatte.  Da  die  Neustädter  ihren 
Beitritt  verweigerten,  wurde  ihre  Stadt  erstürmt.  Jetzt  sahen  sich  die 
Taboriten  gezwungen,  von  Pilsen  abzulassen.  Von  beiden  Seiten  wurde 
zum  Entscheidungskampfe  gerüstet.  Auf  Seiten  der  Herren  standen  die 
Prager,  Pilsen  und  Melnik;  die  grofse  Zahl  der  königlichen  Städte  da- 
gegen hielt  zu  den  Taboriten.  Diese  wurden,  18000  Mann1)  stark,  von 
Prokop  dem  Grofsen,  der  zu  ihrem  Schaden  in  den  letzten  Monaten  in 
den  Hintergrund  gedrängt  worden  war,  jene,  25000  Mann  zählend,  von 
Boresch  von  Miletin  geführt.  Bei  Lipan,  östlich  von  Prag,  kam  es 
am  30.  Mai  1434  zum  Kampfe.  Taboriten  und  Waisen,  anfangs  im 
Vorteil,  liefsen  sich  durch  eine  verstellte  Flucht  der  Gegner  aus  ihrer 
Wagenburg  locken,  wurden  in  der  Flanke  überfallen,  und  erlagen  von 
zwei  Seiten  angegriffen,  nach  furchtbarem  Kampfe.  13000  deckten  die 
Walstatt,  unter  ihnen  Prokop  der  Grofse.  Die  Übermacht  der  radikalen 
Elemente  war  für  immer  gebrochen.    Das  Konzil  täuschte  sich  aber  in  der 


*)  So  Johann  v.  Segovia.    S.  Köhler  III,  394. 


Verkündigung  der  Kompaktaten.    Die  nationale  Tendenz  des  Hussitismus.         507 

Annahme,  keinen  weiteren  Widerstand  zu  finden.  Direkte  Verhand- 
lungen zwischen  Sigmund  und  den  Böhmen  in  Regensburg  (16.  bis 
22.  August)  blieben  ohne  Ergebnis,  da  die  Utraquisten  auf  der  kirch- 
lichen Einheit  des  Landes  bestanden.  Die  Verhandlungen  zu  Brunn 
im  nächsten  Sommer  führten  zu  keiner  Einigung.  Neue  Irrungen  ent- 
standen, als  das  Konzil  die  Anerkennung  des  auf  Veranlassung  des 
Landtages  zum  Erzbischof  gewählten  Rokytzana  hinausschob.  Endlich 
wurden  die  Hauptschwierigkeiten  »mehr  vertuscht  als  gelöst.«1)  Der 
Schlufsakt  fand  am  5.  Juli  1436  auf  dem  Landtage  in  Iglau  statt.  In 
Anwesenheit  des  Kaisers  und  einer  Konzilsgesandschaft  wurden  die 
Kompaktaten  verkündigt.  Jetzt  erst  wurde  Sigmund  als  König  von 
Böhmen  anerkannt.  Doch  mufste  er  sich  auch  für  seine  Nachfolger  ver- 
pflichten, die  Kompaktaten  aufrecht  zu  halten,  einen  Rat  von  Einge- 
borenen anzunehmen,  niemanden  zum  Wiederaufbau  zerstörter  Burgen, 
Klöster  und  Kirchen  zu  zwingen,  die  von  ihm  während  des  Krieges 
ausgestellten  Güterverschreibungen  keiner  Überprüfung  zu  unterziehen, 
keinen  Ausländern  Amter  zu  verleihen  und  eine  allgemeine  Amnestie 
zu  gewähren.  Zwei  Tage  später  wurde  verfügt,  dafs  die  Städte  nicht 
zur  Wiederaufnahme  der  während  des  Krieges  geflohenen  Laien  und 
Geistlichen  gezwungen  werden  sollten.  Die  Regelung  der  Zurückgabe 
des  Kirchengutes  wurde  vertagt,  die  Besitzer  erhielten  aber  die  besten 
Hoffnungen.  Die  gegen  das  deutsche  Wesen  gerichtete  Tendenz  des 
Hussitismus  gelangt  sonach  noch  in  den  letzten  Stadien  zur  Geltung. 
Diese  Tendenz  war  auch  der  Grund,  weswegen  die  Deutschen  im  Lande 
bis  auf  verschwindende  Bruchteile  die  Annahme  der  hussitischen  Lehre 
verweigerten  und  das,  was  im  Hussitentum  reformatorisch  war,  zurück- 
wiesen. Die  Aufrichtung  eines  tschechischen  Nationalstaates,  der  aufser 
Böhmen  auch  dessen  Nachbarländer  umfafst  hätte,  war  ebensowenig  er- 
reicht, als  Hussens  Hoffnung  in  Erfüllung  ging,  von  Böhmen  aus  die  abend- 
ländische Kirche  zu  reformieren.  Dagegen  war  in  den  Machtverhält- 
nissen der  böhmischen  Stände  eine  starke  Verschiebung  eingetreten. 
Das  Königtum  war  bis  zur  völligen  Machtlosigkeit  geschwächt  und  der 
Klerus,  nun  ohne  Besitz,  politisch  bedeutungslos  geworden.  Der  Herrenstand 
war  der  eigentliche  Sieger  und  besafs  als  solcher  alle  politische  Macht: 
Das  deutsche  Wesen  in  den  böhmischen  Städten  war  vernichtet  und  der 
Bauernstand  in  einer  Lage,  die  der  Leibeigenschaft  glich. 

§  117.  Die  letzten  Regierungsjahre   Sigmunds.     Reformrersuche  und 

Reformsckriftcn. 

Hilf  s  Schriften  :  Schar  p  ff,  Der  Kardinal  u.  Bischof  Nikolaus  von  Cusa. 
Tübingen  1871.  Düx,  Der  deutsche  Kardinal  Nikolaus  v.  Cusa  u.  die  Kirche  seiner  Zeit. 
Regensb.  1847.  Übinger,  Zur  Lebensgesch.  des  Nik.  Cusa.  HJb.  XIV.  Stumpf,  Die 
politischen  Ideen  d.  N.  C.  Köln  1865.  Jäger,  Der  Streit  des  Kardinals  Nikolaus  v.  C. 
mit  dem  Herzog  Sigismund  v.  Österr.  Innsbr.  1861.  Birk,  Nik.  v.  C.  auf  dem  Konz.  zu  B. 
HJb.  XIII.  Übinger,  Kardinal  N.  C.  in  Deutschi.  1451-52.  Ebenda  VIII.  Grube, 
Die  Legationsreise  des  Kard.  N.  C.  1451.  Ebenda.    Köhne,  Die  sogen.  Reform.  Kaiser 


J)  Palacky,  IV,  211. 


508  Die  letzten  Jahre  Sigmunds.     Der  luxemburgische  Erbstreit. 

Sigismunds,  NA.  XXIII,  und  Könne,  Studie  zur  sog.  Reform  Kaiser  Sigismunds.  Z.  f. 
Sozial-  u.  Wirtschaftegesch.  VI.  Werner,  Üb.  d.  Verf.  u.  d.  Geist  d.  sogen.  Reform  d.  K. 
Sigmund.  H.  Viert  elj. -Sehr.  V,  467  's.  auch  DGB11.  IV.  Zöllner,  Zur  Vorgesch.  der  Bauern- 
kriege. 1.  Das  soziale  Element  der  hussitischen  Bewegung.  2.  Die  soziale  Bewegung  im  süd- 
lichen Deutschland."  Progr.  Dresden  1872.  F.  v.  B  e  z  o  1  d ,  Der  rh.  Bauernaufstand  v.  1-431.  Z. 
G.  d.  Oberrh.  XXA'II.  Zur  Luxemb.  Frage  s.  Werveke,  Die  Erwerbung  d.  Lux.  Land.  d. 
Anton  v.  Burgund.  Progr.  1890.  Richter,  Der  Luxemb.  Erbfolgestreit  1438—43.  Diss.  1889. 
Beckmann,  Der  Kampf  Sigmunds  geg.  d.  werdende  Weltmacht  d.  Osmanen.  Gotha  1902. 

1.  Als  Bundesgenosse  Mailands  war  Sigmund  nach  Italien  gezogen, 
als  dessen  Gegner  kehrte  er  zurück,  bemüht,  den  mit  den  Venezianern 
abgeschlossenen  Waffenstillstand  in  ein  Offensivbündnis  gegen  Mailand 
umzuwandeln.  Dieses  kam  in  der  Tat  am  31.  August  1435  in  Tvrnau 
zustande.  Den  Gewinn  davon  hatte  Venedig,  dem  nicht  blofs  seine 
Eroberungen  von  Reichsgut  in  der  Lombardei  und  Friaul  sichergestellt 
wurden,  sondern  das  nun  auch  seine  Stellung  in  Dalmatien  behauptete. 
Für  Florenz  und  den  Papst  wurde  der  Beitritt  zur  Koalition  offen- 
gehalten. Die  Forderung  des  Konzils,  eine  Handelssperre  gegen  die 
Ungläubigen  durchzuführen,  wiesen  die  Venezianer  ebenso  ab  wie  den 
Wunsch  des  Kaisers,  das  Bündnis  auch  gegen  die  Türken  auszudehnen. 
Grofse  Sorgen  verursachte  ihm  das  auf  Kosten  des  deutschen  Reiches 
erfolgte  Anwachsen  der  burgundischen  Macht.  Philipp  von  Burgund 
hatte  Landschaften  an  sich  gerissen,  auf  die  er  keinen  Anspruch  hatte 1), 
und  selbst  für  die  ihm  durch  Erbschaft  zugefallenen  Reichslehen  die 
Huldigung  verweigert.  Dies  führte  zu  einem  Bündnis  zwischen  Sigmund 
und  Karl  VII.  von  Frankreich,  dem  Gegner  Philipps.  Die  Reichsstände 
wurden  gemahnt,  sich  jeder  L^nterstützung  Burgunds  zu  enthalten; 
schliefslich  wurde  der  Reichskrieg  gegen  Burgund  proklamiert.2)  Da 
das  französische  Bündnis  im  Widerspruch  zu  dem  von  Canterbury  stand 
und  der  Kaiser  die  Arbeiten  des  Konzils  nicht  stören  wollte,  beschlofs 
er.  für  dessen  Dauer  Frieden  zu  halten.  In  Wirklichkeit  bewog  ihn  die 
laue  Haltung  der  Reichsstände  zur  Nachgiebigkeit. 

2.  Seit  seiner  Rückkehr  aus  Italien  widmete  er  sich  vornehmlich 
der  Aufrechthaltung  des  Landfriedens  in  Schwaben  und  am  Oberrhein, 
dann  der  Reform  des  Gerichtswesens,  wobei  es  sich  um  strittige  Kom- 
petenzen zwischen  weltlicher  und  geistlicher  Gerichtsbarkeit,  zwischen 
territorialen  und  kaiserlichen  Machtbefugnissen  handelte.3)  Die  Verhand- 
lungen hierüber  führten  zu  keinem  Ergebnis.  Auch  zu  einer  Reform 
des  Finanzwesens  ist  es  nicht  gekommen,  wenn  man  von  dem  Versuch 
absieht,  die  dem  Reiche  abhanden  gekommenen  Lehen  und  Pfandschaften 
in  der  Schweiz  wiederzugewinnen,  sowie  eine  Re Vindikation  aller  Reichs- 
nutzungen und  Einziehung  aller  rückständigen  Gefälle  in  Angriff  zu 
nehmen.  Die  finanzielle  Lage  des  Königtums  war  stets  eine  mifsliche. 
Da  es  kein  Eigengut  hatte,  die  Verpflichtung,  den  Hof  bei  seinem  vorüber- 


x)  RA.  XI,  Xr.  215  und  die  ausführlichen  Erörterungen  dazu  S.  368  ff.  dort  auch 
die  entsprechende  Literatur  . 

s    Ebenda  Xr.  286—296. 

3;  Näheres  in  dem  Bande  für  Verf. -Gesch.  S.  einstweilen  RA.  XI,  XXLX  und 
Lindner  II,  378. 


Versuche  politischer  und  wirtschaftlicher  Reformen.  509 

gehenden  Aufenthalt  zu  erhalten,  nicht  mehr  bestand  und  kein  Ersatz 
in  Form  einer  allgemeinen  Steuer  an  ihre  Stelle  getreten  war,  konnte 
ein  Herrscher,  der  über  kein  bedeutendes  Hausgut  verfügte,  oder  dessen 
Besitz  aufserhalb  des  Reiches  lag,  in  diesem  auf  die  Dauer  nicht  Hof 
halten.1)  Mit  den  besten  unter  den  Zeitgenossen  im  Reiche  teilte  Sig- 
mund die  Überzeugung,  dafs  die  Reichsverfassung  auf  das  dringendste 
einer  Reform  bedürfe.  Am  27.  September  1434  liefs  er  den  Ständen 
16  Artikel  zukommen,  über  die  sie  auf  einer  gemeinsamen  Konferenz 
beraten  und  auf  dem  nächsten  Reichstage  beschliefsen  sollten.  Ein  all- 
gemeiner Friede  sollte  hergestellt,  unbotmäfsige  Vasallen  unterworfen, 
die  Kirchenfrage  geordnet  und  über  die  Beseitigung  offenkundiger 
Übelstände  in  Bezug  auf  den  Landfrieden  und  die  Gerichtsverfassung 
und  wirtschaftliche  Angelegenheiten  verhandelt  werden.  Die  Konferenz 
tagte  wohl  in  Frankfurt  (1434,  6.  Dezember),  aber  die  ganze  Aktion 
scheiterte  an  der  Lauheit  der  Stände.  Die  nächsten  Reichstage  waren 
so  schwach  besucht,  dafs  eine  Beratung  der  kaiserlichen  Vorlage  unmöglich 
war.  Trotzdem  wurde  das  Bedürfnis  nach  politischen  und  wirtschaftlichen 
Reformen  immer  fühlbarer. 

Schon  die  Schrift  des  Nikolaus  von  dies  »die  katholische  Konkordanz*,  die 
1433  dem  Konzil  vorgelegt  wurde,  nimmt  eine  gründliche  Umgestaltung  der  deutschen 
Eeichsverfassung  in  Aussicht.  Verlangt  wird  die  Zerlegung  des  Reiches  in  12  Kreise, 
für  jeden  ein  kaiserlicher  Gerichtshof  mit  drei  vom  Reiche  besoldeten  Richtern,  einem 
Geistlichen,  Adeligen  und  Gemeinen.  Alle  Richter  versammeln  sich  alljährlich  mit 
den  Kurfürsten  und  den  Abgeordneten  der  gröfseren  Städte  in  Frankfurt  zu  einem 
Reichstage,  auf  dem  über  alle  Reichssachen  beraten  wird.  Ein  Reichsheer  soll  ge- 
schaffen und  aus  den  Erträgnissen  der  Zölle  und  den  Beiträgen  der  laufenden  Steuern 
erhalten,  ein  gemeines  deutsches  Recht  hergestellt,  alle  Fehden  verboten  werden  u.  dgl. 
Von  noch  gröfserer  Bedeutung  ist  eine  Flugschrift,  die  als  Reformation  K.  Sigmunds 
bekannt  ist  und  nicht  nur  Heilung  der  politischen,  sondern  auch  der  sozialen  Schäden 
des  Reiches  verlangt. 3)  Als  sozialpolitische  Forderungen  werden  hingestellt :  Aufhebung 
der  Herrschaftsrechte,  des  Landbesitzes  und  der  Grundzinsen  der  Prälaten  und  Klöster, 
Beseitigung  der  Hörigkeit  und  Leibeigenschaft,  der  Bann-  und  Geleitsrechte,  Gleichheit 
des  Einkommens  für  Genossen  desselben  Berufes,  Freizügigkeit  im  ganzen  Reiche. 
Zölle  sollen  erhoben  werden,  um  Brücken,  Wege  und  Strafsen  instand  zu  setzen. 
Was  sonst  als  Zoll  genommen  wird,  ist  »Wuchergut«.  Münzen  tragen  auf  einer  Seite 
das  Wappen  des  Reiches,  auf  der  andern  des  Herrn,  der  sie  schlagen  läfst,  damit  Ur- 
heber der  Münzverschlechterung  um  so  leichter  erkannt  werden.  Ebenso  scharf  tritt  die 
Flugschrift  gegen  die  Verteuerung  der  Waren  durch  den  Zwischenhandel  ein.  Handeln 
mit  gewöhnlichen  Nahrungsmitteln  gilt  als  Sünde.  Da  helfe  nur  Festsetzung  einer 
Taxe  durch  die  Obrigkeit.  Kein  Mann  soll  mehrere  Gewerbe  treiben.  Die  Erwerbung 
des  Bürgerrechtes  soll  erleichtert,  der  Zunftzwang  und  die  Zünfte  selbst  abgeschafft 
werden.  Weltliches  und  Geistliches  ist  bei  Gericht  zu  scheiden  und  die  beiderseitige 
Kompetenz  auseinander  zu  halten.  An  den  Fehden  der  Herren  dürfen  sich  die  Unter- 
tanen nicht  beteiligen.  Vier  Reichsvikare  sollen,  ein  jeder  in  seinem  Gebiet,  ent- 
standene Streitigkeiten  auf  dem  Rechtswege  beilegen.  Diese  Schrift  ist  den  Kur- 
fürsten   in   hohem    Grade    gehässig:    sie   seien  es,  »die  das  Reich  krank  und  schwach 


J)  Quidde  in  d.  RA.  XI,  XLTII. 

2)  Für  das  Folgende  s.  Koehne ,  Studien  z.  sog.  Reformation  Kaiser  Sigmunds 
im  6.  Bd.  d.  Z.  f.  Soz.-  u.  Wirtschaftsgesch.,  369  ff.  Dafs  Reiser  Verf.  der  Reformation  ist, 
wie  Böhm  will,  ist  nach  Bernhards  u.  Köhnes  Ausführungen  nicht  aufrecht  zu  erhalten. 
S.  auch  Gebhard,  Handb.  d.  d.  Gesch.  I,  648.  S.  gegen  Koehne  aber  Werner,  der  in 
dem  Verf.  einen  Laien  sieht. 


510  Der  Tod  Sigmunds.     Ausgang  des  luxemburgischen  Kaiserhauses. 

gemacht«.  Solche  Ansichten  waren  in  Sigmunds  letzten  Jahren  um  so  verbreiteter, 
je  weiter  und  tiefer  die  Zerrüttung  im  Eeiche  um  sich  griff.  Denn  hier  war  zu  den 
alten  Parteigegensätzen  zwischen  Fürsten  und  Rittern,  zwischen  beiden  und  den  Reichs- 
städten, den  ehemals  bischöflichen  Städten  und  den  ihre  Autonomie  bedrohenden 
geistlichen  Fürstentümern,  endlich  zwischen  der  bürgerlichen  Demokratie  und  den 
patrizischen  Geschlechtern  noch  eine  starke  Propagande  der  älteren  Sekten  gekommen, 
vornehmlich  der  Waldesier,  die  sich  fast  in  allen  Teilen  Deutschlands  ausbreiteten, 
dann  der  Hussiten,  deren  soziale  Tendenzen  viel  eifriger  angenommen  wurden  als  ihre 
kirchlichen  Neuerungen. 

Der  Kaiser  liefs  es  bei  seinen  Versuchen,  wenigstens  nach  einigen 
Seiten  hin  Wandel  zu  schaffen,  bewenden.  Die  Vorgänge  beim  Konzil, 
dessen  scharfe  Beschlüsse  gegen  die  Kurie  (s.  unten)  den  Streit  mit  dem 
Papste  aufs  neue  entfacht  hatten,  bewogen  ihn,  einen  Reichstag  nach 
Eger  zu  berufen.  Dort  wurde  nicht  blofs  über  die  Kirchenfrage,  sondern 
auch  über  die  Reichsreform  verhandelt,  die  Beschlufsfassung  aber  auf 
den  nächsten  Reichstag,  der  in  Nürnberg  tagen  sollte,  verschoben.  Der 
Kaiser  kehrte  nach  Prag  zurück.  Seit  dem  Friedensschlufs  von  Iglau 
hatte  er  seine  Haupttätigkeit  den  böhmischen  Verhältnissen  zugewendet, 
ohne  Erfolge  zu  erzielen.  Indem  er  die  Katholiken  begünstigte,  kam 
es  zu  neuen  Unruhen.  Der  Sieger  von  Lipan,  Boresch  von  Miletin,  gab 
der  Unzufriedenheit  der  Utraquisten  auf  dem  Prager  Landtage  (1437, 
30.  September)  lauten  Ausdruck.  Zahlreiche  Adelige  sandten  dem  Kaiser 
ihre  Absagebriefe.  Gegen  seine  Absicht,  seinem  Schwiegersohne  Albrecht  V. 
jetzt  schon  die  Verwaltung  Böhmens  zu  übergeben,  erhob  sich  eine 
Opposition,  der  auch  die  Kaiserin,  um  sich  noch  über  Sigmunds  Tod 
hinaus  einen  Einflufs  auf  die  Regierung  zu  wahren,  nicht  fremd  war. 
Vielleicht  war  dies  auch  der  Grund,  weshalb  sich  der  Kaiser  unvermutet 
von  Prag  entfernte.  Er  gelangte  bis  Znaim,  wohin  ihm  Tochter  und 
Schwiegersohn  entgegengekommen  waren.  Als  er  sein  Ende  herannahen 
fühlte,  empfahl  er  den  anwesenden  ungarischen  und  böhmischen  Grofsen 
die  Wahl  Albrechts  und  starb  am  9.  Dezember  1437.  Mit  ihm  erlosch 
der  Mannsstamm  des  luxemburgischen  Kaiserhauses. 


5.  Kapitel. 

Das  Konzil  yoii  Basel  vom  Tode  Sigmunds  bis  zu  seiner  Auflösung. 

§  118.    Albrecht  II.  (1438—14:30). 

Quellen:  TTrkk.  s.  auch  §  115.  Lichnowsky,  Gesch.  des  Hauses  Habsburg  Y 
Frankfurts  Reichskorrespondenz.  Herausg.  v.  Janssen  I.  S.  422 — 486.  Würdtwein,  Sub- 
sidia  diplom.  VII.  —  Geschichtschreiber:  "Windecke,  wie  oben.  Coronatio  Adalberti 
regis  Eornanorum,  ed.  Wächter.  SS.  rer.  Siles.  XII.  Historia  de  morte  .  .  .  Alberti.  Pez, 
SS.  rer.  Aust.  II,  675  Die  obengenannten  Schriften  des  Enea  Silvio.  Dazu:  De  viris 
illustribus  BLY.  I  (s.  Krones,  BKStG.  VIII;.  De  statu  Europae  in  Freher,  SS.  rer.  Germ  II. 
Von  den  österr.  Annalen  die  Klosterneuburger  u.  Melker  's.  oben\  Thomas  Ebendorfer, 
Chron  Austriae  libri  V,  Pez  II  (Lit.  bei  v.  Krones,  Lorenz  u.  Potth./.  Chronica  regum 
Romanorum,  ed.  Pribram.  MJÖG.  Erg. -Bd.  IH.  Die  tschechischen  Annalisten  in  SS  rer. 
Bohemic.  III,  wie  oben.  Werner  Rolewink,  Faseic.  temporum  bis  1474.  Ausg.  bei 
Potth.    II,    982.     Konrad    v.  Weinsberg,    Einnahmen-   und  Ausgaben-Register  1437 — 38. 


Die  Wahl  Albrechts  IL  511 

BLV.  XVIII.  Nauclerus,  Chron.  universale.  Ausg.  Potth.  II,  806.  Hartmann  Schedel, 
Chronicon  mundi  bis  1492,  ib.  1001.  Kottaner,  Helene,  Denkwürdigkeiten  aus  den 
Jahren  1439—1440,  ed.  Endlicher.    Leipz.  1846. 

Hilfsschriften:  S.  die  allg.  Werke  über  deutsche,  österr.,  böhm.,  ungar.  und 
polnische  Gesch.  Dazu  V.  v.  Kraus,  Deutsche  Gesch.  am  Ausg.  d.  MA.  1.  Bd.  Geb- 
nardt,  wie  oben  II.  Kurz,  Österr.  unter  Albrecht  II.  2  Bde.  Wien  1835.  Chmel, 
Zur  Kritik  d.  österr.  Gesch.  Denkschr.  W.  Ak.  I,  219.  ,  Chmel,  Kleinere  Mitt.  z.  Gesch. 
Albrechts  II.  AÖG.  III.  Altmann,  Die  Wahl  Albrechts  II.  zum  r.  König.  Berl.  1886. 
Voigt,  Enea  Silvio,  wie  oben.  Droysen],  Gesch.  d.  preufs.  Pol.  IL  Puckert, 
Die  kurfürstl.  Neutralität  während  des  Baseler  Konzils.  Leipz.  1858.  Bachmann,  Die 
deutschen  Könige  und  die  kurf.  Neutralität  1438 — 1447.    AÖG.  75. 

1.  Nach  Sigmunds  Tode  war  dessen  einzige,  seit  1422  mit  Herzog 
Albrecht  V.  von  Osterreich  vermählte  Tochter  Elisabeth  rechtmäfsige 
Erbin  von  Böhmen,  wo  nach  dem  Absterben  des  Mannesstammes  die 
weibliche  Erbfolge  galt,  und  von  Ungarn,  das  bis  dahin  gleichfalls  als 
Erbreich  angesehen  wurde.1)  In  Ungarn  wurde  den  früher  gemachten 
Zusagen  der  Stände  gemäfs  ihr  Gemahl  Albrecht,  nachdem  er  sich  vor 
den  Ränken  der  Witwe  Sigmunds  sichergestellt  hatte,  am  18.  Dezember 
1437  als  König  anerkannt  und  am  1.  Januar  1438  in  Stuhlweifsenburg 
gekrönt,  nicht  ohne  zuvor  den  Ständen  das  Versprechen  gegeben  zu 
haben,  die  deutsche  Krone  nur  mit  ihrer  Zustimmung  anzunehmen. 
Schwieriger  gestalteten  sich  die  Dinge  in  Böhmen.  Hier  erkoren  die 
radikalen  Parteien  den  polnischen  Prinzen  Kasimir  zum  König;  von  den 
Katholiken  und  Utraquisten,  denen  er  Bestätigung  der  Kompaktaten  zu- 
sagte, wurde  Albrecht  als  König  anerkannt  und  gekrönt  (29.  Juni). 
Besorgt  über  das  Wachstum  der  habsburgischen  Macht,  gewährte  Polen 
Albrechts  Gegnern  reichliche  Unterstützung,  wogegen  dieser  die  Hilfe 
jener  Reichsfürsten  gewann,  die  wie  Sachsen,  Bayern  und  Brandenburg 
in  der  Machtvergröfserung  Polens  eine  Bedrohung  des  Reiches  erblickten 
und  daher  dem  König  zu  Hilfe  eilten.  Mittlerweile  war  auch  in 
Frankfurt  über  die  Nachfolge  im  Reich  entschieden  worden.  Hier 
besafsen  die  Brandenburger  grofsen  Anhang:  Friedrich  L,  zweifellos  einer 
der  bedeutendsten  Reichsfürsten,  trat  für  sich  oder  einen  seiner  Söhne 
als  Bewerber  auf.  Aber  seine  Macht  war  doch  zu  schwach,  um  der 
grofsen  Schwierigkeiten  im  Innern  des  Reiches  Herr  zu  werden  und 
dieses  gegen  seine  Feinde  im.  Osten  und  Westen  zu  verteidigen.  Daher 
traten  die  Kurfürsten  schliefslich  für  Albrecht  ein,  obwohl  sich  dieser 
im  Hinblick  auf  die  in  Ungarn  herrschende  Strömung  nicht  um  die 
Krone  bewarb.  Ihn  empfahl  die  Machtstellung  seines  Hauses,  von  der 
sich  die  Fürsten  des  Reiches,  so  grofs  sie  war,  unter  den  jetzigen  Ver- 
hältnissen nicht  mehr  bedroht  fühlten ;  für  ihn  sprach  aber  auch  noch 
der  Ruf  eines  trefflichen  Herrschers  und  eines  gewiegten  Heerführers, 
den  er  im  Hussitenkriege  gewonnen  hatte.  Die  Kurfürsten  einigten  sich 
über  ein  Programm,  dessen  Durchführung  sie  dem  zu  wählenden  König 
empfahlen  und  das  eine  Reihe  längst  als  notwendig  erkannter  Reformen 
enthielt;  sie  verpflichteten  sich  zur  Einhaltung  unbedingter  Neutralität 
Papst  und  Konzil  gegenüber  (s.  unten)  und  wählten  sodann  (am  18.  März) 

J)  Huber  III,  4. 


512  Der  Türkenkrieg.     Tod  Albrechts  IL 

Albrecht  zum  König;  nach  einigem  Zögern  und  nachdem  auch  die 
Ungarn  ihre  Opposition  dagegen  aufgegeben  hatten,  nahm  er  die  Wahl 
an  (29.  April).  Bereitwillig  ging  er  auf  die  von  den  Kurfürsten  gestellten 
Wünsche  ein,  soweit  sie  nicht  eine  abermalige  Schmälerung  der  könig- 
lichen Macht  bedeuteten.  In  diesem  Sinne  lehnte  er  die  Forderung  ab, 
dafs  die  Privilegien,  vornehmlich  die  der  Städte,  nur  mit  Zustimmung 
der  Kurfürsten  bestätigt  werden  sollten.  Auf  den  beiden  nächsten  Reichs- 
tagen, die  im  Juli  und  Oktober  in  Nürnberg  abgehalten  wurden,  wurde 
nebst  der  Landfriedensfrage  auch  über  die  notwendigen  Reformen  ver- 
handelt, aber  der  Zwiespalt  der  Stände  vereitelte  derlei  Versuche.  Da- 
gegen erhielt  nun  der  König  die  Mittel,  seine  tschechisch-polnischen 
Gegner  in  Böhmen  und  Schlesien  zurückzudrängen.  Unter  der  Ver- 
mittlung von  Papst  und  Konzil  kam  es  1438  zu  einem  Waffenstillstand, 
der  anfangs  bis  24.  Juni  1439  festgesetzt,  im  Hinblick  auf  den  Türkenkrieg 
aber  noch  weiter  verlängert  wurde. 

2.  Die  Türken  hatten  schon  1438  einen  verheerenden  Einfall  nach 
Siebenbürgen  unternommen  und  belagerten  nunmehr  die  Festung 
Semendria  in  Serbien,  den  wichtigsten  Platz  für  ihre  weiteren  Angriffe 
auf  Ungarn.  Fürst  Georg  und  sein  Sohn  Lazar  hatten  sich  an  Albrecht 
um  Hilfe  gewandt.  Aber  die  ungarischen  Stände,  mehr  auf  die  Sicher- 
stellung ihrer  Sonderrechte  und  die  Fernhaltung  des  deutschen  Elementes 
als  auf  die  Sicherung  ihres  Reiches  bedacht,  stellten  dem  König  nur 
ungenügende  Hilfsmittel  zur  Verfügung  und  lehnten  seine  Vorschläge, 
die  Hilfe  deutscher  Fürsten  anzurufen,  ab.  Unter  diesen  Umständen  fiel 
Semendria  mit  dem  gröfsten  Teil  Serbiens  in  die  Gewalt  der  Türken. 
Das  durch  ansteckende  Krankheiten  stark  mitgenommene  ungarische 
Heer  lief  grofsenteils  auseinander.  Erst  jetzt  waren  die  Grofsen  zu 
Opfern  bereit  und  versprachen  die  Aufstellung  eines  gröfseren  Söldner- 
heeres für  den  nächsten  Frühling.  Inzwischen  ward  der  König  selbst 
von  der  Ruhr  ergriffen  und  starb  auf  der  Reise  nach  Wien,  wo  er  seine 
Gesundheit  wieder  zu  rinden  hoffte,  zu  Xesmely  (zwischen  Gran  und 
Raab)  am  27.  Oktober  1439  im  Alter  von  42  Jahren,  viel  beklagt  von 
»Edlen  und  Unedlen«.1)  Selbst  in  Böhmen,  wo  er  ebenso  wie  in  Ungarn 
wenig  populär  war ,  weil  er  das  Tschechische  ebensowenig  wie  das 
Ungarische  verstand,  fand  seine  Tüchtigkeit  Anerkennung :  Er  war,  sagt 
ein  tschechischer  Chronist,  gut,  kühn  und  mitleidig,  trotzdem  er  ein 
Deutscher  war.2) 

§  119.  Die  Baseler  Iteforinbescklüsse  und  die  Union  mit  den  Griechen. 

Zur  Union  s.  aufser  Binteriin,  Haller,  Hefele,  Pichler  u.  Zhischrnann,  wie  oben. 
Warschauer,  Die  Quellen  z.  Gesch.  des  Flor.  Konzils.  Bresl.  1881.  Dort  weitere 
Literaturvermerke.  Cecconi,  Studi  storici  sul  conc.  di  Firenze  1869.  Kalogeras,  Die 
Verhandlungen  zwischen  der  orthodox-katholischen  Kirche  und  dem  Konzil  von  Basel 
über  die  Wiedervereinigung  der  Kirchen.  K.  internat.  de  theol.  I,  39.  Hefele,  Die 
temporäre  Wiedervereinigung    der  griechischen    u.    lat.  Kirche.    ThQSchr.  XXIX,  XXX. 


1    Windecke,  S.  455. 
a    FF.  rer.  Boh.  V,  623. 


Eugen  IV.  und  der  Kirchenstaat.     Die  Unionsfrage.     Konzilsbeschlüsse.       513 

Draesecke,  Zum  Kircheneinigungsversuch  1439.  ßyz.  Z.V.  Frornmann,  Krit.  Beitr. 
zur  Gesch.  d.  Flor.  Kircheneinigung.  Halle  1872.  Karge,  Die  Reise  der  russischen 
Konzilsgesandten  durch  die  Ordenslande.  Altpr.  Monatsschrift  XXXII.  (Hinneigung  des 
russ.  Metropoliten  zum  lat.  Ritus.)  Sonst  reiche  Lit.-Angaben  in  Krumbacher,  Gesch. 
der  byz.  Lit.    2  A.    1091  f. 

1.    Um    sich   seiner   zahlreichen   Gegner   im   Kirchenstaate    zu   ent- 
ledigen, schlofs  Eugen  IV.  mit  Sforza  (1434,  März)  einen  Vertrag;  indem 
er  ihm  das  Vikariat  der  Mark  Ankona  übertrug,  wurde  er  der  Begründer 
der  Macht  "dieses  Hauses.    Der  Krieg  dauerte  übrigens  fort ;  die  schweren 
Leiden  trieben  die  Römer  zur  Empörung,    und    als   der  Papst   den   von 
ihnen  geforderten  Verzicht  auf  die  weltliche  Herrschaft  zurückwies,   zur 
Aufrichtung   der   Republik   (1434,    29.  Mai).     Mit   Mühe   gelang  es   dem 
Papste,  nach  Florenz  zu  entkommen ;  wo  er  nun  seine  Residenz  aufschlug. 
Das    republikanische    Regiment    in    Rom    stürzte    übrigens    schon    nach 
kurzem    Bestände    zusammen;    seine    letzten    Spuren    wurden    von    dem 
Legaten   Vitelleschi    mit    kraftvoller   Hand    beseitigt.      Diese   Erfolge 
kräftigten   die  Stellung   des  Papstes   dem   Konzil   gegenüber.     Noch   am 
24.  April  1434   hatten   seine   Legaten    die   Aufrechthaltung   der  Konzils- 
beschlüsse,   darunter    auch    den    von    der    Superiorität    der    Konzilien, 
beschworen.     Nun   wurde   auch   die   griechische  Unionsangelegenheit  in 
Angriff  genommen.     Griechische  Gesandte   gingen  nach  Basel   (August), 
Gesandte  des  Konzils  nach  Konstantinopel.    Beiderseits  wurde  vereinbart, 
dafs  das  Unionskonzil  an  einem  Orte   stattfinden  solle,    der   dem  Papste 
ebenso  bequem  sei  wie  den  Griechen.    In  Basel  wurden  in  den  nächsten 
Sitzungen  neue  Reformdekrete  erlassen,  die  eine  starke  Schmälerung  der 
päpstlichen    Vorrechte     bezweckten.       Mit     der    Wiederherstellung    der 
ordnungsmäfsigen  Amterverleihung  wurden  Annaten,   Palliengelder   und 
Taxen  bei  Verleihung   oder  Bestätigung   geistlicher  Würden    abgeschafft 
und    jede    künftige    Verleihung    gegen    diese    Anordnung    als    Simonie 
bezeichnet,  die  vor  das  Forum  des  Konzils  gebracht  werden  müsse.    Die 
Legaten   erklärten    sich   bereit,    auf    diese   ergiebige   Einnahmsquelle    zu 
verzichten,  wofern  das  Konzil  für  die  Bedürfnisse  des  hl.  Stuhles  Ersatz 
schaffe.     Ein    solcher   wurde    wohl   verheifsen,    aber   niemals    festgesetzt. 
Jeder   neugewählte  Papst   sollte    auf   die  Beschlüsse   von   Konstanz   und 
Basel   vereidigt   werden.     Die   Anzahl   der   Kardinäle   wird    auf   24   fest- 
gesetzt, dabei  dürfe  keine  Nation  mehr  als  ein  Drittel  der  Stellen  besitzen 
(23.  Sitzung).    Falls  sich  der  Papst  nicht  an  den  Rat  der  Kardinäle  hält, 
erfolgt  die  Anzeige  bei    dem  nächsten  Konzil.     Die   kirchlichen  Wahlen 
müssen   unbedingt   frei   sein.     Damit    entfallen   die   Anwartschaften,   An- 
weisungen und  Zurückbehaltungen  von  Benefizien.    Derselben  Richtung 
gehört  das  Verbot  der  Ämterhäufung  und  das  Gebot  der  Residenzpflicht 
der  Geistlichen  an.    Zahlreiche  Rechtsfälle  werden  dem  päpstlichen  Forum 
entzogen  und  dem  ordentlichen  einheimischen  Gericht  zugewiesen.    Das 
Konstanzer   Edikt     über    Exkommunikationen    wird    wieder    hergestellt 
und  ein  neues  erlassen,    das  die  Verhängung   des  Interdiktes  wesentlich 
einschränkt    (20.    Sitzung.1)      Diese    Beschlüsse    ordnungsmäfsig    durch- 

*)  Zu  dem  Obigen  Puckert,  S.  43  u.  45. 
Löserth,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  33 


514  Bruch  zwischen  Papst  und  Konzil.     Basel  und  Ferrara. 

geführt,  hätten  zweifellos  das  kirchliche  Leben  besser  gestaltet.  Indem 
sich  aber  die  meisten  Reformen  mit  einseitiger  und  unnützer  Schärfe 
gegen  die  Kurie  wandten  und  ihr  die  wichtigsten  Einnahmsquellen  in 
einem  Augenblick  entzogen  wurden,  da  sie  ihrer  am  meisten  bedurfte, 
erhob  sie  einen  lebhaften  Widerspruch.  Schliefslich  bot  die  Unionsfrage 
Anlafs  zu  völligem  Bruch  zwischen  Papst  und  Konzil.  Während  nämlich 
die  päpstliche  Partei  als  Ort  des  Unionskonzils  eine  italienische  Stadt 
wünschte,  sprach  sich  die  Majorität  unter  Führung  des  leidenschaftlichen 
Kardinals  und  Erzbischofs  Louis  d'Allemand  dagegen  aus  und  setzte  den 
Beschlufs  durch,  das  Unionskonzil  in  Avignon  abzuhalten.  Die  Minorität, 
die  sich  das  Siegel  des  Konzils  zu  verschaffen  wufste,  erliefs  (25.  Sitzung) 
ein  Dekret,  wonach  das  Konzil  in  Florenz  tagen  sollte.  Bei  dem  Wider- 
stand der  Mehrheit  war  ein  neues  Schisma  bevorstehend  und  die  Kirchen- 
reform aufs  neue  in  Frage  gestellt.  Cesarini  legte  das  Präsidium  nieder. 
Nunmehr  wurden  (26.  Sitzung)  Papst  und  Kardinäle  vorgeladen,  sich 
binnen  60  Tagen  zur  Verantwortung  zu  stellen.  Eugen  antwortete  mit 
dem  Befehl,  nach  31  Tagen  die  konziliare  Tätigkeit  einzustellen  und  sich 
innerhalb  dieser  Zeit  mit  der  böhmischen  Frage  zu  beschäftigen.  Nach 
Ablauf  der  60  Tage  wurde  das  Verfahren  gegen  den  Papst  begonnen. 
Kaiser  Sigmund  und  andere  Fürsten  äufserten  sich  laut  dagegen.  Weil 
das  Konzil  wegen  der  zwischen  Florenz  und  Mailand  bestehenden  Feind- 
schaft in  Florenz  nicht  abgehalten  werden  konnte,  verlegte  es  der  Papst 
nach  Ferrara.  Die  Baseler  erklärten  hingegen  die  Verlegung  für  null 
und  nichtig.  Bei  Strafe  der  Exkommunikation  und  des  Benefizien- 
verlustes  wurde  jedem  Kleriker  verboten,  von  Basel  hinweg  und  nach 
Ferrara  zu  gehen.  Trotzdem  verliefs  Cesarini  nach  einem  mifsgiückten 
Versuche,  einen  Ausgleich  anzubahnen,  die  Stadt. 

2.  Das  Konzil  zu  Ferrara  wurde  am  8.  Januar  1438  von  Cesarini 
eröffnet.  Schon  jetzt  gab  Nikolaus  von  Cues  die  Sache  der  Baseler  preis. 
Diese  sprachen  ihrerseits  die  Suspension  des  Papstes  aus  (24.  Januar) 
und  zogen  die  Verwaltung  der  weltlichen  und  geistlichen  Angelegenheiten 
des  Papsttums  an  sich.  Die  Beschlüsse  des  Konzils  erhielten  nun  von 
Sitzung  zu  Sitzung  eine  immer  schärfere  Spitze  gegen  den  Papst.  Die 
Synode  von  Ferrara  wurde  verdammt  und  ihre  Beschlüsse  für  ungültig 
erklärt  (24.  März),  dann  die  Superiorität  des  Konzils  über  den  Papst 
und  dafs  es  ohne  eigene  Zustimmung  weder  verlegt  noch  aufgehoben 
werden  könne,  als  Glaubenswahrheit  erklärt,  endlich  (1439,  2b.  Juni) 
Eugen  IV.  als  Schismatiker  und  Ketzer  in  förmlicher  Weise  abgesetzt. 
Je  schärfer  die  Beschlüsse  lauteten,  desto  mehr  Prälaten  zogen  sich  von 
Basel  zurück,  wurden  aber  gleichwohl  durch  ihre  Stellvertreter,  meist  Geist- 
liche niederen  Ranges,  ersetzt.  Wohl  hielten  die  Staaten  des  Abendlandes 
zu  Basel,  es  konnte  aber  doch  nicht  verhindert  werden,  dafs  das  Papsttum 
eben  damals  einen  höchst  bedeutenden,  wenngleich  kurzlebigen  Erfolg 
erzielte:  die  Union  der  morgen-  und  abendländischen  Kirche. 
Die  Griechen,  an  ihrer  Spitze  der  Kaiser  Manuel  Paläologos  und  der 
Patriarch  von  Konstantinopel,  waren  in  Ferrara  erschienen.  Dort  fanden 
(bis   8.  Dezember)    15   Konzilssitzungen   statt.     Dann   wurde    das   Konzil 


D.  kirchliche  Union.    D.  Florentiner  Konzil.    D.  pragmatische  Sanktion.       515 

nachP^lorenz  verlegt  (1439,  Januar),  wo  noch  acht  Sitzungen  abgehalten 
wurden.  Nach  mühevollen  Verhandlungen  und  stetigem  Zurückweisen 
der  Griechen  wurde  der  Primat  des  Papstes  anerkannt,  doch  »ohne 
Beeinträchtigung  der  Rechte  und  Privilegien  der  orientalischen  Patriarchen«, 
und  am  5.  Juli  das  Unionsdekret  unterfertigt.  Den  Teilnehmern 
an  den  Verhandlungen  wurde  es  unmittelbar  klar,  dafs  das  griechische 
Volk  von  der  Union  nichts  wissen  wolle.  Gleich  nach  ihrer  Abreise 
von  Florenz  sangen  die  Griechen  beim  Hochamt  in  Venedig  ihr  Sym- 
bol um  ohne  das  Filioqiie  und  unterliefsen  das  Gedächtnis  des  Papstes. 
In  ihrer  Heimat  erregte  die  Kunde  von  der  Union  einen  Sturm  der 
Entrüstung,  und  schon  vier  Jahre  später  verdammten  die  Patriarchen 
von  Alexandrien,  Antiochien  und  Jerusalem  und  der  Metropolit  von 
Cäsarea  die  »Räubersynode«  von  Florenz.  In  Italien  stand  Eugen  IV. 
als  Sieger  da.  Zwar  wurde  Vitelleschi  1440  gestürzt,  aber  sein  strenges 
Regiment  blieb  im  Kirchenstaate  aufrecht. 

3.  Auf  die  grofsen  Staaten  des  Abendlandes  machten  diese  Erfolge 
Eugens  IV.  nur  geringen  Eindruck.  Vor  allem  gingen  Deutschland  und 
Frankreich  im  Streit  zwischen  Papst  und  Konzil  ihre  eigenen  Wege. 
Ohne  das  Vorgehen  der  Baseler  gegen  den  Papst  zu  billigen,  suchten  sie 
sich  in  den  Besitz  jener  Vorteile  zu  setzen,  die  ihnen  die  Annahme  der 
Baseler  Reformdekrete  bot.  Wie  1408  wurde  auch  jetzt  die  Neutralität 
das  Schlagwort,  dem  sie  folgten.  Die  Kurfürsten  sprachen  sich  schon 
am  Tage  vor  der  Königswahl  Albrechts  II.  dafür  aus.  Einer  der  scharf- 
sinnigsten Juristen,  Gregor  Heimburg,  brachte  auf  dem  Frankfurter 
Fürstentage  die  Neutralitätsurkunde  zur  Verlesung.  Danach  verpflichteten 
sich  die  Kurfürsten,  von  keinem  der  streitenden  Teile  Befehle  und 
Beschlüsse  anzunehmen,  bis  sie  sich  mit  dem  neuen  Reichsoberhaupt 
verständigt  hätten,  mit  wem  sie  es  halten  wollten.1)  Weiter  gingen  die 
Franzosen.  Die  Baseler  hatten  ihnen  die  Reformdekrete  mit  der  Bitte 
gesandt,  sie  in  Frankreich  durchzuführen.  Karl  VII.  berief  eine  Ver- 
sammlung geistlicher  und  weltlicher  Würdenträger  nach  Bourges,  die 
dort  vorn  1.  Mai  bis  7.  Juni  1438  tagte.  Hier  wurde  jenes  Reichsgesetz 
geschaffen,  das  als  »die  pragmatische  Sanktion«  bekannt  ist. 
Neben  kirchlichen  sind  auch  politische  Motive  für  sie  mafsgebend 
gewesen:  es  sollten  hinfort  keine  Prälaturen  und  andere  Pfründen  an 
Fremde  gegeben  werden.  Von  ihren  23  Kapiteln  regeln  die  einen 
Frankreichs  Beziehungen  zum  hl.  Stuhle,  indem  sie  die  Bedingungen 
festsetzen,  unter  denen  Appellationen  nach  Rom  erlaubt  seien  und  päpst- 
liche Einkünfte  in  Frankreich  erhoben  werden  könnten ,  die  andern 
sichern  die  Freiheit  der  Kirchenwahlen  vor  auswärtigen  Einflüssen.     Um 


*)  Die  wichtigste  Stelle  (des  aus  einer  vatikanischen  Handschrift  von  Binterim 
VII,  166  mitgeteilten  Textes)  lautet:  Edicimus  et  protestamur,  .  .  .  quod  in  praemissa 
discordia  .  .  .  null  am  partem  ad  versus  alter  am...  fovereproponimus, 
quin  immo,  si  qua  mandata  .  .  .  tarn  a  papa  quam  a  concilio  ad  nos  emanare  con- 
tingent,  .  .  .  nos  animos  nostros  suspensos  retinebimus.  ne  ulli  parti  adversus  alt  er  am 
favere  videamur.  Zu  übersetzen  ist  doch  nur :  Wir  werden  mit  unserer  Gesinnung 
zurückhalten.     S.  Joachimson,  S.  53. 

33* 


516  Die  Neutralität     Annahme  der  Eeformdekrete  in  Deutschland. 

ihr  ein  gröfseres  Ansehen  zu  geben,  wurde  sie  mit  einer  vermeintlichen 
ähnlichen  Verordnung  Ludwigs  IX.  (s.  oben)  in  Zusammenhang  gebracht. 
Im  übrigen  verlangte  Karl  VII.,  dafs  das  Konzil  nicht  weiter  gegen  den 
Papst  einschreite.  Das  Vorgehen  der  Franzosen  wirkte  auf  die  Deutschen 
ein.1)  Albrecht  II.  trat  der  Neutralität  bei,  und  diese  wurde  auf  den 
nächsten  Reichstagen  verlängert.  Vielleicht  war  es  auch  das  Drängen 
Frankreichs,  das  die  Reichsstände  auf  dem  Mainzer  Reichstag  bewog, 
die  Baseler  Dekrete  mit  gewissen  Einschränkungen  und  unter  Ablehnung 
der  gegen  Eugen  IV.  getroffenen  Verfügungen  anzunehmen  (1439,  26.  März). 
Allerdings  war  zwischen  dem  Vorgehen  Frankreichs  und  jenem  des 
deutschen  Reiches  ein  grofser  Unterschied:  Während  dort  die  Beschlüsse 
sofort  auch  ausgeführt  werden  sollten,  handelte  es  sich  hier  blofs  um 
die  Erklärung,  sie  anzunehmen.  Für  den  Wegfall  der  Annaten  wurde 
dem  Papste  eine  Entschädigung  zugesprochen  und  zwar  sollte  ihm  von 
Erzbischöfen,  Bischöfen  und  Abten  exempter  Klöster  der  vierte  Teil  der 
bisherigen  Taxe  in  Form  einer  Liebesgabe,  von  den  Inhabern  der  geist- 
lichen Stellen,  deren  .Jahreserträgnis  4  Mark  überschreitet,  der  zehnte 
Teil  des  Jahreseinkommens  zugewendet  werden.  Albrecht  IL  war  der 
Mainzer  »Akzeptatiou«  beigetreten.  Der  nächste  Kurfürstentag  (August) 
sprach  sich  abermals  für  die  Neutralität  aus,  und  auf  dem  Reichstage  von 
Frankfurt  (1.  November)  wurde  die  »Einigung«  unter  den  Kurfürsten 
erneuert  und  die  Neutralität  insofern  weiter  ausgebildet,  als  sie  auf  alle 
kirchlichen  Streitsachen  ausgedehnt  und  an  die  Stelle  der  Autorität  des 
Papstes  und  Konzils  die  der  Metropoliten  trat,  an  welche  die  Streitsachen 
gelangten.  Die  Neutralität  hatte  noch  mehr  als  sieben  Jahre  Bestand. 
Sie  erfüllte  im  übrigen  die  auf  sie  gesetzten  Erwartungen  nicht  und 
wurde  unter  Umständen  selbst  von  den  Kurfürsten  nicht  beachtet. 

§  120.    Die  IVakl  Friedrichs  III.    Seine  Beziehungen  zu  Böhmen 

und  Ungarn. 

Quellen  (s.  auch  §  147\  Urkk.  u.  Briefe:  Chinel,  Kegesten  K.  Friedrichs  III. 
Wien  1840.  Chinel,  Materialien  zur  öst.  Gesch.  2  Bde.  Wien  1837—38.  Chrnel,  in  den  Beilagen 
zur  Gesch.  Friedrichs  III.  s.  unten).  Chinel,  Österr.  Geschichtsf.  2  Bde.  Bachmann, 
I'rkk.  u.  Aktenstücke  zur  öst.  Gesch.  im  Zeitalter  Friedrichs  III.  und  K.  Georgs  von 
Böhmen  1440—1471.  FF.  rer.  Aust.  XLII.  S.  auch  FF.  XL  VI  u.  LIT.  Janssen,  Frank- 
furts Reichskorrespondenz.  2.  Bd.  Aus  der  Zeit  Kaiser  Friedrichs  III.  bis  zum  Tode 
Maximilians  1. 1440 — 1519.  Freib.  1872.  Von  älteren  Sammlungen  :  J.  J.  Müller,  .  .  .  Reichs- 
tagstheatrum  .  .  .  unter  K.  Friedrich  V.  von  1440—1493.  Jena  1713.  Dazu  Grofsmann, 
Forschungen  XI.)  Briefe  u.  histor.  Aufzeichnungen  in  Birk,  Beiträge  zur  Gesch.  der 
K.  Elisabeth  von  Ungarn  und  ihres  Sohnes  Ladislaus  1440 — 1417  in  Q.  u.  Forsch,  zur 
vat.  Gesch.  Wien  1849.  Epistolae  aliquot  et  eiusdem  Friderici)  formula  praecationis 
ad  Deum  pro  imperii  incolumitate  1440.  Freher  SS.  rer.  Germ.  Die  Briefe  des  Enea 
Silvio  wie  oben.  Friedrichs  ffl.  Reformation  in  Müller,  Reichstagsth.  p.  57.  Altmann, 
Ausgew.  L'rkk.  zur  Erläuterung  d.  d.  Yerfassungsgesch.  Berl.  1891.  Lechner,  Ein  Re- 
gister Friedrichs  in,  MJÜG.  XX. 

Geschichtschreiber:  Enea  Silvio,  De  vita  et  rebus  gestis  Friderici  ITI, 
siv.  hist.  Austriaca   bis    1452   bzw.  1458   mit   der   Forts,    des   Joh.  Hinderbach.      Ausg. 


1    Joachimson,  55. 
s    Ebenda,  65. 


Die  Wahl  Friedrichs  III.  517 

bei  Potth.  I,  20.  Übers,  v.  Ilgen,  Gesch.  d.  d.  V.  85,  87  (s.  Lorenz  II,  310,  Bayer,  Die 
Hist.  Frid.  Prag  1872  und  Krones,  B.  K.  Steierrn.  GQ.  VIII).  —  Historia  Bohemica,  wie 
oben.  Commentarii  rer.  memorab.  quae  temporibus  suis  contigerunt  1405  — 1463.  Libri  XII. 
Ausg.  bei  Potth.  I,  19  De  vüis  illustribus,  BLVStuttg.  1842.  In  Europam,  Freher  II,  37. 
Pentalogus  de  rebus  ecclesiae  et  imperii,  ed.  Pez,  Thes.  anecd.  IV.  Im  Ausz.  bei  Chmel, 
Gesch.  Friedrichs  IL,  768  ff.  Excerpta  ex  diario  Frid.  III  bei  Chmel,  Gesch.  Friedr.  III. 
I,  576  ff.  Thomas  Ebendorfer,  wie  oben.  J.  Grünbeck,  Hist.  Frid.  III.  et  Maximiliani  I. 
ed.  Chmel,  Österr.  Geschichtet  I,  1838.  Übers.  Ilgen,  G.  d.  d.  V.  90.  Chronica 
der  edlen  Grafen  von  Cilli  1359 — 1458,  ed.  v.  Krones  in  »die  Freien  von  Saneck  und 
ihre  Chronik  als  Grafen  v.  Cilli«.  Graz  1883,  s.  Lorenz  I,  283.  Jacobi  Unresti,  Chron. 
Austr.  1464—1500,  ed.  Hahn,  Coli.  mon.  I,  537—803,  s.  Krones,  AÖG.  XLVHI.  Veit 
Arnpeck,  Chron.  Austr.  bis  1488.  Pez,  SS.  rer.  Austr.  I,  1165.  Anonym.  Mellic.  chron. 
Austriac.  1438 — 1464.  Pez,  SS.  II,  461.  Helene  Kottanerin  und  Rolewinck,  wie  oben. 
Hartmann  Schedel,  Liber  chronicorum  bis  1492.  Nürnb.  1493  bei  Koburger.  Joh.  Nau- 
clerus,  Memorabilium  omnis  aetatis  .  .  .  Commentarii  bis  1500.  Ausg.  Potth.  H,  806. 
Joh.  Trithemius,  Ann.  Hirsaugiensium,  tomi  2.  Ausg.  u.  Lit.  bei  Potth.  II,  1071.  Doch 
fehlt  dort  Wolff,  Joh.  Trithemius  u.  die  älteste  Gesch.  d.  Klosters  Hirschau.  Würt.  Jb. 
f.  Statist,  u.  Landesk.  1863  u.  Silbernagl,  Joh.  Trith.  2.  A.  1885.  Schamdochner,  Brev. 
chron.  rer.  quarundam  sub  Frid.  III.  gestarum  1440 — 1470.  Oefele,  Rer.  Boic.  SS.  1,316  ff. 
Wilwolt  von  Schaumburg,  Memoiren  1468 — 1505.  BLArStuttg.  1859.  Einzelnes  in  den  Chro- 
niken d.  d.  Städte.  Über  die  Quellen  zur  Gesch.  der  Schlacht  bei  Varna  s.  Zeifsberg 
in  Z.  f.  d.  Ost.  Gymn.  1871  (dazu  JBG.  VIII,  II,  290)  u.  Köhler,  Die  Schlachten  v.  Nicop. 
u.  Varna.  Breslau  1882. 

Hilfsschriften:  Chmel,  Gesch.  Friedrichs  u.  seines  Sohnes  Maximilian  I. 
2  Bde.  1840  —  1843.  A.  Bach  mann,  Deutsche  Reichsgesch.  im  Zeitalter  Friedrichs  IH. 
und  Maximilians  I.  2.  Bde.  1 884—  1 893.  Kurz,  Österr.  unter  K .  Friedrich  IV.  Wien  1812. 
Droysen,  Gesch.  d.  preufs.  Politik  IL  Krones  H  u.  Huber  H,  Palacky  IV,  1, 
Fefsler-Klein  HI,  Caro  V,  wie  oben.  Voigt,  Enea  Silvio,  Puckert  u.  Bach- 
mann, Über  die  kurf.  Neutralität,  wie  oben.  Keussen,  Die  polit.  Stellung  der* 
Reichsstädte  mit  bes.  Berücksichtigung  ihrer  Reichsstandschaft  unter  Friedrich  IH. 
Bonn  1885.  Brandsch,  Kaiser  Friedrichs  III.  Beziehungen  zu  Ungarn  1440—53. 
Hermannst.  1883.  H  u  b  e  r ,  Die  Kriege  zw.  Ungarn  u.  den  Türken.  1440—43.  AÖG.  LXVIIL 
Hoffmann,  K.  Friedrichs  III.  Beziehungen  zu  Ungarn  1458  — 1464.  Progr.  Glogau  1901. 
Richter,  K.  Friedrich  III.  Berl.  1901.  Voigt,  K.  Georg  der  Hussitenkönig.  HZ.  V. 
Schwartz,  Zur  Gesch.  des  Friedensschlusses  von  Szegedin.  Ung.  R.  1894.  Einzelnes 
siehe  in  den  folgenden  Paragraphen. 

1.  Da  sich  seit  der  Wahl  Albrechts  II.  die  politischen  Verhältnisse 
in  Deutschland  nicht  geändert  hatten,  war  auch  diesmal  die  Wahl  eines 
Habsburgers  zu  gewärtigen.  Haupt  des  Hauses  war  Friedrich  V.,  Sohn 
des  Herzogs  oder,  wie  er  sich  seit  1414  nannte,  Erzherzogs  Ernst  des 
Eisernen  und  Enkel  des  bei  Sempach  gefallenen  Leopold  III.  Seine 
Hausniacht  umfafste  Innerösterreich,  d.  h.  Steiermerk,  Kärnten, 
Krain  und  Görz;  dazu  hatte  er  die  Vormundschaft  über  Sigmund  von 
Tirol  und  Vorderösterreich  und  für  den  Fall  der  Geburt  eines  männlichen 
Sprossen  nach  Albrecht  II.  auch  über  diesen.  Der  Wahltag  war  auf  den 
28.  Januar  1440  festgesetzt.  Da  der  böhmische  Thron  erledigt  war, 
führte  als  Vertreter  Böhmens  Burggraf  Heinrich  von  Meifsen  die 
böhmische  Stimme.  Brandenburg  und  Meifsen  traten  für  den  an- 
gesehenen Landgrafen  Ludwig  von  Hessen  ein,  der  indes  nicht  gewillt 
war,  seinen  Hausbesitz  an  die  Erwerbung  und  Erhaltung  der  deutschen 
Krone    zu    wenden1).      Trotzdem    schon    jetzt    das    schwächliche,    allzu 

x)  Maluitque  parvo  imperio  a  parentibus  sibi  relicto  utiliter  praeesse  quam  magnum 
accipiens  dissipare. 


518  Charakteristik  Friedrichs  III.     Ladislaus  Posthumus  und 

bedächtige  Wesen  Friedrichs  mehrfach  getadelt  wurde,  ward  er  am 
2.  Februar  1440  zum  König  gewählt.  Als  solcher  nannte  er  sich  selbst 
Friedrich  III.1)  Seine  Wahl  wurde  von  den  Reichsstädten  freudig  be- 
grüfst,  weniger  wegen  seiner  Friedens-  und  Gerechtigkeitsliebe,  von  der 
man  aufserhalb  der  Grenzen  Innerösterreichs  wenig  wufste,  als  weil  er 
überhaupt  ein  Habsburger  war,  wie  der  seines  frühen  Todes  wegen  betrauerte 
Albrecht  IL2)  Und  doch  war  er  ganz  anders  geartet  als  dieser  und 
zur  Beherrschung  der  Verhältnisse  im  deutschen  Reiche  und  selbst  in 
seinem  Hause  wenig  geeignet.  Ein  Mann  von  einfachen  Lebensgewohn- 
heiten, dürftig  im  Auftreten,  geizig,  ohne  gelehrte  oder  künstlerische 
Neigungen,  besafs  er  im  Gegensatz  zu  seinem  tapferen  Vater  und  zu  seinem 
ehrgeizigen  Bruder  Albrecht  eine  phlegmatische  Natur,  die  selbst  durch 
schwere  Kränkungen  nicht  aus  dem  Gleichgewicht  gebracht  werden 
konnte.  Fragen  der  Politik  liefsen  ihn  kühl ;  lieber  beschäftigte  er  sich 
mit  der  Hauswirtschaft,  mit  Garten-  und  Obstzucht  und  mit  dem  Sammeln 
und  Ordnen  von  Kleinodien.  Von  seines  Hauses  steigender  Gröfse  über- 
zeugt, hätte  er  von  seiuen  Rechten  nicht  das  Mindeste  preisgegeben. 
War  er  doch  noch  in  späten  Jahren  schwer  zu  bewegen,  den  eigenen 
Sohn  zum  Nachfolger  wählen  zu  lassen,  und  räumte  ihm  auch  später 
keinen  Anteil  an  der  Reichsregierung  ein.  Jetzt  entsprach  es  seinem 
phlegmatischen  Wesen  mehr  als  politischen  Erwägungen,  dafs  er  erst 
nach  mehrwöchentlichem  Zögern  sich  zur  Annahme  der  Krone  bereit 
erklärte.     Den  Beitritt  zur  kurfürstlichen  Neutralität  lehnte  er  ab. 

2.  Auch  in  die  böhmischen  und  ungarischen  Wirren  griff  er  nicht 
mit  jener  Entschiedenheit  ein,  die  Habsburgs  Weltmachtstellung  dauernd 
gesichert  hätte.  Indem  Albrecht  IL  seine  Gemahlin  Elisabeth  und 
Friedrich  III.  als  Senior  des  Hauses  Habsburg  zu  Vormündern  für  den 
Fall  ernannte,  wenn  ihm  ein  Sohn  geboren  würde ,  und  ihnen  einen 
Ständerat  von  neun  Mitgliedern  zur  Seite  stellte,  schien  für  alle  drei  Länder- 
gruppen eine  einheitliche  Regierung  geschaffen  zu  sein.  Doch  nur  die 
österreichischen  Stände  erkannten  Friedrich  als  Vormund  an ,  Böhmen 
und  Ungarn  wünschten  eine  enge  Verbindung  mit  Polen ,  jenes  aus 
nationalen  Gesichtspunkten,  dieses,  um  dem  Ansturm  der  Türken  um  so 
leichter  zu  begegnen.  Daher  fand  in  Ungarn  die  Kandidatur  des  Polen- 
königs Wladislaw  Anklang,  der  sich  mit  der  Königin-Witwe  vermählen 
sollte.  Ihr  und  Albrechts  Kind,  falls  es  ein  Sohn  wäre,  sollte  Böhmen 
und  Osterreich,  ein  Sohn  zweiter  Ehe  Ungarn  erhalten.  Nach  langem 
Sträuben  und  nicht  bedingungslos  ging  Elisabeth  darauf  ein ,  nahm 
aber  nach  der  Geburt  ihres  Sohnes  Ladislaus  Posthumus  (1440, 
22.  Februar)  ihre  Zustimmung  zurück,  fest  entschlossen,  ihm  den  Besitz 
aller  drei  Ländergruppen  zu  wahren.  Da  sich  Friedrich  in  der  Ver- 
teidigung der  Rechte  seines  Mündels  lässig  zeigte,  übertrug  sie  die  Vor- 
mundschaft an  Herzog  Albrecht  und  liefs  Ladislaus  zu  Pfingsten  (15.  Mai) 


*)  Friedrich  IV.    wird  er  von  einzelnen    österr.  Historikern    wie  Chrnel    genannt, 
die  Friedrich  den  Schönen  als  den  Dritten  zählen. 
J)  Keussen,  10. 


die  Wirren  in  Österreich,  Böhmen  und  Ungarn.     Georg  v.  Podiebrad.         519 

in  Stuhlweifsenburg  krönen.  Diesem  Beispiel  folgte  (17.  Juli)  Wladislaw, 
der  mittlerweile  Ungarns  Krone  angenommen  hatte  und  mit  einem  Heere 
in  Ungarn  eingerückt  war.  Elisabeth  setzte  notgedrungen  Friedrich  wieder 
in  seine  vormundschaftlichen  Rechte  ein  und  vertraute  ihm  ihren  Sohn 
und  die  Krone  des  Reiches  an.  Es  kam  zu  einem  längeren  Bürgerkrieg, 
bis  es  dem  Kardinal  Cesarini  gelang,  Friedensverhandlungen  einzuleiten. 
Noch  waren  sie  nicht  abgeschlossen,  als  Elisabeth  starb  (1442,  19.  Dezember). 
Ein  Teil  ihrer  Anhänger  trat  zu  Wladislaw  über,  die  Mächtigeren  hielten 
an  Ladislaus  fest  und  traten  mit  König  Friedrich  in  Verbindung.  Schliefslich 
brachte  Cesarini  auf  Grund  des  Status  quo  einen  Waffenstillstand  zustande. 
Für  das  Haus  Habsburg  war  damit  der  gröfsere  Teil  Ungarns  verloren. 

3.  In  Böhmen  liefs  die  radikale  Partei  den  Prinzen  Kasimir  in 
dem  Augenblick  fallen,  als  mit  Albrechts  II.  Tode  die  hauptsächlichsten 
Schwierigkeiten  seiner  Erhebung  beseitigt  waren.  Das  Erbrecht  Ladislaus' 
fand  nur  in  Schlesien ,  der  Lausitz  und  einem  Teil  von  Mähren  An- 
erkennung. Der  böhmische  Wahllandtag  setzte  sich  über  Habsburgs 
Rechte  hinweg.  Die  radikale  Partei  und  der  kalixtinische  Adel  wünschten 
die  Erhebung  eines  Königs,  der  imstande  wäre,  der  Anarchie  ein  Ende 
zu  machen,  die  Kompaktaten  zur  Durchführung  zu  bringen  und  die  An- 
erkennung Rokytzanas  als  Erzbischof  durchzusetzen.  Nachdem  mehrere 
Kandidaturen  aufgestellt  und  wieder  beseitigt  waren,  wählten  die  Stände 
Herzog  Albrecht  von  Bayern-München ,  der  aber  im  Hinblick  auf  die 
ihm  zugemutete  Einverleibung  Bayerns  in  Böhmen  und  die  dem  Hause 
Habsburg  zustehenden  Erbrechte  die  Krone  ablehnte.  Auch  Friedrich  III. 
schlug  sie  unter  dem  Hinweis  auf  ihren  rechtmäfsigen  Besitzer  aus,  und 
als  die  Stände  bereit  waren,  Ladislaus  anzuerkennen,  wofern  er  ihn  nach 
Prag  brächte  und  dort  als  Vormund  die  Regentschaft  übernähme,  lehnte 
er  auch  dies  ab.  So  kam  zwar  Habsburg  nicht  zu  seinem  Rechte,  doch 
wurde  auch  kein  auswärtiger  Fürst  auf  den  Thron  berufen.  Die 
Führung  des  utraquistischen  Herrenbundes  gelangte  in  die  Hände 
Georgs  von  Podiebrad.  Am  24.  April  1420  als  Sohn  Viktorin 
Botscheks  von  Kunstatt  zu  Podiebrad  geboren,  erwarb  sich  Georg  in 
den  letzten  Jahren  des  Hussitenkrieges  und  im  Kampf  gegen  Albrecht  IL 
einen  bedeutenden  Namen.  1440  Hauptmann  des  Bunzlauer  Kreises, 
trat  er  nach  dem  Tode  Ptatscheks  von  Pirkstein,  des  Führers  des  Herren- 
bundes ,  an  die  Spitze  der  vier  östlichen  Kreise  von  Böhmen.  Seine 
Politik,  deren  Endziele  jetzt  noch  nicht  deutlich  zutage  traten,  war 
auf  die  Begründung  eines  hussitischen  Königtums  gerichtet.  Enea  Silvio 
bezeichnet  ihn  als  einen  Mann  von  kurzem  Wuchs,  massivem  Körperbau, 
weifser  Gesichtsfarbe ,  leuchtenden  Augen  und  gefälligem  Wesen,  zwar 
angesteckt  vom  Hussitismus,  sonst  aber  rechtschaffen  und  edel.  Seine 
kirchlichen  Überzeugungen  waren  freilich  nicht  sonderlich  fest.1)  Enea 
lobt  seine  Erfahrung  in  Staats-  und  Kriegsangelegenheiten,  seinen  sicheren 
Blick  in  plötzlichen  Gefahren,    seine  unermüdliche  Tätigkeit  und  seinen 


:)  Daher  sagt  Enea :   Quem  cum  nos  longo  sermone  de  communione  calicis  tentavis- 
semus,  magis  deceptum  quam  pertinacem  invenimus. 


520  Das  Haus  Hunyady.     Der  Türkenkrieg. 

Unternehmungsgeist.  Mit  List  und  Gewalt  führte  er  den  Kampf  gegen 
die  katholische  Adelspartei.  Durch  die  Überrumpelung  Prags  im  Jahre  1448 
(s.  unten)  warf  er  die  katholische  Reaktion  vollends  nieder.  Wer  nicht 
die  Kompaktaten  und  Rokytzana  anerkennen  wollte,  mufste  die  Haupt- 
stadt verlassen.  Das  Domkapitel  wanderte  nach  Pilsen,  und  die  deutschen 
Magister  und  Studenten,  die  sich  allmählich  wieder  an  der  Prager  Hoch- 
schule niedergelassen  hatten,  zogen  ab.  Fortan  sollte  niemand  in  Prag 
die  Kommunion  unter  einer  Gestalt  reichen. 

4.  Inzwischen  hatte  Wladislaw  den  Kampf  gegen  die  Türken  be- 
gonnen, die  sich  nach  der  Eroberung  von  Semendria  ganz  Serbiens  be- 
mächtigt hatten,  im  folgenden  Jahre  aber  von  dem  sechs  Monate  erfolg- 
los belagerten  Belgrad  wieder  abziehen  mufsten.  Die  Verteidigung  des 
Südens  übertrug  er  an  Johannes  Hunyady  und  Xiklas  Ujlaky  zum  Dank 
für  einen  Sieg,  den  sie  im  Herbste  1440  über  die  Anhänger  Elisabeths 
davongetragen  hatten.  Es  ist  das  erste  Auftreten  der  Hunyady  in  der 
Geschichte.  Sie  sind  geringer  Herkunft.1)  Johanns  Vater  Woyk,  ein 
Walache,  hatte  im  Dienste  Sigmunds  die  Ritterwürde  und  die  Burg 
Hunyady  in  Siebenbürgen  erhalten.  Johannes  gewann  durch  militärische 
Tüchtigkeit  in  den  Hussitenkämpfen  Ruhm  und  Gewinn.  Er  wurde  nun 
die  Seele  der  gegen  die  Türken  gerichteten  Angriffe.  1441  brachte  er  ihnen 
bei  Belgrad  und  1442  in  Siebenbürgen  solche  Niederlagen  bei,  dafs  der 
walachische  Woiwode  Drakul  von  ihnen  abfiel  und  sich  an  Ungarn  an- 
schlofs.  Als  sie  Miene  machten ,  wieder  in  Siebenbürgen  einzufallen, 
brachte  er  ihnen,  noch  ehe  sie  die  Karpathenpässe  überschritten  hatten, 
eine  neue  Niederlage  bei.  Diese  ersten  wider  sie  errungenen  Erfolge 
weckten  die  Hoffnuiig,  den  Erbfeind  der  Christen  doch  noch  aus  Europa 
verjagen  zu  können.  Die  Ungarn  rüsteten  1443  ein  Heer  aus,  aber  die 
Hilfe  des  Abendlandes  blieb  aus.  Am  wenigsten  mochte  Friedrich  III. 
zum  Siege  seines  Gegners  beitragen.  Trotzdem  nahm  der  Krieg  anfangs 
einen  günstigen  Verlauf.  Wladislaw  selbst  drang  von  Belgrad  aus  nach  dem 
Süden.  In  der  Nähe  von  Nissa  gewann  Hunyady  am  3.  November  einen 
Sieg,  dessen  Bedeutung  darin  liegt,  dafs  sich  nun  zahlreiche  Scharen 
aus  den  unterdrückten  Völkerschaften  an  die  Ungarn  anschlössen. 
Wladislaw,  der  bis  an  den  Balkan  gelangte,  sah  sich  bei  den  starken 
Verteidigungsmitteln  der  Gegner  und  dem  Mangel  an  Lebensmitteln  zum 
Rückzug  nach  Ungarn  genötigt.  Auch  hier  brachten  die  Christen  den 
Türken  noch  (24.  Dezember)  eine  Niederlage  bei.  Diese  machten  nun 
günstige  Friedensanträge,  die  auf  dem  Szegediner  Reichstag  zu  einem 
zehnjährigen  Waffenstillstand  führten.  Danach  wurde  Serbien  frei  und 
die  Oberherrschaft  LTngarns  über  die  Walachei  wieder  anerkannt;  damit 
waren  aber  auch  Cesarinis  Hoffnungen,  die  Türken  aus  Europa  zu  treiben, 
zerronnen.  Er  spornte  daher  den  König  zur  Wiederaufnahme  des  Kampfes 
an  und  löste  ihn  von  dem  eben  geschworenen  Eide.2)  Im  Sommer  1444 
wurde  der  Krieg   wieder   aufgenommen.      Aber    von   Polen,   selbst   von 


*)  Die  Lit.  über  die  Abstammung  der  Hunyady  s.  JBG.  1900,  III,  241. 
*)  S.  aber  Prochazka  in  Finkeis  JBG.  1900*   IU,  351. 


Die  Schlacht  bei  Varna.     Die  Krönung  Friedrichs  III.  521 

Serbien  kam  keine  Unterstützung;  auch  die  Ungarn  beteiligten  sich 
schwach  an  dem  Unternehmen.  Das  ungarische  Heer,  unterstützt  von 
einer  walachischen  Abteilung,  drang  bis  Varna  vor.  Um  den  Pässen 
auszuweichen,  wollte  es  das  Gebirge  umgehen  und  längs  der  Meeresküste 
gegen  Konstantinopel  ziehen.  Am  10.  November  1444  kam  es  zur 
Schlacht,  die  nach  anfänglichen  Erfolgen  von  den  Christen  verloren 
ward.  Wladislaw  wurde  getötet,  und  Hunyady  trat  den  Rückzug  an. 
Auch  Cesarini  hatte  den  Tod  gefunden.  In  Ungarn  wandte  sich  jetzt  die 
Stimmung  dem  legitimen  Herrscher  zu.  Der  Reichstag  vom  7.  Mai  1445 
erkannte  Ladislaus  Posthumus  unter  der  Bedingung  als  König  an, 
dafs  er  samt  der  Reichskrone  von  Friedrich  111.  an  die  Ungarn  aus- 
geliefert würde. 

§  121.    Die  Krönung  Friedrichs  III.  in  Aachen.    Der  Krieg  gegen 

die  Eidgenossen. 

Quellen,  s.  die  §§  59,  98  u.  1 20.  Dazu :  Die  Aachener  Krönungsreise  Friedrichs  III. 
Von  einem  Augenzeugen.  Herausgeg.  v.  Seemüller.  MJÖG.  XVII,  589 — 665.  Bericht 
Johann  Burns  von  Mohausen  über  die  Krönung  Fs.,  her.  v.  Hansen.  Z.Aach.  GV.  IX,  213  ff. 
S.  dazu  Potth.  I,  471  Wülker,  Urkk.  u.  Schreiben,  betreffend  den  Zug  der  Armagnaken 
1439 — 1444.  Xeujahrsbl.  Ver.  Gesch.  u.  Alt.  zu  Frankfurt  1873.  Zu  den  Schweizer  Quellen 
aufser  Wyfs,  Historiographie.  S.  105 — 134  u.  bes..  116  ff.,  auch  Dierauer  II,  72  ff. 
Dierauer  I,  II,  und  Dändliker  II,  wie  oben.  Plattner,  Die  Entstehung  des 
Freistaates  der  drei  Bünde  und  sein  Verhältnis  zur  alten  Eidgenossensch.  Davos  1894. 
v.  Kraus,  Deutsche  Geschichte  am  Ausg  d.  MA.  Stuttg.  1894.  'Witte,  Die  armen 
Gecken  oder  Schinder  und  ihr  Einfall  im  Elsafs.  Strafsb.  1889.  G.  du  Fresne  de 
Beaucourt,  Histoire  de  Charles  VII.  tom.  IV.  Eine  Anzahl  von  Einzelschriften 
s.  bei  Dändliker  II,  749.  Brüning,  Die  Aachener  Krönungsfahrt  Friedrichs  III. 
Aus  Aachens  Vorzeit  XI,  81. 

1.  Gleich  den  übrigen  deutschen  Fürstenhäusern  hatte  Habsburg 
seinen  Besitz  durch  Teilungen  zersplittert,  den  Zusammenhang  der  Erb- 
lande hiedurch  gelockert  und  die  Macht  des  Gesamthauses  geschwächt. 
Nach  der  Teilung  von  1379  in  eine  Albrechtinische  und  Leopoldmische 
Linie,  von  denen  jene  Österreich  ob  und  unter  der  Enns,  die  andere 
alles  übrige  erhielt,  folgte  1411  die  Zersplitterung  der  letzteren  in  einen 
steirischen  und  einen  tirolischen  Zweig,  und  die  Versuche  Friedrichs  III., 
wenigstens  innerhalb  der  Leopoldmischen  Linie  eine  gewisse  Einheit 
herzustellen  und  sich  die  oberste  Regierungsgewalt  zu  sichern,  führten 
zu  Streitigkeiten  mit  seinem  Bruder  Albrecht  VI,  die  mit  kurzen  Unter- 
brechungen bis  zu  dessen  Tode  (1363)  andauerten. x)  Diese  AVirren  und 
die  schwierige  Stellung  seines  Hauses  in  Ungarn  und  Böhmen  hinderten 
ihn,  dem  Reiche  seine  Aufmerksamkeit  zuzuwenden.  Und  doch  hegte 
man  dort  von  ihm  grofse  Hoffnungen.  Aber  die  ersten  Reichstage 
fanden  statt,  ohne  dafs  er  erschien.  Erst  im  Hinblick  auf  die  Krönung, 
vielleicht  auch  auf  seine  Pläne  gegen  die  Eidgenossen,  verliefs  er  die 
Steiermark.     Am  17.  Juni  1442  empfing  er  zu  Aachen  die  Krone.    Der 


l)  Zu  den  Teilungen    s.  Huber  -Dopsch  RG.  44.     Bezüglich  der  Einzelheiten  des 
Streites  zwischen  Friedrich  III.  und  Albrecht  VI.  s.  Huber  in,  44  ff.,  151  ff. 


522  Friedrich  HE.  und  die  Eidgenossen. 

Reichst agsbeschlufs  vom  14.  August  enthielt  wohl  eine  Reihe  wichtiger 
Anordnungen  über  den  Landfrieden  und  die  Reichsgerichtsbarkeit,  es 
fehlte  dem  Könige  aber  an  den  zu  ihrer  Durchführung  nötigen  Mitteln. 

2.  Von  Frankfurt  zog  Friedrich  III.  nach  dem  Elsafs  und  von 
dort  in  die  Schweiz.  Es  galt  einen  Versuch,  wenigstens  einen  Teil  der 
Verluste  hereinzubringen,  die  Habsburg  hier  in  den  letzten  Jahrzehnten 
erlitten  hatte.  Der  Bund  der  acht  Kantone  war  seit  Sempach  und 
Näfels  rasch  vorgeschritten.  Zunächst  schlössen  die  Glarner  eine  Allianz 
mit  jenen  Bünden,  die  sich  wie  der  Gotteshausbund  und  die  Eid- 
genossenschaft des  oberen  Bundes,  zum  Teil  ebenfalls  im 
AViderspruch  mit  den  Interessen  des  Hauses  Habsburg  gebildet  hatten. 
Auch  unter  den  Gemeinden  von  Wallis  griffen  im  14.  Jahrhundert 
demokratische  Tendenzen  um  sich.  Die  Bischöfe  von  Sitten,  von 
Savoyen  und  vom  einheimischen  Adel  bedrängt,  hatten  ihnen  umfassende 
Privilegien  gewährt  und  Karl  IV.  sie  1354  bestätigt.  Schon  damals 
standen  die  Walliser  in  nahen  Beziehungen  zu  den  Eidgenossen.  Als 
hierauf  ein  Streit  zwischen  dem  Bistum  und  den  alten  adeligen  Ge- 
schlechtern ausbrach,  ergriff  das  Volk  für  jenes  Partei,  während  der  Adel 
von  Savoyen  Hilfe  bekam.  Endlich  schlössen  der  Bischof  von  Sitten 
und  die  Landleute  von  Wallis  am  3.  Juni  1403  mit  Uri,  Unterwaiden 
und  Luzern  ein  ewiges  Burg-  und  Landrecht,  so  dafs  sich  fortan  die 
Macht  der  drei  Orte  über  einen  Teil  von  Wallis  erstreckte.  In  demselben 
Jahre  drangen  die  Urner  und  Unterwaldner,  gereizt  durch  eine  ihren 
Landsleuten  von  Bewohnern  des  mailändischen  Varese  zugefügte  Unbill, 
gegen  die  sie  kein  Recht  gefunden  hatten,  auf  der  Südseite  des  Gott- 
hard  vor  und  nötigten  die  Bewohner  des  Livinentales,  sich  in  ihre 
Gewalt  zu  begeben.  Von  hier  aus  konnte  die  Erwerbung  des  ganzen 
Tessingebietes  bis  an  die  Seen  in  Angriff  genommen  werden.  Bedeutsamer 
wurde  der  Anschlufs  des  der  Abtei  St.  Gallen  gehörigen  Appenzeller 
Landes,  wo  seit  der  zweiten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  die  demo- 
kratische Richtung  gleichfalls  zum  Siege  gelangte  und  die  einzelnen  Ge- 
meinden sich  allmählich  der  Herrschaft  der  Abtei  entzogen.  Im 
Jahre  1377  schlofs  sich  Appenzell  dem  schwäbischen  Bunde  an,  und 
zwei  Jahre  später  erscheint  »Appenzell  das  Land«  als  eine  geschlossene, 
rechtliche  und  politische  Gemeinschaft.1)  Im  Kampfe  gegen  St.  Gallen, 
das  seine  Wiederunterwerfung  versuchte,  und  gegen  dessen  Bundes- 
genossen, Friedrich  IV.  von  Österreich  und  den  oberdeutschen  Adel,  errang 
es  im  Appenzeller  Krieg  (1405 — 1408)  seine  Freiheit.2)  Um  sie  auch 
für  die  Zukunft  zu  behaupten,  liefsen  sich  die  Appenzeller,  die  bereits 
während  des  Kampfes  einen  Bund  mit  Schwyz  geschlossen  hatten, 
von  den  sieben  östlichen  Orten  in  ein  Burg-  und  Landrecht  aufnehmen 
(1411).  Auch  St.  Gallen  schlofs  sich  nunmehr  an  die  Eidgenossen  an 
(1412),  die  jetzt  nord-  und  westwärts  bis  an  ihre  natürlichen  Grenzen, 
den  Bodensee  und  den  Jura,  vorzurücken  suchten;   bald  hatten  sie  Ge- 


x)  Dierauer  I,  394. 
s)  S.  406  ff. 


Das  Wachstum  des  eidg.  Bundes.    Parteikämpfe  zwischen  einzelnen  Orten.     523 

legenheit,  über  den  Aargau  hinweg  bis  an  den  Rhein  zu  gelangen.  Sie 
benützten  nämlich  die  über  Friedrich  von  Tirol  ausgesprochene  Reichs- 
acht (s.  §  108),  um  sich  trotz  des  fünfzigjährigen,  kurz  zuvor  mit  Öster- 
reich abgeschlossenen  Friedens  der  altösterreichischen  Stammlande  zu 
bemächtigen.  Ein  Schlofs  nach  dem  andern,  die  Habsburg  nicht  aus- 
genommen, fiel  in  ihre  Hände.  Trotz  Friedrichs  Unterwerfung  und 
der  Zurückforderung  der  von  den  Eidgenossen  gemachten  Eroberungen 
durch  König  Sigmund  behielten  sie,  zunächst  als  Pfand,  den  ganzen 
Aargau,  der  zum  Teil  unter  die  zunächst  gelegenen  Orte  Bern,  Zürich 
und  Luzern  aufgeteilt  wurde,  zum  Teil  Gemeingut  blieb.  Die  hochherzige 
Politik,  ihn  unzerrissen  als  neuen  Ort  in  die  Eidgenossenschaft  auf- 
zunehmen, war  jener  Zeit  fremd.  Die  neue  Erwerbung  schlofs  die  Lücke, 
die  zwischen  Bern  und  Zürich  bestanden  hatte.  Friedrich  IV.  verzichtete 
in  aller  Form  für  sich  und  seine  Erben  auf  die  Wieder erwerbung  des 
Aargaus. 

3.  Das  rasche  Wachstum  des  Bundes  erfolgte  aber  nicht  ohne 
heftige  Kollisionen,  die  sich  aus  den  Gegensätzen  zwischen  Stadt  und 
Land,  zwischen  älteren  demokratischen  und  jüngeren  aristokratischen 
Orten  ergaben.  Das  Schwergewicht  der  eidgenössischen  Politik  lag  jetzt 
in  den  Städten,  und  die  Länder,  die  Gründer  der  Eidgenossenschaft, 
sahen  mit  Eifersucht  auf  die  privilegierten  Städte,  die  das  grofse  Wort 
führten. J)  Dieser  Gegensatz  spitzte  sich  zu  in  der  Rivalität  zwischen 
Zürich  und  Schwyz,  von  denen  jenes  unter  den  Städten,  dieses  unter 
den  Ländern  die  Führung  hatte.  Als  1436  das  Dynastenhaus  Toggen- 
burg ausstarb,  dessen  Besitz  sowohl  für  Schwyz  als  für  Zürich  von 
höchstem  Werte  war,  kam  es  (1439)  zwischen  Schwyz,  das  durch  den 
tatkräftigen  Landammann  Jtal  Reding  d.  A.,  und  Zürich,  das  durch  den 
ebenso  energischen  als  leidenschaftlichen  Rudolf  Stüfsi  geleitet  wurde, 
zu  einem  hartnäckigen  Kampfe  (dem  alten  Zürichkrieg),  der  mit  dem 
Sieg  der  Schwyzer  endete.  Zürich  erhielt  aus  dem  Toggenburger  Erbe 
nicht  nur  nichts,  sondern  verlor  auch  das  Gebiet  der  oberen  Höfe  und 
seinen  Besitz  im  Oberland.  In  ihrer  erbitterten  Stimmung  suchten  die 
Züricher  Anschlufs  an  Habsburg,  das  mit  Zürichs  Hilfe  den  Aargau 
zurückzugewinnen  hoffte.  So  schlofs  Friedrich  drei  Tage  vor  seiner 
Königskrönung  ein  Schutz-  und  Trutzbündnis  mit  Zürich,  liefs  sich  am 
23.  September  von  den  Zürichern  aufser  dem  Reichseid  noch  den  Eid 
auf  den  Bund  mit  Österreich  leisten  und  versagte  den  übrigen  Orten 
mit  Ausnahme  Uris,  das  an  der  Eroberung  des  Aargaues  nicht  teil- 
genommen, die  Bestätigung  ihrer  Privilegien.  Da  Zürich  am  Bunde  mit 
Osterreich  festhielt,  erklärten  die  Waldstätte  an  beide  den  Krieg 
(1443,  Mai).  Die  Züricher  wurden  in  mehreren  Treffen  geschlagen. 
Bei  der  Verteidigung  der  Sihlbrücke  fiel  Rudolf  Stüfsi.  Zürich  selbst 
wurde  belagert.  Die  Erbitterung  der  Eidgenossen  gegen  die  mit  dem 
alten  Gegner  verbündete  Stadt  machte  sich  in  dem  Blutbad  von 
Greifensee  Luft,  dessen  Besatzung  Mann   für  Mann  bis  auf  Kinder  und 


J)  Dändliker  II,  69. 


524  Krieg  gegen  die  Eidgenossen.     Die  Armagnaken. 

Greise  enthauptet  wurde.  Inzwischen  hatte  sich  Friedrich  um  die  Gunst 
Frankreichs  beworben;  Karl  VII.  fand  darin  ein  gutes  Mittel,  jener 
furchtbaren  Söldnerscharen  los  zu  werden,  die  nach  einem  ihrer  früheren 
Führer  die  Armagnaken  (»arme  Gecken«)  genannt  wurden  und  deren 
Hilfe  das  französische  Königtum  nach  seinen  grofsen  inneren  und  aus- 
wärtigen Erfolgen  nicht  mehr  bedurfte.  Karl  sandte  einen  Teil  gegen 
Metz,  den  gröfseren  führte  der  Dauphin  gegen  die  Eidgenossen,  die 
Zürich  und  die  Farnsburg  belagerten ,  um  diese  zu  entsetzen ,  zunächst 
aber,  um  Basel  zu  erobern.  Ein  Teil  des  Farnsburger  Belagerungs- 
heeres warf  sich  auf  die  Vorhut  der  Franzosen  und  trieb  sie  zurück. 
Indem  die  Schweizer  in  dieser  die  ganze  Stärke  der  Gegner  vermuteten 
und  sie  zu  hitzig  verfolgten,  wurden  sie  von  der  gegnerischen  Haupt- 
macht beim  Siechenhause  von  St.  Jakob  an  derBirs  angegriffen 
und  aufs  Haupt  geschlagen  (1444,  26.  August).  Die  Belagerung  von 
Farnsburg  und  Zürich  mufste  nun  aufgegeben  werden.  Aber  auch  der 
Dauphin  hatte  schwere  Verluste  erlitten;  da  seine  Ziele  übrigens  nach 
anderer  Richtung  gingen,  wandte  er  sich  nach  dem  Elsafs,  begierig  den 
Rhein  als  Grenze  Frankreichs  zu  gewinnen.  Nur  das  entschiedene  Vor- 
gehen der  Elsässer  und  Lothringer  gegen  die  französischen  »Würger« 
vereitelte  die  Durchführung  dieses  Planes.  Die  Armagnaken  konnten 
übrigens  erst  im  folgenden  Jahre  durch  eine  Reihe  von  Verträgen  aus 
dem  Lande  entfernt  werden.  In  der  Schweiz  wurde  nun  der  Krieg 
weitergeführt.  Erst  im  Juli  1450  entsagte  Zürich  der  Kampfgenossen- 
schaft mit  Österreich  und  trat  dem  eidgenössischen  Bunde  wieder  bei. 
Osterreich  mufste,  ohne  dafs  es  zu  einem  förmlichen  Frieden  kam,  seine 
Ansprüche  auf  den  Aargau  aufgeben. 


§  122.    Friedrich  III.  und  das  Baseler  Konzil. 

Quellen  wie  oben.  Die  Drucke  des  Wiener  Konkordats  s.  bei  Voigt  I,  418, 
Chmel  IT,  436  und  Pastor  n,  318.  Zu  den  oben  vermerkten  Hilfsschriften  s.  noch 
Brockhaus,  Gregor  v.  Heimburg.  Leipz.  1861.  Joachimsohn,  Gregor  Heimburg. 
Bamb.  1891.  Manger,  Die  Wahl  Amadeos  v  Savoyen  z.  Papste.  Diss.  Marb.  1901. 
Schölten,  Eugen  IV.  u.  das  Clevesche  Landesbistum  Cleve  1884.  Birk,  Der  Köln. 
Erzb.  Dietrich  Graf  v.  Mors  u.  P.  Eugen  IV.  Bonn  1889.  "Cbinger,  Kardinallegat 
Nikolaus  Cusanus  in  Deutschland  1451 — 52.    HJb.  VIII,  629. 

1.  Die  Absetzung  Eugens  IV.  (s.  §  119,  2)  bedeutete  den  Beginn 
eines  neuen  Schismas.  Das  Baseler  Konzil  räumte  zunächst  die  Hinder- 
nisse für  die  Wahl  eines  neuen  Oberhauptes  aus  dem  Wege.  Ein  aus 
32  Mitgliedern  bestehender  Ausschufs  unter  dem  Vorsitz  des  Kardinals 
von  Arles  bildete  d,as  Konklave.  Die  Wahl  fiel  auf  den  Herzog 
Amadeus  von  Savoyen  (1439,  5.  November).  Er  war  der  erste  Fürst 
gewesen,  der  das  Konzil  anerkannt  hatte;  nun  lebte  er,  seiner  Herrschaft 
entsagend,  einem  Mönche  gleich  zu  Ripaille  am  Genfer  See.  Er  nannte 
sich  Felix  V.  Da  seine  Einkünfte  nicht  hinreichten,  um  einen  Hofstaat 
zu  erhalten,  mufste  das  Konzil  ihm  gegen  seine  eigenen  Beschlüsse 
einen  Zehent  von  allen  Benefizien  auf  fünf  Jahre  bewilligen.     Übrigens 


Eugen  IV.  und  Felix  V.     Friedrich  III.  und  das  Konzil.  525 

hielten  die  meisten  Fürsten  zu  Eugen  IV.  Hatte  sich  Albrecht  IL  der 
kurfürstlichen  Neutralität  angeschlossen,  so  gaben  sich  nun  Eugen  IV. 
einerseits,  das  Konzil  anderseits  Mühe,  Friedrich  III.  für  sich  zu  ge- 
winnen. Die  Neutralität  selbst  fand  weder  bei  Fürsten  noch  beim  Volke 
Anklang.  Lehnten  sich  die  Universitäten  von  kirchlichen  Gesichtspunkten 
aus  dagegen  auf,  so  kamen  bei  andern  politische  Erwägungen  hinzu. 
Die  Kurfürsten  hatten  die  Neutralität  zur  Erweiterung  ihrer  Gerichtsbar- 
keit benützt,  dadurch  aber  den  Widerspruch  kleinerer  Reichsstände  und 
des  niederen  Klerus  wachgerufen.  Während  einzelne  Fürsten  Eugen  IV. 
als  Papst  anerkannten,  hatte  das  Konzil  selbst  in  den  Ländern  des  Königs 
Anhänger;  schliefslich  gaben  die  Kurfürsten  die  Neutralität  preis,  wenn 
es  ihnen  gut  schien :  all  das  bewog  den  König,  zwar  keinem  der  beiden 
Päpste  seine  Obedienz  zu  erweisen,  aber  auch  jede  Erklärung  im  Sinne 
der  kurfürstlichen  Neutralität  zu  vermeiden.  Am  Reichstage  zu  Mainz 
(1441,  2.  Februar)  trat  er  für  die  Einberufung  eines  Konzils  an  drittem 
Orte  ein,  ein  Vorschlag,  der  nur  gemacht  war,  um  die  Entscheidung 
hinauszuschieben.  Wiewohl  der  Reichstag  für  den  Fall,  als  sich  die 
Parteien  nicht  auf  einen  Konzilsort  einigen  könnten,  die  Entscheidung 
dem  König  überliefs  und  die  Eröffnung  des  neuen  Konzils  schon  für 
den  1.  August  1442  in  Aussicht  genommen  war,  eine  Gesandtschaft  des 
Reichstages  den  König  auch  für  die  rasche  Durchführung  dieser  Be- 
schlüsse gewinnen  wollte,  schob  er  die  Entscheidung  doch  dem  nächsten 
Reichstage  zu;  aber  auch  hier  kam  die  Sache  um  keinen  Schritt  vor- 
wärts. Dies  bewog  die  Kurfürsten,  einen  Versuch  zu  machen,  auch  ohne 
Mitwirkung  des  Königs  zu  einer  Einigung  mit  Eugen  IV.  zu  gelangen. 
Sie  sandten  den  Rechtsgelehrten  Gregor  Heimburg  nach  Florenz 
(1441,  Dezember)  und  verlangten  als  Preis  ihrer  Obedienz:  Anerkennung 
der  höheren  Gewalt  der  Konzilien,  Berufung  eines  neuen  Konzils,  per- 
sönliches Erscheinen  des  Papstes  daselbst,  Verzicht  auf  Reservationen 
und  Expektanzen,  Freiheit  der  Bischofswahlen  und  Abschlufs  einer  prag- 
matischen Sanktion.  Der  Papst  gab  eine  ausweichende  Antwort.  In  der 
Kirchenpolitik  Friedrichs  trat  auch  nach  seiner  Krönung  kein  Wandel 
ein.  Schien  er  auch  Anschlufs  an  Basel  zu  suchen  und  trat  er  mit 
Felix  V.  in  Unterhandlungen  (1442,  November),  so  schlugen  doch  dessen 
Versuche,  ihn  ganz  auf  seine  Seite  zu  ziehen,  fehl.  Die  Franzosen  und 
Engländer  blieben  Eugen  treu;  wenn  anderseits  die  Kurfürsten  geneigt 
waren,  ihre  Neutralität  zugunsten  des  Konzilspapstes  aufzugeben,  so 
wurde  Friedrich  III.  durch  Kaspar  Schlick,  dem  jetzt  die  Leitung 
der  deutschen  Geschäfte  zugewiesen  wurde,  und  Enea  Silvio,  den  früheren 
Sekretär  Felix'  V.,  der  nun  in  die  Dienste  der  deutschen  Reichskanzlei 
eintrat,  immer  mehr  auf  die  Seite  Eugens  IV.  gedrängt,  für  den  am 
österreichischen  Hofe  auch  noch  Cesarini  und  der  Nuntius  Carvajal 
tätig  waren.  Ein  Kongrefs,  der  zugleich  mit  dem  Reichstage  auf  den 
11.  November  1443  einberufen  ward,  wurde  nicht  einmal  von  den  deut- 
schen Fürsten  in  eigener  Person,  geschweige  denn  von  auswärtigen  be- 
sucht, und  auch  die  Versuche,  auf  den  nächsten  Reichstagen  eine  Einigung 
in  der  Kirchenfrage  zu  erzielen,  blieben  ergebnislos. 


526  Fortschritte  Eugens  IV.     Die  Kirchenpolitik  Friedlich  III. 

2.  Felix  V.  hatte  mittlerweile  seine  Residenz  nach  Lausanne  ver- 
legt (1442,  Dezember).  Die  Abwesenheit  des  Papstes,  die  Kämpfe  in  der 
Nähe  des  Konzilsortes,  das  Begehren  des  Kaisers,  ein  neues  Konzil  zu 
berufen,  all  das  bewog  die  Baseler,  vorläufig  ihre  Tätigkeit  einzustellen. 
Im  Mai  1443  wurde  beschlossen,  das  nächste  allgemeine  Konzil  in  Lyon 
abzuhalten,  wo  es  als  Fortsetzung  des  Baseler  in  drei  Jahren  zu- 
sammentreten sollte.  Bis  dahin  sollte  es  allerdings  noch  in  Basel  ver- 
bleiben und  nur  im  Falle  der  Unsicherheit  nach  Lausanne  verlegt  werden. 
Wichtige  Angelegenheiten  gelangten  in  Basel  nicht  mehr  zur  Verhand- 
lung, wie  auch  öffentliche  Sitzungen  nicht  mehr  stattfanden.  Inzwischen 
breitete  sich  Eugens  Obedienz  stetig  aus.  Von  Wichtigkeit  war  der 
Anschlufs  König  Alfonsos  von  Aragonien  und  Neapel,  der  bisher  aus 
politischen  Motiven  zum  Konzil  gehalten  hatte.  Nach  einer  fast  zehn- 
jährigen Abwesenheit  kehrte  Eugen  IV.  am  28.  September  1443  wieder 
nach  Rom  zurück  und  begann  hier  das  schwierige  Werk  der  Restauration. 
Auch  Schottland  und  Mailand  wandten  sich  ihm  zu,  dagegen  nahmen 
Florenz  und  Venedig  seinen  Frieden  mit  König  Alfonso  zum  Anlafs 
ihrer  Gegnerschaft  und  unterstützten  Francesco  Sforza,  der  mit  dem 
Papste  abermals  in  Streit  geraten  war.  Nachdem  auch  der  Nürnberger 
Reichstag  von  1444  im  wesentlichen  ohne  Ergebnis  geendet  hatte  und 
Vermittlungsversuche,  die  in  den  nächsten  Monaten  gemacht  wurden, 
gescheitert  waren,  erkannte  Friedrich,  dafs  trotz  der  Stellungnahme  der 
Kurfürsten  die  Neutralität  nicht  mehr  zu  halten  sei.  Er  bedurfte  zudem 
der  Unterstützung  Eugens  IV.,  um  die  Rechte  seines  Mündels  Ladislaus 
auf  Ungarn  durchzusetzen.  Daher  sandte  er  (1444,  Dezember)  Enea 
Silvio  nach  Italien,  um  die  Verhandlungen  wegen  des  Übertrittes  zur 
Obedienz  Eugens  einzuleiten.  Zwar  wies  der  Papst  das  Verlangen,  inner- 
halb einer  bestimmten  Frist  ein  neues  Konzil  zu  berufen,  ab,  nahm  aber 
des  Königs  Anerbieten,  gegen  entsprechende  Zugeständnisse  zu  seiner 
Obedienz  zu  treten,  gern  entgegen.  Die  Verhandlungen  wurden  in  Wien 
durch  Carvajal  fortgeführt  und  im  September  1445  abgeschlossen.  Für 
die  Obedienz  der  österreichischen  Länder  verlangte  und  erhielt  der  König 
zur  Stärkung  seiner  territorialen  Macht  das  Recht  der  Nomination  bei 
Erledigung  der  Bischofssitze  von  Gurk,  Triest,  Piben  (in  Istrien),  Chur, 
Trient  and  Brixen,  die  Vergebung  von  100  Kirchenpfründen  und  das 
Vorschlagsrecht  für  die  Visitatoren  österreichischer  Klöster,  für  die 
Obedienzleistung  namens  des  Reiches  die  Zusage  der  Kaiserkrone  und 
einen  Beitrag  zu  den  Kosten  der  Krönungsfahrt.  Für  seine  Kirchen- 
politik hoffte  Friedrich  auch  die  Kurfürsten  zu  gewinnen.  Sicher  war 
er  aber  nur  Brandenburgs,  denn  Sachsen  wollte  sich  von  den  rheinischen 
Kurfürsten  nicht  trennen.  Der  Obedienz  des  Königs  versichert,  konnte 
Eugen  auch  gegen  jene  geistlichen  Kurfürsten,  die  wie  Trier  und  Köln 
zu  seinen  ausgesprochenen  Gegnern  gehörten,  rücksichtsloser  auftreten. 
Eine  Bulle  vom  24.  Januar  1446  beraubte  beide  ihrer  erzbischöflichen 
Sitze,  aber  dies  Vorgehen  —  ein  unerhörtes,  Kurfürsten  gegenüber  — 
hatte  nicht  die  gehoffte  Wirkung.  Der  Papst  überschätzte  die  Macht 
des  Königs.     Erzbischof  Jakob  von  Trier  schritt  gegen  alle  ein,  die  des 


Eugen  IV.  u.  d.  Kurfürsten  v.  Köln  u.  Trier.  Obedienzerklärung  d.  d.  Reiches.     527 

Papstes  Bulle  publizierten.  Köln  und  Trier  fanden  an  den  in  ihren 
Standesrechten  verletzten  Mitkurfürsten  starken  Rückhalt.  Nachdem 
sich  die  rheinischen  Kurfürsten  bereits  im  Januar  gegen  das  gewalttätige 
Einschreiten  Roms  wie  gegen  das  eigenmächtige  Verfahren  des  Königs 
geeinigt  hatten,  schlössen  sie  einen  Bund  zur  Verteidigung  ihrer  Rechte, 
Würden  und  Besitzungen.  Überdies  begehrten  sie  vom  Papste  für  ihre 
Obedienz  Anerkennung  der  Konstanzer  und  Baseler  Beschlüsse  über  die 
Obergewalt  der  Konzilien,  Berufung  des  Konzils  in  eine  deutsche  Stadt 
zur  Entscheidung  des  Kirchenzwistes,  die  Anerkennung  der  Baseler  Re- 
formdekrete von  1439  und  im  Zusammenhang  damit  auch  die  Abschaffung 
aller  im  Widerspruch  mit  der  Neutralität  stehenden  Neuerungen.  Drei 
Gesandte  —  unter  ihnen  Gregor  Heimburg  —  gingen  im  Namen  der 
Kurfürsten,  Enea  Silvio  als  der  des  Königs  nach  Rom.  Heimburg  ent- 
ledigte sich  seines  Auftrages  mit  Würde ;  Enea  riet  wenigstens  zu  schein- 
barer Nachgiebigkeit;  aber  der  Papst  hielt  an  der  Absetzung  der  beiden 
Kirchenfürsten  fest  und  verlangte  überdies  ein  Einvernehmen  zwischen 
König  und  Kurfürsten  in  der  Kirchenfrage.  Der  Reichstag  trat  im 
September  1446  zusammen.  In  der  Zwischenzeit  hatte  Friedrich  111. 
eine  Anzahl  von  Fürsten  für  seine  Kirchenpolitik  gewonnen,  anderseits 
aber  auch  den  Papst  bewogen,  sein  Verfahren  gegen  Köln  und  Trier 
aufzugeben.  Trotzdem  nun  Heimburg  sich  in  öffentlicher  Versammlung 
in  lebhaften  Klagen  über  den  Mangel  an  Friedensliebe  bei  der  Kurie  er- 
ging, gelang  es  dem  gewandten  Auftreten  Enea  Silvios  und  der  Legaten 
Carvajal  und  Nikolaus  von  Cusa,  die  Verhandlungen  auf  dem  Reichstage 
in  das  gewünschte  Geleise  zu  bringen  und  den  Kurfürstenbund  zu 
sprengen.  Am  22.  September  brachten  die  königlichen  Gesandten,  die 
Kurfürsten  von  Mainz  und  Brandenburg  und  andere  Fürsten  eine  ge- 
heime Erklärung  zustande,  in  der  sie  die  Zugeständnisse  des  Papstes 
als  genügend  anerkannten,  um  zum  Kirchenfrieden  zu  gelangen.  Wohl 
gaben  die  felizianisch  gesinnten  Kirchenfürsten  ihren  Widerspruch  nicht 
auf.  Da  trat  wieder  die  Vermittlung  des  Königs  ein :  Zuerst  sollte  dem 
Papste  die  Obedienz  geleistet  werden,  dieser  in  der  bezeichneten  Frist 
ein  Konzil  berufen,  die  deutschen  Beschwerden  im  Sinne  der  Mainzer 
Akzeptation  beseitigen  und  die  abgesetzten  Kurfürsten,  falls  sie  sich  für 
den  Papst  erklären,  wieder  in  ihre  Würden  einsetzen.  Die  Mehrheit 
der  Kurfürsten  war  damit  einverstanden,  trotzdem  der  Kardinal  von 
Arles  und  die  Erzbischöfe  von  Köln  und  Trier  nochmals  ihren  Stand- 
punkt dargelegt  hatten.  Nach  längeren  Verhandlungen  erklärte  eine 
deutsche  Gesandtschaft  am  7.  Februar  1447  dem  Papste,  der  bereits  auf 
dem  Sterbebette  lag,  ihre  Obedienz.  Wiewohl  diese  nur  von  einem  Teil 
der  Deutschen  geleistet  ward,  entstand  in  Rom  ein  Jubel,  als  hätte  sich 
das  ganze  Reich  unterworfen.  In  den  vier  Bullen,  die  den  deutschen 
Gesandten  gegeben  wurden,  verhiefs  der  Papst,  die  beiden  Erzbischöfe, 
sobald  sie  ihm  Gehorsam  geleistet  hätten,  wieder  in  ihre  früheren  Würden 
einzusetzen,  ein  Konzil  zu  berufen,  die  Beschlüsse  von  Konstanz,  das 
Dekret  über  die  Abhaltung  von  Konzilien  und  all  das  anzunehmen,  was 
die  deutsche  Nation  von  den  Baseler  Dekreten  akzeptiert  habe.     Wegen 


528  Tod  Eugens  IV.    Nikolaus  V.    Das  Wiener  Konkordat. 

der  dem  Papste  für  seine  Verluste  gebührenden  Entschädigung  soll  noch 
weiter  verhandelt,  die  von  dem  Konzil  vorgenommene  Verleihung  von 
Pfründen  anerkannt  und  die  über  die  Neutralen  verhängten  Strafen  auf- 
gehoben werden.1) 

3.  Es  war  dem  Papste  schwer  geworden,  diese  von  den  Deutschen 
gering  geschätzten  Zugeständnisse  zu  machen.  Noch  auf  dem  Sterbe- 
bette erlief s  er  eine  Bulle,  die  sie  zurücknimmt,  falls  sie  der  Lehre  der 
Väter  und  den  Rechten  des  apostolischen  Stuhles  widersprächen.  Wenige 
Tage  später  (23.  Febr.)  starb  er.  Seine  letzten  Worte  waren:  »0,  Gabriel, 
wieviel  nützlicher  für  dein  Seelenheil  wäre  es  gewesen,  wärest  du  nie 
Kardinal  und  Papst  geworden!«2)  Zehn  Tage  später  wurde  der  Kardinal 
und  Bischof  von  Bologna,  Thomas  Parentucelli,  als  Nikolaus  V. 
(1447 — 1455)  zum  Papste  gewählt.  Ein  ausgezeichneter  Kenner  der 
deutschen  Verhältnisse,  beeilte  er  sich,  die  von  seinem  Vorgänger  ge- 
troffenen Vereinbarungen  zu  bestätigen.  Während  die  Baseler  alles  auf- 
boten, um  ihre  Partei  zum  Siege  zu  führen,  machte  Karl  VII.  noch  den 
Versuch,  zwischen  den  Parteien  zu  vermitteln ;  ihm  schlössen  sich  Köln, 
Trier,  Pfalz  und  Sachsen  an ;  auch  einige  aufserdeutsche  Mächte  wie 
England  waren  damit  einverstanden.  Eine  Versammlung,  die  im  Juni 
1447  in  Bourges  tagte  und  später  nach  Lyon  verlegt  wurde,  beschlofs, 
dafs  Felix  V.  auf  seine  Würde  verzichten,  Nikolaus  V.  aber  den  Baselern 
in  wichtigen  Punkten  nachgeben  solle ;  aber  weder  dieser  noch  jener 
gingen  darauf  ein.  Fast  zu  derselben  Zeit  tagte  eine  Fürstenversamm- 
lung, die  Friedrich  III.  nach  Aschaffenburg  berufen  hatte  und  die  den 
römischen  Vereinbarungen  beitrat.  Köln,  Sachsen,  die  Pfalz  und  endlich 
auch  Trier  gingen  daran,  sich  mit  Rom  zu  vergleichen.  Am  21.  August 
erschien  ein  königliches  Edikt,  das  der  deutschen  Nation  die  Aner- 
kennung Nikolaus'  V.  befahl.  Nun  wurden  auch  die  Erzbischöfe  von 
Köln  und  Trier,  die  zum  Schlüsse  noch  die  Vermittlung  Karls  VII.  in 
Anspruch  genommen  hatten,  in  ihre  Würden  wieder  eingesetzt.  Auch 
viele  der  deutschen  Fürsten,  die  bisher  der  Anerkennung  Nikolaus"  V. 
widerstrebt  hatten,  schlössen  sich  jetzt  schon  den  Aschaffenburger  Be- 
schlüssen an.  In  den  hierüber  vereinbarten  Sonderverträgen  wufsten 
sie  sich  eine  Reihe  von  Vergünstigungen  zu  verschaffen.  Im  Spätherbste 
erschien  Carvajal  in  AVien,  um  die  Verhandlungen  wegen  der  Entschädi- 
gung des  päpstlichen  Stuhles  zu  Ende  zu  führen.  Das  Wiener  Kon- 
kordat, das  am  17.  Februar  1448  abgeschlossen  und  am  19.  März  von 
Nikolaus  V.  bestätigt  wurde,  hat  seine  Grundlage  in  den  Aschaffenburger 
Vereinbarungen.  Es  bedeutete  einen  A^ollständigen  Sieg  des  Papsttums 
über  die  konziliaren  Ideen  und  enthielt  an  tatsächlichen  Zugeständnissen 
weniger,  als  Eugen  IV.  bewilligt  hatte. 

Das  Recht  des  Papstes,  Pfründen  zu  verleihen,  das  ihm  beim  Konzil  auf  fünf  Jahre 
bewilligt  ward,  wird  ihm  hier,  wenn  sie  unter  den  vom  kanonischen  Rechte  festge- 
setzten Bedingungen  zur  Erledigung  gelangen,  auf  immer  zugestanden ;  bei  Metropolitan- 
und   Kathedralkirchen    und    den  dem  apostolischen  Stuhle    unmittelbar    untergebenen 


a)  Die  Einzelheiten  bei  Hefele,  VII,  840. 

S.  oben  §  115  unter  den  Quellen,  che  Berichte  über  seinen  Tod. 


Verlegung  des  Konzils  nach  Lausanne.     Seine  Auflösung.  529 

Klöstern  sollen  die  Wahlen  frei  sein  und,  wenn  sie  in  Gemäfsheit  der  kanonischen 
Gesetze  vollzogen  würden,  vom  Papste  bestätigt  werden.  Ihm  steht  die  Besetzung 
erledigter  Kanonikate  und  Benefizien  zu,  die  in  den  sechs  ungeraden  Monaten  erledigt 
werden.  Bei  den  Kathedralkirchen  und  Mannsklöstern  ist  der  erste  Jahresertrag  in 
zwei  Jahresraten,  bei  andern  kirchlichen  Ämtern  mit  einem  24  Gulden  übersteigenden 
Erträgnis  die  Hälfte  des  Jahresertrages  an  die  Kurie  zu  bezahlen. 

Da  man  den  Versuch  nicht  wagen  wollte,  das  Übereinkommen 
einem  allgemeinen  Reichstage  zur  Genehmigung  zu  unterbreiten,  trat 
man  mit  den  einzelnen  Fürsten  in  Unterhandlungen,  die  es  gegen  mehr 
oder  minder  erhebliche  Zugeständnisse  annahmen.  Den  gröfsten  Wider- 
stand leistete  Strafsburg,  das  dem  Konkordat  erst  1476  beitrat.  Die 
allgemeine  Kirchenversammlung,  welche  nach  bestimmten  Zeiträumen 
zusammentreten  sollte,  ist  nicht  mehr  zustande  gekommen.  Das  Ende 
des  Baseler  Konzils  war  jetzt  nur  noch  eine  Frage  der  Zeit.  Nachdem 
Friedrich  III.  schon  im  September  1447  den  Befehl  zur  Auflösung  der 
Versammlung  gegeben  hatte,  und  Anfang  des  nächsten  Jahres  ein  noch 
schärferes  Edikt  erschienen  war,  beschlofs  es  am  25.  Juni  1448  seine 
Verlegung  nach  Lausanne.  Schliefslich  gelang  es  den  Bemühungen  Frank- 
reichs, Englands,  Siziliens  und  mehrerer  deutscher  Fürsten,  Felix  V.  zur 
Abdankung  zu  bewegen  (1449,  7.  April).  Das  Konzil  erklärte  nunmehr 
den  päpstlichen  Stuhl  für  erledigt,  wählte,  um  seinerseits  wenigstens  den 
Schein  der  Autorität  zu  wahren,  Nikolaus  V.  zum  Papste  und  beschlofs 
am  25.  April  1449  seine  eigene  Auflösung. 

Das  war  der  Ausgang  einer  Kirchen  Versammlung,  deren  Zusammentritt  vom 
ganzen  Abendland  mit  den  gröfsten  Hoffnungen  begrüfst  worden  war,  die  ihre  Auf- 
gabe —  eine  allgemeine  Kirchenreformation  —  aber  nicht  zustande  gebracht  hatte. 
So  grofs  ihr  eigenes  Verschulden  daran  war,  die  Hauptursache  des  Scheiterns  des 
Konzils  lag  doch  in  dem  Mangel  einer  starken  einheitlichen  Reichsgewalt  War  das 
Königtum  grofsenteils  durch  seine  aufserdeutschen  Interessen  in  Anspruch  genommen, 
so  verfolgten  die  Fürsten  ihre  Sonderinteressen,  und  die  Städte  zeigten  sich  grofsenteils 
apathisch :  gleichwohl  blieb  in  den  breiten  Schichten  des  Volkes  die  antipäpstliche 
Opposition  lebendig  wie  früher.  In  den  gebildeten  Kreisen  waren  es  meist  die  Lehrer 
an  den  Hochschulen,  die  den  konziliaren  Ideen  treu  blieben.  Es  war  nach  den  Worten 
Enea  Silvio's  ein  Waffenstillstand  —  kein  Friede  erreicht  worden.  Den  Hauptgewinn 
aus  dem  langen  Streite  zog  das  Fürstentum,  auf  das  nun  zahlreiche  Rechte,  die  früher 
die  Kirche  besessen  hatte,  übertragen  wurden. 


Loserth,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  34 


2.  Abschnitt. 

Die  übrige  Staatenwelt   des  Abend-   und   Morgen- 
landes im  Zeitalter  der  grofsen  Konzilien. 

1.   Kapitel. 

Der  hundertjährige  Krieg  zwischen  England  und  Frankreich. 

(Zweiter  Teil.) 
§  1*23.    Richard  II.  von  England.    Der  Bauernaufstand  von  1381. 

Quellen  s.  oben  §  91.  TJrkundensaininlungen,  Korresp.  u.  pol.  Traktate  in 
Rymer,  Bd.  III,  3.  ed.  stud.  G.  Holinii,  Hagae  Com.  1740  (v.  1346—1401).  Blif  s,  wie  §  78. 

In  Betracht  kommen  hier  die  Petitions  to  the  Pope  1342—1419.  1.  vol.  Morris, 
Calendar  of  the  Patent  Rolls,  Richard  II,  1377—92.  4  Bde.  Lond.  1895—1902.  AVilkins,  m., 
wie  oben.  Rotuli  parliamentorum  (Rolls  of  Parliaments)  III.  Raynald  u.  Deutsche  Reichs- 
tagsakten, wie  oben.  S.  auch  Liebermann,  DZG.  III,  IV,  VIII,  Pauli  IV,  734.  Für 
Irland:  Roll  of  the  proeeedings  of  the  kings  Council  in  Ireland  .  .  .  1392 — 93,  ed. 
Graves,  Rolls  Ser.  69.  Lit.  Cantuar.  Rolls  Ser.  85.  tom  III.  Für  die  sozialen  Verhält- 
nisse Englands  in  der  Zeit  des  Bauernaufstandes  findet  sich  Material  in  den  bäuer- 
lichen Dichtungen,  die  zum  Teil  allerdings  schon  einer  früheren  Zeit  angehören.  Für 
che  Zeit  Eduards  HL  bis  Richard  III :  Political  poerns  and  songs  relating  to  English 
history  froni  the  accession  of  Edward  III  to  that  of  Richard  DU,  ed.  Thomas  Wright. 
Rolls  Series  2  vol.  Lond.  1859 — 61.  (Grofs  Bibl.  So.  2756.  William  Langland,  The  vision 
of  William  concerning  Piers  the  Plowman  Gesicht  Peters  des  Pflügers  ,  ed.  W.W.  Skeat. 
2  voll.  Oxford  1886  s.  Ernst  Günther,  Englisches  Leben  im  14.  Jahrh.,  dargestellt 
nach  The  vision  of  Piers  the  Plowman.  Leipz.  1889.  Jusserand,  Les  Anglais  au 
Moyen-Age,  l'Epopee  Mystique  de  William  Langland.  Paris  1893  .  S.  Grofs  a.  a.  O.,  S.471. 
Einzelnes  auch  in  den  Gedichten  Chaucers  u.  Gowers  s.  ebenda  S.  470 — 71),  dagegen 
findet  sich  fast  nicht  ein  Satz  bei  Wiclif,  der  hieher  gezählt  zu  werden  verdiente,  Mas 
bei  dem  Umstand,  als  man  ihn  so  oft  u.  lange  für  die  Revolution  von  1381  verant- 
wortlich gemacht  hat,  gewifs  bezeichnend  ist.  Von  eigentlichen  Geschichtschreibern 
sind    die    bedeutendsten    die    Annales   Ricard!    seeundi    et   Henrici  IV    regum  Angliae 

1392 — 1402  ,  ed.  Riley.  Rolls  Series  1866.  Voll  Sympathien  mit  dem  Hause  Lancaster. 
Thomas  Walsingham,  das  Chronicon  Angliae,  das  Eulogium  Historiarum,  Knighton, 
wie  oben  §  91.  Auch  Walsingham  u.  Knighton  stehen  ganz  auf  dem  Standpunkt  des 
Hauses  Lancaster.  Für  den  Aufstand  von  1381  von  bes  Wert:  Anominalle  cronicle 
belonginge  to  the  abbey  of  St.  Maries  in  Yorke,  ed.  G.  M.  Trevelyan.  EHR.  XHI.  Lond.  1898 

An  aecount  of  the  rising  of  1381,  written  in  French  in  north  England.  Historia  vitae 
et  regni  Ricarcü  II  (1377 — 1402  a  monacho  quodam  de  Evesham  consignata,  ed.  Thom. 
Hearne.  Oxford  1729.  Von  1390  an  selbständig.  Gegen  Richard  II  feindselig.  Le  Bean, 
Chronique  de  Richard  II  1377 — 99;,  ed.  Buehon,  Collection  des  Chroniqu.es  FrancaisesXXIV. 
Paris  1826.  Otterbourne,  Chronica  regum  Angliae  bis  1420,  ed.  Hearne.  Oxford  1732. 
Chronicon  Adae  de  Usk  1377—1404,  ed.  Thompson.  Lond.  1876.  Wichtig  für  1397-1399 
Chronique  du  religieux  de  Saint  Denys  1380 — 1422,  ed.  Bellaguet.  Paris  1839 — 52. 
Wichtig  für  die  Beziehungen  Englands  zu  Frankreich.  Creton,  Poeme  sur  la  deposition 
de  Richard  II,  ed.  Buehon,  Collect.,  wie  oben  XXIV.  Chronique  de  la  trai'son  et  mort 
de  Richard  II  (1397—1400;,  ed.  Williams.- Lond.  1846.  Steht  auf  Richards  Seite.  Froissart, 
Chroniques,  ed.  S.  Luce  et  G.  Raynaud  Paris  1869 — 97  s.  zu  Froissart  Pauli  IV,  731;. 
Capgrave,  The  Chronicle  of  England,  ed.  Hingeston.    Rolls  Ser.  1858. 


England  unter  Richard  II.  531 

Hilfsschriften:  (Die  Lit.  bis  zum  Jahre  1870  in  Höfler,  Anna  von  Luxem- 
burg Denkschr.  d.  W.  Ak.  XX,  1871.)  Pauli,  Gesch.  Englands  IV.  Green,  Gesch. 
d.  engl.  Volkes  I.  Wal  Ion,  Richard  IL  2  Bde.  Paris  1864.  Taswell-Langmead, 
The  reign  of  Richard  II.  Oxf.  1866.  Ziepel,  The  reign  of  Richard  II  and  comments 
upon  an  alliterative  poem  on  the  deposition  of  that  monarch.  Berl.  1874.  Trevelyan, 
England  in  the  age  of  Wycüffe.  London  1899.  (Dazu  das  Werk :  Trevelyan  and 
Powell,  The  peasants'rising  and  the  Lollards.  Lond.  1899.)  Bergen  rot  h,  Der  Volks- 
aufstand in  England  im  Jahre  1381.  HZ.  II,  51 — 86.  Hol  ton,  Richard  the  Redeless. 
RHSoc.  NS.  X.  1896.  Petit-D  utai  11  is,  Les  predications  populaires,  les  Lollards 
et  le  soulevement  de  travailleurs  anglais  en  1381.  Etudes  d'Hist.  du  Moyen-Age,  dediees 
ä  Gabriel  Monod.  Paris  1896.  Powell,  The  rising  in  East  Anglia  in  1381.  Cambr.  1896. 
Am  wichtigsten  ist:  Reville,  Le  soulevement  de  travailleurs  d'Angleterre  en  1381: 
Etudes  et  documents  publies  etc.  par  Petit-D utaillis.  Soc.  de  l'Ecole  des  Chartes. 
Mein,  et  Doc.  IL  Paris  1898.  Kriehn,  Studies  in  the  sources  of  the  social  revolt 
in  1381.  Amer.  Hist.  Rev.  VII,  3.  April.  Petrushevsky,  Vozstanie  Uota  Tailera 
War.  Tylers  Aufstand).  Moskau  1901.  Walker,  Die  Kirchenpolitik  unter  Richard  IL 
Diss.  1898.  Strickland,  Miss,  Lives  of  the  queens  of  England  I.  Wylie,  History 
of  England  under  Henry  IV.  4  voll.  Lond.  1884 — 98  (s.  unter  Heinrich  IV.  und  V.). 
Stubbs,  Gneist,  Lee  hier  u.  Bnddensieg,  wie  oben.  Für  Einzelheiten  s.  auch 
Liebermann  in  d.  DZG.  VIII,  150. 

1.  Der  äufsere  Glanz  bei  der  Krönung  Richards  IL  (1377,  17.  Juli) 
verhüllte  nur  schlecht  die  gefahrvolle  Lage  des  durch  den  Krieg  gegen 
Frankreich  aufs  tiefste  zerrütteten  Reiches,  das  nun  den  Kampf  wieder 
aufnehmen  sollte.  Noch  gröfsere  Gefahren  türmten  sich  im  Innern  auf.  Auf 
einem  der  drei  Oheime  des  Königs  ruhte  der  Verdacht,  selbst  nach  der 
Krone  zu  streben.  Es  war  Johann  von  Gaunt,  der  drittgeborene  Sohn 
Eduards  III. ,  durch  seine  erste  Gemahlin  Herzog  von  Lancaster  und 
und  Erbe  des  Hauses  Leicester,  durch  die  zweite  Schwiegersohn  König 
Pedros  von  Kastilien.  An  staatsmännischer  Begabung,  militärischer  Er- 
fahrung, Reichtum  und  persönlichem  Ansehen  überragte  er  seine  jün- 
geren Brüder  Edmund  und  Thomas.  Sie  alle  waren  Königssöhne,  was 
der  junge  König  nicht  war.  Von  den  übrigen  Verwandten  konnte  die 
Nachkommenschaft  Edmunds  von  March  im  Falle  von  Richards  kinder- 
losem Tode  ein  näheres  Recht  auf  die  Krone  beanspruchen  als  Johann 
von  Gaunt,  da  sie  von  Lionel  von  Clarence,  dem  zweiten  Sohne  Eduards  III., 
abstammte.  Dem  Ehrgeiz  dieser  Prinzen  gegenüber  die  Unabhängigkeit 
der  Krone  zu  bewahren,  hätte  es  für  ihren  Träger  gereifter  Erfahrung 
bedurft.  Zu  diesen  Schwierigkeiten  kam  noch  das  Streben  der  Stände  nach 
Erweiterung  ihrer  Rechte,  die  kirchliche  um  Wiclifs  Fahnen  gescharte 
Opposition  hinzu  und  der  Sturm,  der  von  den  untersten  Volksschichten 
im  Anzüge  war.  Die  Franzosen  eroberten  die  letzten  festen  Plätze  um 
Bordeaux  und  Bayonne,  und  unternahmen  Verwüstungszüge  auf  eng- 
lisches Gebiet.  Wohl  bewilligte  das  Parlament  die  nötigen  Mittel  zur 
Verteidigung  Englands  und  setzte  eine  aus  17  Mitgliedern  bestehende 
Regentschaft  ein,  von  denen  acht  von  den  Gemeinen  bestimmt  wurden. 
Zwei  Bürger  erhielten  die  Aufsicht  über  die  Verwendung  der  bewilligten 
Mittel.  Kaum  war  aber  das  Parlament  entlassen,  so  gewann  Lancaster 
den  Einnufs  zurück,  den  ihm  das  »gute«  Parlament  aus  den  Händen 
gewunden.  Unter  seinem  Schutze  entfaltete  Wiclif  seine  Pläne,  die  auf 
nichts  Geringeres  als  auf  die  Säkularisierung  des  englischen  Kirchengutes 

34* 


532  Der  grofse  Bauernauf. stand  von  1381. 

abzielten  und  zuerst  den  Widerspruch  der  Kurie  und  das  Einschreiten 
gegen  ihn  wachriefen  (§  91).  Der  Ausbruch  des  Schismas  leistete  ihm 
grofsen  Vorschub.  Erst  der  grofse  Bauernaufstand  von  1381  schob  der 
weiteren  Ausbreitung  der  kirchlichen  Bewegung  einen  Riegel  vor;  denn 
nun  wurde  Wiclif  auch  für  die  soziale  Bewegung  verantwortlich  gemacht, 
wiewohl  ihr  Ursprung  viel  weiter  zurückreicht.  Schon  unter  Eduard  III. 
befanden  sich  die  niederen  Volksschichten  wiederholt  in  gefährlicher 
Erregung,  die  durch  die  fortwährenden  Kriege  und  den  damit  ver- 
bundenen harten  Steuerdruck,  durch  Epidemien,  Mifsernten  und  ver- 
schiedene Mifsgriffe  in  der  Verwaltung,  vor  allem  aber  durch  die  bei 
dem  Niedergang  der  Naturalwirtschaft1)  sich  von  Jahr  zu  Jahr  ver- 
schlechternde wirtschaftliche  Lage  des  niederen  Volkes,  stets  neue  Nahrung 
und  durch  die  Jacquerie  in  Frankreich  und  die  demagogische  Bewegung 
in  Flandern  Anregung  erhielt. 

Schon')  in  alter  Zeit  hatten  sich  freie  Bauern  gegen  bestimmte  Dienstleistungen 
in  den  Schutz  eines  Herrn  begeben.  Diese  —  die  Hofbauern  (villani)  der  normanni- 
schen Zeit  —  hatten  ihre  Freiheit  aufgegeben ;  an  die  Scholle  gebunden,  hatten  sie 
immerhin  ihren  Besitz  und  einen  Teil  ihrer  Eechte  bewahrt  und  standen  höher  als 
die  landlosen  Leute :  Knechte  und  Taglöhner.  Wohl  suchte  die  Gesetzgebung  des 
Hauses  Anjou,  sie  alle  zu  einer  einzigen  Klasse  von  Leibeigenen  zu  verschmelzen,  es 
gelang  aber  nicht.  Die  Dienstleistungen  beider  waren  auch  später  noch  verschieden: 
jene  hatten  dem  Herrn  zur  Zeit  der  Aussaat  und  Ernte  zu  helfen,  die  übrigen :  Häusler 
(Cottar),  Gesinde  (Bordar)  und  Taglöhner  (Labourer)  das  ganze  Jahr  hindurch  auf 
dem  Herrenhofe  zu  arbeiten.  Die  Dienstleistungen  aller  waren  in  der  Gerichtsrolle 
des  Hofes  eingetragen,  von  der  der  Hofbauer  (daher  CopyhoJder)  eine  Abschrift  behielt. 
Als  die  Herren  es  bequemer  fanden,  das  Gut  gegen  einen  Zins  zu  verpachten,  ent- 
wickelte sich  der  Stand  der  Pächter  (Farmer *)),  eine  Mittelklasse  zwischen  Herrn  und 
gemeinem  Lehensmann.  Das  alte  Band  zwischen  Gutsherrn  und  Untertanen  wurde 
zerrissen.  Indem  schliefslich  noch  die  verschiedenen  Fronden  durch  Geld  abgelöst 
und  an  Leibeigene  die  Freiheit  verkauft  wurde,  wurden  diese  von  ihrer  Zugehörigkeit 
vom  Boden  gelöst  und  waren  freie  Arbeiter.  So  war  die  Lage  des  englischen  Guts- 
herren in  der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  von  der  von  heute  wenig  verschieden  ; 
denn  er  hatte  sein  Land  an  Pächter  für  Geld  vermietet,  und  diese  waren  für  die  Be- 
stellung des  Bodens  auf  gemietete  Arbeiter  angewiesen.  Dies  Verhältnis  änderte  sich 
fast  mit  einem  Schlage.  Die  grofse  Seuche  von  1348  raffte  einen  grofsen  Teil  der 
Bevölkerung  Englands  hinweg.  Ein  allgemeiner  Arbeitermangel  trat  ein ;  die  Löhne 
stiegen  ins  I'ngemessene,  damit  auch  die  Preise  der  Lebensmittel.  Dabei  wurde  das 
Land  von  Scharen  landloser  Leute  heimgesucht,  die  unter  dem  Yorwand,  Arbeit  zu 
rinden,  umherzogen.  Parlament  und  Krone  schritten  endlich  ein :  Das  Statute  of 
Labourers  von  1350  setzte  die  Arbeitslöhne  auf  die  alte  Höhe  von  1347,  was  freilich 
der  Preissteigerung  der  Lebensmittel  nicht  entsprach.  Und  doch  ging  die  reaktionäre 
Strömung  noch  weiter:  sie  suchte  den  Arbeiter  wieder  an  die  Scholle  zu  fesseln;  es 
wurde  ihm  untersagt,  seinen  Wohnort  zu  verlassen,  um  anderswo  Arbeit  zu  finden. 
Das  Beherbergen  leibeigener  Leute  in  den  Städten  wurde  strenge  gestraft.  Das  Werk 
der  Emanzipation  wurde  nicht  nur  gehemmt,  sondern  auch  ältere  Freilassungen  und 
Befreiungen  von  Lasten  wegen  angeblicher  Formfehler  zurückgenommen. 

2.  Die  Mafsregeln  gegen  die  unteren  Volksschichten  riefen  in  Stadt 
und  Land  eine  Gärung  hervor :  dort  kam  es  zu  Arbeitseinstellungen  und 

l)  Ausführlicheres    hierüber    wird    ein    anderer  Teil    des    Handbuches    enthalten. 
S.  vorläufig  die  Ausführungen  in  Greens  Gesch.  des  engl.  Volkes  I,  291 — 303. 
s)  Das  Folgende  nach  Green,  S.  292  ff. 
3)  Feorm  vom  lat.  Firma. 


Ziele  der  Rewegting.     Mutige  Haltung  des  Königs.  533 

und  geheimen  Verbindungen,  hier  zu  Zusammenrottungen  flüchtiger 
Leibeigener ,  die  nicht  selten  an  den  Bauern  Verbündete  fanden,  da 
auch  diese  sich  durch  die  Reaktion  bedroht  sahen,  indem  ihre  Befreiung 
von  Fronden  in  Frage  gestellt  wurde.  Die  allgemeine  Erbitterung 
wurde  von  Bauernführern  und  fanatischen  Priestern,  wie  John  Ball, 
genährt,  der  schon  seit  langer  Zeit  seine  Lehren  von  allgemeiner  Gleich- 
heit und  Gütergemeinschaft  predigte.  In  den  volkstümlichen  Reimen : 
>  Als  Adam  grub  und  Eva  spann  —  wer  war  da  der  Edelmann«  erkennt 
man  das  Programm  der  Demagogen.  Das  allgemeine  Elend  wurde  durch 
den  unglücklich  geführten  Krieg  noch  vermehrt;  denn  die  vom  Parla- 
ment bewilligte  Kopfsteuer  belastete  auch  solche,  die  bisher  von  Abgaben 
frei  waren,  wie  Taglöhner,  Schmiede  und  Ziegelbrenner.  Die  Erpres- 
sungen brachten  das  Volk  in  Aufruhr.  Wie  ein  Lauffeuer  breitete  er 
sich  über  das  Land  aus.  In  Kent,  wo  ein  Tyler  (Ziegelbrenner)  einen 
Steuereinnehmer  wegen  Beschimpfung  seiner  Tochter  erschlagen  hatte, 
kam  es  zuerst  zu  Tätlichkeiten.  Die  Aufständischen  rückten  in  Canter- 
bury  ein,  plünderten  den  Palast  des  Erzbischofs  und  befreiten  John  Ball, 
der  dort  gefangen  lag.  Schon  hatten  sich  die  Bauern  in  den  östlichen 
Grafschaften  erhoben ;  von  hier  aus  drang  der  Aufstand  im  Norden  vor : 
die  Besitzungen  der  Edelleute  wurden  geplündert,  die  Besitzurkunden 
der  Edelhöfe  vernichtet,  Beamte  und  Richter  getötet.  Alle  schwuren 
den  Treueid  für  Richard  IL  und  die  Gemeinen.  Nie  solle  Lancaster1) 
über  sie  herrschen.  Sehr  mutvoll  benahm  sich  der  jugendliche  König. 
An  die  60000  Bauern,  geführt  von  Walter  dem  Ziegler  (Tyler),  John 
Ball  und  Jakob  Straw,  bemächtigten  sich  der  Hauptstadt,  plünderten 
Lancasters  Palast,  nahmen  den  Tower  und  töteten  den  Erzbischof  Simon 
Sudbury,  dessen  Haupt  auf  dem  Londoner  Brückenturm  festgenagelt 
wurde.  Allmählich  ermannten  sich  die  besitzenden  Klassen.  Als 
Richard  IL,  der  nach  dem  Westminster  geritten  war,  um  dort  seine 
Andacht  zu  verrichten,  zurückkehrte,  stiefs  er  auf  Tyler,  der  auf  ihn 
zuritt,  mit  seinem  Messer  spielend,  drohenden  Tones  Forderungen  stellte 
und  Hand  an  den  königlichen  Zügel  legte.  Da  trat  der  Lord-Mayor 
von  London  dazwischen  und  stach  Wat  Tyler  nieder.  Laut  aufschreiend 
verlangte  die  Menge  nach  Rache.  Da  sprengte  der  König  vor  und  be- 
ruhigte sie :  die  Leibeigenschaft  solle  abgeschafft,  freier  Marktverkehr 
und  feste  Landpacht  statt  der  Fronden  gestattet  werden.  Das  Zaudern 
der  Massen  gab  dem  Mayor  von  London  Zeit,  die  Bürger  unter  die 
Waffen  zu  rufen.  Die  Aufständischen  wurden  von  Sir  Robert  Knowles 
zu  Paaren  getrieben.  Auch  in  den  übrigen  Landschaften  wurde,  freilich 
nicht  ohne  Anwendung  grausamer  Mittel,  die  Ruhe  wieder  hergestellt. 
Es  zeugt  von  des  Königs  hoher  Gesinnung,  dafs  er  selbst  sich  weigerte, 
den  Aufstand  im  Blute  der  Meuterer  zu  ersticken ;  er  war  auch  geneigt, 
die  den  Aufständischen  gemachten  Zusagen  einzuhalten.  Wohl  hatte  er 
die  ihnen  gegebenen  Freiheitsbriefe  auf  das  Drängen  seiner  Räte  zurück- 
gezogen:   als   sich   aber   das  Parlament    am  5.  November  1381  in  West- 


J)  Der  Schützer  Wiclifs. 


534  Die  Selbstregierung  Richards  II. 

minster  versammelt  hatte,  erklärte  er,  falls  das  Parlament  die  Hörigen 
freilassen  wolle,  werde  er  anf  diese  Bitte  eingehen.  Das  Reich  stand 
vor  einer  grofsen  Entscheidung.  Das  Parlament  sprach  sich  aber  gegen 
die  Wünsche  des  Königs  aus ,  nicht  blofs  die  Lords,  sondern  auch  die 
Gemeinen:  Niemals  würden  sie  in  die  Befreiung  der  Hörigen  einwilligen. 
Alle  den  Aufständischen  gemachten  Zusagen  wurden  zurückgenommen. 
Ja  man  ging  noch  viel  weiter :  es  wurde  den  Kindern  der  Leibeigenen 
der  Besuch  der  Schulen  untersagt  und  zugleich  gegen  die  Lollarden 
eingeschritten.  Man  verfolgte  sie  nicht  so  sehr  aus  kirchlichen  als  aus 
politischen  Motiven:  man  sah  in  den  jüngsten  Ereignissen  die  Frucht 
ihrer  Opposition  gegen  Lehren  und  Einrichtungen  der  Kirche,  das  Er- 
gebnis des  Wirkens  der  von  Wiclif  ausgesandten  Reiseprediger.  Da 
wurde  er  selbst  in  den  Prozels  hineingezogen.  Seine  Stellung  im  Lande 
war  aber  immerhin  noch  eine  so  angesehene,  dafs  er  bis  an  sein  Lebens- 
ende (1384)  auf  seiner  Pfarre  Lutter worth  in  reformatorischem  Sinne 
wirken  durfte  und  die  entscheidenden  Schläge  gegen  den  Wiclifismus 
erst  fielen,  als  eine  neue  Dynastie  an  der  Regierung  war. 

§  124.    Die  Selbstregierung  Richards  II.    Seine  absolutistischen 

Tendenzen  und  sein  Sturz. 

1.  Richard  II.  war  erst  13  Jahre  alt,  als  ihm  der  Bauernaufstand 
Gelegenheit  gab,  zum  erstenmal  selbständig  aufzutreten.  Ein  zartge- 
wachsener Jüngling  von  mittlerem  Wüchse,  blondem  Haar,  rundem,  fast 
mädchenhaftem  Gesicht,  prachtliebend  und  selbstbewufst,  im  Besitz  von 
Eigenschaften,  die  nur  recht  geleitet  werden  durften,  um  wohltätig  zu 
wirken,  hatte  er  eben  noch  hohen  Mut  und  seltene  Geistesgegenwart 
bewiesen.  Seine  Vermählung  mit  Anna  von  Luxemburg,  der  Schwester 
König  Wenzels,  hing  mit  dem  Wechsel  in  der  politischen  Gruppierung 
der  Mächte  zusammen  (s.  oben).  Das  Schutz-  und  Trutzbündnis  mit 
Wenzel  hatte  für  den  Krieg  gegen  Frankreich  allerdings  keine  Be- 
deutung. Ein  Versuch  des  Prinzen  Edmund,  der  sich  wie  sein  Bruder 
Johann  von  Lancaster  mit  einer  Tochter  Pedros  von  Kastilien  vermählt 
hatte,  im  Bunde  mit  Portugal  Lancasters  Ansprüchen  auf  Kastilien  zur 
Anerkennung  zu  verhelfen,  blieb  ohne  den  gehofften  Erfolg.  Schwer 
wurde  England  getroffen,  als  die  demokratischen  Parteien  in  Flandern, 
die  Anschlufs  an  England  suchten,  unter  Philipp  von  Artevelde  dem 
Angriff  der  französischen  Ritterschaft  erlagen  (1382,  s.  unten)  und 
ein  Feldzug,  den  der  Bischof  von  Norwich  (1383)  wider  die  zum  Gegen- 
papst haltenden  Städte  Flanderns  unternahm,  ein  ruhmloses  Ende 
fand.  Die  englische  Reformpartei  begleitete  diesen  Ausgang  mit  ätzen- 
dem Hohne.  Auch  gegen  Schottland  wurden  keine  Erfolge  errungen. 
Allmählich  traten  die  schlimmen  Eigenschaften  Richards  IL,  sein  Eigen- 
sinn und  sein  Hang,  fremden  Einflüssen  nachzugeben,  hervor.  Zum 
Kummer  Lancasters,  gegen  den  er  von  tiefem  Mifstrauen  erfüllt  war,  und 
zum  Verdrufs  des  Parlaments  begünstigte  er  zwei  Männer,  die  mit  dem 
englischen  Herrenhaus    keine  Verbindung  hatten,  Robert   de   Vere    und 


Robert  de  Vere  und  Michael  de  la  Pole.     Thomas  von  Glocester.  535 

den  Kanzler  Michael  de  la  Pole,  von  denen  er  jenen  zum  Marquis  von 
Dublin  und  bald  nachher  zum  Herzog  von  Irland,  diesen  zum  Grafen 
von  Suffolk  erhob.  Den  Verdächtigungen  zu  entgehen,  zog  Lancaster 
mit  englischen  Streitkräften,  die  besser  auf  die  Verteidigung  Englands 
verwendet  worden  wären,  unterstützt  von  Urban  VI.,  was  seinem  Unter- 
nehmen den  Charakter  eines  Kreuzzuges  gab,  nach  Spanien  ;  aber  der 
Angriff  auf  Kastilien  mifslang,  da  seuchenartige  Krankheiten  sein  Heer 
aufrieben  (1387).  Lancaster  liefs  sich  zwei  Jahre  später  zu  einem 
Vergleich  mit  dem  Hause  Trastamara  bereit  finden,  der  ihm  reiche 
finanzielle  Entschädigung  bot. 

2.  Inzwischen  hatten  die  Beziehungen  zwischen  Königtum  und 
Parlament  eine  ernste  Wendung  genommen.  Während  England  (1386) 
von  einer  Landung  der  Franzosen  bedroht  war,  die  mehr  durch  Wetter- 
stürme als  die  Kraft  der  englischen  Gegenwehr  abgewandt  wurde, 
brachte  die  schlechte  Kriegsführung,  das  Sparen  an  unrechtem 
Orte,  wodurch  Gent  den  Franzosen  preisgegeben  wurde ,  die  Ver- 
schwendung des  Hofes  und  endlich  des  Königs  Absicht,  sich  der  Ab- 
hängigkeit vom  Parlament  zu  entziehen,  eine  starke  Opposition 
hervor,  die  die  Entlassung  des  Kanzlers  begehrte.  Wohl  drohte 
Richard,  sich  mit  Frankreich  auszusöhnen  und  mit  dessen  Hilfe  die 
monarchische  Gewalt  in  England  auf  festere  Grundlagen  zu  stellen, 
sah  sich  aber  im  Angesicht  der  finanziellen  Not  und  der  Haltung  seiner 
Verwandten  genötigt,  dem  Parlament,  das  ihn  an  Eduard  IL  mahnte, 
nachzugeben  und  Kanzler  und  Schatzmeister  zu  opfern  (1386).  Ein 
Regierungsausschufs  von  elf  Personen  wurde  auf  die  Dauer  eines  Jahres 
bestellt.  Fast  alle  Mitglieder  waren  Gegner  des  Königs,  ihr  Haupt 
dessen  Oheim,  Herzog  Thomas  von  Glocester.  Sie  hatten  alle  seit 
dem  Tode  Eduards  III.  erflossenen  Regierungsmafsregeln  einer  Prüf- 
ung zu  unterziehen  und  je  nach  dem  Sachverhalt  zu  kassieren,  Mifs- 
bräuche  in  der  Verwaltung  abzustellen  und  für  den  Fall  eines 
Widerstandes  die  Erhebung  der  Steuern  zu  untersagen.  Die  ganze 
Macht  lag  in  den  Händen  Glocesters.  Kaum  war  das  Parlament  ent- 
lassen, so  suchte  sich  Richard  aus  seiner  abhängigen  Stellung  zu  be- 
freien. Sein  Eifer  wurde  durch  den  Grafen  Suffolk,  den  er  der  Haft 
entlassen,  und  den  Herzog  von  Irland  angestachelt;  er  selbst  suchte  den 
Landadel  und  die  Bürger  für  sich  zu  gewinnen.  Nachdem  eine  Anzahl 
von  Richtern  die  Frage  des  Königs,  ob  das  Statut,  nach  welchem  der 
Regierungsausschufs  eingesetzt  war,  ein  rechtmäfsiges  sei,  verneint  hatte, 
ging  er  daran,  die  Vorrechte  der  Krone,  d.  h.  die  absulute  Königsmacht 
herzustellen.  Der  Plan  wurde  indes  verraten.  Beim  Herannahen  der 
Kriegsscharen  Glocesters  entfiel  den  Bürgern  von  London  der  Mut. 
Suffolk  entfloh  nach  Frankreich,  und  auch  die  wallisischen  Streitkräfte, 
die  der  Herzog  von  Irland  gesammelt  hatte,  stoben  auseinander.  Schon 
jetzt  dachte  Glocester  an  die  Absetzung  seines  Neffen,  nur  der  Wider- 
spruch der  Grafen  von  Derby  und  Nottingham  rettete  diesen.  Doch 
harrte  der  Schuldigen  ein  schreckliches  Strafgericht.  Das  Parlament  — 
es  tagte  vom  3.  Februar  bis  zum  Juni  1388    und    heilst   mit  Recht  das 


536  Das  unbarmherzige  Parlament.     Yerantwortlichkeitsprinzip. 

unbarmherzige,  denn  es  übte  keine  Gnade  —  konstituierte  sich  als 
oberster  Gerichtshof.  Die  fünf  Hauptschuldigen,  mit  Ausnahme  des 
Erzbischofs  von  York,  wurden  verurteilt,  zu  Tode  geschleift  und  aufge- 
hängt zu  werden,  und  an  zweien,  die  in  die  Hände  der  Barone  gefallen, 
dem  Oberrichter  Tresilian  und  dem  Ritter  Brambre,  das  Urteil  voll- 
zogen. Die  andern,  der  Erzbischof,  Robert  de  Vere  und  Graf  Suffolk, 
starben  in  der  Fremde.  Von  den  Richtern,  auf  deren  Ausspruch 
Richard  gehandelt  hatte,  wurden  zwei  enthauptet,  die  übrigen  auf  Für- 
sprache der  Bischöfe  nach  Irland  verbannt.  Die  gleiche  Strafe  traf  den 
Beichtvater  Richards,  den  Bischof  von  Chichester.  Dagegen  fielen  noch 
die  Häupter  einiger  Ritter ;  unter  ihnen  war  Burley,  der  schon  Eduard  III. 
gedient  und  König  Richard  erzogen  hatte.  Vergebens  bat  dieser 
und  bat  die  Königin  Glocester  um  Gnade  für  den  alten  Mann.  Wolle 
Richard  König  bleiben,  lautete  die  Antwort,  so  müsse  Burley  sterben. 
Solchergestalt  wurde  das  Prinzip,  die  Räte  der  Krone  für  die  Exe- 
kutive verantwortlich  zu  machen,  in  die  Verfassung  Englands  eingeführt. 
Mittlerweile  ging  der  Krieg  gegen  Frankreich  und  Schottland  weiter. 
Während  dieser  Kämpfe  fiel  auf  sehen  der  Schotten  der  tapfere  Graf 
Jakob  von  Douglas,  hingegen  wurde  Heinrich  Percy,  genannt  der  Heifs- 
sporn,  von  diesen  gefangen. 

3.  Richard  trug  seine  Abhängigkeit  von  Glocester  schwer;  im 
übrigen  verstand  es  dieser  nicht,  sich  Sympathien  zu  schaffen,  denn  als 
der  König  im  Mai  1389  —  er  war  nun  22  Jahre  alt  —  seinen  Räten 
erklärte,  die  Regierung  selbst  in  die  Hände  zu  nehmen,  fand  er  keinen 
Widerspruch.  Er  nahm  dem  Erzbischof  von  York,  Thomas  von  Arundel, 
das  Staatssiegel  ab  und  gab  es  an  William  Wykeham.  In  einer  Prokla- 
mation verhiefs  er,  die  vom  Parlament  getroffenen  Verordnungen  auf- 
recht zu  erhalten.  Klugerweise  hütete  er  sich,  Glocester  aus  seinem 
Rate  zu  entfernen.  Die  schweren  Erfahrungen  hatten  ihres  Eindrucks 
auf  ihn  nicht  verfehlt;  er  drückte  sein  Rachegefühl  nieder  und  be- 
gnügte sich  damit,  die  Leiden  der  Verbannten  zu  mildern.  Um  freiere 
Hand  zu  gewinnen,  schlofs  er  mit  Frankreich  und  Schottland  einen 
Waffenstillstand,  der  dem  Lande  die  ersehnte  Ruhe  gab.  Einen  Streit 
mit  der  Kurie  beendete  er  erfolgreich,  da  diese  ihren  Anspruch,  Aus- 
länder auf  englische  Pfründen  zu  setzen,  nicht  aufrecht  zu  erhalten  ver- 
mochte. Ein  Feldzug  gegen  Irland  hatte  den  Zweck,  die  Insel  fester 
an  das  Mutterland  zu  ketten :  nicht  weniger  als  75  Häuptlinge  leisteten 
die  Huldigung.  Indem  er  nach  dem  Tode  seiner  Gemahlin  (1394)  um 
die  Hand  Isabellas,  der  achtjährigen  Tochter  Karls  VI.  von  Frankreich 
warb,  durfte  er  hoffen,  zu  einem  dauernden  Frieden  mit  Frankreich  zu 
gelangen.  Da  Glocester,  ein  Gegner  des  französischen  Bündnisses,  ver- 
dächtigt wurde,  geheime  Verabredungen  über  die  Entthronung  des  Königs 
getroffen  zu  haben,  schlofs  dieser  sich  an  seine  älteren  Oheime  Lancaster 
und  York  an,  erhob  Lancaster  zum  Herzog  von  Aquitanien  und  legiti- 
mierte seine  Verbindung  mit  Katharina  Swinford.  Yorks  Sohn  Rutland 
war  sein  Vertrauter.  Richards  Stellung  wurde  in  der  nächsten  Zeit  eine 
so  starke,  dafs  Gerüchte  im  Umlauf  waren,  er  würde  an  Stelle  Wenzels 


Sturz  Glocesters.     Absolutistische  Richtung  Richards.  537 

römischer  König  werden.     Jetzt  hielt  er  sich  auch  stark  genug,   für  die 
Katastrophe  von  1388  Rache  zu  nehmen. 

4.  Nachdem  er  den  Waffenstillstand  mit  Frankreich  auf  28  Jahre 
verlängert  hatte,  ging  er  an  die  Durchführung  seiner  Pläne.  Glocester 
und  die  Grafen  Arundel  und  Warwick  wurden  als  Hochverräter  ver- 
haftet; ein  Parlament,  in  welchem  die  Anhänger  des  Königs  die  Mehr- 
heit besafsen,  erklärte  den  Regentschaftsrat  für  gesetzwidrig  und  dessen 
Urheber  als  Hochverräter.  Graf  Arundel  starb  auf  dem  Schaffot, 
Glocester  im  Gefängnis  zu  Calais,  eben  als  er  zum  Verhör  nach  West- 
minster  geführt  werden  sollte.  Der  Verdacht  lag  nahe,  dafs  der  König 
aus  Scheu,  ihn  vor  das  Parlament  zu  stellen,  seine  Ermordung  befohlen 
habe.  Im  übrigen  wurde  er  auch  nach  seinem  Tod  als  Verräter  ver- 
urteilt und  seine  Habe  eingezogen.  Der  Erzbischof  von  Canterbury, 
Arundels  Bruder,  und  andere  Grofse,  gingen  in  die  Verbannung.  Die 
Absichten  Richards  eine  absolute  Herrschaft  aufzurichten, 
traten  immer  deutlicher  hervor:  die  Beschlüsse  von  1388  wurden  als 
ungültig  erklärt  und  die  des  gegenwärtigen  Parlaments  gegen  künftige 
Umsturzversuche  sichergestellt.  Das  Parlament  bewilligte  ihm  eine 
Steuer  auf  Wolle  und  Leder  für  seine  Lebenszeit;  hiedurch  wurde  er 
der  Notwendigkeit  enthoben,  Parlamente  zu  berufen.  Für  alle  Fälle  liefs 
er  einen  Ausschufs  von  zwölf  Baronen  und  sechs  Gemeinen  mit  der 
Vollmacht  ausstatten,  auch  nach  Auflösung  des  Parlaments  die  Reichs- 
angelegenheiten zu  erledigen.  Die  Berufung  des  Parlaments  wurde  hie- 
durch überflüssig.  Jeder  Lehensträger  der  Krone  hatte  die  Gültigkeit 
aller  Handlungen  dieses  Ausschusses  eidlich  anzuerkennen.  Die  Bufs- 
gelder  der  Anhänger  Glocesters  verstärkten  seine  finanziellen  Mittel.  In- 
zwischen hatte  Richards  Verhalten  das  Zutrauen  seiner  Untertanen  voll- 
kommen erschüttert:  den  Adel  hatte  er  durch  seine  Friedenspolitik  und 
seine  Stellungnahme  im  Bauernaufstand,  die  Bürger  durch  seine  Er- 
pressungen, den  Klerus  durch  seine  laue  Haltung  gegen  die  Lollarden 
verletzt.  Aber  erst  sein  durch  Eifersucht  hervorgerufenes  Vorgehen 
gegen  Heinrich,  Herzog  von  Herford,  den  Sohn  Lancasters,  rief  dessen 
Gegnerschaft  hervor,  die  dem  König  Krone  und  Leben  kostete.  Einen 
Streit  zwischen  Heinrich  von  Herford  und  dem  Herzog  von  Norfolk  be- 
nützend, verbannte  er  beide  aus  seinem  Reiche.  Johann  von  Lancaster 
starb  aus  Kummer  über  die  Verbannung  seines  einzigen  Sohnes;  dem 
Erben  untersagte  Richard  trotz  früherer  Zusagen,  die  Hinterlassenschaft 
anzutreten,  und  bemächtigte  sich  selbst  der  Güter  des  Verstorbenen. 
Eben  war  Roger  Mortimer,  Graf  von  March,  der  präsumptive  Thron- 
folger Englands,  in  einer  Fehde  gefallen;  Richard  selbst  zog  ein  zweites 
Mal  nach  Irland,  um  die  Eroberung  der  Insel  zu  vollenden.  Die  Ab- 
wesenheit des  Königs  benützten  seine  Gegner.  Auf  Antrieb  des  Erz- 
bischofs Arundel  kehrte  Heinrich  zurück  und  landete  mit  einer  kleinen 
Schar  an  der  Küste  von  Yorkshire;  sofort  fielen  ihm  die  Grafen  von 
Northumberland  und  Westmoreland  zu;  bald  stand  er  an  der  Spitze  von 
30000  Bewaffneten.  Der  Herzog  von  York,  den  Richard  als  Stellver- 
treter in  England  gelassen,  trat  zu  ihm  über,  und    als    Richard,    dessen 


538  Erhebung  Heinrichs  von  Lancaster.     Gefangennahme,  Absetzung  und 

Abfahrt  aus  Irland  durch  widrige  Winde  verzögert  ward,  in  Wales 
landete,  war  sein  Königreich  schon  verloren.  Sein  Heer  zerstreute  sich, 
und  eine  zweite  Streitmacht,  die  der  Earl  von  Salisbury  zusammenge- 
bracht hatte,  löste  sich  ebenfalls  auf;  er  selbst  wurde  unter  dem  Vor- 
wand von  Unterhandlungen  aus  dem  festen  Conway  gelockt  und  ge- 
fangen genommen.  Beim  Zusammentreffen  mit  dem  König  deutete 
Lancaster  an,  er  wolle  ihm  nach  seiner  20jährigen  Mifsregierung  helfen, 
besser  zu  regieren;  aber  zweifellos  gingen  seine  Absichten  weiter.  Im 
Triumphe  hielt  Heinrich  in  London  Einzug.  Schon  tags  darauf  bezog 
Richard  den  Tower  (29.  September).  In  seinem  Namen  rief  Heinrich 
das  Parlament  zusammen.  Vor  der  Eröffnung  begehrte  eine  Deputation 
vom  König  Verzicht  auf  die  Krone.  Er  selbst  unterzeichnete  —  wohl 
kaum  freiwillig  und  »lächelnd«  —  das  Dokument  und  entband  alle 
Untertanen  des  Treueides.  Dafs  er  selbst  auf  Lancaster  als  auf  den 
künftigen  König  gewiesen,  ist  eine  Ausstreuung  der  Lancasterpartei. 
Durch  seinen  Verzicht  hoffte  er,  sein  Leben  zu  retten,  aber  die  einfache 
Verzichtleistung  genügte  dem  Parlament  nicht.  In  32  Klageartikeln 
wurden  Richards  Vergehen  zusammengestellt  und  seine  Absetzung  be- 
schlossen (30.  September).  Nach  den  Regeln  der  Erbfolge  hätte  die 
Krone  an  Edmund  Mortimer  fallen  müssen;  diese  strenge  Regel  war 
aber  in  England  in  Bezug  auf  die  Krone  niemals  anerkannt  worden.  So- 
fort nach  Richards  Absetzung  erhob  sich  Heinrich,  bekreuzigte  sich  und 
nahm  als  rechter  Nachkomme  König  Heinrichs  III.  das  Reich,  »das  auf 
dem  Punkte  war,  aus  Mangel  an  guter  Regierung  und  Mifsachtung  der 
Gesetze  zugrunde  zu  gehen«,  für  sich  in  Anspruch.  Das  Parlament 
stimmte  zu.  Von  dem  Ereignis  wurde  Richard  am  folgenden  Tag  ver- 
ständigt. Die  Hoffnung,  dafs  ihm  sein  Vetter  ein  gnädiger  Herr  sein 
werde,  erfüllte  sich  nicht.  So  lange  er  lebte,  war  er  für  diesen  eine 
beständige  Gefahr.  In  der  Tat  kam  es  schon  Mitte  Dezember  1399  zu 
einer  Verschwörung,  die  den  Zweck  verfolgte,  Richard  wieder  auf  den 
Thron  zu  heben;  durch  die  Unvorsichtigkeit  eines  Mitverschworenen 
verraten,  beschleunigte  sie  Richards  Ende.  Zu  lebenslänglicher 
Gefangenschaft  verurteilt,  wurde  er  nach  dem  Schlosse  Pomfret  ab- 
geführt. Gegen  Ende  Januar  1400  verbreitete  sich  die  Nachricht  von 
seinem  Tode. 

Über  die  Art  seines  Todes  konnten  schon  die  Zeitgenossen  nichts  Sicheres 
erfahren.  Die  meisten  drücken  sich  mit  Vorsicht  aus  x)  Nach  einem  Bericht  hätte  er 
aus  Kleinmut  oder  Verzweiflung  über  das  verunglückte  Unternehmen  seiner  Freunde 
sich  der  Nahrung  enthalten  und  sei  so  gestorben,  eine  Annahme,  die  die  meiste  "Wahr- 
scheinlichkeit hat.  Ein  anderer  meldet,  dafs  ihm  auf  Befehl  des  Königs  die  Nahrung 
entzogen  wurde ;  nach  einer  dritten  Version,  die  indes  schon  durch  die  Ähnlichkeit 
mit  den  Berichten  über  das  Ende  Thomas  von  Canterbury  etwas  verdächtig  ist,  wurde 
er  durch  den  Ritter  Pearce  Exton,  der  eine  Andeutung  des  Königs,  um  dessen  Dank 
zu  verdienen,  als  Befehl  nahm,  mit  der  Axt  erschlagen.  Sein  Leichnam  wurde  drei 
Tage  lang  in  der  Paulskirche  ausgestellt  und  dann  zuerst  in  Langley  und  hierauf  in 
AVestminster    beigesetzt.     Aber    trotz    dieser    öffentlichen    Schaustellung    gab    es   Leute 


x)   TJt  fertur,  ut  dicebatur,  as  some  man  say,  secundum  communem  famam.    S.  auch 
das  Zeugenverhör  über  Richards  Ende  in  Wylie  I,  cap.  VI. 


Tod  Richards  II.     Das  Hans  Lancäster.     Heinrich  IV.  539 

genug,  die  an  Richards  Tod  nicht  glaubten  und  das  Märchen  verbreiteten,  nicht  er, 
sondern  ein  Teilnehmer  an  der  Verschwörung,  der  dem  Konig  ähnlich  sah,  sei  an 
seiner  Statt  beigesetzt  worden. 

§  125.     Die  Anfänge  des  Hauses  Lancäster.     Heinrich  IV.  und 

Heinrich  V.  (1399-1422). 

Quellen:  Die  Akten  wie  §  123,  s.  auch  Liebermann,  DZG-.  VIII,  169.  Royal 
and  historical  letters  during  the  reign  of  Henry  the  IVth,  ed.  Hingeston.  Lond.  1860. 
Documents  illustrative  of  academical  life  and  studies  at  Oxford  I.  Rolls  Series  1868. 
Litt.  Cant.  Rolls  Ser.  85.  Die  meisten  darst.  Quellen,  wie  die  Annales  Richardi,  stammen 
noch  aus  der  Zeit  Richards  II,  s.  §  123.  Dazu  :  Capegrave,  The  chronicle  of  England 
bis  1417,  ed.  Hingeston.  Rolls  Series.  Lond.  1858.  Liber  de  illustribus  Henricis,  ib.  1858. 
S.  98—139,  s.  die  Kge.„  Heinrich  IV— VI.  (Kurze  Charakteristik  bei  Grofs,  S.  271—72.) 
Enguerrand  de  Monstrelet,  La  chronique  de  .  .  .  1400 — 1444,  ed.  Louis  Douet  d'Arcq. 
Soc.  de  l'Histoire  de  France.  6  voll.  1857 — 62.  Für  Heinrich  V.  kommt  noch  hinzu : 
Titi  Livii  Foro-Juliensis  Vita  Henrici  V,  regis  Angliae ,  ed.  Hearne.  Oxford  1716  (ge- 
schrieben nach  1437 ;  Verf.  aus  Friaul  geb.,  war  Mitglied  des  Kgl.  Rates  unter  Hein- 
rich VI).  Henrici  V  Angliae  regis  gesta,  ed.  Williams.  Ed.  Hist.  Soc.  Lond.  1850  (bis  1416; 
die  wichtigste  Quelle  für  die  ersten  vier  Jahre  von  Heinrichs  V.  Reg.).  Thomas  de 
Elmham,  Liber  metricus  de  Henrico  V,  ed.  Cole.  Rolls  Ser.  London  1858.  —  (Eiusdem) 
Vita  et  gesta  Henrici  V  (prosaice),  ed.  Hearne.  Oxf.  1727.  (Die  Prosadarstellung  ist  die 
wichtigere.)  Versus  rhythmici  de  Henrico  V,  ed.  Cole.  London  1858.  Historia  Henrici  V, 
Roberto  Redmanno  auetore,  ed.  Cole.  London  1858.  Page,  Poem  on  the  siege  of  Rouen, 
ed.  Gairdner,  Camd.  Soc.  1876.  Journal  d'un  bourgeois  de  Paris  1405 — 49,  ed.  Alex. 
Tuetey.  Soc.  de  l'Hist.  de  France.  Paris  1881.  (Andere  Ausg.  Potth.  I,  686.)  Le  Fevre, 
Chronique  1408—35,  ed.  Morand.  Soc.  de  l'Hist.  de  France.  Paris  1876—81  (wichtig 
für  Azincourt).  Andere  Ausg.  Potth.  I,  715.  Antonio  Morosini,  Chronique,  ed.  Lefevre- 
Pontalis  1899.  Wawrin,  s.  §  128.  Juvenal  des  Ursins,  Jean,  Histoire  de  Charles  VI, 
1380—1422,  ed.  Buchon,  Choix  de  Chroniques.    Paris  1848. 

Hilfsschriften:  S.  darüber  auch  Liebermann,  DZG.  III,  183.  Für  Heinrich  IV 
Wylie,  wie  oben.  Die  Appendices  zum  4.  Bande  enthalten  Quellenmaterialien.  Für  Hein- 
rich V:  Goodwin,  History  of  the  reign  of  H.  V.  London  1704  (noch  zu  brauchen). 
Tyler,  Henry  of  Monmouth  or  the  life  of  Henry  V.  Lond.  1838.  Ewald,  Stories 
from  the  State  papers.  Lond.  1832.  Pauli,  Aufs.  z.  engl.  Gesch  2  A.  1883.  Solly-Flood, 
The  story  of  Prince  Henry  etc  Lond.  1886  (R.  Hist.  Soc.  III).  Towle,  The  history  of 
Henry  V,  N.  York  1866.  Kingsford,  Henry  V.  Lond.  1902.  Drayton,  The  Bataille 
of  Agincourt.  Lond.  1893.  Für  die  ganze  Lancasterzeit :  Brougham,  History  of  Eng- 
land under  the  house  of  Lancäster.  Lond.  1861  (wichtig  für  Heinr.  V.  u.  VI.)  Denton, 
England  in  the  15*h  Century.  Lond.  1888.  Ramsay,  Lancäster  and  York.  2  Bde.  Ox- 
ford 1892.  Pauli  V,  wie  oben.  Stubbs,  Gneist  und  Liebermann,  wie  oben.  Gierth- 
Die  Vermittlungsversuche  K.  Sigmunds  z.  Fr.  u.  Engl.  1416.   Halle  1896. 

1.  Wenige  Tage  nach  seiner  Thronbesteigung  (6.  Oktober)  schrieb 
Heinrich  IV.  ein  Parlament  aus ,  das  eine  Anzahl  von  Verfügungen 
Richards  II.  widerrief  und  Heinrichs  ältesten  Sohn  zum  Thronfolger  er- 
nannte. Die  Bedeutung  des  Parlamentes  wuchs.  Da  der  König  mit  seiner 
Hilfe  die  Krone  errungen  hatte  und  die  Anerkennung  des  Parlaments 
sein  kräftigster  Rechtstitel  war ,  erkannte  er  auch  seine  Macht  bereit- 
willig an,  gestattete  Freiheit  der  Wahlen  und  der  Rede,  gewährte  die 
Kontrolle  über  die  Verwendung  der  bewilligten  Gelder,  die  Aufsicht  über 
den  Hof  halt  des  Königs,  über  die  genaue  Beobachtung  der  Landesgesetze 
und  Bräuche  durch  seine  Beamten.  Fand  Heinrich  IV.  die  werk- 
tätige Unterstützung  der  Hierarchie ,  so  wurde  nun  auch  die  Stel- 
lung  des  Königtums   zur   reformatorischen    Bewegung   in   England    eine 


540  Die  Kirchenpolitik  des  Hauses  Lancaster.     Verfolgung  der  Lollarden. 

geänderte.  War  diese  während  der  Zeit  der  kirchenpolitischen  Kämpfe 
der  Zeiten  Eduards  III.  und  Richards  II.  durch  die  offene  oder  versteckte 
Gunst  der  Regierung  erstarkt,  so  stellte  die  neue  Dynastie  der  Kirche 
ihr  Schwert  zur  Verfolgung  der  Lollarden  willig  zur  Verfügung.  So  wurde 
schon  im  ersten  Regierungsjahre  des  Königs  das  berüchtigte  Gesetz 
de  haeretico  comburendo  erlassen,  das  die  Auslieferung  ketzerischer  Schriften 
zur  Pflicht  macht  und  offenkundige  Ketzer  dem  Flammentode  preisgibt, 
—  das  erste  Gesetz  in  der  englischen  Gesetzgebung,  das  wegen  Ketzerei 
die  Todesstrafe  verfügt.  Schon  im  folgenden  Jahre  fand  es  seine  blutige 
Anwendung.  Von  da  an  hatte  die  Inquisition,  die  man,  wie  Wiclif 
rühmte,  bisher  in  England  nicht  kannte,  auch  in  diesem  Lande  Arbeit. 
Doch  hielt  es  trotz  der  vereinten  Kraft  von  Staat  und  Kirche,  die  gegen 
die  Lollarden  gebraucht  wurde,  schwer,  die  Glaubenseinheit  herzustellen. 
Zuerst  wurden  gegen  die  Reiseprediger,  hieraufgegen  die  Universität  Oxford, 
wo  noch  die  YViclifsehen  Traditionen  herrschten ,  Mafsregeln  getroffen, 
dann  (1408)  die  Konstitutionen  erlassen,  von  denen  der  siebente  Ar- 
tikel die  Übersetzung  biblischer  Texte  und  Bücher  ins 
Englische  untersagte;  endlich  schritt  man  wider  die  Gönner  der 
Lollarden  im  Herrenstande  ein,  dessen  bedeutendster  Vertreter  Sir  John 
Oldcastle-Lord  Cobham  —  freilich  erst  1417  —  verbrannt  wurde. 
Der  Wiclifismus  überdauerte  auch  diese  Zeit  der  Verfolgung,  die  in  der 
Zeit  der  Hussitenkriege  eine  stärkere  wurde;  seit  dem  16.  Jahrhundert 
trieb  er  sogar  noch  neue  Zweige,  bis  er  mit  der  gröfseren  von  Deutsch- 
land ausgegangenen  Bewegung  zusammentraf. 

2.  Trotz  der  Anerkennung  des  Parlaments  und  der  Unterstützung 
der  Hierarchie  hatte  das  Königtum  Heinrichs  starke  Stöfse  zu  ertragen 
und  die  Krone,  an  der  Blut  haftete,  gegen  unaufhörliche  Empörungen 
zu  verteidigen;  es  ist  indes  der  stärkste  Beweis  für  Heinrichs  Tüchtigkeit, 
dafs  er  ihnen  zum  Trotz  seine  Macht  behauptete.  Zuerst  erhoben  sich 
diePercy;  noch  1402  hatte  Heinrich,  der  »Heifssporn«,  die  Schotten, 
die  es  verschmähten,  dem  König  die  Huldigung  zu  leisten  und  daher 
von  diesem  bekriegt  wurden,  aufs  Haupt  geschlagen  (14.  September). 
Nun  wandte  er  sich  selbst  gegen  den  König,  als  dieser  sich  weigerte, 
den  von  den  Wallisern  gefangenen  Grafen  von  March,  Percys  Schwager, 
auszulösen.  Im  Bunde  mit  Wallisern  und  Schotten  trat  er  dem  König 
entgegen,  verlor  aber  nach  tapferem  Kampfe  bei  Shrewsbury  Schlacht  und 
Leben  (1403,  21.  Juli).  Percys  Vater,  der  Graf  von  Northumberland,  wurde 
(1404)  begnadigt;  doch  schon  im  nächsten  Jahre  brach  ein  Aufstand  zu- 
gunsten der  Grafen  von  March  aus,  an  dem  aufser  Northumberland  auch 
derErzbischof  von  York,  Richard  Scrope,  teilnahm.  Auch  diesmal  wurde 
der  Aufstand  unterdrückt;  ohne  Rücksicht  auf  seinen  geistlichen  Stand 
ward  Scrope  enthauptet.  Nur  Xorthumberland  entkam.  Die  inneren 
Kämpfe  Englands  wurden  von  den  Wallisern,  die  im  englischen  Parlament 
keine  Vertretung  besafsen  und  durch  Zwingburgen  im  Zaume  gehalten 
wurden,  benützt,  um  ihre  Freiheit  wieder  zu  erringen.  An  ihre  Spitze 
stellte  sich  ein  Mann  guter  Herkunft,  der  Sohn  Griffith  Vychans 
(Vaughans),    Owen    Lord    of    Glyndwfrdwy    (Glendower);    erst    die 


Aufstünde  in  England.    Kampf  gegen  die  Waliser  u.  Schotten.    Heinrich  V.      541 

Geschichtschreiber  im  folgenden  Jahrhundert  nennen  den  Namen  seiner 
Mutter  Helene  aus  dem  Geschlecht  Llewelins,  des  letzten  Fürsten  von 
Wales.  Er  verstand  es,  die  Walliser  zum  Kampfe  gegen  England  an- 
zufeuern und  zum  Siege  zu  führen.  Heinrich  IV.  unternahm  vier  erfolg- 
lose Feldzüge  gegen  Wales ;  Glendower  zog  sich  in  die  unzugänglichen 
Bergschluchten  seiner  Heimat  zurück  und  trieb  die  Gegner,  wenn  sie 
von  Märschen,  Wetter  und  Hunger  erschöpft  waren,  unter  schweren  Ver- 
lusten zurück,  und  auch  die  Erfolge  des  Kronprinzen  in  offenem  Felde 
blieben  ohne  Ergebnis,  da  die  Walliser  die  Anerkennung  Frankreichs 
und  des  Papstes  fanden.  Erst  als  sich  die  Beziehungen  zu  Frankreich 
änderten,  wo  (1407)  Burgund,  Englands  Bundesgenosse,  zu  Einflufs  ge- 
langte, Jakob,  der-  Erbe  des  schottischen  Reiches,  in  die  Hände  der 
Engländer  gefallen  war  und  Northumberland  und  seine  Gefährten  in 
einem  neuen  Aufstand  ihr  Ende  gefunden  hatten,  gelang  es  dem  Prinzen 
von  Wales ,  nach  einigen  beschwerlichen  Feldzügen,  des  wallisischen 
Landes  bis  zu  den  Bergschluchten  des  Snowdon  wieder  Herr  zu  werden. 
Dort  aber  hielt  sich  Glendower  bis  zu  seinem  Tode.  Seit  1410  war 
Heinrichs  IV.  Macht  nicht  blofs  in  England  unbestritten,  er  gewann 
auch  auf  die  Partei  Verhältnisse  in  Frankreich  und  auf  Schottland  grofsen 
Einflufs.  Dem  Parlamente  gegenüber  wurde  seine  Stellung  allmählich 
eine  freiere,  und  er  zögerte  nicht,  von  ihr  Gebrauch  zu  machen.  Doch 
ging  er  nicht  so  weit,  dafs  er  mit  dem  Parlament  in  einen  offenen 
Kampf  gekommen  wäre.  Schwere  Sorgen  wegen  der  Zukunft  der 
Dynastie  und  der  Lebensweise  seines  Sohnes ,  dessen  staatsmännische 
Veranlagung  später  als  die  militärische  an  den  Tag  kam  und  dessen 
lockeren  Streiche,  die  der  grofse  englische  Dichter  verewigte,  nicht  ganz 
in  das  Bereich  dichterischer  Erfindung  zu  verweisen  sind,  Krankheiten 
und  Gewissensbisse  wegen  seines  Vorgehens  gegen  Richard  IL  machten  den 
König  vor  der  Zeit  alt  und  hinfällig.  Erst  47  Jahre  alt,  starb  er  am 
20.  März  1413.  Sein  Sohn  Heinrich  V.  (1413—1422)  zerstreute  gleich 
bei  Beginn  seiner  Regierung  alle  Befürchtungen,  die  sein  bisheriger 
Lebenswandel  wachgerufen ;  sein  Regierungsantritt  erfolgte ,  ohne  dafs 
jemand  des  besseren  Rechtes  der  Grafen  von  March  an  die  Krone  ge- 
dachte. Der  Krönung  folgte  eine  Amnestie,  die  alle  politischen  Ver- 
brecher in  sich  schlofs.  Den  Grafen  Edmund  von  March  entliefs  er  der 
Haft,  den  Sohn  des  Heifssporns  half  er  aus  der  Gefangenschaft  der 
Schotten  lösen  und  gab  ihm  den  Titel  eines  Grafen  von  Northumberland 
zurück.  In  hochherziger  Weise  liefs  er  die  Gebeine  Richards  IL  in 
Westminster  beisetzen.  Nur  gegen  die  Lollarden  trat  er  viel  schärfer 
noch  als  sein  Vater  auf.  Am  wichtigsten  schien  ihm  und  der  Mehr- 
zahl der  englischen  Edelleute  die  Wiederaufnahme  des  Kampfes  gegen 
Frankreich. 

§  126.    Frankreich  unter  Karl  VI.    Die  Zeit  der  Regentschaft. 

Quellen:  Übersichten  in  Monod,  Bibliogr.  220,  Lavisse  et  Eambaud, 
Hist.  gen.  III,  156 — 69,  Lavisse-Coville,  Hist.  de  France  IV,  1,  Pirenne,  Biblio- 
graphie de  l'histoire  de  Belgique.    Bruxell.  1900.  —    Urkk. :  Recueil  des  Ordonnances 


542  Frankreich  unter  Karl  VI. 

des  rois  de  France  VI  et  Xu.  1741 — 1777.  Douet  d'Arcq.,  Choix  de  pieces  inedites 
relatives  au  regne  de  Charles  VI.  Paris  1863 — 64.  Denifle,  Chartul.  univ.  Paris.  IHetlV. 
Paris  1894 — 97.  Rymer,  Foedera  u.  Cosneau,  wie  oben.  Stevenson,  Letters  and 
papers  illustrative  of  the  wars  of  the  English  in  France,  1861 — 1864.  3  voll.  —  Dar- 
stellende Quellen:  Chronique  du  religieux  de  S.  Denys  1380 — 1422,  ed.  Bellaguet. 
Coli.  d.  Doc.  med.  6  voll.  Paris  1839 — 52.  (Xach  Moranville  ist  als  Verf.  Pierre  le 
Fruitier,  genannt  Salmon,  anzunehmen.)  Übersetzt  und  vervollständigt  von  dem  Erzb. 
von  Reims:  Juvenal  des  Lrsins,  Hist.  de  Charles  VI  1380—1422,  ed.  Buchon,  Choix 
de  chroniques  IV.  Chronique  des  quatre  premiers  Valois,  ed.  Luce.  Paris  1862 
(bis  1393).  Nicolaus  de  Baye,  greffier  du  Parlem.  d.  Paris  1400—1417 :  Journal  ed. 
Tuetay.  2  Bde.  Paris  1885 — 88.  Chronographia  reg.  Francorum  1270  —  1405.  tom  III,  s  oben. 
Froissart,  wie  oben.  Enguerrand  de  Monstrelet,  Chronique  1400 — 1440,  ed.  Douet  d'Arcq. 
Paris  1857 — 72.  (Andere  Ausg.  bei  Potth.  I,  792.)  Journal  d'un  bourgeois  de  Paris 
1405—1449,  ed.  Tuetay.  Paris  1881  (s.  Potth.  I,  686).  Chronique  du  bon  duc  Loys  de 
Bourbon  1337 — 1410,  ed.  Chazaud.  Paris  1876.  Le  Fevre  (Lefebure)  de  S.  Remy,  Chron. 
ou  Histoire  de  Charles  VI  1407 — 1435,  ed.  Morand.  Par.  1876.  Pierre  de  Fenin,  Memoires 
comprenant  le  recit  des  evenements  .  .  .  sous  Charles  XI  et  VII  1407— L422.  Wichtig 
für  die  drei  letzten  Dezennien  Karls  VI.  (rührt  nicht  v.  P.  d.  F.  her),  ed.  Dupont. 
Paris  1837.  Memoires  ou  livre  des  faits  du  marechal  de  Boucicaut  (f  1421)  1370 — 1415, 
ed.  Michaud  et  Poujoulat.  (And.  Ausg.  Potth.  I,  168.)  Chronique  normande  de  Pierre 
Cochon  1108-1430,  ed.  Beaurepaire  1870.  La  chronique  du  Mont  S.  Michel  1343—1468, 
ed.  Luce.  Paris  1879—83.  Cousinot,  Geste  des  nobles  1380—1429,  ed.  Vallet  de  Viri- 
ville  1859.     Salmon,  Memoires,  Buchon,  Coli.  XXV.     Wawrin  s.  §  128. 

Hilfsschriften:  Aufser  den  veralteten  von  L e  Laboureur,  Histoire  de 
Charles  VI,  1663,  Choisy,  Hist  d  Ch.  VI,  1695  u.  Lussan,H.  d.  Ch.  VI.  Paris  1749. 
Duval-Pineu,  Hist  de  Frauce  sous  le  regne  de  Charles  VI.  Paris  1842.  2  Bde.  und 
den  älteren  Gesch.  v.  Frankreich,  wie  Schmidt  u.  a.,  am  besten  jetzt  Lavisse, 
Hist.  de  France  IV,  1.  Les  premiers  Valois  et  la  Guerre  de  Cent  ans  (1328 — 1422  par 
A.  Coville.  Paris  1902.  (Dort  reiche  Literaturausgaben,  die  hier  nicht  alle  vermerkt 
werden  können  Spezialschriften :  De  Loray,  Les  freres  de  Charles  V.  RQH.  XXV. 
Mirot,  Le  duc  d'Anjou,  Mel.  d.  histoire  1897.  Jarry,  La  Vie  politique  de  Louis  de 
France,  duc  d' Orleans  (1372—1408)  Par.  1889.  V.  de  Viriville,  Assassinat  du  duc 
d'Orleans  1859.  Isabeau  de  Baviere.  Paris  1859.  Beaucourt,  Le  Meurtre  de  Mon- 
tereau.  Paris  1868.  Huillard-Breholles,  La  rancon  du  duc  de  Bourbon,  Jean  I.  Par.  1869. 
Kervyn  de  Lettenhove,  Jean  sans  Peur.  Bruxelles  1861.  Moranville,  Conferences 
entre  la  France  et  l'Angleterre  1388—1393.  BECh.  1889.  Mirot,  Les  Erneutes  pari- 
siennes  de  1380 — 1383.  Mem.  Soc.  H.  Par.  XXVIII.  Portal,  Les  insurrections  des 
Tuchins  dans  les  pays  de  Languedoc.  Ann.  du  Midi  IV.  Boudet,  La  Jacquerie  des 
Tuchins  1895.  Pirenne,  Gesch.  v.  Belgien  IL  Kervyn  de  Lettenhove,  Hist. 
de  Flandre  III.  Ashley,  James  and  Philip  van  Artevelde.  1883.  Wrong,  The 
Crusade  of  1383.  1892.  Skalweit,  Der  Kreuzzug  des  Bischofs  von  Xorwich  gegen 
Flandern  1383.  Königsb.  1898.  (Für  diesen  Kreuzzug  bieten  Wiclifs  Sermones  und 
Streitschriften  viel  Material.)  S.  auch  Circourt  in  RQH.  1889.  E.  Meyer,  Charles  H 
roy  de  Navarre.  Paris  1898.  F  a  u  c  o  n ,  Le  mariage  de  Louis  d'Orleans  et  de  Valentine 
Visconti.  1882.  Cf.  BECh.  LXI1,  dort  die  Bibliographie  über  die  ital.  Arbeiten.)  Jarry, 
Les  Commencements  de  la  domination  francaise  ä  Genes  1897.  Coville,  Les  Cabochiens 
et  l'Ordonnance  de  1413.  P.  1888.  Heilot,  Recit  du  siege  d'Harfleur  en  1415.  1881. 
Nicolas,  History  of  the  battle  of  Azincourt.  Lond.  1833.  Köhler,  Die  Schlacht  von 
Azincourt,  Entstehung  d.  Kriegsw.  II.  Dort  eine  Zusammenstellung  der  Quellen  S.  749. 
S  auch  Gross,  The  sources  etc.  p.  501  f.  Belleval,  Azincourt  1865.  Loisne, 
La  Bat.  d' Azincourt.  Paris  1898.  Lenz,  K.  Sigismund  u.  Heinrich  V.  Berlin  1874. 
C  ar  o  ,  Das  Bündnis  von  Canterbury  1880.  Die  Bez.  zum  Orient  in  Delaville  le  Roulx  1,159. 
Die  Bücher  zum  Schisma  s.  oben. 

1.  Den  Gefahren  der  Regierung  eines  minderjährigen  Königs  zu 
begegnen,  hatte  Karl  V.  1374,  als  er  sich  dem  Tode  nahe  glaubte,  An- 
ordnungen über  die  Regentschaft  hinterlassen.     Als  ihm  nun  sein  Sohn 


Streit  um  die  Regentschaft.    Demokr.  Bewegung  in  Flandern  u.  Frankreich.     543 

Karl  VI.  (1380—1422),  der  noch  nicht  12  Jahre  zählte,  in  der  Regierung 
folgte,  hätte  Herzog  Ludwig  von  Anjou  als  ältester  Bruder  des  Ver- 
storbenen die  Regentschaft,  die  Herzoge  von  Burgund  und  Bourbon  die 
Vormundschaft  übernehmen  sollen.  Damit  war  keiner  der  Beteiligten 
zufrieden,  und  so  kam  es  zu  Streitigkeiten,  die  noch  vor  der  Krönung 
des  Königs  (4.  November)  dahin  beigelegt  wurden,  dafs  Ludwig  die 
Regentschaft,  die  Herzoge  von  Burgund  und  Bourbon  aufser  der  Vor- 
mundschaft einen  ihrer  Stellung  entsprechenden  Einflufs  auf  die  Ver- 
waltung und  der  Herzog  von  Berry  die  Würde  eines  Statthalters  in 
Languedoc  und  Guienne  erhalten  sollte.  Trotzdem  Karl  V.  noch  auf 
dem  Sterbelager  Erleichterung  des  Steuerdruckes  und  Abschaffung  ver- 
balster Abgaben  verheifsen  hatte,  liefs  der  Regent,  den  die  Königin 
Johanna  von  Neapel  eben  zum  Nachfolger  ernannt  hatte,  nicht  nur  die 
Steuern  in  alter  Weise  forterheben,  sondern  verwendete  sie  gleich  dem 
von  Karl  V.  zurückgelegten  Schatze  zur  Durchführung  seiner  italienischen 
Pläne.  So  kam  es  in  derselben  Zeit,  da  sich  in  Flandern  und  England 
die  unteren  Volksschichten  regten,  auch  in  einzelnen  Gegenden,  vor- 
nehmlich im  Süden  Frankreichs x)  und  in  Paris  zu  Unruhen ;  die  Regent- 
schaft sah  sich  gezwungen,  die  Abschaffung  einzelner  Auflagen  zuzusagen. 
Der  Volkshafs  wandte  sich  gegen  die  von  Karl  V.  begünstigten  Juden, 
deren  Häuser  zerstört  und  deren  Schuldbriefe  vernichtet  wurden.  Zum 
Glück  für  Frankreich  konnte  England,  das  sich  in  ähnlicher  Lage  befand, 
diese  Wirren  nicht  ausnützen,  um  so  leichter  aber  ein  Waffenstillstand 
zwischen  beiden  Ländern  hergestellt  werden.  Gefährlicher  für  Frankreich 
wurde  die  demokratische  Bewegung  in  Flandern.  Die  Bürgerschaften 
von  Gent  und  anderen  Städten  hatten  sich  gegen  die  neuen  Geld- 
forderungen des  französisch  gesinnten  Grafen  Ludwig  erhoben  und  die 
Genter  sich  unter  die  Führung  Philipps  von  Artevelde  gestellt,  der  dem 
Grafen  vor  Brügge  eine  Niederlage  beibrachte  (1382,  3.  Mai),  die  Stadt 
eroberte  und  sich  als  Ruwart  von  Flandern  einen  fürstlichen  Hof  ein- 
richtete. Auch  in  den  unteren  Schichten  Frankreichs  wurde  die  Stimmung 
eine  erregte.  In  Paris  und  Rouen  entstanden  auf  das  Gerücht  von  der 
Wiedereinführung  der  aufgehobenen  Steuern  unruhige  Bewegungen,  die 
im  Februar  und  März  1382  zum  Aufstand  der  Maillot  ins2)  führten. 
In  Rouen  wurde  die  Bewegung  leicht  unterdrückt,  nicht  so  in  Paris. 
Da  die  Unruhen  auch  im  südlichen  Frankreich  fortdauerten,  sah  sich 
die  Regentschaft  genötigt,  von  der  Wiedereinführung  der  Steuern  L"m- 
gang  zu  nehmen  und  eine  Amnestie  zu  erlassen.  Nach  dem  Abzug- 
Herzog  Ludwigs  nach  Italien  (s.  §  93)  erlangte  Philipp  von  Burgund, 
der  Schwiegersohn  Ludwigs  von  Flandern,  grofsen  Einflufs  auf  Karl  VI., 
den  er  bewog,  dem  Grafen  von  Flandern  Hilfe  gegen  die  Genter  zu 
leisten.  Karl  VI.,  angefeuert  durch  das  Beispiel  Richards  IL,  und  die 
französische  Ritterschaft  gingen  eifrig  ans  Werk,  eine  Bewegung  nieder- 

')  Im  Süden  Frankreichs  waren  noch  in  der  letzten  Zeit  Karls  V.  Marodeurs, 
die  sog.  Tuchins  aufgetreten,  die  sich  in  der  Weise  der  Kompagnien  der  früheren 
Zeit  organisierten. 

2)  D.  h.  der  »Hammermänner«. 


544  Niederlage  der  Flandrer  bei  Roosebeke  und  ihre  Folgen. 

zudrücken,  die  ihre  Existenz  gefährdete,  denn  schon  warteten  die  Pariser 
und  andere  städtische  Körperschaften  auf  den  Sieg  der  Genter,  um  selbst 
loszuschlagen.  Das  französische  Ritterheer  war  anfangs  November  von 
Arras  aus  in  Flandern  eingebrochen.  Bei  Roosebeke  stellte  sich 
Artevelde  ihm  gegenüber.  Die  Bürgerschaften  waren  von  der  Bedeutung 
des  Augenblicks  erfüllt:  »Siegen  wir  morgen,  sagte  Artevelde,  so  gebt 
nur  dem  König  Gnade,  denn  er  ist  noch  ein  Kind.  Die  anderen  aber 
schlagt  tot  —  Herzoge.  Grafen  und  Ritter.  Die  Gemeinden  Frankreichs 
sind  froh,  wenn  keiner  wiederkehrt!:  Am  27.  November  1382  kam  es 
zur  Schlacht ,  die  mit  einem  vollständigen  Siege  der  französisch- 
flandrischen Ritterschaft  endete.  Gegen  26000  Flandrer  deckten  das 
Schlachtfeld.  Unter  den  Erschlagenen  war  Artevelde.  Einzelne  Haufen 
retteten  sich  nach  Gent,  um  den  Kampf  dort  fortzusetzen.  Die  meisten 
Städte  Flanderns  unterwarfen  sich.  Für  die  englische  Regierung  hatte 
Gents  Niederlage  schwere  Folgen  (s.  oben);  wohl  beeilten  sich  die  Eng- 
länder, Hilfe  zu  senden,  und  zwar  angeblich  gegen  die  Anhänger  des 
Gegenpapstes,  in  Wirklichkeit  aber  zur  Herstellung  des  englischen  An- 
sehens. Der  Krieg  dauerte  fort,  aber  der  flandrische  Kreuzzug  des 
Bischofs  von  Xorwich  endete  kläglich.  Der  Schlag  von  Roosebeke  wurde 
von  den  Gentern  schwer  verwunden.  Schon  das  Jahr  darauf  schlössen  sie 
mit  dem  Grafen  Frieden.  Nach  dessen  Tode  (1384)  fiel  Flandern  an  den 
Herzog  Philipp  von  Burgund  (s.  unten),  und  wenn  sich  die  Genter  auch 
weigerten,  ihm  zu  huldigen,  so  war  doch  ihr  Widerstand  kein  nach- 
haltiger. Sie  erkannten  Philipp  als  Herrscher  an,  als  dieser  ihnen  nicht 
blofs  Amnestie,  sondern  auch  Bestätigung  ihrer  Freiheiten  gewährte 
(1385,  18.  Dezember).  Der  Schlag  von  Roosebeke  hatte  auch  die  Pariser 
getroffen.  König  und  Adel  nutzten  ihren  Sieg  aus,  um  der  demo- 
kratischen Bewegung  auch  in  Frankreich  Herr  zu  werden.  Als  die 
Bürgerschaft  von  Paris,  sie  hatte  20000  Bewaffnete  aufgestellt,  dem 
König  entgegenging,  um  ihn  in  die  Stadt  zu  geleiten  (1383,  8.  Januar), 
wurde  sie  schroff  zurückgewiesen.  Man  hiefs  sie  auseinandergehen. 
Die  Tore  der  Stadt  wurden  niedergerissen ;  dagegen  der  Bau  der  Bastille 
vollendet  und  beim  Louvre  ein  Turm  gebaut.  Die  Waffen  wurden  aus- 
geliefert, zahlreiche  Verhaftungen  angesehener  Bürger  vorgenommen  und 
mehr  als  hundert  Personen  hingerichtet,  unter  ihnen  der  angesehene 
siebzigjährige  Generaladvokat  Jean  des  Mares,  der  bisher  eine  vermittelnde 
Tätigkeit  zwischen  Volk  und  Königtum  eingenommen  hatte.  Die 
städtischen  Freiheiten,  die  Zünfte,  die  selbstgewähken  Behörden,  die 
Bürgerwehr  wurden  aufgehoben  und  die  alten  Auflagen  aufs  neue  ein- 
geführt. Die  Verhafteten  mufsten  ihre  Freiheit  um  Summen  erkaufen, 
die  nicht  selten  ihren  ganzen  Wohlstand  ausmachten.  In  ähnlicher  Art 
wurden  die  übrigen  von  der  demokratischen  Bewegung  ergriffenen  Städte 
behandelt.  Schon  dachte  man  daran,  die  unbeschränkte  Besteuerung  als 
ein  Recht  des  Königs  in  Anspruch  zu  nehmen;  von  einer  Berufung  der 
Reichsstände  wurde  für  lange  Zeit  Umgang  genommen. 

2.   Unter  dem  Einflüsse  Philipps  von  Burgund  wurde  das  französische 
Königtum    in     alle    Unternehmungen    Burgunds    verwickelt.      Nachdem 


Die  Marmousets.     Wahnsinn  des  Königs.     Parteikämpfe.1  545 

Philipp  das  reiche  flandrische  Erbe  angetreten,  stand  auch  die  Erwerbung 
Brabants  in  Aussicht,  da  die  Herzogin,  seine  Tante,  für  seine  Nachfolge 
eintrat.  Zur  Unterstützung  des  Herzogs  liefs  Karl  VI.  starke  Rüstungen 
gegen  dessen  Nebenbuhler,  den  Herzog  von  Geldern,  vornehmen.  Und 
so  war  auch  die  Vermählung  Karls  VI.  mit  Isabella,  der  Tochter  des 
Herzogs  von  Bayern-Hennegau  wesentlich  erfolgt,  um  Burgunds  Interesse 
zu  stärken.  Erst  als  Karl  von  einem  erfolglosen  Zug  gegen  Geldern 
heimkehrte  und  die  allgemeine  Stimmung  in  Volk  und  Heer  sich  gegen 
die  Herzoge  von  Burgund  und  Berry  wandte,  erklärte  der  König  in 
Reims,  er  sei  nun  20  Jahre  und  könne  selbst  regieren.  Burgund  und 
Berry  wurden  entlassen  und  Männer,  die  schon  seinem  Vater  erfolgreich 
gedient  hatten,  wie  der  Connetable  Clisson,  Montagu,  Le  Mercier,  Bureau 
de  la  Riviere  —  die  grofsen  Herren  nannten  sie  ironisch  Marmousets  — 
Fratzen  —  in  die  obersten  Stellen  eingeführt.  Sie  erfüllten  die  Regierung 
ganz  mit  ihrem  Geiste  der  Arbeit  und  Reform,  stellten  drückende  Auf- 
lagen ab  und  nahmen  Verbesserungen  in  der  Rechtspflege  und  Verwaltung 
vor.  Karl  VI.  besafs  freilich  nicht  das  hohe  Pflichtgefühl  seines  Vaters : 
all  sein  Trachten  ging  auf  Lustbarkeiten  und  Schaugepränge.  Das  zügel- 
lose Leben  untergrub  seine  Gesundheit;  im  Jahre  1392  fiel  er  während 
eines  Zuges  in  die  Bretagne  in  Wahnsinn.  Die  Macht  kam  wieder  in 
die  Hände  der  Herzoge  von  Burgund  und  Berry,  von  denen  jener  bei 
Berrys  geringer  Befähigung  die  ganze  Leitung  der  Dinge  erhielt. '  Die 
tüchtigen  Räte  verloren  ihre  Stellung  und  retteten  nur  mit  Mühe  ihr 
Leben.  Der  König  genas  nach  einigen  Monaten.  Da  brach  —  es  ist 
unsicher,  ob  durch  Zufall  oder  infolge  einer  Anstiftung  des  Herzogs  von 
Orleans  —  während  eines  Maskenfestes,  an  dem  Karl  VI.  teilnahm,  ein 
Brand  aus;  einige  Personen  starben  infolge  ihrer  Brandwunden,  und  der 
König  selbst  schwebte  in  Lebensgefahr  (1393,  Januar).  Dies  Ereignis 
machte  auf  ihn  einen  derartigen  Eindruck,  dafs  er  bald  wieder  in  seine 
Krankheit  verfiel,  die  nun  fast  dreiisig  Jahre  dauerte.  Da  der  König  indes 
von  Zeit  zu  Zeit  helle  Augenblicke  hatte,  wurde  keine  dauernde  Stell- 
vertretung geschaffen.  Dies  hatte  zur  Folge,  dafs  die  Parteien  sich  um 
die  höchste  Gewalt  im  Staate  aufs  heftigste  stritten.  —  Zum  Glück  hatte 
wenigstens  der  Krieg  mit  England  ein  Ende  gefunden;  denn  der  1388 
abgeschlossene  und  hierauf  immer  wieder  erneuerte  Waffenstillstand 
wurde  1396  auf  20  Jahre  verlängert.  Die  Waffenruhe  England  gegen- 
über bewog  die  französische  Ritterschaft  auf  die  Bitten  der  Genuesen 
hin,  die  Seeräuber  von  Tunis  zu  züchtigen  (1390),  Indem  sich  Genua 
dem  König  von  Frankreich  unterwarf  (1396),  gewann  er  eine  mächtige 
Stellung  in  Oberitalien,  die  um  so  stärker  war,  als  sich  des  Königs 
Bruder,  Herzog  Ludwig  von  Orleans,  mit  Valentine,  der  Tochter  Galeazzo 
Viscontis,  vermählt  hatte.  Der  Sturz  Richards  IL  und  die  Haltung  des 
Herzogs  von  Orleans  England  gegenüber,  liefs  es  freilich  zu  keinem 
dauernden  Friedensstand  kommen. 

3.  Nach  der  zweiten  Erkrankung  des  Königs  hatte  eine  von  Burgund 
einberufene  Versammlung  von  Prälaten,  Herren  und  Städte  Vertretern  die 
Verwaltung  des  Reiches  mit  LTmgehung  Ludwigs  von  Orleans  den  Her- 

Loserth,    Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  ob 


540        Johann  von  Burgund  und  Ludwig  von  Orleans.     Ermordung  Ludwigs. 

zogen  von  Burgund  und  Berry  übertragen.  Nun  verlangte  Orleans 
Anteil  am  Regiment.  Schon  1401  stieg  die  Eifersucht  zwischen  ihm 
und  Burgund  auf  einen  bedenklichen  Grad.  In  politischen  und  kirch- 
lichen Fragen  waren  beide  erbitterte  Gegner:  suchte  Burgund  Flanderns 
wegen  Anschlufs  an  England,  so  trat  ihm  Orleans  entgegen;  war  die 
burgundische  Politik  auf  die  Zession  der  beiden  Päpste  gerichtet,  so 
hielt  sich  dieser  an  Benedikt  XIII.  Schlimmer  wurden  die  Dinge,  als 
Philipps  Sohn,  Johann,  den  seine  Waffengefährten  im  Kampfe  gegen 
die  Ungläubigen  den  »Unerschrockenen«  nannten,  Haupt  des  burgun- 
dischen  Hauses  wurde  '(1404)  und  nicht  blofs  über  das  Ländergebiet 
seines  Vaters,  sondern  auch  das  seiner  Mutter  gebot  und  zudem  noch 
zu  den  benachbarten  Dynastenhäusern  von  Brabant  und  Hennegau, 
Limburg  und  Holland  in  verwandtschaftlichen  Beziehungen  stand,  die 
einen  Anfall  dieser  Länder  erwarten  liefsen.  Es  war  eine  königliche 
Macht,  die  sich  hier  zwischen  Frankreich  und  Deutschland  bildete.  Seine 
weitausgedehnten  Verbindungen  boten  ihm  die  Mittel,  seine  Politik  in 
kraftvoller  Weise  durchzuführen.  Konnte  sich  mit  der  äufseren  Macht 
Burgunds  die  Ludwigs  von  Orleans  nicht  messen,  so  war  doch  auch  sie 
bedeutend  genug,  da  ihm  der  König,  sein  Bruder,  hohe  Amter  und 
Besitzungen,  vor  allem  das  Herzogtum  Orleans  (1391)  übertragen  und  er 
selbst  aus  dem  Brautschatz  seiner  Gemahlin,  der  reichen  und  schönen 
Valentine  Visconti,  die  Grafschaft  Blois  erkauft  hatte.  Beide  Neben- 
buhler bildeten  auch  sonst  nach  Erscheinung  und  Charakterbildung  einen 
völligen  Gegensatz :  vor  dem  Herzog  von  Orleans,  einer  ritterlichen 
Gestalt  von  gewinnendem  Wesen,  gewandtem  Auftreten,  einem  Freund 
der  Dichter  und  Sänger,  trat  der  Burgunder  in  den  Hintergrund,  ein 
Mann  von  kleinem  Wüchse,  schwerfälliger  Haltung,  unbeholfener  Rede 
und  mürrischem  Wesen.  Verprafste  jener  die  dem  Volke  abgedrückten 
Steuern  bei  Festen  und  Gelagen,  trat  er  dem  aufstrebenden  Bürgertum 
entgegen,  so  war  dieser  überhaupt  mehr  Flamänder  als  Franzose,  ein 
Freund  der  Bürger,  und  stemmte  sich  gegen  die  neue  unter  dem  Vor- 
wand der  englischen  Gefahr  geforderte  Besteuerung.  Die  Königin  und 
der  Herzog  von  Orleans  verliefsen,  um  einem  Ausbruch  der  allgemeinen 
Mifsstimmung  zu  entgehen,  Paris,  wogegen  Johann  den  Staatsrat  ver- 
sammelte und  in  seinem  und  seiner  Brüder  Namen  eine  Anklage  gegen 
die  bisherige  Verwaltung  des  Reiches  verlesen  liefs.  Schon  rüsteten  sich 
die  Rivalen  zum  Kampfe,  und  wenn  sie  sich  auch  angesichts  des  eng- 
lischen Krieges  noch  einmal  einigten,  so  brach  doch  der  Gegensatz 
noch  während  des  Krieges  wieder  hervor  und  brachte  den  Herzog  Johann 
zu  dem  Entschlufs,  seinen  Gegner  zu  ermorden.  Der  Mord  wurde  am 
23.  November  1407  vollzogen.  Die  Bevölkerung  von  Paris  nahm  die 
Nachricht  mit  Gleichgültigkeit,  ja  selbst  mit  Freude  auf.  Herzog  Johann 
entfloh  nach  Flandern,  und  die  Witwe  des  Ermordeten  bemühte  sich 
umsonst,  Bestrafung  des  Mordes,  dessen  Urheberschaft  nicht  lange  ver- 
borgen blieb,  zu  erlangen.  Es  gelang  dem  Burgunder,  sich  des  Bei- 
standes der  flandrischen  Städte  zu  versichern.  Als  er  nach  Paris 
zurückkehrte,    wurde  er   mit  Jubel  begrüfst,   und    die   Universität   stellte 


Petita  Lehre  vom  Tyrannen mord.     Bernhard  v.  Armagnac.     I).  Cabochiens.     547 

sich  so  nachdrücklich  auf  seine  Seite,  dafs  Jean  Petit  (s.  §  120)  seine 
Lehre  vom  Tyrannenmord  in  einer  Notablen  Versammlung  vortragen, 
durfte.  Während  Johann  die  Verzeihung  des  Königs  erhielt,  entflohen 
die  Königin  und  der  Dauphin  nach  Melun,  und  erst  als  sich  Johann 
gegen  die  Lütticher  wandte,  die  ihren  Bischof  vertrieben  hatten,  ermannte 
sich  die  Gegenpartei,  und  die  Königin  kehrte  mit  ihrem  Anhang  nach 
Paris  zurück.  Eine  zweite  Notablenversammlung  erklärte  nunmehr  Petits 
Lehre  als  ketzerisch,  und  Herzog  Johann  wurde  verhalten,  dem  Hause 
Orleans  Genugtuung  zu  geben.  Nachdem  aber  jener  die  Lütticher 
besiegt  hatte,  entsank  seinen  Gegnern  am  Hofe  der  Mut.  Der  König 
begab  sich  nach  Tours,  und  Herzog  Johann  hielt  einen  glänzenden 
Einzug  in  Paris.  Valentine  von  Orleans  starb  eines  frühen  Todes  (1408) ; 
ihr  ältester  Sohn  zählte  erst  18  Jahre,  und  die  übrigen  Prinzen  wagten 
nicht,  für  seine  Sache  offen  einzutreten.  Unter  der  Vermittlung  des 
Grafen  von  Hennegau  kam  es  zu  einem  Vergleich :  Johann  bat  wegen 
des  »für  das  Wohl  des  Reiches  und  Königs«  begangenen  Mordes  um 
Verzeihung,  und  die  Söhne  des  Ermordeten  schwuren,  ihren  Unwillen 
gegen  Johann  aufzugeben. 

4.  Die  Vorteile  des  Ausgleiches  lagen  ganz  auf  Burgunds  Seite. 
Indem  er  einzelne  Mifsbräuche  in  der  Verwaltung  beseitigte,  den  Parisern 
die  1383  verlorenen  Rechte  zurückgab,  gewann  er  die  Bürger  für  sich, 
und  als  sich  noch  Karl  III.  von  Navarra  (1387 — 1425)  mit  ihm  ver- 
bündete und  ihm  die  Erziehung  des  Dauphins  überlassen  wurde,  waren 
seine  Machtbefugnisse  aufserordentlich  gesteigert,  und  er  säumte  nicht, 
sie  auszunützen.  Daher  schlössen  die  Herzoge  von  Berry,  Bourbon  und 
für  eine  Zeit  auch  Bretagne  mit  Orleans  den  Bund  von  Gien  (1410,  April); 
die  Seele  des  Bundes  war  Graf  Bernhard  von  Armagnac,  der  seine 
Herkunft  von  den  aquitanischen  Herzogen  der  Merowingerzeit  ableitete 
und  dessen  Kriegsscharen  —  die  Armagnacs  —  aus  den  abgehärteten 
Gebirgsbewohnern  des  baskischen  Landes  genommen  wurden.  In  dem 
Kriege,  der  nunmehr  ausbrach,  traten  nicht  nur  die  Gegensätze  zwischen 
Süd  und  Nord,  sondern  auch  die  zwischen  Ritter-  und  Bürgertum  in 
die  Erscheinung.  Im  Süden  hatten  die  Armagnacs,  im  Norden  die 
Bourguignons,  dort,  wo  das  feudale  Wesen  in  alter  Kraft  bestand,  das 
Rittertum,  hier,  wo  sich  das  Bürgertum  kräftig  entwickelte,  die  Kom- 
munen das  Übergewicht.  Der  Bürgerkrieg  begann  mit  allen  Schrecken 
eines  solchen.  Wohl  führte  die  allgemeine  Not  dazu,  dafs  auf  den  Vor- 
schlag der  Pariser  Universität  zu  Bicetre  (1410,  2.  November)  ein 
Vergleich  geschlossen  wurde,  doch  brach  der  Kampf  schon  im  folgenden 
Jahre  wieder  aus.  Die  Pariser  Zünfte,  vor  allem  die  Fleischer,  stellten 
sich  auf  die  Seite  Burgnnds,  dessen  Anhänger  als  Kennzeichen  die  rote 
Binde  mit  dem  weifsen  burgundischen  Andreaskreuz  trugen.  Unter 
Führung  des  Fleischers  Legoix,  des  Tierabhäuters  Caboche,  nach 
Avelchem  die  ganze  Partei  Cabochiens  genannt  wurde,  und  des  volks- 
tümlichen Redners  Johanns  von  Troyes,  eines  Chirurgen,  rissen  die 
Handwerker  das  Regiment  an  sich  und  verfolgten,  mordeten  oder 
plünderten    die    Armagnacs    und    die    vermögenden    Bürger,    die    nicht 

35* 


548       Armagnac  u.  England.    D.  Stände  von  1413.    D.  Regiment  der  Cabochiens. 

geneigt  waren,  sich  einer  Partei  anzuschliefsen.  Im  Herbst  1411  stand 
Burgund  an  der  Spitze  eines  mächtigen  Heeres ;  als  er  aber  zu  einem 
entscheidenden  Schlage  wider  die  Gegner  ausholen  wollte,  war  die  Dienst- 
zeit seines  flandrischen  Bürgerheeres  abgelaufen  und  Johann  gezwungen, 
die  Umgebung  von  Paris  preiszugeben,  die  nun  von  den  Armagnacs 
verwüstet  wurde.  Um  so  freudiger  begrüfsten  die  Pariser  den  Herzog, 
als  er  im  Oktober  seinen  Einzug  in  die  Stadt  hielt.  Nun  erhielten  sie 
den  Rest  ihrer  1383  verlorenen  Freiheiten  wieder. 

5.  Um  sich  gegen  die  burgundische  Partei  zu  behaupten,  schlössen 
die  Orleanisten  mit  Heinrich  IV.  von  England  das  Bündnis  von  Bourges 
(1412,  18.  Mai)  und  sicherten  ihm  gegen  das  Versprechen,  ihnen  wider 
Burgund  beizustehen,  die  Wiedererwerbung  Aquitaniens  zu.  Ein  Sturm 
der  Entrüstung  erhob  sich  auf  die  Kunde  von  der  Verbindung  fran- 
zösischer Grofsen  mit  dem  Reichsfeinde.  Den  Landesverrätern  wurde 
ihr  Besitz  abgesprochen,  der  König  selbst  stellte  sich  an  die  Spitze  eines 
Heeres  und  belagerte  Bourges,  den  Stützpunkt  der  Armagnacs.  Die  Be- 
lagerung zog  sich  in  die  Länge,  indes  die  Engländer  auf  der  Halbinsel 
Cotentin  landeten  und  von  Calais  aus  in  das  französische  Gebiet  ein- 
fielen. Schliefslich  führte  Geldmangel  und  Erschöpfung  auf  beiden  Seiten 
zu  dem  V ertrag  von  Auxerre  (22.  August),  der  freilich  so  wenig  wie  die 
früheren  Verträge  den  gegenseitigen  Hafs  der  Parteien  beseitigte.  Die 
allgemeine  Not  brachte  den  Staatsrat  dazu,  die  Reichsstände  zu  berufen. 
Sie  traten  nach  30  jähriger  Unterbrechung  am  30.  Januar  1413  in  Paris 
zusammen.  Lebhafte  Klagen  ertönten  über  den  Steuerdruck  und  die 
Mifsbräuche  in  der  Verwaltung.  Am  lautesten  liefs  sich  die  Universität 
vernehmen.  Eine  Untersuchungskommission  wurde  mit  der  Aufgabe 
betraut,  die  Mifsbräuche  abzuschaffen.  Von  den  Finanzbeamten  wurden 
einzelne  verhaftet  und  ihr  Gut  mit  Beschlag  belegt.  Andere  entzogen 
sich  der  Bestrafung  durch  die  Flucht.  Der  Herzog  von  Burgund  war 
mit  diesen  Mafsregeln  einverstanden.  Um  so  höher  stieg  er  in  der  Volks- 
gunst.  Seine  Macht  zu  brechen  und  die  Gewalt  in  die  eigenen  Hände 
zu  nehmen,  knüpfte  der  Dauphin  Verbindungen  mit  dem  Herzog  von 
Orleans  und  andern  Gegnern  Burgunds  an,  und  es  gelang  ihm,  die 
Bastille  zu  besetzen.  Da  erhoben  sich  die  Cabochiens  für  Burgund, 
setzten  sich  in  den  Besitz  der  Bastille  und  begannen  ihr  blutiges 
Regiment.  Der  Dauphin  wurde  gezwungen,  die  »Verräter«,  die  ihn  zu 
einem  ungezügelten  Leben  verführen,  auszuliefern,  das  flandrische  Ab- 
zeichen zu  tragen  und  eine  Reformordonnanz  für  die  ganze  Staats- 
verwaltung zu  erlassen.  Alle  Anhänger  des  Hauses  Orleans  schwebten 
in  Lebensgefahr.  Gerson  rettete  sich  mit  Mühe.  Aber  bald  lehnten  sich 
die  angeseheneren  Bürger  gegen  den  Terrorismus  auf,  scharten  sich  um 
den  Dauphin  und  traten  unter  die  Waffen,  um  sie  gegen  die  Feinde  des 
Friedens  zu  wenden.  Die  Universität  zerrifs  ihr  Bündnis  mit  dem  Volke, 
und  die  Armagnacs  nahmen  eine  drohende  Haltung  ein.  Die  Cabochiens 
waren  jedoch  nicht  geneigt  einzulenken.  Zum  Glück  fand  der  König 
im  kritischen  Augenblick  seine  Gesundheit  wieder,  und  so  kam  es  trotz 
der    drohenden  Haltung   der   Cabochiens    am  28.  Juli  1413    zu   Pontoise 


Zurückdrängung  Burgunds.    Der  Vertrag  v.  Anas.     Die  Pläne  Heinrichs  V.     549 

zu  einem  Vertrag,  welcher  ihrer  bisherigen  Herrschaft  ein  Ende  machte. 
Die  Verhafteten  wurden  in  Freiheit  gesetzt,  die  Parteinamen  Armagnac 
und  Bourgitignon  untersagt  und  den  Parisern  verboten,  sich  ohne  Geheifs 
der  Befehlshaber  der  Bürgermiliz  zu  versammeln.  Die  Abzeichen  des 
Hauses  Burgund  verschwanden,  der  Herzog  selbst  verliefs  die  Stadt,  und 
acht  Tage  später  hielten  seine  Gegner  ihren  Einzug.  An  die  Stelle  des 
roten  trat  der  weifse  Schrecken.  Die  meisten  Cabochiens  entkamen  in 
die  burgundischen  Lande ;  über  die  Zurückgebliebenen  wurde  blutiges 
Gericht  gehalten  und  die  Reformordonnanz  zurückgezogen.  Johann  von 
Burgund  zog,  um  den  Dauphin  aus  der  Gewalt  der  Armagnacs  zu  be- 
freien,, vor  Paris;  aber  die  Tore  blieben  geschlossen.  Die  Bürgerschaft 
wagte  keine  Erhebung,  ja  der  König  und  der  Dauphin  begannen  nun 
selbst  den  Krieg  gegen  Burgund ;  um  aber  dessen  Gegner  nicht  allzusehr 
erstarken  zu  lassen,  gewährten  sie  ihm  im  Vertrag  von  Arras  Verzeihung 
(1414,  4.  September).  Zu  wahrhafter  Versöhnung  kam  es  aber  auch  diesmal 
nicht.  Beide  Parteien  standen  in  Erbitterung  einander  gegenüber,  des 
Augenblicks  gewärtig,    wo    sie   wieder   zu    den  Waffen   greifen  könnten. 

§  127.   Der  Erol>erungszug  Heinrichs  V.  von  England. 

1.  Wachsamen  Auges  folgte  Heinrich  V.  den  Vorgängen  in  Frank- 
reich. Während  Karl  VI.  an  ihm  einen  Retter  zu  finden  vermeinte  und 
Heinrich  in  der  Tat  nicht  nur  den  Waffenstillstand  von  einer  Frist  zur 
andern  verlängerte,  sondern  auch  die  Absicht  kundgab ,  sich  mit  Karls 
jüngster  Tochter  Katharina  zu  vermählen  und  so  dessen  Erwartung  zu 
unterstützen  schien,  war  er  fest  entschlossen,  seine  Ansprüche  auf  die 
französische  Krone  geltend  zu  machen.  Kriegerische  Erfolge  sollten  die 
Usurpation  des  englischen  Thrones  durch  das  Haus  Lancaster  vergessen 
machen.  Die  Verhältnisse  lagen  für  England  günstiger  als  je ,  denn 
Herzog  Johann,  aus  seiner  herrschenden  Stellung  gedrängt,  war  geneigt, 
sich,  wie  vordem  die  Armagnacs,  auf  Englands  Seite  zu  schlagen.  Am 
23.  Mai  1414  wurde  ein  Schutz-  und  Trutzbündnis  zwischen  England  und 
Burgund  abgeschlossen.  Nun  erst  trat  Heinrich  mit  seinen  Plänen 
hervor.  Nachdem  seine  erste  Forderung,  ihm  ganz  Frankreich  ab- 
zutreten, ebenso  wie  die  zweite,  ihm  die  Souveränität  über  Bretagne  und 
Flandern,  dann  die  im  Vertrag  von  Bretigny  abgetretenen  Provinzen 
zu  überlassen,  zurückgewiesen  worden  war,  und  Frankreich  —  auch  ein 
Zeichen  seiner  Schwäche  —  sich  nur  zur  Herausgabe  eines  Teiles  von 
Aquitanien  und  zur  Zahlung  einer  Mitgift  von  850000  Franken  bereit 
erklärt  hatte,  begann  Heinrich  seine  Rüstungen.  Ganz  England  war  für 
das  Unternehmen,  der  Klerus  wegen  der  ketzerfeindlichen  Haltung  des 
Hauses  Lancaster  und  Adel  und  Bürgerschaften  in  der  Erinnerung  an 
die  glänzenden  Zeiten  Eduards  III.  zu  Opfern  bereit.  Im  übrigen 
entbehrten  Heinrichs  Ansprüche  der  rechtlichen  Grundlage,  da  sich 
höchstens  Mortimer  auf  das.  Erbfolgegesetz,  das  für  Eduard  III.  mass- 
gebend war,  berufen  konnte.  Die  Rechtsfrage  trat  denn  auch  in  den 
Hintergrund.  Ein  Heer,  wie  es  England  seit  50  Jahren  nicht  mehr 
gesehen,  wurde   ausgerüstet:    30000  Reiter,   darunter   6000  Ritter.      Am 


550  Eroberung  Harfleurs.     Sehlacht  bei  Azincourt. 

11.  August  1415  lief  die  Flotte  von  Southarnpton  aus  und  gelangte  nach 
dreitägiger  Fahrt  in  die  Nähe  von  Harfleur,  dem  damaligen  Hafen  von 
Paris.  Die  Eroberung  Harfleurs  (22.  September)  war  die  erste  Waffen- 
tat Heinrichs  in  diesem  Kriege.  Da  sein  Heer  durch  Krankheiten  fast 
die  Hälfte  eingebüfst  hatte,  hielt  der  Kriegsrat  die  Rückkehr  für  geboten, 
aber  Heinrich  beschlofs ,  mit  seiner  durch  die  Zurücklassung  einer 
Besatzung  in  Harfleur  noch  geschwächten  Kriegsmacht  einen  Zug  durch 
feindliches  Gebiet  bis  Calais  zu  unternehmen. 

2.  Erst  als  der  Verlust  Harfleurs  schon  entschieden  war ,  hatte 
Karl  VI.  das  Aufgebot  des  Adels  erlassen.  Der  Dauphin  Ludwig  war 
zum  Generalkapitän  des  gesamten  Kriegswesens  ernannt  und  die  Herzoge 
von  Orleans  und  Burgund  aufgefordert  worden ,  ihre  Leute  zu  stellen, 
ohne  selbst  zu  erscheinen.  Jener  fand  sich  jedoch  persönlich  mit  seiner 
ganzen  Macht  ein,  Burgund  verbot  dagegen  seinen  Vasallen,  ohne  seinen 
Befehl  zum  Heere  zu  stofsen ,  konnte  aber  nicht  hindern,  dafs  ein  Teil 
seiner  Truppen,  selbst  seine  Brüder,  unter  französischer  Fahne  fochten. 
Die  Städte  hatten  Geschütze  und  Wurfmaschinen  zu  liefern.  Der  innere 
Zwist  kam  selbst  in  der  Stunde  der  Gefahr  nicht  zum  Schweigen.  Das 
Anerbieten  von  Paris,  6000  Schwerbewaffnete  zu  stellen,  wurde  wohl  im 
Hinblick  auf  seine  burgundischen  Sympathien  abgewiesen.  Das  fran- 
zösische Heer,  das  sich  in  der  Stärke  von  100000  Mann  bei  Rouen 
sammelte,  marschierte  an  die  Somme,  um  den  Engländern  den  Über- 
gang streitig  zu  machen.  Diese  waren  am  8.  Oktober  von  Harfleur  auf- 
gebrochen, hatten  mit  Mühe  —  denn  die  Übergänge  waren  meist  stark 
besetzt  —  unterhalb  Harn  die  Somme  übersetzt  und  waren  dann  un- 
belästigt  bis  Maisoncelle  gelangt.  Das  Heer  der  Franzosen,  dessen 
Führung  dem  Dauphin  nicht  überlassen  wurde ,  wuchs  immer  stärker 
an.  Am  24.  Oktober  erreichte  es  Azincourt.  Bei  der  Übermacht,  die 
es  hatte,  machte  Heinrich  auf  Grund  des  Besitzstandes  vor  dem  Kriege 
Friedensanerbietungen,  wurde  aber  abgewiesen.  So  kam  es  am  Morgen 
des  25.  Oktober  bei  Azincourt  zur  Schlacht1),  die  nach  dreistündigem 
harten  Ringen  durch  die  trefflichen  Vorkehrungen  Heinrichs  V.  und  die 
tapfere  Haltung  der  englischen  Bogenschützen  gewonnen  wurde.  Der 
Verlust  der  Engländer  war  aufs  er  ordentlich  gering ;  bei  den  Franzosen 
belief  sich  allein  die  Zahl  der  getöteten  Adeligen  auf  mehr  als  5000. 
Unter  den  Gefangenen  befanden  sich  die  Herzoge  von  Orleans  und 
Bourbon.  Im  allgemeinen  war  der  Sieg  der  Engländer  bei  Azincourt 
ein  gröfserer  als  bei  Crecy,  weil  die  Ungleichheit  der  Heere  eine  gröfsere 
war,  das  unmittelbare  Ergebnis  aber  ein  geringeres,  weil  den  Engländern 
die  Kräfte  fehlten,  ihren  Sieg  auszunützen.  Heinrich  V.  kehrte  nach 
England  zurück  und  hielt  am  23.  November  einen  glänzenden  Einzug 
in  London. 

3.  Selbst  die  Schmach  von  Azincourt  vermochte  den  Parteihafs  der 
Franzosen  nicht  auszurotten.  Die  Bourgui'gnons  freuten  sich  der  Nieder- 
lage der  Armagnacs,  und  mit  Herzog  Johann  kehrten  auch  die  Cabochiens 

l)  Die  Einzelheiten  s.  bei  Köhler,  S.  760. 


Armagnac  in  Paris.    Friedensvermittlung  Sigmunds.   Bündnis  v.  Canterbiiry.     551 

wieder  nach  Paris  zurück.  Noch  aussichtsvoller  gestalteten  sich  die  Aus- 
sichten des  Burgunders  nach  dem  Tode  des  Dauphins ,  dessen  Bruder, 
der  nunmehrige  Dauphin  Johann,  selbst  zu  seinen  Anhängern  zählte. 
Der  Graf  von  Armagnac  hatte  inzwischen  die  Trümmer  seiner  Partei 
gesammelt,  Paris  und  die  festen  Plätze  an  der  Seine  besetzt,  liefs  sich 
die  Würde  eines  Connetable,  des  Generalgouverneurs  der  Finanzen  und 
Generalkapitäns  aller  Festungen  übertragen  und  befestigte  seine  Macht 
so,  dafs  Herzog  Johann  zur  Rückehr  nach  Flandern  genötigt  wurde 
(1416,  Januar),  wodurch  er  seine  Anhänger  in  Paris  preisgab.  Armagnac 
richtete  ein  förmliches  Schreckensregiment  auf.  Die  Pariser  mufsten 
ihre  Waffen  abliefern,  zahlreiche  Personen  wurden  verhaftet  oder  ver- 
bannt. Vergebens  bemühte  sich  König  Sigmund  auf  seiner  Fahrt  zu 
Benedikt  XIII.  und  dem  König  von  Aragonien,  einen  Frieden  zwischen 
England  und  Frankreich  zu  vermitteln.  Wohl  schickte  dieses  Gesandte 
nach  England ,  verwarf  aber  die  Friedensbedingungen  Heinrichs :  den 
Besitzstand  des  Friedens  von  Bretigny  und  die  Abtretung  Harfleurs.  Die 
Zerrüttung  in  Frankreich  stieg  immer  höher.  Da  Herzog  Johann  von 
Burgund  des  Dauphins  sicher  war,  zögerte  er,  sich  an  England  anzu- 
sehliefsen;  als  aber  der  Dauphin  starb  und  seine  Rechte  auf  Karl  von 
Touraine ,  den  jüngsten  Sohn  Karls  VI.,  übergingen,  der  ganz  unter 
Armagnacs  Einflufs  stand,  wurde  die  Lage  eine  andere.  Zunächst  begann 
der  Krieg  von  neuem,  aber  die  von  Armagnac  versuchte  Wiedereroberung 
von  Harfleur  mifslang,  nachdem  die  genuesische,  im  Dienste  Frankreichs 
stehende  Flotte  von  der  englischen  unter  Bedford  bei  Honfleur  besiegt 
worden  war  (1416,  15.  August).  Erbittert  über  das  Scheitern  der  Friedens- 
verhandlungen, schlofs  Sigmund  am  Tage  von  Honfleur  mit  Heinrich  V. 
das  Bündnis  von  Canterbury,  das  freilich  an  den  bestehenden  Ver- 
hältnissen ebensowenig  änderte,  wie  der  Kongrefs  von  Calais,  wo  noch- 
mals Friedensversuche  gemacht  wurden.  Die  Franzosen  lohnten  Sig- 
munds Mühe  mit  der  Zumutung,  »die  englische  Ländergier  durch  Ab- 
tretung eines  Teiles  vom  deutschen  Reichsland  zu  sättigen«.  Burgund 
trat  nun  ganz  auf  Englands  Seite.  Heinrich  V.,  der  am  1.  August  1417  in 
Harfleur  gelandet  war,  errang  einen  Erfolg  nach  dem  andern.  Die  Bretagne 
ging  zu  ihm  über,  Anjou  und  Maine  erklärten  sich  neutral;  im  Früh- 
jahre 1419  befand  sich  die  niedere  Normandie,  deren  Bewohner  durch 
Steuernachlässe  und  milde  Behandlung  für  die  neue  Herrschaft  gewonnen 
wurden,  in  englischem  Besitz.  Ausgleichsversuche  unter  den  französischen 
Parteien  scheiterten  an  Armagnacs  Leidenschaftlichkeit,  worauf  sich 
auch  die  Mittelklasse  in  Paris  an  Burgund  anschlofs.  Paris  wurde 
den  burgundischen  Truppen  geöffnet  (1418,  29.  Mai)  und  der  Schauplatz 
einer  wilden  Pöbelherrschaft,  der  Armagnac  selbst  zum  Opfer  fiel.  Ver- 
geblich suchte  nun  Johann  von  Burgund  den  Dauphin  zum  Frieden  zu 
bewegen.  Es  gab  jetzt  zwei  Regierungen :  die  eine  unter  der  mit  ihrem 
Sohn  entzweiten  Königin  und  dem  Herzog  Johann  zu  Paris,  die  andere 
unter  dem  Dauphin  zu  Bourges.  Die  Engländer  eroberten  Cherbourg, 
dann  nach  sechsmonatlicher  Belagerung  das  heldenmütig  verteidigte 
Rouen   (1419,    19.  Januar),    das    nun    nach    215 jähriger  Unterbrechung 


552     Fortschritte  d.  Engländer.    Ermordung  Johanns  v.  Burgund.   Philipp  d.  Gute. 

wieder  in  ihre  Hände  kam.  Da  Heinrich  V.  als  Preis  des  Friedens  zu 
den  Bedingungen  von  Bretigny  noch  Maine,  Touraine,  Anjou  und  die 
Lehenshoheit  über  Bretagne  begehrte  —  Forderungen,  die  keine  fran- 
zösiche  Partei  zugestehen  konnte  — ,  blieb  die  Zusammenkunft,  die  er 
am  30.  Mai  1419  bei  Pontoise  mit  der  Königin  Isabeau  hatte,  ohne  das 
gewünschte  Ergebnis;  aber  Heinrich  V.  stiefs  durch  seine  Mafslosigkeit 
den  Herzog  Johann  ab,  der  es  nun  vorzog,  sich  mit  dem  Dauphin  aus- 
zugleichen. Eine  erste  Zusammenkunft  bei  Melun  (7.  Juli)  blieb  aller- 
dings erfolglos.  Besser  gelang  es  bei  einer  zweiten  vier  Tage  später. 
Beide  versprachen ,  zur  Vertreibung  der  Engländer  zusammenzuwirken. 
Am  19.  Juli  bestätigte  Karl  VI.  den  Vertrag.  Am  10.  September  1419 
fand  eine  abermalige  Zusammenkunft  an  der  Yonnebrücke  zu  Montereau 
statt.  Hier  hatte  der  Burgunder  heftige  Worte  wegen  Verhandlungen  zu 
hören ,  die  er  in  der  Zwischenzeit  mit  den  Engländern  geführt  hatte. 
Im  Streite,  der  sich  hierüber  entspann,  fiel  Herzog  Johann  von  mehreren 
Schwertstichen  getroffen;  das  Ereignis  vollzog  sich  so  rasch,  dafs  keiner 
der  Anwesenden  den  näheren  Vorgang  zu  schildern  vermochte.  Die 
Burgunder  beschuldigten  den  Dauphin  der  Hinterlist;  aber  dessen  Ab- 
sicht, den  Herzog  zu  töten  ,  ist  nicht  wahrscheinlich.  Der  Vorgang  er- 
innert an  den  Mord  von  1407.  Damals  begann  der  Bürgerkrieg,  jetzt 
wurde  Burgund  ganz  auf  die  Seite  Englands  gedrängt. 

4.  Der  Sohn  des  Ermordeten,  Philipp  der  Gute,  erkannte  nun- 
mehr im  Vertrag  von  Arras  Heinrich  V.  als  König  von  Frankreich  an. 
Die  Prinzessin  Katharina  sollte  mit  Heinrich  vermählt  werden,  und  dieser 
nach  Karls  VI.  Tode  auch  in  Frankreich  nachfolgen.  Im  Mai  1420 
wurde  zu  Troyes  die  Verlobung,  im  Juni  die  Hochzeit  gefeiert.  In  jedem 
der  beiden  Reiche  sollten  die  alten  Gesetze  in  Geltung  bleiben.  Ein 
grofser  Teil  der  Franzosen  war  damit  einverstanden.  Nicht  wenige  be- 
ruhigten sich  bei  dem  Gedanken,  dafs  nun  auch  die  abgetrennten  Teile 
Frankreichs  mit  diesem  —  wenn  auch  unter  einer  anderen  Dynastie  — 
wieder  verbunden  und,  wie  in  England,  auch  in  Frankreich  das  stän- 
dische Leben  gefördert  würde.  Nach  dem  Hochzeitsfeste  setzte  Heinrich  V. 
seinen  Eroberungszug  fort.  An  der  Seite  Karls  VI.  hielt  er  seinen  Ein- 
zug in  Paris  (1420,  Dezember).  Die  Reichsstände  traten  der  Verein- 
barung von  Troyes  bei.  Der  Dauphin  wurde  der  Mitschuld  an  der  Er- 
mordung Herzog  Johanns  angeklagt  und,  da  er  nicht  zur  Verantwortung 
erschien,  der  Nachfolge  verlustig  erklärt.  Aber  diese  Vorgänge  hatten 
das  Nationalgefühl  der  Franzosen  mächtig  erregt;  es  gelang  dem  Dauphin, 
im  Süden  einige  Vorteile  zu  erringen.  Eine  Niederlage  des  Herzogs  von 
Clarence  bewog  Heinrich  V. ,  abermals  ins  Feld  zu  rücken,  und  wieder 
errang  er  grofse  Erfolge.  Ganz  Frankreich  nordwärts  von  der  Loire 
gehorchte  seinen  Befehlen.  Sein  Glück  schien  vollständig,  als  ihm  seine 
Gemahlin  am  6.  Dezember  1421  einen  Sohn  gebar.  Schon  waren  aber 
die  Tage  des  Königs  gezählt.  Nachdem  er  die  Erziehung  seines  Sohnes 
seinem  Oheim  Warwik  und  dem  Grafen  von  Huntington  anvertraut,  die 
Regentschaft  in  Frankreich  und  der  Normandie  seinem  Bruder  Bedford, 
die  von  England  dem  zweiten  Bruder  Glocester  übergeben  hatte,    starb 


Höhepunkt  d.  Macht  Heinrichs  V.     Sein  Tod.     Das  Ende  Karls  VI.  553 

er  —  erst  35  Jahre  alt  —  am  31.  August  1422.  Heinrich  V.  hatte  wie 
kaum  ein  zweiter  König  Englands  die  Würde  seines  Königtums  zu 
wahren  verstanden.  Er  besafs  weder  Günstlinge,  noch  liefs  er  sich  eine 
Ungerechtigkeit  zu  Schulden  kommen.  Streng  gegen  die  Grofsen,  leut- 
selig gegen  die  Niedrigen,  war  er  einer  der  letzten  Könige  Europas,  die 
noch  im  Ernst  an  einen  Kreuzzug  dachten.  Eine  Chronik  von  Jerusalem 
und  die  Geschichte  Gottfrieds  von  Bouillon  gehörten  zu  seinen  Lieblings- 
büchern. Wenige  Monatenach  Heinrich  V. starb  Karl  VI.  Kein  französischer 
Prinz  wohnte  seinem  Leichenbegängnis  bei.  Ein  Herold  rief  aus :  Gott 
schenke  ein  langes  Leben  Heinrich  (VI.),  dem  König  von  Frankreich 
und  England! 


§  128.    Karl  YIL,  „König  von  Bourges". 

Quellen:  S.  die  Einleitung  zu  Du  Fresne  de  Beaucourt,  Hist.  de  Charles  VII. 
Lavisse-Petit-Dutaillis  IV,  2.  Potthast  II,  1707.  Urkk.  und  Ordonnanzen,  Ver- 
träge etc.,  wie  oben.  S.  die  Einleitung  zur  Chronique  du  Mont  S.  Michel,  ed.  S.  Luce. 
Paris  1879.  Stevenson,  Letters  and  papers,  illustrative  of  the  wars  of  the  English  in 
France.  1861 — 64.  Guerin,  Documents  concernant  le  Poitou.  1896  —  98.  Soyer,  Actes 
de  Charles  VII.  1898.  De  Beaucourt,  Lettres  of  Richemont,  R.  Hist.  Xobil.  1892. 
Charles  VII,  Lettres  sur  la  reduction  de  la  ville  de  Troyes  ap.  Camusat  Mel.  hist. 
S.  auch  Thomas,  Les  Etats  provinciaux  de  France  centrale.  1879.  Tuetay,  s  unten. 
Documents  sur  1'administration  financiere  en  France  de  Charles  VII  ä  Francois  I 
(1443 — 1523),  p.  p.  G.  Jacqueton.  Zu  den  Kriegen  Karls  VII.  gegen  Engl,  s,  noch  Grofs, 
The  sources  and  literature  of  English  history  p.  370  Nr.  2115,  2116,  2118,  2120 
und  2121.  Ergänz,  s.  in  Lavisse  IV,  2  zu  den  einzelnen  Kapp.  Darstellende 
Werke:  S.  §  126:  Monstrelet,  La  Fevre,  Cochon,  Journal  d'un  bourgeois.  Dazu: 
Basin,  Hist.  de  rebus  a  Carolo  VII  et  Ludov.  XI,  gestis,  Paris  1854 — 59.  Leseur, 
Chronique  franc.,  Paris  1893.  Chroniques  d'Esquerrier  et  Miegeville.  1895.  Morosini, 
tom.  H,  III,  ed.  Dorez  et  Lefevre-Pontalis.  Chroniques  de  Guillaume  I  Cousinot  et  de 
Cousinot  II,  dans  Vallet  de  Viriville,  Chron.  de  la  Pucelle,  1859  (s.  Potth.  I,  310). 
Guillaume  Gruel,  Chronique  d' Arthur  de  Richemont  1393 — 1458,  ed.  Le  Vavasseur  1890. 
Berry,  Les  Croniques  du  feu  roi  Charles  VII.  Par.  1528.  Le  recouvrement  de  Normendie 
1449  —  50  in  Stevensons  Xarratives,  s.  unten.  Chartier,  Hist.  ou  Chronique  de  Ch.  VII. 
Par.  1858—59.  Ecouchy,  Hist.  d'une  partie  du  regne  de  Charles  VII,  ed.  Beaucourt  1863. 
Taverne,  Journal  de  la  paix  d'Arras,  ed.  Collart.  Par.  1651.  Olivier  de  laMarchei  Memoires 
1435 — 1492  (wichtig  für  die  Gesch.  Burgunds),  Buchon,  Choix  de  chron.  VII.  Jean 
de  Bueil,  Le  Jouvencel  (Quelle  ersten  Ranges  f.  d.  Kriegsgesch.  unter  Karl  VH,  siehe 
Molinier,  DZG.  III,  154),  ed.  Favre  et  Lecestre.  Par.  1887 — 89.  Chastelain,  Chronique  des 
ducs  de  Bourgogne  1419 — 74,  ed.  Kervyn  de  Lettenhove.  Bruxelles  1863 — 66.  Jehan 
de  Wawrin,  Anchiennes  cronicques  d'Engleterre  (bis  1471),  ed.  Dupont.  Par.  1858 — 59. 
Unter  dem  Titel  Rec.  des  cronicques  et  anchiennes  istories  v.  Hardy  in  den  Rolls  Ser. 
5  Bde.  Lond.  1868  ff.  Xarratives  of  the  expulsion  of  the  English  from  Xormandie,  ed. 
Stevenson.  R.  S.  XXXII.  Martial  d'Auvergne,  Les  Vigiles  du  feu  roy  Charles  VII. 
Par.  1724.  Humbertus  de  Montmoret,  Bellorum  Brit.  a  Carolo  VH  gest.  I  pars  Paris  1512. 
Memoires  sur  Jacques  Coeur  et  actes  de  son  proces.  Buchon  Coli.  XL.  Saint-Gelais, 
Le  Vergier  d'honneur.  Paris  1526.  Memoires  de  Florent,  MichaudetPoujoulat,  Xouv.coll.in. 

Hilfsschriften:  S.  Luce,  La  France  pendant  etc ,  wie  oben.  Hauptwerk: 
G.  du  Fresne  de  Beaucourt,  Hist.  de  Charles  VH.  6  Bde.  Paris  1881—91. 
Vallet  de  Viriville,  H.  d.  Ch.  VII.  Paris  1862.  (S.  Ch.  Pe  ti  t-D  u  taillis,  Hist. 
politique  de  la  France  au  XlVe  et  au  XVe  siecle.  1902.)  Longnon,  Etendue  de  la 
domination  anglaise  ä  l'epoque  de  Jeanne  d'Arc.  RQH.  XVIII  (s.  Lavisse  IV,  2,  3). 
Denifle,   wie  oben.     Beaurepaire,    Les  Etats  de  Xormandie    sous   la  domination 


554  John  Bedford  und  Karl  VII. 

anglaise.  1859.  Cosneau,  Le  connetable  de  Richeniont.  1886.  Flourac,  Jean  Ier 
comte  de  Foix.  1884.  De  Beaucourt,  Le  caractere  de  Charles  VLT.  RQH.  IX.  Vallet 
de  Yiriville,  Recherches  sur  Agnes  Sorel.  BECh.  1850  und  Agnes  Sorel,  Etüde 
morale  et  politique  sur  le  XVe  siede.  Paris  1855.  Perrens,  La  Democratie  en  France 
au  moyen-age.  1876.  Neuville,  Le  Parlement  royal  ä  Poitiers  1418 — 1439.  RH.  VI. 
Picot,  Hist.  des  Etats  generaux.  1889.  Tuetay,  Les  Iilcorcheurs  sous  Charles  VII, 
wie  oben.  Ramsay,  Lancaster  and  York.  1892.  Clement,  Jacques  Coeur  et 
Charles  VII.  Par.  1865.  (Die  restl.  Lit.  s.  in  Lavisse  IV,  2.)  Thomas,  Les  Etats 
provinciaux  de  la  France  sous  Charles  VII.  RH.  X,  XL  Jarry,  Les  origines  de  la 
domination  franc.  ä  Genes.    Par.  1896. 

1.  Mit  kräftiger  Hand  führte  John  von  Bedford  für  Hein- 
rich VI.  die  Regentschaft  in  Frankreich.  Er  hatte  alle  Talente  seines 
königlichen  Bruders :  kraftvolle  Initiative ,  Ausdauer ,  politische  und 
militärische  Veranlagung,  dazu  noch,  was  diesem  gefehlt  hatte:  milden 
Sinn  und  feines  Auftreten.  Es  gelang  ihm  denn  auch,  seinem  Neffen 
in  einem  grofsen  Teil  von  Frankreich  Anerkennung  zu  verschaffen.  In 
England  machte  Glocester  den  Versuch,  an  die  Spitze  der  Verwaltung 
zu  gelangen ;  das  Parlament  stiefs  Heinrichs  letztwillige  Verfügung  um : 
es  ernannte  Glocester  zum  Protektor,  doch  nur  für  die  Zeit,  als  Bed- 
ford in  Frankreich  verweilte.  Dort  hielt  die  Mehrheit  des  Volkes  zu 
Karl  VII.  (1422 — 1461),  der  sich,  da  Reims  in  den  Händen  der 
Feinde  war,  in  Poitiers  zum  König  krönen  liefs.  Seinen  Sitz  nahm 
er  in  Bourges,  weshalb  Spottsucht  ihn  »König  von  Bourges«  nannte. 
Ein  Mann,  dessen  gute  Seiten  erst  in  späteren  Jahren  zur  Geltung 
kamen,  war  er  Bedford  weder  an  Talent  noch  an  Charakter  gewachsen. 
Nach  einer  leichtfertig  verlebten  Jugend  besafs  er  nicht  wie  Heinrich  V. 
die  Kraft,  sich  aus  dem  Sumpfe  zu  erheben.  Nicht  ohne  Begabung, 
fehlte  es  ihm  an  Tiefe  und  Ausdauer,  namentlich  auch  an  der  Fähig- 
keit, die  Talente  anderer  neidlos  anzuerkennen.  Von  Günstlingen  um- 
geben, die  das  Volk  halste,  war  er  das  Schattenbild  eines  Monarchen, 
unfähig,  das  Königtum  aus  eigener  Kraft  wieder  aufzurichten.  Für  ihn 
sprach  aber  das  Blut,  das  in  seinen  Adern  rollte,  das  französische 
Nationalgefühl,  das  sich  allenthalben  regte,  und  die  Sympathien  des 
durch  Englands  Herrschaft  in  seiner  Machtstellung  bedrohten  franzö- 
sischen Adels,  der  mit  Mifsgunst  auf  die  Förderung  blickte,  die  das 
englische  Königtum  dem  Bürgerstande  gewährte.  Für  ihn  wirkte  end- 
lich die  Idee  des  legitimen  Königtums,  der  sich  auf  die  Dauer  kein 
Franzose  entzog  und  die  sich  in  Volksbewegungen  und  Adelserhebungen 
kundgab.  Von  auswärtigen  Mächten  durfte  er  nur  auf  Schottland 
rechnen,  dessen  König  Jakob  I.  sich  aber  in  englischer  Gefangenschaft 
befand.  Schottische  Grofse  wie  Graf  Donglas  liefsen  ihr  Blut  auf  Frank- 
reichs Boden.  Der  Kampf  Frankreichs  gegen  England  nahm  seinen 
Fortgang.  Anfangs  gewann  es  das  Aussehen ,  als  würde  Frankreich  in 
zwei  voneinander  getrennte  Staaten  zerfallen. 

2.  Um  gegen  Schottland  gesichert  zu  sein,  gab  Bedford  dem  schot- 
tischen König  die  Freiheit  zurück  und  begünstigte  seine  Verbindung 
mit  Johanna  Beaufort,  einer  Enkelin  Johanns  von  Gaunt.     Nachdem  die 


Sieg  der  Engländer  bei  Verneuil.    Die  Engländer  vor  Orleans.  555 

Franzosen  1423  vor  den  Mauern  der  burgundischen  Feste  Cravant 
eine  Schlappe  erlitten,  wurden  sie  am  17.  August  1424  bei  Verneuil 
aufs  Haupt  geschlagen.  Maine  und  die  festen  Plätze  der  Pikardie  gingen 
verloren,  und  Bedford  schien  nun  in  Frankreich  noch  fester  zu  stehen 
als  Heinrich  V.  Doch  wurde  sein  Siegeszug  bald  gehemmt.  Zwar  hatte 
Glocester  den  Grafen  Edmund  von  March  —  den  rechtmäfsigen  Erben 
der  Krone  —  durch  die  Ernennung  zum  Statthalter  von  Irland,  wo  er 
ohne  männliche  Erben  schon  1424  starb,  beiseite  geschoben;  er  selbst 
sah  sich  aber  überall  durch  seinen  Oheim,  den  Kardinal  und  Bischof 
von  Winchester,  beengt.  Zum  Überflufs  rüttelte  er  noch  an  dem  eng- 
lisch-burgundischen  Bündnis,  indem  er  sich  mit  der  von  ihrem  Gemahl, 
Herzog  Johann  von  Brabant,  geschiedenen  Gräfin  Jakobäa  von  Henne- 
gau und  Holland  vermählte,  um  in  den  Besitz  ihres  reichen  Erbes 
zu  kommen,  auf  das  Philipp  von  Burgund  bei  der  Kinderlosigkeit  des 
Brabanters  sich  selbst  Hoffnung  gemacht  hatte.  Die  ehrgeizigen  Be- 
strebungen Glocesters  niederzuhalten  und  den  Bischof  von  Winchester 
gegen  ihn  zu  schützen,  war  Bedford  nach  England  gegangen.  So  ruhte 
der  grofse  Krieg  von  1425  bis  1427.  Glocesters  Ehe  wurde  übrigens 
von  Martin  V.  für  ungültig  erklärt,  und  Jakobäa  schlofs  nach  dem  Tode 
des  Herzogs  von  Brabant  einen  Vertrag  mit  Burgund,  in  welchem  sie 
diesem  ihren  Länderbesitz  vermachte  (1428).  Karl  VII.  verstand  es  nicht, 
das  Zerwürfnifs  zwischen  Engländern  und  Burgundern  auszunützen  und 
Burgund,  auf  dessen  Hilfe  Englands  Erfolge  beruhten,  auf  seine  Seite 
zu  ziehen.  Das  hätte  Karl  VII.  durch  den  Sturz  seiner  Ratgeber  erreichen 
können,  die  an  der  Ermordung  Herzog  Johanns  Schuld  trugen.  Die 
Sache  wäre  um  so  aussichtsvoller  gewesen,  als  sich  auch  die  Bretagne 
von  England  abwandte.  Aber  Karl  VII.  weigerte  sich,  seine  Günstlinge 
zu  entlassen,  und  als  Bedford  mit  neuen  Truppen  erschien,  war  es  zu 
spät.  Bretagne  trat  zu  England  zurück,  und  Herzog  Philipp,  seiner  Sorge 
um  die  holländische  Erbschaft  ledig,  schlofs  sich  wieder  eng  an  dieses  an. 
Jetzt  sollte  Karls  Macht  auch  im  südlichen  Frankreich  gebrochen  werden. 
Graf  Salisbury,  einer  der  tüchtigsten  englischen  Herrführer,  wurde  beauf- 
tragt, Orleans  anzugreifen.  Man  meint,  dafs  der  kluge  Herzog  von  Bedford 
von  dem  Unternehmen  abgeraten,  aber  dem  stürmischen  Drängen  der 
übrigen  Heerführer  nachgegeben  habe.  Die  Engländer  erschienen  am 
12.  Oktober  1428  vor  der  Stadt.  Bürgerschaft  und  Besatzung  waren  zum 
äufsersten  Widerstand  entschlossen,  die  Stadt  selbst  trefflich  befestigt 
und  mit  Nahrungsmitteln  versehen;  schliefslich  stieg  aber  die  Not  derart, 
dafs  die  Bürger  zu  dem  Anerbieten  bereit  waren,  die  Stadt  als  neutralen 
Ort  an  die  Burgunder  auszuliefern.  Bedford  wies  dies  zurück.  Karl  VII., 
der  in  Chinon  Hof  hielt,  verlor  allen  Mut.  Man  hatte  ihm  geraten,  die 
Hälfte  seines  Reiches  zu  opfern  und  sich  in  die  Dauphine,  ja  nach 
Kastilien  zurückzuziehen,  während  er  selbst  an  Schottland  dachte,  und 
Vorbereitungen  zu  seiner  Einschiffuno-  traf.  In  dieser  tiefsten  Not 
wurde  ein  einfaches  Landmädchen  die  Retterin  Frankreichs  und  seines 
Königtums. 


556  Jeanne  d'Arc.     Ihre  Herkunft. 

§  129.    Die  Jungfrau  von  Orleans.   Frankreichs  Wiedererhebung- 

Quellen:  S.  Karl  v.  Hase,  Werke  Y,  2.  La  nerv  d'Arc,  Bibliographie  des 
ouvrages  relatifs  ä  Jeanne  d'Arc.  Catalogue  des  principales  etudes  historiques  et  litte- 
raires  consacrees  ä  la  Pucelle  d'Orleans  jusqu'ä  nos  jours.  Paris  1888,  enth.  2120  Xumniern, 
trotzdem  aber  schon  veraltet  Einzelne  Nachträge  s.  in  Potth.  I,  643 — 45.  Liebermann, 
DZG.  m  u.  Lavisse,  Hist.  de  France  IY,  2,  an  der  Spitze  der  einzelnen  Kap.  Die  Akten 
(Prozesse,  Briefe  etc.)  bei  Quicherat,  Proces  de  condaranation  et  de  rehabilitation 
de  Jeanne  d'Arc  dite  la  Pucelle,  publ.  pour  la  premiere  fois  d' apres  les  manuscr. 
Par.  1841 — 49.  5  Bde.  (s.  dazu  Beaurepaire,  Recherches  sur  le  proces  etc.  Rouen  1869). 
Proces  de  Jeanne  la  Pucelle.  Manuscrit.  inedit,  legue  par  Benoit  XIY  ä  la  biblioth. 
de  l'univ.  de  Bologna,  p.  p.  A.  du  Bois  de  la  Villerabel.  S.  Brieuc  1890.  Chronique  de 
la  Pucelle  1422 — 1429  bei  Quicherat ,  wie  oben,  IY,  204 — 53.  Memoires  concernant 
Jeanne  d'Arc  1422 — 29,  ed.  Michaud  et  Poujoulat  1854.  Livre  de  la  Pucelle  in  Hist. 
de  Xorniandie.  Rouen  1610.  Lanery  d'Arc,  Memoires  et  consultations  en  faveur  de 
Jeanne  d'Arc.  Par.  1889.  Zur  Belag,  v.  Orleans :  Journal  du  siege  d'Orleans  et  de  Pucelle 
Jeanne  1428.  Paris  1631.  Histoire  et  discours  du  siege  .  .  .  d'Orleans.  Tageb.  über  die 
Belag,  vom  12.  X.  1428  bis  8.  Y.  1429  bei  Quicherat  IV,  wie  oben.  Xeue  Ausg.  von 
Charpentier  et  Ouissart.  Paris  1896.  Im  Hinblick  auf  Lanery  d'Arc  u.  Potth.  I,  643, 
können  nur  die  wichtigeren  Hilfsschriften  zur  Gesch.  d.  J.  v.  Orl.  angeführt 
werden.  Hauptwerk:  Wallon,  Jeanne  d'Arc.  3  ed.  Par.  1875 ;  deutsch.  Münster  1869. 
Michel  et,  J.  d'Arc  1873.  Sepet,  Jeanne  d'Arc,  Tours  1868,  nouv.  ed.  1896. 
Lowell,  Joan  of  Are.  Boston  1896.  Dunant,  Hist.  de  J.  d'Arc.  1895.  —  Histoire 
complete  de  Jeanne  d'Arc,  du  proces,  qui  la  condamne  et  de  sa  rehabilitation.  3.  Bde. 
Par.  1899.  Deutsche  Werke:  Pauli,  Bilder  aus  Altengland,  wie  oben.  Sickel,  Jeanne 
d'Arc.  HZ.  IY,  273.  Hase,  wie  oben.  Beckmann,  Forschungen  über  die  Quellen  z. 
Gesch.  d.  Jungf.  v.  Orl.  Paderb.  1872.  Eysell,  Johanna  d'Arc.  Regensb.  1864.  Görres, 
Die  Jungfr.  v.  Orleans.  Regensb.  1834.  Mahrenholz,  Jeanne  Darc  in  Gesch , 
Legende,  Dichtung  etc.  Leipz.  1890.  Einzelnes:  Lef  e  vre  -Pontali  s,  La  panique 
anglaise  en  Mai  1429.  Le  Moyenäge  YH.  Dort  weitere  Lit.  Quicherat,  Apercus 
nouveaux  sur  l'histoire  de  Jeanne  d'Arc.  Par.  1850.  Ayroles,  La  vraie  Jeanne  d'Arc. 
La  Pucelle  devant  l'Eglise  de  son  temps.  Par.  1890.  A.  Sorel,  La  prise  de  Jeanne  d'Arc 
devant  Compiegne  1889.  S.  Luce,  Jeanne  d'Arc  ä  Domremy.  1886.  Denifle 
et  Chatelain,  Le  proces  de  Jeanne  d'Arc  et  l'L'niversite  de  Paris  1879.  Beau- 
repaire, wie  oben.  Sarrazin,  Jeanne  d'Arc  et  la  Xorniandie  au  XVe  siecle  1896.  — 
Pierre  Cauchon  1901.  Lefevre-Pontalis,  La  fausse  Jeanne  d'Arc,  Le  Moyen  äge  1895 . 
Longnon  w.  §128.  Hellis,  La  prison  de  Jeanne  d'Arc  ä  Rouen.  1866.  Precis  d. 
trav.  de  l'Acad  .  .  .  ä  Rouen.  R  a  a  b  e ,  Jeanne  Darc  en  Angleterre  2.  ed.  Paris  1892.  Marin, 
Jeanne  d'Arc  tacticien  et  strategiste.  Paris  1891.  Belon  et  Balme,  Jean  Brehal, 
grand  inquisiteur  de  France  et  la  rehabilitation  de  Jeanne  d'Arc.  1893.  ZurBelager.  v. 
Orleans  s.  auch  Anatole  France,  Le  siege  d'Orleans  Rev.  de  Paris  1902.  Die  Lit. 
über  die  Ecorcheurs  s.  Lavisse  IY,  1,  87.  Dort  auch  die  Lit.  über  die  allmähliche  Ver- 
drängung der  Englander  aus  Frankreich.     Denifle,  La  desolation,  wie  oben. 

1.  Jeanne  d'Arc  wurde  um  1412  in  dem  französischen,  an  den 
Grenzen  von  Lothringen  und  Bar  gelegenen  Dörfchen  Domremy,  mitten 
unter  einer  Bevölkerung  geboren,  die  sich  stets  durch  unverbrüchliche 
Königstreue  auszeichnete.  Ihre  Eltern  hatten  drei  Söhne  und  aufser 
Jeanne  noch  eine  Tochter.  Was  ihr  an  Kenntnissen  abging  —  denn 
sie  konnte  weder  lesen  noch  schreiben  —  ersetzten  ihre  glänzenden 
Xaturgaben :  Schärfe  des  Verstandes,  gesundes  Urteilsvermögen,  starkes 
Gedächtnis  und  seltene  Willensstärke.  Schön  von  Gestalt,  für  ihr  Ge- 
schlecht ziemlich  grofs,  besafs  sie  eine  seltene  Körperstärke  und  Aus- 
dauer; ihr  Gesicht  war  frisch  und  voll,  ihre  Stimme  freundlich.  In 
Momenten  stärkerer  Erregung  verklärten  sich  ihre  Züge.     Für  gewöhn- 


Ihre  Visionen  und  ihre  Sendung.     Ankunft  und  Aufnahme  bei  Hof  557 

lieh  wortkarg,  wurde  sie  gewandt  im  Ausdruck,  sobald  es  galt,  von  ihrer 
göttlichen  Sendung  zu  zeugen.  Sie  half  den  Eltern  bei  der  Feldarbeit, 
trieb  das  Vieh  auf  die  Weide  oder  war  im  Hauswesen  tätig.  In  ihrer 
Umgebung  hatte  sie  den  Ruf  »eines  guten,  verständigen  Mädchens  von 
schlichter  Einfalt  und  unsträflichem  Lebenswandel.«  Nach  der  Aussage 
des  Ortsgeistlichen  kam  ihr  niemand  an  Frömmigkeit  und  Tiefinnigkeit 
des  Glaubens  gleich.  Dem  Aberglauben  ihrer  Ortsgenossen  war  sie  ab- 
hold. Nie  hat  sie  von  Anmieten  und  ähnlichen  Dingen  etwas  gehalten. 
Die  kriegerischen  Ereignisse  machten  sich  schliefslich  auch  in  ihrer 
Heimat  bemerkbar:  kriegerische  Scharen  drangen  auch  in  die  Maas- 
gegenden ein.  Jeanne  mochte  13  Jahre  zählen,  als  sie  eines  Sonntags 
im  Garten  ihres  Vaters  eine  helltönende  Stimme  vernahm,  die  sie  zum 
Guten  mahnte,  ihr  die  Not  des  Landes  schilderte  und  sie  aufforderte, 
ihrem  König  zu  helfen.  Die  Stimme  liefs  sich  ein  zweites  und  drittes 
Mal  hören ;  sie  sah  den  Erzengel  Michael,  der  zu  ihr  sprach.  Im  festen 
Glauben  an  ihre  Mission  tat  sie  das  Gelübde  der  Ehelosigkeit;  ihr  Ge- 
heimnis blieb  nicht  völlig  verborgen  und  erregten  den  Unwillen  ihres 
Vaters,  der  den  freilich  aussichtslosen  Versuch  machte,  sie  zu  vermählen. 
Der  Krieg  ging  inzwischen  weiter.  Burgundische  Kriegsscharen  er- 
schienen in  Jeannes  Heimat  and  zwangen  die  Ihrigen,  sich  zeitweise 
aus  Domremy  zu  flüchten.  Jetzt  erst  vertraute  sie  sich  ihrem  Oheim 
Laxart  an,  der  sie  zu  dem  königlichen  Hauptmann  Baudricourt  nach 
Vaucouleurs  führte.  Dieser  wies  ihr  Ansinnen,  sie  an  den  Hof  zu 
bringen,  ab,  und  so  kehrte  sie  in  ihre  Heimat  zurück.  Als  sie  in  der 
Fastenzeit  1429  zum  zweitenmal  in  Vaucouleurs  erschien,  erregte  sie 
unter  den  Bewohnern  Aufsehen;  auch  jetzt  liefs  Baudricourt  sie  unbe- 
achtet, schliefslich  aber  gab  er  nach.  Sie  legte  nun  Reitertracht  an. 
Ein  Kriegsmann  geleitete  sie  mitten  durch  feindliches  Land  bis  nach 
Chinon,  wo  sie  am  23.  Februar  eintraf. 

2.  Karl  zögerte  lange,  sie  zu  empfangen.  Er  fürchtete  Betrug  oder 
Arglist,  vielleicht  auch  den  Spott  der  Welt.  Man  erzählt,  dafs  sie  den 
König  unter  der  Menge  viel  reicher  gekleideter  Höflinge  erkannt  habe. 
Sie  enthüllte  ihm  die  Geheimnis  seiner  Gedanken,  das  ihn  lange  gequält 
hatte :  sie  löste  ihm  die  Zweifel  über  die  Rechtmäfsigkeit  seiner  Geburt. 
Noch  waren  aber  nicht  alle  Vorurteile  gegen  das  Mädchen  besiegt.  Eine 
Kommission,  die  in  Poitiers  zusammentrat,  unterzog  es  einem  strengen 
Verhör:  Jeanne  ward  als  rechtgläubige  Christin  und  reine  Jungfrau 
befunden.  Ihre  Antworten  zeugten  von  gesundem  Menschenverstand 
und  festem  Gottvertrauen.  Als  ein  Limousiner  sie  in  seinem  Dialekt 
fragte,  in  welcher  Sprache  die  Heiligen  zu  ihr  gesprochen,  sagte  sie: 
»Wahrlich  in  einer  besseren  als  es  die  deinige  ist«,  und  als  man  ihr  ent- 
gegenhielt, dafs  Gott,  wenn  er  wolle,  das  Land  auch  ohne  gewaffnete 
Kriegsscharen  befreien  könne,  erwiderte  sie:  »die  Soldaten  werden 
kämpfen,  Gott  wird  den  Sieg  geben«.  König  werde  sie  den  Dauphin 
erst  nennen,  sobald  er  in  Reims  gesalbt  sei.  Nach  bestandener 
Prüfung  erhielt  sie  militärische  Ausrüstung  und  Gefolge.  Der  Zug  ging 
zunächst  nach  Blois.     Schon  strömten  bewaffnete  Franzosen  zusammen : 


558  Entsatz  von  Orleans.     Zug;  nach  Reims.     Krönung  Karls  VII. 

eine  nationale  Armee  wird  geschaffen.  Alles  unterordnet  sich  einem 
Ziele.  Die  Jungfrau  bringt  es  zuwege,  dafs  Orleans  mit  N ahrungsmitteln 
versehen  wird.  Sie  selbst  bringt  sie  auf  Schiffen  in  die  Stadt  (1429, 
29.  April).  Ihr  Versuch,  durch  Verhandlungen  die  Engländer  zum  Ab- 
zug zu  bewegen,  mifslingt,  man  hält  sie  auf  englischer  Seite  schon  jetzt 
für  eine  Betrügerin.  Ihre  Anwesenheit  feuert  alles  zum  Kampfe  an :  am 
4.  Mai  nimmt  sie  das  Fort  St,  Loup,  am  6.  die  starke  Stellung  der 
Feinde  am  linken  Ufer  der  Loire  und  tags  darauf  das  stärkste  Kastell 
Les  Tourelles.  Am  8.  räumten  die  Engländer  die  Befestigungen  auf 
der  Nordseite.  Orleans  war  befreit.  Gegen  den  Zweifel  der  Menge, 
denn  der  Zug  ging  durch  ein  Land,  dessen  Städte  sich  noch  in  Feindes- 
hand befanden,  bestand  die  Jungfrau  darauf,  den  König  nach  Reims 
zur  Krönung  zu  führen.  Zunächst  säuberte  sie  die  Übergänge  über  die 
Loire,  wobei  Talbot,  in  der  letzten  Zeit  der  Hauptführer  der  Engländer, 
gefangen  wurde,  dann  legte  sie  die  Streitigkeiten  im  französischen  Lager 
bei.  Den  Führern  gegenüber  sprach  sie  bescheiden  über  ihre  Mission, 
den  gemeinen  Mann  feuerte  sie  an ;  in  der  Herberge  sanft  und 
schüchtern,  war  sie  im  Rate  und  auf  dem  Schlachtfeld  fest  und  ent- 
schieden. Allen  flöfste  sie  Ehrfurcht  ein,  die  sie  vor  Zudringlichkeit 
schützte ;  die  gröfsten  Beschwerden  trug  sie  mit  Leichtigkeit,  und  auf  die 
Führer,  wie  auf  den  Bastard  von  Orleans  (Dunois)  und  den  tatkräftigen 
La  Hire,  gewann  sie  Einflufs.  Streng  wurde  auf  Zucht  und  Ordnung 
gesehen :  das  ganze  Wesen  des  französischen  Heeres  wurde  binnen 
kurzem  ein  anderes.  Ohne  selbst  etwas  zu  tun,  was  den  Aberglauben 
förderte,  konnte  es  nicht  fehlen,  dafs  die  grofse  Menge  in  ihr  die  gott- 
gesandte Retterin  erblickte,  von  der  längst  alte  Weissagungen  berichtet 
hatten.  So  setzte  sie,  dem  Widerspruch  zum  Trotz,  ihre  Forderungen 
durch,  den  König  nach  Reims  zu  führen.  Die  meisten  Städte,  die  der 
Zug  berührte,  ergaben  sich  freiwillig,  und  am  17.  Juli  wurde  Karl  VII. 
in  Reims  gesalbt  und  gekrönt.  Im  kriegerischen  Schmuck  wohnte  Jeanne 
der  Feier  bei. 

3.  Ihr  Ansehen  war  nun  in  ganz  Frankreich  ein  unbestrittenes. 
Der  alte  Gerson  hatte  noch  ihre  göttliche  Sendung  anerkannt;  schon 
wird  sie  in  Streitfragen  zu  Rate  gezogen.  Sie  selbst  macht  den  Ver- 
such, den  Burgunder  für  die  Auflösung  des  englischen  Bundes  zu  ge- 
winnen. Aber  noch  war  ihre  Aufgabe  nicht  gelöst ;  wenn  sie  auch 
einen  Strafzug  gegen  die  Hussiten  oder  eine  Unternehmung  gegen  die 
Türken  ins  Auge  fafste,  ihre  nächsten  Absichten  waren  doch  auf  die 
Eroberung  von  Paris  und  die  gänzliche  Verjagung  der  Engländer  aus 
Frankreich  gerichtet.  Mit  ihren  Absichten  fand  sie  aber  bei  den  Hof- 
leuten, einem  Teil  des  oberen  Klerus  und  nicht  zuletzt  bei  dem  klein- 
mütigen König  selbst  Widerspruch,  um  so  mehr  als  der  Herzog  von  Bed- 
l'ord  mit  einem  vom  Kardinal  von  Winchester  gegen  die  Hussiten  ge- 
sammelten Heere  heranzog.  Wohl  fafste  sich  Karl  VII.  das  Herz,  ihm 
bei  Senlis  entgegenzutreten,  zog  sich  aber  wieder  bis  Crespy  zurück,  be- 
müht, Burgund  auf  seine  Seite  zu  ziehen.  Der  günstige  Moment,  Paris 
zu  erobern,  war  dahin .    denn  als  Karl   nach  dem  Abzug  Bedfords,    der 


Gefangennahme  der  Jungfrau.     Auslieferung  an  die  Engländer.  559 

die  Normandie  gegen  den  Connetable  zu  schützen  hatte,  vor  Paris  zog. 
hatte  die  burgundische  Partei  schon  wieder  die  Oberhand  und  setzte 
sich  zu  verzweifelter  Gegenwehr.  Der  König  befahl  den  Rückzug,  und 
Jeanne  mufste  den  Hof  nach  Bourges  begleiten.  Trotzdem  Karl  sie  und 
die  Ihrigen  in  den  Adelstand  erhob,  geriet  nun  ihr  Einflufs  in  Abnahme; 
schon  tauchten  in  einzelnen  Landesteilen  Inspirierte  auf,  die  es  ihr  gleich 
machen  wollten  und  von  ihren  Gegenern  benützt  wurden,  ihr  Ansehen 
zu  untergraben.  Sie  hörte  von  neuen  Erfolgen  der  Engländer,  die 
Compiegne  bedrängten,  und  entwich  (1430,  März)  nach  Norden;  damit 
war  ihre  Stellung  verschoben :  Bisher  das  kriegerische  Haupt  der  Nation, 
ist  sie  jetzt  nur  noch  Führerin  einer  Freischar;  auch  fehlt  ihr  der  Rat 
so  tüchtiger  Kriegsleute  wie  Dunois  u.  a.,  die  ihr  bisher  zur  Seite  standen. 
Noch  errang  sie  einen  Erfolg  bei  Lagny  und  drang  mitten  durch  das 
feindliche  Lager  in  Compiegne  ein,  wo  sie  durch  Wort  und  Beispiel 
Bürgerschaft  und  Besatzung  zum  Kampfe  begeistert.  Als  sie  bei  einem 
von  den  Engländern  abgewiesenen  Ausfall  den  Rückzug  der  Ihrigen 
deckte,  wurde  ihr  von  einer  feindlichen  Schar  der  Weg  verlegt.  An 
ihrem  Samtrock  vom  Pferde  gerissen,  wird  sie  gefangen  und  an  einen 
Dienstmann  Philipps  von  Burgund  ausgeliefert.  Da  sie  schon  bisher  in 
amtlichen  Schreiben  der  Engländer  als  ein  Geschöpf  des  Teufels  be- 
zeichnet worden  war,  war  ihr  Geschick  im  voraus  bestimmt. 

4.  Um  dem  durch  die  Krönung  Karls  VII.  in  Reims  bewirkten 
Aufschwung  in  Frankreich  entgegenzuwirken,  war  auch  Heinrich  VI.  in 
Westminster  gekrönt  worden  (1429,  6.  November).  Seine  Oheime  ver- 
loren damit  ihre  Titel  als  Protektor  und  Defensor,  blieben  aber  die  vor- 
nehmsten Mitglieder  des  geheimen  Rates;  dann  wurde  der  königliche 
Knabe  nach  Frankreich  gebracht,  um  in  Reims  gekrönt  zu  werden. 
Bedford  erhielt  in  Rouen  die  Nachricht  von  der  Gefangennahme 
Johannas.  Sie  sollte  nun  unverzüglich  gerichtet  werden.  Der  von  der 
Universität  unterstützte  Inquisitor  von  Paris,  der  Bischof  von  Beauvais, 
in  dessen  Diözese  sie  gefangen  worden,  und  Bedford  verlangten  ihre 
Auslieferung.  Sie  erfolgte  um  den  Preis  von  10000  Franken.  Jeanne 
wurde  von  Beaulieu,  wo  sie  einen  Fluchtversuch  gemacht  hatte,  nach 
Beaurevoir  und  von  dort  nach  Rouen  geführt.  Grofs  war  die  Trauer 
der  Franzosen,  die  in  einigen  Städten  Bittprozessionen  für  ihre  Rettung 
abhielten,  gröfser  aber  der  Hafs  der  Engländer.  Bedford  überlieferte 
sie  an  das  geistliche  unter  Pierre  Cauchon ,  Bischof  von  Beauvais, 
stehende  Gericht,  wahrte  sich  aber  das  Recht,  sie  in  seiner  Gewalt  zu 
behalten,  falls  sie  nicht  schuldig  befunden  würde.  Sie  sollte  sonach 
unter  allen  Umständen  unschädlich  gemacht  werden.  Karl  VII.  tat 
nichts  für  ihre  Befreiung,  ebensowenig  Cauchons  Vorgesetzter,  der  Erz- 
bischof von  Reims.  Von  allen  verlassen,  trat  sie  am  21.  Februar  vor 
das  aus  60  Mitgliedern  des  geistlichen  und  Advokatenstandes  gebildete 
Gericht.  Während  des  ganzen  Prozesses  zeigte  sie  sich  in  ihrer  ganzen 
Erhabenheit,    Reinheit    und    Natürlichkeit.1)      Alle  Mittel   wurden   unter- 


*)  Sickel,  S.  326. 


560  Prozefs  der  Jungfrau.     Ihre  Verbrennung  und  Rehabilitation. 

Bommen,  sie  der  Zauberei  und  Ketzerei  zu  überführen,  denn  nur  so  war 
der  Bann  zu  brechen,  der  den  Arm  der  Engländer  lähmte.  Darum 
fanden  Versuche,  sie  zu  vergiften  oder  zu  erstechen,  den  heftigsten 
Tadel  Bedfords.  Nach  dem  üblichen  Verfahren  des  Inquisitions- 
prozesses ward  ihr  kein  Anwalt  gegeben,  es  bedurfte  keiner  Belastungs- 
zeugen und  Beweismittel,  falls  ein  Eingeständnis  vorlag.1)  Dafs  sich  die 
Jungfrau  zu  ihren  Handlungen  bekannte  und  auf  ihre  göttliche  Sendung 
hinwies,  genügte,  sie  zur  Ketzerin  zu  stempeln.  Aus  ihren  Aussagen, 
die  in  beispielloser  Weise  verdreht  wurden,  wurden  schliefslich  zwölf  Artikel 
ausgehoben,  an  gelehrte  Männer  verschiedener  Körperschaften  zur 
Prüfung  übergeben2)  und  von  diesen  als  ketzerisch  verdammt.  Die 
meisten  ihrer  Richter  waren  ihre  Feinde;  andere  meinten,  wenn  sie  der 
Ketzerei  überführt  wäre,  sie  den  Händen  der  Engländer  entreifsen  zu 
können,  und  gaben  sich  Mühe,  sie  zum  Widerruf  zu  bewogen.  In  der 
Tat  liefs  sie  sich  überreden.  Da  wurde  sie  verurteilt,  den  Rest  ihrer 
Tage  im  Gefängnis  zuzubringen.  Das  Urteil  erregte  das  tiefste  Mifs- 
f allen  der  Engländer,  die  ihren  Tod  als  Ketzerin  wüd sehten  und  den 
Bischof  Cauchon  einen  Verräter  schalten.  Sie  hatte  den  Schwur  geleistet, 
nie  wieder  Männerkleider  zu  tragen.  Das  war  die  Schlinge,  in  der  sie  ge- 
fangen wurde.  In  die  Notwendigkeit  versetzt,  sich  der  Männerkleidung 
zu  bedienen,  wurde  sie  als  rückfällige  Ketzerin,  die  schliefslich  auch  den 
Widerruf  bereute  und  zurücknahm,  zum  Feuertode  verurteilt  und  am 
30.  Mai  1431  auf  dem  Marktplatz  zu  Rouen  verbrannt.  Jeanne  starb 
mit  dem  Heldenmut,  den  sie  auf  dem  Schlachtfeld  bewährt  hatte,  und 
noch  aus  den  Flammen  heraus  hörte  man  ihr  Bekenntnis  zu  dem 
Glauben  an  ihre  göttliche  Sendung.3)  Der  Eindruck,  den  ihr  Tod  auf 
die  Franzosen  hervorrief,  war  ein  ganz  anderer,  als  ihn  Bedford  erwartet 
hatte.  Konnten  schon  unter  den  Anwesenden  selbst  die  Gegner  mit 
ihrem  Mitleid  nicht  zurückhalten,  so  sprach  sich  trotz  aller  Send- 
schreiben Bedfords  an  die  Monarchen  der  Christenheit  und  die  Bewohner 
Frankreichs  die  öffentliche  Meinung  dahin  aus,  dafs  eine  Heilige  dem 
Gerichtsverfahren  zum  Opfer  gefallen  sei.  Spät  genug,  erst  1450,  nach- 
dem er  in  Rouen  eingezogen  war,  gab  Karl  VII.,  der  seine  Schuld  an 
dem  Tode  der  Jungfrau  bitter  bereuen  mochte,  die  Anregung  zur  Wieder- 
aufnahme des  Prozesses;  noch  lebte  die  alte  Mutter  der  Getöteten: 
sie  und  ihre  Brüder  wurden  klagbar;  eine  neue  Untersuchung,  die 
Kalixtus  III.  (1455)  anordnete,  hatte  das  Ergebnis,  dafs  die  12  Artikel 
als  trügerisch,  falsch  und  den  Geständnissen  nicht  entsprechend  erklärt 
und  vernichtet,  sonach  der  ganze  Prozefs  als  null  und  nichtig,  die 
Jungfrau  selbst  als  rein  und  frei  von  jedem  Verbrechen  proklamiert 
wurde  (1456,  7.  Juli). 

5.  Inzwischen  hatte  der  Krieg  seinen  Fortgang.  Zwar  mifslang 
ein  Versuch  der  Franzosen,  Rouen  zu  gewinnen,  da  jedoch  die  Cham- 
pagne behauptet  wurde,  verzichteten  die  Engländer  darauf,  ihren  König 

l)  Sickel  a.  a.  O. 

-    Sie  finden  sich  auch  bei  Hase,  S.  72— TG,  abgedruckt. 

3)  Sickel,   S.  329. 


Krönung  Heinrich  VI.  in  Paris.  Agnes  Sorel.  Friede  zw.  Burgund  u.  Frankreich.   561 

in  Reims  gekrönt  zu  sehen.  Bei  seiner  Krönung  in  Paris  (1431, 
17.  Dezember)  erschien  weder  ein  französischer  noch  auch  ein  burgundischer 
Grofser;  das  fremde  bei  der  Krönung  angewandte  Ritual  verletzte  auch 
die  Pariser.  Paris  selbst  war  auf  die  Dauer  nicht  zu  halten ;  schon  seit 
längerer  Zeit  war  Rouen  der  Sitz  der  englischen  Regierung  in  Frank- 
reich; bei  dem  Mifstrauen  gegen  die  Sorbomne  wurde  in  Caen  eine 
Rechtsschule  gegründet.  Bald  gestaltete  die  allgemeine  Lage  sich  den 
Franzosen  günstig.  In  England,  wo  Glocester  mit  dem  Kardinal  von 
Winchester  um  den  obersten  Einflufs  rang,  lähmte  die  Unmöglichkeit, 
vom  Lande  neue  Steuern  zu  erhalten,  den  Fortgang  des  Krieges.  Das 
Bündnis  mit  Burgund  wurde  gelockert,  als  Anna  ven  Bedford,  eine 
Schwester  Herzog  Johanns  gestorben  war,  und  Bedford  sich  zum  Ver- 
drufs  Philipps  mit  Jaquette,  einer  Tochter  des  Grafen  St.  Pole  aus  dem 
Hause  Luxemburg,  vermählte.  Die  persönliche  Entfremdung  traf  mit  den 
politischen  Angelegenheiten  zusammen ,  welche  die  Lösung  des  Bünd- 
nisses und  den  Übergang  Philipps  auf  die  Seite  Karls  VII.  herbeiführten1); 
Eugen  IV.,  weniger  als  sein  Vorgänger  auf  die  Erhaltung  der  englischen 
Machtstellung  bedacht,  drang  auf  Herstellung  des  Friedens.  Der  nächste 
Folge  war  ein  Waffenstillstand  zwischen  Frankreich  und  Burgund. 
Die  Österreicher  und  nicht  minder  Kaiser  Sigmund  blickten  mit  Mifs- 
gunst  auf  die  steigende  Macht  des  Hauses  Burgund  in  Holland  und 
Lothringen;  das  wichtigste  war,  dafs  die  Schranken  fielen,  die  Burgund 
noch  von  Frankreich  trennten;  war  schon  die  Erinnerung  an  Johanns 
Ermordung  verblafst,  so  war  der  Friedensschlufs  zwischen  Karl  VII.  und 
Philipp  seit  dem  Sturze  des  königlichen  Günstlings  La  Tremouille  nur 
noch  eine  Frage  der  Zeit.  Der  König,  durch  bessere  Ratgeber,  vor- 
nehmlich durch  seine  Geliebte,  Agnes  Sorel,  deren  Einflufs  mitunter 
freilich  überschätzt  wird,  geleitet,  fand  endlich  die  Kraft,  die  vollständige 
Befreiung  des  französischen  Bodens  von  der  Fremdherrschaft  in  Angriff 
zu  nehmen.  Bei  einer  Zusammenkunft  in  Nevers  gewannen  der  Conne- 
table  Richemont,  der  Bruder  des  Herzogs  von  Bretagne,  und  der  Herzog 
von  Bourbon  den  Herzog  Philipp  für  den  Frieden;  auf  Betreiben  des 
Papstes  und  der  Kirchenversammlung  von  Basel  trat  im  August  1435 
ein  Kongrefs  in  Ar  ras  zusammen;  aber  der  Friede  zwischen  England 
und  Frankreich  scheiterte  an  den  gegenseitigen  Ansprüchen.  Während 
der  Herzog  von  Burgund  noch  unschlüfsig  war,  ob  er  sein  Bündnis  mit 
England  lösen  solle,  traf  die  Nachricht  von  Bedfords  Tode  ein;  es  war 
der  härteste  Schlag,  der  England  treffen  konnte  ;  jetzt  schwanden  Philipps 
Bedenken.  Am  21.  September  wurde  der  Friede  zwischen  ihm  und 
Karl  VII.  geschlossen.  Der  König  brachte  schwere  Opfer,  das  schwerste, 
indem  er  die  Gebiete  von  Mäcon  und  Auxerre,  das  Gebiet  an  der 
Somme  und  Ponthieu  an  den  Burgunder  abtrat  und  den  Herzog  für 
seine  Person  aller  Lehenspflicht  entband.  So  grofs  der  Jubel  in  Frank- 
reich, so  grofs  war  die  Erbitterung  in  England.  Wohl  bewilligte  das 
Parlament  reiche  Mittel;  indem  sich  England  aber  zunächst  gegen  Bur- 
gund wandte,  war  Philipp  genötigt,  ganz  auf  Frankreichs  Seite  zu  treten. 

*)  Pauli  V,  230. 
Loserth,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  36 


562  Niedergang  u.  Ende  der  englischen  Herrschaft  in  Frankreich. 

Bald  fiel  unter  Mitwirkung  seiner  Einwohner  Paris  in  die  Hände  der 
Franzosen  (1436,  13.  April),  und  Englands  Herrschaft  wurde  allmählich 
auf  die  Normandie  und  einige  Festungen  in  Maine  und  der  Pikardie 
beschränkt.  Sowohl  England  als  auch  Frankreich  und  Burgund  waren 
in  der  nächsten  Zeit  von  unsäglicher  Not  heimgesucht;  in  Frankreich, 
wo  die  meisten  Landschaften  schon  vom  Feinde  auf  das  härteste  mit- 
genommen worden  waren  und  Mifswachs  und  Hunger  das  allgemeine 
Elend  steigerten,  zogen  verwilderte  Söldnerhaufen,  die  Schinder  (ecorcheurs) 
durch  das  Land  und  nötigten  den  König,  seine  Waffen  gegen  sie  zu 
kehren.  Zu  derselben  Zeit  wurden  Frankreich  und  England  von  Seuchen 
heimgesucht,  so  dafs  dies  kaum  noch  imstande  war,  die  Mittel  für  den 
Krieg  aufzubringen;  unter  diesen  Umständen  wurden  zwischen  beiden 
Ländern  Friedensverhandlungen  angeknüpft  (1439),  die  aber  auch  jetzt 
zu  keinem  Ziele  führten,  da  der  eine  Teil  die  Früchte  der  bisherigen 
Anstrengungen  nicht  verlieren ,  der  andere  die  Fremdherrschaft  nicht 
dulden  wollte.  Erst  1444  kam  es  zu  einem  Waffenstillstand  von  Tours, 
der  auf  zwei  Jahre  abgeschlossen  wurde.  Als  sich  dann  Heinrich  VI. 
mit  Margareta,  einer  Nichte  der  Königin  von  Frankreich  und  Tochter 
des  Herzogs  Rene  von  Bar,  der  sich  König  von  Jerusalem  und  Sizilien 
nannnte,  vermählte,  schien  dies  den  endlichen  Frieden  einzuleiten.  Der 
Waffenstillstand  wurde  in  der  Tat  wiederholt  verlängert,  und  die 
Franzosen  benützten  die  Zeit  der  Ruhe,  ihre  Finanzen  und  ihr  Heer- 
wesen in  besseren  Zustand  zu  setzen  (s.  unten).  Als  der  Krieg  dann 
von  neuem  begann  (1448),  waren  die  Franzosen  allenthalben  Sieger. 
Selbst  so  tüchtige  Feldherren,  wie  Talbot,  vermochten  mit  ihren  unge- 
nügend ausgerüsteten  Heeren  gegen  die  wohlorganisierte  Macht  Frank- 
reichs nichts  mehr  auszurichten.  Zunächst  gelangte  der  gröfste  Teil  der 
Normandie  in  den  Besitz  der  Franzosen,  deren  König  am  10.  No- 
vember 1449  in  Rouen  einzog.  Die  Einwohner  selbst  hatten  die  Besatzung 
zur  Übergabe  gedrängt.  Die  Niederlage  der  Engländer  bei  Formigny  hatte 
den  Verlust  der  ganzen  Provinz  zur  Folge.  Cherbourg  wurde  im  August 
1450  von  den  Franzosen  besetzt.  Auch  in  Guienne  verlor  England 
einen  Platz  nach  dem  andern.  1451  mufsten  sich  Bordeaux,  das  mit 
seinen  Sympathien  auf  englischer  Seite  stand,  und  Bayonne  ergeben. 
Den  Engländern  blieb  von  dem  französischen  Besitz  nichts  als 
Calais  und  die  Grafschaft  Guines.  und  als  sich  die  Gascogne,  der  man 
das  Recht  der  Selbstbesteuerung  wohl  versprochen,  dann  aber  verküm- 
mert hatte,  sich  wider  die  neue  Herrschaft  erhob,  und  der  achtzigjährige 
Talbot  in  der  Gironde  landete  und  in  Bordeaux  seinen  Einzug  hielt, 
war  dies  ein  vorübergehender  Erfolg.  Talbot  erlag  schon  1453  mit 
seinem  ganzen  Heere  bei  Chastillon.  Die  letzten  festen  Plätze  des  Südens 
fielen  den  Franzosen  zu.  So  endete  der  hundertjährige  Kampf  zwischen 
England  und  Frankreich  damit,  dafs  nicht  nur  alle  von  Eduard  III.  ge- 
machten Eroberungen,  sondern  auch  Guienne,  das  seit  der  Vermählung 
Eleonorens  von  Poitou  mit  Heinrich  IL  in  englischen  Händen  gewesen, 
verloren  ging.  England  behielt  von  dem  ganzen  festländischen  Besitz 
nur  noch  Calais. 


Die  skandinavischen  Reiche.  563 

2.  Kapitel. 

Die  Staaten  im  Norden  und  Nordosten  Europas  in  der  Zeit 

der  grofsen  Konzilien. 

§  130.  Die  skandinavischen  Reiche  in  der  Zeit  der  Kalmarer  Union. 

Quellen.  S.  die  Bemerk,  zu  §  86.  Vgl.  Potth.  I,  XII,  XXXI  u.  II,  1725—27. 
Urkk.  und  Korresp. :  Dänemark:  Regg.  diplom.  hist.  Danicae  a.  a.  822 — 1536. 
Hauniae  1847.  (Dort  S.  XXXV  die  Lit.  bis  1847.)  Ser.  sec.  I,  1,  ib.  1889  v.  789—1447. 
Pars  post.  1438 — 1536,  ib.  1889.  Erslev,  Christense,  Hude,  Repert.  diplomat.  regni 
Dan.  mediaev.  II,  III,  1 — 1437r Kobenh.  1898—99.  Aktstykker  vedrerende  Erik  af  Pommerns 
Afsaettelse  som  Konge  af  Danmark  udg.  ved  Anna  Hude.  1897.  Das  Diplom.  Isl.  s.  §  86. 
Urk.-Mat.  auch  in  Langebeck  III,  IV,  VI — VIII.  Christianus  rex  I,  Epistolae  1454 — 1468. 
Langebeck,  VIH,  360 — 446.  Norwegen:  Diplom.  Norweg.  s.  oben  §  47  und  86. 
Schweden:  Sverges  Traktater  med  främmande  magter.  Herausg.  v.  0.  S.  Rydberg  I — m. 
Stockh.  1877 — 1895.  Diplomat.  Suecanum  wie  §  13.  Für  die  Zeit  der  Union  wichtig  : 
Svenskt  diplomatarium  frän  och  med  är  1401.  2  Teile  bis  1414.  Herausg.  v.  Silverstolpe. 
Stockholm  1875 — 87,  s.  oben  §  13.  Styffe,  Förhandl.  med  Tyskland  och  Sveriges  inre 
tillständ  under  Unionstiden  1395—1448.  Stockh.  1864  (bildet  den  2.  Bd.  s.  Beitr.  Der  3. 
reicht  von  1448—70.  Stockh.  1870.)  Urk.-Mat.  finden  sich  in  den  betreff.  Urkk.-Büchern 
v.  Lübeck  u.  a.,  d.  Hanserezessanen  etc.  Darstellende  Werke:  Im  Hinblick  auf  das 
§86  Gesagte  und  Potth.  S.  1725  wird  nur  eine  Auswahl  geboten.  Dänemark:  Chronic. 
Daniae  1241—1410.  Langeb.  V,  528—34.  Anon.  Chron.  Dan.  1274—1497.  ib.  624-28. 
Thomas  Gheysmer,  Comp,  bis  1431,  II,  287—400.  Chron.  Rastedense  bis  1463.  ib.  III, 
166 — 209.  —  Nicolaus  Johannis,  Chron.  rer.  Dan.  bis  1468.  Ludewig,  Reliq.  man.  IX, 
166—175.  Annales  fratrum  Min.  Wisby.  bis  1479.  Langeb.  I,  251—266.  Niels,  Den 
Danske  Riimkrönike  bis  1478.  Kopenh.  1873.  Kranz,  Chron.  regn.  aquil.  bis  1502. 
Strafsb.  1546,  s.  Potth.  I,  700.  Paulus  Eliae,  Chron.  Skibyense  sive  Ann.  rer.  Danic. 
Langeb.  H,  554 — 602.  Acta  processus  inter  Ericum  reg.  Daniae  et  ducem  Slesvicensem 
1424,  ib.  VII,  263  seqq.  Norwegen  u.  Island:  Islandske  Annaler  indtil  1578,  ed. 
Storm,  Christian.  1888;  für  diese  Periode  nur:  Annalbrudstyke  fra  Skälholt  1328 — 1372. 
Lögmanns-annall  bis  1430,  Gottskalks  Annaler  bis  1578,  Flatobogens  Annaler  bis  1394 
und  Oddveria  Annal  bis  1427.  Catal.  regum  Norvegiae,  ed.  Storm.  MM.  hist.  Norw. 
183—86,  reicht  bis  1387.  Ser.  archiep.  ib.  189—192.  Bis  1538.  Schweden:  S.  den 
Anhang  zur  G.  v.  d.  Ropp,  Zur  Deutsch-Skandinavischen  Geschichte  des  15.  Jahrh. 
Leipz.  1876.  Berättelse,  Omständelig,  huru  the  Svenske  af  Tyskarne  blefno  i  Stock- 
holm förrädhne  oc  brande  ähr  1389.  Fant  I,  212.  Om  konung  Albrecht,  Svenska  medel- 
tidens  rimkrönikor,  in  Samlingar  utg.  af  Svenska  Fornskrift  Sällskapet  (Stockholm 
1865—68)  I,  207.  Detmarchronik  (Ausg.  bei  Potth.  I,  374),  Narrat.  de  occ.  Gotland  1398. 
Fant  III,  Chronol.  Suec.  bis  1412,  I,  39,  Chron.  vetusta  bis  1430,  ib.  Chron.  rer.  Suec. 
bis  1440.  Langebeck  V,  495.  Eriks  Krönikan  Forts.  =  Eriks  Karlschronik,  s.  unten. 
Die  Karlschronik  (nach  v.  d.  Ropp  ===  Engelbrechtschronik  1389 — 1436,  Karlschronik  I, 
1436—1440,  Karlschronik  H,  1440—52).  Herstellung  der  Erich-Karlschronik  1452—57, 
Sturechronik  I— III,  1452—70,  1470—87,  1488—96,  Kl.  Reimchronik  1450,  Reimchronik 
von  1520,  Gedicht  auf  Christian  IL  bei  Klemming,  Rimkrönikor.  Vetus  chronic,  prosaic.  I. 
Fant  I,  239—250  (Wert :  v.  d.  Ropp  165).  Ericus  Olai,  Chronic,  regni  Goth.  bis  1464. 
Fant  II,  1—165.  Registrum  Upsaliense,  Svenskt  Dipl.  IL  Diarium  Wadstenense  1344 
bis  1545.  Fant  I,  99  —  223.  Diarium  fratrum  Minorum  Stockholmiensium  bis  1502.  Fant  I, 
67.  Diarium  fratr.  Min.  Wisby ensium  und  die  schwedischen  Chronologien  des  15.  Jahrh. 
s.  bei  v.  d.  Ropp.  S.  182.    Chron.  Holsat.  MM.  G.  SS.  XXXI. 

Hilfsschriften:  Die  Werke  von  Suhm,  Dahlmann,  Geijer,  Waitz,  Hilde- 
brand  s.  oben.  Styffe,  Skandinavien  under  unionstiden.  2.  A.  Stockh.  1880.  Bidrag 
tili  Skand.  hist.  1395—1448,  ib.  1864.  G.  v.  d.  Ropp,  Zur  D.-Sk.  Gesch.,  wie  oben. 
Jahn,    Danmarks    hist.    under  Union skonigerne.     Erslev,    Dronning    Margrethe    og 

36* 


564  Margareta  und  die  Kalmarer  Union. 

Kalmarunionens  Grundlaegelse.  Kop.1883.  —  Studier  tili  Dronning  Margrethes  Historie  1888. 
G.  v.  d.  Kopp,  K.  Erich  der  Pommer.  Leipz.  1875.  Er  sie  v,  Erik  af  Pommern. 
Kop.  1902.  S  c  h  ä  f  e  r  wie  §  29  und  86.  Sars,  Udsigt  over  den  Xorske  Hist.  Christ.  1888  (JBG. 
m,  183)  Daae,  K.  Christiern  den  Forstes  Norske  Hist.  1448—1458.  Kop.  1879.  Ackerblom, 
Sveriges  förhällande  tili  Xorge  under  Medeltidsunionen.  Lund  1888.  Stein,  Beitr.  z. 
Gesch.  der  Hanse.  Diss.  1900.  Girgensohn,  Die  Skand.  Politik  d.  Hanse  1375 — 95. 
Ups.  1898.  Dänell,  Die  Kölner  Konföderation.  Hans. -dänische  Gesch.  1367 — 1385. 
Diss.  1894.  Die  Hansestädte  und  der  Krieg  um  Schleswig.  Z.  G.  Schl.-Holst.  XXII.  — 
Gesch.  der  Hanse  in  der  zweiten  Hälfte  des  14.  Jahrh.    1897. 

1.  Weniger  als  durch  kirchenpolitische  wurden  die  Staaten  des 
Nordens  im  Zeitalter  des  grofsen  Schismas  durch  dynastische  Fragen  in 
Bewegung  gesetzt.  König  Albrecht  von  Schweden  (s.  §  86),  als 
Deutscher  im  Lande  verhafst,  hatte  seine  Herrschaft  gegen  König 
Hakon  VIII.  von  Norwegen,  den  Sohn  seines  Vorgängers  Magnus,  zu 
verteidigen.  In  Dänemark  war  Waldemar  IV.  der  letzte  vom  Mannes- 
stamm der  Estrithiden.  Er  hatte  den  Sohn  seiner  ältesten  Tochter 
Ingeborg,  Albrecht  von  Mecklenburg,  als  Thronfolger  bezeichnet.  Aber 
seine  jüngere  Tochter  Margareta,  die  an  Hakon  VIII.  von  Norwegen 
vermählt  war  und  aus  dieser  Ehe  einen  Sohn  namens  Olaf  hatte,  setzte 
dessen  Wahl  zum  dänischen  Könige  durch.  Nach  dem  Tode  Hakons  VIII. 
(1380)  wurde  Olaf  auch  König  von  Norwegen.  Als  letzter  vom  Mannes- 
stamm der  Folkunger  nannte  er  sich  auch  den  »rechten  Erben  Schwedens«, 
starb  aber  (1387),  ehe  er  noch  seine  Ansprüche  auf  dieses  Land  geltend 
gemacht  hatte.  Nun  wurde  seine  Mutter  Margareta  zuerst  von  den 
dänischen,  dann  von  den  norwegischen  Ständen,  von  den  letzteren  unter 
der  Bedingung  zur  Königin  gewählt,  dafs  ihrer  Schwestertochter  Sohn 
Erich  von  Pommern  ihr  nachfolge.  Inzwischen  war  die  Opposition 
gegen  Albrecht  von  Schweden  erstarkt.  Ein  Teil  des  schwedischen  Adels 
sagte  sich  von  ihm  los  und  wählte  Margareta  zur  Königin.  Albrechts 
Kriegsvolk  wurde  von  dem  Marschall  Erich  Kjelson  WTasa  besiegt  (1389), 
er  selbst  gefangen  und  sechs  Jahre  auf  Schonen  in  Haft  gehalten. 
Erst  nach  seiner  Freilassung  gelangte  Margareta  in  den  Besitz  des  von 
den  mecklenburgischen  Fürsten  und  der  Kriegsgenossenschaft  der  Vita- 
liner1) verteidigten  Stockholm,  und  nun  erst  war  sie  in  Wahrheit  Königin 
aller  drei  Reiche  (1395 — 1412).  Sie  führte  das  Regiment  mit  kräftiger 
Hand  und  brachte  in  Dänemark  und  Schweden  einen  Teil  der  an  den 
Adel  gekommenen  Königsgüter  an  die  Krone  zurück.  Ihrem  Grofs- 
neflen  Erich  verschaffte  sie  auch  die  Nachfolge  in  Dänemark  und 
Schweden,  so  dai's  die  Union  der  drei  Länder  auch  nach  ihrem  Tode 
aufrecht  blieb.  Um  sie  zu  einer  dauernden  zu  machen,  berief  sie  die 
Reichsräte  aller  drei  Länder  nach  Kalmar.  Hier  wurde  Erich  von  den 
Erzbischöfen  von  Lund  und  Upsala  gekrönt,  dann  jener  vom  20.  Juli2) 
1397  datierte  Vertrag  geschlossen,  der  als  Kalmarer  Union  bekannt 
ist.  Fortan  sollten  die  drei  Reiche  nicht  wieder  getrennt  und  nach 
Erichs  Tod   der  König    aus   seinem  Stamm  nach  dem  Rechte   der  Erst- 

*)   Sie    hatten   sich  in  "Wismar   und    Rostock   gebildet   und   wurden  so    genannt, 
weil  ihr  nächster  Zweck  die  Versorgung  der  Hauptstadt  mit  Yiktualien  war. 
')  Dem  Margaretentag. 


Erich  von  Pommern  und  die  Kämpfe  um  Schleswig.  565 

geburt  gewählt  werden.  Die  Reiche  behalten  ihre  eigenen  Rechte  und 
Gesetze.  Auswärtige  Bündnisse,  die  der  König,  vom  Rate  aller  drei 
Länder  unterstützt,  abschliefst,  sollten  für  alle  gültig  sein.  Die  Ansprüche 
König  Albrechts  von  Schweden,  der  hiegegen  Einsprache  erhob,  wurden 
um  Geld  abgekauft.  Die  Politik  dieser  ebenso  klugen  als  herrschsüch- 
tigen1) Königin  war  vor  allem  auf  den  Wiedererwerb  Schleswigs  ge- 
richtet.2) 

2.  Die  Union  war  für  keines  der  drei  Völker  ein  Glück,  denn  sie 
waren  viel  zu  verschieden  geartet,  als  dafs  die  so  künstlich  hergestellte 
Einheit  Bestand  gehabt  hätte.  Schon  gegen  Erich  (1412 — 1439)  erhob 
sich  in  allen  drei  Ländern  eine  Opposition,  weil  er  nach  den  im  deut- 
schen Reiche  üblichen  Regierungsgrundsätzen  herrschen  zu  können  ver- 
meinte, wobei  es  nicht  ohne  Verletzung  der  Rechtsgewohnheiten  der 
drei  Völker  abging,  und  weil  er  sich  vom  Kaiser  Sigmund  das  Recht 
erteilen  liefs,  in  seinen  Reichen  auf  dem  Wege  des  Briefadels  Standes- 
unterschiede zu  schaffen,  trotzdem  weder  Schweden  noch  Norwegen  die 
Oberhoheit  des  Kaisertums  jemals  anerkannt  hatten.  Gleich  seiner  Vor- 
gängerin eifrig  darauf  bedacht,  Schleswig  an  Dänemark  zu  bringen,  sah 
er  sich  nach  opfervollen  Kämpfen  wider  die  holsteinischen  Grafen  Hein- 
rich und  Adolf,  die  von  der  über  die  Begünstigung  der  Niederländer 
erbitterten  Hanse  unterstützt  wurden,  genötigt,  Schleswig  dem  Grafen 
Adolf  zu  überlassen.  Holstein  und  Schleswig  schlössen  sich  während 
dieser  Kämpfe  eng  aneinander  an,  und  so  wurde  unter  der  Regierung 
Erichs  'der  Grund  zu  der  Verbindung  der  beiden  Länder  gelegt.  Die 
schweren  Lasten  des  unglücklichen  Krieges  erregten  in  den  unierten 
Ländern  tiefe  Mifsstimmung.  Am  längsten  hielten  noch  die  Norweger 
zur  Fahne  des  Königs.  In  Schweden  erhoben  sich  die  Dalekarlen  (1434) 
unter  der  Führung  Engelbrechts,  der  sich  am  Landtage  von  Arboga  (1435, 
Januar)  zum  Reichshauptmann  ernennen  liefs  und  die  gesamte  Staats- 
verwaltung in  die  alten  von  Erich  mifsachteten  Formen  zurückführen 
wollte.  Erich  mufste  das  Zugeständnis  machen,  die  Stelle  eines  Drosten 
und  Marschalls  stets  mit  Einheimischen  zu  besetzen ;  da  sich  der  König 
an  seine  Zusicherungen  nicht  hielt,  ernannte  eine  Anzahl  von  Reichs- 
räten Knuts on  Bonde  zum  Reichsverweser  und  Engelbrecht  zu 
dessen  Mitregenten.  Nach  des  letzteren  Tode3)  (1436,  27.  April)  kam  es 
zwischen  dem  König  und  den  Ständen  zu  einem  Vergleich  (1436,  Juli), 
der  aber  keinen  Bestand  hatte.  Der  Reichstag  von  Söderköping  er- 
nannte Knutson  zum  Reichsverweser  (1438).  Inj  Seeland  führte  der  auf 
den  Bauern  lastende  schwere  Druck  zu  einer  Erhebung,  die  sich  bald 
über  ganz  Dänemark  ausbreitete,  ihre  Spitze  freilich  nicht  so  sehr  gegen 
den  König  als  den  Adel  richtete.     Unter  diesen  Umständen  erklärte  so- 


1)  Beides  ist  durch  das  Wort  ihres  eigenen  Vaters  gezeichnet :    Die  Natur   habe 
sich  in  ihr  geirrt.  Sie  hätte  ein  Mann  und  nicht  ein  Weib  sein  müssen. 

2)  S.  Daenell,  S.  273  ff. 

3)  Er    wurde    meuchlings    getötet;    das  Volk   hielt  sein  Andenken    als  das  eines 
Vorkämpfers  der  Freiheit  des  Landes  gegen  die  Fremdherschaft  in  hohen  Ehren. 


566  Christoph  v.  Bayern  und  Christian  I.     Sten  Sture. 

wohl  der  schwedische  als  auch  der  dänische  Reichstag  Erich  seines 
Thrones  für  verlustig  und  berief  seinen  Schwestersohn  Christoph  von 
Bayern  (1439 — 1448)  zur  Regierung.  Knutson  suchte  die  Erneuerung 
der  Union  zu  verhindern,  doch  erhielt  Christoph  schliefslich  (1441, 
September)  auch  die  Huldigung  Schwedens  ;  zuletzt  (1442)  wurde  er  auch 
in  Norwegen  anerkannt.  In  Schweden  hatte  Christoph  bei  Knutsons 
Stellung  einen  äufserst  schwierigen  Stand,  doch  wufste  er  sich  durch 
seine  mafs-  und  doch  kraftvolle  Politik  zu  behaupten.  Er  starb,  als  er 
eben  daran  ging,  die  Fesseln  zu  brechen,  in  welche  die  Hanseaten  den 
skandinavischen  Norden  geschlagen  hatten. 

3.  Die  kalmarische  Union  war  schon  nach  Christophs  Tode  dem 
Zerfalle  nahe.  In  Dänemark  hatte  nämlich  Herzog  Adolf  von  Schleswig 
die  Krone,  die  ihm  der  Reichstag  anbot,  um  Schleswig  wieder  mit  Däne- 
mark zu  vereinigen,  abgelehnt;  auf  seine  Empfehlung  wurde  sein  Schwester- 
sohn Christian  I.  von  Oldenburg  (1448 — 1481)  gewählt,  der  sich,  um 
seine  Stellung  zu  befestigen,  mit  seines  Vorgängers  Witwe  vermählte. 
Eine  Handfeste  .  setzte  das  Recht  der  freien  Königswahl  nach 
Christians  Tode  fest,  untersagte  die  Besetzung  der  Amter  mit  Ausländern 
und  bestimmte,  dafs  ohne  Zustimmung  des  Reichsrates  kein  Krieg  ge- 
führt und  keine  Steuern  ausgeschrieben  werden  sollen.  In  Schweden 
setzte  eine  Partei  die  Wahl  Knutsons  durch;  die  Norweger  waren 
unsicher,  ob  sie  sich  an  König  Erich  halten  oder  Sigurd  Jonson,  einen 
Sprossen  des  alten  Königshauses,  wählen  sollten.  Auch  Christian  und 
Knutson  liefsen  es  an  Bemühungen  nicht  fehlen;  schliefslich  wurde 
Christian  auch  in  Norwegen  als  König  anerkannt.  Ein  Vertrag  (1450, 
29.  August)  bestimmte,  dafs  Dänemark  und  Norwegen  beständig  unter 
einem  einzigen  König  geeinigt,  übrigens  jedes  der  beiden  Reiche  im 
Besitz  seiner  alten  Gesetze  bleiben  solle.  In  Schweden  machte  Knutson 
deD  Versuch,  sich  von  der  Adelsmacht  zu  emanzipieren,  zog  aber  hiebei 
den  kürzeren :  Klerus  und  Adel  erklärten  sich  für  Christian,  und  Knutson 
entfloh  nach  Danzig.  Am  29.  Juni  1457  wurde  Christian  in  Upsala  ge- 
krönt und  damit  die  Union  der  drei  Reiche  nochmals  hergestellt  und 
zugleich  auch  für  die  Zukunft  gesichert,  indem  des  Königs  dreijähriger 
Sohn  Johann,  dem  in  Dänemark  schon  1456  die  Nachfolge  zuerkannt 
worden  war,  nun  auch  in  Schweden  und  Norwegen  als  Nachfolger  pro- 
klamiert wurde.  Der  Bestand  der  Union  wurde  freilich  auch  dadurch 
kein  festerer,  und  der  Umstand,  dafs  Christian  I.  nach  dem  Tode  seines 
Oheims  Adolf  VIII.  zum  Herzog  von  Schleswig  und  Grafen  von  Holstein 
gewählt  wurde  (1460),  trug  zu  dieser  Festigung  wenig  bei,  denn  zunächst 
wurde  die  Selbständigkeit  Schleswigs  und  Holsteins  und  ihre  untrenn- 
bare Vereinigung1)  auch  jetzt  vollkommen  gewahrt,  dann  machte  Knutson 
bis  an  sein  Ende  (1470)  Versuche,  Schwedens  Herrschaft  zurückzu- 
gewinnen; nach  Knutsons  Tode  erhob  sich  dessen  Schwestersohn  Sten 
Sture  gegen  den  König  und  brachte  ihm  am  Brunkeberge  im  Angesicht 
von   Stockholm   am    10.  Oktober  1471    eine   Niederlage   bei.      Christians 


2)  Die  beiden  Lande  >sollen  ewig  bliben  toosamen  ungedeeltc 


Johann  und  die  Wiederaufrichtung  der  Union.  567 

Versuche,  mit  Hilfe  des  Papstes  und  anderer  Mächte  seine  Herrschaft 
in  Schweden  wieder  aufzurichten,  blieben  ohne  Erfolg.  Seine  Macht  war 
immerhin  eine  hohe  und  wurde  von  den  Hanseaten  sorgenvoll  beobachtet. 
Der  Gunst  des  Kaisers  dankte  er  die  Belehnung  mit  den  Grafschaften 
Holstein  und  Stormarn,  zu  denen  auch  die  Diethmarschen  gehörten, 
die  sich  aber  die  dänische  Herrschaft  anzuerkennen  weigerten,  der 
Gunst  des  Papstes  die  Errichtung  einer  Universität  in  Kopenhagen 
(1479).  In  Schweden  hatte  einige  Jahre  zuvor  (1476)  Sten  Sture,  der 
nicht  nur  ein  bedeutender  Staatsmann,  sondern  auch  ein  Freund  der 
Wissenschaften  war,  die  Universität  in  Upsala  gegründet. 

4.  Ebensowenig, wie  Christian  I.  gelangte  sein  Sohn  Johann  (1481 
bis  1512)  sofort  zur  unbestrittenen  Herrschaft  in  allen  drei  Staaten. 
Wohl  wurde  seine  frühere  Wahl  in  Dänemark  bestätigt  (1482),  dagegen 
machten  die  Norweger,  die  sich  lieber  an  Sten  Sture  angeschlossen 
hätten,  Schwierigkeiten  und  erklärten  sich  erst  für  ihn,  nachdem  er 
ihren  Beschwerden  abzuhelfen  gelobt  hatte  (1483).  In  Schweden  trat 
ihm  Sten  Sture,  dessen  Macht  im  Bauernstande  wurzelte,  kräftig  ent- 
gegen. Erst  nachdem  dieser  von  dem  deutschen  Söldnerheere  des  Dänen- 
königs am  Brunkeberg  geschlagen  worden  war  (1497,  28.  Oktober), 
gab  er  den  Widerstand  auf,  und  so  wurde  die  Union  —  100  Jahre  nach 
ihrer  Gründung  —  wieder  erneuert.  Im  übrigen  behielt  Sten  Sture  seine 
einflufsreiche  Stellung,  da  König  Johann  in  der  nächsten  Zeit  vom  Kampfe 
gegen  die  ihre  Freiheit  wider  die  benachbarten  Fürsten  verteidigenden 
Diethmarschen  in  Anspruch  genommen  wurde.  Das  Heer  der  Dänen 
erlitt  bei  Hemmingstedt  (1500,  13.  Februar)  eine  entscheidende  Nieder- 
lage; auf  die  Kunde  hievon  kam  es  sowohl  in  Schweden  als  auch  in 
Norwegen  zu  Unruhen.  Sten  Sture  wurde  wieder  Reichsverweser  und 
als  er  (1503)  starb,  trat  sein  Freund  Svante  Sture  an  seine  Stelle.  Der 
Versuch,  auch  im  Norden  ein  kräftiges  königliches  Regiment  aufzurichten, 
wie  dies  im  Zeitalter  des  Humanismus  in  den  Staaten  des  westlichen 
und  südlichen  Europa  gelungen  war,  wurde  unter  andern  Verhältnissen 
erst  von  Christian  IL  (1512 — 1523)  unternommen,  führte  aber  zur  Auf- 
lösung der  Union. 

§  131.    Preufsen  und   Polen.     Der  Fall   des  Deutschen  Ordensstaates 
und  die  Erhebung  der  jagellonischen  Monarchie. 

Quellen,  a.  §  29.  Dazu :  Akten  der  Ständetage  Preufsens  unter  der  Herrschaft 
des  D.  Ordens.  Her.  v.  Toppen.  Leipz.  1878 — 81.  Das  Elbinger  Kriegsbuch,  bearb.  von 
Toppen.  Altpr.  Monatschr.  XXXVI,  223  von  1383  an.  Das  Marienb.  Trefslerbuch,  herausg. 
von  Joachim.  Kgsberg.  1896.  Theiner,  Vetera  Monum.  Poloniae  et  Litthuaniae.  4  t. 
Rom  1860 — 64.  Witoldus  magn.  dux  Litthuaniae,  Cod.  epist.  1376—1430,  ed.  Prochaska. 
Krak.  1882.  Cod.  ep.  sec.  XV,  ed.  Levicki  1876—91.  Index  act.  sec.  XV.  Krak.  1888 
(dort  reichhaltige  Lit.-Ang.  für  die  poln.  Gesch.  dieses  Zeitraumes).  Callimachus, 
experiens.  Epp.  XXII,  ed.  Zeifsberg.  AÖG.  LV.  Dar  st.  Quellen:  Cron.  conflictus 
Wladislai  r.  Pol.  cum  Cruciferis  a.  1410.  SS.  rer.  Pruss.  IH,  434.  Franciscani  Thorunensis 
Ann.  bis  1410  und  die  Fortsetz,  von  Johann  v.  Posilges  Chron.  d.  Landes  Preussen, 
ib.  57 — 464.  Annales  expeditialis  Prussici,  ib.  III,  5—12.  Die  Fortsetz,  von  Pet.  Duis- 
burgs Chron.  v.  Konr.  Bitschin,    ebenda  478.     Johannes  de  Marienwerder,    Ann.  capit. 


568  Niedergang  des  deutschen  Ordens. 

Pomesaniensis  1391 — 93,  ib.  V,  431.  Die  Hochrueisterchron.  s.  §  29.  Die  jüngere 
SS.  rer.  Pruss.  V,  43 — 148.  Ann.  Pruss.  terrae  bis  1450,  ib.  DU,  468.  Geschichten  von 
wegen  eines  Bundes  von  Landen  u.  Städten  wider  den  Orden  zu  Preufsen,  ib.  IV,  75. 
Aeneas  Silvius,  De  situ  et  orig.  Pruthen.  ib.  218.  Blumenau,  Laurentius,  Hist.  de  ord. 
Crucif.  Teut.  ib  IV,  44.  Epistolae,  ebenda.  Die  Danziger  Chroniken,  ib.  IV,  299.  Historia 
brevis  ord.  Teut.,  ib.  IV,  258.  Poles  Preussische  Chronik,  ib.  V,  173  ff.  Für  Polen 
s.  §  88.  Dazu  Ann.  S.  Crucis  Pol.  bis  1410.  MM.  Germ.  SS.  XIX,  177.  De  magna 
strage  1410.  MM.  Pol.  IV,  45.  Cron.  conflictus,  wie  oben.  Registrum  damnorum  a  Cruci- 
feris  in  Mazovia  factoruro,  ib.  V,  926.  Henrici  Sbignei  de  Gora  tractatulus  contra  Crucif., 
ib.  IV,  143.  Oratio  contra  Cruciferos  1464,  ib.  195.  Annales  Cuiavienses  bis  1477, 
ib.  V,  886.  Dlugosch,  Hist.  Pol.  libri  XII,  ed.  Przezdziecki.  5  Bde.  Krak.  1873-78 
(s.  Zeifsb.,  Die  poln.  Geschichtschr.  des  MA.  Leipz.  1873  u.  Potth.  I,  380).  Miechovius, 
Chron.  Polon.  bis  1506.  Krak.  1521.  NIcol.  de  Crac,  Chron.  monast.  Claratumbens. 
bis  1505.  MM.  Pol.  VI.  —  Historia  rer.  gestarum  in  Hung.  et  contra  Turcas  per  Vlad.  reg. 
MM.  Pol.  VI.    Johannes  de  Koniorovo,  Tractatus,  ed.  Zeifsberg.    AÖG.  XLIX,  314. 

Hilfsschriften:  Die  allg.  Werke  s.  oben  §  29,  88.  Dazu:  F.  Thunert, 
Der  gr.  Krieg  zw.  Polen  u.  d.  D.  Orden.  Regensb.  1886.  Lampe,  Beitr.  zur  Gesch. 
Heinr.  v.  Plauen,  1889  und  ZWestpr.  Gesch.  XXV.  Simson,  Danzig  im  13 jähr. 
Kriege  1454 — 66.  Berl.  1891.  Brüning,  Die  Stellung  des  Bist.  Ermeland  zum  D. 
Orden  etc.  Altpr.  Mon.  Sehr.  XXIX.  Lohmeier,  Über  den  Abfall  d.  Preuss.  Bundes 
v.  Orden.  Progr.  1871.  Röhrich,  Das  Bündnis  d.  ermel.  Domkap.  mit  d.  pr.  Bunde  vom 
14.  Febr.  1454.  ZG.Ermel.  X.  Röhrich,  Ermeland  im  13jähr.  Städtekriege.  ZG. 
Ermel.  XL  Toppen.  Der  d.  Ritterorden  u.  die  Stände  Preufsens.  HZ.  XL  VI.  Fröh- 
lich, Das  Bistum  Kulm  u.  d.  Deutsche  Orden.  ZWestpr.  G.  XXVII.  Krumbholz, 
Die  Finanzen  des  Ordens  unter  dem  Einflufs  der  poln.  Politik  d.  Hochmeisters  Küch- 
meister 1414 — 22.  DZG.  VIII.  —  Für  Polen  aufser  den  schon  gen.  Werken  v.  Caro  IV,  V 
und  Schiemann :  Bobrzynski,  Dzieje  Polski  w  zarysie  (Gesch.  Polens  im  Überblick). 
2.  A.  1880—81.  S.  HZ.  45,  562  u.  49,  565.  Szujski,*  Historyi  Polskiej.  Warsch.  1880. 
Von  älteren:  Lengnich,  Gesch.  Polens.  Leipz.  1741.  Hüppe,  Verfassung  d.  Rep. 
Pol.  Berl.  1867.  Daenell,  Polen  u.  die  Hanse  um  die  Wende  des  14.  Jahrh.  DZG. 
NF.  II,  317.     Zur  Historiogr,  im  allgemeinen  s.  Zeifsberg,  wie  oben. 

1.  Die  Blüte,  die  das  Deutsche  Ordensland  im  14.  Jahrhundert  er- 
reicht hatte,  liefs  sich  nur  aufrecht  halten,  wenn  die  Interessen  des 
Ordens  mit  denen  seiner  Untertanen  in  Einklang  gebracht  wurden,  das 
Zuströmen  deutschen  Volkstums  andauerte  und  die  Ordenspolitik  die 
beiden  gröfseren  Nachbarstaaten  Polen  und  Litauen  »teilend  zu  be- 
herrschen« vermochte.  Von  diesen  Voraussetzungen  traf  zu  Ende  des 
XIV.  Jahrhunderts  keine  einzige  mehr  vollständig  zu;  vielmehr  blieb 
der  Gegensatz  zwischen  den  herrschenden  und  beherrschten  Elementen 
bestehen ;  es  fehlte  die  organische  Entwicklung  der  Einrichtungen,  von 
denen  viele  in  den  Tagen  der  Eroberung  nur  zufällig  getroffen  worden 
waren  und  in  die  Gegenwart  nicht  mehr  pafsten.  Seither  war  in 
Preufsen  ein  Geschlecht  erwachsen,  dem  nicht  Vaterlandsliebe,  wohl  aber 
berechtigte  Einflufsnahme  auf  die  Regierung  des  Landes  fehlte.  Die 
Ordensherren  —  in  besseren  Zeiten  an  1000,  ihrer  Herkunft  nach 
Fremde  —  denn  Einheimische  wurden  nur  in  geringer  Zahl  aufgenommen 
und  zu  untergeordneten  Diensten  verwendet  —  und  der  Adel  des  Landes 
standen  sich  fremd  gegenüber.  Der  Bürgerschaft  war  in  den  öffentlichen 
Angelegenheiten  nur  eine  bescheidene  Rolle  zugewiesen.  Die  gröfseren 
meist  zur  Hanse  gehörigen  Städte,  betrachteten  mit  Mifsgunst  die  Handels- 
geschäfte des  Ordens,  und  auf  den  gemeinen  Mann  war  in  einer  Zeit, 
da  sich  allerorten  die  niederen  Volksschichten  erhoben,  nur  wenig  Verlafs. 


Wladislaw  II.  und  der  deutsche  Orden.  569 

Auch  den  preufsischen  Ständen  gegenüber,  die  erst  seit  1410  einige 
Bedeutung  gewannen,  war  der  Orden  »anspruchsvoll  und  autokratisch«. 
Der  Zuzug  aus  der  Fremde  wurde  schwächer,  die  neuen  Elemente  un- 
tüchtiger; jene  Deutschen,  die  noch  das  Ordensgelübde  auf  sich  nahmen, 
wollten  nicht  kämpfen,  sondern  geniefsen.  Daher  mufsten  bereits  Söldner 
in  den  Dienst  genommen  werden.  Die  alte  strenge  Zucht  hatte  aufge- 
hört, die  Ritter  schwelgten  in  Üppigkeit  und  erregten  durch  Sittenlosig- 
keit  und  Gewalttaten  oft  genug  Ärgernis.  Gefährlicher  für  den  Bestand 
des  Ordensstaates  war  der  Übertritt  der  Litauer  zum  Christentum : 
damit  war  des  Ordens  Mission  beendet,  und  wenn  sich  nun  die  östlichen 
Nachbarn  zusammenschlössen,  stand  er  einer  überlegenen  Kriegsmacht 
gegenüber. 

2.  Dieser  Fall  trat  ein,  als  der  Grofsherzog  Jagello  das  Christen- 
tum annahm  und  als  Wladislaw  II.  (1386—1434)  mit  der  Hand  der 
Königin  Hedwig  Polen  gewann  (s.  §  96).  Das  Ordensgebiet  war  nun 
von  drei  Seiten  von  Ländern  umschlossen,  deren  Bevölkerung  ihm  bis 
in  die  unteren  Schichten  herab  feindselig  war.  Im  Widerspruch  zu  dem 
den  Polen  geleisteten  Eid  liefs  Wladislaw  den  Litauern  eine  ziemliche 
Selbständigkeit  unter  ihren  Grofsfürsten,  die  zwar  unter  Polens  Lehens- 
hoheit standen,  sich  aber  von  ihren  eigenen  Interessen  leiten  liefsen. 
Im  übrigen  waren  freilich  auch  die  Landschaften  Polens  nur  lose  mit- 
einander verknüpft:  noch  stand  Masovien  unter  eigenen  Fürsten  und 
hatte  Wladislaw  von  Oppeln  einzelne  polnische  Städte  in  seinem  Besitz. 
Den  gröfsten  Gewinn  aus  der  Union  zog  aufser  dem  Prälatenstand  der 
Adel,  der  sich  seine  dem  König  geleisteten  Dienste  reichlich  bezahlen 
liefs.  Zum  Kriegsdienst  nur  innerhalb  ihrer  Landesgrenzen  verpflichtet, 
erhielten  die  Magnaten  Steuerfreiheit  und  eigene  Gerichtsbarkeit, 
und  so  wurde  die  polnische  Herrschaft  schon  jetzt  eine  oligarchische. 
Der  Kampf  wider  den  Orden  war  schon  dem  Ausbruch  nahe,  als  Wla- 
dislaw von  Oppeln  das  ihm  vom  König  Ludwig  überlassene  Herzogtum 
Dobrzin  dem  deutschen  Orden  zu  verpfänden  beabsichtigte,  wurde  aber 
durch  die  vermittelnde  Tätigkeit  der  Königin  Hedwig  noch  hinausgezogen. 
Nach  ihrem  Tode  (1399)  vermählte  sich  Wladislaw,  um  seine  Stellung 
in  Polen  zu  kräftigen,  mit  Anna  von  Cilli,  einer  Enkelin  Kasimirs  des 
Grofsen.  Der  drohende  Krieg  gegen  Polen-Litauen  hinderte  den  Orden, 
Wisby  zu  behalten,  das  der  Hochmeister  Konrad  von  Jungingen 
1398  den  Vitalinern  entrissen  hatte.  1407  wurde  es  gegen  Ersatz  der 
aufgewendeten  Kosten  an  die  Unionskönigin  Margareta  abgetreten. 
Dieser  Ausgang  des  in  Preufsen  populären  Unternehmens  schädigte  das 
Ansehen  des  Ordens  im  eigenen  Lande.  Schon  gärte  es  in  einzelnen 
Kreisen  des  Volkes.  Unter  dem  Landadel  bildete  sich  der  »Eidechsen- 
bund«,  der  eine  polenfreundliche  Richtung  verfolgte.  Abermals  schien 
der  Krieg  auszubrechen ,  als  König  Sigmund  die  Neumark  an  den 
Orden  verpfändete,  für  den  sie  wegen  der  Verbindung  mit  dem  Reiche 
von  besonderer  Wichtigkeit  war.  Der  Krieg  wurde  diesmal  durch  die 
versöhnliche  Haltung  des  Hochmeisters  Konrad  von  Jungingen  verhindert. 
Nun   wurde   gegen   seine    eigene  Warnung,    denn   er   kannte   den   wage- 


570     Die  Schlacht  bei  Tannenberg.    Heinrich  v.  Plauen.    Der  preufs.  Landesrat. 

mutigen  Sinn  seines  Bruders,  Ulrich  von  Jungingen  (1407 — 1410) 
zum  Hochmeister  gewählt.  Als  Grofsfürst  Witold  von  Litauen  einen 
Aufstand  der  Samaiten  unterstützte  und  Wladislaw  für  seinen  Vetter 
Partei  nahm,  erklärte  Ulrich  (1409,  6.  August)  an  Polen  den  Krieg  und 
nahm  das  Dobrziner  Land  in  Besitz.  Noch  waren  die  Gegner  nicht  ge- 
nügend gerüstet,  daher  kam  es  zunächst  zu  einem  neunmonatlichen 
Waffenstillstand;  während  dieser  Zeit  sollte  König  Wenzel  als  Vermittler 
den  Schiedsspruch  fällen;  dieser  wurde  von  Polen,  das  sich  mittlerweile 
stark  gerüstet  hatte,  verworfen.  Das  polnische  Heer,  durch  Samaiten, 
Russen  und  Tataren  verstärkt,  brach  in  Preufsen  ein  und  brachte  dem 
Ordensheere  am  15.  Juli  1410  zwischen  dem  Grünenwalde  und  Tannen- 
berg eine  vollständige  Niederlage  bei.  Unter  den  Gefallenen  befand 
sich  der  Hochmeister.  Nach  den  geringsten  Angaben  fielen  auf  Seiten 
des  Ordens  203  Ordensbrüder  und  12000  »edle  und  unedle  Christen- 
leute«; die  Verluste  auf  polnischer  Seite  wurden  auf  18000  Mann  ver- 
anschlagt. x)  Die  Blüte  der  Deutschen  Ordensritterschaft  war  erschlagen. 
Der  Klerus,  der  Landadel  und  die  Städte  eilten,  des  Siegers  Gnade  zu 
gewinnen;  die  Städte  hielten  es  an  der  Zeit,  ihre  Freiheit  zu  erringen. 
Zum  Glück  für  den  Orden  nützte  der  Sieger  seinen  Erfolg  nicht  aus. 
Erst  nach  10  Tagen  langte  er  vor  der  Marienburg  an,  die  der  Komtur 
Heinrich  Reufs  von  Plauen  erst  im  letzten  Augenblick  in  wehrhaften 
Zustand  versetzt  hatte.  Der  König  lagerte  8  Wochen  vor  der  Festung, 
bis  Mangel  und  Krankheiten  ihn  zum  Abzug  nötigten.  Witold,  der  ihn 
nicht  zu  mächtig  werden  lassen  wollte,  drängte  zum  Frieden.  Die  ver- 
lorenen Burgen  und  Städte  wurden  zurückgewonnen  und  die  Reorgani- 
sation des  Ordens  in  Angriff  genommen.  Sein  Retter,  Heinrich  von 
Plauen  (1410 — 1413)  erhielt  die  Hochmeisterwürde.  Ava  1.  Februar  1411 
wurde  der  Friede  von  Thorn  geschlossen,  der  das  Dobrziner  Land 
dauernd,  Samaiten  für  die  Lebenszeit  Wladislaws  II.  und  Witolds  an 
Polen  auslieferte.  Das  Lösegeld  der  Gefangenen  —  100000  Schock 
böhmische  Groschen  —  war  nur  durch  schwere  Opfer  zu  beschaffen: 
eine  allgemeine  Landessteuer  wurde  verordnet,  Strafen  über  abgefallene 
Ritter  und  Städte  verhängt,  das  Mittel  der  Münzverschlechterung  in 
Anwendung  gebracht.  All  das,  vor  allem  die  scharfe  Art  des  Hoch- 
meisters und  das  gewalttätige  Vorgehen  seines  Bruders,  des  Komturs 
von  Danzig  führten  zu  einer  Verschwörung,  die  zwar  noch  rechtzeitig 
verraten  und  bestraft  wurde,  allein  Polen  liefs  den  Orden  nicht  mehr 
zur  Ruhe  kommen.  Um  in  dieser  Xot  die  Unterstützung  des  Volkes 
zu  gewinnen,  gewährte  ihm  der  Hochmeister  einen  Anteil  am  Regiment. 
Fortan  sollten  20  Vertreter  des  Adels  und  27  der  Städte  alljährlich  in 
Elbing  als  Landesrat  zusammentreten.  Das  wurde  dem  Hochmeister 
als  Verletzung  der  Ordensgesetze  angerechnet.  Am  14.  Oktober  1413 
wurde  er  auf  dem  Ordenskapitel  zu  Marienburg  seines  Amtes  entsetzt 
und  sein  Ankläger  Michael  Küchmeister  von  Sternberg  (1413  bis 
1422)  an  seine  Stelle  gesetzt.     Damit  war  das  Schicksal  des  Ordens,  der 


l)  S.  Köhler,  Die  Schlacht  bei  Tannenberg  am  15.  Juli   1410. 


Gegnerschaft  zw.  d.  deutsch.  Orden  u.  den  preufs.  Ständen.    Wladislaw  III.     571 

von  einer  Regenerierung  nichts  wissen  wollte,  besiegelt.  Der  unsichere 
Zustand  gegen  Polen,  wo  die  hussitische  Revolution  mit  ihren  gegen 
das  deutsche  Wesen  gerichteten  Mafsnahmen  in  den  breiten  Volksschriften 
Anklang  fand,  dauerte  fort.  Unter  dem  nächsten  Hochmeister  Paul 
von  Rufsdorf  (1422 — 1441)  begannen  Wladislaw  und  Witold  den  Kampf 
von  neuem.  Von  den  Ständen  gedrängt,  während  die  vom  Reiche  er- 
wartete Hilfe  viel  zu  zögernd  heranzog,  mufste  der  Hochmeister  im 
Frieden  am  Melno  See  den  Polen  neue  Landabtretungen  machen  und 
neue  Rechte  einräumen.  Schon  setzte  eine  Friedensbestimmung  fest, 
dafs  die  Stände  unter  Umständen  das  Recht  besitzen,  vom  Orden  abzu- 
fallen. Der  Gegensatz  zwischen  der  Ritterschaft  und  dem  ständischen 
Wesen  trat  immer  schärfer  hervor.  Schon  1430  sah  sich  der  Hochmeister 
genötigt,  auf  den  Landesrat  Plauens  wieder  zurückzukommen ;  nur  sollte 
er  jetzt  aus  je  sechs  Ordensrittern,  Prälaten,  Adeligen  und  Vertretern 
der  Städte  bestehen.  Die  politische  Lage  schien  sich  zu  bessern,  als 
Witold,  von  dem  Wunsche  beseelt,  für  Litauen  die  Königskrone  zu  ge- 
winnen und  das  Lehensband  mit  Polen  zu  lösen,  sich  an  den  Orden 
anschlofs.  Nach  seinem  Tode  (1430)  kam  es  um  den  Besitz  Litauens 
zu  Kämpfen,  in  die  der  Orden  in  einer  Zeit  verflochten  wurde,  da  die 
westlichen  Ordensgebiete  von  den  Hussiten  heimgesucht  wurden. 

3.  Wladislaw  IL  hatte  erst  von  seiner  vierten  Gemahlin  Sophie 
männliche  Nachkommen:  Wladislaw  und  Kasimir.  Diesen,  die  weder 
väterlicher-  noch  mütterlicherseits  Thronansprüche  hatten,  die  Nachfolge 
zu  sichern,  gab  er  auf  dem  Reichstage  zu  Jedlno  (1430)  dem  polnischen 
Adel  eine  neue  Bestätigung  und  Vermehrung  seiner  Rechte  und  Privi- 
legien; dafür  wurde  Wladislaw  III.  (1434 — 1444)  als  Nachfolger  anerkannt. 
Bei  dessen  Jugend  konnte  sich  die  Adelsherrschaft  in  Polen  weiter  ent- 
wickeln. Um  nach  Westen  gesichert  zu  sein,  schlofs  der  König  mit 
dem  Orden  den  sog.  Ewigen  Frieden  zuBrzesc  (1435),  der  Samogitien 
und  Sudauen  bei  Polen,  Pommerellen,  das  Kulmer  und  Michelauer  Land 
beim  Orden  beliefs.  Die  polnische  Politik  wandte  sich  nun  dem  Osten 
zu,  wo  Zerwürfnisse  im  moldauischen  Fürstenhause  Anlafs  gaben,  die 
Moldau  in  Abhängigkeit  von  Polen  zu  bringen.  Ging  die  Hoffnung  der 
Jagellonen,  nach  Sigmunds  Tode  auch  Böhmen  zu  erhalten,  nicht  in 
Erfüllung,  so  wurde  Wladislaw  doch  nach  dem  Tode  Albrechts  IL  zum 
König  von  Ungarn  gewählt.  Nach  seinem  Falle  bei  Varna  (s.  oben)  boten 
die  polnischen  Grofsen  die  Krone  dem  Bruder  des  gefallenen  Königs, 
Kasimir,  an,  den  die  Litauer  nach  der  Ermordung  ihres  Grofsfürsten 
Siegmund  zu  dessen  Nachfolger  gewählt  hatten.  Kasimir  zögerte,  sie  anzu- 
nehmen, und  die  Polen  verhandelten  hierauf  zuerst  mit  dem  Kurfürsten 
Friedrich  IL  von  Brandenburg,  dann  mit  Herzog  Boleslaw  von  Warschau. 
Erst  nach  langen  Verhandlungen  nahm  Kasimir  IL  (1447 — 1492) 
die  Krone  an,  behielt  aber  auch  sein  Grofsfürstentum  Litauen.  Das 
dreijährige  Interregnum  hatte  nicht  wenig  zu  der  Ansicht  beigetragen, 
dafs  Polen  ein  Wahlreich  sei.  Die  Vorliebe  für  Litauen,  sein  Versuch, 
es  zum  Stützpunkt  der  jagelionischen  Politik  zu  machen,  innerlich  zu 
kräftigen   und   nach    aufsenhin   zu   vergröfsern,    verwickelte   Kasimir   in 


572       Kasimir  II.     Der  zweite  Friede  von  Thorn.     Der  Fall  des  Ordensstaates. 

mannigfache  Streitigkeiten  mit  den  polnischen  Ständen,  so  dafs  er  erst 
1453  auf  dem  Reichstage  von  Petrokow  die  Reichsgesetze  beschwor. 
Seine  auswärtige  Politik  war  gänzlich  auf  die  Erhöhung  der  Jagelionen 
gerichtet :  nachhaltige  Erfolge  erzielte  er  aber  nur  dem  deutschen  Ordens- 
staat gegenüber. 

4.  Hier  führte  der  Gegensatz  zwischen  Ordensrittern  und  den 
Ständen  dazu,  dafs  Städte  und  Adel  des  Kulmerlandes,  eines  Teiles  von 
Pommerellen,  der  Gebiete  Osterode,  Christburg  und  Elbing  und  der  Bis- 
tümer Riesenburg  und  Ermeland  am  13.  März  1440  in  Marienwerder 
den  preufsischen  Bund  zu  gemeinsamem  Schutz  der  Landesfreiheiten 
miteinander  abschlössen:  »Wenn  Klagen  bei  dem  Hochmeister  und  vor 
dem  Landgericht  erfolglos  bleiben,  dann  soll  die  Tagsatzung  der  Ritter- 
schaft und  Städte  entscheiden.«  Der  Hochmeister  bestätigte  den  Bund, 
wohl  in  der  Hoffnung,  an  ihm  eine  Stütze  gegen  die  Opposition  im 
Orden  selbst  zu  finden.  Um  so  heftiger  wurden  die  Anklagen  gegen 
den  Meister.  Als  Rufsdorf  starb,  nur  kurze  Zeit,  nachdem  er  sein  Amt 
niedergelegt  hatte,  war  alles  im  Lande  in  Zerwürfnis. l)  Der  Hochmeister 
Konrad  von  Erlichshausen  (1441 — 1449)  vermochte  bei  aller  Tüchtig- 
keit die  Ordnung  im  Lande  nicht  mehr  herzustellen.  Wider  seinen 
Rat  wurde  nach  seinem  Tode  sein  Vetter  Ludwig  von  Erlichs- 
hausen (1450 — 1467)  zum  Hochmeister  gewählt.  Die  Dinge  standen 
so,  dafs  entweder  der  Bund  oder  das  Ordensland  geopfert  werden  mufste; 
schon  verweigerten  die  Bundesmitglieder  den  Ordensbeamten  den  Ge- 
horsam und  traten  vereinzelt  mit  Polen  in  Verbindung,  als  König  Fried- 
rich III.  in  Übereinstimmung  mit  dem  Legaten  des  Papstes  die  Auf- 
lösung des  Bundes  verlangte  (1453),  wogegen  dieser,  gewillt,  sich  an 
Polen  anzuschliefsen,  Protest  erhob.  Während  sich  die  Aufständischen 
der  Ordensburgen  bemächtigten  und  der  Hochmeister  sich  ratlos  an 
Fürsten  und  Adel  der  benachbarten  Länder  und  an  die  Hansestädte  um 
Hilfe  wandte,  erschien  eine  Gesandtschaft  des  Bundes  in  Krakau  (1454, 
Februar)  und  bot  dem  Könige  den  Besitz  Preufsens  an.  Der  Orden 
trat  in  seiner  Notlage  die  Neumark  gegen  das  Recht  des  Wiederkaufes 
an  Brandenburg  ab,  Polen  aber  erklärte  dem  Orden  den  Krieg,  nahm 
Preufsens  Untertanen  als  die  seinigen  an  und  ernannte  den  Führer  des 
preufsischen  Bundes,  Hans  von  Baisen,  zum  Gouverneur.  Im  Mai  1454 
nahm  er  in  Thorn  die  Huldigung  der  Stände  entgegen.  Der  Krieg 
dauerte  13  Jahre  und  nur  im  Westen,  wo  die  polnischen  Sympathien 
und  die  Organisation  zu  gemeinsamem  Widerstand  fehlten,  konnte  sich 
der  Orden  behaupten.  Vom  Kampfe  erschöpft,  ward  er  zum  Frieden 
gezwungen,  der  unter  der  Vermittlung  des  päpstlichen  Legaten  Rudolf 
von  Lavant  am  19.  Oktober  1466  in  Thorn  zustande  kam.  Westpreufsen 
mit  Marienburg,  Thorn,  Kulm,  Danzig  und  Elbing  fielen  den  Polen  zu ; 
für  Ostpreufsen,  das,  vom  Mutterlande  getrennt,  dem  Orden  verblieb, 
mufste  der  polnischen  Krone  der  Lehenseid  geleistet  werden.  Damit 
war  der  Ruin  des  Ordensstaates  besiegelt.    Noch  überwog  in  den  Städten, 

x)  Voigt  VIII,  1. 


Die  jagellonische  Hauspolitik.  573 

die  nun  unter  fremde  Herrschaft  gerieten,  der  Hafs  gegen  den  Orden 
die  Schmach,  die  an  diesem  Friedensschlufs  haftet.  In  dem  über  jede 
Beschreibung  verwüsteten  Lande  war  das  sittliche  Bewufstsein  nieder- 
getreten, wie  die  Acker  und  Siedlungen,  die  nur  langsam  zu  neuem 
Leben  erstanden. 2)  Unermefslich  dagegen*  war  der  Jubel  in  Polen.  Für 
dieses  war  der  neue  Erwerb  von  der  gröfsten  Wichtigkeit:  er  brachte 
dem  Staate  ein  neues  Element  an  städtischen  Gemeinwesen  hinzu,  das 
nun  freilich  —  mit  Ausnahme  der  Städte  Danzig,  Thorn  und  Elbing  — 
seine  frühere  Bedeutung  verlor. 

5.  Die  Politik  Kasimirs  als  jagellonische  Hauspolitik  tritt  am  deut- 
lichsten in  seinen  Beziehungen  zu  Böhmen  und  Ungarn  an  den  Tag, 
in  denen  er  eine  Sekundo-  und  Tertiogenitur  seines  Hauses  zu  be- 
gründen bemüht  war.  Als  sich  die  österreichisch  -  böhmisch  -  unga- 
rische Union  nach  dem  Tode  des  jungen  Königs  Ladislaus  Posthumus 
(1457)  auflöste,  erhob  er  als  dessen  Schwager  Ansprüche  auf  beide 
Länder,  doch  fehlte  es  ihm  bei  der  Haltung  des  Deutschen  Ordens  zu- 
nächst an  den  Machtmitteln,  sie  durchzusetzen,  und  so  erkannte  er  die 
nationalen  Königsherrschaften,  die  in  den  beiden  Ländern  entstanden 
waren,  nicht  nur  willig  an,  sondern  trat  auch  mit  Georg  Podiebrad  in 
freundschaftliche  Beziehungen,  die  er  auch  dann  nicht  auflöste,  als  der 
Papst  die  polnische  Macht  gegen  das  hussitische  Königtum  auszuspielen 
gedachte  (s.  unten).  Erst  nach  Georgs  Tode  (1471)  gestattete  er  seinem 
ältesten  Sohne  Wladislaw,  die  auf  ihn  gefallene  Wahl  zum  König  von 
Böhmen  anzunehmen.  Dagegen  mifslang  die  Erhebung  seines  zweiten 
Sohnes  Kasimir  auf  den  ungarischen  Königsthron,  die  durch  die  Gegner 
des  Königs  Matthias  Corvinus  versucht  wurde;  und  als  Kasimir  diesen 
Plan  sechs  Jahre  später  von  neuem  aufgriff,  gefährdete  Matthias  durch 
seine  Verbindung  mit  dem  Deutschen  Orden  die  grofsen  Errungenschaften 
Polens  in  Preufsen.  Erst  1479  kam  es  zur  Herstellung  eines  allgemeinen 
Friedens  zwischen  Böhmen,  Polen  und  Ungarn,  der  auch  den  Orden 
zum  Einlenken  zwang.  Gegen  die  Türken,  zum  Teil  auch  gegen  die 
Ungarn  gewann  Kasimir  einen  trefflichen  Bundesgenossen  an  dem  Mol- 
dauerfürsten Stephan  dem  Grofsen  (1457 — 1504),  der  den  Türken 
—  sie  zählten  120000  Mann  —  mit  seinen  40000  Moldauern  bei  Eacova 
am  Flusse  Berlat  eine  blutige  Niederlage  beibrachte  (1475,  10.  Januar). 
Stephans  Sieg,  für  jene  Zeit  ein  Ereignis  ohnegleichen,  war  seit  lange 
der  erste  grofse  Erfolg  gegen  die  Türken  in  offenem  Felde.2)  Während 
er  nunmehr  eine  starke  Unterstützung  gegen  sie  von  Ungarn  und  Polen 
begehrte,  wTar  jede  der  beiden  Mächte  bemüht,  der  andern  die  Ober- 
herrschaft über  die  Moldau  abzuringen,  und  Stephan  spielte  gegen  beide 
ein  Doppelspiel,  das  freilich  mit  der  Grund  zu  der  Niederlage  war,  die 
er  gegen  die  fünfzehnfache  Übermacht  der  Türken  im  Albatale  im 
Distrikte   von   Njamtz    erlitt.     Um   ausgiebige  Hilfe   gegen    diese   zu   er- 


*)  Schiemann,  1,  580. 

2)  Xenopol  I,  276,  wo  auch  die  Quellen    für  die  Kämpfe  gegen  die  Türken  ver- 
zeichnet sind. 


574  Die  jagelionische  Grofsinacht.     Oligarchische  Verfassung  Polens. 

halten,  leistete  er  Kasimir  die  Huldigung  (1584,  15.  September).  Nach 
dem  Tode  des  Königs  Matthias  suchte  Kasimir  Ungarns  Krone  für 
seinen  dritten  Sohn  Johann  Albrecht  zu  erringen.  Die  ungarischen 
Magnaten  proklamierten  dagegen  den  böhmischen  König  Wladislaus  als 
König,  so  dafs  nun  zwei  Söhne  Kasimirs  in  Ungarn  als  Gegner  einander 
gegenübertreten,  von  denen  schliefslich  Wladislaw  das  Feld  behauptete. 
Das  jagellonische  Königshaus  gebot  somit  über  den  weitaus  gröfsten 
Teil  von  Osteuropa.  Die  Bemühungen,  auch  im  Westen  Erfolge  zu  er- 
ringen, liefsen  den  König  die  Interessen  Polens  im  Osten  den  Russen 
und  Türken  gegenüber  vernachlässigen.  Die  Tataren  von  Perekop  unter- 
warfen sich  der  türkischen  Macht,  und  die  wichtigen  Moldauhäfen  Kilia 
und  Bialygrod  gingen  an  sie  verloren.  Trotzdem  Kasimir  ein  starkes 
Gefühl  seiner  Macht  und  Würde  besafs  und  von  dem  Wunsche  beseelt 
war,  die  Übermacht  des  polnischen  Adels  zu  brechen,  hat  sie  unter 
seiner  Regierung  gröfsere  Fortschritte  gemacht  als  jemals  früher.  Eben 
um  sich  dem  Einflufs  der  Magnaten  zu  entziehen,  weilte  er  mit  Vorliebe 
in  Litauen ;  dafs  man  zu  seiner  Zeit  von  dem  Bedürfnis  umfassender 
politischer  Reformen  in  Polen  durchdrungen  war,  davon  zeugt  die  Schrift 
Johann  Ostrorogs,  die  sich  bereits  mit  Gedanken  trägt,  die  auf  den 
modernen  Staat  hinzielen.1)  Aber  zu  wirklichen  Reformen  in  der  Rechts- 
pflege, der  Verwaltung  und  im  Kriegswesen  ist  es  nicht  gekommen. 
Das  wichtigste  war,  dafs  die  Macht  des  kleinen  Adels  unter  ihm  die 
bedeutsamsten  Fortschritte  machte.  Um  die  gewünschten  Steuerbewilli- 
gungen leichter  zu  erhalten,  von  denen  er  erwarten  mochte,  dafs  sie 
von  dem  unter  dem  Einflufs  der  Magnaten  stehenden  Reichstagen  nicht 
bewilligt  würden,  liefs  der  König  vom  Adel  Bevollmächtigte  wählen,  die 
als  Landboten  an  die  vom  König  bestimmten  Orte  geschickt  wurden. 
Hier  konnten  übrigens  auch  freiwillig  Mitglieder  des  Adels  erscheinen, 
um  im  Verein  mit  dem  König  über  neue  Abgaben  zu  beraten.  Hatten 
die  hier  gefafsten  Beschlüsse  nur  für  die  durch  die  Versammlung  ver- 
tretene Landschaft  Geltung,  so  ging  Kasimir  schon  1468  einen  Schritt 
weiter,  indem  er  diese  Landboten  nach  Piotrkow  berief  und  verordnete, 
dafs  von  jeder  Woiwodschaft  zwei  Verordnete  hingesandt  werden  sollten. 
So  entstand  die  »Landbotenstube«,  die  im  Verein  mit  dem  aus  den 
höchsten  Würdenträgern  des  Reiches  bestehenden  Rat  des  Königs  — 
dem  Senat  —  den  polnischen  Reichstag  bildete.  Die  Landbotenstube 
hatte  fortan  den  wesentlichen  Einflufs.2)  Sie  bildete  die  eigentliche 
Kationairepräsentation  Polens,  da  der  Adel  allein  die  Nation  ausmachte. 
Die  Boten,  die  von  zwei  zu  zwei  Jahren  berufen  wurden,  wurden  jedes- 
mal neu  gewählt.  Bei  der  geringen  Anzahl  und  der  Bedeutungslosigkeit 
der  Städte  konnte  ein  dritter  Stand  nicht  aufkommen.  Xur  ausnahms- 
weise wurden  einzelne  Verordnete  der  Bürgerschaft  zu  den  Reichstagen 
berufen,  ohne  dafs  sie  aber  ein  Recht  der  Mitberatung  erhielten.  Die 
Leitung  des  Staatswesens  geriet  von  nun  an  ganz  in  die  Hände  der 
Schlachta. 


x)  Monumentum  pro  comitiis  regalibus.    S.  hierüber  Schieinann  I,  591. 
2^  Ebenda  593. 


si 
fa 
w 


Rufsland,  Litauen,  die  Goldene  Horde.  575 

§  132.    Rufsland,  Litauen  und  die  Goldene  Horde. 

Quellen:  S.  Bestushew-Rjumin,  Quellen  und  Literatur  zur  russischen 
Geschichte  im  ersten  Band  seiner  Gesch.  Rufslands.  Deutsch  v.  Th.  Schiemann. 
Mitau  1877.  Dort  S.  61  das  Verzeichnis  der  Urkundensammlungen,  von  Briefen  (S.  46), 
von  Chroniken  (S.  1  die  reichhaltige  Literatur  über  Chroniken),  »Sonderberichten«  (S.  15) 
und  Heiligenleben.  Über  die  russischen  Jahrbücher  s.  die  Übersicht  in  Potth.  H,  1729 
(dazu  JBG.  1900,  III,  185  ff.)  u.  Aufzählung  u.  Beschreibung  I,  721—22.  S.  auch  Popov, 
Übersicht  über  die  russ.  Chronographen.  2  Bde.  Petersb.  1866  (russisch).  Die  Livl. 
Reimchr.  bis  1291.  Her.  v.  Meyer.  Paderb.  1876.  Barthol.  Hoenecke,  Livl.  Reimchr. 
Her.  v.  Höhlbaum.  Leipz.  1872.  Chronicon  Suzdaliense  bis  1419  als  Anhang  zu  Nestor 
und  in  d.  Ausg.  der  Petersb.  Ak.  1872.  Chronik  d.  Grofsf.  v.  Litauen,  zugleich  mit  den 
Russici  Lithuanici,  ed.  Popov.  Petersb.  1854  und  Altpreufs.  Monatschr.  NF.  XIV.  Die 
Byzantiner  s.  §  133.    Arab.  Berichte  s.  Bestushew-Schiemann,  S.  122  ff . 

Hilfsschriften:  Über  wissensch.  Bearbeitungen  der  russ.  Gesch.  s.  Bestu- 
shew-Schiemann, S.  152  ff.  Aufser  den  allg.  Werken  von  Karamsin  (über  ihn 
Bestushew,  S.  162),  Solowjew,  Kostomarow,  Ustrialow,  Bjelow  (JBG.  1897), 
dann  Strahl-Herrmann,  Rambaud,  Brückner,  Gesch.  v.  Rufsland.  Gotha  1896 
und  vor  allem  Th.  Schiemann,  Rufsland,  Polen  und  Livland  bis  ins  17.  Jahrh. 
Berl.  1886.  Ilowaiski,  Gesch.  Rufslands  (russisch)  Mosk.  1880.  Von  Einzelschriften: 
Poleschajew,  Das  Fürstentum  Moskau  in  der  ersten  Hälfte  des  14.  Jahrh.  Pet.  1878. 
Petro  w,  Gesch.  der  russ.  Adelsgeschlechter,  ib.  1886  Antonowitsch,  Gesch.  d.  Grofsf. 
Litauen.  Kiew  1887  (russisch).  Gennadius  Karpow,  G.  d.  Kampfes  zw.  dem  mosk. 
u.  poln.-lit.  Reich  1462—1568.  Moskau  1867.  Eksemplj  arskij ,  Die  Grofs-  u.  Teil- 
fürsten d.  n.  Rufsland  in  d.  Epoche  des  Mongolenjoches  1238 — 1505  (russ.)  Petersb.  1889- 
Daschkewicz,  Gesch.  Daniels  v.  Halitsch.  Kiew  1873.  Hammer,  Gesch.  d.  Gold. 
Horde  in  Kiptschak.  Pest  1840.  Radioff,  Jarlyki  Toktamischa  i  Temir  Kutlug,  Arch. 
Obc.  Pokotilov,  Hist.  des  Mogols  orientaux  de  1368—1634.  Petersb.  1893.  Weitere 
Literaturang.  s.  bei  Bestushew  (S.  214  ff.)  u.  Schiemann.  Die  Arbeiten  zur  kirchlichen 
Union  s.  unten. 

1.  Als  Batu  (s.  §  24)  seinen  Eroberungszug  nach  dem  Westen 
unternahm,  liefs  er  einen  Teil  seiner  Streitmacht  im  Wolgagebiete  zurück. 
Von  dort  aus  hielt  er  die  Herrschaft  über  Rufsland  fest.  Nach  der 
Rückkehr  schlug  er  sein  »goldenes«  Zelt  am  linken  Achtubaufer,  einem 
Arm  der  Wolga,  auf.  Um  dies  Zelt  herum  entstand  allmählich  eine 
ansehnliche  Stadt,  die  Residenz  der  Khane,  Sarai.  Die  Residenz  heifst 
Orda,  d.  h.  das  Lager,  daher  »die  Goldene  Horde«.  Vom  Grofs- 
khan  abhängig,  war  der  Khan  in  inneren  Angelegenheiten  unumschränkt. 
Auch  die  Abhängigkeit  von  »dem  Gesetze«  der  Jasa  hörte  auf,  seit  er 
sich  dem  Islam  zuwandte  (bald  nach  1256).  Bei  der  Thronbesteigung 
and  die  Huldigung  statt.  Knieend,  mit  gelöstem  Gürtel  und  barhaupt 
urde  dem  Khan  der  Treueid  geleistet,  der  Leben  und  Eigentum  der 
Untertanen  in  seine  Hände  gab.1)  Dem  Khan  von  Sarai  war  Rufsland 
Untertan,  seit  Jaroslaw  IL  von  Wladimir  (1243)  die  Oberherrschaft 
Batus  anerkannt  hatte.  »Sei  du  der  Alteste  unter  den  russischen  Fürsten!« 
soll  ihm  dieser  gesagt  haben.  Sein  Sohn  Konstantin  ging  nach  Kora- 
korum;  als  dies  nicht  genügte,  zog  er  selbst  dahin,  dem  Grofskhan  zu 
huldigen.  Auch  die  übrigen  Teilfürsten  erkannten  die  Oberherrschaft 
des  Mongolen  an.     Die  eigenartige  Entwicklung  Rufslands  erfuhr  durch 


*)  Schiemann,  S.  174,    179.    Dort   die  Schilderung   des  Khanats  der  Gold.  Horde 
und  seiner  Organisation. 


576  Mongolische  Einflüsse  auf  Kufsland.     Alexander  Newski. 

diese  Fremdherrschaft  eine  Unterbrechung,  die  nahezu  250  Jahre  dauerte. 
Zwar  blieb  die  Dynastie  Ruriks  bestehen,  auch  konnten  sich  Sitten  und 
Gebräuche  und  Grundsätze  des  öffentlichen  Rechtes,  die  noch  in  die 
Xorrnannenzeit  reichen,  behaupten,  so  namentlich  das  Teilfürstentum, 
aber  die  tatarische  Herrschaft  machte  sich  in  drückender  Weise  geltend  l) : 
die  Unterworfenen  leisten  Heeresfolge,  die  finanziellen  Quellen  des  rus- 
sischen Reiches  werden  aufs  äufserste  ausgenützt,  ein  drückendes  Steuer- 
system, »ein  Raubsystem  wird  eingeführt,  dem  jede  volkswirtschaftliche 
Einsicht  fehlte«.  Boten  des  Khans  ziehen  durch  das  Land,  um  die 
Steuereinhebung  zu  beaufsichtigen.  Die  Steuern  sind  zumeist  an  Kauf- 
leute aus  Chiwa  verpachtet.  Wer  sie  nicht  bezahlen  kann,  verfällt  der 
Sklaverei.  Boten  des  Khans  wachen  über  den  Gehorsam  des  Volkes 
und  der  Fürsten.  Nach  Jaroslaws  II.  Tode  bestieg  Swätoslaw  III.  (1246 
bis  1249)  den  grofsfürstlichen  Stuhl  zu  Wladimir.  Von  Jaroslaws  Söhnen 
hatte  der  ältere,  Alexander  (1236[1246] — 1263),  Nowgorod  und  Kiew, 
ein  jüngerer,  Andrej,  Wladimir  erhalten.  Schon  arbeitete  Andrej  im 
Bunde  mit  dem  Fürsten  Daniel  von  Halitsch  dahin,  das  Joch  der  Mon- 
golen abzuwerfen,  da  wurde  Alexander,  der  sich  durch  die  letztwillige 
Verordnung  des  Vaters  zurückgesetzt  glaubte,  sein  Ankläger.  Andrej 
entfloh  zu  den  Schweden.  Dieser  Streit  war  der  Beweggrund,  dafs  Now- 
gorod die  Tatarenherrschaft  willig  anerkannte,  was  um  so  beachtens- 
werter ist,  als  Alexander  eine  kriegerische  Veranlagung  hatte.  Den 
Schweden,  die  unter  Jarl  Birger  am  Finnischen  Busen  Fufs  fassen  wollten, 
brachte  er  an  den  Ufern  der  Newa  —  daher  wird  er,  aber  erst  von 
jüngeren  Quellen,  Newasieger  genannt  —  eine  Niederlage  bei  (1240, 
15.  Juli).  Ein  Heer  des  Deutschen  Ordens,  das  sich  westlich  von  Now- 
gorod festzusetzen  beabsichtigte,  wurde  auf  dem  Eise  des  Peipussees  ge- 
schlagen. Aber  eben  dieser  russische  Nationalheld  und  Heilige  wandte 
sich  in  seiner  Politik  ganz  den  Tataren  zu  und  täuschte  die  Erwartungen 
Innozenz'  IV.,  der  Rufsland  für  die  abendländische  Kirche  gewinnen 
wollte.  Dagegen  machte  Daniel  von  Halitsch,  der  von  diesem 
Papste  (s.  oben  §  30)  die  Königskrone  erhielt,  den  Versuch,  das  Tataren- 
joch abzuwerfen,  wurde  aber  (1259)  gezwungen,  >; die  Befestigungen  seiner 
Städte  niederzulegen«.  Als  sein  Haus  (1337)  ausstarb,  fiel  sein  Besitz 
erst  an  Litauen,  dann  (1349)  an  Polen. 

2.  Auch  im  Südwesten  wurde  die  russische  Macht  am  Ende  des 
13.  Jahrhunderts  stark  eingeengt.  Am  Ausgang  des  13.  Jahrhunderts 
erhob  sich  der  den  Slawen  zunächst  stehende  indogermanische  Volks- 
stamm der  Litauer  zu  politischem  Leben.  Zuerst  machte  Mindowe, 
Ringolds  Sohn,  den  Versuch,  unter  Beseitigung  der  Teilfürstentümer 
eine  einheitliche  Fürstenmacht  zu  begründen.  Er  trat  zum  Christentum 
über,  setzte  sich  mit  dem  Deutschen  Orden  in  Verbindung  und  erhielt 
vom  Papste  (1253)  die  Königskrone.  Neun  Jahre  später  sagte  er  sich 
von  der  Oberherrschaft  des  Deutschen  Ordens  und  vom  Christentum 
los  und  trat  mit  Alexander  Newski    in  ein  Bündnis  gegen  Livland.     Er 


l)  Über  ihren  Einflufs  auf  Rufsland,  s.  Bestushew  S.  209  ff.,  Brückner  452  ff. 


Litauen  unter  Witen  und  Gedimin.     Das  Aufstreben  Moskaus.  577 

erlag  einer  Verschwörung  litauischer  und  russischer  Fürsten,  ehe  er 
noch  sein  Ziel,  eine  einheitliche  Macht  in  Litauen  zu  begründen,  er- 
reicht hatte.  Nach  seinem  Tode  kam  es  zu  einer  heidnischen  Reaktion, 
bis  Witen  (1293—1316)  und  Gedimin  (1316—1341)  Mindowes  Pläne 
durchführten.  Sie  brachten  die  Eroberungen  des' Deutschen  Ordens  zum 
Stillstand  und  sind  Begründer  jenes  starken  Reiches,  das  fortan  in  den 
Verwicklungen  Osteuropas  seine  Rolle  spielt  und  unter  Einwirkung  des 
Deutschen  Ordens  eine  starke  Militärmacht  wurde.  Russische  Land- 
schaften :  Kriwitschen,  Polozk,  Wladimir,  Luzk,  Wolhynien,  Kiew  u.  a, 
kamen  im  14.  Jahrhundert  durch  Krieg  oder  Erbschaft  an  Litauen, 
das  schon  unter  Gedimin  seine  erste  für  den  Deutschen  Orden  verhäng- 
nisvolle Verbindung  mit  Polen  schlofs. 

3.  Inzwischen  drückte  die  Herrschaft  der  Goldenen  Horde  mit  aller 
Wucht  auf  Alexanders  schwache  Brüder1)  und  Söhne2).  Unter  den 
Teilfürstentümern  hob  sich  Moskau,  das  erst  mit  Michael,  einem 
Bruder  Alexanders,  einen  eigenen  Fürsten  erhalten  hatte,  unter  Danilo, 
dem  vierten  Sohn3)  Alexanders,  mächtig  empor.  Sein  Sohn  Juri  lag 
mit  dem  Grofsfürsten  Michael  IL  von  Twer  (1304 — 1319)  in  fort- 
währendem Kampfe.  Beide  buhlten  um  die  Gunst  des  Oberherrn,  bis 
Juri  als  Sieger  hervorging  und  die  grofsfürstliche  Würde  in  Wladimir 
und  ganz  Rufsland  erlangte.  Damit  war  die  Moskauer  Linie  ans 
Regiment  gelangt.  Juris  Versuch,  Twer  zu  erobern,  endete  mit 
seiner  Niederlage.  Indem  beide  Gegner  die  Entscheidung  des  Oberherrn 
anriefen,  wurde  Michael  wegen  angeblicher  Ermordung  der  tatarischen 
Gemahlin  Juris'  hingerichtet  (1319)  und  Juri  allgemein  als  Grofsfürst  an- 
erkannt. Aber  Michaels  Söhne,  Dmitri  und  Alexander,  sannen  auf  Rache. 
Während  Juri  seine  Kräfte  im  Kampfe  gegen  die  Schweden  erschöpfte, 
gewann  Dmitri  die  Gunst  des  Khans  und  die  grofsfürstliche  Würde  in 
Wladimir  und  entledigte  sich  vor  dessen  Augen  seines  Gegners  durch 
Mord  (1325).  Allerdings  mufste  er  die  Tat  mit  dem  Tode  büfsen,  doch 
blieb  die  grofsfürstliche  Würde  seinem  Bruder  Alexander  IL  (1327 
bis  1328),  und  erst  als  dieser  sich  an  der  Spitze  der  Einwohner  Twers 
an  den  tatarischen  Steuereinhebern  vergriffen  hatte,  kam  das  Grofsfürsten- 
tum  für  immer  an  Moskau.  Juris  Bruder  Iwan  I.  (1328 — 1340)  erhielt 
nun  die  Herrschaft  und  den  Besitz  von  Wladimir  und  Nowgorod.  Wohl 
nicht  so  sehr  wegen  seiner  Freigebigkeit  gegen  die  Armen,  als  weil  er 
es  verstand,  Geld  einzusammeln,  Kaiita,  der  Beutel  genannt,  nicht 
kriegerisch,  aber  ein  kraftvoller  Politiker  und  tüchtiger  Finanzmann, 
gewann  ihm  seine  unbedingte  Fügsamkeit  das  Vertrauen  des  Khans, 
dessen  er  sich  zur  Vernichtung  seines  Gegners  Alexander  von  Twer 
bediente.  Seine  Herrschaft  befestigte  er,  indem  er  sich  eng  an  den 
Metropoliten  anschlofs,  der  schon  1325  seinen  Sitz  von  Wladimir  nach 
Moskau  verlegt  hatte.    Moskau  wurde  nun  der  politische  und  kirch- 


')  Jaroslaw  III  (1263—1272),  Wassili  I.  (1272—1276). 

2)  Dmitri  I.  (1276—1294)  und  Andrej  III  (1294—1304). 

3)  S.  Schiemann,  S.  246. 

Loserth,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  37 


578  Moskau,  der  pol.  u.  kirchl.  Mittelpunkt  Rufslands.    Olgerd  u.  Kestuit. 

liehe  Mittelpunkt  Rufslands.1)  Selbst  Nowgorod  geriet  in  eine  gewisse 
Abhängigkeit  von  ihm.  Indem  Iwan  seinen  Sohn  Simeon  mit  einer 
Tochter  Gedimins  vermählte,  gewann  er  auch  an  diesem  eine  Stütze. 
Seine  Erfolge  sind  um  so  höher  einzuschätzen,  weil  sie  unter  Usbeks 
(1313 — 1341)  Augen  errungen  wurden,  der  unter  allen  Khanen  seit  Batu 
zweifellos  der  bedeutendste  war.  Im  Geiste  Iwans  wirkte  dessen  ältester 
Sohn  Simeon  (1341 — 1353);  er  wurde  noch  von  Usbek  im  Grofsfürsten- 
tum  Wladimir  anerkannt,  ja  der  Khan  »gab  die  russischen  Fürsten  in 
seine  Hand«.  Seine  Brüder  erkannten  ihn  in  einem  Vertrage,  in  welchem 
er  Grofs fürst  von  ganz  Rufsland  genannt  wird,  als  Herrn  an. 
Um  von  der  Plage  tatarischer  Steuereinheber  befreit  zu  sein,  nahm  er  die 
Steuererhebung  selbst  auf  sich,  was  zur  Folge  hatte,  dafs  sich  zahlreiche 
Einwohner  jener  Fürstentümer,  in  denen  das  alte  System  der  Steuer- 
einhebung fortbestand,  in  Moskau  niederliefsen.  Nowgorod,  das  sich 
gegen  seine  Vorherrschaft  auflehnte,  wurde  unterworfen,  behielt  im 
übrigen  aber  seine  eigene  Ordnung.  Einer  Verbindung  Litauens  mit  der 
Horde  arbeitete  er  erfolgreich  entgegen. 

4.  Litauen  entbehrte  nach  Gedimins  Tode  fünf  Jahre  hindurch 
eines  allgemein  anerkannten  Oberhauptes,  bis  es  dem  Fürsten  Olgerd 
(1341 — 1377)  gelang,  im  Verein  mit  seinem  Bruder  Kestuit  (Kynstuttei 
die  grofsherzogliche  Würde  herzustellen.  Wohl  mufsten  diesem  die  rein 
litauischen  Lande,  von  denen  aus  er  einen  unaufhörlichen  Krieg  gegen 
den  Deutschen  Orden  führte,  gelassen  werden ;  Olgerd  selbst  erhielt  mit 
der  oberherrlichen  Gewalt  die  russischen  Landesteile  und  erblickte  seine 
Aufgabe  in  der  Einschränkung  der  moskowitischen  Macht.  Einer  der  be- 
deutendsten Staatsmänner  seiner  Zeit,  stand  er  mit  seinen  Neigungen 
übrigens  mehr  auf  Seiten  der  Russen,  wie  denn  auch  seine  zweite  Ge- 
mahlin eine  Russin  war  und  von  seinen  zwölf  Söhnen  zehn  die  Taufe 
nach  russischem  Ritus  erhielten.  W7ar  es  für  Kestuit  ein  Zeugnis  aufser- 
ordentlicher  Tüchtigkeit,  dafs  er  sich  gegen  die  Ordensmacht  unter 
Winrich  behauptete,  so  gewann  Olgerd  gegen  Smolensk  an  Einflufs,  und 
nach  Simeons  Tode  nützte  er  die  schwache  Regierung  Iwans  IL  (1353 
bis  1359)  aus,  um  seine  Macht  auch  im  südlichen  Rufsland  auszubreiten. 
Zum  Glück  für  das  Grofsfürstentum  Moskau  war  die  Macht  der  Goldenen 
Horde  seit  Usbeks  Tode  in  fortwährendem  Abnehmen  begriffen.  Die 
Genüsse  des  Hofes  und  Harems  entnervten  die  Herrscher,  und  Palast- 
intrigen durchbrachen  die  Ordnung  der  Thronfolge ;  in  den  36  Jahren 
von  1342 — 1378  zählte  man  nicht  weniger  als  26  Khane;  zuletzt  bildeten 
sieh  innerhalb  der  Horde  selbst  zwei  Khanate  aus.  von  denen  das  eine 
in  Sarai  verblieb,  das  andere  zwischen  Wolga  und  Don  lag.2)  Ein 
kräftiger  Herrscher  in  Moskau  würde  schon  jetzt  den  grofsen  Entschei- 
dungskampf gewagt  haben,  aber  Iwans  Söhne  waren  minderjährig. 
Unter  diesen  Umständen  gelang  es  dem  Fürsten  von  Susdal  Dmitri  III. 


x)  Übrigens  hatte  sich  schon  früher  der  Fürst  von  Twer,  Michael  Jaroslawitsch, 
den  Titel  >Fürst  von  ganz  Rufsland  <  beigelegt.    8.  JBG.  1889,  m,  169. 
-    Schiemann,  S.  267. 


Dmitri  Donskoi  und  Wassili  II.     Niedergang  der  Goldenen  Horde.  579 

Konstantinowitch  (1359 — 1362),  die  Anerkennung  des  Grofsherrn  als 
Grofsfürst  zu  erhalten.  Damit  waren  die  Bojaren  von  Moskau  unzu- 
frieden. Sie  setzten  es  durch,  dafs  ihr  Fürst,  Dmitri  IV.  Iwano- 
witsch  (1362 — 1389),  die  Grofsfürsten würde  und  im  Kampfe  wider  seinen 
Gegner  die  Oberhand  erhielt.  Mit  Hilfe  des  Metropoliten  stellte 
Dmitri  IV.  den  vollen  Einflufs  Moskaus  auf  die  übrigen  Fürstentümer 
wieder  her.  Sie  alle,  bis  auf  Twer,  erkannten  seine  Vormachtstellung 
an,  und  auch  dieses  wurde  schliefslich  hiezu  gezwungen.  Nun  trat 
allerdings  der  Khan  Mamai  selbst  gegen  Moskau  auf,  aber  die  Tataren 
erlitten  nach  anfänglichen  Erfolgen  im  Sommer  1378  durch  Dmitri  bei 
Perejaslawl  Rjäsanski  ^eine  schwere  Niederlage;  es  war  der  erste  Sieg, 
den  die  Russen  seit  155  Jahren  wider  die  Tataren  in  offenem  Felde 
erfochten.  Noch  gröfser  war  die  Niederlage,  die  Mamai  selbst  in  den 
Gefilden  von  Kulikow  erlitt  (1380,  8.  September).  Das  dankbare  Volk 
gab  dem  Grofsfürsten  den  Ehrennamen  Donskoi.1)  Mamai  kam  auf  dem 
Rückzuge  um;  nun  erschien  sein  Nachfolger  Toktamisch,  den  Timur 
selbst  eingesetzt  hatte,  vor  Moskau.  Die  durch  seine  Friedensbeteue- 
rungen getäuschten  Bewohner  öffneten  ihre  Tore ;  noch  einmal  wurde 
Rufsland  von  den  Tataren  geknechtet.  Aber  Dmitri  behielt  doch  seine 
Grofsfürstenstellung,  die  er  übrigens  schärfer  als  einer  seiner  Vorgänger 
zur  Geltung  brachte.  Er  starb,  ohne  seinen  heifsesten  Wunsch,  die 
Tatarenherrschaft  abzuschütteln,  erfüllt  zu  sehen.  Ihm  folgte  sein  ältester 
Sohn  Wassili  IL  (1389 — 1425),  wiewohl  erst  16  Jahre  alt,  unbestritten 
in  der  Regierung;  sie  wurde  auch  von  Toktamisch  anerkannt.  Ein 
kühl  abwägender  Politiker,  in  welchem  sich  bereits  jener  Zug  der  Grau- 
samkeit zeigt,  den  man  bei  den  folgenden  Grofsfürsten  wahrnimmt, 
suchte  er  gegen  die  Eroberungsgelüste  Jagiellos  sich  durch  ein  Bündnis 
mit  Witold  von  Litauen,  dessen  Tochter  Sophie  er  zur  Ehe  nahm,  zu 
schützen.  In  Nowgorod  behauptete  er  seinen  Einflufs.  Der  Khan 
schätzte  ihn  »wie  keinen  der  früheren  Fürsten«  und  überliefs  ihm  den 
wichtigen  Handelsplatz  Nischni-Nowgorod,  auf  den  Wassili  nicht  den 
mindesten  Anspruch  hatte.  Toktamisch  hoffte  hiedurch  den  Grofs- 
fürsten in  seinem  Kampfe  gegen  Timur  um  so  fester  auf  seine  Seite  zu 
ziehen.  Nachdem  dieser  den  Khan  in  zwei  Schlachten  besiegt  hatte, 
zog  er  gegen  Rufsland.  Schon  hatte  er  die  Don-  und  Dnjeper- 
gegenden  verheert,  Moskau  zitterte  vor  dem  Anmarsch  des  blutigen 
Eroberers,  da  nahmen  die  Mongolen  plötzlich  den  Rückmarsch.  Frommer 
Glaube  schrieb  die  Rettung  dem  wundertätigen  Muttergottesbild  zu,  das 
—  es  war  nach  der  Legende  von  dem  Evangelisten  Lukas  gemalt2)  — 
vom  Grofsfürsten  nach  Moskau  übertragen  worden  war.  Toktamisch  hatte 
sich  vor  Timur  zu  Witold  nach  Litauen  geflüchtet,  wo  er  gegen  die  von 
Timur  eingesetzten  Herrscher  von  Sarai  Hilfe  suchte;  aber  AVitold  selbst 
erlitt  gegen  die  Tataren  an  der  Worskla  eine  furchtbare  Niederlage 
(1399,  5.  August)    und    nur    die    in    der  Horde   eingetretene  Zerrüttung 

x)  S.  Bestushew,    S.  305    u.  Köhler  III,  457    (enthält   eine  Darstellung  des    russi- 
schen Heerwesens). 

2)  Die  Abbildung  bei  Schiemann,  S.  289. 

37* 


580  Wassili  in.  und  Iwan  III.,  der  Grofse.     Grofs-Nowgorods  Untergang. 

schützte  ihn  vor  schwereren  Verlusten.  Schon  konnte  der  Grofsfürst 
von  Moskau  einen  —  allerdings  noch  verfrühten  —  Versuch  wagen,  der 
Horde  den  Tribut  zu  versagen.  Zum  Glück  für  Moskau  sah  sich  der 
Khan,  der  seinen  Feldherrn  Jedigei  mit  starker  Heeresmacht  gegen 
Moskau  entsandt  hatte,  durch  einen  Nebenbuhler  in  Sarai  selbst  ge- 
fährdet und  rief  seine  Kriegsmacht  ab  (1408).  Wassilis  Sohn  Wassili  III. 
(1425 — 1462)  war  erst  zehn  Jahre  alt,  als  er  zur  Regierung  gelangte. 
Ihm  machten  zuerst  sein  Oheim  Juri,  dann  dessen  Sohn  Wassili,  ge- 
nannt »der  Schieler«,  den  Thron  streitig,  was  dieser  schwer  büfsen 
mufste,  denn  er  wurde  auf  Befehl  des  Grofsfürsten  geblendet,  ein  Ge- 
schick, das  Wassili  III.  später  selbst  traf,  denn  als  er  im  Kampfe  mit 
Ulu  Mohammed,  der  aus  Sarai  vertrieben,  sich  ein  neues  Tatarenreich  in 
Kasan  gegründet  hatte,  besiegt  und  gefangen  und  hierauf  um  ein  schweres 
Lösegeld  ausgelöst  wurde,  erhob  sich  »des  Schielers«  Bruder  Dmitri 
Schemj äka  gegen  ihn,  nahm  ihn  gefangen  und  liefs  ihn  blenden  (1446). 
Eine  starke  Bewegung  zu  seinen  Gunsten  führte  ihn  aber  wieder  auf 
den  Thron  zurück.  Schemj  äka  war  der  letzte  Teilfürst,  der  einem  Grofs- 
fürsten von  Moskau  den  Thron  bestritt.1)  Von  jetzt  ab  beginnt  das 
unumschränkte  Regiment  des  moskauischen  Grofsfürstentums.  Wassilis 
Regierung  ist  auch  dadurch  bemerkenswert,  dafs  die  unter  Mitwirkung 
des  russischen  Metropoliten  Isidor  in  Ferrara  beschlossene  Union  der 
morgen-  und  abendländischen  Kirche  in  Moskau  in  aller  Form  abge- 
lehnt wurde. 

5.  Wassili  III.  hatte  noch  bei  seinen  Lebzeiten  seinen  ältesten  Sohn 
Iwan  III.  Was  sil  je  witsch  (1462 — 1505)  zum  Mitregenten  angenommen. 
Als  dieser  seine  alleinige  Herrschaft  antrat,  gab  es  noch  vier  wichtigere 
Teilfürstentümer;  zudem  hatte  ihn  das  Testament  seines  Vaters  ver- 
pflichtet, seinen  Brüdern  bedeutende  Gebiete  zu  überlassen  und  sie  förm- 
lich unter  den  Schutz  des  russischen  Erbfeindes  Polen-Litauen  gestellt. 
Iwan  nahm  den  Teilfürsten  auf  friedlichen!  Wege,  und  wo  dies  nicht 
möglich  war,  durch  gewaltsame  Mittel  ihre  politische  Bedeutung  und 
wufste  in  schwerer  dreißigjähriger  Arbeit  sein  Ziel  zu  erreichen :  Rufs- 
land einem  einzigen  Willen  unterzuordnen.  Gegen  Litauen  errang  er 
bedeutende  Erfolge,  den  gröfsten,  als  er  im  Jahre  1479  Grofs-Nowgorod 
unterjochte,  das  noch  einen  Teil  seiner  alten  Freiheit  und  seine  Handels- 
verbindungen mit  der  Hanse  aufrecht  erhalten  hatte.  Die  ungeheuren 
Schätze  des  Erzbischofs  fielen  an  den  Grofsfürsten ;  eine  Anzahl  ange- 
sehener Bürger  wurde  hingerichtet  oder  verbannt  und  endlich  fast  die  ganze 
alte,  wohlhabende  Bevölkerung  zerstreut  oder  getötet.  Die  letzte  Weg- 
führung fand  1488  statt.  Niemand  blieb  in  Nowgorod,  in  dem  noch 
eine  Erinnerung  an  die  alte  Gröfse  der  Stadt  gelebt  hätte.  Sechs  Jahre 
später  wurden  die  letzten  deutschen  Kaufleute  treuloserweise  ergriffen 
und  ihrer  Habe  beraubt.  Mit  den  Tataren  Kasans  und  der  Horde  hielt 
er  Frieden,  bis  die  Gunst  der  Verhältnisse  ihm  den  Sieg  zuwandte. 
Schon  1469  mufste  Kasan  einen  demütigenden  Frieden  eingehen.    Nicht 


J)  Schieraann  S.  299. 


Eroberungen  Iwans.   Das  Ende  d.  Gold.  Horde.   Rufslands  Ansprüche  auf  Byzanz.    581 

lange  hernach  begannen  die  Kämpfe  mit  der  Goldenen  Horde,  die  sich 
mit  Kasimir  von  Polen  verbündet  hatte.  An  dem  Khan  der  Krim 
fand  Iwan  einen  Bundesgenossen;  aber  noch  dauerte  es  einige  Jahre, 
ehe  hier  die  Entscheidung  fiel.  Dazwischen  lagen  die  Eroberung  der 
Krim  durch  die  Türken  und  der  Kampf  um  Nowgorod.  Iwan  erneuerte 
(1480)  sein  Bündnis  mit  dem  Khan  der  Krim,  der  sich  seines  Landes 
wieder  bemächtigt  hatte  und  nun  durch  einen  Einfall  in  Litauen  Kasimir 
von  einem  Angriff  auf  Moskau  fernhielt,  während  eine  andere  Heeres- 
abteilung in  Sarai  einfiel.  Iwan  zog  den  Krieg  in  die  Länge,  bis  die 
Tataren  unter  den  Wirkungen  des  russischen  Winters  sich  zur  Heim- 
kehr wandten;  mittlerweile  fiel  Sarai  in  die  Hände  der  Schibanschen 
und  Nogaischen  Horde".  Ohne  dafs  die  Russen  eine  Schlacht  geschlagen, 
vollzog  sich  das  Ende  der  Herrschaft  der  Goldenen  Horde.  Die  Früchte 
fremder  Siege  fielen  dem  Grofsfürsten  zu;  von  den  Tatarenkhanen  hat 
keiner  mehr  die  Oberherrschaft  über  Rufsland  beansprucht.  1487  machte 
Iwan  der  Selbständigkeit  Kasans  ein  Ende.  Er  war  der  erste  russische 
Grofsfürst,  der  dauernde  Beziehungen  zu  dem  Westen  anknüpfte.  Mit 
Papst  Paul  IL  stand  er  in  Verbindung,  und  dieser  war  es,  der  ihn  auf 
die  Prinzessin  Sophie,  Tochter  des  Despoten  von  Morea,  Thomas  Paläo- 
logos,  eines  Bruders  des  letzten  byzantinischen  Herrschers,  die  1461 
nach  Rom  gekommen  war,  aufmerksam  machte.  Sie  reichte  dem  Grofs- 
fürsten die  Hand.  In  ihrer  Hoffnung,  dafs  nun  auch  die  Union  der 
beiden  Kirchen  in  Moskau  Eingang  finden  würde,  erlebte  die  Kurie 
eine  Enttäuschung.  Iwan  III.  gewann  durch  diese  Heirat  die  Ansprüche, 
die  Sophie  auf  Byzanz  geltend  machen  konnte.  Die  letzten  grofsen 
Erfolge  errang  er  gegen  Litauen.  Er  starb  am  27.  Oktober  1505.  Seine 
Regierung  bedeutet  in  jedem  Sinne  den  Übergang  vom  Mittelalter  zur 
Neuzeit  in  Rufsland. 

2.  Kapitel. 

Byzantiner,  Osmanen  und  Mongolen  seit  dem  Fall  des  lateini- 
schen Kaisertums. 

§  133.    Der  Niedergang  des  byzantinischen  Reiches,  die  Gründung  des 
osmanischen  Kriegerstaates  und  Grofsserbien. 

Quellen.  1.  Griechische:  s.  Krumbacher,  Gesch.  d.  byz.  Lit.  2  A.  1897. 
Potthast  II,  1731.  Schlumberger,  Sigillographie  de  l'Empire  Byz.  Paris  1884.  Urkunden: 
An  einer  method.  Sammlung  fehlt  es.  Ein  Regestenwerk  ist  in  Vorbereitung.  Miklosich 
und  Müller,  Acta  et  diplomata  graeca  med.  aevi.  6  Bde.  "Wien  1860 — 90  (enthält  Er- 
lasse d.  Kaiser,  Verträge,  Korrespondenzen  etc.).  Tafel  u.  Thomas,  Urkk.  z.  Gesch. 
d.  veneto-byz.  Beziehungen  etc.  FF.  rer.  Austr.  2,  XII — XIV  (s.  Neumann  in  Byz.  Z.  I,  366). 
Theiner  et  Miklosich,  MM.  spectant.  ad  union.  ecclesiarum.  Vind.  1872  (d.  auf  die 
kirchl.  Union  bez.  Akten  1124 — 1582).  Sathas,  Mv^uela  'EkXrjvixiJG  ioroot'ag.  Documenta 
inöd.  rel.  ä  l'hist.  de  la  Grece  au  moyen-äge.  1.  Ser.  9  Bde.  Paris  1880 — 90  (lat.  und 
it.  auf  d.  lat.  Herrsch,  im  Or.  bez.  Urkk.).  1.  Abt.  Doc.  ined.  relat.  ä  l'histoire  de  la  Grece 
au  moyen-äge  1400 — 1500.  Venise.  1880.  K.  Hopf,  Chroniques  Greco-Romanes 
ined.     Berl.  1873    (enth.  unter  anderm  gen.  Tafeln  der  lat.  Geschl.  d.  Orients).     Urkk. 


582  Der  Niedergang  der  Byzantiner. 

z.  Gesch.  der  Beziehungen  Venedigs  zum  Oriente  im  allgem.  u.  zu  einzelnen  Inseln 
u.  Landschaften  s.  in  d.  "Werken  von  Mas  Latrie,  Xoiret  (Doc.  ined.  p.  serv.  ä  l'hist. 
de  la  dorn,  venet.  en  Crete  1380 — 1485.  Paris  1892.)  Thomas  (Diplomat.  Yen. 
Levant.  Ven.  1880)  u.  a.  s.  in  Krumbacher  219 — 224,  902.  Nouvelles  preuves  de 
l'histoire  de  Chypre  sous  le  regne  des  princes  de  la  maison  de  Lusignan.  2  voll. 
Paris  1873—74  (BECh.  XXXIH— XXXV)  S.  auch  Ljubic,  MM.  spect.  hist.  Slav.  merid. 
tom.  V.     Agram  1875.     Ungar.  Urkk.  in  Katona  XTTT  u.  a.  \v.  o. 

Geschichtschreiber  f.  d.  Zeit  v.  1261 — 1453.  Georgios  Pachymeres,  De 
Michaele  et  Andronico  Palaeologis  libri  XJH  (v.  1261—1308)  ed.  Bekker.  Bonn  1835 
(s.  Krumbacher  S.  288  .  Xikephoros  Gregoras,  'Iorooia  'Ptouaixr  1204 — 1359,  ib.  1855 
(Krumb.  293).  Georgios  Phrantzes,  Chronicon  1258—1476,  ib.  1838  Krumb.  307). 
Johannes  VI.  Kantakuzenos,  De  rebus  ab  Andronico  Palaeologo  iun.  nee  non  a  se 
gestis,  libri  IV.  1320—1356,  ib.  1828—32  (Krumb.  299).  (Johannes  Komnenos,  Vit.  Joh. 
Cantacuzeni,  ed.  Papadopulos  Kerameus  in  Js/.riov  tjJs  Igt.  xai  tfrio/.oy.  etc.  1885.) 
Laonicos  Chalkondyles,  Historiarum  de  orig.  atque  reb.  gest.  Turcorum  et  imperii 
Grecorum  interitu  libr.  X  (1298—1462;,  ib.  1843  (Krumb.  302  Ducas,  Hist.  Byzant. 
(1341  —  1462),  ed.  Bonn.  1834  (Krumb.  305).  Kritobulos  aus  Imbros,  Biog  rov  McoäusS 
(1451—1467),  ed.  Müller  FHGr.  V.  40—161  (Krumb.  309).  0tfvos  nsoi  Tauvoldyyor,  ed. 
Wagner,  Carm.  graec.  med.  aevi.  Lips.  1874  (Krumb.  838).  —  Vt'oaf,  Jia  t^v  xojv  Tovqxuiv 
ßaoi/.tiai-,  ed.  Sathas.  Mao.  ßtßliod:  I,  243  (s.  Krumb.  311),  erz.  in  734  Versen  die  letzten 
Schicksale  des  byz.  Reiches,  'letdwrjg  6  Kavavog,  Jirjyr;Gts  nsoi  rov  iv  KcovoTavTivovTio/.tt 
yeyoroTOS  nolt'fiov  etc.,  ed.  Bonnae  1838  (Krumb.  300).  'icodvvrjs  6  'ArayvcüoTT-g,  Jir/y^atg 
Titol  rrjs  xsXevraias  dXcoaeoyg  rrtg  GsGoaÄopixTJg  ovvied'eiGa  etc.,  ib.  1838.  Zotikos,  Ged. 
über  die  Schlacht  bei  Varna,  ed.  Legrand,  Coli,  de  mon.  XS.  V,  51 — 84.  Krumb.  838. 
"A'huMug  K  .  .  nöleae,  ed.  Ellissen,  Analekt.  d.  mittel-  u.  neugr.  Lit.  III.  Leipz.  1857. 
Krumb.  839.  (Enthält  zugleich  auch  eine  Aufforderung  an  die  Mächte  Europas,  Konst. 
zurückzuerobern).  *Avaadar\va  rrjg  K  .  .  no'/.rjg  (schildert  die  Greuel  der  Eroberung),  ed. 
Legrand,  Coli.  d.  mon.  XS.  vol  V.  Krumb.  840.  Matthäos  Kamariotes,  De 
Cpli.  capta  narr,  lament.,  ed.  Migne  Patrol.  SG.  CLX,  1060  ff.  (Krumb.  498).  Mazaris' 
Fahrt  in  die  Unterwelt,  enth.  Details  zur  Gesch.  der  byz.  Politik  (Krumb.  492),  ed. 
Boissonade  Anecd.  gr.  LH,  112.  Bessarion,  Opp.,  ed.  Migne  SGr.  CLXI  (wichtig 
die  Briefe).  Historia  politica  et  patriarchica  Con  .  .  poleos  (1390 — 1578),  ed.  Bekker, 
Bonn  1849  (Krumb.  394).  Die  sog.  Epirotica ,  ib.  (Krumb.  394)  Kodinos  Opp. 
und  zwar  1.  die  Patria,  Gesch.  und  Top.  v.  Konst.,  2.  Das  Werk  über  die  Hofämter 
und  3.  Die  sog.  Chronik,  s.  Krumb.  426.  —  Für  Trapezunt  u.  Cypern:  Michael  Pana- 
retos,  Ileoi  to>v  rijg  Toane^ovinog  ßaaü.dojv  rcöv  Meyalcov  Ko/uirjcov,  oTicog  xai  noxe  xai 
nooov  exaarcs  eßaav'/.evaev  (1204 — 1426),  ed.  Fallmerayer.  A.  Münch.  Ak.  1844  (Krumb.  394). 
Machaeras,  Xoonxbv  Kvtioov  1359 — 1432,  ed.  Sathas  wie  oben,  LT,  1873.  Bustrone 
Georg  (richtiger  T^oor^rjg  IIoiGroovg),  Xoonxbv  Kvtvoov  (1456 — 1501),  ib.  H,  413 — 543. 
S.  Krumb.  902.  Ileoi  rrjg  ahbaecog  etc.  Klagelied  auf  den  Fall  Athens,  ed.  Destunis. 
Pet.  1881. 

Die  türkischen  Quellen.  (Ein  Verz.  bei  J.  v.  Hammer,  Gesch.  d.  osm.  Reiches  I 
2  A.  Pest  1834.  S.  17—29.)  Die  abendländischen  bei  Potthast  H,  1729.  S.  auch 
Lavisse  et  Rambaud,  Hist.  gener.  tom.  LH,  p.  866)  Ah  me  d-b  en-  Y a h i a - ben-Soliman- 
ben-Achir-pascha,  Tarikh-i-ali-Othman,  etud.  p.  Hammer,  Journ.  asiat.  IV,  p.  34.  Saad- 
ed-Din  Khodja-Effendi),  engl,  von  Seaman,  The  reign  of  Sultan  Orchan. 
Lond.  1652.  —  Tarick  ul  Eulia  Muntechabati  tchelebi,  Konst.  1846.  (S.  darüber 
aber  Mordtmann  S.  111.)  Saad-ed-Din,  Relation  de  la  prise  de  C.  par  Mahomed  H. 
trad.  du  turc  par  Garcin  de  Tassy.  Paris  1826;  Michaud,  Bibl.  des  croisades  LH, 
s.  Krause  wie  unten.  Feridoun,  Coli.  d.  papiers  d'Etat.  2  voll.  Const.  Leun- 
clavius,  Historiae  musulmanae  Turcorum  libri  XVLLT,  Francof.  1591.  Das  von  Hammer 
bereits  benutzte :  Tadj-uttevarikh  (die  Chronik  d.  Chroniken),  Gesch.  d.  osm.  R.  von 
Sa'-adeddin  Efendi  I,  gedr.  Konst.  1862  (türk).  S.  HZ.  XH,  241.  Brattuti,  Chronica 
dell'  origine  e  progressi  della  casa  Ottomana,  composta  da  Saidino  Turco,  parte  prima, 
Vienna  1649,  parte  seconda  Madrid  1652. 

Slaw.  Quellen.  Provest  o  Tsarigrad,  ed.  Srednewski.  Pet.  1854  (Krumb.  312). 
Memoires  d'un  janissaire   polonais,   temoin  ocul.    et  act.  du  siege  et  de  la  prise  d.  C, 


Byzantiner  und  Osmanen.  583 

ecrits  vers  1498.  ed.  et  trad.  Th.  d.  Oksza.  Über  die  auf  die  Gesch.  der  Südslawen 
bezüglichen  Nachrichten  d.  byz.  Historiker  s.  Kacanovskij,  D.  byz.  Chroniken  als  Quelle 
für  die  Gesch.  der  Südslawen  in  der  Zeit  des  Verfalls  ihrer  Selbständigkeit.  Journ. 
d.  Minist,  f.  Volksaul'klarung.  B.  198.  Ab e ndl.  Quellen.  Ramon  Muntaner  s. 
oben.  Boucicaut,  Memoires  ou  le  livre  des  faits  du  marechal  de  Boucicaut  (f  1421) 
1370 — 1415,  ap.  Buchon,  Choix  de  chroniques  III.  —  Reisen  des  Johannes  Schiltberger 
aus  München  in  Eur.,  As.  u.  Afr  1394 — 1427,  her.  v.  Neuinann  München  1859.  Philippe 
de  Mezieres,  Epistre  lamentable  sur  le  fait  de  la  desconfiture  lacrimable  du  noble  roy 
de  Honguerie  devant  la  ville  de  Nicopoli  p.  p.  Kervyn  de  Lettenhove  in  Oeuvres  de 
Froissart  XVI.  Von  d.  ital.  Quellen  kann  nur  eine  Auswahl  gegeben  werden :  Bar- 
tholomäus de  Jano,  Epistola  de  crudelitate  Turcarum,  Migne  SL.  LXXX.  1866.  Villani, 
wie  oben.  Giustiniani,  Castigatis^'ni  annali  .  .  .  di  Genova.  Gen.  1537.  Malipiero, 
Annali  Veneti  1457—1500.  Fir.  1853.  Barbaro,  Giornale  dell'  assedio  di  Constant., 
ed  Cornet ,  Vind  1856  Leonardus  Chiensis,  De  urbis  C.  iactura  etc.  Basel  1556. 
And.  Ausg.  Potth.  I,  720.  Isidori  Thessalonicensis,  card.  Ruth.,  lamentatio,  ed.  Migne, 
SL.  CLFX.  Aeneae  Sylvii  Piccolomini  tractatus  de  captione  urb.  C.  a.  1453.  Martene 
et  Durand,  Ampi.  Coli.  V.  Laurus  Quirinus,  Ep.  ad  Nicol.  V.,  ed.  Agostini.  Yenet.  1752 
(s.  Krumb.  506,  Anm.  2).  Adam  v.  Montaldo,  De  C.  excidio  (nicht  ed.,  Krumb.  311). 
Philippi  Ariminensis,  excidium  Const.,  ed.  Dethier  in  MM.  Hung.  hist.  XXII  (dort 
noch  mehrere  Berichte,  s.  Krumb.  S.  311).  Zacharias,  Ep.  de  excidio  Const.  ed.  S.  de 
Sacy.  Paris  1827.  Historia  anonymi,  que  inscribitur  Const.  civitatis  expugnatio,  con- 
scripta  1459,  ed.  Thomas.  SB.  Münchn.  Ak.  1868.  Johannes  Marus  Philelphus,  Epos 
über  Mohammed  II.,  ed.  Hopf  et  Dethier,  wie  oben.  Barletius,  Historia  de  vita, 
moribus  ac  rebus  praecipue  adversus  Turcas  gestis  Scanderbegi  principis.  Frkf.  1578.  — 
Chronicon  Turcarum,  ib.  1578.  De  obsidione  Scodrensi.  Vened.  1504.  —  Zu  den 
Mongolen  s.  Moran  ville,  Mem.  sur  Tamerlan.  BECh.  LV.  Ibn  Chaldoun  s.  oben. 
Ibn  Arabschäh,  fz.  Übers. :  L'Histoire  du  Grand  Tamerlan  .  .  .  trad.  en  Franc,  de  l'Arabe  .  .  . 
p.  Vattier.  Paris  1658  (lat.  v.  Manger.  Frkf.  1767).  Über  Ibn  Arabschäh  s.  Wüsten- 
feld Nr.  488.  —  Cheref-ed-Din,  Zafir  Namen,  trad.  en  franc.  p.  Petis  de  la  Croix. 
4  Bde.  Paris  1722.  —  Clavijo,  Hist.  de  Clavijo  le  hizo  por  mandado  del  .  .  .  don 
Henrico  HI  de  Cast.  Madr.  1783.  Abu  Mohammed  Mustapha  .  .  .  el  Gannäbi,  Mare 
exundans  (Hist.  Gannabii).  D.  Verf.  übersetzte  sein  Werk  ins  Türkische  u.  machte 
daraus  einen  Auszug :  Mustaphae  filii  Hussein  Algenabii  de  gestis  Timurlenkii  opusc. 
Türe. -Arab.-Pers. -Lat,  redd.  a.  JB.  Podesta.  Wien  1680.  Vergl.  die  Quellenangabe 
v.  Cahun  in  Lavisse-Rambaud  III,  970.  Spätere  Bearbeitungen  der  byz. 
Gesch.  1.  Allgemeines.  Die  Werke  von  du  Fresne  (du  Cange),  Le  Beau, 
Gibbon,  Finlay,  Brunet  de  Presle,  K.  Hopf,  Hertzberg,  Rambaud  (in 
Lavisse  et  Rambaud,  Hist.  generale),  Geizer,  Norden  u.  a.  s.  oben  §37.  Dazu:  Fin- 
lay, Greece  under  Othoman  and  Venetian  Domination  1856.  2.  S  p  ezial  werke  (in  russ. 
Sprache):  Palauzov,  Der  Südosten  Europas  im  14.  Jahrh.  Journ.  Min.  für  Auf  kl. 
Bd  94,  96.  Florinskij,  Politischer  u.  kultureller  Kampf  im  griechischen  Osten  in 
d.  ersten  Hälfte  d.  14.  Jahrh.  Kiew  1883.  Kalligas,  MaXa'rai  Bv^avrivrjs  iozooiag 
dito  rr;g  7rocorr;g  /xäxgi  rrjg  reXsvraiae  dlcoaecos  (1204 — 1453).  Athen  1894.  Mendelssohn- 
Barthold y,  Gesch.  Griechenlands  von  der  Eroberung  Konstantinopels  1453  bis  auf 
unsere  Tage.  2  Bde.  Leipz.  1870 — 74.  3.  Für  einzelne  Landesteile:  Athen. 
s.  Gregorovius  w.o.,  Konstantinides,  UorooCa  xeov  Ad"r\vcäv.  Athen  1894.  L.  de 
Labor  de,  Athenes  aux  XVe,  XVIe  et  XVTIe  siecles.  Paris  1855  Kampuroglus-. 
'loroQi'a  xtov  ^A&rjvaicor  Inl  TovQxoxoarias.  2  Bde.  Ath.  1889 — 1892.  Peloponnes; 
Fallmerayer,  w.  oben.  Epirus:  Romanos,  Ilaoi  xov  JeaTtordrov  rrjg  ^Hnaioov. 
Korfu  1893.  Rhodos:  C.  Torr,  Rhodes  in  modern  times.  Cambrigde  1887.  Trape- 
zunt:  Fallmerayer,  wie  oben,  Fischer,  Trapezunt  u.  seine  Bedeutung  in 
der  Geschichte.  Z.  f.  allg.  Gesch.  III.  Minder  bedeutende  Werke  u.  Studien  über  die 
Geschichte  von  Thessalien,  Kerkyra,  Kephallenia,  Kythnos,  Kreta,  Cypern,  dann  Ar- 
beiten über  die  griechische  Kloster-  u.  Heiligengesch.  s.  in  Krumbacher  S.  1071  ff. 
4.  Monographien  für  die  Gesch.  einzelner  Ereignisse:  Florinskij, 
Andronikos  d.  J.  u.  Joh.  Kantakuzenos.  Journ.  Min.  f.  Auf  kl.  Bd.  204,  205  u.  208. 
Berger  de  Xivrey,  La  vie  et  les  ouvrages  de  l'empereur  Manuel  Paleologue.    Mem. 


584  Byzantiner  und  Osmanen. 

de  l'Ac.  d.  Insc.  XIX.  Vast,  Le  card.  Bessarion  (1403—1472).  Par.  1878.  Parisot, 
Cantacuzene,  homme  d'Etat  et  Historien.  Paris  1845.  Paganel,  Histoire  de  Scanderbeg, 
Paris  1855.  J.  Pisco,  Scanderbeg.  Wien  1894.  Beckmann,  D.  Kampf  K.  Sigmunds 
geg.  d.  Osmanen  1392 — 1437.  Gotha  1902.  Brauner,  Die  Schlacht  bei  Xicopolis. 
Breslau  1876.  G.  Köhler,  Die  Schlachten  von  Nicopölis  u.  Varna.  Breslau  1882. 
5.  Über  die  Bei agerungundEroberung  von  Konstantinopel.  Pogodin, 
Übers,  d.  Quellen  z.  Gesch.  d.  Belag,  u.  Einnahme  v.  Byz.  Journ.  Min.  Bd.  264 
russisch).  Mordtmann,  Belagerung  u.  Erob.  v.  Konst.  durch  die  Türken  im 
Jahre  1453.  Stuttg.  1858  (s.  HZ.  HI,  16—48).  Krause,  Die  Eroberungen  von  Kon- 
stantinopel im  13.  u.  15.  Jahrh.  Halle  1870.  Vast,  Le  siege  et  la  prise  de  Cple. 
EH.  XIII.  Vlasto,  La  prise  de  Cple.  par  les  Turcs.  Ann.  de  l'assoc.  etc.  XV.  —  Lee 
derniers  jours  de  Cple.  Paris  1883.  Paspates,  ITo/.iooxia  xai  a/.cooi-  rrjs  KsioXecog. 
Ath.  1890  (BZ.  II,  331).  Die  übrigen  Schriften  hierüber  s.  b.  Krumb.  1077.  6.  Be- 
ziehungen zwischen  Byzanz  und  den  griechischen  Nachbarstaaten,  dem  Abendland  und 
dem  Orient.  Venedig:  Luntzis,  IJeoi  jt=  jtoXtrixrje  xaraataoems  Tfjs  'Enrav^oov  en\ 
'Evercuv.  Athen  1856.  Hopf,  Veneto-byzant.  Analekten.  Sitz.  B.  Wien.  Akad.  1859. 
Musatti,  Venezia  e  le  sue  conquiste  nel  medio  evo.  Verona  1881.  Foresti,  St. 
d.  isole  Jon.  sotto  iL  dorn.  Ven.  Ven.  1859.  Diehl,  La  colonie  venitienne  ä  C.  ä 
la  fin  du  XIVe  siecle.  Melanges  d'archeol.  et  d'hist.  de  l'ecole  franc.  de  Rome  IH. 
E omanin,  Storia  documentata  di  Venezia.  10  Bde.  Ven.  1853 — 1861.  Gerland, 
Kreta  als  ven.  Kol.  HJb.  XX.  Genua:  Pagano,  Delle  imprese  e  del  dominio  dei 
Genovesi  nella  Grecia.  Gen.  1846.  Frankreich:  Delaville  le  Eoulx,  La 
France  en  Orient  au  XIVe  siecle.  2  voll.  Paris  1886.  Orientalen:  G.  Weil,  Gesch. 
der  islamitischen  Völker.  Stuttgart  1866.  Armenien  s.  den  Bericht  v.  Geizer  in  der 
Eealenzyklop  f.  pr.  Theol.  3  Aufl.  Leipz.  1896.  Slawen  (s.  dazu  Krumb.  1080):  Hilferding, 
Gesch.  d.  Serben  u.  Bulgaren.  Aus  dem  Eussischen  von  Schmaler.  Bautzen  1856 
bis  1864.  Kacanowski,  Die  Balkanslawen  in  der  Epoche  ihrer  Unterwerfung  unter 
die  Türken.  Journ.  Min.  f.  Aufkl.  189.  Jirecek,  Gesch.  der  Bulgaren.  Prag  1876. 
Klaic-Bo j nicic,  Geschichte  Bosniens.  Leipzig  1885.  B.  v  Kallay,  Gesch.  der 
Serben  von  den  ältesten  Zeiten  bis  1815.  Aus  dem  Ungar,  v.  Seh  wicker.  Leipzig  1878. 
Engel,  Gesch.  der  Serben .  1801.  Grigorovitsch,  Über  Serbien  in  seinen  Be- 
ziehungen zu  den  Nachbarstaaten,  besonders  im  14.  u.  15.  Jahrh.  Kasan  1859  (russisch). 
Die  russischen  Gesch.  s.  oben.  Ungarn  u.  Kumänien.  Die  Geschichten  von 
Fefsler-Klein.  Csuday,  die  österr.  Gesch.  von  Krones,  Huber  u.  a.  s.  oben,  Hasdeu, 
La  Valachie  jusqu'ä  1400.  Bukarest  1878.  Hasdeu,  Istoria  critica  Romanilor. 
2  Bde.  Bukarest  1880.  Xenopol,  Histoire  des  Roumains.  2  Bde.  Paris  1896. 
Lateinische  Herrschaften  in  der  Levante.  Konstantinopel:  H.  Mo- 
ranville,  Les  projets  de  Charles  de  Valois  sur  l'empire  de  C.  Bull,  de  l'ecole 
des  Chartes  51.  S  chl  umb  erger,  Expeditions  des  Almugavares  ou  routiers  catalans 
en  Orient  de  Tan  1302—1311.  Paris  1902.  Belin,  Histoire  de  la  Latinite  de  C.  2  A. 
Paris  1894.  L.  de  Mas  La  tri  e,  Patriarches  latins  de  C.  Eev.  de  l'Or.  lat.  III. 
Gregorovius,  wie  oben.  Miltenberger,  Zur  Gesch.  d.  lat.  Kirche  im  Or.  im 
15.  Jahrh.  Eöm.  Quartalschr.  VIH.  Fr.  de  Moncada,  Espedicion  de  los  Catalanes 
y  Aragoneses  contra  Turcos  y  Griegos.  Barcel.  1623  (deutsch  v.  Spazier.  Braunschw. 
1828).  Achaia  u.  Morea:  Beving,  La  prineipaute  d'Achaie  et  de  Moree  (1204 
bis  1430).  Brüssel  1879.  Kephallenia  u.  Zante:  Romanos,  roanavos  Zojp'Zt:. 
ald-bvxr^  AsvxäSos  etc.  Korfu  1870.  K.  Hopf,  Geschichtl.  Überblick  über  die  Schick- 
sale von  Karystos  auf  Euböa.  Sitz.-Ber.  Wien.  Akad.  XL  Hopf,  Gesch.  der  Insel 
Andros  u.  ihrer  Beherrscher  im  Zeitraum  v.  1207 — 1566.  Sitz.-Ber.  Wien.  Ak.  XVI,  XXI. 
Andere  Schriften  bei  Krumbacher  1082.  Einzelne  Familien.  Hopf  über  die 
Giustiniani  in  Ersch  u.  Gruber.  Ital.  im  Giorn.  Ligustico  VH — VLTI.  Anderes  s.  bei 
Krumbacher  1083.  Innere  Geschichte:  Krause,  Die  Byzantiner  d.  MA.  Halle  1869 
(dazu  die  Bemerkungen  von  Krumbacher  S.  1083).  Schlumberger,  s.  oben.  Schriften 
über  die  Kirchengeschichte,  Verfassung  und  Verwaltung,  Steuer-,  Post-  und  Verpflegs- 
wesen,  über  Staats-  und  Gemeindeämter,  Kaiserkult,  Heer  u.  Flotte  s.  bei  Krumbacher 
S.  1084—1087.  Desgleichen  die  Werke  über  Chronologie,  internationale  Kulturbez., 
Ethnographie,  Geographie,  Topographie  u.  Kunstgesch.,  Numismatik,  Sigillographie, 
Literaturgesch.  u.  Sprache  s.  ebenda  S.  1087 — 1144. 


Michael  Paläologos  und  seine  Politik.  585 

Bearbeitungen  der  türkischen  Geschichte:  H.  Vambery,  Das  Türkenvolk  in 
seinen  ethnologischen  u.  ethnographischen  Beziehungen  geschildert.  Leipzig  1885. 
Karabacek,  Erstes  urk.  Auftreten  v.  Türken.  Mitt.  a.  d.  Sammlung  d.  Pap.  Erzh. 
Kainer,  Bd.  1.  E.  H.  Parker,  The  origin  of  the  Turks.  EHR.  XL  D.  Cantemir, 
LIist.  de  l'empire  Othoman  I.  Paris  1743.  Hammer,  Gesch.  des  osm.  Reiches  L 
Pest  1827 — 1834.  Zinkeisen,  Gesch.  d.  osmanischen  Reiches  in  Europa.  Bd.  I  u.  IL 
Hamburg  1840.  Hertzberg,  Gesch.  der  Byzantiner  und  des  osmanischen  Reiches 
bis  gegen  Ende  des  16.  Jahrh.  Berl.  1885.  A.  Müller,  Der  Islam  im  Morgen-  und 
Abendland.  IL  Bd.  Berl.  1887.  Th.  Lavallee,  Histoire  de  la  Turquie.  2.  ed.  t.  1 
und  2.  Leipzig  1859.  Ranke,  Osmanen,  W.  XXXV.  Das  Werk  v.  Lane  Poole, 
Gib  u.  Gilman,  The  story  of  Turkey  geht  über  Hammer  nicht  hinaus.  Djildi  khamis 
ez  tarikhi  djeydet  efendi  (Ahmed  Djevdet  Efendi,  Osm.  Gesch.)  Konstantinopel 
(türkisch).  Lit.  s.  in  den  JBG.  1888.  Zur  Gesch.  der  Mongolen:  J.  v.  Hammer, 
Gesch.  d.  Ilehane.  Darmstadt  1842.  Weil,  Gesch.  d.  Abbassidenkalifates  Ägypten. 
D'Ohsson,  wie  oben  §24.  Hayton,  Hist.  des  Tartaros  dans  Backer,  L'Extreme  au 
moyen-äge  Paris  1877.  Howorth,  History  of  the  Mongols  w.  oben.  Der  dritte 
Teil  enthält  die  Geschichte  der  Mongolen  in  Persien.  Jusserand,  La  Vie 
nomade  etc.  RH.  XIX,  XX.  Remusat,  M£m.  sur  les  relations  pol.  des  princes 
chretiens  avec  les  empereurs  Mongols.  tom.  VI,  VII  d.  Mem.  de  l'Acad.  des 
Inscript.  1822/4.  Sacy,  Mem.  sur  une  corresp.  ined.  de  Tamerlan  avec  Charles  VI., 
ib.  VH,  VII.  Goldsmith,  Timur,  Encyklop.  Britt.  XXIII,  399.  Von  älteren  Werken: 
Deguignes,  Allg.  Gesch.  der  Hunnen  u.  Türken,  der  Mongolen  u.  anderer  okzid. 
Tartaren.     A.  d.  Fz.  v.  Dähnert. 

1.  So  bedeutend  die  militärischen  und  diplomatischen  Talente  des 
ersten  Paläologenkaisers  Michael  VIII.  (1261 — 1282)  auch  waren,  sie 
reichten  für  die  schwere  Aufgabe,  die  ihm  gestellt  war,  nicht  aus.  Hier 
handelte  es  sich  weniger  um  eine  einfache  Restauration  früherer  Zu- 
stände als  um  eine  völlige  Neuordnung  des  Staatswesens,  um  Weckung 
und  Belebung  der  schlummernden  Kräfte  des  Volkes,  das  sich  nach 
Aufsaugung  so  vieler  stammfremder,  meist  slawischer  Elemente  während 
des  grofsen  Kampfes  gegen  die  Abendländer  in  Sprache,  Sitten  und 
Interessengemeinschaft  immer  mehr  als  eine  Einheit  fühlen  gelernt  hatte, 
endlich  um  die  Beseitigung  der  Schäden  der  früheren  Verwaltung  und 
um  neue  Organisationen.  Von  all  diesen  Aufgaben  wurde  keine  in  An- 
griff genommen.  Von  fremden  Einrichtungen  blieben  die  verhafsten, 
wie  der  abendländische  Feudalismus,  bestehen.  Indem  der  Adel  seine 
eigenen  Ziele  verfolgte,  suchte  der  Kaiser  seine  Stütze  am  Klerus,  der 
durch  seinen  kraftvollen  Widerstand  gegen  die  Lateiner  zwar  die 
grofse  Wendung  verbreitet  hatte,  aber  nicht  auf  jener  Höhe  stand,  von 
der  aus  er  seine  Aufgabe  erfüllen  konnte.  Im  Volke  war  der  Hang  zur 
Grausamkeit  und  der  Aberglauben  mächtiger  als  früher  und  das  Interesse 
an  der  Erörterung  kirchlicher  Fragen  durch  den  Streit  um  die  Union 
wieder  ein  allgemeineres  geworden.  Den  Provinzen  gegenüber  wurde 
die  Metropole  in  einseitiger  Weise  begünstigt  und  die  verfügbaren  Mittel 
nicht  zur  Stärkung  der  Wehrkraft,  sondern  zur  Erneuerung  der  Pracht 
der  Hauptstadt  verwendet.  Nach  aufsen  hin  nahm  Michael  den  Kampf 
gegen  Epirus  und  die  lateinische  Herrschaft  in  Morea  auf.  Michael  II. 
von  Epirus  sah  sich  (1265)  zur  Huldigung  genötigt;  glücklicher  war  der 
Kaiser  noch  gegen  die  Bulgaren,  dagegen  scheiterte  seine  Absicht,  sich 
von  Genua  unabhängig  zu  machen  und  Anschlufs  an  Venedig  zu  suchen, 
an   der  Scheu   des  venezianischen  Dogen,  sich  mit  einem  Kaiser  zu  ver- 


586  Niedergang  des  byz.  Reiches.     Die  Katalanen.     Die  Türken. 

bünden,  dessen  Macht  ihm  nicht  fest  genug  schien.  Schwieriger  wurde 
die  Lage  Michaels  VIII.,  als  sich  Karl  von  Anjou,  der  die  alten  Pläne 
der  Normannen  gegen  die  Griechen  wieder  aufgriff,  unter  Vermittlung 
Klemens1  IV.  mit  dem  Titularkaiser  Balduin  II.  verband  (1267)  und  von 
diesem  die  Lehenshoheit  über  Achaja  erhielt.  Nun  lehnte  er  sich  wieder 
enger  an  Genua  an.  Die  Fortschritte  der  Angiovinen  im  Westen  des 
griechischen  Reiches  und  ihre  Verbindung  mit  Serbien,  wo  Helena,  die 
Gemahlin  Stephan  Urosch'  L,  eine  Tochter  Balduins  IL,  ihren  Einflufs 
gegen  die  Paläologen  geltend  machte,  bewog  den  Kaiser,  sich  an  den 
Papst  anzuschliefsen  (1274),  fand  hiebei  aber  bei  den  eigenen  Untertanen 
einen  erbitterten  Widerstand.  Während  die  Kämpfe  mit  den  Staaten  im 
Süden  der  Halbinsel  fortgingen,  verschlimmerte  sich  die  auswärtige  Lage 
des  Reiches,  als  mit  Martin  IV.  ein  angiovinisch  gesinnter  Papst  gewählt 
wurde  und  Rom,  Neapel  und  Venedig  sich  zum  Sturze  des  Paläologen 
verbanden  (1281);  aber  dessen  kluge  Politik,  durch  die  er  alle  dem  Hause 
Anjou  feindlichen  Mächte  an  sich  zog  und  zum  Sturze  seiner  Herrschaft 
auf  Sizilien  wesentlich  beitrug,  rettete  ihn  aus  diesen  Gefahren.  Zum 
Glück  für  die  Griechen  trat  schon  drei  Jahre  nach  Michaels  Tode  auch 
Karl  von  Anjou  (1285)  vom  Schauplatze  ab.  Michael  VIII.  war  der  erste 
und  letzte  bedeutende  Herrscher  unter  den  Paläologen.  Sein  Sohn 
Andronikos  IL  (1282 — 1328)  hatte  von  ihm  alle  schlechten  Eigen- 
schaften und  Schwächen,  nicht  aber  seine  staatsmännischen  Talente 
geerbt.  Mochte  es  immer  zweckdienlich  erscheinen,  mit  der  in  Griechen- 
land gründlich  verhafsten  Kirchenpolitik  seines  Vaters  gänzlich  zu 
brechen  und  jene  zu  strafen,  die  sich  zur  Union  bekannt  hatten,  so  war 
es  der  verhängnisvollste  Fehler,  in  einer  Zeit,  wo  in  Europa  die  Serben, 
in  Asien  die  Osmanen  sich  daran  machten,  das  griechische  Reich  zu 
vernichten,  die  Wehrkraft  des  Staates  verfallen  zu  lassen.  Es  geschah 
dies  ebenso  sehr  im  Sinne  einer  falsch  angewendeten  Sparsamkeit  als  im 
Vertrauen  auf  die  schlagfertige  Hilfe  der  Genuesen,  deren  Machtstellung 
am  Goldenen  Hörn  nun  ihren  Höhepunkt  erreichte.  Die  griechische 
Seemacht,  noch  unter  Michael  VIII.  eine  bedeutende,  war  kaum  mehr 
imstande,  die  Küsten  des  Reiches  vor  den  Angriffen  der  Korsaren  zu 
schützen;  fast  schlimmer  noch  war  es  mit  dem  Landheer  bestellt  und 
das  Reich  auf  die  Hilfe  fremder  Söldner  angewiesen,  unter  denen  die  Kata- 
lanen, Söldner  nordspanischer  Herkunft,  meist  Söhne  armer  Hidalgos, 
die  sich  im  Verlauf  des  sizilianischen  Krieges  in  trefflicher  Weise 
geschult  hatten,  die  bedeutendsten  waren.  Sie  wurden  nunmehr  ver- 
wendet, um  die  ersten  Angriffe  der  Osmanen  zurückzuweisen. 

2.  Die  Türken  traten  bereits  im  Zeitalter  Justinians  I.  mit  dem 
griechischen  Reiche  und  zwar  zu  gemeinsamem  Kampfe  gegen  die  Avaren 
in  Verbindung.  El-Mansür,  der  Erbauer  Bagdads,  war  der  erste  Kalif, 
der  einen  Türken  in  seine  Dienste  nahm.  Nach  kaum  drei  Dezennien 
hielten  die  Kalifen  eine  stattliche  Sklavengarde  von  Türken.  Diese 
begannen  »als  Helfer  des  Reiches«  ihr  Zersetzungswerk  im  Kalifat.  In 
vielen  Provinzen  wurden  die  wichtigsten  Staatsämter  mit  ihnen  besetzt. 
Im  10.  Jahrhundert  gewinnt  der  türkische  Stamm  der  Seldschuken,  wie 


Erstes  Auftreten  der  Türken.     Ertoghrul  und  Osman.  587 

sie  nach  Seldschuk,  einem  aus  dem  Kirgisenlande  stammenden  Türken- 
häuptling genannt  wurden,  grofse  Bedeutung.  Schon  1055  wurde  der 
Name  des  Seldschuken  Toghrulbeg  in  Bagdad  im  Freitagsgebet 
genannt.  Als  Söldner  in  fremden  Diensten  begründeten  die  Seldschuken 
eine  eigene  militärische  Macht  und  dehnten  ihr  Gebiet  derart  aus,  dafs 
sie  zu  Anfang  des  12.  Jahrhunderts  einen  grofsen  Teil  des  alten  Kalifen- 
landes in  Asien  besafsen  und  ihre  Gebiete  an  Ägypten  und  Byzanz 
reichten.  Ein  türkischer  Fürst,  Suleiman,  hatte  sich  vor  den  Mongolen 
aus  Chorasan  nach  Armenien  geflüchtet  und  bei  seinen  seldschukischen 
Volksgenossen  Zuflucht  gesucht.  Nach  Dschingiskhans  Tod  trat  er  den 
Heimweg  an,  fand  aber  seinen  Tod  im  Euphrat.  Von  den  Seinen  setzte 
der  gröfsere  Teil  die  Reise  fort,  der  kleinere  zog  unter  Suleimans  Sohne 
Ertoghrul  westwärts  und  trat  in  die  Dienste  des  seldschukischen  Sultans 
Alaeddin  von  Ikonium,  der  ihm  nicht  weit  vom  alten  Doryläum  einen 
Landstrich  als  Lehen  anwies.  Von  dort  aus  erweiterte  er  durch  glück- 
liche Kämpfe  gegen  die  Byzantiner  seinen  Besitz,  gewann  Sogud,  das 
alte  Thebasion,  und  beherrschte  das  ganze  südliche  Gebirgsland  von 
Tumanidsch  und  Ermeni-Tagh  bis  in  die  Gegend  von  Kutahie.  Dort 
wurde  Osman,  der  älteste  seiner  Söhne,  nach  welchem  das  ganze  Volk 
benannt  ist,  geboren  (1258),  und  dort  starb  Ertoghrul  (1288).  Noch  heute 
sind  die  Reste  seines  Grabes  Gegenstand  frommer  Verehrung.  Bei  seines 
Vaters  Tode  stand  Osman  schon  mitten  in  kriegerischer  Tätigkeit.  So- 
eben hatte  er  den  Griechen  Melangeia  entrissen,  das  ihm  Alaeddin  III. 
als  Lehen  überliefs  und  das  jetzt  der  Mittelpunkt  seiner  Herrschaft  wurde 
(1289).  Das  Glück  seiner  Waffen  führte  zahlreiche  Seldschukenbaufen 
unter  seine  Fahnen,  und  als  Alaeddins  Reich  im  Kampfe  gegen  die 
persischen  Mongolen  gefallen  war,  konnte  er  unbedenklich  sein  Erbe 
übernehmen  (1307).  Sein  Name  wird  nun  in  den  Moscheen  beim  Gebet 
genannt  und  auf  Münzen  geprägt.  Die  Residenz  wurde  nach  Jenischehr 
verlegt.  Der  Grund  des  raschen  Wachstums  des  jungen  Staates  liegt 
weniger  im  Heldensinn  Osmans  und  der  Tapferkeit  seiner  Heere,  als  in 
der  Sorglosigkeit  der  Paläologen,  die  zugunsten  der  neugewonnenen 
Residenz  Bithynien  stark  vernachlässigten  und  nur  in  gröfseren  Städten, 
wie  Brussa,  Nikäa  und  Nikomedien,  stärkere  Besatzungen  hielten;  nicht 
einmal  der  Katalanen,  die  vereinzelte  Erfolge  gegen  die  Osmanen  er- 
rangen, wufsten  sie  sich  in  vorteilhafter  Weise  zu  bedienen.  Schon  wird 
ganz  Bithynien  von  den  Osmanen  verwüstet,  werden  die  bedeutendsten 
Städte  durch  die  in  ihrer  Nähe  errichten  festen  Waffenplätze  blokiert, 
schon  dringen  osmanische  Freibeuter  bis  ans  Meer,  machen  Chios  zum 
Stützpunkt  ihrer  Angriffe  und  suchen  die  griechische  Bevölkerung  mit 
Mord  und  Plünderung  heim,  während  der  Kaiser  im  Streite  mit  seiner 
Gemahlin  und  seinem  Enkel,  dem  jüngeren  Andronikos,  des  Reiches 
Kräfte  verbraucht.  Osmans  kräftiger  Sohn  Urchan,  dem  der  Vater 
bisher  den  Kampf  gegen  die  persischen  Mongolen  überlassen  hatte, 
zwang  die  Griechen,  Brussa  zu  räumen  (1326).  Noch  auf  dem  Todten- 
bette  vernahm  Osman  die  frohe  Botschaft.  Brussa  wurde  Hauptstadt 
des  neuen  Reiches.    Nach  zwei  Jahren  unterwarf  Urchan  (1326 — 1359) 


588         Urchan.     Griechen  und  Serben.     Stephan  Dusehan  und  Johannes  V. 

Nikomedien.  Jetzt  erst  dachte  Andronikos  III.  (1328 — 1341),  der 
seinen  Grofsvater  entthront  hatte  (1328),  daran,  wenigstens  Nikäa  zu 
retten,  verlor  aber  die  Schlacht  von  Philokrene  (1329),  worauf  auch 
Nikäa  in  die  Hände  der  Osmanen  kam  (1330).  Ganz  Bithynien,  Mysien 
und  Ionien  fiel  ihnen  zu,  somit  auch  die  kleinen  mohammedanischen 
Fürstentümer,  die  auf  den  Trümmern  des  Seldschukenreiches  entstanden 
waren.  Nur  in  Trapezunt  hielt  sich  unter  der  starken  Regierung  Alexios'  II. 
(1297 — 1330)  das  alte  Kaiserhaus  der  Komnenen.  Schon  wandte  Urchan 
seine  Blicke  nach  dem  europäischen  Festland  und  seit  1337  werden  die 
Osmanen  der  Schrecken  Europas.  Ein  türkisches  Geschwader  landet 
bereits  in  der  Nähe  von  Rhegium,   nicht  weit  von  Konstantinopel. 

3.  Die  Tätigkeit  des  Kaisers,  dessen  persönliche  Tüchtigkeit  an- 
erkannt war,  wurde  nicht  blofs  durch  die  Kämpfe  gegen  die  Osmanen, 
sondern  auch  durch  die  mit  den  Serben,  Bulgaren,  Albanesen  und 
Genuesen  in  Anspruch  genommen.  Zunächst  gewann  es  den  Anschein, 
als  sollte  den  Serben  das  Erbe  des  griechischen  Kaisertums  zufallen. 
Der  sechste  Herrscher  aus  der  serbischen  Dynastie  der  Nemanjiden, 
Stephan  VI.  Duschan  (1331 — 1355),  verfolgte  von  allem  Anfang  das 
Ziel,  die  Herrschaft  der  Romäer  und  Franken  in  Mazedonien  und  an 
der  Adria  einzuschränken.  Er  gewann  Bosnien,  wurde  als  Herrscher 
in  Ragusa  aufgenommen  und  von  den  Albanesen  anerkannt;  über  Epirus, 
einen  Teil  von  Thessalien,  das  romäische  Gebiet  am  Wardar  und  an 
der  Maritza  bis  nach  Bulgarien  dehnte  er  seine  Herrschaft  aus ;  in  ihrem 
Besitz,  nahm  er  den  Titel  Kaiser  der  Romäer  und  König  von 
Serbien  an;  seine  Herrschaft  ist  nach  abendländischem  Muster  geordnet 
und  von  besonderer  Wohltat  für  die  arme  Bevölkerung  gewesen.  Er 
sorgte  für  Gewerbe  und  Handel  und  für  die  Sicherheit  auf  den  Strafsen. 
Zu  den  Moldauerfürsten  stand  er  in  verwandtschaftlichen  Beziehungen. 
Während  Stephan  im  Norden  der  Balkanhalbinsel  bedeutende  Fort- 
schritte machte,  die  Macht  der  Osmanen  sich  durch  die  Tätigkeit  Alaeddins, 
eines  jüngeren  Bruders  Urchans,  im  Innern  konsolidierte  (s.  unten),  war 
die  griechische  Herrschaft  durch  die  Parteikämpfe  am  Hof  der  ärgsten 
Erschütterung  ausgesetzt.  Andronikos  III.  hatte  sterbend  die  Sorge  für 
seinen  erst  neunjährigen  Sohn  und  Nachfolger  Johannes  V.  Paläo- 
logos  (1341 — 1391)  seinem  Freunde,  dem  ehrgeizigen  Grofsdomestikus 
Kantakuzenos,  einem  tüchtigen  Staatsmann  und  tapferen  Krieger,  über- 
geben. Seine  Neider  beschuldigten  ihn  der  Untreue.  Der  Grofsadmiral 
Apokaukos  verband  sich  mit  der  verwitweten  Kaiserin  und  dem  Patri- 
archen zu  seinem  Sturze.  In  seiner  Abwesenheit  als  Hochverräter 
geächtet,  seiner  Güter  beraubt,  wurde  ihm  nicht  einmal  das  Anerbieten 
bewilligt,  sich  in  ein  Kloster  zurückziehen  zu  dürfen.  Da  griff  er  selbst 
nach  dem  Purpur  und  liefs  sich  in  seiner  thrakischen  Stadt  Demotika 
(1341)  als  Johannes  VI.  zum  Kaiser  ausrufen  und  krönen.  Da  Kanta- 
kuzenos seinen  Gegnern  im  offenen  Felde  nicht  gewachsen  war,  verband 
er  sich  mit  Stephan  Duschan  und,  von  diesem  zurückgewiesen,  mit  den 
Osmanen.  während  der  Hof  die  Hilfe  der  Bulgaren  und  Venezianer 
gewann.      Bald    war    das    ganze    Reich    in    zwei    Parteilager    gespalten. 


Kantakuzenos.     Die  Türken  besetzen  Kallipolis.  589 

Türkische  Hilfe  verschaffte  Kantakuzenos  das  Übergewicht  und  die 
Alleinregierung  auf  zehn  Jahre  (1347 — 1357),  dann  sollte  der  junge 
Kaiser,  den  er  mit  seiner  Tochter  vermählt  hatte,  die  Herrschaft  über- 
nehmen. Die  Tat  des  Kantakuzenos  versetzte  dem  byzantinischen  Reiche 
einen  Stofs,  von  dem  es  sich  niemals  wieder  erholte.  Indem  nun  die 
Osmanen  als  Bundesgenossen  der  Griechen  bald  gegen  Serben,  bald  gegen 
Bulgaren,  bald  gegen  innere  Feinde  erschienen,  bereiteten  sie  ihre  Herr- 
schaft auf  europäischem  Boden  vor.  Während  dieser  Kämpfe  gingen 
grofse  Teile  des  Reiches  an  Serben,  Bulgaren  und  Genuesen  verloren. 
Zu  allem  Elend  wurde  auch  Griechenland  wie  die  Länder  des  Westens 
1348  vom  schwarzen  Tode  heimgesucht.  Die  Lage  des  Reiches  wurde 
immer  bedenklicher  und  der  Kaiser  schliefslich  von  der  Sorge  ergriffen, 
dafs  Kantakuzenos  das  Reich  an  seine  eigene  Familie  bringen  möchte; 
daher  knüpfte  er  selbst  Verbindungen  mit  den  Türken  an.  Der  Zwist 
unter  den  Griechen  bahnte  so  den  Osmanen  den  WTeg  nach  Europa. 
Der  junge  Kaiser  verliefs  die  Hauptstadt  und  wandte  sich  nach  Aenos 
im  Gebiet  der  Maritza  (1351).  Mit  Hilfe  der  Venezianer,  des  Zaren 
Duschan  und  der  mifsvergnügten  Elemente  im  Reiche  begann  er  den 
Kampf  gegen  Kantakuzenos,  der  nun  aufs  neue  die  Hilfe  der  Osmanen 
in  Anspruch  nahm  und  den  jungen  Kaiser  nötigte,  auf  Tenedos  eine 
Zufluchtstätte  zu  suchen ;  Kantakuzenos  liefs  nun  seinen  Sohn  Matthäos 
zum  Mitregenten  ausrufen  (1353).  Der  Sieg  dieses  Hauses  schien  voll- 
ständig. Aber  die  reichsverräterische  Verbindung  mit  den  Osmanen 
wurde  ihm  gleichfalls  verhängnisvoll.  Die  Reize  des  griechischen  Landes 
und  die  Schwäche  der  griechischen  Regierung  weckten  in  Urchans 
Sohne  Suleiman  das  Verlangen,  sich  eines  festen  Punktes  in  Europa 
zu  bemächtigen.  Mitten  im  Frieden  und  trotz  des  zwischen  beiden 
Staaten  bestehenden  Bundes  besetzte  er  durch  einen  Handstreich  das 
Küstenschlofs  Tzympe  am  Hellespont  (1353),  und  als  kurze  Zeit  nachher 
ein  Erdbeben  die  Mauern  von  Kallipolis  zerstörte,  auch  diese  Stadt 
(1354),  die  nun  ihr  erster  fester  Besitz  in  Europa  wurde.  Weder  Bitten 
noch  Anerbietungen  des  Kantakuzenos  waren  imstande,  die  Osmanen 
von  hier  zu  entfernen.  Während  sich  diese  im  griechischen  Reiche 
festsetzten,  gelang  es  Johann  V.,  Kantakuzenos  zu  stürzen  (1354)  und 
in  ein  Kloster  zu  verweisen,  wo  er  sich  historischen  Studien  zuwandte. 
Er  starb  erst  1383. 

§  134.    Die  Eroberungszüge  Murads  I.  und  Bajesids. 

1.  Suleiman  dehnte  die  osmanische  Herrschaft  über  den  thrakischen 
Chersonnes  bis  gegen  Rodosto  und  die  untere  Maritza  aus.  Schon  wurden 
türkische  Ansiedler  nach  Europa  geführt  und  Griechen  zum  Abzug  nach 
Kleinasien  gezwungen.  Eine  bessere  Zeit  für  die  Griechen  schien  an- 
zubrechen ,  als  ihr  grofser  Gegner  Stephan  Duschan  noch  im  besten 
Mannesalter  starb  (1355.  26.  Dezember)  und  auch  Suleiman  mitten  unter 
seinen  Erfolgen  durch  einen  Sturz  vom  Pferde  vom  Tode  hinweggerafft 
wurde  (1358).  Duschans  Tod  war  aber  schliefslich  für  die  Griechen  selbst 
ein  schwerer  Verlust;   denn  wenn  irgend   ein  Herrscher,    wäre    er    im- 


590  Die  Eroberungszüge  Murads. 

stände  gewesen,  der  osmanischen  Invasion  Halt  zu  gebieten.  Sein  Sohn 
Stephan  VII.  (1355 — 1365)  hatte  weder  seine  Begabung  noch  auch  sein 
Ansehen;  die  strenge  Ordnung  im  Reiche  lockerte  sich,  einzelne  Teile 
machten  sich  selbständig,  und  neben  der  Königsfamilie  streben  andere 
Häuser,  wie  das  der  Brankowitsch,  mächtig  empor.  Im  Nordwesten 
machte  sich  Bosnien  frei ,  das  unter  Stephan  Kotromanowitsch  und 
seinem  Brudersohn  Twartko  selbst  einzelne  Gebiete  jenseits  der  Drina 
und  die  Herzogewina  gewann.  Ebenso  gerieten  Epirus  und  Albanien 
in  Bewegung.  Für  Byzanz  bedeutete  demnach  die  allgemeine  Zersetzung 
im  serbischen  Reiche  nur  eine  augenblickliche  Erleichterung;  dazukam,  dafs 
auch  Bulgarien  durch  schwere  Parteikämpfe  zerrüttet  war.  Unter  diesen 
Umständen  begannen  die  Osmanen  ihre  Verheerungszüge  aufs  neue.  Bald 
nach  Suleiman  starb  auch  Urchan:  Ihm  folgte  Murad  I.  (1359 — 1389), 
einer  der  gröfsten  Kriegshelden  der  Osmanen.  Nachdem  er  die  osmanische 
Herrschaft  in  Kleinasien  auf  feste  Grundlagen  gestellt  hatte,  setzte 
er  nach  Kallipolis  über.  Treffliche  Heerführer  standen  ihm  zur  Seite;  die 
besten  Gaben  besafs  er  selbst,  denn  er  war  nicht  nur  ein  glücklicher  Eroberer, 
sondern  auch  jener  treffliche  Organisator,  dem  das  osmanische  Staats- 
wesen die  straffe  Ausgestaltung  des  militärischen  Lehenswesens  und  damit 
ein  schlagfertiges  Heer  verdankte.  Trotz  seiner  ungenügenden  Aus- 
bildung hatte  er  für  die  Künste  Interesse  und  liebte  den  Verkehr  mit 
Gelehrten.  Seine  Politik  überragte  die  seiner  Gegner  durch  die  Klarheit 
ihrer  Ziele,  durch  ihre  Kraft  und  Folgerichtigkeit  und  nicht  zuletzt 
durch  ihre  Redlichkeit  und  Zuverlässigkeit.1)  So  begann  er  seinen  Sieges- 
zug durch  die  Balkanländer.  Im  Jahre  1360  setzte  er  über  den  Helles- 
pont.  Schon  1361  fiel  Demotika.  im  folgenden  Jahre  Adrianopel.  Die  Er- 
oberung Philippopels  (1363)  entschied  die  Vormachtstellung  der  Osmanen 
auf  der  Halbinsel;  bald  strömten  Osmanen  mit  Weib  und  Kind  nach 
Europa ,  um  die  durch  die  langen  Kämpfe  verödeten  Landschaften  in 
Besitz  zu  nehmen.  Nun  waren  alle  Völker  der  Balkanhalbinsel  in  gleicher 
Weise  von  den  Türken  bedroht.  1365  schlug  Murad  seine  Residenz  in 
Adrianopel  auf ;  schon  schliefst  er  einen  Handelsvertrag  mit  Ragusa.  Im 
Jahre  1366  wird  der  Bulgarenzar  Schischman  III.  genötigt.  Heeresfolge 
zu  leisten.  Drei  Jahre  später  unternimmt  Johannes  Paläologos  eine 
Fahrt  nach  Italien,  um  die  Hüte  des  Papstes  und  Frankreichs  anzurufen. 
Aufserstande,  die  aufgelaufenen  Kosten  zu  bezahlen,  wird  er  in  Venedig 
festgehalten  und  dankt  den  Bemühungen  seines  zweiten  Sohnes  —  der 
erste  hielt  sich  zurück  —  seine  Befreiung.  Der  Serbenfürst  Wukaschin, 
der  im  Bunde  mit  Bosniern,  Magyaren  und  Rumänen  gegen  die  Türken 
zu  Felde  zog,  erlitt  vor  Adrianopel  auf  dem  Platz  »des  Verderbens  der 
Serben«  eine  Niederlage  (1371).  Nun  wurden  die  serbischen  Fürsten  im 
oberen  Mazedonien  unterworfen.  Als  der  Kaiser  Johannes,  erzürnt  über 
das  Benehmen  des  Thronfolgers  Andronikos,  ihn  von  der  Nachfolge 
ausschlofs,  schlofs  dieser  ein  Bündnis  mit  dem  ebenfalls  mit  seinem  Vater, 
dem  Sultan  Murad,  zerfallenen  Prinzen  Sandschi.     Es  gelang  dem  Sultan. 


»)  Hertzberg,  S.  492. 


Schlacht  am  Anise1  fold.     Bajesid.  591 

die  Empörung  zu  unterdrücken.  Sandschi  wurde  geblendet  und  ent- 
hauptet und  auch  Andronikos  auf  Drängen  des  Sultans  seines  Augen- 
lichtes beraubt,  was  diesen  aber  nicht  hinderte,  sich  mit  den  auf  Venedig 
eifersüchtigen  Genuesen  in  ein  Bündnis  gegen  Johannes  einzulassen, 
der  nun  entthront  wurde.  Indem  Andronikos  IV.  den  Genuesen 
neue  Zugeständnisse  machte,  kam  es  zu  einem  langwierigen  Kriege  unter 
den  Seemächten,  der  den  Osmanen  Gelegenheit  bot,  gegen  die  christ- 
lichen Staaten  neue  Fortschritte  zu  machen.  Mit  Hilfe  des  Sultans  ge- 
wann der  alte  Kaiser  (1379)  den  Thron  zurück  und  nahm  nach  dem 
Tode  des  Andronikos  (1385)  mit  Beiseiteschiebung  seines  Enkels  Johannes 
seinen  trefflichen  jüngeren  Sohn  Manuel  zum  Mitregenten  an.  Trotz 
dieser  Wirren  im  griechischen  Reiche  war  Murads  Macht  doch  noch 
keine  derartige,  dafs  er  sie  zur  Eroberung  von  Konstantinopel  hätte  be- 
nutzen können.  Mit  um  so  gröfserem  Eifer  bekämpfte  er  die  Südslawen. 
1382  fiel  Triaditza,  das  alte  Sardica  und  spätere  Sofia.  Endlich  legte 
die  gemeinsame  Gefahr  den  christlichen  Slawenstaaten  den  Gedanken 
gemeinsamer  Abwehr  nahe.  Die  Türken  hatten  in  Kleinasien  an  dem 
Emir  von  Karaman  einen  kräftigen  Gegner  gefunden ,  den  Murad  nur 
mit  Aufbietung  aller  Kräfte  bei  Konia  (1386)  besiegte.  Während  er  in 
Asien  beschäftigt  war,  hielten  Serben  und  Bosnier  die  Zeit  für  gekommen, 
loszuschlagen.  Die  Niederlage,  die  Lazar  den  Türken  (1387)  bei  Plotschnik 
beibrachte,  belebte  die  Hoffnungen  der  Christen.  Nun  schlössen  sich  auch 
die  Bulgaren  an,  aber  Twartko,  von  dem  Gedanken  an  die  Gründung  eines 
grofsbosnischen  Reiches  zwischen  Adria,  Drau  und  Donau  beherrscht, 
trat  nur  mit  einem  Teil  seiner  Truppen  in  den  Kampf.  Murad  unter- 
warf zuerst  die  Bulgaren  und  wandte  sich  dann  gegen  die  Serben.  Die 
Entscheidung  fiel  am  15.  Juni  1389  auf  dem  Am  sei  fei  d.  Es  war  eine 
der  blutigsten  Schlachten  des  Jahrhunderts.  Die  Osmanen  waren  den 
Christen  nicht  an  Zahl,  wohl  aber  an  militärischer  Ausbildung  und  in 
der  Führung  der  Truppen  überlegen.  Nichtsdestoweniger  blieb  die 
Schlacht  lange  schwankend;  erst  der  ungestüme  Angriff  Bajesids  auf  den 
linken  Flügel  der  Gegner  führte  die  Entscheidung  herbei.  Der  Sieg 
gehörte  dem  Halbmond.  Lazar  lag  erschlagen  auf  der  Walstatt,  aber 
auch  Murad  fand  nach  der  Schlacht  durch  das  Schwert  des  serbischen 
Ritters  Milosch  Obilitsch  den  Tod. 

2.  Noch  auf  dem  Amselfelde  empfing  Bajesid  (1389 — 1403)  die 
Huldigung  seiner  Vasallen.  Gleich  seinem  Vater  vor  allem  Kriegsmann, 
war  er  viel  ungestümer  als  dieser,  was  ihm  schon  unter  den  Zeitgenossen 
den  Beinamen  Ildirim  »der  Blitz«  verschaffte,  und  mehr  darauf  be- 
dacht, seine  Herrschaft  zu  erweitern  als  zu  befestigen.  Im  Anfang  mochte 
es  scheinen,  als  sei  für  die  Christen  durch  Murads  Tod  auf  dem  Schlacht- 
feld eine  Erleichterung  eingetreten:  die  Schlacht  auf  dem  Amselfelde 
schien,  zumal  da  sich  Bajesid  vom  Schlachtfeld  hinweg  nach  Adrianopel 
begab,  als  Sieg  der  Christen  betrachtet  zu  werden,  und  so  kündigte  sich 
auch  König  Twartko  von  Bosnien  den  Florentinern  als  Sieger  an;  aber  die 
Enttäuschung  folgte  auf  dem  Fufse  nach.  Das  neue  Regiment  trat  nicht 
blofs  gegen  die  Christen,  auch  gegen  die  Einheimischen  despotischer  auf. 


592  Eroberungen  Bajesids.     Kaiser  Manuel. 

Seinen  tapferen  Bruder  Jakub ,  der  am  Amselfelde  den  linken  Flügel 
kommandiert  hatte,  liefs  Bajesid  töten  und  eröffnete  mit  diesem  Bruder- 
mord die  Reihe  jener  Sultane ,  die  bis  auf  die  neueste  Zeit  herab  sich 
beim  Regierungsantritt  ihrer  Brüder  entledigen,  um  vor  jeder  Neben- 
buhlerschaft aus  dem  Kreise  der  Familie  sicher  zu  sein.  Dann  ging  er 
an  die  Ausnützung  des  grofsen  Sieges :  Südslawen.  Rumänen,  Byzantiner 
und  Franken  fühlten  den  Wechsel  der  Herrschaft;  Lazars  Sohn  Stephan 
wurde  zur  Huldigung  gezwungen  (1390).  Bosnien  durch  Verheerungen 
heimgesucht,  der  walachische  Fürst  Mircea  geschlagen  und  zum  Vasallen 
gemacht.  Das  Jahr  darauf  kam  es  schon  zu  Kämpfen  mit  den  Magyaren, 
und  1393  folgte  der  Entscheidungskampf  gegen  Bulgarien.  Er  endete 
mit  der  Vernichtung  des  Reiches.  Die  angesehensten  und  reichsten  Ge- 
schlechter des  Landes  wurden  zur  Auswanderung  nach  Kleinasien  gezwungen 
und  die  Selbständigkeit  der  bulgarischen  Nationalkirche  vernichtet;  fortan 
stand  sie  wieder  unter  der  Hoheit  des  Patriarchen  von  Konstantinopel. 
Der  Ausgang  des  letzten  Bulgarenfürsten  ist  in  Dunkel  gehüllt.  Maze- 
donien und  Thessalien  wurden  erobert,  und  die  kleineren  Herrschaften 
in   Hellas    gerieten    in    die   Abhängigkeit    von    den    Türken.      AVährend 

©  Do  « 

Bajesids  Sohn  Tschelebi  bedeutende  Erfolge  in  Europa  errang,  vernichtete 
er  selbst  das  karamanische  Reich  in  Kleinasien.  Diese  Ereignisse ,  vor 
allem  das  Ende  der  Bulgarenmacht,  erregten  in  Konstantinopel  tiefe 
Bestürzung.  Gleich  beim  Antritt  seiner  Regierung  hatte  Bajesid  sein 
Übergewicht  gegen  die  Griechen  in  brutalster  Weise  geltend  gemacht. 
Nicht  blofs,  dafs  er  Philadelphia,  ihren  letzten  Besitz  im  Innern  Kleinasiens, 
wegnahm,  er  nötigte  den  jungen  Kaiser  Manuel,  ihm  seine  Kräfte  zur 
Unterjochung  der  Stadt  zu  leihen.  Unter  den  Griechen  hob  selbst  bei 
dieser  verzweifelten  Lage  der  Dinge  noch  das  Parteiwesen  sein  Haupt. 
Des  Andronikos  Sohn  Johannes  unternahm  den  Versuch,  seinen  Grofs- 
vater  Johannes  V.  zu  stürzen,  und  behauptete  sich  durch  fünf  Monate, 
bis  es  nach  dem  Tode  des  alten  Kaisers  dessen  Sohn  Manuel  gelang, 
sich  das  Reich  zu  sichern  (1391 — 1425).  Ein  tüchtiger  Herrscher,  per- 
sönlich tapfer,  mit  reichen  Talenten  ausgestattet,  war  er  gleichwohl  aufser- 
stande,  dem  weiteren  Vordringender  Osmanen  Halt  zu  gebieten.  Wie  einstens 
wurden  auch  jetzt  die  noch  übrig  gebliebenen  Plätze  der  griechischen 
Herrschaft  blockiert ;  ihr  Fall  war  bei  der  Uneinigkeit  der  griechisch- 
lateinischen Herrschaften  in  Mittelgriechenland,  dem  Peloponnes  und  den 
Inseln  des  Archipels  nur  eine  Frage  der  Zeit.  Die  Unterjochung  der 
Bulgaren  brachte  Ungarn  in  Gefahr.  Sigmunds  Gesandte,  die  gegen 
die  Einverleibung  Bulgariens  Einsprache  erhoben,  wurden  in  den  Kerker 
geworfen.  Auf  Sigmunds  Bitten  liefs  Bonifaz  IX.  das  Kreuz  predigen. 
Sigmund  selbst  rief  die  Fürsten  des  Abendlandes  zum  Kampfe  auf. 
Die  Teilnahme  war  eine  allgemeine.  In  Deutschland  und  Frankreich 
gab  sich  grofse  Begeisterung  kund.  Die  französische  Flotte  sollte  ge- 
meinsam mit  der  venezianischen  vorgehen.  Das  Kreuzheer,  bei  dem 
sich  Deutsche,  Franzosen.  Engländer  und  Polen  befanden,  sammelte  sich 
Mitte  Juni  1396  in  Ofen.  Die  ungarischen  Truppen  zogen  voran.  Der 
Marsch  ging  durch  Siebenbürgen  und  die  Walachei,  deren  Fürst.  Mircea 


Die  Schlacht  von  Nikopolis.     Die  Mongolen.  593 

der  Grofse,  sich  mit  Sigmund  verbündet  hatte.  Oberhalb  Widdin  wurde 
die  Donau  überschritten ,  diese  Stadt  erobert  und  Rahova  genommen. 
Am  12.  September  langte  das  Heer  vor  Nikopolis  an,  das  zunächst 
eingeschlossen  wurde.  Wenige  Tage  später  rückte  Bajesid  an.  Sein 
Heer  zählte  ungefähr  100000  Mann. 

Am  28.  September  kam  es  zum  Kampfe.  Vergebens  bat  Sigmund,  seinen  mit 
der  Kampfweise  der  Feinde  vertrauten  Ungarn  den  ersten  Angriff  zu  überlassen.  Das 
christliche  Heer  war  durch  seine  Zusammensetzung  aus  ganz  verschiedenartigen 
Elementen  in  seiner  Leistungsfähigkeit  behindert;  während  die  Osmanen  nach  einem 
bestimmten  Plane  vorgingen,  war  davon  bei  den  Christen  keine  Rede.  Eigenmächtig 
begannen  die  Franzosen  den  Kampf  mit  einem  siegreichen  Vorstofs,  so  dafs  Bajesid 
schon  zum  Rückzug  geneigt  war.  Als  sie  aber  von  der  Höhe,  die  sie  genommen,  die 
zahllosen  Reitermassen  der  Gregner  erblickten,  bemächtigte  sich  ihrer  eine  Panik.  Der 
Schrecken  wurde  ins  ungarische  Heer  getragen,  von  dem  ein  grofser  Teil  entwich. 
Sigmund  hielt  sich  mit  dem  Rest  der  Seinen,  mit  deutschen  und  den  andern  Kon- 
tingenten auf  das  tapferste,  und  der  Kampf  blieb  lange  schwankend,  bis  er  durch  den 
Serbenfürsten  Stephan,  den  Sohn  Lazars,  zugunsten  der  Türken  entschieden  wurde. 
Sigmund  rettete  sich  auf  ein  Schiff,  das  ihn  nach  Konstantinopel  und  von  dort  in  die 
Heimat  führte.  Die  Verluste  waren  auch  auf  seiten  des  Siegers  ungeheure  und  Bajesid 
hierüber  derart  erbittert,  dafs  er  die  Gefangenen  mit  Ausnahme  der  Reichen,  von 
denen  er  ein  Lösegeld  zu  erpressen  hoffte,  niedermetzeln  liefs.  Ein  Bayer,  namens 
Schiltberger,  der  uns  den  wichtigsten  Schlachtbericht  hinterlassen,  wurde  wegen 
seiner  Jugend  geschont.1) 

War  der  Eindruck  der  grofsen  Niederlage  auf  die  gesamte  Christen- 
heit ein  gewaltiger,  so  hatten  doch  nur  die  Balkanstaaten  die  nächsten 
Folgen  zu  verspüren.  Noch  vor  Beginn  des  Kampfes  hatte  der  Sultan 
eine  Botschaft  Manuels  an  Sigmund  wegen  Abschlusses  eines  Bündnisses 
aufgefangen.  Während  er  nun  seine  Herrschaft  im  Norden  und  Nord- 
westen befestigte,  und  die  griechischen  und  fränkischen  Staaten  die  Wucht 
des  Siegers  ertrugen,  forderte  er  drohend  die  Übergabe  von  Konstan- 
tinopel, um  die  letzten  Hindernisse  aus  dem  Wege  zu  räumen,  die  noch 
die  einheitliche  Ausgestaltung  seines  Reiches  verhinderten.  Manuel  ver- 
weigerte sie  und  schlofs  mit  seinem  Neffen  und  Gegner  Johannes  VII. 
einen  Bund ,  wonach  er  diesem  das  Regiment  am  Bosporus  liefs  und 
selbst  nach  dem  Westen  zog  (1399),  um  Hilfe  daselbst  zu  erflehen. 
Er  erhielt  wohl  Zusagen,  aber  keine  wirkliche  Unterstützung.2)  In  seiner  Ab- 
wesenheit wies  Johannes  VII.  die  erneute  Forderung  der  Übergabe  ab. 
Die  Eroberung  Konstantinopels  wäre  indes  zweifellos  schon  jetzt  erfolgt, 
hätte  nicht  der  Mongolensturm  den  Sultan  genötigt,  seine  ganzen  Kräfte 
nach  Asien  zu  führen,  wo  der  Bestand  des  osmanischen  Reiches  selbst 
in  Frage  gestellt  war. 

§  135.    Timur  und  Bajesid. 

1.  Nach  den  glänzenden  Erfolgen  der  Mongolen  im  13.  Jahrhundert 
waren  ihre  Staatenbildungen :  das  Grofskhanat,  die  Goldene 
Horde,    das    Reich    der  Ilchane    in   Persien    und  Tschag gatai  in 

*)  Delaville  le  Roulx  widmet  Nikopolis    ein   eigenes  Buch ;    S.  211  ff.    Dort   (und 
bei  Köhler  II,   625)   ein  Verzeichnis   der  Quellen.     (Uiber  d.  Zahlen  s.  Huber  II,  356.) 
*)  Über  die  Expedition  Boucicauts  ebenda  S.  359. 
Loserth,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  ^o 


594  Die  Ilchane.     Tschaggatai.     Charakteristik  Tiruurs. 

raschem  Niedergang  begriffen.  Von  den  Ilchanen  tritt  nur  einer, 
Gas  an  (1295 — 1304),  als  Krieger  und  Staatsmann  bedeutend  hervor. 
Indem  er  es  unterliefs,  die  bisher  übliche  Einführung  in  seine  Stelle 
vom  Grofskhan  in  Peking  zu  holen,  kam  die  tatsächlich  bestehende  Un- 
abhängigkeit seines  Reiches  auch  formell  zum  Ausdruck.  Wie  die 
Goldene  Horde  traten  auch  die  Ilchane  zum  Islam  über,  und  so  wurde 
allmählich  ein  Ausgleich  zwischen  Siegern  und  Besiegten  hergestellt. 
Suchte  Gasan  die  seinem  Reiche  durch  die  vorhergegangenen  Raubzüge 
zugefügten  Schäden  durch  eine  weise  Politik  des  Aufbaues  und  der 
Reform  zu  beseitigen,  so  war  seine  Regierung  doch  zu  kurz,  als  dafs 
sich  seine  Einrichtungen  hätten  einleben  können.  Seine  Nachfolger, 
eifrig  dem  Schiitismus  zugetan,  hatten  gegen  die  aufstrebende  Macht 
einzelner  Emire  und  Statthalter  zu  kämpfen,  und  so  war  das  Reich, 
trotzdem  es  nach  aufsen  seinen  Besitzstand  wahrte,  schon  ein  Menschen- 
alter nach  Gasans  Tode  so  geschwächt,  dafs  es  einem  Eroberer  keinen 
AViderstand  zu  leisten  vermochte.  Nicht  viel  anders  lagen  die  Dinge 
in  Tschaggatai,  wo  sich  die  Mongolen  übrigens  unvermischter  er- 
halten hatten  und  ihrer  Lebensweise  als  Nomaden  treu  geblieben  waren. 
Auch  hier  wandten  sich  die  Häuptlinge  der  einzelnen  Stämme  dem 
Islam  zu.  Bei  diesen  trat  in  der  zweiten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts 
Timur  auf,  unter  dessen  Führung  die  Mongolen  eine  zweite  Invasion 
Asiens  begannen,  die,  nicht  minder  schrecklich  als  die  erste,  alle  Staaten 
von  China  bis  an  die  osmanische  Grenze  über  den  Haufen  warf. 
Timur  —  der  Name  bedeutet  Eisen  —  wurde  am  8.  April  1336  in 
Kesch,  südlich  von  Samarkand  geboren.  Sein  Vater,  Taragäi,  war 
Stammfürst  der  Barlas,  die  zu  den  reinen  Mongolen  gerechnet  werden, 
wie  auch  die  Abstammung  Timurs  auf  einen  der  nächsten  Vertrauten 
Dschingiskhans  oder  auf  eine  Tochter  von  dessen  Sohn  Tschaggatai  zu- 
rückgeführt wird. 

Seine  äufsere  Erscheinung  entsprach  freilich  in  keiner  Weise  dem  mongolischen 
Typus.  Seine  arabischer  Biograph  nennt  ihn  schlank  und  grofs,  wie  ein  Sprosse  alter 
Riesen;  von  starkem  Haupt  und  Stirn,  war  er  gewaltig  an  Kraft  jund  Leibesstärke,  von 
Hautfarbe  welfs  mit  rot  gemischt,  ohne  dunkleren  Ton,  starkgliedrig  und  breitschultrig,  von 
ebenmäfsigem  Körperbau,  doch  rechts  an  Arm  und  Fufs  lahm,  langbärtig,  mit  Augen  von 
dunklem  Feuer,  laut  von  Stimme.  Todesfurcht  kannte  er  nicht.  Schon  den  Achtzigern 
nahe  *),  behielt  er  geistig  volle  Selbstgewifsheit,  körperliche  Festigkeit  und  Straffheit. 
An  Gedrungenheit  und  Widerstandsfähigkeit  glich  er  einem  massiven  Felsen.  Spott 
und  Lüge  liebte  er  nicht.  Für  Scherz  und  Spiel  war  er  unzugänglich,  dagegen  wollte 
er  stets  die  Wahrheit  hören,  auch  wenn  sie  ihm  peinlich  war.  Niemals  bekümmerte 
ihn  ein  Fehlschlag,  niemals  machte  ein  Erfolg  ihn  fröhlich.«  In  dieser  Zeichnung  mag 
manches  übertrieben  sein,  im  allgemeinen  scheint  sie  der  Wirklichkeit  zu  entsprechen. 
Sicher  ist,  dafs  er  an  einem  Fufse  lahm  war;  daher  sein  Name:  Timur  lenk,  Timur, 
der  Lahme. 

Wiederholt  hatte  einer  und  der  andere  der  Stammesfürsten  von 
Tschaggatai  den  Versuch  gemacht,  eine  einheitliche  Macht  zu  begründen. 
Vor  einem  dieser  Fürsten,  Togluk-Timur.  hatte  sich  Taragais  Bruder 
und  Nachfolger  in  Kesch  geflüchtet;    Timur   unterwarf   sich   willig  und 


*)  S.  dazu  die  Bemerkungen  Müller,  Islam  II,  272,  woher  das  obige  Zitat  entlehnt  ist. 


Die  Eroberungen  Timurs  und  ihr  Charakter.  595 

erhielt  das  Fürstentum,  was  freilich  nicht  hinderte,  dafs  er  bald  wieder 
vertrieben  wurde  und  lange  Zeit  das  Leben  eines  Abenteurers  führte. 
Im  Bunde  mit  dem  Emir  Hussein  gewann  er  eine  führende  Stellung  in 
Transoxanien  und  wurde  nach  Husseins  Beseitigung  Herr  des  Landes. 
Noch  ist  freilich  seine  Stellung  nur  die  eines  Majordomus.  Noch  wird  auf 
einem  Kuriltai  '  ein  Nachkomme  Tschaggatais  zum  Grpfskhan  gewählt, 
Timur  selbst  führt  nur  den  Titel  Timur-Beg  oder  Emir  Timur. 
Auch  seine  Nachfolger,  wiewohl  sie  davon  abgingen,  einen  Grofskhan 
zu  wählen ,  haben  sich  mit  dem  Titel  Beg  oder  Schah  begnügt. 
Noch  eines  ganzen  Jahrzehnts  angestrengter  Arbeit  bedurfte  es  (1369 
bis  1379),  bis  das  Reich  Tschaggatai  in  seinem  alten  Umfang  wieder 
hergestellt  war,  denn  es  war  schwer,  die  des  Gehorsams  entwöhnten 
Begs  in  Untertänigkeit  zu  erhalten,  und  so  rachgierig  Timur  sonst  war, 
gegen  sie  schritt  er  doch  nur  ein,  wenn  es  not  tat,  und  dann  mit 
einer  Milde,  die  ihre  Rachgier  bezähmte.  Die  Macht  Timurs  wurde  mit 
jedem  Erfolge  bedeutender;  immer  mehr  schwollen  die  Schären  seines 
Heeres  an,  seine  Aufgaben  wurden  immer  gröfser.  Seine  Leistungen 
lassen  die  eines  Dschingiskhan  weit  hinter  sich,  denn  während  dieser 
seine  Feldzüge  durch  seine  Feldherren  vollführen  liefs,  hat  Timur  die 
seinigen  selbst  unternommen  und  mit  Feinden  gekämpft,  denen  die 
Kampfweise  der  Mongolen  völlig  bekannt  war.  Nachdem  er  seine  Herr- 
schaft gesichert,  wurden  Iva  schgar  und  Chowaresmien  angegriffen, 
dieses  dem  Reiche  Timurs  einverleibt  und  jenes  zum  Tribut  gezwungen. 
Schon  greift  er  in  die  Verhältnisse  der  Goldenen  Horde  ein  und  hilft 
Toktamisch  zur  Herrschaft  (s.  oben),  wogegen  dieser  die  Oberherrschaft 
Timurs  anerkennt.  Dann  wird  die  Eroberung  der  westlichen  und  süd- 
lichen Länder  begonnen.     1381  fällt  Herat. 

Mit  unsäglicher  Grausamkeit  wird  bei  den  Eroberungen  verfahren :  in  Ssebsewar 
werden  2000  Gefangene  als  Baumaterial  zu  Türmen  verwendet,  indem  sie  reihenweise 
lebendig  zwischen  Schichten  von  Stein  und  Mörtel  gelegt  und  festgemauert  werden  (1383). 
Bei  der  Eroberung  von  Serendsch,  der  Hauptstadt  von  Ssedschestän,  werden  sämt- 
liche Einwohner  »bis  auf  das  Kind  in  der  Wiege«  abgeschlachtet.  Kabul  und  Kandahar 
und  alles  Land  bis  an  den  Indus  und  nordwärts  gegen  Kaschgar  hin  wird  erobert. 
Aus  den  eroberten  Städten  werden  Schätze  und  Kunstwerke  nach  Samarkand  geschleppt, 
aber  auch  Künstler  und  Handwerker  angesiedelt.  Dann  folgt  die  Eroberung  des  west- 
lichen Iran,  der  Kaukasusländer,  Mesopotamiens  und  Armeniens.  Nach  der  Eroberung 
von  Wan  wurden  Weiber  und  Kinder  in  die  Knechtschaft  geschleppt,  die  Männer, 
Gläubige  und  Ungläubige,  von  den  auf  hohen  Felsen  erbauten  Zinnen  der  Burg  in 
die  Gräben  gestürzt.  Noch  grausamer  verfuhr  Timur  gegen  Ispahan,  als  sich  der  neue 
Emir  weigerte,  vor  Timur  zu  erscheinen.  Die  Stadt  war  ohne  Schwertstreich  übergeben 
worden,  als  aber  während  eines  Tumultes  die  kleine  Besatzung  Timurs  niedergemacht 
worden  war,  gab  er  Befehl,  dafs  jede  Heeresabteilung  eine  bestimmte  Anzahl  von 
Köpfen  der  Feinde  abliefere.  Es  waren  70000.  Sie  wurden  nach  mongolischer  Gewohn- 
heit in  verschiedenen  Stadtteilen  zu  Türmen  aufgemauert.  Selbst  Timurs  Krieger  be- 
kamen damals  das  Morden  satt.     Nur  das  Viertel  der  Gelehrten  wurde  verschont 

Alle  Fürsten  der  persischen  Landschaften  unterwarfen  sich,  bis 
auf  den  Mosaffariden  Manssur,  der  sich  noch  eine  Zeit  in  Chusistan 
hielt,  da  Timur  sowohl  von  Toktamisch  als  von  den  Dschetas  bedroht 
wurde.  Timur  wandte  sich  zuerst  gegen  Chowaresmien,  dessen  Häupt- 
linge  mit  seinen  Gegnern   in  Verbindung   getreten  waren.     Toktamisch 

38* 


596  Zug  gegen  Toktamisch.     Eroberung  Bagdads.     Zug  nach  Indien. 

flüchtete  bis  an  die  Wolga,  verfolgt  von  den  Gegnern.  Erst  bei  Kan- 
durtscha  machte  er  Halt,  um  Sarai  zu  decken;  am  19.  Juni  1391  kam 
es  zur  Schlacht,  die  Toktamisch  verlor.  Sein  ganzes  Lager,  seine  Schätze, 
sein  Harem  fielen  in  die  Hände  der  Sieger,  Ende  1391  kehrten  diese 
nach  Samarkand  zurück.  Der  Zug  gegen  Toktamisch  war  Timurs 
glänzendste  Leistung. x)  Die  Eroberung  Vorderasiens  ging  langsamer 
von  statten.  Nachdem  er  inzwischen  noch  die  Dscheta  besiegt,  wandte 
er  sich  gegen  Manssur,  der  nach  tapferem  Widerstand  im  Handgemenge 
gegen  Timur  selbst  sein  Ende  fand.  Die  Mosaff  ariden,  die  noch  Herr- 
schaften innehatten,  wurden  insgesamt  ausgerottet.  Dann  zog  Timur 
gegen  Bagdad;  da  es  dem  Sultan  nicht  gelang,  ein  friedliches  Ab- 
kommen zu  erzielen,  entfloh  er  samt  seinen  Schätzen  nach  Ägypten. 
Bagdad  fiel  in  Timurs  Hände,  und  im  Verlauf  von  zwei  Jahren  wurde 
ganz  Irak  und  Mesopotamien  erobert.  Nochmals  mufste  Timur  sich 
gegen  Toktamisch  wenden,  der  in  der  Nähe  des  heutigen  Jekaterinograd 
eine  Niederlage  erlitt  (1395),  von  der  er  sich  nicht  mehr  erholte.  Timur 
setzte  in  der  Horde  einen  neuen  Khan  ein.  Nochdem  er  einen  Feld- 
zug in  die  Kaukasusländer  und  einen  nochmaligen  Zug  bis  zur  Wolga 
unternommen,  seine  Herrschaft  in  Mesopotamien  gesichert  und  seinen 
vier  Söhnen  einzelne  Teile  des  Reiches  zur  Verwaltung  übergeben  hatte, 
unternahm  er  (1398)  einen  Zug  nach  Indien,  dessen  Reichtümer  einen 
mächtigen  Anreiz  boten,  während  seit  der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts 
die  Sultane  zu  Delhi  ihre  frühere  Macht  eingebüfst  hatten  und  Thron- 
streitigkeiten und  Aufstände  der  Grofsen  zu  einem  Eroberungszuge  ein- 
luden. Timur  drang  bis  nach  Multan  und  Delhi  und  hauste  auch  hier 
in  grauenvoller  Weise.  Delhi,  das  an  äufserem  Glänze  mit  Bagdad  wett- 
eiferte, wurde,  nachdem  Sultan  Machmud  eine  Schlacht  vor  den  Toren 
der  Stadt  verloren  und  sich  selbst  mit  Mühe  gerettet  hatte,  erobert  und' 
die  Bevölkerung  niedergemacht  (1398,  18.  Dezember).  Mit  Schätzen 
reich  beladen,  trat  er  den  Rückzug  an :  »wie  ein  Heuschreckenschwarm 
waren  die  Mongolen  gekommen,  und  so  verliefsen  sie  das  Land,  nachdem 
sie  es  kahl  gefressen  —  auch  hier  eitel  Tod  und  Zerstörung,  ohne  den 
geringsten  Versuch,  etwas  Neues  zu  schaffen.«2)  Während  des  indischen 
Feldzuges  waren  Unruhen  in  Westiran  ausgebrochen ;  erheblicher 
war,  dafs  nach  den  grofsen  Erfolgen  Bajesids  die  osmanische  Grofs- 
macht  unmittelbarer  Grenznachbar  des  mongolischen  Reiches  wurde. 
Ein  Zusammenstofs  der  beiden  Grofsmächte  war  nicht  mehr  zu  ver- 
meiden. 

2.  Der  Streit  zwischen  Bajesid  und  Timur  brach  aus,  als  jener 
auf  Bitte  der  Einwohner  von  Ssiwas  das  ganze  Land  bis  Ersinghän  in 
Besitz  nahm  und  hiemit  in  das  Herrschaftsbereich  Timurs  eingriff,  der 
Ersinghän  schon  früher  unter  seinen  Schutz  gestellt  hatte.  Dazu  kam, 
dafs  Bajesid  den  Ilchan  Achmed  Ibn  Oweis  von  Bagdad  und  den 
Fürsten  von  Diarbekr,  Kara  Jüssuf,    welche    die  Wiedereroberung  ihrer 


1)  Müller,  S.  296. 

2)  Ebenda  S.  301. 


Bajesid  und  Tiniur.     Schlacht  bei  Angora.     Bajesids  Ende.  597 

Länder  versucht  hatten,  in  Schutz  nahm,  während  die  von  Bajesid  ge- 
stürzten Emire  Kleinasiens  bei  Timm*  Hilfe  suchten.  Der  Kampf  bot 
unter  allen,  die  Timur  bisher  geführt  hatte,  die  gröfsten  Schwierigkeiten : 
an  den  Türken  fand  er  kriegstüchtige  und  sieggewohnte  Gegner,  deren 
militärische  Kräfte  durch  die  der  unterjochten  Balkanchristen  verstärkt 
wurden.  Eine  Niederlage  hatte  für  ihn  bei  der  erbitterten  Stimmung  der 
unterjochten  Völker  Kleinasiens  die  gröfsten  Gefahren.  Daher  traf  er 
seine  Vorkehrungen  mit  gröfster  Umsicht,  während  Bajesid  im  Ver- 
trauen auf  seine  bisherigen  Erfolge  es  unterliefs,  besondere  Vorbereitungen 
zu  treffen  und  daher  die  Belagerung  /Konstantinopels  noch  fortsetzte,  als 
Timur  bereits  gegen  Ssiwas  —  das  alte  Sebaste  —  anrückte.  Die  Stadt 
fiel  nach  achtzehntägiger  Belagerung.  Unter  den  Gefangenen  befand  sich 
angeblich  auch  ein  Sohn  Bajezids,  auch  er  wurde  hingeschlachtet  wie 
die  meisten  Bewohner  der  Stadt.  Bajesid  mufste  jetzt  von  der  Be- 
lagerung Konstantinopels  abstehen ;  der  Fall  des  byzantinischen  Reiches 
wurde  noch  um  ein  halbes  Jahrhundert  verzögert.  —  Timur  wandte 
sich  zuerst  gegen  den  Mameluckensultan.  Bei  Haleb  erlitt  das  ägyptisch- 
syrische Heer  eine  furchtbare  Niederlage  (1400,  Oktober);  in  rascher 
Folge  fielen  die  bedeutendsten  Städte,  und  zu  Ende  des  Jahres  stand 
der  Eroberer  vor  Damaskus.  Trotzdem  sich  die  Stadt  freiwillig  ergab, 
hatte  sie  kein  besseres  Schicksal  als  die  andern,  die  in  Timurs  Gewalt 
fielen :  sie  wurde  verbrannt  und  ihre  Bewohner  herdenweise  gemordet. 
In  Syrien  und  Ägypten  verstummte  jeder  Widerstand.  Auch  von  hier 
wurden  Gelehrte,  Künstler  und  Handwerker  nach  Samarkand  geschleppt. 
Die  Kunst  der  Stahlarbeiten,  die  in  Damaskus  gepflegt  wurde,  gelangte 
nach  Persien  und  Chorasan.  Dann  zogen  die  Mongolen  an  den  Euphrat 
zurück,  um  Mesopotamien  und  Bagdad  aufs  neue  zu  bekriegen.  Jenes 
wurde  leicht  unterworfen;  Bagdad  fiel  aber  erst  nach  heldenmütiger 
Verteidigung  am  heiligsten  Tage  des  muslimitischen  Kirchenjahres  (1401, 
22.  Juli).  Timur  hatte  geschworen,  nicht  Schafe,  sondern  Menschen  zu 
opfern.  90000  Feinde  wurden  getötet  und  aus  ihren  Köpfen  ein 
Siegesdenkmal  errichtet.  Der  Zug  wälzte  sich  sodann  nach  Georgien. 
Nun  sammelte  er  ein  Heer  gegen  die  Osmanen,  zögerte  aber,  in  den 
Entscheidungskampf  zu  ziehen,  zu  welchem  er  von  Konstantinopel  so- 
wohl als  vom  Abendlande  mehrfache  Aufforderungen  erhielt.  Um  Zeit 
zu  gewinnen,  verhandelte  er  mit  Bajesid,  der  indes  zu  keinem  Entgegen- 
kommen bereit  war.  Die  beiderseitigen  Heere  traten  einander  (1402, 
20.  Juli)  bei  Angora  gegenüber.  Die  Schlacht  dauerte  vom  frühen 
Morgen  bis  in  die  Nacht  und  endete  mit  einer  vollständigen  Niederlage 
der  Türken.  Bajesid  selbst  wurde  gefangen,  ehrenvoll  aufgenommen 
und  erst  als  er  einen  Fluchtversuch  machte,  in  strenger  Haft  gehalten.  Er 
vermochte  sein  Unglück  nicht  zu  ertragen :  nach  achtmonatlicher  Ge- 
fangenschaft starb  der  Sieger  von  Nikopolis  am  9.  März  1403.  Bajesids 
Sohn  Suleiman,  der  sich  nach  Rumelien  gerettet  hatte,  bat  um  Frieden, 
und  Timur    trat    den    Heimweg    an :    Blut   und   Trümmer   bezeichneten 


»)  Köhler  III,  470. 


598  Zug  gegen  China.     Tiniurs  Ende.     Suleiman. 

seine  Spuren.  Im  Juli  1404  traf  er  in  Sainarkand  ein.  Doch  nicht,  um 
auszuruhen.  In  dem  ganzen  gewaltigen  Reiche  ward  nun  gerüstet:  es 
sollte  gegen  China  gehen,  wo  die  Dynastie  Dschingiskhans  1368  durch 
die  der  Ming  gestürzt  worden  war.  Mit  einem  ungeheuren  Heer  trat 
er  den  Zug  an.  Er  kam  jedoch  nicht  weit.  In  Oträr  befiel  ihn  ein 
hitziges  Fieber,  dem  er  am  18.  Februar  1405  erlag.  Er  war  der  letzte 
grofse  Herrscher  und  das  gröfste  militärische  Talent,  das  der  Islam  her- 
vorgebracht hatte.  Weitaus  geringer  war  seine  staatsmännische  Veran- 
lagung ;  er  verstand  es  wohl,  ein  Reich  zu  schaffen,  das  von  der  Wolga 
und  dem  Archipelagus  bis  zum  Persischen  Meerbusen  und  dem  Ganges 
reichte,  aber  nicht  Einrichtungen  zu  treffen,  die  seiner  Schöpfung  Aus- 
sicht auf  Dauer  gewährten.  Die  Gröfse  seines  Reiches  endete  mit  seinem 
Leben. 

Timur  selbst  scheint  die  Absicht  gehabt  zu  haben,  die  direkte  Erbfolge  in  seinem 
Reiche  einzuführen.  In  diesem  Sinne  ernannte  er  Pir  Mohammed,  den  Sohn  seines 
vor  ihm  gestorbenen  ältesten  Sohnes  Dschehän-gir,  zu  seinem  Nachfolger.  Indem  aber 
die  übrigen  Söhne  Timurs  als  Statthalter  bedeutende  Teile  des  Reiches  innehatten, 
konnte  die  Macht  des  Herrschers  nicht  wie  unter  Timur  aufrecht  erhalten  werden. 
Pir  Mohammed  verlor  sie  an  Khalil  Ssultan,  einen  andern  Enkel  Timurs,  und  mufste 
sich  mit  Afghanistan  begnügen,  ward  aber  bald  hernach  ermordet.  Khalil,  der  seine 
Zeit  mit  einer  schönen  Perserin,  Schädi-i-Mulk,  vertändelte  und  die  Einnahmen  des 
Staates  an  sie  vergeudete,  wurde  von  dem  vierten  Sohne  Timurs,  Schah-Roch,  gestürzt, 
der  seine  Residenz  nach  Herat  verlegte  und  während  seiner  langen  Regierung  (1405 
bis  1446)  sein  Reich  in  trefflicher  Weise  verwaltete.  Fern  vom  Ehrgeiz  seines  Vaters, 
begnügte  er  sich  damit,  das  Eroberte  zu  erhalten.  Sein  Sohn  Ülug-Beg  (1446 — 1449) 
hatte  dagegen  mit  unaufhörlichen  Aufständen  der  Timuriden  zu  kämpfen.  Sein  eigener 
Sohn  Abd  el-Latif  nahm  ihn  gefangen  und  liefe  ihn  hinrichten,  ward  aber  selbst  sechs 
Monate  später  von  seinen  Truppen  erschlagen  und  ein  anderer  Enkel  Schah-Rochs, 
Abdallah,  auf  den  Thron  gehoben.  Die  Auflösung  des  Mongolenreiches  machte  nun- 
mehr reifsende  Fortschritte,  da  ein  jeder  der  zahlreichen  Xachkommen  Timurs  die 
Herrschaft  für  sich  beanspruchte.  Es  entstanden  allmählich  mehrere  unabhängige  Staaten, 
die  ihre  Selbständigkeit  an  die  Türken  verloren.  Von  allen  Timuriden  hat  nur  Babur  IL 
in  Hindostan  ein  starkes  Reich  —  das  der  Grofsmoguls  —  begründet  (1526). 

§  136.    Die  Erneuerung  der  türkischen  Macht  durch   Mohammed  L 

Die  Kriegszüge  Murads  II. 

1.  Mit  unleugbarem  Geschick  behauptete  Suleiman  (1402 — 1410) 
nach  dem  Zusammenbruch  von  Angora  die  Trümmer  der  türkischen 
Herrschaft:  zugute  kam  ihm,  dafs  das  Abendland  keinen  Versuch  machte, 
die  unvergleichliche  Gelegenheit,  die  Türkenherrschaft  für  immer  abzu- 
schütteln, auszunützen.  Man  hielt  dafür,  dafs  die  Türkenmacht  nunmehr 
ungefährlich  geworden  sei.  Die  Christen  der  Balkanhalbinsel,  durch  die 
vorhergegangenen  Kämpfe  geschwächt,  waren  zufrieden,  einen  Teil  ihrer 
Länder  und  Rechte  zurückzugewinnen.  Suleiman  schlofs  mit  Manuel 
ein  Bündnis,  zu  dessen  Bekräftigung  er  nicht  blofs  Geiseln  aus  seiner 
Familie  stellte,  sondern  auch  eine  Nichte  des  Kaisers  zur  Frau  nahm. 
Die  Griechen,  von  der  bisherigen  Tributpflicht  befreit,  erhielten  Thessa- 
lonich samt  dem  dazu  gehörigen  Gebiet  und  einen  gröfseren  Land- 
streifen nördlich  von  Konstantinopel  und  schliefslich  auch  einige  Inseln 


Die  Wiederherstellung  der  türkischen  Macht.    Mohammed  I.  u.  Murad  II.      599 

zurück.  Serbien  und  Naxos  wurden  tributfrei,  den  Venezianern  und 
Genuesen  einzelne  Vorteile  gewährt.  Inzwischen  hatte  sich  Suleimans 
tatkräftiger  Bruder  Mohammed  in  den  Besitz  von  Tokat  und  Amasia 
gesetzt  und  nach  Timurs  Tod  seine  Herrschaft  ausgedehnt,  während  sein 
älterer  Bruder  Isa  sich  in  Brussa  festsetzte.  So  gab  es  drei  osmanische 
Reiche,  von  denen  die  asiatischen  miteinander  in  Streit  gerieten.  Isa 
floh  nach  Konstantinopel;  Mohammed  hielt  seinen  Einzug  in  Brussa  und 
behauptete  sich  gegen  Isa  und  dessen  Bundesgenossen,  worauf  sich 
Suleimann  gegen  Mohammed  wandte  und  ihn  nach  der  Eroberung 
Brussas  nach  dem  Osten  zurückdrängte.  Dagegen  entsandte  Mohammed 
seinen  Bruder  Musa  nach  Europa,  der  im  Bund  mit  dem  Woiwoden 
Mircea  einzelne  Vorteile  errang.  Suleiman  erlag  schliefslich  einer  Ver- 
schwörung der  über  seine  Genufssucht  erbitterten  Generale.  Nun  stritten 
Musa  und  Mohammed  um  die  Herrschaft.  Dieser  errang  in  der  Schlacht 
bei  Tschamorlu  (1413,  10.  Juli)  den  Sieg.  Musa  wurde  auf  der  Flucht 
gefangen  und  erdrosselt.  Mohammed  (1413 — 1421)  bedurfte  des  Friedens, 
um  die  durch  die  Mongolenkatastrophe  und  den  Bruderkrieg  gestörte 
Ordnung  herzustellen.  Er  griff  nur  zu  den  Waffen,  als  die  Fürsten  von 
Karamanien  und  Jonien  sich  selbständig  zu  machen  versuchten ,  nützte 
übrigens  seine  Siege  mit  Milde  aus.  Gegen  die  Venezianer  unter  Pietro 
Loredano  verlor  er  die  Seeschlacht  bei  Kallipolis  (1416,  26.  Mai)  und 
mufste  ihnen  einen  vorteilhaften  Frieden  gewähren.  Auch  gegen  die 
Walachei  und  Ungarn  hatte  er  keine  Erfolge,  gröfsere  gegen  den  Emir 
von  Karamanien  und  gegen  die  kommunistischen  Tendenzen  huldigende 
Sekte  der  Stylarier  in  Asien.  Gefährlicher  war  der  Aufstand  eines  Aben- 
teurers, der  sich  für  Mustafa,  den  angeblich  bei  Angora  gefallenen  Sohn 
Bajesids  ausgab.  Indem  einige  Führer  der  Aufständischen  bei  den 
Griechen  Schutz  fanden,  hatte  das  freundliche  Verhältnis  ein  Ende,  das 
bisher  zwischen  Mohammed  und  den  Griechen  bestanden  hatte  und  diesen 
wesentlich  zugute  gekommen  war. 

2.  Dieses  Verhältnis  wurde  von  Mohammeds  Sohn  Murad  IL 
(1421 — 1451)  überhaupt  anders  aufgefafst.  Er  weigerte  sich,  dem  Kaiser 
Manuel  als  dem  von  Mohammed  bestimmten  Vormund  seine  jüngeren 
Brüder  Jussuf  und  Mohammed  zu  übergeben,  wogegen  Manuel  Mustafa 
nicht  blofs  in  Freiheit  setzte,  sondern  auch  als  rechtmäfsigen  Sultan  in 
Europa  anerkannte.  Mustafa  errang  über  Murads  Truppen  einen  Sieg, 
weigerte  sich  aber,  das  den  Griechen  gemachte  Versprechen  der  Zurück- 
gabe von  Kallipolis  zu  erfüllen.  Manuel  wandte  sich  nun  von  Mustafa 
ab,  ohne  hiedurch  aber  die  Freundschaft  Murads  IL  zu  gewinnen.  Viel- 
mehr zog  dieser  sofort  nach  Mustafas  Unterwerfung  gegen  Konstantinopel, 
um  das  Werk  Bajesids  zu  vollenden.  Noch  reichten  aber  seine  Mittel 
nicht  aus,  um  die  Weltstadt  zu  erobern.  Ein  Sturm  ward  glücklich  ab- 
geschlagen. Infolge  eines  Bürgerkrieges,  der  unter  den  Türken  in  Klein- 
asien ausbrach,  erhielten  die  Griechen  einen  billigen  Frieden.  Manuel 
trat  in  ein  Kloster  und  überliefs  die  Regierung  seinem  Sohn  Johann  VIII. 
(1423 — 1448).  Das  griechische  Reich  war  jetzt  auf  die  Halbinsel  vom 
Bosporus  bis  Selymbria  und  Derkon,  auf  wenige  Punkte  am  Schwarzen  Meere, 


600  Die  Kriegszüge  Murads  II.     Skanderbeg. 

auf  Thessalonich,  ein  Stück  der  Phthyotis,  einige  Inseln  und  Mysithra  im 
Peloponnes  beschränkt.  Noch  eine  kurze  Frist  war  diesem  altersschwachen, 
kleingewordenen  Staate  zugemessen.  Murad  wandte  sich  gegen  die  Vene- 
zianer, die  1423  Thessalonich  erworben  hatten.  Nach  sieben  Jahren 
fiel  die  Stadt  in  die  Hände  der  Türken  und  gewann  durch  die  Weg- 
führung der  alten  und  Ansiedlung  orientalischer  Bevölkerung  mit  ihrem 
neuen  Namen  Salonik  bald  auch  ein  ganz  osmanisches  Aussehen.  Gegen 
Zahlung  eines  Tributs  wurde  den  Venezianern  das  Recht  ihres  Besitzes 
verbürgt,  Ebenso  erfolgreich  war  Murads  Politik  gegen  den  Despoten 
Carlo  Tocco,  der  von  seinem  Joannina,  einen  Teil  von  Epirus  und 
Akarnanien  umfassenden  Besitz  den  gröfseren  Teil  abtrat  und  als  türkischer 
Vasall  den  Rest  behielt.  Von  den  griechisch-lateinischen  Herrschaften 
konnten  sich  nur  noch  Athen  und  Arta  behaupten.  Der  fränkischen 
Herrschaft  im  Peloponnes  machten  übrigens  die  beiden  Paläologen 
Thomas  und  Konstantin  ein  Ende  (1430).  Es  war  der  letzte  Erfolg 
der  Roma  er.  Im  Norden  hatten  die  Ungarn  seit  1425  den  Kampf 
gegen  die  Türken  wieder  aufgenommen;  als  aber  Murad  IL  1427  mit 
einem  Heere  heranzog,  schlofs  Sigmund  einen  Waffenstillstand  auf  drei 
Jahre  und  nötigte  hiedurch  auch  die  Serben  zum  Anschlufs  an  die 
Türken.  Erst  1438  begannen  diese  den  Kampf  aufs  neue,  eroberten 
(1439)  Semendria,  Serbien  und  brachten  Bosnien  in  gröfsere  Abhängigkeit. 
Als  Murad  hierauf  (1440)  Belgrad,  das  ihm  den  Weg  nach  Ungarn  ver- 
sperrte, angriff,  erlitt  er  während  der  sechsmonathchen  Belagerung  schwere 
Verluste.  Im  folgenden  Jahre  brachte  Hunyady  den  Türken  vor  Belgrad 
und  1442  in  der  Nähe  von  Weifsenburg  in  Siebenbürgen  Niederlagen 
bei,  so  dafs  sich  der  walachische  Woiwode  wieder  an  Ungarn  anschlofs. 
Ein  zweites  türkisches  Heer,  das  hierauf  in  Siebenbürgen  einrücken  wollte, 
wurde ,  ehe  es  noch  die  Karpathen  überschritten  hatte ,  geschlagen. 
Hunyadys  Erfolge  erweckten  im  Abendland  grofse  Begeisterung,  sein 
glänzender  Sieg  bei  Nissa  (1443,  3.  November)  hob  den  Mut  der  Balkan- 
christen. Noch  auf  dem  Rückzug,  den  die  Ungarn  angesichts  der  starken 
Verteidigungsmittel  ihrer  Gegner  antraten,  brachten  sie  diesen  am  Weih- 
nachtsabend eine  blutige  Niederlage  bei. 

3.  Murad  war  nun  um  so  mehr  zum  Frieden  geneigt,  als  sich  in 
Kleinasien  der  Emir  von  Karamanien  wieder  erhob  und  auch  die  christ- 
lichen Albanesenstämme  unter  ihrem  tapferen  Führer  Georg  Kastriota 
in  Bewegung  gerieten.  Einem  Fürstengeschlechte  Albaniens  entsprossen, 
war  Georg  in  seiner  Kindheit  als  Geisel  nach  Adrianopel  gekommen, 
Dort  erhielt  er  den  Namen  Iskender,  woher  sein  späterer  Name  Skan- 
derbeg stammt.  Im  AVaffenhandwerk  aufgezogen,  entwich  er  unter  dem 
Eindruck  von  Hunyadys  Siegen,  setzte  sich  in  Kroja  fest,  das  einst  seiner 
Familie  gehört  hatte,  und  begann,  zum  Christentum  zurückgekehrt,  den 
Kampf  gegen  die  Osmanen.  Er  schlofs  mit  zahlreichen  albanesischen 
Machthabern  ein  Bündnis  und  trat  mit  Ungarn  in  Verbindung.  Da 
auch  der  Paläologe  Konstantin  im  Peloponnes  seine  Stellung  verstärkte, 
schlofs  Murad  mit  Ungarn  zu  Szegedin  auf  10  Jahre  Frieden  (s.  oben 
§  120)  und  wandte  sich  dann  gegen  Karamanien.    Den  Kampf  gegen  die 


Die  Schlachten  bei  Varna  und  am  Amselfeld.  601 

Albanesen  überliefs  er  seinem  Feldherrn  Ali  Pascha,  der  ihn  unglücklich 
führte.  Inzwischen  hatte  der  Sultan,  unzufrieden  mit  dem  Gang  der 
Dinge,  die  Regierung  seinem  "jugendlichen  Sohne  Mohammed  übertragen, 
sie  aber  wieder  in  die  eigenen  Hände  genommen,  als  Ungarn  den 
Frieden  brach.  Die  gewaltige  Niederlage  des  Christenheeres  bei  Varna 
(1444,  10.  November)  versetzte  das  ganze  Abendland  in  Bestürzung  und 
Trauer  (s.  oben) :  es  Avurde  immer  deutlicher ,  dafs  es  nimmer  gelingen 
werde,  die  Osmanen  aus  Europa  zu  verdrängen.  War  Johann  VIII.  vor- 
dem geneigt ;  sich  an  Murads  Gegner  anzuschliefsen ,  so  eilte  er  jetzt, 
ihn  zu  versöhnen,  und  auch  die  Venezianer  erhielten  für  sich  und  Naxos 
gegen  Zahlung  eines  Tributes  Frieden.  Noch  einmal  zog  Murad  sich 
von  der  Regierung  zurück;  jetzt  zwang  ihn  aber  ein  Janitscharenauf- 
stand  (1445),  sie  wiederum  an  sich  zu  nehmen.  Nun  galt  es,  die  Macht 
der  peloponnesischen  Paläologen  zu  brechen,  die  mit  Sicherheit  nur  auf 
Skanderbegs  Beistand  rechnen  durften.  Dieser  hatte  soeben  noch  die 
Angriffe  der  Türken  siegreich  abgeschlagen;  nun  hinderte  ihn  ein  Streit 
mit  Venedig,  den  Paläologen  Hilfe  zu  leisten,  und  so  wurden  sie  trotz 
aller  Tapferkeit  zur  Zahlung  der  Kopfsteuer  gezwungen  (1447).  Skanderbeg 
gewann  auch  gegen  die  Venezianer  Vorteile  und  schlug  die  Türken  bei 
Oroschi  entscheidend  (1448,  1.  Oktober);  der  türkische  Anführer  selbst 
wrurde  gefangen.  Nun  schlössen  die  Venezianer  mit  Skanderbeg  Frieden 
und  gaben  ihm  den  Ehrentitel  eines  Oberbefehlshabers  der  Republik 
in  Epirus  und  Albanien.  —  Glücklicher  waren  die  Türken  gegen  Ungarn. 
Der  ungarische  Reichstag  hatte  (1448,  Mai)  reiche  Mittel  bewilligt.  Hunyady 
rückte  an  der  Spitze  von  24000  Mann  zu  Fufs  und  4000  Reitern  in 
Serbien  ein,  das  wegen  des  Verhaltens  seines  Fürsten  im  Jahre  1444 
als  Feindesland  betrachtet  wurde,  und  gelangte  bis  zum  Amselfeld.    Hier 

Ilagerte  Murad  mit  bedeutender  Übermacht,  und  hier,  wo  einstens  Lazar  er- 
legen war,  kam  es  am  18.  und  19.  Oktober  1448  zum  Entscheid ungskampf,  der 
für  die  Christen  vornehmlich  deswegen  verloren  ging,  weil  am  zweiten 
Schlachttage  8000  Walachen  zum  Feinde  übergingen.  Mit  Mühe  rettete 
sich  Hunyady  nach  Serbien.  Dort  wurde  er  gefangen  und  erlangte  erst 
durch  die  Vermittlung  des  ungarischen  Reichstages  seine  Freiheit  wieder. 

I  Murad,  der  nun  freie  Hand  gegen  Skanderbeg  hatte ,  rückte  im  Früh- 
jahre 1449  mit  155  000  Mann  in  Albanien  ein.  Skanderbeg  war  indes 
der  Lage  vollständig  gewachsen  und  brachte  den  Türken  wiederholt 
schwere  Verluste  bei.  Die  glänzende  Verteidigung  Krojas  durch  den 
Conte  Urana  (1450)  erregte  die  Bewunderung  des  Abendlandes.  Nicht 
weniger  erfolgreich  hielt  sich  Skanderbeg  in  den  folgenden  Jahren. 
Inzwischen  erlag  Murad  am  5.  Februar  1451  zu  Adrianopel  einem 
Schlaganfall. 

§  137.    Die  Eroberung  von  Koiistantinopel. 

1.  Erleichtert  atmete  die  abendländische  Welt  auf  die  Kunde  von 
Murads  IL  Tode  auf.  Dafs  er  veranlafst  gewesen,  zweimal  das  Regiment 
wieder  an  sich  zu  nehmen,  schien  ein  günstiges  Zeichen :  man  durfte 
von   seinem  Nachfolger  Mohammed  IL  (1451 — 1481)   eine    friedlichere 


602  Mohammed  II.  und  Konstantin  XI. 

Regierung  erwarten;  selbst  an  der  Pforte  glaubte  niemand,  dafs  er 
kriegerische  Pläne  verfolge.  Und  doch  erwies  sich  dieser  dem  Anscheine 
nach  unreife  Jüngling  binnen  kurzem  als  ein  tatkräftiger  Eroberer  und 
Staatsmann  wie  nur  irgend  einer  seiner  Vorgänger,  nur  noch  gewalt- 
tätiger und  grausamer  als  diese.  Sein  zweimaliger  unfreiwilliger  Rücktritt 
von  der  Herrschaft,  deren  Reize  er  nur  kosten  durfte,  hat,  wie  es  scheint, 
das  verschlossene  Wesen  in  ihm  gezeitigt,  vor  dem  selbst  seine  nächsten 
Ratgeber  zitterten.  In  der  inneren  und  auswärtigen  Politik  Meister,  tat 
er  keinen  Schritt,  über  dessen  Tragweite  er  sich  nicht  versichert  hätte. 
Nach  aufsen  hin  setzte  er  die  Politik  seines  Vaters  fort  und  versprach 
Vasallen  und  Nachbarn  Frieden  und  Freundschaft.  Strenger  verfuhr  er 
gegen  die  eigene  Familie ;  den  einzigen  Bruder  Achmed  liefs  er  erdrosseln. 
—  In  Konstantinopel  hatte  nach  längerem  Streite  mit  seinen  Brüdern 
Konstantin  XL  (1449 — 1453),  der  sich  bereits  im  Peloponnes  einen 
ruhmvollen  Namen  erworben,  die  Krone  erlangt;  ein  tatkräftiger  Fürst, 
der  den  Fall  seines  Reiches  freilich  nicht  mehr  aufhalten  konnte.  Nach- 
dem Mohammed  den  Emir  von  Karamanien,  der  den  Thronwechsel  in 
Adrianopel  zur  Erweiterung  seiner  Herrschaft  benutzen  wollte,  besiegt 
hatte,  wandte  er  sich  dem  griechischen  Kaisertum  zu,  dessen  Herrscher 
durch  einige  während  seiner  Bedrängnis  gestellte  Forderungen  seinen 
Zorn  erregt  hatte.  Im  März  1452  baute  er  eine  starke  Zitadelle  am 
Bosporus,  die  Konstantinopel  und  dessen  Seeverkehr  bedrohte  und  den 
Kaiser  zu  Gegenmafsregeln  zwang :  die  Befestigungswerke  wurden  instand 
gesetzt  und  Boten  an  seine  Brüder  und  die  Fürsten  des  Abendlandes 
mit  der  Bitte  um  Hilfe  gesandt.  Der  Sultan  legte  in  das  neue  Fort  eine 
starke  Besatzung  und  erprefste  von  den  Schiffen,  die  den  Georgssund 
passierten,  schwere  Zölle.  Weder  Venedig  noch  Genua  taten  etwas,  um 
der  Katastrophe  vorzubeugen.  Dagegen  liefs  Mohammed  schon  jetzt  die 
Befestigungswerke  seines  Gegners  aufs  genaueste  auskundschaften,  nahm 
den  ungarischen,  von  Konstantin  hoher  Forderungen  wegen  abgewiesenen 
Stückgiefser  Orban  in  seinen  Dienst  und  liefs  den  Peloponnes  verwüsten, 
um  des  Kaisers  Brüder  zu  hindern,  ihm  Hilfe  zu  leisten.  Die  Fürsten 
des  Abendlandes  sandten  leere  Vertröstungen  oder  begnügten  sich  wie 
Friedrich  III.,  Abmahnungsschreiben  an  den  Sultan  zu  senden.  Kon- 
stantin bot  Städte  und  Inseln  aus,  um  die  Hauptstadt  zu  retten.  Die 
Kurie  verlangte  als  Preis  ihrer  Hilfe  Durchführung  der  Union ;  als  sie 
der  Kaiser  unter  dem  Drucke  der  Verhältnisse  gewährte,  zog  er  sich 
den  Hafs  des  von  dem  Mönche  Gennadios  aufgeregten  Klerus  zu,  der 
die  türkische  Knechtschaft  dem  lateinischen  Ritus  vorzog.  Konstantin  XI. 
war  sonach  auf  sich  selbst  gestellt.  Nur  die  venezianische  Kolonie  in 
der  Hauptstadt  und  die  Genuesen  auf  Chios,  deren  Interessen  zunächst 
bedroht  waren,  leisteten  Hilfe.  Unter  den  Genuesen  leuchtete  durch 
Tapferkeit  und  Umsicht  Giovanni  Longo  aus  dem  Hause  Giustiniani 
hervor.  Ihm  hatte  der  Kaiser  für  den  Fall  des  Sieges  den  Besitz  von 
Lemnos  zugedacht.  Freilich  stand  nicht  nur  der  Klerus  nur  mit  halbem 
Herzen  bei  der  Sache  des  Vaterlandes;  schon  war  ein  Teil  der  griechischen 
Bevölkerung   orientalisiert,    von   den   vornehmen   Familien    einzelne   mit 


Die  Eroberung  Konstantinopels.     Der  Ausgang  des  griechichen  Reiches.       603 

Osmanen  verschwägert  und  viele  geneigt,  die  türkische  Herrschaft  an- 
zunehmen, die  wenigstens  Sicherheit  bot.  Das  türkische  Element  war 
dem  griechischen  politisch  und  moralisch  überlegen,  und  es  ehrt  den 
Kaiser,  dafs  er  in  schwerer  Stunde  Mohammeds  IL  Anerbietungen,  ihm 
für  Konstantinopel  den  gesicherten  Besitz  Moreas  zu  lassen,  ablehnte 
und  den  Fall  der  Hauptstadt  nicht  überleben  wollte. 

2.  Im  Frühling  1453  umzingelten  die  türkischen  Belagerungs- 
massen die  Stadt  von  der  Landseite;  es  waren  an  300000  Mann,  denen 
die  Christen  kaum  den  dreifsigsten  Teil  entgegenzustellen  vermochten. 
Das  Heer  der  Türken  wurde  zudem  durch  eine  starke  Flotte  unterstützt ; 
die  Griechen  hatten  nur  an  der  Festigkeit  ihrer  Mauern  einen  Ersatz ; 
ihre  Verteidigung  wurde  in  trefflicher  Weise  geleitet;  der  Hafen  war 
durch  eine  eiserne  Kette  gesperrt.  Am  gefährlichsten  wurde  die  Riesen- 
kanone Orbans;  wo  ihre  Kugel  einschlug,  gab  es  Risse,  wie  nach  einem 
Erdbeben.  Während  zu  Lande  gekämpft  ward,  lieferten  vier  genuesische 
und  ein  griechisches  Schiff  der  Türkenflotte  ein  siegreiches  Treffen. 
Unter  den  Osmanen  gab  es  eine  Partei,  den  Grofswesir  an  der  Spitze, 
die  einen  Frieden  befürwortete.  Der  Sultan  war  schliefslich  genötigt, 
die  Stadt  auch  von  der  Seeseite  anzugreifen.  Da  aber  jeder  Angriff  auf 
die  Sperrkette  von  vornherein  aussichtslos  war,  wurde  ein  Teil  der 
türkischen  Flotte  mittels  einer  Rutschbahn  in  die  innere  Rhede  von 
Konstantinopel  gebracht  und  die  Verteidiger  gezwungen,  ihre  Kräfte 
zu  teilen.  Ihre  Arbeit,  die  entstandenen  Breschen  mit  Steinen  und 
Rasenstücken  zu  füllen,  wurde  immer  schwieriger,  der  durch  Derwische 
angefachte  Fanatismus  der  Belagerer  immer  kräftiger,  der  Minenkrieg 
immer  gefährlicher.  Schliefslich  konnte  der  Sultan  am  29.  Mai  zum 
Sturmangriff  schreiten.  Es  war  der  Todestag  des  romäischen  Reiches. 
Der  erste  und  zweite  Angriff  wurde  glücklich  zurückgewiesen,  auch  beim 
dritten  Angriff  erlitten  die  Janitscharen  grofse  Verluste.  Zum  Unglück 
für  die  Griechen  wurde  Giustiniani  verwundet  und  eilte  auf  sein  Schiff, 
sich  verbinden  zu  lassen.  Es  entstand  eine  Verwirrung,  bei  der  es  den 
Türken  gelang,  in  die  Stadt  zu  dringen  und  dem  Kaiser  in  den  Rücken 
zu  fallen.  Tapfer  kämpfend,  verlor  er  unter  den  Streichen  der  Janitscharen 
sein  Leben;  er  hätte  sich  ein  Ende  von  christlicher  Hand  gewünscht. 
Mit  ihm  fielen  drei  andere  Paläologen.  Von  der  Bevölkerung  —  eine 
grofse  Menge  hatte  sich  in  die  Sophienkirche  geflüchtet  und  erwartete 
dort  durch  ein  Wunder  ihre  Rettung  —  wurden  Tausende  erschlagen, 
die  übrigen  als  Sklaven  unter  die  Soldaten  verteilt,  Hab  und  Gut  der 
Bewohner  geplündert.  Erst  am  dritten  Tage  gebot  der  Sultan,  der 
Konstantinopel  —  jetzt  mit  einer  Verballhornung  des  Namens  Istambul  — 
nicht  zerstört,  sondern  als  künftige  Residenz  erhalten  wissen  wollte,  dem 
Morden  und  Plündern  Einhalt.  Am  Morgen  des  30.  Mai  hielt  er  seinen 
Einzug.  Sein  erster  Weg  war  in  die  Sophienkirche,  die  er  bewundernd 
betrachtete.  Am  Altare  verrichtete  er  sein  Gebet.  An  Stelle  des 
Kreuzes  wurde  der  Halbmond  aufgerichtet.  Die  Leiche  des  Kaisers 
'  war  an  den  Schuhen  erkannt  worden.  Der  Kopf  wurde,  auf  dafs  sich 
jeder  vom  Untergang   des  Kaisertums   überzeuge,    öffentlich    ausgestellt, 


604  Die  Eroberungen  Mohammeds  II.     Hunyady  und  Capistrano. 

der  Rumpf  in  Ehren  bestattet.  In  der  Nähe  der  Wefa-Moschee  unter 
dem  Schatten  eines  Weidenbaumes  ist  das  Grab  des  Helden.  Noch  jetzt 
wird  darüber  jeden  Abend  eine  Lampe  entzündet.  Hatte  es  anfangs 
den  Ansehein,  als  würde  der  Sultan  seinen  Sieg  durch  Milde  und  Grofs- 
mut  erhöhen,  so  kehrte  er  schon  am  nächsten  Tage  seine  Tigernatur 
hervor,  indem  er  eine  Menge  vornehmer  Griechen  enthaupten  liefs. 
Die  Flotte  der  Abendländer  landete  zwei  Tage  nach  dem  Fall  der  Haupt- 
stadt vor  Negroponte.  Im  Abendlande  entstand  unsagbarer  Jammer 
über  den  Sturz  eines  Reiches,  das,  aller  Verirrungen  der  byzantinischen 
Politik  ungeachtet,  doch  ein  starkes  Bollwerk  für  die  abendländische 
Zivilisation  gewesen  war. 

§  138.    Die  Eroberungen  Mohammeds  II. 

Zu  den  früher  genannten  Hilfsschriften  s.  G.  Voigt,  Joh.  v.  Capistrano.  HZ.X,  19. 
Dort  weitere  Quellen  u.  Lit. -Vermerke.  Huber  m.  Kupelwieser,  Die  Kämpfe  Ungarns 
mit  den  Osmanen  bis  zur  Schlacht  bei  Mohäcs.    Wien  1895. 

1.  Ehe  Mohammed  nach  Adrianopel  zurückkehrte,  traf  er  jene 
Anordnungen,  die  das  Verhältnis  der  Griechen  zu  den  Türken  regelten. 
Indem  er  ihre  Sitten  und  Bräuche,  Religion  und  Sprache  unangetastet 
liefs,  kehrte  die  Mehrzahl  der  Geflüchteten  wieder  zurück.  Den  Hafs 
des  griechischen  Klerus  gegen  die  Lateiner  nützte  er  trefflich  aus. 
Patriarch  wurde  ihr  unversöhnlicher  Gegner  Gennadios,  und  die  grie- 
chische Kirche  auf  den  Stand  vor  der  Florentiner  Synode  gebracht. 
Ja  die  Befugnisse  der  Patriarchen  wurden  noch  erweitert,  da  sich  die 
Türken  in  die  inneren  Verhältnisse  der  griechischen  Kirche  nicht  ein- 
mischten. Ihr  Sitz  wurde  von  der  islamitisch  gewordenen  Sophienkirche 
nach  der  Apostel-,  dann  (1455)  nach  der  Klosterkirche  der  heiligsten 
Jungfrau,  endlich  (seit  1581)  nach  dem  nördlichen  Teil  des  Fanars 
verlegt.  Jede  Verfolgung  der  Christen  ward  untersagt,  was  freilich  nicht 
hinderte,  dafs  christliche  Kirchen  in  Moscheen  verwandelt  und  verlassene 
Klöster  mit  Derwischen  besetzt  wurden.  Schon  1454  begann  Mohammed 
mit  dem  Bau  seiner  Residenz  und  andern  Bauten,  durch  die  Stambul 
ein  ganz  orientalisches  Gepräge  erhielt.  Die  christlichen  Vasallen  be- 
eilten sich,  dem  Sultan  ihre  Ergebenheit  zu  bekunden.  Die  Tribute  der 
kleinen  lateinischen  Staaten  wurden  erhöht,  Trapezunt  unterwarf  sich 
der  Gnade  des  Siegers,  und  die  Paläologen  im  Peloponnes  blieben  vor- 
läufig in  ihrem  Besitz.  So  bedrückt  auch  die  Staaten  des  Westens  über 
die  Fortschritte  des  Halbmonds  waren,  sie  verhielten  sich  ruhig,  ja 
Venedig  schlofs  schon  1454  einen  Vertrag  mit  den  Türken,  so  dafs  die 
einzige  Hoffnung  des  Abendlandes  auf  Hunyady  ruhte.  Um  sich  gegen 
Ungarn  zu  sichern,  sandte  Mohammed  (1454)  an  den  Fürsten  Georg 
Brankowitsch  von  Serbien  die  Aufforderung,  ihm  gegen  eine  ander- 
weitige Entschädigung  Serbien  abzutreten,  drang  in  Serbien  ein  und 
nötigte  ihn  zur  Flucht  nach  Ungarn.  Im  Jahre  1456  wurde  Belgrad, 
der  Schlüssel  von  Ungarn,  zur  Wasser-  und  Landseite  eingeschlossen. 
Doch  gelang  es  Hunyady,  dem  der  feurige  Kreuzprediger  Capistrano 
zur  Seite  stand,  die  Stadt   zu  entsetzen  (22.  Juli).     Aber    der   glänzende 


Einziehung  Athens,  Serbiens  und  des  Peloponneses.  605 

Sieg  wurde  nicht  ausgenützt.  Bald  nachher  starben  Hunyady  und  Ca- 
pistrano.  Der  einzige  Gegner  der  Osmanen,  der  noch  standhielt,  war 
Kastriota.  Nicht  entmutigt  durch  die  Schlappe,  die  er  1455  bei  Sfetia 
erlitt,  brachte  er  den  Türken  im  August  1457  bei  Tomornitza  eine 
schwere  Niederlage  bei  und  errang  auch  in  den  folgenden  Jahren  solche 
Erfolge,  dafs  Mohammed  1461  auf  einen  zehnjährigen  Waffenstillstand 
auf  Grund  des  Status  quo  einging. 

2.  Schlimmer  stand  es  um  die  christliche  Sache  in  den  übrigen 
Balkanländern.  Zuerst  fielen  die  letzten  fränkisch-griechischen  Herr- 
schaften in  Mittelgriechenland  und  dem  Pelöponnes.  Ein  Thronstreit 
zwischen  Franko  Acciajuoli,  dessen  Haus  seit  1386  in  Athen  regierte, 
und  der  Witwe  des  letzten  Herzogs  Nerio  IL,  die  das  Land  an  ihren 
zweiten  Gatten  bringen  wollte,  bot  dem  Sultan  den  Anlafs,  das  Herzog- 
tum einzuziehen  (1456).  Als  Mohammed  (1458)  Athen  besuchte,  war  er 
entzückt  von  der  Pracht  der  antiken  Gebäude  und  des  Piräus  mit  seinen 
Hafenanlagen.  Da  die  letzten  Beherrscher  ebenso  wie  die  Gebräuche  der 
katholischen  Kirche  im  Lande  verhafst  waren,  wurde  der  Wechsel  der 
Herrschaft  mit  Freude  begrüfst.  Eine  Bewegung,  die  1460  zugunsten 
Frankos  entstand,  endete  damit,  dafs  er  getötet  und  seine  Söhne  unter 
die  Janitscharen  gesteckt  wurden.  Jetzt  erst  wurde  der  Parthenon  in 
eine  Moschee  verwandelt.  Auch  in  Serbien  bot  ein  Thronstreit  nach 
dem  Tode  des  Fürsten  Lazar  (1458)  Anlafs,  das  Fürstentum  einzuziehen. 
Als  sich  Lazars  Witwe,  die  ihre  älteste  Tochter  an  den  Sohn  König 
Stephans  von  Bosnien  vermählt  hatte,  unter  den  Schutz  des  Papstes 
stellte,  erregte  dies  Entzweiung  im  Lande,  die  den  Türken  die  Eroberung 
wesentlich  erleichterte.  Im  Pelöponnes  lagen  die  Brüder  des  letzten 
griechischen  Kaisers,  Thomas  von  Patras  und  Demetrios  in  Mysithra, 
miteinander  im  Kampfe.  Als  sie  unter  dem  Eindruck  der  letzten  tür- 
kischen Niederlage  gegen  Hunyady  mit  der  Zahlung  des  Tributes 
säumten,  rückte  Mohammed  im  Pelöponnes  ein  und  vereinigte  dessen 
nördlichen  Teil  mit  dem  Paschalik  Thessalonich,  und  als  Thomas  im 
Hinblick  auf  die  starke,  durch  Pias  IL  (s.  unten)  veranlafste  Kreuzzugs- 
bewegung darauf  ausging,  seine  alte  Stellung  wieder  zu  erringen,  sich 
zugleich  aber  auch  gegen  seinen  Bruder  wandte,  machte  Mohammed 
diesen  Resten  griechischer  Herrschaft  (1460)  ein  völliges  Ende.  Demetrios 
starb  1470  als  Mönch  zu  Adrianopel.  Thomas  fand  Unterstützung  beim 
Papste  und  starb  1465  mit  Hinterlassung  zweier  Söhne  Manuel  und 
Andreas,  von  denen  jener  seinen  Frieden  mit  den  Türken  machte,  der 
andere  bei  seinem  kinderlosen  Tode  seine  Ansprüche  an  Ferdinand  den 
Katholischen  und  Isabella  vererbte.  Seine  jüngere  Schwester  Zoe  (Sophie) 
heiratete  (1502)  Iwan  III.  Wasiljewitsch.  Ihre  Ansprüche  gingen  sodann 
auf  ihre  Tochter  Helena  über. 

3.  Dem  Sturz  der  Paläologen  folgte  jener  der  letzten  freien  Griechen- 
staaten. Auf  die  Griechen  von  Trapezunt  hatte  der  Fall  von  Byzanz 
geringen  Eindruck  gemacht;  weniger  darauf  bedacht,  ihre  nationale  Un- 
abhängigkeit zu  wahren,  als  politische  Intrigen  zu  verfolgen  oder  kauf- 
männischem Gewinn  nachzugehen,  waren  die  Fürsten  sittlich  verkommen, 


(306  Der  Sturz  des  Kaiserreiches  Trapezunt.     Der  Fall  Bosniens. 

der  Klerus  habsüchtig  und  so  unverträglich,  dafs  der  gemeine  Mann  die 
osnianische  Herrschaft  als  das  kleinere  Übel  betrachtete.  Mit  der  den 
Griechen  eigenen  Überschätzung  der  eigenen  und  Unterschätzung  der 
feindlichen  Kräfte  hatte  noch  der  Kaiser  Johannes  (1446 — 1458)  den 
Plan  gefafst,  nach  dem  Tode  Murads  II.  im  Bunde  mit  benachbarten 
christlichen  und  islamitischen  Fürsten  der  Türkenherrschaft  in  Kleiuasien 
ein  Ende  zu  machen.  Mohammed  IL  hatte  davon  Kunde  erhalten. 
Sofort  nach  der  Eroberung  von  Konstantinopel  entsandte  er  den  Statt- 
halter von  Amasia  gegen  Trapezunt  und  zwang  es  zum  Tribut,  ent- 
schlossen, das  Kaisertum  nur  so  lange  zu  dulden,  bis  seine  Aufgaben 
im  Westen  gelöst  seien.  Johannes  suchte  sich  durch  Bündnisse  mit 
Sinope,  Karamanien  und  den  christlichen  Fürsten  von  Georgien  und 
Armenien  zu  schützen,  starb  aber  schon  1458.  Sein  vierjähriger  Sohn 
wurde  von  dessen  Oheim  David  beiseite  geschoben,  der  nun  die 
Pläne  seines  Bruders  weiter  verfolgte.  Als  aber  Mohammed  nach  der 
Unterwerfung  Moreas  heranzog  und  Davids  Verbündete  unterwarf,  ent- 
sank diesem  selbst  der  Mut.  Um  Leben  und  Schätze  zu  retten,  ver- 
zichtete er  auf  Trapezunt  und  übersiedelte  nach  Stambul.  In  Trapezunt 
ward  der  Wechsel  der  Herrschaft  anfangs  freudig  begrüfst;  bald  traten 
jedoch  die  Folgen  zutage:  nur  ein  Drittel  der  christlichen  Bevölkerung, 
und  zwar  aus  den  niederen  Klassen,  durfte  in  der  Heimat  verbleiben, 
die  Reichen  und  der  unabhängige  Adel  wurden  gezwungen,  ihren  Besitz 
ohne  Anspruch  auf  Entschädigung  aufzugeben  und  nach  Konstantinopel 
zu  ziehen,  die  kriegstüchtige  Jugend  unter  die  Janitscharen  eingereiht 
und  der  Besitz  der  Christen  an  Moslemen  verteilt,  der  entthronte  Kaiser 
auf  den  Verdacht  einer  Konspiration  hin  ergriffen  und,  da  er  sich  weigerte, 
zum  Islam  überzutreten,  samt  seinen  sieben  Söhnen  und  seinem  Neffen 
Alexios  hingerichtet.  So  endete  das  Kaiserhaus  der  Komnenen.  —  Von 
den  Inselstaaten  im  Agäischen  Meere  behaupteten  sich  nur  jene,  die  im 
Besitz  venezianischer  Dynasten  waren  oder  den  Johannitern  auf  Rhodus 
gehörten.  Lesbos,  wo  das  Haus  Gattilusio  in  der  letzten  Zeit  der 
Paläologen  unter  byzantinischer  Hoheit  zur  Macht  gekommen  war,  wurde 
1462  erobert,  Xiccolö  Gattilusio  nach  Stambul  geführt  und  trotz  seines 
Übertritts  zum  Islam  erdrosselt,  die  Insel  übrigens  ebenso  grauenhaft 
behandelt  wie  Trapezunt. 

4.  Hunyadys  Sieg  bei  Belgrad  entfachte  den  Eifer  der  Kurie  aufs 
neue.  Schon  im  folgenden  Jahre  trat  Kalixtus  III.  lebhaft  für  einen  Kreuz- 
zug ein  :  in  Venedig,  Dalmatien,  Bosnien  und  Serbien  wurde  das  Kreuz 
gepredigt.  Aber  der  Wechsel  auf  dem  angarischen  Thron  und  die  Gleich- 
gültigkeit der  Abendländer  hinderten  das  Zustandekommen  des  Unter- 
nehmens. Bald  folgte  der  Fall  des  Königreiches  Bosniens,  damit  war 
die  Umklammerung  Ungarns  auf  der  ganzen  Südseite  vollendet.  Schon 
1458  wandte  sich  König  Stephan  Thomas  an  Venedig  und  Pius  IL,  der 
einen  Kongrefs  nach  Mantua  berief.  Im  folgenden  Jahre  drang  Moham- 
med IL  in  Serbien  ein  und  eroberte  Smederovo.  Der  König  von  Bosnien 
fand  im  Kampfe  gegen  die  eigenen  Grofsen  den  Tod  (1461).  Bosnien 
kam   in    den   Besitz  Stephans   Thomasewitsch,  der  sein  Reich  durch  die 


Behandlung  Serbiens.     Unterwerfung  d.  Walachei.     Krieg  gegen  Venedig.     607 

Verfolgung  der  Patarener  schwächte,  die  nun  scharenweise  aus  dem  Lande 
getrieben  wurden  und  in  den  türkischen  Provinzen  Schutz  fanden.  Im 
Vertrauen  auf  sein  Bündnis  mit  Ungarn  verweigerte  er  den  Türken  den 
Tribut.  Mohammed  war  eben  in  der  Walachei  beschäftigt.  Erst  1463 
rückte  er  in  Bosnien  ein  und  eroberte  das  Land.  Wiewohl  Stephan, 
in  der  Hoffnung,  sein  Leben  zu  retten,  ihm  hiebei  half,  wurde  er  ge- 
tötet. Die  Grofsen  des  Landes,  ja  die  Mitglieder  der  königlichen  Familie 
selbst,  sahen  die  Rettung  in  der  Annahme  des  Islams.  Grofse  Massen 
der  bosnischen  Bevölkerung  wanderten  aus.  Um  nicht  das  ganze  Land 
von  Einwohnern  zu  entblöfsen,  gewährte  ihnen  Mohammed  freie  Aus- 
übung ihrer  Religion;  nur  von  den  Amtern  des  Staates  und  vom  Kriegs- 
dienst blieben  sie  ausgeschlossen.  In  der  Herzegowina  konnten  sich 
sogar  einige  christliche  Oberhäupter  unter  Duldung  des  Grofsherrn  be- 
haupten. In  Serbien  kam  dagegen  das  türkische  Eroberungsrecht  mit 
aller  Strenge  zur  Durchführung.  Hier  konnte  sich  keine  Art  von  Selb- 
ständigkeit erhalten.  Das  Land  ward  an  Spahis  ausgeteilt,  denen  die 
Einwohner  zu  persönlichen  und  sachlichen  Diensten  verpflichtet  waren; 
die  Serben  durften  keine  Waffen  tragen,  keine  Pferde  besitzen,  alle  fünf 
Jahre  wurde  der  Knabenzins  eingefordert,  der  die  Blüte  und  Hoffnung  der 
Nation  dem  Grofsherrn  zur  Verfügung  stellte  und  ihre  Kräfte  gegen 
sie  selbst  kehrte.1)  Inzwischen  kam  auch  die  Walachei ,  wo  seit  1456 
Wlad  Drakul  —  wegen  seiner  Grausamkeit  von  den  Türken  »Pfahl- 
woiwode«  genannt  —  regierte,  unter  türkische  Herrschaft.  Die  Eroberung 
Bosniens  durch  die  Türken  hatte  die  Selbständigkeit  Ungarns  in  hohem 
Grade  gefährdet.  Daher  schlofs  Matthias  Corvinus  mit  Friedrich  III., 
gegen  den  er  eben  noch  im  Felde  gelegen,  Frieden  (1463),  rückte  an 
der  Spitze  eines  starken  Heeres  in  Bosnien  ein  und  eroberte  einen  grofsen 
Teil  des  Landes.  Der  Krieg  dauerte  auch  noch  im  folgenden  Jahre 
weiter,  ohne  dafs  es  zu  einem  entscheidenden  Ergebnisse  kam,  denn 
sowohl  Matthias  (s.  unten)  als  Mohammed  IL  waren  nach  andern  Seiten 
hin  in  Anspruch  genommen. 

5.  Nachdem  die  kleineren  fränkischen  und  griechisch-fränkischen 
Lehensstaaten  in  den  Besitz  der  Pforte  gekommen  und  diese  die  un- 
mittelbare Nachbarin  Venedigs  geworden  war,  war  ein  Krieg  zwischen 
beiden  Mächten  nur  eine  Frage  der  Zeit.  Er  brach  aus  geringfügigem 
Anlafs  schon  1462  aus.  Venedig  suchte  sich  durch  Bündnisse  mit 
Ungarn  und  Albanien  zu  stärken,  und  Pius  IL  hatte  den  Ehrgeiz,  einen 
allgemeinen  Kreuzzug  zustande  zu  bringen.  War  bei  der  Eifersucht  der 
Genuesen  und  Florentiner  auf  die  Macht  Venedigs  ein  geeinigtes  Vor- 
gehen nicht  zu  gewärtigen,  so  hegte  man  um  so  gröfsere  Hoffnungen 
von  Skanderbeg,  der  nun  den  mit  den  Türken  geschlossenen  Waffen- 
stillstand brach.  Der  Papst  forderte  nicht  nur  Fürsten  und  Völker  zum 
Kreuzzuge  auf  (1463,  22.  Oktober),  sondern  nahm  selbst  das  Kreuz, 
bereit,  »mit  seinen  grauen  Haaren  und  zitternden  Gliedern;  gegen  den 
Erbfeind   zu  ziehen.     Als  er  aber  am  18.  Juli  1464  in  Ancona  erschien, 


*)  Rankes  Werke  XXIII,  21. 


608     Eroberung  Albaniens.     Matthias  Corvinus    und  Fürst  Stephan  der  Grofse. 

von  wo  aus  die  Abfahrt  erfolgen  sollte,  und  dort  weder  Schiffe  noch 
Mannschaften  fand,  schwanden  seine  Hoffnungen,  und  dies  gab  seinen 
Kräften  den  Rest.  Er  starb  am  13.  August  1464.  Die  Venezianer  hatten 
mittlerweile  den  Kampf  in  Morea  erfolgreich  geführt  (1463),  sahen  sich 
aber  bei  der  Teilnahmslosigkeit  des  Abendlandes  auf  die  Defensive  ange- 
wiesen. Nur  Paul  II.,  selbst  ein  Venezianer,  Neapel  und  Albanien  hielten 
zu  ihnen,  und  von  Karamanien,  wo  sich  Mohammed  II.  in  einen  Thron- 
streit mischte,  war  Hilfe  zu  gewärtigen.  Der  Sultan  zog  an  der  Spitze 
eines  mächtigen  Heeres  vor  das  von  Albanesen  und  Venezianern  ver- 
teidigte Kroja  (1466),  erlitt  aber  bei  einem  Sturme  auf  die  Stadt  so  starke 
Verluste,  dafs  er  die  weitere  Führung  des  Krieges  seinem  tüchtigsten 
General,  dem  Renegaten  Balaban,  überliefs.  Dieser  fand  bei  einem  Aus- 
fall der  Krojaner  seinen  Tod.  Im  folgenden  Jahre  führte  Mohammed 
den  Krieg  gegen  Karamanien  zu  Ende.  Aber  auch  die  Kraft  der  Alba- 
nesen versagte  allmählich.  Skanderbeg  war  wiederholt,  zuletzt  noch  1466, 
nach  Italien  gegangen,  um  ausgiebigere  Hilfe  zu  erlangen.  Als  er  zurück- 
kehrte, wurde  er  von  einem  hitzigen  Fieber  ergriffen,  dem  er  am  17.  Januar 
1467  erlag.  Skanderbegs  Sohn,  Johann  Kastriota,  hielt  sich  mühevoll 
noch  elf  Jahre.  Erst  1478  fielen  Alessio  und  Kroja,  1479  Skutari,  wor- 
auf ganz  Albanien  eine  Beute  der  Türken  wurde.  Die  Hauptlast  des 
Krieges  hatte  nun  Venedig  zu  tragen.  Im  Jahre  1470  eroberten  die 
Türken  Euböa,  in  den  folgenden  Jahren  kämpften  sie  gegen  Karamanien, 
das  nun  für  immer  unterjocht  wurde.  Damit  war  das  Geschick  Klein- 
asiens für  die  Zukunft  entschieden.  Mit  um  so  gröfserer  Wucht  drückte 
Mohammed  IL  nun  auf  seine  Gegner  in  Europa.  Leider  verstanden 
es  die  Venezianer  nicht,  ihre  Interessen  mit  denen  Ungarns  in  Einklang 
zu  bringen. 

6.  Matthias  Corvinus  sah  sich  durch  seine  Kämpfe  gegen  die 
Moldau,  Böhmen  and  Polen  gehindert,  gegen  die  Türken  zu  ziehen, 
trotzdem  diese  seit  1467  Jahr  für  Jahr  ihre  Plünderungszüge  auch  in 
die  benachbarten  ungarischen  Gebiete  unternahmen.  Aber  mehr  als  die 
Türken  scheute  Matthias  die  Venezianer;  noch  1469  erklärte  er,  nur 
gegen  die  Abtretung  Dalmatlens  die  Waffen  gegen  die  Türken  zu  er- 
greifen. Als  er  freilich  seinen  Waffenstillstand  mit  Böhmen  und  Polen 
geschlossen  (s.  unten),  traf  er  (1474)  seine  Vorbereitungen  zum  Kriege 
gegen  die  Türken,  dessen  Aussichten  jetzt  viel  günstiger  waren.  Der 
Woiwode  der  Moldau,  Stephan  der  Grofse  (1457 — 1504),  der  seine  Un- 
abhängigkeit bisher  wacker  verteidigt  hatte,  brachte  ihnen  in  den  ersten 
Januartagen  1475  bei  Racova  eine  schwere  Niederlage  bei;  allerdings 
mufste  er,  um  sich  gegen  die  Türken  zu  behaupten,  dem  ungarischen 
König  die  Huldigung  leisten.  Mohanimed  IL  selbst  rückte  das  Jahr 
darauf  in  die  Moldau  ein.  Stephans  Lage  wurde  schwierig;  der 
15 fachen  Übermacht  der  Türken  nicht  gewachsen,  zog  er  sich  in  die 
Waldungen  von  Njamtz  zurück.  Auch  Mohammed  IL  war  infolge  von 
Krankheiten  und  Mangel  an  Lebensmitteln  zu  einem  verlustvollen  Rück- 
zug gezwungen.  Die  ungarisch-siebenbürgischen  Truppen  rückten  nun 
in  die  Walachei  vor  und  schlugen  das  türkisch-walachische  Heer.    Trotz 


Eroberung  von  Kaffa.     ArigHfE  auf  Italien.     Der  Tod  Mohammeds  II.         609 

solcher  Erfolge  hielt  Matthias  sich  vom  ferneren  Kampfe  zurück  und 
sah,  von  den  österreichischen  und  böhmischen  Verhältnissen  in  An- 
spruch genommen,  den  osmanischen  Einfällen  in  Ungarns  Nachbar- 
länder zu.  Schon  war  Venedig  aufs  äufserte  bedroht.  Vom  17  jährigen 
Kampfe  erschöpft,  von  den  Westmächten  im  Stiche  gelassen,  schlofs  es 
am  26.  Januar  1479  zu  Konstantinopel  Frieden.  Kroja  und  Skutari, 
Lemnos,  Euböa  und  das  Bergland  von  Maina  mufsten  geopfert  werden, 
aber  es  rettete  seinen  levantinischen  Handel,  indem  es  gegen  eine 
Jahreszahlung  von  10000  Dukaten  die  zollfreie  Ein-  und  Ausfuhr 
seiner  Waren  zugesichert  erhielt.  Die  Venezianer  waren  die  einzigen, 
die  in  Konstantin opel  die  Zivilgerichtsbarkeit  über  alle,  ihre  Untertanen 
ausüben  durften.  In  gewissem  Sinne  treten  sie  auch  das  Erbe  Genuas 
im  Schwarzen  Meere  an.  Ein  Streit  der  Genuesen  in  Kaffa  gegen  einen 
angesehenen  Tataren  bot  den  Türken  Anlafs,  Kaffa  zu  erobern  und  die 
Südküste  der  Krim  zu  besetzen.  Genua  verlor  damit  die  Reste  seines 
Besitzes  in  der  Levante.  Venedig  hielt  nun  Frieden  mit  den  Türken, 
ja  es  sah  ruhig  zu,  wie  sich  diese  der  Besitzungen  Leonardos  von  Tocco : 
Santa  Maura,  Kephallenia  und  Zante,  bemächtigten  (1479),  dann  Italien 
angriffen  und  sich  anschickten,  die  Johanniter  aus  Rhodus  zu  vertreiben. 
Im  Frühlinge  1480  landete  ein  türkisches  Heer  in  Apulien  und  er- 
oberte Otranto,  das  bestimmt  war,  den  weiteren  Unternehmungen  der 
Türken  zum  Stützpunkt  zu  dienen.  Gleichzeitig  lief  eine  Flotte  gegen 
Rhodus  aus,  allerdings  scheiterten  die  Versuche  der  Türken,  die  Festung 
zu  erobern,  an  der  heldenmütigen  Tapferkeit  der  Ritter.  Mohammed  IL 
starb,  mitten  in  seinen  grofsen  Unternehmungen,  erst  52  Jahre  alt,  am 
3.  Mai  1481,  wTorauf  die  Türken  Otranto  wieder  räumten.  Die  türkische 
Macht  hatte  unter  Mohammed  IL,  dem  ersten  der  osmanischen  Herrscher, 
der  den  Titel  Sultan  führte *),  eine  Machtstellung  erreicht,  die  der  ganzen 
abendländischen  Kultur  in  hohem  Grade  gefährlich  wurde.  Wenn  er 
auch  als  Gesetzgeber  Bedeutendes  leistete,  als  Freund  der  Wissenschaften 
und  Künste  gepriesen  wird :  dem  Abendland  galt  er  als  blutdürstiger 
Eroberer,  der  nach  den  allerdings  übertriebenen  Worten  eines  abend- 
ländischen Schriftstellers  sich  rühmte,  zwei  Kaiserreiche,  14  Königreiche 
und  200  Städte  zerstört  zu  haben.  Mit  seinem  Tode  trat  an  der  Schwelle 
der  Neuzeit  ein  Wechsel  in  der  'äufseren  Politik  der  Türken  ein.  An 
die  Stelle  eines  Eroberers  trat  ein  friedliebender  Sultan,  Bajesid  IL 
(1481—1512),  der  dem  Abendland  Zeit  liefs,  sich  zu  neuem  Kampfe  zu 
sammeln. 

§  139.    Die  Organisation  des  osmanischen  Reiches. 

Die  grofsen  Erfolge  der  Osmanen  beruhen  auf  der  eigentümlichen 
Organisation,  die  sie  ihrem  Reiche  gegeben  haben.  Ihr  Staat  war  ein 
Militär staat,  wie  ja  der  Türke  noch  heute  fast  ausschliefslich  nur  für 
politische  und  militärische  Dinge  Sinn  und  Neigung  bekundet.    Wie  das 

*)  Seit  1473,  seit  der  Niederwerfung  Karamaniens.  Bis  dahin  führten  sie  den 
Titel  Emire. 

Loserth,    Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  oJ 


610  Organisation  des  türkischen  Militärstaates.     Die  Satzungen  Alaeddins. 

türkische  Volk  eine  starke  kriegerische  Veranlagung  besitzt,  waren  auch 
seine  Herrscher  bis  auf  den  letzten  —  Bajesid  IL,  und  selbst  dieser 
kann  nicht  als  unkriegerischer  Fürst  bezeichnet  werden  —  tatkräftig 
und  kriegerisch  gesinnt.  Die  meisten  waren  hochbegabte  Männer,  ein- 
zelne, wie  Murad  IL,  ideal  veranlagt  oder,  wie  Bajesid  IL,  mild  gesinnt, 
andere  blutdürstig,  wie  Bajesid  I.  und  Mohammed  IL,  alle  aber  von 
dem  gröfsten  Eifer  für  den  Islam  erfüllt.  Die  Grundzüge  der  staatlichen 
Ordnung  bei  den  Osmanen  wurden  noch  von  Alaeddin,  dem  Bruder 
Urehans  —  um  1330  —  geschaffen.  Man  sagt,  dafs  er  sich  in  die  Ein- 
samkeit zurückzog,  um  über  zweckmäfsige  Einrichtungen  für  das  junge 
Staatswesen  nachzudenken.  Seine  Anordnungen  —  sie  werden  mit  dem 
griechischen  Namen  Kanun  bezeichnet  —  fafsten  zunächst  nur  die  Auf- 
richtung einer  eigenen  Münze,  um  die  souveräne  Stellung  der  Fürsten 
nach  aufsenhin  anzuzeigen,  die  Einführung  einer  eigenen  Kleiderordnung 
zum  Zwecke  der  äufserlichen  Scheidung  der  Stände  und  der  einheitlichen 
Bekleidung  des  Heeres,  vor  allem  aber  die  militärische  Organisation 
ins  Auge.  Weder  die  bisherige  Reiterei,  die  höchstens  zu  Plünderungs- 
zügen, nicht  aber  für  den  Belagerungskrieg  tauglich  war,  noch  das  un- 
geordnete Fufsvolk,  von  denen  jene  durch  ihre  Lehenspflicht,  beide 
durch  die  Lust  an  Kriegsbeute  zusammengehalten  wurden,  erwiesen 
sich  für  den  Kriegsdienst  geeignet.  Ein  Versuch,  aus  jungen  Leuten 
türkischer  Herkunft  ein  auserlesenes  Korps  von  gleichmäfsig  bewaffneten, 
gut  besoldeten  und  nach  griechischem  Muster  geordneten  Fufstruppen 
zu  bilden,  mifslang.  Schliefslich  fand  man,  dafs  die  Osmanen  als  Fufs- 
truppe  überhaupt  schlecht  zu  gebrauchen  seien,  und  ging  daher  zu 
einem  neuen  System  über,  das  dem  Machthaber  eine  ausgezeichnete 
stets  schlagfertige  Reitertruppe  und  ein  tüchtiges  Fufsvolk  zur  Verfügung 
stellte.  Ein  jedes  neueroberte  Land  wurde  sofort  »nach  Fahnen  und 
Säbeln«  in  eine  Menge  von  Lehen  ausgeteilt;  die  gröfseren  sind  die 
Siamet,  die  kleineren  Timar,  diese  mit  einem  Jahresertrag  von  höchstens 
20000  Aspern  (ungefähr  1000  Mark);  es  wurde  auf  solche  Weise  eine 
kriegerische  Aristokratie  geschaffen,  denn  die  Lehensträger  waren  ver- 
pflichtet, von  dem  Einkommen  von  je  3000  Aspern  einen  Reiter  und 
von  je  5000  mehr  einen  zweiten  stets  schlagfertig  zu  halten.  Ein  gröfseres 
Lehen  konnte  15,  ein  kleineres  zwei  Reiter  stellen.  In  der  Blütezeit  der 
osmanischen  Monarchie  konnte  man  aus  Europa  80000,  aus  Xatolien 
50000  Reiter  —  Sipahi,  Spahi  —  aufbringen;  es  bedurfte  dann  nur 
eines  Befehls  an  die  beiden  Beglerbegs  des  Reiches,  die  an  der  Spitze 
aller  Provinzen  in  Europa  und  Asien  standen,  und  die  ihn  an  die  Sand- 
schakbegs,  die  Vorsteher  einzelner  Provinzen,  und  durch  diese  an  die 
Obersten  der  Scharen  —  Alaibegs  —  bis  herab  zu  jedem  Inhaber  eines 
Siamet  oder  Timar  weitergaben,  um  binnen  kürzester  Zeit  die  gesamte 
Reitermacht  schlagfertig  vorzufinden.  Ein  Erbadel  konnte  sich  aus 
diesem  System  nicht  entwickeln,  da  die  Inhaber  ihre  Lehen  nur  für 
ihre  eigene  Person  erhielten.  Die  minderjährigen  Söhne,  selbst  eines 
Sandschakbegs  mit  einem  Einkommen  von  700  OuO  Aspern,  erhielten 
nichts  als  ein  Timar  von  5000  Aspern,  auf  dem  die  Verpflichtung  lastete, 


Der  Knabensold.    Janitscharen  und  Spahis.     Die  Thronfolge.  611 

einen  Reiter  zu  erhalten.  Nur  wenn  der  Spahi  im  Felde  gefallen,  erhielt 
der  Sohn  ein  gröfseres  Timar,  aber  noch  immer  kein  Siamet.  Ein  Timar 
konnte  nur  erhalten,  wer  Sohn  eines  Timarli  war;  jeder  mufste  von 
unten  beginnen  und  konnte  sich  nur  durch  kriegerische  Tugenden  empor- 
arbeiten.1) Daneben  gab  es  ein  noch  eigentümlicheres  Institut:  die 
Erziehung  geraubter  Knaben  zu  Kriegsleuten  oder  Staatsmännern  im 
Dienste  des  Reiches.  Von  fünf  zu  fünf  Jahren  wurden  aus  den  Knaben 
der  Christen  die  schönsten  und  kräftigsten  ausgehoben  und  vom  siebenten 
Lebensjahr  an  für  ihre  spätere  Bestimmung  erzogen.  Daneben  wurde 
den  besiegten  Völkern  der  »Knabensold«  auferlegt;  die  eingelieferten 
Knaben  wurden  entweder  nach  Natolien  gesandt,  wo  sie  bei  Bauern 
Dienste  leisteten  und  im  Islam  erzogen  wurden,  oder  im  Serai  behalten, 
wo  sie  Sklavendienste  verrichteten.  Die  begabtesten  kamen  in  die  Serais, 
von  denen  sich  zwei  in  Konstantinopel  und  je  eines  in  Adrianopel  und 
Galata  befanden.  Hier  wurden  sie  im  Lesen  und  Schreiben  unterwiesen. 
Aus  jenen,  die  zu  den  härteren  Arbeiten  verwendet  wurden,  wurde  das 
Fufsvolk,  die  Jeni-Tscheri,  d.  h.  die  neue  Truppe,  gebildet,  aus  denen, 
die  im  Serai  erzogen  wurden,  entweder  Spahis  gemacht,  die  aber  nicht 
belehnt  sondern  besoldet  wurden,  oder  Beamte,  die  von  den  untersten 
bis  zu  den  obersten  Würden  im  Staate  emporstiegen.  Sie  bildeten  mit 
den  eigentlichen  Türken  die  herrschende  Klasse  im  Staate.  Dem  osmani- 
schen  Volke  wurden  sonach  stets  neue  Kräfte  zugeführt.  Bei  der  Er- 
ziehung wurde  auf  die  vollständigste  Unterwürfigkeit  gesehen :  Der  Janit- 
schar  mufs  lernen,  seinen  eigenen  AVillen  ganz  aufzugeben.  Besafsen 
die  Osmanen  sonach  ein  ausgezeichnetes  Reiterheer  und  eine  in  jener 
Zeit  unübertroffene  Infanterie,  so  richteten  sie  schon  früh  auch  eine 
tüchtige  Pioniertruppe  ein  und  schufen  ebenso  eine  treffliche  Artillerie. 
Die  Ordnung  des  gesamten  Staates  war  eine  streng  militärische.  An 
der  Spitze  steht  mit  absoluter  Machtfülle  der  Sultan ;  ihm  standen  die 
»Säulen  des  Reiches«  zur  Seite:  der  Grofswesir  als  des  Sultans  Stell- 
vertreter in  weltlichen  Dingen  und  Vorsteher  aller  Zweige  der  Staats- 
verwaltung, dann  der  Kadiasker,  der  Heeresrichter  (seit  Mohammed  IL 
zwei),  die  Defterdars,  die  obersten  Rechnungsbeamten  (erst  zwei,  seit 
Mohammed  IL  vier),  endlich  die  Nischandschis,  die  Vorstände  des  Staats- 
sekretariats. Die  Thronfolge  war  ursprünglich  nach  dem  Seniorat  ge- 
regelt, bis  sich  allmählich  die  Tendenz  zur  Primogenitur  Bahn  brach : 
ps  geschah  dies  anfangs  durch  freiwilligen  Verzicht  der  Brüder  des  Sul- 
tans zugunsten  seines  ältesten  Sohnes.  Bajesid  I.  war  der  erste,  der 
seinen  Bruder  erdrosseln  liefs,  um  seinen  Söhnen  die  Nachfolge  zu 
sichern.  Fortan  wurden  bei  einem  Thronwechsel  die  Verwandten  des 
Sultans  mit  Ausnahme  seiner  eigenen  Söhne  getötet.  Dies  System  dauerte 
fort,  bis  im  19.  Jahrhundert  das  rechtlich  niemals  aufgehobene  Seniorat 
wieder  in  Kraft  trat.  Die  Christen,  soweit  sie  nicht  für  den  Militär- 
dienst ausgehoben  wurden,  bildeten  die  Rajah,  die  dienenden  Glieder  des 
osmanischen    Staatskörpers,    die    aufser    dem    Knabenzins    alle    andern 


*)  Kanke,  Osmanen,  SW.  XXXV,  5. 

39 


612  Die  Eajah. 

Lasten,  die  Kopfsteuer,  den  Zehent  usw.  zu  tragen  hatten,  hiebei  aber 
stets  den  Bedrückungen  der  Machthaber  ausgesetzt  waren.  Ihre  einzigen 
Vorteile  bestanden  darin,  dai's  sie  weder  auf  kirchlichem  noch  sprach- 
lichem Gebiet  Bedrückungen  ausgesetzt  waren.  Bedeutende  Volksteile 
der  Christen  traten  übrigens  zum  Islam  über,  so  die  Albanesen  und  der 
bosnische  Adel.  Verhältnismäfsig  selbständig  behauptete  sich  nur  das 
Gebiet  von  Tschernagora,  wo  Johannes  (1465 — 1490),  ein  Schwestersohn 
Skanderbegs,  dessen  Erinnerungen  lebendig  erhielt, 


IL  Teil. 


Das  Zeitalter  des  Humanismus  und  der  Ausbildung 

moderner  Staaten. 


1 .  Abschnitt. 

Der  Humanismus. 


1.  Kapitel. 

Die  Wiedererweckung  des  klassischen  Altertums. 

§  140.    Das  Fortleben  des  antiken  Geistes  im  Mittelalter. 

Der  erste  Humanist. 

Quellen.  Allgemeines.  Ein  Verzeichnis  des  einschlägigen  QuellenmateriaLs 
und  der  wichtigeren  Hilfsschriften  findet  sich  in  G.  Voigt,  Die  Wiederbelebung  des 
klassischen  Altertums  oder  das  erste  Jahrhundert  des  Humanismus.  H.  Bd.  S.  511 — 525, 
L.  Geiger,  Renaissance  und  Humanismus  in  Italien  und  Deutschland.  S.  564 — 580, 
Geiger,  Neuere  Schriften  zur  Geschichte  des  Humanismus.  HZ.  XXXIH,  49 — 125, 
in  den  Exkursen  zu  Jakob  Burckhardt,  Kultur  der  Renaissance,  1.  u.  2.  Bd.,  teil- 
weise auch  in  den  Anmerkungen  zu  Brandi,  Die  Renaissance  in  Florenz  u.  Rom, 
s.  die  Hilfsschriften,  sowie  die  Lit. -Notiz  in  Reumont,  Lorenzo  di  Medici  H,  593. 

Spezialschriften  zu  einzelnen  Humanisten:  Über  die  Quellen  zur  Gesch. 
Petrarcas  handelt  Körting,  Petrarcas  Leben  u.  Werke,  S.  1 — 40,  Geiger,  R  u.  H., 
S.  566.  Voigt,  Wiederbelebung  I,  20.  Potth.  II,  909.  Am  wichtigsten  sind  Petrarcas 
eigene  Briefe  (über  600).  Notizen  zu  seiner  Gesch.  finden  sich  auch  in  andern  seiner 
Werke.  An  einer  kritischen  Gesamtausg.  fehlt  es.  Die  erste  Ausgabe  der  Opera  er- 
schien 1494.  Am  häufigsten  werden  die  Baseler  Ausg.  v.  1554  od.  1581  zitiert  (s.  darüber 
A.  H  o  r  t  i  s ,  Scritti  inediti  di  F.  P.  Triest  1874).  Die  Briefe  zuletzt  von  F  r  a  c  a  s  s  e  1 1  i 
übersetzt  u.  herausg.  (s.  HZ.  XXXHI,  50).  Wichtig  ist  die  Epistola  ad  posteros. 
Die  (67)  poet.  Episteln  in  den  Poemata  minora  Fr.  P.,  quae  extant  omnia,  ed.  Rossetti. 
Mail.  1819 — 24.  Sonst  ist  einzelnes  anläfslich  der  Fünfhundertjahrfeier  seines  Todes 
publiziert  worden :  De  viris  illustribus,  ed.  Razzolini,  Africa,  ed.  Corradini ;  die  Rime 
sind  schon  1470  zu  Venedig  publiziert  worden.  (Neuere  Veröffentl.  s.  in  L.  Geiger, 
Ital.  Schriften  zur  Petrarcafeier.  Augsb.  AZ.  1875,  Nr.  38,  57,  58.)  Neue  Ausgabe  von 
Carducci,  Rime  di  F.  P.  sopra  argomenti  storici,  morali  e  diversi.  Livorno  1876. 
Deutsche  Übersetzungen  s.  bei  Geiger,  S.  566;  eine  Würdigung  einzelner  Schriften  bei 
E.  Feuerlein,  Petrarca  und  Boccaccio.  HZ.  XXXVHI.  Die  älteste  Biographie  Ps. 
stammt  aus  dem  14.  Jahrh.  Gedr.  bei  Tommasini,  Petrarca  redivivus.  Spätere  Bio- 
graphien s.  unten.  Zu  Boccaccio:  Bibliogr.  s.  bei  Schuck,  Bs.  lat.  Schriften  hist. 
Inhalts  NJ.  f.  Philol.  u.  Päd.  1874.    Hortis,    Studj    sulle  opere   lat.  di  B.    Triest  1879. 


614  Der  Humanismus  in  Florenz,  Rom,  Siena,  Venedig,  Padua 

Zambrini,  Bibliografia  Boccacesca.  Bologna  1876.  Ausgaben:  Die  Opera  volgari 
von  Moutier.  17  Bde.  Florenz  1827 — 3-4.  Le  lettere  edite  et  inedite  n.  Corazzini. 
Florenz  1877    s.  Voigt  II,  514). 

Der  Humanismus  in  Italien.  Florenz.  Zu  Coluccio  :  Linus  Colucius  Pierius, 
Epp.  ed.  Rigaccio  I,  H.  Flor.  1741 — 42.  Epistolario  di  Coluccio,  Salutati  a  cura  di, 
F.  Xovati.  Roma  1891.  Sonstige  Ausg.  Voigt  H,  522.  Xovati,  La  giovinezza  di 
Coluccio  Salutati.  Tor.  1888.)  Traversari,  Epp.  Ambrogii  Traversarii  ed.  Canneto-Mehus, 
Flor.  1759.  Beati  Ambrosii  Hodoeporicon.  Flor.  1680  Marsili,  Comento  a  una  canzone 
di  F.  Petrarca.  Bologna  1863.  Giovanni  da  Prato,  II  Paradiso  degli  Alberti,  a  cura  di 
A.  Wesselofsky  I — III.  Bologna  1867.  Franco  Sacehetti,  Werke,  Ausg.  v.  Gigli.  3  Bde. 
Florenz  1857 — 61.  Die  Geschichtschreiber:  Chroniche  di  Giovanni,  Matteo  e  Filippo 
Villani.  Trieste  1857 — 58.  (And.  Ausg.  bei  Potthast.)  Brunus,  Lionardus  Aretinus,  Rerum 
in  Italia  suo  tempore  gestarum  commentarius  seu  Libellus  de  temporibus  suis  1378 — 1440. 
Muratori  XIX,  913  —  942.  Historia  Fiorentina  seu  Historia  del  popolo  Fiorentino. 
Argentor.  1610.  Epistolarum  libri  VHI,  ed.  Mehus.  Flor.  1741.  (Anderes  bei  Voigt  II,  514. 
Poggius,  Fr.  Bracciolini,  Historia  Florentina  ab  origine  urbis  usque  ad  1455,  libri  VIII. 
Alurat.  XX.  Epistolae,  ed.  Thomas  de  Tonellis,  vol.  1—3.  Flor.  1832—1861  (s.  Voigt  H,  521  . 
Gino  Capponi,  Monumenta  hist.  de  rebus  Florentinorum  ab  anno  1378 — 1419.  Murat.  XVIII. 
Neri  Capponi,  Commentarj  di  cose  .  .  .  dal  1419—1456.  Murat.  XVIII.  G.  Cavalcanti, 
Istorie  Fiorentine  1420 — 1452,  ed.  Polidori,  vol.  1 — 2.  Fir.  1839.  —  Della  carcere  di  Cosmo 
de  Medici.  Flor.  1821.  Bernardus  Gricellarius  Rucellai),  De  bello  Italico  Caroli  VHI. 
Comm  ed.  Lond.  1733.  Macchiavelli,  Istorie  Fiorentine,  libri  VIH,  1215 — 1492.  Die  versch. 
Ausgaben  bei  Potthast,  I.  754 — 755.  II  principe.  Ausg.  ebenda.  Politianus,  Opera.  Basel  1553. 
Pactianae  coniurationis  comment,  Bas.  1553.  (And.  Schriften  bei  Geiger,  S.  570,  Lit.  bei 
Potth.  934.)  Zu  Cosimo  v.  Medici:  G.  M.  Philelphus  die  Ausgabe  der  Briefe  u.  Reden 
s.  bei  Voigt  II,  520'' :  Cosmiades  s.  de  laudibus  Cosmi  Med.  libri  duo.  Francesco  Filelfo  : 
Commentationum  Florentinarum  libri  tres  ad  Vitalianum  Borrhomaeum.  A.  Corsini,  de 
vita  C.  M.  patris  patriae.  N.  Valori,  Vita  di  Lorenzo.  Flor.  1568.  Vespasiano  da  Bisticci : 
Vite  di  uomini  illustri  del  secolo  XV  stamp.  da  Angelo  Mai  e  nuovamente  da  Adolfo  Bartoli. 
Firenze  1859.  —  Commentario  della  vita  di  Messer  Gianozzo  Manetti.  Torino  1862. 
Xaldi,  Vita  G.  M.  bei  Muratori  XX.  Bessarionis  Opera,  Migne  Ser.  Gr.  161.  Marsilii 
Ficini,  Opp.  Basel  1561.  Lorenzode'  Medici,  Opp.  4 Bde.  Flor.  1825.  Poesie  ed.  Carducci. 
Flor.  1859.  Joh.  Pici  Mirandulensis,  Opp.  Ven.  1498,  Basel  1572.  Ergänzungen  zu  den 
Flor.  Hist.  s.  Potthast  H,  1711. 

Rom:  Vespasianus,  Vitae  Eugenii  IV  et  Xicolai  V.  Murat.  XXV,  253—290. 
Manetti,  Vita  Xicolai  V,  libri  IV.  Murat.  IH,  2,  907—960.  Piatina,  Vita  Calixti  HI. 
Mur.  III,  2,  961—966.  Campanus,  Vita  Pii  pontificis.  Mur.  III,  2,  967—992.  Vita  Pauli  H, 
auctore  Gaspare  Veronensi,  Mur.  HI,  2,  1025 — 1050,  auctore  Michaele  Cannesio  de 
Viterbio,  ib.  933—1022.  Vita  Sixti  IV,  auct.  anon.  ib.  1053—1068.  Diarium  Rom.  urbis 
ab.  anno  1481 — 1492,  auct.  anonym.  Mur.  IH,  2,  1071 — 1108.  Enea  Silvio,  Opp.,  s.  oben. 
Zur  röm.  Historiogr.  s.  Piatina,  Opp.  Köln  1529  (Ranke,  S.  97).  Campanus,  Opp.  Ven.  1502. 
Jacobus  Volaterranus,  Diarium  Rom.  de  Xisti  IV  pontificatu  1472 — 1484.  Murat.  XXIH. 
Stephanus  Infessura,  Diarium  urbis  Romae  ab  anno  1294—1494,  ed.  Mur.  HI,  2,  1109 
bis  1252.  Burchardi,  Diarium  curiae  Rom.  s.  commentarius  rerum  urbanarum  1483  —  92, 
sub  Innocentio  VIH.  et  ab  a.  1492 — 1506,  sub  Alexandro  VI,  ed.  Eccard,  Corp.  hist.  II, 
p.  2017.  (S.  Piper,  Die  Originale  d.  D.  Burchardi.  RQSchChAlt,  IV).  Paris  de  Crassis, 
Diarium  Alex.  VI.  Mabillon,  Mus.  It.  H.  Petri  de  Godis  Vicentini,  Dialogon  de  con- 
juratione  Porcaria,  ed.  Perlbach  1879.  Alberti,  Opere  volgari,  ed.  Bonucci.  5  Bde. 
Flor.  1844.  Lebensbeschr.  Murat.  XXV,  295.  Laurentii  Vallae,  Opp.,  ed.  Basel  1540. 
Opuscula  tria,  ed.  Vahlen,  S.  Wien.  Ak.  61,  62.  Vegius  Mapheus,  Opusc.  sacra.  Max. 
Bibl.  patr.  XV.  Blondus  Flavius,  Opp.  Basel  1559.  Andere  Ausgaben  s.  bei  Potthast. 
Hieronymi  Aliotti  Aretinus,  Epp  et  opuscula,  ed.  Scarmclli,  Arezzo  1779.  Die  übrige 
Historiogr.  s.  Potth.  H,   1714. 

Für  Siena:  Enea  Silvio,  wie  oben.  Venedig  und  Padua:  Malipiero,  Annali 
Veneti  1457—1500.  Arch.  Stör.  It.  VII.  —  Chron.  Venet.  ==  Sanutus).  Mur.  XXIV. 
Bembus,  Hist  Venet.  1486-1513.  Ven.  1551.  Vita  Caroli  Zeni  1334-1418,  auct.  Jac. 
Zeno,  ib.  XIX  (Voigt  I,  416).    Justinianus,  Orationes  et  epistolae.  Ven.  1492.   Francesco 


und  den  übrigen  Staaten  Italiens,  Frankreichs  und  Deutschlands.  (>15 

Barbaro,  Epistolae,  Brixiae  1743.  —  Centotrenta  lettere,  ed.  Sabbadini.  Sal.  1884.  De 
re  uxoria  libelli  duo.  Paris  1513.  Vergerius,  Ilist.  Carrar.  prineipum.  Mur.  XVI.  Brief 
d.  Verg.  in  MM.  stör.  publ.  dalla  R.  Dep.  Ven.  di  storia  patria.  Ven.  1887.  Genua: 
Stella,  Georgiüs  et  Johannes,  Annal.  Genuenses.  Mur.  XVII.  Bracelli,  De  hello  His- 
pano  1422 — 44.  Ausg.  bei  Potthast  I,  168.  De  claris  Genuensibus  ap.  Sehott.  Ital. 
illustr.  641 — 648.  Liguriae  descriptio,  ib.  637.  (Vollst.  Verz.  der  Hist.  Venedigs,  Paduas 
und  Genuas  bei  Potth.  II,  1711—1715.) 

Die  übrigen  Staaten  Italiens:  Antonii  Panormitae,  De  dictis  et  factis 
Alfonsi  regis  Aragonum  libr.  IV,  ed.  Chytraeus.  Witeberg.  1585.  Die  andern  Schriften 
Beccadellis  s.  b.  Voigt  II,  513.  Trist.  Caraeciolo,  De  Fernando  .  .  .  eiusque  posteris 
Mur.  XXII.  Congiura  de'  baroni  del  regno  di  Napoli  contra  il  re  Ferdinando  I. 
Neap.  1859.  Regis  Ferdinandi  primi  instruetionum  liber  1486 — 1487.  Neapel  1861. 
Pontanus,  Opera.  Bas.  1538.  —  Corio,  Historia  di  Milano  558 — 1500,  ed.  E.  de  Magri. 
Mil.  1855  —  1858.  Decembrio,  Vita  Philippi  Mariae  Vicecomitis.  Murat.  XX,  985 
bis  1020.  —  Vita  Francisci  Sfortiae,  ib  1023—1046.  Simonetta,  Rerum  gestarum 
Francisci  Sfortiae  Med.  ducis  libri  31.  Murat.  XXI,  167—782.  Leodrisius  Cribellus, 
De  vita  rebusque  gestis  Sfortiae  ducis  et  initiis  filii  eius  Francisci  Sf.,  Murat.  XIX, 
627 — 732.  Filelfo,  s.  oben.  Ant.  de  Luschis,  Carrnina  quae  supersunt.  Patav.  1858. 
Barzizius,  Gasparinus  et  Guinifortus  filius,  Opp.,  Rom.  1723.  Auszüge  aus  Ant.  Ran- 
densis,  De  Lactantii  erratis.  Dialogi  tres  bei  Beck,  Dissert.  inauguralis  de  Orosii 
fontibus  etc.     Marburg  1832. 

Bembus,  Liber  de  Guid.  Ubaldo  Feretio  deque  Elisabetha  Gonzaga  Urbini  dueibus. 
Ven.  1530  (s.  auch  Bernbi  Opp.  Basel  1556\  Annales  Estenses.  Mur.  XX.  Diarium 
Ferrariense  ab  a.  1409 — 1502.  Mur.  XXIV,  173  -  408.  Epistolae  prineipum  et  illustrium 
virorum,  ed.  Donzelino.     Ven.  1574. 

Die  Staaten  jenseits  der  Alpen.  Die  Quellen  zur  politischen  Geschichte 
von  Deutschland,  England,  Frankreich,  Portugal  u.  Spanien  s.  §§  147 — 160. 

Zum  Humanismus  in  Frankreich.  Die  Schriften  Aillis,  Gersons  und 
Clemangis'  s.  oben.  Johannis  de  Monsterolio,  Epistolae  selectae  ap.  Martene  et 
Durand,  Vet.  Script,  et  Mon.  ampl.  collectio.  Paris  1724.  (Acht  neue  Briefe  in 
A.  Thomas,  De  Joannis  de  Monsterolio  vita  et  operibus.  Paris  1883.)  Für  England 
(s.  Voigt  II,  248 — 261):  Richardus  de  Bury,  Philobiblion  in  De  bibliothecis  nova  aeeepio. 
Helmstadt  1703  und  Thomas,  London  1888.  (Über  Chaucers  Beziehungen  zum  ital. 
Humanismus  s.  W.  Hertzberg,  Chaucers  Canterbury  Gesch  S.  42 — 45  und  Kifsner, 
Chaucer  in  s.  Beziehungen  zur  ital.  Literatur.  Marburg  1867.)  Für  Poggios  Aufenthalt 
in  England  s.  s.  Briefe.  —  Der  deutsche  Humanismus  kommt  vorwiegend  erst  mit 
dem  Beginn  der  Neuzeit  zur  Geltung  und  wird  daher  in  anderem  Zusammenhang 
eingehender  zu  behandeln  sein.  Die  Beziehungen  Karls  zu  Petrarca  s.  in  d.  Summa 
cancellariae  (Cancellaria  Caroli  IV),  ed.  Tadra.  Prag  1895.  Johannis  Noviforensis, 
Cancellaria,  ed.  Tadra.  Arch.  f.  ö.  G.  63.  Die  übrigen  Formulare  dieser  Zeit  s.  bei 
Dahlmann-Waitz-Steindorff  Nr.  2926  ff.  P.  P.  Vergerio,  s.  oben  Cyriacus  Anconitanus, 
Itinerarium,  ed.  Mehus.  Flor.  1742.  (Ciriaco  v.  A.  war  der  Führer  Sigmunds  in  Rom.) 
Aeneas  Sylvius,  s  oben.  Gregor  Heimburgs  Schriften:  Scripta  nervosa  iustitiaeque 
plena  (ed.  Goldast).  Frankfurt  1608.  Urkunden  zur  Gesch.  G.  Hs.,  Reden  und  Briefe 
Hs.  bei  Joachimsohn,  Gregor  Heimburg.  Bamberg  1891.  Über  die  Schriften  Georg 
Peuerbachs  s.  Aschbach,  Gesch.  der  Wiener  Univ.  S.  486  ff.,  über  die  von  Johannes 
Müller  aus  Königsberg  in  Franken  ebenda  S.  537  ff.  Johannis  Rabensteinensis,  Dialogus, 
ed.  Bachmann.  AÖG.  54  (dazu  Bachmann,  Bemerkungen  zu  Johanns  v.  Rabenstein 
Dialogus.  Prog.  d.  RGymn.  Prag  1877).  Briefe  des  Ariginus  in  Wattenbach,  Peter  Luder 
S.  58  ff.  Matthias  v.  Kemnat,  Chronik,  herausg.  v.  C.  Hoff  mann.  Quellen  und  Er- 
örterungen zur  bayrischen  u.  deutschen  Gesch.  II,  III.  Briefe  Peter  Luders  bei 
Wattenbach,  Peter  Luder,  der  erste  hum.  Lehrer  in  Heidelberg,  Erfurt,  Leipzig  und 
Basel.  Z.  f.  Gesch.  d.  Oberrh  XXII.  Schriften  Samuel  Karochs  von  Lichtenberg  bei 
Wattenbach.  Ebenda  XXVIII.  Sigmunds  Gossenbrot,  ebenda  XXV.  Briefe  des 
Laurentius  Blumenau  bei  G.  Voigt  in  den  Preufs.  Provinzialbl.  3.  F.  Bd.  IV,  242  und 
SS.  rer.    Prussic.   IV.     Hartmann    Schedel,    Chronicon    mundi    bis    1492.     Nürnb.  1492. 


616  Der  Humanismus  in  Deutschland,  Ungarn,  Polen  und  Böhmen 

Hist.  rer.  memorab.  1439 — 1460  in  Oefele  SS.  rer.  Boic.  I,  392.  Historia  de  illustribus 
principibus  Bavariae  bis  1477,  ed.  Freher  1602.  Andere  Schriften  bei  Potthast  Watten  - 
bach,  H.  Seh.  als  Humanist.  Forsch,  z.  d.  G.  XI,  S.  351).  Felix  Heinmerlin,  Opuscula, 
ed.  Seb.  Brant  1496.  Xikolaus  von  Cues,  De  concord.  cath.  libri  tres.  Bas.  1566. 
Andere  Werke  s.  bei  Scharff  unten.  Rudolfus  Agricola,  Opera.  Köln  1539.  Die 
weitere  Lit  gehört  schon  dem  Zeitalter  K.  Maximilians  an.  —  Briefe  des  Johannes 
Yitez  bei  Schwandtner,  SS.  rer.  Hung.  II  und  Pray,  Ann.  reg.  Hung,  Joannis  Yitez 
de  Zredna  episcopi  Yaradiensis  in  Hungaria  Orationes  in  causa  expeditionis  contra 
Turcas  habitae,  item  Aeneae  Sylvii  Epistolae  ad  eundem  exaratae  1453 — 1457,  ed. 
Fraknöi.  Budap.  1878.  Janus  Pannonius,  Poemata  p.  I.  Opusculorum  P.  H.  Trajecti 
ad  Rhenum  1784.  Analecta  ad  historiam  renascentium  in  Hungaria  literarum  speetantia, 
ed.  E.  Abel.  Budap.  1880.  Cod.  epistol.  saec.  XY,  ed.  Sokolowski  et  Szujski  MM. 
medii  aevi  historica  res  gestas  Poloniae  illustrantia.  t.  II).  Crac.  1876.  Dlugosz, 
Hist.  Polon  w.  oben. 

Hilf  s  schrift  e  n.  'Allgemeines.  Xoch  ist  das  Buch  von  Jakob  Burck- 
hard,  Die  Kultur  der  Renaissance  in  Italien,  2  Bde.  5  Aufl.,  bes.  v.  L.  Geiger, 
Leipzig  1896,  unübertroffen.  Es  greift  über  die  hier  zur  Behandlung  kommenden 
Partien  weit  hinaus.  (Italienische  Übersetzung  von  Yalbusa  mit  Zusätzen  von  Zippel. 
Florenz  1899."  Nicht  weniger  erfolgreich  war  das  Buch  von  Georg  Yoigt,  Die 
Wiederbelebung  des  klassischen  Altertums  oder  das  erste  Jahrhundert  des  Humanismus 
in  Italien  u.  Deutschland.  2  Bde.  3.  A.  Berlin  1893.  Ältere  Werke:  Erhard, 
Geschichte  des  Wiederaufblühens  wissenschaftlicher  Bildung  vornehmlich  in  Deutsch- 
land bis  zur  Reformation.  Bd.  1 — 3.  Magdeb.  1827 — 1832.  Meiners,  Lebens- 
beschreibungen berühmter  Männer  aus  den  Zeiten  der  Wiederherstellung  der  Wissen- 
schaften 1—3.  Zürich  1795—1797.  8.  auch  Yoigt  II,  S.  511 — 525.  Eine  gute  Dar- 
stellung des  ital.  und  deutschen  Humanismus  s.  in  L.  Geiger,  Renaissance  und 
Humanismus  in  Italien  u.  Deutschland.  Berlin  1882  ,  dort  S.  564  ff.  ein  Abrifs  über 
die  Literatur.  K.  Brandi,  Die  Renaissance  in  Florenz  und  Rom.  Leipzig  1900. 
2  A.  1903.  Symonds,  Renaissance  in  Italy.  5  Bde.  London  1875 — 1881.  Courajod, 
Los  veritables  origines  de  la  Renaissance.  Paris  1888.  E.  Gebhart,  Les  origines 
de  la  Renaissance  en  Italic  Paris  1879.  E.  Müntz,  Les  precurseurs  de  la  Renaissance, 
Paris  1882.  Burckhardt,  Der  Cicerone,  6.  Aufl.  v.  W.  Bode.  Leipz.  1893.  P.Yillari, 
Xiccolö  Macchiavelli  e  i  suoi  tempi.  2.  Aufl.  Milano  1895.  Übersetzt  von  Mangoldv 
Hettner,  Ital.  Studien,  Zur  Gesch.  der  Renaissance.  Braunschw.  1869.  Janitschek, 
Die  Gesellschaft  der  Renaissance  und  die  Kunst.  Yier  Yorträge.  Stuttg.  1879. 
G.  Invernizzi,  Storia  letteraria  d'Italia.  II  risorgimento  P.  I.  II  secolo  XV. 
Mailand  1878.  Tiraboschi,  Storia  della  letteratura  it  Y,  YI.  Milano  1823.  Settern- 
brini,  Lezioni  di  letteratura  it.  2.  ed.  3  Bde.  Xeap.  1869.  Gaspary,  Gesch.  d.  ital. 
Lit.  I,  H.  Berl.  1885—1888.  Cloetta,  Beit.  z.  Lit.-Gesch.  d.  MA.  u.  d.  Renaissance  I,  IL 
Halle  1890—92.  Schuck,  Zur  Charakteristik  der  ital.  Humanisten  des  14.  u.  15.  Jahrh. 
Bresl.  1857.  Zur  Einführung:  Xovati,  L'influsso  del  pensiero  Latino  sopra  la  civilta 
italiana  del  medio  evo.  2.  ed.  Mil.  1899  geht  nur  bis  ins  13.  Jahrh.  Die  Zeit 
Friedrichs  H.  ist  ihm  das  Zeitalter  der  ersten  Renaissance).  Fritz  Schultze,  Gesch. 
der  Philosophie  d.  Renaissance.     Kornelius  Gurlitt,  Gesch.  der  Kunst.    IL  Bd 

Die  ersten  Humanisten:  Yossler,  Dante  u.  die  Renaissance.  XHeid.  Jb.  XL 
Körting,  Petrarcas  Leben  u.  Werke  s.  oben.  Blanc,  Petrarca  in  Ersch  u.  Gruber, 
Real-Enzykl.  IH.  Ser.  Bd.  19.  Me  ziere  s,  Petrarque.  2.  ed  Paris  1878.  Geiger} 
Petrarca.  Leipz.  1874.  X  olha  c  ,  Petrarque  et  l'humanisine.  Paris  1892.  F.  X.  Kraus, 
Francesco  Petrarca  u.  s.  Briefwechsel.  Berl.  1896.  Feuerlein,  Petrarca  u.  Boccaccio. 
HZ.  XXXYIII,  193  ff  Alt.  Sehr.:  Baldelli,  Del  Petrarca  e  delle  sue  opere  libri 
quattro.  Firenzi  1797.  De  Sa  de,  Memoires  sur  la  vie  de  P.  3  vol.  Amst.  1764  —  67. 
Rossetti,  Petrarca,  Giul.  Celso  e  Boccaccio.  Trieste  1828.  Die  übrige  Lit.  s.  bei 
Geiger  S.  566.  —  Körting,  Boccaccios  Leben  u.  Werke  Gesch.  d.  Lit.  Italiens  H,  III). 
M.  Landau,  G.  Boccaccio,  sein  Leben  u.  seine  Werke.  Stuttg.  1877.  Hortis, 
Accenni  alle  scienze  naturali  nelle  opere  di  G.  B.  Trieste  1877.  —  Cenni  di  G.  B. 
intorno  a  Tito  Livio.  ib.  —  M.  T.  Cicerone  nelle  opere  del  Petrarca  e  del  Boccaccio, 
ib.  1878    —  Studj    sulle  opere  lat.  del  B.     Trieste  1879.     S.  noch:    Baldelli,   Yita  di 


Die  ersten  Humanisten  u.  der  Humanismus  diesseits  u.  jenseits  d.  Alpen.     (>17 

(i.  B.  Firenze  1806.  Bartoli,  I  precursori  del  rinascimento.  Flor.  1877.  Fioretto, 
Gli  umanisti  e  lo  studio  del  latino  e  del  greco  nel  secol.  XIV  in  Italia.  Verona  1881. 
Florenz  u.  die  übrigen  Republiken  italiens.  Zur  Geschichtschreibung 
von  Florenz  s.  Moreni,  Bibliografia  della  Toscana.  Fir.  1805.  Gervinus,  Hist. 
Schriften.  Frankf.  1833.  L.  v.  Ranke,  Zur  Kritik  neuerer  Geschichtschreiber. 
C.Hegel,  Über  die  Anfänge  der  Flor.  Geschichtschr.  HZ.  35,32.  S.  auch  Lorenz  II, 
283  ff.  Polit.  Gesch.:  Cipolla,  Storia  delle  Signorie  italiane  dal  1313  al  1530. 
Mil.  1881.  Perrens,  Histoire  de  Florence  depuis  la  domination  des  Medici  jusqu'ä 
la  chute  de  la  republique  (1434 — 1531).  Paris  1888.  Gino  Capponi,  Storia  della 
republica  die  Firenze.  2  Bde.  Flor.  1875.  Davidsohn,  Gesch.  v.  Florenz  I.  Berl.  1896 
(reicht  bis  ins  13.  Jahrh.)  Dazu :  Leo,  Gesch.  v.  It.  HI.  u.  IV.  Bd.  Ranke,  Hist.  Biogr.  Stud. 
Werke.  40.,  41.  Bd.  Sismondi,  Hist.  des  republiques  ital.  Bd.  IL  C  astein  au, 
Les  Medicis.  2  Bde.  Paris  1879  Fabroni,  Magni  Cosmi  Medicei  vita.  Pisa  1789. 
Knapp,  Piero  Cosimo.  Halle  1899.  Fabroni,  Laur.  Med.  magnifici  vita.  Pisa  1784. 
Roscoe,  Life  of  Lorenzo  de  M.  10  A.  Lond.  1851.  Roscoe,  Illustrations  historical 
and  critical  of  the  life  of  L.  d.  M.  1822.    A.  v.  Reumont,  Lorenzo  d.  M.  il  Magnifico. 

2  Bde.  2  Aufl.  Leipz.  1883.  Buser,  Lorenzo  d.  M.  als  Staatsmann.  Leipzig  1879. 
Buser,  Die  Bez.  der  Mediceer  zu  Frankreich  1434 — 1494.  Leipz.  1879.  (S.  auch 
Schnitzer  in  der  RQSchr.  XVI,  152.)  Lebey,  Essay  sur  Laurent  d.  Medici. 
Paris  1900.  Heyck,  Flor.  u.  d.  Mediceer.  1902.  Pöhlmann,  Die  Wirtschaftspol. 
der  Flor.  Renaiss.  Leipz.  1878.  Prezziner,  Storia  del  publ.  studio  di  Firenze. 
Flor.  1788.  Sieveking,  Gesch.  d.  plat.  Akad.  Göttingen  1817.  Über  die  medic. 
Bibl.  s.  Burckhardt  in  den  Exkursen  I,  313  ff.  (zugleich  auch  für  die  andern  Biblio- 
theken). Galeotti,  Saggio  intorno  alla  vita  ed  agli  scritti  di  Marsiglio  Ficino.  Arch. 
stör.  ital.  IX,  X.  Shepherd,  Life  of  Poggio,  it.  v.  Tonello.  Flor.  1825.  Vast,  Le 
cardinal  Bessarion  1403 — 1472.  Paris  1878.  W.  v.  Goethe,  Studien  über  das  Leben 
und  die  Zeit  des  Kardinals  Bessarion  1395 — 1472.  Weimar  1871.  Die  Schriften  zur 
TJnionsvers.  zwisch.  der  morgen-  u.  abendl.  Kirche  s.  oben.  Zur  Geschichtschreib. 
Venedigs  s.  Lorenz  II,  280  ff .  Von  neueren  Arbeiten :  Battistella,  La  repubblica  di 
Venezia  d.  sue  origini  alla  sua  caduta,  conferenze.  Bologna  1897.  Musatti,  La  storia 
pol.  di  Venezia  w.  oben. 

Die  monarchischen  Staaten:  Aufser  Leo  und  Gregorovius,  VII.  Gui- 
raud,  L'Eglise  et  les  origines  de  la  Renaissance.  Paris  1902.  Steinmann,  Rom 
in  d.  Ren.  Leipz.  1899.  A.  Graf,  Roma  nella  memoria  e  nelle  imaginazioni  del  medio 
evo.  2  Bde.  Turin  1883.  Pastor,  Gesch.  d.  Päpste  I,  IL  G.  Sforza,  Nikol.  V., 
übers,  v.  Horak.  Innsbr.  1887.  G.  Voigt,  Enea  Silvio  wie  oben.  E.  Müntz,  Les 
arts  ä  la  cour  des  papes.  2  Bde.  Paris  1878 — 79.  Friedländer,  Die  vatikanischen 
Schaumünzen  des  15.  Jahrh.  Berlin  1881—2.  A.  Heifs,  Les  medailleurs  de  la 
Renaissance.  Paris  1881 — 83.  Gabotto,  Lo  stato  Sabaudo  da  Amadeo  VIII  ad 
Emanuele  Filiberto  Torino  1892.  Hall  er,  Die  Belehnung  Renes  v.  Anjou  mit 
Neapel.  Rom  1901.  Zumpt,  Leben  u.  Verdienste  des  Lorenzo  Valla  in  Schmidts 
Z.  f.  Gesch.  IV.  Schwalm,  Lorenzo  Valla  Diss.  Rost.  1896.  Indagini  storiche,  artistiche 
e  bibl.  sulla  libraria  Viscontea,  Sforzesca  del  Castello  di  Pavia.  Mailand  1875. 
Rosmini,  Vita  e  disciplina  di  Guarino  Veronese.  3  Bde.  Brescia  1805 — 6.  Ros- 
mini, Vita  di  Fr.  Filelfo.  3  Bde.  Mail.  1808.  G.  da  Schio,  Sulla  vita  e  sugli  scritti 
di  Antonio  Loschi.     Padova  1858.     Dennistoun,    Historv    of   the    Dukes    of   Urbin. 

3  Bde.  Lond.  1853 — 54.  •  Ugolino,  Storia  dei  conti  e  duchi  di  Urbino.  Flor.  1859. 
Yriarte,  Rimini.    Paris  1882.     Einz.  s.  im  Anhang  unter  Nachträge. 

Die  Staaten  Jens.  d.  Alpen:  Egger,  L'Hellenisme  en  France.  Par.  1869. 
Müntz,  Nie.  de  Clemanges.  Strafsb.  1846.  Die  Biogr.  v.  Ailli  u.  Gerson  s.  oben. 
Lübke,  Gesch  d.  Ren.  in  Frankr.  Stuttg.  1885.  Deutschi.:  Die  Lit.  über  Karl  IV., 
Enea  Silvio,  Heimburg  u.  a.  s.  oben.  Vgl.  Joachim  söhn,  D.  hum.  Geschichtschreib, 
in  Deutschi.  Bonn  1895.  Frühhumanismus  in  Schwaben,  Württ.  Viertel] .  NF.  V.  Das 
meiste  gehört  d.  späteren  Humanismus  an.  Einzelheiten  bei  Geiger,  Humanismus. 
S.  574—80  u.  die  reiche  Lit.  in  Janssen,  G.  d.  D.  V.  I.  Nippold  in  d.  PKZ.  1887,  Nr.  50. 
Für  die  ältere  Zeit:  Hartfelder,  Z.  Gel.  Gesch.  Heidelbergs  am  Ende  d.  MA. 
ZGOberrh.     XLV.       Hermann,     Reception     d.     Hum.     in     Nürnberg.       Berl.    1898. 


(318  Fortleben  der  lat    Ideenwelt  im  MA.     Aufnahme  der  Antike. 

Priebatsch,  Geist.  Leb.  in  d.  Mark  Brandenb.  Forsch.  Brand. -Preufs.  G.  XII. 
Knepper,  National.  Gedanke  u.  Kaiseridee  bei  d.  Eis.  Human.  Freib.  1898.  Meister 
D.  hum.  Anfänge  d.  Xik.  Cues.  Ann.  Hist.  V.  Niederrh.  LXIII,  21.  Kopp,  P.  Yer- 
gerius.  HJb.  XVIII.  Hurbin,  Peter  v.  Andlau.  Abel,  D.  Biblioth.  d.  Matth.  Corv. 
Lit.  Ber.  Ung.  IL  Marki,  Matth.  Corv.  u.  d.  Ren.  Öst.Ung.  Rev.  XXV.  Fraknöi, 
D.  Gran.  Erzb.  Joh.  Vitez.  Budap.  1879.  Zeifsberg,  D.  pol.  Geschichtschr.  d.  MA. 
Leipz.  1873.     Truhlaf,  Pocatky  hum.  v.  Cechäch.     Prag  1892. 

1.  Der  Niedergang  der  päpstlichen  Macht  in  der  avignonesischen 
Zeit  und  ihr  völliger  Sturz  seit  dem  Ausbruch  des  Schismas  war  für 
das  ganze  Abendland  von  folgenschwerer  Bedeutung.  In  dem  von  den 
Päpsten  verlassenen,  durch  Parteikämpfe  zerrütteten  Italien  entstand  im 
14.  Jahrhundert  eine  Bewegung,  deren  Ziel  es  war,  das  versunkene 
Altertum  der  Hellenen  und  Römer  der  christlichen  Welt  wieder  zuzu- 
führen, seine  Wissenschaft  aufs  neue  zur  Geltung  zu  bringen,  seine 
Kunst  mit  der  des  christlichen  romantischen  Lebens  in  Einklang  zu 
bringen  und  die  Formenwelt  und  sinnliche  Schönheit  der  Antike  mit 
dem  Geist  der  Romantik  zu  vereinigen.1)  Der  Sieg  dieser  Bewegung 
bedeutete  einen  Bruch  mit  der  mittelalterlichen  Welt  und  eine  geistige 
Umwälzung,  jener  vergleichbar,  die  einst  der  Hellenismus  auf  den  Orient 
und  die  Kultur  Italiens  hervorgebracht  hatte !  —  Die  Erinnerung  an  die 
Zeit  der  Antike  war  in  Italien  niemals  verloschen.  Wie  einstens  Theo- 
derich seine  Goten  aufforderte,  der  Barbarei  zu  entsagen  und  altrömische 
Gesittung  anzunehmen2),  so  knüpfen  die  grofsen  Kaiser  des  Mittel- 
alters an  römische  Überlieferung  an,  und  auch  die  Bannerträger  der 
Demokratie,  ein  Arnold  von  Brescia  und  Cola  di  Rienzo,  berücken  die 
Volksmassen  Roms  durch  den  Zauber  der  Erinnerung  an  seine  glän- 
zende Vergangenheit.  Noch  sind  Institutionen  und  Bräuche  vorhanden, 
die  in  die  alte  Zeit  zurückreichen,  oder  es  wird  in  bewufster  Weise  An- 
lehnung an  diese  gesucht.  In  den  Tagen  Barbarossas  gewinnen  alt- 
römische Vorstellungen  vom  Staat  auf  die  Anschauungen  der  Zeit- 
genossen mächtigen  Einflufs ;  mitunter  nimmt  die  Kirche,  so  sehr  ihre 
Ideen  der  Antike  widerstreben,  die  alte  Bildung  in  Schutz3):  sie  bringt, 
was  das  wichtigste  ist,  Roms  Sprache  zu  allgemeiner  Geltung.  Spuren 
antiken  Geistes  begegnet  man  an  Fürstenhöfen  und  Bischofssitzen  und 
vornehmlich  in  Klöstern.  Altrömische  Rechtsbücher  stehen  im  Ansehen, 
das  Bild,  das  Einhard  von  Karl  dem  Grofsen  entwirft,  ist  in  Suetons 
Farben  gehalten,  Widukind  von  Corvey  und  Adam  von  Bremen  sprechen 
zu  uns  in  den  Worten  Sallusts.  Wird  hier  Ciceros  Prosa  und  dort 
Ovids  Kunst  nachgeahmt  und  geniefst  Virgil,  in  welchem  das  Mittel- 
alter einen  Propheten  des  Christentums  sah,  eine  Verehrung  ohne- 
gleichen, so  ist  diese  Nachahmung  bis  ins  14.  Jahrhundert  freilich  nur 
eine  äufserliche ;  erst  jetzt  wird  der  Zweck,  dem  die  alten  Klassiker 
dienen,  ein  anderer  als  etwa  der,  neuen  Inhalt  in  alte  Formen  zu  giefsen, 
Beispiele  für  die  Regeln  der  Grammatik  aus  ihnen  zu  suchen  oder  mit 
ihrer    Hülfe     Lücken    bestehender    philosophischer    oder     theologischer 


*)  Voigt,  S.  2. 

2)  Cassiod.  Yariae,  ed.  Mommsen,  lib.  III,  ep.  XVII. 

a)  Greg ,  Opp.  IY,  Kap.  49,  §  13, 


Auflehnung  gegen  die  Bevormundung  durch  die  Kirche.     Dante.  619 

Systeme  auszufüllen,  ungefähr  so,  wie  man  bisher  Reste  antiker  Tempel 
und  Paläste  für  neue  Bauten  verwendete.  Die  ganze  Lebensanschauung 
der  Antike  wird  jetzt  übernommen,  die  Hingebung  an  sie  ringt  sich 
durch  und  ihre  Ideale  werden  ins  Leben  der  Gegenwart  eingeführt. 
Diese  Bewegung  umfafst  nicht  blofs  das  römische,  sondern  auch  das 
bisher  vernachlässigte  griechische  Altertum.  Die  Welt  sagt  sich  von  der 
Anschauung  los,  der  die  alten  Klassiker  als  Feinde  des  Christentums 
gelten.  Die  neue  Richtung  lehnt  sich  gegen  die  Bevormundung  durch 
die  Kirche  im  allgemeinen  ebenso  auf  wie  im  besondern  gegen  die  der 
Theologie.  Neben  dieser  und  ihr  zum  Trotz  kommen  auch  die 
anderen  Wissenschaften  zu  voller  Entfaltung,  und  der  Grundsatz  freier 
unbehinderter  Forschung  bricht  sich  Bahn.  Die  Träger  der  neuen 
Richtung  gehören  nicht  mehr  dem  Klerus  allein  an;  die  Gelehrten 
nehmen  nach  den  von  der  Antike  gegebenen  Lehren  die  Bildung  des 
Menschen  in  die  Hand,  freilich  nicht  ohne  Überschätzung  der  neuen 
Ideale,  die  sich  oft  genug  in  Geringschätzung  vaterländischen  Wesens 
kundgibt.  Die  neue  Richtung  ging  von  Italien  aus,  wo  das  Zusammen- 
wirken von  Adel  und  Bürgerschaft  eine  Gesellschaft  herangezogen  hatte, 
die  sich  bildungsfähig  fühlte,  Mufse  und  Mittel  dazu  hatte  und  wo  sich 
auch  jene  Kräfte  fanden,  die  mit  Eifer  und  Leidenschaft  der  neuen 
Strömung  folgten. 

2.  Von  den  grofsen  Dichtern  Italiens  im  Mittelalter  steht  Dante 
noch  auf  dem  Boden  der  Scholastik.  Wiewohl  von  Ehrfurcht  vor  Roms 
Gröfse  erfüllt,  geht  er  noch  an  dessen  Denkmälern  achtlos  vorüber, 
die  antiken  Statuen  erscheinen  ihm  als  Götzenbilder,  und  wenn  ihn 
Virgil  »sein  Meister  und  Vorbild«  durch  die  Hölle  führt,  ist  er  ihm 
doch  nur  wie  ein  Lehrer  der  Kirche.  Indes  schon  an  Dante  sind  Seiten 
der  neuen  Richtung  erkennbar :  schon  laufen  in  seinem  grofsen  Gedichte 
antike  und  christliche  Stoffe  nebeneinander,  die  Sprache  seiner  Dich- 
tung ist  vor  allem  nicht  die  der  Kirche,  seine  Sehnsucht  ist  der  dichte- 
rische Nachruhm,  jenes  dem  antiken  Leben  abgelauschte,  dem  christ- 
lichen Ideal  völlig  fremde  Moment.  Noch  näher  an  die  Antike  treten 
die  Geschichtschreiber  und  die  Dichter  Italiens  in  der  Zeit  Heinrichs  VII. 
heran,  ein  Albertino  Mussato,  Ferreto  von  Vicenza  u.a.  Der 
erste  wirkliche  Humanist  ist  Francesco  Petrarca.  Am  20.  Juli  1304 
zu  Arezzo  geboren,  gehörte  er  zum  niederen  Adel  von  Florenz.  xAus 
demselben  Grund  und  an  demselben  Tag  wie  Dante  zog  Petrarcas  Vater 
in  die  Verbannung.  Als  Kind  kam  er  nach  Incisa  auf  ein  seiner 
Familie  gehöriges  Landgut,  dann  (1312)  nach  Pisa.  Das  Jahr  darauf 
übersiedelte  der  Vater  nach  Avignon,  das  als  Residenz  der  Päpste  er- 
werbslustige Italiener  anzog.  So  kam  Petrarca  in  die  Heimat  des  Trou- 
badours. Von  Avignon,  das  ihm  verhafst  war,  weniger  wegen  seiner  engen 
schmutzigen,  von  üblen  Gerüchen  erfüllten  Gassen,  als  weil  es  Roms 
Nebenbuhlerin  war,  sandte  ihn  sein  Vater  nach  dem  freundlich  gele- 
genen Carpentras.  Hier  wird  ein  Italiener,  Convenevole  da  Prato,  sein 
Lehrer  in  der  Grammatik  und  Rhetorik.  Bei  einem  Ausflug  nach  Vau- 
cluse    zur   Quelle    der    Sorgue    ist  er  von  der  Schönheit  der  Landschaft 


520  Petrarca,  der  erste  Humanist. 

derart  ergriffen,  dafs  er  gelobte,  einstens  daselbst  seine  Wohnstätte  auf- 
zuschlagen. Zum  Juristen  bestimmt,  ging  er  (1319)  nach  Montpellier, 
dann  (1323)  nach  Bologna ;  aber  schon  wandte  sich  seine  ganze  Liebe  der 
Antike  und  Poesie  zu.  Der  Tod  des  Vaters  rief  ihn  nach  Frankreich 
zurück,  die  Xot  des  Lebens  trieb  ihn  zum  geistlichen  Stande.  In  Avignon 
fand  er  mächtige  Gönner :  Giacomo  Colonna.  dessen  Bruder,  den  Kar- 
dinal; ihre  Unterstützung  enthob  ihn  drückender  Sorge,  in  ihrer  Um- 
gebung, unter  politisch  und  literarisch  bedeutenden  Männern,  fand  er 
Anregung  und  bald  auch  begeisterte  Anerkennung.  Freilich  war  sein 
Geist  nicht  zu  ruhigem  Verweilen  an  einem  Orte  geschaffen :  häufiger 
Wechsel  des  Aufenthalts  ist  ihm  Bedürfnis  und  das  wirksame  Motiv 
dazu  die  Hoffnung,  unbekannte  Handschriften  alter  Klassiker  aufzu- 
finden. Er  ist  nicht  der  erste  gewesen,  der  antike  Münzen  und  Me- 
daillen sammelt ,  wohl  aber  der  erste ,  der  in  ihnen  mehr  als  blofse 
Raritäten  erblickt.  Er  besucht  Paris,  die  Niederlande,  das  nordwestliche 
Deutschland.  Der  Gunst  der  Kurie  dankt  er  (1335)  ein  Kanonikat  in 
Lombes,  das  ihm  gestattet,  der  Dichtkunst  und  seinen  antiquarischen 
Studien  zu  leben.  In  jene  Zeit  fällt  seine  epochemachende  Tat:  die 
Besteigung  des  Ventoux.  Die  Freude  an  der  Schönheit  der  Erde,  die 
Empfänglichkeit  für  landschaftliche  Reize,  das  tiefe  malerische  Natur- 
gefühl ist  eine  Empfindung,  die  dem  Mittelalter  fremd  war  und  wohl  auch 
dem  Griechen  und  Römertum  fremd  gewesen  ist.  Kein  Mensch  hat  im 
frühen  Mittelalter  einen  Berg  bestiegen,  um  sich  an  einer  malerischen 
Fernsicht  zu  erfreuen.  Indem  Petrarca  den  Gipfel  des  Ventoux  ersteigt, 
erscheint  er  als  Apostel  einer  neuen  Zeit.1)  Vom  Ventoux  uns  —  unter 
seinen  Füfsen  schwebten  die  Wolken  —  sah  er  die  schneebedeckten 
Häupter  der  Alpen  in  den  geliebten  Fluren  Italiens  emporragen,  ihm 
unereichbar  fern  und  doch  so  nahe  scheinend,  als  könnte  er  sie  berühren. 
Bald  steht  er  mit  seiner  Begeisterung  für  die  Natur  nicht  allein:  nur 
wenige  Jahrzehnte,  da  verlegen  flandrische  Maler  die  heiligen  Vorgänge 
in  die  Umgebung  einer  frühlingsfrischen  Natur.2)  Wenn  Enea  Silvio 
die  Reize  italienischer  Landschaften  begeistert  schildert,  so  ist  es  Pe- 
trarcas Beispiel,  das  nachwirkt.  Petrarca  kam  erst  1336  wieder  nach 
Italien.  Die  ewige  Stadt  betrachtet  er  mit  dem  Enthusiasmus  des 
Humanisten,  nicht  mit  der  Begeisterung  des  frommen  Christen.  Mit 
Giovanni  Colonna  besteigt  er  die  riesigen  Gewölbe  der  Diokletiansthermen 
und  durchwandert  die  Ruinenfelder  der  Stadt.  Heimgekehrt,  empfindet 
er  Ekel  am  Treiben  Avignons.  Er  ersteht  ein  Gütchen  in  der  Vau- 
cluse.  Dort  hat  er  mit  Unterbrechungen  sechszehn  Jahre  geweilt  und 
seine  bedeutendsten  Werke  geschaffen.  Schon  besitzt  er  einen  Homer, 
freilich  ohne  ihn  lesen  zu  können;  darum  wendet  er  sich  dem  Studium 
des  Griechischen  zu.  Sein  Dichterruhm  wächst :  die  wenigen  Bruchstücke 
seiner  »Africa«,  welche  die  Heldentaten  des  >:  Sternen  Jünglings«  Scipio 
Africanus    schildert,    werden    von    der    begeisterten    Mitwelt    der   Aneis 


x)  Körting,  104  ff. 

2    Lübke,~  Kunstgeseh.  I,  282. 


Sein  Wirken  und  seine  Bedeutung.     Boccaccio.  621 

Virgils  an  die  Seite  gestellt.  Die  Grofsen  der  Welt  .finden  sich  bei 
ihm  ein:  an  einem  und  demselben  Tage  bieten  ihm  der  römische  Senat 
und  die  Universität  Paris  den  Lorbeer  als  Dichter.  Die  Anfänge  der 
Dichterkrönungen  im  Mittelalter  verlieren  sich  im  Dunkel.  Zu  einem 
festen  Ritual  ist  es  nicht  gekommen.  Petrarca  hatte  eifrig  um  die  hohe 
Ehre  geworben.  Er  entschied  sich  für  Rom.  Kein  geringerer  als  König- 
Robert  von  Neapel  hat  an  ihm  die  Krönung  vollzogen  (1341,  Ostern). 
Auch  mit  Kaiser  Karl  IV.  verkehrte  Petrarca.  Seine  Bestrebungen 
sein  Stil  und  seine  ganze  Denkweise  findet  am  Kaiserhof  Anklang.  Die 
Ideen  des  Humanismus,  deren  Träger  im  karolinischen  Zeitalter  Petrarca 
ist,  gewinnen  immer  mehr  Boden.  Ihm  gilt  nichts,  was  nicht  unmittel- 
bar auf  den  Menschen  Bezug  hat.  Er  verachtet  das  handwerksmäfsige 
Treiben  der  Scholastiker,  welche  die  Wissenschaft  als  Mittel  zum  Geld- 
erwerb betrachten.  Die  Universitäten  gelten  ihm  als  Nester  dünkel- 
haften Hochmutes.  Der  wahre  Gelehrte  ist  der  strebende  Mensch.  Er 
bekennt  sich  zu  einer  Kunst:  Tugend  und  Wahrheit.1)  In  Wirklichkeit 
nimmt  er  es  freilich  weder  mit  der  Tugend  noch  mit  der  Wahrheit 
genau,  und  als  Pf  runden  Jäger  stellte  er  immer  seinen  Mann.  Zu  Lebzeiten 
als  »Wunder  der  Schöpfung«  angestaunt,  kennt  ihn  die  Nachwelt  als 
grofsen  italienischen  Dichter,  aber  die  Mitwelt  schätzte  ihn  als  lateinischen 
Poeten,  denn  noch  hatte  sich  das  Italienische  nicht  zu  seiner  vollen 
Bedeutung  durchgerungen.  An  seinen  lateinischen  Dichtungen  hatte  er 
selbst  weitaus  gröfseres  Wohlgefallen  als  an  seinen  Sonetten  und  Kan- 
zonen.  Seine  Hauptaufgabe  erblickte  er  in  der  Auffindung  unbe- 
kannter Schriften  klassischer  Autoren,  und  diese  Richtung  hat  er  bis  zu 
seinem  Tode,  der  ihn  zu  Arquä  bei  Padua  am  18.  Juli  1374  ereilte, 
festgehalten. 

§  141.    Die  humanistischen  Wanderlehrer.    Die  grofsen  literarischen 

k  Entdeckungen  und  ihre  Folgen. 

1.  In  den  humanistischen  Bestrebungen  trat  Giovanni  Boccaccio 
freilich  mehr  als  ergebener  Schüler  denn  als  gleichberechtigter  Dichter 
Petrarca  zur  Seite.  Neun  Jahre  jünger  als  dieser,  liefsen  ihn  die 
(Dichtungen  Dantes  und  mehr  noch  der  Ruhm  Petrarcas  nicht  ruhen, 
dessen  Freundschaft  er  als  unverdiente  Gnade  betrachtet,  für  den  er 
Klassiker  abschreibt  und  mit  dem  er  die  Liebe  fürs  klassische  Altertum 
teilt.  Noch  Petrarka  hatte  bedauert,  dafs  Dante  in  italienischer  Sprache 
dichtete :  Boccaccio  sieht  es  schon  als  ehrenvolle  Aufgabe  an,  den  grofsen 
Dichter  zu  erklären,  sein  Andenken  lebendig  zu  erhalten.  Wie  Petrarka 
machte  auch  Boccaccio  den  Versuch,  das  Griechische  zu  erlernen.  Damit 
beginnen  die  griechischen  Studien  in  Florenz.  Von  seinem  berühmten 
Decamerone  hat  Boccaccio  wenig  gehalten,  es  ist  ja  nur  »tuscisch« 
geschrieben.  Seinen  Nachruhm  erwartet  Boccaccio  von  seinen  lateinischen 
Schriften.  Die  Nachwelt  hat  anders  geurteilt:  jenes  Werk,  das  so  sehr 
an  Chaucer  gemahnt,  bildet  heute  den  ganzen  Ruhm  des  Dichters.     An 

i)  Voigt  I,  69. 


622         Coluccio  Salutato.     Die  Wanderlehrer.     Manuel  Chrysoloras.     Poggio. 

die  klassischen  Studien  Petrarcas  und  Boccaccios  knüpft  Coluccio 
Salutato  an,  der  flor entmische  Kanzler  (f  1406),  der  in  seiner  Un- 
eigennützigkeit  und  männlichen  Stärke  den  Zeitgenossen  wie  ein  stoischer 
Held  aus  dem  Altertum  erschien.1)  Ein  Mann,  der  ganz  in  der  antiken 
Philosophie  aufging  und  wohl  nur  deshalb  als  Feind  der  Kirche  und 
ihrer  Dogmen  galt,  hat  er  den  Stil  Senecas  und  die  Staatsschriften  ein- 
geführt. Seine  Briefe  wurden  für  die  Kanzleien  der  italischen  Staaten, 
was  früher  die  Formelbücher  gewesen.  Im  Gesandtenverkehr  wird  neben 
dem  eleganten  Stil  florentinische  Höflichkeit  Mode. 

2.  Noch  Petrarca  sah  einen  jungen  Mann,  den  er  als  Schreiber 
verwendet  hatte,  Giovanni  di  Conversino,  als  Wanderlehrer  hinaus- 
ziehen; auf  die  Männer  der  Wiedererweckung  folgt  die  Generation  der 
herumziehenden  Lehrer,  der  wandernden  Schulen 2) :  Grammatiker  und 
Rhetoren  ziehen  von  Ort  zu  Ort  und  tragen  die  Begeisterung  für  das 
Altertum  in  weite  Kreise,  und  wie  die  Lehrer  von  einem  Katheder  zum 
andern  zogen,  reisten  auch  die  Schüler  umher,  um  hier  den  feinen  Stil, 
dort  die  Auslegung  eines  Autors,  hier  antike  Moral,  dort  die  Elemente 
des  Griechischen  zu  lernen.  Wie  Conversino  treibt  es  Giovanni  Mal- 
paghini,  dessen  Persönlichkeit  oft  genug  mit  der  Conversinos  ver- 
wechselt wird.  Auf  Coluccios  Betreiben  wurde  er  1397  nach  Florenz 
berufen,  um  hier  die  neuen  Wissenschaften  zu  lehren.  Noch  aber 
schöpfen  die  Bahnbrecher  der  neuen  Richtung  aus  zweiter  Hand :  die 
wahren  Quellen  des  Schönen  bot  erst  das  Griechische.  Schon  ziehen 
Jünglinge  und  Männer  nach  Konstantinopel  und  erscheinen  die  ersten 
Lehrer  des  Griechischen  in  Italien.  Als  Manuel  Chrysoloras  als 
Lehrer  des  Griechischen  nach  Florenz  berufen  wurde,  war  der  Andrang 
von  Schülern  ein  mächtiger.  Unter  diesen  waren  schon  Männer  von 
Ruf.  Bald  werden  die  Kosmographie  des  Ptolomäus,  einzelne  Schriften 
des  Aristoteles  übersetzt.  Von  Florenz  zieht  Chrysoloras  nach  Pavia, 
wo  er  Piatons  Republik  ins  Lateinische  übersetzte.  Nach  mannigfachen 
Reisen  erlag  er  während  des  Konstanzer  Konzils  einem  Fieber.  Seine 
Anregungen  waren  aufserordentlich  erfolgreich ;  bald  galt  es  in  gelehrten 
Kreisen  als  Schande,  nicht  Griechisch  zu  können.  In  der  glänzenden 
Versammlung  von  Kirchenfürsten  und  Gelehrten  zu  Konstanz  gehörten 
schon  viele  der  humanistischen  Richtung  an,  und  nicht  wenige  nahmen 
die  Anregung  zu  gleichem  Streben  mit  in  die  Heimat.  Die  literarischen 
Entdeckungen,  die  damals  in  Deutschland  gemacht  wurden,  nachdem 
Italien  bereits  durchforscht  war,  sind  höchst  bedeutend.  Die  Seele  der 
literarischen  Forschung  war  Poggio  Bracciolini.  Das  Sammeln 
wurde  überhaupt  mit  gröfster  Leidenschaft  betrieben.  Nicht  selten  sind 
hohe  geistliche  Würdenträger  literarische  Emissäre.  Zahlreiche  Hand- 
schriften mit  antiken  AVerken  werden  nun  in  deutschen  Klöstern  ent- 
deckt und  entlehnt.  Nicht  alle  fanden  den  Weg  wieder  zurück.  Allerdings 
waren  diese  Klosterbibliotheken  —  Käfige,  ergastula,  nennt  sie  Poggio  — 


*)  Voigt  I,  195. 
2)  S.  212. 


Lit.  Entdeckungen.     Anlage  von   Bibliotheken.  623 

in  grauenhafter  Weise  verwahrlost  und  für  die  alten  Schätze  Gefahr 
vorhanden,  noch  in  letzter  Stunde  zugrunde  zu  gehen.  Da  wurde  vieles 
gefunden,  wonach  man  in  Italien  vergebens  gesucht  hatte:  die  Institutionen 
Quintilians,  ein  Teil  der  Argonautica  des  Valerius  Flaccus,  die  Kom- 
mentare des  Asconius  Pedianus  zu  fünf  Reden  Ciceros,  ein  Kommentar 
zu  einem  Teil  der  Verrinen,  des  Manilius  Buch  über  die  Sternkunde, 
des  Statius  Wälder  usw.1)  Um  1430  war  man  ungefähr  zu  dem  Bestand 
lateinischer  Klassiker  gelangt,  wie  man  sie  heute  kennt.  Erst  jetzt  konnte 
man  die  römische  Literatur  als  Ganzes  übersehen.  Jetzt  begann  die 
mühevolle  Arbeit  der  Textverbesserung.  Auch  die  kirchliche  Literatur 
kam  nicht  zu  kurz ;  besonders  eifrig  wurde  nach  den  literarischen  Resten 
der  Griechenwelt  geforscht.  Bis  zur  Ankunft  des  Chrysoloras  kannte 
man  einige  Exemplare  des  Homer,  vereinzelte  Schriften  von  Plato  und 
Aristoteles,  jetzt  lernte  man  Thukydides,  Plutarch  und  Xenophon  kennen. 
Der  eifrigste  Sammler  war  Aurispa,  der  auf  seinen  Reisen  in  Griechen- 
land zahlreiche  altklassische  und  kirchliche  Bücher  erwarb  und  wohl 
auch  von  Manuel  mit  solchen  beschenkt  wurde.  Als  er  1423  in 
Venedig  erschien,  brachte  er  238  Bände  mit  sich,  die  fast  insgesamt 
heidnische  Klassiker  enthielten.  Er  besafs  fast  alle  Reden  des  Demosthenes, 
die  Werke  Piatos  und  Xenophons,  Diodors,  Strabos  u.  a.  und  manche 
Schrift  doppelt  und  dreifach;  ihm  eiferte  Francesco  Filelfo  nach. 
Je  näher  die  Türkengefahr  heranrückte,  um  so  eifriger  wurde  gesammelt 
und  gerettet.2)  Jetzt  erst  erhielten  auch  andere  Reliquien  aus  klassischer 
Zeit  ihre  Wertschätzung:  Ruinen  und  Statuen,  Inschriften,  Gemmen, 
Medaillen  und  Münzen.  Auch  hier  war  Poggio  Bahnbrecher.  Ihm 
folgte  Ciriaco  vonAncona,  der  »den  Kaufmannsberuf  in  den  Dienst 
der  Wissenschaft  stellte  und  nicht  jene  Agenturen  übernahm,  die  am 
meisten  Geld  eintrugen ,  sondern  bei  denen  er  seine  antiquarischen 
Forschungen  am  meisten  befriedigen  konnte«.3)  Er  war  Kaiser  Sigmunds 
Cicerone  in  Rom  und  meldete  klagend,  dafs  die  Römer  Marmorhäuser, 
Säulen  und  Statuen  zu  Gips  brannten,  so  dafs  die  Nachwelt  bald  keine 
Spur  der  alten  Zeit  mehr  finden  würde. 

3.  Fürsten  und  Private  wetteiferten  im  Streben  nach  dem  Erwerb 
alter  Handschriften.  Päpste,  wie  Nikolaus  V.,  bekannten  sich  offen  zu 
den  beiden  grofsen  Leidenschaften  der  Renaissance:  Büchern  und  Bauten. 
Kopisten  schrieben,  Späher  durchsuchten  für  ihn  die  halbe  Welt.  Dem 
Humanisten  Filelfo  bot  er  10000  Goldgulden  für  eine  würdige  Über- 
setzung Homers,  und  als  er  1455  starb,  bedauerte  er  nichts  so  sehr,  als 
die  Vollendung  dieses  Werkes  nicht  erlebt  zu  haben.  Nun  wurde  mit 
der  systematischen  Anlage  von  Bibliotheken  begonnen.  Schon  gab 
es  an  den  Universitäten  das  Institut  der  Stationarii,  die  den  Verkauf 
akademischer  Handbücher,  Summen  und  Glossen  besorgten.  Das  reichte 
für   die  Bedürfnisse    des   klassischen  Studiums   nicht   aus.      Die   meisten 


x)  Einzelheiten  ebenda  240  ff. 

2)  Voigt  I,  262  ff. 

3)  S.  269  ff. 


(324  Die  Mar'eiana  in  Florenz.     Die  Kritiker.     Lorenzo  Valla. 

Humanisten  mufsten  die  Klassiker  mit  eigener  Hand  kopieren,  auch 
wurden  nicht  einem  jeden  wertvolle  Handschriften  geliehen.  Der  erste 
Buchhändler  im  modernen  Sinne,  selbst  ein  Humanist,  Vespasiano  da 
Bisticci,  beschäftigte  gelegentlich  wohl  45  Kopisten  auf  einmal.  Die 
Bücher  waren  teuer.  Eine  Sammlung  von  19  Reden  Ciceros  kam  auf 
14  Dukaten.  Der  Dichter  Beccadelli  verkaufte  ein  Landgütchen,  um 
sich  in  den  Besitz  eines  Livius  zu  setzen.  Es  war  demnach  etwas 
Aufserordentliches,  wenn  ein  Mann  wie  der  Florentiner  Niccolö  de'  Niccoli 
eine  Sammlung  von  800  Bänden  zusammenbrachte.  Am  Abend  seines 
Lebens  verarmt,  hätte  er  sich  nicht  zum  Verkauf  seiner  Bücher  ent- 
schlossen. Er  galt  als  einer  der  besten  Kenner  antiker  Schriften,  seine 
Briefe  als  die  »Literaturzeitung  der  Humanisten«.  Er  war  es,  der  den 
von  Petrarca  ausgesprochenen  Gedanken  einer  öffentlichen  Bibliothek 
entschieden  betonte.  Seine  reiche  Büchersammlung  kam  durch  Cosimo 
von  Medici  an  das  Kloster  San  Marco.  So  entstand  die  erste  öffent- 
liche Bibliothek,  die  Marciana  in  Florenz.  Tommaso  Parentu- 
celli,  der  spätere  Papst  Nikolaus  V.,  ward  beauftragt,  einen  Kanon  zu 
entwerfen,  wie  eine  solche  Bibliothek  einzurichten  sei.  Er  ist  in  der 
Folge  selbst  der  Begründer  der  vatikanischen  Bibliothek  geworden. 
Neben  den  florentinischen  Klosterbibliotheken  war  die  mediceische  Haus- 
und  Privatbibliothek  von  grofser  Bedeutung.  Aus  der  Hinterlassenschaft 
von  Staatsmännern  und  Gelehrten  wurden  seltene  Schätze  erworben. 
Wie  Cosimo  begründeten  auch  andere  Florentiner  Büchersammlungen, 
und  ihrem  Beispiel  folgten  Siena,  Venedig,  Mailand  u.  a. 

4.  Der  Zeit  des  Sarnmelns  antiker  Schriften  folgte  die  der  kriti- 
schen Verarbeitung  des  Gefundenen.  Hierin  war  Lorenzo  Valla  der 
Bedeutendsten  einer.  Kein  gebürtiger  Römer,  denn  er  wurde  1407  zu 
Piacenza  geboren,  hat  er  sich  doch  mit  Vorliebe  einen  solchen  genannt, 
wie  er  denn  auch  in  Rom  zuerst  zur  Geltung  kam.  1442  trat  er  in  die 
Dienste  König  Alfonsos  von  Neapel.  Er  hat  zuerst  auf  die  groben 
Mängel  der  Vulgata  dem  griechischen  Urtexte  gegenüber  aufmerksam 
gemacht  und,  vielleicht  angeregt  durch  die  Bedenken  des  Nikolaus  von 
Cusa,  als  der  Erste  die  konstantinische  Schenkung  als  Fabel  hingestellt. 
Mit  dem  Hasse  des  Römers  gegen  die  Priesterherrschaft  erklärt  er  die 
Fürsten  für  berechtigt,  den  Papst  aus  seinem  weltlichen  Besitz  zu 
ATertreiben.  Trotz  solcher  Angriffe  zog  ihn  Nikolaus  V.  nach  Rom,  wo 
er  seine  Vorlesungen  abhielt.  —  Aufser  den  klassischen,  gewannen  nun 
auch  die  orientalistischen  Studien  Boden.  Hatte  schon  Dante  das 
Hebräische  geschätzt,  wenn  auch  schwerlich  verstanden,  so  suchten  sich 
nun  die  Gelehrten  dessen  gründliche  Kenntnis  anzueignen.1)  Poggio 
nahm  während  des  Konstanzer  Konzils  bei  einem  getauften  Juden 
Unterricht.  Der  Florentiner  Manetti  übersetzte  die  Psalmen  aus  dem 
hebräischen  Urtext.  Das  Hebräische  trat  allmählich  in  den  Dienst  der 
Kirche ,  hebräische  Handschriften  wurden  gesammelt  und  seit  1475 
hebräische  Bücher  gedruckt.     1488  wurde  ein  Lehrstuhl  des  Hebräischen 


x)  Burckhardt  I,  222  ff. 


Vernichtung  d.  Astrologie  als  Wissenschaft.  Die  bild.  Künste.  <  iiotto  u.  Pisano.   {'^) 

in  Bologna  und  1514  in  Rom  errichtet.  Von  christlichen  Gelehrten,  die 
sich  schon  im  15.  Jahrhundert  mit  dem  Hebräischen  abgaben,  war  Pico 
della  Mirandola  der  bedeutendste;  bedeutend  übrigens  auch  deswegen, 
weil  er  zuerst  gegen  das  einseitige  Hervorheben  des  klassischen  Altertums 
auftrat  und  die  Wissenschaft  und  Wahrheit  aller  Zeiten  verfochten  hat. 
Er  war  auch  der  erste,  der  die  Astrologie,  die  seit  Friedrichs  IL  Tagen 
immer  mehr  in  Aufnahme  kam,  als  Wissenschaft  vernichtete,  den  Stern- 
glauben als  Wurzel  aller  Gottlosigkeit  nachwies  und  eine  positive  christ- 
liche Theorie  über  Weltregierung  und  Willensfreiheit  vortrug,  die  auf 
die  Gebildeten  Italiens  grofsen  Eindruck  machte.1)  Er  war  der  erste, 
der  das  Gefundene  zu  allgemeinen  Resultaten  verwertete.  Geschah  dies 
zunächst  auf  theoretischem  Wege,  so  sollte  doch  auch  das  Praktische 
nicht  zu  kurz  kommen. 

§  142.    Die  Erweckung  des  Altertums  und  ihr  Einflufs  auf  die 
Künste  in  der  Zeit  der  Frührenaissance. 

1.  Die  Teilnahme  der  gebildeten  Kreise  Italiens  an  den  Bestrebungen 
der  Humanisten  führte  zunächst  zur  Nachahmung  klassischer  Dichter : 
Antike  Mythen  werden  weitergeführt  und  neue  ersonnen;  eine  neue 
bukolische  Dichtung  erwächst,  schliefslich  kommen  biblische  und  selbst 
zeitgenössische  Stoffe,  eine  Sfortias,  Borgias  usw.  und  didaktische  Werke 
an  die  Reihe.  In  antiken  Odenformen  werden  christliche  Heilige  gefeiert, 
der  elegischen  Form  wird  von  der  eigentlichen  Elegie  bis  zum  Epigramm 
herab  ein  grofser  Platz  eingeräumt.  Die  eigentliche  Pflegestätte  des  Epi- 
gramms, zumal  des  satirischen ,  ist  Rom.2)  Ja  die  Architektur  und 
Ornamentik  wird  geradezu  zur  Aufnahme  von  Inschriften  eingerichtet. 
Der  allgemeine  Umschwung  mufste  am  meisten  in  den  bildenden  Künsten 
sichtbar  werden.  Spät  genug  weckten  die  alten  Baudenkmäler  den  Sinn 
der  Künstler  für  die  Antike.  Es  bedurfte  erst  der  Bestrebungen  Petrarcas 
und  seiner  Schüler.  Die  Ruinen  aus  klassischer  Zeit  weckten  zuerst  nur 
den  Eifer  der  Archäologen  und  gaben  höchstens  noch  zu  sentimentalen 
Stimmungen  Anlafs.  Zudem  wurden  die  grofsen  Werke  antiker  Skulptur, 
wie  der  Laokoon  usw.,  erst  am  Beginn  der  Neuzeit  gefunden.  Erst  im 
16.  Jahrhundert  gelangte  unter  dem  Einflufs  des  Humanismus  und  der 
Einwirkung  der  antiken  Denkmäler  die  Kunst  der  Renaissance  zu  voller 
Entfaltung.  Um  1420  beginnt  sie  noch  in  engem  Anschlufs  an  die 
mittelalterlichen  Formen  und  Elemente  der  Konstruktion  ihren  Ent- 
wicklungsgang. In  der  Malerei  ist  Giottos  Weise  noch  im  15.  Jahrhundert 
mafsgebend.  Aber  Giotto  (f  1337)  selbst  ist,  wie  in  der  Bildhauerkunst 
Niccolö  Pisano  (f  1280),  schon  von  der  Antike  angeregt.  An  den  antiken 
Werken  lernte  Pisano  die  Darstellung  des  menschlichen  Körpers,  die 
umhüllende  nicht  versteckende  Behandlung  des  Gewandes,  die  Be- 
ziehungen einer  vordem  nur  als  Einzelheit  aufgefafsten  Gestalt  zu 
andern,  die  Bedingtheit  der  Bewegungen  nach  den  Gesetzen  einer  plan- 

*)  Adversus  astrologos  libri  XII,  S.  Burckhardt  II,  265  ff. 
2)  S.  299. 
Loserth,    Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  ^ 


526     Brunelleschi  u.  Donatello.     Ghiberti.      Klaus  Slüters.     Die  Eyck.     Alberti. 

mäfsigen  Linienführung  kennen.  So  hielt  sich  auch  schon  Giotto  mehr 
an  die  Natur,  an  die  Antike,  als  an  überlieferte  Formen.  Der  Falten- 
wurf ist  einfacher,  der  Gesichtsausdruck  bedeutender,  die  Bewegung 
sachlicher,  der  Hintergrund  durch  die  Landschaft  oder  grofse  Bau- 
denkmäler belebt.  Noch  findet  er  allerdings  nicht  das  rechte  Verhältnis 
vom  Menschen  zur  Umgebung,  die  Regeln  der  Verkürzung  in  der  Form 
sind  ihm  nicht  geläufig,  doch  sucht  er  schon  ein  Neben-  und  Hinter- 
einander zu  zeichnen.  Das  aber  ist  noch  das  Geringere :  der  gewaltige 
Einflufs,  der  von  ihm  ausgeht,  liegt  in  der  inneren  Beseelung,  in  der 
Unmittelbarkeit  des  Empfindens.1) 

2.  Die  Humanisten-Dichter  und  -Gelehrten  hatten  die  antiken  Mo- 
numente mit  den  Augen  der  Dichter  oder  als  Archäologen  betrachtet. 
Jetzt  zogen  Philippo  Brunelleschi  (1377 — 1446)  und  Donato  di  Betto 
Bardi,  genannt  Donatello  (1386 — 1466),  nach  Rom  und  zeichneten  und 
mafsen  an  den  alten  Monumenten,  jener  der  Schöpfer  der  ersten  frei- 
gewölbten Spitzkuppel,  grofs  in  seinen  Kirchenbauten,  gewaltiger  noch 
in  seinen  Schlofsbauten,  dieser  neben  Ghiberti  (1378 — 1455)  und  mit 
ihm  einer  der  gröfsten  Plastiker  aller  Zeiten.  Fand  Brunelleschi  die 
Regeln  alter  Formgebung,  so  fügte  Donatello  noch  die  Erkenntnis  hinzu, 
dafs  die  Natur  die  Vorbedingung  echter  Kunst  sei.2) 

3.  Zu  diesen  Ergebnissen  waren  unabhängig  von  den  italienischen 
Künstlern  auch  schon  Franzosen,  Niederländer  und  Deutsche  gelangt. 
Wie  die  italienischen  Fürstenhöfe,  so  waren  auch  die  niederländisch- 
französischen Fürstenhäuser,  vor  allen  andern  Burgund,  Pflanzstätten  der 
Kunst,  an  denen  aufser  der  Malerei  und  Bildnerei,  das  Kunsthand- 
werk, die  Bildweberei,  der  Bronzegufs  u.  a.  zu  früher  Entfaltung  ge- 
langten. Die  Statuen  Klaus  Slüters  (j  1404)  am  Mosesbrunnen  der 
Kartause  zu  Dijon  sind  in  Haltung  und  Ausdruck  von  einer  Wahrheit, 
wie  sie  die  Welt  seit  einem  Jahrtausend  nicht  gesehen  hatte.  Mit  diesem 
Brunnen,  hat  man  wohl  gemeint,  beginnt  die  moderne,  auf  Ergründung 
des  Menschentums  sich  aufbauende  Kunst,3)  Die  niederländischen 
Maler  Hubert  und  Jan  van  Eyck  schufen  die  vollendetesten 
Schöpfungen  ihrer  Art  im  Mittelalter.  In  ihren  religiösen  Empfindungen 
sind  die  Eyck  noch  innerlicher  als  Slüter.  Sie  rieben  die  Farben,  um 
sie  tieftöniger,  leuchtender  und  wärmer  zu  machen,  mit  Ol  an.  Ge- 
waltig ist  der  Fortschritt  in  der  Perspektive.  Die  Kunst  der  Ölmalerei 
wurde  noch  in  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  in  Italien  bekannt.  Dort 
waren  mittlerweile  förmliche  Lehrbücher  der  bildenden  Künste  erschienen. 
Im  Jahre  1435  widmete  Leone  Battista  Alberti  sein  Büchlein  della 
pittura  dem  Filippo  Brunelleschi.  Dort  findet  sich  der  Satz:  »Jener 
Narzissus,  der  sein  Ebenbild  im  Wasser  sah  und  vor  der  Schönheit 
seines  Bildes  erbebte,  war  der  erste  Erfinder  der  Malerei.-  Das  ist  der 
neue  Geist,  der  die  Künstler  belebt :  Studium,  Beobachtung,  Darstellung 
der  Dinge    um    ihrer    selbst    willen.      Die  Schönheit    ist  dieser  Zeit  die 

*)  Nach  Kornelius  Gurlitt,  Gesch.  der  Kunst  I,  576 — 582. 
8)  Ebenda  II,  36. 

3)  H,  24/25. 


Die  Lehre  v.  d.  Perspektive.     Masaccio.     Die  Gesellschaft  in  Italien.  627 

charakteristische  Wirklichkeit.  Das  Eigenartigste  und  Schönste  bleibt 
der  Menschheit  stets  der  Mensch.1)  Alberti  gibt  einen  Abrifs  der  Lehre 
von  der  Perspektive  und  den  Farben.  Er  legt  dem  Künstler  die  Ana- 
tomie der  Körper  ans  Herz.  Die  Architektur  ist  ihm  die  wahrhaft 
soziale  Kunst,  denn  sie  einigt  die  Menschen,  führt  sie  zusammen,  erfreut 
und  erhebt  sie.  Was  Alberti  über  die  Malerei  lehrte,  hatte  Masaccio 
(1401 — 1428)  bereits  in  die  Wirklichkiet  umgesetzt;  denn  er  gab  den  Szenen 
und  Figuren  zuerst  die  rechte  Tiefe.  Er  beherrschte  die  Perspektive  der 
Linien  und  der  Luft,  und  in  das  neue  Medium  setzte  er  zuerst  ganz  körper- 
hafte Gestalten.  Die  folgenden  Generationen  von  Künstlern  bis  auf  Michel 
Angelo  pilgerten  zu  seinen  Werken,  um  zu  lernen.2)  Der  Anschlufs  an 
das  Leben  und  die  Wirklichkeit  tritt  immer  kräftiger  hervor.  Bei  den 
Werken  eines  Ghirlandajo  (1449 — 1494)  denkt  man  weniger  an  das 
in  ihnen  Dargestellte  aus  dem  Leben  des  hl.  Johannes  oder  der  Gottes- 
mutter als  an  das  Florentiner  Leben  im  15.  Jahrhundert.  Immer  steht 
die  Darstellung  des  Menschen,  wie  er  lebt,  im  Vordergrund.  An 
Verrocchio  (1435 — 1488),  dem  die  wunderbare  Reiterstatue  des  Col- 
leone  in  Venedig  zugeschrieben  wird  und  dessen  Art  zahlreiche  Künstler 
beeinflufste,  knüpfen  schon  Perugino  und  Lionardo  da  Vinci  an, 
deren  Wirksamkeit  wie  die  der  gesamten  Renaissance,  die  hier  nur  in 
ihrem  Zusammenhang  mit  den  Bestrebungen  um  die  Erweckung  des 
klassischen  Altertums  gestreift  werden  kann,  in  anderem  Zusammenhang 
geschildert  werden  mufs. 

§  143.    Die  Gesellschaft  in  Italien  im  Zeitalter  des  Humanismus. 

1.  Für  die  Aufnahme  der  humanistischen  Ideen  war  der  Boden 
nirgends  besser  vorbereitet  als  in  Italien.  Alle  Staaten,  Republiken  und 
Signorien,  erwiesen  sich  als  ihre  eifrigen  Förderer.  Zudem  war  Italien 
von  den  anarchischen  Zuständen  und  den  Religionskämpfen  des  deutschen 
Reiches  im  14.  und  15.  Jahrhundert  ebenso  verschont  geblieben,  wie 
von  den  schweren  auswärtigen  Kriegen,  in  die  Frankreich,  England  und 
Kastilien  verwickelt  waren  :  gegen  diese  hatten  die  italienischen  Kämpfe 
nur  geringe  Bedeutung.  Vom  Kaisertum  tatsächlich  unabhängig,  konnten 
sich  die  Staaten  Italiens  in  ihrer  eigenartigen  Weise  weiter  entwickeln.  In 
zahlreichen  Städten  Ober-  und  Mittelitaliens  fand  sich  eine  betriebsame 
Bürgerschaft,  die,  reich  durch  Gewerbe  und  Handel,  auch  an  den 
literarischen  und  künstlerischen  Bestrebungen  der  Zeit  lebhaften  Anteil 
nahm.  An  den  Höfen  der  Signoren  entsteht  ein  neues  Leben,  in  dessen 
Mittelpunkt  neben  dem  Fürsten  die  bedeutendsten  Vertreter  des 
Humanismus  stehen.  Das  Ideal  eines  solchen  Fürsten  hat  Petrarca  ge- 
zeichnet3): er  soll  nicht  Herr  seiner  Bürger  sondern  Vater  des  Vater- 
landes sein  und  jene  wie  seine  Kinder  lieben,  ihnen  nicht  Furcht  sondern 
Liebe  einflöfsen,  sie  nicht  mit  Waffengewalt  beherrschen  sondern  mit 
Wohlwollen    regieren.      Petrarca   verlangt,    dafs    er  für   alles    und   jedes 

1)  Brandi,  S.  78. 

2)  Brandi,  S.  86. 

3)  Für  das  Folgende  s.  Burckhardt  I,  S.  15  ff. 

40  • 


628  Fürstenideal  u.  Wirklichkeit.     Schwinden  der  Kastenunterschiede. 

sorge,  selbständig,  dabei  bescheiden  und  einfach  regiere,  die  Kirchen 
und  die  öffentlichen  Gebäude  herstelle  und  erhalte,  strenge  Gerechtig- 
keit übe,  die  Steuern  so  ausschreibe  und  verteile,  dafs  das  Volk  ihre 
Notwendigkeit  begreife,  die  Armen  und  Kranken  unterstütze,  den 
tüchtigsten  Gelehrten  Schutz  und  Umgang  widme ,  wofür  diese  für 
seinen  Nachruhm  sorgen.  Nur  wenige  der  italischen  Gewaltherrscher 
des  14.  und  15.  Jahrhunderts  entsprachen  freilich  diesem  Ideal.  Ist 
ihre  Macht  eine  kleine,  so  wird  sie  beständig  von  der  des  stärkeren 
Nachbars  bedroht:  sie  werden  gezwungen,  die  Mittel  des  Tyrannen  aus- 
findig zu  machen,  um  sich  zu  behaupten,  doch  sind  sie  keinen  Augenblick, 
nicht  einmal  vor  ihren  eigenen  Angehörigen,  sicher.  Ihr  pomphaftes  Auf- 
treten erregt  den  Neid.  Einzelne  gebärden  sich  gleich  den  schrecklichsten 
unter  den  römischen  Imperatoren.  Meist  sind  es  kraftvolle  Naturen,  mit- 
unter gute  Feldherren  und  Staatsmänner.  Mit  der  politischen  Illegitimität 
der  meisten  italienischen  Fürstenhäuser  hängt  es  zusammen,  dafs  legitime 
Geburt  als  etwas  Gleichgültiges  betrachtet,  zwischen  legitimen  und  illegi- 
timen Kindern  kein  wesentlicher  Unterschied  besteht.  Als  PiusII.  zum  Kon- 
grefs  von  Mantua  reiste,  ritten  ihm  in  Ferrara  acht  Bastarde  des  Hauses  Este 
entgegen.  Die  Zweckmäfsigkeit,  die  Geltung  des  Individuums  und  seines 
Talentes,  sind  mächtiger  als  Gesetze  und  Bräuche.  Es  ist  die  Zeit,  da  die 
Söhne  der  Päpste  und  die  Kondottieren  ihre  Fürstentümer  gründeten. 
Gegen  diese  neu  erstandene  Fürstenmacht  schien  jeder  Widerstand  ver- 
geblich. Der  Adel,  auch  wo  er  noch  Besitz  hat,  hat  keine  politische  Macht, 
und  die  alten  Parteinamen  verlieren  ihre  Bedeutung.  Wenn  sich  nun  aber 
die  Fürsten  auf  das  Beispiel  der  alten  Imperatoren  berufen,  so  halten 
sich  auch  ihre  Gegner  das  Beispiel  der  Tyrannenmörder  des  Altertums 
vor  Augen.  Einen  Radikalismus  in  den  Massen  gab  es  aber  nicht, 
ein  jeder  suchte,  so  gut  als  es  ging,  mit  den  neuen  Gewalten  auszu- 
kommen. 

2.  Unter  solchen  Verhältnissen  erhielt  das  gesellschaftliche  Leben 
in  Italien  ein  anderes  Aussehen.  Die  alten  Kastenunterschiede  schwin- 
den. Für  die  höhere  Geselligkeit  gibt  es  einen  gebildeten  Stand  im 
modernen  Sinne;  auf  ihn  haben  Geburt  und  Herkunft  nur  noch  Ein- 
flufs,  wenn  sie  mit  ererbtem  Reichtum  und  mit  gesicherter  Mufse  ver- 
bunden sind.1)  Das  Zusammenwohnen  der  Adeligen  und  Bürgerlichen 
in  den  Sädten  seit  dem  12.  Jahrhundert,  in  denen  zumeist  auch  die 
Bischöfe  ihren  festen  Sitz  hatten,  bahnte  eine  Annäherung  beider  an; 
die  Zeit  der  absoluten  Tyrannenmacht  förderte  sie,  bis  es  als  förmlicher 
Grundsatz  galt,  dafs  nur  persönliches  Verdienst,  nicht  Abstammung 
über  den  Wert  des  Menschen  entscheide.  Das  französische  und  englische 
Ritterleben  auf  dem  Lande  oder  gar  das  deutsche  Raubrittertum 
wird  hier  als  etwas  Unadeliges  betrachtet.  Der  italienische  Adel  ver- 
kehrt mit  den  Bürgern  auf  dem  Fufse  der  Gleichheit,  und  wenn  für  die 
Hofstellungen  in  den  Fürstenhäusern  adelige  Herkunft  verlangt  wird, 
geschieht  es,    um    dem  Vorurteil   der   Menge  entgegenzukommen,    nicht 


J)  Burckhardt  II,  87. 


Schriftsprache.     Anteil  der  Frauen.      Verfall  von  Religion   u.  Sitte.  (>29 

weil  ein  Nichtadeliger  nicht  denselben  Wert  hätte.  Das  Auftreten  der 
Menschen  in  den  Städten  Italiens,  ihre  Erscheinung  und  Wohnung,  ihre 
Tracht  und  ihr  Verkehr  mit  andern,  ihre  ganze  Lebensart  ist  feiner 
als  in  den  anderen  Ländern  des  Westens.  Die  Sprache,  die.  seit  dem 
13.  Jahrhundert  an  den  Höfen  und  bei  den  Dichtern  gebräuchlich  ist 
und  deren  Grundlage  das  Toskanische  bildet,  wird  zur  Schriftsprache 
und  als  solche  allgemein  verstanden.  In  den  Kreisen  des  Hofes,  bald 
auch  in  denen  der  Bürger,  kommt  die  höhere  Form  der  Geselligkeit  in 
Aufnahme,  die  nicht  zuletzt  durch  die  Rolle  gekennzeichnet  ist,  welche 
die  Frau  einnimmt.  An  den  Bestrebungen  des  Mannes  hat  auch  sie 
ihren  Anteil:  auch  sie  mufs  nach  einer  in  jeder  Hinsicht  vollendeten 
Persönlichkeit  streben/  Das  Ruhmvollste,  das  von  den  Bedeutendsten 
von  ihnen  gesagt  wird,  ist,  dafs  sie  einen  männlichen  Geist  und  ein 
männliches  Gemüt  hätten.1)  Das  Hauswesen  wird  mit  der  gröfsten 
Sorgfalt,  fast  als  Kunstwerk  aufgebaut2),  die  Liebe  zum  Landleben  tritt 
auch  unter  den  Städtern  stark  hervor,  daneben  aber  auch  die  Freude  an 
festlichen  Aufzügen  jeder  Art.  Die  Einwirkungen  der  Antike  machten  sich 
schliefslich  und  vornehmlich  auch  in  Religion  und  Sitte  bemerkbar. 
Gewifs  hat  sie  an  der  grofsen  Demoralisation,  die  man  zu  Ende  des 
15.  Jahrhunderts  in  Italien  wahrnimmt,  bedeutenden  Anteil.  Indem 
zunächst  an  die  Stelle  des  mittelalterlichen  Lebensideals,  der  Heiligkeit, 
das  der  Antike :  historische  Gröfse  tritt,  ist  alles  geneigt,  historische 
Gröfsen  auch  in  Fehlern  und  Verbrechen  nachzuahmen3);  die  Fehler, 
an  denen  die  italienische  Gesellschaft  krankt,  werden  vergröbert: 
Selbstsucht,  Spiel-  und  Rachsucht  und  Verletzung  der  Heiligkeit  der 
Ehe  nehmen  überhand,  und  der  Frevelsinn  wird  ein  allgemeiner  und 
tritt  am  stärksten  an  den  Höfen  der  Fürsten  und  selbst  der  Päpste  in 
die  Erscheinung:4)  In  den  oberen  Kreisen  des  Volkes  herrscht  der  Un- 
glaube, in  den  mittleren  und  niederen  der  Aberglaube ;  die  Geistlichkeit 
ist  ihrer  Laster  wegen  verachtet,  das  Mönch  tum  wird  von  den  Novel- 
listen mit  dem  schärfsten  Hohn  behandelt,  und  die  Inquisition  hat  bei 
der  allgemeinen  Strömung  ihre  alte  Macht  verloren.  Die  das  Laster  des 
Klerus  am  schärfsten  geifseln,  sind  zumeist  selbst  Geistliche.  In  dieser 
Umgebung  erhebt  sich  am  Ausgang  des  Mittelalters  die  grofse  Gestalt 
Savonarolas  :  andererseits  wendet  sich  die  historische  Kritik  jener  Zeit 
selbst  auch  schon  den  Urkunden  des  christlichen  Glaubens  zu,  der  Zweifel 
wird  allgemein,  selbst  der  an  die  Unsterblichkeit  der  Seele,  und  richtet 
sich  so  naturgemäfs  gegen  die  Dogmen  der  christlichen  Kirche. 


x)  Burckhardt,  S.  124. 

3)  Näheres  ebenda  S.  128  ff. 

3)  S.  75. 

4)  Die  Zusammenfassung  des  it.  Charakters  jener  Zeit,  ebenda  S.  198. 


630  Florenz  im  XV.  Jahrhundert.     Die  Medici.     Cosimo. 


2.  Kapitel. 

Der  Humanismus  in  den  einzelnen  Staaten. 

§  144.    Der  Humanismus  in  den  Republiken  Italiens. 

1.  Reicher  als  irgend  eine  andere  Stadt  Italiens,  denn  hier  befan- 
den sich  die  stärksten  Geldmächte  des  14.  und  15.  Jahrhunderts,  war 
Florenz,  auch  die  Heimat  der  politischen  Doktrinen  und  Theorien 
jener  Zeiten.1)  Die  Parteikämpfe,  deren  Heftigkeit  und  Wechsel  schon 
Dante  beklagte,  dauerten  ungeschwächt  fort.  Noch  unter  dem  Eindruck 
der  Erhebung  Karls  IV.  ward  (1347)  das  Gesetz  erlassen,  dafs  kein  Ghi- 
belline  in  Florenz  ein  Amt  erlangen  dürfe,  und  wiewohl  die  Furcht  vor 
der  Wiederkehr  eines  Kaisers  ghibellinischer  Richtung  unbegründet  war, 
wurde  diesem  Gesetz  (1357)  noch  die  Einrichtung  des  »Ammonierens« 
angefügt,  bei  dessen  Handhabung  im  Interesse  der  herrschenden  Partei 
niemand  im  Staate  seines  Lebens  und  Eigentums  sicher  war.  An  der 
Spitze  einer  Verschwörung,  die  sich  (1360)  dagegen  bildete,  stand  Bar- 
tolomeo  de'  Medici.  Sein  Geschlecht  war  kein  altes;  zuerst  hatte  Ardingo 
dei  Medici  das  Amt  einer  Gonfaloniere  bekleidet  (1296).  Bartolomeo 
wurde  durch  seinen  Bruder  gerettet.  Achtzehn  Jahre  später  erhoben 
sich  die  niederen  Klassen,  die  Ciompi, 2)  gegen  die  welflsche  Aristokratie, 
aus  der  die  Albizzi  die  Herrschaft  an  sich  reifsen  wollten.  Unter  den 
Vorkämpfern  für  die  Sache  des  Volkes  steht  jetzt  das  Haus  Medici. 
Den  Grund  zu  der  späteren  Macht  dieses  Hauses  legte  Giovanni  de' 
Medici.  Durch  Handel  reich  geworden,  ein  Freund  des  Volkes,  ohne 
dessen  Schmeichler  zu  sein,  war  er  bereits  der  mächtigste  Mann  des 
Staates.  Als  er  1429  starb,  hinterliefs  er  seinen  Söhnen  Cosimo  und 
Lorenzo  nebst  ungeheuren  Reichtümern  die  Lehre,  den  Palast  der  Sig- 
norie  nicht  als  ihr  Haus  zu  betrachten.  Cosimo,  ein  tüchtiger  Geschäfts- 
mann, blieb  auch  in  den  Tagen  des  höchsten  Ruhmes  seiner  Stellung 
als  Kaufmann  eingedenk.  Wohl  hatte  er  1433  unter  dem  Einflufs  der 
Albizzi  in  die  Verbannung  ziehen  müssen,  wurde  aber  schon  1434  zurück- 
berufen und  erhielt  (1435)  das  Amt  eines  Gonfaloniere.  Seine  Gegner 
wurden  nun  nach  Florentiner  Art  gleichfalls  rücksichtslos  verfolgt.  Die 
Aufrichtung  seiner  Herrschaft  geschah  aber  doch  so  vorsichtig,  dafs  sie 
den  Neid  nicht  weckte :  die  Signorie  und  die  andern  wichtigen  Amter 
wurden  mit  treuen  Anhängern  besetzt;  da  er  sich  wohl  trefflich  auf  die 
äufsere  Politik  und  die  innere  Verwaltung,  weniger  auf  das  Kriegshand- 
werk verstand,  zog  er  den  Meister  der  damaligen  Kriegskunst,  den  Kon- 
dottiere  Francesco  Sforza,  auf  seine  Seite.  Das  Ziel  seiner  Politik  war 
die  Sicherung  der  Hegemonie  von  Florenz  in  Toskana  und  die  Macht- 
vergröfserung  der  Stadt,  so  dafs  sie  imstande  war,  zwischen  Mailand  und 

*)  Burckhardt  I,  75. 

2)  Verächtlicher  Ausdruck  aus  Compäre,  d.  h.  Gevatter,  Schwager. 


Machtstellung  Cosimos.     Seine  Liebe  zu  Wissenschaft  und  Kunst.  631 

Venedig  im  Norden,  Rom  und  Neapel  im  Süden  das  Gleichgewicht  auf- 
recht zu  halten.  Die  benachbarten  Territorien  sollten  durch  freiwilligen 
Anschlufs  oder  durch  Unterwerfung  in  die  Abhängigkeit  von  Florenz 
gebracht  werden.  Dies  Ziel  wurde  nicht  vollständig  erreicht,  da  Lucca 
bei  Mailand  Hilfe  fand  (1438).  Dagegen  setzten  Cosimos  Reichtümer 
ihn  in  die  Lage,  Ortschaften  und  ganze  Landstriche  durch  Pfandschaft 
oder  Kauf  zu  erwerben  und  so  das  Gebiet  der  Republik  abzurunden. 
Die  Versuche  der  Verbannten,  wie  der  Familie  Albizzi  (1444)  oder  der 
gegnerischen  Parteien  in  der  Stadt  selbst,  Cosimo  zu  stürzen,  führten 
nur  zur  Befestigung  seines  Regiments,  indem  eine  Anzahl  von  Familien 
von  den  Stadtämtern  ausgeschlossen  und  die  Ernennung  zu  den  Venner- 
und  Priorenstellen  von  wenigen  abhängig  gemacht  wurde.  Trotzdem 
alle  Formen  der  Republik  bestehen  blieben,  war  Cosimos  Stellung  eine 
monarchische ;  sein  Ansehen  kam  selbst  in  grofsen  europäischen  Fragen 
zur  Geltung.  Er  hinderte  die  Ausdehnung  der  mailändischen  Macht 
über  "Bologna  und  trat  Neapel  entgegen,  als  es  nach  Mittelitalien  über- 
greifen wollte.  Als  mit  Neri  di  Gino  Capponis  Tod  (1455)  die  letzte 
Opposition  gegen  ihn  schwand,  konnten  die  zu  seinen  Gunsten  getroffenen 
Mafsregeln  wieder  aufgehoben  werden.  Wer  es  aus  den  Reihen  des 
Florentiner  Adels  noch  versuchte,  auf  eigene  Faust  Politik  zu  treiben, 
sah  sich  nicht  blofs  von  den  Staatsämtern  ausgeschlossen,  sondern  auch 
in  seinem  Besitz  bedroht.  Als  Cosimo,  von  Alter  und  Krankheit  be- 
drückt, sich  von  den  Geschäften  zurückzog,  gewann  sein  Anhänger  Luigi 
Pitti  eine  gröfsere  Machtstellung.  Die  ganze  Zeit  seines  Wirkens 
wandte  Cosimo  seine  volle  Liebe  den  Wissenschaften  und  Künsten  zu. 
Mit  fürstlicher  Freigebigkeit  wurden  Kirchen  und  Klöster  bedacht  und 
Bauten  aufgeführt:  alles  zur  Zierde  der  Stadt,  und  doch  ein  wichtiges 
Mittel  für  die  Erweiterung  der  Macht  seines  Hauses. 

Seine  offene  Hand  und  der  Glanz,  den  er  über  die  Stadt  ausgofs,  liefs  ver- 
gessen, dafs  er  Herr  und  die  Republik  als  solche  ein  Schatten  geworden.  Indem  er 
Gelehrte  und  Künstler  unterstützte,  dem  Talente  Stellung  und  Sold  anwies,  verlangte 
er  für  sich  keine  Anerkennung,  nahm  aber  den  Weihrauch,  der  ihm  gestreut  wurde, 
willig  entgegen.1)  In  dem  Literatenkreis,  dessen  Mittelpunkt  er  war,  sieht  man  aufser 
Niccoli,  den  Staatskanzler  Lionardo  Bruni,  nach  seiner  Heimat  Aretino  genannt,  be- 
kannt durch  seine  Übersetzung  griechischer  Autoren,  mehr  noch  durch  seine  Floren- 
tiner Geschichten,  den  Kanzler  Marsuppini,  den  gelehrten  Camaldulenser  Traversari, 
dessen  Kloster  ein  Sammelpunkt  von  Freunden  klassischer  Bildung  war,  Mannetti, 
Poggio  u.  a.  Gering  ist  der  Anteil  der  Hochschule  an  den  humanistischen  Studien, 
doch  wirkte  immerhin  Filelfo  daselbst,  bis  er  sich  wegen  seiner  Beteiligung  an  der 
gegen  Cosimo  gerichteten  Bewegung  von  1433  ins  Exil  begeben  mufste.  Während  des 
Florentiner  Konzils  fanden  sich  griechische  Gelehrte,  der  Jünger  Piatos,  Gemisthos 
Plethon,  der  sich  in  seinen  kirchlichen  Anschauungen  ganz  dem  Heidentum  zuwandte, 
und  der  Kardinal  Bessarion  ein.  Auf  des  Ersteren  Anregung  ward  die  platonische 
Akademie  gestiftet.  Cosimo  starb  über  65  Jahre  alt  am  1.  August  1464. 

2.  Sein  Erbe  war  sein  Sohn  Pietro  (1464—1469).  Seine  Talente 
waren  geringer  als  die  seines  grofsen  Vaters  oder  die  seines  grösseren 
Sohnes.      Gleichwohl   kannte   ihn   nach    Macchiavellis    Worten  die  Welt 

*)  Voigt  I,  295. 


(332  Pietro  Medici.     Lorenzo  der  Prächtige  und  seine  Politik. 

zu  wenig:  »erst  verdunkelte  ihn  sein  Vater,  dann  seine  Krankheit«. 
Ein  Versuch  der  von  den  Mediceern  zurückgedrängten  Familien,  ihn  im 
Bunde  mit  einzelnen  ihrer  bisherigen  Anhänger  zu  stürzen,  nahm  ein 
klägliches  Ende.  Nach  Pietros  Tode  wurde  Lorenzo  (1469 — 1492) 
Haupt  der  Familie  und  mit  seinem  Bruder  Giuli an o  Herr  des  Staates. 
Noch  Pietro  hatte  dessen  Gebiet  durch  den  Kauf  von  Sarzana  abge- 
rundet. Grofsen  Einflufs  gewann  Tommaso  Soderini,  eine  starke 
Stütze  der  beiden  Brüder,  deren  Herrschaft  freilich  nicht  unangefochten 
blieb.  Die  Verbannten,  an  ihrer  Spitze  Bernardo  Nardi,  suchten  sich 
von  Prato  aus  den  Weg  in  die  Heimat  zu  bahnen  (1470).  Dieser  Auf- 
stand ward  ebenso  leicht  unterdrückt  wie  jener  von  Volterra,  das  sich 
die  Einmischung  der  Florentiner  in  ihre  Angelegenheiten  nicht  gefallen 
lassen  wollte  (1472).  Gefährlicher  war  der  Aufstand  der  reichen  Floren- 
tiner Familie  Pazzi  (1478),  die  unter  Cosimo  zu  dessen  eifrigsten  An- 
hängern gehörten  und  aus  denen  sich  Guilelmo  mit  einer  Tochter  Pietros 
vermählt  hatte.  Allmählich  erkalteten  die  Beziehungen  beider  Häuser; 
schliefslich  kam  es  zu  offener  Feindschaft,  die  für  das  Haus  Medici  ge- 
fährlich war,  weil  einer  der  Pazzi,  Francesco,  Hofbankier  des  Papstes 
Sixtus  IV.  war  und  dieser  selbst  den  Mediceern  grollte,  als  sie  seinen 
Plänen,  die  unmittelbare  Herrschaft  über  den  Kirchenstaat  zu  erhalten, 
in  den  Weg  traten.  In  Rom  und  in  Neapel  wurde  am  Sturz  der  Medi- 
ceer  gearbeitet.  Weil  dies  bei  ihrem  starken  Anhang  in  Florenz  auf 
gesetzlichem  Wege  nicht  möglich  war,  kam  es  zu  einer  Verschwörung. 
Lorenzo  und  Giuliano  sollten  bei  einem  Gastmahl,  und  als  dies  wegen 
des  Nichterscheinens  Giulianos  vereitelt  wurde,  in  der  Kirche  getötet 
werden.  Es  gelang  aber  nur,  Giuliano  zu  morden;  Lorenzo  entkam 
(1478,  2.  Mai),  und  nun  wurde  ein  schreckliches  Strafgericht  über  die 
Verschwörer  gehalten.  Wohl  liefsen  der  Papst  und  Neapel  ihre  Truppen 
in  Toskana  einrücken,  aber  der  Krieg  endete,  ohne  dafs  Florenz  eine 
Einbufse  erlitt.  Die  Verfassungsänderung,  durch  welche  die  Florentiner 
dies  Verdienst  Lorenzos  belohnten,  befestigte  vollends  die  mediceische 
Herrschaft.  Eine  Ratsversammlung  von  70  Bürgern,  Anhängern  Lorenzos, 
erhielt  die  Entscheidung  in  allen  öffentlichen  Angelegenheiten,  verfügte 
über  Amter  und  die  Gelder  des  Staates,  die  später  in  einem  Moment, 
als  das  Haus  Medici  vor  dem  finanziellen  Zusammenbruch  stand,  zu 
dessen  Rettung  verwendet  wurden.  Die  Politik  Lorenzos  war  eine  fried- 
liche. Seine  Klugheit  verschaffte  ihm  die  Führerrolle  in  Mittelitalien. 
Den  gröfsten  Ruhm  erwarb  er  durch  die  Unterstützung  von  Gelehrten 
und  Künstlern.  In  seiner  Umgebung  weilen  Dichter  und  Maler.  Ge- 
lehrte und  Künstler  verehrten  in  ihm,  der  selbst  Dichter  war,  ihren 
Meister.  Nach  Florenz  zog  nun,  wer  auf  feine  Bildung  Anspruch  erhob, 
und  von  allen  Seiten  wandte  man  sich  dahin,  um  Gelehrte  und  Künstler 
zu  gewinnen.  Das  bezeichnendste  ist ,  dafs  es  Florentiner  Gelehrte 
waren,  die  zu  dem  grofsen  Unternehmen  des  Kolumbus  beitrugen.  Ein 
halbes  Jahr  nach  dem  Tode  Lorenzos  (1492,  8.  April)  erfolgte  die  Ent- 
deckung Amerikas.  —  Geringfügig  waren  die  Einwirkungen  des  Huma- 
nismus auf  Siena,  die  Vaterstadt  des  grofsen  Humanisten  Enea  Silvio. 


Die  Glanzzeit  Venedigs.  (533 

Der  unablässige  Kampf  der  Parteien  einerseits,  die  Furcht  um  die  poli- 
tische Selbständigkeit  des  republikanischen  Gemeinwesens  andererseits, 
stand  hier  dem  Gedeihen  dos  Humanismus  im  Wege. 

3.  Trotz  des  unbestrittenen  Ansehens  der  Republik  Florenz  seit 
dem  letzten  Viertel  des  14.  Jahrhunderts  ist  doch  die  politische  Bedeu- 
tung Venedigs  höher  einzuschätzen.  Unter  schweren  Kämpfen  be- 
gründeten die  Venezianer  ihre  Seeherrschaft  im  Adriatischen  Meer  und 
überwanden  die  Versuche  Francesco  Carraras  von  Padua,  sein  Gebiet 
von  Venedigs  Handelsherrschaft  zu  befreien.  Die  Glanzzeit  Venedigs 
beginnt  nach  dem  glorreichen  Krieg  von  Chioggia  (1378 — 1381)  gegen 
Genua  und  die  mit  diesem  verbündeten  Mächte:  Ungarn,  Padua  und 
Aquileja.  Wichtige  Erwerbungen  werden  auf  friedlichem  Wege  gemacht. 
Als  Corfu  sich  von  Neapel  lossagte,  schlofs  es  sich  freiwillig  an  Venedig 
an  (1387).  Argos  und  Nauplia  wurden  gewonnen,  indem  es  die  Be- 
sitzerin gegen  eine  Jahresrente  abtrat.  Auf  dem  norditalischen  Fest- 
land tritt  Venedig  das  Erbe  der  de  la  Scala  und  Carrara  an,  freilich 
nicht  ohne  blutige  Kämpfe  und  schwere  Gewalttat  gegen  das  Haus  Car- 
rara, dessen  letzter  Herrscher  mit  zwei  seiner  Söhne  in  einem  veneziani- 
schen Kerker  erdrosselt  wurde  (1406).  So  gewann  Venedig  Verona  und 
Vicenza,  Padua,  Bafsano,  Feltre  und  Belluno,  wozu  in  den  Kämpfen 
gegen  Ungarn  reicher  ErwTerb  in  Friaul  und  Dalmatien  hinzukam,  so 
dafs  es  schliefslich  alle  Küsten  des  Adriatischen  Meeres  von  den  Mün- 
dungen des  Po  über  Venetien,  Friaul,  Istrien,  Dalmatien  bis  Albanien 
in  den  Händen  hatte.  Negroponte  und  der  Osten  Moreas  gehörten  zu 
seinem  Besitzstand.  Im  Kampfe  gegen  Mailand  wurden  Brescia  und 
Bergamo  (1428)  und  in  der  Mitte  des  Jahrhunderts  auch  Ravenna  er- 
worben. Im  Hinblick  auf  diese  Kämpfe  konnte  Venedig  an  eine  wirk- 
same Verteidigung  seiner  levantinischen  Interessen  nicht  denken.  Im 
Inneren  wurde  die  oligarchische  Verfassung  immer  schärfer  ausgebildet. 
Die  humanistischen  Studien  fanden  in  der  Stadt,  der  Petrarca  und  ein 
Jahrhundert  später  auch  Bessarion  ihre  Büchersammlungen  schenkten, 
geringe  Förderung.  Verglichen  die  Zeitgenossen  Florenz  mit  dem  peri- 
kleischen  Athen,  so  war  man  geneigt,  in  Venedig  ein  zweites  Sparta  zu 
sehen,  dessen  Bürger  keinen  andern  Ehrgeiz  kennen  als  die  Gröfse  ihrer 
Republik,  die  ihrerseits  auf  der  Sicherheit  ihrer  Stapelplätze  und  der 
Fülle  der  Arsenale  beruhte.  Daher  hatten  hier  humanistische  Ideale 
keine  Heimat. x)  Die  Republik  brauchte  politische  und  militärische,  nicht 
schöngeistige  Talente,  und  es  verschlägt  nichts,  ob  diese  ihr  Können  durch 
das  Studium  oder  durch  die  Praxis  erworben  haben.  Die  Hochschule 
hatte  man  in  Padua,  das  schon  unter  dem  Hause  Carrara  eine  grofse 
Anziehungskraft  namentlich  auch  auf  die  deutsche  Jugend  ausübte.  Nicht 
so  günstig  lagen  die  Dinge  in  Verona,  wo  die  venezianische  Regierung 
gleichfalls  eine  Art  von  Hochschule  einrichtete.  Noch  weniger  als  in 
Venedig  konnte  für  Wissenschaften  und  Künste  in  Genua  eine  Pflege- 
stätte geschaffen  werden,  da  dessen  Wettkampf  mit  Venedig  damit  endete, 


*)  Voigt  I,  412  ff. 


634  Genua.     Der  Humanismus  in  Rom.     Xikolaus  V.  und  Kalixtus  III. 

dafs  es  sich  erst  den  Franzosen  (1396),  dann  den  Mailändern  in  die 
Arme  warf  (1436),  sich  auf  kurze  Zeit  selbständig  behauptete  und  schon 
1458  wieder  unter  französische  Schutzherrschaft  trat. 


§  145.    Der  Humanismus  in  Korn,  Neapel  und  Mailand. 

1.  Martin  V.  und  Eugen  IV.  hatten  die  Aufgabe,  den  Kirchen- 
staat wieder  aufzurichten,  glücklich  gelöst.  Für  die  Förderung  huma- 
nistischer Studien  bekundeten  sie  wenig  Sinn,  doch  gab  es  an  der  Kurie 
Männer  genug,  die  als  Freunde  und  Gönner  des  Humanismus  galten : 
Flavio  Biondo  widmete  Eugen  IV.  seine  Roma  instaurata,  eine 
Vergleichung  des  alten  mit  dem  neuen  Rom,  Nikolaus  V.  die  Italia 
(Uustrata,  eine  Beschreibung  des  alten  Italien,  und  Pius  II.  die 
Borna  triumplians,  »das  erste  Handbuch  der  römischen  Staats-  und  Privat- 
altertümer«.1) Dafs  die  Versuche  Lorenzo  Vallas,  am  päpstlichen  Hofe 
Fufs  zu  fassen,  lange  vergebliche  sein  muisten,  ist  nach  seiner  früheren 
Haltung  der  Kurie  gegenüber  begreiflich.  Und  doch  kam  auch  für  ihn 
die  Zeit,  da  er  willkommen  geheifsen  wurde;  das  war,  als  Thomas 
Parentucelli,  ein  Gelehrter,  vor  allem  ein  Redner  ersten  Ranges,  als 
Nikolaus  V.  (1447 — 1455)  den  päpstlichen  Stuhl  bestieg.  Er  erhielt 
die  oberste  Würde  der  Christenheit  in  der  Zeit,  als  das  Schisma  erlosch, 
die  Resignation  des  Konzilspapstes  Felix  V.  und  schliefslich  die  Auf- 
lösung des  Konzils  von  Lausanne  erfolgte.  Die  Befestigung  des  Kirchen- 
staates machte  nunmehr  bedeutende  Fortschritte;  das  Jubeljahr  (1450) 
brachte  reichen  Gewinn ;  zwei  Jahre  später  krönte  er  —  die  JetzteKaiser- 
krönung  in  Rom  —  Friedrich  III.  zum  Kaiser.  Die  letzten  Jahre  wurden 
dem  Papst  durch  eine  Verschwörung  in  Rom,  namentlich  aber  durch 
die  schwierige  Lage  des  griechischen  Kaisertums,  verbittert.  Er  bot 
alles  auf,  um  den  Türken  eine  vereinte  christliche  Macht  entgegen- 
zustellen, aber  die  Fürsten  blieben  untätig.  Um  so  eifriger  ging  er  seinen 
humanistischen  Idealen  nach.  Bücher  wurden  gesammelt,  Bauten  auf- 
geführt und  aufs  reichste  ausgestattet.  Rom  wurde  allmählich  die  Haupt- 
stätte der  Renaissance.  Nikolaus  V.  ist  der  Gründer  der  vatikanischen 
Bibliothek. 

2.  Auf  Nikolaus  V.  folgte  der  erste  Borgia,  Kalixtus  III.  (1455 
bis  1458).  Die  Familie  Borja  (italienisch  Borgia)  ist  spanischer  Herkunft. 
Ihre  Mitglieder  gewannen  als  Konquistadoren  in  Italien  Ansehen.  Alfonso 
Borgia  wurde  1378  zu  Xativa  bei  Valencia  geboren  und  diente  dem 
König  Alfonso  als  Geheimschreiber.  Mit  ihm  kam  er  nach  Neapel. 
1444  wurde  er  Kardinal.  Als  solcher  war  er  ein  eifriger  Gegner  des 
Baseler  Konzils.  Als  Papst  begünstigte  er  seine  Familie  in  ausserordent- 
licher Weise.  Sein  Neffe  Rodrigo,  der  spätere  Papst  Alexander  VI.,  er- 
hielt schon  1456  den  Purpur.  Im  übrigen  verwaltete  er  das  oberste 
Hirtenamt  gewissenhaft  und  war  noch  mehr  als  sein  Vorgänger  auf  die 

1)  Brandi,  S.  137. 

2)  S.  H.  de  l'Epinois  in  RQH.  XXXI,  160  ff.  Zur  Türkennot  s.  Kayser  im 
IY.  Bd.  der  HJb.,  208. 


Pius  II.     Stellung  zum  Humanismus.     Kongrefs  von  Mantua.  635 

Abwehr  der  Türken  bedacht.  Von  dessen  literarischen  Neigungen  hatte  er 
freilich  nichts  an  sich.  Um  so  höher  schwellten  die  Segel  aller  humanisti- 
schen Kreise,  als  mit  Pius  IL  (1458 — 1464)  ein  Mann  aus  ihrer  Mitte 
Papst  wurde  —  der  Kardinal  Enea  Silvio  de'  Piccolomini,  der  bisher  als 
Dichter  und  Redner,  als  Erklärer  des  Altertums,  als  Jurist  und  Politiker 
eine  Rolle  gespielt  hatte  und  auch  als  Geschichtschreiber  und  Geograph 
nicht  unrühmliche  Leistungen  aufwies.  Seine  Erhebung  wrurde  von  den 
Humanisten  mit  Jubel  begrüfst.  Man  erwartete,  dafs  er  einen  Musenhof 
um  sich  sammeln,  Gelehrte  und  Dichter  mit  Ämtern  und  Würden,  zum 
mindesten  aber  mit  Pensionen  und  Geschenken  überhäufen  werde.1) 
Aber  wie  er  einst  als  Politiker  seinen  Tag  von  Damaskus  erlebt  hat, 
so  sah  er  auch  jetzt  die  Sache  des  Humanismus  mit  kühleren  Blicken 
an.  Zunächst  war  sein  Hauptaugenmerk  wie  das  seines  Vorgängers  der 
Türkennot  zugewendet.  Er  berief  die  Fürsten  der  Christenheit  nach 
Mantua,  um  Mafsregeln  für  einen  Kreuzzug  zu  treffen  (s.  oben);  seine 
Wünsche  blieben  jedoch  unerfüllt.  Wohl  wurde  der  Kreuzzug  verkündigt, 
die  Bullen  aber  wenig  beachtet.  Die  Tatenlosigkeit  der  abendländischen 
Fürsten  brachte  ihn  auf  den  Gedanken,  den  Sultan  Mohammed  selbst 
durch  schriftliche  Belehrung  für  das  Christentum  zu  gewinnen.  Die 
Antwort  war  die  Eroberung  von  Lesbos  und  Bosnien.  Interessant  sind 
seine  Beziehungen  zu  dem  Hussitenkönig  Georg  von  Podiebrad;  eine 
böhmische  Gesandtschaft  fand  sich  1462  in  Rom  ein;  ihr  Führer  — 
allerdings  ein  Katholik  —  huldigte  dem  Papste,  wrofür  er  den  scharfen 
Tadel  Georgs  vernahm.  Während  Pius  einstens  die  Baseler  Beschlüsse 
eifrig  verteidigt  hatte,  nahm  er  seine  früheren  Grundsätze  in  förmlicher 
Weise  in  der  Bulle  Retractationum  zurück :  Verwerfet,  sagt  er,  den  Aeneas 
Silvius  und  nehmt  Pius  IL  an !  Er  ging  noch  viel  weiter :  Als  die  fran- 
zösischen Gesandten,  von  denen  er  die  Zurücknahme  der  pragmatischen 
Sanktion  von  Bourges  forderte,  mit  der  Berufung  an  ein  allgemeines 
Konzil  drohten,  erliefs  er  die  Bulle  Execrabilis,  durch  die  eine  jede 
Appellation  an  ein  Konzil  als  Ketzerei  und  Majestätsverbrechen  bestraft 
werden  sollte.  Aus  dem  Verteidiger  der  Konzilien  war  er  ihr  Gegner 
geworden.  Noch  seine  letzten  Anstrengungen  waren  dem  Türkenkrieg 
gewidmet  (s.  oben).  Wenn  er  nicht  alle  Hoffnungen  der  Humanisten  er- 
füllte, so  hatte  er  doch  auch  als  Papst  Sinn  für  Literatur  und  Kunst. 
Auch  jetzt  wurden  griechische  und  lateinische  Handschriften  aufgesucht 
und  kopiert;  an  seinem  Hofe  versammelten  sich  Architekten,  Bildhauer 
und  Maler,  schliefslich  erinnern  die  Kosmographie  und  die  Denkwürdig- 
keiten seines  Lebens  —  sie  reichen  bis  1463  — ,  die  er  als  Papst  schrieb, 
noch  immer  daran,    dafs  sie  aus  der  Feder  eines  Humanisten  stammen. 

3.  Sein  Nachfolger  Pietro  Barbo,  ein  Neffe  Eugens  IV.,  als  Papst 
Paul  IL  (1464 — 1471)  war  vor  seiner  Wahl  eine  Kapitulation  ein- 
gegangen, die  ihn  verpflichtete,  den  Türkenkrieg  fortzuführen,  die  Kurie 
zu  reformieren,  binnen  drei  Jahren  ein  Konzil  zu  berufen,  keinen  zum 
Kardinal  zu  machen,    der   nicht   mindestens  30  Jahre   alt   sei,    die  Zahl 


x)  Voigt  n,  234. 


636  Paul  II.,  Sixtus  IV.  und  Innozenz  VIII. 

von  24  Kardinälen  nicht  zu  überschreiten  und  nur  einem  Nepoten  den 
Purpur  zu  geben:  es  lag  also  hier  ein  neuer  Versuch  vor,  an  die  Stelle 
der  monarchischen  Verfassung  des  Papsttums  eine  Oligarchie  zu  setzen. 
Als  Papst  kümmerte  sich  Paul  nicht  weiter  um  die  Kapitulation;  im 
übrigen  war  er  streng,  aber  gerecht;  nur  selten  unterschrieb  er  ein 
Todesurteil,  selbst  Fraticellen  kamen  mit  blofser  Verbannung  davon. 
Sein  Hof  war  üppig,  er  selbst  Ausschweifungen  in  solchem  Mafse  er- 
geben, dafs  er  nach  den  Worten  eines  Zeitgenossen  den  Stuhl  Petri  zu 
einer  Kloake  machte.  Schon  sagte  man,  dafs  man  in  keiner  religiösen 
Körperschaft  einen  wirklich  religiösen  Menschen  finde.  Der  Nepotismus 
nimmt  zu:  es  gilt,  für  Nepoten  Fürstentümer  zu  schaffen,  natürhche 
Söhne  und  Töchter  reich  zu  machen. 

Für  Eom  und  den  ganzen  Kirchenstaat  geschah  bei  alledem  manches  Gute. 
Paul  II.  sorgte  für  die  einzelnen  Landschaften,  liefs  Roms  Statuten  revidieren  und 
stellte  die  Ordnung  in  der  Stadt  einigermafsen  wieder  her.  Trotzdem  er  nicht  aufhörte, 
zur  Bekämpfung  der  Türken  zu  mahnen,  leistete  er  doch  durch  sein  Verfahren  gegen 
die  Hussiten  der  Uneinigkeit  der  östlichen  Mächte  Europas  Vorschub  und  hinderte 
sie  an  einem  geeinigten  Vorgehen.  Friedrich  HL,  der  zu  Weihnachten  1468  eine  Reise 
nach  Rom  unternahm,  um  den  Papst  zu  kräftigem  Vorgehen  gegen  die  Türken  zu 
bewegen,  wurde  zwar  glänzend  empfangen,  erreichte  aber  seinen  Zweck  nicht.  Den 
Humanisten  war  er  nicht  gewogen,  wenn  man  ihn  auch  nicht  für  einen  grundsätz- 
lichen Gegner  der  klassischen  Studien  und  ergrimmten  Feind  der  römischen  Akademie 
ansehen  darf,  wie  ihn  sein  Biograph  P 1  a  t  i  n  a  schildert.  Wenn  der  Papst  gegen  Mit- 
glieder der  > literarischen  Sodalität«  einschnitt,  so  geschah  es  wegen  ihrer  Hinneigung 
zu  republikanischem  und  heidnischem  Wesen.  In  seiner  Jugend  für  den  Kaufmanns- 
stand bestimmt,  behielt  er  seine  Leidenschaft  für  Münzen  und  Gemmen  bei.  Mit  Eifer 
sammelte  er  antike  Kameen,  Statuen,  Medaillen  und  Bronzen.  Von  Paul  H.  rührt  der 
grofsartige  Palazzo  Venezia  her,  wo  er  auch  seine  Sammlungen  aufstellen  liefs. 

4.  Galt  dieser  Papst  in  den  Augen  der  Humanisten  als  Barbar,  so 
lenkte  sein  Nachfolger  Sixtus  IV.  (1471  — 1484)  —  er  stammte  aus 
der  armen  Familie  der  Rovere  in  Savona  —  wieder  ganz  in  die  Fufs- 
stapfen  des  Papstes  Nikolaus  V.  ein,  trotzdem  er  selbst  kein  Gelehrter 
war.  Für  die  von  diesem  gegründete  Bibliothek  wies  er  prächtige 
Räume  an.  Auf  einem  Freskogemälde  von  Melozzo  da  Forli  ist  er  ab- 
gebildet, wie  er  Piatina  zum  Bibliothekar  der  Vatikana  ernennt.  Die 
grofsen  Bauten  des  Papstes  sichern  ihm  bei  der  Nachwelt  einen  grofsen 
Namen:  das  Hospital  von  S.  Spirito,  die  vielen  Kirchen,  vor  allem  die 
Herstellung  der  Sixtinischen  Kapelle,  bei  deren  Ausschmückung  die 
gröfsten  Maler,  Florentiner  und  Umbrier,  Boticelli,  Rosselli,  Ghirlandajo, 
Perugino  und  Pinturicchio  beschäftigt  waren.  Der  Papst  folgte  hierin 
dem  Zuge  der  Zeit.  Auch  sein  Hof  unterschied  sich  wenig  von  den 
gröfseren  Fürstenhöfen  Italiens,  von  deren  Prunk  und  politischen 
Bestrebungen.  Sein  vornehmstes  Ziel  war  die  Erhöhung  seiner  Ver- 
wandten :  Besitz,  Amter  und  Ehren,  welche  die  Kirche  verleiht,  werden 
in  verschwenderischer  Fülle  über  sie  ausgeschüttet,  die  wichtigsten 
Stellen  ohne  Rücksicht  auf  Talent  und  Verdienst  an  sie  ausgeteilt.  Von 
jetzt  bis  in  die  Zeit  der  Reformpäpste  des  16.  Jahrhunderts 
wird  der  Nepotismus  zum  System  des  römischen  Staates. 
Er  ersetzte  die  ihm  fehlende  Erblichkeit,    schuf   für  den  Papst  eine  Re- 


Der  Nepotismus  System  des  römischen  Staates.     Johanna  II.  v.  Neapel.       637 

gierungspartei  und  sicherte  ihn  gegen  eine  etwaige  Opposition  des  Kar- 
dinalats.  Unter  den  Sorgen  für  die  Nepoten  wurden  die  dringendsten 
Angelegenheiten  der  Kirche  vernachlässigt,  das  Papsttum  verweltlicht 
und  dem  heidnischen  Wesen,  das  je  länger  je  mehr  um  sich  griff,  Vor- 
schub geleistet.  Wie  in  den  Tagen  des  alten  Rom  spielten  die  Partes 
et  Circenses  eine  Rolle.  Die  allgemeine  Angst  vor  den  Türken  gab  den 
Vorwand  zum  Gelderwerb :  die  wahren  Türken  waren  nach  der  Mei- 
nung der  Zeitgenossen  die  Neffen  des  Papstes.  Kaum  hatte  der  Tod 
Mohammeds  IL  das  Abendland  von  der  ärgsten  Gefahr  befreit,  setzte  der 
Ferrarische  Krieg  von  1482  ganz  Italien  in  Flammen.  In  Rom  brach 
die  alte  Feindschaft  zwischen  den  Colonna  und  Orsini  wieder  aus. 
Der  Römer  Infessura  nennt  den  Tag  (12.  August),  an  dem  Sixtus  IV  starb, 
den  glückseligsten.  Dessen  Politik  fand  später  ihre  Fortsetzung  durch 
Alexander  VI.  und  Cäsar  Borgia.  Nicht  geringer  war  freilich  die  Ne- 
potenwirtschaft  unter  Innozenz  VIII.  (1484 — 1492),  aus  der  genue- 
sischen Familie  der  Cibö,  die  Anarchie  in  Rom  eine  ärgere  als  jemals 
früher,  und  es  bedurfte  erst  eines  Pontifikats,  wie  es  das  Alexan- 
ders VI.  (1492 — 1503)  war,  um  den  Niedergang  des  Papsttums  der  ganzen 
Welt  deutlich  zu  machen. 

5.  Früher  als  an  andern  Fürstenhöfen  Italiens  waren  der  neuen 
Bildung  in  Neapel  die  Wege  geebnet  worden,  denn  schon  König  Robert 
zog  Gelehrte  und  Dichter  an  sich.  Ihm  galt  seinen  eigenen  Worten 
zufolge  die  Wissenschaft  mehr  als  sein  Reich.  Auch  Johanna  I.  war 
eine  Freundin  der  Wissenschaften  und  Künste.  Die  furchtbaren  Greuel 
an  ihrem  Hofe  und  die  blutigen  Kämpfe  der  Häuser  Durazzo  und 
Anjou  hinderten  die  ruhige  Entwicklung  des  Landes.  Auf  Ladislaus 
(s.  oben)  war  seine  Schwester  Johanna  IL  (1414 — 1435)  gefolgt.  Die 
Wirren  an  ihrem  Hofe  waren  nicht  geringer  als  früher.  Bald  brach  auch 
neuer  Thronstreit  aus.  Papst  Martin  V.  erklärte  (1420)  Ludwig  III.  von 
Anjou,  falls  Johanna  ohne  Leibeserben  stürbe,  zum  Erben  des  Reiches. 
Dieser  ernannte  unverzüglich  den  Kondottiere  Sforza  zu  seinem  Statt- 
halter und  liefs  Neapel  bedrängen;  Johanna  nahm  dagegen  Alfonso 
von  Aragonien  an  Sohnes  Statt  an,  der  die  Hilfe  des  Kondottiere  Braccio 
gewann  und  im  Juli  1421  seinen  Einzug  in  Neapel  hielt.  Sein  selb- 
ständiges Auftreten  und  sein  Verfahren  gegen  Carracioli,  den  Günstling 
Johannas,  erregte  deren  Zorn,  daher  übertrug  sie  die  Ansprüche  auf 
Neapel  an  Ludwig  III. ;  hierüber  kam  es  unter  den  Prätendenten  zu 
langwierigen  Kämpfen,  die  auch  nach  dem  Tode  Ludwigs  und  Johannas 
kein  Ende  fanden,  weil  diese  in  ihrem  Testamente  Rene,  den  Bruder 
Ludwigs,  zum  Erben  Neapels  eingesetzt  hatte.  Schliefslich  behauptete 
Alfonso  I.  (1435 — 1458)  das  Feld.  Damit  begann  für  Neapel  eme  glück- 
liche Zeit.  Denn  wiewohl  Alfonso,  der  (1443)  auch  vom  Papste  aner- 
kannt wurde,  an  den  politischen  Verwicklungen  auf  der  Halbinsel  leb- 
haften Anteil  nahm,  genofs  doch  das  Land  selbst  eines  langen  Friedens. 
Trotz  seiner  spanischen  Herkunft   erschien   er  durchaus  als  italienischer 


1)  Gregorovius  VII,  276. 


638  Alfonso  I.  und  Ferrante  I.     Mailand  unter  dem  Hause  Visconti. 

Fürst,  an  dessen  Hof  Wissenschaft  und  Künste  eifrige  Pflege  fanden. 
Er  selbst  liebte  es,  über  philosophische  und  theologische  Gegenstände 
zu  disputieren  und  hegte  vor  allem,  was  dem  Altertum  entstammte,  eine 
fast  religiöse  Verehrung.1)  Männer,  wie  Lorenzo  Valla,  Antonio  Becca- 
delli  u.  a.,  fanden  hier  eine  Heimstätte.  Ihm  folgte  sein  natürlicher 
aber  als  rechtmäfsig  anerkannter  Sohn  Ferrante  I.  (1458 — 1494),  ein 
Schüler  Vallas  und  Beccadellis,  und  als  solcher  ein  eifriger  Freund  der 
Humanisten.  Seine  Krone  hatte  er  gegen  Verwandte  seines  eigenen 
Hauses  wie  gegen  Renes  Sohn,  den  Herzog  Johann  von  Kalabrien,  zu 
verteidigen ;  ihm  gelang  dies,  aber  schon  sein  Nachfolger  Alfonso  IL  und 
dessen  Sohn  Ferrante  IL  erlagen  den  Angriffen  des  französischen 
Königtums,  auf  das  die  Ansprüche  der  Nachkommen  Renes  über- 
gegangen waren. 

6.  Das  Haus  Visconti  hatte  von  Anfang  an  den  Bestrebungen  Petrarcas 
gehuldigt.  Gian  Galeazzo,  Mailands  erster  Herzog,  dessen  Pläne  auf 
die  Errichtung  eines  starken  italienischen  Königtums  abzielten  (s.  oben), 
war  ein  warmer  Freund  des  Humanismus.  Mitten  unter  seinen  schweren 
Kämpfen  ward  an  der  Certosa  bei  Pavia  und  am  Mailänder  Dom  ge- 
baut.2) Ausgezeichnete  Männer,  Italiener  und  Griechen,  zog  er  in  seinen 
Rat.  Er  stiftete  eine  Akademie  der  Baukunst  und  Malerei,  gründete 
eine  Bibliothek,  liefs  das  alte  Recht  Mailands  revidieren,  erneuerte  die 
Universität  von  Piacenza  und  half  jedem  ausgezeichneten  Streben  vor- 
wärts.3) Für  die  Befestigung  der  Macht  seines  Hauses  starb  er  freilich 
viel  zu  früh  (1402).  Sein  Gebiet  ward  unter  seine  drei  Söhne  geteilt. 
Der  älteste  Gian  Maria  erhielt  Mailand  und  den  Herzogtitel.  Der  zweite 
Filippo  Maria  als  Graf  Pavia  und  der  jüngste,  unechte,  aber  legitimierte 
Sohn,  Gabriele,  Pisa.  Eine  Regentschaft,  an  deren  Spitze  die  Herzogin 
stand  und  der  die  bedeutendsten  Feldhauptleute  angehörten,  führte  die 
Regierung.  Doch  kam  es  sofort  zu  Parteikämpfen,  bei  denen  sich 
einzelne  Orte  unter  eigenen  Signoren  selbständig  machten,  andere,  wie 
Pisa,  an  die  Florentiner  verkauft  oder,  wie  Verona,  Vicenza  u.  a.  an 
Venedig  abgetreten  werden  mufsten  (1406).  Unter  solchen  Parteikämpfen 
wuchs  Gian  Maria  (1402 — 1412)  zu  einem  vollendeten  Tyrannen  heran: 
von  dem  Kondottiere  Cane  Facino  beherrscht,  befand  er  sich  in  der  Ge- 
sellschaft von  Henkern  am  wohlsten  und  pflegte  die  Leute,  die  er  dem  Tode 
geweiht  hatte,  von  Bracken,  die  mit  Menschenfleisch  aufgefüttert  wurden, 
zerreifsen  zu  lassen.  Schliefslich  fiel  er  einer  Verschwörung  zum  Opfer, 
an  der  sich  Angehörige  aus  den  vornehmsten  Familien  beteiligten. 
Sein  Bruder  Filippo  Maria  (1412 — 1447),  durch  die  Bemühungen 
des  Erzbischofs  gerettet,  erhielt  mit  der  Hand  von  Canes  Witwe  Beatrice 
dessen  Reichtümer  und  Heerhaufen,  sicherte  sich  zuerst  seine  Stellung 
in  Pavia  und  gewann  auch  Mailand,  das  ihm  von  den  beiden  von  König 
Sigmund  unterstützten  Visconti,   Estorre    und    Gian  Carlo,  eine  Zeitlang 


l)  Voigt  I,  459. 
*;  Ebenda,  S.  500. 
3)  Leo  in,  344. 


Filippo  Maria,  der  letzte  Visconti  in  Mailand.     Franzesco  Sforza.  039 

streitig  gemacht  wurde.  Sigmund  bestätigte  schliefslich  Filippo  gegen 
Zahlung  von  20000  Goldgulden  als  Herzog,  ohne  der  Verbindung  mit 
Gian  Carlo  zu  entsagen,  weshalb  die  Beziehungen  zwischen  ihm  und 
dem  Herzog  gespannte  blieben.  Filippo  stellte  mit  Hilfe  seiner  treff- 
lichen Feldherren,  vor  allem  Carmagnolas,  das  Herzogtum  Mailand  in 
dem  Umfang  wieder  her,  den  es  unter  seinem  Vater  gehabt  hatte.  Nach- 
dem er  die  Eidgenossen  aus  Bellinzona  und  Domodossola  zurückgedrängt 
hatte,  nahm  er  die  alte  Politik  seines  Vaters  gegen  Toskana  wieder  auf. 
Der  Herr  von  Forli  hatte  ihn  letztwillig  zum  Vormund  seines  Sohnes 
gesetzt,  die  Witwe  aber,  aus  Mifstrauen  auf  Mailands  Macht  und 
unterstützt  von  ihrem  Vater,  dem  Herrn  von  Imola,  die  Regentschaft 
an  sich  gerissen.  Ein  mailändisches  Heer  besetzte  Forli ,  schlug  die 
Florentiner,  die  der  Witwe  zu  Hilfe  gezogen  waren,  und  nahm  Imola, 
worauf  sich  auch  der  Herr  von  Faenza  an  Mailand  anschlofs.  Für  die 
Florentiner  wurde  diese  Lage  immer  unerquicklicher;  ein  zweites  Heer, 
das  sie  unter  Carlo  Malatesta  gegen  die  Mailänder  schickten,  erlitt  eben- 
falls eine  Niederlage ;  Malatesta  selbst  wurde  gefangen ;  auch  der  fernere 
Verlauf  des  Krieges  war  für  Florenz  ein  unglücklicher.  Da  wurde  es 
durch  die  Eifersucht  Filippos  auf  Carmagnola  gerettet.  Dieser  trat  näm- 
lich, erbittert  über  seine  Zurücksetzung  am  Mailänder  Hofe,  in  die 
Dienste  Venedigs  und  brachte  einen  Bund  zwischen  Florenz,  Venedig 
und  Savoyen  zustande.  Doch  gelang  es  Filippo,  Savoyen  an  sich  zu 
ziehen,  indem  er  sich  mit  der  Tochter  des  Herzogs  Amadeus  vermählte 
und  ihm  Vercelli  abtrat.  Für  Carmagnola  gewannn  er  übrigens  einen 
trefflichen  Ersatz  an  dem  berühmtesten  Kondottiere  seiner  Zeit,  Francesco 
Sforza,  der  ihm  so  treffliche  Dienste  leistete,  dafs  er  ihm,  freilich  erst 
nach  langem  Hinhalten  und  nachdem  Sforza  wieder  in  andern  Diensten 
gestanden,  seine  natürliche  Tochter  Blanka  zur  Frau  gab  (1441).  Filippo 
war  ein  Tyrann  wie  sein  Bruder  und  vielleicht  noch  schlimmer  als 
dieser,  wie  er  denn  nach  seinen  grofsen  Erfolgen  in  der  Lombardei  seine 
Gemahlin  Beatrice,  die  Gründerin  seines  Glücks,  auf  die  Anschuldigung 
der  Untreue  hin  verhaften,  foltern  und  hinrichten  liefs.  Da  ihn  die 
Furcht  vor  seinen  Feldherren  peinigte,  stachelte  er  die  Rivalität  unter 
ihnen  aufs  äufserste  an ;  vor  allem  hafste  er  Sforza,  und  schon  war  dieser 
im  Begriffe,  sich  von  ihm  abzuwenden,  als  der  Herzog  am  13.  August 
1447  starb.  Wenn  Filippo  auch,  trotz  seiner  tyrannischen  Natur,  poetische 
Anwandlungen  hatte,  blieben  ihm  die  humanistischen  Bestrebungen  doch 
fremd.  Er  war  der  letzte  Viskonti  in  Mailand.  Viele  dachten  an  die 
Herstellung  der  Republik,  andere  an  die  Berufung  Alfons'  von  Neapel 
oder  Amadeus'  von  Savoyen.  Nach  einem  republikanischen  Zwischen- 
regiment (1447 — 1450),  das  fast  zu  einer  Auflösung  des  mailändischen 
Staatswesens  führte,  wurde  der  grofse  Rat  vom  Volke  gezwungen,  die 
Herrschaft  über  Mailand  an  Francesco  Sforza  (1450 — 1466)  zu  übergeben. 
Damit  hatte  dieser  erreicht,  wozu  ihm  sein  tüchtiger  Vater  Jacopo  vor- 
gearbeitet und  was  er  selbst  von  Jugend  an  angestrebt  hatte :  eine  grofse 
selbständige  Herrschaft.  Er  entging  den  Gefahren  der  Kondottieren,  die 
nach  erfochtenen  Siegen   der  Eifersucht   ihrer  Gebieter,    nach    erlittenen 


640  Das  Haus  Sforza  in  Mailand. 

Niederlagen  dem  Hasse  der  Massen  und  der  Regenten  erlagen.  Er  war 
auch  der  letzte,  dem  es  gelang,  ein  Fürstentum  aufzurichten.  Dies  liefs 
fortan  die  Eifersucht  der  vier  italischen  Hauptmächte :  des  Kirchen- 
staates, Mailands,  Venedigs  und  Neapels  nicht  mehr  zu.  Sforza  über- 
nahm die  Regierung,  ohne  Kaiser  und  Reich  zu  befragen.  Es  ist  be- 
zeichnend, dafs  es  einer  der  berühmtesten  Humanisten,  Filelfo,  war, 
der,  nachdem  er  die  Prioren  an  die  Beispiele  eines  Kodros  und  Horatius 
Codes  erinnert,  dem  neuen  Gewaltherrn  in  einer  Rede  das  Herzogtum 
Mailand  zu  Füfsen  legte.  Auch  Francesco  Sforza  war  ein  Gönner  des 
Humanismus,  ein  Freund  der  Künste  und  Wissenschaften,  »ohne  von 
dem  Vergnügen  und  der  Bildung,  die  sie  bringen,  eine  Ahnung  zu 
haben«.1)  Zu  klug,  um  durch  neue  Kriegstaten  den  mühsam  erworbenen 
Ruhm  aufs  Spiel  zu  setzen,  führte  er  eine  friedliche  Regierang.  Zum 
Schlufs  empfing  er  noch  die  Huldigung  Genuas.  Von  seinen  fünf  Söhnen 
erhielt  Galeazzo  Maria  (1466 — 1476)  die  Herrschaft,  die  er  in  der  Art 
der  letzten  Visconti  führte.  Einige  Jünglinge  aus  vornehmer  Familie, 
vom  Herzog  beleidigt  und  von  ihrem  Lehrer  an  die  berühmten  Tyrannen- 
mörder des  klassischen  Altertums  gemahnt,  überfielen  ihn  in  der  Kirche 
und  töteten  ihn  (1476,  26.  Dezember).  Der  Mut  des  Staatssekretärs 
Simonetta  rettete  seinem  Sohne  Gian  Galeazzo  (1476 — 1480)  die  Herr- 
schaft, die  in  seinem  Namen  seine  Mutter  Bona  führte,  bis.  es  dem 
Oheim  des  Herzogs,  Ludovico,  der  von  seiner  dunklen  Gesichtsfarbe  den 
Beinamen  Moro  führte,  gelang,  die  Regentschaft  an  sich  zu  reissen 
(1480—1494).  Wie  an  den  grofsen  fand  der  Humanismus  an  den  kleinen 
Fürstenhöfen  Italiens  warme  Freunde  bei  den  Gonzaga  in  Mantua, 
wo  Gian  Francesco  IL  durch  Vittorino  da  Feltre  (f  1446)  das  erste 
moderne  Gymnasium  errichtete2),  bei  den  Este  zu  Ferrara,  deren 
Glanzzeit  allerdings  erst  in  das  16.  Jahrhundert  fällt,  bei  dem  Herzog 
Federigo  di  Montefeltro  von  Urbino,  dessen  Bibliothek  die  kostbarsten 
Schätze  aus  alter  und  neuer  Zeit  enthielt  und  den  Malatesta  von 
Rimini  und  Pesaro. 


§  146.    Der  Humanismus  jenseits  der  Alpen. 

1.  Standen  schon  Karl  IV.  und  seine  Hofkreise  mit  Petrarca  in 
nahen  Beziehungen,  so  gehört  doch  die  humanistische  Propaganda,  die 
sich  auch  jenseits  der  Alpen  Geltung  verschafft,  erst  dem  15.  Jahrhundert 
an.  Von  wesentlicher  Bedeutung  war  es,  dafs  der  Humanismus  am 
Sitze  des  Papsttums  selbst  Anerkennung  und  Pflege  fand.  Dadurch, 
dafs  seine  Kunstsprache  das  Lateinische,  sein  Vaterland  das  klassische 
Altertum  war,  lag  in  ihm  wie  in  der  Kirche  selbst,  deren  völker- 
verbindende Aufgabe  er  im  15.  Jahrhundert  übernahm,  ein  weltbürgerliches 
Element.     Italien  wurde  jetzt  nochmals  die  Lehrmeisterin   der  Völker.3) 


*)  Voigt  I,  520. 
»)  Ebenda,  S.  352. 
»)  Ebenda  II,  244/45. 


Der  Humanismus  in  Frankreich,  England  und  Deutschland.  641 

Die  von  der  Kurie  ausgesandten  Legaten,  ihre  Staatsschriften  und  Briefe 
atmen  den  neuen  Geist  und  fordern  zur  Nachahmung  auf.  Am  ehesten 
schlössen  sich  die  Völker  romanischer  Zunge :  Franzosen,  Spanier  und 
Portugiesen  an,  etwas  später  folgten  die  Deutschen,  zuletzt  und  mit 
besonderem  Eifer  Ungarn  und  Polen.  In  Frankreich  waren  noch  alte 
Überlieferungen  lebendig.  Wohl  ging  der  Bücherluxus  der  Könige,  der 
im  übrigen  nicht  reinem  wissenschaftlichen  Streben,  sondern  dem  Hang 
nach  Glanz  und  Prunk  entsprang,  nicht  gerade  auf  den  Besitz  alter 
Klassiker,  aber  auch  diese  wurden  gesucht,  und  Übersetzungen  fanden 
lebhaften  Anklang.  Mächtig  waren  die  Einwirkungen  der  Universität 
Paris.  Hier  wurden  in  den  Kollegien  schon  am  Ende  des  14.  Jahr- 
hunderts die  Schüler  mit  den  alten  Autoren  bekannt;  Nikolaus  von 
Clemangis  trug  die  Rhetorik  in  Ciceros  Weise  vor.  So  wenig  ein  Ailli 
und  Gerson,  die  nicht  in  den  klassischen  Studien,  sondern  in  der  Theologie 
die  Krone  aller  Wissenschaft  sahen,  mit  den  humanistischen  Tendenzen 
übereinstimmten:  im  Kampfe  gegen  die  Scholastik  gingen  sie  gemeinsam 
vor.  Unter  den  französischen  Humanisten  ragt  vor  allen  neben 
Clemangis  Jean  de  Montreuil  (f  1418),  Kanzler  Karls  VI.,  ein 
Freund  Lionardo  Brunis,  hervor,  »der  erste,  der  Päpste  und  Fürsten 
im  klassischen  Singular  anzureden  wagte,  der  dem  Papste  Beispiele  der 
alten  Geschichte  zur  Nachahmung  vorhält  und  ihn  aus  Cicero  und 
Seneca  belehrt«.1)  Der  Einflufs  Italiens  auf  Frankreich,  sehr  stark  schon 
in  den  Tagen  Ludwigs  XL,  der  griechische  Gelehrte  dahin  berief,  die 
Universität  von  Paris  reorganisierte  und  die  Bibliothek  vermehrte,  wurde 
ein  bedeutenderer  durch  die  Unternehmungen  Karls  VIII.  und  Ludwigs  XII. 
nach  Italien. 

2.  Spröder  als  die  Franzosen  verhielten  sich  die  Engländer,  die, 
stolz  auf  ihre  berühmten  Hochschulen,  den  literarischen  Verkehr  mit 
Italien  nicht  suchten;  doch  ist  schon  Chaucer  in  den  Klassikern 
belesen,  kennt  die  Werke  Petrarcas  und  benutzt  die  Boccaccios.  Erst 
auf  den  grofsen  Konzilien  traten  die  italienischen  Humanisten  auch  unter 
Engländern  werbend  auf:  man  findet  Poggio  eine  Zeit  hindurch  in 
England,  junge  Engländer  erscheinen  in  Italien,  um  die  neue  Methode 
zu  erlernen;  die  inneren  Kämpfe  Englands  in  der  zweiten  Hälfte  des 
15.  Jahrhunderts  waren  diesen  Bestrebungen  wenig  günstig.  Anders  in 
Deutschland,  dessen  Verkehr  —  auch  der  literarische  mit  Italien  —  ja  das 
ganze  Mittelalter  hindurch  ungleich  bedeutender  war.  Das  Beispiel 
Karls  IV.  fand  auch  am  mährischen  Hof  eifrige  Nachahmung.  Gönner 
der  Humanisten  war  vornehmlich  Karls  jüngerer  Sohn  Sigmund.  Pietro 
Paolo  Vergerio  ist  der  erste  italienische  Humanist,  der  in  fremde  Dienste 
tritt  und  von  Sigmund  als  Sekretär  verwendet  wird.  Pflicht  und  Neigung 
hielten  Sigmund  lange  in  Italien  fest,  wo  es  an  Berührungen  mit 
humanistischen  Kreisen  nicht  fehlte.  So  wenig  Sinn  Friedrich  III.  für 
neue  Richtungen  bekundete:  an  seinem  Hofe  ist  doch  eigentlich  die  Saat 
für  den  deutschen  Humanismus  ausgestreut  worden,  und  dessen  Apostel 


*)  Voigt  II,  347. 
Loserth,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  41 


642  Neue  Wege  des  Humanismus.     Gelehrte  Gesellschaften. 

war  hier  Enea  Silvio  de'  Piccolomini.  Von  seinen  deutschen  Gegnern 
ist  vor  allem  der  bedeutende  Jurist  Gregor  Heimburg  zu  nennen, 
lange,  wie  Nikolaus  von  Cusa,  Anhänger  der  humanistischen  Richtung, 
bis  er  sich  in  den  letzten  Jahren  seines  Lebens  gegen  ihre  Auswüchse, 
ihre  »Geschwätzigkeit  und  Wortmacherei«,  wendete.  An  den  Höfen  zu 
Wien  und  Prag,  an  Bischofssitzen  wie  Olmütz  fand  Piccolomini  Nach- 
ahmung. An  der  Wiener  Universität  war  Georg  Peuerb ach  der  erste, 
der  es  unternahm,  antike  Dichter  zu  erklären.  Sein  Schüler  Johann 
Müller  von  Königsberg  hielt  über  Virgil  und  Terenz  Vorträge.  In 
Prag  wandelt  Johann  von  Rabstein,  in  Mähren  der  Bischof  Pro- 
tasius  von  Czernahora  in  Piccolominis  Bahnen.  Der  Hof  des 
Pfalzgrafen  Friedrich  konnte  als  ein  Musenhof  im  italienischen  Sinne 
bezeichnet  werden,  und  so  wurden  auch  an  der  Hochschule  zu  Heidel- 
berg die  Studien  der  Antike  betrieben.  Der  erste  Repräsentant  der 
neuen  Richtung  ist  Peter  Luder,  ein  Wanderpoet,  wie  sie  der 
Humanismus  häufig  gezeitigt  hat,  die  aber  in  Deutschland  noch  in  weit 
höherem  Grade  als  in  Italien  den  Stempel  des  Vagantentums  an  sich 
tragen.  Nachdem  einzelne  die  Wege  geebnet  hatten,  treten  in  Deutsch- 
land gefeierte  Schulen,  wie  die  von  Schlettstadt,  hervor.  Die  Italiener 
liebten  es,  im  Gefühl  ihrer  Überlegenheit  verächtlich  auf  die  humanistischen 
Bestrebungen  der  Deutschen  herabzusehen.  Aber  gerade  in  Deutschland 
bahnt  sich  der  Humanismus  neue  Wege.  Ihm  fehlt  hier  die  Richtung 
zur  Sinnlichkeit  und  zum  Heidentum,  die  sich  in  Italien  breit  machte. 
Von  den  bedeutenderen  Humanisten  wenden  sich  einzelne  wie  Rudolf 
Agricola  dem  eifrigen  Studium  der  Theologie  zu.  Huldigen  die  meisten 
auch  der  auf  die  Alleinherrschaft  des  klassischen  Latein  gerichteten 
Tendenz  der  italienischen  Genossen,  die  so  weit  geht,  dafs  selbst  Werke 
wie  Brants  Narrenschiff  erst  dann  als  vollwertig  gelten,  wenn  sie  in 
gutem  Latein  vorliegen,  so  wird  doch  stets  der  Inhalt  über  die  Form 
gestellt.  Aufserdem  kommen  der  einseitigen  Pflege  der  Altertumskunde 
gegenüber  die  übrigen  Wissensgebiete  kräftiger  zur  Geltung.  Männer, 
wie  Nikolaus  von  Cusa,  Georg  von  Peuerbach,  Johannes  Müller  sind  die 
Vorgänger  der  grofsen  Astronomen  des  folgenden  Jahrhunderts.  Das 
Studium  der  vaterländischen  Geschichte  wird  in  methodischer  Weise 
in  Angriff  genommen,  und  gerade  die  deutsche  Erfindung  der  Buch- 
druckerkunst war  es,  welche  die  grofsen  Entdeckungen  der  Humanisten 
vor  neuerlichem  Untergang  sicherstellte.  Sich  in  den  Besitz  einer  Bibliothek 
zu  setzen,  war  nun  die  Sache  eines  mäfsigen  Aufwandes,  nicht  mehr  die 
Arbeit  eines  ganzen  Menschenlebens.1)  Literarische  Gesellschaften,  wie 
die  Donaugesellschaft  in  Wien  und  die  Rheinische  und 
andere  Gesellschaften  entstehen,  in  denen  Männer  wie  Konrad  Celtis, 
Trithemius  von  Sponheim,  Jakob  Wimpheling,  Konrad  Peutinger, 
Willibald  Pirkheimer  u.  a.  die  Führung  erhalten.  Die  Zahl  der  gelehrten 
Schulen,  vor  allem  der  Universitäten,  ist  in  stetigem  Wachsen,  und  nicht 
zuletzt  bricht  für  die  Kunst  und  ihre  Jünger  auch  in  Deutschland  eine 

')  Voigt  n,  314. 


Der  Humanismus  in  Ungarn  und  Polen.  643 

Glanzperiode  an.  Den  Höhepunkt  erreicht  diese  Entwicklung  freilich 
erst  in  den  beiden  ersten  Jahrzehnten  des  16.  Jahrhunderts  mit  den 
berühmtesten  Vertretern  des  deutschen  Humanismus  Johannes  Reuchlin, 
Desiderius  Erasmus  und  Ulrich  von  Hütten,  die  in  anderm  Zu- 
sammenhange geschildert  werden  mufs. 

3.  In  Ungarn  feierte  die  neue  Richtung  unter  den  Corvinen  ihre 
Triumphe.  Schon  Johann  Hunyady  ist  ihr  Gönner,  sein  Sekretär,  der 
spätere  Kanzler  des  Königs  Matthias,  Johann  Vitez  von  Zredna,  der 
Begründer  der  klassischen  Studien  in  Ungarn.  Er  war  es,  der  den  König 
zu  jenen  Unternehmungen  anregte,  die  ihm  den  Ruf  eines  Maecenaten 
eintrugen.  Unter  den  Jüngern  spielt  des  Kanzlers  Neffe,  Janus  Pannonius, 
eine  hervorragende  Rolle.  Beide  Männer  gaben  die  Anregung  zur 
Gründung  einer  Hochschule  in  Ungarn.  Doch  zog  die  Jugend  lieber 
an  die  Stätten  des  Wissens  in  Italien.  Nach  italienischem  Muster  wurde 
in  Ofen  eine  grofse  öffentliche  Bibliothek  —  die  Corvina  —  angelegt, 
für  die  eine  Menge  kostbarer  Handschriften  gekauft  oder  kopiert  wurden. 
In  Polen  war  der  Kardinal  und  Bischof  von  Krakau,  Sbignew 
Olesnicky,  der  erste  Gönner  der  Humanisten.  Sein  Sekretär  ist 
Johannes  Dlugosch,  der  erste  auch  schon  vom  Geiste  des  Humanismus 
erfüllte  Geschichtschreiber  Polens.  Als  Dichter  im  Sinne  der  Alten 
wirkte  Gregor  von  Sanok,  der  spätere  Erzbischof  von  Lemberg. 
Geringer  sind  die  Einwirkungen  des  Humanismus  auf  die  Staaten  des 
Nordens. 


2.  Abschnitt. 

Die  Ausbildung  moderner  Staaten. 


1.  Kapitel. 

Das  deutsche  Keich  im  Zeitalter  Friedrichs  III. 

§  147.    Das  Kaisertum  und  die  territorialen  Gewalten  in  der  Mitte 

des  15.  Jahrhunderts. 

Quellen,  s.  oben  §  120.  Das  kais.  Buch  des  Markgr.  Albrecht  Achilles  1440 
bis  1470,  herausg.  v.  Höfler  1850;  1470—1486,  herausg.  v.  Minutoli.  Berl.  1850.  Die 
übrige  Literatur  unten  §  148.  Zur  Soester  Fehde  s.  das  Kriegstagebuch  des  Barthol. 
v.  d.  Lake.  Q.  z.  westf.  Gesch.  II  und  Chroniken  d.  d.  St.  XXI,  s.  dazu  Hausberg, 
Die  Soester  Fehde.  Westd.  Z.  1882.  Hansen,  ebenda  3,  Ergänzungsheft,  und  H  a  n  s  e  n  , 
AVestfalen  u.  Rheinland  im  15.  Jahrh.    Leipz.  1888. 

1.  Die  konziliaren  Kämpfe  hatten  in  Deutschland  zu  einer  Er- 
starkung des  Landesfürstentums  geführt,  das  nach  des  Königs  Beispiel 
seine  Sonderinteressen  denen  der  Gesamtheit  vorzog  und  auch  in  grofsen 
politischen  Fragen  seine  eigenen  Wege  ging.  In  ihren  Territorien 
begründen  die  Landesfürsten  ein  einheitliches  Regiment.    Je  seltener  der 

41* 


644  Kaisertum  und  territoriale  Gewalten. 

König  im  Reiche  erscheint,  desto  mehr  entgleiten  ihm  die  Zügel  der 
Regierung.  Theoretisch  ist  seine  Macht  immer  noch  eine  sehr  grofse: 
Er  ist  der  Schützer  der  abendländischen  Christenheit;  den  Deutschen 
gilt  er  als  der  Monarch,  dem  die  andern  Untertan  sind,  er  ist  oberster 
Lehens-  und  Gerichtsherr.  Aber  diese  Machtansprüche  sind  nur  ideelle. 
Das  grofse  Reich  hat  kein  gemeinsames  Heer,  keine  gemeinsamen 
Finanzen,  kaum  noch  einen  eigenen  Namen,  denn  schon  gilt  es  als 
Beleidigung,  den  Träger  der  Krone  König  von  Deutschland,  statt  König 
der  Römer  zu  nennen.  Von  einer  einheitlichen  Verwaltung  ist  keine 
Rede;  die  Kräfte  des  Königs  reichen  gerade  so  weit,  als  seine  Haus- 
macht, und  nicht  einmal  in  dieser  findet  der  jetzige  König  eine  kräftige 
Unterlage  für  seine  Stellung.  Das  Reich  bietet  das  Bild  einer  bis  ins 
kleinste  gehenden  Zersplitterung.  Mafsgebend  sind  vor  allem  die  Kur- 
fürsten; sind  sie  es  doch,  die  allem  christlichen  Volk  das  weltliche 
Oberhaupt,  den  künftigen  Kaiser,  küren;  darum  ist  ihre  Macht  eine 
gröfsere  als  die  der  übrigen  Reichsfürsten  oder  etwa  der  Grofsen  in 
anderen  Ländern,  z.  B.  in  Frankreich.  Bei  der  Schwäche  der  Zentral- 
gewalt hat  das  Reich  die  schwersten  Verluste  zu  erleiden :  im  Westen 
nehmen  Frankreich  und  Burgund  ein  Stück  deutschen  Landes  nach  dem 
andern  an  sich,  im  Norden  geht  Holstein  an  Dänemark,  im  Osten  West- 
preufsen  an  Polen  verloren,  und  bald  wird  sich  die  ungarische  Macht 
über  Mähren,  Schlesien  und  die  Lausitz  verbreiten.  Mit  Sorgen  sieht 
man  der  Invasion  der  Türken  entgegen.  Im  Reiche  ist  die  Macht  des 
Papsttums  trotz  aller  Einbufsen,  die  es  durch  die  Konzilien  erlitten, 
immer  noch  die  überragende;  der  Papst  darf  es  wagen,  Kurfürsten  ab- 
zusetzen (s.  oben);  er  bezieht,  wie  Maximilian  klagte,  in  der  Form  von 
Annaten,  Pallien  und  andern  Gefällen  vom  Reiche  ein  hundertmal 
gröfseres  Einkommen  als  der  Kaiser  und  findet  bei  der  Verbindung 
geistlicher  und  weltlicher  Fürstentümer  fortwährend  Anlafs,  sich  in  die 
Reichsangelegenheiten  zu  mischen.  So  kann  es  geschehen,  dafs  ein 
Kurfürst,  dessen  Gewalt  der  Kaiser  nicht  anerkennt,  sich  mit  Hilfe  des 
Papstes  behauptet  (s.  unten),  oder  dafs  dieser  etwa  die  Acht  kassiert,  die 
der  königliche  Hofrichter  über  den  Rat  von  Lübeck  ausgesprochen.  Die 
Notwendigkeit  von  Reformen  zur  Schaffung  einer  starken  Zentralgewalt, 
einer  einheitlichen  Verwaltung  und  Rechtspflege  und  einer  neuen  Heeres- 
verfassung lag  auf  der  Hand.  Ob  sie  erfolgen  würde,  lag  freilich  mehr 
an  den  territorialen  Gewalten  als  an  dem  ohnmächtigen  Kaisertum. 
—  Allerdings  ist  auch  die  Macht  der  Territorialherren  durch  ihre  Land- 
stände eingeschränkt,  an  deren  Beirat  und  Zustimmung  sie  in  allen 
wichtigen  Fragen,  wie  denen  der  Gesetzgebung  und  Steuerbewilligung, 
gebunden  sind.1)  Im  Verein  mit  seinen  Landständen  besitzt  der  Landes- 
herr in  seinen  Territorien  eine  nahezu  unbeschränkte  Regierungsgewalt, 


x)  Wie  unbequem  die  Landstände  den  Landesherren  wurden,  entnimmt  man  den 
Worten,  die  Friedrich  III.  in  sein  geheimes  Tagebuch  eintrug :  >Ein  jeder  Fürst,  der 
da  regieren  will,  gewaltiglich  u.  zu  seinem  Xutz  u.  Frommen,  hüte  sich  vor  Versamm- 
lung der  Landschaft  u  Nobilium.<  Über  die  Entwicklung  der  Landeshoheit  s.  vorläufig 
Schröder,  Rechtsg.  579. 


Die  deutschen  Fürstenhäuser.  645 

die   durch  keine   starken  Verpflichtungen   Kaiser   und  Reich   gegenüber 
beeinträchtigt  wird. 

2.  Unter  den  deutschen  Fürstenhäusern  war  das  österreichische,  das  durch  den 
Anfall  der  ungarischen  und  böhmischen  Krone  eine  europäische  Grofsmachtstellung 
erlangt  hatte,  bei  weitem  das  erste.  Es  ist  das  einzige,  von  dem  man  erwartet,  dafs 
es  den  Anprall  der  üsmanen  abwehrt.  Darum  fällt  ihm  die  deutsche  Kaiserwürde  von 
selbst  in  den  Schofs.  Im  Nordosten  hatte  Markgraf  Friedrich  I.  von  Brandenburg 
seine  hervorragende  Stellung  bis  zu  seinem  Tode  behauptet.  Während  er  seine  Sorge 
vornehmlich  den  fränkischen  Landen  zuwandte,  schuf  sein  ältester  Sohn  Fried- 
rich II  (1440 — 1470)  in  Brandenburg  Ordnung.  Die  Zwillingsstädte  Berlin-Köln,  die  eine 
fast  unabhängige  Stellung  besafsen  und  sich  oft  genug  gegen  die  1.  f.  Autorität  auf- 
gelehnt hatten,  verloren  ihre  eigene  Gerichtsbarkeit  und  Selbstverwaltung  und  wurden, 
als  sie  sich  dagegen  erhoben  —  der  Berliner  Unwillen  (1447)  —  vollends  gedemütigt. 
Berlin-Köln  wurde  Residenz  des  Markgrafen  und  damit  der  Grund  zur  späteren  Gröfse 
der  Stadt  gelegt.  In  gleicher  Weise  wurden  Geistlichkeit  und  Adel  in  ihre  Schranken 
gewiesen.  Von  Wichtigkeit  war  es,  dafs  der  Markgraf  einzelne  Teile  der  Lausitz  erwarb, 
noch  wichtiger  der  Erwerb  der  Neumark  (1454),  zunächst  nur  als  Pfand,  das  aber 
allmählich  in  wirklichen  Besitz  überging.  Friedrichs  Bruder  Albrecht  (1471 — 1486) 
gewann  schon  als  Fürst  von  Ansbach  unter  den  Fürsten  des  Reiches  ein  hervor- 
ragendes Ansehen.  Eine  glänzende  ritterliche  Erscheinung,  von  einer  Tapferkeit,  die 
ihm  den  Beinamen  des  deutschen  Achilles  eintrug,  war  er  ein  ebenso  tüchtiger  Feld- 
herr wie  kluger  Diplomat  und  tüchtiger  Finanzmann,  im  übrigen  gleich  seinem  Bruder 
ein  Feind  der  politischen  Freiheiten,  wie  er  denn  mit  grofsem  Verdrufs  auf  Nürnbergs 
steigende  Macht  blickte.  Dem  Kaiser  war  er  in  unwandelbarer  Treue  ergeben.  Seinen 
weiten  politischen  Blick  bekundet  sein  Hausgesetz  vom  24.  Februar  1473,  nach 
welchem  die  Kurwürde  stets  ungeteilt  dem  Erstgeborenen  zufallen  und  auch  in  den 
fränkischen  Ländern  nie  mehr  als  zwei  regierende  Fürsten  sein  sollen :  zu  Ansbach 
und  Bayreuth;  auch  diese  Gebiete  sollten  ungeteilt  bleiben  und  jüngere  Glieder  des 
Hauses  durch  Geld  abgefunden  werden.  Dem  Hohenzollernhause  blieben  so  die 
schweren  Kämpfe  erspart,  von  denen  die  meisten  deutschen  Fürstenhäuser  durch  die 
unaufhörlichen  Länderteilungen  heimgesucht  waren.  Das  einzige  Haus,  das  ihnen  die 
führende  Stellung  im  nördlichen  Deutschland  streitig  zu  machen  vermag,  ist  das  der 
Wettiner,  seit  ihm  König  Sigmund  nach  dem  Aussterben  des  wittenbergischen 
Zweiges  der  Askanier  deren  Land  mit  der  Kurwürde  übergab  (1423).  Die  Macht  der 
Wettiner  reichte  südlich  bis  ans  Erzgebirge  und  den  Thüringer  Wald,  westwärts  an 
die  Werra  und  Leine,  im  Norden  an  den  Harz  und  östlich  von  der  Elbe  an  die  lausitzi- 
schen Nebenländer  der  böhmischen  Krone  und  an  die  Mark  Brandenburg.  Dies  grofse 
Gebiet  schlofs  die  mächtigen  Reichsstädte  Mülhausen  und  Nordhausen,  das  kur- 
mainzische  Eichsfeld  mit  Erfurt  ein,  Gebiete  der  Bischöfe  von  Naumburg,  Meifsen  und 
Merseburg  und  die  zahlreicher  Grafen  und  Herren.  Standen  die  Reichsstädte,  so  auch 
Erfurt,  in  einem  Schutzverhältnis  zu  den  Wettinern,  so  besafsen  diese  auch  die  Vogtei 
über  die  drei  Stifter  und  führten  mit  den  Grafen  und  Herren,  von  denen  einzelne  vom 
Reiche,  andere  von  ihnen  selbst,  von  Magdeburg  und  Braunschweig  zu  Lehen  gingen, 
einen  erbitterten  Kampf  um  die  Landeshoheit.1)  Weniger  einig  als  die  Hohenzollern 
stritten  Friedrich  IL  (1428 — 1464)  und  Wilhelm  HI.  um  die  Hinterlassenschaft  ihres  Vetters, 
des  Landgrafen  Friedrich  des  Friedfertigen  von  Thüringen,  bis  sie  sich  im  Naumburger 
Vertrage  verglichen  (1451).  Der  Gegensatz  zwischen  Hohenzollern  und  Wettinern  tritt 
schon  jetzt  deutlich  hervor:  Übernimmt  Albrecht  Achilles  die  Verteidigung  des  Kaisers, 
so  steht  der  Wettiner  an  der  Spitze  der  reichsständischen  Opposition.  Von  allen  kur- 
fürstlichen Ländern  hatte  die  Pfalz  unter  den  Folgen  der  noch  von  König  Ruprecht 
unter  seine  vier  Söhne  vorgenommenen  Landesteilung  am  meisten  zu  leiden.  Die  Kur- 
würde war  an  seinen  Sohn  Ludwig  IH.  (1410 — 1436),  dann  an  seinen  Enkel 
Ludwig  IV.  (1436 — 1449)  gekommen.  Dessen  Bruder  Friedrich  I.  der  Siegreiche  (1449 — 1476), 
der  nicht  Regent  und  Vormund  für  seinen  Neffen  Philipp  bleiben  wollte,  sondern  die 


x)  Brandenburg,  Moritz  v.  Sachsen  I,  2. 


646     ^Veltl.  u.  geistl.  Fürsten.    D.  Herrenstand.    Reichsritterschaft  u.  Reichsstädte. 

Regierung  in  seinem  eigenen  Namen  führte,  wobei  ihm  die  Anerkennung  des  Papstes 
über  die  vom  Kaiser  bereiteten  Schwierigkeiten  hinweghalf,  ein  tüchtiger  Feldherr 
und  Staatsmann  und  eifriger  Mehrer  des  kurfürstlichen  Besitzes,  blieb  die  ganze  Zeit 
Gegner  des  Kaisers  Noch  gröfser  war  die  Zersplitterung  des  Besitzes  in  der  bayrischen 
Linie  des  Hauses  Witteisbach,  in  welcher  die  Landesteilung  von  1392  zu  der  be- 
stehenden Holland-Straubinger  Linie,  die  von  Bayem-Ingolstadt,  -Landshut  und  -München 
hinzugefügt  hatte.  Nach  dem  Erlöschen  der  Straubinger  Linie  wurde  deren  Besitz  (1429) 
unter  die  übrigen  geteilt.  Bedeutungsvoll  wurde  der  Erwerb  des  Ingolstädter  Landes 
durch  Bayern-Landshut  (1447),  um  so  mehr,  als  es  auch  den  Herzogen  von  Bayern- 
München  gelang,  die  Einheit  aufrecht  zu  erhalten.  Erst  am  Ausgang  dieser  ganzen 
Periode  erfolgte  mit  dem  Aussterben  der  Linie  Bayern-Landshut  die  Vereinigung  aller 
bayrischen  Lande  (1504).  Wie  in  den  anderen  deutschen  Territorien  vollzieht  sich  auch 
in  Bayern  im  15.  Jahrhundert  der  schon  früher  begonnene  Übergang  vom  Lehens- 
zum  modernen  Beamtenstaat.1)  In  Württemberg  verschmolz  die  Menge  der  getrennten 
Besitztümer  allmählich  zu  einer  einzigen  Landschaft.  Hessen  gelangte  durch  den  Anfall 
von  Ziegenhain,  Nidda  und  Katzenellnbogen  zu  einem  Zuwachs,  der  seinen  bisherigen 
Besitzstand  verdoppelte.  Der  allgemeinen  Tendenz  der  Teilung  des  landesfürstlichen 
Besitzes  folgte  schliefslich  auch  das  welnsche  Haus  in  Braunschweig -Lüneburg,  nach- 
dem schon  die  Söhne  Herzog  Ottos  des  Kindes,  Albrecht  und  Johann,  den  Gesamt- 
besitz derart  geteilt  hatten  (1267),  dafs  jener  Wolfenbüttel,  Göttingen  und  dieser  Lüne- 
burg, Celle  und  Hannover  erhielt  und  Braunschweig  gemeinsam  blieb.  So  entstanden 
die  altbraunschweigische  und  altlüneburgische  Linie,  die  in  der  Folge  sich  noch  weiter 
verzweigten.  Ähnlich  war  der  Verlauf  der  Dinge  in  den  übrigen  Fürstentümern.  Noch 
ist  auch  der  Prozefs  der  Neubildung  von  Fürstentümern  nicht  abgeschlossen :  noch 
bilden  sich  neue  Territorialgewalten  aus,  wie  das  Haus  Cirksena  in  Ostfriesland.  Von 
Bedeutung  ist  es,  dafs  Mitglieder  deutscher  Fürstenfamilien,  wie  Christian  I.  von  Olden- 
burg, auf  auswärtige  Throne  berufen  werden,  was  zur  Festigung  des  Ansehens  der 
Landesfürsten  wesentlich  beitrug. 

3.  Höher  an  Rang  und  Zahl  als  die  weltlichen,  stehen  die  geist- 
lichen Fürstentümer.  Schon  gilt  es  als  Herkommen,  Bistümer  an  Mit- 
glieder fürstlicher  Häuser,  obere  Stellen  im  Bistum  an  Herren  des  hohen 
und  niederen  Adels  zu  verleihen.  Der  Herrenstand  wird,  soweit  er  nicht 
selbst  zum  Fürstenstand  gehört,  durch  das  gewaltsame  Umsichgreifen 
der  Landesfürsten  in  seiner  Existenz  bedroht.  Mehr  noch  die  Reichs- 
ritterschaft und  die  Reichsstädte.  Die  letzteren  gerieten  bei  der  Tendenz 
der  Fürsten,  ihren  Besitz  abzurunden  und  zu  einem  organischen  Ganzen 
zu  gestalten,  in  mannigfache  Konflikte  mit  ihnen.  Verlangen  die  Städte 
als  ein  ihnen  zukommendes  Recht  die  volle  Reichsstandschaft,  d.  h.  Sitz 
und  Stimme  auf  den  Reichstagen  und  werden  diese  Ansprüche  unbeachtet 
gelassen,  hängt  ihre  Berufung  zu  den  Reichstagen,  ihre  Zuziehung  zu 
den  Beratungen  und  zur  Abstimmung  sowie  ihre  Beteiligung  an  den 
Ausschüssen  von  der  Willkür  des  Königs  und  der  ihn  beeinflussenden 
Fürsten  ab2),  so  ziehen  sie  sich,  ohne  sich  um  den  Zusammenhang  mit 
dem  Ganzen  zu  kümmern,  auf  die  Wahrung  ihrer  Sonderinteressen 
zurück  und  bereiten  die  grofse  wirtschaftliche  Blüte  vor,  die  sie  am 
Ausgang  des  Mittelalters  besitzen.  Der  während  der  Hussitennot  nieder- 
gehaltene Gegensatz  zwischen  ihnen  und  den  Fürsten  brach  nun  allerorten 
wieder  hervor,  und  die  Kämpfe  wurden  noch  durch  die  Eifersucht  der 
einzelnen  Fürstengewalten  aufeinander  verschärft. 


x)  Riezler  III,  629. 
2)  Keussen,  S.  35. 


Fehden  im  deutschen  Reich  um    1450.  (347 

Der  Fehde  zwischen  Herzog  Otto  von  Lüneburg  mit  der  Stadt  Hannover  über 
den  Schiffahrtsverkehr  an  der  Aller  und  Leine  (1440)  folgten  die  Kämpfe  zwischen 
dem  Bischof  von  Osnabrück  und  seinem  Domkapitel  und  zwischen  den  sächsischen 
AYettinern  und  den  Hohenzollern  um  das  Bistum  Würzburg.  Da  zugleich  im  Südwesten 
und  Osten  des  Reiches  heftige  Fehden  geführt  wurden,  herrschten  im  Reiche  chaotische 
Zustände.  Ein  allgemeineres  Interesse  nahm  der  Kampf  der  Hansestadt  Soest  um  die 
Erhaltung  ihrer  Privilegien  und  im  Anschlüsse  daran  der  Versuch  der  Stadt,  sich  der 
Hoheit  von  Köln  zu  entziehen,  in  Anspruch ;  Soest  leistete  dem  Herzog  von  Cleve, 
der  ihm  Erhaltung  seiner  Privilegien  zusicherte,  die  Huldigung.  Da  der  Erzbischof  zu 
Felix  V.  hielt,  fand  Cleve  die  Unterstützung  Eugens  IV.  und  erhielt  von  diesem 
solche  Vorrechte,  dafs  bald  der  Satz  galt:  der  Herzog  von  Cleve  ist  Papst  in  seinen 
Landen.  AVährend  des  Kampfes  trat  Philipp  von  Burgund  auf  Cleves  Seite  und  sicherte 
sich  den  Besitz  von  Luxemburg.  In  Bayern-Ingolstadt  kämpfte  seit  1489  Ludwig  der 
Ältere  mit  seinem  gleichnamigen  Sohn,  weil  dieser  sich  gegen  des  Vaters  AVillen  mit 
Margare ta,  der  Tochter  Friedrichs  I.  von  Brandenburg,  vermählt  hatte,  wogegen  jener 
seinen  natürlichen  Sohn  Wieland  mit  Gütern  und  Schätzen  ausstattete.  Der  alte 
Herzog  geriet  (1443)  in  Gefangenschaft.  Nach  seinem  Tode  (1447)  fiel  das  Ingolstädter 
Erbe  an  Bayern  -  Landshut  (s  oben).  Da  auch  Schwaben  und  Franken  von  wilden 
Fehden  der  Raubritter  heimgesucht  waren,  wurde  1440  ein  Landfriedensbund  geschlossen, 
der  nach  sechs  Jahren  schon  31  Städte  umfafste.  Der  unter  Nürnbergs  Führung 
stehenden  Macht  der  fränkischen  Städte  stellte  sich  Albrecht  Achilles  entgegen,  dessen 
Sinn  auf  den  Erwerb  der  angrenzenden  reichsstädtischen  Gebiete  gerichtet  war.  Ihm 
schlössen  sich  Kurmainz,  Würzburg  und  andere  Fürsten  an.  1449  kam  es  aus  un- 
bedeutendem Anlafs  zum  Kampfe  wider  Nürnberg,  der  sich  bis  1453  hinauszog,  während 
Kurmainz  gegen  Hall,  Württemberg  gegen  Efslingen  und  Albrecht  VI.  von  Österreich 
gegen  Rottweil,  Schaffhausen  und  andere  Städte  kämpfte.  Von  allgemeinerer  Bedeu- 
tung waren  aber  doch  nur  die  Kämpfe  im  Osten. 

§  148.     Die  Kaiserkrönung  Friedrichs  III.     Seine  Beziehungen  zu 
Böhmen,  Ungarn  und  Österreich. 

Quellen  wie  §120.  Dazu  für  die  österr.  Verhältnisse :  AVolfgangus  de  Styra, 
Itinerarium  1414 — 1463,  1484.  Pez  II,  446 — 456.  Vitus  Arnpeck,  Chron.  Austriae  bis 
1488,  ib.  I,  1165—1295.  —  Chronic.  Baioariae  bis  1495.  Pez,  Thes.  an.  III,  2,  19—472. 
Anonymi  Viennensis  breve  chron.  Austr.  bis  1443.  Pez  II,  547 — 550.  Copey-Buch 
gemainer  stat  Wienn  1454 — 1464.  FF.  r.  Austr.  2,  Vn.  Anonymi  Mellicensis  breve 
chron.  Austriae  1438—1464.  Pez  H,  461—6.  Cont.  Mellicens.  bis  1564.  MM.  Germ. 
SS.  IX,  501 — 535.  Chronic.  Austriae  breve  anon.  Tegernseensis  1359 — 1496.  Pez  II, 
469  f.  Behaim  Michel,  Buch  v.  d.  Wienern,  ed.  Karajan.  Wien  1843.  2  A.  1867. 
Zehn  Gedichte  z.  Gesch.  Österr.  u.  Ungerns  in  Q.  u.  F.  zur  vaterl.  Gesch.  AVien  1849. 
Anon.  Chron.  Austriae.  1454 — 1467,  ed.  Rauch.  AVien  1794.  Chron.  Alberti  ducis 
Austriae  1273—1519.  Pez  II,  370—383.  Kleine  Chron.  v.  Öster.  1368-1458.  AÖG.  IX, 
355—368.  Paltramus,  Anonymi  cont.  1310—1455.  Pez  I,  707  ff.  MM.  G.  SS.  IX,  699. 
Cont,  Claustron.  V,  1307—1455,  ib.  735—742.  Addit.  ad  chron.  Zwetlense  1349—1457. 
Pez  I,  542  —  6.  Chronica  d.  L.  Österr.  Appendix,  ib.  1159 — 1166.  Excerpta  hist.  ex 
diario  Friderici  HL  Chmel,  Gesch.  Fried.  III.  I,  576—593.  Kai.  Zwetlense.  MM  G. 
SS.  IX,  689—698.  Chronica  der  edlen  Grafen  v.  Cilli  1359—1458,  ed.  Krones  »Die 
Freien  von  Saneck«.  Graz  1881.  Chron.  Salisb.  1403—1494.  Duellius,  Miscell.  H,  129 
bis  168.  Chronicon  Stamsensis  monast.  1273—1496.  Pez  II,  457—60.  Tichtel,  Tage- 
buch 1477  —  1495.  FF.  rer.  Aust.  I,  3 — 60.  Langmann  de  Valkenstein,  Historia  despons., 
bened.  et  coronationis.  Fr.  1451,  Pez  II,  572 — 606.  Manetti,  Oratio  gratulat.,  Freher- 
Struve  IH,  9.  Thaddaei  Quirini,  Orat.  grat.,  ib.  II,  42.  Allgemeines :  Andreas  Ratisb., 
Chron.  pont.  et  imp  reicht  nur  bis  1438.  Chron.  Elwangense.  Freher  I,  673  ff. 
Matth.  Doering,  Cont.  Engelhus.  bis  1464.  Menken  III.  Steinhöwel,  Chronik  bis  1473. 
Frankf.  1531.  Anonym.  Rotensis,  Chron.  bis  1485,  bei  Pez  I,  467.  Städtechroniken 
w.  oben.  Bez.  zu  Böhmen  :  Palacky :  TJrk.-Beitr  zur  Gesch.  Böhmens  u.  seiner  Nach- 
barländer im  Zeitalter  Georgs  v.  Podiebrad.  FF.  rer.  Austr.  2.  XX.  Bachmann,  Urkk.  u. 
Aktenstücke  z.  österr.  Gesch.  im    Zeitalter  K.  Friedrichs  III.  u.  K.  Georgs  v.  Böhmen. 


648  Friedrich  III. 

FF.  r.  Aust.  2.  XLH,  XLIV  u.  XLVI.  Wien  1879—1892.  Markgraf,  Pol.  Korresp.  Breslaus 
im  Zeitalter  Georgs  v.  P.  SS.  rer.  Sil.  VIH,  IX.  Einzelnes  auch  Bd.  XIII,  XIV  sowie 
im  Archiv  cesky.  Gregr,  Xejedli  prameny  k  synodäm  strany  Prazske  a  Taborske 
1-441—44.  Prag  1900.  Darstellende  Quellen:  Johannes  Rabensteinensis,  Dialogus,  ed. 
Bachmann  AÖG.  LIV.  (Dazu  Bachmann  im  5.  Jahresber.  d.  RealG.  in  Prag  1877.)  Peter 
Eschenloer,  Hist.  Vratislav.  SS.  rer.  Sil.  VII  Deutsche  Bearb.  v.  Kunisch  1827.  Jahrb. 
des  Zittauer  Ratschreibers  Johann  v.  Guben.  SS.  rer.  Lus.  I.  Loserth,  Die  Denk- 
schrift des  Breslauer  Domherrn  Nikolaus  Tempelfeld  v.  Brieg  über  die  Wahl  Georgs 
v.  Podiebr.  AÖG.  LXI.  Wien  1880.  Cochläus,  Hist.  Hussitarum  s.  oben.  De  Georgio 
Boh.  rege,  Höfler,  Gesch.  d.  husit.  Bew.  III,  211 — 225.  Stari  letipisove,  ed.  Pal.  SS.  rer. 
Boh.  III.  Annales  Glogov.  SS.  rer.  Sil.  X.  Dlugosch,  Hist.  Pol.  w.  oben.  Zu  Ungarn : 
Urkk.  und  Korresp.  bei  Teleki  X,  Fejer  X,  Theiner,  MM.  eccl.  Hung.  H.  Matthias 
Corvinus,  Epistolae,  ed.  Fraknöi.  Budap.  1893—95,  1.  Bd.  1458—1479,  2.  Bd.  1480—1490. 
Akt.  u.  Korr.  zur  Gesch.  d.  K.  Matthias  v.  1458—1490  in  MM.  Hung.  hist.,  4.  Abt. 
Dipl.  Denkm.,  herausg.  d.  d.  ung.  Akad.  von  Nagy  u.  Xyari.  3  Bde.  Daselbst  die  Be- 
richte Christoph  Bollas  d.  mail.  Gesandten  am  Grazer  Hofe  u.  spez.  über  die  Baum- 
kircher  Fehde.  S.  auch  Joachimsohn-Krones  in  den  Beitr.  z.  K.  steierm.  GQ.  XXXH. 
Urkk.  zur  Gesch.  des  Triestiner  Krieges  in  Kandier,  Cod.  diplom.  Istriano.  Triest  1864. 
Darstellende  Werke  :  Thurocz,  w.  oben.  Bonfinius,  Rerum  Hungaricarum  decades  etc., 
ed.  Bei.     Lips.  1771.     Ranzanus,  Epit.  rer.  Hung.,  ed.  Schwandtner  w.  oben. 

Hilf  s  Schriften.  Aufser  den  allg.  Werken  zur  österr.,  böhm.,  ung.  Geschichte 
von  Chmel,  Lichnowsky,  Krones,  Huber,  Kurz,  Palacky,  Katona,  Szalay,  Horwath, 
Fefsler-Klein,  Engel,  Csuday :  Zeifsberg,  Der  österr.  Erbfolgekrieg  nach  dem  Tode 
des  Königs  Ladisl.  Posth  AÖG.  LVHL  Bachmann,  Ein  Jahr  böhm.  Gesch.,  ib.  LIV. 
—  Böhmen  u.  seine  Nachbarländer  unter  Georg  v.  Podiebrad.  Prag  1878.  —  Neues 
über  die  Wahl  K.  Georgs  v.  Böhmen.  MVGDB.  XXXIII,  1—16.  Jordan,  Das 
Königtum  Georgs  v.  Podiebrad.  Leipzig  1861.  Voigt,  Georg  der  Hussitenkönig. 
HZ.  V.  Bachmann,  G.  v.  P.  ADB.  1879.  Voigt,  Enea  Silvio  wie  oben.  Martens, 
D.  letzte  Kaiserkrönung  in  Rom.  Leipz.  1900.  Markgraf,  Über  d.  Verhältnis  d.  K.  G. 
v.  Böhmen  zu  P.  Pius  IL  Breslau  1867.  S.  auch  Forschungen  IX,  217.  Markgraf, 
Die  Bildung  der  kath.  Liga  gegen  K.  G.  HZ.  XXXIII.  Pazout,  K.  Georg  v.  Böhmen 
und  die  Konzilsfrage  1467.  AÖG.  XL.  Grünhagen,  Gesch.  Schlesiens  I.  Riezler, 
G.  Bayerns  IH.  Joachim. söhn,  Gregor  v.  Heimb.  wie  oben.  F r i n d ,  Kirchengesch. 
v.  Böhmen  IV.  Ermisch,  Stud.  zu  d.  sächs.-böhm.  Beziehungen.  Dresd.  1881. 
Richter,  G.  v.  Ps.  Bestrebungen  zur  Erlangung  d.  d.  Kaiserkrone.  Wien  und 
Leipzig  1863.  Menzel,  Diether  v.  Isenburg,  Erlangen  1868.  Schädel,  Z.  Kampf 
Adolfs  v.  Nassau  mit  Diether  v.  I.  Z.  Niederrhein.  Gesch.  Mainz  HI.  Kluckhohn, 
Ludw.  d.  Reiche.  Nördlingen  1868.  Feeser,  Friedrich  d.  Siegreiche,  Kurf.  v.  d. 
Pfalz  1449—1476.  Progr.  Neuburg  a.d.D.  1880.  Bachmann,  Die  ersten  Versuche 
einer  röm.  Königswahl  unter  Friedrich  III.  Forsch.  XVII,  275.  Für  Matth.  Corvinus  und 
die  Baumkircher  Fehde  s.  jetzt  Krones:  Beitr.  z.  Gesch.  der  Baumkircher  Fehde  1469 
bis  1472  u.  ihre  Nachwehen.  AÖG.  LXXXIX  u.  d.  2.  Exkurs  seiner  Beitr.  zur  Gesch. 
der  Steierm.  1462—1471  in  MHV.  Steierm.  XI  (in  beiden  sind  Urkk.  u.  weitere  Lit, 
angaben).  Benussi,  Nel  Medio  Evo,  pagine  di  storia  Istriana.  Parenzo  1897. 
Kandier,  Storia  del  consiglio  dei  patrizi  di  Trieste  1858.  Hoffmann,  Kaiser 
Friedrichs  HI.  Beziehungen  zu  Ungarn  1458 — 64.  Diss.  Bresl.  1887.  —  Friedrichs  HI. 
Beziehungen  zu  L^ngarn  1464—1470  u.  1470—1474.  Progr.  Glogau  1899—1901.  Karge, 
Friedrichs  IH.  u.  Maximilians  I.  ungarische  Politik  u.  ihre  Beziehungen  zu  Moskau. 
DZG.  LX,  259—287.  Wendt,  Die  Stände  des  Fürstent.  Breslau  im  Kampf  mit 
K.  Matthias.  ZVG.  Schles.  XXXII,  157.  —  Schlesien  im  Kampf  d.  K.  Matthias  mit 
Friedrich  HI.  1482.  Ebenda XXXI.  Priebatsch,D.  Glog.  Erbfolgestreit.  Ebenda XXXIH. 
Fraknöi,  Matthias  Corvinus,  K.  v.  Ungarn,  1458—1490.  Freib.  i.  B.  1891.  Mayer_, 
Die  Abdankung  d.  Erzb.  Bernhard  v.  Salzburg  und  der  Ausbruch  des  dritten  Krieges 
zwischen  Friedlich  u.  K.  Matthias  1477— 1481.  AÖG.  LIV.  Segesser,  D.Beziehungen 
der  Schweizer  zu  Matthias  Corv.  Schober,  Die  Eroberung  Niederösterreichs  durch 
Matth.  C.  1482—1490.  Wien  1879.  Sonstige  Lit.-Angaben  bei  Krones,  Handbuch  II,  454. 
Csanki,  Ung.  hist.  Geographie  im  Zeitalter  der  Hunyady.     Budap.  1894. 


Friedrich  III.  und  seine  Beziehungen  zu  Ungarn  und  Böhmen.  549 

1.  Die  Versuche  Friedrichs  III.,  die  landesfürstliche  Gewalt  in 
Österreich  auf  festere  Grundlagen  zu  stellen  (s.  §  120),  verwickelten  ihn 
in  Streitigkeiten  mit  seinem  Bruder  Albrecht  VI.,  seinem  Vetter  Sig- 
mund von  Tirol  und  den  von  seinen  Mafsnahmen  betroffenen  Land- 
schaften. Als  Vormund  Ladislaus'  Posthumus  kam  er  in  Kämpfe  mit 
den  ständischen  Gewalten  von  Ungarn,  Böhmen  und  Osterreich.  Die 
Ungarn,  die  nach  der  Schlacht  bei  Varna  Ladislaus'  Rechte  anerkannt 
hatten  (1445),  forderten  dessen  Auslieferung,  die  von  ihm  verweigert 
wurde.  Da  er  zudem  die  Wahl  seines  Mündels,  als  dessen  Erbrecht 
widerstreitend,  für  überflüssig  erklärte,  sohien  es  in  Ungarn  zu  einer 
Neuwahl  zu  kommen.  Dem  widerstrebte  die  Eifersucht  der  Grofsen,  und 
so  wurde  Ladislaus  zwar  als  König  anerkannt  (1446),  für  die  Zeit  seiner 
Abwesenheit  aber  Johann  Hunyady  als  Reichsverweser  eingesetzt.  Ein 
Versuch  der  Ungarn,  den  König  in  ihre  Gewalt  zu  bekommen,  führte 
zu  einem  Streite  mit  Friedrich  und  endete  (1447)  mit  einem  zweijährigen 
Waffenstillstand.  Mehr  lag  Hunyady  die  türkische  Frage  am  Herzen, 
aber  sein  Feldzug  gegen  die  Türken  endete  mit  seiner  Niederlage  auf 
dem  Amselfeld.  1451  kam  es  zu  einem  dreijährigen  Waffenstill- 
stand (s.  oben  §  137).  In  der  Zwischenzeit  hatte  der  Reichsverweser 
schwere  Kämpfe  mit  den  Magnaten  und  mit  Giskra  von  Brandeis,  dem 
Führer  hussitischer  Söldner,  zu  bestehen,  der  sich  »als  oberster  Feld- 
hauptmann des  Königs  Ladislaus«  in  Oberungarn  behauptete.  Unter 
solchen  Umständen  wurde  zwischen  Hunyady  und  Friedrich  III.  der 
Prefsburger  Vertrag  (1450,  22.  Oktober)  geschlossen,  der  dem  König  die 
Vormundschaft  über  Ladislaus,  dem  Reichsverweser  den  Besitz  seiner 
Stellung  sicherte.  Ahnlich  war  der  Verlauf  der  Dinge  in  Böhmen ;  auch 
Podiebrad  bemühte  sich,  Ladislaus  in  seine  Gewalt  zu  bekommen,  be- 
gnügte sich  aber  schliefslich  damit,  dafs  ihm  Friedrich  die  Verwaltung 
Böhmens  übertrug.  Am  27.  April  1452  wählten  die  böhmischen  Stände 
Georg  zum  Reichsverweser.  Hatte  sich  Friedrich  mit  den  Gubernatoren 
von  Ungarn  und  Böhmen  verständigt,  so  kam  es  in  Österreich  zu  tief- 
gehenden Bewegungen. 

Hier  hatten  die  Kosten  der  Grofsmachtstellung  Albrechts  II  und  seine  Kriege 
die  Finanzen  erschöpft :  der  1.  f.  Besitz  war  verpfändet,  viele  Söldnerführer  nicht 
gezahlt  worden,  und  doch  mufsten  zur  Behauptung  Ungarns  und  Böhmens  neue  Mittel 
aufgebracht  werden.  Die  Söldnerführer  griffen  zur  Selbsthilfe  und  plünderten  Städte 
und  Dörfer.  Für  alle  diese  Mifsstände  wurde  Friedrich  IQ.,  dessen  bedächtiges  Wesen 
und  seine  Vorliebe  für  steirische  Günstlinge  und  die  steirische  Hauptstadt  ihm  wenig 
Freunde  schufen,  verantwortlich  gemacht.  Schliefslich  begehrten  auch  die  niederöster- 
reichischen Stände  (1447),  dafs  ihnen  Ladislaus  ausgeliefert  würde.  Ulrich  Eizinger 
von  Eizing,  ein  Adeliger  bayrischer  Herkunft,  der  unter  König  Albrecht  zur  Stellung 
eines  Hubmeisters  (Finanzministers)  gelangt  war,  eben  so  kühn  als  verschlagen  und 
beredt,  hoffte  in  Österreich  eine  Stellung  zu  erreichen  wie  die  Gubernatoren  in  Ungarn 
und  Böhmen.  Anlafs  zu  seinen  Umtrieben  bot  ihm  Friedrichs  Absicht,  demnächst 
seine  Brautfahrt  und  im  Zusammenhang  damit  seinen  Römerzug  anzutreten,  auf  dem 
ihn  Ladislaus  begleiten  sollte.  Gerüchte  kamen  in  Umlauf,  dafs  der  König  sein  Mündel 
dem  Verderben  durch  das  ungewohnte  Klima  Italiens  aussetzen  wolle.  Im  Oktober  1451 
schlofs  Eizinger  mit  einer  grofsen  Anzahl  Adeliger  einen  Bund :  Ladislaus  sollte  nach 
Österreich   gebracht   und    ein  Regentschaftsrat   eingesetzt  werden.     Als  Friedrich    sich 


650     Wirren  in  Österreich.    Die  Romfahrt  Friedrichs  III.    Ladislaus  Fosthurnus. 

weigerte,    den    ständischen   Forderungen  nachzugeben,    wurde  ihm  der  Gehorsam   auf- 
gekündigt und  ein  Regentschaftsrat  eingesetzt,  an  dessen  Spitze  Eizinger  stand. 

Trotz  seiner  unsicheren  Lage  trat  Friedrich  seine  Romfahrt  an 
(1451,  21.  Dezember)  und  liefs  sich  darin  auch  trotz  der  Absagebriefe 
des  österreichischen  Adels  nicht  beirren.  Über  Treviso,  Padua,  Ferrara 
und  Bologna  kam  er  nach  Florenz  (1452,  30.  Januar).  In  Siena  traf  er 
mit  seiner  Braut,  der  Infantin  Eleonore,  Schwester  Alfonsos  V.  von 
Portugal  zusammen,  am  9.  März  fand  der  Einzug  in  Rom  statt,  am 
16.  wurde  er  zum  lombardischen  König  gekrönt,  an  demselben  Tage 
segnete  Nikolaus  V.  seine  Ehe  ein1),  und  drei  Tage  später  wurde  die 
Kaiserkrönung  vollzogen.  Dann  ging  die  Fahrt  nach  Neapel  an  den 
Hof  des  Oheims  Eleonorens.  Hier  riefen  ihn  Nachrichten  über  die 
Fortschritte  seiner  Gegner  in  die  Heimat  zurück.  Diese  hatten  sogar 
den  allerdings  erfolglosen  Versuch  gemacht,  den  Papst  auf  ihre  Seite 
zu  ziehen.  Als  Friedrich  in  W.  Neustadt  erschien  (20.  Juni),  hätte  er 
sie  leicht  zu  Paaren  treiben  können ,  beschränkte  sich  aber  auf 
Abmahnungsschreiben;  um  so  eifriger  waren  seine  Widersacher. 
Vom  Heerbann  der  vereinigten  österreichischen ,  böhmischen  und 
ungarischen  Stände  in  Neustadt  belagert,  lieferte  er  Ladislaus  bis  zum 
Spruche  des  zu  diesem  Zwecke  eingesetzten  Schiedsgericht  an  den 
Grafen  Ulrich  von  Cilli  aus.  Ladislaus  wurde  nun  tatsächlich  als  grofs- 
j  ährig  angesehen. 

2.  Bei  der  grofsen  Jugend  des  Königs  bot  es  die  gröfsten  Schwierig- 
keiten, seine  Autorität  in  seinen  Ländern  zur  Geltung  zu  bringen.  In 
Ungarn  behielt  schlief slich  Hunyady  die  Verwaltung,  und  in  Böhmen 
ward  Podiebrad  auf  weitere  sechs  Jahre  als  Gubernator  anerkannt  (1453, 
2.  Mai).  In  Ost  erreich  kam  des  Königs  Oheim,  Ulrich  von  Cilli,  mit  dem 
in  seinen  Hoffnungen  getäuschten  Eizinger  in  Konflikt.  Am  Kor- 
neuburger  Landtag  (1453,  September)  forderten  die  Stände  Ulrichs  Ent- 
lassung, die  mit  Eizinger  verbündeten  Wiener  trieben  ihn  aus  der  Stadt, 
und  die  Regierungsgewalt  kam  an  einen  ständischen  Ausschufs.  Auch 
in  Böhmen  war  Ladislaus'  Einflufs  kein  gröfserer.  Zwar  wurde  er,  nach- 
dem er  das  Versprechen  geleistet,  die  Kompaktaten  anzuerkennen  und 
Rokytzanas  Wahl  zum  Erzbischof  zu  befürworten,  zum  König  gekrönt 
(1453,  28.  Oktober),  das  Regiment  führte  aber  Podiebrad  in  einer  Weise 
weiter,  die  ihm  auch  die  Anerkennung  vieler  Gegner  gewann.  Schwierig  war 
die  Lage  der  Dinge  in  Ungarn,  und  in  Ost  erreich  entlud  sich  bald  der  ganze 
Hafs  des  Adels  auf  Eizingers  Haupt.  Ulrich  von  Cilli  wurde,  kaum 
dafs  Ladislaus  nach  Wien  zurückgekehrt  (1455,  Februar)  war,  in  seine 
alte  Stellung  wieder  eingesetzt.  Mit  ihm  traten  Hunyadys  Feinde,  Ladis- 
laus Gara  und  Niklas  Ujlaky,  in  Verbindung.  Es  ist  kein  Zweifel,  dafs 
er  auch  in  Ungarn  die  oberste  Regierungsgewalt  anstrebte.  Angesichts 
der  drohenden  Türkengefahr  einigten  sich  aber  die  Gegner.  Hunyadys 
Sieg    bei    Belgrad    (s.  oben)    war   die   letzte    WarTentat   des   Helden.     Er 


1    Hierüber  s.  v.  Krones,  Leonor  v.  Portugal,  Gemahlin  Friedrichs  III.  ,1436 — 1467). 
MHYSteierm.  XLIX. 


Ermord.  Ulrichs  v.  Cilli.  Hinricht.  Ladisl.  Hunj^adys.   I).  Ende  Lad.  Posthumus'.     (}51 

erlag  am  11.  August  1456  der  Pest.  Mittlerweile  waren  noch  zahlreiche 
Kreuzfahrer  nach  Ungarn  gezogen,  und  auch  der  König  machte  sich 
dahin  auf.  Auf  dem  Tage  von  Futak  ernannte  er  -Ulrich  zum  »obersten 
Hauptmann«.  Hunyadys  älterer  Sohn  Ladislaus  mochte  fürchten,  ganz 
in  den  Hintergrund  gedrängt  zu  werden;  das  war  wohl  der  Grund, 
weshalb  der  Cillier,  als  er  in  des  Königs  Begleitung  nach  Belgrad  zog, 
von  Hunyadys  Anhänger  erschlagen  wurde  (9.  November).  Da  sich  der 
König  selbst  in  ihrer  Gewalt  befand,  mufste  er  das  Geschehene  gut- 
heifsen.  Nun  wurde  die  Kreuzfahrt  aufgegeben.  Es  gewann  den  An- 
schein, als  würde  der  ältere  Hunyady  in  die  Stellung  seines  Vaters  ein- 
rücken. Der  König  ernannte  ihn  unter  dem  Zwange  der  Verhältnisse 
nicht  blofs  zum  Generalkapitän,  sondern  erklärte  auch,  die  Ermordung 
des  Cilliers,  seines  Verwandten,  nicht  rächen  zu  wollen.  Willig  folgten 
Ladislaus  und  Matthias  Hunyady  dem  König  nach  Ofen.  Aber  schon 
war  dieser  entschlossen,  sich  aus  seiner  Abhängigkeit  zu  befreien  und 
die  Gegner  Hunyadys  boten  hiezu  die  Hand.  Mit  ihrer  Hilfe  wurden 
die  beiden  Hunyady  und  andere  Teilnehmer  an  Ulrichs  Ermordung  ge- 
fangen gesetzt  und  Ladislaus  Hunyady  unter  dem  Vorwand  einer  Ver- 
schwörung gegen  den  König  enthauptet  (1457,  16.  März).  Der  König 
fühlte  sich  glücklich,  dafs  es  niemanden  mehr  gebe,  der  ihn  beherrsche. 
Aber  die  Hinrichtung  Hunyadys,  dessen  Vater  in  ganz  Ungarn  als 
Nationalheld  gefeiert  wurde,  erregte  eine  Gärung  im  Lande.  Der  König 
verliefs  es,  um  es  nicht  wieder  zu  betreten.  Doch  führte  er  Matthias 
Hunyady  mit  sich  nach  Wien.  Seine  Lage  verschlimmerte  sich  übrigens 
durch  den  Cillier  Erbstreit,  in  den  er  mit  Friedrich  III.  geriet.  Nichts- 
destoweniger suchte  er  sich  auf  den  Rat  Konrad  Hölzlers,  des  früheren 
Bürgermeisters  von  Wien  und  nunmehrigen  Hubmeisters  von  Österreich, 
auch  von  der  Abhängigkeit  von  Eizinger  und  Georg  von  Podiebrad  zu 
befreien.  Beide  vereinigten  sich  jedoch  zu  gemeinsamem  Vorgehen 
gegen  Hölzler :  vor  den  König  geladen,  weigerten  sie  sich,  Wien  zu 
betreten,  und  Georg  von  Podiebrad,  der  mit  bewaffneter  Macht  erschienen 
war,  setzte  es  im  Bunde  mit  Eizinger  durch,  dafs  des  Königs  Hochzeit 
mit  Magdalena,  der  Tochter  Karls  VII.  von  Frankreich,  nicht  in  Wien,  wo 
Hölzler  allen  Einflufs  besafs,  sondern  in  Prag  gefeiert  werde ;  hier  befand 
sich  der  König  in  den  Händen  Podiebrads.  Als  Hölzler  die  für  die  Aus- 
rüstung einer  glänzenden  Gesandtschaft  nach  Frankreich  erforderlichen 
Summen  nicht  aufzubringen  vermochte,  wurde  er  in  Prag  gefangen  ge- 
setzt. Podiebrads  Einflufs  war  jetzt  grofser  als  früher  und  der  König 
gezwungen,  einen  Vergleich  mit  Friedrich  III.  über  die  Cillier  Erbschaft 
einzugehen;  Eizinger  gewann  seinen  alten  Einflufs  in  Österreich  wieder. 
Inzwischen  war  die  Gesandtschaft  nach  Frankreich  abgegangen  und  alle 
Vorbereitungen  zur  Hochzeit  des  Königs  getroffen.  Da  erkrankte  dieser 
am  20.  November  1457,  wie  es  scheint,  am  Beulentyphus,  der  durch 
Kreuzfahrer,  die  an  dem  letzten  Türkenkrieg  teilgenommen  hatten,  nach 
andern  Ländern  verbreitet  worden  war.  Drei  Tage  später  verschied 
er,  noch  nicht  achtzehn  Jahre  alt.  Böse  Gerüchte,  von  nationalen  und 
kirchlichen  Gegnern  des  böhmischen  Gubernators  weiter  verbreitet,    be- 


652  Auflösung  der  österr. -böhmisch-ungarischen-  Union. 

schuldigten    diesen    des  Mordes    und    fanden   in   allen  Nachbarländern, 
namentlich  in  Schlesien,  Verbreitung.1) 

§  149.     Die  Auflösung  der  Union  zwischen  Österreich,  Böhmen  und 
Ungarn  und  der  Plan  einer  neuen  Königswahl  in  Deutschland. 

1.  Mit  Ladislaus  Posthumus  war  der  Mannsstamm  der  Albertinischen 
Linie  des  Hauses  Habsburg  erloschen;  die  Rechtsfrage  über  die  Nach- 
folge lag  in  den  von  ihm  beherrschten  Ländern  verschieden.  Sicher 
war  die  Nachfolge  der  Leopoldinischen  Linie  nur  in  Österreich.  Aber 
selbst  hier  stritt  man,  ob  alle  Mitglieder  oder  nur  das  Haupt  des  Hauses 
zur  Nachfolge  berufen  sei,  bis  ein  Vertrag  dem  König  Friedrich  III. 
Nieder-,  seinem  Bruder  Albrecht  Oberösterreich,  und  Sigmund  von  Tirol 
ein  Drittel  der  Einkünfte  beider  Länder  zuwies  (1458,  27.  Juni).  Die 
Sucht  zu  teilen  ging  so  weit,  dafs  selbst  die  Hofburg  in  drei  Teile  ge- 
teilt wurde.  Während  dieses  Streites  verlor  Habsburg  Böhmen  und 
Ungarn,  deren  Erwerb  so  grofse  Opfer  gekostet  hatte;  auch  in  der  böh- 
mischen Frage  waren  die  Habsburger  nicht  einig :  Der  Kaiser  erklärte 
Böhmen  als  heimgefallenes  Reichslehen,  Albrecht  VI.  und  Sigmund 
stützten  sich  dagegen  auf  die  habsburg-luxem  burgische  Erb  Verbrüderung 
von  1364.  Aber  noch  war  der  luxemburgische  Stamm  nicht  ganz  er- 
loschen. Die  ältere  Schwester  Ladislaus'  war  an  Wilhelm,  den  Bruder 
des  Kurfürsten  von  Sachsen,  die  jüngere  an  König  Kasimir  von  Polen 
vermählt.  Beide  machten  ihre  Ansprüche  geltend.  Das  Erbrecht  hatte 
jedoch  während  der  Hussitenkriege  seine  Kraft  eingebüfst,  und  Ladislaus 
war  nur  als  Wahlkönig  anerkannt  worden.  Auch  jetzt  herrschte  die 
Tendenz,  das  Wahlrecht  zur  Geltung  zu  bringen;  auf  dessen  Grund  be- 
warben sich  Karl,  der  jüngere  Sohn  Karls  VII.  von  Frankreich,  die 
Brandenburger  Friedrich  und  sein  Bruder  Albrecht  und  Ludwig  von 
Bayern-Landshut  um  die  erledigte  Krone.  Alle  überragte  Georg  von 
Podiebrad,  der  als  Gubernator  die  Mittel  besafs,  seine  Wahl  durchzu- 
setzen, und  für  den  die  utraquistische  Partei  unter  Rokytzanas  Führung, 
sowie  der  kleine  meist  utraquistische  Adel  eintrat.  Selbst  in  den  katholi- 
schen Städten  Böhmens  hatte  er  Anhänger.  Dagegen  wollten  die  Ka- 
tholiken in  den  Nebenländern  von  der  Wahl  eines  »Ketzers«  nichts 
wissen,  ja  selbst  in  Böhmen  war  die  Opposition  gegen  Georg  nicht  un- 
bedeutend. Am  Landtag,  der  am  22.  Februar  1458  in  Prag  zusammen- 
trat, sollten  nur  Mafsregeln  zur  Sicherheit  des  Landes  getroffen  werden. 
Gleichwohl  erfolgte  unter  dem  Drucke  der  von  der  utraquistischen 
Priesterschaft  aufgereizten  Massen,  die  einen  »Tschechen  und  niemand 
andern«  zum  König  begehrten,  am  2.  März  die  Wahl  Georgs.  Die 
katholische  Partei  hatte  die  Zusicherung  völliger  Gleichberechtigung  er- 
halten; Geld  und  reiche  Versprechungen  hatten  nachgeholfen.  Die 
Krönung  wurde  in  Ermanglung   eines   katholischen  Bischofs  in  Böhmen 


x)  Von  Wichtigkeit  hierüber  ist  auch  heute  noch  Palackys  Abhandlung :  Zeugen- 
verhör über  den  Tod  König  Ladislaus'  von  Ungarn  und  Böhmen  im  Jahre  1457.  Abh. 
d.  böhm.  Gesch.  d.  W.  5.  F.  9.  Bd.  Dazu  Bachmann  in  den  FF.  rer.  Austr.  2  42,  204. 


Der  Hussitenkönig  Georg.     Matthias  Corvinus,  König  v.  Ungarn.  653 

durch  die  ungarischen  Bischöfe  von  Waitzen  und  Raab  vorgenommen 
(7.  Mai).  Mit  der  Krönung  war  aber  die  Preisgebung  der  Kompaktaten 
verbunden,  denn  Georg  hatte  zuvor  die  Ketzerei  abschwören  und  vor 
Zeugen  geloben  müssen,  der  römischen  Kirche  Gehorsam  zu  erweisen 
und  sein  Volk  zur  Einheit  der  Kirche  zurückzuführen.  Jetzt  erst  wurde 
er  in  den  Nebenländern,  wo  zwar  die  Idee  der  Legitimität  tiefere  Wurzeln 
hatte,  aber  kein  gemeinsamer  Gegenkandidat  vorhanden  war,  anerkannt; 
vor  allem  in  Mähren,  wo  nur  das  von  Osterreich  unterstützte  Iglau 
längeren  Widerstand  leistete.  Ein  Abkommen  mit  Friedrich  III.  (1458, 
2.  Oktober)  stellte  ihm  die  Belehnung  mit  Böhmen  und  der  Kurfürsten- 
würde in  Aussicht.  Die  Ansprüche  Sachsens  wurden  auf  dem  Tage 
von  Eger  (1459,  25.  April)  aus  dem  Wege  geräumt.  Nun  erhielt  Georg 
auch  in  Schlesien  und  der  Lausitz  die  Anerkennung. 

2.  Auch  auf  die  Nachfolge  in  Ungarn  erhoben  die  Schwäger  des  letzten 
Königs  Ansprüche,  und  auch  Friedrich  III.  fand  hier  in  jenen  Kreisen 
Anhänger,  die  seit  Jahren  das  Haus  Hunyady  bekämpft  hatten,  aber  sie 
waren  unter  sich  weder  einig  noch  der  Partei  Hunyadys  gewachsen. 
Diese  kämpfte  für  die  Erhebung  Matthias',  der  als  Gefangener  in  Prag 
weilte.  Arn  tätigsten  war  sein  Oheim  Michael  Szilägyi,  der  eine  Ver- 
söhnung mit  dem  Palatin  Ladislaus  Gara  zuwege  brachte.  Matthias 
sollte  dessen  Tochter  heiraten.  Aber  schon  am  Tag  nach  dem  Tode 
Ladislaus'  Posthumus  hatte  Podiebrad  den  Corvinen,  um  ihn  an  sein 
Haus  zu  fesseln,  der  Haft  entlassen  und  kurz  nachher  mit  seiner  Tochter 
Katharina  verlobt.  Matthias  gelobte,  an  Georg  60000  Goldgulden  zu 
zahlen ,  wogegen  dieser  für  seine  Wahl  einzutreten  versprach.  Zwar 
schlofs  sich  nun  Gara  den  Gegnern  des  Hauses  Hunyady  an;  da 
Matthias  aber  die  Versicherung  gab,  weder  die  Hinrichtung  seines 
Bruders  zu  rächen  noch  die  Freiheit  der  Wahl  zu  gefährden,  so  be- 
schlossen diese,  an  dem  Wahlakte  teilzunehmen.  Auch  hier  vollzog  sich 
die  Wahl  nicht  in  ruhiger  Weise.  Den  Ausschlag  gaben  die  auf  dem 
Eise  der  Donau  aufgestellten  Truppen,  die  nach  langem  Warten,  vor 
Kälte  erstarrt,  in  die  Rufe  ausbrachen:  »Es  lebe  König  Matthias«,  ein 
Ruf,  der  von  den  Volksmassen  zum  Sitzungssaale  des  Reichstages  fort- 
getragen wurde  und  hier  die  Entscheidung  brachte.  Auch  die  Partei 
Garas  und  Ujlakys  schlofs  sich  an,  und  Matthias  wurde  zum  König  aus- 
gerufen (1458,  24.  Januar).  Bei  seinem  jugendlichen  Alter  —  er  zählte 
erst  15  Jahre  —  wurde  ihm  sein  Oheim  Michael  Szilägyi  auf  fünf  Jahre 
als  Reichsverweser  beigegeben.  Georg  von  Podiebrad  überbrachte  dem 
Gewählten  die  freudige  Botschaft,  liefs  ihn  an  die  mährisch-ungarische 
Grenze  geleiten  und  schlofs  mit  ihm  in  Straschnitz  Verträge  (8. — 9.  Fe- 
bruar), die  ihn  noch  fester  an  Böhmen  knüpften.  Aber  Matthias  fühlte 
sich  hiedurch  nicht  weniger  beengt,  als  durch  seine  Abhängigkeit  von 
Szilägyi.  Ein  frühreifer  Jüngling  von  trefflichen  Anlagen,  durchdringen- 
dem Verstand  und  unbeugsamem  Willen,  den  die  Schule  des  Lebens 
früh  gestählt  hatte,  von  starkem  monarchischen  Bewufstsein,  rücksichtslos, 
wenn  es  sein  mufste  selbst  gegen  Verwandte  und  Freunde,  fühlte  er 
sich  stark  genug,  die  Regierung  in  die  eigenen  Hände  zu  nehmen.    Mit 


654  -Matthias  u.  Friedrich  III.     Der  deutsche  Königsplan  Georgs. 


rascher  Tat  schob  er  den  ehrgeizigen  Oheim  zur  Seite,  sandte  ihn  zur 
Verteidigung  des  Reiches  gegen  die  Türken  nach  Süden  und  liefs  ihn, 
wie  es  scheint,  wegen  hochverräterischer  Verbindung  mit  dem  Palatin 
Gara  und  dem  siebenbürgischen  Woiwoden  Ujlaky  verhaften.  Nur  der 
Fürsprache  Carvajals  dankte  Szilägyi  sein  Leben.  Das  Palatin at  und 
die  Siebenbürger  Woiwodschaft  wurden  in  andere  Hände  gegeben.  Dar- 
über entstand  ein  Bündnis  gegen  Matthias,  an  dem  aufser  Ujlaky  und 
Gara  eine  Anzahl  mächtiger  Magnaten  teilnahm.  Sie  traten  mit  dem 
Kaiser  in  Verbindung  und  wählten  ihn  mit  seiner  Zustimmung  am 
17.  Februar  1459  zum  König. 

3.  Matthias  versammelte  inzwischen  die  treu  gebliebenen  Stände 
und  liefs  sich  aufs  Neue  den  Eid  der  Treue  schwören.  Zwar  wurden 
seine  Truppen  bei  Könnend  (7.  April)  geschlagen,  aber  der  Kaiser  ver- 
säumte es,  den  Sieg  auszunützen,  auch  riet  die  Kurie,  besorgt  wegen 
eines  türkischen  Angriffs,  dringend  zum  Frieden,  und  Matthias  verstand 
es,  durch  rechtzeitige  Milde  Friedrichs  Anhänger  auf  seine  Seite  zu 
ziehen.  Schon  hatte  aber  dieser  das  Mittel  in  der  Hand,  das  ihm  die 
Unterstützung  des  Königs  Georg  sicherte.  Die  Untätigkeit  des  Kaisers 
in  der  Frage  der  Reichsreform,  seine  schwächliche  Haltung  gegen  die 
Kurie  und  die  Parteinahme  für  die  Hohenzollern  in  ihren  Kämpfen 
mit  den  Witteisbachern  hatten  in  vielen  Kreisen  die  Idee  gezeitigt,  den 
Kaiser  abzusetzen  oder  ihm  wenigstens  in  der  Person  eines  römischen 
Königs  gleichsam  einen  Koadjutor  an  die  Seite  zu  stellen.  Urheber 
dieses  Projekts  war  der  pfälzische  Rat  Martin  Mair,  ein  Gesinnungs- 
genosse Heimburgs;  als  Kandidat  für  die  römische  Königs  würde  war 
zuerst  der  Herzog  Philipp  von  Burgund,  dann,  um  den  Kaiser  zu  ge- 
winnen, dessen  Bruder  Albrecht  VI.,  hierauf  der  Pfalzgraf  in  Aussicht 
genommen.  Auf  dem  Egerer  Tage  (s.  oben)  trat  Martin  Mair  mit  seinem 
Plan  an  König  Georg  heran  und  erfüllte  sein  Herz  mit  stolzen  Hoff- 
nungen. Hatte  Georg  zuvor  (Januar)  einen  Antrag  des  Kaisers,  mit 
ihm  einen  Bund  gegen  Ungarn  zu  schliefsen,  zurückgewiesen,  so  fand 
er  jetzt  im  Hinblick  auf  den  römischen  Königsplan  Gelegenheit,  sich 
den  Kaiser  tief  zu  verpflichten,  um,  wenn  auch  um  den  Preis  der  Un- 
treue gegen  König  Matthias,  den  Verlobten  seiner  Tochter,  die  römische 
Königskrone  zu  erwerben.  Jetzt  erteilte  Friedrich  III.  am  Tage  zu 
Brunn  (1459,  31.  Juli)  dem  König  Georg  die  Belehnung  mit  Böhmen; 
am  2.  August  schlössen  beide  einen  Bund  zu  wechselseitigem  Schutz 
gegen  auswärtige  Feinde  und  Verschwörungen  in  den  eigenen  Ländern, 
dem  sich  unmittelbar  ein  zweiter  anschlofs,  bestimmt,  den  Kaiser  in 
den  Besitz  von  Ungarn  zu  setzen.  Reiche  Entschädigung  winkte  dem 
Böhmen,  vor  allem  Einflufs  auf  die  Regierung  im  Reiche  und  den 
Ländern  des  Kaisers.  Die  ganze  Politik  Georgs  in  den  nächsten 
Zeiten  (1459 — 1461)  hat  seine  Wahl  zum  römischen  König  zum  Ziel, 
und  dieses  sucht  er  erst  in  Übereinstimmung  mit  dem  Kaiser  und,  als 
ihm  schliefslich  dessen  Zustimmung  fehlt,  mit  Hilfe  deutscher  Fürsten,  zuletzt 
mit  Unterstützung  des  Papstes  zu  erreichen.  Das  ist  der  Grund,  weshalb 
er  eine  Zeitlang   der  Frage   der  Reichsreform   näher   tritt  und  die  Frei- 


Scheitern  d.  Pläne  Georgs.    Krönung  Matthias'.   Friedrich  III.  u.  Albrecht  VI.     ('>"),") 

heiten  der  deutschen  Kirche  betont,  an  denen  ihm  freilich  weit  weniger 
gelegen  war  als  an  der  Erreichung  seiner  persönlichen  Entwürfe.  Im 
letzten  Stadium  war  seine  Politik  nicht  nur  zu  den  äufsersten  Zugeständ- 
nissen an  den  Papst  geneigt,  wie  zu  der  Überlassung  des  Rechtes  der 
Besetzung  des  deutschen  Thrones,  sondern  auch  dazu,  dem  Sonder- 
dasein der  hussitischen  Kirche  ein  Ende  zu  machen.  Schon  wird  eine 
Reihe  reaktionärer  Mafsregeln  ins  Werk  gesetzt,  da  stürmt  die  Oppo- 
sition der  von  Rokytzana  geführten  Utraquisten  mit  aller  Macht  auf  ihn 
ein  und  macht  diesen  seinen  Entwürfen  und  Hoffnungen  für  immer  ein 
Ende.  Nun  lehnte  Georg  es  ab,  dem  Kaiser  zum  Besitz  von  Ungarn 
zu  verhelfen;  vielmehr  näherte  er  sich  schon  zu  Ende  1460  dem  König 
Matthias  und  erneuerte  die  Verlobung  seiner  Tochter  mit  ihm.  Ohne 
Böhmens  Hilfe  vermochte  der  Kaiser  in  Ungarn  nichts  auszurichten. 
Matthias  versöhnte  zudem  durch  sein  Entgegenkommen  die  ein- 
heimischen Gegner,  befreite  sein  Reich  von  den  hussitischen  Söldner- 
scharen und  begann  schliefslich  im  Hinblick  auf  die  drohende  Türken- 
gefahr Verhandlungen  mit  dem  Kaiser,  die  zum  Frieden  von  Wiener 
Neustadt  führten  (1463,  24.  Juli).  Danach  gab  Friedrich  III.  gegen  eine 
Zahlung  von  80000  Dukaten  die  ungarische  Krone  und  das  ihm  ver- 
pfändete Ödenburg  zurück,  behielt  dagegen  den  Titel  eines  Königs  von 
Ungarn  und  einzelne  ungarische  Grenzorte.  Würde  Matthias  ohne  legi- 
time männliche  Nachkommenschaft  sterben,  so  sollte  ihm  der  Kaiser 
oder  einer  seiner  Söhne  auf  dem  ungarischen  Throne  folgen.  Erst  jetzt 
war  Matthias  in  den  ruhigen  Besitz  seines  Reiches  gelangt.  In  feier- 
licher Weise  wurde  er  am  29.  März  1464  in  Stuhlweifsenburg  gekrönt. 
Auch  Friedrich  III.  hatte  allen  Grund,  mit  einem  Vertrag  zufrieden  zu 
sein,  der  ihm  statt  unsicherer  Ansprüche  eine  bedeutende  Geldent- 
schädigung, territorialen  Besitz  und  die  Aussicht  gewährte,  seinem 
Hause  ganz  Ungarn  zurückzugewinnen. 

§  150.    Friedrich  III.  und  Albrecht  IY.  von  Österreich.   Die  kirchen- 
politischen Kämpfe  in  Tirol  und  Böhmen. 

1.  Das  schwächliche  Verhalten  Friedrichs  III.  in  der  ungarischen 
Frage  war  grofsenteils  durch  die  niederösterreichischen  Wirren  hervor- 
gerufen worden.  Der  Mifswachs  des  Jahres  1459  hatte  eine  Hungers- 
not im  Gefolge,  die  sich  in  dem  durch  die  Verwüstungen  des  vorher- 
gegangenen Krieges  ausgesaugten  Lande  doppelt  fühlbar  machte.  Als 
der  Kaiser  nach  dem  Beispiel  benachbarter  Fürsten,  die  ihr  Münzrecht 
als  ergiebige  Einnahmquelle  betrachteten,  das  Land  mit  minderwertigen 
Münzen,  den  Schinderlingen,  überschwemmte,  die  Preise  der  Lebens- 
mittel und  die  Arbeitslöhne  hiedurch  in  die  Höhe  schnellten  und  zu 
alledem  neue  Auflagen  auf  Salz,  Wein,  Getreide  u.  a.  erfolgten,  indes 
der  Kaiser  nicht  einmal  den  Landfrieden  zu  schützen  vermochte,  kam 
es  zu  lebhaften  Beschwerden  der  Stände,  die  sich  schliefslich  an  die 
oberösterreichischen  Stände,  an  die  Herzoge  Albrecht  und  Sigmund,  ja 
selbst   an  König  Georg  wandten   (1460)   und    um   Vermittlung   zwischen 


656  Krieg  im  Hause  Habsburg.     Sigmund  von  Tirol  u.  Nikolaus  Cusa. 

ihnen  und  dem  Kaiser  baten.  Da  Friedrich  III.  die  deutschen  Pläne 
Georgs  mifs billigte,  brachte  dieser  eine  Einigung  mit  Ungarn  zustande 
und  schlofs  (1461)  ein  Bündnis  mit  Albrecht  VI.,  der  nun  seinerseits  den 
Wünschen  der  Stände  entgegenkam,  sich  mit  Erzherzog  Sigmund,  den 
Grafen  von  Görz  und  dem  König  Matthias  einigte  und  an  seinen  Bruder, 
den  Kaiser,  den  Krieg  erklärte.  Fast  der  ganze  Adel  hielt  zu  ihm.  In 
den  ersten  Augusttagen  stand  er  vor  Wien.  Gleichzeitig  machten  sich 
seine  Bundesgenossen  schlagfertig,  und  im  Reiche  wurden  des  Kaisers 
Freunde  von  ihren  Gegnern  hart  bedrängt.  Aus  der  Gefahr,  Osterreich 
zu  verlieren,  befreite  den  Kaiser  König  Georg,  dem  es  seine  Be- 
ziehungen zur  Kurie  nahelegten,  mit  ihm  nicht  völlig  zu  brechen. 
Durch  seine  Vermittlung  wurde  ein  Waffenstillstand  geschlossen,  dem 
der  Friede  von  Korneuburg  folgte  (1462,  2.  Dezember).  Danach  über- 
liefs  der  Kaiser  die  Regierung  in  Osterreich  mit  allen  Rechten  und 
Einkünften  für  die  nächsten  acht  Jahre  gegen  eine  Jahresrente  von 
4000  Dukaten  an  Albrecht  VI.  Als  dieser  die  Friedensbedingungen 
verletzte,  begann  der  Krieg  von  neuem.  Erst  der  Tod  Albrechts  (1463, 
2.  Dezember)  führte  ein  völlige  Wendung  herbei.  Jetzt  erst  erkannten 
die  österreichischen  Stände  Friedrich  als  Herrn  an,  und  Sigmund  gab 
seine  Ansprüche  auf  Oberösterreich  um  so  bereitwilliger  auf,  als  er  selbst 
in  schwere  Streitigkeiten  verwickelt  war. 

2.  Im  Jahre  1450  hatte  der  Kardinal  Nikolaus  von  Cusa,  einst  ein 
streitbarer  Vorkämpfer,  später  ein  eifriger  Gegner  der  konziliaren  Ideen, 
gegen  die  Bestimmungen  des  Wiener  Konkordats  mit  Umgehung  des 
Wahlrechtes  der  Domherren  von  Nikolaus  V.  das  Bistum  Brixen  erhalten. 
Sowohl  das  Domkapitel  als  der  Herzog  erhoben  dagegen  Protest.  War 
sonach  das  Verhältnis  zwischen  Herzog  und  Bischof  schon  an  sich  ein 
gespanntes,  so  verschlechterten  sich  die  Beziehungen,  als  Cusa  dem 
Herzog  alte  Patronatsrechte  bestritt.  Ebenso  entfremdete  er  sich  das 
Volk  durch  Eingriffe  in  alle  Gebräuche  und  verletzte  den  Adel  durch 
die  Zurücklösung  der  an  ihn  verpfändeten  Güter.  Sein  Vorgehen  führte 
schliefslich  zu  einem  Streit,  in  welchem  er  gefangen  und  zum  Verzicht 
auf  seine  Ansprüche  gezwungen  wurde,  die  er  gegen  den  Herzog  er- 
hoben hatte.  Frei  geworden,  entfloh  er  nach  Italien  und  erklärte  alle 
Zugeständnisse,  als  erzwungen,  für  ungültig;  der  Papst  zog  den  Herzog 
vor  seinen  Richterstuhl,  und  als  an  dessen  Stelle  ein  gelehrter  Anwalt 
erschien,  sprach  Pius  II.  über  Sigmund  den  Bann  aus  und  verhängte 
über  seine  Länder  das  Interdikt,  Sigmund  gewann  die  Unterstützung 
Gregor  Heimburgs,  des  Hauptvertreters  der  kirchlichen  Reformpartei  im 
Reiche.  Der  Streit  wurde  mit  grofser  Heftigkeit  geführt  und  erst  nach 
dem  Tode  des  Cusaners  (1464)  beigelegt.  Die  Kosten  hatte  freilich  das 
Haus  Habsburg  zu  tragen.  Schon  1458  hatten  sich  die  Eidgenossen 
mitten  im  Frieden  der  Stadt  Rapperswvl  bemächtigt.  Während  des 
Kirchenstreites  stellten  sie  sich  auf  die  Seite  des  Papstes  und  er- 
oberten den  Rest  des  Sarganser  Landes  und  den  ganzen  Thurgau,  Er- 
oberungen, die  ihnen  im  Frieden  von  1461  gelassen  wurden.  Da  sich 
Freiburg  im  Öchtland  schon  1452  von  Österreich  losgerissen  hatte,  waren 


König  Georg,  die  Kurie  und  König  Matthias.  657 

die  letzten  österreichischen  Besitzungen  links  vom  Rhein  und  südlich 
vom  Bodensee  mit  Ausnahme  von  Winterthur  an  die  Eidgenossen  ver- 
loren, und  auch  dieses  wurde   1467  an  Zürich  verpfändet. 

3.  Mit  der  Kurie  hatte  König  Georg  schwere  Kämpfe  zu  be- 
stehen, weil  er,  aufserstande,  die  vor  der  Krönung  gemachten  Zusagen 
zu  erfüllen,  auch  die  Utraquisten  in  ihren  Rechten  zu  schützen  ver- 
sprach. Während  er  gegen  die  Anerkennung  der  Kompaktaten  bereit 
war,  dem  Papste  Obedienz  zu  leisten,  verlangte  dieser  gänzliche  Unter- 
werfung und  erklärte  am  31.  März  1462  den  Laienkelch  für  verboten,  die 
Kompaktaten  als  aufgehoben.  Dagegen  erneuerte  Georg  am  12.  August 
seine  Zusage  des  Schutzes  der  Kompaktaten  und  liefs  den  Legaten 
Fantinus,  der  utraquistische  Priester  suspendierte  und  dem  König,  falls 
er  bei  den  Kompaktaten  verharre,  Meineid  vorwarf,  gefangen  nehmen. 
Aber  Georgs  Plan,  auch  seine  katholischen  Untertanen  zur  Verteidigung 
der  Kompaktaten  zu  verpflichten,  mifslang  und  ebenso  der  Versuch, 
einen  Fürstenbund  zur  Vertreibung  der  Türken  zustande  zu  bringen  und 
sich  in  diesem  eine  führende  Rolle  zu  sichern.  Wäre  dieser  Versuch 
gelungen,  so  wäre  die  Gegnerschaft  des  Papstes  gegenstandslos  geworden. 
Noch  übernahm  Friedrich  III.  aus  Dank  für  die  Hilfe,  die  ihm  Georg 
soeben  geleistet  hatte  (s.  oben),  die  Vermittlung,  so  dafs  Pius  IL  die 
kirchlichen  Strafen  gegen  den  Böhmenkönig  suspendierte.  Aber  Georg 
wollte  nur  Zeit  gewinnen,  um  die  dem  utraquistischen  Königtum  ab- 
geneigten Breslauer  zu  isolieren.  Daher  begann  Pius  IL  den  Prozefs 
von  neuem  (1464).  Sein  Nachfolger  Paul  IL  erklärte  den  König  seiner 
Würden  und  seines  Besitzes  verlustig,  entband  seine  Untertanen  ihrer 
Eide  und  liefs  in  Deutschland  und  andern  Ländern  das  Kreuz  gegen 
ihn  predigen.  Ein  Teil  des  katholischen  Herrenstandes  in  Böhmen  stellte 
sich  zur  Verfügung  des  Papstes,  bald  folgten  Schlesien,  die  Lausitz  und 
die  Städte  Mährens,  die  sich  in  den  Schutz  des  Kaisers  begaben.  Aber 
alle  diese  Gegner  waren  dem  Böhmenkönig  nicht  gewachsen.  Da  gelang 
es  der  Kurie,  nachdem  sie  Georgs  Krone  vergebens  dem  König  Kasimir 
von  Polen,  dann  dem  Kurfürsten  Friedrich  von  Brandenburg  angeboten 
hatte,  den  König  Matthias  von  Ungarn  für  den  Kampf  gegen  den 
Hussitenkönig  zu  gewinnen.  Als  Verbündeter  des  Kaisers  und  der 
böhmischen  Katholiken  erklärte  Matthias  an  Georg  den  Krieg  (1468, 
31.  März),  eroberte  den  gröfsten  Teil  von  Mähren,  Schlesien  und  der 
Lausitz  und  liefs  sich  nach  dem  erfolglosen  Verlauf  der  von  Georg  an- 
geknüpften Friedensverhandlungen  zum  König  von  Böhmen  wählen 
(1469,  3.  Mai)  und  huldigen.  Die  Pläne  des  ungarischen  Königs  gingen 
noch  weiter.  Mit  päpstlicher  und  kaiserlicher  Hilfe  gedachte  er  die 
römische  Königskrone  zu  gewinnen.  Georg  schlofs  sich  dagegen  aufs 
engste  an  Polen  an,  begünstigte  mit  Übergebung  seiner  eigenen  Söhne 
die  Wahl  des  polnischen  Prinzen  Wladislaw  zum  König  von  Böhmen, 
knüpfte  Verbindungen  mit  Burgund  an  und  wufste  sich  die  Freundschaft 
einzelner  deutscher  Fürsten  zu  erwerben,  vor  allem  fand  er  bei  dem 
niederen  Adel  und  den  Städten  Böhmens  selbst  so  kräftige  Unterstützung, 
dafs    er    im  Felde  Meister  blieb,    und  König  Matthias    bei  der   geringen 

Loserth,  Geschichte  de?  späteren  Mittelalters.  42 


ß58     K.  Wladislaw  II.  u.  d.  Zersetzung  der  staatlichen  Grundlagen  in  Böhmen. 

Neigung  des  Kaisers  für  Ungarns  Sache  und  dem  allgemeinen  Friedens- 
bedürfnis gezwungen  war,  Verhandlungen  einzuleiten.  Mitten  in  seinen 
Erfolgen  starb  Georg  am  22.  März  1471.  Die  Böhmen  wählten  nunmehr 
in  der  Hoffnung  auf  kräftige  Unterstützung  Polens  Wladislaw  zum  König. 
Ein  polnischer  Bischof  vollzog  am  22.  August  die  Krönung  des  Gewählten, 
nachdem  dieser  die  Aufrechthaltung  der  Kompaktaten  gelobt  hatte. 
Mittlerweile  hatte  die  Politik  des  Königs  Matthias,  der  seine  ganze  Kraft 
statt  gegen  die  Türken  gegen  Böhmen  verbrauchte,  heftiges  Mifs ver- 
gnügen in  Ungarn  erregt.  Die  Partei  der  Unzufriedenen  bot  Kasimir, 
dem  zweiten  Sohne  des  polnischen  Königs,  die  Krone  Ungarns  an;  zwar 
wandte  Matthias  durch  sein  rasches  und  mannhaftes  Auftreten  die 
drohendste  Gefahr  von  sich  ab,  da  er  aber  für  seine  böhmischen  Pläne 
bei  den  Ungarn  und  den  Katholiken  in  den  Ländern  der  böhmischen 
Krone  keine  genügende  Unterstützung  erhielt,  schlofs  er  1472  einen 
Waffenstillstand,  dem  1479  der  Frieden  von  Olmütz  folgte.  Danach 
behielt  Matthias  aufser  dem  Titel  eines  Königs  von  Böhmen  die 
böhmischen  Nebenländer  Mähren,  Schlesien  und  die  Lausitz.  Erst 
nach  seinem  Tode  sollten  sie  von  Wladislaw  oder  dessen  Nachfolger 
gegen  Zahlung  von  400000  Dukaten  eingelöst  werden  oder  ohne  Löse- 
geld an  Böhmen  fallen,  falls  nach  Wladislaws  Tode  Matthias  oder  einer 
seiner  Erben  und  Nachfolger  König  von  Böhmen  würde.  Der  Zweck, 
den  die  päpstliche  Kurie  bei  ihrem  Unternehmen  wider  den  Hussiten- 
könig  verfolgt  hatte,  Böhmen  in  den  Schofs  der  katholischen  Kirche 
zurückzuführen,  war  nicht  erreicht  worden,  dagegen  war  es  gelungen, 
das  böhmische  Staatswesen  auseinanderzureifsen,  denn  es  war  durchaus 
unwahrscheinlich,  dafs  ein  böhmischer  König  je  in  die  Lage  kam,  die 
ungeheure  Summe  zur  Auslösung  der  verlorenen  Provinzen  zu  bezahlen. 

Für  die  Entwicklung  Böhmens  hatte  der  Tod  des  Hussitenkönigs,  der,  so  aus- 
schweifend seine  politischen  Pläne  auch  waren,  das  Regiment  mit  fester  Hand  geführt 
und  die  Selbständigkeit  des  Landes  gerettet  hatte,  auch  sonst  bedeutsame  Folgen ; 
denn  mit  der  Regierung  seines  schwachen  Nachfolgers  beginnt  eine  förmliche  Zer- 
setzung der  alten  staatlichen  Grundlagen  Böhmens,  die  Steigerung  der  feudalen 
Adelsmacht  auf  Kosten  der  Monarchie,  der  endlose  Kampf  der  Stände  untereinander 
und  die  kirchlichen  Wirren,  bei  denen  der  von  Schülern  Peters  von  Cheltschitz  (t  nach 
1456)  gegründeten  Sekte  der  böhmischen  Brüder,  die  im  Gegensatz  zu  den  Utraquisten 
die  Lehren  Wiclifs,  des  evangelischen  Meisters,  treu  bewahrten,  eine  grofse  Rolle  zu- 
fällt. Wladislaw  selbst,  von  schwacher  Willenskraft  —  der  »König  Gut«  —  war  eifriger 
Katholik,  dessen  katholische  Reaktionsversuche  im  Jahre  1483  einen  Aufstand  der 
Utraquisten  in  Prag  hervorriefen.  Auf  das  hin  kam  es  auf  dem  Landtage  von  1485  zu 
einem  Ausgleich  zwischen  Katholiken  und  Utraquisten,  der  31  Jahre  lang  gelten  sollte 
und  Utraquisten  und  Katholiken  als  völlig  gleichberechtigt  erklärte.  Der  kirchliche 
Friede  wurde  fortan  nicht  mehr  gestört,  dagegen  wirkten  der  katholische  und  utra- 
quistische  Adel  zusammen,  die  Macht  des  Bürgertums  zu  schwächen  und  dem  Bauern- 
stand die  Fesseln  der  Leibeigenschaft  anzulegen. 

§  151.    Friedrich  III.  und  Matthias  Corvinus.  —  Die  Erwerbung 

Burgunds. 

Quellen  und  Hilf  s  s  chrif  t  e  n  zum  1.  Teil  s.  oben.  Aktenst.  zum  2.  Teil  i. 
Chmels,  Regg.  Österr.  Geschichtsf orscher  I ;  Materialien  u.  MM.  Habsburg.  Lichnowsky  VII, 
Janssen,  Reichskorr.  I.    Müller,  Reichstheatr.  V.    Briefe:  Maximilians  vertraul.  Brief- 


Friedrich  III.  und  die  Wirren  in  Österreich.  659 

Wechsel  mit  Sigm.  Prüschenk,  herausg.  v.  Kraus,  lnnsbr.  1874.  Pol.  Korr.  Breslaus  im 
Zeitalter  d.  K.  Matth.  Corvinus.  SS.  rer  Sil.  XIII,  XIV.  Geschichtschreiber  wie 
oben.  Dazu  Baseler  Chroniken  II,  in.  Leipz.  1880.  (Knebels  Diarium,  her.  v.  Vischer 
u.  Boos.)  Bonstetten,  Beschr.  d.  Burgunderkr.  Arch.  Schw.  Gesch.  XDI.  Schilling, 
Berner  Chron.  Abh.hist.  Ver.  Bern  X HI.  Hufs,  Eidg.  Chron.  Bern  1834.  S.  auch  d.  Ber. 
v.  Augenzeugen  im  Anz  f.  Kunde  d.  d.  Vorz.  1864.  Commines,  s.  unten.  Hilfsschriften: 
Die  allg.  Werke  v.  Chmel,  Droysen,  Huber,  Bachmann  u.  a.  s.  oben.  Löher,  Jakobäa 
v.  Bayern  u.  ihre  Zeit.  2  Bde.  Nördl.  1862.  Barante,  Hist.  des  ducs  de  Bourgogne 
1364 — 1477.  Paris  1824 — 26.  Werveke,  Die  Erwerb,  d.  Luxemb.  Landes  d.  Burgund. 
Progr.  Luxemb.  1886—91.  Foster  Kirk,  Hist.  of  Charles  the  Bold.  Lond.  1863—68. 
Keussen,  Z.  G.  Karls  d.  K.  KB1WZ.  XIII.  Rodt,  Die  Feldz.  Karls  des  Kühnen. 
Schaffh.  1843.  Dändliker,  Ursachen  u.  Vorspiel  d.  Burg. -Krieges.  Zur.  1876.  Del- 
brück, Die  Perserkriege  u.  die  Burgunderkriege.  Berl.  1887.  Mandrot,  Relat.  de 
Charles  VH  et  de  Louis  XI  avec  les  cant.  Suisses.  A.  Schw.  G.  VI.  Witte,  Zur  Ent- 
stehung d.  Burg.-Krieges.  1885  (s.  auch  Dahlm.-Waitz-Steind.  3391).  Krause,  Bez.  zw. 
Habsb.  u.  Burg,  bis  1473.  Diss.  Gott.  1876.  Lindner,  Die  Zusammenkunft  Friedr.  III. 
mit  Karl  v.  B.  1473.  Diss.  Greifsw.  1876.  (S.  Dahlm.-Waitz-Steind.  Nr.  3394  u.  3395.) 
Lynker,  Die  Belag,  v.  Neufs.  Z.  hess.  Gesch.  NF.  VI.  Schmitz,  Der  Neusser  Krieg. 
Rhein.  G.  Bll.  IL  Diemar,  Die  Entstehung  d.  Reichskrieges  gegen  Karl  d.  Kühnen.  1896. 
Nerlinger,  Pierre  de  Hagenbach.  Nancy  1871.  Faber,  P.  v.  Hagenbach.  Progr.  1885. 
Fraknöi,  D.  Verb.  Matth.  Corv.  mit  Karl  d.  Kühnen.  Szazadok  XXHI.  v.  d.  Ropp, 
Die  Hanse  u.  d.  Reichskr.  gegen  Burg.  Hans.  G.  Bll.  1898.  Chabloz,  La  bat.  de 
Grandson.  Laus.  1897.  Wattelet,  Die  Schlacht  bei  Murten.  Freib.  G.  Bll.  I.  Schoeber, 
Die  Schlacht  bei  Nancy.  Erl.  1891.  Lause,  Über  d.  Schlacht  bei  Nancy.  1895.  Bernouilli, 
Basels  Ant.  am  B.-KÜ  II,  III.  1899.  Rausch,  Die  bürg.  Heirat  Maximil.  Wien  1880. 
Klaje,  Die  Schlacht  bei  Guinegate.  Diss.  1890.  Schober,  Die  Erob.  Niederösterr. 
d.  Matth.  Corvinus.  Wien  1879.  Mayer,  Die  Abdankung  Erzb.  Bernhards  v.  Salzb. 
AÖG.  LV.     Einzelne  Erg.  s.  in  Dahlm.-Waitz-Steindorff. 

1.  In  Osterreich  brachen  die  Wirren,  die  mit  Albrechts  VI.  Tode  ab- 
geschlossen schienen,  begünstigt  von  den  böhmisch- ungarischen  Kämpfen, 
bald  wieder  aus.  Ein  Aufstand  der  antiösterreichischen  Partei  in  Triest 
bot  dem  Kaiser  (1467)  Gelegenheit,  seine  landesfürstliche  Macht  da- 
selbst zu  verstärken.  Auch  Steiermark,  das  Stammland  des  Kaisers, 
wurde  von  der  Bewegung  ergriffen.  Andreas  Baumkircher,  der  bisher 
als  Söldnerführer  dem  Kaiser  Dienste  geleistet  hatte,  aber  durch  seinen 
ungarischen  Besitz  auch  Vasall  der  ungarischen  Krone  war,  trat,  weil 
er  sich  nicht  hinlänglich  belohnt  meinte  oder  seine  Forderungen  an  den 
Kaiser  nicht  beglichen  waren,  an  die  Spitze  einer  Verschwörung,  die 
zum  Ausbruch  kam,  als  Friedrich  auf  einer  Wallfahrt  nach  Rom  begriffen 
war  (1468 — 69);  auf  einem  Generallandtag  der  innerösterreichischen  Länder 
mufste  Friedrich  die  wesentlichen  Forderungen  der  Aufständischen  bewilligen 
(1470,  30.  Juni).  Als  Baumkircher  hierauf  unter  Zusicherung  freien 
Geleites  in  Graz  erschien,  wurde  er  samt  seinem  Begleiter,  dem  Ritter 
Greissenecker,  verhaftet  (1471,  23.  April)  und  noch  an  demselben  Abend 
enthauptet.  Ihre  Schuld  liegt  nicht  klar  zutage.  Im  übrigen  hatte 
Friedrich  durch  den  Tod  der  beiden  wenig  gewonnen,  da  Baumkirchers 
Söhne  den  Kampf  fortführten.  —  Schon  bei  diesen  Irrungen  hatte 
König  Matthias  die  Hand  im  Spiele.  Eine  Zusammenkunft  beider 
Monarchen  in  Wien  (1470,  Februar)  verschlimmerte  nur  die  gegenseitigen 
Beziehungen.  Diese  wurden  noch  gespannter,  als  Friedrich  III.  Wladislaw 
als  böhmischen  König  anerkannte  und  sich  mit  ihm  gegen  Matthias  und 
dessen    Anhänger   verbündete   (1474,    März).     Nachdem   der   Kaiser    den 

42* 


5(30  Friedrich  III.  u.  K.  Matthias.     Das  Wachstum  Burgunds. 

Jagellonen,  der  ihm  gegen  seine  rebellischen  Untertanen  beistand,  mit 
Böhmen  belehnt  hatte  (1477,  10.  Juni),  besetzte  Matthias  einen  grofsen 
Teil  von  Österreich,  schlofs  aber  auf  die  Kunde  von  einem  Einfall  der 
Türken  in  Kroatien  Frieden.  Die  Not  der  Zeit,  der  geringe  Schutz  vor 
den  Türken,  den  die  Bevölkerung  trotz  drückender  Steuerauflagen  er- 
hielt, rief  1478  im  südlichen  Kärnten  einen  Bauernaufstand  hervor,  der 
sich  bis  Obersteiermark  ausbreitete,  während  zugleich  die  Türken  im 
Lande  einbrachen.  Bald  kamen  noch  neue  Kämpfe  dazu.  Friedrich  III. 
wollte  dem  Graner  Erzbischof  Beckenslaher,  der  sich  1476  vor  Matthias 
zu  ihm  geflüchtet  hatte,  das  Erzstift  Salzburg  verschaffen  und  bewog 
den  Erzbischof  Bernhard  von  Rohr  zum  Rücktritt.  Dieser  zog  jedoch 
seine  Abdankung  zurück  und  schlofs  ein  Bündnis  mit  Ungarn.  Matthias 
nahm  den  Kampf  erst  auf,  als  er  sich  vor  den  Türken  Ruhe  verschafft 
hatte,  eroberte  (1482)  Henburg  und  rückte  vor  Wien.  Der  Kaiser  zog 
sich  nach  Graz  zurück.  Ein  grofser  Teil  von  Niederösterreich  fiel  an 
Ungarn;  am  1.  Juni  1485  hielt  Matthias  seinen  Einzug  in  Wien  und 
liefs  sich  von  den  Ständen  huldigen.  Selbst  einzelne  Teile  von  Steier- 
mark, Kärnten  und  Oberösterreich  kamen  in  ungarischen  Besitz.  Matthias 
schlug  seine  Residenz  in  Wien  auf,  während  der  Kaiser  hilfesuchend 
ins  Reich  zog  und  von  Städten  und  Klöstern  seinen  Unterhalt  bestreiten 
liefs.  Ungarns  Macht  stand  jetzt  auf  ihrem  Höhepunkt,  und  Habsburg 
war  tief  gedemütigt;  und  doch  legte  es  eben  jetzt  durch  seine  grofsen 
Erwerbungen  im  Westen  den  Grund  zu  seiner  europäischen  Grofs- 
macht  Stellung. 

2.  Von  den  Vasallenländern  der  französischen  Krone  liefs  sich  an 
äufserer  Macht  und  Ansehen  keines  mit  dem  Herzogtum  Burgund 
vergleichen  (s.  §  126),  das  sich,  seit  es  Johann  der  Gute  seinem  jüngsten 
Sohne  Philipp  (1363 — 1404)  übergeben,  in  kurzer  Zeit  zu  einem  grofsen 
Reiche  entwickelte.  Zu  dem  Länderbesitz,  den  Philipp  erhalten  hatte, 
kamen  durch  seine  Gemahlin  Margareta,  die  Tochter  Ludwigs  von 
Flandern,  (1384)  die  Grafschaften  Flandern  und  Artois,  die  zum 
deutschen  Reiche  gehörige  Freigrafschaft  und  die  Grafschaften 
Nevers  und  Ret  hei  hinzu;  er  selbst  kaufte  die  Grafschaft  Charolais. 
Seine  Nachfolger,  Johann  der  Unerschrockene  (1404 — 1419)  und 
Philipp  der  Gute  (1419 — 1467),  nützten  die  günstige  Lage  im  englisch- 
französischen Kriege  und  ihre  eigenartige  Stellung  zu  Deutschland  und 
Frankreich  zur  Vergröfserung  ihrer  Macht  aus.  Philipp  der  Gute  erwarb 
(1429)  die  Grafschaft  Namur,  erhielt  nach  dem  Tode  seiner  beiden 
Vettern  aus  der  Brabanter  Linie  auch  Brabant  und  Limburg  (1430), 
von  der  Gräfin  Jakobäa  Holland  und  Hennegau  (1436)  und  durch 
einen  Vertrag  mit  Elisabeth  von  Görlitz,  der  Enkelin  Karls  IV.,  auch 
deren  luxemburgisches  Erbland.  Aufserdem  waren  ihm  im  englisch- 
französischen Kriege  noch  die  Grafschaften  Mäcon  und  Auxerre 
sowie  der  gröfsere  Teil  der  Pikardie  zugefallen.  Burgund  umfafste 
somit  die  reichsten  und  blühendsten  Länder  zwischen  der  Nordsee  und 
dem  Jura.  Schon  Philipp  der  Gute  hatte  den  Plan,  ein  lothringisches 
Königreich   aufzurichten,    vielleicht   auch    die   Kaiserkrone   zu   erwerben. 


Die  Pläne  Karls  d.  Kühnen.     Unterhandlungen  mit  Friedrich  III.  661 

Seine  Unterhandlungen  mit  Friedrich  III.  zerschlugen  sich  (1448),  da 
seine  Angebote  seinen  Forderungen  gegenüber  zu  geringfügig  waren 
und  Friedrich  III.  seine  Pflicht  betonte,  als  Augustus  das  Reich  nicht 
zu  verkleinern,  sondern  zu  vergröfsern.  Der  Königsplan  des  Burgunders 
tauchte  später  (1462)  wieder  auf,  und  auch  das  Projekt  einer  Vermählung 
von  Philipps  Enkelin  Maria  mit  Maximilian  wurde  erwogen. 

3.  Ungestümer  als  sein  Vater  betrieb  Karl  der  Kühne  (1467 — 1477) 
die  Ausgestaltung  der  burgundischen  Macht.  Als  Sigmund  von  Tirol 
im  Drange  der  Not  den  Sundgau,  die  Grafschaft  Pfirt,  die  Rheinstädte 
Rheinfelden,  Säckingen,  Laufenburg,  Waldshut  mit  Breisach  und  dem 
österreichischen  Schwarzwald  an  ihn  verpfändete  (1469),  hatte  Karl  auch 
auf  dem  rechten  Rheinufer  festen  Fufs  gefafst;  nachdem  er  das  Bistum 
Lüttich  in  Abhängigkeit  gebracht  (1467),  Geldern  und  die  Grafschaft 
Zütphen  (1473)  erworben  hatte,  ging  seine  Politik  dahin,  auch  Lothringen, 
das  seine  südlichen  Besitzungen  von  den  viel  ausgedehnteren  im  Norden 
schied  und  auf  das  er  nach  dem  Tode  des  Herzogs  Nicolas  (1473)  An- 
sprüche erhob,  zu  erlangen.  Dieses  burgundische  Reich  hätte  fortan 
nicht  nur  auf  Frankreich,  sondern  mit  ungleich  stärkerer  Wucht  noch 
auf  die  Schweizer  gedrückt,  die  sich  denn  auch  nunmehr  in  ihrer 
Unabhängigkeit  bedroht  sahen.  Auch  die  Absichten  auf  die  Königs- 
krone traten  wieder  in  den  Vordergrund.  Schon  1470  hatte  Sigmund 
von  Tirol  dem  Kaiser  den  Plan  der  Vermählung  Marias,  der  reichen 
Erbin  Burgunds,  und  Maximilians  empfohlen  und  Karl  der  Kühne  seine 
Geneigtheit  hiezu  kundgegeben,  falls  ihm  die  römische  Königswürde  zu- 
gesichert würde.  Hierauf  ging  Friedrich  III.,  um  nicht  in  den  Hinter- 
grund gedrängt  zu  werden,  nicht  ein,  erbot  sich  aber,  eines  der  Länder 
Karls  zum  Königreich  zu  erheben  und  die  übrigen  Reichslehen  als  solche 
damit  zu  verbinden,  was  Karl  ablehnte.  Die  Verhandlungen  wurden  von 
dem  allseitig  bedrängten  Kaiser  schon  1472  wieder  aufgenommen.  Karl 
blieb  auf  seinen  Forderungen  bestehen;  doch  war  es  fraglich,  ob  die 
Kurfürsten  der  Wahl  des  gewalttätigen  Herzogs  geneigt  gewesen  wären. 
Um  ihn  zur  Ermäfsigung  seiner  Bedingungen  zu  bewegen,  ging  Friedrich 
mit  ihm  auf  eine  Zusammenkunft  in  Trier  ein.  Obwohl  beide  Fürsten 
acht  Wochen  (1473,  Oktober  und  November)  daselbst  verweilten,  kam 
es  aus  vielen  Gründen  und  wohl  auch  deswegen  zu  keiner  Einigung, 
weil  die  Kurfürsten  für  die  Pläne  des  Burgunders,  dessen  Gebiete  der- 
einst an  Habsburg  fallen  mufsten,  wohl  kaum  zu  gewinnen  waren.  Der 
Kaiser  verliefs  die  Stadt,  ohne  sich  von  dem  Herzog  verabschiedet  zu 
haben.  Mit  um  so  gröfserem  Eifer  ging  nun  dieser  daran,  seinen  Einflufs 
am  Rhein  auszudehnen.  Er  verband  sich  mit  allen  dem  Kaiser  feind- 
lichen Kräften,  dem  Pfalzgrafen  und  dessen  Bruder,  dem  Erzbischof  von 
Köln,  der  mit  seinem  Kapitel  im  Streite  lag.  Karl  zog  vor  Neufs,  wohin 
sich  der  vom  Kapitel  gewählte  Administrator  des  Hochstiftes  zurück- 
gezogen hatte,  vermochte  es  aber  trotz  einer  zehnmonatlichen  Belagerung 
nicht  zu  gewinnen.  Mittlerweile  hatten  das  Reich  und  die  übrigen 
Gegner  Burgunds  sich  zur  Abwehr  gegen  seine  gewalttätigen  Übergriffe 
geeinigt.     Schon  zu  Anfang  1473   hatten  Strafsburg,  Basel,  Kolmar  und 


562  Angriffe  auf  Burgund.     Krieg  Karls  gegen  Lothringen  u.  d.  Schweiz. 

Schlettstadt,  dann  die  Bischöfe  von  Strafsburg  und  Basel  einen  Bund 
zur  Aufrechthaltung  ihrer  Freiheiten  geschlossen,  die  Schweizer  ihren 
Frieden  mit  Osterreich  gemacht  (die  ewige  Richtung,  1474,  30.  März1), 
die  Städte  dem  Herzog  Sigmund  das  Geld  geliehen,  um  seinen  ver- 
pfändeten Besitz  wieder  auslösen  zu  können  und  ihm  samt  den  Schweizern 
Hilfe  versprochen,  wenn  Karl  die  Auslösung  verweigerte.  Als  dies  nun 
in  der  Tat  geschah,  erhoben  sich  die  Bewohner  der  verpfändeten  Gebiete, 
nahmen  seinen  Statthalter  Peter  von  Hagenbach  gefangen  und  liefsen 
ihn  hinrichten  (1474,  9.  Mai).  Die  Schweizer  und  ihre  Verbündeten 
griffen  die  Franche-Comte  an,  schlugen  ein  burgundisches  Heer,  er- 
oberten Hericourt  und  wiederholten  im  Frühjahr  1475  ihren  Angriff, 
worauf  auch  Ludwig  XI.  einen  Vertrag  mit  den  Eidgenossen  abschlofs 
und  sich  mit  dem  Kaiser  in  Verbindung  setzte,  wogegen  Karl  Hilfe  von 
Eduard  IV.  von  England  erhielt.  Da  sich  inzwischen  auch  das  vom 
Augsburger  Reichstag  bewilligte  Heer  unter  Albrecht  von  Brandenburg 
in  Bewegung  gesetzt  hatte,  sah  sich  Karl  einer  Koalition  gegenüber,  der 
er  nicht  gewachsen  war.  Aus  seiner  schwierigen  Lage  wurde  er  durch 
die  Vermittlung  des  Papstes  gerettet,  der  die  christlichen  Waffen  gegen 
den  Halbmond  einigen  wollte.  Am  28.  Mai  1475  wurde  der  Präliminar- 
friede  zwischen  Kaiser  und  Herzog  geschlossen  und  hierauf  die  Belagerung 
von  Neufs  aufgehoben.  Karl  verzichtete  auf  die  Unterstützung  des 
Erzbischofs,  wogegen  ihm  wohl  freie  Hand  gelassen  wurde,  seine  Pläne 
gegen  Lothringen  und  die  Schweiz  durchzuführen.  Auf  die  Eroberung 
Lothringens  bedacht,  unterliefs  er  es,  seinem  Verbündeten,  Eduard  IV. 
von  England,  Hilfe  zu  leisten,  als  dieser  mit  Heeresmacht  an  Frankreichs 
Grenzen  erschien,  um  »seine  Herzogtümer«  Guienne  und  Norrnandie 
wieder  in  Besitz  zu  nehmen.  Unter  diesen  Umständen  kam  es  schon 
im  August  1475  zum  Abschlufs  eines  Waffenstillstandes  auf  sieben  Jahre, 
der  dem  englischen  König  eine  Geldentschädigung  sicherte,  ohne  dafs 
er  deswegen  auf  seine  Ansprüche  verzichtete.  Nun  gab  auch  Ludwig  XL 
in  einem  Vertrag  mit  Karl  Lothringen  und  die  Schweizer  preis,  indem 
er  versprach,  ihnen  keine  Hilfe  zu  leisten  (1475,  13.  September).  Mit 
starker  Heeresmacht  brach  Karl  in  Lothringen  ein,  eroberte  es  und  liefs 
sich  zum  Herzog  des  Landes  ausrufen.  Jetzt  wurde  der  definitive  Friede 
zwischen  Kaiser  und  Herzog  geschlossen.  Der  letztere  versprach,  seine 
Tochter  mit  dem  Erzherzog  Maximilian  zu  verloben.  Mitten  im  Winter 
brach  Karl  sodann  gegen  die  Schweizer  auf,  die  sich  noch  ihrer  deutschen 
Zugehörigkeit  erinnerten  und  die  Reichsstädte  um  Hilfe  baten.  Sie 
wollten  Grandson,  von  dessen  Erhaltung  die  Sicherheit  Berns  und 
Freiburgs  abhing,  behaupten.  Mit  einem  starken  Heere  —  es  zählte 
50000  Mann  —  erschien  er  am  19.  Februar  1476  vor  dem  Städtchen, 
erlitt  aber  hier  durch  die  nur  18000  Mann  starke  Heeresmacht  der 
Schweizer  am  2.  März  eine  völlige  Niederlage.  Doch  waren  die  Eid- 
genossen   zu   sehr  von  Beutegier   ergriffen,    als   dafs    sie    die  Verfolgung 


x)  Hiedurch  wurde  die  Unabhängigkeit  d.  Eidgenossen  von  der  habsb.  Territorial- 
gewalt in  völkerrechtlicher  Form  ausgesprochen.    S.  Dierauer  II,  184. 


Niederlagen  u.  Tod  Karls  d.  K.     Das  Ringen  Frankreichs  u.  Habsburgs.      663 

des  Feindes  ernstlich  betrieben  hätten.  Bald  trat  Karl  wieder  seinen 
Gegnern  gegenüber,  begierig  an  der  Spitze  seines  glänzenden  Reiter- 
heeres die  Scharte  von  Grandson  auszuwetzen.  Bei  Murten  am  gleich- 
namigen See  kam  es  am  22.  Juni  zur  Schlacht.  Auch  jetzt  gewann  die 
Tapferkeit  und  Gewandtheit  der  Eidgenossen  einen  zwar  blutigen,  aber 
glänzenden  Sieg.  An  die  12000  Burgunder  wurden  erschlagen,  während 
die  Schweizer  selbst  nur  400 — 500  Mann  verloren.  Aufser  dem  Papste 
und  dem  Kaiser  bemühte  sich  auch  König  Matthias,  einen  Frieden 
zwischen  Burgund  und  den  Schweizern  zustande  zu  bringen.  Diese 
zogen  dem  Herzog  Renatus  von  Lothringen,  dessen  Hauptstadt  Nancy 
seit  dem  2G.  Oktober  1476  von  den  Burgundern  belagert  wurde,  zu 
Hilfe.  Am  5.  Januar  1477  wurde  vor  den  Mauern  der  Stadt  die  Schlacht 
geschlagen.  Sie  endete  auch  diesmal  mit  einer  gänzlichen  Niederlage 
der  Burgunder.  Karl  selbst  fiel  im  Kampfe.  Sein  Leichnam  wurde 
erst  zwei  Tage  später  südwestlich  vor  Nancy  völlig  entblöfst  und  ent- 
stellt aufgefunden.  Der  Ruf  des  schweizerischen  Heeres  war  durch  diese 
Siege  für  immer  begründet.  Wie  Ludwig  XI.  von  Frankreich,  so  warben 
bald  auch  andere  Mächte  um  schweizerische  Truppen. 

4.  Nach  Karls  Tode  begann  das  weltgeschichtliche  Ringen  zwischen 
Frankreich  und  Habsburg.  Vom  Erbe  des  Herzogs  suchte  Ludwig  XL 
soviel  als  möglich  zu  erhalten.  Am  liebsten  wäre  es  ihm  gewesen,  mit  der 
Hand  der  Erbin  Maria  für  seinen  siebenjährigen  Sohn  Karl  das  Ganze  zu 
gewinnen.  Er  liefs  auch  kein  Mittel  hiezu  unversucht.  Das  burgundische 
Erbe  umfafste  französische  und  deutsche  Länder.  Unter  jenen  waren 
Apanagen,  aber  auch  Erbgüter,  und  selbst  von  diesen  hatten  einzelne 
schon  früher  zu  Frankreich  gehört.  Daher  machte  Ludwig  in  den  ver- 
schiedenen burgundischen  Landschaften  seine  Ansprüche  in  verschiedener 
Weise  geltend.  Im  Herzogtum  Burgund  und  den  dazu  gehörigen  Graf- 
schaften von  Mäcon,  Auxerre  und  Charolais  liefs  er  sich  als  Lehensherrn 
huldigen.  Auch  die  Freigrafschaft,  wiewohl  deutsches  Reichsland,  folgte 
diesem  Beispiel.  Ludwig  XL  erschien  selbst  in  Dijon  und  schwur,  die 
Freiheiten  des  Landes  aufrecht  zu  erhalten.  Die  Städte  an  der  Somme 
fielen  ihm  zu.  In  der  Pikardie  und  in  Artois  machten  seine  Warfen 
Fortschritte.  Er  drang  in  Hennegau  ein.  Die  Hilfe,  die  Maria  von 
ihrem  Oheim,  Eduard  IV.  von  England,  erwartete,  blieb  aus.  Mit  dem 
König  Ludwig  brach  sie  erst,  als  die  Räte  ihres  Vaters  Hugonet  und 
d'Himbercourt,  denen  die  Niederländer  wegen  der  Unterdrückung  ihrer 
städtischen  Rechte  und  Freiheiten  grollten,  und  die  zu  retten  Ludwdg 
unterlassen  hatte,  der  Rache  des  Volkes  zum  Opfer  fielen.  Mit  seiner 
Hoffnung,  das  ganze  burgundische  Erbe  zu  gewinnen,  war  es  vorbei. 
Selbst  in  den  Landschaften,  welche  die  französische  Herrschaft  anerkannt 
hatten,  erfolgte  ein  Umschwung  in  der  Gesinnung;  von  der  gröfsten 
Bedeutung  aber  war  es,  dafs  sich  Maria  mit  dem  Erzherzog  Maximilian 
vermählte  (1477,  19.  August).  Als  Friedrich  III.  mit  dem  ganzen  Ansehen, 
das  dem  Kaisertum  noch  innewohnte,  für  Maria  eintrat  und  von  Frank- 
reich die  Räumung  der  Reichslande  Hennegau  und  Franche-Comte 
begehrte,  Erzherzog  Maximilian  selbst  in  den  Niederlanden  erschien  und 


664  Die  Schlacht  von  Guinegate.     Friede  von  Anas.     Xeue  Irrungen. 

die  Schweizer  völlig  auf  die  Seite  Österreichs  neigten,  schlofs  Ludwig  XL 
am  18.  September  1477  einen  Waffenstillstand,  ohne  freilich  von  seinen 
Ansprüchen  das  mindeste  aufzugeben.  Die  Feindseligkeiten  begannen 
schon  im  folgenden  Jahre  von  neuem.  Maximilian  schlug  die  von 
Schweizer  Reisläufern  unterstützten  Franzosen  am  7.  August  1479  in 
der  Schlacht  von  Guinegate  bei  Therouenne,  war  aber  nicht  imstande, 
seinen  Sieg  auszunützen.  Der  Krieg  schleppte  sich  mühsam  fort,  und 
nach  Marias  Tode  (1482)  hatte  Maximilian  noch  mit  Schwierigkeiten 
zu  kämpfen,  die  ihm  von'burgundischer  Seite  bereitet  wurden.  Drohend 
verlangten  die  Stände  von  Brabant  und  Flandern  nach  Frieden,  und  da 
auch  der  alternde  König  Ludwig  einem  solchen  geneigt  war,  wurden  am 
23.  Dezember  1482  die  Vereinbarungen  von  Ar  ras  getroffen:  Danach 
wurde  Maximilians  Tochter  Margareta  mit  dem  Dauphin  verlobt  und 
sollte  als  Mitgift  Artois,  die  Freigrafschaft  und  andere  auf  französischem 
Boden  gelegene  Besitzungen  des  Hauses  Burgund  erhalten.  Würde  die 
Ehe  kinderlos  bleiben,  so  sollten  sie  an  Philipp,  den  Sohn  Marias  und 
Maximilians,  fallen;  würde  dieser  mit  Tod  abgehen,  ohne  direkte  Erben 
zu  hinterlassen,  so  sollte  Margareta  den  ganzen  burgundischen  Besitz 
erhalten.  Damit  endete  der  burgundisch  französische  Krieg.  Die  fran- 
zösischen Wühlereien  dauerten  freilich  auch  nach  dem  Tode  Ludwigs  XL 
fort.  Die  Schwester  Karls  VIII.,  Anna  von  Beaujeu,  nahm  die  Flandrer 
in  Schutz,  die  Maximilian  nicht  als  Regenten  anerkannten.  Wohl  gelang 
es  ihm  nach  längeren  Kämpfen,  die  flandrischen  Städte  zur  Anerkennung 
seiner  Regentschaft  und  zu  der  bisher  verweigerten  Auslieferung  seines 
Sohnes  zu  zwingen  (1485),  als  er  sich  aber,  um  an  seiner  Gegnerin  Rache 
zu  nehmen,  in  die  inneren  Kämpfe  Frankreichs  einmischte,  erhoben 
sich  die  Flandrer  von  neuem,  und  Maximilian  geriet  am  1.  Februar  1488 
in  die  Gefangenschaft  der  Bürger  von  Brügge  und  wurde  erst  frei,  als 
der  betagte  Kaiser  selbst  mit  dem  von  Albrecht  von  Sachsen  geführten 
Reichsheer  vor  Brügge  zog.  Der  Tod  des  Herzogs  Franz  von  Bretagne 
(1488,  9.  Sej^tember)  führte  endlich  eine  Wendung  herbei.  Die  Tochter 
des  Herzogs,  Anna,  sollte  sich  vertragsmäfsig  nur  mit  Zustimmung  des 
Königs  von  Frankreich  vermählen.  In  mehreren  Festungen  der  Bretagne 
lagen  französische  Truppen.  Da  die  benachbarten  Mächte  den  Franzosen 
den  Erwerb  dieses  wichtigen  Landes  mifsgönnten  und  einen  Bund  gegen 
Karl  VIII.  schlössen,  war  dieser  zum  Frieden  mit  Maximilian  geneigt. 
Der  Frankfurter  Vertrag  vom  22.  Juli  1489  bestimmte,  dafs  Karl  die 
Flandrer  zur  Unterwerfung  bewegen  sollte,  worauf  sich  diese  im  Oktober 
unterwarfen,  die  Regentschaft  Maximilians  anerkannten  und  eine 
bedeutende  Summe  zahlten.  Um  die  Streitigkeiten  zwischen  Frankreich 
und  England  über  ihren  Einflufs  auf  die  Bretagne  zu  beseitigen,  ver- 
mählte sich  Maximilian  durch  Prokuration  mit  der  Herzogin  Anna. 
Karl  VIII.  liefs  dagegen  Truppen  in  der  Bretagne  einrücken  und  brachte 
den  gröfsten  Teil  des  Landes  in  seine  Hände.  Da  Maximilian  durch 
die  Verwicklungen  seines  Vaters  mit  Ungarn  im  Osten  festgehalten 
wurde,  die  Niederländer  seine  Sache  nicht  unterstützten,  so  war  Anna 
genötigt,  ihrem  Gegner  die  Hauptstadt  Rennes  zu  übergeben.     Schliefslich 


Friede  von  Senlis.  665 

reichte  sie,  nachdem  sie  die  Dispens  des  Papstes  von  ihrer  Ehe  mit 
Maximilian  erhalten  hatte,  Karl  VIII.  die  Hand.  Maximilian  war  hierüber 
in  hohem  Grade  entrüstet  und  begann  den  Krieg  wider  Frankreich,  den 
er  mit  bedeutenden  Erfolgen  führte.  Die  Vermittlung  der  Eidgenossen 
führte  schliefslich  zum  Frieden  von  Senlis  (1493,  23.  Mai).  Danach 
wurde  Maximilians  Tochter  Margareta  samt  der  ihr  zugesprochenen 
Mitgift  an  Maximilian  zurückgegeben ;  die  von  den  Franzosen  in  Artois 
.noch  besetzten  Orte  sollten  in  ihrem  Besitz  bleiben ,  bis  Erzherzog 
Philipp  dem  König  für  die  von  ihm  abhängigen  Gebiete  den  Lehenseid 
geleistet  hätte  und  über  die  strittige  Zugehörigkeit  einzelner  Landschaften 
auf  dem  Rechtsweg  entschieden  sein  würde.  Im  wesentlichen  war  somit 
der  Anfall  der  meisten  Länder  Karls  des  Kühnen  an  das  Haus  Habs- 
burg gesichert. 

§  152.  Die  Königswahl  Maximilians  I.  Die  Versuche  einer  Reichsreform. 
Der  Wiedergewinn  von  Österreich  und  der  Heinifall  von  Tirol. 

Quellen:  S.  oben  §  120  u.  148.  Dazu :  Electio  Maximiliani  in  regem  Rom. 
anno  1486.  Freher-  Struve.  SS.  rer.  Germ.  HI,  123.  Büchlin  etc.,  s.  Potth.  I,  175,  auch 
unter  Codicillus,  ebenda  u.  S.  325  u.  unter  Boke,  S.  163.  Coronatio  Maxim.  1486.  Freher- 
Struve  m,  30 — 41,  ist  eine  Übersetzung  von  Büchlin,  s.  Potth.  I,  175.  Krönung,  die  .  .  . 
Maximilians  etc.  1486.  Cornelius  Aurelius  Batavus,  Diadema  imperatorium  de  coro- 
natione  Maximiliani  ap.  Reusner.  Orat.  de  bello  Türe.  I,  355.  Eyb,  Ber.  über  .  .  . 
Maximilians  Krönung  zu  Aachen  1486.  Ann.  HVNied.  -  Rhein  XV.  Barbarus  Her- 
molaus, Ad  Fridericum  imp.  et  Max.  oratio  gratul.  1486.  Freher  H,  185.  Klüpfel, 
Urkk.  z.  Gesch.  d.  schw.  Bundes.  Bibl.  d.  Lit.  Ver.  S.  auch  die  Pol.  Korr.  d.  Kurf. 
Albrecht  Achilles,  herausg.  v.  Priebatsch.  1 — 3.  Leipz.  1894 — 98. 

Hilfsschriften.  Aufser  den  bereits  oben  genannten  Arbeiten :  U 1  - 
mann,  König  Maximiliani.  1884  und  Huber  DU :  Ulmann,  Die  Wahl  Maximilians  I. 
Forsch.  XX,  131  ff.  Bachmann,  Zur  d.  Königswahl  Ms.  AÖG.  76.  Ulmann,  Kaiser 
Friedrich  gegenüber  der  Frage  der  Königswahl  in  den  Jahren  1481 — 1486.  Bach- 
mann, Nochmals  die  Wahl  Maximilians  I.  HVSch.  IV,  493.  Priebatsch,  Die  Reise 
Friedrichs  IH.  ins  Reich  1485  und  die  Wahl  Ms.  MJÖG.  XIX.  Stoewer,  Herzog 
Albrecht  als  Reichsfeldherr  gegen  die  Ungarn  1487.  Greif sw.  1882.  Wiedeman,  Die 
Reichspolitik  der  Grafen  Haug  von  Werdenberg  1466 — 1486.  Ebenda  1883.  v.  Kraus, 
Maximilians  Beziehungen  zu  Sigmund  von  Tirol.  1879.  Kirchlechner,  Aus  den  Tagen 
H.  Sigmunds  des  Münzreichen.  Innsbr.  1884.  Schober,  Eroberung  Niederösterr.  durch 
Matth.  Corvinus.  Wien  1879.  Striedinger,  Der  Kampf  um  Regensburg  1486 — 1492. 
München  1890.  Schweizer,  Vorgesch.  und  Gründung  des  schwäb.  Bundes.  1876. 
Osann,  Gesch.  d.  schw.  Bundes  1861.  Klüpfel,  Der  schw.  Bund,  HT.  6.  F.  2  u.  3. 
F.  Wagner,  Der  schwäb.  Bund  u.  die  fränkischen  Hohenzollern.  Forsch.  XXH,  259  ff. 
Stalin,  Gesch.  Württemb.  I.  Keussen,  wie  oben.  Dewitz,  Reichstage  u.  Reichs- 
verfassung unter  Friedrich  HI.  1880.  Becker,  Teilnahme  d.  Städte  an  d.  Reichsvers. 
unter  Friedrich  III.  Bonn  1891.  Brühlke,  Die  Entwicklung  der  Reichsstandschaft  der 
Städte.  1881.  Franklin,  Das  Reichshofgericht  im  MA.  2  Bde.  Derselbe,  Das  kgl. 
Kammergericht  von  1495.  Berl.  1871.  Tomaschek,  Die  höchste  Gerichtsbarkeit  des 
d.  Königs  u.  Reiches  im  15.  Jahrh.  WienSB.  XLIX.  Seeliger,  Das  deutsche  Hof- 
meisteramt im  späteren  MA.   Schönherr,  Johannes  Corvinus  1473 — 1504.  Budap.  1899. 

1.  Bei  der  schwerfälligen  Art  des  Kaisers  war  in  den  politischen 
Kreisen  des  deutschen  Reiches  schon  seit  den  fünfziger  Jahren  der 
Plan  erwogen  worden,  ihm  einen  Koadjutor  zur  Seite  zu  stellen.  Unter 
den   hierüber   auftauchenden  Kandidaturen   war   die  des  Hussitenkönigs 


666  Königswahl  Maximilians. 

Georg  zweifellos  die  interessanteste.  Diese  Pläne  scheiterten  an  der 
Uneinigkeit  der  Kurfürsten  nicht  weniger  als  an  dem  Widerstreben  des 
Kaisers,  von  den  ohnedies  so  stark  geschmälerten  Machtbefugnissen  des 
Reichsoberhauptes  auch  nur  das  mindeste  preiszugeben.  Daher  wies 
er  jeden  Gedanken  an  eine  Teilung  der  obersten  Gewalt  zurück,  selbst 
wenn  diese  seinem  Sohne  Maximilian  zugute  kommen  mufste.  Würde, 
liefs  er  sich  vernehmen,  jemand  gewählt  werden,  der  ihn  in  seiner 
kaiserlichen  Würde  behindern  würde,  so  würde  dem  Reiche  nicht  ge-. 
holfen,  sondern  »entholfen«.  Wiewohl  Maximilians  Wahl  keinen  Wider- 
spruch gewärtigt  hätte,  wollte  der  Kaiser  daher  die  längste  Zeit  hievon 
nichts  wissen,  und  nur  die  äufserste  Not  vermochte  ihn,  seine  Haltung 
aufzugeben.  Trotzdem  schon  1484  in  fürstlichen  Kreisen  diese  Wahl 
erwogen  wurde  und  die  kaiserlichen  Räte  ihr  1485  schon  deswegen  zu- 
neigten, weil  sie  die  burgundischen  Mittel  für  die  Kämpfe  im  Südosten 
des  Reiches  zu  gewinnen  hofften,  trotzdem  endlich  Maximilian  selbst 
bereits  seit  1481  für  seine  Sache  tätig  gewesen,  war  der  Kaiser  nicht 
geneigt,  darauf  einzugehen,  ihm  selbst  aber  trauten  sie  weder  die  Fähig- 
keit noch  den  Willen  zu,  die  Südostmarken  des  Reiches  den  Ungarn 
zu  entwinden.  Dessenungeachtet  machte  er  Versuche,  ohne  auf  die 
Wünsche  der  Fürstenmehrheit  Rücksicht  zu  nehmen  und  ohne  einen 
Reichstag  zu  berufen,  eine  stattliche  Reichshilfe  zu  erlangen,  und  erst 
als  sie  scheiterten,  berief  er  für  den  8.  Dezember  1485  einen  Reichstag 
nach  Würzburg,  der  dann  verschoben  und  nach  Frankfurt  verlegt  wurde. 
Auch  jetzt  hatte  er  noch  Bedenken  gegen  die  Wahl  Maximilians,  von 
der  er  eine  Beeinträchtigung  seiner  Macht  befürchtete  und  besorgte, 
dafs  die  Mittel  des  Reiches  den  burgundischen  Interessen  geopfert  wer- 
den könnten.  Erst  als  ihm  Maximilian  das  Versprechen,  Osterreich 
retten  zu  helfen,  gegeben  hatte,  liefs  er  seine  Opposition  fallen.  Die 
Kurfürsten,  die  sich  mit  Ausnahme  Böhmens1)  in  Frankfurt  eingefunden 
hatten,  wählten  (am  16.  Februar  1486)  einhellig  Maximilian  zum  König. 
Doch  durfte  dieser  bei  Lebzeiten  des  Kaisers  keinen  Anteil  an  der  Re- 
gierung erhalten. 

2.  Noch  schwieriger  gestaltete  sich  die  Frage  der  Reichsreform,  die 
schon  in  der  Zeit  Sigmunds  dringend  gewünscht  ward  und  jetzt  mehr 
als  je  notwendig  wurde.  Während  sich  das  Königtum  in  den  Ländern 
des  Westens  konsolidiert  und  auf  festere  Grundlagen  gestellt  hatte,  zog 
der  aus  seinen  Erblanden  verjagte  Kaiser  wie  ein  Flüchtling  im  Reiche 
umher,  nahm  seine  Mahlzeiten  in  Klöstern  und  bestritt  seine  Ausgaben 
aus  den  unbedeutenden  Einkünften  seiner  Kanzlei.  In  Deutschland 
konnte  bei  dieser  Lage  der  Dinge  die  Reichsreform  nicht  von  dem 
Träger  der  obersten  Gewalt,  sondern  mufste  von  den  Ständen  ausgehen. 
Hier  rief  alles  nach  Aufrichtung  eines  Landfriedens  und  einer  festen 
Organisation    der    kaiserlichen    Gerichte ;    Reichsheer    und    Reichssteuer 

1  Das  nicht  geladen  war,  weil  sich  "Wladislaw  im  Einverständnis  mit  König 
Matthias  befand.  Entschuldigend  meinten  später  die  Kurfürsten,  die  Wahl  sei  erst  in 
Frankfurt  festgesetzt  worden  und  der  Notdurft  des  Reiches  wegen  kein  Aufschub 
möglich  gewesen. 


Die  Reichsreform.  (367 

waren  die  Forderungen  jener,  denen  Ehre  und  Ansehen  des  Kaisers, 
Friede  des  Volkes  und  Wiederherstellung  der  Macht  des  Reiches  fremden 
Nationen  gegenüber  am  Herzen  lag. x)  Schon  1485  hatte  der  Mainzer 
Erzbischof  ßerthold  von  Henneberg  den  Plan  einer  Reichsreform  ent- 
wickelt, die  freilich  eine  starke  Einschränkung  der  königlichen  Gewalt 
zugunsten  der  Reichsstände  und  deren  Mitwirkung  am  Reichsregiment 
in  Aussicht  nahm.  Seit  langer  Zeit  fanden  es  die  Städte  unerträglich, 
dafs  über  ihre  Hilfskräfte  ohne  ihre  Zustimmung  verfügt  werde,  und 
wünschten  zu  einer  gesicherten  Stellung  innerhalb  der  deutschen  Reichs- 
verfassung zu  kommen,  Sitz  und  Stimme  auf  den  Reichstagen  zu  er- 
halten. Indem  nun  die  Reichsstände  den  Forderungen  des  Kaisers  in 
Frankfurt  willig  entgegenkamen,  geschah  dies  nicht  ohne  Gegenforde- 
rungen. Sie  verlangten  aufser  der  Einführung  einer  einheitlichen  Münze 
vornehmlich  Aufrichtung  eines  allgemeinen  Landfriedens  und  die  Um- 
gestaltung des  kaiserlichen  Gerichtshofes.  Der  Kaiser  verkündigte  ohne 
Bedenken  den  Landfrieden  auf  weitere  zehn  Jahre.  Bei  den  Beratungen 
hierüber  und  über  die  Türkenhilfe  erklärten  aber  die  Fürsten,  dafs  hiezu 
zu  die  Einwilligung  der  Städte  notwendig  sei.  Diese  nahmen  selbst  die 
Wahrung  ihrer  Interessen  in  die  Hand.  Auf  dem  Städtetag  zu  Speyer 
(1487,  2.  Februar)  erklärten  sie,  dafs  in  Zukunft  keine  Stadt  etwas  be- 
willigen und  alle  für  einander  einstehen  sollten;  am  Tage  von  Heilbronn 
(März  1487)  begehrten  sie  das  Recht  auf  allen  Reichstagen,  geladen  oder 
ungeladen,  zu  erscheinen,  und  wiewohl  der  Kaiser  zum  nächsten  Reichs- 
tag nach  Nürnberg  nur  acht  der  vornehmsten  Reichsstädte  berufen 
hatte,  erschienen  sie  in  grofser  Zahl  und  erhielten  nun  einen  Anteil  an 
den  Beratungen.  Es  wurden  Ausschüsse  gebildet,  denen  auch  städtische 
Vertreter  zugezogen  wurden.  So  gehörten  nunmehr  dem  Ausschufs 
über  den  Landfrieden  neben  6  kurfürstlichen  und  zehn  fürstlichen  drei 
städtische  Mitglieder  an.  Die  Städte  hatten  nunmehr  Sitz  und  Stimme 
auf  den  Reichstagen.  Von  Bedeutung  war  der  Frankfurter  Reichstag 
von  1489:  Hier  trennten  sich  alle  Mitglieder  nach  der  Verlesung  der 
kaiserlichen  Proposition2)  in  drei  Kollegien:  das  kurfürstliche, 
fürstliche  und  städtische.  Die  Antwort  auf  die  Proposition  wird 
von  dem  ersteren  entworfen  und  den  beiden  andern  zur  Annahme  vor- 
gelegt. Diese  Art  der  Beratung  ist  in  der  Folge  die  regelmäfsige. 
Schwieriger  als  diese  Fragen  gestaltete  sich  die  der  Umgestaltung  des 
Kammergerichtes,  das  seit  Kaiser  Sigmund  an  die  Stelle  des  kaiserlichen 
Hofgerichtes  getreten  war.  Am  Frankfurter  Reichstage  von  1486  ver- 
langten die  Stände,  dafs  der  Kaiser  in  Gemeinschaft  mit  ihnen  eine 
oberste  Gerichtsbarkeit  aufrichte,  demnach  Anteilnahme  an  der  Reichs- 
gerichtsbarkeit. Das  oberste  Gericht  sollte  dem  Kaiser  gegenüber  eine 
unabhängige  Stellung  erhalten  und  von  allen  Eingriffen  der  kaiserlichen 
Macht   frei    sein.     Der   Kaiser   ging   darauf   nicht   ein.     Er   wollte   auch 


x)  Janssen  I,  460. 

2)  Sie  ist  in  gewissem  Sinne   der  Thronrede    von   heutzutage  entsprechend,    ent- 
hält aber  schon  die  Forderungen  der  Regierung. 


668  Tod  d.  Königs  Matthias.     Wiedergewinn  Österreichs. 

hier  nicht  das  mindeste  von  seinen  bisherigen  Machtbefugnissen  preis- 
geben. Der  Gedanke  an  eine  durchgreifende  Reichsreform  hatte  sonach 
bei  Lebzeiten  dieses  Kaisers  keine  Aussicht  auf  Verwirklichung. 

3.  Trotz  seines  Versprechens,  Österreichs  Befreiung  von  der  Herr- 
schaft Ungarns  unverzüglich  in  Angriff  zu  nehmen,  wandte  sich  Maxi- 
milian, dem  die  Austragung  der  burgundischen  Irrungen  wichtiger  schien 
als  die  der  österreichisch-ungarischen,  zuerst  gegen  Frankreich.  Die 
vom  Kaiser  begehrte  Reichshilfe  gegen  Ungarn  kam  sonach  erst  sehr 
spät  —  im  Juni  1487  —  und  so  spärlich  zusammen,  dafs  der  Reichs- 
hauptmann Herzog  Albrecht  von  Sachsen  mit  seinen  5000  Mann,  die 
er  zudem  aus  eigenen  Mitteln  erhielt,  gegen  Matthias  nicht  nur  keine 
Erfolge  erzielte,  sondern  auch  das  schon  seit  zwei  Jahren  belagerte 
Wiener  Neustadt  nicht  zu  retten  vermochte  und  auf  Unterhandlungen 
mit  seinem  Gegner  einging,  die  zu  einem  Waffenstillstand  auf  Grund 
des  Status  quo  führten.  Dieser  wurde  wiederholt  verlängert.  Friedens- 
verhandlungen, die  inzwischen  gepflogen  wurden,  führten  zu  keinem 
Resultat.  Da  starb  König  Matthias  am  6.  April  1490.  Die  politische 
Lage  war  damit  vollständig  geändert.  Um  die  ungarische  Krone  be- 
warben sich  aufser  Johannes  Corvinus,  dem  unehelichen  Sohne  des  ver- 
storbenen Königs,  die  beiden  Brüder  Wladislaw  von  Böhmen  und  Johann 
Albrecht  von  Polen  (s.  §  131,  4),  aber  Maximilian  forderte  auf  Grund 
des  Vertrages  von  1463  die  ungarische  Krone  für  sich.  Je  strenger  das 
Regiment  war,  das  Matthias  in  Ungarn  geführt  hatte,  und  je  weniger 
die  ungarischen  Stände  eine  noch  gröfsere  Erstarkung  des  Königtums 
wünschten,  um  so  mehr  betonten  sie  die  Freiheit  ihrer  Wahl.  Nach 
längeren  Verhandlungen  zwischen  der  böhmischen  und  der  Partei  des 
Johannes  Corvinus  behaupteten  die  Anhänger  Wladislaws  das  Feld  und 
wählten  den  Böhmenkönig,  der  sich  mit  einer  starken  Einschränkung 
der  königlichen  Machtbefugnisse  einverstanden  erklärt  hatte.  Am 
18.  September  1490  wurde  er  zu  Stuhlweifsenburg  gekrönt  und  Johannes 
Corvinus  mit  der  Stellung  eines  Herzogs  von  Slawonien  und  Bans  von 
Kroatien  abgefunden.  Nun  begannen  die  beiden  andern  Prätendenten 
den  Kampf.  Johann  Albrecht  rückte  in  Oberungarn  ein.  Verhandlungen 
der  beiden  Brüder  führten  erst  im  Februar  1491  dazu,  dafs  Johann 
Albrecht  gegen  den  Besitz  der  schlesischen  Herzogtümer1)  auf  Ungarn 
verzichtete.  Inzwischen  war  Maximilian  von  Steiermark  aus  in  Xieder- 
österreich  eingerückt  und  wmrde  überall  als  Befreier  begrüfst.  Wien 
öffnete  am  17.  August  1490  die  Tore,  und  bald  fand  sich  das  Land  bis 
auf  wenige  Punkte  in  seinem  Besitz.  Im  Oktober  rückte  er  in  Ungarn 
ein  und  drang  bis  Veszprim  vor.  Schon  traten  einzelne  Grofse  zu  ihm 
über.  Am  17.  November  wurde  Stuhlweifsenburg  genommen.  Maximilian 
konnte  jedoch  seine  Söldner  nicht  befriedigen  und  wTar  daher  gezwungen, 
den  Rückzug  anzutreten.  Vom  Kaiser  gedrängt,  der  sein  Leben  in 
Ruhe  beschliefsen  wollte,  schlofs  er  am  7.  November  1491  den  Frieden 


1    Glogau-Sagan,  Tost  u.  Kosel  mit  Leobschütz,  der  Städte  Jägerndorf  u.  Beuthen 
und  der  Anwartschaft  auf  Öls-TVohlau  u.  Troppau. 


Der  Heinifall  Tirols.     Der  neue  schwäbische  Bund.  569 

von  Prefsburg  auf  Grundlage  von  Bedingungen,  die  im  wesentlichen 
mit  denen  von  1463  übereinstimmen.  Falls  Wladislaw  ohne  Söhne  oder 
diese  ohne  männliche  Nachkommen  stürben,  sollte  Ungarn  an  Maximilian 
oder  dessen  unmittelbare  Leibeserben  gelangen.  Die  ungarischen  Stände 
traten  den  Bestimmungen  bei. 

4.  In  demselben  Jahre,  in  welchem  Maximilian  die  an  Ungarn 
verloren  gegangenen  Besitzungen  wiedergewann,  erfolgte  der  Anfall 
Tirols,  nachdem  das  Haus  Habsburg  eben  noch  in  Gefahr  geschwebt 
hatte,  es  an  Witteisbach  zu  verlieren.  Sigmund,  ein  Freund  ritterlicher 
Künste,  kunstsinniger  und  schöngeistiger  Bestrebungen,  war  durch  seine 
Verschwendung  wiederholt  in  arge  Geldnot  gekommen,  die  von  den 
Herzogen  von  Bayern-München  und  Bayern-Landshut  benützt  wurde, 
um  Tirol  an  sich  zu  bringen.  Sie  liefsen  sich  nicht  blofs  für  die  ihm 
geliehenen  Gelder  Ländergebiete  verpfänden  oder  abtreten,  sondern  er- 
füllten ihn  mit  der  Idee,  dafs  seine  nächsten  Verwandten,  der  Kaiser 
und  dessen  Sohn,  ihn  um  sein  Land,  vielleicht  sogar  um  sein  Leben 
bringen  wollen.  Ohne  dafs  ein  wichtiges  Interesse  Tirols  im  Spiele  war, 
begann  er  1487  den  venezianischen  Krieg  und  liefs  sich  von  Bayern  die 
hiezu  nötigen  Geldsummen  vorstrecken.  Nachdem  er  1486  an  den 
Herzog  Georg  die  Markgrafschaft  Burgau  um  52000  Gulden  verkauft, 
verpfändete  er  den  Herzogen  Albrecht  und  Georg  die  Vorlande  um 
50000  Gulden,  und  dies  mit  solchen  Klauseln,  dafs  eine  Wiedereinlösung 
kaum  mehr  möglich  war.  Gegen  des  Kaisers  Willen  vermählte  er  dessen 
in  Innsbruck  weilende  Tochter  Kunigunde  an  Herzog  Albrecht  und  gab 
ihr  aus  Eigenem  eine  Beisteuer  von  40000  Golclgulden.  Endlich  ver- 
schrieb er  Albrecht  eine  Million  Goldgulden  auf  Tirol  und  die  Vorlande. 
Bei  alledem  nahm  der  venezianische  Krieg  einen  unglücklichen  Verlauf, 
was  den  allgemeinen  Unwillen  der  Tiroler  erregte.  Spät  genug  raffte 
sich  der  Kaiser  auf,  um  den  drohenden  Verlust  des  Erblandes  abzu- 
wenden. Zuerst  erzwang  die  österreichische  Partei  in  Tirol  die  Ein- 
berufung eines  Landtages  und  die  Entlassung  der  bisherigen  Räte,  wor- 
auf der  Kaiser  die  Friedensvermittlung  mit  Venedig  in  die  Hand  nahm. 
Im  November  1487  ward  Tirol  und  Vorderösterreich  auf  die  Anerkennung 
der  Erbfolge  Friedrichs  und  Maximilians  in  Eid  und  Pflicht  genommen 
und  Sigmund  bewogen,  die  an  Albrecht  gemachte  Verschreib ung  zu 
widerrufen.  Der  Kaiser  fand  bei  seinem  Vorgehen  Bundesgenossen  an 
den  schwäbischen  Reichsstädten.  Auch  diese  sahen  sich  durch  die 
bayrische  Politik  bedroht,  denn  erst  1486  hatte  Bayern  das  durch  innere 
Wirren  zerrüttete  Regensburg  besetzt.  Jetzt  wurde  ein  neuer  schwäbi- 
scher Bund  geschlossen,  dem  der  Kaiser  beitrat,  vielleicht  weil  er 
hiedurch  dem  dringenden  Bedürfnis  nach  Reformen  entgegenkommen 
wollte.  Auf  einer  Versammlung  der  schwäbischen  Reichsstände,  die  er 
nach  Efslingen  berufen  hatte,  legte  sein  Kommissär,  Graf  Haug  von 
Werdenberg,  den  Plan  eines  Bundes  aller  schwäbischen  Stände  zur  Wah- 
rung des  Frankfurter  Landfriedens  vor.  Der  Bund  wuchs  durch  den 
Beitritt  zahlreicher  Städte,  Fürsten  und  Prälaten.  Auch  Erzherzog  Sig- 
mund mufste  sich   anschliefsen  und  Bayern,    um   einem  Kriege    zu   ent- 


ß70  Tod  Friedrichs  III.     Frankreich  unter  Karl  VII. 

gehen,  Burggau  gegen  Rückgabe  der  Kaufsumme  herausgeben  (1489), 
auf  die  Vorlande  und  drei  Jahre  später  auch  auf  Regensburg  und  die 
vom  Sigmund  verschriebene  Geldsummen  verzichten.  Inzwischen  war 
auch  in  Tirol  die  Entscheidung  gefallen.  Da  dem  Erzherzog  Sigmund 
die  Lage  der  Dinge  unbequem,  sein  Widerwille  gegen  die  ihm  beige- 
gebenen Räte  und  das  Mistrauen  dieser  gegen  den  Fürsten  immer  gröfser 
wurde,  erklärte  er  (am  16.  März  1490),  zugunsten  Maximilians  gegen 
eine  Jahresrente  auf  seine  Länder  zu  verzichten.  Er  starb  ohne  weiter- 
hin Einflufs  auf  die  Regierung  zu  gewinnen  am  4.  März  1496.  Drei 
Jahre  früher,  am  19.  August  1493,  starb  der  Kaiser  im  79.  Lebensjahre 
(S.  Charakterist.  s.  oben  §  120,   1). 

2.  Kapitel. 

Die  Neugestaltung  Frankreichs  und  Englands  im  Zeitalter  der 

Burgunder-  und  Kosenkriege, 

§  153.    Die  Neugestaltung  Frankreichs  unter  Karl  VII. 

Die  Quellen  zur  Geschichte  Karls  ATI.  s.  §  128. 

1.  Zeitgenössische  Quellen  geben  dem  Könige  Karl  VII.  den  Bei- 
namen des  Siegreichen.  Da  er  seine  Erfolge  aber  den  Verdiensten 
Jeanne  d'Arcs  und  des  Connetable  Richemont  dankt,  ist  es  richtiger, 
wenn  er  in  den  Quellen  bien  servi  genannt  wird.  Die  Herstellung  der 
inneren  Ordnung  machte  unter  dem  Einflufs  trefflicher  Ratgeber  rasche 
Fortschritte.  Am  leichtesten  vollzog  sich  die  Regelung  der  kirchlichen 
Verhältnisse.  Auf  der  Versammlung  von  Bourges,  an  der  aufser  einer 
Anzahl  weltlicher  Personen  5  Erzbischöfe,  25  Bischöfe  und  zahlreiche 
Geistliche  niederen  Ranges  teilnahmen,  wurde  (1438,  Juli)  nach  einer 
Beratung  über  die  Baseler  Reformdekrete  23  Artikel  sanktioniert,  in  denen 
die  Beziehungen  der  französichen  Kirche  zum  Papsttum  geregelt  und 
die  Freiheit  kirchlicher  Wahlen  festgesetzt  wird.  Sie  sind  als  die  prag- 
matische Sanktion  von  Bourges  bekannt  (s.  oben  §  119).  Da  diese 
nicht  nur  der  päpstlichen,  sondern  auch  der  königlichen  Gewalt  ent- 
schiedenen Abbruch  tat.  denn  auch  dem  Königtum  wurde  nur  ein 
geringer  Einflufs  auf  die  Besetzung  der  obersten  Kirchenstellen  gelassen, 
waren  Karls  VII.  Nachfolger  nur  zu  leicht  geneigt,  ihren  wesentlichen 
Inhalt  gegen  sonstige  Vorteile  der  Kurie  zu  opfern.  Das  Empfindlichste 
für  diese  war.  dafs  kirchliche  Anordnungen  auch  ohne  päpstliche  Zustim- 
mung getroffen  werden  konnten.  Bei  diesen  kirchlichen  Reformen  fand 
das  Königtum  die  unbedingte  Unterstützung  des  Parlaments  als  des 
starken  Armes  seiner  Gerechtigkeit,  und  man  würdigt  die  Klage  Pius'  IL, 
dafs  der  römische  Bischof,  trotzdem  seine  Pfarre  die  Welt  ist,  in 
Frankreich  nicht  mehr  Gerichtsbarkeit  hat,  als  ihm  das  Parlament 
bewilligt.1) 

*)  Eanke,  Fr.  Gesch.  I,  46. 


Neugestaltung  Frankreichs.     Reform  des  Militär-  u.  Finanzwesens.  (371 

2.  Gröfsere  Aufmerksamkeit  widmete  Karl  VII.  der  Reform  des 
Militärwesens,  mit  der  die  Ordnung  des  französischen  Finanzwesens 
auf  das  innigste  verknüpft  ist.  Bisher  war  er  fast  ausschliefslich  auf 
den  durch  Verschleuderung  stark  geschmälerten  Ertrag  der  könig- 
lichen Domänen  angewiesen.  Von  indirekten  Auflagen  mufste  vieles 
fallen  gelassen  werden,  um  nicht  hinter  Burgund  und  England,  die  mit 
dem  Beispiel  vorangegangen  waren,  zurückstehen  zu  müssen.  Aus  dem 
Geldmangel  der  Krone1)  erklärt  sich  das  grofse  Elend,  das  die  Kriegs- 
banden —  die  Würger  oder  Schinder,  Ecorcheurs  —  über  das  Land 
brachten.  Sie  konnten  eben  nicht  besoldet  werden  und  machten  sich 
durch  Raub  und  Plünderung  bezahlt.  Schliefslich  hatte  ihnen  Karl  VII., 
um  den  Plünderungen  ein  Ziel  zu  setzen,  bestimmte  Einkünfte  in  jenen 
Bezirken,  die  sie  gerade  innehatten,  anweisen  lassen.  Eine  Neuord- 
nung wurde  erst  auf  der  Stände  Versammlung  zu  Orleans  getroffen.  Die 
berühmte  Ordonnanz  vom  2.  November  1439  machte  das  französische 
Königtum  von  den  feudalen  Gewalten  unabhängig.  Indem  die  Grofsen 
darauf  verzichten,  ohne  Erlaubnis  des  Königs  Truppen  zu  halten, 
sprechen  sie  ihm  das  alleinige  Recht  zu,  Kapitäne  zu  ernennen,  die 
nun  für  einen  jeden  von  ihren  Kompagnien  verübten  Unfug  verant- 
wortlich gemacht  werden  konnten.  Nur  der  König  durfte  fortan  Truppen 
halten,  diese  mufsten  aber  regelrecht  besoldet  werden.  So  tritt  nun  an 
die  Stelle  des  alten  feudalen  Aufgebotes  das  stehende  Heer.  1445 
findet  man  15  Ordonnanz  -  Kompagnien,  die  insgesamt  10000  Mann 
zählten.  Jede  Kompagnie  hatte  100  adelige  »gens  d'armes«  mit  ent- 
sprechender Bedienungsmannschaft  und  stand  unter  einem  Hauptmann. 
Man  besafs  damit  eine  tüchtige  Reitertruppe,  und  drei  Jahre  später 
(1448)  wurden  ihr  die  Francs-archers  —  freie  Bogenschützen  —  hinzu- 
gefügt. Je  eine  von  den  16000  Pfarren  des  Landes  hatte  einen  Bogen- 
schützen zu  bewaffnen  und  zu  unterhalten.  Man  hatte  damit  die  erste 
nationale  Infanterie  Frankreichs.  Sie  bewährte  sich  freilich  so  wenig, 
dafs  es  Ludwig  XL  vorzog,  an  ihrer  Statt  schottische  oder  schweizerische 
Söldner  einzustellen.  Die  Artillerie,  von  Anfang  an  unter  unmittelbarer 
Verfügung  des  Königtums,  wurde  gleichfalls  organisiert.  Frankreich 
gelangte  demnach  in  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  in  den  Besitz  eines 
schlagfertigen  Heeres ;  es  war  nicht  mehr  zu  erwarten,  dafs  sein  Er- 
scheinen im  Felde  zugleich  auch  den  Ruin  des  Landes  bezeichnen 
werde.  Die  Stände  von  1439  setzten  auch  die  Grundzüge  für  die  Be- 
soldung dieser  bewaffneten  Macht  fest.  Es  wurde  nämlich  eine  »ständige« 
Auflage  (taille  perpetuelle)  von  jährlich  1200000  Livres  ausdrücklich 
für  die  Erhaltung  des  Heeres  bestimmt.  Die  neue  Steuer  wurde  durch 
königliche  Beamte,  und  zwar  nicht  blofs  auf  dem  unmittelbaren  Kron- 
gebiet, sondern  im  ganzen  Reiche  erhoben.  Die  grofsen  Vasallen  ver- 
zichteten demnach  —  allerdings  nicht  ohne  Entschädigung,  die  ihnen 
wahrscheinlich  in  einem  Anteil  der  Taille  geboten  wurde,  —  zugunsten 
der  königlichen  Gewalt  auf  einen  wichtigen  Teil  ihrer  bisherigen  Rechte. 


x)  Noch  1443  versetzte  die  Königin  ihre  Bibel  um  343  Livres. 


672  Feudale  Opposition.     Die  Praguerie.     Sieg  des  Königtums. 

Von  der  Taille  waren  der  Adel  und  die  Geistlichkeit,  der  Bürgerstand  in  den 
autonomen  Städten  und  die  Inhaber  einiger  Ämter,  auch  die  Francs-archers 
befreit.  Die  älteren  Verbrauchssteuern  auf  Getränke  und  Handelswaren 
(aides),  das  Salzmonopol  (gdbelle)  und  die  Auslandszölle  blieben  bestehen. 
3.  Der  König  ging  bei  der  Durchführung  dieser  Mafsnahmen  ohne 
Gewaltätigkeiten  vor.  Man  findet,  dafs  er  sich  in  der  Languedoc  mit 
der  Leistung  eines  Äquivalents  für  die  neue  Steuer  begnügte,  wie  er 
ihr  auch  ein  eigenes  Parlament  in  Toulouse  (1443)  bewilligte.  In  der 
Folge  erhielten  auch  die  neuen  Provinzen  ihre  Obergerichtshöfe,  so  in 
Grenoble,  Bordeaux  usw.  Das  Parlament  von  Paris  behauptete  unter 
den  übrigen  doch  immer  einen  gewissen  Vorrang.  Dagegen  hatte  das 
Ansehen  der  Universität  Paris  bedeutend  abgenommen :  hatte  ihm 
schon  seine  englandsfreundliche  Gesinnung  die  Sympathien  vieler  geraubt, 
so  taten  die  humanistischen  Ideen,  die  eben  in  Frankreich  ihren  sieg- 
reichen Einzug  hielten,  das  Ihrige  hinzu.  Auch  die  allgemeinen  Stände 
büfsten  ihre  frühere  Machtstellung  ein:  sie  hatten  es  nicht  verstanden, 
dem  Willen  der  Nation  im  Kampfe  mit  dem  Landesfeind  kräftigen  Aus- 
druck zu  geben,  und  das  Königtum  in  seiner  schwierigen  Lage  nur  lau 
unterstützt,  zuletzt  aber  noch  mit  den  Bewilligungen  von  1439  den 
stärksten  Hebel  ihrer  Macht  aus  den  Händen  gegeben.  Nun  wurden 
sie  während  der  übrigen  Regierungszeit  Karls  VII.  nicht  mehr  berufen. 
Häufiger  traten  die  Provinzialstände  zu  Beratungen  zusammen,  aber  die 
ihnen  gestellten  Aufgaben  waren  keine  legislativen;  es  handelte  sich 
in  der  Regel  nur  um  die  Aufteilung  der  von  der  Regierung  geforderten 
Steuern.  Solchergestalt  wandelte  sich  die  alte  Feudalmonarchie  in  ein 
modernes  Staatswesen  um.  Während  sich  die  bürgerlichen  Kreise  dergrofsen 
Reformen  erfreuten  und  hiefür  manchen  Mifsbrauch  der  königlichen  All- 
gewalt mit  in  den  Kauf  nahmen,  waren  den  französischen  Grofsen  Neuer- 
ungen verhafst,  die  ihnen  das  Verfügungsrecht  über  Gut  und  Blut  ihrer 
Untertanen  wegnahmen  und  sie  selbst  unter  die  Oberaufsicht  der  könig- 
lichen Beamten  stellten.  So  kam  es  schon  1440  zu  einer  Verschwörung, 
der  sich  Mitglieder  des  höchsten  Adels,  ja  selbst  der  königlichen  Familie 
anschlössen :  vor  allem  der  Dauphin  Ludwig,  der  den  grofsen  Einflufs  der 
Agnes  Sorel  und  mehr  noch  den  der  bürgerlichen  Ratgeber  des  Königs 
hafste.  Die  Verschworenen  hegten  den  Plan,  den  Connetable  zu  ent- 
fernen, dem  Dauphin  einen  starken  Einflufs  auf  die  Regierung  zu  ver- 
schaffen und  die  Grofsen  in  ihre  alten  Rechte  wieder  einzusetzen..  Das 
Volk  hat  verächtlicherweise  das  Komplott  in  Erinnerung  an  das  Ver- 
halten der  böhmischen  Ketzer  die  » Praguerie«  genannt.  Der  Aufstand 
mifslang  vollständig;  denn  von  den  feudalen  Grundherren  fanden  es 
doch  schon  manche  geratener,  auf  einen  Teil  ihrer  alten  Gerechtsame 
Verzicht  zu  leisten,  als  den  unaufhörlichen  Bedrückungen  der  Ecorcheurs 
ausgesetzt  zu  sein.  Im  Verein  mit  dem  Bürgertum  stellen  sie  sich  auf 
die  Seite  des  Königtums.  Der  durch  keinen  Racheakt  entweihte  Sieg 
gab  dem  König  die  Kraft,  im  Verlauf  der  beiden  nächsten  Jahrzehnte 
den  schweren  Aufgaben  der  äufseren  Politik  dem  deutschen  Reiche, 
England   und    andern  Ländern   gegenüber   gerecht  zu  werden.      Mit  der 


Sturz  u.  Prozefs  Jacques  Coeurs.     Das  Ende  Karls  VII.  673 

Rehabilitation  der  Jungfrau  von  Orleans  hatte  das  Königtum  Karls  VII. 
den  Höhepunkt  seines  Ansehens  erreicht.  In  schreiendem  Widerspruch 
dazu  steht  der  Sturz  des  grofsen  Bürgers  Jacques  Coeur,  in  dem 
die  französischen  Zeitgenossen  allerdings  eine  Zeitlang  den  eigentlichen 
Regenten  Frankreichs  erblickten  und  der,  ohne  dals  das  Königtum  die 
Hand  zu  seinem  Schutze  erhob,  dem  Hafs  und  Neid  seiner  Gegner  er- 
lag (1453).  Die  letzten  Jahre  Karls  VII.  waren  durch  das  schlimme 
Verhältnis  getrübt,  in  welchem  er  zum  Dauphin  Ludwig  stand.  Dieser 
hatte  an  der  Praguerie  teilgenommen,  aber  wie  die  übrigen  Verschwörer 
um  die  Gnade  des  Königs  nachsuchen  müssen.  Das  Verhältnis  zwischen 
den  beiden  blieb  ein  gespanntes.  Im  Jahre  1446  begab  er  sich  in  seine 
Apanage  —  die  Dauphine  —  und  hielt  sich  dort  wie  ein  unabhängiger 
Souverain.  Gegen  den  Willen  seines  Vaters  vermählte  er  sich  (1451) 
mit  Charlotte,  der  Tochter  des  Herzogs  Amadeus  von  Savoyen,  wies 
die  Aufforderung  des  Königs  an  den  Hof  zu  kommen,  schroff  ab  und 
flüchtete,  als  ihn  der  König  mit  Waffengewalt  dorthin  führen  wollte, 
an  den  Hof  Philipps  von  Burgund ,  wo  er  zwar  gastlich  aufge- 
nommen wurde,  ohne  aber  die  gehoffte  Unterstützung  gegen  seinen 
Vater  zu  gewinnen.  Die  Dauphine  wurde  infolgedessen  von  Karl  VII. 
eingezogen  (1457)  Dieser  erkannte  wohl  die  hohe  geistige  Begabung 
seines  Sohnes  an,  kannte  aber  auch  seine  Hinterlist.1)  Er  dachte  eine 
Zeitlang  daran,  ihn  zu  enterben  und  die  Krone  seinem  jüngeren  Sohne 
Karl  zu  übertragen.  Er  fühlte  sich  von  allen  Seiten  verraten,  er  rnufste 
erfahren,  dafs  sein  Sohn  Verbindungen  mit  dem  Hofe  unterhalte,  und 
sah  sich  von  dessen  Plänen  gefährdet.  In  der  Angst,  vergiftet  zu 
werden,  enthielt  er  sich  von  Speise  und  Trank  und  starb  an  Ent- 
kräftung (1461,  22.  Juli). 

§  154.   Der  Ausgang  der  feudalen  Fürstengewalten  unter  Ludwig  XI. 

und  Karl  VIII. 

Quellen:  S.  Monod,  p.  220.  Lavisse,  Hist.  d  Fr.  IV,  2,  V,  1.  Potth.  H,  1707. 
DZG.  HI,  V.  Ordonn.,  t.  XV— XIX.  Lettres  de  Louis  XI,  ed.  Charavay  et  Vaesen, 
t.  1—6.  Paris  1883.  Lettres  de  Charles  VIH,  p.  p.  Pelicier,  t.  I,  IL  Paris  1898—1901. 
Jacqueton,  wie  oben.  De  la  Tremouille,  Archives  d'un  serviteur  de  Louis  XL  Doc.  et 
lettres  (1451 — 1481").  Paris  1889.  Correspondance  de  Charles  VIII  et  de  ses  conseillers 
avec  Louis  de  Tremouille.  Paris  1875.  Le  Journal  des  I^tats  de  1484,  ed.  Masselin  (1835). 
Coli.  d.  doc.  ined.  De  Gingins-la-Sarraz,  Depeches  des  ambassadeurs  milan.  sur  les 
campagnes  de  Charles  le  Hardi  de  1474 — 77.  Paris  1858.  Charles  duc  de  Bourg.,  Lettres. 
Paris  1729.     Doc.  sur  les  regnes  de  Charles  VIII.  etc.  ed.  Michaud  et  Pajoulat  V. 

Darstellende  Geschichtswerke:  S.  oben  §  128  d.  Werke  v.  Monstrelet, 
Oliv,  de  la  Marche,  Chastelain,  Escouchy,  S.  Gelais,  Basin  u.  Martial  d'Auvergne.  Dazu  : 
Duclercq,  Memoires  (1448— 1467) ,  ed.  Reiffenberg.  4  Bde.  1823.  (Potth.  I,  385).  Molinet 
Chroniques  1476 — 1506,  öd.  Buchon.  Par.  1827 — 29.  Jean  de  Roye,  Les  chro- 
niques  du  Loys  de  Valois  (1460 — 1483),  bekannt  als  Chron.  scandaleuse  od.  Mem.  de 
Jean  d.  Tr.  (über  den  Aut.  Potth.  I,  641),  ed.  B.  de  Mandrot.  1894.  Memoires  de  Messire 
Philippe  deComines,  ed.  Godefroy  1747.  Pierre  de  Blaru,  Opus  de  hello  Nanceiano.  1892.  — 


*)  Mein  Vetter,   sagte  er,   der  Herzog  von  Burgund,   zieht  einen  Fuchs  auf,    der 
ihm  seine  Hühner  auffressen  wird. 

Loserth,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  .  43 


674  Die  Anfänge  Ludwigs  XI. 

Discussion  de  differends,  ed.  Leibnitz,  Mantissa,  p.  63.  Adr.  de  Veteribusco,  Chronicon 
Leodiense  bis  1483,  ed.  Martene.  Ampi.  Coli.  IV.  Vigne,  La  louange  de  rois  de  France. 
Paris  1507.  Cabinet  de  Louis  XI,  ib.  1661.  Poeme  sur  la  bat.  de  Liege  en  1468  Buchon 
Coli.  XIV.  Gilles,  Les  annales  etc.  Ausg.  s.  Potth.  I,  526.  Jean  Maupoint,  Journal,  ed. 
Fagniez.  Paris  1877.  Fragm.  d'une  Chron.  du  regne  de  Louis  XI,  ed.  Coulon  1895. 
Le  Roux  de  Lincy,  Chants  histor.  1857.  Für  Karl  YJLLI.  ist  das  Quellenmat.  zum  Teil 
dasselbe.  Dazu :  Charles  VIII,  Correspondance  avec  le  Parlement  etc.  1487 — 88.  Xotices 
et  doc.  p.  p.  la  Soc.  de  l'hist.  de  France  1884  .  .  .  avec  ses  conseillers  1488,  ed.  L.  de 
la  Tremouille.  Paris  1875.  Guillaume  de  Jaligny,  Histoire  ...  du  regne  de  Charles  VIII, 
ap.  Godefroy,  Hist.  de  Charles  VIII.  Par.  1617.  Journal  des  Etats  generaux  etc.,  p.  p. 
Bernier.  Paris  1835.  Procesverbaux,  p.  p.  Bernier.  Paris  1836.  Cattanee,  Extrait  d'une 
hist.  abrege  des  roys  de  France,  ap.  Godefroy,  Hist.  de  Charles  Yffl.  Champier,  Extrait 
ib.  Xr.  10.  Die  übrigen  Werke  s.  Potth.  I,  214.)  Extraits  des  differens  ouvrages,  ib.  Xr.  12. 
Traites  de  paix,  ib.  Xr.  13.  Extrait  des  registres  du  parlement  etc.  Paris  1652.  Bouchard, 
Les  grandes  chroniques  de  Bretagne  bis  1488.  Par.  1514  and.  Ausg.  s.  bei  Potth.  I,  168  . 
Bouchet,  Chron.  de  la  Tremouille  1483—1525.  Buchon  VII  (s.  Potth.  I,  168).  Ligue 
faite  etc.  en  1491,  ap.  Godefroy,  p.  616.  Bernardus  Oricellarius,  De  bello  Italico  Caroli  VILT, 
commentarius  1483.  Lond.  1724.  Für  die  ital.  Verh.  s  den  nächsten  Teil  d.  Handbuches. 
Hilfsschriften:  Die  "Werke  von  Matthieu  u.  Duclos  s.  veraltet.  Auch 
das  neuere  Buch  von  U.  Legeay,  Hist.  de  Louis  XI,  2  Bde.,  1874,  ist  nicht  kritisch 
(s.  Petit-Dutaillis  in  Lavisse  VI,  2,  321).  Michelet,  Hist.  de  France,  t.  VI.  Lavisse, 
Hist.  d.  Fr.,  wie  oben.  Lavisse-Rambaud,  Hist.  generale,  tom.  HI.  Desjardins, 
Louis  XI,  sa  politique  exterieure,  ses  rapports  avec  lTtalie.  Paris  1874.  See,  Louis  XI. 
et  les  villes.  Par.  1891.  Mandrot,  Relations  de  Charles  VH  et  de  Louis  XI  avec  les 
cantons  suisses.  Par.  1881.  Huillard-Breholles,  Louis  XI  protecteur  de  la  con- 
federation  italienne.  R.  des  Soc.  Sav.  1881.  Zeller  et  Luchaire,  Louis  XI  et  la 
maison  de  Bourgogne.  Par.  1887  De  Cherrier,  Hist.  de  Charles  VIII.  t.  I.  1868. 
Zell  er,  Charles  VTH  1485—91.  Par.  1889.  Rott,  Hist,  de  la  Representation  diplom. 
de  la  France  aupres  de  cantons  suisses.  Berne  1900.  Pelicier,  Essay  sur  le  gou- 
vernement  de  la  dame  de  Beaujeu  1883.  De  Barante,  Hist.  des  ducs  de  Bourgogne 
1364—1477.  Par.  1824—26.  De  Labor  de,  Les  ducs  du  Bourgogne.  2  voll.  1849—57. 
Henreard,  L'Appreciation  du  regne  de  Charles  le  Temeraire.  1875.  Toutey,  Ch.  1.  T. 
et  la  Ligue  de  Constance.  1902.  —  Les  campagnes  de  Ch.  1.  T.  contre  les  Liegeois. 
Bruxelles  1868.  La  Chauvelays,  Les  armees  de  Ch.  1.  T.  dans  les  deux  Bour- 
gognes.  1879.  Die  Burgunderkriege  s.  §151.  Rossignol,  Hist.  de  la  Bourgogne  sous 
Charles  YLTI.  1857.  D  u  p  u  y  ,  Hist.  de  la  reunion  de  la  Bretagne  ä  la  France.  2  voll.  1881. 
Lecoy  de  la  Marche,  Le  roi  Rene.  2  voll.  1875.  A'alois,  Le  conseil  du  roi  .  .  . 
pend.  la  lere  armee  du  regne  de  Charles  VIII.  BECh.  1883.  Chasseriaud,  La  Prag- 
matique  Sanction  sous  le  regne  de  Louis  XL  1897  Rey,  Louis  XI  et  les  etats  ponti- 
ficaux  de  France.  1899.  Picot,  Hist.  des  Etats  generaux  I,  H.  Pirenne,  Hist.  de 
Belgique  n.    Einzelnes  s.  §  140  u.  in  den  entsprechenden  Abschnitten  v.  Lavisse  IV,  2. 

1.  Mit  Freuden,  doch  nicht  ganz  ohne  Besorgnis,  vernahm  der 
Dauphin  die  Kunde  vom  Tode  seines  Vaters.  Noch  hegte  er  Furcht, 
dafs  ihm  der  Thron  von  seinem  jüngeren  Bruder,  dem  Prinzen  Karl, 
streitig  gemacht  werden  könnte.  In  dieser  Besorgnis  wandte  er  sich  an 
seine  treuen  Städte  und  bei  aller  Eifersucht  auf  die  Übermacht 
Burgunds  an  Herzog  Philipp.  Die  Krönungsfeier  in  Reims  verlief  indes 
ohne  Zwischenfall.  Der  Herzog  von  Burgund  selbst  schlug  ihn  zum 
Ritter  und  setzte  ihm  die  Krone  aufs  Haupt.  Ludwig  XI.  war  jetzt 
38  Jahre  alt.  Die  Schule  des  Lebens  hatte  ihn  früh  gereift.  Er  hatte 
das  Weiberregiment  und  die  Günstlingswirtschaft  am  Hofe  seines  Vaters 
gesehen ;  die  Erfahrungen  seiner  Jugend  hatten  ihm  tiefes  Mifs- 
trauen  gegen  jede  Abhängigkeit  von  fremden  Einflüssen  eingeflöfst  und 
zur  Entwicklung  jener  Selbständigkeit   beigetragen,    die    ihm    das  Über- 


Charakter  und  Politik  Ludwigs  XL  675 

gewicht  über  seine  Feinde  gab.  Er  hatte  Personen  und  Verhältnisse 
nicht  nur  in  Frankreich,  sondern  auch  in  der  Fremde  kennen  und  früh- 
zeitig für  seine  Zwecke  ausnützen  gelernt.  Bei  seiner  unermüdlichen 
Tätigkeit,  in  der  er  von  niemanden  übertroffen  ward,  verstand  er  die 
Kunst  der  Verstellung ;  er  wufste  seine  Gegner  zu  trennen,  zu  verfeinden 
und  einzeln  zu  besiegen.  Sein  Regiment  war  ein  ganz  persönliches. 
Seine  Ratgeber  hatten  nur  seinen  Willen  zu  vollziehen  und  wurden  unter 
Umständen  unbarmherzig  geopfert.  Sein  Vertrauen  schenkte  er  nur 
wenigen,  meist  Leuten  geringer  Herkunft,  die  ihm  alles  verdankten  und 
auf  deren  Treue  er  unbedingt  zählen  durfte.  Da  er  einstens  Mitglied 
der  Praguerie  gewesen,  stand  zu  erwarten,  dafs  seine  Herrschaft  den 
Sturz  aller  Neuerungen  und  Reformen  Karls  VII.  bedeuten  würde,  und 
in  der  Tat:  die  Anfänge  seines  Regiments  entsprachen  diesen  Erwar- 
tungen. Zunächst  wurde  eine  Anzahl  der  den  Grofsen  und  ihm  selbst 
verhafsten  Werkzeuge  seines  Vaters  entfernt  und  die  Opfer  der  Politik 
Karls  VII.  restituiert,  des  Königs  Bruder  erhielt  Berry  als  Apanage, 
andere  Grofse  wichtige  Amter  und  Ehrenstellen;  und  doch  erwies  sich 
all  das  nur  als  Heuchelei  und  Berechnung,  um  die  Grofsen  zu  gewinnen, 
deren  Feindschaft  ihm  jetzt  gefährlich  werden  konnte.  Wider  ihre  Er- 
wartung waren  nämlich  die  Städte  schärfer  als  früher  zu  den  Steuer- 
leistungen herangezogen  worden,  weshalb  sich  einzelne  von  ihnen  offen 
empörten.  Die  Erhebung  konnte  nun  leicht  niedergeschlagen  werden, 
weil  ihr  die  Hilfe  der  Grofsen  fehlte.  Um  den  Papst  zu  gewinnen  und 
die  Krone  Neapels  für  das  Haus  Anjou  zu  erhalten,  hob  er  (1461) 
die  pragmatische  Sanktion  auf.  Da  Pius  II.  aber  nicht  geneigt  war,  die 
Ansprüche  des  Hauses  Anjou  zu  unterstützen,  benützte  er  den  Wider- 
stand des  Parlaments  und  des  französischen  Klerus  gegen  die  Aufhebung 
der  nach  schweren  Kämpfen  erworbenen  Rechte,  um  sie,  soweit  als 
sie  seinem  eigenen  Vorteil  nicht  widersprachen,  in  Kraft  zu  lassen. 
Die  französische  Kirche  geriet  hiedurch  allerdings  gegen  ihre  Wünsche 
in  die  Abhängigkeit  von  der  Krone.  In  der  äufseren  Politik  verfolgte 
er  dieselben  Ziele  wie  sein  Vater,  in  der  Wahl  seiner  Mittel  aber  war 
er  skrupelloser  als  dieser.  Für  die  Unterstützung,  die  er  Juan  IL 
von  Aragonien  gegen  die  Katalonier  gewährte,  erwarb  er  für  Frankreich 
die  Grafschaften  Roussillon  und  Cerdaigne.1)  Dagegen  mischte  er  sich 
nicht  weiter  in  die  Angelegenheiten  Neapels,  denn  bei  der  Hilfe,  die  das 
aragonische  Königshaus  beim  Papste  und  Mailand  fand,  bot  eine  Partei- 
nahme für  Anjou  keine  Aussicht.  Die  Kämpfe  der  Rosen  in  England 
hatten  für  Frankreich  das  Gute,  dafs  die  Gefahr  eines  Angriffs  von  dieser 
Seite  her  völlig  verschwand.  Die  Königin  Margareta,  die  Gemahlin 
Heinrichs  VI.,  die  in  Frankreich  Schutz  suchte,  mufste  sich  mit  einer 
unbedeutenden  Unterstützung  begnügen,  für  die  sie  dem  König  Aussichten 
auf  den  Erwerb  von  Calais  machte.  Im  übrigen  schlofs  Ludwig  schon 
1464  einen  Waffenstillstand  mit  Eduard  IV.  Mit  Savoyen  und  Mailand 
knüpfte  er  freundschaftliche  Beziehungen  an.     Dem  Erben  Savoyens  ver- 


J)  Lit.  bei  Lavisse  IV,  2,  390. 

43* 


ß76  Feudale  Mächte  in  Frankreich..     Einheits-  oder  Föderativstaat. 

mahlte  er  seine  Schwester  Jolante  und  dem  Herzog  Francesco  Sforza 
überliefs  er  Frankreichs  Ansprüche  auf  Genua.  Die  Beziehungen  zu 
dem  Osten  waren  durch  sein  Verhältnis  zu  Burgund  gegeben. 

2.    Karl  VII.    hatte    durch    seine   Kriege   und    seine  Reformen  die 
Einheit  des  französischen  Staatswesens  neu  begründet.     Vollzog  sich  der 
Wandel    der   Dinge    auch    nicht   auf   gewaltsame   Weise,    so    empfanden 
die    Vasallen    den    Verlust    alter  Rechte    bitter    genug   und    waren    be- 
müht,   sie    bei    günstiger   Gelegenheit    wieder  an   sich    zu   ziehen.     Ihre 
Machtfülle  war  noch  immer  eine  aufserordentliche  und  stand  nicht  weit 
hinter    jener    der    deutschen    Reichsfürsten    zurück.     Der    französischen 
Krone    zunächst    stand   der  Herzog    von  Orleans.     Ihm   gehörten   die 
Herzogtümer  Orleans  und  Valois,  die  Grafschaft  Blois  und  ein  Teil  der 
Grafschaft   Soissons.     Diese    Linie    des    königlichen    Hauses    führte    auf 
Ludwig,    den  Bruder  Karls  VI.,    zurück.     Sie   hielt   in  Blois,    »der   vor- 
nehmsten Stätte    ritterlicher    Kultur«,    glänzenden   Hof.     Nicht    weniger 
glänzend  und  glänzender   noch  durch   seine   hohen  Ansprüche   war    das 
jüngere  Haus  Anjou,    das  auf  Ludwig,  den  zweiten  Sohn  Johanns  des 
Guten,  zurückführt.    Ihm  gehörten  die  Herzogtümer  Adjou  und  Maine  und 
die  Grafschaft  Provence;  seine  Ansprüche   umfafsten   aufser  Lothringen, 
Bar  und  Majorka  auch  die  Königreiche  Neapel,  Ungarn  und  Jerusalem. 
Haupt  des  Hauses  war  Rene,  der   »gute«  König,  ein  Freund  der  Dichter 
und    Künstler,    im    übrigen    dem  Träger  der  Krone    durchaus    ergeben. 
Das  Haus  Alencon    hatte   die  Grafschaften  Alencon  und  Perche  inne, 
die  im  Jahre  1268  an  Pierre,  den  fünften  Sohn  Ludwigs  IX.,  gekommen 
waren.  Das  jetzige  Haupt  des  Hauses,  Herzog  Johann  IL,  war  mit  Karl  VII. 
verfeindet  gewesen.     Ludwig  XL  zog  ihn  aus  dem  Gefängnis ;  bald  aber 
findet    er    sich    unter    dessen   Gegnern.     Die  Linie  Bourbon,    die   auf 
Robert  von  Clermont,  Sohn  Ludwigs  IX.,    zurückgeht,  war  mit  all  ihren 
Zweigen  im  Besitz  der  Herzogtümer  Bourbon  und  Dauphine  d'Auvergne, 
der    Grafschaften    La    Marche,    Le  Forez    und  Vendöme,    eines    grofsen 
zusammenhängenden  Ländergebietes  in  der  Mitte  von  Frankreich.     Das 
herzogliche  Haus  von  Bretagne    hängt  durch  Pierre  Mauclerc,    einen 
Urenkel  Ludwigs  VI.,  mit  der  Dynastie  der  Kapetinger  zusammen.    Wohl 
hatte  schon  Mauclerc  Philipp  IL  August  (1213)   den  Eid   der  Treue  ge- 
leistet,   seine   Nachfolger    behaupteten    indes    einen    höheren   Grad    von 
Selbständigkeit     als     die     übrigen     Herrenhäuser     in     Frankreich ;     sie 
nennen    sich    Herzoge    von    Gottes    Gnaden     und     weigern    sich ,     die 
pragmatische  Sanktion  anzuerkennen.     Südwärts  von  der  Garonne  findet 
man  die  grofsen  Grafengeschlechter  von  Foix,  Armagnac  und  Albret, 
von    denen    das    mittlere    seine    Herrschaft    von    Gottes    Gnaden    stark 
betont  und  das  Haus  d'Albret  noch  1456  die  Unteilbarkeit  seiner  Herr- 
schaft   festsetzt.      Aber    alle    diese    Vasallenhäuser    überragte    Burgund 
(s.  oben  §  151,  2),   dessen  Herzoge   sich   ihrer   Machtfülle   durchaus   be- 
wufst   waren.     Der  burgundische  Hof   war   der  glänzendste   seiner  Zeit. 
Mit   Stolz    zeigte    man    den    Fremden    im    Schatze  »100000  Zentner   ge- 
schlagenen Goldes    und   unaussprechlich  viel  überköstliche  Kleinodien«. 
Noch   ward   hier,    in   der  Zeit   des  zur  Rüste  gehenden  Rittertums,    der 


Burgund  unter  Philipp  dein  Guten  und  Karl  dem  Kühnen.  577 

gesuchteste  Ritterorden  vom  Goldenen  Vlies  gestiftet  (1431);  fester  als 
an  andern  Höfen  wurde  hier  an  ritterlichem  Wesen  gehalten;  von 
Philipp  dem  Guten  erwartete  man,  dafs  er  sich  an  die  Spitze  einer 
grofsen  Heerfahrt  wider  die  Türken  stellen  würde.  Am  burgundischen 
Hofe  fanden  nicht  zuletzt  auch  die  Wissenschaften  und  Künste  ihre 
Heimstätte.  Hier  lebten  die  Meister  in  der  Kunst  historischer  Erzählung 
und  die  grofsen  bildenden  Künstler,  die  mit  den  Quatrocentisten  Italiens 
um  die  Palme  rangen.  Noch  1420  war  für  die  Bedürfnisse  der  Nieder- 
lande die  Universität  Löwen,  drei  Jahre  später  für  Burgund  die  von 
Dole  gegründet  worden.  Zwischen  einem  Vasallen,  .wie  dem  Burgunder, 
und  einem  machtvoll  aufstrebenden  Königtum  war  kein  dauernder  Friede 
möglich.  Zum  Glück  für  die  Krone  waren  die  Beziehungen  Philipps 
zu  seinem  Erben,  dem  Grafen  Karl  von  Charolais,  nicht  viel  bessere 
als  einst  zwischen  Karl  VII.  und  dem  Dauphin.  Es  gab  eine  Zeit,  wo 
der  burgundische  Erbprinz  daran  dachte,  sich  eine  Zufluchtsstätte  am 
französischen  Hofe  zu  suchen.  Ludwig  vermittelte  den  Frieden  zwischen 
Vater  und  Sohn.  Jetzt  aber  war  er  bedacht,  seine  innigen  Beziehungen 
zu  Burgund  zu  lockern.  Die  alten  Sympathien  der  Pariser  Bürgerschaft 
für  Burgund  konnten  ihn  in  dieser  Absicht  nur  bestärken.  Es  wurde 
sein  unverrückbares  Ziel,  die  feudalen  Gewalten  zu  schwächen  oder  ganz 
zu  vernichten.  Indem  er  die  Zwistigkeiten  im  burgundischen  Hause 
für  seine  Zwecke  ausnützte,  gelang  es  ihm  zunächst,  so  wichtige  Städte 
wie  Peronne,  Amiens  u.  a.,  die  der  Friede  von  Arras  gegen  Versiche- 
rung des  Rückkaufes  an  Burgund  überlassen  und  dieses  damit  zum 
Herrn  der  Pikardie  gemacht  hatte,  zurückzugewinnen.  Gegen  den  Herzog 
Franz  von  Bretagne  erhob  er  die  Beschwerde,  dafs  er  sich  souveränen 
Herrn  und  von  Gottes  Gnaden  nenne,  und  nahm  die  Regalien  über  die 
bretonischen  Bistümer  für  sich  in  Anspruch.  Derartige  Forderungen 
enthüllten  die  letzten  Ziele  des  Königs.  Karl  von  Charolais  schlofs  mit 
Bretagne,  das  seinerseits  Verbindungen  mit  England  angeknüpft  hatte, 
ein  Bündnis  (1463).  Ein  Vorfall,  der  sich  bald  nachher  ereignete,  warf 
auf  die  Mittel  Ludwigs  XL,  sich  seiner  Gegner  zu  entledigen,  ein  be- 
denkliches Licht.  Es  handelte  sich  darum,  sich  der  Person  Karls,  ja 
selbst  des  alten  Herzogs  von  Burgund,  zu  bemächtigen.  Wohl  stellte  er 
seinen  Plan  in  Abrede,  konnte  aber  Philipps  Vertrauen  nicht  wieder  ge- 
winnen. Durch  das  Bündnis,  das  Ludwig  mit  Sforza  von  Mailand  ge- 
schlossen hatte,  fand  sich  der  Herzog  Karl  von  Orleans  beleidigt,  der 
durch  seine  Mutter  Valentine  Visconti  die  Herrschaft  über  Mailand  be- 
anspruchte ,  während  ihm  die  Anjou  seinen  Bund  mit  Aragonien 
nicht  verziehen.  Auf  einer  Versammlung  der  Grofsen,  die  Ludwig  XI. 
im  Dezember  1465  nach  Tours  berief,  verlangte  er,  dafs  der  Bretone 
seinen  angemafsten  Ansprüchen  entsage,  und  forderte  Hilfe  von  ihnen, 
aber  schon  waren  sie  insgesamt  von  feindlicher  Gesinnung  gegen  den 
König  erfüllt  und  von  dem  Gedanken  beherrscht,  ihre  Selbständigkeit 
selbst  mit  Waffengewalt  zu  verteidigen.  Zwei  entgegengesetzte  Prin- 
zipien: der  alte  Feudalismus  und  das  erstarkte  Königtum  gerieten  hart 
aneinander.     Man    hörte    von  Äufserungen    des  Königs,    er   werde   zwei 


678  Die  Ligue  du  Bien  public.     Montlhery  und  St.  Maur. 

oder  drei  der  Grofsen  in  Knechtschaft  bringen,  und  sollte  er  hiezu  die 
Hilfe  Englands  anrufen  müssen.  So  entstand  die  Ligue  du  Bien  public1), 
der  nicht  blofs  Franz  von  Bretagne  und  Karl  von  Charolais,  sondern 
auch  der  Graf  von  St.  Pol,  die  Herzoge  von  Lothringen,  Bourbon  und 
Alencon,  Dunois  der  Bastard  von  Orleans,  Johann  von  Anjou,  der  Herzog 
von  Nemours,  der  Graf  von  Armagnac  und  der  Herr  von  Albret  bei- 
traten. Ihr  nominelles  Oberhaupt  wurde  der  Herzog  von  Berry.  Der 
Bund  suchte  Anknüpfungen  mit  deutschen  Fürsten.  Auch  Ludwig  war 
nicht  müfsig  geblieben.  Schon  1463  hatte  er  mit  den  Schweizern  und 
Mailand,  1464  mit  dem  Hussitenkönig  Georg  Bündnisse  geschlossen. 
Manifeste  beider  Parteien  führten  Beschwerde  gegeneinander.  Durch 
einen  Zug  Ludwigs  nach  Berry  bemächtigte  er  sich  dieses  Landes  und 
nötigte  den  Herzog  von  Bourbon  und  dessen  Verbündete  zu  dem  Waffen- 
stillstand von  Riom.  Mittlerweile  war  Karl  von  Burgund  an  der  Spitze 
eines  starken  Heeres  durch  Artois  und  die  Pikardie  nach  Isle  de 
France  gezogen.  Bei  Montlhery  kam  es  am  16.  Juli  1465  zur  Schlacht, 
in  welcher  die  Burgunder  das  Schlachtfeld  behaupteten.  Karl  hielt  sich 
fortan  trotz  der  von  ihm  während  des  Kampfes  gemachten  Fehler  für 
einen  grofsen  Feldherrn.  Nun  vereinigten  sich  die  ligistischen  Heeres- 
abteilungen und  zogen  vor  Paris,  dessen  Bürgerschaft  allen  Lockungen 
gegenüber  der  Sache  des  Königs  treu  blieb.  Ludwig  XL  hatte  inzwischen 
Verstärkungen  aus  der  Normandie  an  sich  gezogen.  Es  kam  zu  einer 
Reihe  von  Kämpfen;  da  aber  die  Lage  des  Königs  mit  jedem  Tage  schwie- 
riger wurde,  trat  er  auf  den  Rat  Sforzas  mit  seinen  Gegnern  in  Unter- 
handlungen; schliefslich  sah  er  sich  genötigt,  ihnen  die  gröfsten  Zuge- 
ständnisse zu  machen.  Es  galt  eben  zunächst  nur,  die  Bundesgenossen 
zu  trennen.  So  kam  es  nach  längeren  Verhandlungen  in  Conflans  zum 
Frieden  von  St.  Maur  (29.  Oktober).  Der  König  bewilligte  alle  Forde- 
rungen der  Ligisten.  Karl  erhielt  statt  Berry  die  Normandie  und  die  Lehens- 
hoheit über  Bretagne,  Alencon  und  Eu,  Karl  von  Burgund  die  Städte  an  der 
Somme,  aufserdem  die  Grafschaften  Guines,  Boulogne  und  andere  Terri- 
torien, der  Herzog  von  Bretagne  die  ihm  streitig  gemachten  Rechte,  dazu 
die  Grafschaften  Monfort  und  Etampes,  und  so  wurden  auch  die  übrigen 
Mitglieder  der  Ligue,  das  Volk  sprach  nunmehr  von  einer  Ligue  du  mal 
public,  mit  Rechten  und  Besitzungen  der  Krone  ausgestattet.  Die  Nieder- 
lage des  Königtums  war  eine  vollständige.  Mufste  der  König  doch  die 
Einsetzung  einer  Kommission  genehmigen,  die,  aus  36  Mitgliedern  be- 
stehend, die  Abstellung  aller  Unordnungen  und  Mängel  in  der  Kirche  und 
im  Gerichtswesen  und  aller  Erpressungen  und  Bedrückungen  des  Volkes 
verfügen  sollte.  Eine  Amnestie  sollte  erlassen  und  die  Grofsen  nicht 
verhalten  werden,  persönlich  bei  Hof  zu  erscheinen,  sondern  ihre  Lehens- 
pflichten nur  dann  zu  erfüllen,  wenn  es  sich  um  das  Wohl  des  Vater- 
landes und  dessen  Verteidigung  handle.  Aus  dem  Einheitsstaate,  den 
Karl  VII.  begründet  hatte,  war  ein  Föderativstaat  geworden,  die  Grofsen 
des  Reiches  hatten  eine  nahezu  unabhängige  Stellung  erlangt,  vor  allem 
war  Burgund  mächtiger  als  zuvor. 
l)  Lit.  s.  Lavisse  IV,  2,  343. 


Ludwig  XI.  und  Karl  d.  Kühne.  679 

3.  Ludwig  XI.  war  keinen  Augenblick  gesonnen,  die  schweren 
Bedingungen  des  Friedens  zu  halten.  Man  warf  ihm,  wenn  auch  un- 
gerechterweise, vor,  dafs  er  gegen  dessen  Bestimmungen  eine  Ver- 
wahrung beim  Pariser  Parlamente  eingelegt  habe.  Er  gab  sich  den 
Anschein,  als  wolle  er  seine  ganze  Regierungsweise,  entsprechend  den 
Vorgängen  der  letzten  Zeit,  ändern ;  er  wechselte  aber  nur  die  Personen 
in  seinem  Pate.  Seine  Politik  blieb  dieselbe.  Einen  Teil  seiner  Gegner 
gewann  er  durch  kluges  Entgegenkommen,  die  Bürger  durch  herab- 
lassendes Wesen,  die  Beamten  durch  Sicherung  ihrer  Stellungen ;  selbst 
die  Kommission  der  36  »Reformatoren«  rief  er  zusammen,  ja  er  benützte 
sie  als  eines  der  Mittel  zur  Erhaltung  der  Rechte  der  Krone.  Kaum 
fühlte  er  sich  einigermafsen  sicher,  als  er  zu  seinem  ersten  Schlage 
ausholte.  Ein  Streit  zwischen  Karl  von  Berry  und  dem  Herzog  der 
Bretagne. bot  ihm  die  Gelegenheit,  die  Normandie  wieder  mit  der  Krone 
und  diesmal  für  immer  zu  vereinigen  (1466).  Von  den  früheren  Bundes- 
genossen Karls  von  Berry  rührte  sich  keiner,  um  dessen  Rechte  zu 
wahren.  Burgund,  das  zunächst  hievon  betroffen  war,  lag  eben  in  einem 
schweren  Streit  mit  Lüttich  und  Dinant,  die,  wiewohl  mit  Ludwig  XI. 
verbündet,  in  den  Frieden  von  St.  Maur  nicht  eingeschlossen  waren. 
Beide  wurden  nun  von  den  Burgundern  unterworfen.  Nicht  lange 
nachher  (1467)  starb  Philipp  der  Gute.  Sein  reiches  Erbe  fiel  nun  an 
Karl  den  Kühnen  (1467 — 1477).  In  den  niederländischen  Städten 
regte  sich  der  alte  Freiheitssinn;  in  Gent  kam  es  am  Tage  des  Einzugs 
des  neuen  Herzogs  zu  einem  Auflauf,  den  er  nur  durch  die  Herstellung 
der  alten  Rechte  und  Privilegien  zu  beschwören  vermochte.  Gents  Bei- 
spiel befolgten  Mecheln  und  Antwerpen.  Die  Lütticher,  die  sich  im  Ver- 
trauen auf  Ludwigs  Hilfe  erhoben  hatten,  büfsten  ihr  Unterfangen 
mit  dem  Verlust  ihrer  Rechte.  Nun  beugten  sich  auch  die  übrigen 
Städte  vor  dem  neuen  Herrscher,  dessen  Gewalt  einen  absoluteren 
Charakter  erhielt.  Als  Karl  der  Kühne  im  Juli  1468  vMargareta,  die 
Schwester  des  englischen  Königs  Eduard  IV.,  als  Gattin  heimführte, 
schien  seine  Stellung  fast  eine  unangreifbare  zu  sein.  Für  Frankreich 
wuchs  die  Gefahr  schon,  als  des  Königs  Bruder  im  Bunde  mit  Bretagne  und 
dem  Herzog  von  Alencon  und  unterstützt  von  England  daran  ging,  die 
Normandie  zurückzugewinnen.  Ludwig  XL  berief  auf  das  hin  die  all- 
gemeinen Stände  nach  Tours  (1468,  April)  und  liefs  dort  erklären,  dafs 
die  Normandie  niemals  von  der  Krone  getrennt  werden  dürfe.  Durch 
sein  Versprechen,  die  Steuern  herabzusetzen  und  für  eine  geordnete  Ver- 
waltung zu  sorgen,  bewog  er  die  Nation  zu  bedeutenden  Opfern,  die 
ihn  in  den  Stand  setzten,  ein  starkes  Heer  zu  sammeln.  Der  Herzog 
von  Bretagne  sah  sich  zum  Frieden  genötigt,  und  der  Bruder  des  Königs 
wrurde  für  seine  Ansprüche  durch  eine  Geldsumme  abgefunden,  Karl 
von  Burgund  drohte  dagegen,  eine  jede  Verletzung  des  Vertrags  von 
St.  Maur  mit  dem  Schwerte  zu  rächen.  Statt  nun  dem  Rate  seiner  Feld- 
herren zu  folgen  und  den  Krieg  gegen  Karl  zu  beginnen,  schlug  Ludwig, 
in  der  Hoffnung,  den  Burgunder  durch  die  Macht  seiner  Überredung  zu 
gewinnen,  den  Weg  zu  Verhandlungen  ein.    Am  9.  Oktober  1468  kamen 


580       Ludwig  XI.  in  Peronne.     Neue  Ligue  gegen  Ludwig.     Sieg  des  Königs. 

die  beiden  Fürsten  in  Peronne  zusammen.  Zwei  Tage  wurde  ver- 
handelt; die  Verhandlungen  hatten  einen  guten  Fortgang.  Da  erhielt 
Karl  die  Nachricht,  dafs  Lüttich,  von  Franzosen  aufgestachelt,  sich  aufs 
neue  erhoben  habe.  Im  ersten  Zorne  mochte  der  Herzog  geneigt  sein, 
den  König,  der  in  seiner  Gewalt  war,  gefangen  zu  halten.  Es  war  der- 
selbe Ort,  wo  einstens  Karl  der  Einfältige  durch  den  Grafen  von  Ver- 
mandois  festgenommen  wurde.  Ludwigs  Bruder,  Karl  von  Berry,  hätte 
demnach  den  Thron  von  Frankreich  besteigen  sollen.  Karl  der  Kühne 
begnügte  sich  jedoch  mit  der  Versicherung  des  Königs,  die  alten  Ver- 
träge zu  halten,  die  Gerichtsbarkeit  des  Pariser  Parlaments  nicht  über 
Flandern  und  die  Pikardie  auszudehnen  und  seinem  Bruder  die  Graf- 
schaften Champagne  und  Brie  als  Apanage  anzuweisen.  Er  mufste  das 
burgundische  Andreaskreuz  aufstecken  und  der  Exekution  gegen  Lüttich 
beiwohnen.  Der  Herzog  von  Burgund  stand  jetzt  auf  der  Höhe  seiner 
Macht  und  seines  Ruhmes.  Abermals  war  Ludwig  der  Besiegte.  Doch 
entzog  er  sich  der  schwersten  Bestimmung  des  neuen  Vertrags,  indem 
er  seinem  Bruder  statt  der  an  Burgund  angrenzenden  Champagne  die 
Guienne  zuwies.  Ludwig  XL  säumte  nicht,  dem  Burgunder  allerorten 
Gegner  zu  erwecken :  in  dem  Kampfe  der  beiden  Rosen  ergriff  er  die 
Partei  des  Hauses  Lancaster,  da  Burgund  durch  verwandschaftliche 
Bande  und  sein  eigenes  Interesse  an  York  geknüpft  war.  Nach  dem 
Sturze  Eduards  IV.  war  er  entschlossen,  den  Kampf  gegen  Burgund  auf- 
zunehmen. Die  Notablen  erklärten  ihn  (1470)  der  Verpflichtungen  von 
Peronne  ledig,  weil  sich  Burgund  mit  dein  Reichsfeind  verbündet  habe. 
Ludwig  gewann  St.  Quentin  und  Amiens  und  schlofs  mit  Karl  dem 
Kühnen,  der  für  seine  Rüstungen  Zeit  brauchte,  einen  Waffenstillstand 
(1471,  April).  Aber  der  Sieg  des  Hauses  York  in  England  hob  die 
Sache  Burgunds.  Der  Bruder  Ludwigs  XL  warb  nun  um  die  Hand  der 
Tochter  Karls  des  Kühnen.  Wieder  erhoben  sich  die  alten  Gegner 
Ludwigs.  Es  gewann  das  Ansehen,  als  sollte  es  zu  einer  Zerstückelung 
Frankreichs  kommen.  Da  starb  im  rechten  Moment  Prinz  Karl  (1472), 
und  sein  Land  ward  mit  dem  übrigen  Kronland  verbunden.  Offen  be- 
schuldigte Karl  von  Burgund  den  König  des  Giftmordes.  Er  drang  in 
die  Pikardie  ein,  aber  die  Greuelszenen,  die  er  bei  der  Eroberung  von 
Nesle  aufführen  liefs,  bewogen  die  Einwohner,  sich  nur  um  so  fester 
an  das  legitime  Königtum  anzuschliefsen ;  in  Beauvais  griffen  selbst  die 
Frauen  zu  den  Waffen.  Da  der  Herzog  von  Bretagne  den  Kampf  aufgab, 
beendete  der  Waffenstillstand  von  Senlis  (1472)  einen  Krieg,  in  welchem 
zum  erstenmal  alle  Vorteile  auf  Seiten  Ludwigs  XL  waren. 

4.  Noch  während  des  Kampfes  gegen  die  Übermacht  Burgunds 
und  um  das  burgundische  Erbe  (§  151)  hatte  Ludwig  den  Vernichtungs- 
kampf gegen  die  grofsen  feudalen  Gewalten  begonnen.  Herzog  Johann  IL 
von  Alencon,  der  sich  fast  an  allen  Verbindungen  gegen  den  König 
beteiligt  und  noch  zuletzt  mit  England  konspiriert  hatte,  wurde  (1474) 
zu  lebenslänglicher  Haft  verurteilt,  in  der  er  starb.  Sein  Sohn  Rene 
hatte  sich  in  die  Bretagne  geflüchtet;  1481  gefangen,  erhielt  er  erst 
unter  Karl  VIII.    seine    Freiheit    wieder.       Schlimmer    erging    es    dem 


Vernichtung  der  feudalen  Übermacht.     Stärke  des  Königtums.  581 

Grafenhause  Armagnac.  Wie  Alencon  mit  England,  trat  Armagnac 
mit  Aragonien  in  Verbindung.  Johann  V.  von  Armagnac  hatte  nicht 
blofs  an  der  ligue  du  Bien  public  teilgenommen,  sondern  sich  auch  später 
noch  in  Verschwörungen  eingelassen.  Das  Parlament  erklärte  ihn 
deshalb  seines  Besitzes  verlustig.  Zwar  gewann  er  ihn  mit  Hilfe 
des  Herzogs  von  Guienne  zurück.  Nach  dessen  Tode  liefs  der 
König  aber  ein  Heer  in  der  Grafschaft  einrücken  und  Johann  V.  in 
seiner  Feste  Lectoure  belagern  ;  hier  ergab  er  sich  am  15.  Juni  1472. 
Nach  dem  Abzug  des  königlichen  Heeres  begann  er  den  Kampf  von 
neuen;  Lectoure  mufste  kapitulieren.  Gegen  die  Kapitulationsbedin- 
gungen wurde  der  Graf  niedergemacht.  (1473.)  In  seinen  Sturz  wurde  sein 
Bruder  Graf  Karl  von  Fezensac  verwickelt.  Ins  Gefängnis  geworfen, 
erhielt  auch  er  erst  durch  Karl  VIII.  die  Freiheit  zurück  (1484).  Der 
Herzog  von  Nemours,  das  Haupt  der  jüngeren  Linie  Armagnac,  wurde 
des  Hochverrates  angeklagt  und  enthauptet  (1477).  Der  Connetable 
Graf  St.  Pol,  der  während  der  burgundischen  Kämpfe  eine  zweideutige 
Rolle  gespielt  hatte,  büfste  sein  Vergehen  mit  dem  Tode  (1475).  Während 
dieser  Kämpfe  war  Rene  von  Anjou,  Titularkönig  von  Sizilien,  gestorben 
(1480).  Sein  Erbe,  Karl  von  Maine,  verzichtete  zugunsten  der  Krone 
auf  die  Nachfolge.  Das  Königtum  erbte  damit  nicht  nur  Anjou,  Maine 
und  die  Provence,  sondern  auch  die  alten  Ansprüche  auf  Neapel.  Erst 
jetzt  wurde  Marseille  ein  französischer  Hafen;  daran,  dafs  die  Provence 
Lehen  des  deutschen  Reiches  sei,  hat  niemand  mehr  gedacht.  Unter 
den  feudalen  Gewalten  regte  sich  kein  Widerstand  mehr ;  auch  Bourbon 
und  Orleans  fanden  es  angemessen,  sich  an  das  Königtum  anzu- 
schliefsen,  indem  Peter  von  Beaujeu  aus  dem  Hause  Bourbon  die  ältere, 
Ludwig  von  Orleans  die  jüngere  Tochter  des  Königs  heiratete.  Auf  der 
engen  Verbindung  der  von  Ludwig  XL  gewonnenen  Provinzen  mit  dem 
übrigen  Frankreich  beruhte  fortan  die  Stärke  seines  Königtums.  Auch 
der  Anfall  der  Bretagne  war  beim  Ableben  des  Herzogs  Franz,  der 
keine  männlichen  Erben  hatte,  zu  gewärtigen.  Der  König  dankte  seine 
grofsen  Erfolge  der  Unterstützung  der  ganzen  Nation,  in  der  sich  ein 
Gemeingefühl  entwickelt  hatte,  vor  dem  jede  provinzielle  Unabhängig- 
keit zurücktrat.  Und  doch  liefs  der  König  die  Rechte  und  Gewohn- 
heiten der  Provinzen  nicht  nur  unangetastet,  sondern  förderte  die  Provinz- 
verfassungen, sofern  sie  seinen  Prärogativen  keinen  Eintrag  taten.  Wohl 
hatten  sie  starke  Bewilligungen  zu  leisten  ,  dafür  war  er  bemüht,  ihren 
Beschwerden  abzuhelfen.  Weniger  liebte  er  die  allgemeinen  Reichs- 
versammlungen; statt  einen  Vertrag  ihnen  zu  unterbreiten,  liefs  er  ihn 
lieber  von  den  47  provinzialständischen  Versammlungen  ratifizieren.  In 
diesem  Sinne  wurden  auch  in  den  neuerworbenen  Provinzen  oberste 
Gerichtshöfe  geschaffen.  Ein  eifriger  Förderer  des  bürgerlichen  Wesens, 
bestätigte  er  alte  und  gab  den  Städten  neue  Privilegien,  gestattete 
volle  Freiheit  der  Magistratswahlen  und  Versammlungen  des  Volkes. 
Paris  besafs  seine  volle  Zuneigung,  und  mehr  als  ein  anderer  König 
Frankreichs  hat  er  für  seine  Hauptstadt  getan.  Auch  für  die  allge- 
meine   Volksbildung     trug    er    Sorge.       Schon    fanden    in    Frankreich 


682  Die  Regentschaft  Anna  Beaujeus.     Erwerbung  der  Bretagne. 

humanistische  Tendenzen  Anklang.  Bei  Ludwigs  Tode  war  das  König- 
tum schon  stark  genug,  um  eine  Minderjährigkeit  des  Trägers  der  Krone 
mit  ihren  Gefahren  und  inneren  Kämpfen  zu  tragen. 

5.  Nach  dem  Tode  Ludwigs  XL  erhoben  sich  die  von  diesem  zu- 
rückgedrängten feudalen  Mächte  und  forderten  mit  Ungestüm  die  Wieder- 
herstellung der  alten  Zustände.  Ihnen  schlössen  sich  die  Parlamente, 
die  Bürgerschaften  und  niederen  Klassen  des  Volkes  an,  von  denen 
jene  die  Herstellung  der  von  Ludwig  XL  vielfach  verletzten  legalen 
Justizformen,  diese  die  Minderung  des  Steuerdruckes  verlangten.  Der 
Nachfolger  Ludwigs  XL  war  sein  erst  vierzehnjähriger  Sohn  Karl  VIII. 
(1483 — 1498).  Die  Sache  des  Königtums  schwebte  in  grofser  Gefahr; 
zum  Glück  bot  ihnen  Ludwigs  hochbegabte  Tochter  Anna  von 
Beaujeu,  nach  den  Worten  eines  Zeitgenossen  das  wahre  Abbild 
ihres  Vaters,  kühn  die  Stirn.  Sie  berief  die  allgemeinen  Stände  nach 
Tours  (1484).  Nicht  blofs  der  Adel  und  Klerus  sowie  die  Bürger- 
schaften, sondern  auch  die  Vertreter  der  freien  Bauernschaften  fanden 
hier  Zutritt,  Unter  den  Wortführern  fanden  sich  manche,  die  schon 
vom  Geiste  des  klassischen  Altertums  und  den  grofsen  Erinnerungen 
der  römischen  Republik  ergriffen  waren.  Man  forderte  das  Steuer- 
bewilligungsrecht und  regelmässige  Berufung  der  Stände.  Damit  wäre 
das  Schwergewicht  im  Staate  in  die  Ständeversammlungen  verlegt  worden. 
Die  Mehrheit  begnügte  sich  mit  der  Abschaffung  der  ärgsten  Mifsbräuche 
und.  der  Zurückführung  der  Verwaltungsnormen  auf  die  Verhältnisse 
Karls  VII.  Gefährlicher  wurde  die  Opposition  der  Herzoge  von  Orleans 
und  Bretagne,  von  denen  jener  die  Regentschaft  an  sich  reifsen  wollte 
und  den  Herzog  Franz  IL  von  Bretagne  auf  seine  Seite  zog.  Sie  erhoben 
noch  einmal  die  Waffen  gegen  die  Krone.  Nun  gewann  Anna  selbst  Ein- 
nufs  in  der  Bretagne ;  sie  brachte  Rene  von  Lothringen  und  die  mit 
Maximilians  Regentschaft  unzufriedenen  Städte  Gent,  Brügge  und  Ypern 
auf  ihre  Seite.  Eine  neue  Ligue  bildete  sich,  welcher  der  König  von 
England,  Maximilian  von  Österreich  u.  a.  beitraten.  Es  bedurfte  der 
ganzen  Tatkraft  der  Regentin,  um  dieser  Schwierigkeiten  Herr  zu  werden. 
Auch  sie  nahm  Schweizer  in  Sold,  und  so  halfen  die  Republikaner, 
die  französische  Monarchie  begründen.  Am  27.  Juni  1488  wurden  die 
Kriegsscharen  der  beiden  Herzoge,  die  durch  englische  Bogenschützen 
und  deutsche  Landsknechte  unterstützt  waren,  von  den  Königlichen  bei 
St.  Aubin  geschlagen.  Rasch  und  demütig  bat  Franz  IL  um  Frieden. 
Unter  den  Bedingungen  des  mit  ihm  abgeschlossenen  Vertrages  von 
Sable,  der  ihm  das  Herzogtum  zurückgab,  war  eine  wichtig,  dafs  er 
seine  beiden  Töchter  nicht  ohne  Zustimmung  des  französischen  Königs 
vermählen  dürfe.  Dieser  heiratete  Anna,  die  ältere  von  beiden,  selbst 
(1491)  und  wurde  damit  auch  der  Herr  der  Bretagne.  Der  Krieg  mit 
den  übrigen  Gegnern  zog  sich  in  die  Länge  und  ward  erst  durch  die 
Friedensschlüsse  der  Jahre  1492  und  1493  unter  Verhältnissen,  deren 
Erörterung  schon  der  Neuzeit  angehört,  erneuert.  Für  die  Ausbildung 
der  französischen  Grofsmachtstellung  war  der  Erwerb  der  Bretragne 
von  gröfster  Bedeutung.     Freilich  vollzog  er  sich  nicht  ohne  bedeutende 


Vollendung  der  Grofsrn  achtstell  ung  Frankreichs.  683 

Opfer.  Der  jugendliche  König  Karl  VIII.  war  mit  Margareta,  der 
Tochter  Maximilians  und  Marias  von  Burgund  verlobt  gewesen.  Nun 
mufste  Margareta  an  den  Hof  ihres  Vaters  zurückkehren,  dafür  mufste 
Karl  freilich  die  Aussteuer  seiner  einstigen  Verlobton,  Artois  und  Flan- 
dern, herausgeben,  wie  dies  der  Friede  von  Senlis  (1493)  bestimmte. 
Jetzt  erst,  seit  die  Bretagne  an  Frankreich  gekommen  und  vollends 
seit  der  Herzog  von  Orleans  selbst  als  Ludwig  XII.  den  Thron  be- 
stieg, konnte  die  staatliche  Umbildung  Frankreichs  als  abgeschlossen 
angesehen  werden  und  der  König  den  Rufen  folgen,  die  aus  Italien 
an  ihn  gelangten. 

§  155.    Heinrich  VI.  und  der  Beginn  des  Kampfes  zwischen  der 

roten  und  weifsen  Rose. 

Quellen  u.  Hilf  s Schriften  s.  Pauli  V,  685 — 710.  Grofs  S.  257.  Urkunden 
und  Briefe.  Im  allgem.  Rymer,  Foedera  w.  oben.  —  Proceedings  and  ordinances 
of  the  privy  Council  of  England,  ed.  N.  Harris  Nicolas.  Lond.  1834 — 37.  Rotuli  par- 
liamentorum.  6  voll.  S.  Grofs  2010  Statutes  of  the  realm.  IL  Bd.  Ib.  2025.  —  The  Statutes 
revis.,  ed.  Lond.  1888—99.  Patent  Rolls,  Henry  VI.  1422—27.  Lond,  1901.  Calendar 
of  the  Patent  Rolls,  preserved  in  the  public  Record  Office,  Edward  IV.,  Henry  VI., 
1461 — 1485.  London  1900 — 01.  Original  letters  written  during  the  reigns  of  Henry  VI., 
Edward  IV.,  Richard  HI.  and  Henry  VII.,  ed.  John  Fenn.  5  voll.  Lond.  1787—1823. 
New  edition  by  James  Gairdner:  The  Paston  letters  1422—1509.  3  voll.  Lond.  1896. 
Letters  and  papers  illustrative  of  the  wars  of  the  English  in  France  during  the  reign 
of  Henry  VI.,  ed.  Stevenson.  Roll  Ser.  2  voll.  Lond.  1861 — 64.  Conferences  between 
the  ambassadors  of  France  and  England  in  den  Narratives  etc.,  ed.  Stevenson.  Rolls 
Ser.  32.  Letters  and  papers  illustr.  of  the  reigns  of  Richard  III.  and  Henry  VH.,  ed. 
James  Gairdner.  Roll  Ser.  2  Bde.  Lond.  1861 — 63.  Letters  of  the  Kings  of  England, 
ed  Halliwell.  2  Bde.  Lond.  1848.  Litt.  Cantuar.  Rolls  Ser.  85.  Official  correspondence 
of  Thomas  Bekynton  secretary  to  Henry  VI.,  ed.  George  Williams.  Rolls  Ser.  2  voll. 
Lond.  1872.  Original  letters  illustr.  of  English  history,  ed.  Ellis.  3  Voll.  Lond.  1825 
bis  1846.  Materials  for  a  History  of  the  reign  of  Henry  VH ,  ed.  Campbell.  Lond.  1873  bis 
1877.  S.  auch  Grofs  Nr.  1933,  1937,  1942,  1947,  1993,  2000,  2006  u.  a.  Darstellende 
Geschichtswerke.  S.  §  125 — 129.  Dazu ;  Annales  monasterii  S.  Albani  a  Johanne 
Amundesham,  ed.  Riley.  Rolls  Ser.  1871  (bis  1440).  Account  of  the  first  battle  of 
Albans  (1455),  ed.  Bayley.  London  1824.  Berry  Herolt  du  Roy  =  Gilles  le  Bouvier,  dit 
Berry  s.  §128.  Blakman,  De  virtutibus  et  miraculis  Henrici  VI.,  ed.  Th.  Hearne. 
Oxf.  1732.  Blondel,  De  reductione  Normanniae,  ed.  Stevenson.  Roll  Ser.  Lond.  1863. 
Capgrave  s.  §125.  Cronicullys  of  Englonde,  ed.  Gairdner,  Three  15th  Century 
Chronicles  Camd.  Soc.  Lond.  1880.  Chronicle  of  the  reigns  of  Richard  II.  —  Henry  VI. 
(1377 — 1461),  ed.  by  Davies.  Cambd.  1856.  Fortsetz,  von  Caxton,  William  s.  Grofs 
Nr.  1733.  Gregory,  William:  Chronicle  of  London  1189 — 1467,  ed.  by  Gairdner,  Camd. 
Soc.  1876.  Historiae  Croylandensis  contin.,  ed.  Fulman.  Oxf.  1684  (Translated  by 
Riley,  Ingulfs  Chronicle  of  the  abbey  of  Croyland.  Lond.  1854).  Journal  d'un 
bourgeois  und  Monstrelet  s.  §  126.  Notes  of  occurrences  under  Henry  VI.  and 
Edward  IV.  (1422—62),  ed.  Gairdner,  Cambd.  Soc.  1880  (s.  Thre  15th  Cent.  Chronicl.). 
Wawrin,  Recueil  des  chroniques  et  anchiennes  istories  de  la  Grand  Bretagne  (to  1471), 
ed.  W.  and.  P.  Hardy.  vol.  H.  Roll  Ser.  Lond.  1864  (§  128).  Whethamstede,  Registrum 
abbatiae  Johannis  Wh.  Roberto  Blakeney  cappellano  qnondam  adscript.  (1451 — 61), 
ed.  Riley.  Rolls  Ser.  2  Bde.  London  1872 — 73.  Worcester  William,  Annales  rer. 
Anglic.  1324 — 1468,  ed.  Stevenson.  Rolls  Ser.  1864.  Chronicle  of  the  rebellion  in 
Lincolnshire  1470,  ed.  J.  G.  Nichols,  Camd.  Soc.  I.  London  1847.  Chronicle  1429 
bis  1471,  ed.  Gairdner.  Three  15th  Cent.  Chron.  p.  168—185  Camd.  Soc.  1880  Die 
Werke  Commines'  s.  §  154.  Fragm.  of  a  Chronicle  1459 — 70,  ed.  Hearne.  Oxf.  1719. 
Historie    of  the    arrivall    of  Edward  IV.  in    England    and    the    finall    recoverye    of    his 


684  England  unter  Heinrich   VI. 


kingdomes  from  Henry  YI.  a.  d.  1471,  ed.  Bruce,  Camd.  Soc.  Lond.  1838;  auch  in: 
Chronicles  of  the  white  rose  of  York,  ed.  Giles.  Lond.  1845.  Warkworth,  A  chronicle 
of  the  first  thirteen  years  of  the  reign  of  Edward  IV.  (1461 — 74).  ed.  Halliwell.  Camd. 
Soc.  1879,  auch  in  chronicles  of  the  white  rose  .  .  .  The  new  chronicles  of  England 
and  France  (from  Brutus  to  1485  by  Robert  Fabyan  (the  Concordance  of  histories  , 
ed.  Ellis.  Lond  1811.  Hall's  Chronicle  1399—1547;,  ed.  Ellis.  Lond.  1809.  More, 
Sir  Thomas,  History  of  King  Richard  m.,  ed.  Lumby.  Cambr.  1883.  Rofs,  Hist. 
regum  Angliae  to  1485),  ed.  Hearne.  Oxf.  1716.  Yergil  Polyd.,  Angliae  hist.  libri  XXVH 
(to  1538  Leiden  1651.  (Busch,  S.  399.)  Relacion  or  true  account  of  England  under 
Henry  YLT.  (s.  Pauli  V,  698*,  Cronicle  of  Calais  in  the  reigns  of  Henry  YII.  and 
Henry  VHI.  1485 — 1540,  ed.  by  Nichols.  Lond.  1846.  ^Camden  Soc.  Bernhard  Andre, 
De  vita  atque  gestis  Henrici  VH.  und  Annales  Henrici  YII.,  ed.  Gairdner  in  Memorials 
of  Henry  V3L  s.  zu  Andre  Busch,  S.  399)  Richard  Arnold,  Chronicle  Wriothesley. 
A  Chronicle  of  England,  ed.  Hamilton.  Camd.  Soc.  NS  XI.  Chronicle  of  the  Grey 
Friars  of  London,  ed.  Gough  Nichols.     Camd.  Soc.  LIH. 

Hilfsschriften.  Pauli  Y,  Stubbs  Constitutional  hist.  HI.  Greene, 
wie  oben.  Brougham,  Hist.  of  Engl,  under  the  house  of  Lancaster.  Lond.  1861. 
Ramsav,  Lancaster  and  York  1399  —  1485.  2  voll.  Lond.  1892.  Rogers,  the  strife 
of  the  roses  and  days  of  the  Tudors  in  the  west  1890.  Kriehn,  The  English  rising 
in  1450.  Strafsburg  1892.  Gairdner,  The  houses  of  L.  and  Y.  1886.  Habington, 
The  historie  of  Edward  IV.  Lond.  1646.  Bü  ding  er,  König  Richard  HI.  v.  England. 
AVien  1858.  Hauptwerk  ist:  Gairdner,  Life  and  reign  of  Richard  LH.  Cambridge 
1898.  Halsted,  Richard  LH.  2  Bde.  Lond.  1844  unkritisch.  Jesse,  Memoires 
of  Richard  LH.  Lond.  1862  X.-York  1894.  Legge,  The  unpopulär  king :  life  of 
Richard  LH.  2  vol.  Lond.  1895.  Pauli,  Aufs.  z.  engl.  Gesch.  Leipz.  1869  Rieh.  LH., 
S.  24—47).  Bück,  the  life  and  reigne  of  Richard  LH.  Lond.  1646.  Bensemann^ 
Richard  Xevil,  der  Königmacher  1428—1471.  Strafsburg  1898.  Oman,  Warwick  the 
kingmaker,  Lond.  1891.  Hookham,  The  life  and  times  of  Margaret  of  Anjou. 
2  vol.  London  1872.  Hall,  An  episode  of  medieval  nihilism,  Antiquary  XH.  Lond  1885. 
Denton,  England  in  15th  Century.  London  1888.  Busch,  König  Heinrich  ATI. 
(1485—1509.;  Stuttgart  1892,  dort  Anhang  H:  Zur  Kritik  der  Quellen.  Bacon, 
History  of  Henry  YH,  ed  by  Spelling.  Gairdner,  Henry  the  seventh.  Lond.  1889. 
Die  sonstige  neuere  Lit.  zu  Heinrich  VI.,  Eduard  IV.,  Richard  LTI.  und  Heinrich  YH. 
s.  auch  bei  Liebermann.     DZG.  IV,  193,  YLH,  E.  177. 

1.  Der  allgemeine  Unwille  über  den  unrühmlichen  Kampf  gegen 
Frankreich  entlud  sich  auf  dem  Haupte  des  Herzogs  von  Suffolk,  eines 
Günstlings  der  Königin  Margarete,  dem  das  Volk  die  schweren  Verluste 
zuschrieb.  Vom  Hause  der  Gemeinen  angeklagt,  im  Interesse  Frankreichs 
gewirkt  und  für  die  Thronerhebung  seines  eigenen  Sohnes  gearbeitet  zu 
haben,  wurde  er  vom  König  auf  fünf  Jahre  verbannt.  Als  er  über  den 
Kanal  fuhr,  wurde  sein  kleines  Fahrzeug  von  einem  grofsen  englischen 
Schiffe  genommen  und  der  Herzog  von  den  Schiffern  getötet  (1450). 
Die  Unzufriedenheit  rief  in  Kent,  dem  bedeutendsten  Fabriksbezirk  Eng- 
lands in  jener  Zeit,  einen  Aufstand  hervor,  den  ersten  seit  den  Tagen 
Wat  Tylers.  Doch  handelte  es  sich  diesmal  nicht  um  soziale  Fragen, 
denn  die  Leibeigenschaft  war  seit  1381  fast  erloschen,  sondern  um 
politische.  Als  sich  der  königliche  Rat  weigerte,  die  Klageschrift  der 
Aufständischen  entgegenzunehmen,  lieferten  sie  unter  der  Führung  John 
Cades,  der  sich  für  Mortimer,  einen  natürlichen  Sohn  des  letzten 
Grafen  von  der  March  und  Vetter  des  Herzogs  von  York,  ausgab,  den 
königlichen  Truppen  bei  Sevenoaks  ein  Treffen,  schlugen  sie  aufs  Haupt, 
rückten  in  London  ein,  liefsen  den  Schatzmeister  Lord  Say  und  dessen 
Schwiegersohn    hinrichten    und    eine    Anzahl    von    Personen    verhaften. 


Der  Aufstand  Cades.     Die  weifse  u.  rote  Rose.     Yorks  Ansprüche.  685 

Jetzt  erst  fand  die  Klageschrift  Aufnahme;  nachdem  eine  Amnestie  ver- 
kündigt worden  war,  zerstreuten  sich  die  Aufständischen.  Als  sich  Cade 
neuen  Anhang  suchte,  ward  er  erschlagen.  Die  in  der  Klageschrift 
enthaltenen  Beschwerden  blieben  gänzlich  unberücksichtigt.  Von  Cades 
Anhängern  starben  einige  auf  dem  Schafott.  Vor  ihrem  Tode  sollen  sie 
ihre  Absicht  geoffenbart  haben,  den  Herzog  von  York  auf  den  Thron 
zu  erheben.  Angesichts  der  schlechten  Regierung  Heinrichs  VI.  ver- 
blafste  der  Ruhm  der  glorreichen  Taten  Heinrichs  V. ;  der  Gedanke  an 
einen  Thronwechsel  tauchte  auf  und  brachte  Rechte  in  Erinnerung,  die 
durch  die  Thronbesteigung  des  Hauses  Lancaster  verletzt  worden  waren; 
Stimmen  wurden  wieder  laut,  die  man  seit  der  blutigen  Unterdrückung 
der  Lollarden  längst  verklungen  wähnte.  Der  Hafs  des  Volkes  traf 
Somerset,  den  Vorsitzenden  im  königlichen  Rate,  der,  wiewohl  ein  illegi- 
timer Sprosse  des  Hauses  Lancaster,  sich  Hoffnung  auf  den  Thron 
machte.  Ihm  trat  der  Herzog  von  York  kräftig  entgegen;  das  ganze 
Land  war  bald  von  leidenschaftlichen  Streitigkeiten  erfüllt,  schon  werden 
zwischen  den  vornehmsten  Familien  förmliche  Treffen  geliefert,  wie 
das  zwischen  den  Häusern  Salisbury  und  Egrernont,  mit  dem  nach  der 
Meinung  der  Zeitgenossen  der  grofse  Krieg  begann,  der  ganz  England 
durch  mehr  als  dreifsig  Jahre  mit  Verwüstungen  heimsuchte.  Auf  das 
Haus  York  waren  die  Ansprüche  der  zweiten  Linie  des  königlichen 
Hauses  Plantagenet  übergegangen,  seit  sich  Richard  von  Cambridge  aus 
dem  Hause  York  mit  Anna  Mortimer,  der  Urenkelin  Lionels  von 
Clarence,  des  zweiten  Sohnes  Eduards  III.,  vermählt  hatte,,  während  das 
Haus  Lancaster  dem  dritten  Sohne  entsprofste.  Richards  gleich- 
namiger Sohn  war  nun  Erbe  dieses  Rechtes.  Bei  der  Kinderlosigkeit 
des  Königs  mufste  ihm  einstens  die  Krone  von  selbst  zufallen.  Daher 
hielt  er  sich  lange  zurück.  Erst  als  dem  König  1453  ein  Sohn  geboren 
wurde,  trat  er  mit  seinen  Ansprüchen  hervor  und  wollte  die  Echtheit 
des  jungen  Prinzen  Eduard  nicht  anerkennen.  Bald  nachher  fiel 
Heinrich  VI.  in  eine  Geisteskrankheit.  Nun  wurde  Richard  von  York 
Protektor  des  Königreichs,  Somerset  dagegen  in  den  Tower  zur  Haft 
gebracht.  Als  indes  am  Ende  des  Jahres  Heinrich  seine  Gesundheit 
wieder  erhielt,  wurde  Somerset  in  seine  frühere  Stelle  wieder  eingesetzt. 
So  lagen  die  Häuser  Lancaster  und  York,  die  rote  und  weifse  Rose,  wie 
sie  nach  ihren  Feldzeichen  benannt  wurden,  im  Kampfe  miteinander. 
Von  entscheidender  Bedeutung  war  es,  dafs  Richard  von  York  die 
Unterstützung  des  mächtigen  Hauses  Nevil  fand.  Träger  des  Hauses 
war  Richard  von  Salisbury.  Weitaus  bedeutender  wurde  die  Macht  seines 
gleichnamigen  Sohnes,  der  die  Erbin  der  Beauchamps  geheiratet  und 
durch  die  Erwerbung  der  Grafschaft  Warwick,  seinen  Reichtum  und 
Einflufs  verdoppelt  hatte.  Die  spätere  Zeit  hat  ihn,  weil  er  Könige  ein- 
setzen und  stürzen  half,  den  Königsmacher  genannt.  Richard  von  York 
war  mit  Cäcilia,  Salisburys  Schwester,  vermählt.  Das  Schwert  der 
Nevil  fiel  so  in  die  Wagschale  des  Hauses  York.  Auf  dessen  Seite 
standen  die  grofsen  handeltreibenden  Städte,  wie  London.  Lancasters 
Rechte  wurden  dagegen  in  Wales  und   in  den  nördlichen   und   Südwest- 


686  Krieg  zwischen  der  weifsen  und  roten  Rose. 

liehen  Grafschaften  Englands  verteidigt.  Die  Schlacht  von  N  o  r  t  - 
hampton  (1460,  10.  Juli)  endete  zugunsten  Yorks.  Die  Führer  ihrer 
Scharen,  der  Graf  von  March  an  der  Spitze,  hatten  den  Befehl  gegeben, 
weder  an  den  König  noch  an  den  gemeinen  Mann,  sondern  nur  an 
Lords  und  Edelleute  Hand  anzulegen.  Die  Königin  und  ihr  sieben- 
jähriger Sohn  entkamen,  der  König  wurde  gefangen.  Man  durfte  er- 
warten, dafs  sich  die  Ereignisse  von  1399  wiederholen.  Richard  von 
York  überlief s  die  Entscheidung  über  sein  Recht  dem  Parlament.  Dieses 
scheute  aber  vor  der  Absetzung  des  Königs  zurück,  erklärte  dagegen 
York  zum  Thronerben  und  stattete  ihn  mit  fürstlichem  Einkommen  aus. 
Von  dem  Rechte  Eduards,  des  bisherigen  Prinzen  von  Wales,  war  keine 
Rede.  Aber  noch  lebte  Margareta,  der  »Mann«  ihrer  Partei.  Ihr  fiel 
der  ganze  Norden  zu.  Bald  stand  sie  an  der  Spitze  einer  Armee  von 
20000  Mann.  Mit  nur  5000  Mann  zog  ihr  York,  allen  Warnungen  zum 
Trotz,  um  Weihnachten  1460  entgegen.  Bei  Wakefield  kam  es  am 
30.  Dezember  zur  Schlacht,  die  mit  einer  gänzlichen  Niederlage  der 
weifsen  Rose  endete.  Richard  von  York  selbst  wurde  gefangen.  Seine 
Feinde  setzten  ihn  zum  Spott  auf  einen  Ameisenhaufen,  flochten  Gras 
um  sein  Haupt  und  machten  ihm  unter  wildem  Hohn  Verehrungen. 
Dann  ward  ihm  das  Haupt  heruntergeschlagen  und  auf  den  Zinnen  der 
Stadt  York  aufgesteckt.  Auch  der  Graf  von  Salisbury,  Richards  Schwager, 
wurde  enthauptet.  Yorks  jüngerem  Sohn,  Lord  Rutland,  ward  ein  töd- 
licher Stich  ins  Herz  versetzt.  An  die  Stelle  Richards  von  York  traten 
dessen  überlebende  Söhne.  Der  älteste,  Eduard  von  March,  eilte  aus 
dem  Westen  herbei,  schlug  eine  Heeresabteilung  seiner  Gegner  bei 
Mortimer  Crofs,  wandte  sich  dann  trotz  der  Niederlage  Warwicks 
bei  St.  Albans  nach  London  und  hielt  hier,  vom  Volke  mit  Jubel 
begrüfst,  seinen  Einzug.  Von  einer  Verständigung  zwischen  den  feind- 
lichen Häusern  war  keine  Rede  mehr.  Es  war  der  Bürgerstand,  der 
jetzt  schon  auf  die  Herstellung  geordneter  Zustände  drängte.  Eine  aus 
Anhängern  des  Hauses  York  bestehende  Versammlung  erklärte,  dafs 
Heinrich  von  Lancaster  die  Krone  verwirkt  habe  (1461,  1.  März).  Am 
folgenden  Tage  empfing  Eduard,  der  durch  seine  Leutseligkeit  alle 
Bürgerherzen  bestrickte,  im  AVestminster  die  Huldigung.  Ohne  sich 
mit  den  Krönungsfeierlichkeiten  aufzuhalten,  zog  er  gegen  seine  Gegner. 
Bei  Towton  trafen  die  Seinen  mit  dem  Heere  des  Hauses  Lancaster 
zusammen  (29.  März).  Seit  den  Tagen  Wilhelms  des  Eroberers  waren  in 
England  nicht  mehr  so  bedeutende  Kräfte  einander  gegenübergetreten.  Die 
beiden  Armeen  zählten  gegen  120000  Mann.  Es  wurde  mit  solcher 
Erbitterung  gekämpft,  dafs  kein  Pardon  gegeben  wurde  und  von  beiden 
Seiten  mehr  als  40000  Leichen  das  Schlachtfeld  bedeckten.  Das  Schlachten- 
glück entschied  zugunsten  Eduards.  Die  hervorragendsten  Anhänger 
des  Hauses  Lancaster  waren  gefallen  oder  wurden  gefangen  und  getötet. 
Jetzt  erst  wurden  die  Häupter  Richards  und  Rutlands  von  den  Stadt- 
zinnen Yorks  herabgenommen  und  die  der  getöteten  Gegner  an  ihrer 
Stelle  aufgesteckt.  Margareta  und  ihr  Gemahl  entflohen  über  die 
schottische  Grenze. 


Das  Haus  York.    Eduard  VI.  687 

§  156.    Eduard  IV.  (1461-1488)  und  Richard  III.  (1483-1485).     Die 
Gründung  der  neuen  monarchischen  Gewalt  in  England. 

Der  Sieg  Eduards  IV.  wurde  von  den  Bewohnern  Londons  mit 
ungemischter  Freude  begrüfst.  Der  jugendliche  König  erinnerte  in 
manchem  an  die  unvergefsliche  Gestalt  Heinrichs  V.  Von  seinen  Eltern 
sorgsam  erzogen,  hatte  er  sich  früh  in  der  Politik  zu  schaffen  gemacht 
und  den  Ruf  eines  guten  Heerführers  gewonnen.  Eine  wahrhaft  glän- 
zende Erscheinung  —  er  galt  als  der  schönste  Fürst  seiner  Zeit  —  hatte 
er  eine  sorglose  Gemütsart;  ein  Freund  der  Musik  und  der  Freuden  der 
Tafel,  ging  er  in  diesen  Genüssen  nicht  auf;  in  schweren  Lagen  des 
Lebens  verstand  er,  sich  rasch  zurecht  zu  finden.  Bei  den  Londonern 
stand  in  gutem  Gedächtnis,  dafs  Richard  IL  ein  Freund  des  Volkes 
gewesen.  Und  an  diesen  knüpft  seine  Regierung  an.  Nachdem  er  am 
29.  Juni  die  Krone  empfangen  und  hierauf  den  Krieg  in  Wales  zu  Ende 
geführt  hatte,  versammelte  er  das  Parlament.  Die  vorhergehenden  Re- 
gierungen wurden  als  Usurpationen  betrachtet,  Heinrich  VI.,  Margareta 
und  der  Prinz  von  Wales  als  Hochverräter  erklärt,  ihre  Anhänger  ge- 
ächtet, die  Güter  der  Geächteten  eingezogen  und  des  Königs  Brüder 
Georg  zum  Herzog  von  Clarence,  Richard  zum  Herzog  von  Glocester 
erhoben.  Margareta  gewann  einige  schottische  Lords  und  fand  Hilfe 
bei  Frankreich;  als  sie  aber  1464  in  England  einfiel,  errang  Montagu, 
Warwicks  Bruder,  einen  Sieg.  Von  ihren  Anhängern  wurden  die  be- 
deutendsten, wie  der  Herzog  von  Somerset,  hingerichtet.  Heinrich  VI. 
hatte  sich  eine  Zeit  lang  im  Norden  verborgen  gehalten,  bis  er  durch 
einen  Mönch  verraten  wurde.  Graf  Warwick  liefs  ihn  auf  ein  Pferd 
setzen,  mit  gebundenen  Füfsen  um  den  Galgen  herumführen,  worauf  er 
in  den  Tower  geworfen  wurde  (1465).  Seine  grofsen  Erfolge  dankte 
Eduard  IV.  neben  seiner  eigenen  Tapferkeit  der  kräftigen  Hilfe  des 
Hauses  Warwick,  dem  der  König  selbst  durch  seine  Mutter  angehörte. 
Da  warf  seine  Sinnlichkeit  die  Brandfackel  der  Zwietracht  in  das  eigene 
Lager.  Bei  einem  Besuche  der  Herzogin  von  Bedford  hatte  er  deren 
ebenso  schöne  als  anmutige  Tochter  aus  zweiter  Ehe,  eine  junge  Witwe 
nach  dem  Ritter  Grey,  der  für  das  Haus  Lancaster  gefallen  war,  und 
die  nun  seine  Gnade  für  ihre  Kinder  anrief,  kennen  gelernt:  Elisabeth 
Wydeville.  Von  ihrem  Liebreiz  bestrickt,  vermählte  er  sich  heimlicher- 
weise mit  ihr  und  beleidigte  Warwick,  der  eben  noch  um  die  Hand 
Bonas  von  Savoyen,  einer  Schwester  des  Königs  von  Frankreich,  für 
ihn  geworben  hatte.  Als  der  König  zu  alledem  seine  Verehelichung 
allgemein  bekannt  machte  und  das  Haus  seiner  Gemahlin  mit  Amtern  und 
Ehren  überhäufte,  begann  Warwick  um  seinen  Einflufs  zu  fürchten,  und 
als  der  König  vollends,  während  Warwick  in  Frankreich  weilte,  um  die 
Verbindung  Margaretas,  der  Schwester  des  Königs,  mit  einem  französi- 
schen Prinzen  zustande  zu  bringen,  diese  mit  dem  Herzog  Karl  von 
Burgund  vermählte,  kam  es  zum  Bruche.  Nun  fesselte  Warwick  Eduards 
Bruder,  den  Herzog  Georg  von  Clarence,  an  sich  und  gab  ihm  seine 
ältere  Tochter  Isabella  zur  Gemahlin.     Ein  Aufstand  in  Yorkshire  brachte 


688     Eduard  IV.  u.  Heinrich  VI.     Barnet  u.  Tewksbury.     D.  Politik  Eduards  IV. 

den  König  in  die  Gewalt  Warwicks ;  noch  kam  es  aber  zur  einer  Ver- 
einbarung. Wenige  Monate  später  brach  eine  neue  Empörung  in  Lin- 
colnshire  aus.  Warwick  und  Georg  von  Clarence,  als  Verräter  geächtet, 
entflohen  nach  Frankreich,  traten  mit  Margareta  in  Verbindung  und  er- 
hielten von  Ludwig  XL  Hilfe.  Warwick  verpflichtete  sich,  dem  könig- 
lichen Gefangenen  im  Tower  die  Krone  wieder  zu  verschaffen,  wogegen 
der  Erbe  Heinrichs  VI.  mit  Warwicks  jüngerer  Tochter  vermählt  werden 
sollte.  Während  Eduard  durch  einen  Aufstand  in  Anspruch  genommen 
war,  erschien  Warwick  in  England.  Eduard  entfloh  nach  Burgund. 
Heinrich  VI.  wurde  nun  restituiert.  Für  ihn  regierte  Warwick,  und  so 
fest  schien  Lancasters  Sache  zu  stehen,  dafs  Eduard,  als  er,  von  Karl 
dem  Kühnen  mit  Geld  und  Mannschaft  reich  unterstützt,  wieder  im 
Lande  erschien,  die  Krone  nicht  für  sich  begehrte,  sondern  sich  mit 
dem  Titel  und  dem  Besitz  eines  Herzogs  von  York  begnügte.  Als  er 
aber  merkte,  dafs  die  Stimmung  des  Volkes  für  ihn  sei,  ging  er  weiter. 
Vom  Jubel  der  Bürger  begrüfst,  hielt  er  am  Ostersonntag  1471  seinen 
Einzug  in  London.  Heinrich  VI.  ward  neuerdings  in  den  Tower  ge- 
worfen. Bei  Barnet  verlor  der  »Königsmacher«  Schlacht  und  Leben 
(14.  April),  und  als  Margareta,  die  zu  spät  gelandet  war,  als  dafs  sie 
ihrem  Parteigänger  hätte  Hilfe  leisten  können,  mit  Heeresmacht  heran- 
zog, erlag  sie  bei  Tewksbury  (5.  Mai)  der  Kriegskunst  ihres  Gegners 
und  nicht  zuletzt  dem  unwiderstehlichen  Ansturm  des  Herzogs  von  Glo- 
cester.  Margareta  und  ihr  Sohn  wurden  gefangen.  Dem  Jünglinge,  der 
im  Angesicht  Eduards  IV.  sein  Thronrecht  mannhaft  verteidigte,  warf 
dieser  den  eisernen  Handschuh  ins  Antlitz,  worauf  ihn  einige  Diener 
niederhieben. x)  Mit  ihm  endeten  die  Hoffnungen  des  Hauses  Lancaster. 
Den  Tag,  ehe  Eduard  IV.  als  Sieger  in  London  einzog,  wurde  Heinrich  VI. 
im  Tower  getötet,  doch  nicht,  wie  die  Überlieferung  will,  von  Richard 
von  Glocester.  Margareta  wurde  fünf  Jahre  später  von  Ludwig  XI. 
ausgelöst.  Eduards  Macht  wäre  nun  fest  begründet  gewesen,  wären  ihm 
nicht  im  eigenen  Hause  Widersacher  erstanden.  Gewalttätiger  als  früher, 
gestattete  er  den  Verwandten  seiner  Gemahlin  Einflufs  auf  die  Re- 
gierung. Diese  trägt  denn  auch  einen  andern  Charakter  als  die  seiner 
Vorgänger.  Von  auswärtigen  Lmternehmungen  ist  kaum  die  Rede.  Auch 
in  England  macht  sich  wie  in  Frankreich  das  Bedürfnis  geltend,  die 
Macht  des  Königtums  zu  erhöhen;  diese  Arbeit  wird  von  Eduard  IV. 
begonnen  und  von  dem  ersten  Tudor  Heinrichs  VII.  erfolgreich  beendet. 
So  verschieden  die  Anlagen  und  der  Charakter  Eduards  IV.  von  denen 
seines  französischen  Gegners  Ludwig  XL  und  jenen  Ferdinands  von 
Aragonien  (s.  unten)  waren,  seine  Regierung  bekundete  die  gleichen 
Bestrebungen  und  hatte  ähnliche  Erfolge.  England  hatte  bisher  die 
Greuelszenen  eines  zwanzigjährigen  Kampfes  gesehen,  dieser  war  aber 
doch  nur  auf  die  obersten  Klassen,  die  Lords  und  ihr  Gefolge,  beschränkt ; 
nur  in  seltenen  Fällen  greifen  die  bürgerlichen  Kreise  zur  Wehr,  und 
der   Franzose    Philipp  von  Commines    spricht  seine  Verwunderung  aus, 

x)  Erst  ein  Schriftsteller  aus  den  vierziger  Jahren  des  16.  Jahrhunderts  beschuldigt 
Eduards  IV.  Brüder  Clarence  und  Glocester  des  Mordes. 


Charakteristik  d.  Rosenkriege.    Niederg.  d.  Parlamentes.    System  Eduards  IV.      689 

dafs  dem  rohen  Kampfe  zum  Trotz  keine  Gebäude  zerstört  werden  und 
das  Elend  auf  jene  zurückfällt,  die  es  hervorrufen.  Der  englische  Acker- 
bau bleibt  ungeschädigt,  Gewerbe  und  Handel  nehmen  sogar  einen 
mächtigen  Aufschwung,  die  Ordnung  und  Ruhe  in  den  bürgerlichen 
Kreisen  bleibt  aufrecht,  der  Gang  der  Gerichte  ungestört. *)  Aber  die 
grofse  Macht  des  Parlamentes,  gesteigert  durch  die  fortwährenden  Be- 
dürfnisse der  Regierung  Eduards  III.,  durch  den  siegreichen  Kampf 
gegen  die  absolutistischen  Gelüste  Richards  IL,  vor  allem  aber  durch 
das  Haus  Lancaster,  dessen  Gewalten  auf  der  Anerkennung  des  Parla- 
ments beruhten,  ist,  im  Sinken  begriffen.  Dieser  König,  der  infolge 
seines  einnehmenden  Wesens  und  der  zur  Schau  getragenen  Bürger- 
freundlichkeit eine  Popularität  besafs,  die  edleren  Herrschern  versagt 
war,  legte  die  Grundlagen  zu  einem  absoluten  Regiment.2)  Die  gesetz- 
geberische Tätigkeit  des  Parlaments  ist  im  Erlöschen.  Durch  die  Kon- 
fiskationen des  Bürgerkrieges  gelangt  ein  Fünftel  des  englischen  Grund- 
besitzes in  die  Hände  des  Königs,  der  mit  erbarmungsloser  Strenge  eine 
persönliche  Regierung  wieder  herstellt. 3)  Dabei  werden  ihm  die  Zölle 
auf  Lebenszeit  verliehen,  Subsidien  für  Kriege,  die  nicht  geführt  werden, 
verstärken  seine  Machtmittel,  der  Kriegsvorwand  gestattet,  von  den  Reichen 
unter  dem  Titel  freiwilliger  Gaben  —  der  Benevolenzen,  vom  Volke 
ironisch  auch  Malevolenzen  genannt  —  grofse  Summen  zu  erpressen  und 
dadurch  das  Steuerbewilligungsrecht  zu  umgehen.  Zu  den  direkten 
kommen  die  indirekten  Abgaben,  das  Tonnen-  und  Pfundgeld,  das  schon 
seit  Heinrich  VI.  dem  König  gleichfalls  auf  Lebenszeit  bewilligt  wurde. 
Jeder  Widerstand  gegen  das  System  der  Erpressung  wäre  vergeblich 
gewesen.  Das  Königtum  wird  von  den  Bewilligungen  des  Parlaments 
nahezu  unabhängig;  es  entfällt  dann  das  vornehmste  Motiv  zu  seiner 
Berufung.  Das  Schreckensregiment  hält  die  Gegner  durch  rücksichtslose 
Handhabung  aufserordentlicher  Gerichts-  und  Polizeigewalten  unter 
stetiger  Überwachung.  So  ist  der  Zustand  des  Reiches :  dem  Namen 
nach  eine  vom  Parlament  anerkannte  Regierung,  in  Wirklichkeit  ein 
Kriegszustand.4)  Ein  umfassendes  Spioniersvstem  wird  eingeführt,  die 
Folter  kommt  in  Aufnahme,  und  die  Einmischung  des  Königs  in  das 
ordentliche  Gerichtsverfahren  wird  immer  häufiger.  Gegen  die  Über- 
macht der  Familie  der  Königin  regte  sich  der  Widerstand  der  obersten 
Lords.  Georg  von  Clarence  liefs  sich,  in  seiner  Werbung  um  die  Hand 
Marias  von  Burgund  zurückgesetzt,  einzelner  Güter  beraubt,  in  Kon- 
spirationen ein,  die  seine  Hinrichtung  in  der  geheimnisvollen  Stille  des 
Towers  zur  Folge  hatten  (1478,  8.  Februar)  und  seinen  reichen  Besitz 
an  die  Verwandten  der  Königin  brachten.  Die  auswärtige  Politik  war 
keine  ruhmvolle,  doch  hafte  noch  zuletzt  Richard  von  Glocester  einen 
siegreichen  Kampf  gegen  Schottland  geführt  und  die  Grenzfeste  Berwick 
zurückerobert.     Eduard  IV.  starb,  erst  42  Jahre  alt.     Er  hinterliefs  zwei 


*)  Green,  S.  345. 
8)  S.  349. 

3)  Gneist,  S.  422. 

4)  Green,  S.  350. 

Loserth,  Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  44 


690  Eduard  V.     Richard  III.  und  Heinrich  v.  Richmond. 

Söhne,  von  denen  Eduard  V.,  der  ältere,  der  berechtigte  Thronerbe, 
freilich  erst  im  13.  Jahre  stand.  Nun  fragte  es  sich,  ob  sich  die  Nation 
das  vormundschaftliche  Regiment  einer  Frau,  die  nicht  einmal  aus  den 
obersten  Kreisen  stammte,  gefallen  lassen  würde.  Da  taucht  die  Ge- 
stalt Richards  von  Glocester  auf.  Der  jüngste  Bruder  Eduards  IV., 
hatte  er  in  dessen  Kämpfen  treu  zu  ihm  gehalten  und  als  kühner  und 
glücklicher  Heerführer  seine  Schlachten  gewinnen  helfen.  Eine  kühle, 
schweigsame  Natur,  war  er  von  unermefslichem  Ehrgeiz  beseelt.  Was 
spätere  Chronisten  und  Dichter  von  seiner  häfslichen  Erscheinung  be- 
richten, ist  nichts  als  Fabel.  Seine  Gestalt,  klein  zwar  und  zart,  barg 
einen  kräftigen  Geist.  Die  grofsen  Erfolge  dankte  Eduard  IV.  nicht 
zum  wenigsten  dem  entschlossenen  Vorgehen  Richards.  Freilich  hielt 
man  ihn  schon  damals  für  fähig,  den  Mord  an  Heinrich  VI.  verübt  zu 
haben.  Jetzt  griff  er,  ohne  zu  zaudern  zu,  bemächtigte  sich  Eduards  V. 
und  wurde  als  Protektor  des  Reiches  anerkannt.  Das  war  nur  die  erste 
Stufe  zum  Throne.  Nachdem  er  sich  der  treuesten  Anhänger  des  jugend- 
lichen Königs  entledigt  hatte,  liefs  er  sich  durch  eine  Petition  auffordern, 
die  Krone  an  sich  zu  nehmen,  da  die  Söhne  Eduards  IV.  einer  unrecht- 
mäfsigen  Ehe  entsprossen,  die  Nachkommenschaft  Clarences  als  die  eines 
Hochverräters  zur  Nachfolge  unfähig  sei.  Nachdem  Glocester  zuerst 
noch  den  zweiten  königlichen  Prinzen  in  seine  Gewalt  gebracht  hatte, 
nahm  er  die  ihm  angebotene  Krone  an  (25.  Juni).  Eduards  V.  Regie- 
rung hatte  nicht  ganz  drei  Monate  gedauert.  Eine  Mifsstimmung,  die 
in  den  breiten  Schichten  des  Volkes  in  den  südlichen  Provinzen  ent- 
stand, bot  Richard  III.  den  Anlafs,  sich  seiner  beiden  im  Tower  ge- 
fangenen Neffen  zu  entledigen.  Die  Einzelheiten  des  Mordes  sind  un- 
bekannt. Die  Leichname  der  beiden  wurden  im  Tower  verscharrt,  wo 
sie  1674  gefunden  und  in  Westminster  beigesetzt  wurden.  Um  sein 
Regiment  zu  festigen,  gab  Richard  III.,  der  nun  auch  wieder  das  Parla- 
ment berief,  einige  der  verhafstesten  Mafsregeln  Eduards  IV.,  wie  die 
Benevolenzen,  preis,  kam  freilich  bald  wieder  auf  sie  zurück.  Er  sorgte 
für  eine  gute  Justiz  und  erwarb  sich  namentlich  in  den  nördlichen  Graf- 
schaften eine  grofse  Anhänglichkeit.  Vor  allem  aber  bewies  er  durch 
mehrfache  Verfügungen  sein  lebhaftes  Interesse  für  das  Gedeihen  des 
britischen  Handels.  Nach  aufsenhin  war  sein  Regiment  kraftvoller  als 
das  Eduards  IV.,  und  doch  suchte  er  wie  sein  Vorgänger  den  Frieden 
und  die  Freundschaft  der  grofsen  Mächte.  Am  liebsten  hätte  er  die 
Freundschaft  Frankreichs  erworben,  das  seinen  Gegnern  Hilfe  gewährte. 
Diese  wurden  durch  den  an  den  beiden  Königssöhnen  verübten  Mord 
eng  aneinander  geschlossen,  und  Buckingham,  durch  seine  Mutter,  eine 
Urenkelin  Johanns  von  Lancaster,  selbst  ein  Glied  dieses  Hauses, 
bisher  ein  treuer  Genosse  des  Königs,  stellte  sich  an  die  Spitze  der 
Empörung.'  Er  griff  den  Plan  auf,  Eduards  IV.  Tochter  Elisabeth  mit 
Heinrich  von  Richmond,  dessen  Familie  zum  Hause  Lancaster  gehörte, 
zu  vermählen.  Die  Empörung  scheiterte,  und  Buckingham  fiel  von 
Henkershand ;  seine  Anhänger  wurden  geächtet  und  ihrer  Güter  beraubt. 
Sie  sammelten  sich  um  Heinrich  in  der  Bretagne;  gegen  das  Versprechen, 


Sieg  Heinrichs.     Das  Haus  Tudor.     Ende  der  Rosen  kriege.  691 

die  Erbin  des  Hauses  York  zu  heiraten,  leisteten  sie  ihm  den  Lehenseid. 
Heinrich  von  Richrnond  war  demnach  für  sie  der  rechte  Thronerbe. 
Sein  Grofsvater  Oven  Tudor,  ein  Walliser,  hatte  sich  mit  Katharina, 
der  Witwe  Heinrichs  V.,  vermählt.  Damit  hatte  er  wohl  eine  angesehene 
Stellung,  aber  noch  kein  Recht  auf  die  Krone  erhalten.  Dagegen  hatte 
sich  sein  Sohn  Edmund  Tudor  mit  Lady  Margareta  Beaufort,  dem  letzten 
Spröfsling  des  Hauses  Somerset,  vermählt,  die  ihrerseits  aus  illegitimer 
Ehe  von  Johann  von  Gaunt,  dem  dritten  Sohne  Eduards  III.  abstammte. 
Heinrich  von  Richrnond  erhielt  die  Unterstützung  Frankreichs,  das  stets 
die  rote  Rose  des  Hauses  Lancaster  unterstützte.  Mit  3000  Mann  landete 
er  zu  Milford  in  Wales.  Richard  III.  war  bis  zum  letzten  Augenblick 
siegesgewifs.  Heinrichs  Scharen  wuchsen  im  weitern  Vorrücken  an; 
doch  wäre  er  immerhin  verloren  gewesen,  wäre  nicht  im  entscheidenden 
Augenblick  aus  Richards  Reihen  dessen  vornehmster  Heerhaufe,  Lord 
Stanley  mit  seiner  Mannschaft,  bei  Bosworth  zu  dem  Prätendenten  über- 
getreten. Unter  den  Rufen:  Verrat,  Verrat!  stürzte  Richard  III.  in  das 
dichteste  Gedränge,  hieb  den  Bannerträger  Heinrichs  nieder,  fiel  aber 
wenige  Augenblicke  später  unter  den  Streichen  eines  Stanley  —  als 
letzter  gekrönter  York  und  Plantagenet  (1485,  22.  August).  Noch  im  Tode 
fand  er  unter  dem  Volke  viele  Sympathien,  wie  denn  bei  diesem  die 
kraftvolle  Verwaltung  des  Hauses  York  und  seine  Fürsorge  für  das 
Bürgertum  in  guter  Erinnerung  blieb. 

§  157.    Die  Vollendung  der  neuen  Monarchie   durch  Heinrich  TU. 

(U85— 1509). 

Noch  behauptete  sich  die  Partei  des  Hauses  York  in  den  nörd- 
lichen Grafschaften,  selbst  als  Heinrich  VII.  sich  mit  Elisabeth  von  York 
vermählt  hatte.  Im  übrigen  erkannte  der  König  das  bessere  Recht 
seiner  Gemahlin  —  das  ihn  auf  die  Stellung  eines  Prinz-Gemahls  ge- 
schoben hätte  —  nicht  an.  Die  päpstliche  Bulle,  die  ihn  als  König 
anerkennt,  nennt  als  Gründe  seiner  Nachfolge :  das  Recht  des  Krieges, 
das  bessere  Recht  der  Sukzession  und  die  Anerkennung  des  Parlamentes. 
Erst  als  sein  Recht  anerkannt  war,  vollzog  er  die  Vermählung.  Die 
päpstliche  Bulle  erklärte  übrigens  die  Krone  auch  für  den  Fall  in  Hein- 
richs Stamme  erblich,  wenn  seine  Nachkommen  nicht  aus  der  Ehe  mit 
Elisabeth  entsprängen.  Elisabeths  Mutter  liefs  sich  denn  auch  vernehmen, 
ihre  Tophter  sei  durch  die  Vermählung  mehr  zurückgedrängt  als  gehoben 
worden.  Die  ganze  Yorksche  Partei  geriet  in  Aufregung.  Lord  Lovel 
und  die  Brüder  Humphrey  und  Thomas  Stafford  erhoben  sich  gegen 
den  König.  Der  Aufruhr  mifslang  zwar  und  endete  mit  der  Bestrafung 
der  Teilnehmer,  soweit  man  ihrer  habhaft  wurde;  das  hinderte  aber 
keineswegs,  dafs  einige  Abenteurer  wie  Lambert  Simnel  und  Perkin 
Warbeck  sich,  jener  als  Graf  von  Warwick,  Clarences  Sohn,  dieser  als 
Herzog  von  York  ausgeben  und  bedeutenden  Anhang  finden  konnten. 
Simnel  wurde  in  offener  Feldschlacht  besiegt  (1487),  Warbeck  fand  eine 
Zeit  lang  Hilfe  im  Ausland,  bis  er  infolge  diplomatischer  Verhandlungen 

44* 


692  Ausgestaltung  der  engl.  Monarchie.     Die  Sternkammer. 

ausgeliefert  und  gehängt  wurde.  Im  übrigen  knüpfte  der  König 
weniger  an  die  Regierungen  des  Hauses  Lancaster  an,  wie  er  auch  die 
Eduards  IV.  als  eine  legitime  anerkannte,  als  vielmehr  an  die  britische 
Urzeit,  weshalb  er  auch  seinen  Erstgeborenen,  gleichsam  im 
Gegensatz  zu  den  bisherigen  angelsächsischen  und  normannischen  Re- 
gierungen, nach  seinem  angeblichen  Anherrn  Artur  benannte.  Nun 
schwindet  die  Sitte  des  englischen  Adels,  die  Leichen  der  Angehörigen 
in  die  Familiengrüfte  der  Normandie  zu  überführen,  was  ja  um  so  er- 
klärlicher ist,  als  der  gröfste  Teil  des  englischen  Adels  in  den  Kämpfen 
der  Rosen  zugrunde  gegangen  war.  Da  diese  Kämpfe  ihren  Anlafs  in 
den  Streitigkeiten  zweier  Häuser  gefunden  hatten,  wurde  dem  Adel  das 
Recht  der  Privatgefolgschaft  genommen  und  mit  schweren  Strafen  bedroht, 
wer  es  fürderhin  wage,  die  Einwohner  seiner  Güter  unter  seiner  Farbe 
und  Fahne  zu  versammeln.  Mit  Bewilligung  des  Parlamentes  schuf 
Heinrich  die  Sternkammer,  einen  besonderen  Gerichtshof,  der  nach 
seinem  Sitzungslokal  benannt  wurde,  und  der,  aus  sieben  Personen  be- 
stehend, unabhängig  von  allen  andern  Gerichten,  Personen  wegen  Auf- 
ruhrs, ungesetzlicher  Versammlungen,  Parteiverbindungen  mit  besonderen 
Trachten  und  Abzeichen  zur  Untersuchung  ziehen  und  bestrafen  durfte. 
Es  ist  zweifellos,  dafs  dem  König  hiebei  nur  der  Gedanke  verschwebte, 
gründliche  Ordnung  für  immer  zu  machen,  indem  die  vornehmen  Edel- 
leute  vor  sein  Tribunal  geladen  wurden;  sein  Nachfolger  hat  aber  schon 
die  Sternkammer  zu  einem  bereitwilligen  Werkzeug  seiner  Tyrannei 
gemacht.  Unter  Heinrich  VII.  erfüllte  sie  alle  auf  sie  gesetzten  Hoff- 
nungen :  England  gelangte  allmählich  zu  innerer  Ruhe.  Auf  die 
Benevolenzen  hätte  Heinrich  VII.  ebensowenig  verzichten  wollen  wie 
Eduard  IV.  und  Richard  III.  Ja  er  hat  sich  noch  eine  Anzahl  aufser- 
gewöhnlicher  Einnahmequellen  zu  verschaffen  gewufst.  So  konnte  er 
seinem  Sohne  einen  Schatz  von  zwei  Millionen  hinterlassen;  was  ihm 
aber  das  wichtigste  war,  er  hatte  unter  diesen  Umständen  nicht  Not, 
Parlamente  einzuberufen.  Durch  die  letzten  17  Jahre  seiner  Regierung 
wurde  es  nur  zweimal  versammelt,  so  dafs  es  den  Anschein  gewann,  als 
sei  England  ein  absoluter  Staat  geworden.  Allmählich  gewöhnte  sich 
Adel  und  Volk  an  diese  Art  der  Regierung,  an  der  es  selbst  kaum  noch 
einen  Anteil  hatte.  In  der  äufseren  Politik  scheute  er  Verbindungen 
mit  dem  Festland.  Wichtig  freilich  sind  seine  Familienverbindungen 
mit  auswärtigen  Häusern.  Seinen  ältesten  Sohn  wollte  er  mit  Katharina, 
der  Tochter  Ferdinands  des  Katholischen  und  Isabellas,  vermählen;  er 
verfolgte  dabei  im  wesentlichen  politische  Zwecke :  Spaniens  Hilfe  gegen 
den  französischen  Erbfeind  zu  gewinnen.  Noch  aher  war  ein  Erbe  aus 
dem  Hause  York  vorhanden,  der  Graf  Eduard  Warwick,  der  Sohn  Georgs 
von  Clarence.  Seine  Person  hatte  wiederholt  den  Anlafs  zu  Unruhen 
geboten.  Nun  wird  erzählt,  König  Ferdinand  hätte  nicht  eher  seine 
Einwilligung  zu  der  Heirat  gegeben,  bis  Warwick  aus  der  Welt  geschafft 
war.  So  fiel  das  Haupt  dieses  unschuldigen  Prinzen  von  der  Hand  des 
Henkers  (1499).  Die  Hochzeit  des  Prinzen  von  Wales  mit  Katharina 
wurde   zwei   Jahre    später   mit   grofsem   Pompe   gefeiert;    aber   der   Tod 


Der  Aufschwung  Portugals.  693 

löste  das  Band  nach  wenigen  Wochen;  es  waren  Katharinens  Eltern, 
auf  deren  Betreiben  der  verhängnisvolle  Ehebund  zwischen  ihr  und 
Heinrich,  dem  nunmehrigen  Thronerben  (1503),  zustande  kam.  Wichtiger 
war  eine  Familienverbindung,  die  mittlerweile  mit  Schottland  abgeschlossen 
wurde,  indem  sich  Jakob  IV.  von  Schottland  (1499)  mit  Margareta,  der 
Tochter  Heinrichs  VII.,  vermählte.  Es  war  diesem  Könige,  der  in  seiner 
äufseren  Erscheinung  mehr  an  einen  Geistlichen  als  an  einen  Herrscher 
erinnerte,  gelungen,  den  Frieden  in  England  herzustellen  und  das  König- 
tum auf  neue  Grundlagen  zu  stellen.  So  sind  denn  mit  seiner  Regierung 
auch  für  England  die  Zeiten  des  Mittelalters  vorüber. 


3.  Kapitel. 

Der  Aufschwung  der  iberischen  Staaten  im  XV.  Jahrhundert. 

§  158.    Die  Grofsmachtstellung  Portugals  im  Zeitalter  Heinrichs 

des  Seefahrers. 

Quellen:  s.  §83.  Dazu  :  Diego  Gomez,  de  prima  inventione  Guineae,  ed.  Schmeller, 
Abh.  bayr.  Ak.  1845.  Hilfsschriften  s.  §83.  Zu  den  letzteren:  Schäfer  II, 
Major,  The  Conquest  and  Conversion  of  the  Canarians  by  J.  de  Bethencourt  1872. 
Major,  The  life  of  Prince  Henry  of  Portugal.  London  1868.  P  e  s  c  h  e  1 ,  Gesch.  d.  Zeitalt. 
d.  Entdeckungen.  Stuttgart  1858.  Gesch.  d.  Erdkunde.  München  1885.  Sophus  Rüge, 
Gesch.  d.  Zeitalters  d.  Entdeckungen.  Berl.  1881.  G.  de  Veer,  Prinz  Heinrich  d.  See- 
fahrer u.  s.  Zeit.  Danzig  1864.  Beazley,  Prince  Henry  the  Navigator.  New  York  1895. 
Kunstmann,  Die  Handelsverbindungen  der  Portugiesen  mit  Timbuktu  im  15.  Jahrh. 
Abh.  bayr.  Ak.  VI,  1. 

1.  König  Fernando  war  1383,  ohne  männliche  Nachkommen  zu 
hinterlassen,  gestorben.  Auch  seine  legitime,  an  König  Juan  I.  von 
Kastilien  vermählte  Tochter  Beatrix  war  noch  kinderlos.  Die  zunächst 
berechtigten  Thronerben,  die  Brüder  des  verstorbenen  Königs,  Joao  und 
Diniz  weilten,  durch  die  Ränke  der  Königin  Leonore  vertrieben,  in 
Kastilien.  Kaum  hatte  der  kastilische  König  Fernandos  Tod  vernommen, 
so  liefs  er  beide  verhaften  und  nahm  Portugal  in  seinem  und  dem 
Namen  seiner  Gemahlin  in  Anspruch.  Gegen  diese  von  der  Königin- 
Witwe  und  Reichsverweserin  Leonore  unterstützte  Forderung  des  kasti- 
lischen  Königs  erhob  sich  in  Portugal  lebhafte  Opposition.  Ihr  Führer 
wurde  der  Grofsmeister  J  o  ä  o ,  ein  Halbbruder  des  verstorbenen  Königs. 
Der  Volkshafs  machte  sich  durch  die  Ermordung  des  Grafen  von  Ourem, 
eines  Günstlings  der  Königin,  und  des  Bischofs  Martin  von  Lissabon, 
eines  Kastilianers,  Luft,  und  während  die  Regentin  aus  der  Hauptstadt 
abzog,  um  kastilische  Hilfe  herbeizurufen,  rief  das  Volk  den  Grofsmeister, 
der  eben  im  Begriffe  war,  nach  England  abzureisen,  zum  Defensor  und 
Regenten  des  Reiches  aus  (1383,  16_  Dezember).  Die  Königin- Witwe,  die 
schon  bisher  die  Ansprüche  Kastiliens  verteidigt  hatte,  entsagte,  als  der 
König  und  die  Königin  von  Kastilien  mit  Heeresmacht  in  Portuga1  ein- 
rückten, der  Regentschaft.  Dessenungeachtet  wurde  sie  unter  dem  Vor- 
wand, einen  Anschlag  auf   das  Leben  des  Königs    unterstützt  zu  haben, 


694  Joäo  I.     Sieg  bei  Aljubarotta.     Lissabon  ständige  Residenz. 

—  in  Wirklichkeit  suchte  sie  sich  unwürdiger  Behandlung  zu  entziehen  — 
gefangen  nach  Tordesillas  abgeführt.     Ihre  Anhänger  traten  nun  in  das 
Lager   dss   Defensors.     Coimbra   verschlofs    dem   kastilischen   König   die 
Tore,   und  Lissabon  wurde   durch  den   Kriegshauptrnann   Nuno   Alvarez 
Pereira  vier  Monate  hindurch  (1384,  Mai — September)  aufs  tapferste  ver- 
teidigt.    Eine   pestartige  Krankheit   nötigte   schliefslich   den  König   zum 
Rückzug  nach  Kastilien.    Auf  der  Cortesversammlung  zu  Coimbra  führte 
der  Rechtsgelehrte  Joäo  das  Regras  den  Nachweis,  dafs  weder  die  kasti- 
lische  Königin  noch    die   in    der  Fremde  weilenden   Infanten   ein  Recht 
auf  die  Krone  besäfsen   und  das  Volk  berechtigt   sei.    zu    einer  Königs- 
wahl zu  schreiten.    Trotz  der  von  ihm  selbst  erhobenen  Bedenken  wurde 
nun  der  Defensor  zum  König  erhoben  (1385,  6.  April).     Zum  Dank  für 
ihre   Haltung    erhielten  Lissabon,    Porto   und   andere  Städte   bedeutende 
Freiheiten,  die  Cortes  das  Recht,    dafs  hinfort   über  Krieg   und  Frieden 
nur   mit   ihrer   Zustimmung   entschieden    wrerden    dürfe.     Um    sich   vor 
Kastilien  zu  schützen,  erkannte  König  Joäo  (1385 — 1433)  Lancasters  An- 
sprüche   auf   dieses  Land   (s.   oben)    an,    aber    erst    der    glänzende  Sieg, 
den    er    bei    Aljubarotta   (1385,    14.  August)    über    die   gesamte   von 
ihrem  König  geführte  Kriegsmacht  der  Kastilianer  errang,  sicherte  ihm 
den  Thron  und  dem  Lande  die  Freiheit.     Nun  schlofs  er  mit  Lancaster 
ein    förmliches    Bündnis    und    vermählte    sich    mit    Lancasters    Tochter 
Philippa.      Schon   war   Portugal   in    der  Lage,    offensiv   gegen   Kastilien 
vorzugehen,    und  Juan  I.  genötigt,    einen  Waffenstillstand  nachzusuchen 
(1389),  der  allerdings  von  Kastilien  wiederholt  gebrochen  und  wieder  er- 
neuert wurde.    Noch  machte  Kastilien  (1393)  den  Versuch,  den  Infanten 
Diniz  als  König  auszurufen;  die  Stellung  Joäos  war  aber  bereits  eine  so 
starke,  dafs  derlei  Versuche  erfolglos   blieben.     Erst  1411  kam   ein  end- 
gültiger  Friede    zwischen    beiden   Staaten    zustande.      Da   Joäo  I.    seine 
Erhebung  vornehmlich    der  Gunst   der   bürgerlichen  Klassen  verdankte, 
blieb    er   ihnen   durchaus   geneigt;    er    selbst    erfreute    sich   beim  Volke 
steigender  Beliebtheit,  an  die  sein  später  Nachruhm  (de  gloriosa  memoria) 
erinnert.     Lissabon  wurde   nunmehr   ständige  Residenz   und   (1394)  Sitz 
des  Erzbischofs    von   Portugal.      Liefsen    die   inneren   Kämpfe    während 
der  ersten  Hälfte  seiner  Regierung,  die  auswärtigen  während  der  zweiten, 
es  zu   einer  durchgreifenden  gesetzgeberischen  Tätigkeit  nicht   kommen, 
so   fafste    der   König   doch    die   Abfassung    einer    allgemeinen   Gesetzes- 
sammlung ins  Auge  und  traf   eine  Reihe   von  Verfügungen,    die   augen- 
blickliche Bedürfnisse  befriedigten  oder,  wie  die  Beilegung  der  Jahrhunderte 
hindurch   vorgekommenen  Zerwürfnisse   über   die   Rechte    und    Grenzen 
der  Staats-  und  Kirchengewalt  durch  die  Concor 'dia  vom  30.  August  1427, 
auf  die  Dauer  berechnet  waren.     Der  Kanzler  Joäo    das  Regras,   der  so 
viel  zur  Erhebung  des  neuen  Königtums  gewirkt  hatte,  veranstaltete  eine 
Sammlung    der    einheimischen    Gesetze,    sowie    eine    Übersetzung    des 
justinianeischen    Kodex    und    der    Glossen    des    Accursius    und  Bartolo, 
und     legte     den     Grund      zu     dem     portugiesischen     Gesetzbuch,     ver- 
schaffte  allerdings   aber   auch    dem   römischen   Rechte   im  Lande   einen 
grofsen  Einnufs.     Auf  allen  Gebieten  bürgerlicher  Tätigkeit,    entwickelte 


Heinrich  der  Seefahrer.     Entdeckungen  u.  Eroberungen.     Du  arte.  695 

sich  ein  reges  Leben.  Mit  auswärtigen  Staaten  wurden  Handelsverbin- 
dungen angeknüpft,  von  denen  die  zu  den  Staaten  Italiens  den  Tendenzen 
des  Humanismus  auch  in  Portugal  die  Wege  bereiteten.  Viel  mehr  als 
diese  lag  dem  König  der  Kampf  gegen  die  Ungläubigen,  der  seinem 
Volke  eine  stete  Schule  des  Krieges  sein  sollte,  am  Herzen.  Hier  wurde 
schon  früh  einer  von  seinen  Söhnen  die  Seele  aller  Unternehmungen  — 
Prinz  Heinrich,  dem  die  Nachwelt,  trotzdem  er  selbst  nicht  oft  zur 
See  gewesen,  den  Beinamen  der  Seefahrer  gegeben  hat.  Als  einer  der 
jüngeren  Söhne  des  Königs  am  4.  März  1394  zu  Porto  geboren  und  nach 
seinem  Oheim  von  mütterlicher  Seite,  dem  König  von  England,  genannt, 
wuchs  er  in  Porto  auf,  dessen  lebhafter  Seehandel  auf  ihn  grofsen 
Eindruck  machte.  Ein  Freund  der  Wissenschaften,  vor  allem  der 
Mathematik,  Astronomie  und  Geschichte,  war  er  zugleich  der  eifrigste 
Förderer  der  afrikanischen  Unternehmungen,  bei  denen  es  ihm  gewifs 
zunächst  um  die  Ausbreitung  des  Christentums,  aber  doch  auch  schon 
darum  zu  tun  war,  die  lästigen  Zölle,  die  zu  Ceuta  von  den  vorbei- 
fahrenden Schiffen  erhoben  wurden,  zu  beseitigen.  An  dem  Kampfe 
seines  Vaters  um  Ceuta,  damals  einer  der  wichtigsten  Stapelplätze  für 
die  Waren  Indiens  und  Europas  und  bisher  die  ständige  Ausfallspforte 
gegen  die  Pyrenäische  Halbinsel,  nahm  er  den  eifrigsten  Anteil.  Die 
Stadt  wurde  1415  erobert.  Nun  fafste  er  den  Entschlufs ,  weiter 
südwärts  in  die  sagenhaften  Länder  vorzudringen,  aus  denen  bisher 
unsichere  Kunde  nach  dem  Norden  gedrungen  war.  Die  Landstriche 
jenseits  des  Kaps  Bojador  hatte  noch  niemand  besucht,  und  es  mufste 
den  Portugiesen  daran  liegen,  unter  den  Europäern  allein  Handels- 
verbindungen mit  den  Völkerstämmen  Guineas  anzuknüpfen.  1420  verliefs 
ein  Fahrzeug  des  Infanten  den  Hafen  von  Lagos.  Vom  Sturm  ver- 
schlagen, entdeckten  die  Führer  Porto  Santo  und  noch  in  demselben 
Jahre  Madeira.  1424  wurde  eine  Expedition  nach  Gran  Canarien  unter- 
nommen und  1431  die  ersten  Azoren  entdeckt.  Am  Vorgebirge  von 
Sagres  in  Algarve,  dessen  Gouverneur  Prinz  Heinrich  war,  hatte  er  sein 
astronomisches  Observatorium,  bei  dem  er  die  wissenschaftlichen  Kräfte 
seines  Landes  vereinigte  und  wo  er  junge  Leute  für  seine  Zwecke  heran- 
bildete. Die  Mittel  zu  den  Unternehmungen  gewährten  ihm  die  reichen 
Einkünfte  des  Christusordens,  die  ihm  als  Grofsmeister  zur  Verfügung 
standen.  Von  Wichtigkeit  war  es,  dafs  es  gelang,  das  Kap  Bojador  zu 
umschiffen  und  damit  die  eingebildeten  Gefahren  des  »Dunkelmeeres« 
wie  die  des  angeblich  versengenden  Sonnenbrandes  zu  besiegen.  1434 
war  das  Wagnis  gelungen.  Das  Jahr  zuvor  war  König  Joao  I.  gestorben. 
Sein  Freund  und  Berater  Pereira  war  ihm  schon  1431  im  Tode  voran- 
gegangen; da  Pereiras  Tochter  Beatrix  mit  Affonso,  Grafen  von  Bar- 
cellos und  erstem  Herzog  von  Braganza,  einem  natürlichen  Sohn  des 
Königs,  vermählt  war,  ist  er  der  Ahnherr  des  königlichen  Hauses 
Braganza  geworden.  Mit  Widerstreben  führte  Du  arte  (1433 — 1438)  den 
Kampf  gegen  die  Mauren  fort,  auch  die  Cortes  hegten  Bedenken;  eifrig 
für  die  Sache  war  aufser  dem  Infanten  Heinrich  auch  Fernando,  der 
in  Geschichte  und  Dichtung  als  der  »standhafte  Prinz«   bekannt  ist  und 


696  Der  standhafte  Prinz.     Affonso  V.,  der  Afrikaner. 

der  seinen  ganzen  Ruhm  in  der  Ausbreitung  des  Christentums  suchte. 
Mit  ungenügenden  Kräften  rückten  die  Portugiesen  (1437)  vor  Tanger, 
gerieten  daselbst  aber  aus  Mangel  an  Lebensmitteln  in  so  grofse  Not, 
dafs  sie  einen  Vertrag  abschliefsen  mufsten,  in  welchem  sie  Ceuta  zu 
räumen  versprachen.  Als  Geisel  für  die  Ausführung  des  Vertrags  wurde 
Fernando  an  den  Herrn  von  Tanger  ausgeliefert.  Die  Cortes  weigerten 
sich,  Ceuta  aufzugeben,  und  beschlossen,  den  Prinzen  auf  jede  andere 
Weise  zu  befreien;  aber  die  Versuche  dazu  waren  vergebens,  und  der 
Prinz  erlag  nach  sechsjähriger  Gefangenschaft  einer  ruhrartigen  Krankheit. 
Inzwischen  war  auch  Duarte  gestorben.  Während  der  Minderjährigkeit 
seines  Sohnes  Affonso  V.  (1438 — 1481)  kam  es  zwischen  der  als 
Kastilianerin  im  Lande  verhafsten  Königin- Witwe  und  den  Brüdern  des 
verstorbenen  Königs  zu  Zwistigkeiten  über  die  Regentschaft,  die  von 
den  Cortes  benützt  wurden,  um  ihre  Machtbefugnisse  zu  erweitern.  Dem 
Einflufs  des  Prinzen  Heinrich  gelang  es,  eine  Übereinkunft  zustande  zu 
bringen,  nach  welcher  der  Infant  Pedro  wohl  zum  Defensor  des  Reiches 
bestimmt,  die  Regierung  aber  von  den  Cortes  abhängig  wurde.  Das 
Übereinkommen  fand  nach  keiner  Seite  Beifall.  Während  die  Königin- 
Witwe  sich  auf  den  Adel  stützte,  brachten  es  die  bürgerlichen  Kreise 
dahin,  dafs  der  im  Sinne  seines  Vaters  und  Bruders  wirkende  Infant 
Pedro  allein  die  Regentschaft  übernahm  (1439).  Die  Parteikämpfe 
dauerten  auch  dann  noch  fort,  als  Affonso  V.  (1446)  die  selbständige 
Regierung  übernahm.  Das  Verdienst  des  Infanten  Pedro  war  es,  dafs 
das  Verlangen  der  Cortes  nach  einer  allgemeinen  Gesetzessammlung  er- 
füllt wurde.  Im  Jahre  1446  wurden  die  Ordenacoens  Affonsos  V.  ver- 
öffentlicht1), die  in  der  Folge  freilich  durch  die  berühmtere  Gesetz- 
gebung Emanuels  verdrängt  wurden.  Die  Wirren  während  der  Minder- 
jährigkeit Affonsos  verzögerten  die  Ausführung  der  Entdeckungspläne 
des  Infanten  Heinrich,  der  allerdings  hiebei  nicht  das  volle  Verständnis 
des  Volkes  fand;  immerhin  aber  waren  die  Eroberungen  Affonsos  V.  in 
Afrika  so  bedeutend,  dafs  sie  ihm  den  Beinamen  des  Afrikaners  ein- 
trugen. Afrika  war  überhaupt  das  Ziel  seiner  Wünsche;  die  für  den 
vom  Papste  geforderten  Kreuzzug  gegen  die  Türken  gesammelten  Mittel 
wurden  zum  Kampfe  in  Afrika  verwendet  undAlcasser  (1458),  endlich  nach 
manchen  fruchtlosen  Versuchen  auch  Tanger  (1471)  erobert.  Weniger 
glücklich  war  Affonso  in  seinem  Versuch,  sich  durch  eine  Vermählung 
mit  der  kastilischen  Erbtochter  Juanna  die  Nachfolge  nach  Heinrich  IV. 
in  Kastilien  zu  sichern.  Dort  behauptete  Heinrichs  Schwester  Isabella 
das  Feld.  Die  Stärkung  der  Königsgewalt,  die  im  Laufe  der  zweiten 
Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  in  allen  Staaten  des  Westens  erfolgte,  wurde 
in  Portugal  erst  von  dem  Sohne  und  Nachfolger  Affonsos  Joao  IL 
(1481 — 1495)  in  Angriff  genommen.  Hier  gab  es  ein  Haus,  das  durch 
seine  Herkunft  und  seinen  Reichtum  mit  dem  des  Königs  rivalisierte, 
das  Haus  Braganza.  Indem  der  König  die  der  Krone  abhanden 
gekommenen,  von  seinen  Vorfahren  verschleuderten  Güter   und  Rechte, 


x)  Näheres  bei  Schäfer  n,  461, 


Jofio  IL     Stärkung  der  kgl.  Macht.  697 

auch  die  in  den  Städten,  zurückforderte,  was  nur  durch  gewaltsame 
Mittel  möglich  war,  reizte  er  Adel  und  Klerus  zur  Gegenwehr.  Dessen 
Führung  übernahm  der  Herzog  von  Braganza,  der  schon  gegen  die  bei 
der  Huldigung  gebrauchte  Eidesformel  als  eine  zu  strenge  seinen  Vor- 
behalt gemacht  hatte.  Dagegen  fand  der  König  die  Unterstützung  der 
Bürger,  die  von  ihm  Beseitigung  der  Mifsbräuche  bei  der  Gerichtsbarkeit 
des  Adels  begehrten.  Da  der  Herzog  von  Braganza  geheime  Verbindungen 
mit  Kastilien  unterhielt,  wurde  er  verhaftet,  sein  Besitz  eingezogen,  ein 
ordentliches  Gerichtsverfahren  gegen  ihn  eingeleitet  und  die  Todesstrafe 
gegen  ihn  ausgesprochen.  Am  20.  Juli  1488  wurde  er  öffentlich  ent- 
hauptet. Eine  zweite  Verschwörung  unternahm  auf  Anstiften  des  Bischofs 
von  Evora,  des  Königs  Schwager,  Herzog  von  Viseu,  der  schon  an  den 
Machenschaften  Braganzas  beteiligt  gewesen  war.  In  diesem  Falle  wollte 
der  König  aus  Furcht,  die  königliche  Autorität  könnte  leiden,  es  auf 
keinen  ordentlichen  Prozefs  ankommen  lassen :  er  schlug  ein  Verfahren 
ein.  das  in  Italien  längst  geübt  wurde :  bei  einer  Zusammenkunft  erstach 
er  den  Herzog  mit  eigener  Hand  (1484,  22.  August).  Dann  bemächtigte 
er  sich  der  übrigen  Verschwörer.  Das  rasche  Verfahren  verfehlte  seine 
Wirkung  nicht;  denn  wer  durfte  noch  Gnade  hoffen,  wenn  der  König 
selbst  des  ihm  zunächst  Stehenden  nicht  schonte.  Die  Güter  des 
Getöteten  fielen  an  dessen  Bruder  Manuel,  aber  statt  des  Titels  »Herzog 
von  Viseu«  erhielt  er  den  eines  »Herzogs  von  Beja«.  Schon  wurde  ihm 
angekündigt,  dafs  der  König  gesonnen  sei,  im  Falle  sein  Sohn  stürbe 
und  er  keinen  rechtmäfsigen  mehr  erhielt,  ihn  als  Sohn  und  Erben  aller 
seiner  Reiche  anzuerkennen.  Es  ist  Emanuel  der  Glückliche,  der  in  der 
Tat  sein  Nachfolger  wurde.  Die  grofsen  Taten  Joäos,  welche  die  Pläne 
des  Infanten  Heinrich  zur  Vollendung  brachten,  wie  die  seines  Nachfolgers 
Emanuel  gehören  bereits  der  Neuzeit  an. 

§  159.    Kastilien  und  Aragonien. 

Die  Quellen  u.  Hilfsschriften  s.  oben  §  12  u.  83.  Dazu:  Calmette,  Documents 
relat.  ä  Don  Carlos  de  Viane  1460 — 61.  Rome  1901.  Cerone,  La  politique  Orientale 
d'Alfonse  d' Aragon.    Arch.  stör,  per  le  prov.    Nap.  XXII. 

1.  Wie  Heinrich  Trastamara  hatte  auch  sein  Sohn  Juan  I. 
(1379 — 1390)  seine  Herrschaft  gegen  den  mit  Portugal  verbündeten  Herzog 
von  Lancaster  (s.  §  83)  zu  verteidigen.  In  dem  Frieden,  der  hierauf 
zwischen  Kastilien  und  Portugal  abgeschlossen  wurde,  war  die  Vermählung 
der  portugiesischen  Erbtochter  Beatrix  mit  dem  kastilischen  Infanten 
Fernando  in  Aussicht  genommen.  Als  aber  bald  nachher  des  Königs 
Gemahlin  starb,  vermählte  er  sich  selbst  mit  Beatrix.  Seinen  Hoff- 
nungen, nach  dem  Tode  König  Fernandos  von  Portugal  dieses  Königreich 
zu  gewinnen,  machte  der  Tag  von  Aljubarotta  ein  Ende  (1385).  Die 
Portugiesen  verbanden  sich  nun  aufs  neue  mit  Lancaster,  aber  die 
kräftige  Unterstützung  seines  Volkes  setzte  Juan  in  die  Lage,  Lan- 
casters  Ansprüche  siegreich  abzuwehren.  Der  1388  zwischen  England 
und  Kastilien   abgeschlossene  Friedensvertrag  bestimmte,    dafs   sich    der 


698      Heinrich  III.  u.  Juan  II.     Aragonien  unter  Juan  I.,  Martin  u.  Fernando  I. 


Erbinfant  Heinrich  mit  Katharina  (Catalina),  der  Tochter  Lancasters 
und  Enkelin  Pedros  des  Grausamen,  vermähle.  Bei  dieser  Gelegenheit 
erhielt  der  Erbinfant  den  Titel  eines  Prinzen  von  Asturien,  der  fortan 
den  kastilischen  Thronfolgern  verblieben  ist.  Mit  Portugal  wurde  ein 
Waffenstillstand  auf  sechs  Jahre  geschlossen.  Für  Juans  minder- 
jährigen Sohn  Heinrich  III.  (1390 — 1406)  trat  eine  ständische  Regent- 
schaft ein,  über  deren  Zusammensetzung  ein  langwieriger  Streit  entstand, 
der  anarchische  Zustände  im  Gefolge  hatte.  Mündig  geworden,  steuerte 
Heinrich  mit  kräftiger  Hand  der  Unordnung,  nahm  verschleuderte  Güter 
an  die  Krone  zurück  und  trat  den  Anmafsungen  des  Adels  erfolgreich 
entgegen.  Trotz  seiner  militärischen  Machtstellung  war  er  kein 
kriegerischer  König.  Dennoch  kam  es  1406  zu  einem  Streit  mit  Granada. 
Schon  jetzt  wäre  menschlicher  Voraussicht  nach  das  maurische  Reich 
gefallen,  wie  denn  auch  das  kastilische  Königtum  schon  jetzt  auf  festere 
Grundlagen  gestellt  worden  wäre,  hätte  den  König  nicht  ein  frühzeitiger 
Tod  hinweggerafTt.  Da  sein  Sohn  Juan  IL  (1406 — 1454)  erst  14  Monate 
alt  war,  übertrugen  die  Stände  die  Regentschaft  dem  Bruder  des  ver- 
storbenen Königs,  Fernando,  der  sie,  unterstützt  von  der  Königin- 
Witwe,  in  trefflicher  Weise  führte,  bis  ihn  der  Tod  König  Martins 
von  Aragonien,  dessen  Schwestersohn  er  war,  auf  den  Thron  dieses 
Landes  berief. 

2.  In  Aragonien  war  auf  Pedro  IV.  dessen  Sohn  Juan  I. 
(1387 — 1395)  gefolgt,  ein  prachtliebender  Herrscher,  dessen  glänzende 
Hofhaltung  selbst  die  der  französischen  Könige  übertraf,  bis  ihn  die 
Opposition  der  Stände  zum  Einlenken  nötigte.  Nach  seinem  Tode  fiel 
die  Krone  an  seinen  Bruder,  den  sizilischen  König  Martin  (1395 — 1410), 
der  die  Regierung  Siziliens  seinem  gleichnamigen  Sohne  übergab  und 
über  Avignon,  wo  er  einen  Versuch  zur  Beilegung  des  Schismas  machte, 
nach  Aragonien  ging.  Hier  machte  ihm  der  Gatte  der  älteren  Tochter 
Juans  L,  Graf  Mathieu  von  Foix,  den  Thron  streitig  und  wurde 
hierin  von  Frankreich  unterstützt,  sah  sich  aber  schliefslich  zu  einem 
Verzicht  auf  seine  Ansprüche  gezwungen.  In  Sizilien  half  Martin  seinem 
Sohne,  seine  Herrschaft  aufrecht  zu  halten;  da  dieser  indes  schon  1409 
starb,  wurde  Sizilien  mit  Aragonien  wieder  vereinigt.  Im  folgenden  Jahre 
starb  Martin  selbst  —  der  letzte  vom  Mannesstamm  des  Grafen  von 
Barcelona.  Nach  längerem  Streite  unter  den  Seitenverwandten  des  ver- 
storbenen Königs  wählten  die  Parlamente  von  Aragonien,  Katalonien 
und  Valencia  den  kastilischen  Infanten  Fernando  I. ,  den  Enkel 
Pedros  IV.,  zum  König  (1412 — 1416);  auch  Mallorka,  Sizilien  und  Sar- 
dinien erkannten  ihn  an;  doch  hatte  er  seine  Krone  gegen  die  Ansprüche 
des  Grafen  von  Urgel,  eines  Urenkels  Jaymes  IL  zu  verteidigen.  Da 
Fernando  zugleich  Vormund  seines  Neffen  Juan  IL ,  von  Kastilien 
war,  verfügte  er  über  eine  Machtstellung,  wie  sie  seit  Jahrhunderten 
kein  christlicher  Herrscher  auf  der  Halbinsel  besessen  hatte.  In  der 
Regierung  folgte  ihm   sein   Sohn  Alfonso  V.,   der  Weise  (1416 — 1458). 

3.  Nach  Catalinas  Tode  (1418)  gewannen  die  aragonischen  Prinzen 
Juan  und  Heinrich,  die  Brüder  Alfonsos  V.,  die  in  Kastilien  bedeutenden 


Kastilien  unter  Juan  II.     Alvaro  de  Lima.     Heinrich  IV.  699 

Besitz  hatten,   Einflufs   auf  Juan  IL,  mufsten  ihn  aber  seit  seiner  Grofs- 
jährigkeit    an    Alvaro    de    Luna,     einen    Neffen     des    Gegenpapstes 
Benedikt  XIII.,  abgeben.    Von  gewinnendem  Aufsern,  klug  und  geschickt, 
verfocht  Alvaro  Kastiliens  Selbständigkeit  gegen  aragonische  Anmafsung 
und  wies  die  übermächtigen  Grofsen  in  ihre  Schranken  zurück,  wodurch 
er  ebenso  sehr  die  Eifersucht  der  Prinzen  als  den  Groll  des  Adels  erregte. 
Darüber  kam  es  zu  langwierigen  inneren  Kämpfen.    Zwar  gelang  es  den 
Infanten,    von    denen   sich  Juan  (1420)  mit  Donna  Blanka  von  Navarra 
vermählt   und   mit    ihr   (1425)    Navarra    erhalten    hatte,    den   verhafsten 
Günstling   zu  stürzen  (1427).     Doch   schon   nach    wenigen  Monaten   rief 
ihn  der  König  zurück,  und  neue  Versuche  der  Infanten,  ihn  zu  stürzen, 
selbst  ein  Krieg  gegen  Navarra  und  Aragonien,    der  hierüber  ausbrach, 
blieben   erfolglos;    ein   siegreicher   Kampf    gegen    Granada   (1431 — 1433) 
erhöhte    nur   Lunas   Ruhm.      Erst    1439    konnten   die   Infanten   Alvaros 
Entfernung  vom  Hofe   durchsetzen,    aber   der  Zwiespalt,    der   nun  unter 
den  Siegern  ausbrach,  führte  den  Wiederausbruch  des  inneren  Kampfes 
herbei,    den  der  König   durch  seinen  Sieg  von  Olmedo  (1445)  glücklich 
beendete.    Der  Infant  Heinrich  starb  an  den  in  der  Schlacht  erhaltenen 
Wunden.    Alvaro  de  Luna  beherrschte  den  König  nun  vollständiger  als 
früher.     Wiewohl   sich    dem   Hafs   der   obersten   Adelskreise   gegen   den 
Günstling  auch  noch  die  Opposition  des  Bürgerstandes  zugesellte,  gelang 
es   doch    erst  1453,    unter  Mithilfe    der    zweiten   Gemahlin    des    Königs, 
Isabella   von   Portugal,    den   gewaltigen   Machthaber    zu   stürzen.      Trotz 
der   förmlichen  Zusicherungen,    die   er  für  sein  Leben  und   seine  Güter 
erhalten,  fiel  sein  Haupt  am  2.  Juni  1453  zu  Valladolid  durch  die  Hand 
des  Henkers.     Einen  Mann,    dem   hohe  Ziele  vorschwebten,  nannte   ihn 
Pius  IL    Sein  Tod  vermehrte  die  allgemeine  Verwirrung.    Das  Günstlings- 
regiment  dauerte   übrigens   unter   Juans    noch   viel   unfähigerem   Sohne 
Heinrich  IV.   (1454 — 1474)   fort.     Juan  Pacheco,  Marquis  von  Villena, 
und  seine  Sippe  beherrschte   den  König.     Die  Kommunen  klagten  über 
dessen    Verschwendungssucht    und    die    am    Hofe    herrschende    Sitten- 
losigkeit,    über   den  Druck  des  Adels  und   der  Prälaten,    die   allgemeine 
Gesetzlosigkeit  und  die  verlustvollen  Kämpfe  gegen  die  Mauren.     Nach- 
dem sich  Heinrich  von  seiner  ersten  Gemahlin  Blanka,  die  ihm  in  zwölf- 
jähriger Ehe  keine  Kinder  geboren  hatte,  hatte  scheiden  lassen,  vermählte 
er    sich  1455    mit   Juanna    von  Portugal,    die    ihre    Gunst    dem   Ritter 
Beitran    de  la  Cueva  in   so   hohem  Grade   zuwandte,    dafs  Lästerzungen 
ihre  Tochter   »La  Beltraneja«  nannten.    Der  König  setzte  es  durch,  dafs 
die  Cortes   ihr  als  Thronerbin   huldigten.     Dagegen   verlangten   die  vor- 
nehmsten Granden  die  Nachfolge  Alfonsos,  des  Stiefbruders  des  Königs, 
und  vereinigten  sich,  als  ihre  Wünsche  unerhört  blieben,  auf  der  Ebene 
von  Avila  (1465,  5.  Juni)  zur  Absetzung  des  Königs.    Alfonso  erhielt  die 
Huldigung  der  Versammlung.    Es  kam  zu  einem  Bürgerkriege,  der  auch 
nach  Alfonsos  Tode  (1468)  fortdauerte.     Die  Unzufriedenen  hielten  sich 
nun   an  Isabella,    die  Schwester  des  Königs.     Sie   trug  indes  Bedenken, 
die  Krone   zu   tragen,    solange   ihr   Bruder  lebe;    dagegen   wurde   (1468, 
5.  September)  ein  Vertrag  geschlossen,  der  sie  zur  Thronerbin  einsetzte. 


700  Vermählung  Isabellas  v.  Kastilien  mit  Fernando  v.  Aragonien. 

Wider  den  Willen  des  Königs  reichte  sie  dem  aragonesischen  Thronerben 
Fernando  (1469)  ihre  Hand  und  tat  so  den  Schritt,  der  zur  Vereinigung 
Kastiliens  und  Aragoniens  führte. 

4.  Auch  Aragonien  blieb  im  15.  Jahrhundert  weder  von  inneren 
Bewegungen  noch  von  auswärtigen  Kriegen  verschont.  Alfonso  V.  wandte 
seine  ganze  Aufmerksamkeit  den  Verhältnissen  Italiens  zu,  sicherte  seinen 
Besitz  auf  Sardinien  und  erhob  Ansprüche  auf  Korsika.  Den  Hilfe- 
rufen Johannas  II.  von  Neapel  gegen  Anjou  folgend,  gewann  er  in 
Italien  grofse  Erfolge  (s.  §  145).  Aber  erst  nach  langwierigen  Kämpfen 
erhielt  er  (1443)  vom  Papste  unter  denselben  Bedingungen  wie  einstens 
Karl  von  Anjou  die  Belehnung.  Die  lange  Abwesenheit  Alfonsos 
aus  Aragonien  machte  dort  die  Einsetzung  einer  Regentschaft  notwendig, 
an  deren  Spitze  seit  1435  sein  Bruder,  der  Infant  Juan,  stand.  Der  Be- 
sitz Neapels,  das  er  seinem  aragonischen  Heimatlande  vorzog,  verwickelten 
ihn  in  die  zahlreichen  Kämpfe  der  italienischen  Staaten.  Beim  Aus- 
sterben des  Mannsstammes  Visconti  gewann  es  den  Anschein,  als  könnte 
sich  Alfonso  auch  in  Mailand  und  Genua  festsetzen,  in  Wirklichkeit  konnte 
er  nicht  einmal  Korsika  erwerben.  Mit  den  übrigen  italienischen  Fürsten 
teilte  auch  der  Hof  zu  Neapel  die  Liebe  zu  Wissenschaften  und  Künsten 
(s.  oben).  Seine  italienischen  Unternehmungen  hinderten  ihn,  seine 
Königsmacht  in  Aragonien  selbst  im  Sinne  seiner  Zeit  zu  verstärken. 
Als  er  1458  starb,  folgte  ihm  in  Aragonien  und  dessen  Vasallenstaaten 
der  bisherige  Regent,  sein  Bruder  Juan,  durch  seine  Gemahlin  Blanka 
auch  König  von  Navarra;  Neapel  hinterliefs  er  seinem  natürlichen 
Sohne  Fe rr ante.  Juan  II.  (1458 — 1479)  hatte  sich  nach  dem  Tode 
seiner  Gemahlin  Blanka  mit  Johanna,  der  Tochter  des  Admirals  Fadrique 
vermählt.  Die  zweite  Ehe  des  Königs  wurde  die  Quelle  langwieriger 
Kämpfe;  Johanna  brachte  es  schliefslich  dahin,  dafs  der  rechtmäfsige 
Erbe  des  Königreiches,  Carlos,  Prinz  von  Viana,  beseitigt  (1461),  und 
ihr  eigener  Sohn,  Fernando  IL,  Thronfolger  wurde.  Beim  Tode  Juans  IL, 
war  dieser  übrigens  durch  seine  Gemahlin  Isabella  auch  König  von 
Kastilien  geworden. 

§  160.  Bas  Entstellen  der  spanischen  Grofsmacht.  Isabella  von  Kastilien 
(1474— 1504)  und  Ferdinand  der  Katholische  von  Aragonien  (1479 — 1516). 

Quellen,  s.  oben.  Dazu:  Dokumente,  Briefe  etc.  in  d.  Col.  de  doc.  ineditos 
vornehmlich  VEI,  VIII,  XI,  XIII,  XIV,  XIX,  XX,  XXXVI,  XXXIX.  Ein  Bericht  über 
spanische  Geschichtschreiber  bei  Maurenbrecher,  Stud.  und  Skizzen  S.  57  ff. 

Hilfsschriften:  Schäfer,  Lafuente  u.  die  andern  allg.  Werke  s.  oben 
§12  u.  83.  Dazu:  Havemann,  Darstell,  aus  d.  inneren  Gesch.  Spaniens  während  des 
15.  bis  17.  Jahrh.  1850.  Prescott,  Gesch.  der  Regierung  Ferdinands  und  Isabellas. 
N.  Aufl.  v.  Kirk.  1902.  Ranke,  Fürsten  u.  Völker  v.  Südeuropa  I.  Maurenbrecher, 
Die  Kirchenreformation  in  Spanien.  —  Spanien  unter  den  kath  Königen  in  Studien 
und  Skizzen  zur  Gesch.  der  Reformationszeit  Leipz.  1874.  Flechier,  Histoire  du 
Card.  Ximenes  1683.  He  feie,  Der  Kardinal  Ximenez  und  die  kirchlichen  Zustände 
Spaniens  am  Ende  des  15.  und  Anfang  des  16.  Jahrh.  1844.  Clemencin,  Elogio  de 
la  reina  catölica  Donna  Isabel.  Madr.  1821.  Balaguer,  Los  Reyes  Catölicos.  Madr.  1877. 
—  Las  guerras  de  Granada,  ib.  1898.    Disquisiciones  histor.,  ib.  1898.    Barbesan,  Juicio 


Ferdinand  und  Isabella.  701 

del  rey  Fernando  .  .  .  Est.  mil.  1897.  Boissonade,  Hist.  de  la  reunion  de  la  Navarre 
ä  la  Castille.  Paris  1897.  Daumet,  wie  §  83.  D.  L.  Eguilaz  Yanguas,  Resefia  hist. 
de  la  conquista  del  reino  de  Granada.  2  ed.  Gran.  1894.  (Einzelnes  noch  in  den  JßG.) 
A.Müller,  wie  §83.  Mig.  Lafuente  Alcantara,  Hist.  de  Granada.  Gayangos, 
History  of  the  Moham.  Dynasties  in  Spain  IL  J.  M  ü  1 1  e  r ,  Die  letzten  Zeiten  von  Granada. 

1.  Die  gegen  seinen  Willen  erfolgte  Vermählung  seiner  Schwester 
Isabella  hatte  Heinrich  IV.  in  hohem  Grade  erzürnt.  Er  hielt  sich  nun 
des  ihr  gegebenen  Versprechens  entbunden  und  war  darauf  bedacht,  die 
Nachfolge  seiner  Tochter  Juanna  la  Beltraneja  zu  sichern.  Verschiedene 
Granden  wurden  für  den  Plan  gewonnen.  Die  Infantin  sollte  mit  dem 
Herzog  Karl  von  Guienne,  dem  Bruder  Ludwigs  XI.  vermählt  und  ihr 
derart  die  Hilfe  Frankreichs  gesichert  werden.  Schwere  innere  Kämpfe 
standen  bevor.  Da  starb  Heinrich  IV.  (1474,  12.  Dezember),  und  wenige 
Monate  später  folgte  ihm  seine  Gemahlin  im  Tode  nach.  Schon  am 
Tage  nach  dem  Tode  des  Königs  wurden  Isabella  und  Ferdinand 
zu  Segovia  als  Könige  von  Kastilien  und  Leon  ausgerufen.  Die  Cortes 
von  Segovia  (1475,  Februar)  setzten  fest,  dafs  die  Landeshoheit  in 
Kastilien  und  Leon  Isabella  als  der  rechtmäfsigen  Königin  allein  zu- 
stehen sollte.  Sie  hatte  demnach  vor  allem  die  Ämter  im  Staate,  die 
geistlichen  Stellen  und  die  Befehlshaberstellen  zu  besetzen,  die  Schatz- 
kammer stand  zu  ihrer  Verfügung;  die  Rechtsprechung  geschah  in 
beider  Namen,  die  Münzen  trugen  die  Bildnisse  beider  und  das  Reichs- 
siegel die  vereinigten  Wappen  beider  Königreiche.  Keine  Fremden  — 
und  das  waren  für  die  Kastilier  auch  Aragonesen  —  sollten  in  Kastilien 
Ämter  erlangen.  Ferdinand  war  von  dem  geringen  Ausmafs  an  Macht 
nur  wenig  befriedigt.  Es  war  aber  nicht  der  Augenblick,  neuen  Zwist 
zu  erregen.  Denn  noch  hatten  sich  beide  gegen  die  Ansprüche  Beitranejas 
zu  verteidigen.  König  Affonso  V.  von  Portugal  nahm  sie  als  seine 
Nichte  in  Schutz  und  verlobte  sich  mit  ihr.  Er  gewann  Ludwig  XI, 
für  ein  Bündnis  ;  in  Kastilien.  rührte  sich  eine  starke  Partei  zu  ihren 
Gunsten;  aber  der  Sieg  Ferdinands  über  die  Portugiesen  bei  Toro 
(1476)  entschied  den  Kampf  für  die  katholischen  Könige.  Die  Franzosen 
schlössen  (1478)  den  Frieden  von  St.  Jean  de  Luz,  und  ein  Jahr  später 
entsagte  auch  Affonso  in  dem  Vertrag  von  Alcantara  seinen  Ansprüchen 
auf  Kastilien.  Beltraneja  ging  in  ein  Kloster.  Die  jugendliche  Tochter 
Isabellas  und  Ferdinands  des  Katholischen,  Isabella  die  Jüngere,  wurde 
mit  Joäo,  dem  Sohne  des  portugiesischen  Thronfolgers,  verlobt.  Kurz 
zuvor  war  König  Juan  IL  von  Aragonien  aus  dem  Leben  geschieden ; 
die  Krone  dieses  Reiches  fiel  nun  gleichfalls  an  Ferdinand;  aber  die 
Vereinigung  der  beiden  gröfsten  Reiche  der  Pyrenäischen  Halbinsel  war 
eine  lose  und  rein  äufserliche ;  das  spanische  Nationalgefühl  äufserte  sich 
fast  nur  in  dem  Kampfe  gegen  Granada.  In  beiden  Reichen  wachten 
die  Stände  mit  Eifersucht  über  ihre  Sonderrechte.  Beide  bestanden  aus 
einer  Anzahl  von  Ländern,  von  denen  jedes  seine  eigenen  Freiheiten, 
Rechte  und  Privilegien  genofs,  die  bei  einzelnen  wie  z.  B.  bei  Kastilien 
noch  in  die  Zeiten  des  Unterganges  des  gotischen  Reiches  zurückgehen ; 
jünger   sind   die  Rechte    der  aragonischen  Provinzen;    hier  gab  es  aber 


702        Aufrichtung  einer  starken  Königsgewalt  in  Kastilien.     Die  Herrnandad. 

in  einzelnen  Landschaften,  wie  in  Katalonien  mit  seiner  Hauptstadt 
Barcelona,  eine  Menge  fast  republikanischer  Freiheiten,  die  sorgsam  ge- 
hütet wurden.  In  beiden  Staaten  war  sonach  die  Macht  des  Königtums 
stark  eingeschränkt.  Dazu  kam  in  Kastilien  der  Gegensatz  einzelner 
hochadeliger  Häuser,  wie  der  Guzman  und  Mendoza,  von  denen  das 
letztere  allein  eine  Heeresmacht  von  30000  Mann  aufzustellen  vermochte. 
Eine  nicht  geringere  Macht  hatten  die  geistlichen  Ritterorden;  der 
Grofsmeister  von  St.  Jago  genofs  ein  Ansehen  wie  ein  Souverän  und 
war  imstande,  eine  Armee  aus  Ordensmitteln  aufzustellen.  Es  war 
unter  diesen  Umständen  für  das  Königtum  schwer,  die  Aufgabe  zu 
lösen,  die  das  französische  Königtum  bereits  bewältigt  hatte,  das  englische 
zu  lösen  im  Begriffe  stand :  den  anarchischen  Zuständen  ein  Ende  zu 
machen,  die  sich  vornehmlich  in  Kastilien  ausgebildet  hatten.  Hiezu 
waren  Isabella  und  Ferdinand  wie  geschaffen:  bei  ihren  grofsen  organi- 
satorischen Talenten  gelang  es  ihnen,  die  Grundlagen  zu  einer  neuen 
staatlichen  Ordnung  zu  legen.  Gegen  die  Übermacht  des  Adels  fanden 
sie  eine  Stütze  an  den  Bürgerschaften.  Mit  ihrer  Hilfe  wurde  wie  in 
Frankreich  aber  auf  anderer  Grundlage  ein  stehendes  Heer  geschaffen, 
wobei  man  an  bestehende  Verhältnisse  anknüpfte.  Zum  Zwecke  der 
Sicherheit  der  Städte  und  ihrer  Umgebung  hatten  sich  seit  dem  Ende 
des  13.  Jahrhunderts  sog.  germanitates,  Brüderschaften,  gebildet,  die 
ihre  Aufgabe  bald  auch  in  der  Abwehr  aller  Übergriffe  des  Adels  und 
Klerus  suchten,  nicht  selten  aber  die  Interessen  des  Bürgertums  selbst 
gegen  die  Krone  verfochten.  Diese  Institution,  die  zuletzt  in  Verfall 
geraten  war,  wurde  durch  Isabella  neu  belebt.  Auf  den  Cortes  zu 
Madrigal  (1476)  wurde  bestimmt,  dafs  alle  Ortschaften  Kastiliens  den 
germanitates  beitreten  sollten.  Je  100  Bürger  hatten  einen  bewaffneten 
Reiter  zu  stellen.  So  wurde  eine  stehende  Truppe  von  2000  Berittenen 
und  einigen  Hundert  Fufssoldaten  geschaffen,  die  insgesamt  von  könig- 
lichen Offizieren  befehligt  wurden.  Ihre  Aufgabe  war  nun  eine  andere : 
sie  hatten  für  die  Sicherheit  der  Landstrafsen,  die  Beobachtung  der 
Gesetzesvorschriften  und  die  Vollstreckung  der  richterlichen  Urteile  zu 
sorgen.  Die  Verbindung  galt  als  ein  hl.  Institut  —  die  hl.  Herrnandad. 
Ihre  Wirksamkeit  war  eine  so  erfolgreiche,  dafs  sie  auch  in  Aragonien 
eingeführt  wurde.  Im  Zusammenhang  mit  dieser  polizeilichen  Einrichtung 
erfuhr  auch  das  Gerichtswesen  eine  zeitgemäfse  Umgestaltung.  An 
Stelle  der  zahllosen  Fueros,  Privilegien  und  Einzelbestimmungen  wurden 
die  acht  Bücher  der  Ordenanzas  Reales  geschaffen,  die  1485  der  Öffent- 
lichkeit übergeben  wurden  und  fortan  die  Grundlage  für  die  Recht- 
sprechung in  Kastilien  bildeten.  Die  Folgen  der  Anarchie  unter  der 
letzten  Regierung  wurden  nun  beseitigt :  Raubburgen  gebrochen,  Verbote 
erlassen,  ohne  Genehmigung  der  Regierung  Burgen  zu  bauen  oder 
private  Streitigkeiten  auf  dem  Wege  der  Selbsthilfe  zu  erledigen; 
wie  in  England  unter  Heinrich  VII.  wurde  den  Grofsen  untersagt,  ein 
bewaffnetes  Gefolge  zu  halten.  Nicht  minder  einschneidend  waren  die 
Verwaltungsmafsregeln  der  Königin:  an  die  Spitze  der  obersten  Ver- 
waltungsbehörden wurden  nicht  mehr  Leute  aus  dem  hohen  Klerus  und 


D.  König  Grofsmeister  d    Ritterorden.     Ximenes  u.  d.  span.  Kirche.  703 

dem  Adel,    sondern    rechtskundige    Personen    gestellt,    die   ihr  Amt  ge- 
wissenhaft verwalteten.      Da  der  übermäfsige  Reichtum   der  Ritterorden 
und  die  ihnen  zur  Verfügung  stehende  Streitmacht  keine  geringe  Gefahr 
für  das  Königtum  in  sich  barg,  verschaffte  Isabella  ihrem  Gemahl  1487 
die  Grofsmeisterwürde  von  Calatrava,  1494  von  Alcantara  und  1497  von 
St.  Jago.     In  Zukunft    —    Papst  Hadrian  VI.  traf  hierüber  eine  eigene 
Anordnung  —  galt  die  Grofsmeisterwürde  als  Eigentum  der  Krone.     Sie 
erhielt  damit  die  Verfügung  über  ein  wohlgeordnetes  Heer.    Schon  in  den 
ersten  Jahren    des    neuen    Regiments    wurden    die  Besitztitel   des  Adels 
einer  sorgsamen  Revision  unterworfen  und  alles  der  Krone  auf  unrechte 
Weise    entfremdete    Gut    zurückgenommen.      Doch    ging    die    Königin 
hiebei    mit    weiser    Schonung    vor    und  nicht  ohne  dem  Adel  für  seine 
Verluste    Entschädigungen    in    der    Form    von  Ehren    und    Würden    zu 
geben.     Aufser  den  germanitates    wurde  noch  eine  zweite  Institution,  die 
im  Lande    lange    schon    bestand,  zu  einem  Werkzeug  in  der  Hand  des 
Königtums  umgeschaffen:  die  Inquisition.     Ihre  Umgestaltung  hängt 
mit  der  Kirchenpolitik  Isabellas  eng  zusammen.    Der  Verfall  der  Kirchen- 
zucht trat  auch  in  Spanien  deutlich  zutage.      Nicht   viel  weniger  als  in 
Italien  hatten  sich  auch  hier  die  obersten  und  gebildeten  Schichten  des 
Volkes  vom  offiziellen  Kirchentum  abgewendet,  während  die  grofse  Masse 
in  Unwissenheit  und  Aberglaube  versunken  war.    Hier  setzte  das  Wirken 
der    Königin    ein;     was    in    andern   Ländern    nicht    gelungen    war,    in 
Spanien    wurde    eine    Kirchenreformation    durchgeführt,    nicht    wie    die 
Deutschlands  im  16.  Jahrhundert,  wohl  aber  eine  solche,  an  welche  die 
sog.    katholische     Reformation     in     der     zweiten    Hälfte    des    16.   Jahr- 
hunderts   anzuknüpfen   vermochte.      Unter    den    Beratern    der   Königin 
läfst  sich  keiner  mit  dem  Kardinal  Ximenes   vergleichen.     Aus  einem 
verarmten  Adelsgeschlecht  entsprossen,  in  Salamanka  und  Rom  gebildet, 
dankte    er    dem    »grofsen    Kardinal«    Mendoza    sein    rasches   Vorwärts- 
kommen.    Ein  hohes  Kirchenamt  war  ihm  zugedacht.     Ihn  zog  es  aber 
in    die    Stille    eines    Franziskanerklosters.      Auf  Mendozas  Rat    ward  er 
Beichtvater  der  Königin,    und    als  solcher    früh  schon  ihr  Berater  auch 
in    politischen    Dingen.      Nach   Mendozas   Tode    wurde  er  dessen  Nach- 
folger.      So     wenig     geizte     er     aber    nach    dem    ersten    Erzstuhle    in 
Spanien,    dafs    erst    ein    Befehl    des  Papstes    ihn  zur  Annahme    bewog. 
Ximenes  war  der  Mann,  mit  dessen  Hilfe  die  Königin  die  Kirchenrefor- 
mation durchsetzte.     Jene  Grundsätze,  die  er  sich  selbst  zur  Richtschnur 
seines    Lebens    aufgestellt    hatte,    galten  nunmehr  als  Norm  für  die  Er- 
ziehung   und    Lebensführung    des    Klerus.       Er    stellte    die    verfallene 
mönchische  Zucht  her,  visitierte  die  Klöster  und  reinigte  ihre  Konvente. 
Weltlich    gesinnte    Geistliche    wurden    entfernt    und    niemand,    der  sich 
nicht    durch    einen    streng    kirchlichen    Lebenswandel    auszeichnete,    zu 
einer    geistlichen  Würde    befördert.      Die   neuen   Bischöfe   waren  insge- 
samt Männer    von    streng    moralischem   Charakter   und  hoher  Bildung; 
denn  auch  auf  die  theologische  Ausbildung  des    Klerus   wurde    Gewicht 
gelegt.      Eifriger    als    in    andern  Ländern   wurde    an    den  Universitäten 
Spaniens    das    theologische    Studium    betrieben,    die    alten  Hochschulen 


704  Die  Kirchenpolitik  d.  kath.  Könige.     Die  Inquisition. 

reformiert  und  neue  errichtet,  auf  denen  der  Theologie  der  erste  Platz 
eingeräumt  war.  Auch  die  Askese  feierte  in  diesem  Lande  ihre  Auf- 
erstehung. Der  spanische  Klerus  überragte  schon  nach  einem  Menschen- 
alter jeden  andern  an  Würdigkeit  und  Bildung.  Dafs  unter  diesen 
Umständen  in  Spanieu  für  eine  Reformation  im  Sinne  Luthers  nicht 
Platz  war,  liegt  auf  der  Hand.  Die  kirchliche  Visitation  und  das  könig- 
liche Ernennungsrecht  der  kirchlichen  Würdenträger  waren  die  Mittel, 
die  den  neuen  Zustand  begründen  halfen.  Denn  so  fromm  die  Königin 
auch  war,  von  dem  Rechte  des  Königtnms  auf  die  Besetzung  der  Bis- 
tümer hätte  sie  kein  Titelchen  preisgegeben.  In  Aragonien  waren  die 
geistlichen  Privilegien  schon  im  vierzehnten  Jahrhundert  stark  einge- 
schränkt worden ;  dort  wurde  die  Mitwirkung  der  Krone  bei  der  Besetz- 
ung der  Bistümer  als  Recht  der  Krone  gefordert  und  der  weltliche  Be- 
sitz der  Kirche  besteuert.  Hier  setzten  die  Könige  ein.  Im  Jahre  1481 
forderten  sie  vom  Papste  einen  förmlichen  Verzicht  auf  alle  Eingriffe  in 
die  spanischen  Angelegenheiten.  Sie  selbst  wollten  ihrem  eigenen  Er- 
messen nach  die  obersten  Kirchenämter  besetzen.  Als  Ferdinand  das 
Konkordat  von  1482  abschlofs,  erhielt  er  die  Besetzung  aller  höheren 
Stellen  zugestanden.  Die  päpstlichen  Erlässe  wurden  dem  königlichen 
Placet  unterworfen.  Die  Kirche  hatte  ihre  Steuern  zu  zahlen.  In 
Spanien  wurde  sonach  die  Krone  die  Trägerin  der  Kirchenreformation. 
Sie  wachte  hier  auch  über  die  Reinheit  der  Lehre.  Das  alte  Institut 
der  Inquisition  wurde  jetzt  neu  belebt.  Es  war  die  Behörde,  die  darauf 
zu  achten  hatte,  dafs  die  zum  Christentum  übergetretenen  Juden  und 
Mauren  sich  in  Leben  und  Lehre  als  Christen  erweisen.  Jeder  Zweifel 
sollte  angezeigt,  erwiesene  Ketzer  dem  weltlichen  Arme  zur  Bestrafung 
übergeben  werden.  Die  Krone  erhielt  vom  Papste  das  Recht,  die  In- 
quisitoren selbst  zu  erwählen.  Am  2.  Januar  1481  begannen  die  ersten 
drei  Inquisitoren  des  für  Sevilla  bestimmten  Tribunals  ihre  blutige 
Arbeit.  Der  eigentliche  Organisator  des  Ketzergerichts  war  Thomas 
von  Torquemada,  der  1483  ernannt  wurde  und  im  folgenden  Jahre  seine 
ProzefsordnuDg  erliefs.  Die  Zahl  seiner  Opfer  wird  für  die  Zeit  von 
1481 — 1498  auf  2000  berechnet.1)  Nach  erlittenen  Folterqualen,  die  den 
Opfern  Geständnisse  abprefsten,  wie  sie  den  Wünschen  und  Zwecken 
der  Richter  entsprachen  ,  wurden  die  Schuldigbefundenen  bei  sog. 
Glaubensakten  (actus  fidei,  Auto  da  Fe)  verbrannt.  Die  Güter  der  Hin- 
gerichteten fielen  dem  Fiskus  zu.  Aufser  in  Sevilla  wurden  in  Saragossa 
und  Valencia  Tribunale  errichtet.  Sie  waren  von  der  Kurie  durchaus 
unabhängig.  1490  wurde  die  Inquisition  in  Mallorka,  1492  in  Sardinien 
und  1503  in  Sizilien  eingeführt.  Die  Zahl  der  obersten  Gerichtshöfe 
stieg  allmählich  auf  13.  Wenn  es  Anfangs  auch  infolge  der  Auto  da 
Fe's  zu  wiederholten  Volksbewegungen  kam :  das  auf  die  Reinheit  seiner 
Lehre  stolze  Volk  gewöhnte  sich  bald  an  die  grauenvollen  Szenen,  und 
die  Inquisition  wurde  um  so  populärer,  je  kräftiger  sie  gegen  Juden  und 

x)  So  nach  Maurenbrecher.  Bei  Diercks  findet  sich,  dafs  in  dieser  Zeit  10  220 
Menschen  tatsächlich,  6860  im  Bilde  verbrannt  und  97  321  Personen  zu  andern  Strafen 
verurteilt  wurden. 


Die  letzten  Zeiten  des  Reiches  von  Granada.  705 

Mauren,  im  16.  Jahrhundert  auch  gegen  Protestanten  einschritt.  Für 
ihre  Verdienste  erhielten  Ferdinand  und  Isabella  von  Alexander  VI. 
den  Titel  der  katholischen  Könige.  So  durchgreifend  wie  Isabella  in 
Kastilien,  konnte  Ferdinand  in  Aragonien  nicht  verfahren ;  dort  ward 
er  überall  durch  die  Stände  gehindert.  Man  sagt,  Isabella  habe  einen 
Aufstand  in  Aragonien  gewünscht,  um  dann  mit  dem  ständischen 
Wesen  aufzuräumen.     Dazu  ist  es  erst  unter  Philipp   IL  gekommen. 

2.  Die  Kämpfe  der  christlichen  Staaten  auf  der  pyrenäischen 
Halbinsel  gegeneinander,  ihre  Kriege  gegen  die  englischen  und  franzö- 
sischen Nachbarn,  die  Kämpfe  um  die  Herrschaft  in  Sizilien,  am  meisten 
die  inneren  Wirren,  von  denen  sie  heimgesucht  waren,  bewirkten,  dafs 
das  kleine  Reich  der  Nasriden  in  Granada  -  -  es  hatte  kaum  die  Gröfse 
des  Königreiches  Württemberg  —  noch  durch  volle  250  Jahre  weiter 
bestand.  Noch  einige  andere  Momente  kamen  hinzu,  die  seinen  Fort- 
bestand sicherten:  zunächst  die  treffliche  Lage  des  Landes,  als  einer 
natürlichen  Festung,  die  eine  wirksame  Verteidigung  auch  gegen  über- 
legene Kräfte  gestattete.  Dann  war  das  Reich  die  Zufluchtstätte  der 
von  den  christlichen  Herrschern  der  benachbarten  Länder  verfolgten 
Muslemen  geworden,  und  eben  die  tüchtigsten  Volkselemente  hatten 
sich  dorthin  geflüchtet.  Das  meiste  tat  aber  die  ausgezeichnete  Politik 
der  Nasriden,  die  mit  seltenem  Geschick  alle  die  Vorteile  ausbeuteten, 
die  ihnen  die  Uneinigkeit  der  benachbarten  christlichen  Staaten  oder 
der  glaubensverwandten  Meriniden  in  Afrika  an  die  Hand  gab.  Sie 
bekämpften  diese  Reiche  oder  verbanden  sich  mit  ihnen  je  nach  der 
Lage  der  Dinge  und  erhielten  sich  zwischen  beiden  als  ausschlaggebende 
Kräfte.  Diese  Politik,  die  schon  der  Gründer  der  Dynastie,  Mohammed  I. 
Ibn  Achmed  (1232 — 1272),  befolgte,  wurde  von  den  folgenden  Emiren 
genau  beachtet.  Er  gab  ihnen  auch  die  Richtschnur  für  ihr  Verhalten 
in  Bezug  auf  die  Verwaltung  und  Hebung  des  Landes x) :  da  wurde 
durch  die  Anlage  von  Hafenbauten,  durch  Förderung  des  Schiffbaues 
und  Herstellung  von  ßefestigungswerken  an  den  bedeutenderen  Küsten- 
plätzen der  Seeverkehr  gehoben,  gute  Landstrafsen  angelegt  und  Kanäle 
gebaut,  Krankenhäuser  errichtet,  Volksschulen  und  höhere  Bildungs- 
anstalten gegründet.  Granada  wurde  stark  befestigt  und  in  den  Tagen 
Jussufs  I.  (1333 — 1354)  der  Wunderbau  der  Alhambra  begonnen.  Die 
meisten  Nasriden2)  waren  Förderer  der  Wissenschaften  und  Künste;  an 
Jussufs  Hofe,  dem  Sammelplatz  der  hervorragendsten  Gelehrten,  Dichter, 
Musiker  und  Architekten,  lebte  als  Sekretär,  dann  als  Grofsvezier  Ibn- 
el-Chatib,  am  Hofe  seines  Sohnes  Mohammed  V.  Ibn  Chaldoun, 
beide  hervorragende,  der  letztere  der  bedeutendste  arabische  Geschicht- 
schreiber dieser  Periode.  Die  Regierung  Mohammeds  V.  (1354 — 1359 
und  1362 — 1391)  bedeutet  überhaupt  den  Höhepunkt  der  Kultur  ent- 
wicklung  Granadas,    die   sich  um  so  unbehinderter  entfalten  konnte,    je 

*)  Diercks,  Gesch.  Spaniens  II,  3. 

2)  Ihre  Aufeinanderfolge  von  Mohammed  I.  bis  Mohammed  XI.  u.  XII.  s.  in 
A.  Müller,  Der  Islam,  S.  664 — 65,  ihre  Gesch.  aufser  in  den  obengenannten  Büchern 
im  Umrifs  auch  bei  Diercks  II,  1 — 29. 

Loser th,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters.  45 


706  Der  Niedergang  u.  Fall  von  Granada  u.  seine  Folgen. 

eifriger  die  christlichen  Mächte  daran  gingen,  sich  gegenseitig  zu  be- 
kämpfen. Erst  seit  die  Vereinigung  Kastiliens  und  Aragoniens  erfolgt 
war,  waren  die  Tage  der  Nasriden  gezählt,  deren  Erbfehler,  Zwietracht 
und  Grausamkeit,  in  ihren  letzten  Zeiten  am  meisten  an  den  Tag  traten. 
Schon  der  verschwenderische  Hofhalt  des  Emirs  Abu  Nassr  Ssa'ad 
und  die  neuen  Steuern,  die  er  seinen  Untertanen  auflegte,  hatten  auf- 
ständische Bewegungen  erregt,  und  als  er,  in  der  Meinung,  seine  Herr- 
schaft zu  befestigen,  Seid  Jussuf,  das  Haupt  der  mächtigen  Familie  der 
Beni  Serrach,  der  Abenceragen,  töten  liefs,  verlor  er  das  Reich  an 
seinen  Sohn  Abu  l'Hassan  (1462 — 1482).  Der  Zwist  zwischen  den 
Parteien  der  Abenceragen  und  Zegris,  Grausamkeit  und  Schwäche  des 
Emirs  erleichterten  den  katholischen  Königen  die  Erfüllung  ihrer  Wünsche. 
Der  Emir  hatte  neben  seiner  rechtmäfsigen  Gattin  Aischa  eine  Christin, 
Isabel,  zur  Favoritin  und  Königin  erhoben;  als  solche  führte  sie  den 
Namen  Zoraiya.  Aischa  fürchtete  für  die  Kachfolge  ihrer  Söhne  Abu 
Abdallah  (Boabdil)  und  Jussuf;  auf  ihrer  Seite  standen  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  die  Zegris,  auf  Seiten  Zoraiyas  die  Abenceragen. 
Mitten  unter  diesen  Parteiungen  kam  es  1481  zum  Kriege  zwischen 
Kastilien  und  Granada;  während  Abu  l'Hassan  im  Felde  stand,  entflohen 
Boabdil  und  Jussuf  aus  der  Alhambra  und  Boabdil  liefs  sich  zum 
Emir  ausrufen.  Zum  auswärtigen  kam  sonach  noch  ein  Bürgerkrieg 
hinzu.  Boabdil,  bei  Lucena  geschlagen  und  gefangen,  wurde  ein  Werk- 
zeug in  der  Hand  Ferdinands  des  Katholischen;  indem  ihm  dieser  die 
Freiheit  wieder  gab  und  einen  Waffenstillstand  auf  zwei  Jahre  gewährte, 
mufste  er  eine  bedeutende  Kriegsentschädigung  zahlen,  sich  zu  einem 
jährlichen  Tribut  und  zur  Teilnahme  am  Kampfe  gegen  den  eigenen 
Vater  verpflichten.  Doch  war  der  Kampf  damit  noch  nicht  zu  Ende. 
Als  Abu  ['Hassan  1485  starb,  übernahm  sein  Bruder  Es  Sagall,  »der 
Recke«,  die  Regierung.  Der  Kampf  zog  sich  noch  mehrere  Jahre 
fort,  allmählich  wurde  der  ganze  Westen,  dann  auch  der  Osten  des 
Reiches  von  den  Christen  erobert.  Nur  Granada  stand  noch  auf- 
recht. Auch  dieses  wurde  1491  von  ihnen  umlagert.  Am  18.  Juni 
erschien  die  Königin  Isabella  selbst  bei  den  Belagerern,  um  ihre 
Kampfeslust  anzufeuern.  Ein  festes  Lager,  eine  vollständige  Stadt 
—  sie  erhielt  den  Namen  Santa  Fe,  heiliger  Glaube,  —  wurde  erbaut. 
Zu  Ende  des  Jahres  waren  die  Kräfte  der  Verteidiger  erschöpft,  Am 
2.  Januar  1492  hielten  die  Christen  ihren  Einzug;  auf  der  Alhambra 
wurde  das  silberne  Kreuz  aufgerichtet  und  das  Königsbanner  von 
St.  Jago  entfaltet.  Den  Muslimen  war  in  der  Kapitulation  Sicherheit 
des  Lebens  und  Besitzes  und  Freiheit  des  Kultus  zugesichert.  Dem 
Emir  Boabdil  wurde  der  Flecken  Andarax  als  Lehensgut  zugewiesen. 
Von  dort  ging  er  in  Folge  der  Intrigen  der  Christen,  die  nicht  daran 
dachten,  die  Kapitulationsbedingungen  zu  halten,  schon  1493  nach  Fez. 
Im  Dienste  seines  Herrn  fand  er  den  Tod  in  der  Feldschlacht.  Mit 
dem  Falle  Granadas  endete  die  Herrschaft  des  Islam  in  Spanien  für 
immer.  In  Rom  und  der  ganzen  abendländischen  Christenheit  wurde 
die  Eroberung    der  Stadt    als    grofser  Sieg    des  Glaubens  gefeiert.     Der 


Spanien  als  Grofsmacht  und  seine  wirthschaftliche  Blüte.  707 

Krieg  gegen  die  Mauren  hatte  für  Spanien  noch  insofern  bedeutsame 
Folgen,  als  in  dieser  Zeit  jenes  treffliche  Heerwesen  geschaffen  wurde, 
das  den  Spaniern  ihre  grofse  Überlegenheit  über  die  benachbarten 
Völker  verschaffte.  Im  Zusammenhang  mit  der  Eroberung  Granadas 
steht  die  grofse  Judenverfolgung  und  das  Gebot,  dafs  alle  Juden  bis 
Ende  Juli  das  Königreich  verlassen  müfsten.  An  160000  Menschen 
wurden  so  aus  ihrer  Heimat  gejagt.  In  der  Freude  ihres  Sieges  be- 
willigte die  Königin  Isabella  das  Unternehmen  des  Kolumbus,  das  ihr  eine 
neue  Welt  gewann.  Der  Aufschwung  des  spanischen  Staatswesens  unter 
der  Regierung  der  katholischen  Könige  war  ein  aufserordentlicher.  Die 
niederen  Stände,  besonders  die  Bauernschaften,  erfreuten  sich  in  Spanien 
eines  Schutzes  wie  sonst  nirgends  in  Europa.  Die  Bodenkultur  stand 
nirgends  so  hoch  wie  dort,  die  Gewerbe  wurden  eifrig  gepflegt,  besonders 
die  spanischen  Webereien  waren  weithin  berühmt.  Eine  Menge  von 
Luxusgegenständen  wurde  nach  allen  Staaten  aus  Spanien  ausgeführt. 
Das  ganze  Volk  war  durch  die  fortwährenden  kriegerischen  Unternehmungen 
zu  weiteren  Kämpfen  trefflich  gerüstet,  und  so  wurde  Spanien  am  Beginn 
der  Neuzeit  in  die  Lage  versetzt,  in  die  grofsen  europäischen  Fragen, 
welche  die  Welt  bewegten,  in  entscheidender  Weise  einzugreifen. 


45 : 


Register. 


Ausgeschlossen    sind   alle  Personen-,   Orts-  und  sonstige  Namen,    die   im  Texte    nur    zufällig   erwähnt 

werden.    Ländernamen   sind   in   der  Regel    unter   den   betreffenden  Regenten   zu   suchen.    Ortsnamen 

w  erden  angemerkt,  wenn  sich  bedeutsame  Ereignisse  an  sie  knüpfen.  S  =  Sohn,  T  =  Tochter,  Br  =  Bruder, 

Schw  =  Schwester,  G  =  Gemahl,  Gemahlin,  K  =  Kaiser,  Kg  =  König,  F  =  Fürst,  H  —  Herzog. 


A. 

Aachen,  8.  d.  Krönung  deut- 
scher Könige. 

Abbeville,  Friede  von  156. 

Abdallah,  Enkel  Timurs  598. 

Abd-el  Latif  598. 

Abel,  Kg.  von  Dan.  360. 

Abenceragen  d.  =  Beni 
Serrach  706. 

Ablafsstreit  in  Prag  460. 

Abu  Abdallah  706. 

—  1' Hassan  706. 

—  Nassr  Ssa'ad  706. 
Acciajuoli  Franko  605. 
Acerra,  Gr.  v.  144. 
Achaja,  Herzogt.  167  ff. 
Achmed,  Br.  Mohammeds  IL 

602. 
Achmed  Ibn  Oweis  v.  Bagd. 

596. 
Act  of  Provision  344. 
Adalbert  der  Hl.  133. 
Adelasia  v.  Sard.  105. 
Adil  83. 
Adolf,  Kg.  194  ff.,  222. 

—  v.  Berg  192. 

—  Erzb.  v.  Köln   28,  30  f. 

—  Erzb.  v.  Mainz  418,  428. 

—  HI.  v.  Holstein  31,   60. 

—  v.  Schles.-Holst.  565  f. 
Adria,  Königreich  405. 
Adrianopel,  Schlacht  bei  73. 
Ägidius  v.  Colonna  225,  227. 
Agnes  v.  Babenberg  190. 

—  v.  Brandenburg  ,    G. 
Waidemars  297. 

-  T.  Ottokars  I.  88,  100. 

-  T.  Ottokars  H.  187. 

-  T.  AVenzels  H.  196. 

-  v.  Meran  47. 

—  Sorel  561. 

Ägypten  69,    72,    81,    83  f., 
144,  152  ff. 


Ulli,  Pierre  d"  411  f.,  445  f., 
454  f.,  465  f.,  472  f.,  641. 
Aischa  706. 

Aix,  Vertrag  v.  143,  156. 
Akkon,  Fall  v.  135,  174. 
Alaeddin  HI.  587. 

—  v.  Ikonium  587. 

—  Br.TTrchans  610. 
Alarcos,  Schlacht  bei  55. 

S.  Albans,  Schlacht  bei  686. 
Alberich  da  Romano  101, 106. 
Albert  v.  Görz  146,  184. 
Albert,  Domherr  zu  Bremen 

60  f. 
Alberti  626  f. 
Albigenser  11  f.,  19  f.,  49  ff., 

89.  150. 
Albigenserkrieg  48  ff. 
Albizzi,  che  630  f. 
Albornoz,  Kardinal  312,  315, 

321,  378. 
Albrecht  L,  Kg.,  H.  v.  Ost. 

1901,  193  f.,   196  ff.,   222, 

224,  228,  249,  365. 

-  Albrecht  II.  (s.  A.  V.  v. 
Ost.)  510  ff.  516  ff.  525.  649. 

-  K.  v.  Schw.  364,  564  f., 
v.  Anhalt  297. 

L,  H.  v.  Bayern  429. 

-  IH.,  H.  v.  Bavern  519. 

-  IV.,  H.  v.  Bayern  669. 

—  d.  Bär,    Markgr.    v.    Br. 
133. 

-  Achilles   645,   647,  652, 
662. 

—  v.  Görz,  s.  Albert 

—  v.  Habsburg,   Vater    K. 
Rudolfs  I.  181. 

—  v.  Mecklenburg  297. 

—  v.  M.,  s.  K.  v.  Schweden. 

—  v.  Orlamünde  62. 

-  H.,   H.    v.    Österr.    257, 
273,  296,  299. 


Albrecht  IH.  v.  österr.  426, 
428,  432  f. 

-  IV.  v.  Österr.  441  f. 

-  V.    v.  Österr.    481,    491 
493.  495. 

-  VI.  v.  Österr.  518,  552, 
647,  649,  652,  654  ff.,  659. 

-  H.  v.  Sachsen  323. 

-  H.  v.  Sachsen  664,  668. 

—  d.  Entartete    von  Thür. 
148,  193,  195  f. 

Albret,  die  Farn.  676. 
Albuquerque,  Min.  Pedr.  d. 

Graus.  349  f. 
Aleneon,  Farn.  676. 

-  Joh.  IL  676,  678,  680. 

-  Rene  680. 
Alexander  H.  (Papst)  54. 

-  IH.  9,  14,  54. 

-  IV.  127,  141  f.  158. 

-  V.  446  ff.  453  ff.  459. 
VI.  634,  637. 

-  IH.  v.  Schottland  211. 
Alexander  Newski  576. 

—  v.  Twer  577. 

—  Beisarabe  373. 
Alexios  III.  69  ff. 

—  IV.  69  f. 

—  V.  70  f. 

-  Komm,  K.  v.  Trap.  71. 

—  H.  v.  Trap.  588. 

-  v.Trap.,NeffeDavids  606. 

—  Strategopulos  167. 
Alfonso  HI.  von  Aragonien 

206,  353  f. 

—  IV.  v.  Aragonien  355. 

—  V.    (v.    Neapel  L;    526, 
637  ff.,  698  f.,  700. 

-  IL  v.  Neapel  638. 
VIII.  v.  Kastilien    55  f. 

—  IX.  v.  Kastilien  56. 

—  X.  128  ff.,  141,  147,  157, 
179,  182  f.,  219,  347  f. 


710 


Register 


Alfons  XI.  349,  358. 

—  (Affonso^  I.   v.  Port.  54. 

—  II.  v.  P.  57. 

—  in.  v.  P.  57,  348. 

—  IV.  v.  P.  350,  357  f. 

—  V.,  d.  Afrikaner  696, 
701. 

—  v.  Poitiers  151,  156,  173, 
219. 

Alfonso  de  Borja  500. 

—  de  la  Cerda  219,   348  f. 

—  Inf.  v.  Käst.  357. 

—  Inf.  v.  Käst,  699. 

—  Sohn  Pedro  d.Graus.  351. 
AH  Pascha  601. 

Alice  v.  Cypern  152  f. 

—  Perreis,  Maitr.  Ed.  HI. 
393. 

Aljubarotta,   Schlacht   bei 

694,  697. 
Almazan,  Frieden  356. 
Almohaden  55  f. 
Almoraviden  55. 
Alvaro  Perez  de  Castro  120. 
Amadeus  v.  Savoyen  t 1253) 

117  ff.,  120  ff.  * 

—  v.  S.  Reichsv.  v.  Arelat 
(1365)  321. 

—  Amadeus  v.  Savoyen 
(Schwiegerv.  Filippo  Mar. 
Viscontis)  639. 

Amalrich,   K.    v.   Jerusaleni 
68,  71  f.,  152. 

—  v.  Toulouse  52. 

—  II.  v.  Xarbonne  224. 
Amselfeld,  1. Schlacht  am  591. 

—  2.  Schlacht  am  601. 
Anagni,    das    Attentat    von 

228  ff. 
Ancorano,  Pietro  447. 
Andreas  II.,  K.  v.  Eng.  83. 

—  m.,   K.  v.  U.  193,  201. 

—  v.  Kalabrien,  Br.  Ludw. 
v.  Ung.  313,  372. 

—  S.  Thom.  Paläol.  605. 

—  v.  Brod  456,  461. 
Andrej  v.  AVladimir  576. 
Andronikos,  K.  II.  586. 

-  in.  588. 

—  IV.  590  f. 
Fra  Angelo  311. 
Angora,  Schlacht  bei  597. 
An j ou,  Haus  in  Frankreich 

189,  201  ff.,  676. 

—  Johann  v.  678. 

—  Rene  681. 

—  s.  Karl  v.  A. 


Anna,    2.    G.    K.   Karls   IV. 
298  f. 

—  3.  G.  K.  Karls  IV.   299, 
316. 

—  G.  d.  K.  Vatatzes   166. 

—  G.  Richards  H.   419, 
458,  534,  536. 

—  (Aldona)   von   Lit.    368, 
370,  372. 

—  G.  Kg.  Heinrichs    v. 
Böhmen  201. 

—  v.  Beaujeu  664,  682  f. 

—  v.  Bedford  561. 

—  v.  Bretagne  664  f.,  682  f. 

—  v.  Cilli  682. 
Anseimus,  S.  Kg.  Manfreds 

144. 
Anton  v.  Burgund  444. 
Apokaukos  588. 
Apostoliker  388. 
Arelat  121,  189,  320. 
Aretino  s.  Lionardo  Bruni 
Armagnac,  Haus  676. 

—  Bernh.  547  f.,  551. 

—  Joh.  678,  681. 
Armagnaken,  die  524. 
Arme  v.  Lyon,  s.  Waldesier. 
Armenien  10,  174. 
Arnest    v.     Pardubitz     300, 

301. 
Arnold  v.  Brescia  4,  13,  618. 

—  v.  Citeaux  50. 

—  v.  Winkelried  428. 
Arpaden,  Aussterben  d.  201, 
Arsenius,  Patriarch  166. 
Artevelde,  Jak.  330,  332. 

—  Phil.  534,  543  f. 
Artur  v.  Bretagne  38,  46. 

—  S.  Heinrichs    VH.    von 
England  692. 

Arundel,  Graf  537. 
Asan,  Bulgarenf.  74,  165. 
Assassinen,  Unterg.  d.    170. 
Assisi,  s.  Franz  v. 
Aston,  Kardinal  408. 
Auray,  Schlacht  bei  341. 
Aurispa  632. 
Ausculta  tili  226. 
Aufsig,  Schlacht  bei  495. 
Avignon,  d.  Papst  in  233  ff., 

236  ff.,  269,  305. 
Axel  v.  Dänemark  60. 

—  Prinz  v.  Dänemark  107. 
Avmer   de   Villiers  -  le  -  Duc 

242. 
Azincourt,  Schlacht  bei  550. 
Azzo  v.  Este  106. 


B. 

Babur,  Grofsmogul  598. 
Bagdad,  Fall  v.  170. 

—  Erober.  d.  Timur  597. 
Baglar,  die  64  f. 

Bajesid  591  ff.,  596  ff.,  610. 
Baldewin,    Erzb.    von    Trier 

247  ff.,  257,  289  f. 
Balduin    v.    Fland.,    latein. 

K.  68,  70  f.,  73. 

—  H.  74,  142,  165,  580. 
Baldus  v.  Perugia  405. 
Baliam  v.  Sidon  93. 
Baliol,  John  212. 

—  Eduard  329,  336. 
Ball,  John  533. 
Bannockburn,  Schi.  b.  215. 
Barbara  v.  Cilli,    G.  K.  Sig- 
munds 450,  511. 

Barnet,  Schlacht  bei  688. 
Barnim  v.  Pommern  297. 
Bartolomeo  v.  Saliceto   405. 

—  Prignano    s.  Urban  VI. 
Basel,  Konzil  498,  501,  513. 
Batu  110  f.,  575. 
Baudiicourt,  Hauptm.  557. 
Bauernaufst.  v.  1381,  532  ff. 
Baumkircher  Andr.  659. 
Beatrice  Facino  638  f. 
Beatrix,  G.  Ottos  IV.  32,  35. 

—  G.  Manfreds  142. 

—  G.  Juans  v.  Käst.  697. 

—  v.  [Schwaben,  Kgin.  v. 
Käst.  56. 

—  T.  Alf.  X.  348. 

—  T.  Ferd.  v.  Port.  359, 
693. 

—  T.  Heinr.  Vit  255. 

—  T.  Manfreds  205. 

—  T.  Pereiras  695. 
Beccadelli  624. 
Beckenslaher,  Erzb.  v.  Gran 

660. 
Bedford,  H.  v.  551  ff.,  554  ff., 

561. 
Begarden  u.  Beginen  3SS. 
Behaim,  Alb.  v.  106, 107,  HS. 
Bela  IV.,  Kg.  v.  Ung.  111  f., 

137  f.,  193. 
Belgrad,  Sieg  Hunyadys  6Ü<  >. 
Ben  Abed  81. 
Benedikt  XL  233  ff. 

—  XH.   280  ff.,  287,  330  f. 

—  Benedikt  XIH.  413  ff., 
445  ff.,  453  ff.,  466  ff., 
470  f.,  546. 

Benevent,  Schlacht  b.  144  f. 


Register 


711 


Beni  Serrach  706. 

Benu  l'Aclmicr  57. 
Benvenuto  v.  Imola  232. 
Berengaria  v.  Kastilien  56. 
Bern,  Anschluß  a.  d;  3  Orte 

305. 
Bernardo  de  Cabrera  356. 
Bernardone  Pietro  17  f. 
Bernhard,  Markgr.  V.  Baden 

443. 

-  H.  v.  Sachsen  28  f. 
Berrv,    H.   Johann    v.    543, 

545  f. 
Bertold    v.    St.  Gallen    145. 

—  v.  Henneberg  272. 

—  667. 

—  V.  Hohenburg  140. 

—  H.  v.  Zähringen  28  f. 
Bertrand,  Kardinallegat  311. 
Bettelmönche  10,  15  ff.,  20  f. 
Bibars  152,  154,  170  f. 
Bingen,  Kurverein  493  f. 
Birger  Jarl  67,  362. 
Birger,  Kg.  v.  Schwed.  362. 
Birkenbeine  63,  65. 
Bisticci,  Yesp.  624. 
Blanka,     G.    Ludwigs    VIII. 

143,  150,  153,  155  f. 

-  G.  Pedro  d.  Graus.  350  f. 
358. 

—  Gem.  Fern,  de  la  Gerda 
348. 

—  v.  Navarra  699  f. 

—  G.  Ludwigs  v.  d.  Pf.  442  f. 
Boabdil,  s.  Abu  Abdallah 
Boccaccio  621  ff. 
Bogdan,  F.  d.  Moldau  373. 
Bogislaw,  Pornmernh.  60. 
Bogomilen  12. 
Bohemund  v.  Trip.  72,  83. 

—  VI.  171. 

-  VH.  174. 

Böhmen,  Grofsmacht  136  ff. 

—  Ausg.  d.  nat.  Dyn.  199  ff. 

—  d.  Haus  Luxemburg  in 
249  ff. 

Bohuslaw,  Domdech.  432. 
Boleslaw  IH.  v.  Polen    200. 
Bolko  v.  Schweidnitz  299  f. 
Bonagratia  v.  Bergamo  277, 

285. 
Bonacossi    Passarini     von 

Mantua  273. 
Bonde,  das  Haus  66  f. 
Bonifaz    VIII.    196,     198  f., 

201  f. ,207  ff. ,212  ff. ,221  ff., 

234  f.,  240  ff.,  243. 


Bonifaz  IX.,  408  ff  ,  413,  435, 
438,  440,  442,  444,  592. 

-  v.  Montferrat  69  ff.,  73. 

—  Erzb.  v.  Canterburv  160. 
S.  Bonifacio,  Graf  v.  105. 
Boresch  v.  Miletin  506,  510. 
Borgia  (Borja),  d.  Haus  500. 

—  Alfonso,  s.  Kalixtus  III. 

—  Caesar  637. 

—  Kodrigo,  s.  Alex.  VI. 
Börnheved,  Schlacht  bei  62. 
Bourbon,  Haus  676. 

-  H.  v.  561. 

—  Ludwig  v.  543,  550. 

-  Peter  v.  678,  681. 
Bouvines,  Schlacht  b.  36  f., 

41,  48. 
Braccio  di  Montone  500,  637. 
Braganza,  Affonso  695. 
Brambre,  Ritter  536. 
Brandenburg,  Ausg.  d.  Ask. 

Hauses  278. 
Branko witsch  Georg  604. 
Braunschweig,  Luther  v.  168. 

—  -Lüneb.  im  15.  Jh.  641. 

—  Herzogtum  103. 
Bretagne,  H.  v.  676. 

—  Franz  v.  664,  678,  681  f. 

—  Gui  v.  332. 
Bretigny,  Frieden  v.  339  f. 
Brienne,  das  Haus  168. 

—  Walter  v.  354. 
Brigitta,  Sta,  378. 
Brosse,  Pierre  de  la  219  f. 
Bruce,  Eduard  216. 

-  Robert  212. 

-  der  Enkel  214  ff. 
Brüder  v.  gem.  Leben    388. 
Brügge,  Weltmarkt  136. 
Brügge,   Matines  de  Bruges 

237. 
Brunkeberg,  Schi,  am  566  f. 
Brunelleschi  626. 
Bruno  Bisch,  v.  Olmütz  139, 

182,  187. 
Brüx,  Xiederl.  d.  Hussit.  491. 
Brzesc,  Friede  v.  571. 
Buch,  le  Chaptal  de  341. 
Buckingharn  690. 
Bulgarien,  Vernichtung  des 

Reiches  592. 
Bulle,  d.  Gold.,   Inhalt  und 

Bedeutung  317  ff. 
Bureau  de  la  Ri viere  545. 
Burley,   Erz.   Rieh.  IL    536. 
Burgund  im  15.  Jahrh.  660  ff. 
Burchard  I.  v.  Hohenz.  452. 


Bufsbrüder,  s.  Tertiarier. 
Byzanz,  Niederg.  d.  Reiches 

68  ff.  581  ff. 

€. 

Caboche  (iens)  547  f.,  550  f. 
Cabrera,  Grafen  v.  354. 
Cäcilia,    G.   Rieh.    v.  Salisb. 

685. 
Cade,  Aufst.  des  684  f. 
Cambridge,  Rieh.  v.  685. 
Canabus  Nik.  70. 
Cane  Faeino  638. 
Can  grande  d.  Scala  273. 
Canterburv,  Bündn.  v.   482, 

551. 
Capistrano  604  f. 
Capponi  Gino  631. 
Carmagnola  639. 
Carrara,  Farn.  306. 

-  Frz.  374,  439  f.,  443,  633. 
Carvajal  526  ff.  654. 
Caserta,  Graf  v.  144. 
Castriota,    Georg  v.    600  ff., 

606  f. 

—  Johann  606. 
Castruccio    Castracani    273, 

275  f. 
Catalina,    G.    Heinr.  in.   v. 

Kastilien  698. 
Catania,  Vertrag  v.  87. 
Cauchon  Pierre  559  f. 
Celano,  Grafen  d.  80,  93. 
Celtis  Konrad  642. 
Ceperano,  Friede  v.  94. 
Cesarini,    Kard.   497,  501  ff. 

514,  518,  520  f. 
Champlitte,    Hugo,     H.     v. 

Aehaja  168. 

—  Wilhelm  168. 
Chandos  Jean  341  f. 
Charlier,  s.  Gerson. 
Charlotte,    G.   Ludwigs  XI. 

673. 
Chaucer  641. 

Chichester,  Bischof  v.  556. 
China  110  f. 
Chinon,  Frieden  41,  48. 
Chioggia,  Krieg  v.  633. 
Christian  L,  I  nionskg.  566  f. 

—  H.  567. 

—  Erzb.  v.  Mainz  5. 

—  v.  Oliva  133,  135. 
Christoph  IL  v.  Dan.  360  f. 

—  H.  v.  Baiern,  Lmionskg. 
566. 

Christusorden  357. 


712 


Register. 


( Ihrysoloras  622. 

Cimbnrgia  v.  Masovien  481. 
Ciriaco  v.  Ancona  623. 
Clarence,  Lionel  v.  531. 

—  Georg  687  ff. 

—  H  v.  552. 
Claritia   v.   Segni  8. 
Giema  ngis  Xik.  411  f.,    415, 

641 . 

Clericis  Laicoe  218.  228.  284. 
Cleve,  Macht  v.  647. 
Olisson,  Connet.  545. 
Cocherel,  Schlacht  bei   841. 
Cola  Rienzd  809  ff.,  815,  (US. 
Cölestin  III.  6,  8,  26,  29,  47. 

-  IV.  118. 

-  V.  207  f. 

Cdlonna,  die.  284,  258  t..  309, 
500,  687. 
■ —  Kardinal   93. 

-  Jakob  208,  280,  285. 

620. 

—  Johann    107. 

—  Peter  208  f.,  280.  285. 
Sciarra  280  f.,  275. 

Coluccio  Salutato  622. 

Commines  Phil.  688. 

Oonstantinopel,  s.  Konstan- 
tinopel. 

Conti,  die  308  t. 

Gonvenevole  da  Prato  619. 

Conversino,  Giov.  d.  622. 

Cordoba,  Erober.  v.  56. 

Corbeil,  Vertr.   v.   156. 

Cornaro  Kath.  174. 

Correr  Aug.,  >.  Gregor  XII. 

Cortenuova,  Sieg  Friedr.  II. 
10S. 

1  — sa,  s.  Johann   XXIII. 

Courtenav  Wilh.,  Erzb.  v. 
Cant.  399. 

Coiutray,  Schi.  b.   227,  287. 

Crecy,  Schlacht  833. 

Cusa,   Xik.  v.  508,  514.  527. 

642,  656. 

( lypern,  «lern  d.  Reich  lehens- 

pflichtig  179. 
C/.aky,   die  871. 

D. 

Handelte  83  f.,  153  f. 
Dandolo,    Herrsch,  der  168. 
Dänemarks    <  frolsmachtstel- 

lung  57.  5!»  ff. 
Danebrog  61. 
Daniel  v.  Halitsch  570.. 
Dannenberg,  Vertrag  v.  61  f. 


Danilo  v.  Moskau  57«. 
Dante  122,  282,  255,  619,  624   ! 
Danzig,  Handelsblüte  136. 

David,    Kg.    v.     Schottland 
329,  331,  336. 

—  v.  Trapezunt  606. 

-  v.  Wales  210. 
Defensor  pacis  274. 
Demetrins,  S.Kg.Bonifaz  74. 

—  v.  Mysithra  608. 
Derby,  Graf  v.  882. 

-  —  535. 
Despenser,  die  216. 
Deutschland,  s.  d.  d.  Könige. 

Plan    eines    Erbreielies 

189,  24S. 
Deutscher  Orden  in  Preufs., 

Verf.  133  ff.,  366  f. 
Deutschbrod,  Schi.  b.  491  f. 
Dietmarschen,    Sieg  der  62. 
Dietrich   v.  Cleve  192. 

—  v.  Mors,    Erzb.  v.  Köln 
482. 

Diezmann  v.  Thüringen  193, 

195  f..  202. 
Diniz,   K.  v.  Port.   348,  357. 

-  Prinz  v.  Port.  693. 
Dlugosch  Joh.  643. 
Dniitri  III.  578  f. 

—  IV.  579. 
Schemjäka  580. 

—  v.  Twer  577. 
Dotringen,  Schlacht  bei  429. 
Dolcino  388. 

Dominici,  Kardinal  466  f. 
I  Mminikus  ,       Dominikaner 

15  ff.,  19  ff.,  23  f. 
Donatello  625. 
Doria,  d.  Haus  335. 
Douglas,  Jak.  v.  536,  554. 
Dragosch,  F.  d.  Moldau  878. 
Drakul.   Woiwode  520. 
Dschingiskhan  107,  109  f. 
Duarte,    Kg.  v.  Port.   695  ff. 
Dubois  Pierre  175,  221,  225, 

247. 
Dudiun   Sacruni,    Bulle   504. 
Dunbar,  Schlacht   bei  213. 
Dunois  558  f. 
Dürnkrut.  Schlacht  bei  187.  : 

K. 

Eberhard,  der  Eil.  v.  Würt-  ; 
temberg  249. 

—  d.  Rauscheb.    879.   429. 

—  B.  v.  Const.  145. 
Ebner  Margar.  388  f. 


Eckart,  d.  Mystiker  388  t. 
Edmund,  Sohn  Heinr.  HI.  v. 
Engl.  126,  128,    178,    221. 

—  Oheim  Riehards  H.  531, 
584,  536  f. 

Eduard  L,  Kg.  v.  Engl.  162, 
173,  196,  209  ff.,  221  f. 

—  H.  215  ff.,  222,  326,  535. 

-  IH.  216  f.,  283,  285,  289, 
296,  824  f.,  339  f.,  342  ff., 
895. 

-  IV.  662,  675,  680,  686ff., 
692. 

—  V.  690. 

-  d.  schw.  Prinz  333  ff., 
842,  354  f.,  393. 

S.  Heinr.  VI.  685  ff. 
Eger,  Goldene  Bulle  v.  35  f. 
Ehingen,  Vertr.  v.  424. 
Eibeck,  Mamel.  170  f. 
Eidechsenbund,  der  569. 
Eizinger  Ulr.  649  ff. 
Ejub  v.  Ägypten  117,  152  f. 
Electores,  s.  Kurf. 
Eleonore,  <  f.  Friedr.  EU.  650. 

—  G.     Heinrichs    HI.      v. 
England  160. 

—  G.    Alfons'   IV.    v.   Ara- 
gonien  355. 

-  3.   G.   Pedros  IV.    356. 

—  Tellez,  Gem.  Fern,  von 
Portugal  359,  693. 

—  Guzman  358,  349. 

—  G.  Montforts  d.  J.  161. 

—  v.  Poitou  38  f. 
Elias  v.  Cortone  19. 
Elisabeth,  d.  Hl.  101,  104. 

—  G.  Konrads  IV.  145. 

—  G.  Rudolfs  v.  Habsburg 
191  f. 

—  G.  Albr.  I.  199,  202. 

—  G.  Friedr.  d.  Seh.    257. 

—  G.     Albrechts   H.     481, 
510  f.,  518  f. 

—  G.  Karl  Rob.  370,  374. 

—  Witwe  Ludwigs  v.  Ung. 
419  ff. 

—  G.    Johanns    v.    Böhm. 
279  f.,  291. 

—  G.     Heinrichs    VTL     v. 
England  691. 

—  T.  Friedr.  d.  Seh.  272. 

—  T.  Karls  IV.    300. 

—  T.  Andreas'  EH.  201. 

—  Erbin  K.  Ludwigs    von 
Ungarn  376. 

—  v.  Neapel  313. 


Register. 


713 


Elisabeth  v.  Görlitz  4:5."),  444, 

660. 
Emerichj  Kg.  v.  Ung.  84. 
Enea  Silvio,  s.  Pius  II. 
Engelbert,    Erzb.    v.    Köln 

79,  87  f. 
Engelbrecht,    Reichsv.    von 

Schweden  565. 
England,  s.  d.  Könige. 
Enzio  105  ff.,  120  f. 
Epila,  Schlacht  bei  856. 
Epirus,  s.  Michael. 
Erasmus  v.  Rotterd.  648. 
Erich  I.  Kg.  v.  Schw.  ^(l 

-  IL,  Kg.  v.  Schw.  66. 

-  III.,  Kg.  v.  Schw.  66. 

-  Pflugpfennig  360. 

-  Glipping, Kg.  v.Dän.  360. 

—  Y1IL  (Menved),   Kg.   v. 
Dänemark  209,  360. 

-  II.,  Kg.  v.  Nbrw.  362. 

—  v.    Pommern ,     Unions- 
könig 564  ff. 

Erich,  S.  Christophs  II.  361. 

-  Br.  Kg.  Birgers  362  f. 

—  Prinz  v.  Schweden  363. 

-  v.  Sachs.-Lauenb.  296. 

—  Kjelson  Wasa  564. 
Erik,  Erzbischof  64. 
Erlichshansen  Konr.  572. 

—  Ludwig  572. 
Erling,  Ormsson  63. 
Ermingard   v.  Geldern    192. 
Ernst  v.  österr.  441,  481. 
Ertoghrul  587. 

Este,  die  252,  273,  440,  640. 
Estrithiden,  Ausg.  d.  365. 
Etats  gener.  in  Frankr.  244. 
Eugen  HL,  Papst  63. 

-  IV.    498,    501  ff.,    508, 
512,  513  ff.,  524  ff.,  634. 

Euchiten  12. 
Eustach  v.  Flandern  68. 
Evesham,  Schlacht  bei   163. 
Eyk  H.  u.  J.  v.  626. 
Ezzelin  da  Romano  101,  105, 
117,  120  f.,  125,  142. 

F. 

Ealieri  Marin,  307  f. 
Falkirk,  Schlacht  bei  213. 
P'alkner,  che  423. 
Faulfisch  Nik.  475. 
Feder,  die  Goldene  63. 
S.  Felice>  Sieg  Karls  IV.  280. 
Felix   V.,    Gegenp.     524  ff., 
529,  634,  647. 


Fernando-  Ferdinand,     Fer- 
ra nte. 

Ferdinand  IL,  d.Kath.  605, 
698,  700  ff. 

Fernando    III.    v.     Kastilien 
56,  57,  847. 

IV.  348  f.,  352,  354. 

-  IV.,  Kg.  v.Port.  352, 359, 
693, 

—  Stiefbr.  Pedros  IV.  von 
Arag.  350  f.,  355  f. 

—  d.  standh.  Prinz  695  f. 

-  de  la  Cerda  d.  Ä.    219. 
de  la  Cerda   d.  .1.    219, 

348  f. 

—  Sanchez  172. 
Ferrante  I.  v.  Xeapel  638. 

-  IL  v.  Xeapel  638. 
Ferenti.no,  Vertrag  v.  85. 
Ferrara,  Konz.  514. 
Ferreto  v.  Vicenza  619. 
Feuchtwangen,  Konr.  v.  135. 
Fidentius  v.  Padua  175. 
Filangicri,  Marschall  91. 
Filelfo  623,  631,  640. 
Fillastre,  Kardinal  v.  467. 
Fezensac,  Karl  v.  681. 
Fiorentino,    Sterl)eort  Fried- 
richs IL  121. 

Fiorteita,  Schlacht  bei  64. 
Flandern,  lat.  Kaisern.  73  f. 
Florenz,  Konzil  515. 

—  Signorie  252,  308. 
Flotte  Pierre  221,  227  f.,  237. 
Foggia,  Sieg  Manfreds  141. 
Foix,  die  Grafen  v.  676. 
Folkunger,  die  66,  67,  364. 
Folmar,  Erzb.  v.  Trier  4,  5, 
Forgacti  Johann  421. 

-Nikolaus  421. 
Fossalta,  Schlacht  bei  121. 
Frangipani  309. 
Franken  im  Morgenl.  71, 176. 
Frankreich,  Vordringen  nach 

Osten  219,  222. 
Neu-Frankreich   167  ff. 
Franz  v.  Assisi  15  ff. 
Fraticellen  271,  388. 
Freidank  93  f. 
Friedrich  L,   K  3  ff.,  10,  23, 

27,  29,  59  f.,  133. 

—  IL  6,  7,  23,  27  f.,  30, 
83  ff.,  40,  61  f.,  72,  74  ff., 
112  ff.,  125,  127,  133  ff., 
141  ff.,  145  f.,  152  ff.,  146, 
150,  181,  193. 

—  Kaisersage  124,  191. 


Friedriche,  die  falschen  1  12. 
Friedrich  (DI.  ,d. Schöne  202, 

2481,  256  ff.,  263  ff.,  270, 

273,  277. 

-  IU.  IV.  516  ff.,  521  ff., 
529,  572,  602,  607,  634, 
636,  (541,  (543  f.,  647  ff. 

-  IL  v.  Sizil.-Arag.  205  f., 
208  f.,  228,  284,  254,  278, 
354. 

-  IIL   v.   Sizilien   356. 

-  v.  Altona-Isenburg  88. 
v.  Bayern  428  f. 

I.  v.  Brandenburg  449, 
451  f.,  481,  498  f.,  496  ff., 
511,  645. 

—  IL  v.  Brand .  645, 652, 657. 

—  v.  Meifsen,  Kf.  v.  Sachs. 
491  ff.,  496. 

—  I.  v.  Nürnberg  452. 

-  HI.  v.  X.  180,  452. 

-  IV.  452. 
V.  452. 

VI.,  s.  Friedr.  I.    v.  Br. 

—  v.  Kastilien  348. 

—  IL,  der  Streibare  v.  Ost. 
104  ff.,  111  f.,  115,  118  f., 
135,  137. 

—  v.  Österreich,  Enkel  K. 
Friedr.  IL  119,  121,  126, 
146,  148. 

—  IV.  v.  Österreich  522  f. 

—  V.,  s.  K.  Friedr.  HL 

—  der  Freidige  v.  Meifsen 
148,  179,  195  f. 

—  I.  v.  d.  Pfalz   645,  654. 

—  v.  Sachsen  645. 

—  Erzb.  v.Salzb.l84ff.,  187. 
v.Thür.  193,  195  f.,  202. 

—  H.  v.  Tirol  468  f. 

—  Halbbr.  Pedr.  d.  Graus. 
380. 

-  Sohn  Manfreds  144. 
Fulco  v.  Xeuilly  68. 

O. 

Gaetani,  die  309. 
Gaetano  Peter,  Xepot.  225. 
Gambacorta,  che  316  f. 
Gammelsdorf,  Schi,  bei  228. 
Gara  Ludwig  653  f. 

—  Xikol.  420  f.,  650,  654. 
Garci  Laso  349  f. 
Garnier  Arnold  393. 
Gasan  v.  Persien  594. 
Gattilusio  Xicc.  606. 
Gaufried,  s.  Cölestin.  IV. 


714 


Register. 


Gaunt,  s.  Lancaster. 
Gautier  de  Brienne  308. 
Gedirnin  v.  Lit.  367  f.,  577. 
Gelnhausen,  Konr.  v.  410. 
Gemeinen,  die  163. 
Geinisthos  Plethon  631. 
Gennadios  602,  604. 
Genua  im  14.  Jahrh.  307. 

—  an  Frankreich  545. 
Georg,  s.  Podiebrad. 

—  v.  Bayern  669. 

—  v.  Serbien  512. 
Georgsgesellschaft  423  f. 
Gerhard  v.  Eppenstein,  Erzb. 

v.  Mainz  192,  195. 

—  Bischof  v.  AVürzb.   435. 

—  der  grofse  Graf  v.  Hol- 
stein 361  f. 

Gerlach  v.  Xass.  289,298,377. 

S.  Germano,  Yertr.  u.  Friede 
85,  94. 

Germanisierung      des     östl. 
Deutschland    130  ff.,   139. 

Gerson  411  f.,  445  f.,  465  f., 
468,  473,  480,  641. 

Gertrud  v.  österr.  115, 118  f., 
137. 

Gesellschaft    zur   Z.  d.  Hu- 
manismus 627  fi. 

Gesellschaften,  Böse  337. 
-  liter.  642. 

Ghibellinenbund  142. 

Ghiberti  625. 

Ghirlandajo  627. 

Ghisi,  Herrschaft  der  168  f. 

Giotto  625  f. 

Giskra  v.  Brandeis  649. 

Giustiniani,  die  168  f. 

—  s.  Longo  602  f. 
Gildhalle  135. 

Glarus,     Anschlufs    an    die 

3  Orte  304. 
Glendower  Owen  540  f. 
Glocester,  Oheim  Heinr.  VI. 

552,  554  f.,  559,  561. 
Goldene    Horde     110,    111, 

112,  575  ff.,  581. 
Göllheim,  Schlacht  bei  197. 
Gonzaga,  che  306,  640. 

—  Gian  Franc.  640. 
Gottfried  v.  Bretagne  38,  45. 

—  I.v.Villehardouin  68,169. 

—  IL  v.  Villehardouin  169. 
Goulet,  Friede  v.  38,  46. 
Gradenigo  Pietro  307. 
Granada,  Niedergang  u.  Fall 

56  f.,  705  f. 


Grandson,  Schlacht  662. 
Gregor  VIII.  5. 

—  IX.  18,  23,  80,  84,  88  ff., 
101,  103  ff.,  112  ff.,  135, 
152,  156. 

-  X.  174,  179  ff.,  188,  210, 
348. 

-  XL  377  f.,  389,  395,402. 

—  XII.  414  ff.,  444  ff.,  449, 
453  ff.,  459,  466  ff.,  470  f. 

—  v.  Sanok  643. 
Geissenegger,  Ritter  659. 
Griechenland,    Sturz    d.   gr. 

Kaiserr.  70  ff. 

—  Wiederaufricht.    163  ff. 

—  Lat.  Staaten  in    163  ff. 
Griffina,   Tante  Wenzels  IL 

200. 
Groot  Gerh.  388. 
Grosseteste  161. 
Guesclin  340  ff,  351  f. 
Guido  v.  Montefeltro  147. 

—  de  la  Roche  168. 

—  v.  Flandern  156,  223, 
237. 

—  v.  Präneste  31. 
Guinegate  669 

Günter    v.    Schwarzb,    293, 

297  f. 
Guntram  d.  Reiche  181 
Gunzelin,  Graf  v.  Schwerin 

61. 
Guta,   G.   Wenz.  H.   185  ff., 

193. 
Guzman  703. 

H. 

Habsburg,  die  181. 
Habsburger,  Besitz  der  181  f. 
Habsburg,  Grafen  v.  100. 
Hadrian  IV.  67. 

—  V.  188. 

—  VI.  703. 
Hagenbach,  Peter  v.  662. 
Hakon  IV.,  Kg.  v.  Xorw.  65. 

-  V.  65. 
VI.   65. 

—  VH.  362  ff. 

—  VHI.  564. 

Haleb,  Xiederl.  d.  Mainel.  597. 
Hallidon  Hill,  Schlacht  329. 
Hanse,   die    130,  132,  135  f. 
Harald,  Prinz  v.  Xorw.  59. 
Harcourt,  Gottfried  v.  332. 
Harfleur,  Erob.  v.  550. 
Hartmann,  S.  Rudolfs  v.  H. 
185,  189. 


Hawkwood,    Kondott.     323r 

419. 
Hedwig,  G.Wlad.  H.  419  ff., 

569. 

—  v.  Habsburg  187. 
Heidelberger  Stallung  425. 
Heidenfahrten  n.  Preufs.  366. 
Heimburg    Greg.    515,    525, 

527,  642,  656. 
Heinrich  VI.  3  ff.,  17,  26  ff., 
32,    46,    GS,    77,    91,   105, 
122,  129. 

—  VH.,  Kaiser  203,  241, 
246  ff.,  262,  289,  310  f.,  366. 

—  K.  v.  Konst.  70,  73  ff. 

—  (VH.),  S.  Friedr.  H.  35, 
78  f.,  87  f.,  98  ff.,  HS  f. 
121,  126,  135. 

—  Raspe,  Gegenkg.  116  ff. 

—  I.  v.  Engl.  41  f. 

—  n.  38,  43,  45,  160. 

—  HI.  43,  102,  126,  12S, 
151  f.,  155,  157,  159  f., 
160  ff.,  210. 

—  IV.  437  ff.  446,  448  f. 

-  V.  541,  549  ff., 

-  VI.   552  ff.,    559  f.,    561, 
683  ff.,  688. 

—  VII.  688,  690  ff. 

—  I.  v.  Kast.  56. 

—  H.  y.  Kast.  341,  349  ff. 
356,  359,  535,  697. 

—  IH.  698. 

—  IV.  y.  Arag.  699  f. 

—  HI.  y.  XaYarra  219. 

—  I.  y.  Cypern  91,  152  f. 

—  IL  y.  Cypern  174. 

—  Kg.  y.  Böhmen  201  f., 
2491,  259,  279,  282. 

—  S.  Manfreds  144. 

—  Infant  v.  Arag.  699. 

—  I.  H.  y.  Bayern    181, 
185  ff. 

—  n.  d.  Ä.  y.  XiederbaYem 
280,  282. 

—  y.  Brabant  29,  31. 

—  VI.  H.  y.  Breslau    279. 

—  Dandolo  69  f. 

—  y.  Flandern  68. 

—  y.  Isni,  Erzb.  v.  Mainz 
192. 

—  y.  Kalden  30. 

—  y.  Kastil.  147,  348. 

—  y.  Kuenring  186. 

—  y.  Landsberg  278. 

—  Leszek  v.  Krakau    200. 

—  Yon  Liegnitz  112. 


Register. 


715 


Heinrich  v.  Limburg  90. 

—  der  Lowe  6,  60,  133. 

—  Burggraf  v.  Meifsen  517. 

—  Graf  v.  Nassau  196. 

—  v.  österr.   264  f.,  273. 

-  Pfalzgraf  29,  31,  35  f.,  88. 

—  v.     Schleswig  -  Holstein 
565. 

—  v.  Schwerin  61  f. 

—  d.  Seefahrer  695  ff. 

-  v.  Toulouse  12. 

—  v.  Virneburg,    Erzb.    v. 
Mainz  247  ff.,  289,  296,  298. 

-  v.AVinchester  Kard.478, 
496. 

Helene,    G.    Manfreds    142, 
144. 

—  Llevelin  541. 

—  G.  Steph.  Urosch'  586. 

—  T.  Sophiens  v.  Byz.  605. 
Heinrningstedt,  Schlacht  bei 

567. 

Hennegau,  Graf  v.  547. 

Herford,  Heinr.  v.,  s.  Hein- 
rich IV. 

Herrnandad  702. 

Hermann  v.  Baden  119,  137. 

—  v.  Salza  89  ff.,  102, 104  f., 
133,  135. 

—  I.  v.  Thüringen  34. 

—  H.  y.  Thüringen  113. 

—  Balk  134. 

Hessen  im  15.  Jahrh.  646. 
Hethum,    Kg.    y.  Armenien 

171. 
Hieronymus    y.    Prag     470, 

475  ff. 
Hirnbercourt  663. 
La  Hire   558. 
Hittin,  Schlacht  bei  5. 
La  Hogue  333. 
Hohenberg,  Eud.  v.  426. 
Hohenzollern,  die  451  f.,  645. 
Hölzler  Konr.  651. 
Honfleur,   Schlacht  bei  551. 
Honorius  HI.  19  f.,  51  f.,  56, 

74,  77  ff.,  82,  84  ff.,  89, 101. 

—  IV.  189,  207. 
Hörner,  Bund  der  423. 
Horwäthi  420  ff. 

Hubert,  Erzb.  v.  Canterb.  39. 

—  Erzb.  y.  Mailand,  s.  Ur- 
ban  HI. 

—  y.  Burgh  160. 
HugoI.,Kg.v.Cypern  72,83. 

—  H.  174. 

—  de  la  Marche  151. 


Hugolin  v.  Ostia,  s.  Gre- 
gor IX. 

Hulaghu  110,  170. 

Huler  Sigm.  430  f. 

Hugonet  663. 

Humanismus,  d.  613  ff. 

Humbert  v.  Yienne  281,  321. 

Humiliaten  14. 

Hunyady,    die    520,    600  f., 
604  f.,  606. 
-  Johann  520  f.,  643, 649  ff. 

—  Ladislaus  651. 
Hussein,  Emir  595. 
Hufs  398,  457  ff.,  471  ff. 
Hussitismus,     Xation.    Ten- 
denz des  407. 

Hussitenkrieg  483  ff.,  506  f., 
507. 

Hussitenheere,  Zusammen- 
setzung 490. 

Hütten  643. 

I.  u.  J. 

Jakob  L,  Kg.  v.  Schottland 
541,  554. 

-  IV  y.  Schottl.  693. 

—  n.  y.  Cypern  174. 

—  y.  Capua  95. 

—  Zisterzienser  155. 

—  y.  Mies   471. 

—  y.  Präneste  109. 

-  Erzb.  y.  Trier  526  f. 

—  y.  Troyes,  s.  Urban  IV. 

—  y.  Vitry  82,  90. 

—  St.,  a.  d.  Birs  524. 
Jakobäa  v.  Holland  555,  660. 
Jakobiner,    s.  Dominikaner. 
Jacquerie   338  f. 

Jacques  Coeur  673. 

—  de  Chatillon  237. 
Jacquette  v.  St.  Pol  561. 
Jacub  Almansor  55. 

—  Br.  Bajesids  592. 
Jagiello,  s.  Wladislaw  H. 
Jandun,  Joh.  v.  273  ff.,  292. 
Jarl  Skule  65. 

Jaroslaw    IL    y.    Wladimir 

112,  575. 
Jasa,  Gesetzbuch    d.  M,ong. 

115. 
Jayme  I.    y.  Arag.    56,  156, 

172,  352. 

-  IL  205,  353  f. 

—  y.  Mallorka  353. 

—  H.  y.  Mallorka  355. 

-  ni.  v.  Mallorka  358. 

—  Graf  y.   LTghel  355  f. 


Jbn  Chaldoun   705. 
Chalib  705. 

—  Hud  56. 
Jedwar  Bonde  6J3. 
Jeanne  d'Arc  555  ff.,  072  L 
Jedigei  580. 

Jenzenstein,  Joh.  v.    431  f. 
Jerez,  Sieg  bei  56. 
Jerusalem,  s.  die   Könige. 

—  Lehenst.  d.  Papstes  68. 

—  Erwerb,  d.  Friedr.  IL  92. 

—  Fall  Yon  171  ff. 
Il-Chane,  die   171. 
Inez  de  Castro  358. 
Ingeborg,  Kgin.  v.Frankr.  46  f .. 

—  T.  Hakons  VIII.  362. 
Innozenz  H.  9. 

—  III.  3,  7  ff.,  12,  14,  17  f., 
22,  25  ff.,  30  ff.,  43,  46  ff., 
54  ff.,  63  f.,  67  ff.,  82,  89, 
93  ff.,  269. 

—  IV.  23,  112,  114  ff.,  121,. 
125  ff.,  135,  137  f.,  140  f., 
153,  156,  269. 

-  V.  188. 

—  VI.  312,  322,  344. 

—  VII.  414,  444,  637. 
Inquisition,    Entstehung   d.. 

21  ff. 

—  spanische  703  f. 
Joachim  y.  Floris  7. 
Jodok  =  .Tobst,  s.  Jöst. 
Joäo   =   Johann   =   Juan,. 

s.  unten. 

—  Kg.  v.  Portugal  693  ff. 

—  IL,  Kg.  y.  Port.    696  ff. 

—  das  Regras  694. 
Johann  XXL  188. 

—  XXII.  265  ff.,  280  f.,  290, 
317. 

—  XXni.  414, 449 f.,  453 ff. r 
460,  464,  466  ff.,  477. 

Johannes    Vatatzes,    K.     v. 
Xikäa  74,  165  f. 

—  Lascaris  166  f. 

—  V.  Paläolog.  588  ff. 

—  VI.  588  f. 

—  ATE.  593. 

—  Vin.  599  f.  601. 

—  Kg.  v.  Trap.  606. 
Johann    v.    Briemie,  Kg.  v. 

Jer.  72,  74,  83  ff.,  93,  165. 

—  K.  y.  Engl.  10,  36  ff., 
45  ff.,  75,  344. 

—  I.  Kg.  y.  Feh.  245. 

—  H.,d.Gute,Kg.  v.Frankr. 
334  ff.,  337  ff.,  351. 


710 


Register. 


Johann,  Kg.  v.  Böhmen  250, 
255,  257f.,  264,  278ff.,  282, 

286,  288  ff.,    301,    333  f., 

369  f. 

—  Kg.   v.  Schweden  66. 

—  Unionskönig  566  f. 

—  v.  Anjon   150. 

—  v.  Avesnes  156. 

—  H.  v.  Bayern  42s  f. 

—  v.  Brabant  195. 

—  555. 

—  v.   Brande nh.  493. 

—  v.   Bretagne  832. 

—  v.  Burgund  480,  546  ff., 
(560. 

—  Cofvinus  668. 
Prinz  v.  Engl.   189. 

-  Graf  v.  Flandern  237. 

—  H.  v.Görlitz  379f.,433f. 

—  Graf  v.  Habsb.  304. 

—  v.  Hohenzollern    452. 

-  v.  Holland  198. 

—  v.  Holstein    361,  363. 

—  8.  Karls  VI.  551  ff. 

—  y.  Lancaster  352,  393 f., 
531,  533,  534. 

—  Erzb.  v.  Mainz  443. 

—  v.  Meklenb.  297. 

—  v.  Nassau  435. 

—  v.  Neumarkt  300. 

—  B.  v.  Norwich  39. 

-  v.  Paris  225,  465. 

—  v.  Palomar  512. 

—  v.  Ragusa  502. 

—  Abbrecht    v.  Polen  574, 
668. 

—  S.    d.    Andronikos    591, 
592. 

—  Heinrich,  S.  Johanns  v. 
Px.hnien     279,     282,    286, 

287,  289,  300. 

—  Tristan   173,  219. 
Johannes  Parricida  201  f. 

—  Priester  109. 

—  Kantaknzenos  168. 
Johanna,  G.  Wenzels  I.  370. 

—  I.  v.  Neapel  313  ff.,  375. 
405  ff.,  421,  431  f.,  637. 

-  II.  509,  543,  637,  700. 

—  v.Navarra  327,331,334. 

—  G.    Juans    II.    v.   Arag. 
700. 

—  v.  Beaufort  354. 

—  de  Castro   380. 

—  v.  Luxemburg  444. 

—  v.  Penthievre  332. 

—  v.  Poitiers  219. 


Johanniter,  Ausgang  d.  175. 
.Toin  rille  150. 

Jolante,     G.    Fried.   PI.     72, 
85,  91. 

—  Seh.  Ludwigs  XL  676. 

—  v.  Flandern  74. 

Jost,  Marku.  v.  Mähren 419 f., 

432 ff.,  436  ff.,  441  f.,  449  ff., 

474. 
Irene,   G.  Philipps   v.  Schw. 

29. 
Irland,  Lehen  d.  Papstes  40. 
Isa,  Br.  Moh.  I.  599. 
Isaak  Angelos  29,  69,  70. 
Isabella,  3.  (I.  Friedrichs  II. 

102. 

—  G.  K.   Diniz'  357. 

-  G.  Ed.  IL    215  ff.,  222, 
326  ff. 

-  v.  Henn.,  Kg.  v.  Frch.  46. 
<i.  Juans  II.  v.  Ar.  699. 

-  G.  Karls  VI.  545,  547. 

-  d.  Kath.  605,  699  ff . 

—  AVitw.  Joh.  v.  Engl.  151. 

—  Verlobte  Rieh.  IL    536. 
Island,  zu  Xonvegen  65. 
Ismael  v.  Damaskus    152. 
Italien,  s.    die  Regg.   einzel. 

Staaten. 
Juan  L,  v.  Arag.  356,  69*. 

-  IL  675,  699  ff. 

-  I.  v.  Käst.  693  f.,  697  f. 

—  II.  v.  Käst.  698. 

—  Kg.  v.  Navarra  698  f. 

-  Inf.   v.  Arag.  351,  355. 

-  v.     Käst.,    Br.    Sanchos 
IV.  348  f. 

—  Br.     Ferd.     v.    Portugal 
359. 

—  Xunez  de  Lara  349. 
Juan  na  v.   Kastil.    696,  699, 

701. 

—  v.  Navarra  219. 

—  v.  Port.,  G.Heinrichs  IV. 
699. 

Jubiläum  v.  1300  209. 
Jungingen  Konr.  386,  569. 

Ulrich  57o. 
Jurij,  Grofsf.   111. 
Juri  v.  Moskau  577. 

—  Oheim  Wass.  III.  580. 
Jussuf,  Br.  Murads  IL    599. 

—  v.  Granada  705  f. 
Justingen,  Anselm  v.  34  f. 
iwanl.  Kaiita  v.  Rufsl.  577  f. 

—  IL  578. 

—  III.  d.  Grofse  580  f. 


K. 

Kaisersage,  s.  Friedr.  IL 
Kaisertum,     lat.    67,     70  f., 
163  ff. 

—  im  15.  Jahrb..  644  f. 
Kalixtiner,  s.  Ltraquisteu. 
Kalixtus  III.  560,  606,  634. 
Kalka,  Schlacht  a.  d.  110. 
Kallipolis ,    Bes.    durch    die 

Türken  589. 

Kalmarer  Union  564  ff. 

Kalojohannes  73. 

Kainil  83  f.,  96  f.,  152  f. 

Kantaknzenos,  s.  Joh.  VI. 

Kapetinger,  Ende  246. 

Kaptschak,  s.  Gold.  Horde. 

Kara  Jussuf  596  f. 

Karl  IV.,  Kaiser  280,  282, 
286  ff.,  306,  311,  313  ff., 
321  ff.,  333,  337,  359,  365, 
376  ff.,  389,  405,  417  ff., 
422,  430,  432,  452,  522, 
621,  630,  640. 

-  IV.  v.  Frankr.  246,  272, 
290,  326. 

—  V.  321,  323,  337  ff.,  404, 
407,  410,  542  f. 

-  VI,  413,419,  435,  541  ff., 
549  ff. 

-  VII.  515  f.,  524,  528,  554, 
555  ff.,  561  f.,  670  ff.,  676. 

VLU.  663  ff.,  682  f. 

-  v.  Anjou  126  f.,  140, 
142  ff.,  146,  150,  156,  157, 
172  ff.,  1791,  188  f.,  203  ff., 
219,  228,  586. 

-  IL  v.  Neapel  201,  205  ff., 
224,  231,  234. 

-  d.  Böse  v.  Xav.  334  f., 
337  ff.,  341. 

-  HI.  v.  Xav.  547. 

—  v.  Schweden  66. 

—  d.  Kleine,  K.  v.  Xeapel- 
Ung.  375,  405  ff.,  419  ff. 

Martell,  K.  v.  Ung.  189, 
191,  208. 

—  Robert,  K.  v.  Lng.  201, 
370  ff. 

—  Gr.    v.    Alencon,    Xeffe 
Karls  v.  Anjou  205. 

-  v.  Blois  332,  341. 

—  v.  Durazzo  314. 

—  8.  Karls  VII.  652,  673  ff., 
675  ff.,  701. 

-  d.  Kühne  661  ff.,  677  ff. 

—  v.  Maine  681. 

—  Martell,  8.  Andreas'  313f . 


Register. 


717 


Karl  v.  Orleans  547,  677. 
v.   Valois     205  f.,     220, 

224,  245,  247,  257. 
Kärnten,  s.  ( Htokar  II,  Mein- 

hard  v.  Tirol  n.  Albrecht  I. 
Kasimir  d.  Gr.    368,   370  ff., 

377. 

-  IL  y.  Polen  511,  519, 
571  ff.,  652. 

—  S.  Kasimrs  II.    573. 
Kassel,  Sieg  bei  327. 
Katalanen  56,  354,  586. 
Katharer  11  ff.,  17,  255. 
Katharina  v.  Siena  405  f. 

—  y.  Arag.  693. 

-  G.Rudolfs IV.  296,300. 

-  T.   Karls  VI.    522,  549. 

-  T.  K.  Ludwigs  y.  Ung. 
374. 

Kent,  Graf  y.  328. 
Kestuit  y.  Lit.  372  f.,  578. 
Ketboga  170  f. 
Ketzer  12,  80. 
Khalil,  Ssultän  598. 
Kieystut,  s.  Kestuit. 
Kilawun  174. 
Kinderkreuzzug  72. 
Klara  Scifi  19. 
Klemens  m.   5,  6,  8. 

-  IV.  143,  147  f.,  172,  179, 
269,  586. 

-  V.214,  233,  235  ff.,  247  ff., 
254  f.,  267,  271. 

-  VI.  287  ff.,  293,  296,  302, 
305,  312  ff.,  332,  344,  378, 
380,  386. 

-  VII.  Gegenpapst  403  ff ., 
411  f.,  418  f.,  453. 

-  VIII.  Gegenpapst  500. 
Klemens,  Bischof  y.  Aquila 

408. 
Klementia,  T.  Rud.  Y.Habsb. 

189. 
Knieprode,  Winr.  y.  368. 
Knolles,  Rob.  341. 
Knut  VI.,  Kg.  y.  Dan.  46  f., 

59  f. 

-  Kg.  y.  Schw.  66. 

—  Johanson  67. 
Knutson  Bonde  565  f. 
Köln,  s.  d.  Erzb. 
Kolonisation,  deutsch .  132  ff., 

139. 
Kolumbus  707. 
Komnenen  71. 
Kompaktaten   503,  505  ff. 
Konia,  Schlacht  bei  590. 


Koning,  Peter  237. 
Konrad  IV.  91,  104,  112  ff., 

116  ff.,   120  f.,  124  ff.,   128, 

137,  140  f.,  152. 

—  y.  Antiochien  205. 

—  Capece   L46. 

-  Erzb.  v.  Hildesh.  86. 

-  Erzb.   v.   Köln  128  f. 
Erzb.   v.  Mainz  492  f. 

—  v.  Marburg  101. 

—  y.  Masovien   133  f. 

-  Erzb.  y.  Prag  491. 

—  B.  y.  Speyer  87. 

—  y.  Urslingen  26. 

—  y.  Waldhausen  457. 

—  y.  Würzburg  31. 
Konradin      126,'    128,    138, 

140  ff.,  145  ff.,  170,  205. 
Konstantin  XL  602  ff. 

-  S.  Jarosl.  IL  112,  576. 
Konstantinopel,  Erob.  d.  d. 

Lat.  70  ff. 

—  Erob.  d.  d.  Gr.  167. 

-  Erob.  d.d.  Türken  601  ff. 
Konstanz,  Konzil  462  ff. 

—  Friede  3  f.,  79,  85,  104. 
Konstanze,  G.  Heinr.  VI.  4, 

35,  80. 

-  G.    Friedr.    IL    26,   27, 
341,  85. 

—  G.  Pedros  v.  Port.    205, 
358. 

Konstanzer  Konkordate  479. 

—  Bündnis  427. 
Körinend,  Schlacht  bei  654. 
Korybut,  Sigm.  492  ff . 
Kotus  Main.  171. 

Krain,  s.  Ottok.  II.  Meinhd., 

Albrecht  I. 
Kreuzzüge  67  ff.,  72,  75,  82  ff., 

88  ff.,  151  ff.,  171  ff. 

-  Ergebnisse    171  ff. 
Kreuzzugspläne  im  späteren 

Mittelalter  175. 
Kroissenbrunn,  Schlacht  bei 

138. 
Kubilai  110  f.,  171. 
Kuchmeister  v.  Sternb.  570. 
Kujuk  110,  112. 
Kulikow,  Schlacht  bei  579. 
Kunigunde,G.WenzelsI.  104. 

—  G.  Ottok.  n.  138. 

-  T.  Ottok.  IL  185. 

-  T.  Rudolfs  185. 

—  T.  Friedr.  m.  669. 
Kurfürsten  78  f.,  129  f.,  199, 

247. 


Kurverein    in    Lahnst.    und 

Rense  289. 
Knthen  110  f. 


Ladislaus,  Kg.  v.  Ung.  186  f., 
193,  200. 

-  Posthumus  518  ff.,  521, 
526,  649  ff. 

-  v.  Neapel  408  f.,  414  f., 
421  f.,  442,  453  ff.,  460,  464, 
481. 

Laie  Woiwode   374. 
Lambeth,  Vertrag  v.   44. 
Lancaster  694. 

—  s.  Johann. 
Landfrieden,  s.  d.  d.  Könige. 
Landesfürstentum ,  Ausbild.. 

99  f. 
Landstände,  Instit.  d.  100. 
Landulf.  v.  Bari  444. 
Langenstein  410. 
Langton,  Stephan  39 ff.,  160. 
Lat.  Kaisert.  70  ff. 
Laterankonz.    17,   20,  23,51, 

74  f.,  78. 
Latimer  393. 
Latzko  y.  Kravvar  476. 
Lausanne,  Konz.  529. 
LaYagna,  s.  Innozenz  IV. 
Lazar   v.  Serb.  421,  591. 

—  S.  Georgs  v.  Serb.   512, 
605. 

Legoix,  Fleischer  547. 
Leipzig,  Gründung  d.  Univ. 

459. 
Leo,  Kg.   v.  Ann.  68,  72. 
Leon,  A7erein.  mit  Käst.  56. 
Leopold  VI.  v.  Öst.-Babenb. 

83,  86,  89. 

—  I.    y.    Üst.-Habsb.     251, 
257  f.,  260,  263  ff.,  272  f. 

—  m.,  418  ff.,  423  ff. 
Lewes,  Schlacht  bei  163. 
Lexard,  Oheim  Jean.  d'Arcs 

557. 
Liegnitz,    Schlacht  bei    112. 
Lignano,  Joh.  v.  405. 
Lionardo  Bruni  681. 

—  da  Vinci  627. 

Ligue  du  Bien  public  678. 
Lilianen,  die  222. 
Limburgscher  Erbstreit  192. 
Linkoln,  Markt  v.  44. 
Lipan,  Schlacht  bei  506. 
Livland,  Kolon.  60,  133  ff. 
Llevellvn  IL  v.   Wales   210. 


718 


Register, 


Lollarden  399,  540  f. 

Lombardei,  Lombarden  oft'., 
26, 32, 80, 85  f. ,93  £,100  f., 
102  «f.,  114, 117  f.,  121, 123, 
125,  147. 

Longo  Giovanni  602. 

Loria,  Roger  v.  205. 

Lothar  IIL,  K.  133. 

—  v.  Segni,    s.  Innoz.  LU. 
Louis  d'Allemand   514,  524. 
Lovel,  Lord  691. 
Löwengesellschaft  423. 
Lübeck  62,  134  ff. 
Lublau,  Friede  v.  481. 
Lucius  III.  4,  14,  23. 
Luder  Peter  642. 
Ludwig  d.  Bayer  256  ff.,  260, 

263  ff.,  270  ff.,  814,  880, 
452. 

—  YII.  v.  Frankr.  45. 

-  YHI.  35,  48,  49,  52,  87, 
148,  150. 

-IX.  17,  SS,  114,  116,  121, 
124,  126,  142  f.,  149  ff., 
158  ff.,  162  f.,  171  ff.,  224. 

-  X.  245. 

-  XL  662  ff.,  672 ff. ,677  ff., 
688,  701. 

—  XII.  (\s}\. 

—  Kg.  v.  Ungarn  818  ff., 
872  ff.,  405,  408,  419,  421. 

-  I.  v.  Anjou  405,  419  f., 
548. 

-  IL  v.  Anjou  407  ff.,  458  f. 

—  IIL  v.  Anjou  627. 

-  I.  H.  v.  Bayern.  84,  87  f., 
98,  100. 

-  II.  128  f.,  141,  145,  147, 
ISO,  184,  194. 

—  v.  Bayern-Landshut  652. 

—  Markg.  v.  Brandenburg, 
s.  K.  Ludw.  279,  282, 
286  f.,  292,  296  ff,  805. 

—  Dauphin,  S.  Karls  VI. 
547,  550. 

—  v.  Durazzo  314. 

—  v.  Fvreux  257. 

-  IL,  Graf  v.  Flandern  827. 

—  III,  Graf  v.  Isländern 
584  f. 

Landg.  v.  Hessen    507. 

—  S.  Kg.  Johanns  v.  Frankr. 
840. 

—  v.  Meifsen,  Frzb.  v.  Mainz 
418. 

—  Herzg.  v.  Orleans  415, 
420,  480,  545  ff,  550, 


Ludwig  v.    Orl. ,     S.    d.    vor. 
485,  448. 

—  v.  Orleans  681. 

—  v.  öttingen  281. 

-  in.  v.  d.  Pfalz  439, 442f., 
492,  645. 

-  IV.  v.  d.  Pfalz  645. 

—  d.  Kömer  299  f. 
-  —  v.  Tarent  818  f. 

—  Landgraf  v.  Thüringen 
90,  101. 

Luna  Alvaro  v.  699. 
Lund,  Metropole  f.  d.  nord.R. 

59  f.,  ^. 
Lupacz  Martin  506. 
Luxernb.  Kaiserhaus,  Ausg. 

510. 
Lyon,  Erwerb,  d.  Frankr.  244. 

—  Konzil  unter  Innoz.  IV. 
57,  112,  114  ff,  121,  125, 
153. 

—  Konzil  unter  Gregor  X. 
174.  182. 

Lyons  898. 

Lyö,  GefangennAValdem.  LT. 
61. 

m. 

Machmüd,  Salt.  v.  Delhi  596. 
Maddalena,     Mutter     Colas 

309  f. 
Magdalena,     Braut     Ladi>l. 

Posth.  651. 
Magna  Charta  76,  42  ff. 
Magnus   V.  63  I. 

—  VI.  65  f. 

—  Smek  361  ff. 

-  Laduläs  362. 

—  S.  Birgers  363. 

—  v.  Braunschw.  376. 
Mahaut  v.  Artois  329. 
Maillart  Jean  329. 
Maillotins  Aufst.  d.  543. 
Mainz ,    Reichstag    v.     1235 

102  f. 
Mair  Martin  654. 
Majestas  Karolina  301  f. 
Malaspina,  Markg.  147. 
Malatesta,  die  253,  640. 

-  Karl  416,   446  f..  454  f. 

-  Condott.  689. 
Malpaghini  Giov.  622. 
Malta,  Schlacht  bei  205. 
Mamai  Khan  579. 
Mamelucken  169  ff. 
Manetti  624,  631. 
Mangu  110,  170. 


Manfred,  Konig    120  f,  125, 

14(>  ff,  166. 
Mansurah  ,  Schlacht  bei  159. 
Mantua,  Kongrefs  v.  635. 
Manuel  K.  591  f.,  598  f. 

-  IL    623. 

—  Kg.  v.  Port.  697. 

—  Angel,  v.  Epirus  165. 

—  Paläologos  514. 

—  S.  d.  Thomas   Pal.  605. 

—  Inf.  849. 
Marbacher  Bund  441,  443  f. 
Marcel  Etienne   334,  337  ff. 
March,  Graf  v.  686. 

—  Edm.  v.    531,  534,  555. 
Marche,  La,  Graf  38. 
Mares,  Jean  de  544. 
Margareta,      Lnionsk.     364, 

564. 

-  G.  K.  Heinr.  VI.  253. 

-  G.  Ludw.  d.  B,  289. 

—  Blanka,  G.  Karls  IV. 
291. 

-  G.   Ludw.  IX.  149. 

—  G.  Heinr.  VI.  v.  Engl. 
562,  675,  686  ff. 

—  Witw.  Karls  v.  Dur.  408, 
421. 

—  T.  Albrecht  Achill.  647. 

—  Beaufort  691. 

—  v.  Flandern  127,  143. 

—  T.  Karls  d.  K.  679. 

—  Mr.ultasch  279,  282, 
286  f,  292,  297,  299. 

—  T.  Max.I.  664,683. 

—  v.  österr,  G.  Heinr. 
(VH.N>  88,  100,  102,  119, 
137  ff. 

—  G.  Philipps  v.  Burg. 
660. 

—  Sichte  K.  Rudolfs  192. 

—  T.  Erichs  v.  Xorw.  211. 
Marchfeld,  Schlacht  a.  185. 
Maria,  G.  Sigm.    419  ff. 

—  de  Padilla  350  f. 

—  G.  Pedros  IV.  v.  Ar.  355. 

—  v.  Burg.  661  ff,  683. 

—  T.  Alfons  IV.  v.  Port. 
358. 

—  T.  Friedrichs  LH.  v.  Siz. 
356. 

—  T.  Ludwigs  v.  Lngarn 
405. 

—  v.  Molina  348  f. 

—  Jolante,  Kg.  v.  Jerusal. 
72. 

Marienburg  135. 


Register. 


719 


Marigny,  Enguerrand  de  22 1 , 

241,  242,  245. 

Erzb.  v.  Sons  241. 
Marino,  Treffen  bei  408. 
Marit/.a,  Schlacht  a.  d.   165. 
Markward  v.  Airweiler  5,  26, 

80. 
Marquard  v.  Randeck  283. 
Marmousets,  die  545. 
Marshal    William   44,  160  f. 
Masaccio  627. 
Marsiglio    v.  Padua   273  ff., 

285,  292. 
Marsuppini  631. 
Martin  IV.  189,  204  ff.,  219, 

586. 

—  V,  470, 477  ff.,  498, 5001, 
555,  634,  637. 

—  Kg.    v.   Aragonien   356, 
413,  698. 

-  d.  J.  698. 

—  Bisch,  v.  Lifsabon  693. 

—  v.  Paris  68. 
Matthäos,     S.    d.    Kantaku- 

zenos  589. 
Matthäus  v.  Krakau  438. 
Matthias  Gorvin.  573 f.,  607  f., 

643,  651,  653  ff.,  663,  668. 

-  v.    Buchegg,     Erzb.     v. 
Mainz,  264. 

—  v.  Janow  457. 
Mathildische  Güter  4,  6,  26, 

35,  80.  39. 
Mauclerc  Pierre  676. 
Maupertuis,  Schlacht  v.  336. 
.Maximilian  I.  661  ff.,  682  f. 
Mechthild,    T.    Rud.    v.    H. 

257. 

-  T.  Adolfs  195. 
Medici,  Ardingo  630. 

—  Bartolomeo  630. 

—  Giovanni  630. 

—  Ginliano  632. 

-  Lorenzo  630. 
Lorenzo,  d.  Pracht.  632. 

—  Pietro  631  f. 
Meinhard  I.     v.    Görz- Tirol 

119. 

-  IL    v.    Görz-Tirol  145  f., 
184  ff.,  190  f.,  195. 

—  v.  Görz   376. 

-  v.  Tirol,  S.  Ludwigs  299. 

—  v.  Segeburg  429. 
Meloria,  Schlacht  bei  252. 
Melozzo  da  Forli  636. 
Mendoza,  Haus  702. 

—  Kard.  703. 


Mercier,  Lc  545. 
Mergentheimer  Stallung  428. 
Meriniden,  die   705. 
Mestwin  v.  Pommerellen  365. 
Michael  YIIL,  Paläol.  166  f., 
204,  585. 

—  Angelos   v.  Epirus     71, 
142,  164,  166  f. 

—  IL  v.  Epirus  585. 

—  v.  Moskau  577. 

—  II.  v.  Twer  577. 

-  v.  Caesena  277,  292. 

—  v.  Deutsch-Brod  471. 
Mies,  Schlacht  bei  496. 
Miglata,  Schlacht  bei  356. 
Militsch  v.  Kremsier  381,457. 
Mindowe  v.  Lit.  576  f 
Minoriten  15  ff.,  117ff.,271ff., 

275  ff. 
Ming,  Dynastie  in  China  598. 
Minoriten,  Bundesgen.  Lud. 

v.  Bayern  271  ff.,  275  ff. 
Mircea,   Fürst   d.  Wal.  421, 

481,  592. 
Mohammed  I.  598  f. 
IL  601  ff.,  610,  635. 

—  III.,     \\    Chovaresmien 
109  f. 

—  V.  v.  Granada  705. 

-  Br.  Murads  599. 

—  en  Xasir  55  f. 

—  Ibn  Achmed  705. 
Mohi,  Schlacht  bei  111. 
Molay,  Jacques  v.  240  ff. 
Mölln,  Schlacht  bei  62. 
Mongolen  107  ff.,  153,  169  ff. 
Mons-en-Pevele,  Schlacht  b. 

237. 
Montagu  545. 

—  Br.  Warwiks  687. 
Montaperto,  Schlacht  b.  142, 
Montefeltro  640. 
Montesa,  Orden  354. 
Montfort,    Simon    d.  Ä.    20, 

50  ff. 

—  Simon  d.  J.  161  ff. 

—  d.  Haus  in  Bretagne  341 . 
Montiel,    Schlacht   bei   341, 

352. 
Montlhery,  Schlacht  bei  678. 
Montreuil,  Jean  de  641. 
Morea,  Herleitung  d.  Namens 

168. 
Morgarten,  Schlacht  bei  263. 
Morosini,  Patriarch  v.  Konst. 

71. 
Mortimer,  Anna  685. 


Mortimer   v.    Marchc   549. 
Grofa  686. 

Edmund  538,  540  ff. 
Moskau,  Mittelp.   Rufslands 

577  f. 
Mossafariden,  Ende  der  596. 
Muazzam  83. 

Mühldorf,  Schlacht  bei  264  f. 
Müller,  Joh.  642. 
Muiioz,  Ägid,s.KlemensYLIL 
Murad  I.  590  f. 

-  H.  599  ff.,  610. 
Muret,  Schlacht  bei  56  f. 
Murten,  Schlacht  bei  663. 
Musa,  B.  Moham.  I.  599. 
Musciatto,  Gaidi  228. 
Mussato,  Albertino  619. 
Mustapha,   S.  Bajesids  599. 
Mustässim  170. 

Muzalo  166. 

Mystik,  d.  deutsch.  21,  389. 

Näfels,  Schlacht  bei  428. 
Xajera,  Schlacht  bei  351. 
Nancy,  Schlacht  bei  663. 
Nardi,  Bern.  632. 
Nasir  v.  Kerak  152. 
Nasriden,  die  57,  705. 
Naves,  de  Tolosa  55,  56. 
Naxos,  Herzogtum  167. 
Neocastro,  Friede  v.  354. 
Nemours,  H.  v.  681. 
Nepotismus,    Syst.  der  röm. 

Kurie  636  f. 
Nerio  H.  v.  Athen  608. 
Neutralität  im  Schisma  415  f. 
Nevil,  s.  Rieh.  v.  Salisbury. 
Nevils  Crofs  333. 
Niccolö  de'  Niccoli  624. 
Nidharos  (Drontheim)  63. 
Nif  en  (Neif  en),  Bertold  v.  270. 

—  Heinr.  v.  34  f.,  79. 
Nikäa,  Kaiserreich  71, 73, 164. 
Niketas  7. 

Nikolaus  IH.  188  f.,  204,  271. 

-  IV.   189,  207,  234,  268. 

—  V.  528  f.,  623  f.,  634, 636, 
650,  656. 

—  V.,  Gegenpapst  276  ff. 

—  Breakspear,  s.  Hadr.IV. 

—  de  Curbio  114. 

—  Kardinal  65. 

—  v.  Lothringen  661. 

—  v.  Pilgram  505. 

—  v.  Prag  305. 

—  72. 


720 


Register 


Nikopolis,  Schlacht  bei  593. 
Nissa,  Schlacht  bei  600. 
Noblesse  de  robe  221. 
Nogaret  221,  227  ff.,  245. 
Northamptorj  685. 
Nordhumberland,  Gf.  v.  540. 
Norfolk,  H.  v.  587. 
Xorwich,  Kreuzzug  d. Bisch. 

534. 
Nottingham,  <  Jraf  v.  535. 
Norwegen,  s.  die  Könige. 

-  Lehen  d.  hl.  Olaf  63,65. 
Nowgorod,  Untergang  v.  580. 
Nymphäum,  Vertrag  v.  167. 

O. 

Oberhaus,    Entsteh,  d.    343. 
Obilitsch,  Milosch  591. 
Occam,  Wilhelm  v.  268,  277, 

291  ff.,  344,  392. 
Ochsenstein,  Joh.  v.  427. 
Odo  v.  Montbeliard  91. 
Ogotai  liOff. 
Olaf,  König  v.  Norw.  u.  Dan. 

564. 
Oldcastle  LordCobham)  540. 
Olgerd  372  f.,  578. 
Olmedo,   Schlacht  von    699. 
Opslo,  Schlacht  bei  65. 
Orban,  Stückgiefser  602  f. 
Orden,  d.  deutsche  in  Preufs. 

133  ff. 
Orleans,  Entsatz  v.  558. 

—  das  Haus  676. 
Orsini,    Familie  231,    253  f., 

349,  637. 

—  Kard.  403  f. 

—  Kard.  Xap.  234,  236. 
Osman  578. 

Osnabrück,  E.  v.    Heinr.  v.  , 

Mors)  647. 
Österreich  s.  die  Fürsten  v. 

-  Einziehung  d.  Friedr.  IL 
104  f. 

—  an  Böhmen  136  ff. 

—  an  Habsburg  184,  188  ff.  j 
Ostrorog,  Joh.  579. 

Otto  IV.  27  ff.,  38,  41,  46  f., 
78,.  80  f.,  182. 

—  n.,  Herzog     v.     Bayern 
118  f.,  125. 

—  H.v.  Bayern, Kg.  v.  Eng.  I 
185,  197,  201,  258. 

-  IV.  v.  Meranien  452. 

-  IV.  v.  Niederbayern  280. 

—  H.  v.    Brandenburg    60. 

—  HI.  128  f. 


Otto  IV.  192  f. 

—  V.  187. 

—  v.  Bayern,  Knrf.  v.  Bran- 
denburg 2991,  376  f. 

—  Pfalzgraf    v.    Burgund, 
S.  Friedrich  Barb.  28. 

-  Pfalzgraf   v.   Burg.  192, 
196,  222. 

-  H,    S.    Christ.  H.    361. 

—  v.  Braunschweig-Tarent 
405,  207  f. 

v.  Freising  129. 

-  v.  Habsburg  181. 

-  v.  Lüneburg  62,  88,  93, 
103,  647. 

v.  Heran  83. 

-  v.  Österreich   273,    279. 

-  de  la  Roche  167  f. 

—  v.  Sachsen  297. 

—  v.  Witteisbach,  Pfalzgr. 
31. 

—  B.  v.  Würzb.  87. 
Ottokar  v.  Böhmen  31,  34, 88. 

-  H.     119,    129,    135    ff., 
180  ff.,  185  ff.,  189, 202, 301. 

Ourem,  Graf  v.  693. 
Oxford,  Provisionen  162. 

P. 

Pacheco,  Marq.v.Villena  699. 
Palästrina,  Zerstör,  v.  208  f. 
Pallavicini,  Uberto  121, 125, 

144. 
Paltram,  Bürg.  v.  Wien  186. 
Pandulf,  Legat   40,  93,  160. 
Pannonius  Joh.  643. 
Papsttum,    französ.  Einfliifs 

233  ff. 
Parentucelli,  s.  Xik.  V. 
Parlament,  Entst.  d.  Namens 

161. 

-  d.  gute  531. 

—  d.  unbarmh.  531  f. 
Parlamente   in  Frankr.  245. 
Parma,  Fall  v.  118. 

—  Schlacht  bei  121. 
Pa>t<>rellen  155. 
Patarener  12. 

Paul  IL  581,  608,  635  f.,  657. 
Paulizianer  12. 
Payne,  Peter  505. 
Pazzi,  die   632. 
Pearce  Exton  538. 
Pelagonia,  Schlacht  bei  160  f. 
Pelagius,  Legat  83  f. 
Pelavo  Alvaro  386. 


Pembroke,  Graf  v.  352. 
Percy,  d.  Heifssporn  536,  540. 
Pereira  Nufio  Alv.  694. 
Perejaslawl    Rjäsanski    57!». 
Perfecta  13,  19,  20. 
Perugino  627. 
Peta  111. 
Peter,  Pedro,  Pierre,  Petrus. 

—  v.  Courtenay,   K.  74. 
Pedro  H.  v.  Arag.  10,  51,  55  f. 

-  m.  142,  189,  205,  350  ff ., 
386. 

-  IV.  355  f. 

-  I.  v.  Port.  358  f. 

—  d.  Graus.  341,  349  ff., 
356,  358. 

—  Inf.  v.  Port.  696. 

—  Oh.PedrosIV.  v.Ar.  255. 

—  v.  Sizilien  255. 

—  v.  Exerica  356. 
Peter  I.  v.  Cypern  174. 

—  U.  v.  Cypern  174. 

—  v.  Aspelt,  Erzb.  v.  Mainz 
202,  247  ff.,  250,  257,  264, 
290. 

—  v.  Bruys  12. 

-  v.  Castelnau  50. 

-  Cheltschitzky  658. 

—  (Pierre),  S.  Ludw.  IX. 
173,  676. 

—  de  la  Mare  393. 

-  v.  Ostia  316. 

—  v.  Savoyen  160. 
Petrus  v.  Ancorano  414. 

—  v.  Luxemb.  406. 

—  y.   Vinea  95,  120,  141. 
Petit,  Jean  547,  480. 
Petrarca    300,    315   ff.,    380, 

417,  619  ff.,  625,  627  f.,  640. 
Peuerbach,  Georg  642. 
Peutinger,  Konrad  642. 
Pfaffenbrief,  d.  426. 
Pfaffenkrieg  v.  Breslau  471. 
Pfalz,  die  645. 
Philipp  y.  Schwaben  27  ff., 

56,  69,  128. 

—  Titulark.  v.  Konst.  16«. 

—  H.  August  33,  36,  38, 
40,  44  ff.,  72,  150,  157. 

—  IH.  v.  Frankr.  173,  180, 
210,  217  ff. 

—  IV.  159,  175,  196,  198, 
209,  212,  214  f.,  217,  220  ff., 
233  ff.,  247  ff. 

—  V.  245  f. 

—  VI.  291,  324  ff. 

—  H.  y.  Burg.  254. 


Register 


721 


Philipp    d.   Kühne    v.   Burg. 
342,  543  ff.,  654. 

-  d.  Gute  552,   555,    560, 
674,  677,  679. 

-  v.  Courtenay  74. 

—  v.  Evreux  326  f. 

v.   Kärnten  188,  190. 

-  Erzb.  v.  Köln  4  f. 

-  Maria  v.  Mail.  502. 
v.  Nav.  335. 

-  v.  d.  Pfalz  645. 

-  v.  Poitiers  268. 

-  Erzb.  v.  Salzb.  137  ff. 

—  d.  Schöne,  Sohn  Max.  I. 
664  f. 

Philippa  v.  Hennegau.  289. 
Philokrene,  Schlacht  bei  588. 
Piacenza,  Signorie  v.  282. 
Piasten  133  f.,  200. 
Pico    de  la   Mirandola    625. 
Picquigny,  Joh.  337. 
Piers  Gaveston  215  f. 
Pietro  Capocci  118  f. 
Pileus  de  Prata  405,  419. 
Pilgrim,  Erzb.  v.  Salzb.  428. 
Pir  Mohammed  598. 
Pirkheimer,  Willibald  642. 
Pisa,  Kaiserwahl  Alfons'  X. 

—  Verf.  308,  309. 

—  Konzil  444  ff.,  464. 
Pisano,  Nik.  625. 
Pitti,  Luigi  681. 

Pius  n.  (Enea  Silvio)  519  f., 

526  f.,  607  f.,  628,  632,  635, 

642,  656  f. 
Plaisian  221,  245. 
Plaoul,  Pierre  447. 
Piatina  636. 
Podiebrad,  Georg  v.  635,  649, 

651  ff.,  665. 
Poggio  Bracciolini  476,  6221, 

624,  631,  641. 
Pol,  St.,  Conneable  678,  681. 
Pole,  de  la,  Mich.  534  f.,  536. 
Polen,  s.  die  Könige. 
Portugal,  s.  die  Könige. 
Praemunire,  Stat.  of  344. 
Prag,    Grund,  d.   Univ.  302. 

-  Abzug  d.  deutsch.  Prof. 
u.  Stud.  459. 

Prager,  d.,  s.  Utraquisten. 

—  Artikel,  die  486  f. 
Pragm.  Sanktion  v.  Bourgcs 

158  f.,  515  f.,  670,  675. 
Praguerie,  die  672. 
Pfemysliden,   Ausg.   d.  201. 
Pfemyslaw  v.  Grofspolen  200. 


Preufs.  Bund  572. 
Preufsen,  der  1).  Ord.  130, 

133  ff. 
Prignano,  s.  ürban  VI. 

-  Francesco  405,  407. 
Procida,  Joh.  v.  201. 
Prokop  d.  Kahle  495  ff.,  505  f. 
Protasius,  Bisch,   v.   Olnnitz 

642. 
Ptolemais,  Fall  v.  174. 
Puchnik,  Nikol.  431  f. 

<l 

Quatrevaux,       Zusammenk. 

Albrechts  I.  mit  Phil.  IV. 

198. 
Quitzow,  d.  452. 

R. 

Rabstein,  Joh.  v.  642. 

-  Pluh  v.  430. 
Racova,  Schlacht  l>ci  573. 
Radu  Negru  373. 

-  IL  374. 
Raimondo  v.  Orvieto  310. 
Raimund    VI.    v.    Toulouse 

50  ff. 

-  VII.  51  f.,  151,  156. 

-  Lull  175. 
Rainald  v.  Dassel  5 

-  I.  v.  Geldern  192. 

-  IV.  v.  Geldern  443,  482. 

—  v.  Mömpelgard  222. 

—  v.  Urslingen  93. 
Rairn.  Bereng.  v.  Prov.  106. 
Rainer  v.  Manente  80. 
Ramiah,  Niederl.  d.  Chr.  152. 
Randuf  466. 

Ravenna,  Reichstag  100  f. 

Reding  Ital  523. 

Reform  vorschl.,  politische  in 

Deutschi.  507  ff. 
Reginald  v.  Canterb.  39. 
Regnault  d.  Cervole  341. 
Reichsreform  Friedrichs  ITT. 

667. 
Rene  v.  Anjou  676- 
Reuchlin  643. 
Reun,     Zusammenkunft    in 

185. 
Reuf's  v.  Plauen  570. 
Reutlingen,  Schlacht  bei  379. 
Rhein.  Bund  105,   107,  126, 

128  f.,   138,  142,  152,  157, 

163,  179,  423  ff. 
Richard    I.    v.  Engl.    6,   29, 

38,  43,  45  f. 


Loserth,   Geschichte  des  späteren  Mittelalters. 


Richard    IL    393,    395,    419, 
445,  458,  530  ff.,  541,  687. 

-  III.  (582,  687  ff. 

—  s.  Salisbury 
Richemont,  Connetable  561. 
Richenza  60. 

Richsa  v.  Polen  200  f. 
Riga,  Gründung   v.  60  f. 
Rigord  45. 
Ritterorden  nach  d.  Kreuzz. 

175. 
Robert,  K.  v.  Konst,  79. 

-  K.   v.  Neapel  251,  270, 
275  ff.,  283,  308,  313. 

—  Bruce  328. 

-  I.  v.  Artois  107,  153  f. 

-  IL  Gr.  v.  Art.  205,  237. 

-  Urenkel  Rob.  I.  329  ff. 

—  de  Bourchier  321. 

—  v.  Burgund  191  f. 

—  v.  Clermont  676. 

—  v.  Durazzo  314. 

—  s.  Klemens  VII. 

-  le  Coq  337  ff. 
Rochelle,  La,  Schlacht  342, 

352. 
Rochow,  die  452. 
Roffried  v.  Benevent  90. 
Roger  de  Flor  354. 

-  Mortimer  328. 

—  v.  March  537. 

—  v.  Sizilien  6. 

Rohr,  Erzb.  v.  Salzb.  660. 
Rokvtzana  494,  505,  507,  519, 

650,  655. 
Rom,  s.  d.  Päpste. 

-  Konzil  v.  1412,  455. 
Romagna,  Rekuperation  26. 
Roman  v.  Halitsch  137. 
Romanus  de  Scotta  8. 
Roosebeke,  Schlacht  hei  544. 
Rosen,  Kämpfe  der  684  ff. 
Rosenberg,  Heinr.  v.  433. 
Rovere,  die  636. 

Roztok,  Georg  v.  430. 
Rudau,  Schlacht  bei  368. 
Rudolf    v.    Habsburg     124, 
146  f.,  177  ff.,  452. 

—  IL  v.  österr.  187,  190  f., 
193,  202. 

—  III.  198,  201  f. 

IV.  296,  299  f.,  319  f. 
Pfalzgraf,  IL  v.  B.  195, 
197,  257  ff. 

—  IL  298. 

-  H.  v.  Sachsen  290,  297, 
450. 

46 


"t'2'2 


"Register 


Rudolf  v.  Balm  202  f. 

—  v.  Wart  202  f. 
Ruesbrock  Joh.  389. 
Rufin,  Bandenführer  341. 
Ruprecht,  Kg.  418,  416,  433, 

435  ff.,  446  f.,   449,  452  f., 
645. 

-  I.— IV.  438. 

—  d.  J.  297. 

—  v.  Nassau  197. 
Rufsdorf,  Paul  v.  571. 
Rufsland  110,  111. 
Rutland,  S.  d.  Herz.  Edmund 

v.  York  536. 
—  S.  Richards  v.  York  686. 

s. 

Saaz,  Sieg-  d.  Hussiten  491. 
Sabbatati  14. 
Sachsen  s.  d.  Herzöge. 
Sachsenhausner  Appellation 

271. 
Sachsenspiegel  129. 
Saintes,  Schlacht  bei  151. 
Sauset  Bern.  224  f. 
Salado,  Schlacht  am  349, 358. 
Salerno  125. 
Salimbene  122,  150. 
Salisbury,  Earl  v.  538. 

—  Gr.  555. 

-  Richard  Xevil  685  f. 
Sah  »ine  v.  Kujavien  366. 
Salvatierre,  Bergfestung  58. 
Samuel  el  Levi  351. 
Sancho  I.  v.  Port.  56  f. 

-  II.  v.  Port.  57. 

—  IV.  v.  Konst.  219,  348, 

—  Rarnirez  v.  Arag.  54. 
Sandschi,    türk.  Prinz  590  f. 
Sanudo  Marco  169. 

—  Marino  175. 
Sardinien,  päpstl.  Lehen  10, 

105. 
Savelli,  die  309. 
Savona,  Sieg  d.  Kaiserl.  121. 
Savoyen,  Grafen  v.  191  f. 
Say,  Lord  684. 
Sayn,  Graf  v.   101. 
Sbigncw  \>  Olesnicky  643. 
Sl  )inko  v.  Hasenb.  458  ff. , 4 75. 
Skala,  die  306,  439,  633. 
Scanderbeg  s.  Georg 
Schach  Roch  598. 
Schädi-i-Mulk  198. 
Schärding,  Friede  v.  376. 
Schiltberger  593. 
Schischman,  Bulgaienk  374. 


Schischman  m.  590. 
Schisma,  d.  gr.  386,  400  ff . 
Schlüsselsoldaten  93  f. 

Schottland.  Vasallenstaat, 
Engl.  211  f. 

—  Unabhängigkeitskrieg 
213  ff. 

Schubitsch,  che  371. 
Schwaben,  s.  d.  Staufer. 

—  Frage  d.  Wiederherstel- 
lung 191. 

Schwäbischer       Städtebund 

379,  442  f.,  669  f. 
Schweden,  s.  d.  Könige. 
Schweiz,  Entst.    u.  Ausbild. 

249,  259  ff.,  304  f.,  425  ff., 

522  ff. 
Schwerin,  s.  Heinr.  u.  Gun- 

zelin  61. 
Schwertritter  61,  134. 
Segarelli  388. 
Selau,  Joh.  v.  489,  492. 
Segall,  Jak.  706. 
Seid,  Jussuf  706. 
Sempach,  Schlacht  bei  427  f. 
Senat,  Senator  v.  Rom  25  f. 
Seuse  389. 
Sforza,    Kondott.    455,    513, 

526,  637,  639  f. 

—  Bona  640. 

—  Franc.  676  f. 

—  Galeazzo  640. 
Maria  640. 

—  Jacopo  639. 
-  Ludow.  640. 

Sichern,  Schlacht  bei  171. 
Sidon,  Em.  72. 
Siena,  Verf.  v.  308. 
Sigfried  v.  Anhalt  180. 

—  v.  Köln  190,  192,  195. 
v.  Mainz  H.  34. 

—  v.  Mainz  105. 
Sigmund,   Kg.  379  f.,  419  f., 

43,4  ff.,  439,  441  f.,  446, 
448  ff.,  464,  466  ff.,  471  ff., 
475,  477,  479  ff.,  485  ff., 
493  ff.,  502  ff.,  507  ff.,  551, 
561,  569,  571,  592,  600, 
623,  639,  641,  645,  GQ6. 

Sigmunds  Reformation  509. 

Sigmund  v.  Tirol  517,  649, 
652,  655  ff.,  661  f.,  669  f. 

Signorie,  Auf.  d.  250  ff.,  306. 

Sigurd  Jonson  566. 

—  Mund  63. 

Simeon,  Sohn  Stef.  Duschans 
373. 


Simeon  v.  Moskau  578. 
Simnel  Lambert  691. 
Simonetta,    Staatssekr.    640. 

Sit,  Schlacht  am  111. 

Sixtus  IV.  636  f. 

Sizilien,  Erwerb,  d.  d.  Staufer 

4,  6,  26,  27,    32  ff.,    77  ff., 

140  ff. 
Sizilischer  Krieg  93  f. 
Sizilische  Vesper  203  ff. 
Sinters  62»;. 
Sluys,  Sieg  bei  331. 
Snorre  sturleson  65. 
Soderini  632. 
Solms,  Grafen  v.  101. 
Somerset  685,  687. 
Sophie,  Gem.  Wassili a   579. 

—  G.  K.  Wenzels   4s- 

—  G.  Iwans  III.   581,  605. 

—  Verlobte  Konradins  1 4< >. 

—  G.    Wladislaws  II.    571. 

—  Y.Raabs,  G.  Friedr.  I.  v. 
Hohenzollern  452. 

Spanier,  Kreuzz.  d.  172. 

^piritualen  271. 

Spoleto,  Rekup.  d.  Friedr.  FT. 

106  f. 
Stafford  Huinphrey  691. 

—  Thomas  691. 
Stanislaus  v.  Znaim  461. 
Stanley,  Lord  691. 
Staveren,    Schlacht  bei  289. 
Stedinger,     F'ntergang     der 

101,  102. 
Stehendes  Heer    in  Frankr. 

671. 
Steiermark   an  Ungarn  137. 

—  an  Böhmen  138. 

—  an  Habsburg  188  ff. 
Sten  Sture  566  f. 
Stephan,  K.  v.  Ungarn  139. 

—  K.  v.  Bosnien  605. 

—  Thom.  606  f. 

—  H.    v.  Bayern  258,  272, 
279,  299  f.,  376. 

—  H.    v.    Niederb.    428  f., 
433. 

—  Urosch  HI.  372. 

—  VI.  Duschan  372,  588  ff. 

—  VH.  v.  Serb.  590. 

—  S.  Lazar>  592  f. 

—  Kotromanowitsch      von 
Bosnien  590. 

—  d.   Grofse  v.  d.  Moldau 
573  f.,  608  f. 

—  Palecz  458,  461. 

—  Hirtenknabe  72. 


Register. 


723 


Sternkaminer,  die  692. 
Stirling,  Schlacht  bei  212. 
Streitschriften,     Kirchenpöl. 

225. 
Stüfsi  Rudolf  523. 
Suffolk,  H.  v.  684. 
Sulciman  587,  r>S(.). 

S.  Bajesids  597. 
Superiorität  des  Konz.  4(51), 

513  f.,  527. 
Supino,  Reginald  v.  230. 
Sven  Estritson  59. 
Sverrir,  K.  v.  Norwegen  63  f. 
Swante  Sture  567. 
Swantibor   III.  v.  Pommern 

433. 
Swätoslaw  III.  570. 
Swenza,  tue  365  f. 
S  werker  I.  66. 

—  n.  66. 

Syrien  seit  1254.  169  ff. 
Szilagyi,  Mich.  653. 

T. 

Tabor,  Gründung  v.  462. 
Taboriten  486  f. 
Tachau,  Sieg  d.  Hussiten  492. 
Tagliacozzo,  Schlacht  bei  148. 
Talbot  558,  562. 
Taillebourg,  Schlacht  bei  157. 
Tankred  v.  Lecce  6. 
Tannenberg,     Schlacht    bei 

481,  570. 
Taragäi,  Tiinurs  Vater  59. 
Taraskon,  Vertr.  v.  206,  221. 
Tard-venus,  die  341. 
Tataren  s.  Mongolen. 
Tauler  389. 
Taus,  Sieg  d.  Hussiten  498. 

—  Vertrag  v.  264. 
Teilsage  263. 
Templerprozefs  237  ff. 
Tello,  Halbbr.  Pedr.  d.  Graus. 

350,  352. 

Territorialherrsch,  i. Deutsch- 
land 79. 

Tewksbury  688. 

Thaddäus  v.  Suessa  115  f., 
118. 

Theobald  v.  Champ.  150, 152. 

Theodor  Laskaris  70  f.,  74, 
165. 

—  —  v.  Nikäa  165  f. 

-  v.  Epirus  74,  164  f. 
Thessalonich,  Königr.  71,  74. 
Thierberg,  Konr.  v.  135. 
Thomas  v.  Acerno  405. 


Thomas  v.  Aquino   21,  223. 
v.  Lancaster  215  I'. 

-  Oh.    Richards    l\.    531, 
535  ff. 

-  v.  Savoyen  125. 
Thorn,    Friedr.   v.  570,    572. 

—  Gründung  v.    131. 
Thüringen,   Konrad    v.  107. 
Timur  579,  593. 

Tocco  Carlo  600. 

—  Leonardo  609. 
Togluk  Timur  594. 
Toghrulbeg  587. 
Toktamisch  579  f.,  595  f. 
Tolomeo  v.  Lucca  189. 
Tomornitza,  Schlacht  bei  605. 
Torkel  Knutson  362. 
Torquemada  704. 

Toro,  Schlacht  bei  701. 
Torre,  de  la,  die  252. 
Toulouse  an  Frankreich  219. 
Towton  686. 
Trapezunt  71,  605  f. 
Trasönund  v.  Segni  8. 
Trastamara,   s.  Heinr.  II.  v. 

Käst. 
Traversari  631. 
Tresilian,  Oberrichter  536. 
Tristan,    S.  Ludw.  IX.   154. 
Trithemius  642. 
Triumphus,  Aug.  386. 
Troyes,  J.  v.  547. 
Tudor,  Edmund  691. 

—  Owen  691. 
Tschamorli,  Schlacht  bei  599. 
Tunis,  Kreuzfahrt  gegen  173f . 
Turanschah  153  f. 
Tuchins,  die  543. 
Türken,   Ältere    Gesch.    der 

586  ff. 
Turin,  Friede  v.  374. 
Twartko,  K.  v.  Bosnien  373  f., 

421. 
Tyler,  Wat  533,  590  f. 

U. 

Ujlaky,   Nik.  520,  650,   654. 
Ulrich  v.  Cilli  650  f. 

-  H.  v.  Kärnten  138. 

—  B.  v.  Passau  84,  219. 

—  B.  v.  Seckau    138,    184. 

-  v.  Württemberg  379, 423, 
429. 

Ulu  Mohammed  580. 
Ulug-Beg  598. 
Unam  Sanctam  227,  236. 
Uncastillo,  Bündnis  351. 


Ungarn,  s.  »I.  Könige. 

Ende  «1.  Arpaden   199  ff. 
and.Pfemysliden  199  ff. 

-  d.  Haus  Anjoii   201  !'. 
üngkhau   109. 

Fnion  d.  morgen-  u.  abendl. 

Kirche  513  f. 
Unterhaus,  engl.  313. 
Upsala,  Erzbist.  66. 
Franc,  Conte  601. 
Urban  IU.  4  f. 

-  IV.  142  f. 

-  V.  322  ff.,  345,  389,  393. 

-  VI.  35(5,  375,  399,  402  ff., 
418  f.,  431,  460,  535,  587  f. 

Frosch,  S.Steph.  VI.  Duschan 

373. 
Fsbek,  Khan  578. 
Utraquisten  486  f.,  488.. 

V. 

Valla  Lorenzo  624,  634. 
Varna,  Schlacht  bei  521. 
Valentine  v.  Orleans  545  ff., 

677. 
Vatatzes  165  f. 
Venedigs  Glanzzeit  633  f. 

—  Herrschaft  iniArchipelag 
168  f. 

—  Verfassung  307. 
Vere,  Eobert  de  534  f. 
Vergerio  d.  Ä.  641. 
ATerneuil,    Schlacht  bei  555. 
Verona,  Signorie  252. 
Verrocchio  627. 

Viana,  Carlos  v.  700. 
Visconti,    die       253,       306, 
378. 

—  Azzo  273. 

—  Barnabo  323  f. 

-  Estorre  638  f. 

-  Filippo  Maria  638  f. 

—  Gabriele  638. 

—  Galeazzo  275,  339,  638. 

—  Gian  Carlo  638  f. 

—  Gian  Galeazzo  435, 439  ff. 

—  Gian  Maria  638. 

—  Giovanni  308  f. 

—  Marco  273. 

-  Matteo  270. 
Visen,  H.  v.  697. 
Vitaliner  564. 

Vitelleschi,   Legat  513,  515. 
Vitez,  Joh.  643. 
Vittorino  da  Feltre  640. 
Vulkassin,  Kg.  d.  Serben  374. 

46* 


724 


Register. 


W. 

Wahlstatt,  Schlacht  bei  112. 
Waisen,  die  495. 
Wakeneid,  Schlacht  bei  686. 
Waldemar  I.   v.  Schw.   362. 

-  I.  v.  Dänemark  59. 

-  H.  59  ff.,  66  f.,  ST. 

-  m.  361. 

—  IV.  361,  363  ff.,  368,564. 

-  Br.  Birgers  362  f. 

-  v.  Anhalt  297. 
V.Brandenburg 278,  2881 

-  der  falsche  297  f. 
Waldes  Pierre  13  f. 
Waldesier  11  ff.,  17  f.,  387  ff. 
Wales,  Erob.  210  f. 
Wallace  William  212  ff.,  222. 
Wallenrod  Konrad  36S. 
Walram,  Erzb.  v.  Köln  526  f. 

-  Br.  Heinrichs  VH.  250, 
253. 

Walter  v.  Eschenbach  202  f. 

—  v.   d.  Vogelweide   5,   8, 
35,  87  f. 

Warbek  696  f. 
Wartenberg,     Tschenek     v. 

488  f. 
Warwik,  Graf  v.  537. 

—  Oheim  Heinr.  V.  552. 

—  Eduard  692. 

-  Richard  685  ff. 
Wassili  II.  579  f. 

-  m.  580. 

-  d.  Schieler  580. 
Wenzel  I.    v.    Böhmen    10-4, 

112  f.,  118  f.,  137. 

-  IL  185,  187,  190,  193  f., 
200  f.,  301,  365. 

in.  365. 

-  B.  Karls  IV.  300,  380, 
444. 

-  Kg.  von  Deutschi.  300, 
376  ff.,  405,  413,  416  ff., 
449  f.,  452,  458,  476,  485  ff., 
570. 


Wenzel,    Propst    v.  Mcifsen 

431  ff. 
Werdenberg,  Hang  v.  669. 
Werner  v.  Bolanden  5. 

—  v.  Egisheim  93. 

—  v.  Habsburg  181. 

—  v.  Homburg  254. 

—  v.  Mainz  ISO,  192. 

—  v.  Ursüngen  314. 
Wesel,    Landfrieden  v.  424. 
Wettiner,  die  645. 

Wiclif    293,    345  f.,    389  f., 

531  f.,  534. 
Wiclifismus,  Ende  d.  in  Engl. 

540. 

—  in  Böhmen  455  ff. 
Wieland,  Sohn   Ludw.  d.  Ä. 

v.  Bayern  647. 
Wiener  Konkordat  528  f. 

—  Friede  138. 
Wilhelm  v.  Holland,  Kg.  119, 

124  ff,  143. 

-  Kg.  v.  Schottl.  40. 

—  I.  v.  Siz.  81. 

—  H.  v.  Siz.  6,  81. 

v.  Achaja  166,  168  ff. 

—  v.  Baiern  502. 

—  v.  Bretagne  52. 

—  Graf  v.Holland  289,  296. 

—  Sohn  Friedr.  HL  v.  Siz. 
356. 

-  v.  Meifsen  323,  432. 

—  LH.  v.  Sachsen  645,  652. 

—  v.  Montfort  275. 

—  v.  Xangis  151. 

-  v.  Österreich  419  f,  441. 

—  v.  Sabina  65,  67. 

—  Yillehardouin  168. 
Wilhelmsgesellschaft  423. 
AVimpfeling  642. 
Windecke  649. 
Winchester,  Kard.  555,  561, 

588. 
Wisbys  Niedergang  364. 
Witcn  577. 


Witold,  Grölst",  v.  [it.  476, 
489,  492,  497,  570,  579. 

Witteisbach  im  15.  Jahrh. 
646. 

Wlad  Draeul  607. 

Wladislaw  Lokietek  200  f, 
365  f,  369  f. 

—  H.    v.   Polen    420,    481, 
569  ff.,  579. 

-  m.  518  ff.,  571. 

—  Kg.  v.  Böhmen  u.  Eng. 
513  f.,  687  f.,  (M?x. 

—  H.  v.  Oppeln  569. 

—  v.  Mähren  118  f. 
Worms,    d.    gr.    Hoftag    99, 

100  ff. 
Wok  v.  Waldstein  460. 
Worringen,  Schlacht  bei  192, 

194  f. 
Wukaschin    v.  Serbien  590. 
Württemberg  im  15.  Jahrh. 

646. 
Wydeville,  Elis.  687  ff. 
Wykeharn,  Will.  536. 

X. 

Xenil,  Schlacht  am  349. 
Ximenez  703  f. 

Y. 

York,  Arundel,  Erz)),  v.  536  f., 
540. 

—  Richard  v.  685  f. 

Z. 

Zabarella  414,  454,  464. 
Za wisch  v.  Ealkensteinl85f., 

193. 
Zegris,  die   706. 
Ziemovit    v.    Masovien  419. 
Zizka  4S7  ff.,  494  f. 
Zoe  s.  Sophie. 
Zöllner,  Konr.  v.  368. 
Zorayia  701. 
Zwettl,  Sieg  d.  Hussiten  495. 


Nachträge  und  Berichtigungen. 


Durch  ein  Versehen  wurde  in  der  Schreibung  spanischer  und  portugiesischer 
Eigennamen  nicht  die  entsprechende  Gleichmäfsigkeit  beachtet  (siehe  darüber  den 
Index).  Als  Regel  gilt,  dafs  die  fremde,  in  Deutschland  allgemein  angenommene 
Schreibweise  Juan,  Alfonso  etc.  zu  gelten  hat,  wogegen  statt  Henrique,  Fadrique  etc. 
die  entsprechende  deutsche  Schreibung  angenommen  wurde.  Auch  sind  beim  Kopieren 
des  Textes  an  einigen  Stellen  die  Anführungszeichen  weggeblieben. 

Lindners  Weltgeschichte  Bd.  3,  der  zum  Teil  denselben  Gegenstand  behandelt 
wie  dies  Buch,  ist  erst  nach  dessen  Vollendung  (September  1903)  erschienen  und 
konnte  sonach  nicht  mehr  benützt  werden.  Zur  Einleitung :  Maire,  Würdigung  Kaiser 
Heinrichs  VI.    Berlin  1903. 


S.  10.     Z.  22  v.  u.  lies :    zu  statt  zum. 

S.  16.  Zur  Dominikanerlit.  s.  den  Aufsatz 
v.  Reichert  über  die  Provinz.  -  Kapitel 
im  XVH.  Bd.  d.  RQSchr. 

S.  20.  Z.  14  u.  15  v.  u.  lies  :  Entsprechend 
statt  Entgegen. 

S.  36  u.  37  lies :  Freiheitsbriefe  statt  Frei- 
briefe. 

S.  37.  Zur  Lit. :  W.  P  a  r  o  w ,  die  Grund- 
züge d.  Verf.  Engl,  in  org.  Entw.  Jahres- 
bericht Fried.  Werd.  Oberrealsch.  Berl. 
1901. 

S.  39.     Z.  18  v.  u.  streiche :  und. 

S.  11.  Z.  11  u.  15  schreibe :  Philippe  statt 
Philipp. 

S.  56.  Z.  16  v.  o.  lies :  Jayme  I.  statt 
Jayme  H. 

S.  57/   Z.  22 

S.  70.     Z.  2  \ 
sucurrere. 

S.  87.     Z.  23  v.  o 
die  Verkehrs. 

S.  93.  Z.  6  v.  u.  lies  :  Herzog  Otto  v.  Lüne 
bürg  statt  Otto  IV. 


v.  o.  lies :    Alfonso. 
u.  streiche  den  Punkt  nach : 

lies :  des  Verkehrs  statt 


S.  132  konnte  Dietrich  Schäfer,  Die 
Hanse,  nur  im  Lit.  -  Verz.  noch  an- 
gefügt, sonst  aber  nicht  mehr  benützt 
werden. 

S.  133.  Z.  11  v.  u.  lies :  gewinnen  wollte 
statt  gewinnen,  wollte. 

Aus  Schäfer  S.  73  ersehe  ich,  dafs  che  S.  365 
angeführte  Begrüfsung  der  Stadt  Lübeck 
durch  Karl  IV.  nicht  als  hist.  gilt. 

S.  142.  Z.  7  v.  u.  lies :  Pedro  und  Jayme 
statt  Peter  u.  Jacob. 

S.  145.  Zur  Lit.  füge  an  Heidemann, 
Klemens  IV.  Münster  1903. 

S.  152  u.  153.  Lies :  Cornwallis  statt  Corn- 
walis. 

S.  159.     Z.  15  v.  o.  lies :  R.  Grosseteste. 

S.  113.  Zu  Pavo  hat  Grauert  ausgeführt, 
dafs  sowohl  die  Notitia  saeculi  als  d.  Pavo 
dem  Jordanus  von  Osnabrück  abzu- 
sprechen seien  S.  HZ.  XCT.  355.  S. 
auch  Wilhelm.  Zu  Jordanus  v.  Osna- 
brück MJÖG.  XXIV  353. 

S.  130.  Z.  3  v.  o.  lies :  gleichfalls  statt 
Gleichfalls. 


726 


Nachträge  und   Berichtigungen. 


203. 
206. 
206. 


243. 
245. 

246. 


168.  Z.  4  v.  u.  lies :     /;  Mögen. 

169.  Z.  56  v.  o.  lies:  seine  Herrschaft. 

170.  Z.  3  v.  u.  lies:  A.  Müller. 

177.  Z.  8  v.  u.  lies:  Guiraud. 

178.  Füge  hinzu :  Formulare  aus  Kud. 
v.  Habsbg.  Kanzlei.  Mitgeteilt  von 
Schwalm,  XA.  XXYm,  687. 

181.     Z.  1  v.  u.  lies:  geübt  haben. 
183.     Z.  24  v.  u.  lies:  Kärnten. 

188.  Zur  Lit. :  Demski,  Papst  Xikol.  1H., 
Kirchengesehiehtl.  Stud.  VI.,  1  und  2. 
Münst.  1903. 

189.  Z.  9  v.  u.  lies:    die  Fragen. 
196.     Z.  20  lies:    Dauphine. 

199.     Z.  18  v.  u.  lies:  Fidelitätseid. 

Z.  20  v.  o.  lies:  di  statt  die. 

Z.  5  v.  u.  lies  :  Cölest.  V.,  III,  528. 

Z.   10  v.  o.  lies  :  Friedrich  IL  statt 
Friedrich  III. 

227.     Z.  18  v.  u.  lies:  den  Makel. 
Z.  17  v.  o.  lies :  Kommifsäre. 
Z.  20  v.  o.  lies :  Plaisian. 
Füge  hinzu :   Voeux  de  l'Epervier 
1309—1313,    ed.    Wolfram    u.     Bonnar 
dots.     Jahresber.  Ges.  loth.  G.  Alt.   VI. 
1894. 

247.     Füge  an:     W.  Israel,    die    Bez. 
zw.  König   Robert  v.  Xeapel    u.  König 
Heinr.  VII.  Hersfeld  1903. 
257.     Z.  15  lies :     Jaymes. 
260.     Z.  5  v.  o.  lies:    Dändliker. 
264.  Z.  22  v.  o.  lies  :  langsam  statt  angsani. 

266.  Füge  an:  Kehr,  Zur  Gesch.  d. 
päpstl.  Schatzes  im  19.  Jahrh.  RQSch. 
XVI,  415. 

267.  Füge  hinzu  :  E  u  b  e  1 .  die  letzt- 
willigen Legate  Xikol.  V.  (d.  Gegenp.) 
RQSch.  XVH,  161. 

320.     Z.  14  v.  o.  lies :  Bestätigung  statt 

Betätigung. 
325.     Füge  an :  Deprez,  La  guerre  de 

Cent    ans    ä    la    mort    de    Benoit   XU. 

RH.  LXXXIH,  58  ff. 

330.     Z.  14  v.  o.  lies  :  fand  es. 

340.     Z.  11  v.  o.  lies :   während  deren. 

347.     Z.  24  n.  u.  lies  :   Fernando. 

360.     Z.  8  v.  o.  lies:  Stockholm  1878. 
385      Z.  13  v.  u.  lies:  vorbereitet. 

385.  Zu  Meister  Fckard  ist  anzufügen: 
Schriften  u.  Predigten  Meister  Kckeharts 
aus  d.  Mhd.,  herausg.  v.  Büttner,  I.  Bd., 
Leipz.  1903,  u.  Meister  Eckharts  Mysti- 
sche Schriften.  In  unsere  Sprache  über- 
tragen v.  G.  Landauer,  Berl.  1903. 

388.  Z.  7  v.  u.  und  389  Z.  9  v.  o.  und  6 
v.  u.  lies  Eckard. 


S.  399.  Füge  an:  Die  Adventsiede  des 
Matth.  d.  Cracovia  vor  Laiist  Urban  VI. 
im  Jahre  1386  v.  G.  Sommerf eldt 
MJÖG.  XXJV,  396. 

S.  402.  Füge  hinzu  :  L  e  d  o  s  ,  Frankreichs 
Stellung  zur  Kirchenspaltung  vom  Tode 
KlemensVH.  bis  Martin  V.   RQH.  1903. 

S.  412.     Z.  10  v.  oben  lies:  VI.  statt  IV. 

S.  419  u.  420.     Lies :  Jost  statt  Jobst. 

S.  432.  Z.  2  v.  o.  lies :  Bohuslaw  statt  Bohmlaw. 

S.  445.  Zur  Lit.  füge  schon  jetzt  an : 
Haller,  Der  Ursprung  der  gallik. 
Freiheiten.     HZ.  X(/I,  193  ff. 

S.  453  u.  464.  Füge  hinzu  :  G  ö  1 1  e  r ,  Papst 
Johann  XXIII.  u.  Kg.  Sigmund  im  Som- 
mer 1410.     RQSch.  XVH,  KU». 

S.  456.  Z.  28  v.  u.  lies  :  unzulänglich  statt 
veraltet. 

'S.  495.  Z.  15  v.  u.  das  Wort  später  ge- 
hört an  den  Anfang  der  nächsten 
Zeile. 

S.  505.  Ich  habe  Rokytzana  statt  Roky- 
zana  geschrieben,  um  die  Schärfe  der 
Kons,  deutlich  zu  machen,  sonst  wird 
Rokyzana  gedruckt. 

508  u.  509.     Gegen  che  Ansichten  Wer 

ners  hat  sich  eben  Köline,   Zur  sog. 

Ref.    K.    Sigmunds     im    XA.    XXYHI, 

729  ff.  gewandt. 

513.     Ergänz. :    Preiswerk,  Der  Ein- 

fiufs  Aragons  auf  den  Prozefs  d.  Basier 

Konzils  gegen  Papst  Eugen  IV.    Basel 

1902. 
S.  530.     Z.  8  v.  o.  lies  :  Traktate.     Rymer. 
S.  533.     Z.  1   v.  o.    lies :    Bewegung    statt 

Rewegung. 
S.  537.     Z.  12  v.  u. :     streiche    das    Wort 

einzigen. 
S.  542.     Z.  28  v.  u.  lies:  Literatur  an  gaben 

statt  — ausgaben. 
S.  558.     Z.  21  v.  u.  lies :    Forderung  statt 

Forderungen. 

562.  Z.  10  v.  u.  streiche:  sich. 

563.  Z.  20  v.  o.    lies :    Hanserezessen 

statt  -Recessanen. 

571.     Z.  9  v.  u.  lies  :   Sigmund. 

583.      Füge    an  :    P  u  s  c  o  1  i ,    carin.    de 

capt.  Const.  1453  ap.  Ellissen  1857. 

Zu  586:  Katalanen:  auch  Ahnugavaren  v. 
arab.  Muhavir,  Bundesgenosse,  Gefährte. 

Zu  616  ff. :  Einzelne  Aufsätze  zum  Huma- 
nismus s.  in  Miscellanea  di  studi  critici, 
edita  in  onore  di  Arturo  Graf.  Bergamo 
1903.  Aufserdem:  Segre,  Studi  sul 
Petrarca,  Fir.  1903.  Rüdiger:  Stud. 
z.  hum.  Lit.     Halle  1896.      Müll  n  er, 


g 


s 


Nachträge  und  Berichtigungen. 


727 


Reden  u.  Briefe  it.  Humanisten.  Wien 
1899.  Rossi,  Un  letterato  e  mercante 
Fiorentino  1898.  Zeller,  Italie  et  Re- 
naissance, 2  A.  Paris  1883.  Klette, 
(tcscIi.  d.  it.  Gelehrtenren.  Greifsw. 
1885  ff.  Bauch,  Die  Rezeption  des  Hu- 
manismus in  Wien.     Breslau  1903. 

S.  633.     Z.  17  v.  o.  Hess:  della. 

s.  634.     Z.  20  v.  u.  lies:  verbittert2). 

S.  648.     Jetzt   auch :    Krones,   Die    Baum- 
kircher. 

650.      Krones,    Leonor     v.     Port,     setzt 
S.  73)  Friedrichs  Krönung  zum  König 
d.  Lomb.  auf  den  15.,  die  Einsegnung 
der   Bhe  auf  den  16.  März. 


s 


650.     Z.  8  v.  o.  lies:  Affons... 

(15.").      Lies  :   Albrecht  VI. 

660.     Z.  15  v.  o.  lies:  Heinburg. 

665.    Z.  18  v.  u.  lies:  des  Grafen. 

671.     Z.   I  v.  o.  lies:  verknüpft   war. 

674.      Füge    an:    Comb  et,    Louis  XI. 

et    le    Saint-Siege    L461— 1483.     Baris 

1903. 

677.     7j.  7  v.  u.  lies :  verlangte  dieser. 

680.  Z.  12  v.  u.  streiche:  legitime. 

681.  Z.  11  v.  o.  lies:  neuem. 

683    ist   an    einigen   Stellen    der  Punkt 
nach   Roll  ausgefallen. 
benso  S.  700  Z.  12  v.  u.  nach    Doc. 


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D  200  .L67  1903  IMS 
Loserth,  Johann, 
Geschichte  des  spateren 
Mittelalters  von  1197  bis  14 


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