*>l
-
Digitized by the Internet Archive
in 2011 with funding from
University of Toronto
http://www.archive.org/details/geschichtedesspOOIose
HANDBUCH
DER
Mittelalterlichen und
Neueren Geschichte.
HERAUSGEGEBEN
G. v. Below, und F. Meinecke,
PROFESSOR AN DER FNIVERSITÄT TÜBINGEN. PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT STRASSBURG
Abteilung ii:
POLITISCHE GESCHICHTE.
Johann Loserth
GESCHICHTE DES SPÄTEREN MITTELALTERS.
MÜNCHEN UND BERLIN.
DRUCK UND VERLAG VON R. OLDENBOURG.
1903.
GESCHÜCHTE
DES
SPÄTEREN MITTELALTERS
VON 1197 BIS 1492.
VON
dä Johann Loserth,
PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT GRAZ.
MÜNCHEN und BERLIN.
DRUCK UND VERLAG VON R. OLDENBOURG.
1903.
Vorwort.
Es war vor 23 Jahren, als ich von einem namhaften Geschicht-
schreiber jener Tage die Anregung erhielt, eine Geschichte des späteren
Mittelalters, die seit Jahrzehnten keine wissenschaftliche Darstellung mehr
gefunden hatte, zu schreiben. Man wird begreifen, warum ich mich
solchem Wunsche versagte. Eine Reihe kritischer Forschungen und
Quellenpublikationen war damals eben begonnen und erst noch wenig ge-
fördert worden, so dafs eine neue, auf älteren oder unvollständigen Samm-
lungen fufsende Arbeit von vornherein als eine antiquierte hätte gelten
müssen. Seit jenen Tagen sind, um nur einige Namen zu nennen, die Ar-
beiten Julius Fickers, Scheffer -Boichorsts und ihrer Schüler, die Eduard
Winkelmanns u. a. über die Zeit der letzten Staufer, die Studien Hubers,
Bussons und Redlichs über die ersten Habsburger erschienen, für die
Zeiten Heinrichs VII. jene K. Wencks, für die ganze Zeit der Habsburger
und Luxemburger die gehaltvollen Schriften Th. Lindners, die . Arbeiten
Finkes zum Konstanzer, jene Hallers zum Basler Konzil. Unsere Re-
gestenwerke liegen für diese Zeit, zum Teil wenigstens, in neuer Be-
arbeitung vor, die Herausgabe der Reichstagsakten ist erheblich weiter
gediehen, und die Eröffnung der vatikanischen Archive hat gerade das
Studium des späteren Mittelalters wesentlich gefördert. Die Fortschritte
in der Geschichtschreibung der aufserdeutschen Staaten sind nicht
minder bedeutend, die Zahl der Studien zur Provinzial- und Lokal-
geschichte schwillt in der Masse der hiefür bestimmten Zeitschriften
immer mächtiger an. Und doch steht noch so vieles aus, und es ent-
steht die Frage, ob es zeitgemäfs sei, schon jetzt an eine zusammen-
fassende Darstellung der letzten drei Jahrhunderte des Mittelalters zu
schreiten. Für mich kam der Umstand noch hinzu, dafs die hier ortigen
Büchersammlungen, wie die der österreichischen Bibliotheken überhaupt,
arm sind und bureaukratisches Walten nicht selten die Benützung des
Vorhandenen hemmt, — Grund genug, weshalb ich lange zögerte, der
Einladung zu folgen, die von den Herausgebern dieses Unternehmens
an mich erging. Schliefslich gaben zwei Momente den Ausschlag: der
YI Vorwort,
Umstand, dafs es einer enzyklopädischen Behandlung des Stoffes galt,
bei der ein allseitiges Zurückgehen auf Quellen erster Hand wohl er-
wünscht, aber nicht unbedingt geboten, tatsächlich auch nicht gut
möglich ist, mehr noch der Wunsch, die Resultate eigener Forschung
in die allgemeine Geschichte dieses Zeitraumes einzuführen und dieser
selbst für die kirchüchen und kirchenpolitischen Fragen, die ja doch
die Welt beherrschten, einen breiteren Untergrund zu schaffen, als ihn
Werke ähnlichen Inhalts besitzen, und wie er für das Verständnis und
die Würdigung der deutschen Reformation des 16. Jahrhunderts als not-
wendig erscheint. Genügt die Darstellung nach dieser Seite, so werden
sonstige Mängel, die Arbeiten enzyklopädischer Art anzuhaften pflegen,
in den Hintergrund treten.
Über die Auswahl des aufzunehmenden Stoffes und seine Gliederung
von den obersten bis zu den untersten Abteilungen herab konnte kaum
ein Zweifel obwalten, und ich hoffe, dafs die streng sachlichen Er-
wägungen, die hierfür mafsgebend waren, Billigung finden werden. Die
Weltherrschaft des abendländischen Kaisertums ist von jener des Papst-
tums abgelöst; diese, in der Theorie längst begründet, wird theoretisch
ausgestaltet und verwirklicht. Beschäftigt sich der erste Teil dieses
Buches mit der päpstlichen Weltherrschaft, ihrem Wesen und ihren
Kämpfen mit den widerstrebenden kirchlichen und staatlichen Kräften,
schildert er ihre äufserliche Gestaltung, die Überspannung ihrer An-
sprüche und ihren hieraus erfolgenden Sturz, so behandelt der zweite
Teil die Versuche der kirchliehen Opposition, an die Stelle der streng
monarchischen eine repräsentative Verfassung der Kirche zu schaffen,
and endlich die unter der Einwirkung des Humanismus erfolgte Auf-
lösung des mittelalterlichen Lebens und die Ausbildung der Grofsmächte,
wie sie am Beginn der Neuzeit erscheinen.
Dafs die Geschichte einzelner Völker und Staaten nicht in gleichem
Umfang behandelt, Imperium und Sacerdotium auch jetzt wie in früheren
Jahrhunderten die Stützpunkte des Ganzen bilden mufsten, liegt auf der
Hand. Von Wichtigkeit ist der Umstand, dafs die Geschichte der isla-
mitischen Staatenbildungen mit Ausnahme der osmanischen schon in
einem früheren Teile dieses Handbuchs ihre Darstellung findet, weshalb
sie hier nur beiläufiger Erwähnung bedurfte ; warum endlich die Ge-
schichte der mongolischen Staatengebilde nicht im einzelnen vorgeführt
wird, bedarf keiner besonderen Erörterung.
In bezug auf die Anführung der Quellen und die Literaturver-
merke wird mancher die Sache anders wünschen. Was die Quellen be-
trifft, so könnte ein Hinweis auf die jüngst erschienenen Bibliographien
von Grofs, Molinier, Pirenne, Capasso, von den bekannteren deutschen
ganz abgesehen, genügen, aber fürs erste waren die unten gegebenen
Vorwort. VII
Verzeichnisse grofsenteils angelegt, ehe diese Bibliographien erschienen,
anderseits fehlen solche für zahlreiche Länder, weshalb sie schon der
Gleichartigkeit wegen für alle beigegeben werden mui'sten. Im übrigen
haben die Quellenvermerke nicht die Absicht, so treffliche AVerke, wie
die von AArattenbach, Lorenz u. a., überflüssig zu machen, sondern zu
ihrer Lektüre anzuregen, daher ist in den meisten Fällen auf sie ver-
wiesen worden. Bei den Literaturangaben mufste schon aus räumlichen
Rücksichten eine Einschränkung stattfinden. Wenn hiebei manches,
vielleicht auch Wichtigeres fehlt, liegt die Schuld weniger an meinem
AVillen als an den zum Teil sehr unerquicklichen Verhältnissen, die
oben nur angedeutet werden durften. Dafs die einschlägige Literatur
ihre Beachtung fand, wird man den vielfachen Zitaten und sonstigen
Stellen entnehmen, in denen auf sie verwiesen wird. Sollte dem Buche
eine Neubearbeitung vergönnt sein, so werde ich freundliche Winke zu
seiner A^erbesserung freudig begrüfsen und gern benützen.
Graz, Ruckerlberg im Oktober 1908.
J. LoserttL
Inhalt.
i.
Die Zeit der päpstlichen Oberherrlichkeit (1198 — 1878).
I. Teil.
Von der Wahl Innozenz' III. bis zum Tode Bonifaz' VIII. Die Zeit der
unbedingten Vorherrschaft des Papsttums 1198 — 1303.
1. Abschnitt.
Innozenz III. und seine Zeit 1198—1216.
Seite
§ 1. Rückblick auf die staufische Politik vom Frieden von Konstanz bis zum
Tode Heinrichs VI 3
1. Kapitel.
Die allgemeinen Grundlagen der päpstlichen Oberherrschaft. Die kirchliche
Opposition und die Hilfskräfte des Papsttums.
§ 2. Innozenz III. (1198—1216). Seine Wahl und sein Charakter. Die AVeltherr-
schaft des Papsttums. Ihre theoretische Begründung und praktische Durch-
führung 7
§ 3. Die kirchliche Opposition. Katharer und Waldesier 11
§ 4. Die Hilfskräfte des Papsttums. Die Bettel orden der Minoriten und Domini-
kaner und ihre Bedeutung 15
§ 5. Die Inquisition 21
2. Kapitel.
Innozenz III. und die Staaten des Abendlandes.
§ 6. Die Verdrängung der Reichsgewalt aus Rom und dem Kirchenstaat. Die
Rekuperationen der römischen Kirche und der Sturz der deutschen Ver-
waltung in Sizilien 25
§ 7. Innozenz III. und der deutsche Thronstreit. Philipp von Schwaben (1198 bis
1208) und Otto von Braunschweig (1198—1218) 27
§ 8. Otto IV. und Friedrich IL (1212—1218) 33
§ 9. Innozenz III. und König Johann von England. Der Verlust der französi-
schen Besitzungen England ein Lehen des Papstes. Die Magna Charta . 36
§ 10. Philipp H. August (1180—1223) 44
§ 11. Der Albigenserkrieg. Ludwig VIII . . 49
§ 12. Die Staaten der Pyrenäischen Halbinsel im Zeitalter Innozenz' III. ... 52
§ 13. Innozenz III. und die germanischen Staaten im Norden Europas. Erhebung
Dänemarks zur Grofsmacht und ihr Sturz 57
3. Kapitel.
Innozenz III. und der Orient.
§ 14. Der vierte Kreuzzug und die Gründung des lateinischen Kaisertums . . 67
§ 15. Die Krauzzugsbewegung bis zum Tode Innozenz' III. und die ersten Zeiten
des lateinischen Kaisertums 71
§ 16. Das grofse Laterankonzil von 1215 und der Ausgang Innozenz' III. . . 74
X Inhalt.
2. Abschnitt.
Friedrich II. und seine Zeit 1216-1250.
1. Kapitel.
Friedrich II. und Honorius III. Seite
§ 17. Die sizilische Frage und die Kaiserkrönung Friedrichs II 77
§ 18. Der sog. fünfte Kreuzzug 1217 — 1221 und die Beziehungen zwischen Kaiser-
und Papstturn von 1221 — 1227. Friedrich IL und die lorubardische Liga . 82
§ 19. Die Regentschaft Engelberts von Köln (1220 — 1225) und Herzog Ludwigs
von Bayern (1226—1228) 87
2. Kapitel.
Friedrich II. und Gregor IX.
§ 20. Gregor IX. und der Kreuzzug Friedrichs IL Krieg zwischen Kaiser und Papst 88
§ 21. Die Gesetzgebung Friedrichs IL im Königreich Sizilien 1230 — 1231 ... 94
§ 22. Die selbständige Regierung König Heinrichs in Deutschland 1229 — 1235 . 98
§ 23. Der Kampf Friedrichs H. gegen die lombardische Liga und den Papst
Gregor IX 103
§ 24. Der Einbruch der Mongolen. (Die Weltherrschaft Dschingiskhans. Die
Mongolen in Rufsland, Polen und Ungarn.) 107
3. Kapitel
Friedrich II. und Innozenz IV. 1241 [1243] —1250. (Der Entscheidungskampf
zwischen Kaiser- und Papsttum.)
§ 25. Die Friedensversuche nach dem Tode Gregors IX. Innozenz IV. und das
Konzil von Lyon 112
§ 26. Friedrich IL und die Gegenkönige. (Konrad IV. und Heinrich Raspe von
Thüringen. Der Fall von Parma. Wilhelm von Holland und der Bürger-
krieg in Deutschland.) 116
§ 27. Das Ende Friedrichs IL Seine Persönlichkeit und sein Charakter . . . 119
3. Abschnitt.
Das Zeitalter Ludwigs IX. von Frankreich und der letzten Kreuzzüge 1250—1273.
1. Kapitel.
Reichsg'escliichte und Papsttum in den Jahren 1250—1273.
§ 28. Konrad IV. und Wilhelm von Holland. Der Rheinische Bund. Die Doppel-
wahl von 1257 und ihre staatsrechtliche Bedeutung 124
§ 29. Die Germanisierung des nordöstlichen Deutschland und die Gründung
des deutschen Ordensstaates in Preufsen. Die Entstehung der Hanse . 130
§ 30. Die böhmisch-österreichische Grofsmacht unter Ottokar II 136
§ 31. Das Papsttum und die sizilische Frage seit dem Tode Konrads IV. König
Manfred und Karl von Anjou 140
§ 32. Konradin von Schwaben und der Ausgang des staufischen Hauses . . . 145
2. Kapitel.
Die Staaten des Westens.
§ 33. Die Anfänge Ludwigs IX 149
§ 34. Die Zustände in Syrien und der erste Kreuzzug Ludwigs IX 151
§ 35. Ludwig IX. und der Beginn der französischen Vormachtstellung in Europa 155
§ 36. Heinrich III. (1216 — 1272) und die Fortbildung der englischen Verfassung 159
3. Kapitel.
Das Ende der Kreuzzüge.
§ 37. Der Untergang des lateinischen und die Wiederaufrichtung des griechischen
Kaisertums. Die kleinen lateinischen Staaten in Griechenland .... 163
§ 38. Die Lage Syriens seit 1254. Der Einbruch der Mongolen und ihre Abwehr
durch die Mamelucken 169
Inhalt. XI
§ 39. Der zweite Kreuzzug Ludwigs IX. Dag Ende des Königreichs .Jerusalem. Seitfc^
Ergebnisse der Kreuzzüge 171
4. Abschnitt.
Das Zeitalter Rudolfs von Habsburg und das Ende der unbedingten Vorherrschaft
des Papsttums 1273—1303.
1. Kapitel.
Das Königtum der ersten Habsburger.
§ 40. Gregor X. und Rudolf von Habsburg 177
§ 41. Die Revindikation des Reichsgutes und das Rechtsverfahren gegen Ottokar II.
Die Kriege von 1276—1278 183-
§ 42. Rudolfs Politik von 1279—1282. Die Erwerbung Österreichs für das Haus
Habsburg. König Rudolf und das Reich in den letzten Jahren seiner
Regierung 188
§ 43. Adolf von Nassau 194
§ 44. Albrecht I. (Die Befestigung seiner Macht.) 197
§ 45. Der Ausgang der nationalen Dynastien in Ungarn und Böhmen und das
Ende Albrechts 1 199
2. Kapitel.
Der Beginn der Opposition gegen die weltliche Oberherrschaft des Papstturas.
§ 46. Die Sizilianische Vesper und das Ende Karls von Anjou 203
§ 47. Bonifaz VIII. und die Überspannung der päpstlichen Machtansprüche . . 206
§ 48. Eduard I. Der schottische Ereiheitskampf und die Weiterbildung der
englischen Verfassung 209'
§ 49. Bonifaz VIII. und der schottische Vnabhängigkeitskampf. Das Ende Eduards I.
Eduard II 213
3. Kapitel.
Die französische Opposition gegen die weltliche Oberherrschaft des Papsttums.
§ 50. Frankreich unter Philipp III. dem Kühnen (1270 — 1285). Die Anfänge
Philipps IV. des Schönen (1285—1314) 217
§ 51. Philipp IV. und Bonifaz VIII 222
§ 52. Die Katastrophe von Anagni 228
IL Teil.
Das Papsttum unter französischem Einflufs 1303 — 1378. (Die babylonische
Gefangenschaft der Päpste.)
1 . Abschnitt.
Das avignonesische Papsttum und Philipp der Schöne.
1. Kapitel.
Klemens Y. und Philipp der Schöne.
§ 53. Das Pontifikat Benedikts XL und die Anfänge Klemens' V. Die Verlegung
des Papsttums nach Avignon und ihre Bedeutung 235
§ 54. Der Templerprozefs : 237
§ 55. Die innere Politik Philipps IV. und der Ausgang des kapetingischen Hauses 243-
2. Kapitel.
Die Erneuerung- des Kaiserturas unter Heinrich VII. (1308—1313).
§ 56. Die Wahl Heinrichs VII. Die Erwerbung Böhmens durch das Haus
Luxemburg 246
§ 57. Die Anfänge der Signorie in Oberitalien und die Romfahit Heinrichs VII. 250
XII Inhalt.
2. Abschnitt.
Kaiser- und Papsttum im Zeitalter Ludwigs des Bayers (1314—1347).
1 Kapitel. .
Ludwig der Bayer und Friedrich der Schöne von Österreich bis zur Schlacht bei
Mühldorf (1314—1322). Seite
§ 58. Die Doppelwahl des Jahres 1314 256
§ 59. Die Entstehung der schweizerischen Eidgenossenschaft 259
§ 60. Der Kampf der Gegenkönige 263
2. Kapitel.
Die kirchenpolitischen Kampfe unter Ludwig" dem Bayer und die deutsche Opposition
gegen die weltliche Vorherrschaft des Papsttums.
§ 61. Die Wahl Johanns XXII. Das avignonesische Papsttum 265
£ 62. Der Aushruch des Kampfes zwischen Johann XXII. und Ludwig dem
Bayer. Die Verhandlungen der Gegenkönige 270
£ 63. Der Römerzug Ludwigs 273
§ 64. Das Aufsteigen des Hauses Luxemburg in Deutschland und Italien . . 277
§ 65. Das Ende Johanns XXII. und die ersten Jahre Benedikts XII 280
§ 66. Das englische Bündnis und der Kurverein von Rense 283
3. Kapitel.
Witteisbach und Luxemburg.
§ 67. Die tirolische Streitfrage. Klemens VI. und Kaiser Ludwig 286
§ 68. Die Wahl Karls IV. und das Ende Ludwigs des Bayers 289
3. Abschnitt.
Kaiser- und Papsttum im Zeitalter Karls IV. (1347—1378).
1. Kapitel.
Karl IV. uud der Ausbau der luxemburgischen Macht.
£ 69. Der Kampf um die deutsche Krone 293
§ 70. Der äufsere und innere Ausbau der luxemburgischen Hausmacht . . . 298
§ 71. Karl IV. und die Landfriedensbündnisse. Die Kämpfe in der Schweiz.
Die Beziehungen Karls IV. zur Kirche 303
2. Kapitel.
Der Römerzug Karls IV. und die Verhältnisse Italiens.
§ 72. Die politischen Zustände Ober- und Mittelitaliens in der Mitte des
14. Jahrhunderts 306
§ 73. Cola Rienzi und der Kirchenstaat. Innozenz VL und die Mission des
Kardinals Albornoz 309
§ 74. Die Zustände im Königreich Neapel 312
§ 75. Der Römerzug Karls IN' 315
3. Kapitel.
Die Gesetzgebung Karls IV. im deutschen Reiche. Der zweite Romzug.
§ 76. Die Goldene Bulle. Karl IV. und Rudolf IV. von Österreich 317
§ 77. Karl IV. und das Königreich Arelat. Der zweite Römerzug (1368 — 1369) . 320
4. Kapitel.
England und Frankreich im Zeitalter Karls IV. Der 100 jährige Krieg.
(Erster Teil 1328—1380.)
§ 78. Die Genesis des Thronstreites. Die Anfänge Philipps VI. und Eduards III. 324
§ 79. Eduard III. und Philipp VI 329
§ 80. Soziale und politische Kämpfe unter König Johann (II.) dem Guten (1350—1364) 334
§ 81. Frankreichs Erhebung unter Karl V. (1364—1380) 340
§ 82. Die Weiterbildung der englischen Verfassung 342
Inhalt. XIII
5. Kapitel.
Der englisch-französische Erbkrieg: und die Staaten der PyrenUischen Halbinsel. Seite
§ 83. Kastilien und der englisch-französische Thronstreit 345
§ 84. Aragonien und Sizilien von Pedro III. bis Pedro IV. (1276—1387) ... 352
§ 85. Die Entwicklung Portugals vom letzten Viertel des 13. bis zum letzten
Viertel des 14. Jahrhunderts 357
6. Kapitel.
Der Norden und Osten Europas und der Ausgang: Karls IY.
§ 86. Die nordischen Staaten bis zum Ausgang der alten Dynastien .... 359
§ 87. Die Blütezeit des Deutschen Ordens (1309—1382) 365
§ 88. Polen und Ungarn im Zeitalter Karls IV 369
§ 89. Die letzten Regi er ungs jähre Karls IV. und der Ausgang des avignonesi-
schen Papsttums 375
II.
Die Zeit der grofsen Konzilien und des Humanismus (1378 — 1492).
I. Teil.
Die Zeit des Schismas und der grofsen Konzilien 1378 — 1449.
1. Abschnitt.
Papsttum und Kaisertum im Zeitalter der grofsen Konzilien.
1. Kapitel.
Das grofse Schisma.
§ 90. Die Kirche und die kirchlichen Oppositionsparteien beim Ausbruch des
Schismas 385
§ 91. Johann von Wicht' und die kirchliche Opposition in England 389
§ 92. Das grofse Schisma. Urban VI. und Klemens VII 400
§ 93. Der Kampf der Gegenpäpste bis zum Tode Urbans VI. Bonifaz IX. . . 406
§ 94. Die ersten Unionsversuche und die konziliare Theorie. Die kirchliche
Reformpartei in Frankreich 409
§ 95. Das Schisma vom Tode Klemens VII. bis zum Pisaner Konzil (1394 — 1409) 412
2. Kapitel.
Das Schisma und das deutsche Reich unter Wenzel von Böhmen und Ruprecht
von der Pfalz.
§ 96. Die ersten Regierungsjahre Wenzels. Der Zusammenbruch der ungarisch-
polnischen Grofsmacht und die Erwerbung Ungarns durch die Luxemburger 416
§ 97. König Wenzel und der Landfrieden in Deutschland 422
§ 98. Die Schweizer Eidgenossenschaft und Leopold III. von Österreich. Der
süddeutsche Städtekrieg 425
§ 99. König Wenzel und die Wirren in Böhmen 430
§ 100. Die Absetzung König Wenzels 434
§ 101. Die Wahl König Ruprechts. Der böhmische Krieg. Der Römerzug Ruprechts 437
§ 102. Ruprecht und die Luxemburger von 1401 — 1406. Der Marbacher Bund 441
§ 103. Das Konzil von Pisa (1409) 444
3. Kapitel.
König- Sigmund und das Konzil von Konstanz.
§ 104. Die Wahl Sigmunds. Die Belehnung der Hohenzollern mit Brandenburg 448
§ 105. Das Schisma unter Alexander V. und Johann XXIII. Das römische
Konzil 1412—1413 453
§ 106. Die Ausbreitung des Wiclifismus in Böhmen und die Anfänge des
Hussitentums 455
XIV Inhalt.
Seite
§ 107. Das Konzil von Konstanz. Vorbereitungen und Anfänge 462
§ 108. Die Beilegung des Schismas 468
§ 109. Der Prozefs des Hufs und Hieronymus von Prag 471
§ 110. Die Konstanzer Reformation und die Wahl Martins V 477
§ 111. König Sigmund und das Reich in der Zeit des Konzils von Konstanz . 481
4. Kapitel.
Die Hussitenkriege.
§ 112. Die kirchliche Bewegung in Böhmen vom Tode des Hufs bis zum Aus-
bruch des Krieges 483
§ 113. Der Krieg gegen die Hussiten bis zum Kurverein von Bingen (1419 — 1424) 487
§ 114. Der Kurverein von Bingen und der Hussitenkrieg bis zum Konzil von
Basel (1424—1431) 493
£ 115. Das Pontifikat Martins Y. Eugen IV. und die Anfänge des Konzils von Basel 498
§ 116. Die Kaiserkrönung Sigmunds. Die Kompaktaten 503
§ 117. Die letzten Regierungsjahre Sigmunds. Reformversuche und Reformschriften 507
5. Kapitel.
Das Konzil von Basel vom Tode Sigmunds bis zu seiner Auflösung.
§ 118. Albrecht II. (1438—1439) 510
§ 119. Die Baseler Reformbeschlüsse und die Union mit den Griechen . . . 512
§ 120. Die "Wahl Friedrichs IH. Seine Beziehungen zu Böhmen und Ungarn . 516
§ 121. Die Krönung Friedrichs III. in Aachen. Die Kriege gegen die Eidgenossen 521
§ 122. Friedrich III. und das Baseler Konzil 524
2. Abschnitt.
Die übrige Staatenwelt des Abend- und Morgenlandes im Zeitalter der
grofsen Konzilien.
1. Kapitel.
Der hundertjährige Krieg zwischen England und Frankreich.
(Zweiter Teil.)
§ 123. Richard II. von England. Der Bauernaufstand von 1381 530
§ 124. Die Selbstregierung Richards IL Seine absolutistischen Tendenzen und
sein Sturz 534
§ 125. Die Anfänge des Hauses Lancaster. Heinrich IV. und Heinrich V. (1399
bis 1422) 539
§ 126. Frankreich unter Karl VI. Die Zeit der Regentschaft 541
§ 127. Der Eroberungszug Heinrichs V. von England 549
§ 128. Karl VII., > König von Bourges« 553
ij 129. Die Jungfrau von Orleans. Frankreichs Wiedererhebung 556
2. Kapitel.
Die Staaten im Norden und Nordosten Europas in der Zeit der grofsen Konzilien.
§ 130. Die skandinavischen Reiche in der Zeit der Kalmarer Union .... 563
§ 131. Preufsen und Polen. Der Fall des Deutschen Ordensstaates und die
Erhebung der jagellonischen Monarchie 567
§ 132. Rufsland, Litauen und die Goldene Horde 575
3. Kapitel.
Byzantiner, Osmanen und Mongolen seit dem Falle des lateinischen Kaisertums.
£ 133. Der Niedergang des byzantinischen Reiches, die Gründung des osmani-
schen Kriegerstaates und Grofsserbien 581
§ 134. Die Eroberungszüge Murada I. und Bajesids 589
§ 135. Tiuiur und Bajesid 593-
§ 136. Die Erneuerung der türkischen Macht durch Mohammed I. Die Kriegs-
züge Murads H 598
§ 137. Die Eroberung von Konstantinopel ... 601
§ 138. Die Eroberungen Mohammeds II 604
ij 139. Die Organisation des osmanischen Reiches .... . . . . 609
Inhalt. XX
II. Teil.
Das Zeitalter des Humanismus und der Ausbildung moderner Staaten.
1. Abschnitt.
Der Humanismus.
1. Kapitel.
Die Wiedererweckung- des klassischen Altertums. Seite
§ 140. Das Fortleben des antiken Geistes im Mittelalter. Der erste Humanist . 613
§ 141. Die humanistischen Wanderlehrer. Die grofsen literarischen Entdeckungen
und ihre Folgen 621
§ 142. Die Ervveckung des Altertums und ihr Einflufs auf die Künste in der
Zeit der Frührenaissance 625
§ 143. Die Gesellschaft in Italien im Zeitalter des Humanismus ...... 627
2. Kapitel.
Der Humanismus in den einzelnen Staaten.
§ 144. Der Humanismus in den Republiken Italiens 630
§ 145. Der Humanismus in Rom, Neapel und Mailand 634
§ 146. Der Humanismus jenseits der Alpen 640
2. Abs chni tt.
Die Ausbildung moderner Staaten.
1. Kapitel.
Das deutsche Reich im Zeitalter Friedrichs III.
§ 147. Das Kaisertum und die territorialen Gewalten in der Mitte des 15. Jahr-
hunderts 643
§ 148. Die Kaiserkrönung Friedrichs III. Seine Beziehungen zu Böhmen, Ungarn
und Österreich 647
§ 149. Die Auflösung der Union zwischen Österreich, Böhmen und Ungarn und
der Plan einer neuen Königswahl in Deutschland 652
§ 150. Friedrich III. und Albrecht IV. von Österreich. Die kirchenpolitischen
Kämpfe in Tirol und Böhmen • 655
§ 151. Friedrich III. und Matthias Corvinus. — Die Erwerbung Burgunds . . 658
§ 152. Die Königswahl Maximilians I. Die Versuche einer Reichsreform. Der
Wiedergewinn von Österreich und der Heimfall von Tirol 665
2. Kapitel.
Die Neugestaltung Frankreichs und Englands im Zeitalter der Burgunder-
und Roscnkriege.
§ 153. Die Neugestaltung Frankreichs unter Karl VII 670
§ 154. Der Ausgang der feudalen Fürstengewalten unter Ludwig XL und Karl VIII. 673
§ 155. Heinrich VII. und der Beginn des Kampfes zwischen der roten und
weifsen Rose 683
§ 156. Eduard IV. (1461—1483) und Richard III. (1483—1485). Die Gründung
der neuen monarchischen Gewalt in England 687
§ 157. Die Vollendung der neuen Monarchie durch Heinrich VII. (1485 — 1509) 691
3. Kapitel.
Der Aufschwung der iberischen Staaten im XV. Jahrhundert.
§ 158. Die Grofsmachtstellung Portugals im Zeitalter Heinrichs des Seefahrers . 693
§ 159. Kastilien und Aragonien 697
§ 160. Das Entstehen der spanischen Grofsmacht Isabella von Kastilien (1474
bis 1504) und Ferdinand der Katholische von Aragonien (1479 — 1516) . 700
Die Zeit
der päpstlichen Oberherr] ichkeit
(1198-1378).
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters.
I. Teil.
Von der Wahl Innozenz' III. bis zum Tode Bonifaz' VIII.
Zeit der unbedingten Vorherrschaft des Papsttums
1198—1303.
1. Abschnitt.
Innozenz JH. und seine Zeit 1198 — 1216.
§ 1. Rückblick auf die staufische Politik vom Frieden von Konstanz
bis zum Tode Heinrichs VI.
(Quellen und Hilfsschriften siehe Bd. III der pol. Gesch.)
1. Dem Waffenstillstand, den Friedrich I. 1177 in Venedig mit den
lombardischen Städten geschlossen, war am 25. Juni 1183 der Friede
von Konstanz gefolgt. Indem der Kaiser auf die Durchführung der ron-
calischen Beschlüsse verzichtete, hatte er den Lombarden grofse Zuge-
ständnisse gemacht, ihnen vor allem die Regalien und herkömmlichen
Rechte in den Städten und deren Distrikten, wie sie von jeher üblich
gewesen, die Wahl ihrer Konsuln, Selbstverwaltung unter freigewählten
Behörden gelassen; aber die kaiserliche Hoheit wurde doch strenge ge-
wahrt : die Konsuln mufsten vor der Investitur, die Vasallen des Kaisers
als solche, alle übrigen Personen vom 16. bis zum 70. Jahre als Bürger
den Treueid leisten und schwören, ihm seine Besitzungen in der Lom-
bardei und Romagna zu erhalten und die Regalien, in deren Besitz er
gewesen, zurückzugeben ; in allen wichtigen Sachen blieben Appellationen
an ihn gestattet und wurden Appellationsrichter in den Städten bestellt;
so oft er in Italien erschien, mufste das herkömmliche Fodrum geleistet,
Brücken und Wege und der Markt für sein Heer in gutem Stand erhalten
werden. Gab der Kaiser auf, was er ohnehin nicht mehr besafs, so ge-
wann er Vorteile, die er auf anderem Wege nicht erreichen konnte.
Indem sein Besitzstand von seinen einstigen Gegnern garantiert wTurde,
war seine Stellung in Oberitalien eine stärkere als früher; als er im
folgenden Jahre in Italien erschien, wurde er mit rauschenden Ehren
1*
4 Reichspolitik seit dein Frieden von Konstanz.
empfangen. Von den alten Bundesgenossen des Papsttums, den lom-
bardischen Städten und den Normannen, standen nun jene im Lager des
Kaisers, sehr zum Leidwesen des Papstes Lucius III., der sich zu Rom,
wo noch die Ideen eines Arnold von Brescia fortlebten, schwer zu be-
haupten vermochte. Im Oktober 1184 traf er mit dem Kaiser in Verona
zusammen, der von dem Wunsche beseelt war. dafs sein Sohn, König
Heinrich VI., die Kaiserkrone erhalte. Der Papst ging weder auf diesen,
noch auf andere Wünsche des Kaisers ein; schon war das Verhältnis
zwischen beiden Gewalten ein gespanntes, geworden; denn eben jetzt
wurde in Augsburg die Verlobung Konstanzes, der Erbin Siziliens, mit
Heinrich VI. gefeiert, ein bedeutender Erfolg der kaiserlichen Politik,
da nun auch die zweite der alten Hilfskräfte des Papsttums dem Kaiser-
tum zufiel. Diese Verbindung verschob vollends das alte politische
System : Im Bund mit den lombardischen Städten, gestützt auf die
mächtige Stellung in Mittelitalien, die bis vor die Tore Roms reichte,
im Besitz von ganz l nteritalien, gebot das staufische Haus über eine
Macht, stark genug, um die Grundlage zu einer Weltherrschaft abzugeben
und die weltliche Herrschaft des Papstes in schwere Bedrängnis zu
bringen. So lagen die Dinge, als Lucius III. am 25. November 1185
starb. Gewählt wurde nun ein ausgesprochener Feind des Kaisers, der
Erzbischof Hubert von Mailand, der als Urban III. den päpstlichen
Stuhl bestieg. Unter grofsem Gepränge fand wenige Wochen nachher
— am 27. Januar 1186 — die Trauung Heinrichs VI. und Konstanzes im
Ambrosiusklost erzu Mailand statt. Mochte es als blofse Zeremonie angesehen
werden, dafs sich der alte Kaiser durch den Erzbischof von Vienne, den
Primas des burgundischen Reiches, die Krone Burgunds aufs Haupt
setzen liefs, so hatte es eine tiefere Bedeutung, dafs Konstanze durch
einen deutschen Bischof zur deutschen Königin, Heinrich durch den
Patriarchen von Aquileja zum König von Italien gekrönt wurde. Durch das
letztere hatte der Kaiser erreicht, was er durch die Kaiserkrönung
Heinrichs erstrebt hatte, und in diesem Sinne wurde auch Heinrich
nach der Weise altrömischer Imperatoren vom Kaiser zum Cäsar er-
nannt. Wie die durch den Patriarchen erfolgte Krönung Heinrichs
den Erzbischof von Mailand, so sollte Heinrichs Ernennung zum Cäsar
die Kaiserkrönung durch den Papst als entbehrlich erscheinen lassen.
Diese Ereignisse machten auf die Zeitgenossen nachhaltigen Eindruck ;
es schien, als seien die Tage Theoderichs des Grofsen wiedergekommen.
Friedrich stand auf der Höhe seiner Macht. Ihm stellte sich Urban III.
entgegen. Nachdrücklicher als sein Vorgänger forderte er die Mathildi-
schen Güter zurück, belegte die an den Mailänder Festen beteiligte
Geistlichkeit mit dem Bann und ernannte einen ausgesprochenen Gegner
des Kaisers zum Erzbischof von Trier, während er in Deutschland selbsl
an dem Erzbischof von Köln, den Heinrichs herrisches Wesen verletzl
hatte, einen Bundesgenossen fand. Lnter diesen Umständen verliefs
Friedrich I. im Sommer 1186 Italien, das jetzt nach dem Ausspruch
eines Chronisten »mit ihm und unter sich« in Frieden lebte. Auf dem
Reichstage von Gelnhausen gelang es ihm mit Hilfe des deutschen
Böhepunkt der staufischen Macht. 5
Episkopats, der Opposition des Kölner Erzbischofs Herr zu werden;
sein Bündnis mit Frankreich isolierte seine Gegner vollends, und selbst
der Erzbischof von Trier söhnte sich 1188 mit ihm aus.
2. Mittlerweile führte Heinrich VI. nachdrücklicher als sein Vater
dessen Politik in Italien fort und griff zu Mafsregeln, um dieses Land
dem Reiche für immer zu sichern. Schon Friedrich hatte die Verwal-
tung mittelitalischer Landschaften erprobten Ministerialen übertragen.
In diesem Geiste ging Heinrich VI. vor; in der Romagna, in Tuscien,
Spoleto und der Mark Ancona lag die Amtsgewalt in den Händen
deutscher Reichsbeamten, die ihr Amt nicht als erbliches Lehen erhielten,
sondern aus einer amtlichen Stellung in die andere versetzt werden
konnten. Als es zwischen Kaiser und Papst zu offenem Streit gekom-
men und Heinrich VI. ins Patrimonium St. Petri eingerückt war, wurde
ihm auch hier von den Grofsen und den Städten gehuldigt, und die
Vornehmsten Roms fanden sich in seinem Lager ein. Schon war
Urban III. entschlossen, den Bann über den Kaiser auszusprechen, da
traf die Nachricht von der Niederlage der Christen bei Hittin ein. Sie
brach dem Papste das Herz. Und nun kam noch die Kunde vom Falle
Jerusalems. Unter dem Druck dieser Ereignisse wurde ein Freund des
Kaisers, Gregor VIII. , gewählt, Er zögerte nicht, Heinrich VI. als er-
wählten römischen Kaiser anzuerkennen. Nach seinem frühen Tode
folgte Klemens III., dessen ganzes Bemühen dem Zustandekommen eines
Kreuzzuges gewidmet war. Wenn irgend etwas, so zeigt dieses Unter-
nehmen die groi'se, in den Machtverhältnissen zwischen Kaiser- und Papst-
tum eingetretene Verschiebung ; denn nicht mehr das Papsttum wie bei
früheren Kreuzzügen : das Kaisertum steht jetzt im Mittelpunkt der Be-
wegung, wie ja auch das Ritterheer Barbarossas das glänzendste des
ganzen Mittelalters war. Heinrich VI. führte nun auch als Reichsverweser
in Deutschland die Regierung. In den Mitteln, die er für seine Politik
anwendete, tritt jetzt ein Wechsel ein. Hatte sich Friedrich I. vor allem
an Fürsten des Reiches, wie Rainald von Dassel, Christian von Mainz,
gehalten, so treten jetzt die Reichsministerialen noch mehr als früher
hervor. Sie erhalten die wichtigsten Reichsämter und bilden »vom Harz
bis in die Campagna den Kitt der staufischen Politik«. Ihre Macht mag
man daraus ermessen, dafs einer von ihnen, Werner von Bolanden,
über einen Lehenshof von angeblich 1 100 Rittern gebot, ein anderer, der
Reichsseneschall Markward von Anweiler, als Herzog der Romagna, Graf
der Mark Ancona und Inhaber der sizilischen Grafschaften Abruzzo und
Molise, die Verwaltung eines grofsen Teiles von Mittelitalien besafs.
Heinrich VI. war denn auch dem Papsttum ein gefährlicherer Gegner
als Friedrich L, den er nicht an staatsmännischer Begabung, wohl
aber in der rücksichtslosen Wahl der Mittel zur Durchführung seiner
Politik übertraf.1) Es war natürlich, dafs sich das Papsttum der Um-
a) Über die politischen Ziele der staufischen Eeichspartei s. Konrad Burdach
»Walters erster Spruchton und der staufische Reichsbegriff« in »Walter von der
Vogelweide «, S. 135.
5 Heinrich VI. und .seine Ziele.
klammerung durch die staufische Macht zu entziehen versuchte, und
dies der Grund, weshalb Klemens III. die nationale Partei Unteritaliens
unterstützte, als sie sich nach dem Tode König Wilhelms II. an Tankred
von Lecce, einen natürlichen Sohn von Konstanzes verstorbenem
Bruder Roger, anschlofs. Hatte Friedrich I. trotz seiner italienischen
Politik immer Deutschland als die Quelle seiner Macht betrachtet, so
war es Heinrich VI. um den Besitz seiner italienischen Macht nicht
weniger zu tun als um jenen von Deutschland. Als er nach einem Ver-
suche Heinrichs des Löwen, seine Macht in Sachsen wieder zu gewinnen,
nach Italien zog, um die Kaiserkrone zu erhalten und sein sizilisches
Erbe anzutreten, wurde er freilich erst zum Kaiser gekrönt, nachdem
er das kaiserlich gesinnte Tuskulum den Römern geopfert und dem
Papste Versprechungen wegen der Zurückgabe der Mathildischen Erb-
schaft gemacht hatte. Im übrigen hatte sein erstes Unternehmen in
Sizilien (1191) einen unglücklichen Ausgang; erst als er (1192) die grofse
Verschwörung der deutschen Fürsten, die Verbindungen mit dem
Papste, dem König Richard von England und Tankred von Sizilien
hatten, durch die unerwartete Gefangennahme Richards gesprengt hatte
und das reiche englische Lösegeld die Mittel bot, Unteritalien zu unter-
werfen (1194), die sizilischen Schätze ihm eine überragende Stellung in
Deutschland verschafften, war seine Herrschaft in beiden Ländern eine
unbestrittene.
3. Von jetzt ab gehen seine Ziele auf die Errichtung einer Welt-
herrschaft, der alle christlichen Staaten Untertan sein sollten. Die Ober-
hoheit über Polen war schon 1184 geltend gemacht, die über Dänemark
niemals aufgegeben worden. Nach der Gefangennahme Richards war
auch England in Lehensabhängigkeit gekommen, die Frankreichs, der
spanischen Staaten, des byzantinischen Reiches, der christlichen Staaten
Kleinasiens und der mohammedanischen Dynastien in Nordafrika ins Auge
gefafst. Die Krone des deutschen Reiches sollte in seinem Hause erb-
lich sein und Sizilien dem Reiche einverleibt werden. Gegen beides
erhoben die deutschen Fürsten Einsprache : er mufste sich begnügen, dafs
sie seinen erst zweijährigen Sohn zum Könige wählten. Um seine auf
die Errichtung einer Weltherrschaft abzielenden Pläne durchzuführen,
sollte ein Kreuzzug unternommen und die Herrschaft des Kaisers auch
im hl. Lande begründet werden ; das Kreuzzugsunternehmen gewann
ihm zuletzt auch den Beifall des Papstes Cölestin HL, so zahlreich
auch die Beschwerden waren, welche die Kurie gegen das selbständige,
gewaltsame Vorgehen Heinrichs VI. in den kirchenpolitischen Verhält-
nissen Siziliens erhoben hatte. Nachdem ein Aufstand in Sizilien nieder-
geschlagen und die Zurüstungen zum Kreuzzug im festen Gange waren,
raffte ein jäher Tod ihn am 28. September 1197 mitten aus grofsen
Entwürfen hinweg. Seine Pläne fielen zu Boden, das Phantom einer
kaiserlichen Weltherrschaft verschwand von der Bildfläche. Sie aufzu-
richten, hätten seine Kräfte nimmermehr ausgereicht; auch fehlten ihm
die persönlichen Fähigkeiten, denn er war weder ein bedeutender Feld-
herr, noch ein hervorragender Staatsmann. Nach beiden Seiten hin
Der Ausgang der deutsehen Oberherrlichkeit. 7
überragten ihn Vater und Sohn. Gleichwohl machte seine Erscheinung
auf die Zeitgenossen einen mächtigen Eindruck: »Wie der Herr aller
Herrscher,« sagt Niketas, »wie der König der Könige« trat er auf. In
dem gewaltigen Kaiser sieht der Seher jener Tage, der Abt Joachim
von Floris, einen zweiten Nebukadnezar. Er glaubt den Zeitpunkt
gekommen, wo der Hohepriester sich in die Drangsal der Zeit schicken
wird, wo ihm seine zeitlichen Güter genommen, wo die Könige der Erde,
Priester und Laien vor ihm den Nacken beugen. Ihm ist der Kaiser
der Vollstrecker des göttlichen Willens. »Mit der Wut des Nordsturmes«,
sagt Innozenz III., »ist er über die Erde gefahren. Was er zurückliefs,
war ein Chaos«. Sein Tod bedeutet den Zusammenbruch eines gewalt-
tätigen Systems. Das Papsttum tritt in das Erbe der deutschen Kaiser-
macht — die Weltherrschaft. — Eine neue Epoche in der Weltge-
schichte hebt an.
1. Kapitel.
Die allgemeinen Grundlagen der päpstlichen Oberherrschaft.
Die kirchliche Opposition und die Hilfskräfte des Papsttums.
§ 2. Innozenz HL (1198—1216). Seine Wahl und sein Charakter.
Die Weltherrschaft des Papsttums. Ihre theoretische Begründung und
praktische Durchführung.
Quellen und Hilfsmittel beiZöpf f el-Mirbt, Real-Encykl. (RE.) f. prot.
Theol. IX, 112, Wetzer und Weite, Kirch.-L. (KL.) VI, 736. Indem darauf und für die
Beziehungen Innozenz' III. zu den Staaten des Abend- und Morgenlandes auf die unten
folgenden Paragraphen verwiesen wird, seien hier nur die für die Gesch. I.z'. im engeren
Sinne bedeutsamen Quellen genannt. 1. Briefe, Schriften und Predigten
Innozenz' HL Epistolae, libri XIX (IV, XVII — XIX nicht erhalten), ed. Migne
Patr. ser. lat. CCXIV — CCXVI. Andere Ausgaben s. bei Potthast, Biblioth. hist.
medii aevi I, 650 und Zöpffel-Mirbt 112. — Lettres inedites d'Innocent III p. p. L. Delisle,
B. E. Ch. XXXIV, 397—419. Chauffier, Lettre inedite d'Innocent III ib. XXXIH, 595.
Eegistrum super negotio Rom. imperii, Migne CCXVI. (Die Lit. über die Reg. Inn. LH.
s. bei Zöpffel-Mirbt 112.) Hampe, Aus verlorenen Registerbänden Innozenz' III. u. IV.
MJÖG XXIII — XXIV. Prima collectio decretalium Innocentii HL ex tribus primis
Regestorum eius libris composita a Rainerio diacono et monacho Pomposiano, ed.
Migne CCXVI. Ordinatio expeditionis pro recuperanda Terra Sancta ap. Duchesne
Hist. Franc. SS. V, 749. P o 1 1 h a s t , Regg.Pontiff . R. I. Berl. 1874. Böhmer, Regesta
imperii V. Die Regesten des Kaiserreichs unter Philipp, Otto IV. etc, herausg. von
Ficker. Innsbr. 1881 (darin die Abt. Päpste). Theiner, Cod. dipl. dorn. temp.
S. Sedis I. Rom. 1861, p. 28—44. Die Schriften Inn. IH. : De contemptu mundi sive
de miseria hum. cond. lib. III., Dialogus inter Deum et peccatorem, De sacro altaris
misterio libri sex., Libellus de elemosyna und Eucomium caritatis, endlich die Sermones,
samtliche bei Migne CCXIV. Eine Auswahl von einzelnen wichtigen Lehrsätzen Inno-
zenz', Briefen und Verordnungen gibt Mirbt, Quellen zur Gesch. des Papstums und
des röm. Katholizismus. 2. Aufl. Tübingen 1901. 2. Lebensbeschreibungen
Inn. HL: Gesta Innocentii III. papae auctore anonymo coaevo (geschrieben um 1220)
ed. Migne CCXIV p. XVII— CCXXVHI. Andere Ausgaben und die Literatur über die
Gesta und ihren hist, Wert s. bei Potthast I, 520, Zöpffel-Mirbt 112 und Luchaire,
L'Avenement etc., p. 671 Note. Vita Innocentii HI. ex MS. Bernardi Guidonis, Muratori
SS. rer. Ital ; III 1, p. 480.
g Innozenz III. und die papstliche Oberherrlichkeit.
Hilfsschriften. Das bedeutendste, wiewohl veraltete und dabei tendenziöse
"Werk ist: Fr. Hurt er, Gesch. Papst Innozenz' III. und seiner Zeitgenossen. 3. Aufl.
4 Bde. Hbg. 1841 -1843 (auch ins Ital. und Franz. übersetzt). J. N. Bris char , Tapst
Innozenz III. und seine Zeit. Freiburg 1883. Jerry, Histoire du pape Innocent III.
Paris 1853. Rottengatter, Res ab Innocentio papa gestae. Vratisl. 1831. Waibel,
Papst Inn. III. Augsb. 1895 (Auszug aus Hurter). Böhringer, Die Kirche Christi
und ihre Zeugen. Bd. 2. 2. Abt. Zürich 1854. Ältere Geschichten der Päpste s. bei Zöpffel-
Mirbt. Dazu: W. AVattenbach, Gesch. d. röm. Papsttums. Berl. 1876. J. Langen,
Gesch. d. röm. Kirche von Gregor VII. bis Innozenz III. Bonn 1893. Gregorovius,
Gesch. der Stadt Rom im Mittelalter. Y. Bd. 3. Aufl. Stuttg. 1878. Papencordt, Gesch.
d. Stadt Rom. Paderb. 1857. Reumont, Gesch. d. Stadt Rom. 2 Bd. Berl. 1867.
H e f e 1 e , Konziliengesch. 2. Aufl. Bd. V. 1873. F. Deutsch, Innozenz m. u. s. Einflufs
auf die Kirche. Breslau 1876. L. Luchaire, L'Avenement d'Innocent HI, Seances
et Comptes-rendus des travaux de l'Academie des sciences etc. 1902 , p. 669 ff. Inno-
cent III. et le peuple romain, Rev. Hist. LXXXI. Die neueren zahlreichen Arbeiten
über s. Verhältnis zu Kaiser u. Reich, z. Frankreich, England usw. s. unten. Zu
seinen Schriften s. P. Reinlein, Innozenz III. u. s. Schrift De contemptu mundi.
Erl. 1871 — 1873. Rudolf, Papst Innozenz' IH. Schrift über das Elend des menschl.
Lebens. Arnsb. 1896. Molitor, Die Decretale Per venerabilem. München 1876.
Schwemer, Papsttum u. Kaisert. Univers. hist. Skizzen. Stuttg. 1899. Sägmüller,
Die Ideen von der Kirche als simperiuni Romanum« im kan. Recht. Theol. Q.-Schr. 1898.
1. Nur wenige Monate nach dem Tode Heinrichs VI. — am
8. Januar 1198 — starb Cölestin III. Noch an demselben Tage wurde
die Wahl seines Nachfolgers vollzogen. Sie fiel auf den Kardinaldiakon
Lothar von Segni als denjenigen, der zweifellos schon in den letzten
Monaten an der Leitung der päpstlichen Politik einen wesentlichen Anteil
genommen. Er nannte sich Innozenz III. Lothar, der dritte Sohn des
Grafen Trasimund von Segni, entstammte einem altlangobardischen, in
der Campagna begüterten Hause, das nachmals den Geschlechtsnamen
De Comiübus (Conti) führte. Seine Mutter Claritia gehörte dem Hause
des Romanus de Scotta an. In Paris und Bologna gebildet, erwarb er
ein reiches theologisches, philosophisches und juristisches Wissen und
zeichnete sich früh schon durch seine schriftstellerischen Leistungen
aus. Unter Klemens III. (1187) zum Kardinaldiakon ernannt, trat er
unter Cölestin III. zurück ; denn dieser Papst gehörte zur Familie Orsini,
die mit den Scotta in Feindschaft lebte. Da der Umschwung nach dem
Tode Heinrichs VI. eine kräftige Leitung der Dinge erheischte, wurde
Lothar aus mehreren Kandidaten als der würdigste erkoren. Bei seiner
Wahl zählte er erst 37 Jahre : daher des Dichters Klage : Owe, der bähest
ist ze iunc . .*) Sein Panegyrist2) hat uns Erscheinung und Charakter
des Papstes in leuchtenden Farben geschildert. Sicher ist, dafs er alle
Eigenschaften des geborenen Herrschers besafs : den unermüdlichen
Tätigkeitstrieb, eine seltene Geschäftskunde, die Übersicht über Kleines
und Grofses und eine unbeugsame Festigkeit im Hinblick auf seine
Ziele, aber im amtlichen Leben gemäfsigt durch jene weise Beschränkung,
die auch mit dem Unvermeidlichen rechnet. Das Bewufstsein der hohen
x) Walter von der Vogelweide : Ich sach mit minen ougen. s. 0. Abel,
Z.D.A. IX, 138.
2) s. Luchaire, L'Avenement, 671.
Ihre theoretische Begründung. 9
Stellung, zu der er, der jüngste der Kardinäle, berufen war, stärkte in
ihm das Gefühl der Verantwortlichkeit.1)
2. Den von Gregor VII. begonnenen, von Alexander III. fort-
geführten Bau der päpstlichen Weltherrschaft führte er zur Vollendung.
Zwar sind es nicht neue Theorien über die Weltherrschaft der Päpste,
die Innozenz aufstellt; sie finden sich schon in Gratians Gesetzbuch, das
in Konrads III. und Innozenz' II. Zeiten zusammengestellt wurde und
drei Punkte betont: die Unbeschränktheit der päpstlichen Herrschaft in
der Kirche, ihre völlige Unabhängigkeit von der weltlichen Macht und
ihre höhere Stellung der letzteren gegenüber2); aber diese Theorien ge-
langten nun in der Verwaltung der Kirche grundsätzlich zur Anwendung;
denn nur solchergestalt meinte sich das Papsttum der gefährdeten Lage
für immer zu entziehen, in die es in den letzten Jahren Barbarossas
und Heinrichs VI. geraten war. Der Vorrang der geistlichen über die
weltliche Gewalt ist dem Papste über jeden Zweifel erhaben: das Papst-
tum vergleicht er der Sonne, das Kaisertum dem Mond, der von jener
sein Licht erhält3). »Die Hand des Herrn,« schreibt er, »hat uns aus dem
Staube auf den Thron gehoben, auf dem wir nicht nur mit den Fürsten,
sondern über die Fürsten zu Gericht sitzen.« Sein Ziel ist nicht die
Gleichberechtigung der beiden Gewalten oder die Freiheit der Kirche,
sondern deren Herrschaft. »Einzelne Fürsten«, schreibt er, »sind über
einzelne Reiche gesetzt: der heilige Petrus und seine Nachfolger über
alle.« Und dafs es sich nicht etwa blofs um die geistliche Herrschaft handelt,
betont er lebhaft : »Nirgends«, schreibt er, »wird für die Freiheit der Kirche
besser gesorgt als da, wo die römische Kirche sowohl in den geistlichen
als auch in den weltlichen Dingen die volle Herrschaft besitzt«.4)
Das geistliche Schwert mufs vom weltlichen geschützt werden, sonst
wird es oft verachtet. Daraus folgt die Pflicht, dafs der weltliche Arm /
die Befehle des geistlichen ausführt. Nach diesen Grundsätzen konnte
freilich ein jeder Anspruch päpstlicher Herrschaft als kirchliche An-
gelegenheit aufgefafst werden und mufste es als Pflicht des Papstes
erscheinen, ihn zu verfolgen. Daher wird nun auch in Fragen der
weltlichen Herrschaft mit kirchlichen Zwangsmitteln vorgegangen und
selbst für zweifelhafte Ansprüche derselbe Gehorsam verlangt, wie er
dem Haupt der Kirche in geistlichen Dingen gebührt, und gegen Wider-
strebende von Bann und Interdikt in einer Weise Gebrauch gemacht,
wie davon zuvor nicht die Rede war. 5)
3. Um diese weltliche Macht zu begründen, liefs der Papst seine
Archive durchsuchen oder seine Beweise aus dem Constitutum Con-
stantini nehmen. Da es ihm zunächst um die Herrschaft in Italien zu
*) Winkelmann, Ib. unter Philipp von Schwaben u. Otto IV., S. 95.
2) Hauck, Kirchengesch. Deutschi. IV, 1. 175.
3) Epist. lib. I, 401. Mirbt, Quellen, 130.
4) Ep. I, 27.
6) Ficker, Forschungen zur Reichs- u. Rechtsgesch. Italiens. II, 378.
\Q Ihre praktische Durchführung.
tun war, kam ihm die Strömung zugute, die sich hier gegen die
Fremdherrschaft kundgab. Italien, rdem nach göttlichem Ratschlufs
die Herrschaft über alle Länder zukomme«, sollte von ihr befreit und
unter der Leitung des Papstes geeint werden. Innozenz III. ist der
erste Papst, der von dem Gedanken der Einheit und Unabhängigkeit
Italiens getragen ist. Dieser Richtung kam er auch da entgegen, wo
sie seiner eigenen Überzeugung nicht entsprach, ja die Sache Italiens
wird bei Gelegenheit als die der gesamten Kirche hingestellt.
4. Nach diesen Grundsätzen ist Innozenz III. verfahren : zunächst
wird Mittelitalien als alter Besitz der Kirche reklamiert, dann das Lehens-
verhältnis Siziliens auf neue und festere Grundlagen gestellt und in
Deutschland der Anspruch erhoben, dafs des römischen Reiches Be-
setzung (provisio) in erster und letzter Linie (principalUer et finaliter) dem
päpstlichen Stuhle zustehe, denn durch . diesen sei das Kaisertum von
den Griechen auf die Deutschen übertragen worden; ihm stehe es zu,
den Gewählten zu prüfen, den Würdigen zu bestätigen, zu weihen und
zu krönen und den bauwürdigen zu verwerfen. In der Tat übte er die
zuerst von Gregor VII. beanspruchte Approbation der deutschen
Königswahl bei Gelegenheit der Doppelwahl und zwar in der ver-
schärften Form der Reprobation des Gegenkandidaten. Was Barbarossa
dereinst mit Entrüstung von sich gewiesen: das Kaisertum war von
jetzt an in Wahrheit ein Lehen des Papstes. In gleicher Weise wird
die Herrschaft über Sardinien vom Papste beansprucht, mufs sich Frank-
reich seinen Befehlen fügen, nimmt König Johann England vom Papste
zum Lehen, wird Portugal an den Lehenszins gemahnt, empfängt Pedro IL
von Aragonien aus seiner Hand die Krone und erkannten selbst orien-
talische Mächte, wie Konstantinopel, Armenien, Serbien und Bulgarien,
zeitweise Roms Oberhoheit an.
5. Wie nach aufsen hin, ist nun auch die Machtstellung des Papstes
in der inneren Verwaltung der Kirche eine ungleich höhere als früher.
Mit scharfer Hand griff Innozenz III. in die Befugnisse und Rechte der
Metropoliten und Bischöfe ein. Er nimmt für die Päpste das Recht
der Benefizienverleihung in Anspruch und verleiht in den einzelnen
Ländern auf Kosten der Geistlichkeit und des Ansehens der Bischöfe
eine Menge von Pfründen an Diener der Kurie, römische Kleriker, nahe
Verwandte und Freunde, er besetzt Bistümer nach eigenem Ermessen,
wenn die Wahlberechtigten ihre Befugnisse überschreiten, und reserviert
dem römischen Stuhl das Recht, Bischöfe von einem auf den anderen
Bischofssitz zu transferieren. Durch alle diese Mafsregeln erzielte er
eine Zentralisation der kirchlichen Verwaltung, wie sie die früheren
Jahrhunderte nicht kannten. Es konnte nicht fehlen, dafs dieses neue
System in kirchlichen Kreisen Widerspruch fand und den Widerstand
der alten Oppositionsparteien wachrief, die sich nun gleichfalls kräftiger
Geltung verschafften. Zum Schutz gegen sie wurden, da die alten Hilfs-
kräfte des Papsttums versagten oder sich als reformbedürftig erwiesen,
neue geschaffen. Das Papsttum fand sie in den Bettelmönchen.
Die kirchliche Opposition. 11
§ 3. Die kirchliche Opposition. Katharer und Waldesier.
Die Quellen zur Geschichte der Katharer, grofsenteils in Döllinger, Beitr. zur
Sektengesch. d. MA. II: Dokumente vornehmlich zur Gesch. d. Valdesier u. Katharer.
München 1890. (Siehe Haupt, D. L. Z. 1889, Nr. 51.) Enthält 72 Quellen, die allerdings
auch andere Eeligionsparteien wie Hussiten etc. betreffen. Nicolaus Eymerici Directorium
inquisitorum (s. Denifle, Arch. L. Kirch. -G d. MA. I.). Ausgaben bei Potthast II, 853.
Bernardus Guidonis, Practica inquisitionis haereticae pravitatis, ed. Douais. Paris 1885
(Lit. Potth. I, 152), Moneta Cremonensis, Adversus Catharos et Waldenses ed. Rom. 1743.
Alanus, Ad Haereticos et Waldenses, Migne, Patrol. lat. 210. Sacchoni Rainerus, Summa
de Catharis et Leonistis. Bibl. Max. Pat. XXV. Errores Patarenorum de Bosnia, Morelli,
Codd. Nanniani, s. auch Chronic, anonymi Laudunensis bis 1218. MMG. SS. XXVI.
Ermengaudus Opuscul. contra Waldenses (gegen die Katharer), ed. Gretser ap. Migne 204.
Literatur. Ch. Schmidt, Histoire de doctrine et la secte de Cathares ou
Albigeois. 2 Bde. 1849. Döllinger, Beitr. Bd. 1. Peyrat, Hist. des Albigeois.
Paris 1869 — 72. 3 voll. Douais, Les Albigeois, leur origines etc. Paris 1879.
Dulaurier, Les Albigeois ou les Cathares du midi de la France. Cab. Hist. 1880.
Ne ander, Allg. Gesch. d. christl Rel. u. Kirche VIII4. K. Müller, Kirchengesch. I.
Lea, A history of the Inquisition. I. (dort weitere Quellen u. Literaturvermerke).
Hahn, Ketzergesch. d. MA. I. — III. L o m b a r d , Les Pauliciens, Bulgariens etc. 1879.
Havet, L'höresie et le bras seculier au moyen-äge jusqu'au Xllle siecle. BECh. XLI.
Moliniers. §5. Tocco, L'eresia nel medio evo 1884. Ficker, Die gesetzl. Ein-
führung der Todesstrafe für Ketzerei. M.JÖG. I. Winkelmann, dasselbe IX.
Auch für die Gesch. d. Waldesier finden sich Akten, Inquisitionsber. etc. bei
Döllinger II. Dazu neben Bernardus Guidonis, Eymericus, Alanus, Sacchoni u. Moneta
noch Stephanus de Borbone De donis Spiritus Sancti p. p. Lecoy de la Marche.
Paris 1877. Preger, Der Traktat des David v. Augsburg über die Waldesier. Abh. Münch.
Akad. XIV. (s. auch weiter unten). Bernardus de Fönte calido in Bibl. Max. Patr. XXIV.
D. Passauer Anonymus, Hauptquelle f. d. deutschen AValdesier, ib. XXV., s. Preger.
Schönbach, Bertold v. Regensb. u. die Ketzer. Wien. S. Ber. 146. Haupt, Ein
Traktat über die österr. Waldesier d. XIII. Jamii. Z. K. G. XXHI.
Literatur. Dieckhoff, Die Waldenser im MA. 1851. Herzog, Die roma-
nischen Waldenser 1853. K. Müller, Die Waldenser u. ihre einzelnen Gruppen bis
zum Anfang des 14. Jahrh. 1886. C o mb a , Histoire des Vaudois. Nouv. edit. Firenze 1901.
H a u s r a th , Die Arnoldisten. 1895. Preger, Beitr. z. Gesch. d. W. im MA. (Abh. Münch.
Akad. XIII.) 1875. Preger, Über die Verfassung der franz. W. (Ebenda XIX.) 1890.
Preger, Über das Verh. der Taboriten zu d. W. (Ebenda XVIH.) 1887.. Huck,
Dogmenhistorischer Beitrag z. Gesch. d. W. Freib. i. B. 1897. Breyer, Die Arnoldisten.
Z. K. G. XII. Haupt, Waldensertum u. Inquisition im so. Deutschland. Freib. i. B. 1890.
Haupt, Die deutsche Bibelübersetzung der ma. Waldenser. Würzburg 1885. Haupt,
Der wald. Ursprung des Cod. Teplensis. Würzburg 1886. L. Keller, Die Reformation
und die älteren Reformationsparteien. Lpzg. 1885. Keller, Die Waldenser u. d. d.
Bibelübersetzungen. Lpzg. 1886. Suchier, Über d. rom. Bibelübersetzungen. Z. rom.
Phil. 1885. Keller, Zur Gesch. d. altevang. Gemeinden. Berl. 1887. Jostes, Die
Waldenserbib. u. M. Joh. Reibach. H. Ib. XV. Wattenbach, Über die Inquisition
gegen die W. in Pommern u. Brandenburg. Berl. 1886. Monet, Hist. literaire des
Vaudois du Piemont 1885 (Förster in den G. G. A. 1888 Nr. 20). Kleinere Schriften bei
Newman, Recent researches concerning mediaeval sects. Americ. Soc. of Church
history IV., 165 — 221. Goll, Nove spisy o Waldenskych Athenaeum 1887.
1. Die zunehmende » Verweltlichung« der Kirche rief in den
Kreisen des Klerus und der Laien eine Opposition hervor. Zunächst
traten jene Elemente in den Vordergrund, die seit langem Lehren und
Einrichtungen in der katholischen Kirche bekämpft hatten : die Katharer.
Ihr Ursprung führt auf gnostische Sekten im Oriente zurück, von denen
\2 Ursprung und Ausbreitung der Katharer.
seit der zweiten Hälfte des T.Jahrhunderts die Pauli zi an er ihr streng
dualistisches Lehrsystem entwickelten. Wegen ihrer Tapferkeit (im 10. Jahr-
hundert) nach Thrazien versetzt, um die Grenzen des Reiches zu schützen,
traten sie mit den seit dem 4. Jahrhundert bestehenden, im 8. und
10. Jahrhundert gleichfalls in Thrazien angesiedelten Euchiten in Ver-
bindung, die im Gebet die Vollendung christlicher Vollkommenheit
sahen und -nach dem Beispiel der Apostel lehrend und predigend wirkten.
Sie brachten allmählich die Paulizianer unter ihren Einnufs, übernahmen
aber deren dualistische Weltanschauung. In Bulgarien erhielten sie
den Xamen Bogomilen1), d. h. Gottesfreunde. Im Westen, wo ihre
Lehren seit dem 11. Jahrhundert eindringen, heifsen sie die Beinen,
»Katharer«, weil sie sich von allen ihren Begriffen nach unreinen
Dingen frei halten. In Deutschland ist aus diesem Namen die Be-
zeichnung Ketzer entstanden. 2) In einzelnen Gegenden hiefsen sie
Manichäer, weil ihr Lehrbegriff in wichtigen Punkten mit dem mani-
chäischen übereinstimmte, in Italien Patarener, sonst auch Albigenser,
nach der Stadt Albi und der Provinz Albigeois in Languedoc. Doch
wird dieser Name erst seit dem 13. Jahrhundert gebräuchlich und um-
fafst nicht selten auch andere kirchliche Oppositionsparteien, namentlich
auch die Waldesier. Ihre Lehre fand im Westen um so leichter Ein-
gang, als sich noch an einzelnen Orten Reste der Manichäer fanden,
auf die nun die »Neumanichäer« Einnufs erhielten. Ihre Lehren dringen,
begünstigt durch den Handelsverkehr zwischen dem westlichen Griechen-
land und dem Okzident, selbst in England, dem nördlichen Frankreich
und westlichen Deutschland ein. Im 12. Jahrhundert finden sich in den
Kreisen des Adels, der Geistlichkeit und des Volkes von Frankreich
Katharer ; sie haben bedeutende Lehrer, wie Peter von Bruys und Hein-
rich von Toulouse, und entwickeln eine Tätigkeit, gegen welche die grofsen
Heiligen der katholischen Kirche, ein Bernhard und Norbert, eiferten.
Die Hauptsitze ihrer Wirksamkeit waren im südlichen Frankreich und
nördlichen Italien. In den Jahren Innozenz' III. dringen sie selbst in
den Kirchenstaat vor. Ihre Ausbreitung wurde durch den langen Streit
zwischen der Staats- und Kirchengewalt gefördert; in den mit dem
Interdikt belegten Landschaften kam ihnen das religiöse Bedürfnis der
Menge entgegen. Sie besuchten als Kaufleute Messen und Märkte und
sandten mitunter junge Männer nach Paris, um sie in den Wissen-
schaften auszubilden, freilich auch, um Genossen zu werben. Im süd-
lichen Frankreich kam es vor, dafs ärmere Adelige ihnen die Töchter
zur Ausbildung übergaben, in anderen Gegenden litten sie dagegen
unter dem Ruf unnatürlicher Ausschweifungen, was dann nicht selten
den Grund zu heftigen Verfolgungen abgab.
1) Die Herleitung von einem angeblichen Stifter Bogomil (s. Jirecek, Gesch.
d. Bulgaren, S. 175) oder von der slawischen Gebetsformel »Bog miluj« (»Gott erbarme
dich«) ist wenig wahrscheinlich. Döllinger führt alle drei Varianten nebeneinander
an, ohne sich für eine zu entscheiden.
2) Döllinger, Beitr. I, 127.
Die Lehre der Katharer. Pierre Waldes. 13
Die Lehre der Katharer1) ruht auf dualistischer Grundlage. Der gute und böse
Gott, das Reich des Lichtes und der Finsternis, stehen in ewigem Kampf. Sich aus
den Bauden der Finsternis zu befreien, von allem Sinnlichen loszusagen, ist des
Gläubigen Pflicht. Die katholische Kirche ist die Kirche der Ungläubigen, ihre Priester
Pharisäer, die Päpste nicht Nachfolger Christi, sondern des Kaisers Konstantin, unter
Wem das Verderbnis der Kirche durch ihren Reichtum und ihre YerweltMchung den
Anfang genommen. Sie verwerfen daher den katholischen Gottesdienst wie alle
katholischen Gebräuche und Einrichtungen, die Sakramente, trotzdem sie selbst einige
den katholischen Sakramenten analoge Einrichtungen haben. Die Taufe mit Wasser
ist ihnen eine leere Zeremonie ; alleinigen Wert hat die geistige Taufe, die Hand-
auflegung, das Consolamentum, das aber nur jenen gespendet wird, die danach
verlangen. Daher sind Kinder, die vor den Unterscheidungsjahren sterben, für immer
verloren. Der Schrecken, den diese Lehre hervorrief, bewirkte, dafs seit dem 14. Jahr-
hundert auch den kranken Kindern das Consolamentum gewährt wird. Um der Vor-
teile des Consolamentums nicht verlustig zu gehen, wurde das Institut der Endura
eingeführt, d. h. man liefs jene, die in der Krankheit das Consolamentum erhalten
hatten, nicht wieder aufkommen, sondern bewog sie, die Nahrungsaufnahme zu ver-
weigern. Nur wer selbst rein ist, darf gültig Sünden vergeben. Für den Abfall vom
wahren Glauben und die Bekämpfung der wahren Lehre gibt es keine Verzeihung.
Im übrigen verwarfen die Katharer das Alte Testament, die Bilderverehrung, die Fasten,
das Fegefeuer, den Eid und die Todesstrafe.
Ein wesentliches Merkmal der Katharer liegt in ihrem Institut der Perfecti, d.h.
der Vollkommenen (nach Matth. XIX, 21); diese sind ihre Lehrer, denen durch das
Oonsolainentum die Vollmacht erteilt wird, die anderen, die Auditores oder Credentes,
zu unterweisen. Von Ort zu Ort reisend, üben sie ihre Predigtamt und die Seelsorge
aus. Die Predigt beginnt mit der Erklärung des Neuen Testaments, wobei auf den
Widerspruch mit der herrschenden Kirche hingewiesen und der Glaube an diese
erschüttert wird. An der Spitze der Katharer steht ein Oberhaupt, dem, wenigstens
zeitweise, der Titel Papst gegeben wurde ; er hatte längere Zeit hindurch seinen Sitz
in Bosnien. Unter ihm stehen die Bischöfe, denen Minister und Diakonen unter-
geordnet sind. Mitunter fanden auch Konzilien statt. Der Hafs der Perfecti gegen die
katholische Kirche und ihre Einrichtungen war für die Credentes kein Hindernis,
äufserlich in ihrem Verband zu verbleiben. Dadurch war es schwer, sie als Katharer
«u erkennen.2)
2. Den Kämpfen, die in Oberitalien im 11. Jahrhundert gegen die
»unreinen«, d. h. verheirateten Priester, »deren Worte keine Kraft und
deren Sakramente keine Gültigkeit haben«, geführt wurden, waren ein
Jahrhundert später die Kämpfe Arnolds von Brescia und seiner Schüler
gefolgt. Sie sahen das einzige Heil für die »verderbte« Kirche in der
Rückkehr zur evangelischen Armut. Diese Ansichten blieben — auch nach
Arnolds Tod — lebendig und wurden von kirchlichen Genossenschaften,
die hier schon seit dem 11. Jahrhundert bestanden, fortgepflanzt, mit
besonderem Erfolg aber von den Waldesiern gelehrt, in welche ein-
zelne der älteren Oppositionsparteien der Kirche allmählich aufgingen.
Die Anfänge des Waldesiertums waren der Kirche keineswegs feind-
lich, vielmehr zeigen sie mit denen des Minoritenordens Ähnlichkeit.
Pierre Waldes, ein durch Wucher reich gewordener Kaufmann in
Lyon, hört eines Tages (1173) von einem Spielmann die Geschichte des
hl. Alexius, der in der Hochzeitsnacht Braut und Eltern verläfst, als
*) Gemeint sind hier die Albaneser in Süditalien und Albigenser in Frankreich
nicht die monarchischen Katharer. Über diese Döllinger I, 157.
r Über die Bestrafung der Ketzer s. § f>.
14 Die Waldesier und ihre Gruppen.
Büfser durch die Welt zieht, nach vielen Jahren heimkehrt und erst
auf dem Sterbebett sich den Eltern offenbart. Die Geschichte macht
auf "Waldes solchen Eindruck, dafs er der Welt entsagt, um arm
wie die Apostel zu leben und zu wirken. Zwei Geistliche übersetzen
ihm die Evangelien und andere geistliche Schriften in die Volkssprache
und geben ihm eine Sammlung von Aussprüchen der Kirchenväter
über Glaubens- und Sittenlehren. Dann wendet er sich der Bufspredigt
zu; es finden sich Genossen; besonders stark ist der Zulauf des armen
Volkes. Auf den Strafsen und den Plätzen von Lyon, in Häusern und
Kirchen, endlich auf dem Lande wird gepredigt. Zu zwei und zwei
— nach Markus VI, 7 — ziehen sie aus, in wollenem Bufskleid, ohne
Geld, barfufs oder in den offenen Holzschuhen der Bauern, den Sab-
boten. nach denen sie auch Sabbatati hiefsen. Bei Laien, denen sie
Gottes Wort predigen, suchen sie Unterkunft und fordern Brot, denn
jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert, In dieser Predigt sah Waldes
die beste Nachfolge der Apostel. Mit diesen »Armen von Lyon« durch-
zog er das Rhonetal. Er hatte keinen Gedanken daran, sich etwa von
der Kirche zu scheiden, aber der Bruch war doch unvermeidlich. Der
Erzbischof von Lyon, ohne dessen Erlaubnis sie predigten, verbot es
ihnen, und als sie sich dagegen auf den Befehl der Bibel beriefen, wurde
ihre Vertreibung angeordnet. Alexander III. lobte zwar ihr Armuts-
gelübde, wies sie aber bezüglich der Predigt an die Priester; nur von
diesen berufen, sollten sie predigen. Da dieser Ruf ausblieb, nahmen sie
ihre Wirksamkeit wieder auf und hatten in Frankreich und der Lom-
bardei, wo sich die Humiliaten anschlössen, grofse Erfolge. Da ihre
Propaganda immer weitere Kreise ergriff, sprach Lucius III. auf der
Synode zu Verona den Bann über sie aus. Waldes blieb bis an sein
Ende Haupt dieser weitverzweigten, nach seinem Namen genannten
Sekte, deren Mitglieder, Männer und Frauen, auch ohne Erlaubnis der
Kirche predigten und das Bufssakrament austeilten. Da Innozenz III.
erkannt hatte, dafs die Bischöfe gegen die Armen von Lyon mit allzu
grofser Schärfe eingeschritten waren, zudem in der Bewegung ein Kern
liege, der für die Kirche nutzbringend sei, suchte er den häretischen
Armen von Lyon einen Verein der Pauperes catholici entgegenzustellen,
als deren Aufgabe er die Wiedergewinnung der Ketzer bezeichnete.
In der Tat splitterte ein Teil von den Lyonern ab und erhielt 1208 die
päpstliche Bestätigung als eigene Genossenschaft, ohne freilich die auf
sie gesetzten Hoffnungen zu erfüllen. Inzwischen hatte sich unter den
Waldesiern eine zweite Sonderung vollzogen. Die radikal gesinnten
lombardischen trennten sich von den französischen Waldesiern, und
diese Scheidung blieb auch nach Waldes' Tode bestehen. Die lombar-
dische Gruppe entfaltete eine rege Tätigkeit in Süddeutschland, vor-
nehmlich in Österreich, wo die Katharer nahezu verdrängt wurden,
dann in Franken und Thüringen, Böhmen und selbst in Brandenburg,
Pommern und Preufsen. Die französischen Waldesier breiteten sich
juraabwärts zur Rhone und im südlichen Frankreich bis zu den Pyre-
näen aus.
Lehre der Waldesier. 15
Von beiden Gruppen war die lombardische die bedeutendere. In beiden fanden
sich apostolisch lebende Männer und Frauen, Brüder und Schwestern, Meister und
Meisterinnen zusammen. Die Männer werden auch Apostel genannt und leben
wie diese in Armut. Ihre Hauptaufgabe ist die Verwaltung des Bufssakraments and
die Predigt. Schroffer als die französische trat die lombardische Richtung der Kirche
gegenüber auf. Die katholische Kirche gilt ihr als das Tier der Apokalypse, ihre
Priester sind als Pharisäer von der Seligkeit ausgeschlossen. Die Waldesier verwarfen
die Hierarchie der Kirche, deren Ausstattung mit weltlichem Besitz, die Weihen, den
Prunk des Gottesdienstes, die Tempelbauten, den Bilderdienst und den Totenkultus
mit der Heiligenverehrung. Auch bei ihnen ist die Gültigkeit des Sakraments von '
der Würdigkeit des Spenders abhängig. Sie verbieten den Eid, das Blutvergiefsen.
Den Glauben an das allgemeine Priestertum der Gläubigen und die Lehre von der
Rechtfertigung durch den Glauben allein besafsen sie nicht. Von den Katharern, mit
denen sie in ihrer hierarchischen Gliederung viel Gemeinsames haben, sind sie durch
die dualistische Grundlage des Katharerglaubens geschieden.
§. 4. Die Hilfskräfte des Papsttums. Die Bettelorden der Minoriten
und Dominikaner und ihre Bedeutung.
Quellen. I. Minoriten. Eine gute Übersicht zur Gesch. d. Franz von Assisi
gibt Zöckler in RE3 VI, 197. Zur Kritik s. K. Müller, Die Anfänge des Minoriten-
ordens, P. Sabatier, La Vie de S. Francois d'Assise (s. unten), und W. Goetz, Die Quellen
zur Gesch. des hl. Franz von Assisi im 22. u. 24. Bd. d. Z.K.G. S. 362, 525 u. 165. Littl e ,
The Sources of the History of St. Francis of Assisi. E. H. R. XVII, 643. J. E. Weis,
Julian v. Speier, Forschungen zur Franziskus- und Antoniuskritik. München 1900.
Tilemann, Speculum perfectionis undLegenda trium sociorum. Ein Beitrag zur Quellen-
kritik d. G. d. hl. Franz v. Assisi. Lpzg. 1901.
Von Quellen kommen in Betracht: 1. Die echten Werke des Heiligen. Am
wichtigsten ist sein Testament. Gedr. bei Wadding. Ann. Min. ad. an. 1226.
Andere Drucke s. bei Zöckler S. 203. Zum Test. s. Loof s, Das Testament d. F. v. A.
Christi. Welt 1894, Nr. 27—29. Echt ist die Regel v. 1221. Die drei Regeln f. d.
Minoriten s. bei Wadding, S. Francisci opuscula Antw. 1623. Neuestens bei Horoy,
S. Francisci Assisiatis. Opp. omnia. Paris 1880. Andere Drucke Zöckler. Dort auch die
ganze Lit. über die Regeln. Über die übrigen echten Schriften d. hl. Franz, Briefe etc.
s. Goetz 1. c.
2. Biographien: Nach Sabatiers Forschungen liegt die älteste Biographie
aus der Feder des Bruders Leo, des langjährigen Genossen des HL, vor: Speculum
Perfectionis seu S. Francisci Assisiensis Legenda antiquissima auctore fratre Leone.
Ed. Paul Sabatier. Paris 1898. Sie wurde ein Jahr nach dem Tode d. Hl. vollendet.
Sabatiers Ergebnisse sind von Faloci -\Pulignani angefochten worden (s. hierüber wie
über den wegen der Rekonstruktion der Legenda trium sociorum ausgebrochenen Streit
Goetz w. oben); s. aber die Ausführungen Lempps, Frere Elie de Cortone, p. 16.
Thomas de Celano (der berühmte Hymnendichter), der »offizielle« Biograph, schrieb
auf Befehl Gregors IX. 1228 : Vita S. Francisci (prima) ; sie galt bisher als die älteste
und wichtigste Quelle zur Gesch. d. hl. F. Zeigt angeblich eine Hinneigung zu Elias
von Cortone. Gedr. zuletzt von L. Amoni. Rom 1880. Sonst AA. SS. 4. Okt. Andere
Drucke bei Potthast. Legenda trium sociorum (Leonis, Rufini et Angeli), im Aug. 1246
geschrieben. Nicht mehr Elias freundlich, ed. Amoni 1. c. Über che Rekonstruktion
der Leg. durch die Franziskaner Marcellino da Civezza u. Theofilo Domenichelli, die
1899 in Rom unter dem Titel erschien : La Leggenda di San Francesco scritta da tre
suoi Compagni, s. Goetz S. 366 u. Sabatier, Rev. hist. LXXV. Thomas de Celano,
Vita altera S. Francisci, verf. 1247, Elias feindlich, an gesch. Wert hinter der ersten
zurückstehend; ed. L. Amoni wie oben. Alle folgenden F. -Biographien können sich,
an Wert mit Nr. 1 — 4 nicht messen: Vita s. Francisci fundatoris ord. Minorum,
auctore s. Bonaventura, auf Anordnung eines Generalkapitels 1261 geschrieben. A. A.
S. S. 4. Oktober II, 742 — 798 (neben dieser findet sich eine kleinere in den Franzis-
16 Die Hilfskräfte «los Papsttums.
kaner-Brevieren), auch Anioni 1880. Bernardus de Bessa (t unter Bon agraria 1279 — 1285):
Liber de laudibus S. Francisci Annal. Franc. III, 666 — 692. Bartholomaeus Albicus, Liber
Conformitatum, ed. Mil. 1510. S. Francisci Legendae veteris fragnienta quaedam
ca. 1322). Opuscules de critique historique, ed. Sabatier 1902. Description du Alanuscrit
francisc de Liegnitz, ed. Sabatier 1901. Hugolin, Floretum Stj Francisci, ed. Sabatier 1902.
I fioretti di S. F. secondo la lezione del cod. fiorent. scritto da A. Manelli, ed. Manzoni
di Mordano. Rom 1902. Aus dem Speculum vitae S. Francisci (die Edd. bei Sabatier,
Spec. Perf. p. CCX hat Sabatier oben Xr. 1 ausgeschält. Ausg. v. 1509.
3. Chroniken. Die älteste ist die des Jordanus di Giano: De primitivorum
fratrum in Teutoniam missorum conversatione et vita memorabilia geschr. 1262,
herausg. v. G. Voigt in Abb. sächs. Ges. d. W. 1870 (s. Sabatier Spec. Perl p ( LXXXYII ff.).
Thomas de Eccleston, Liber de Adventu Alinorum in Angliam (geschr nach 1264),
ed Brewer, R. Brit, SS. IV. Lond. 1858. 1882. Ausg. v. Liebermann MM. Germ.
SS. XXVIII, 561. Salimbene Chronicon 1167 — 1287. MM. hist. ad prov. Parmensem
et Piacent, pertin. Parma 1878. Erscheint demnächst in MM. Germ. hist. SS
Bernardus de Bessa, Catalogus s. Chronica Ministrorum generalium ord f. Minor.
Z f. kath. Theol. Innsbr. 1883. VII. 338. Chronicon XXIV primorum Generaliuin
Ordinis. ed. Quaracchi, Annal. Francisc. III. Angelus Clarenus (tl337): Historia Septem
tribulationum O. M. (gesch. 1314 — 23). Döllinger, Beitr. II, 413, teilw. ed v. Ehrle
ALKG. II, s. auch d anderen Werke des Angelus bei Potth. I, 45. Eine neue
Ausg. der Chronica sept. tribulat ist in Vorbereitung. Für spätere Chronisten, wie
Glafsberger, Joh. de Komorowo u. a. s. Zöckler S 206. Die Sammlungen der Privil.,
Bullen u. Urkk. u. s. w. der Minoriten s. ebenda.
Das Quellenmaterial für die Gesch. der hl. Klara u. d. Klarissenordens sowie
für den dritten Orden d. hl. Franz s. Zöckler S. 215 u. 217. Hinzuzufügen ist zu
letzterem noch die von Sabatier aufgefundene und herausgegebene Regula antiqua
Fratrum et Sororum de Poenitentia seu Tertii Ordinis Sancti Francisci. Paris 1901.
(S. dazu Goetz in Z. K. G. XXI II, 97.)
4. Literatur. Die ältere ist bei Zöckler u. Potthast II, 1319—1321 ver-
zeichnet. Hier kann nur eine Auswahl daraus geboten werden. Hase, Franz v. Assisi.
Ein Heiligenbild. Lpzg. 1856. X. A. 1892. Le Monnier, Histoire de S. Francois
d'Assise. Paris 1889. Bonghi, Francesco d' Assisi 1884. Tocco, L'Eresia del Medio
Evo, Firenze 1884. K. Alüller, Die Anfänge des Alinoritenordens u. der Bulsbrüder-
schaften. Freiburg 1885 (bahnbrechend für die krit. Behandl. d. Stoffes, Prudenzano,
Francesco d'Assisi e il suo secolo. 13. ed. Xapoli 1901. (Auch deutsch, Innsbr. 1893.)
P. Sabatier, Vie de S. Francois. Paris 1894 (bis jetzt die 23. Aufl.) Deutsch von Lisco.
Berl. 1895. 2. Aufl. 1897. Hausrath, Die Arnoidisten Weltverbesserer im M.-A. 3).
Lemmens, Die Anfänge des Klarissenordens. R. Q.-Schr. XVI, 93 ff. (s. auch Lempp
Z. K. G. XIIP. Mandonnet, Origines de l'Ordo de Poenitentia. Freib i. d. Schw. 1898.
Rybka, Elias v. Cortona. Diss. 1874, Lempp, Frere Ehe d. C. Paris 1901. W. Götz,
Die urspr. Ideale d. hl. F. v. A. Hist. Viertel j. -Sehr. VI. (Dort Erg. z. den obigen Lit.-
Vermerken; s. auch V, 291.)
II. Dominikaner. R.E.1A', 768. 1. Biographien. Jordanus (der zweite Ordens-
general), De prineipiis ordinis Praedicatorum (verf . vor 1234, dem Jahre d. Kanonisation), ed.
Berthier, Freiburg i. d. Schw. 1892. Vita Dominici auetore Constantino Medice ep.
Urbevetano Verf. vor 1247) ed. Quetif et Echard SS. Ord. Pr. I, 25—44. Vita alia
Barth. Tridentini, verf zw. 1244— 1251 AA. SS. 4. Aug. I, 559. Gerhard v. Frachet,
Vita fr. O. P. et chronica ord. ab anno 1203—1251: oe^chr. um 1260, ed. Reichert.
Löwen 1896. Vita Dominici auet. Humberto; geschr. 1254. Quetif-Echärd I. 125. Vita
alia, quam scripsit Theodericus de Apolda, geschr. 12^2, ed. Cure. Paris 1881. Vita
Dominici auetore Bernardo Guidonis. Quetif et Echard I. Die Zeugenaussagen im
Kanonis.-Proc. AA. SS. 4. Aug. Miracula u. Translatio s. Potthast II. 1272. Balme
et Lelaidier, Cartulaire et histoire de S. Dominique. 2 Bde. Paris 1893.
2. Akten d. Generalkapp, bei Martene, Thes. nov. aneed. IV. Donais, Ann
cap. provine. ord. F. P. I. Toulouse 1894. Reichert, Akten d. Provinzialkapp v Deutschi.
1398—1512. RQ.-S. 1891. Constitutiones, ed. Denifie ALKG. I, AT (zu Grunde liegen
Die Bettelorden. 17
ihnen die der Pränionstratenser). Quellen zur Gelehrtengesch. d. Dominikaner von
Denifle ALKG. II. Finke, Acht ungedr. Dominik. -Briefe. Paderborn 1891,
s. auch Reichert im II. Ib. 1897.
3. Literatur, s. d. Verzeichnis bei Potthast II, 1272 u. R. E.3 IV, 768. An
einer guten krit. Arbeit über die Gesch. d. hl. Dominikus fehlt es. Mamachi, Ann.
Ord. Praed. Rom 175G. Lacordaire, Vie de S. Dominique 8. ed. Paris 1882.
.1. (iuiraud, Saint Dominique. Paris 1899. Dräne, The history of 8. Dominic.
Loml. 1891. Deutsch, Düsseldorf 1892. Heimbucher, Die Orden u. Kongregationen
der kath. Kirche I.
1. Zu dem Anspruch der Geistlichkeit auf weltliche Herrschaft,
äufseren Glanz und Ehren standen der Eifer der Katharer und die
Lehre der Waldesier von der evangelischen Armut in einem so starken
Gegensatz, dafs er bald aller Welt sichtbar wurde und sich nicht wenige
und nicht die schlechtesten Elemente in ihre Kreise drängten. So wird
die Weltherrschaft der Päpste schon in den Tagen ihrer Gründung
starken Erschütterungen ausgesetzt, bis sich auf dem Boden der Kirche
zwei Männer erheben, die dieselben Prinzipien der apostolischen Predigt
und evangelischen Armut auf ihr Banner schreiben und die stärkste
Stütze des Papsttums werden : Franziskus und Dominikus, die Stifter
der Bettel orden. Sie schienen in einer Zeit, die so mannigfaltige
Gestaltungen des Ordenslebens sah , keine Gewähr für besondere
Leistungen zu bieten, so dafs noch das Laterankonzil von 1215 der
Gründung neuer Orden entgegentrat; aber eben diese neuen Orden
lieferten doch den Beweis, dafs in der Kirche mannigfaltige Standpunkte
nebeneinander bestehen und die Kirche so verschiedenartige, sich gegen-
seitig ergänzende Gestaltungen zu einer höheren Einheit verbinden
konnte. So durften neben dem Glanz , den das Papsttum und die
Hierarchie ausstrahlten, auch solche kirchliche Gemeinschaften geduldet
werden, die, allem weltlichen Besitz entsagend, das evangelische Armuts-
ideal hochhielten. Zutreffend zeichnet die Legende das Auftreten beider
Männer: Es träumt dem Papste Innozenz III., der Lateran drohe ein-
zustürzen und werde von zwei unscheinbaren Männern gestützt. Er-
wachend erkennt er in ihnen die beiden Heiligen. Die Aufgabe, die
der Papst den » katholischen Armen« zugedacht hatte, übernehmen zu-
erst die Min derb rüder oder Minoriten. Gründer des Ordens ist
Franz vonAssisi, dessen Haupt schon bei Lebzeiten der Glorienschein
des Heiligen umgab. Er wurde als Sohn des durch Handel reich gewordenen
Kaufmanns Pietro Bernard one 1182 im Städtchen Assisi geboren.
Ein lebensfroher Jüngling, hatte er an schönen Kleidern, an Spiel, Sang
und Schmausereien Gefallen. Von Ehrgeiz beseelt, war er in die Streitig-
keiten verwickelt, die nach dem Tode Heinrichs VI. überall aus-
brachen. Von den Perusinern gefangen und freigelassen, nimmt er
sein lustiges Leben wieder, auf. I)a wirft ihn eine Krankheit nieder;
die Nichtigkeit seines bisherigen Lebens tritt ihm vor Augen; aber noch
einer zweiten Krankheit bedurfte es, um die Wandlung in seinem Innern
vollständig zu machen. Sein bisheriges Leben wird ihm zum Ekel; er
vollzieht den Bruch mit der Welt; aber dieser bedeutete zugleich einen
Bruch mit seiner Familie, denn ihr mifsfiel die Tätigkeit, die er den
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 2
\$ Franz von Assisi. IHe Minoriteii.
Armen und Aussätzigen widmete. Als die Entfremdung zwischen Vater
und Sohn aufs höchste gestiegen war, entfloh er dem Elternhause. Habe
er bisher gesagt: »Vater Bernardone , so werde er von jetzt an nur sagen :
»Unser Vater im Himmel«. Selbst die Kleider, die er aus dem Eltern-
hause hatte, gab er zurück. Die kleine Kapelle St. Maria degli Angeli,
zwischen Rosenhecken versteckt, von alters her Portiunkula genannt,
wurde die Wiege der von ihm veranlafsten grofsen Bewegung. In ihrer
Nähe baute er eine bescheidene Klause. In Portiunkula hörte er einst
in der Predigt die Worte Mätthäi: »Ihr sollt weder Gold noch Silber
noch Erz in eurem Gürtel haben, auch keine Tasche zur Reise, nicht zwei
Röcke und keinen Stab, denn der Arbeiter ist seines Lohnes wert.« Da
warf er hinweg, was er noch hatte, um dem Wort des Evangeliums zu
folgen. Damit begann 1209 sein apostolisches Wirken, in der Zeit, als
Innozenz III. bedacht war. die Waldesier wieder zu gewinnen. Franz
wird jetzt der Bannerträger der Armut. Von den Mitbürgern mit Spott
und Hohn verfolgt, als Tor verschrien, machte seine Predigt allmählich
doch Eindruck. Bald schlössen sich Jünger an. Sie trugen die Tracht
der Bauern der Umgebung. Bei der steigenden Zahl der Gefährten
fafste Franz den Entschlufs, eine Regel zu entwerfen und den Papst um
ihre Bestätigung zu bitten. Er erreichte mit Mühe, dafs ihnen gestattet
wurde, ihre Tätigkeit fortzusetzen, doch mufsten sie einen Oberen wählen.
Dies wurde Franz. Die junge Stiftung war anfangs kein Orden, nur
eine Vereinigung von Leuten, die durch ein gemeinsames Ideal mitein-
ander verknüpft sind und drei Aufgaben auf sich nehmen: 1. gänz-
lichen Verzicht auf Hab und Gut zugunsten der Armen, 2. rücksichts-
lose Selbstverleugnung in der Nachfolge Christi und 3. Loslösung von
allen Banden der Familie und der bestehenden gesellschaftlichen Ord-
nung. Ihre leiblichen Bedürfnisse werden durch Dienst und Arbeit ge-
deckt und nur im Notfall durch Bettel befriedigt, wobei aber die An-
nahme von Geld als Lohn oder Almosen ausgeschlossen war. Der
Bettel war anfangs nur ein Mittel zur Selbstdemütigung. Ihre Haupt-
aufgabe ist die Predigt, Noch hatten sie keinen Namen. Die Bezeich-
nung die Armen von Assisi hätte zu sehr an die Armen von Lyon
erinnert. Eines Tages wird die Stelle der Regel verlesen: Die Brüder
sollen immer die Geringsten sein (sint minores).« Da war der Name
Minoriten gefunden. Die neue Gesellschaft wuchs erst in Mittelitalien
stark an; seit 1219 wird che Ausbreitung nach dem übrigen Italien,
Spanien, Frankreich, Deutschland und Ungarn, ja selbst unter den Un-
gläubigen in Angriff genommen. Während einer Missionsreise, die Franz
ins Morgenland unternahm, trafen einzelne Brüder Änderungen, die dem
Sinne des Stifters nicht zusagten. Jetzt erfolgte unter dem Einflüsse des
Kardinals Hugolin von Ostia, späteren Papstes Gregor IN., die Umgestaltung
der Gesellschaft zu einem förmlichen Orden, dessen Mitglieder durch
die Beweglichkeit und Verwendbarkeit, die sie im Gegensatz zu den
begüterten Orden besafsen, und durch ihren Einflufs auf die Volksmassen
ein vortreffliches Werkzeug für die Festigung der päpstlichen Weltherr-
schaft abgeben konnten.
Ihre Organisation. Dominikus. 19
Der Orden hat von nun an beim Papste um einen Kardinal zu bitten, der sein
Gubernator oder Protektor ist. Sonst steht an der Spitze ein General (servus totius
fraternitatis), unter ihm die Provinzialen (ministri provinciarum), für kleinere Bezirke
Kustoden und für einzelne Niederlassungen Guardiane. Vor Ablauf eines einjährigen
Noviziats wird niemand aufgenommen. Wer das Gelübde abgelegt hat, ist auf immer
gebunden. Es folgen Vorschriften für die Tracht, die Stundengebete u. s. w. Zu den
Ordenskapiteln versammeln sich nur noch General, Provinzialen und Kustoden, ohne
an Portiunkula gebunden zu sein. Die alten Mönchsgelübde : Gehorsam, Armut und
Keuschheit, stehen im Vordergrund, der Bettel, einst Ausnahme, wird zur Regel. Der
Bettelorden wurde als solcher am 29. November 1221 von Honorius III. bestätigt. Die
Umwandlung einer freien in apostolischer Armut lebenden Gesellschaft in einen papst-
lichen, gleich den anderen privilegierten Orden und dessen hiemit in Zusammenhang
stehende Verweltlichung hat der Stifter, der schliefslich die tatsächliche Leitung an den
ehrgeizigen Elias von Cortone abgeben mufste, schwer empfunden. Ein Zeugnis seiner
schweren Bekümmernis ist sein Testament. Der Heilige zieht sich mehr und mehr
in die Einsamkeit, je gröfser die äufseren Erfolge werden ; denn jetzt begann auch
der Übergang von der Wanderschaft zur Sefshaftigkeit. Anfänglich sind es Leprosen-
häuser, leerstehende Spitäler und Gebäude, mit denen man vorlieb nimmt, jetzt werden
Häuser und Kirchen gebaut; in Deutschland ist die erste die von Magdeburg (1225).
Der neue Orden erfreute sich vornehmlich unter der niederen Volksklasse grofser
Beliebtheit. Bald drängt sich in Stadt und Land Kloster an Kloster, denn der Gott,
den die Minoriten predigten, »war der arme, gedrückte Kreuzesträger, das demütige
Vorbild der bedrängten Menschheit.« Franz starb am 4. Oktober 1226. Zwei Jahre
später wurde er heilig gesprochen. Noch zu seinen Lebzeiten hatte Klara Scifi,
die Tochter eines angesehenen Ritters, einen Orden armer Fräulein, die Klarissinnen,
gestiftet, denen Franz noch selbst die Regel gab. Um endlich auch denen, die keine
Gelegenheit haben, Mönche zu werden, aber gewisse mönchische Pflichten auf sich
nehmen wollen, entgegenzukommen, entstand in Faenza und Umgebung eine Bewegung,
die, noch von Franziskus geleitet und von den Päpsten anerkannt, die Stiftung des
Ordens der Bufsbrüder (Ordo fratrum de pöenitentia) oder der Tertiarier
hervorrief, die, ohne dem Verkehr mit der Aufsenwelt zu entsagen, einzelne Satzungen
des Ordens der Minoriten annahmen.
2. Von nicht geringerer Bedeutung, zumal im Hinblick auf seine
intensive Tätigkeit für die Reinhaltung der kirchlichen Lehre und die
theologischen Wissenschaften, war der Orden der Dominikaner oder
Prediger (fratres Praedicatores) , in Frankreich auch Jakobiner genannt,
weil er sich in Paris in der Strafse St, Jakob niedergelassen hatte.
Stifter des Ordens war der Spanier Dominikus. Seine Abstammung
aus dem berühmten Hause der Guzman wurde mit Recht schon von
den Bollandisten bezweifelt. Geboren 1170 zu Calaroga in Kastilien,
hatte er seine Studien in Palencia gemacht, das übrigens erst später
eine Universität erhielt (1209). Anders geartet als Franziskus, zeigte er
früh schon grofsen Eifer für die Sache der Kirche und für wissenschaft-
liche Studien. Ein Mann von kühlerer Denkungsart, begann und führte
er sein Unternehmen planmäfsiger aus als dieser. Doch teilte er mit
ihm die warme Liebe für Arme und Unglückliche. Als Domherr stand
er dem Bischof von Osma, der eine Reform des Domkapitels nach der
Regel des hl. Augustinus durchführte, kräftig zur Seite. Entscheidend
für sein späteres Wirken wurde die Reise, die er mit ihm (1203) nach
Südfrankreich und Italien machte ; er sah den Abgrund, an welchem
die Kirche durch das reifsende Wachstum der Ketzer schwebte, und
erkannte, dafs die Albigenser, die das Leben ihrer Perfecti in apostoJi-
2*
20 Dominikaner and ihre Verfassung.
scher Armut und stetiger Predigt erblickten, nicht durch äufseren Glanz
zu gewinnen seien. Bereit zuzugestehen, was an ihren Forderungen
berechtigt war, zog er mit seinem Bischof und gleichgesinnten Zister-
zienseräbten in ärmlichem Aufzug, predigend und unterweisend im Lande
umher und beschlofs. eine i - Seilschaft zu gründen, deren Mitglieder sich
vornehmlich der Predigt widmen sollten. Vom Bischof von Toulouse
und dem Grafen Simon von Montfort unterstützt, ging er ans Werk. In
der Diözese Toulouse wurde zu Prouille ein Nonnenkloster gegründet,
in welchem bekehrte Albigenserinnen Aufnahme fanden. Von 1208 bis
1215 entfaltete er eine eifrige Tätigkeit für die Bekehrung der Albigenser.
Die Zahl seiner Anhänger wuchs rasch an. Da sich das Laterankonzil
gegen eine Vermehrung der Orden ausgesprochen hatte, gewährte der
Papst für seine Gesellschaft die Bestätigung nur unter der Bedingung.
dafs sj sich an eine schon bestehende Regel anschliefse. Dominikus
wählte die der Augustiner mit den Institutionen der Prämonstratenser.
Honorius III. trug kein Bedenken, den Orden zu bestätigen (22. De-
zember 1216 1. Auch die Dominikaner lebten von den Almosen der
Gläubigen; sie durften sie um so eher für sich in Anspruch nehmen,
als >ie den Gläubigen geistige Almosen spendeten und sich für deren
Seelenheil aufopferten. Dominikus verbot alle Sehenkimgen an den
Orden. Während aber Franziskus die Armut um ihrer selbst willen er-
koren hatte, als die endgültige Befreiung von den Nichtigkeiten des
Lebens, war sie dem hl. Dominikus ein Mittel zum Zweck, denn er sah
in ihr nur eine Waffe mehr in der Rüstkammer derer, die zur Ver-
teidigung der Kirche berufen waren.1) Dominikus starb am 4. August
1221 zu Bologna: 13 Jahre später wurde er heilig gesprochen. •
Die Verfassung des Ordens stimmt in den Grundzügen mit der der Minoriten
ttberein, ist aber methodischer und umfassender ausgestaltet als diese. An der Spitze
steht der General, unter ihm che Prioren der Ordensprovinzen. Die oberste legislative
Gewalt übt das jahrliche Generalkapitel, an dem aui'ser dem General und den Prioren
noch Beisitzer aus den Ordensprovinzen teilnehmen. Der neue Orden breitete sich
rasch aus. Im Todesjahre des Stifters zählte man bereits in acht Provinzen 60 Kon-
vente. Seelsorge and Predigt blieben die Hauptaufgabe der Dominikaner, vor allem aber
die Sorge für die Reinhaltung des Glaubens und der Kampf gegen die Ketzer. Ent-
gegen den Zwecken des ( Ordens nahm das Studium bei den Predigerbrüdern eine her-
vorragende Stellung ein. T ni den Kampf gegen die Ketzer aufzunehmen, mufsten sie
eine gründliche theologische Ausbildung erhalten haben. Wie bei den Franziskanern
wurden auch bei den Dominikanern Nonnenklöster errichtet und dem Orden die
Tertiarier angeschlossen. Erst spätere Legenden berichten, dafs die beiden .
Ordensstifter miteinander verkehrten. Die ältesten Lebensbeschreibungen beider v
hie von nicht
3. Die Erfolge der Bettelorden erklären sieh aus der sorgsamen
Durchführung ihrer Grundsätze und ihrer einfachen und dabei doch
straften Organisation. Diese Mönche bedurften keiner reichen Stiftungen:
bei ihren einfachen Bedürfnissen stand ihnen Land und Stadt offen.
Sahatier, S. 160 d. d. A
Dagegen freilich cap. XLIII des Speculum Perfectionifl u. II Thomas lano
3, 86 u. -7.
Erfolge der Bettelonlen. 21
Indem sie des Tages Last und Mühe mit dem Volke trugen, wurden
sie von diesem um so freudiger aufgenommen, je eifriger sie seine
bisher oft vernachlässigten kirchlichen Bedürfnisse befriedigten. Die
Demokratie in den Städten Italiens ebnete ihnen den Weg. Sie predigten
dem Volk in einer ihm verständlichen, oft drastisch wirksamen Sprache.
Die Mächtigen fühlten sich durch ihr an Entbehrungen reiches Leben,
ihre strenge Entsagung, ihre Demut und die unermüdliche Sorge für
das Seelenheil anderer angezogen. So dringen sie in alle Schichten
der Gesellschaft und beherrschen bald alle. Sie verdrängen die Welt-
geistlichkeit vom Beicht- und Predigtstuhl und treten bald auch als
Bahnbrecher in der Wissenschaft auf. Die grölst en Lehrer der Scho-
lastik, ein Albertus Magnus, Thomas von Aquino, Bonaventura u. a.,
waren Bettelmönche. Nach langem Kampf erobern sie Lehrstühle an
den Universitäten. Die deutsche Mystik fand im 14. Jahrhundert in den
Dominikanerklöstern eine Pflegestätte. — Ihre Organisation, nach welcher
Hunderte von Konventen dem unmittelbaren Gebot des Generals und
somit auch des Papstes gehorchten, machte die Bettelmönche zu den
wertvollsten Hilfskräften der Päpste, für deren Interessen sie unermüdlich
in den niederen Volkskreisen wirkten und von denen sie hiefür Frei-
briefe und Vorrechte aller Art erhielten. Sie erschienen als Gesandte,
politische Agenten und Vertrauensmänner des Papstes an den Höfen
der Fürsten, bei denen sie infolgedessen oft genug eine wichtige Rolle
spielten.
Hier Missionäre, waren sie dort Kreuzprediger, Yerkünder des Bannes, Schieds-
und Friedensrichter, Truppenwerber, Eintreiber von Ablafsgeldern, Ketzerrichter und
Inquisitoren. Waren die Ketzergerichte anfangs in den Händen beider Orden, so
gelangten sie allmählich allein in die der Dominikaner. Sie dürfen an jedem Orte
predigen und Beicht hören, sind befugt, Vermächtnisse von Verwandten und anderen
Personen entgegenzunehmen, sie lösen jeden, der in ihren Orden eintritt, vom Bann,
wofern nicht ein Frevel vorliegt, dessen Lösung sich der Papst allein vorbehält, sie
dürfen selbst während des Interdiktes Messe lesen und das Abendmahl spenden ; kein
Bischof darf sie an der Austeilung des Ablasses hindern u. s. w. Streitigkeiten zwischen
ihnen und der Weltgeistlichkeit konnten da nicht ausbleiben, wobei dann die Massen
des Volkes in der Regel für die Bettelmönche Partei ergriffen. — Die Erfolge der
Bettelorden zeigten sich auch darin, dafs schon in den nächsten Zeiten Nachbildungen
entstanden, unter denen sich die Augustinereremiten und Karmeliter hervortaten. Mit
Hilfe der Bettelorden gelang es den Päpsten, die widerstrebenden Mächte niederzu-
ringen. [Freilich hatten die grofsen Vorrechte, die ihnen hiefür gegeben wurden, ihre
Eingriffe in die Befugnisse des Weltklerus und ihre Einmischung in die Händel dieser
Welt nicht wenig Mifsbräuche im Gefolge, über die schon die Zeitgenossen der beiden
Ordensstifter Klage führten, die aber erst in der Zeit des Niederganges der päpstlichen
Weltherrschaft stärker hervortraten.
§ 5. Die Inquisition.
Quellen. S. Benrath in der RE. IX, 152. Kirch.-Lex. VI, 782. Die päpstl.
Bullen s. im Magnurn Bullarium Romanum, im Corp. iur. canon. u. a. Eymerici (In-
quisitor in Aragonien 1376) Directorium Inquisitorum (ein in Avignon verfafstes Hand-
buch für die Inquisitoren), ed. Peöa, Rom 1580 (s. Denifle, ALKG. I, 143). Die
Vrteile des Tolosaner I. - Ger. von 1308 — 1322 in Limborch , Historia inquisitionis.
Amst. 1692, Bernardus Guidonis Practica Inquisitionis haereticae pravitatis, ed. C. Douais.
22 l^e Inquisition und ihre Entwicklung.
Paris 1886. Doctrina de modo procedendi contra haereticos VTartene et Durand.
Thesaur. V, 1795 — 1822. Samml. des auf die Niederlande bez. Aktenmaterials von
Paul Fredericq, Corpus Docurnentorum Inquisit. haeret pravit. Neerlandicae I — IV,
1889 — 1900. Über sonstige Sentenzen des Inquisitionsgerichtes s. Benrath, RE. 152.
Saint Raymond de Pefiafort et les heretiques. Directoire ä l'usage des inquisiteurs
aragonais 1242, ed. Douais, Le Moyen-Age, Xu, 305 — 325. Documents pour servir ä
lhistoire de l'Inquisition dans ie Languedoc, p. p. Douais. Paris 1900.
Hilfsschriften. Zur Ebersicht : L a n g 1 o i s , L'inquisition d' apres des travaux
recents. Paris 1901. L. a Paramo, De origine et progressu officii S. Inquisitionis. Madr.
1598. L i m b o r c h , wie oben. Marsollier, Hist. de l'Inquisition des son origine. Cöln
1692. J. A. Llorent e, Histoire critique de l'Inquisition d'Espagne. 4 Bde. Paris 1817.
Deutsch von Hock. Gmünd 1819. F. J. Rodrigo, Historia verdadera de la Inquisizion.
3 Bde. Madrid 1876. Orti y Lara, La Inquisizion. Mach-. 1877. Hauptwerk für
die Inq. d. MA. : Lea, A history of the Inquisition in the Middle Age 1 — 3. New-
York 1888. Franz. Ausgabe mit einem Vorwort von Fredericq von S. Reinach. 3 Bde.
Paris 1902. (Die Vorrede zitiert noch einige andere Hilfsschriften, auf die hier nicht
eingegangen wird.) Henner, Beitr. z. Organis. U.Kompetenz d. päpst. Ketzergerichte.
Leipz. 1890. Finke, Stud. z. Inq.-G. R. Q.-Sch. 1892. Moll, Kerkgeschiedenis van
Xederland voor de Hervorming. 6 vol. 1864 — 1871. Deutsch von Zuppke. Leipz. 1895.
A. Duverger, L Inquisition en Belgique. Bull, de l'Acad. tom. 47. Von besonderer
Wichtigkeit sind: Molinier, L Inquisition dans le midi de la France au Xffle et
XlVe siecle. Paris 1861. Dazu die Kritik von C. Douais, Les sources de lhistoire
de l'Inquisition dans le midi etc. Paris 1881. — L'Albigeisine et les Freres precheurs
a Narbonne au 13e siecle. Paris 1894. Menendez y Pelayo, Heterodoxos Espailoles.
3 Bde. Madr. 1880. Melgares Marin, Procedimientos de la Inquisizion. 2 Bde.
Madr. 1886. Von den zahlreichen Arbeiten Fredericqs besonders : Geschiedenis der
Inquisitie in de Nederlanden. 2 Bde. 1892 — 1896. Die übrigen und auch die kleineren
Arbeiten anderer Autoren s. in seiner Vorrede zu Reinachs Übersetzung von Lea,
History of J., p. XXVI ff . Ficker, Die gesetzl. Einf. d. Todesstr. für Ketzerei, wie
oben. J. Havet, L'heresie et le bras seculier au moyen-age jusquau Xine siecle.
B. E. Ch. 1881. Tanon, Histoire des tribunaux de l'Inquisition en France. Paris 1893.
Eine Reihe von Arbeiten deutscher Gelehrter wie Wattenbach, Haupt u. a. behandelt
die Wirksamkeit d. Inq. in späterer Zeit.
1. Die von Innozenz III. wider die Ketzer getroffenen Anordnungen
sind für die Folge mafsgebend geblieben und weiter ausgebildet worden.
Scbon 1198 hatte er zwei Zisterzienser mit unumschränkten Vollmachten
in das südliche Frankreich geschickt, um dort die Ketzerei auszurotten.
Geistliche und weltliche Grofse wurden zu ihrer Unterstützung ver-
pflichtet. Über hartnäckige Ketzer sollte der Bann, Gütereinziehung
und Landesverweisung verhängt und Ketzerfreunde mit der gleichen
Strafe bedroht werden. Auch in den folgenden Jahren wurden sie durch
Predigt, Unterweisung, Religionsgespräche und, wenn diese Mittel ver-
sagten, durch Waffengewalt (s. § 11) bekämpft, xln der alten Kirche
gab es keine Einrichtung, die der Inquisition auch nur von ferne ähnlich
gewesen wäre, keine, die allmählich zu einem derartigen (päpstlichen)
Institute hätte fortgebildet werden können.«1) Was man zumeist als erste
Entwicklungsstufe der Inquisition bezeichnet, die Bestellung der »Priester
für die Besserung« [TtqEGßvreqot ^reoi uercu'oiag), hat eine andere Bedeutung.
Erst Augustinus hat körperliche Strafen gegen die Ketzer empfohlen,
doch dauerte es noch mehrere Jahrhunderte, bis die Lehre vom Religions-
zwang und der Vernichtung der Ketzer allgemeine Anerkennung fand.
1 I '. -.llinger, Kl. Schriften, 1890 S. 295.
Bischöfliche und päpstliche Inquisition. 23
Die Bischöfe hatten für die Reinhaltuno; der Lehre zu sorgen, und so
wurden zu dem Zwecke in der karolingischen Zeit Sendgerichte einge-
führt, in denen man die Anfänge der bischöflichen Inquisition
sehen darf. Erst seit dem Ende des 11. Jahrhunderts — eine Folge
des Systems Gregors VII. — galt jede Abweichung von der kirchlichen
Lehre als Verbrechen der beleidigten göttlichen Majestät und wurden
die Bestimmungen des römischen Rechtes über Majestätsverbrechen auf
die Häresie übertragen. Noch in den Festsetzungen zwischen Lucius III.
und Barbarossa in Verona (1184) wird die Entscheidung über den Irr-
tum eines Ketzers dem Bischof überlassen, doch wird der weltliche Arm
verpflichtet, dem geistlichen beizustehen. Der Kaiser selbst erliefs ein
Gesetz, das die Ketzer in die Acht tat.1) Auf dem Laterankonzil von
1215 wurde die Inquisition als ständige Mafsregel gegen die Ketzerei
angeordnet. Jeder Prälat ist verpflichtet, selbst oder durch Stellvertreter
seinen Amtsbezirk zu besuchen, um die Ketzer auszuforschen und zur
Strafe zu bringen. Wer hierin lässig ist, wird seines Amtes enthoben.
Noch das Konzil von Toulouse bestimmte (1229), dafs die Bischöfe in
jeder Pfarre einen Priester und zwei oder drei Laien auswählen, welche
die Ketzer in ihren Schlupfwinkeln ausforschen sollen. Noch wird
keiner als Ketzer gestraft, dem nicht der Bischof das Urteil gesprochen.
2. Steht diese Inquisition sonach unter der Leitung der Bischöfe,
so ist Gregor IX., nach dessen Meinung sich die Bischöfe als zu milde
erwiesen, der Begründer der päpstlichen Inquisition. Am 20. Juli
1233 übertrug er die Ausforschung und Verfolgung der Ketzer dem
Orden der Dominikaner. Zugunsten dieser Inquisition trafen #die
Päpste eine Reihe von Mafsregeln, die teilweise an die von Friedrich IL
erlassenen Ketzergesetze anknüpfen. Schon bei seiner Kaiserkrönung
(1220) hatte dieser scharfe Verordnungen wider die Häretiker erlassen; vier
Jahre später setzte ein für die Lombardei bestimmtes Edikt die Todes-
oder körperliche Strafe für jeden der Ketzerei Überführten fest und
stellte die Ortsobrigkeiten für diesen Zweck in den Dienst der Inquisi-
tion. Noch mehr war dies in den kaiserlichen Ketzergesetzen von 1232
der Fall, die elf Jahre später von Innozenz IV. übernommen wurden.
Ein Edikt für Sizilien setzte fest (1249), dafs Ketzer Hochverrätern
gleichzustellen und ihr Vermögen einzuziehen sei. Genau bestimmt
wurde das Verfahren gegen die Ketzer in der Bulle Ad extirpanda Inno-
zenz' IV. vom 25. Mai 1252, die, zunächst allerdings nur für die Lom-
bardei, Romagna und die Mark Treviso, alle weltlichen Obrigkeiten
unter Strafe des Bannes zur Unterstützung der Inquisitoren und zur
Aufspürung und Bestrafung der Ketzer verpflichtete.2) Die folgenden
Päpste haben einzelne Bestimmungen dieser Bulle abgeändert, im übrigen
*) Giesebrecht VI, 94.
2) Die Bulle enthält 38 Gesetze, von denen einige ^mit den Ketzergesetzen
Friedrichs II. gleichlauten. Jede Kommune mufs ihre Organe dem hl. Amte leihen,
alle gegen Ketzer erlassenen Verordnungen ausführen, darf keine das Wirken der
Inquisition hemmenden Statuten erlassen, mufs als Gemeinde und jeder Einwohner
einzeln nach Ketzern fahnden ; Ketzerhäuser werden niedergerissen und Ketzergüter
24 Die Aufgaben der Inquisition. Ehr Prozeßverfahren.
aber die Verpflichtung der Obrigkeiten zur Austilgung der Häresie noch
schärfer betont und die Dominikaner mit immer ausgedehnteren Vor-
rechten bedacht.
So mufs die Stadt Alant ua ihre die Inquisition hemmenden Statuten abschaffen
(1256), dürfen die Dominikaner auch ohne förmliche Bewilligung des Diözesans gegen
Ketzer einschreiten, wogegen dieser verpflichtet ist, ihnen zur Hand zu sein. Die
Obrigkeiten müssen Sentenzen des hl. Amtes ausführen und die Inquisitoren innerhalb
ihres Gebietes schützen. Diese dürfen in Glaubenssachen auch gegen exempte Personen
einschreiten und werden in ihrem Amte selbst des Gehorsams gegen ihre Ordensobern
entbunden (1260), dürfen jene, die gegen die Ketzer das Kreuz nehmen, von kirch-
lichen Zensuren lösen und ohne des Papstes Bewilligung selbst von päpstlichen Legaten
nicht gebannt werden (1262). In ihrem Amte von jeder Verantwortung und jeder
Oberaufsicht frei, mufs ihnen ebenso wie dem Oberhaupt der Kirche gehorcht werden.
Wo sich ein Widerstreben der Bischöfe gegen so hohe Befugnisse des Ordens
kundgab, blieb es erfolglos, und wo die Inquisition der Bischöfe bestehen blieb, hat
sie geringere Wirkung, da den Dominikanern ganz andere Mittel zur Verfügung standen.
Bei ihrer grofsen Verbreitung konnten überall leicht Inquisitionstribunale bestellt und
die Wahrnehmung des einen dem andern mitgeteilt werden. Hiedurch blieb Belbst
die Flucht eines Geklagten meist erfolglos und wurde seine Verteidigung erschwert.
3. Die Anzahl der Tribunale war in verschiedenen Ländern ver-
schieden; die meisten (und über ihre Wirksamkeit sind wir auch am
besten unterrichtet) hatte das südliche Frankreich; geringe Bedeutung
hatten sie in Deutschland, wo sie erst seit dem 14. Jahrhundert wirken:
in einzelnen Ländern, wie England, Dänemark, Schweden und Norwegen,
hielt man an den bischöflichen Tribunalen fest1) oder traf für besondere
Fälle auch besondere gesetzliche Mafsnahmen. — Im Prozefsverfahren
gab es wohl und mitunter sogar genaue Bestimmungen, doch wurden
sie selten eingehalten oder sinngemäfs durchgeführt. Als Kämpfer für
den Glauben und Eiferer für die Rettung der Seelen steht der Inquisitor
über jedem andern Richter und ist vom Rechtszwang juristischer Prozeß-
führung frei. Der Prozefs wird geheim geführt, Name der Ankläger
und Zeugen bleiben dem Angeklagten unbekannt. Die Verhaftung soll
erst nach dreimaliger Zitation erfolgen, geschieht aber bei Fluchtverdacht
schon nach der ersten. Um Geständnisse zu erzielen, wird die Folter
benutzt. Der Geklagte hat keinen Verteidiger : am besten kommt er
weg, wenn er ein Bekenntnis ablegt, die Ketzerei abschwört und die
Bufse auf sich nimmt. Sie besteht je nach dem Grad der Verschuldung
in Fasten, Wallfahrten und Geldstrafen oder im Tragen gelber Kreuze
auf der Kleidung, in zeitlicher und selbst lebenslänglicher Haft. Wer
seine Schuld bekennt, ohne Bufse zu tun, wer sie leugnet, aber durch
Zeugnisse überwiesen wird, wurde, da die Kirche selbst kein Blut ver-
giefsen darf, dem weltlichen Arm übergeben, der seinerseits die Ver-
pflichtung hatte, die Verurteilten nach dem Gesetze zu strafen. Die
eingezogen. Wer sie schützt, wird ipso iure infamis und tragt die daraus entspringenden
Folgen. Ist er Richter, hat sein Ausspruch keine Gültigkeit, als Vogt ist sein Schutz
hinfällig, als Notar seine Urkunden kraftlos. Vier Ketzerlisten sind an den Orts-
vorstand, den Diözesan, an Dominikaner und Franziskaner einzureichen.
2) Die Entwicklung über die Mitte des Xffl. Jahrhunderts hinaus zu zeichnen,
liegt nicht in der Aufgabe dieses Buches.
Erfolge der Inquisition. — Innozenz LIT. und Italien. •>')
Strafe ist dann der Feuertod. Reuige werden mit ewigem Kerker,
Geistliche, die der Schuld geständig oder durch Zeugen überwiesen
sind, mit der Strafe der Einmauerung bestraft, Ist ein Verurteilter
gestorben, dann werden seine Gebeine ausgegraben und Kinder und
Enkel gehen ihres Besitzes verlustig. In einzelnen Ländern, wie im
gröfsten Teil des südlichen Frankreich, wurde das Ketzertum solcher-
gestalt mit Stumpf und Stiel ausgerottet, freilich nicht, ohne dafs sie,
namentlich in wirtschaftlicher Beziehung, stark geschädigt wurden ; denn
schon galt es z. B. als Grundsatz, dafs wohl die Schulden der Ketzer
unnachsichtig eingetrieben werden, die an Ketzer aber nicht zurückgezahlt
zu werden brauchen, dafs Käufe und Verkäufe der Ketzer keine Gültig-
keit haben. Da niemand wufste, ob der Nächste ein Ketzer sei oder
nicht, wurden Handel und Wandel in jenen Gegenden unterbunden.
2. Kapitel.
Innozenz III. nnd die Staaten des Abendlandes.
§ 6. Die Verdrängung* der Reichsgewalt aus Rom und dem Kirchen-
staat. Die Rekuperationen der römischen Kirche und der Sturz der
deutschen Verwaltung in Sizilien.
Quellen und Hilfsschriften oben § 2 u. unten § 7 u. 8. Für die Rekuperationen
der röin. Kirche ist das Hauptwerk J. Ficker, Forschungen, wie S. 9 u. Böhmer-Ficker,
Regesten, wie oben. Julius Ficker, Über das Testament Kaiser Heinrichs VI. S. B.
Wien. Ak. LXATII. Winkelmann, Beitr. z. Gesch. Friedrichs IL, Forschungen z d.
Gesch. YI, VII, IX, X. P. Printz, Markward von Anweiler. Emden 1875. J. Mayr,
Markward v. Anweiler, Reichstruchsefs und kaiserl. Lehensherr in Italien. Innsbr. 1876.
Amari, Storia dei Musulmani di Sicilia. vol. III, pars 2, pag. 567 ff. Hellmann,
Die Grafen y. Savoyen u. d. Reich bis z. Ende der stauf. Periode. Innsbr. 1900. (Gilt
auch für das Zeitalter Friedrichs IL)
Die Durchführung seiner Pläne begann Innozenz III. in Italien.
Am besten gelang sie in Mittel- und Unteritalien ; selbst dort, wo die
Städte nicht geneigt waren, die päpstliche Herrschaft an die Stelle der
kaiserlichen zu setzen, kam es zu einer starken Bewegung, die schon
deshalb, weil sie sich gegen die Kaisermacht richtete, den Zielen des
Papsttums diente. Die ersten Erfolge hatte Innozenz III. in Rom. Hier
beseitigte er den Rest der alten Kaisergewalt, indem er den Stadt-
präfekten, der wider den Vertrag von Venedig Vasall des Kaisers ge-
blieben war, zwang, dem Papsttum Treueid und Mannschaft1) zu leisten.
Aus dem Stadtpräfekten, der bisher die oberste Gerichtsbarkeit des
Kaisers repräsentierte, wurde sonach ein päpstlicher Beamter. Zugleich
verzichtete das Volk, das sich bisher unter seinem Senate (bezw. seinem
Senator)2) unabhängig gehalten, auf das Recht der freien Senatswahl.
x) Über die Präfektur in Rom s. Ficker II, 307.
2) Über den Senator s. Winkelmann I, 97, Note 2, S. 353, 354 und Toeche,
Heinrich YI, 357.
2fi Verdrängung der Reichsgewalt. I>ie Rekuperationen.
Nachdem der bisherige Senator zurückgetreten war. wurde durch einen
Bevollmächtigten des Papstes ein anderer eingesetzt und der Senat
hiedurch in die Stellung einer päpstlichen Behörde herabgedrückt. Die
vom Senator bisher ernannten Richter des römischen Stadtgebietes
wurden durch päpstliche ersetzt. Dem Vorgange Roms folgten die
Städte und Barone der Campagna. Maritima, Sabina und im römischen
Tuscien, so dafs die päpstliche Herrschaft von den Grenzen des sizilischen
Reiches bei Ceperano bis Radicofanum reichte. Das Patrimonium war
nun wieder im unmittelbaren Besitz der Kirche und von Rechten des
Reiches innerhalb dieses Gebietes nicht weiter die Rede.
2. Noch zu Lebzeiten Cölestins III. . wahrscheinlich schon unter
dem Einflufs des Kardinaldiakons Lothar von Segni. trat die Kurie mit
einer Reihe territorialer Forderungen auf. die, abgesehen von der
Mathildischen Erbschaft, das Herzogtum Spoleto, die Mark Ancona. die
Romagna und ganz Tuscien umfafsten. Es war ganz Mittelitalien, dessen
Besitz ihr unentbehrlich schien, wollte sie sich der durch die Vereini-
gung Siziliens mit dem Kaisertum geschaffenen Lage entziehen; was sie
jetzt beanspruchte, hat sie auch in Zukunft nicht mehr aus dem Auge
gelassen. Sie griff dabei auf ältere Rechtstitel, wie die Schenkungen
der Karolinger und der Markgräfin Mathilde, zurück, wiewohl diese da.
wo sie früher bestanden, durch den Frieden von Venedig zum gröfsten
Teil erloschen waren. Die gröfsten Erfolge hatte sie dort, wo der bis-
herige Druck der deutschen Statthalter den Papst als Befreier erscheinen
liefs, zunächst in Spoleto. Der Herzog Konrad (von Urslingen) suchte,
um seine Stellung zu retten, die Belehnung des Papstes nach, ohne aber
bei der allgemeinen Volksstimmimg seine Absicht zu erreichen, daher
kehrte er nach Deutschland zurück. Gröfsere Schwierigkeiten fand der Paj »st
im Exarchat von Ravenna. in der Romagna und der Mark Ancona, wo
der Reichsseneschall und Herzog Markward von Anweiler seine und des
Reiches Rechte mannhaft verteidigte. Doch auch in der Mark erkannten
schliefslich die meisten Städte des Papstes Herrschaft an, die sich nun-
mehr vom Tyrrhenischen bis zum Adriatischen Meere erstreckte ; nur die
Hauptplätze der Romagna, an ihrer Spitze Bologna, machten sich von
jeder fremden Herrschaft frei. Dem Beispiel der Lombarden folgend,
die nach dem Tode Heinrichs VI. ihren alten Bund erneuert hatten
und sich nun des in ihrer Nähe gelegenen Reichsgutes bemächtigten,
hatten auch die Städte und Grofsen von Tuscien, mit Ausnahme Pisas,
unter der Führung von Florenz und Siena ein Bündnis geschlossen,
sen Spitze sich gegen das Reich kehrte. AViewohl nun der tuscische
Bund Anschlufs an den Papst gesucht und gefunden hatte, konnte dieser
seine territorialen Ansprüche nicht durchsetzen, und so behielten Florenz,
Lucca und Siena ihre Freiheit.
3. Noch in seinem Testamente hatte Heinrich VI. durch weit-
gehende Zugeständnisse den Widerstand der Kurie gegen die Verbindung
dos Königreiches: (Sizilien) mit dem Kaisertum zu beseitigen gesucht.
Trotzdem kam die nationale Strömung hier am kräftigsten zum Durch-
bruch. Hier war die Kaiserin Konstanze die Seele der Bewegung gegen
Stur/ dei deutschen Verwaltung in Sizilien. 27
die Deutschen, die nicht nur ihrer Amter beraubt, sondern auch des
Landes verwiesen wurden. Indem sich die meisten auf ihren festen
Schlössern behaupteten, blieb das Land im Zustand der Anarchie. Der
Papst, an den sich Konstanze mit der Bitte wandte, ihren Sohn zu
belehnen, was den bestehenden Verträgen gemäfs nicht verweigert
werden konnte, nützte ihre Notlage aus, so dafs sie aus den früheren,
von den Normannenkönigen abgeschlossenen Konkordaten alles preis-
geben mufste, was der Kirche lästig war; danach wurde dem Papste
die Entgegennahme von Appellationen, die Berufung von Synoden, die
Absendung von Legaten und die geistlichen Ernennungen überlassen.
Jetzt empfing die Kaiserin und ihr Sohn, nachdem sie, was Heinrich VI.
stets verweigert hatte, die Anerkennung der päpstlichen Lehenshoheit
zugestanden, die Belehnung.1) Der Lehenszins wurde auf 1000 Goldstücke
jährlich festgesetzt. Der Enkel Barbarossas war sonach Lehensmann
des Papstes geworden. Noch war übrigens . die Bestätigung der Kurie
nicht eingetroffen, als die Kaiserin starb (1198, 27. November). Vor ihrem
Tode hatte sie den Papst zum Regenten des Königreiches und Vormund
des Königs eingesetzt. Er ging auf die Anerkennung Friedrichs IL als
König von Sizilien um so bereitwilliger ein, je fester er entschlossen
war, die Vereinigung Siziliens mit dem Reiche nicht mehr zu dulden.
§ 7. Innozenz III. und der deutsche Thronstreit. Philipp von Schwaben
(1198—1208) und Otto von Braunschweig (1198—1218).
Quellen. S. oben §2 über Staatsverträge, Korresp. und Urkk. Dazu: Philippi
regis Constitutiones, Ottonis IV. Constit., MM. Genn. LL. Sect. IV, tom. II. Hann. 1892.
Böhmer, Acta irnp. sei. Innsbr. 1870. Act. inip. ined. saec. XIII 1198 — 1273, ed. AVinkel-
niann. Innsbr. 1880. Acta imp. ined. saec. XIII et XIV, ed. Winkeluiann ib. 1885
Coron. Ottonis reg. a. 1198. Coron. Ottonis imp. 1209. MM. G. LL. II, 1. Urkk. in
Winkelmann, Ib. d. d. G., Philipp v. Schw. u. Otto IV. v. B. Leipz. 1873—78. Böhmer,
Eegg. imp. V. Herausg. v. J. Ficker u. E. Winkelmann. Innsbr. 1881. S. auch Winkel-
mann, Ungedr. Briefe z. Reichsg. MJÖG. XIV u. Doeberl, MM. Germ. sei. V 1894.
Geschichtschreiber: S. d. Verzeichnisse bei Potthast II, 1661, Dahlruann-
Waitz-Steindorff, Quellenk. d. d. Gesch. 6. Aufl. Nr. 2470 ff. Dazu die entsprechenden Para-
graphen bei Wattenbach. Die bedeutenderen Quellen aufser den im IX., XVI., XVII.,
XXIII. Bd. der MM. Gerin. verzeichneten Annalen (Annales Austriae, Bosovienses
Disibodi, S. Gereonis, Egmundani, Gesta epp. Halberst., Herbip., Marbac, Pegav., Wein-
gart. Cont., S. Pauli Virdun.) u. den Reinhardsbrunner Ann. (ed. Wegele 1856) sind :
Otto de S. Blasio, Ottonis Frising. Chron. Cont. bis 1209. MM. G. SS. XX. Geschichtssch.
d. d. V. XII. Jahrh. VIIL, Burchardus Urspergensis Chron. bis 1225, ib. XXIII., xlrnold.
Lubec. Chron. Slavorum bis 1209, ib. XXL, Chron. regia Col. bis 1237, ib. XVII, XXII,
XXIV, Gesta Trev. Cont., ib. XXIV, Chron. Sampetr. Ephord. G. Q. d. Prov. Sachs. I,
Chron. Montis Sereni bis 1225. MM. G. XXIII, Gerlach v. Mühlh. schliefst schon 1198,
ib. XVII. Gervasius, Chron. maior, — minor, ed. Stubbs 1859. Gervasius Tilberiensis
Otia imp., ed. Stevenson 1875 (andere engl. SS. s. im XXVII. u. XXVIII. Bd. d. MM.
Germ, wie che fz. im XXVI, che nordischen u. östl. im XXLX., italien. im XVIII.
u. XIX. Von Ital. bes. Sicardus Cremon. Chron. bis 1213. Murat. VII.). Xarratio
de morte Ottonis IV., Martene, Thes. anecd. III., Xarrat. de testamento et morte imp.,
ed. Origg. Guelf. III, 840. — Die Kaiserchronik. Ausg. s. Potthast. Für die Stimmung
J) Ihr Lehenseid N. Arch. XXV.
2g Der deutsche Thronstreit.
weiterer Volkskreise s. Walter v. d. A^ogelweide, ed. Wilmans. Für die sizil. Verhält-
nisse schon jetzt Ryccardus d. S. Germano MM. G. XIX.
Hilfsschriften. Aufser den § 2 gen. Werken z. allg. d. Geschichte s. 0. Abel,
Kön. Philipp d. Hohenstaufe. Berl. 1852. 0. Abel, Kön. Otto IV. u. Kön. Friedrich,
ib. 1856. E. AVinkelmann, Phil. v. Schw. u. Otto IV. v. Braunschweig (Ibb. d. d.
Gesch.). 2 Bde. Leipz. 1873—1878. L angerfei dt, Kais. Otto IV. Hann. 1872.
Jastrow u. Winter, Deutsche Gesch. im Zeitalt. d. Hohenst. IL Stuttg. 1901. ßchön-
bach, Walter v. d. Vogelweide. 2. Aufl. Dresd. 1895 (mit einem bibl. Anhang; so auch)
Burdach, Walter von der Vogelweide. Leipz. 1900. L. Y.Heine mann, Heinrich
v. Braunschw. Gotha 1882. Grotefend, Z. Charakt. Phil. v. Schw. u. Ottos IV. von
Braunschweig. Stuttg. 1901. Wiser, Die Bannimg Philipps. Brunn 1872. Xi der 1 ander,
De Philippi Staufensis interitu 1872. S c h w e m e r , Innoz. LH. u. d. d. Kirche 1198—1208.
Strafsb. 1882. Simson, Analekten z. Gesch. d. d. Königswahlen, II. D.Einmischung
Innozenz' III, in d. d. Thronstreit. Freib. 1898. Engelmann, Phil. v. Schw. und
Innozenz III. 1198—1208. Berl. 1898. Lindemann, Krit. Darstell, d. Verhandlungen
Innoz. III. mit d. d. Gegenkönigen. Magdeb. 1885. Comte Riant, Innoc. HL, Philippe
de Souabe et Bonif. de Montf errat. R.Q.H. XVH. Paris 1875 (s. d. 4 Kreuzzug).
Kap-herr, Dei Unio regni ad imperium D. Z. G. I. — Ottos IV. Versprechungen an
Innoc. III. Forsch. XXII, 224. Krabbe, Ottos IV. erste Versprechungen an Innoz. III.
X.A. XXVII. L. v. Borch, Gesch. d. k. Kanzlers Konrad. 2. Aufl. . Innsbr. 1883.
W e g e 1 e , Kanzl. Konrad, H. T. 1884. Kohlmann-, Erzb. Ludolf v. Magdeb. Halle 1885.
Vogel, Erzb. Ludolf v. M. Leipz. 1885. Münster, Konr. v. Querfurt. Leipz. 1890.
Röhr ich, Adolf I. von Köln. Kgsb. 1886. Rofsbach, Die Reichspol. d. Trierischen
Erzb. Prog. Bonn u. Trier 1883/89. Tumbült, Die Münster. Bischofswahl 1203. Westd.
Z. III. Frey, Die Schicksale d. kgl. Gutes in Deutschi, seit Philipp. Berl. 1881. [Vgl.
Weiland, GGA. 1881, St, 49 u. 50.) Die Arbeiten in d. A. D. B. v. Winkelmann
über Otto IV. u. Philipp, Krone s über Wolfger v. Passau. Waitz, Die Reichs-
tage v. Frkf. u. Würzb. 1208/9. Forsch. XLH. Loreck, Bernhard L, d. Askanier, Herz,
v. Sachsen (1180—1212). Z. Harz. V. f. G. XXVI, 207.
1. Die Nachricht vom Tode Heinrichs VI. wurde in Deutschland
das Signal zu allgemeiner Verwirrung. Bei dem jugendlichen Alter
Friedrichs IL stand eine lange vormundschaftliche Regierung mit ihren
Gefahren und Kämpfen in Sicht. Von Heinrichs Brüdern kümmerte
sich der ältere, Pfalzgraf Otto von Burgund, in wüste Fehden verwickelt,
nicht um den Gang der Ereignisse. Der jüngere, der staatskluge Herzog
Philipp von Schwaben, weilte „ in Italien, um seinen Neffen zur Krönung
nach Deutschland zu geleiten. Nun. trieb ihn die nationale Bewegung
der Italiener ebenso sehr als der AVunsch, dem Neffen die Krone zu
retten, nach Deutschland; denn schon liefsen sich Stimmen vernehmen,
welche die Gültigkeit der Wahl Friedrichs bestritten. Während eine
Anzahl deutscher Fürsten, noch auf der Kreuzfahrt begriffen, vor Berytus
ihren Eid für ihn erneuerte, erhob in Deutschland selbst »die Untreue
ihr Haupt«. Führer der Opposition wurde Erzbischof Adolf von Köln,
bemüht, im Bunde mit England und den Weifen die Staufer von der
Nachfolge auszuschliefsen. Zunächst stellte sie den Herzog Bertold
von Zähringen, und als dieser ablehnte, Herzog Bernhard von Sachsen
als Kandidaten auf. Die Hartnäckigkeit, mit der die Kölnische Partei
die Neuwahl betrieb, zwang schlief slich die Staufer, Friedrich IL wegen
seiner allzu grofsen Jugend fallen zu lassen. Auf dem Tage von Hagenau,
wo sich die staufischen Ministerialen um Philipp scharten, wurde dieser
selbst als Thronkandidat aufgestellt, um die Krone seinem Hause zu
erhalten. Erst als dies geschehen war, betrachteten sie die Sache ihres
Philipp von Schwaben und Otto von Braunschweig. 29
Herzogs als ihre eigene. Aus Osterreich, Kärnten, Franken und Bayern,
selbst aus Sachsen wurde ihm Hilfe angeboten, und so wurde er nach
der Vorwahl zu Ichtershausen am 8. März 1198 in Mülhausen zum
König gewählt.
Philipp, als der jüngste Sohn Barbarossas um die Zeit des Friedens
von Venedig geboren, war ursprünglich für den geistlichen Stand be-
stimmt. 1190 oder 1191 zum Bischof von Würzburg gewählt, kehrte er
1193 in den Laienstand zurück und erhielt 1195 das Herzogtum Tuscien,
wo sich die Ansprüche der Kurie mit denen des Kaisertums kreuzten.
Er mag diese zu scharf betont haben, denn er wurde von Cölestin III.
gebannt. 1196 erhielt er das Herzogtum Schwaben und wurde dadurch
der reichste Fürst in Deutschland. x) Als Gemahl der Byzantinerin Irene,
der Tochter Isaaks Angelus, war ihm in den politischen Plänen Hein-
richs VI. eine wichtige Rolle zugedacht. Glich er diesem sowohl in der
äufseren Erscheinung, als auch in der staatsmännischen Veranlagung,
so war er doch von ungleich sanfterem Wesen. Ein milder, leutseliger
Fürst, Freund der Dichtkunst und der Wissenschaft, kam ihm die
Stimmung des Volkes überall freundlich entgegen. Viel zu langsam trat
er wider seine Gegner auf. Diese hatten sich an König Richard gewandt,
der zwar selbst von der deutschen Krone nichts wissen, sie aber wegen
seiner feindseligen Beziehungen zu Frankreich an die Weifen bringen
wollte. Nachdem Bertold von Zähringen und Bernhard von Sachsen
die Krone abgelehnt hatten, trat die Kölnische Partei der Wahl eines
Weifen näher und stellte, da Pfalzgraf Heinrich im Morgenland weilte,
dessen jüngeren, erst sechzehnjährigen Bruder Otto von Poitou2) als Kandi-
daten auf. Ihn empfahl seine Armut, denn er besafs nur ein Drittel
der Braunschweigschen Allodien, ebenso sehr als die Freundschaft
Richards von England, dessen Liebling er war und dem er nicht nur
in der äufseren Erscheinung, sondern auch in seinen abstofsenden
Eigenschaften glich, und so wurde er am 9. Juni 1198 zum König gewählt.
2. Indem der Thronstreit nicht blofs das Reich, sondern auch
dessen Beziehungen zu England und Frankreich berührte, wurde er zu
einer europäischen Angelegenheit. Fand Otto die Unterstützung Eng-
lands, so schlofs Philipp mit "Frankreich einen Bund, der Reichsflandern
den Franzosen preisgab. Auch sonst erlitt das deutsche Königtum
empfindliche Einbufsen seiner Macht, da beide Gegner die Hilfe der
Reichsfürsten durch schwere Opfer an Geld, an Reichs- und Hausgut
und, was am schwersten wog, durch Vergabung von Hoheitsrechten, als
Zollbefreiungen und dem Verzicht auf Spolien und Regalien, erkaufen
mufsten. 3) Von den Reichsfürsten, die nun vom Kreuzzug heimgekehrt
waren, schlössen sich ungeachtet ihrer erneuten Huldigung einige, wie
Herzog Heinrich von Brabant, Pf alzgraf Heinrich u. a., an Otto IV. an.
x) Über seine Macht s. d. Registrum de negotio imperü.
2) Zeitgenössische Quellen nennen ihn den -»Sachsen«-, wiewohl ihm die Heimat
der Yäter ein fremdes Land war.
3) Doch sind, wie Frey nachweist, die Angaben des Chronicon Urspergense
übertrieben. Die schwerste Schädigung trat erst unter den letzten Staufern ein.
30 £>er Kampf um die Krone und der Schiedsspruch des Papstes.
Doch Avar Philipps Macht die stärkere ; für ihn traten der Osten und
Süden und ein Teil des westlichen Deutschland . alle Reichsbeamten
und die Massen der Reichsdienstmannschaft ein, dagegen gelang es
den Weifen, Aachen zu nehmen, wo Otto IV. vom Erzbischof Adolf
von Köln, demnach am rechtmäfsigen Orte und von dem rechtmäfsigen
Erzbischof, am 12. Juli 1298 die Krönung erhielt. Philipp empfing
dagegen erst am 8. September, zwar mit den rechtmäfsigen Insignien,
»dem Waisen«, aber an unrechtem Ort — zu Mainz — und nur durch
den Erzbischof von Tarantaise die Krönung. Um den Böhmenherzog
auf seine Seite zu ziehen, verlieh er ihm die Königskrone. Der Feldzug
von 1198 brachte keine Entscheidung; erst im folgenden Jahre gelang
es Philipp , dem der berühmte Feldherr Reichsmarschall Heinrich
von Kalden zur Seite stand, den Bischof von Strafsburg zu unterwerfen
und den Landgrafen von Thüringen mit den meisten Bischöfen Sachsens
für sich zu gewinnen. Selbst der Erzbischof Adolf von Köln wurde
seil wankend. Da alles davon abhing, wie sich der Papst zum Thron-
streit stellen würde, waren beide Könige bemüht, seine Anerkennung
zu finden. Innozenz, im Innern längst für den Weifen entschieden,
der sich seinen Rekuperationen geneigt zeigte, wie er denn noch am
Tage der Wahl die Rechte der Kirche zu wahren versprach und auf
das Spolienrecht Verzicht leistete, vermied es gleichwohl, sich schon
jetzt für ihn zu erklären. Eine Vermittlung des von der Kreuzfahrt
heimgekehrten Erzbischofs von Mainz zugunsten Friedrichs II. blieb
erfolglos. Der Papst nahm die Entscheidung im Thronstreit für die
Kirche in Anspruch : das Kaisertum sei ein Lehen des Papstes,
denn diesem allein stehe es zu, den Kaiser zu krönen und
mit dem Reich zu investieren. Als Philipps Anhänger den Papst
um Anerkennung des Königs baten und hinzufügten, sie würden nach
Rom ziehen, ihm die Kaiserkrone zu verschaffen, erklärte er: Ihm
allein stehe es zu, den rechtmäfsigen König zur Kaiser-
krönung zu berufen. Das Jahr 1200 verging unter wechselndem
Kriegsglück. Endlich fällte der Papst die Entscheidung. In einem
Schriftstück1), das mit Offenheit Grundsätze und Ziele der päpstlichen
Politik aufdeckte, gab er sich selbst Rechenschaft darüber, welchem der
drei Bewerber die Krone gebühre : Friedrich IL würde nicht anders
handeln als Heinrich VI., Philipp von Schwaben sei einst wegen seiner
Eingriffe in die Rechte des Kirchenstaates gebannt worden und seine
Lösung vom Bann durch den Bischof von Sutri hinfällig; er sei ein
Meineidiger, der seinem Neffen den Eid gebrochen, er stamme aus dem
<H-chlecht der Verfolger der Kirche2); dagegen hätten die Vorfahren
Ottos der Kirche stets die gebührende Devotion erwiesen. Der Papst
sprach die Anerkennung Ottos IV. aus (1201, 1. März) und verhängte
über Philipp und seine Anhänger den Bann. Otto IV. erneuerte dem
Papst seine Zusagen und sicherte ihm vor allem die jüngsten Rekupe-
rationen. Die Anerkennung des Papstes hob Ottos Ansehen, und der
*) Deliberatio pnpae super facto imperii de tribus electis. HuillardBrehollesI, 70 — TG
-) Die sonstigen Motive s. ebenda,. Winkelmann I, 198 ff.
Erfolge König Philipps. Seine Ermordung. ,4,)1
Legat Guido von Präneste entfaltete eine fieberhafte Tätigkeit, um ihm
einen Anhang unter den geistlichen Reichsfürsten zu schal'!'* ml Trotz
der Stellungnahme des Papstes blieb der deutsche Episkopat mit wenigen
Ausnahmen auf Philipps Seite. Auf die staufische Partei wirkte aber
dessen schwächliche Kriegsführung lähmend ein. Im Norden gewann
Otto IV. die Dänen, denen er die Besitzungen Adolfs III. von Holstein:
Lübeck und Transalbingien, preisgab, endlich trat auch sein Oheim, König
Johann von England, nachdrücklicher für ihn ein. Philipps Lage wurde
eine gefahrvolle, als sein eigener Kanzler, Bischof Konrad von Würzburg,
dann der Landgraf von Thüringen und König Ottokar von Böhmen zu
den Weifen übertraten. Ottokar bedurfte eines Ehehandels wegen die
Unterstützung des Papstes, auch wünschte er die Anerkennung seinps
Königtums durch die Kurie. Die kräftige Hilfe, die er dem Landgrafen
gewährte, zwang Philipp, das Feld zu räumen. Otto IV. stand jetzt
auf der Höhe seiner Macht. Es war vergebens, dafs sich Philipp dem
Papst gegenüber zu grofsen Zugeständnissen bereit zeigte ; Innozenz III.
wies sie zwar nicht zurück, war aber nicht geneigt, seinen Schützling
zu opfern. Da trat im Jahre 1204 ein Umschwung ein. Ottos Bruder,
Pfalzgraf Heinrich, der für die durch seine antistaufische Haltung
erlittenen Verluste nicht die gewünschte Entschädigung erhalten hatte,
trat zu Philipp über. Dieser zwang nun zuerst den Landgrafen Hermann
von Thüringen, dann auch Ottokar zur Unterwerfung. Heinrich von
Brabant, selbst Adolf von Köln fielen Philipp zu, jener aus Furcht vor
einem Angriff des mit Philipp verbündeten Frankreich, dieser, weil ihn
Otto beiseite geschoben hatte. Philipp wurde nunmehr auch von den
niederrheinischen Fürsten zum König gewählt und am 6. Januar 1205
in Aachen gekrönt. Als sich nach Ottos Niederlage, die er bei Wassen-
burg erlitt (1206, 27. Juli), auch Köln, das letzte Bollwerk der Weifen,
unterwarf, war Ottos IV. Machtbereich auf seine Erblande beschränkt.
Dieser Umschwung der Dinge bewog den Papst um so mehr zur Nach-
giebigkeit, als die staufische Partei inzwischen auch in Italien Vorteile
errungen, die Idee einer Einigung Italiens unter Führung des Papsttums
weder in Mittel- noch in Oberitalien durchdrang und sich in Unteritalien
das deutsche Element aufs neue erhob. Im August 1207 erhielt Philipp
auf der Reichsversammlung zu Worms die Lösung vom Bann. Die von
den päpstlichen Legaten versuchte Vermittlung zwischen den Gegen-
königen scheiterte am Starrsinn Ottos, der mit dänischer und englischer
Hilfe sich wieder emporzuraffen vermeinte. Philipps Frieden mit dem
Papst war ein vollständiger, ohne dafs er irgendwelche Rechte des
Reiches preisgab. Er stand am Ziele seiner Hoffnungen, da machte ein
meuchelmörderischer Anschlag seinem Leben ein Ende: er wurde am
21. Juni 1208 in Bamberg von dem Pfalzgrafen Otto von Witteisbach
ermordet — eine Tat, die mit dem Thronstreit in keinem Zusammen-
hang steht. *) Freund und Feind bewahrte dem ermordeten König, dem
»süfsen, jungen Mann«, ein gutes Angedenken.
*) Über die Motive s. Winkelmann I, 465. Philipps Nachruhm. S. 467.
32 ßic Kaiserpolitik Ottos IV.
3. Xach Philipps Ermordung schien die Anerkennung Ottos IV.
das geeignete Mittel zu sein, den langen Zwiespalt zu enden. Otto griff
rasch zu. und auch der Papst trat wieder für ihn ein. Auf einer Fürsten-
Versammlung zu Halberstadt (22. September) fand er die Anerkennung
der thüringischen und sächsischen und auf dem grofsen Hoftag zu
Frankfurt (11. November) die sämtlicher Fürsten des Reiches. Hier
sprach er die Reichsacht über Philipps Mörder aus und gelobte, sich
mit Beatrix, einer Tochter Philipps, zu vermählen, um den Streit der
feindlichen Häuser zu beenden. König und Fürsten beschworen die
Landfriedensgesetze Karls des Grofsen, worauf Otto IV. mit unnachsich-
tiger Strenge die durch den Bürgerkrieg gestörte Ruhe im Reiche
wieder herstellte. Dem Papste erneuerte er (1209, 22. März) die früheren
Versprechungen, sagte Hilfe zur Ausrottung der Ketzerei zu, gestattete
freie Appellation an die Kurie und die Freiheit kirchlicher Wahlen —
wodurch er auf die ihm durch das Wormser Konkordat gewährleisteten
Rechte verzichtete — und gab das Spolienrecht preis. Auf dem Reichs-
tag zu Würzburg feierte er seine Verlobung mit Beatrix. Erst jetzt trat
der staufische Anhang zu ihm über : staufische Städte und Burgen —
man zählte 350 — fielen ihm zu; aber jetzt, da er der hingebenden
Treue der Ministerialen gewifs war, wurden auch die Grundlagen
seiner Politik andere: Bisher gekröntes Parteihaupt, wurde er Erbe
der staufischen Politik und lenkte als solcher in die Bahnen Heinrichs VI.
ein. — An der Spitze einer Macht, wie sie seit lange keinem deutschen
König zur Verfügung gestanden, trat er Ende Juli 1209 seinen Römerzug
an. Fürsten und Städte der Lombardei nahmen ihn mit hohen Ehren
auf, die einen, weil sie ihn als Rechtsnachfolger der Staufer. die andern,
weil sie ihn als deren Gegner ansahen. Die meisten Städte gaben das
seit Heinrichs VI. Tod okkupierte Reichsgut zurück, zahlten die seit
11 Jahren rückständigen Steuern und leisteten Heeresfolge. Das Ver-
langen des Papstes, ein eidliches Versprechen bezüglich der von der
Kirche beanspruchten Güter abzugeben, wies er zurück, da er, der Würde
des Reiches entsprechend, auf der bedingungslosen Krönung bestehen
müsse. Die Kaiserkrönung, die nun erfolgte, ohne dafs die zwischen
Kaiser- und Papsttum strittigen Besitzverhältnisse geregelt wurden (1209.
4. Oktober), bildet den Abschlufs des bisherigen freundlichen Verhält-
nisses zwischen beiden. Bald machte Otto IV. seine kaiserliehen Rechte
in ganz Mittelitalien, vornehmlich in Tuscien, geltend und suchte die
I)<-itzverhältnisse überall auf den Zustand von 1197 (s. § 1) zurückzuführen :
Wie Heinrich VI. ernannte auch er in den vom Papste rekuperierten
Ländern kaiserliche Beamte, nahm vom Stadtpräfekten in Rom die Hul-
digung an und überschritt im Herbste 1210 die Grenzen Apuliens, fest
entschlossen, auch gegen den Willen der Kurie den Normannenstaat als
Lehen des Kaisertums dem Reiche anzugliedern. Damit wurde «lie
Frage der Vereinigung Siziliens mit dem Reiche wieder auf die Tages-
ordnung gesetzt und die bisherigen Erfolge der Kurie in Frage gestellt.
Der Papst, dem es unmöglich seinen, dafs ein Weife staufische Politik
betreibe, klagte mit der Bibel, dafs »es ihn reue, den Menschen
Der Streit zwischen Kaiser- und Papsttum. 33
gemacht zu haben«, und trat mit den weifenfeindlichen Gewalten in Ver-
bindung. Da die Dinge eine gewaltsame Lösung verlängten, sprach er
am 18. November über Otto IV. den Bann aus und entband seine Unter-
tanen des Treueides. Noch wurden indes die Beziehungen zwischen
beiden nicht völlig abgebrochen, noch war der Papst selbst zu terri-
torialen Opfern bereit und verlangte schliefslich nur die Räumung
Apuliens und Kalabriens, die Otto besetzt hatte, und Verzicht auf die
Bekämpfung Friedrichs II. Erst als dies verweigert wurde, gingen seine
Absichten auf die Absetzung des Kaisers. Am Gründonnerstag 1211
erneuerte er den Bannfluch. Unbekümmert darum, drang Otto IV. bis
zur Südspitze Kalabriens vor. Im Begriff, nach Sizilien überzusetzen,
rief ihn die Nachricht, dafs der päpstliche Bann in Deutschland wirke,
dahin zurück, denn dort, nicht in Italien, suchte er die Entscheidung.
§ 8. Otto IY. und Friedrich II. (1212—1218).
Quellen wie § 7. Dazu: Huillard-Breholles, Hist. diplom. Friedrich IL XI voll.
1852 — 61. Zu den Hilfsschriften s. die Vorrede zu J. Fickers Neubearbeitung von
Böhmers Regesten. Dazu für die allg. Gesch. Friedrichs II. : Funck, Gesch. Fried-
richs II. Züllichau 1792 und Wien 1817 (veraltet). Höfler, Kaiser Friedrich II.
München 1844 (tendenziös). Dagegen 0. Lorenz, Friedrich IL H. Z. XL Huillard-
Breholles, Historia diplornatica Friderici secundi. Introduction, Partie historique.
Bd. I. CLXXYII— DLV. F. W. S c h i r r m a c h e r , Kaiser Friderich IL 4 Bde. Göttingen
1859—65. E. Winkel mann, Gesch. K. Friedrichs u. seiner Reiche. Berlin 1863 — 65.
E. Winkelmann, Kaiser Friedrich IL (Jahrb. d. d. Gesch.) Bd 1 u. 2. Lpzg. 1889—97.
0. Abel, Jastrow u. Winter, wie oben. G. Blondel, Etüde sur la politique de
rempereur Frederic II en Allemagne et sur les transformations de la Constitution
allemande dans la premiere moitie du XIIIe siecle. Paris 1892. K. Hampe, Kaiser
Friedrich H. Hist. Z. 83. Hampe, Beiträge z. Gesch. K. Friedrichs IL DZG. XII, 161
(beh. die erste Vermählung Friedrichs IL u. che Anfänge des Konfliktes mit Otto IV.).
E. A. Free man, Zur Gesch. d. MA. Kaiser Friedrich H. Strafsb. 1886. A. Hessel,
De regno Italiae libri viginti v. Carlo Signonio. H. St. Heft 13. Berl. 1900. Dove,
Ausgew. Schriften. 1898. Für die Anfänge Fs II s. zu den § 6 verz. Schriften noch
E. Winkelmann, Wer war der Erzieher Friedrichs II. ? Forsch. VI, 391. Beziehungen
des Kaisers zu den oberit. Städten, ib. VII, 293. Scheffer-Boichorst, Deutsch-
land u. Philipp IL in den Jahren 1180 — 1214, ib. VIII. Maurenbrecher, Gesch. d. d.
Königswahlen. Lpz. 1889. Weiland, Über die d. Königswahlen. Forsch. XX. Zurbonsen,
Friedrichs IL Einzug ins Reich. 1886. M. Halbe, Friedrich IL und der päpstl. Stuhl
bis zur Kaiserkrönung. Berl. 1888. Köhler, Das Verhältnis Friedrichs IL zu den
Päpsten seiner Zeit. Breslau 1888. H. v. Kapp-herr, Die unio regni ad imperium.
DZG. I. Paolucci, La giovinezza di Federigo IL Pal. 1901. Hortzschansky, Die
Schlacht an der Brücke von Bouvines. Diss. Halle 1889. Burdach u. Schönbach,
wie §7. Geffken, Die Krone u. d. niedere deutsche Kirchengut. 1210 — 1250. Diss. 1890.
1. Die geistlichen Fürsten Deutschlands mifsbilligten des Kaisers
Unternehmen gegen Sizilien, weil es einen unversöhnlichen Gegensatz
zwischen ihm und dem Papste hervorrufen mufste. Es gelang diesem
mit überraschender Schnelligkeit, eine Opposition gegen Otto ius Leben
zu rufen. Sie wurde durch Philipp IL August gefördert, der als Feind
Englands und der Weifen die Persönlichkeit Friedrichs IL in den Vorder-
grund schob und seine deutsche Thronkandidatur dem Papste empfahl.
Bisher hatte Innozenz, getreu seiner Politik, dafs Sizilien mit dem
deutschen Reich nicht vereint werden dürfe, nichts getan, um Friedrichs
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 3
34 Die Anfänge Friedrichs II. Seine Königswahl.
Rechte auf den deutschen Thron zu wahren, sich allerdings in seiner
Deliberatio die Möglichkeit vorbehalten, ihn gegen einen feindlichen
König auszuspielen. Friedrich II. war unter den mifslichsten Ver-
hältnissen herangewachsen. Die Parteikämpfe in Sizilien, die Unbot-
mäfsigkeit der deutschen Kapitäne und der Grofsen, die Zwistigkeiten
in der Regierung, bei der ein Machthaber nach dem andern sich der
Person des jungen Königs bemächtigte, um durch ihn zu herrschen, all
das hatte das Land in einen Zustand der Anarchie versetzt. In dieser
schwierigen Lage lernte der hochbegabte und früh entwickelte König
die Kunst der Verstellung und erlangte nicht blofs jene Menschen-
kenntnis, die bei ihm oft genug zur Menschenverachtung wurde, sondern
erhielt auch in seiner zum Teil orientalisch-mohammedanischen Um-
gebung die höchsten Vorstellungen von seiner königlichen Würde. Neben
dem Italienischen sprach er das Lateinische, Griechische und Arabische,
ob in früherer Zeit auch schon das Deutsche, ist zweifelhaft. Ltq die
Stellung seines Mündels nach aufsen hin zu stärken, hatte ihn der Papst
(1209) mit Konstanze von Aragonien, der Witwe des ungarischen Königs
Emmerich, vermählt. Im Inneren wurde dadurch nichts gebessert, und
die Anarchie im Königreich stand auf der Höhe, als Otto IV. in Apulien
einfiel und an einzelnen Grofsen Bundesgenossen fand. Das war der
Augenblick, in welchem ihn der Streit zwischen Kaiser und Papst nach
Deutschland rief. Dort war kein Fürst, der sich mit ihm an Reichtum
und Ansehen messen konnte. Sein in zarter Jugend gewonnenes An-
recht auf die Krone schlofs bei der Unterstützung des Papstes jeden
Wettbewerb aus. Dazu kamen die ruhmvollen Überlieferungen seines
Hauses, die denen, die sich für ihn erklärten, über die Makel des Ver-
rats an dem Kaiser hinweghalfen.1) War dem Papste das Geschlecht der
Staufer durchaus nicht sympathisch, da »Art nicht von Art lasse«, so
hatte er eben jetzt mit einem der Kirche früher so ergebenen Kaiser
wie Otto IV. die schlimmsten Erfahrungen gemacht; sodann war Fried-
rich II. im Gegensatz zu seinem Vater schon als Vasall der römischen
Kirche aufgewachsen, auch konnte das Verhältnis Siziliens zum Reich
durch Sonderverträge geregelt werden, und endlich mufste selbst Fried-
richs Erhebung dazu dienen, die kaiserliche Gewalt als einen Ausflufs
der päpstlichen, das Kaisertum als päpstliches Lehen erscheinen zu lassen.
Für ihn sprachen nicht zuletzt auch noch die grofsen Sympathien, die
man im südlichen Deutschland, vorab in Schwaben, wo er der »natür-
liche Erbherr war«, ihm entgegentrug.
2. Führer der Opposition gegen Otto IV. waren der Erzbischof Sig-
fried von Mainz und der Landgraf Hermann von Thüringen, denen sich
König Ottokar von Böhmen und andere Fürsten anschlössen. Auf dem
Fürstentag in Nürnberg wählten sie zu Anfang September 1211 Fried-
rich IL zum König. Zwei schwäbische Edelleute, Heinrich von Nifen
und Anselm von Justingen, wurden beauftragt, ihm die Botschaft nach
Italien zu bringen, und die Kunde von diesen Vorgängen war es, die
l) Winkelmann, Philip]) v. Schwaben u. Otto IV., II, 279.
Sein Einzug in Deutschland. Anschlufs der Reichsfürsten. 35
Otto zur Heimkehr zwang. Während in Oberitalien die alten Partei-
kämpfe ausbrachen, gelang es dem Kaiser, in Deutschland selbst sein
Ansehen aufrecht zu halten. Aus der Stimmung der Sprüche Walters
von der Vogelweide entnimmt man die der breiteren Schichten des
Volkes; er eifert gegen che Doppelzüngigkeit der Kurie; auf dem Hof-
tag von Nürnberg erschienen selbst solche Fürsten, die kurz zuvor zur
Absetzung Ottos IV. mitgewirkt hatten. Um seine Stellung zu stärken,
vollzog der Kaiser jetzt seine Vermählung mit Beatrix; aber ihr jähes
Ende löste das schwache Band, das Schwaben an ihn knüpfte. Ein Teil
des schwäbischen Anhangs verliefs ihn, als Friedrich IL heranrückte.
Nach längerem Schwanken hatte dieser dem Widerstreben seiner Ge-
mahlin und vieler sizilischer Grofsen zum Trotz die Königswahl an-
genommen. Er konnte kaum anders, denn sein eigenes Reich war ge-
fährdet, falls es dem Kaiser gelang, sich in Deutschland zu behaupten.
Bevor er auszog, rnufste er die Lehenshoheit der Kurie über Sizilien aner-
kennen und das von seiner Mutter mit dem Papst abgeschlossene Kon-
kordat bestätigen. In diesem Sinne liefs er auch seinen erst ein Jahr alten
Sohn Heinrich zum König von Sizilien krönen (1212, Februar). Nach-
dem er seine Gemahlin zur Reichsverweserin ernannt hatte, brach er nach
Deutschland auf. In Rom leistete er persönlich dem Papst den Lehenseid
für Sizilien. Unter grofsen Gefahren gelangte er nach Genua. Da die gang-
barsten Pässe über die Alpen verlegt waren, zog er über Verona und
Trient das Etschtal aufwärts über Kurrhätien in das Vorderrheintal und
langte eben noch rechtzeitig in Konstanz an (September), wo ihm der
Bischof die Tore öffnete, ehe Otto IV. erschien, der in dem nahegelegenen
Überlingen verweilte. Mit der Stadt Konstanz hatte Friedrich IL den
Schlüssel zu Deutschland; von allen Seiten strömten die Schwaben ihm
zu , er selbst schenkte verschwenderisch Hoheitsrechte, Reichs- und
Familiengüter weg, um seinen Anhang zu mehren. In Basel fanden sich
bereits mehrere Fürsten bei ihm ein, und in Vaucouleurs schlofs er am
19. November 1212 einen festen Bund mit dem Kronprinzen Ludwig
von Frankreich gegen Otto IV. und England. Am 5. Dezember wurde
er in Frankfurt nochmals zum König gewählt und vier Tage später in
Mainz gekrönt. Der Kaiser hatte die Kräfte seines Gegners — des
PfatTenkaisers — stark unterschätzt; jetzt zog er sich gegen den Nieder-
rhein. Die Pläne über die Einziehung des Kirchengutes zugunsten
der Krone und die Einführung von Reichssteuern, die man ihm nach-
sagte, mehrten den Anhang seines Gegners, und als sein eigener Neffe,
der Pfalzgraf vom Rhein, zu diesem übertrat, war der Sieg der päpst-
lichen Politik über die des Kaisers ein vollständiger. Das war zu der-
selben Zeit, in der Innozenz III. auch England zinsbar gemacht hatte.
Jetzt erntete er auch aus seiner deutschen Politik die Früchte : Am
12. Juli 1213 bestätigte Friedrich IL durch die goldene Bulle von Eger
ihm nicht nur alle früheren Zugeständnisse Ottos IV., sondern tat dies
auch unter Zustimmung der Reichsfürsten. Die Kirche erhielt die Be-
stätigung des Mathildischen Gutes und aller seit 1197 vorgenommenen
Recuperationen. Der von Innozenz III. neugeschaffene Kirchenstaat
3*
3ß Die goldene Bulle von Eger. Das Bündnis mit Frankreich.
erhielt sonach jetzt erst seine rechtliche Begründung. Friedrich IL
erneuerte seinen Lehenseid für Sizilien, verzichtete auf die Ausübung
des Spolienrechtes, auf die Beeinflufsung der Bischofswahlen und jede
Beschränkung der Appellation an den Papst.1) Hat die goldene Bulle
von Eger dem Kirchenstaat ein festes Gefüge gegeben, so hat sie ander-
seits auch den Charakter des geistlichen Fürstentums und der Monarchie
von Grund aus umgestaltet. Indem nun die völlige Freiheit der Bischofs-
wahlen festgestellt wurde, verlor der deutsche König das ihm nach dem
Wormser Konkordat zustehende Aufsichtsrecht, und indem jede Ein-
schränkung der Appellation in kirchlichen Dingen nach Rom aufhörte,
geriet das geistliche Fürstentum in die vollständigste Abhängigkeit von
Rom. Von nun an mufste die Monarchie die Bestrebungen des Fürsten-
tums fördern, wollte sie selbst von ihm gefördert werden. Demnach
liegt im Beginn der Regierung Friedrichs IL der entscheidende Wende-
punkt der deutschen Geschichte, die vornehmste Quelle, aus der der
deutsche Territorialstaat erwachsen ist.2)
3. Noch gab der Kaiser seine Sache nicht verloren, war doch
seine Stärke infolge der englischen Hilfsgelder immer noch eine an-
sehnliche. In Thüringen und Sachsen wurde ohne Entscheidung ge-
kämpft. Diese wurde im folgenden Jahre auf einem ganz andern Schau-
platz herbeigeführt. Im Jahre 1213 hatte Philipp IL August, der eine
Invasion Englands beabsichtigte, einen Angriff auf die Grafen von Flan-
dern und Boulogne gemacht, war aber hiebei zurückgeschlagen worden.
Nun versuchten Otto IV. und König Johann ihrerseits einen Angriff
auf Frankreich. Johann fand aber in Poitou einen erfolgreichen
Widerstand, und Otto IV. erlitt am 27. Juli 1214 bei Bouvines, in der
Nähe von Tournay, eine Niederlage (s. unten § 10), die nicht blofs
über den Feldzug, sondern auch über seine kaiserliche Stellung ent-
schied. Nun verlor er den Rest seines Anhangs. Als der Pfalzgraf
Heinrich eines plötzlichen Todes starb, erhielt Herzog Ludwig von
Bayern die Belehnung mit der erledigten Rheinpfalz, die sonach
für die Weifen verloren ging und fortan beim wittelsb achischen Hause
verblieb. Die Dänen zog Friedrich IL auf seine Seite, indem er ihnen
die Gebiete zwischen Elbe und Elda überliefs. Nachdem auch noch
Aachen und Köln in seine Hände gefallen waren, wurde er am 25. Juli
1215 in Aachen nochmals gekrönt. Otto IV. zog sich in seine Erblande
zurück und führte den hoffnungslosen Kampf bis an sein Ende fort.
Er starb auf der Harzburg am 19. Mai 1218.
§ 9. Innozenz III. und König Johann von England. Der Verlust der
französischen Besitzungen. England ein Lehen des Papstes. Die
Magna Charta.
Quellen. S. Sir Thomas Duffus Hardy, Descriptive catalogue of inaterials
relating to the history of Great Britein and treland. vol. III. 1200 — 1327. Lond. 1871.
*) MM. G. LL. II, 224. Böhmer- Ficker, Nr. 705, 706; Mirbt, Quellen z. Gesch. des
Papsttums, Nr. 220.
2) Winkelmann, S. 344, u. A. D. B VIT, 439.
Innozenz EH. und England. 37
TJrkk. u. Briefe in Foedera, conventiones, litterae et cuiuscunque generis acta publica
inter reges Angliae et alios quosvis irnperatores etc. [1101 — 1654], ed. Thomas Rymer,
ed. tertia, toni. I. Haag, 1745 And. Ausg. s. bei Grofs, The sources and literature
of English history. London, New York and Bombay 1900. S. 366 f. Potth. regg. pontifi:.,
wie oben. Der Text der Magna Charta findet sich in William Stubbs, Select
Charters, p. 296 — 306, s. auch Ch. Beinont, Chartes des libertes anglaises (1100 — 1305),
publ. p. . . . Paris 1892. Enthält die Texte der Freibriefe von Heinrich I., Stephan,
Heinrich II. u. Johann, die Bestätigung des Freibriefes durch Heinrich HI. u. Eduard I.
Über Bracton, Britton, Fleta u. a, s. Grofs, p. 312.
Erzählende Quellen. Chronica Rogeri de Hoveden, ed. W. Stubbs. Rolls
Series, 4 voll. Lond. 1868 — 71, ed. Liebermann, MM. Germ. hist. SS. XXVn. Rogers
Arb. reicht von 1192 — 1201. Die Continuatio 1202 — 1226 auctore anonymo fälschlich
Walter de Coventry zugeschrieben, ed. Stubbs als Memoriale Walteri de Coventria in
Rolls Series (Rer. Brit. medii aevi SS.) Nr. 58, vol. 1 — 2, s. Liebermann, wie oben. Lit.
l>ei Potth. I, 981 ; s. Grofs, Nr. 1761. Rogeri de Wendover, Chronica sive Liber qui
dicitur flores historiaruin bis 1235, ed. Coxe. Lond. 1841 — 44 u. 49. 5 Bde. 2. Ausg.
Rolls Series. Lond. 1886 — 89. Ausg. Liebermann, wie oben XXVLTI, 20. Annales
monastici bis 1432, ed. Luard, Rolls Series. 4 voll. Lond. 1864—69. (Der 1. Bd. enthält
für diese Zeit die Annales de Burton, der zweite die von Winton u. Waverley, der
dritte die von Dunstable u. der vierte die von Osney.) Auszüge in MM. Germ. hist.
XXVH u. XXVIII. Annales S. Edmundi bis 1212, ed. Fei. Liebermann, Ungedruckte
Anglo-Normannische Geschichtsquellen. Strafsb 1879. Annales Stanleienses 1204 — 14,
ed. Howlett in Chronicles of Stephen, Henry IL and Richard I. Lond. 1885. H. Ausg.
von 1207—1271, ed. Liebermann, MM. G. SS. XXVHI. Radulf us de Diceto, Imagines
historiarum bis 1202, ed. Stubbs. 2 Bde. Rolls Ser. Lond. 1876. Ausg. v. Pauli. MM,
G. SS. XXVH. Gervasius mon. Cantuariensis, Actus pontifi2. Cant. eccl., ed. Stubbs.
Rolls Ser. 2 Bde. Lond. 1879/80. Die anderen Werke des Gervasius s. bei Grofs.
Nr. 1730. Magna vita S. Hugonis ep. Lincoln. Rolls Ser. 1864. Chronica de Mailros bis
1275, ed. Stevenson. Edinb. 1835. Ausg. v. Pauli. MM. G. SS. XXVH. Radulphus de
Coggeshall, Chronic. Anglicanuni (1066 — 1223), ed. Stevenson Rolls Series 1875. Andere
Ausg. s. Grofs, Nr. 1756. Chron. Henrici de Knighton mon. Leycestrensis. Rolls Ser.
92 vol. 1. Für einzelnes auch noch Benedikt of Petersborough, The Chronicle 1169 — 1292-
Rolls Series 1867. Histoire de Guillaume le Marechal, Lebensbeschr. Pembrokes, Reg.
während d. Minderjährigk. Heinrichs III., ed. P. Meyer, Societe de l'histoire de France,
tom. 1 — 3. Paris 1891 — 1901. Histoire des ducs de Normandie et des rois d'Angleterre
bis 1220, ib. ed. Michel. Paris 1840. Ausg. v. Holder-Egger MM. G. SS. XXVI. Rigordus,
Gesta Philippi Augusti (1179— 1208), fortges. v. Guilelmus Brito bis 1215, ed. Delaborde,
Oeuvres de Rigord et de Guillaume le Breton. Paris 1882. Ausg. v. Molinier in MM.
Germ. Hist. XXVI. Gute Auszüge aus den gleichz. Quellen für diese Zeit finden sich
in Stubbs, Select charters and others illustrations of constitutional history frorn the
earliest times to the reign of Edward I. Oxford 1870. 8. Ausg. 1895. Zur Gesch. Langtons :
Vita Sti Stephani archiepiscopi Cantuariensis, ed. Liebermann, MM. G. hist. SS. XXVIII.
Hilfsschriften: Pearson, History of England during the early and middle
ages. 2 voll. Lond. 1867. Lingard, A history of England to 1688. 10 voll. Lond. 1849,
5 ed. (Brauchbar noch für die Zeit vom 14. — 16. Jahrh.) Pauli, Geschichte v. Eng-
land. HI. Hamb. 1853. Green, History of the English people. 4 Bde. Lond. 1877—80.
Deutsch nach der verbesserten Aufl. d. Englischen von 1888 v. E. Kirchner, mit einem
Vorwort v. A. Stern. 1 Bd. Berl. 1889. Kate Norgate, England under the Angevin
kings. Lond. 1887. 2 Bde. Gneist, Engl. Verfassungsgeschichte. Berl. 1882. Stubbs,
The constitutional history of England bis 1485. 3 Bde. Oxf . 1874 — 78. H o o c k , Lives
of the archbishops of Canterbury. Lond. 1860 — 76. Maurice, Stephen Langton.
Lond. 1872. Bemont, De la condamnation de Jean Sans-Terre par la cour des pairs
de France. Rev. hist. XXXH. Guilhermoz, Les deux condamnations de Jean Sans-
Terre. BECh. LX, 45, 363. Blackstone, The great charter and charter of the
forest, etc. Oxford 1759. Thomson, An historical essay on the magna Charta of King
John. London 1829. W. Ladenbauer, Wie wurde K. Joh. v. E. Vasall des röm.
Stuhles. Z. kath. Theol. VI. Für die engl.-franz. Beziehungen s. §10.
38 Johann ohne Land. Das Ende Arturs von Bretagne.
1. Die Unternehmungen Richards I.: seine Kreuzfahrt und die
damit in Zusammenhang stehenden Ereignisse, die Herbeischaffung des
ungeheuren Lösegeldes, seine Kriege gegen Frankreich (s. § 10), die
Unterstützung Ottos IV., hatten Englands Kräfte aufs höchste angespannt;
anderseits war es die lange Abwesenheit dieses heftigen und starr-
sinnigen Königs aus seinem Lande, die den ruhigen Fortbestand der
von Heinrich IL begründeten Ordnung der inneren Verwaltung ermög-
licht hat. Richard fand durch einen Pfeilschufs vor dem Schlosse
Chaluz, dessen Besitzer er bekämpfte, sein Ende. Sterbend nominierte
er seinen Bruder Johann, den einstens, wohl nur scherzweise, sein
Vater »Ohneland« genannt hatte, zu seinem Nachfolger. Johann wurde
nun auch von seiner Mutter Eleonore begünstigt und fand in den
Ländern des normannischen Rechtes, das die Erbfolge eines minder-
jährigen Sohnes vor dem volljährigen jüngeren Bruder nicht anerkennt,
in der Normandie und England Anerkennung und wurde am 27. Mai 1199
in Westminster gekrönt. Dagegen hielten sich die Erbländer des Hauses
Plantagenet: Anjou, Maine und Touraine, dann die Bretagne an den
Sohn des älteren Bruders, Gottfried von Bretagne, den Prinzen Artur,
»der jetzt seinem Vater in seinem Besitz nachfolgen würde, wenn er den
König Richard überlebt hätte :. Da nun Johann wenigstens für die
Bretagne seinem Neffen gegenüber die Rechte des Lehensherrn bean-
spruchte, kam es zu einem Streit, der dem König Philipp IL August
Anlafs bot, das Übergewicht Englands auf französischem Boden zu
beseitigen. Zu dem Zwecke nützte Philipp den jungen Prinzen gegen
König Johann ebenso aus wie früher Richard und Gottfried gegen
Heinrich IL und Johann gegen Richard. Zunächst liefs er sich von
Artur für die Erbländer des Hauses Anjou huldigen. Zwar nötigten ihn
seine schlechten Beziehungen zur Kurie zum Frieden von Goulet (1200),
der Johann als Herrn der englischen Besitzungen in Frankreich an-
erkannte; der Krieg brach aber bald wieder aus. Johann hatte sich
nämlich von seiner Gemahlin scheiden lassen und sich mit der dem
Grafen La Marche verlobten Tochter des Grafen von Angouleme ver-
mählt. La Marche erregte deshalb einen Aufstand in Poitou. Als
sich nun die Grofsen dieses Landes an Philipp wandten, lud dieser den
König Johann vor seinen Lehenshof, sprach ihm auf seine Weigerung
die französischen Lehen zu Gunsten Arturs ab und brachte einen Teil
der nordwestlichen Normandie in seine Gewalt. Während dieser Kämpfe
wurde Artur von Kriegsscharen seines Oheims gefangen genommen.
Eine Friedensvermittlung Innozenz' III. blieb ohne Ergebnis, worauf
Johann beschlofs, sich seines Neffen zu entledigen. Im Winter von 1203
auf 1204 verbreitete sich die Nachricht vom Tode Arturs. Wie der
Fürst geendet, darüber wufsten schon die Zeitgenossen nichts Sicheres.
Es ist kein Beweis dafür, dafs Johann selbst den Meuchelmord begangen.
Einer alten französischen Überlieferung nach wurde Artur von ihm
in einem Kahn auf der Seine ermordet, nach anderen Berichten in den
neuen Turm zu Rouen geworfen, wo er bald nachher verschwand. Dies
Verbrechen gab Philipp Gelegenheit, seine Eroberungen fortzusetzen.
her Verlust der N.orinandie. Der Kampf mit der Kurie. 39
Die ganze Normandie, die nun anderthalb Jahrhunderte bei England
gewesen und diesem Lande eine Dynastie gegeben hatte, fiel an Frank-
reich. Erst von jetzt an betrachtete der normannische Adel England
als seine Heimat und begann die Verschmelzung beider Volksstämme
zu einer einzigen Nation. Auch eine wiederholte Intervention des
Papstes blieb ohne Erfolg. 1204 fielen Maine, Touraine und Anjou und
nach Eleonores Tod ein grofser Teil von Aquitanien an Frankreich.
Am 26. Oktober 1206 mufste Johann einen Waffenstillstand eingehen,
der den Franzosen den Besitz des ganzen westlichen Frankreich nördlich
von der Loire sicherte. Es war das Ende der grofsen Macht des Hauses
Plantagenet auf dem Festland. Ein unnatürliches Verhältnis, das bisher
mehr als die Hälfte von Frankreich an Englands Geschicke gefesselt
hatte, hörte aul Je unglücklicher sich aber Johanns Regierung
nach aufsen gestaltete, um so gewalttätiger war sie im Innern, und
während sich hier des Königs Ansprüche ins Mafslose steigerten, geriet
er in einen schweren Kampf mit der Kurie.
2. Der Erzbischof Hubert von Canterbury war am 12. Juli 1205 und
gestorben. Ohne die königliche Zustimmung zur Vornahme der Wahl und
des Königs Vorschläge abzuwarten, ohne das Recht der Suffraganbischöfe,
die früheren Wahlen zugezogen worden waren, zu beachten, wählten die
Mönche des Domkapitels den Subprior Reginald und verpflichteten ihn, nach
Rom zu gehen, um seine Bestätigung einzuholen. Bis dahin sollte die
Wahl geheim bleiben. Kaum betrat er aber den Kontinent, so gebärdete
er sich als gewählter Erzbischof. Weder der König noch die Suffragane
waren gewillt, sich diese Verkümmerung ihrer Rechte gefallen zu lassen,
und die Mönche wählten nun, ohne das Mitwahlrecht der Suffragane zu
beachten, aus Furcht vor dem König dessen Kandidaten, den Bischof Johann
von Norwich, zum Erzbischof. Die Suffragane erhoben dagegen in Rom
Einsprache, und Innozenz III. benützte die Gelegenheit, um das vom eng-
lischen Königtum beanspruchte Recht der Mitwirkung bei Besetzung des
Erzstuhles zu brechen. Er forderte die Parteien vor seinen Richterstuhl,
sprach nach langem Zögern den Bischöfen das Mitwahlrecht ab, bestätigte
das Wahlrecht des Kapitels und bewirkte die Wahl seines einstigen Studien-
genossen Stephan Langton, eines Engländers guter Herkunft, unbe-
scholtenen Wesens und ausgezeichneter Bildung, den er kurz zuvor zum
Kardinal erhoben hatte. Der König geriet auf die Kunde hie von in
einen heftigen Zorn, verjagte die Mönche aus dem Reiche, verwarf die
Wahl Langtons als eines Mannes, der zu lange in Frankreich gewesen
sei, um nicht zu seinen Gegnern zu zählen, und wies alle Ermahnungen
der Bischöfe von London, Ely und Worcester von sich. Da verkün-
digten diese (1208, 24. März) das Interdikt, das in seinen strengsten
Formen zur Durchführung kam. Dagegen verhängte Johann die
schwersten Strafen über alle, die dem Papst Treue hielten : die Tempo-
ralien der Geistlichen wurden gesperrt, Priester und Ordensgeistliche
verfolgt und dem Erzbischof der Eintritt nach England versagt, Ver-
handlungen zwischen Papst und König führten zu keinem Ziele; daher
schlofs Innozenz den König aus der Gemeinschaft der Kirche aus (1209),
40 England wird päpstliches Lehen.
entband seine Untertanen des Eides der Treue und des Gehorsams und
bedrohte jeden, der mit ihm verkehre, mit der Strafe des Bannes. Im
Gegensatz zu seiner früheren Untätigkeit entwickelte Johann nun eine
eifrige Tätigkeit nach aufsen hin : Er zwang den schottischen König
Wilhelm und die Fürsten von Irland zur Anerkennung der englischen
Oberhoheit, teilte Irland in Grafschaften und führte englische Gesetze
ein. Es hatte den Anschein, als sollte die englisch - normannische
Lehenshoheit über die britische Inselwelt fester als früher begründet
werden. Aber schon war die Herrschaft des Königs in England selbst
unterwühlt. Gegen sein bei der Krönung gegebenes Versprechen war
von den zahlreichen Übelständen keiner beseitigt worden; die fort-
währenden Kriege hatten schwere Steuerauflagen notwendig gemacht; seine
gesetzwidrigen Erpressungen und die Begünstigung der Fremden, sein
schamloses Verfahren gegen einzelne Grofse, all das verursachte eine
tiefgehende Erregung; was aber das wirksamste war: in derselben Zeit,
als Innozenz III. Friedrich IL über die Alpen sandte, um dem Kaiser-
tum des Weifen ein Ende zu machen, entband er die englischen Grofsen
nochmals des Treueides, verkündigte den Kreuzzug wider ihn und
übertrug dem französischen König, der nun die Aussicht auf den Besitz
der englischen Krone erhielt, die Durchführung. So stand in den Jahren
1212 — 1213 auf des Papstes Geheifs fast das ganze Abendland unter
Waffen. Aber schon verlor König Johann das Vertrauen zu seinem
Volke, und an seinem unsicheren Benehmen erkannte der Papst, dafs
es Zeit sei, einzulenken. Johann, von auswärtigen Gefahren umringt
und von der Empörung seiner Untertanen bedroht, ging auf die ihm
gemachten Vorschläge ein. Am 13. Mai 1213 schwur er, sich dem
Urteil des Papstes zu fügen und Langton als Erzbischof einzusetzen. Um mit
des Papstes Hilfe die Koalition seiner Gegner zu zertrümmern, tat er jenen
Schritt der Erniedrigung, den schon die Zeitgenossen verurteilten und
Spätere vergebens zu entschuldigen versuchten. Am 15. Mai 1213 legte
er im Templerhause zu Dover die Krone von England und Irland in
die Hände des päpstlichen Legaten Pandulf nieder und nahm sie als
Lehen des Papstes gegen einen Jahreszins von 1000 Mark Silber
wieder zurück.1) Bei Strafe des Bannes befahl nun Pandulf den englischen
Grafen und Baronen, dem Könige gegen die auswärtigen Feinde beizu-
stehen, und eilte auf das Festland, Philipp August von der geänderten
Lage der Dinge, den Papst von seinem unvergleichlichen Triumph zu
verständigen. Dem König von Frankreich wurde die Fortführung des
Kampfes verboten. Er hielt sich aber wenig daran. Zwar erlitt seine
Flotte eine Schlappe, noch lagen aber die Verhältnisse in England aus-
sichtsvoll genug, denn die englischen Barone machten Miene; ihrem
König die Heeresfolge zu versagen, bis er nicht förmlich vom Banne
gelöst sei. Nun erhielten die vertriebenen Bischöfe die Erlaubnis zur
Rückkehr. Demütig warf sich der König am 20. Juli vor Langton zur
x) Die Urk. bei Stubbs, Select Charters, p. 284. Der Lehenseid des Königs
ebenda S. 285.
Der Kampf gegen Frankreich. Die Erhebung der englischen Barone. 41
Erde, der ihn vom Banne löste, wobei Johann seinen Krönungseid
erneuerte. Im folgenden Jahre drang Johann in Poitou ein, während
Otto IV. von Norden her in Frankreich einrückte , aber der Tag von
Bouvines (s. § 10) machte den Siegeshoffnungen der Verbündeten
ein jähes Ende. Johann kehrte nach England zurück. Im Frieden
von Chinon (1214, 18. September) mufste er auf den französischen Besitz bis
auf Poitou und Guyenne verzichten. Die Folgen der Niederlage machten
sich nunmehr auch im Innern geltend.
3. Als Langton den König vom Banne löste, liefs er ihn schwören,
die guten Gesetze seiner Vorfahren, vor allem die Eduards des Bekenners,
zu beobachten. Auf Grund dieser Gesetze hatten sich die Barone Nor-
thumberlands geweigert, ins Ausland zu Felde zu ziehen; als sie der
König durch seine Söldner züchtigen wollte, warnte ihn der Erzbischof,
wider sie einzuschreiten, ohne zuvor einen Rechtsspruch ihrer Standes-
genossen eingeholt zu haben. Es war somit der Erzbischof von Canterbury
selbst, der sich an die Spitze des gegen den Despotismus des
Königs gerichteten Widerstandes stellte. In einer am 25. August 1213
in der St. Paulskirche tagenden Versammlung geistlicher und weltlicher
Grofsen verlas er den alten Freiheitsbrief Heinrichs I.1) und verpflichtete
die Anwesenden zu seiner Verteidigung. Dieser Brief bestätigte die
Freiheiten der englischen Kirche, schützte die Barone vor Übergriffen
des Königs in Erb- und Vormundschaftssachen, traf Anordnungen über
die Münze und Verwaltung der Forste unter Beirat der Barone, setzte
fest, dafs derjenige, welcher persönlichen Ritterdienst leistet, nicht zur
Kriegssteuer verhalten werde, und erneuerte in Kriminalsachen die
Gesetze Eduards des Bekenners. Für diese Rechte schwuren die Barone
zu leben und zu sterben. Als Johann von jenen, die nicht zu Felde
gezogen waren, das Schildgeld verlangte, verweigerten sie die Zahlung,
versammelten sich in St. Edmundsbury (1214, 20. November) und schwuren,
mit Waffengewalt vorzugehen, falls ihre Freiheiten nicht durch Siegel
und Brief bestätigt würden. Als sie (Dreikönig 1215) ihre Forderungen
vor den König brachten, verlangte er bis Ostern Bedenkzeit, bemächtigte
sich, um für alle Fälle gesichert zu sein, der festen Plätze, gestand, um
den Klerus an sich zu ziehen, Freiheit der kirchlichen Wahlen zu
(15. Januar) und nahm zu Lichtmefs das Kreuz, um als Pilger den vollen
Schutz der Kirche zu gewinnen ; beide Teile wandten sich an den Papst.
Die Opposition, der Erzbischof an der Spitze, erneuerte am 27. April zu
Brackley ihre Forderungen, die sie auf des Königs Wunsch in eine
Liste zusammenstellte. »Warum«, rief der König aus, »verlangen die
Barone nicht gleich mein Reich?« Vergebens wies er auf den Papst
als seinen Lehensherrn hin. Nachdem ihm die Barone den Gehorsam
aufgesagt, zogen sie — »die Armee Gottes und der hl. Kirche« — vor
einzelne Burgen. Den Kern ihres Heeres bildete der Adel des Nordens,
der mit Wales und Schottland Verbindungen hatte. Bald trat London
hinzu; selbst der Hofadel wurde schwankend. Johann hielt sich in
x) Vom Jahre 1101, gedr. bei Stnbbs, p. 100.
42 Die Magna Charta. Ihr Inhalt»
Windsor auf, sein Heer lagerte auf der unter dem Namen Runingmede
bekannten Niederung an der Themse. Hier kam am 15. Juni 1215
jene Vereinbarung zustande, welche als Magna Charta die Grundlage
der Freiheiten Englands bildet. An sich betrachtet, enthält sie nur eine
Bestätigung der alten englischen Freiheiten und ruht im wesentlichen
auf dem Freiheitsbrief Heinrichs I. Doch wurde dessen ungenaue
Fassung durch genaue Bestimmungen ersetzt, und während jener nur
14 Artikel enthielt, finden sich hier 63. Auch gelten ihre Bestimmungen
nicht blofs für den Klerus und Adel, sondern auch für das Bürgertum.
Am bedeutsamsten sind die Artikel 39 und 40 geworden, von denen jener
jedem freien Mann persönliche Freiheit und Besitz sichert1), dieser rasche
und gerechte Justiz verhelfst.2)
Der erste Artikel verfügt die Freiheit der englischen Kirche und der kirchlichen
Wahlen. Die folgenden schützen den Adel vor ungerechten Auf lagen und dem Mifs-
brauch seiner Lehenspflichten und stellen seine Freiheiten und seinen Besitz unter
ständischen und richterlichen Schutz. So wird — um nur die wichtigsten Punkte an-
zuführen — für che Übertragung der Lehen nach der Erbfolge die althergebräuchliche
Erbschaftssteuer festgesetzt (Art. 2 u. 3), der Unmündige vor Benachteiligung (Art. 4, 5),
Erben und "Witwen vor erzwungener Heirat (6, 7, 8) und Schuldner gegen habgierige
Gläubiger und wucherische Juden (9 — 11) geschützt. Schildgeld und Hilfssteuer darf
fortan nur mit Zustimmung des grofsen Rates des Königreiches (per commune consilium
regni) erhoben werden: ausgenommen sind wie von altersher die drei Fälle: Lösung
des Königs aus der Gefangenschaft, die Schwertleite seines ältesten Sohnes und die
Verheiratung seiner ältesten Tochter (12). Wenn sonst ein Schildgeld verlangt wird,
ist der grofse Rat zu berufen. Er besteht aus den Erzbischöfen, Bischöfen, Äbten,
Grafen und grofsen Baronen, die der König einzeln und schriftlich einzuladen hat.
Alle übrigen unmittelbaren Lehensleute erhalten mindestens 40 Tage zuvor eine
allgemeine Einladung, zur bestimmten Zeit an festgesetztem Ort zu erscheinen. Der
Grund der Berufung ist anzugeben. Gefafste Beschlüsse sind auch für Nichterschienene
bindend (14). Afterlehensleute werden ihren Lehensherren gegenüber in derselben
Weise geschützt wie diese der Krone gegenüber (15, 16). Der Mifsbrauch des Ämter-
verkaufes wird abgeschafft (25), jener der Forstbeamten gleichfalls untersagt (44, 47, 48).
Von höchster Wichtigkeit sind die Bestimmungen über die Rechtspflege. Die Rechte,
che die Barone verlangten, kamen der ganzen Xation zugute (39, 40, s. unten Note).
Die Richter sollen viermal des Jahres ihre Rundreise in den Grafschaften machen und
unter dem Beisitz von vier Rittern der Grafschaft Gericht halten (18). Ein ständiger
Gerichtshof wird eingesetzt (17). Vergehen werden nur im Hinblick auf ihre Gröfse
bestraft ; bei einem freien Mann darf sich die Beschlagnahme des Vermögens nie
auf die Wohnung, beim Kaufmann nie auf die Waren, beim Bauer nie auf sein
Ackergerät erstrecken. Die Mittel zum Lebensunterhalt sollen auch dem Geringsten
gelassen werden (20 — 22). Den Städten, vor allem der Stadt London, allen Flecken
und Häfen des Landes werden alle Privilegien und Gerechtsame bestätigt (13), fremden
Kaufleuten Reise- und Handelsfreiheit gewährt (41, 42) und gleiches Mals und Gewicht
im ganzen Lande eingeführt.
Es fragte sich nun darum, ob die Regierung auch die Bestimmungen
der Magna Charta einhalten würde. Zu ihrer Beaufsichtigung wurde
ein Rat von 25 Baronen (das Widerstandskomitee) gewählt. Sie hatten
das Recht, dem König, wenn er die Festsetzungen verletzt hatte, nach
1) 39. NuUus über homo capiatur. vel imprisonetur, aut dissaisiatur, aut utlagetur
aut exuletur. aut aliquo modo destruatur, nee super eum ibimus, nee super eum mitte mus
nisi per legale iudicium parium suorum vel per legem terrae.
2) 40. Xulli vendemus, nulli negabimus, aut differemus, rectum aut iusticiam.
und ihre Bedeutung. I>as Ende K.Johanns. 43
fruchtloser ' Ermahnung den Krieg zu erklären. Endlich wurde die
Magna Charta im ganzen Lande publiziert1) und auf des Königs Befehl
von jeder Hundertschaft und Stadtversammlung beschworen. Die Be-
deutung der Magna Charta liegt darin, dafs sie die recht-
lichen Schranken der königlichen Hoheitsrechte auf dem
Gebiete des Lehens-, Gerichts-, Finanz- und Polizeiwesens
festsetzt. Von einer unmittelbaren Teilnahm. e der Stände
an der Regierung ist noch keine Rede.
4. Der König war über das Vorgehen seiner Barone in hohem
Grade erbittert. »25 Könige«, rief er aus, »haben sie über mich gesetzt.«
Darauf bedacht, den Freiheitsbrief zu vernichten, behielt er die Söldner
bei sich und erwartete Hilfe aus Rom; nicht umsonst wollte er Vasall
des Papstes geworden sein. Innozenz III., erzürnt über die Nichtachtung
seiner Stellung als Oberlehensherr, erklärte die Magna Charta für einen
rechtswidrigen, unerlaubten und schimpflichen Vertrag, dessen Urheber
noch schlimmer seien als die Sarazenen. Lang ton wurde suspendiert,
die Barone und Bürger von London in den Bann getan und dem König
verboten, sich an ihre Bestimmungen zu halten. Die Barone liefsen
sich nicht schrecken. Sie protestierten gegen die Entscheidung des
Papstes in weltlichen Dingen, riefen Frankreichs Hilfe an und wählten
schliefslich den französischen Kronprinzen zum König. Dieser nahm,
dem Banne trotzend, die Krone an und erschien mit Heeresmacht in
Kent. Ein Teil der Mietstruppen fiel nun von Johann ab. Ludwig zog
in London ein und empfing hier die Huldigung der Barone und Bürger.
Johann raffte sich indes noch einmal auf. In einzelnen Gegenden
widerstrebte der nationale Sinn dem Bund mit dem fremden Fürsten.
Mit wachsendem Eifer trat Innozenz III. für Johann ein2): in feierlicher
Weise verkündete er den Bann gegen Ludwig, die Barone und die
Bürger von London; er starb indes schon am 16. Juli. Wenige Monate
später folgte ihm Johann im Tode nach. Mag auch zeitgenössische
Geschichtschreibung, spätere Tradition und Dichtung das Bild dieses
Königs grau in grau gemalt, seinen Fähigkeiten, seinem Eifer in Fragen
der Verwaltung wenig gerecht geworden sein : es ist kein Zweifel, dafs
er ein ebenso habsüchtiger als wollüstiger, feiger und grausamer Tyrann
war, der, ohne die Weisheit seines Vaters und den ritterlichen Glanz
seines Bruders zu besitzen, den Anspruch erhob, in der Weise dieser
Vorgänger zu regieren. Das Ergebnis seiner Regierung war, dafs er
die besten Besitzungen Englands auf dem Festlande verlor, England
Lehen der Kurie wurde und er selbst den Rest seines Ansehens im
Kampf gegen die englische Freiheit einbüfste. Sein Tod gab der Sach-
lage eine plötzliche Wendung. Sein neunjähriger Sohn Heinrich III.
(1216 — 1272) wurde in Gloucester zum König ausgerufen und, nachdem
er dem Papst den Huldigungseid geschworen, gekrönt. Ein grofser
x) Die Origin.-Urk. befindet sich jetzt im brit. Museum. Von den zahlreichen
Komen, die damals angefertigt wurden, haben sich nur zwei erhalten.
2) Potth. Regg. Nr. 5127—5141.
44 Philipp II. August von Frankreich.
Teil des Adels löste nun die Verbindung mit Ludwig, und die ganze
Gewalt kam an William Marshai, Grafen von Pembroke. Am 20. Mai
1217 gewann ' dieser ein Treffen — den Markt von Lincoln — gegen
die mit den Franzosen verbündeten Barone, und eine französische Flotte,
die mit Verstärkungen heranzog, wurde von der viel kleineren englischen
besiegt. Unter diesen Umständen schlofs der französische Kronprinz
den Vertrag von Lambeth (1217, 11. September) und zog gegen Zahlung
einer Summe Geldes aus England ab. Die Magna Charta wurde einer
Durchsicht unterzogen und von den wichtigeren Artikeln jene beseitigt,
die das Aufsichtsrecht des Ausschufses der 25 betrafen und das Be-
steuerungsrecht der Krone beschränkten.
§ 10. Philipp II. August (1180—1223).
Quellen. S. Monod, Bibliogr. de l'hist. de France. Paris 1888. . Ergänz, v.
V i d i e r in Le Moyen-Age. vol. VIII ff. Lan gl ois , Man. de Bibliogr. bist. Paris 1901.
Molinier id. III. TIrkk.: L. Delisle, Catalogue des actes de Philippe II. Auguste.
Paris 1856. Molinier, Act ined. de Ph. A. B. E. Ch. XXXVIT. Le premier registre
de Ph. A. . . p. p. Delisle P. 1883. Diplom, ad hist. Ingeborg . . . Langebeck SS. rer.
Dan. VI. 80 — 132. — Rec. des Ordonnances, 1723. Les lettres d'Etienne de Tournay
ed. Desilves 1893. Scriptores (soweit deutsche Verhältnisse in Betracht kommen,
s. auch MM. Germ. SS. t, XXV— XXYI. Für die englischen oben § 9) : Gesta Phil.
Augusti . . . descripta a mag. Rigordo, ed. Duchesne SS. rer. Franc. V ; Bouquet XVII
(sonst. Ausg. Potth. II, 972). Gesta Phil. Aug. regis auct. Guilelmo Armorico (Wilhelm
Brito, Kaplan d. Königs, war Zeuge d. Sieges von Bouvines). Ibid. — Guil. Britonis
Armorici Philippidos libri Xu. ibid. Les gestes de Ph. Aug., extraits des grandes
Chroniques dites de S. Denis. Bouq. XVII. Epitome gestorum regurn Franciae scripta
ab anonymo ib. — Extrait d'un abrege de l'hist. de France ib. Roberti canon.
Altissiodor. Chron. MM. G. SS. XXVI. De pugna Boviniensi Relatio Marchianensis
ib. XXVTI. — Xomina Frisionum Duchesne V. Chronica S. Albini Andegav. Bouq. X,
XI, XII, XVIII. Helinandus, Chronicon, Migne CCXII. Chronic. Fiscanensis monasterii
ib. CXLVn. Chron. Elnonense Bouq. X. XI, XIII, XXIII. Chronic. Turonense ib.
Lambertus Ardensis, Hist. comit. Ghisniensium et Ardensium MM. G. SS. XXIV. Geneal«
comit. Flandriae Bouq. XVIII. Geneal. reg. Dan. ed. Langeb. SS. rer. Dan. II, 154. S. auch
Molinier D. Z. G. X, 144.
Hilf s Schriften. Aufser den allgem. Werken über allg. und franz. Gesch. von
La visse-Rambaud, Hist, gen. tom. IL Paris 1893, Lavisse-Luchaire Hist. de France HI. 1.
Paris 1901. Schmidt, Gesch. v. Frankreich I. Hbg. 1835 : A. Cartellieri, Philipp II,
Aug v. Frankreich. I. Leipz. 1899—1900. Capefigue, Hist. de Philipp-Aug. Paris 1841.
Walker, On the increase of royal power under Ph. IL Aug. 1179 — 1223. 1888. Philipp
Augustus by W. Holden -Hütten. Lond. 1896. Scheffer-Boichorst, Deutschi.
u. Philipp IL Aug. Forsch. VIII. Davidsohn, Ph. IL Aug. und Ingeborg. 1884.
Borelli de Serres, La Reunion des provinces septentr. a la couronne par Philipp IL
Aug. Paris 1899. Für die belg.-niederl. Verh. : Pirenne, Gesch. v. Belgien I. Gotha
1899. Block. Gesch. van het Nederl, volk I. Groningen 1893. S. auch Petit, Hist.
des ducs de Bourgogne t. HI. IV, 1891 . DA r b o i s de J u b a i n v i 1 1 e , Hist. des ducs
et des comtes de Champagne. 1861 — 65 M a 1 o , Un grand f eudataire. Reinaud de
Dammartin et la coalition de Bouvines. Paris 1898. Bem-ont, De la condamnation
de Jean-sans-Terre wie oben. R. H. XXXH. (S. auch J. B. G. 1899, in, 26). Lebon,
Memoire sur la bataille de Bouvines. Paris 1835. Hortzschansky, Die Schlacht
an der Brücke von Bouvines 1883. Köhler, Die Entw. d. Kriegswesens I, 117 — 158
(dort eine Übers, über die Quellen). Delpech, La Bat. de Bouvines. 1885. Froidevaux,
De regiis conciliis Philippo IL Augusto regnante habitis. Paris 1891. Philipps, Das
Seine Persönlichkeit und sein Charakter. Seine politischen Ziele. 45
Kegalienrecht in Frankreich. 1873. See, Les classes rurales 1901. Luchaire, Les
communes francaises 1890. Pigeonneau, Hist. du commerce en France, t. I,
L e v a s s e u r , Hist. des classes ouvrieres et de l'industrie en France. 1900. Sonstige
Literaturvennerke s. in Lavisse-Luchaire wie oben.
1. In demselben Jahre, in welchem in Deutschland die Weifen-
macht zerschlagen wurde, gelangte in Frankreich Philipp II. zur Re-
gierung, von allen Kapetingern, die bisher die Krone getragen, der
bedeutendste. Von einem Ehrgeiz beseelt, dafs er kaum das Ende seines
Vaters erwarten konnte und ihn förmlich zur Seite schob, zeigte er trotz-
seiner jungen Jahre eine politische Reife und diplomatische Begabung,
die ihn rasch in die vorderste Reihe der Fürsten Europas stellte. Fran-
zösische Quellen nennen ihn den Klugen, und wenn ihm sein Biograph
Rigord den Beinamen Augustus gibt, der ihm fortan in der Geschichte
geblieben ist, so ist hiedurch seine Wirksamkeit1) trefflich gezeichnet.2)
Bei seinem Regierungsantritt war Frankreich eine Macht dritten Ranges,
vom Mittelmeer ganz, vom Atlantischen Ozean grofsenteils geschieden.
Unmittelbarer Kronbesitz waren aufser Isle de France nur die Picardie
und Orleanais; im übrigen Frankreich gab es Lehensfürstentümer, die
mit der Krone lose verbunden waren. Die Normandie, die von dieser
zu Lehen gehende Bretagne, Anjou, Maine, Touraine, Poitou, Guyenne
und Gascogne befanden sich im Besitze Heinrichs IL von England.
Die mächtigsten Vasallen aufser dem Hause Plantagenet waren die
Grafen von Flandern, von Champagne-Blois, von Toulouse und die
Herzoge von Burgund. Das Streben der erster en nach politischer Un-
abhängigkeit wurde durch die Verbindung mit dem deutschen Reich
ebenso gefördert, wie das der Plantagenet durch die mit England. Daher
war es das Ziel König Philipps IL, den locker gefügten französischen
Lehensstaat in eine festgefügte Monarchie umzuwandeln, und er erreichte
seine Absichten, indem er die Kronvasallen den Zwecken des Königtums
dienstbar machte und die grofsen Gegensätze der Zeit, die sich aus dem
Anspruch der Staufer auf Weltherrschaft und ihren Konflikten mit der
Kirche ergaben, für Frankreich ausnützte. Die Kämpfe mit Flandern,
mit Champagne, Burgund und anderen Grofsen verschafften ihm (1181
bis 1185) den Besitz von Vermandois, Valois und Amienois, zu denen
durch Erbschaft Artois hinzu kam. Die Kämpfe der Mitglieder des
Hauses Plantagenet gegeneinander boten ihm reiche Gelegenheit zur
Einmischung und trugen für ihn die Gewähr grofser Erfolge in sich,
denn die englische Herrschaft ruhte nur in der Normandie und Bretagne
auf festerer Grundlage ; in ihren übrigen Besitzungen waren die Barone
stets zum Abfall geneigt und die französische Politik darauf gerichtet,
den Aufständischen Schutz zu gewähren. Im Kampfe der Söhne Hein-
richs IL gegen diesen gewann Philipp IL die Auvergne und sicherte
sich gegen das Übergewicht Englands durch den engsten Anschlufs an
die Staufer. Die Teilnahme am dritten Kreuz zug liefs den Gegensatz
der englischen und französischen Interessen nicht weniger als der per-
*) Quia rem publicam augmentabat.
2) SchefEer-Boichorst S. 490.
46 Erfolge gegen England. Philipp IL und das Papsttum.
sönlichen der beiden Könige zutage treten. Um so eifriger nützte
Philipp die ihm durch -Richards Gefangennahme gebotenen Vorteile aus.
Am liebsten hätte er es gesehen, wenn ihm Heinrich VI. den englischen
König ausgeliefert oder ihn für immer gefangen gehalten hätte. Auf
Richards Freilassung folgte ein schwerer, fünf Jahre dauernder Krieg
zwischen England und Frankreich. Wohl verlor Philipp im Waffen-
stillstand von Vernon (1199) seine Eroberungen in der Xormandie und
Vexin, ja er mufste sich verpflichten, Otto IV. im Kampf um die deutsche
Krone zu unterstützen, aber der unerwartete Tod Richards befreite ihn
von seinem gefährlichsten Gegner, und nun zog er aus dem Streit König
Johanns mit Artur von Bretagne reichen Gewinn. Im Frieden von
Goulet erhielt er die Grafschaft Evreux, den Besitz von Gracai und
Issoudun, die Suzeränität von Auvergne und Berry. Nach der Er-
neuerung des Krieges suchte Innozenz III. auch hier die strittigen
Fragen vor sein Forum zu bringen ; Philipp protestierte dagegen, erhielt
aber zur Antwort, dafs es Pflicht des Papstes sei, auch in lehensrecht-
lichen Fragen zu entscheiden. x) Schon stellt ihm die Kurie den Bann-
fluch in Aussicht.2) Der Krieg hatte seinen Fortgang und endete trotz
eines zweiten Vermittlungsversuches der Kurie mit einem vollen Siege
Philipps (§ 9), der nun mit der Xorrnandie und dem englischen Besitz
in Frankreich bis zur Loire eine Machtstellung errang, wie sie das fran-
zösische Königtum seit den Zeiten der Karolinger nicht mehr besessen
hatte. Erst jetzt gelangten die kleineren Vasallen in den bisher den
Plantagenet gehörigen Lehensfürstentümern unter die unmittelbare Herr-
schaft des französischen Königtums und verstärkten dessen finanzielle
und militärische Machtmittel. Mit der Xorrnandie. Bretagne und Poitou
erhielt Frankreich eine hafenreiche Küste und wurde erst jetzt eine
Handelsmacht von Bedeutung.
2. Während dieser Kämpfe änderte sich die bisherige Stellung-
Frankreichs zum Papsttum. Bisher waren die Beziehungen beider
Mächte um so innigere, je stärker die Interessengemeinschaft war, die
sie dem Kaiserturn gegenüber besafsen. Philipp hatte diese Beziehungen
lange gepflegt, und sie lockerten sich auch nicht, als er. vom Kreuzzuge
heimgekehrt, mit Johann ohne Land den Kampf gegen König Richard
aufnahm. Während der Kämpfe mit König Johann kam es zu einer
Entfremdung, indem sich der König den Ansprüchen des Papsttums
gegenüber auf die Meinung seiner grofsen Vasallen berief, ein Vorgang,
der in späterer Zeit Philipp dem Schönen nicht unbekannt geblieben
sein dürfte. Aber erst sein Zerwürfnis mit seiner Gemahlin Ingeborg
brachte den schwersten Rifs in die alten Beziehungen beider Mächte
und verhalf dem Papst zu einem grofsen Erfolg. Der König hatte sich
nach dem Tode seiner ersten Gemahlin Isabella von Hennegau mit
Ingeborg, der Schwester des Dänenkönigs Knut VI., wie es scheint, in
l) Wenn nicht ratione iuris, doch ratione peccati. Er habe zu untersuchen, ob
der König nicht seine lehensrechtlichen Befugnisse überschritten habe. S. Potth.
Regg. 2009.
- Ebenda 2011.
Philipp IL August und Ingeborg. Kampf gegen die engliseh-welfische Macht. 47
der Hoffnung vermählt (1193), Dänemarks Hilfe gegen England zu er-
halten. Gleich nach der Hochzeit von einer Abneigung gegen Ingeborg
erfafst, als deren Grund die Zeitgenossen nichts anderes als Teufelsspuk
anzugeben wufsten, liefs Philipp zum Zweck der Scheidung einen Stamm-
baum anfertigen, der seine Verwandtschaft mit der Königin ersichtlich
machte. Die Scheidung wurde in der Tat ausgesprochen. Als man
Ingeborg die Sentenz verkündete, fand sie nur die abgerissenen Worte :
Böses Frankreich, böses Frankreich, Rom, Rom. Sie appellierte nach
Rom, wo Cölestin III. auf die Klage Knuts eine Untersuchung ein-
leitete. Noch war diese nicht beendet, als sich Philipp mit Agnes von
Meranien aus dem Hause der Grafen von Andechs vermählte. Lange
Zeit blieb Rom taub gegen die Klagen des dänischen Hofes. Erst
Innozenz III. forderte Philipp auf, sich von Agnes zu trennen und die
verstofsene Ingeborg zurückzuberufen, und verhängte auf die Weigerung
des Königs das Interdikt über Frankreich (1198). Noch erzielte dieses
seine volle Wirkung: die Einstellung des Gottesdienstes erregte allent-
halben Angst und Verzweiflung und rief eine Gärung hervor. Als
schliefslich der Papst den König in den Bann legte, gab Philipp nach.
Wie pries er Saladin, der keinen Papst über sich habe. Ingeborg wurde
zwar wieder Königin, doch wollte der König von einer ehelichen Ver-
einigung mit ihr nichts wissen, auch dann nicht, als Agnes starb und
der Papst ihre Kinder legitimierte. Noch 1210 hatte er die Absicht,
sich mit einer Tochter des Landgrafen von Thüringen zu vermählen.
Die Vereinigung der getrennten Gatten kam erst 1213 und, wie einstens
die Heirat, aus politischen Beweggründen zustande, um die Unterstützung
Dänemarks im Kampfe gegen England zu gewinnen. Der lange Wider-
stand Philipps einem Papste vom Ansehen Innozenz' III. gegenüber
gibt den Mafsstab für die Kraftentfaltung ab, die das französische König-
tum schon in den beiden ersten Dezennien der Regierung Philipps IL
erlangt hatte.
3. Mehr als dem Süden, wo die Kämpfe gegen die Albigenser
geführt wurden, die den Erwerb der Grafschaft Toulouse vorbereiteten,
war die Aufmerksamkeit des Königs den englisch-weifischen Angelegen-
heiten im Westen und Norden Frankreichs zugewendet. Je eifriger
König Johann auf den Wiedererwerb der verlorenen Provinzen sann,
um so inniger wurde der Bund Philipps mit den Staufern (§ 8). Nach
Johanns Unterwerfung genötigt, die Absichten auf England aufzugeben,
wandte sich Philipp gegen Johanns Verbündete, die Grafen von Flandern
und Boulogne. Sein Siegeszug wurde durch eine Niederlage seiner
Flotte aufgehalten, und die Bundesgenossen Englands behaupteten das
Übergewicht. Dies bewog Otto I.V., der in Philipp zugleich den Papst
und seinen Gegenkönig Friedrich bekämpfte, alle Kräfte auf einen An-
griff des nördlichen Frankreich zu setzen, während Johann Poitou an-
greifen sollte. Eine förmliche Teilung von Frankreich ward in Aussicht
genommen. Aber Johann fand im Süden kräftigen Widerstand. Otto
vereinigte sich in Valenciennes mit den Herzogen von Brabant und
Limburg, den Grafen von Flandern, Holland und anderen Grofsen. Den
48 Bouvines und seine Bedeutung. Machtstellung des franz. Königtums.
100000 Mann des Kaisers konnte Philipp nur die Hälfte entgegenstellen,
da ein grofser Teil des französischen Ritterheeres gegen Johann im
Felde stand. Dessenungeachtet rückte Philipp bis Tournay vor. An
der Brücke über die Margue bei Bouvines kam es am 27. Juli 1214
zur Schlacht,1) die er durch die gröfsere Geschlossenheit seiner Schlacht-
haufen, ihre bessere Handhabung von Warfen und Pferden und die
Überlegenheit an Rittern gewann. Seine bedeutendsten Gegner, die
Grafen von Flandern u. a., wurden gefangen. Es war der letzte schwere
Kampf des Königs gegen die mit Weifen und England verbündeten
Vasallen im nördlichen Frankreich. Für dieses waren denn auch die
Folgen des grofsen Sieges höchst bedeutende. Die feudale Übermacht
wurde gebrochen und der in den Kämpfen gegen das Haus Plantagenet
errungene Erwerb gesichert. Nach den Worten eines Zeitgenossen
wurde in allen Teilen Frankreichs die Freude des Sieges empfunden:
»was allen gehöre, eigne sich jeder besonders zuc Es war das erste
starke Aufwallen des französischen Xationalgefühls. Am 18. September
kam unter päpstlicher Vermittlung der Friede von Chinon zustande,
der Frankreich im Besitz seiner Erwerbungen liefs und ihm eine Kriegs-
entschädigung von 60000 Livres sicherte.
4. Erst jetzt wurden jene Ehrenvorrechte, die dem König von den
weltlichen Grofsen zugestanden wurden, in eine wirkliche Oberherrschaft
verwandelt und des Königs Macht auch in der Legislative auf das ganze
Gebiet des französischen Lehensstaates ausgedehnt. Die Vasallen er-
scheinen bei Hofe, um über die Landesverteidigung oder sonstige all-
gemeine Mafsregeln zu beraten, oder um über ihresgleichen Gericht zu
halten. Selbst die hohe Geistlichkeit mufs unter Umständen vor der
Curia regis — dem königlichen Hofgericht — erscheinen oder zu den
allgemeinen Auflagen Beiträge leisten; das Spolien- und Regalienrecht
wird behauptet und die Prärogativen des Königtums selbst Innozenz III.
gegenüber mit Nachdruck betont. Die niederen Lehensleute finden vor
der Willkür der höheren Schutz bei dem König : sie bringen ihre Klagen
vor den königlichen Beamten vor und verfolgen ihre Rechte vor dem
Hofgerichte. Die einstens nur ideelle Überordnung des französischen
Königtums hat nun einen sachlichen Hintergrund. Bei der Bedeutung
des unmittelbaren königlichen Besitzes war es notwendig, für eine bessere
Verwaltung Sorge zu tragen. Zu dem Zwecke liefs ihn der König nicht
mehr durch Prevots verwalten, in deren Händen bisher richterliche,
finanzielle und militärische Befugnisse vereinigt waren, sondern schuf
das Institut der Baillis, welche die Pflicht hatten, in ihren Bezirken im
Namen des Königs allmonatlich Gericht zu halten, in Paris zu erscheinen,
um über ihre Verwaltung Rechenschaft zu geben, und die von den
Prevots eingesammelten Gelder in den öffentlichen Schatz zu hinterlegen.
Eine Stütze für seine Bestrebungen fand der König an dem Bürgertum,
dem er munizipale Rechte zuteilte, und das er gegen Übergriffe der
grofsen Vasallen in Schutz nahm. Er begabte die Innungen mit Privi-
J) Einzelnheiten bei Köhler, S. 126 ff. Dort S. 156 eine Übersichtskarte.
Der Albigenaerkrieg. 49
legien, sorgte für die Erhaltung, Befestigung und Verschönerung der
Städte, liefs Wege und Strafsen anlegen, beförderte Gewerbe und Handel
und war eifrig bedacht, fremde Kaufleute auf die französischen Märkte
zu ziehen. Der Bund des Königtums mit dem Bürgertum erwies sich
als ein vortreffliches Mittel, um die einheitliche Gestaltung des fran-
zösischen Staatswesens zu erzielen.
§ 11. Der Albigenserkrieg. Ludwig VIII.
Quellen. S. Glanz, Über die Quellen zur Geschichte des Albigenserkrieges.
Berl. 1878. S m e d t , Les sources de l'histoire de la croisade contre les Albigeois.
RQH. XVI. Potth. II, 1708. Die Brief e u. Urkk. Innoz. III. s. oben. Le Catalogue
des actes de Simon et d'Arnaury Montfort, ed. Molinier. BECh. 1873. Geschicht-
schreiber: Petrus Sarnensis (Vaux - Cernay), Historia de factis et triumphis. . . .
Simonis comitis de Monteforti sive Historia Albigensium et belli sacri in eos a. 1209
suseepti. . . . Bouquet XIX, 1—113 (MM. Germ. SS. XXVI) ; reicht bis 1217. Der Verf.
war Augenzeuge. Heftig gegen Raimund VI. u. den Grafen von Foix. Guilelmus
de Podio-Laurentii, Chronicon super historia negotii Francorum sive bellorum adversus
Albigenses ab anno 1145—1272. Bouq. XIX, 193—225. (MM. Germ. hist. SS. XXVI)
Heftiger Gegner der Ketzer. Chanson de la croisade contre les Albigeois 1207 — 1219,
ed. P. Meyer. Paris 1875. 1877. Der erste bis V. 2768 reichende Teil rührt von Wilhelm
von Tudele, der zweite Teil, der 1218/19 geschrieben ist, von einem Anonymus her.
Im 15. Jahrh. wurden die Verse in Prosa übertragen : Histoire de la guerre des
Albigeois 1204-1219. Bouq. XIX, 115—190. (MM. G. hist. SS. XXVI.) Praeclara Francorum
facinora a. a. 1202 — 1211 (Ausz. aus Bern. Guidonis Flores cronicorum). DuchesneV,764.
Processus negotii Raimundi comitis Tolosani. Baluze n, 44G. De genealog. com. Tolos.
auet. Bern. Guidone. Bouquet XIX, 225—228. Chanson moult pitoyable etc., ed. Pal-
grave. Lond. 1818. Concilium Lumbariense advers. Albigenses haereticos, ed. Labbe,
Concil X. S. auch die Geschichtschr zu Philipp II. August, wie Guilelmus Brito, die
gereimte Chronik Mouskets etc. Spätere Quellen s. bei Glanz S. 92 ff. Einzelnes auch
bei Caesarius v. Heisterbach, Dial. miraculorum (s. auch Molinier III, 54 ff.).
Hilf s Schriften. Zu den oben § 2 genannten Biogr. Innozenz' III. und den
unter § 6 genannten Werken von Douais, Ch. Schmidt u. Hahns Gesch. der Ketzer
im MA. s. Vaissete, Histoire du Languedoc, torn. VI. Douais, La soumission de
la vicomte de Carcassonne par Simon de Montfort et la croisade contre Raimond VI. 1884.
Douais, Un episode des croisades contre les Albigeois, RQH. XXX. Douais, Les
Heretiques du comte de Toulouse dans la le moitie du XIIIe siecle. Paris 1891. Canet,
Simon de Montfort et la croisade contre les Albigeois. Lille 1891. Köhler, Die Schlacht
bei Muret. Kriegsw. I, 83. D i e u 1 a f o y , La bataille de Muret. Mem. de l'Acad. d.
Inscr. XXXVI, 2. Hefele-Knöpfler VI, 827.
Quellen z. Gesch. Ludwigs VIH. S. § 10, dazu 1. Nicolaus de Braia, Carmen
de gestis Ludovici VHI. (1223—1226). Bouq. XVII, 312—344. (MM. Germ. SS. XXVI,
480—487. 2. Gesta Ludovici VIII. Fragmentum. Bouquet XVII, 302-11. (MM. Germ.
XVI, 631.) 3. Chronicon S. Martini Turonensis (auet. [sie] Pagano Gatinelli) bis 1227. Bouq.
X— XII, XVHI. (MM. Germ. XXVI, 459.) Lit, bei Potth. I, 275. 4. Philippe Mousket,
Chronique rirnee bis 1243. Bouquet XXII. Auch, in d. Collect, des chron. beiges II, IV,
ed. Reiffenberg. 5. Vinc. Bellovac. Spec. histor. Douais 1624. (Ausz. MM. Germ. XXIV.)
Hilfsschrift: Petit-Dutaillis, Etüde sur la vie et le regne de Louis VIH. 1894.
Berg er, Hist. de Blanche de Castille. Paris 1895. Sonst. Lit. s. §10.
Die letzte grofse feudale Herrschaft, die sich auf französischem Boden
noch eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt hatte, war die Grafschaft
Toulouse. Hier erleichterten die kirchlichen Verhältnisse dem König-
tum die Erwerbung des Landes. Die Versuche Innozenz' III., die Albi-
genser durch Lehre und Predigt zur katholischen Kirche zurückzuführen,
Loserth, Geschichte des spateren Mittelalters. 4
50 Ausbruch und Charakter des Kampfes.
waren ergebnislos verlaufen. Unter dem Schutz des Grafen Raimund VT.
von Toulouse, der Vizegrafen von Beziers und Carcassonne und anderer
Grofsen erhielten die Albigenser eine von Jahr zu Jahr wachsende Be-
deutung. Die vom Papst wider sie ausgesandten Legaten hatten höch-
stens vorübergehende Erfolge zu verzeichnen. Schon 1204, 1205 und
1207 hatte Innozenz III. den König zur Verfolgung der Ketzer auf-
gefordert, aber der Kampf gegen England hinderte diesen, dem Wunsche
des Papstes zu folgen.1) Der päpstliche Legat Peter de Castelnau hatte
1207 den Grafen Raimund VI. wegen Begünstigung der Ketzer exkom-
muniziert; als nun der Legat von einem fanatisierten Dienstmann Rai-
munds erstochen wurde, (1208, 13. Januar), war das Schicksal der Albi-
genser entschieden. Wiewohl Raimund wiederholt seine Unschuld
beteuerte, wurde er als Mörder des Legaten aufs neue exkommuniziert2),
sein Land mit dem Interdikt belegt, seine Untertanen des Eides der
Treue entbunden und Philipp IL August und andere Fürsten aufge-
fordert, das Kreuz gegen die Ketzer zu nehmen. War Philipp IL
auch nicht geneigt, in den Kampf zu ziehen, so war er doch auch
nicht gewillt, den Besitz seines Vasallen in fremde Hände kommen zu
lassen. Raimund suchte die drohende Gefahr von seinem Haupte und
seinem Lande abzuwenden und unterwarf sich den demütigsten Bedin-
gungen (1209), ohne hiedurch sein Land vor den Schrecknissen eines
Religionskrieges schützen zu können. Die Kurie hielt ihn mit Hoff-
nungen hin, bis sie mit den Ketzern fertig geworden sei. Zum Kampfe
gegen die Häresie erhoben sich die Grofsen und Bischöfe des fran-
zösischen Nordens und der Mitte : der Herzog von Burgund, die Grafen
von St. Pol und Nevers und andere, mit ihnen der gefeierte Held jener
Zeit, Graf Simon von Montfort, der, aus französischer Familie
stammend, von seiner Mutter die englische Grafschaft Leicester geerbt
und seine ritterliche Kraft und seinen glühenden Eifer für die Interessen
der Kirche bereits im Morgenlande erprobt hatte. Von allen Seiten
strömten Kreuzfahrer zusammen. Bald wuchs ihre Zahl auf 50000.
Ihr Führer war der Legat des Papstes, Abt Arnold von Citeaux. Zu-
erst wurde Beziers, dessen Herr vergeblich seine Rechtgläubigkeit be-
teuert und seine Unterwerfung angeboten hatte, erobert und verbrannt.
Hier sollen die bekannten — vielleicht doch erst nach dem Ereignis
erdichteten — Worte des Legaten gefallen sein : Schlagt alle tot, Gott
wird die Seinigen kennen! In der Magdalenenkirche allein — der Haupt-
kirche der Stadt — lagen 7000 Erschlagene, darunter Weiber, Kinder
und Greise. In gleicher Weise wurde im ganzen Lande gewütet, Carcas-
sonne genommen und auch hier über 400 Menschen verbrannt, die
lieber dem Leben als ihrem Glauben entsagten. Allüberall loderten die
Scheiterhaufen auf.3) Der Legat bot das eroberte Land zuerst dem
Herzog von Burgund, dann den Grafen von Xevers und St. Pole an.
*) Potth., Regg. 2103, 2225, 2373, 2404. (Philippum exhortatur, ut contra haereticos
per se ipsum vel per Ludovicum filium suum . . potenter assurgat . .), 3223.
2) ut Raimundum Petri d. C N. occisorem . . eiusque socios excommunicatos nuneient . .
3) S. die Schilderung bei Luchaire, p 268 ff .
Simon von Montfort und die Unterwerfung der Albigenser. 51
Minder spröde als diese nahm Montfort das von jenen zurückgewiesene
Geschenk an und wurde Herr von Beziers und Carcassonne, dessen legi-
timer Besitzer im Kerker »verschwand, man weifs nicht wie«. Simon von
Montfort durfte noch mehr erwarten. Raimund VI. von Toulouse hatte
nur mit Widerstreben am Kampf gegen seine eigenen Untertanen Anteil
genommen, sich hiedurch aber verdächtig gemacht. Nun wurden über-
spannte Forderungen an ihn laut, wie die, alle jene auszuliefern, die ihm
als Ketzer bezeichnet würden. Selbst der Papst, an den er sich mit seinen
Klagen wandte, fand die Forderungen unbillig, tat aber dem Vorgehen
seiner Werkzeuge nicht nur nicht Einhalt, sondern überliefs ihnen die Ent-
scheidung. Raimund wurde schliefslich aufs neue gebannt (1210) und
sein Land in mehrjährigem, grauenvollem Kampfe verwüstet. Aufser-
stande, sich gegen Montfort zu halten, rief er seinen Schwager Pedro IL
von Aragonien zu Hilfe. Vergebens mahnte dieser die auf der Synode
zu Lavaur (1213, Januar) versammelten Erzbischöfe und Bischöfe, dahin
zu wirken, dafs die den Grafen von Toulouse, Foix, Bearn und Coim
minges entrissenen Güter wieder zurückgestellt würden, und der Papst,
an den er sich klagend gewandt hatte und der an dem fahrigen Wesen
Montforts wenig Gefallen hatte, forderte diesen auf, als Graf von Beziers
und Carcassonne seine Lehenspflichten gegen Aragonien zu erfüllen und
die den Grafen von Bearn, Comminges und Foix zugefügten Unbilden
wieder gut zu machen,1) aber die Synode wufste den Papst umzu-
stimmen, so dafs er den König vor einer Unterstützung der »Häretiker«
warnte.2) Pedro IL griff nun selbst zu den Waffen, wurde jedoch in der
Schlacht von Muret (1213, 12. .September) geschlagen und getötet.
Dieser Sieg war entscheidend ; da Peters Nachfolger noch ein Kind war,
konnte die Grafschaft Toulouse um so leichter in fremde Hände ge-
langen. Die Synode von Montpellier erklärte (l^lö, Januar) Raimund
seines Landes verlustig und wählte an seiner Statt Simon von Montfort.
Raimund hatte bisher vergebens bei Philipp IL August Hilfe gesucht.
Nun ging er mit seinem Sohne nach England. Seine Gebiete fielen
dem Sieger zu, und das grofse Laterankonzil gab 1215 hiezu die Be-
stätigung. Dem Grafen wurde ein spärliches Jahresgeld ausgeworfen,
sein Sohn Raimund VII. mit einem kleinen Teil der Grafschaft Tou-
louse und einigen Besitzungen in der Provence abgefunden. Unter
Honorius III. erhielt auch der Graf von Foix und wohl auch der von
Comminges seinen Besitz zurück. Mit den auf dem Laterankonzil ge-
troffenen Verfügungen war aber der Albigenserkrieg noch nicht be-
endet. Als Raimund VI. und sein Sohn in der Provence erschienen,
fanden sie grofsen Zulauf und wurden zu einem neuen Versuche, auch
ihr übriges Erbgut den verhafsten Fremdlingen zu entreifsen, mehr ge-
zwungen als ermuntert. Es kam zu neuen Kämpfen ; doch handelt es
sich jetzt nicht mehr um den Glauben, sondern um die Interessen der
Häuser Montfort und Toulouse. Simon fiel bei der Belagerung von
J) Potthast, Regg. 4647, 4657.
*) 4741.
4*
52 Ludwig Vm. Austilgung der Albigenser.
Toulouse von einem Schleuderst ein getroffen (1218, 25. Juni). Von seinen
vier Söhnen erhielt Amalrich den französischen Besitz, ein jüngerer, nach
dem Vater genannter Sohn, die Grafschaft Leicester. Weniger zurück-
haltend als Philipp IL August hatte sich der französische Kronprinz
Ludwig in der Teilnahme am Kampf gegen die Ketzer erwiesen. Schon
1215 hatte er infolge eines Gelübdes eine Kreuzfahrt unternommen. Als
nun Amalrich sich zu schwach erwies, um sich gegen seine Gegner zu
behaupten, forderte Honorius III. den König Philipp auf, ihm beizu-
stehen. Dieser hielt sich auch diesmal fern, gestattete aber seinem Sohn
eine zweite Kreuzfahrt nach dem Süden, wo es zu neuerlichen Schläch-
tereien kam. Man tötete, sagt Wilhelm von Bretagne da, wo er von
dem Blutbad von Marmande spricht, alle Bürger mit ihren Frauen und
Kindern, alle Einwohner bis zur Zahl von 5000. 1219 kehrte Ludwig
nach Frankreich zurück. Raimund VI. behauptete sich bis zu seinem
Tod (1222) im Besitz seines Landes. Seinen Sohn Raimund VII. umgab
nicht einmal der Schein eines Ketzers. Nichtsdestoweniger wurde gegen
ihn weiter gekämpft. Noch am 1. Februar 1222 forderte Honorius III.
den König zu kräftiger Teilnahme auf, da die Sache des Glaubens im
Lande der Albigenser schlecht stehe. Wenige Monate später bot er
ihm die Besitznahme der Grafschaft in förmlicher Weise an1); auch
Amalrich war bereit, seinen Besitz gegen eine Entschädigung an die
Krone abzutreten.2) Aber Philipp IL August starb bereits am 14. Juli
1223.3) Erst Ludwig VIII. (1223—1226) ging auf die Anträge Amal-
richs ein (1224) und begann den Kampf gegen Raimund VII. Drei
Jahre lang leistete dieser einen erfolgreichen Widerstand. Nach dem
Tode Ludwigs VIII. (1226) führten dessen Feldherren den Krieg
weiter, bis völlige Erschöpfung Raimund VII. zwang, die Waffen nieder-
zulegen. Er trat nun den gröfsten Teil seines Besitzes an die Krone
ab (1229); der Rest wurde ihm unter der Bedingung gelassen, dafs
seine männlichen Blutsverwandten von jedem Erbrecht ausgeschlossen
sein und das Erbe an die Tochter fallen solle, die er mit dem Bruder
des Königs vermählen würde. Besondere Artikel setzten die Austilgung
der Ketzerei fest. Raimund VII. mufste sich schliefslich noch einer
demütigenden Kirchenstrafe unterziehen und die Ketzerei abschwören.
Erst dann wurde er vom Kirchenbanne gelöst.
§ 12. Die Staaten der Pyrcnäischen Halbinsel im Zeitalter Innozenz' III.
Quellen. Sammlungen bei Potthast I, S. XXIV, XXIX. Zur Bibliographie
Ticknor, Gesch. d. schönen Lit. in Spanien. Deutsch v. Julius, X. A. Leipz. 1867
(s. d. Bemerkung von R. Beer, Span. Lit. -Gesch. Leipz. 1903 S. 142). Gröber, Grund-
rifs der Rom. Philologie LT, Strafsburg 1897. Für die einzelnen Länder : E Schmidt,
Gesch. Aragoniens im MA. Leipz. 1828 S. 470— 479. Alf r. Morel Fatio, Katal.
Literatur in Gröber LT, 2, 70 ff. De Monde jar, Noticia y judicio de los mas princi-
palea historiadores de Espafia. Madrid 1784 (Struve. Bibl. histor. VI, 1). Clave de la
' ») Regg. 6779.
8) 6828.
3) S. die Charakterzeichnung Philipps auf Grund der zeitgenössischen Quellen
bei Luchaire, p. 279 ff.
Die pyrenäischen Staaten und das Papst [um. 53
Espafia sagrada, Index zu dem berühmten Werk in Colecciön de los Doc. ined. XXII.
B a i s t , Die span. Literatur, Gröber II, 2, 383 ff. Schmauss, Verzeichnis derer Skri-
benten etc. in seinem »Der neueste Staat von Portugal <. Halle 1714 (s. auch Baxmann
HZ. IX, 105). Carolina Michaelis u. Theophilo Braga, Gesch. d. port. Lit. in Gröber s
Grundrifs II, 2, 129 ff. Für Spanien s. auch d. bibliograph. Anhang in Beers Span.
Lit.-Gesch. S. 141. Für die arabischen Quellen: F. Wüstenfeld, Die Geschicht-
schreiber der Araber und ihre Werke, XXVIII. u. XXIX. Bd. der Abh. der Kgl. Gesell-
schaft der Wissenschaften in Göttingen (auch separat ebenda 1882). Dozy, Recherches
sur l'hist. et la litterature d'Espagne, 3. Aufl. Leiden 1882. Urkk., Akten u. Kor-
respondenzen. Für Span. s. die Sammlung: Colecciön de doc. ineditos. Für die
ersten 30 Bde. den Index in Bd. XXX. Üb. d. Samml. Hist. Z 67, 554. Für die kirchl.
Verhältnisse aller Länder: Aguirre, Collectio conciliorum Hispaniae. Rom 1693.
Mansi, Coli. Concil. XIX, XX. Raynaldi Ann. Eccl. Potthast, Regg. pontiff.
Castilien: Colecciön de Cedulas, Cartas, Patentes. 6 Bde. Madr. 1829 — 1835. Fuero
Juzgo (Forum iudicum). Madr. 1815 Espejo de todos los derechos (Spiegel aller Rechte
1255 abgef.) u. Las Siete Partidas (die sieben Abteilungen) in Opusculos legales del
Rey Alfonso el Sabio p.p. la R. Acad. Madr. 1836. Aragonien: s. Schmidt wie
oben. Daraus besonders : Fueros y observancias des las costumbres escriptas del reyno
de Aragon 1576. S. auch Gröber II, 2, 102 u. Cadier, Les archives d' Aragon et
de Navarre BECh. XLIX. Portugal: Santarem,- Corpo dipl. 1846 ff. Quadro elementar das
relacöes politicas e diplomaticas. Paris 1842, fortges. n. Rebello da Silva. — Ordenacoens
do Senhor Rey D. Affonso V. 5 Bde. Coimbra 1786. Libro Vermelho do Senh. rey D-
Affonso V. Colleccaö de livros ineVl. IH (enthält Briefe, Urkk , Ordnungen, Foros etc.).
Fragmentos de legisl. escritos no livro chamado antigo das posses da casa da suppli-
cacaö ib. 543 — 666. Foros antigos dos concelhos de Graväo, Guarda e Beja etc.
Coli. V, 365. Foros antigos de Santarem ib. 527 — 640 (Foros aus dem 14. Jahrh.). Leges
et Consuetudines, Diplom, et Chartae, Inquisitiones in MM. Portug. hist. vol. 1. fasc. 1 — 6.
Adelsbücher (livros de linhagem) in der Sprache des 13—15 Jahrh. mit offiz. Charakter,
ib. 132—390. S. auch Haebler in einzelnen Bänden d. JBG.
Darstellende Quellen. Die erste Gesamtgeschichte schrieb der Erzbischof
Rodrigo Simonis (Ximenes) von Toledo (f 1247) : Chronica Hispaniae . . libri IX bis 1243
ed. Bei., Rer. Hisp. SS. I, Nr. 4 (Potth. II, 979). Lucas diaconus, Chronic, mund. bis
1236. Schott, Hisp. illustr. IV, 1 — 117. Ann. Compostellani bis 1249, Florez., Espana
sagrada XXIII. Annales Toledanos ib. bis 1217. Chronic. Burgense bis 1212 ib. Eman.
Cerratensis Chron. Hispanie bis 1282. Esp. sagr. IL Die Epistola ad Innocentium de
clade ap. Tolosam ed. Herold. Basel 1549. Die Quellen zur Gesch. Alfons' des Weisen
s. § 83. — Chronicon Barcinonense bis 1310. Esp. sagr. XXVIH. — breve, d'Achery
Spie. X. Gesta comit. Barcinonensium ed. de Marca, Marc. Hisp. 346. Chronic. Ulianense
ib. 758. Jacme, Crönica o commentari del . . . rey En Jacme etc. Biblioth. Catal.
Barcel. 1879 (s. BECh. XLIX, 61), begonnen vor 1238 (s. Potth. I, 630). Die übrigen
Quellen zur arag. Gesch. s. § 83. — Chronica breve do Archivo National, Port. MM.
hist. SS. I bis 1335. Chronicas breves e Memorias avulsas de S. Cruz ib. 23—32. Livro
da Noa de S. Cruz bis 1406. Sousa Provas I, 375. Cronica da Conquista do Algarve.
Port. MM. SS. I, 415. Chronicon Lamecense ib. I. Chron. Gothorum bis 1222 ib-
Chronic. Conimbric. bis 1364 ib. — Vida de S. Isabel, Mon. Lus. VI, 495. Galväo
Duarte, Chronica de Don Affonso Henriques primeiro rey de Portugal ed. Ferreyra.
Lisb. 1726. Ruy de Pina, Chronica do muito alto e muito esclarecido principe
D. Sancho I, segundo rey de Portugal, ed. Ferreyra. Lisb. 1727. Chronica de Affonso IL . . .
Sancho IL . . . Affonso III. ib. Die übrigen Werke Pinas s. § 83. Arab. Quellen : Ibn
el Chatib s. Wüstenfeld Nr. 439. Makkari ib. Nr. 559.
Hilfsschriften. Mariana, Hist. gen. de Esp. Val. 1785. Ferrera, Allg.
Historie v. Spanien. Deutsch v. Baumgarten. Halle 1755. Lafuente, Historia general
de Espana. tom. IV — IX (bis an den Ausg. d. MA.). St. Hilaire, Hist. d'Espagne.
Paris 1897 — 65. Lembke, Schäfer, Schirrmacher, Gesch. v. Span. (Aus Gesch.
d. eur. Staaten.) Hamb. (Gotha) 1831 — 1893. 6 Bde. bis 1492. D i e r k s , Gesch. Spaniens.
2 Bde. Berl. 1895/6. Burke, A History of Spain from the earliest times to the death
of Ferdinand the Catholic. Lond. 1895/ 2 Bde. (Bd. 1 S. XIV ff. Ang. über die einschl.
54 Päpstliche Einflüsse auf die pyrenäischen Staaten.
Literatur). AI ta m i r a y Orevea, Historia de Espana y de la eivilizaciön espafiola .
Barcel. 1900 — 1902. Hume, The Spanish People, their Origin, Growth and Influence.
Lond. 1901. Ortega, Compendio de bist, de Esp. torn. 1, 2. Yallad. 1889. Colmeiro,
Reyes christianos desde Alfonso VI. basta Alfonso XI. in Castilla, Aragon, Nävarra y
Portugal I. Madr 1891. Aschbach3 Gesch. Spaniens u. Portugals zur Zeit d Herr-
schaft d. Alrnoraviden u. Almohaden. 2 Bde. Frkft. 1833 — 37. Codera, Decadeneia
y desaparicion de los Almoravides en Espana. Zaragoza 1899. Brauchbar ist auch
noch Schlosser: Weltgesch. in zusammenhängender Erzählung IV, 2 Die allg.
Gesch. d. MA. von Rehin u. Assmann. Für die kirchl. Verhältnisse: Garns,
Kirchengesch. v Spanien. III. Regensb. 1862. Einzelne Länder: Zurita, Anales
de la Corona de Aragon. Sarag. 1562. Schmidt wie oben. G. G. Gervinus, Versuch
einer inneren Gesch. Aragoniens. Hist. Sehr. Frkft. 1853. Bofarull y Broca, Hist.
crit civ. et eccl. de Catal. Bare. 1876 — 78. Balaguer, Hist. de Cataluna. Madr. 189/). —
Instituciones y reyes de Aragon. Madrid 1895. Tourtoulon, Jacme I, le Conquerant,
roi d' Aragon. 1863 — 67. — Sousa, Hist. gen. da casa real Portugueza. Liss. 1735 — 47.
Dazu die Provas Lisb. 1739—48. Herculano, Hist. d. Port. Lisb. 1846. Schäfer,
Gesch. v. Portugal. Bd. 1 u. 2. Hainb. 1836 — 39. P. de Gayangos, The history of
the Mohammedan dynasti.es in Spain. Bd. 1840—43. D. Müller, Der Islam im Morgen-
u. Abendland, n Bd. Berl. 1887. Conde, Hist. de la domin. de los Arabes en Espana.
t. II u. IH. (S. aber Müller II, 433. Lafuente, Hist. de Granada 1846.
1. Nachhaltiger und vor allem viel früher als in den übrigen
Staaten des Westens machte sich der päpstliche Einflufs in den christ-
lichen Staaten der Pyrenäischen Halbinsel geltend. Zu den ersten Ver-
suchen der Kurie, den Sonderrechten der spanischen Kirche ein Ende
zu machen, kamen seit Gregor VII. die allgemeinen Ansprüche des
Papsttums hinzu, die auf die Beeinflussung der einzelnen. Staaten auch
in rein weltlichen Fragen abzielten. Die seit den Kreuzzügen mit
gesteigerter Kraft geführten Glaubenskriege erhielten auch in Spanien
vom Papsttum die mächtigste Anregung, und mit den kriegerischen
Erfolgen steigerte sich dessen Ansehen in allen christlichen Staaten der
Halbinsel. Schon Papst Alexander IL hatte einen Legaten nach Ara-
gonien gesandt, um an Stelle der gotischen die römische Liturgie ein-
zuführen1); König Sancho Ramirez verpflichtete sich, dem päpstlichen
Stuhl alljährlich 500 Goldstücke zu zahlen, und Gregor VII. erklärte
dieses Geschenk bereits als einen Tribut und sah Aragonien als zins-
pflichtiges Land an. 2) Schon nahmen die Legaten das Recht in Anspruch,
Konzilien — zugleich die Reichstage — zu berufen, Bischöfe einzusetzen,
und dehnen ihren Einflufs selbst auf die unter arabischer Herrschaft
stehenden (mozarabischen) Christen aus. Die Nachfolger Gregors VII.
schritten auf diesen Bahnen weiter. In Katalonien, Aragonien und
Navarra wurde die römische Liturgie eingeführt; nur in Kastilien hielten
Klerus und Volk an der gotischen fest. In Portugal hatte schon der
Begründer des Reiches die päpstliche Oberhoheit und die Verpflichtung
eines Lehenszinses anerkannt und hiefür von Alexander III. die Be-
stätigung seiner königlichen Würde erhalten. Viel stärker machte sich
der päpstliche Einflufs unter Innozenz III. geltend. Alfonsos Sohn,
*) Hefele IV, 883 und Jaffe, 2. Aufl., Xr. 4691 : Hugonem Candidum . . in partes
illas misimus, qui . . . confusos ritus . . reformavit . . . : tributum unius unciae auri
Lateranensi palatio quotannis persolvatur.
2) »Regnum Hispaniae ex antiquis constitutionibus beato Petro et sanete Romanae
ecclesiae in ius et proprietatem esse traditum. ib. 5041.
Innozenz. III. and der Kampf gegen die Alrnohoden. 55
Sancho I. (1185 — 1211), erkannte, wenngleich nach einigem Zögern,
seines Reiches Zinspflicht1) dem Papste gegenüber an. Der König von
Aragonien, Pedro IL (1196—1213), schlofs sich, um die Anmafsung
seiner Grofsen, die das Wahlrecht beanspruchten, und die Ansprüche
Kastiliens auf die Lehenshoheit über Aragonien abzuwehren, ganz an
Innozenz III. an und liefs sich von ihm (1204, 11. November) in Rom
zum Könige krönen. Demütig legte er seine Krone am Grabe der
Apostel nieder und verpflichtete sich zu einem jährlichen Zins. Zwar
lehnten sich die Grofsen dagegen auf und sprachen dem König das
Verfügungsrecht über die Krone ab; aber dieser Protest verhallte
wirkungslos, denn mehr als früher machte die politische Lage den christ-
lichen Staaten der Halbinsel den engsten Anschlufs an das Papsttum
zur Pflicht. Nach der Niederlage, die Jacub Almansor (1194 — 1199)
dem Könige Alfonso VIII. von Kastilien (1188— 1214) bei Alarcos
(1195) beigebracht hatte, schien der Untergang der christlichen Staaten
der Halbinsel besiegelt zu sein: Kastilien war von Leon und Navarra
mit Krieg überzogen, Aragonien durch inneren Zwist zerrüttet und
Portugal allein aufser stände, dem Andrang der Almohaden zu wider-
stehen. Kam es doch so weit, dafs sich Leon mit ihnen verbündete.
Zum Glück für die Christen hatte Almansors Sohn, Mohammed en Nasir,
weder die militärischen noch auch die diplomatischen Talente seines
Vaters geerbt. Nachdem er einen Aufstand der Almoraviden im nörd-
lichen Afrika niedergeschlagen und dem Rest ihrer Herrschaft auf den
Balearen ein Ende gemacht hatte (1208), wandte er sich nach Kastilien,
wo Alfonso auf Betreiben des Papstes den Kampf bereits begonnen
hatte. Mit ungeheuren Heeresmassen — man schätzte sie auf eine halbe
Million — zog er heran. Der kräftige Widerstand der Bergfeste
Salvatierra, vor welcher der Aimohade drei kostbare Monate verlor,
rettete das christliche Spanien. Um seine Verluste zu ersetzen, zog sich
der Sultan nach Sevilla zurück und liefs seinen Gegnern Zeit, ihre
Rüstungen zu vollenden. Ihre Führung übernahm Alfonso VIII. , aber
die Seele der ganzen Bewegung auf christlicher Seite war Innozenz HL,
denn er wirkte mit solchem Eifer für die Kreuzfahrt, dafs an 70000
Streiter aus den christlichen Ländern nach Spanien gingen. Die Könige
von Kastilien und Aragonien beteiligten sich persönlich, die von Portugal
und Leon waren durch Prinzen ihres Hauses vertreten, der König von
Navarra wurde erwartet. Die aus dem Abendland einfliefsenden Summen
setzten Alfonso in die Lage, einen Sold zu zahlen. In Rom ordnete
Innozenz III. Bufsgebete an und hielt selbst die Kreuzpredigt, Nachdem
die Kreuzfahrer Calatrava gewonnen, zog ein Teil heimwärts, die übrigen
eroberten, verstärkt durch die Kriegsscharen Navarras, Alarcos und
zogen dann über den Pafs Muradal am Nordabhang der Sierra Morena
weiter. Ein Bauer führte das Heer auf schmalem Pfade zu einem
erwünschten Kampfplatz. Am 16. Juli 1212 kam es bei Navas de
T o 1 o s a zur Schlacht, die durch die klugen Mafsnahmen König Pedros II
*) Quod est Romanae ecclesiae censuale. Potth. Nr. 447.
56 Navas de Tolosa. Kastilien Vormacht der pyrenäischen Staaten.
von Aragonien und die Ausdauer der spanischen Ritterschaft für die
Christen gewonnen wurde. l) Die Verluste der Mauren auf der Flucht
waren noch gröfser als während der Schlacht. Der älteste Sohn Nasirs
fiel. Die Beute der Sieger war eine aufserordentliche. Das seidene
Zelt und die golddurchwirkte Fahne Nasirs schickte Alfonso VIII. an
den Papst, der sie in der Peterskirche ausstellte. Die Almohaden haben
sich von dieser Niederlage nicht wieder erholt; der Sieg des Kreuzes
über den Halbmond war hier entschieden, und so bildet Navas de Tolosa
ein Gegenstück zu Xeres de la Frontera. Das Reich der Almohaden löste
sich in den nächsten Jahrzehnten auf. Kleinere Reiche entstanden,
von denen keines dem Andringen der Christen gewachsen war.
2. Bei dem Verdienst des Papsttums um die Abwehr der Araber
steigerte sich der Einnufs der Kurie auf alle Verhältnisse der Halbinsel
auf das höchste. Von den Fürsten, die am Kampfe beteiligt gewesen,
fiel Pedro IL bei Muret (§ 11). Sein Sohn Jayme IL (1213 — 1276)
eroberte im Kampfe gegen die Mauren (1224 — 1233) die Balearen und
mit Hilfe französischer und englischer Kreuzfahrer Valencia (1238), auf
dessen Gebiet Katalanen angesiedelt wurden. Mit der Eroberung von
Xativa (1244) waren die Erwerbungen Aragoniens nach dieser Seite
hin abgeschlossen. Wie von Pedro IL, nahm Rom auch von Jayme
den Tribut in Anspruch ; doch folgte dieser mehr den eigenen als den
Plänen der Päpste. Bedeutend als Eroberer, gröfser als Gesetzgeber2),
verfuhr er gegen die Unterworfenen, deren Glauben und Satzungen er
unangetastet liefs, mit Milde.
3. In Kastilien war auf den Sieger von Navas de Tolosa sein
Sohn Heinrich I. (1214 — 1217) gefolgt. Nach dessen frühem Tode ge-
langte der Sohn seiner Schwester Berengaria, die mit Alfonso TX. von
Leon vermählt war, Fernando III. (1217 — 1252), der Gemahl Beatricens,
der jüngsten Tochter König Philipps von Schwaben, zur Regierung.
Honorius III. erkannte Fernando nicht blofs als König von Kastilien,
sondern auch (1218) als rechtmäfsigen Nachfolger im Königreiche Leon
an3): die Vereinigung beider Länder wurde 1230 nach Alfons IX. Tode
vollzogen. Mit Kastilien waren nunmehr Leon, Asturien, Galizien und
das den Arabern abgenommene Estremadura vereinigt; es war somit
der mächtigste unter den christlichen Staaten der Halbinsel geworden.
Die Kämpfe gegen die Araber wurden eifrig weiter geführt; dem grofsen
Sieg des von Dichtung und Sage gefeierten kastilischen Helden Alvaro
Perez de Castro bei Jerez (1231) über Ibn Hud, der sich gegen die im
arabischen Spanien verhafsten Almohaden erhoben hatte, folgte fünf
Jahre später die Eroberung des reichen Cördova, das seit 520 Jahren
Hauptplatz des islamitischen Spanien gewesen, und 12 Jahre später die
von Sevilla. 300000 Moslemen verliefsen die Stadt, die meisten zogen
nach Granada. Das ganze Mündungsgebiet des Guadalquivir fiel Kastilien
x) Köhler, Kriegsw. HI, 276.
2) Näheres wird eine andere Abteil, dieses Werkes bringen.
3, Potth., Uegg. 5866.
Portugal uikI das Papsttum. 57
zu. Die Araber behaupteten sich unter der Herrschaft der Benu 1' Achmer,
d. h. der Söhne des Roten oder Nasriden, nur noch im Gebirgslande
der Sierra Nevada, im Reiche Granada, doch auch hier nur noch als
Vasallen des kastilischen Reiches. Schon dachte Fernando III. daran,
nach Marokko zu ziehen, wohin ihn Hilferufe dort angesiedelter Kastilier
riefen; aller Voraussicht nach waren damit die Tage des Islam in
Spanien gezählt; ehe der König sein Unternehmen aber noch ins Werk
setzen konnte , starb er (1252). Seine Frömmigkeit verschaffte ihm
schon zu Lebzeiten den Beinamen des Heiligen.
4. In Portugal hatte König San cho I. (1185 — 1211) die Anwesen-
heit einer Kreuzfahrerrlotte in Lissabon benützt, um das feste Silves in
Algarve zu erobern (1189). Er nannte sich nun bis zum Verluste dieser
Stadt König von Portugal und Algarvien. Ein warmer Freund des
Bauernstandes (el Lavrador), sorgte er für die Kolonisierung verödeter
Landstriche, die Zuwanderung (el Poblador) in die verfallenen Städte
und Flecken, denen er Rechte und Freiheiten verlieh. Nur mit Wider-
streben ertrug er die Zinspflichtigkeit Portugals an den päpstlichen
Stuhl, und ein Streit mit den Bischöfen von Coimbra und Porto hatte
das Einschreiten und schliefslich den Bannfluch Innozenz' III. zur Folge.
Erst auf dem Totenbett versöhnte er sich mit der Kirche. Auch seinen
Sohn Alfons IL (1211—1223) und Enkel Sancho IL (1223—1245)
brachten die Ansprüche der portugiesischen Geistlichkeit in mehrfache
Konflikte mit dem Papsttum. Sancho wurde infolgedessen auf der
Kirchenversammlung zu Lyon abgesetzt. Sein Bruder Alfonso III.
(1248 — 1279) dehnte in glücklichen Kämpfen das Reichsgebiet über
ganz Algarvien aus. Wiewohl Alfonso durch den Papst auf den Thron
gelangt war, geriet er in einen Streit mit der Kurie, als sich die höhere
Geistlichkeit des Landes über seine Eingriffe in ihre Vorrechte und ihr
Eigentum beklagte. Da er die Abstellung ihrer Beschwerden fort-
während hinauszog, traf ihn der Bannstrahl des Papstes. Erst auf dem
Totenbett vollzog auch er seine Aussöhnung mit der Kirche.
§ 13. Innozenz III. und die germanischen Staaten im Norden Europas.
Erhebung- Dänemarks zur Grofsniacht und ihr Sturz.
Quellen. Sammlungen der SS. bei Potthast. I. Bd. S. XII u. XXXI. Urkk.
1. Dänemark: Regg. diplom. hist. Dan. 1847. Bd. I, S. 55 (822—1536). Repertorium
diplom. regni Dan. mediaev. I. Kop. 1894/95, reicht bis 1350. Materialien auch in
Langebeck, SS. rer. Danicarum. tom. III ff. (Daraus der Liber census Daniae tem-
pore . . Waidemari II. et Christophori I. (1231—54) confectus. Langeb. VII, 517—1553.)
Diplomata ad monasterium Loci Dei pertinentia 1173 — 1578 ib. VIII, 1 — 258). Nor-
wegen u. Island. Diplom atarium Norwegicum edd. Lange, Unger, Hritfeld. 10 Bde.
Christ. 1849. Regg. Xorw. ed. Storni 1898. Diplomatar. Islandicum (reicht bis 1264).
Kopenh. 1857 — 76. Schweden: Diplomatarium Suecanum edd. Liljegren. B. E. Hilde-
brand, E. Hildebrand och Silverstolpe. 9 Bde. Stockh. 1829—1890. Sveriges traktater
med främmande makter ed. Rydberg I u. II. Der zweite Teil reicht bereits ins
15. Jahrh.
Darstellende Quellen. Dänemark (s. Usinger, Die dänischen Annalen
u. Chroniken d. MA. Hann. 1861. D. Schäfer, Dänische Annalen u. Chroniken v.
d. Mitte d. XIII.— XV. Jahrh. Hann. 1872. Die übrige Lit. s. bei Potth. S. XIII). Ein
58 Das Papsttum und die germanischen Staaten des Nordens.
vollst. Verzeichnis s. bei Potthast II, 1724 — 1726 Die Menge der Annalen u. Chroniken
steht zu ihrer Bedeutung in keinem Verhältnis. Die bedeutenderen sind: Ano-
nymi Roskildensis Chronicon Danicum bis 1157 bezw. 1202. Langet). I, 373 MM. G.
SS. XXIX . Aggeson Sueno, Compendiosa reg. Dan. bist, bis 1187 ibid. Hist. de pro!
Dan. in Terram Sanctam auet. mon. Borglumensi 1189 — 1193. Langeb. Y, 342 — 62.
Die verschiedenen Series und Genealogiae, ib. 20 — 34 u. II, 154 11. — Ann. Walde-
mariani (bis 1219) = Chron. Danicum. Langeb IH, 260 — 5. Ann. Lundenses (Esromenses)
bis 1307, ib. I, 214—50. Die einzige Weltebronik aus der Zeit des MA. in Dänem.
Ann. Xestvedenses maiores (bis 1300 , minores bis 1228). Langeb. I, 368—74, IV,
286 — 89. Ann. Ryenses bis 1288, eines der ältesten Denkmäler der dän. Geschichte.
Langeb. I, 149 — 70. Chronicon Sialandiae bis 1282, ib. II, 604 — 24. Chron. Danicum
bis 1286. ib. 434 — 38. Ann. Essenbecenses bis 1323, ib. 520 — 29. Ann. Colbaziense>.
bis 1578. MM. Germ. SS. XXIX, 711 — 719. (In diesem Band reiche Auszüge aus den
nordischen Quellen überhaupt.) Ann. Sorani bis 1347. Langeb. V, 456. Ann. Dano-
Suecani bis 1263, ib. II, 166. Ann. Sigtunenses bis 1288. Fant. SS. rer. Suec. ILT, 1 — 7.
Petrus de Dacia, Calendarium. Langeb. VI, 261 — 5. Tabula Ringstadiensis bis 1341,
ib. IV, 278 — 81. Planctus de captiv. regum Danor. (Wald. IE et III) ed. Holder-F
MM. G. SS. XXIX, 267. Für einzelnes auch hier noch: Knytlinga Saga bis 1187.
MM. G. SS. XXIX Von Kirchen- u. Klostergesch. (zum Teil schon der nächsten Periode
angehörig] : Fundat. rnon. Gutholm. Langeb. V, 380. Hist. mon.. Carae Insulae, ib.
235—300. Hist. Frat. Praed. in Dania (ihr Einzug in Dänemark) 1216—1246, ib. 500.
Xarratio litis inter Christoph, et Jacobum Erlandi archiep. Lundensem. ib. 582. Die
Lebensbesch. d. Abtes Wilhelm v. Roesküd (t 1202), ib. V, 461-495. (Die Briefe
Wilhelms VI, 1 — 79). Von deutschen Quellen (Saxo Grammaticus reicht nur bis 1185
und Helmold bis 1172) sind von Wichtigkeit: Arnoldus Lubecensis Chron. Slav. bis 1209.
MM. G. SS. XXI, 115-225 u. Alberti Stadensis Chron. bis 1256, ib. XVI, 283-378.
Norwegen u. Island. Catal. regum Xorweg. Altnord. Text mit lat. Übers,
v. Storni. MM. Hist. Xorw. 1880, S. 183. Snorre Sturleson, Heimskringla. Ausgaben
s. bei Potth. II, 1024. Ausz. in MM. Germ. Hist. SS. XXIX, 333-349. Sie reicht bis
zum Tode Magnus Erlingson (t 1177; u. wurde durch den Abt Karl von Thingeyri
fortgesetzt. Nach Storni, Mogk u. a. ist sie ganz von Snorri verfafet.) Historia Sverreris
regis 1177 — 1202)) = Sverris saga lat. in Scripta hist. Islandorum VIII. Anecdoton hist.
Sverreris regis illustrans. Christiania 1848. Historiae regum Xorw. 1177 — 1263. MM. G.
SS. XXLX, 407 — 412. Annales Islandici bis 1317 in Storms Islandske Annaler indtil
1578. Christ. 1888 (MM. G. SS. XXIX, 254— 66;. Ann. Reseniani bis 1295, ib. 1—30.
Ann. Islandorum regii bis 1341, ib. 79 — 155. Ann. Isl. vetustissimi bis 1313, ib. 33 — 54.
Henryk Hoyer, Ann. bis 1310 (Hoyer starb 1615; sammelte aber aus alten Handschriften)
Skälholts Annaler bis 1356 ib. Lögmanns annäll bis 1430, ib. 233. Gottskalks Annaler.
bis 1578. Flatobogens Annaler bis 1394, ib. 379. Oddveria Annall bis 1427, ib. 427.
Gesta epp. Island. (= Guctmundar saga u. Hungurvaka) Ausz. in MM. Germ. SS. XXIX.,
413 f. — Sturla Thordsson, Sturlunga saga. Oxf. 1868. Ha^onar saga, Hist. Hakonis,
Sverreris filii lat. in Scripta Hist. Island. LX (s. oben Hist. reg. JNorweg.).
Schweden u. Finuland. Vita et miracula s. Erici SS. rer. Suec. II, 270. Vita
et miracula s. Henrici ep. et martyris, ib. 331. Die Königskataloge s. ebenda I, 2 — 5,
6-22. Die Chronologiae bis 1430 u. 1263, ib-122 — 32 u. 47—50. Diarium Minoritarum
Wisbyensiuni bis 1525. Ausz. ib. 32—39. Chronol. Suecica Wisb. bis 1410, ib. 39 — 47.
Chron. anon. veteris bis 1415, ib. 50—60. Chr. vetusta bis 1430, ib. 61—66. Diarium
richtiger Necrologium) fratr. Minorum Stockholm, bis 1502, ib. 68 — 83. Historia Got-
landiae bis 1320 (altschwedisch). SS. rer. Suecic. III, 9 — 12. Incerti auet. Sueci Chron.
bis 1320, ib. 83 — 88. Vetus chron. Sueciae prosaicum bis 1449, ib. 239 — 54 — rhythmicum
S. 251—62 — maius bis 1452 = Eriks Kronikan bis 1319, ib. I, 2, 4—52. Cont. 53 ff.
Chronica Erici Olai, ib. I, 1 — 166. Von ausw. Quellen kommen Mattb. Paris u. Henr. Lettus
(s. unten) in Betracht. Quellen z. Gesch. Finnlands s. bei Schybergson S. 8.
Hilfsschriften. Dahlmann, Gesch. v. Dänemark I. IT singe r, Deutsch-
dänische Gesch. 1189—1227. Berl. 1863. Schäfer, D. Hansastädte u. K. Waldemar
v. Dänemark. Jena 1879. Steenstrup in Danmarks riges Historie, Kop. 1897 ff.,
behand. d. J. 1241 — 1481. Allen, Gesch. v. Dänem. Leipz. 1867 (popul.). Suhm,
I Dänemark unter Waldemar I. und Knut VI. 59
Historie of Dänemark fra de aeldeste Tider til Aar 1400. Bd. VIII— XIV. Kopenh.
1 782—1828. M unch, Det norske Folks Historie bis 13871 Christ. 1851—63. R. K e y ser,
Norges Historie bis 1340, 1866, bis 1387 fortges. v. Rygh 1870. Faye, Gesch. v. Nor-
wegen. Leipz. 1867 (populär). R. Keyscr, Den norske Kirkes Historie under Katholi-
cismen. Christ. 1864. Munter, Kirchengesch. v. Dänemark u. Norwegen. 1—3. Leipz.
1823 — 33. Ph. Zorn, Staat u. Kirche in Norwegen bis zum Schlafs des XIII. Jahrh.
München 1875. Storni, Smaating fra Sverrcrs saga. Norsk hist. Tidsskrift. 2 S. V. 181.
J. Härtung, Norw. u. d. deutschen Seestädte bis Ende d. 13 Jahrh. Berl. 1877. Rühs,
Gesch. v. Schweden. Halle 1803 — 1815. Geijer, Geschichte von Schweden I, 1832.
Montelius, Sveriges Hednatid samt Medeltid (bis 1350). Stockh. 1877. Strinholm,
Svenska folkets historia bis 1319. 1862. Hildebrand, Sveriges mideltid, Kulturh.
skildring. Stockholm 1877. S c hie mann, Rufsland, Polen u. Li vland. II. Bd. Berl. 1877.
Schybergson, Gesch. Finnlands. Gotha 1896.
1. Für die Entwicklung Dänemarks und Norwegens war die Ver-
bindung mit England unter Knut dem Grofsen von ausschlaggebender
Bedeutung geworden. Mit Eifer wurde seither in beiden Ländern an
der Ausbreitung des Christentums gearbeitet.
8 wen Estrithson (f 1076), der Stifter des Hauses der Estrithiden, war dessen
eifriger Förderer. Während des Investiturstreites wurde Dänemark aus der kirchlichen
Abhängigkeit von Hamburg - Bremen gelöst und das Erzbistum Lund als Metropole
für die nordischen Reiche errichtet (1104). König Waldemar I. (1157 — 1182) war
unter den dänischen Königen der erste, an dem der Erzbischof von Lund Salbung
und Krönung vollzog.
Wohl bestätigte Kaiser Friedrich I. die alten Rechte Bremens,
aber dies blieb für die Befugnisse des nordischen Erzbistums ohne
Folgen. So grofs Waidemars Macht auch war, er säumte nicht, dem
Kaiser zu huldigen. Im übrigen errang er grofse Erfolge gegen die
Wenden in Pommern und auf Rügen. Mit Heinrich dem Löwen und
Albrecht dem Bären verbündet, unternahm er eine Reihe (gegen 20)
Feldzüge wider sie und zerstörte Arcon auf Rügen mit dem Heiligtum
ihres Gottes Swantewit. Hiebei stand ihm der Erzbischof Axel (Absolon),
einst sein Milchbruder, nun Freund und erster Berater, ein bedeutender
Staatsmann und, wenn es not tat, auch Kriegsmann, zur Seite. Wenn
es auch nur Sage ist, dafs Danzigs Gründung auf Waldemar zurück-
führt, als sicher gilt, dafs Axel zuerst das Städtchen Havn mit Befesti-
gungen versah. Wegen der Kaufmanns- und Fischerbuden, die zu
gewissen Zeiten hier aufgestellt waren, erhielt es den Namen Kopen-
hafen d. i. Kaufmannshafen. Gegen die Nachfolge Knuts VI. (1182
bis 1202), erhoben sich anfangs die Bauern auf Jütland und Schonen,
die von einem ihr Wahlrecht mifsachtenden Erbrecht der Krone nichts
wissen wollten, für den Prinzen Harald, doch gelang es Knut mit Hilfe
der gröfseren Grundbesitzer, die Krone zu behaupten. Jetzt tritt eine
Scheidung der Stände ein* »der deutsch gekleidete Adel und die hohe
römisch angetane Geistlichkeit mafsten sich das Recht an, auf Land-
und Reichstagen, die ursprünglich Volkversammlungen waren, allein zu
entscheiden, und drückten das Volk nieder, das nun aus einem Ganzen
ein Teil geworden war und durch die Zersplitterung in Bauern und die
neuaufgekommenen Städter litt.«1) Aus dem Streit zwischen Staufern
!) Dahlmann, 325 f.
60 Waldemar n.
und Weifen zog Knut seinen Vorteil; ja er wurde in gewissem Sinne
Erbe der Macht Heinrichs des Löwen, dessen Tochter Richenza seine
Gemahlin war. Dem Kaiser verweigerte er die Huldigung, und als
dieser den Pommernherzog Bogislaw zu einem Kriegszug gegen ihn
reizte, machte er Pommern zinspflichtig (1185). Zwei Jahre später
wurde auch Mecklenburg dänisches Lehen. Markgraf Otto IL von
Brandenburg, der wegen des Besitzes slawischer Landschaften mit den
Dänen in Streit geraten war, hatte ein dänisches Heer (1198) an der
Mündung der Oder geschlagen und im Bund mit dem Grafen Adolf III.
von Holstein »Slawien« verwüstet; als dieser aber den Kampf allein
fortzuführen versuchte, wurde er in zwei Schlachten besiegt und gefangen.
Hamburg und Lübeck kamen in die Hände der Dänen. In Lübeck
empfing er 1202 die Huldigung. Die Seele der dänischen Politik war
Axel und die Macht Dänemarks in raschem Aufschwung begriffen. In
denselben Bahnen schritt Knuts Bruder Waldemar IL, der Siegreiche
(1202 — 1241), weiter. Vom Erzbischof von Lund gekrönt, empfing er in
Lübeck die Huldigung als » König der Slawen und Wenden und Herr
von Nordalbingien.« Den Grafen Adolf III. nötigte er, auf sein Land
zu verzichten, und gab es seinem Schwestersohn Albrecht von Orlamünde
zu Lehen. Noch in demselben Jahre machte er Norwegen tributpflichtig.
Im Bund mit den Weifen zwang er die Grafen von Schwerin, die sich
seiner Macht entgegenstellten, zur Lehenspflicht. Das gute Einvernehmen
mit dem Papste störte auch ein Streit mit dem Bistum Schleswig nicht,
den er schon als Erbe von seinem Bruder überkommen hatte. Im
übrigen teilte auch Waldemar das Los der meisten Könige seiner Zeit,
indem er gleich diesen des Papstes Lehensmann wurde.1) Dafür durfte
er auf dessen Unterstützung bei seinen Unternehmungen gegen Livland
und Esthland rechnen. — Schon seit langer Zeit bestanden rege Handels-
beziehungen zwischen Lübeck und den Küstenländern an der Ostsee.
Lübecksche und andere deutsche Kaufleute hatten um 1163 die erste
deutsche Stadtgemeinde zu Wisby auf Gothland gegründet. Von dort
wurden Handelsfahrten nach Livland an die Mündung der Düna unter-
nommen, wohin die Skandinavier längst einen schwunghaften Handel
betrieben. Nun traten Deutsche in den Wettbewerb ein, und es begann
unter lebhafter Teilnahme deutscher Klöster die Besiedlung des Landes.
Ein Augustiner, Meinhard von Segeberg, baute bei dem Dorfe Uexküll
die erste Kirche und nach ihrer Zerstörung das erste Kastell (1185).
Im folgenden Jahre wurde er Bischof des Landes. Sein Nachfolger fiel
im Kampfe gegen die Heiden. Die Kolonie schien verloren. Da trat
Albert, bisher Domherr zu Bremen, ein Staatsmann von ungewöhn-
licher Begabung, als Bischof an ihre Spitze. Mit 23 Schiffen fuhr er
(1200) dünaaufwärts und gründete (1201) Riga. Innozenz IH. nahm sich
der jungen Gründung lebhaft an, und bald strömten Kreuzfahrer und
Ansiedler ins Land. Da man. um Livland zu erobern, eines stehenden
x) Inn. Epp. CLY, 1209, VIII. Id. Nov. : »ut censum Romanae ecchsiae per regna
Daciae (Daniae) fideliter colligas et reserves.
und die Grofsmachtstellung Dänemarks. (Jl
Heeres bedurfte, stiftete Albert nach dem Muster der Templer den
Schwertorden, der aber in weltlichen und geistlichen Dingen dem Bischof
unterstellt wurde. Die Schwertritter trugen als Abzeichen ein Schwert
auf dem Mantel. Schon 1207 erhielt Albert Livland vom König Philipp
als Lehen. Nachdem noch ein Teil der Letten und Wenden unter-
worfen worden war, war der Bestand der Kolonie gesichert. Um das
Verhältnis des neuen Bistums Riga zu Bremen einerseits , das des
Bischofs zu den Schwertrittern anderseits zu ordnen, setzte Innozenz III.
die Unabhängigkeit der livländischen Kirche von Bremen fest, bestimmte
aber gleichzeitig, dafs ihre Rechte über Liv- und Lettland nicht hinaus-
reichen und die Ritter gegen die Pflicht des Kampfes wider die Heiden
den dritten Teil des Landes vorn Bischof als Lehen erhalten sollten.
Was sie über Liv- und Lettland hinaus erobern würden, darüber sollte
der römische Stuhl besonders befragt werden. Nun nahmen sie die
Eroberung Estlands, wohin Waldemar schon 1205 eine Kreuzfahrt
unternommen hatte, in Angriff ; bei ihrer Schwäche war ihnen die Hilfe
willkommen, die sie gegen die Zusage, dafs die neuen Eroberungen an
Dänemark fallen sollten, von Waldemar erhielten. Dieser erschien 1219
mit einer starken Flotte, errang an der Stelle, wo er Reval erbaute,
einen blutigen Sieg, an den die Sage vom Danebrog geknüpft ist, der
roten Fahne mit dem weifsen Kreuze, die im Augenblick der Not vom
Himmel fiel, um den Dänen zum Siege voranzuleuchten. Es ist das
Reichspanier Dänemarks, zugleich das Banner von Reval.1) Des neuen
Erwerbes wegen entstand ein Streit zwischen Dänemark und Riga :
Waldemar nahm Estland in Besitz und Livland in Anspruch; 1221
eroberte er Oesel. Dänemarks Herrschaft reichte nun über Mecklenburg,
Pommern, Pommerellen und Preufsen bis nach Estland. Es war eine
Grofsmacht geworden; der König besafs eine Flotte von 14000 Segeln und
vermochte ein starkes Heer aufzustellen.2) Bei der Haltung Friedrichs IL
gegen Dänemark gewann es den Anschein, als sollte sich die junge
Grofsmacht befestigen. Und doch stürzte, was drei kriegerische Könige
erworben hatten, ein unbedeutender Graf. Als nämlich Heinrich von
Schwerin, der mit seinem Bruder Gunzelin 1214 Vasall des Königs
geworden war, vom Kreuzzuge heimkehrte, fand er den Bruder tot und
nicht blofs dessen Land, sondern auch jenes, auf das er selbst Anwart-
schaft hatte, in den Händen des Dänenkönigs. Da er vor diesem kein
Recht fand, nahm er ihn, als er auf der Insel Lyö im Kleinen Belt
jagte, mit seinem Sohne gefangen (1223, 7. Mai) und brachte ihn nach
Dannenberg, dem Schlosse eines seiner Verbündeten. Jetzt zeigte es
sich, dafs Dänemarks Machtstellung mehr auf der Persönlichkeit seines
*) Die Danebrogfahne kommt erst während des Estlandfeldzuges vor (JBG.
IV, II, 322 und XI, III, 182), und zwar nicht als päpstliches Labanim, sondern als
ritterliches Banner. Durch dies Symbol wird dem erwählten König Dänemarks vom
Erzbischof von Lund die höchste Würde übertragen. Danebrog von broge = Tuch,
Fahne der Dänen.
2) Nach einer (freilich nicht einwandfreien) Berechnung belief sich Dänemarks
Bevölkerung damals auf G00 000 — heute auf 340000 — Seelen. JBG. II, 276.
(32 Zusammenbruch der danischen Grorsniachtstellung.
Herrschers als auf der Kraft der Nation beruhe.1) Es erhoben sich alle
von Dänemark unterworfenen oder bedrängten Fürsten, und diesem
Ansturm war es um so weniger gewachsen, als auch Friedrich II. des
Königs Haft benützte, um die an Dänemark verlorenen Reichsteile
zurückzugewinnen und dessen Lehenspflicht wieder herzustellen. Daher
verlangte er die Auslieferung des Gefangenen, wogegen der Papst seine
Freilassung begehrte, weil Waldeniar Kreuzfahrer sei und Dänemark
im Zinsverhältnis zum Papsttum stehe. Im Dannenberger Vertrage
(1224, 4. Juli) verpflichtete sich Waldernar, an den Grafen von Schwerin
40000 Mark Lösegeld zu zahlen und einen Kreuzzug zu unternehmen,
verzichtete auf alle Übereibischen Besitzungen und erkannte die Lehens-
hoheit des Kaisers an. Der dänische Reichsverweser Albrecht von
Orlamünde widersetzte sich zwar der Ausführung des Vertrags, erlitt
aber bei Mölln eine Niederlage (1225, Januar) und wurde selbst gefangen.
Wenn nun auch Dänemark in dem Frieden, der im Dezember zustande
kam, seiner Lehenspflicht gegen das Reich ledig gesprochen wurde,
müfste es doch auf alle Besitzungen zwischen Eider und Elbe, West- und
Ostsee mit Ausnahme von Rügen und Estland verzichten. Waldernar
liefs sich zwar vom Papst von diesen Verpflichtungen entbinden und
suchte mit Hilfe Ottos von Lüneburg seine alte Macht wieder zu ge-
winnen, wurde aber von den wider ihn verbündeten Fürsten bei Böm-
h e v e d geschlagen und verwundet und sein Bundesgenosse Otto gefangen
(1227, 22. Juli). Die Entscheidung hatten die Dietmarschen gegeben,
die der König gezwungen hatte , ins Feld zu ziehen, und die nun zu
seinen Gegnern übertraten. Sie behielten ihre Freiheit. Auch Lübeck
und Hamburg machten sich von der dänischen Herrschaft los, und die
Grafen von Holstein erhielten ihre Besitzungen zurück, mufsten aber
Lauenburg an den Herzog von Sachsen abtreten. So stürzte die
dänische Vormacht im Norden des Reiches zusammen — ein beachtens-
wertes Moment in der dänischen Geschichte; denn jetzt erhielten die
deutschen Städte Raum zu freier Entwicklung. Auch der Erzbischof von
Riga wurde wieder selbständig und gewann selbst einen Teil von Est-
land zurück. Das einzige, was Waldernar IL von den Erfolgen seines
Bruders gerettet hatte, war die Unabhängigkeit Dänemarks. Sein ferneres
Wirken galt der inneren Politik ; das Wesentlichste war, dafs die dem
Königtum entfremdeten Güter eingezogen und ein Gesetzbuch für Jütland
und die Inseln ausgearbeitet wurde.
2. In Norwegen war noch Harald Harfagrs Haus an der Regierung,
seine Machtbefugnisse aber durch Volksfreiheiten und geistliche Privi-
legien eingeschränkt. Die Stellung der Hierarchie zum Königtum hatte
sich im 12. Jahrhundert verschoben. Die Rezeption des Christentums
war hier wesentlich das Verdienst der Könige. Norwegens Kirche stand
denn auch in einer Zeit, in der das kanonische System anderweitig zu un-
gehinderter Entfaltung gelangt war, noch ganz unter staatlichem Einflufs.
l) Die Quellen über die Gefangennahme bei Usinger, S. 422. Dazu Winkel-
niann, Friedrich II , I, 423.
Die kirchen politischen Kampfe in Norwegen. ()})
Hier hatte der Staat die kirchliche Gesetzgebung, wurden Bischöfe und
Priester von der Krone ernannt, soweit diese nicht frei gewählt wurden,
stand der Klerus unter weltlicher Gerichtsbarkeit und war von der
Durchführung der Cölibatsgesetze keine Rede. Die Metropolitangewalt
Bremen-Hamburgs wurde 1104 durch jene von Lund abgelöst. Machte
sich seither auch die kluniazensische Richtung fühlbar, so dauerten die
unkanonischen Zustände doch noch lange fort. 1152 sandte Eugen III.
den Kardinallegaten Nikolaus Breakspear — späteren Papst Hadrian IV. —
nach Norwegen, um Reformen im Sinne des kanonischen Rechtes durch-
zuführen. Jetzt wurde in Nidharos (Drontheim) ein Metropole für Nor-
wegen geschaffen, in einer Zeit, wo auch für den Norden die Zinspflicht
von König und Volk dem päpstlichen Stuhl gegenüber festgesetzt wurde. 1)
Die Kreuzzugsbewegung, die die Nordleute aufs kräftigste ergriff, kam
den Bestrebungen der Kurie ebenso zugute wie die Thronstreitigkeiten
der Prätendenten, die den Beistand der Kirche durch grofse Zugeständ-
nisse erkauften. Mit ihrer Hilfe hatte Erling Ormsson, genannt Skakki,
seinem Sohne Magnus V. (1162 — 1182) die Krone erworben und ihn, um
seine Stellung zu festigen, im Sommer 1164 zu Bergen vom Erzbischof
Eystein im Beisein eines päpstlichen Legaten krönen lassen. Dafür
wurde Norwegen »Lehen des hl. Olaf«, in Wirklichkeit des Metropoliten.
Ein Gesetz, »die goldene Feder«, setzte die Freiheit kirchlicher Wahlen
fest, gab der Kirche den ganzen Zehent und überliefs die Prüfung der
Frage, ob der jeweils erbberechtigte Thronfolger zur Nachfolge geeignet
sei, dem Episkopate und einer kleinen Anzahl von Laien, die von den
Bischöfen ernannt wurden. Damit war Norwegen »ein Wahlreich mit
geistlichen Kurfürsten« geworden. Der Krönungseid des Königs Magnus
bedeutet den Höhepunkt der klerikalen Macht und die tiefste Erniedrigung
des Königtums in Norwegen.2) Das Volk liefs sich die Einschränkung
des Wahlrechtes allerdings nicht gefallen und unterstützte die Gegen-
könige, die sich gegen Magnus erhoben. Unter ihnen ragte Eystein
Meyla hervor, dessen Partei nach ihrer aus Birkenrinde bestehenden
Fufsbekleidung den Namen Birkenbeine erhielt. Nach Eysteins Fall
(1177) trat Sverrir an ihre Spitze. Ihm gelang es, die Krone zu er-
ringen und die Machtbefugnisse des Klerus einzuschränken. Sverrir
(1182 — 1202) ist zweifellos einer der tatkräftigsten Könige Norwegens im
Mittelalter. Unter den Herrschern seiner Zeit war er der einzige, der im
Kampfe gegen Innozenz III. nicht erlag. Seine Anfänge sind dunkel.
Er gab sich für den Sohn König Sigurd Munds aus. Nachdem er ohne
Erlaubnis der Kirche den geistlichen Stand, für den ihm die Neigung
fehlte, verlassen hatte, trat er als Magnus' Gegner auf; auch als unehe-
licher Sohn hatte er nach norwegischem Recht Anspruch auf den Thron,
von dem ihn die Ordnung von 1164 ausschlofs. Ob er in der Tat aus
königlichem Blute stammte, wie er selbst, oder ein Abenteurer war, wie
seine Feinde behaupteten : er rang sich, wenn auch unter schweren
*) Jafte, Regg. pontifL 2. A. 9937. Dafs der Peterspfennig auch in Norwegen
eingeführt wurde, s. bei Zorn, S. 96.
2) Ebenda, S. 109.
ß4 König Sverrir und das Papsttum.
Kämpfen durch. In der Seeschlacht von Fiorteita verlor Magnus das
Leben (1184). Das Königturn Sverrirs war schon durch seinen Bestand
ein ständiger Protest gegen die Vorgänge der vorhergehenden Regierung.
Die notwendige Folge war ein Kampf gegen die neue Ordnung der
Dinge. Die ganze Regierungstätigkeit seines Vorgängers wurde daher
als nichtig erklärt. Indem die Kirche aber an ihren Errungenschaften
festhielt, kam es zu heftigen kirchenpolitischen Kämpfen. Der Erzbischof
Eystein ging ins Exil, schleuderte von dort aus den Bann gegen Sverrir,
kehrte aber 1182 ins Land zurück und unterwarf sich den Gesetzen
des Landes. Nach Eysteins Tode (1184) wurde Erik, bisher Bischof
von Stafanger, Metropolit. Aus mehrfachen Ursachen brach der Kon-
flikt zwischen Staats- und Kirchengewalt von neuem und heftiger aus
als früher. Der König erklärte zunächst die Wahl des neuen Bischofs
von Stafanger. weil sie in seiner Abwesenheit vorgenommen und seine
Meinung nicht gehört worden war, für ungültig, worauf eine staatlich
gesinnte Partei einen anderen wählte. Andere Streitpunkte bildeten das
landesherrliche, vom Klerus nicht mehr beachtete Patronat, die geistliche
Gerichtsbarkeit und Immunität. Als sich der Erzbischof auf »die goldene
Feder« berief, betonte der König die alleinige Gültigkeit des alten nor-
wegischen Landrechtes, das von solchen Ansprüchen der Kirche nichts
wisse, und ihm stimmte die Landsgemeinde zu. Als Sverrir vom Erz-
bischof, um ihn zur Anerkennung der Staatsgesetze zu zwingen, die
Krönung begehrte, wies dieser das Ansinnen zurück, entfloh nach Däne-
mark und sprach über Sverrir den Bann aus, der vorn Papste zwar
bestätigt wurde, bei der Macht des Königs aber im Lande nicht ver-
kündigt werden konnte. Sverrir erklärte, dafs dem Papst kein Recht
zustehe. Könige abzusetzen, ja er liefs sich nunmehr von seinen Landes-
bischöfen am 29. Juni 1194 zu Bergen feierlich krönen, worauf der
Papst auch gegen diese den Bann verkündigte. Gegen den König erhob
sich hierauf der streitbare Bischof von Opslo, der mit dem alten Körrigs-
hause verwandt war, flüchtete nach Dänemark und rief gegen Sverrir
die Partei der Baglar, d. h. der Krummstäbler, ins Leben. Als Inno-
zenz III. zur Regierung gelangt war, wurde das norwegische Volk aufs
neue vom Gehorsam gegen den ; Eindringling« abgemahnt und mit
dem Interdikt bedroht. Die zum Kampfe gegen Norwegen aufgerufenen
Könige von Dänemark und Schweden weigerten sich, Vollstrecker des
päpstlichen Machtspruches zu werden. Sverrir behauptete sich siegreich
bis an sein Ende (1202. 9. März); ja er war seit langer Zeit der er^te
norwegische König, der eines natürlichen Todes starb Der Papst unter-
liefs nicht, seiner Freude über den Tod dieses Gegners Ausdruck zu
geben.1) Auch seine Feinde, heilst es in der Sverrirs-saga, mufsten
bezeugen, dafs zu jenen Tagen kein Mann in Norwegen war wie König
Sverrir. Jedenfalls war er »für alle Zeiten ein leuchtendes Vorbild
kraftvoller Vertretung der Hoheitsrechte des Staates«. Sverrirs Sohn,
') s. Potthast, Regg. 385—387 u. Innoc. Ep. CCXIV ad a. 1203: Gaudet papa
de morte regis Sueri.
Norwegen unter Hakon V. und Magnus VI. Die Unterwerfung Islands. ß5
Hakon IV. machte mit der Kirche Frieden : es wurde ihr eingeräumt,
was schon 1152 dem Kardinal Nikolaus bewilligt worden war.1) Nach
Hakons Tode (1204) brachen die alten Parteikämpfe aufs neue aus.
Sein unehelicher Sohn Hakon V. (1217 — 1263) hatte, wiewohl von
Birkenbeinen und Baglern gemeinsam auf den Thron gehoben, harte
Kämpfe mit Kronprätendenten zu bestehen. Auf dem Reichstage zu
Bergen, auf welchem aufser den Mitgliedern der höheren Geistlich-
keit die Befehlshaber der gröfseren Bezirke, die höheren Richter (Lag-
männer), die Beamten der kleineren Bezirke, die Burghauptleute, dann
auch Abgeordnete des Bauernstandes erschienen, wurde er einstimmig
als rechtmäfsiger König anerkannt (1223, August). Freilich dauerten
die Kämpfe weiter, bis Jarl Skule, den die Bagler zum König aufgestellt
hatten, in der Schlacht bei Opslo besiegt und auf der Flucht erschlagen
wurde (1240). Um solchen Wirren für die Zukunft vorzubeugen, nahm
Hakon V. schon jetzt seinen gleichnamigen Sohn zum Mitregenten an.
Wiewohl er den Frieden mit der Kirche wünschte, war er weit davon
entfernt, die Krone als »Lehen des hl. Olaf« aus den Händen des Erz-
bischofs und der »geistlichen Kurfürsten« entgegenzunehmen, sondern
wandte' sich an den Papst, der den Kardinallegaten Wilhelm von
Sabina absandte, um die Krönung an dem König zu vollziehen (1247).
Während seiner Anwesenheit wurden Verfügungen getroffen, die teils
dem Königtum, teils dem Bauernstand zum Besten gereichten. 2) Zwar
blieb der Kirche das freie Wahlrecht, die Gerichtsbarkeit und das Recht
der freien Verwaltung ihres Besitzes, aber in rein weltlichen Dingen
stand sie doch unter weltlichem Gericht. Der Bauernstand wurde vor
übermäfsiger Belastung durch den Klerus geschützt. Erst jetzt wurde
der Peterspfennig in Norwegen gesetzlich normiert. In den auswärtigen
Verhältnissen kam dem König die Freundschaft des Papstes zustatten,
denn der Legat bestimmte die Isländer und Grönländer, die norwegische
Oberherrschaft anzuerkennen. In Island war nämlich nach dem Tode
des Dichters und Geschichtschreibers Snorre Sturleson ein Bürger-
krieg ausgebrochen, der in Gegenwart des Legaten beigelegt wurde. Die
Isländer dürfen, so wurde erklärt, nicht allein einen Freistaat haben,
während die ganze übrige Welt unter Königen lebe. Allerdings wurde
ihnen noch in dem Unterwerfungsvertrage von 1260 eigene Gerichtsbar-
keit und Verwaltung gelassen. Trotz dieses Entgegenkommens der
Kurie gab Hakon seine freundschaftlichen Beziehungen zu den Staufern
nicht auf. Da sein Sohn Hakon VI. bereits 1257 starb, nahm er seinen
zweiten Sohn Magnus zum Mitregenten an. Hakon V. starb während
eines Krieges, den er um den Besitz der Hebriden mit Schottland führte.
Magnus VI. (1263 — 1280) trat diese nebst der Insel Man an Schottland
ab (1266), behielt aber die Shetlandsinseln und die Orkaden. Mit seiner
Regierung begann für sein Reich eine lange Friedensperiode, die von
dem König (daher wird er »Lagabetter«, d. h. Gesetzesverbesserer,
1) Zorn, S. 153.
2) Die kirchl. Gesetzgebung König Hakons d. Alten, bei Zorn, S. 169 ff.
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 5
66 J}ie Häuser Sverkcr und Bonde in Schweden.
genannt) benutzt wurde, um eine Reihe von Reformen durchzuführen.
Vor allem wurde Norwegen endlich unter ein und derselben Gesetz-
gebung geeinigt.
3. Die Entwicklung des schwedischen Staates wurde durch zwei
Momente : den Gegensatz der gothländischen und schwedischen Bevölke-
rung und den Streit mehrerer Familien um den Thron, lange zurück-
gehalten. Das Christentum hatte sich dank den Bemühungen König
Sverkers (1133 — 1155) allmählich befestigt; es wurden die ersten Klöster
im Lande errichtet und Mönche aus Clairvaux hereingezogen. Der Ver-
such des Kardinallegaten Nikolaus Breakspear, auch hier ein Erzbistum
zu begründen, mifslang. und so blieb Schweden unter der Metropoliten-
gewalt von Lund. Noch zu Lebzeiten Sverkers hatten die Schweden
Erich, den Sohn Jedwars aus dem Hause Bonde. zum König gewählt,
wogegen die Gothländer zu Sverkers Sohn Karl hielten. Erichs Werk
war die Befestigung des Christentums im oberen Schweden. Er stellte
die heidnischen Opfer in Upsala ab und zog christliche Glaubensboten
ins Land. Mit der Bekehrung der Finnen leitete er die Eroberung
Finnlands ein. Erich fiel (1160) gegen den dänischen Prinzen Magnus;
der ihm, gestützt auf das Erbrecht der Mutter, die Krone streitig machte,
selbst aber im Kampfe gegen Sverkers Sohn Karl getötet wurde. Karl
ist der erste, der als König der Schweden und Goten bezeichnet wird.1)
Schwedens Geschichte ist die folgenden Jahrzehnte hindurch vom Kampfe
der Häuser Sverker und Bonde beherrscht. Xoch unter Karl wurde
in Upsala ein Erzbistum errichtet, das allerdings im Anfang noch der
Metropole Lund untergeordnet war.2) Karl verlor sein Reich an Erichs
Sohn Knut, der es nach anfänglichen Kämpfen mit den Verwandten
Karls bis an sein Ende unangefochten beherrschte. Trotzdem er aber
noch zu Lebzeiten über die Nachfolge zugunsten seines Hauses verfügt
hatte, wurde Karls Sohn Sverker H. (1195 — 1210) auf den Thron er-
hoben. Ein eifriger Freund des Klerus, befreite er diesen von der welt-
lichen Gerichtsbarkeit und seinen Besitz von Abgaben an den Staat.
Ahnliche Vergünstigungen wurden auch Laien zuteil, und so bildete
sich auch in Schweden ein Adel aus. Sverker H. hatte schwere Kämpfe
mit Erich Knutson zu bestehen. Auch diesem — es ist Erich IL (1210
bis 1216), der erste gekrönte König Schwedens — folgte wieder ein
Mitglied des Hauses Sverker: Johann (1216 — 1222), trotzdem dieser
noch ein Kind war und König Waldemar sich für Erichs Sohn einsetzte.
Mit Johann erlosch Sverkers Stamm. Nun erst wurde Erich ErichsoD
(1222 — .1250) auf den Thron erhoben. Wurde trotz der Thronstreitig-
keiten der Gegensatz zwischen Gothländern und Schweden allmählich
ausgeglichen, so stieg anderseits die Macht des hohen Klerus und de*
Adels. Unter diesem gewann das Haus der Folkunger, dessen Ahner
in die heidnische Zeit zurückreichen, und das selbst mit jedem der dre
') Regg. Alex. III. ad 1. Aug. 1164.
2) Eiusque (Stephani) sueceszores ab archiepiscopo Lundensi tamquam propri
primati consecrandos esse statuit. ib.
Der vierte Kreuzztigj 67
nordischen Königshäuser verwandt war, die überwiegende Macht. Seit
1202 war es im Besitz der Jarl würde, des höchsten Hofamtes in Schweden.
Schon konnte ein Folkunger Knut Johannson nach der Krone greifen.
Wiewohl das Unternehmen mifslang, behauptete sich das Haus in seiner
Macht. Der päpstliche Legat Wilhelm legte die Streitigkeiten zwischen
König und Adel bei und begründete (1248) eine feste kirchliche Ord-
nung im Lande, indes der Folkunger Birg er Jarl die Finnlandszüge
wieder aufnahm (1249). Als im folgenden Jahre das Haus Erichs des
Heiligen im Mannesstamm erlosch, wählten die Schweden Birgers Sohn
Waldemar zum König.
3. Kapitel.
Innozenz III. und der Orient.
§ 14. Der vierte Kreuzzug und die Gründung des lateinischen Kaisertums.
Quellen. H o p f in Ersah n. Gruber, RE. 85, 200 — 205. Streit, De auctoribus
IV. exped. sacrae. Putbus 1863. Klimke, Die Quellen zur Gesch. d. 4. Kreuzzugs.
Bresl 1875. Urkk. : Tafel und Thomas, Urkunden zur älteren Handels- und Staats-
geschicMe der Rep. Venedig mit bes. Beziehung auf Byzanz u. che Levante. Fontes
rer. Austr. 2. Abt. XII. Geschieht schreib er (hier auch die Briefe der Teil-
nehmer). 1 . Französisch-flandrische: Epistola baronum cruce signatorum.
Bouquet XVIII, 515 ff. Epistola Hugonis comitis s. Pauli ad Heinricum ducem Bra-
bantiae ed. Tafel et Thomas 1. c. 304 ff. Epistola Balduini imperatoris in Albericus
von Trois Fontaines. MM. Germ. hist. XXIII. Epistola Heinrici irnp. ad Innoc. DU.
Bouq. XVIII. Villehardouin, Geoffroy de, Histoire de l'empire de C. sous les empereurs
franeois (Villehardouin war Teilnehmer). Ed. N. de Wailly. Paris 1872. Andere Ausg.
s. Potth. II, 1094. Robert de Clary, Li Estoires de chiaus qui conquisent Constantinoble
1203, ed. Hopf, Chroniques Greco-Romanes S. 1 — 85. 1873. Die vorgenannten sind
Quellen ersten Ranges. Daran schliefsen sich: Continuatio belli sacri (Wilh. Tyrii)
Recueil des historiens des croisades. t. H, 483 — 693. Paris 1859 (unter dem Titel :
Chronique d'Ernoul et de Bernard le Tresorier p. p. Mas Latrie. Paris 1871). Balduinus
Constantinopolitanus, Tafel et Thomas, p. 293 ff. Den Standpunkt der Kurie vertreten
die Gesta Innoc. III. (s. § 2) u. die Hist. Albigensium Petri monachi Vallis Cernaji, s.
oben §11. 2. Deutsche Quellen: Günther, Historia C-politana seu de urbis Gonst.
expugnatione a. 1205 (eine der besten Quellen), ed. Riant, Exnviae sacrae Const. Genf
1877. Devastatio C-politana, »offizielles Journal« des 4. Kreuzzugs. Hopf, Chron.
Greco-Romanes. Berl. 1873. Chron. Halberstadt. MM. G. SS. XXIH. Ann. Col. max,
ib. XVII, 810. Venezianische u. andere ital. Quellen: Chron. Altinate. MM. G.
SS. XIV. Martino da Canale, Arch. stör. Ital. VIII. Sicard v. Cremona. Mur. VH.
Dandolo, Chron. Venet. Mur. XII. Sanudo Marino, Hist. Hierosolym. Bongars Gesta
Deill, 1 — 288. Histor. Salonitanorum des Thom. Spalat. Schwandtner. SS. rer. Hung.HI, 532.
Parti tio regni Greciae sive Romaniae, ed. Tafel et Thomas 1. c. p. 464 — 488.
Griechische Quellen: Xiketas Akominatos, Narratio de statuis etc. Corp. SS.
Hist. Byz. Bonn 1836. Georgios Akropolites. Ed. Bonn. tom. XXIX. Chronista
Nowgorodensis, lat. bei Hopf, Chron. Greco-Romanes 93—98. Von den Arabern kommt
Ibn-el-Athir, Tafel, tom. XIV. append. p. 459 ff. in Betracht. Jüngere Quellen wie die
Chronique de la conquete u. a. s. bei Tafel u. Thomas Urkk. (S. Molinier III, 38.)
Hilf s Schriften. (Vgl. auch §37.) Aufser den allg. Werken zur Gesch. d.
Kreuzzüge von Michaud, Wilken s. Kugler, Gesch. d. Kreuzz. Berl. 1880. Röhricht,
G. d. Kreuzzüge im Umrifs. Innsbr. 1898. Röhricht, Beitr. z. G. d. Kreuzz. n. Berl. 1878.
5*
(5g Die Vorbereitungen zum Kreuzzug.
Riant, Innocent III, Philippe de Soiiabe et Boniface de Montferrat 1875. Streit,
Beitr. z. G. d. 4. Kreuzz. Ankl. 1877. Tessier, La 4e croisade. Paris 1884. Mitrophanow,
Die Änderung der Richtung d. 4 Kreuzz. (Russ." 1897. Cerone, II papa ed i Yenetiani
nella quarta crociata. Aren. Yen. XXXYI. Hanotaux, Les Yenetiens ont-ils trahi
la chretiente en 1202. RH. IY, 74. Pears, The fall of Const. Lond. 1885. Norden,
D. 4. Kreuzzug im Rahmen d. Bez. d. Abendl. zu Byz. Berl. 1898. Und jetzt vornehmlich
Norden, Das Papsttum u. Byzanz. Berlin 1903, S. 133 ff. Krause, D.Eroberungen
v. C. im 13. u. 15. Jahrh. Halle 1870. Die alle. Werke zur byz. Gesch. u. den lat.
Herrschaften. Aufser Gibbon, The history of the decline and fall of the Roman
Empire (XI cap. LX u. LXI. . Ed. 1821 u. Ch. duFresne du Cange, L'histoire
de Const. sous les empereurs franeois. Paris 1657, s. vornehml. Hopf, Geschichte
Griechen! im MA. Er seh u. Gruber, RE. 85. Hertzberg, Gesch. Griechen! s. d.
Absterben d. antiken Lebens bis z. Gegenwart IL Gotha 1876/77. Gesch. d. byz. u. d.
osm. Reiches. Ber! 1883. Geiz er, Abrifs d. byz. Kaisergesch. in Krumbacher,
Gesch. d. byz. Lit. Münch. 1897. Stamatiades, c lorooia t?% aXatoecos rov BvZ. . . etc.
(1204 — 61.) Ath. 1865. Finlay, History of the Byz. and Grek empires froni 1057
bis 1453. Lond. 1854. Fallmerayer, Gesch. d. H. Morea. 2 Bde. Stuttg. 1830/1. —
Gesch. d. Kais. Trapezunt. München 1827. Meliarakes, lorooia rov ßaodeiov r?g
Nixaias xai rov Seorrordrov r?g 'Hneioov 1204 — 61). Ath. 1898. Evangelid.es, 'lorooia
rrjs ToaTxe'Zcvrros. Odessa 1898 (s. Byz. Z. VIT. 488). Mas Latrie, Hist. de l'isle de
Chyx>re 1 861. Gregorovius, Gesch. d. St. Athen im MA. Stuttg. 1889. Gerland,
Kreta als venez. Kol. Hlb. XX. Gtildner, Über die Versuche Innoz. HI. einer
Union zw. d. lat. u. griech. Kirche. Tübingen 1893. Pichler, Gesch. d. kirch! Trennung
zw. Orient u. Okzident. München 1864. Bouchet, La conquete de G. de Villeh.
Paris 1890.
1. Stand unter Heinrich VI. das Kaisertum im Mittelpunkt des
von ihm beabsichtigten Kreuzzuges, so trat unmittelbar nach seinem
Tode das Papsttum auch hier an dessen Stelle. Die Christenheit wurde
zur Teilnahme aufgefordert, Amalrich IL und das Königreich Jerusalem
in den Schutz des Papstes gestellt, die Unterwerfung König Leos von
Armenien entgegengenommen und das Verbot erneuert, den Sarazenen
Waffen, Eisen, Schiffsbauholz und anderes Kriegsmaterial zu liefern.
In Frankreich wirkte Fulco von Neuilly als »erschütternder Bufs-
prediger, im südlichen Deutschland der Abt Martin von Paris bei Kolmar.
Gröfser als in Deutschland war der Eifer in Frankreich, wo mehr als
tausend Ritter das Kreuz nahmen. Ihnen folgten Graf Balduin von
Flandern und seine Brüder Eustach und Heinrich. Die Kreuzfahrt sollte
von Venedig ausgehen und nach dem Plane des Papstes mit der Er-
oberung Ägyptens eingeleitet werden. Schon 1198 trafen vereinzelte
Kreuzfahrer in Venedig ein. Die Grafen von Champagne, Flandern
und Blois schickten (1201) eine Gesandtschaft dahin, bei der sich auch
Gottfried von Villehardouin, der Geschichtschreiber dieses Kreuzzuges,
befand, und schlössen einen Vertrag, der Venedig verpflichtete, gegen
Zahlung von 85000 Mark Silber1) ein Heer von 4500 Rittern, die dop-
pelte Anzahl von Knappen und 2000 Mann zu Fufs überzuführen und
ein Jahr hindurch zu verpflegen. Eroberungen sollten unter Franzosen
und Italienern geteilt werden. Der Vertrag wurde von Innozenz III.
mit der Einschränkung gebilligt, dafs das Kreuzheer dem päpstlichen
Legaten Folge leiste. Die Führung erhielt der Markgraf von Montferrat
») = 3 400000 Mark heutigen Gel« les.
Das Unternehmen gegen Zara. Die Wendung gegen Konstantinopel. 69
Während sich französische und deutsche Kreuzfahrer in Venedig sam-
melten, trat durch das Zusammentreffen verschiedener Umstände im
Kriegsplan eine Änderung ein. Die Venezianer scheuten vor einem
Angriff auf Agj^pten, mit dem sie einen gewinnreichen Handel trieben,
zurück, dagegen lenkte der Doge Heinrich Dandolo die Aufmerksamkeit
der Kreuzfahrer auf Konstantinopel, wo es für die Vernichtung der
venezianischen Kolonie (1171) und der an Dandolo vollzogenen Blen-
dung (1172) Rache zu nehmen galt.1) Und niemals lagen dort die Ver-
hältnisse günstiger hiezu als jetzt. Am 8. April 1195 war nämlich
Kaiser Isaak Angelos von seinem Bruder Alexios III. geblendet und
entthront worden, aber sein Sohn Alexios Angelos war 1201 ins Abend-
land entflohen, wo er des Papstes Hilfe anrief. Innozenz III. wies sein
Ansuchen ab, weil er seinen Versprechungen mifstraute, seine Unter-
stützung die Kreuzfahrt zu hemmen drohte, und weil endlich der Flücht-
ling ein Schwager König Philipps war, dem Innozenz eben erst die
Königskrone abgesprochen hatte. Alexios Angelos traf am staufischen
Hof mit dem Markgrafen Bonifaz von Montferrat zusammen, der nun
auch — freilich vergeblich — den Papst für die Rückführung des jungen
Alexios nach Konstantinopel zu bestimmen suchte. Mittlerweile hatte
sich Venedig mit Kreuzfahrern gefüllt. Es hielt schwer, die grofse
Masse zu erhalten, auch konnte die Summe für die Überfahrt nicht voll-
ständig aufgebracht werden. Da erbot sich Dandolo, auf den Rest zu
verzichten, falls das Kreuzheer die Verpflichtung übernehme, gegen
Zara zu ziehen, das Venedigs Handel störte. Trotz der Warnung des
Papstes, der hierin eine Schädigung des Kreuzzuges erblickte und ver-
hüten hatte, eine christliche Stadt zu bekämpfen, die noch dazu dem
König von Ungarn, einem Kreuzfahrer, gehöre, trotzdem auch unter
den Kreuzfahrern eine Partei Einsprache erhob, wurde der Zug unter-
nommen. Triest und Muglia ergaben sich, und Zara wurde erobert.
Venedigs Herrschaft im Adriatischen Meere stand fester da als zuvor.
Innozenz III. verzieh den Kreuzfahrern, die ihm erklärten, sie hätten
der von ihnen übernommenen Verpflichtungen wegen nicht anders han-
deln können, und sprach nur über Venedig den Bann aus, ohne aber
den Verkehr mit den Gebannten während des Kreuzzuges zu hindern.
2. Noch lagen die Kreuzfahrer vor Zara, als Gesandte König
Philipps um Hilfe für seinen Schwager Alexios baten, der es an locken-
den Versprechungen nicht fehlen liefs. Aufser reichlichem Solde —
200000 Mark für die Kreuzfahrer, 30000 für die Venezianer — versprach
er Beteiligung am Kreuzzug und Unterordnung der griechischen Kirche
unter Rom. Auch diesmal erhob der Papst aus Furcht, dafs Konstan-
tinopel unter den Einflufs der Staufer käme, Einsprache, und nur ein
Teil des Pilgerheeres stimmte zu. Nichtsdestoweniger wurde der Ver-
trag geschlossen. Ein griechischer Kaiser sollte eingesetzt werden, der
*) Röhricht, Kreuzzüge, S. 176. Cerone meint, die Ablenkung von dem ursprüng-
lichen Plane sei weder (wie Streit wollte) durch die vorausschauende Politik Dandolos,
noch (wie Riant glaubte) durch die antipäpstliche Politik Philipps von Schwaben hervor-
gerufen worden, sondern das Ergebnis zufällig zusammenwirkender Umstände.
70 Eroberung von Konstantinopel. Wahl eines Kaiser-.
sein Reich dem abendländischen Staatensystem anzupassen versprach. Die
Flotte segelte um Morea und langte am 23. Juni 1203 vor Konstan-
tinopel an. Nach einem mifslungenen Versuch Alexios' III., die Kreuz-
fahrer für sich zu gewinnen, kam es zum Kampfe. Trotz des Verfalles
s griechischen Heerwesens hätte sich Konstantinopel lange behaupten
können, aber der Kaiser entfloh mit seinen Schätzen nach üebelton,
und nun wurde der geblendete Isaak aus dem Kerker geholt und als Kaiser
begrüfst. Der Kampf hörte auf. da Isaak die Zusagen seines Sohnes er-
neuerte und ihn als Mitregenten krönen liefs (1. August). Bald brachen
Mifshelligkeiten zwischen Griechen und Franzosen aus. Jene sahen in
den Kreuzfahrern Ketzer, der Klerus wollte von der Unterwerfung der
grieschischen Kirche nichts wissen, und die versprochenen Gelder konnten
nicht rasch genug beschafft werden. Als vollends ein von den Kreuz-
fahrern verursachter Brand mehr als die Hälfte der Stadt in Asche legte,
wurden die ansässigen Lateiner verjagt. Sie stellten sich unter den
Schutz der Kreuzfahrer. Im Volke schlug die Stimmung gegen die
Kaiser um. Um sich zu behaupten, entschlugen sie sich ihrer Zusagen.
Da ihnen aber ein Angriff auf die Venezianer mifslang, erregte das Volk
einen Aufruhr und hob erst einen vornehmen Jüngling, Nikolaus Canabus,
dann einen Verwandten des Kaisers, Alexios Dukas, genannt MurzufLus,
als Alexios V. auf den Thron; als .dieser nach Beseitigung seiner Rivalen
herrisch den Abzug der Kreuzfahrer forderte und Geldzahlungen an
sie verweigerte , beschlossen sie den Kampf und einigten sich in der
Gewifsheit des Sieges schon jetzt über die Wahl eines neuen Kaisers
und die Teilung des Reiches. Zwar wurden die ersten zwei Stürme
abgeschlagen, aber der dritte gelang : Konstantinopel wurde genommen
(12. April) und in grauenvoller Weise geplündert, Gold und Silber ge-
raubt, die Sophienkirche durch Orgien entweiht, Reliquienschätze ge-
stohlen und herrliche Standbilder zertrümmert; nur weniges, wie die be-
rühmten Rosse des Lysippos, jetzt ein Schmuck von San Marco in Ve-
nedig, wurde gerettet. Alexios V. war geflohen, und auch sein Nach-
. folger, der tapfere Theodor Lascaris, rettete sich durch die Flucht.
3. Nun handelte es sich um die Wahl eines Kaisers. Da Dandolo
der venezianischen Interessen wegen nicht in Betracht kam, konnte sie
nur den Markgrafen von Montf errat oder Balduin von Flandern treffen.
Jener besafs als Gatte der Witwe Isaaks, die aus erster Ehe einen Sohn
hatte, die Sympathien der Griechen, für diesen entschied die Verwandt-
schaft mit dem französischen Königshause und der Umstand, dafs er
die meisten Ritter zivm Kreuzzug beigestellt hatte. Er wurde von den
hiezu bestimmten Wählern, je sechs Venezianern und Kreuzfahrern,
einstimmig gewählt und am 16. Mai 1204 durch einen päpstlichen Le-
gaten zum Kaiser gekrönt. Der Eindruck, den das Unternehmen auf
Innozenz III. gemacht hatte, war ein überwältigender.1) Er hatte sich
*) Lehrreich ist das Schreiben des lat. Kaisers Heinrich an den Papst : Yos . . . solus
pre filiis hominum . . . nobis potestis suecurrere. tamquam müitibus vestris et ecclesie
Romane stipendiariis . . . Näheres bei Norden, Das Papsttum u. Byzanz, 8. 255 ff.
Das lat. Kaisertum. Teilung des byzantinischen Reiches. 71
gegen die Ablenkung der Unternehmung lange gesträubt, fand sich aber
nach seiner Maxime, die Notwendigkeit erzwinge vielerlei und entschul-
dige es häufig, schnell in die veränderten Verhältnisse, pries Gottes
Gnade und versprach Nachschub aus dem Abendland. Er wurde des
neuen Reiches Protektor und Oberherr, sein Vertrauensmann, der
Venezianer Thomas Morosini, Patriarch. Die Eroberung des hl.
Landes schien jetzt völlig gesichert. Das griechische Reich hatte nun
zwar einen Kaiser, aber die einzelnen Landschaften waren erst noch zu
erobern, denn noch behaupteten sich Alexios III. und Alexios V. in
Thrazien. Als dieser bei dem ersteren Schutz vor den Franken suchte,
wurde er geblendet und, als er in die Gewalt der Franken gefallen war,
von der Theodosiussäule herabgestürzt. Bald fand auch Alexios III.
ein ruhmloses Ende. Mittlerweile vollzogen die Franken die Teilung
des Reiches. Konstantinopel, ein Teil ■ Thraziens, Nikomedien und die
Inseln Lesbos, Chios, Lemnos und Skyros verblieben dem Kaiser, doch
mufste er Pera und andere günstig gelegene Teile der Hauptstadt den
Venezianern überlassen. Bonifaz von Montf errat erhielt als König von
Thessalonich Mazedonien und statt Kreta, das er an Venedig
abtrat, einen Teil von Thessalien als Lehen des Kaisers. Der Löwen-
anteil kam an die Venezianer , drei Achtel des ganzen Reiches : die am
besten gelegenen Küsten und Inseln wie Corfu, Euböa u. s. w. Den
vornehmeren Kreuzfahrern fielen kleinere Lehensgebiete in Mittel- und
Südgriechenland und in anderen Teilen des Reiches zu (s. § 37);
auf den kleineren griechischen Inseln machten sich einzelne venezia-
nische Edelleute selbständig. In Trapezunt gründeten zwei Prinzen des
Hauses der Komnenen ein Kaiserreich, dessen Regierung der ältere von
beiden, Alexios, übernahm. In Nikäa behauptete sich Theodor Lascaris,
und in Epirus, Albanien und Thessalien begründete Michael, ein An-
gehöriger des gestürzten Kaiserhauses, ein neues Reich. Dem heiligen
Lande selbst hatte das Unternehmen eher Schaden als Nutzen zugefügt,
weil nunmehr die Neugründungen auf dem Boden des griechischen
Kaisertums die überschüssigen Kräfte des abendländischen Rittertums
in ungleich höherem Grade anzogen, als dies mit dem hl. Lande
der Fall war.
§ 15. Die Kreuzzugsbewegung bis zum Tode Innozenz' III. und die
ersten Zeiten des lateinischen Kaisertums.
Q u e 1 1 e n , s. § 14. Zu den dort gen. Hilfsschriften : Des Essarts, La croisade
des enfants. Paris 1895. R. Röhricht, Der Kinderkreuzzug. HZ. XXVI (s. auch
JBG. 1897, III, 359;. Röhricht, Beiträge II, Kap. VII. Die Kreuzzugsbewegung im
Jahre 1217. Forsch. XVI, 137 ff.
1. Ungeachtet des Unternehmens gegen Konstantinopel war eine
bedeutende Anzahl von Kreuzfahrern nach Akkon gesegelt : teils solche,
die, wie die Vlämen, unmittelbar aus ihrer Heimat dahin zogen oder
sich an dem Unternehmen gegen Konstantinopel nicht beteiligt hatten,
endlich einzelne, die sich noch jetzt nach Syrien aufmachten. Trotz
dieser Hilfe wagte es Amalrich II. nicht, den Frieden zu brechen, den
72 Laue in Syrien. Der Kinderkreuzzug.
• er 1198 mit Malik-el-Adil abgeschlossen hatte, und selbst als der Friede
durch Seeräubereien des Emirs von Sidon gestört ward, wurde er (1204,
September) wieder auf sechs Jahre erneuert. Syrien behielt nun für
längere Zeit Ruhe ; denn einerseits hatte die Eroberung des griechischen
Reiches auch auf die Sarazenen Eindruck gemacht, anderseits zogen
Ritter in gröfserer Zahl aus Syrien nach Griechenland, wo es Aussicht
auf reiche Beute gab. Amalrich IL starb 1205. Das Königreich
Jerusalem kam an seine Stieftochter Maria Jolante, Cypern an Hugo,
Amalrichs Sohn aus erster Ehe. Bei der Minderjährigkeit beider wurden
vormundschaftliche Regierungen eingesetzt und Maria Jolante auf den
Rat Philipps IL August mit dem Grafen Johann von Brienne vermählt
(1210). Wiewohl dieser von Innozenz III. und von Frankreich reiche
Unterstützung erhielt, war er doch zu schwach, den Krieg im grofsen
zu führen, und schlofs daher mit dem Sultan (1211) einen Frieden, der
bis 1217 dauern sollte. Bald hernach starb Johanns Gemahlin und
hinterliefs als Erbin des Reiches eine Tochter Iolante, die spätere Ge-
mahlin Friedrichs IL Die Aussichten für einen erfolgreichen Krieg
gegen Ägypten lagen um so ungünstiger, als König Leo I. von
Armenien in einen Kampf mit dem Grafen Bohemund von Tripolis
verwickelt war. Aber Innozenz III. liefs die Hoffnung auf die Wieder-
eroberung Jerusalems nicht sinken. Seine Ermahnungen fielen in
P^rankreich und Deutschland auf einen günstigen Boden, und ihre
Früchte traten in dem sonderbaren Unternehmen des Kinderkreuz-
zugs von 1212 zutage.1) Im Juni 1212 trat in einem Dorfe bei Vendöme
ein Hirtenknabe namens Stephan mit der Erklärung auf, bestimmt zu
sein, die Christen ins gelobte Land zu führen. Mit dem Rufe : Herr
Jesu Christ, stelle das heilige Kreuz wieder her! zog er durch Städte
und Dörfer. Knaben und Mädchen schlössen sich, den Ermahnungen
von Eltern und Priestern zum Trotz, an, auch Erwachsene nahmen teil.
An 30000 gelangten sie bis Marseille. Der König von Frankreich liefs
sie zur Heimkehr auffordern, doch nur wenige gehorchten. Die übrigen
fielen in Marseille zwei Seelenverkäufern zur Beute. Auf sieben Schiffen
segelten sie ab ; zwei von diesen scheiterten in der Nähe von Sardinien,
die anderen gelangten nach Ägypten, wo die Pilger als Sklaven ver-
kauft wurden. Nicht besser endete ein ähnliches Unternehmen in
Deutschland, an dessen Spitze der Knabe Nikolaus stand; gegen 20000
Knaben und Mädchen zogen über die Alpen. Der Bischof von Brindisi
wehrte ihnen die Überfahrt und ersparte ihnen das Geschick der
französischen Pilger. Doch gingen noch immer viele auf der Pilgerfahrt
zugrunde oder verkamen im Elend. Das Unternehmen wurde schon
von den Zeitgenossen skeptisch beurteilt. Manche hielten es für einen
Teufelsspuk. Nicht mit Unrecht fand man in der Sage vom Ratten-
fänger von Hameln einen Nachklang davon. Innozenz III. sah freilich
etwas Grofses darin: »Während wir schlafen, ziehen sie fröhlich aus,
um das hl. Land zu erobern.«
J) Über die Motive s. Röhricht, HZ. XXX, 2—3.
Charakteristik des Iat. Kaisertunis. 73
2. Noch weniger als in Bezug auf Syrien erfüllten sich die Hoff-
nungen des Papstes in Bezug auf das lateinische Kaisertum. In einer
abenteuerlichen Weise begründet, hätte es auch keinen längeren Bestand
gehabt, wären ihm tüchtigere Regenten beschieden gewesen ; die Stützen
des neuen Reiches waren von Anfang an zu schwach; die Sieger, trotz
alles Zulaufs aus dem Abendland in grofser Minderheit, standen durch
Sprache und Religion, Rechtsanschauungen und Lebensgewohnheiten in
einem Gegensatz zu den Besiegten, der sich von Jahr zu Jahr verschärfte.
Die Lateiner waren untereinander nicht einig; die Lehensstaaten des
Kaisertums, auf Erweiterung ihrer Grenzen und Rechte bedacht, küm-
merten sich wenig um den Zusammenhang des Ganzen. Ohne die
bisherige Entwicklung des Reiches in Rechnung zu ziehen, wurden die
Formen des abendländischen Lehensstaates nach dem Osten übertragen;
das bei Hofe herrschende Zeremoniell war zum Teil byzantinischen, zum
Teil französischen Ursprungs. Bei der allgemeinen Verwirrung war das
Finanzwesen zerrüttet, das Gewerbe im Niedergang und der Handel fast
gänzlich an die Venezianer übergegangen. Dem Volke waren die
Fremden als Ketzer verhafst, und die zugunsten der katholischen Kirche
getroffenen Mafsnahmen : Einführung und Stellung der Legaten, Ände-
rungen im Kultus, Zuweisung von Einkünften an katholische Bischöfe,
hielten seinen Hafs ständig rege. Schon im ersten Jahre drohte dem
Reiche der Zusammenbruch, als sich König Bonifaz vom Kaisertum
unabhängig zu machen versuchte. Dandolos Vermittlung verhinderte
den Ausbruch des Krieges und bewog den König, dem Kaiser Balduin
(1204 — 1205) die Huldigung zu leisten. Als dieser die Annäherung des
Bulgarenfürsten Kalojohannes, dem der Papst die Königskrone verliehen und
eine geweihte Fahne übersandt hatte, mit dem Hinweis auf die erhabenere
Stellung des Kaisers und die frühere Botmäfsigkeit der Bulgaren zurück-
wies, trat der Fürst mit flüchtigen Griechen und Rumänen in Ver-
bindung und brachte dem Kaiser bei Adrianopel eine Niederlage bei
(1205, 15. April). Balduin selbst wurde gefangen und trotz der Ver-
wendung des Papstes unter qualvollen Martern getötet. Balduins Bruder
Heinrich (1206 — -1216) übernahm die Regentschaft und wurde auf die
Nachricht vom Tode des Kaisers zu dessen Nachfolger gewählt. Ebenso
tapfer als Balduin, hatte er gröfsere staatsmännische Talente und war
der einzige wahrhaft bedeutende unter allen Kaisern des neuen Reiches.
Durch seine Versöhnlichkeit zog er die Griechen, die an den Bulgaren
die gefährlichsten Feinde hatten, auf seine Seite. Von den Helden aus
der Zeit der Eroberung war er einer der letzten. Erst starb der greise
Doge Dandolo, dann Bonifaz in ruhmvollem Kampf gegen Kalojohannes.
Bald darauf fiel dieser durch Meuchelmord (1207). Mit seinem Nach-
folger schlofs der Kaiser nach glücklichem Kampfe einen ehrenvollen
Frieden, desgleichen mit den Herrschern von Nikäa und Epirus. Wenn
es ein Mittel gab, die Griechen mit der Fremdherrschaft auszusöhnen,
war es die Politik dieses Kaisers, der den Griechen die wichtigsten
Amter im Staate anvertraute, sie vor den Übergriffen des lateinischen
Klerus in Schutz nahm und ihnen, dem Verbot der Legaten zum Trotz,
74 Ungünstige Lage des lat. Kaisertums.
freie Ausübung ihres Gottesdienstes gewährte. Da viele Abendländer,
die in die Heimat zurückkehrten, ihren Besitz an die Kirche verkauften
oder verschenkten, diese Ländereien sodann als Kirchengut vom Kriegs-
dienst befreit waren und die Wehrkraft des Reiches hiedurch geschädigt
wurde, verbot er die Überweisung von Lehen an die Tote Hand.
Heinrich I. starb zu Thessalonich, das er für Demetrius, den Sohn des
Königs Bonifaz. verteidigte. Mit ilnn erlosch der Mannesstamm des
Hauses Flandern. Die Grofsen wählten den Gemahl seiner Schwe-tt t
Jolante, Peter von Courtenay (1217 — 1219), der zur Behauptung
der Kaiserwürde gezwungen war, den gröfsten Teil seiner Güter in
Frankreich zu verkaufen. Mit 140 Rittern und 5500 Bewaffneten zog
er über die Alpen und empfing in Rom aus den Händen des Papstes
Honorius III. die Kaiserkrone. Den Venezianern sollte er als Lohn für
das Geleite Dyrrhachium übergeben, das die Epiroten besetzt hatten.
Auf dem Zug durch Epirus fiel er in die Hände seiner Gegner und
starb in der Gefangenschaft. Der Kaiserthron blieb nun zwei Jahre
unbesetzt. Erst 1221 wurde, da Philipp von Courtenay, Jolantes ältester
Sohn, die Kaiserwürde ablehnte, ihr jüngerer Sohn Robert (1221 — 1228)
zur Regierung berufen. War die Zerrüttung schon in der fünf Jahre
dauernden kaiserlosen Zeit eine grofse, so stieg sie unter Roberts
unfähigem Regimente aufs höchste. Theodor von Epirus machte
dem Königreich Thessalonich ein Ende, und Johannes Vatatzes,
der Schwiegersohn und Nachfolger des Theodor Lascaris, eroberte die
Landgebiete des lateinischen Kaisertums in Asien, so dafs dieses auf
den Besitz der Hauptstadt beschränkt war. Die Rache, die ein bur-
gundischer Ritter an dem Kaiser nahm, weil ihm dieser seine Braut
entrifs und sich heimlich mit ihr vermählte, bewog ihn, ganz aus Kon-
stantinopel zu weichen und das Mitleid der Kurie anzurufen. Hier
erhielt er eine frostige Weisung zur Rückkehr. Auf dem Heimwege starb
er. Nun wurde Jolantes jüngster Sohn Balduin IL (1228 — 1261)
Kaiser. Da er noch minderjährig war. erhielt der 80jährige Johann
von Brienne, der frühere König von Jerusalem, dessen Krone an seine
Tochter Iolante und ihren Gemahl Friedrich IL übergegangen war, die
Regentschaft, Doch auch seine unvergleichliche Tapferkeit, die sich
vornehmlich während des von Vatatzes und dem Bulgarenfürsten Asan
unternommenen Angriffes bewährte und ihn den Zeitgenossen als einen
zweiten Hektor. Roland oder Judas Makkabäus erscheinen liefs, konnte
den Niedergang des lateinischen Kaisertums nicht mehr aufhalten. Als
Johann von Brienne starb, war der Fall des Reiches nur noch eine
Frage der Zeit.
§ 16. Das grofse Laterankonzil von 1215 und der Ausgang Innozenz' III.
Quellen: Die Dekrete bei Mansi, Sacrorum conciliorum nova et aniplissima
collectio., torn. XXII. Labbe, >acrosancta concilia, toui. XIII. Harduin, tom. A'II.
C. Mirbt, Quellen zur Gesch des Papsttums. Nr. 221. Hilf s Schriften. Haupt-
werk: Hefele, Konziliengesch. Bd. VI. Sonst wie §2.
Das LaterankonziL Ausgang der Regierung Innozenz' III. 75
1. Mehr als durch vereinzelte politische Mafsregeln trat die Macht-
fülle des Papsttums auf der allgemeinen Synode, die Innozenz III. nach
Rom berief, in die Erscheinung. Hier fanden sich ein : 412 Bischöfe,
800 Abte und Prioren und zahlreiche Stellvertreter abwesender Prälaten
und der Domkapitel. Von weltlichen Fürsten hatten Friedrich IL, Kaiser
Heinrich von Konstantinopel und die Könige von Frankreich, England,
Jerusalem, Aragonien, Ungarn u. a. Vertreter gesandt. Das Konzil
hatte zwei Aufgaben: Verbesserung der gesamten Kirche und die Frage
der Wiedergewinnung des hl. Landes. Es trat am 11. November 1415
in der Laterankirche zusammen, die zweite Sitzung wurde am 20., die
dritte am 30. November gehalten.
Es ist nicht überliefert, welchen Gang die Beratungen nahmen, wie die Be-
schlüsse zustande kamen und welchen Anteil die weltlichen Abgesandten nahmen.
Wie es scheint, wurden der Versammlung die bereits fertiggestellten Dekrete zur An-
nahme vorgelegt. Sie betreffen das Verhalten gegen Ketzer und Schismatiker (Kap. 1 — 4),
die Stellung der Patriarchen (5), die Pflichten der Metropoliten (6) und der übrigen
Kirchen Vorsteher (7 — 10), das sittliche Verhalten des Klerus (14 — 18) und der Laien
(21 — 22), die Kirchenwahlen u. s w. Das letzte Aktenstück ist das Dekret über den
Kreuzzug, der von jenen, die den Seeweg wählen, am 1. Juni 1217 von Sizilien aus
angetreten werden sollte. Dort wollte sich der Papst selbst einfinden, um das Kreuz-
heer zu segnen. Eine scharfe Besteuerung des Klerus — nur die Prämonstratenser,
Zisterzienser und Kluniazenser blieben frei — wurde für drei Jahre angeordnet. Da-
gegen blieben die Kreuzfahrer von Steuern und Zöllen befreit. Der Handelsverkehr
mit der Levante sollte auf vier Jahre gesperrt, die Abhaltung von Turnieren auf drei
Jahre verboten sein. Ein allgemeiner Gottesfriede trat ein, dessen Verletzung mit
schweren Strafen belegt wurde. Die grofse Steigerung der politischen Macht des Papst-
tums entnimmt man auch daraus, dafs am Konzil auch über den deutschen Thron-
streit und die Angelegenheiten König Johanns von England entschieden wurde. Von
politischer Bedeutung sind auch einzelne Anordnungen wider die Ketzer, so z. B.,
dafs jeder Landesherr die Pflicht hat, sein Land von Ketzern zu reinigen. Wer es
unterläfst, wird von seinem Metropoliten gebannt; kommt er seiner Pflicht nicht
binnen Jahresfrist nach, so entbindet der Papst seine Untertanen des Treueides und
überläfst sein Land der Eroberung durch die Katholiken. Die Gesandten der welt-
lichen Mächte stimmten auch diesem Dekrete, in welchem die Kirche über die welt-
liche Macht verfügt, zu. Es wird den Geistlichen verboten, zum Tod zu verurteilen
oder einer blutigen Justifizierung beizuwohnen, den Fürsten, irgend eine Bestimmung
gegen geistliche Rechte der Kirche zu erlassen. Obrigkeiten und andere Laien, welche
die Kirche und ihre Personen durch Erpressungen bedrücken, werden gebannt. Doch
sollen diese, aber ohne Zwang und nur wenn das Vermögen der Laien nicht zureicht,
zu den allgemeinen Lasten beitragen.
■•&'
2. Innozenz III. starb zu Perugia am 16. Juli 1216 im 56. Jahre
seines Lebens. Sein Pontifikat bezeichnet den Höhepunkt päpstlicher
Machtentfaltung während des Mittelalters. Die von den Gregorianern
und den ihnen folgenden Kanonisten aufgestellten Prinzipien sind zum
völligen Siege gelangt. Was dem Kaisertum nicht gelungen war, die
christlichen Staaten zu einer Einheit zusammenzufassen, das hat das
Papsttum erreicht, das nun nicht nur die höchste geistliche, sondern
auch die oberste weltliche Macht repäsentierte. x) Streitigkeiten der
Könige und Völker wurden vor sein Tribunal gezogen, Sünden und
') Nach dem Satze : Dominus Petro non solum universam ecclesiam, sed totum
reliquit saeculum ad gubernandum. Lib. IL Ep. 209. Ad patr. Constant.
76 Höhepunkt der päpstlichen Macht im Mittelalter. '
Vergehungen der Monarchen durch das Interdikt an den Völkern gestraft
und jene hiedurch zur Umkehr und Bufse gezwungen. Diese Ent-
wicklung erfolgte um so ungehinderter, je mehr die Machtbefugnisse der
Könige durch die ihrer Grofsen eingeengt wurden. Die Streitigkeiten
in einzelnen Ländern, mochten sie aus der Unsicherheit der Thronfolge
oder anderen Beweggründen entstanden sein, wurden benutzt, die Macht-
stellung des Papsttums stetig zu steigern. Die Zügel innerhalb der
Kirche wurden immer straffer angezogen. In allem und jedem sind
die Bischöfe an die Weisungen und Einschreitungen der Kurie ge-
bunden. Das allgemeine Recht der Appellation an den römischen Stuhl
und der von diesem geübte Brauch , für seine Entscheidungen den
Tatbestand durch eigene päpstliche Kommissionen an Ort und Stelle er-
heben zu lassen, verminderte die Autorität der Bischöfe, so dafs zuletzt
kaum noch einer eine eigene Meinung zu haben wagte. Der Rückhalt,
den die Könige bisher nicht selten an dem Episkopate gefunden,
schwindet, denn jetzt war der Bischof, »dessen Befugnis überall so tief
in die weltlichen Angelegenheiten eingreift, nichts anderes mehr als der
Vertreter und Diener des Papstes.«1) Die weltlichen Stände folgen der
von den geistlichen gegebenen Richtung und werden nun von geist-
lichen Tendenzen beherrscht; und wie das Rittertum im wesentlichen
einen geistlichen Charakter trägt, schliefst sich auch das Bürgertum der
neuen Richtung an. Der geistlichen Oberherrschaft haben die einzelnen
Völker sich leichter als der weltlichen untergeordnet, »denn die Autorität
des Papstes erschien den Völkern, in deren Auffassung der Papst als
Statthalter Christi Repräsentant der Einheit des geistlichen Lebens auf
Erden ist, als etwas durchaus Notwendiges«.2) Wer dieser Richtung
widerstrebt, verfällt den auf die Ketzerei gesetzten Strafen, und »was
an den Universitäten gelehrt wird, ist im Grunde nur die der Tatsache der
kirchlichen Oberherrschaft zu Grunde gelegte Anschauung«. Wenn sich
einstens die staufischen Kaiser auf die Sätze Justinians stützten, das
Papsttum konnte sich nun auf die Dekretalen berufen. Gegen dieses
grofsartige System, das selbst in die Literatur einzelner Völker ein-
zudringen vermochte, zeigen sich schon jetzt Anfänge einer Opposition,
die um so kräftiger wird, je drückender sich die neue, die Freiheit des
menschlichen Geistes fesselnde und die politische Entwicklung der Völker
hemmende Oberherrschaft der Kirche gestaltete. Fand der von Innozenz III.
errichtete Bau zu seiner Zeit und in späteren Tagen eifrige Bewunderer,
so fielen dessen Schäden doch auch schon den Zeitgenossen, viel stärker
aber erst den kommenden Generationen in die Augen.3)
*) Ranke, Weltgesch. VIII, 401.
2) 402.
3) Wiclif., De Eucharistia : Non contendo, quod iste Innocentius irreligiöse sibi
subiugavit Angliam, seminavit discordiam inter Franciam et Angliam, contra imperatores
et alios seculares dominos . . irreligiöse processit . . .
2. Abschnitt.
Friedrich IL und seine Zeit. 1216-1250.
1. Kapitel.
Friedrich IL und Honorius III.
§ 17. Die sizilische Frage und die Kaiserkrönung Friedrichs II.
Quellen. S. oben §7 u. 8. Dazu Epp. saec. XIII. e regestis pontificuin Rom.
sei. per G. H. Pertz, ed. C. Rodenberg I (1216—1241). Berl. 1883. Regesta Honorii
papae, ed. Pressutti Rom 1898. Böhmer-Ficker V u. Potth., wie oben. Friderici II
Constit., Henrici regis constit. in MM. G. LL. tom. II. Hann. 1896. Die Konstit. für
Sizilien, ed. Huillard-Breholles IV, 1, wie oben. S. auch Koch u. Wille, Regg. d. Pfalzgr.
v. Rhein. Für Honorius III. noch Horoy, Honorii III. Opp. omnia. Paris 1879. Acta
legat. Hugolini cand. s. in d. Epp. Theiner w. § 2.
Darstellende Quellen. De Honorio III., Murat III, 2, 357—92. Albert.
Stad. Chron. (bis 1256). MM. G. SS. XVI. Reinerus monachus S. Jacobi Leod. : Con-
tinuatio chronici Lamb. Parvi (bis 1230) ib. Caesarius Heisterbacensis, Cat. archiep.
Col. (bis 1230) ib. XXIV. — De miraculis ed. Leibnitz. SS. rer. Brunsw. II, 516. Vita
S. Engelberti archiep. Col. Böhmer FF. II, 294. Chron. regia Colon., w. oben. Emo
et Menco, Chron. (1234 resp. 1273 u. 1296). MM. G. SS. XXni. Chron. Ebersheimense
ib. Albericus mon. Trium Fontium ib. Annal. Plac. Guelfi ib. XVIII. Gibellini ib. Chron.
de reb. Sicul. ed. Huillard Breholles I, 2, 892. Rieh. d. S. Germano, wie § 8.
Hilfsschriften. S. §8. Dazu Clausen, Papst Honorius HI. Diss. Münst.
1895. Ficker, Fürstl. Willebriefe. MJÖG. m. Rodenberg, K.Friedrich u. d.
deutsche Kirche. Hist. Aufs. d. And. G. Waitz' gewidmet. Hann. 1886. L. Weiland,
Friedrichs H. Priv. f. d. geistl. Fürsten. Ebenda. Nitzsch, Stauf. Stud. Hist. Z. HI.
Amari, Storia dei Musulmani di Sicilia HI, 2. Die allg. Werke, w. § 2 u. 7.
1. Schon am dritten Tage nach dem Tode Innozenz' III. wurde
der Kardinal und Kämmerer der römischen Kirche Cencius aus dem
römischen Hause Savelli, ein alter, gebrechlicher Mann, von einer Milde,
die ihm als Schwäche gedeutet wurde, zu Perugia als Honorius III.
(1216 — 1227) auf den päpstlichen Stuhl erhoben. Literarisch gebildet,
hatte er sich um die Finanzverwaltung der Kurie grofse Verdienste er-
worben.1) Friedrich IL durfte ihn als väterlichen Freund betrachten,
denn Cencius hatte seine Erziehung geleitet und seine Aufgabe so treff-
lich gelöst, dafs der König die Fürsten seiner Zeit an Kenntnissen weit
überragte. An den Ansprüchen der Kurie hielt er freilich ebenso fest
wie seine Vorgänger; doch war die sizilische Frage, die seit Heinrich VI.
im Mittelpunkt der päpstlichen Politik stand, noch unter Innozenz III.
*) Von ihm rührt die Anlage des über censuum Rom. eccl. her. Muratori
Antiq. V, 852.
78 Friedrich II. and Honörius III. Die sizilische Frage.
geregelt worden (§ 8). Noch auf dem Laterankonzil ward die Verfügung
getroffen , dafs die Kaiserkrönung Friedrichs IL erst erfolgen dürfe,
wenn er seinem Sohne Sizilien abgetreten habe, und am 1. Juli 1216
versprach Friedrich, sobald er die Kaiserkrone erhalten habe, seinen
Sohn aus der väterlichen Gewalt zu entlassen, sich selbst nicht mehr
König von Sizilien zu nennen und die Regierung daselbst bis zu Hein-
richs Volljährigkeit im Einverständnis mit dem Papste einem Verwalter
zu übergeben. Da Innozenz III. hiedurch jedem Streit für die Zukunft
vorgebeugt zu haben glaubte, erhob er gegen die Übersiedlung König
Heinrichs nach Deutschland keine Einwendung; und doch wünschte
Friedrich IL diese Übersiedlung nur deshalb, um gröfseren Einflufs auf
die Verwaltung Siziliens zu gewinnen. Kaum war Innozenz III. tot, so
lenkte Friedrich offen in andere Bahnen ein; denn seine Stellung zu
Honorius III. war eine viel freiere als zu dem Papste, dem er die Krone
Deutschlands verdankte und der eine geistige Überlegenheit über ihn
hatte, die er keinem andern Papste mehr zugestehen konnte. Während
Heinrich VI. einst Sizilien mit dem Reiche vollständig vereinigen wollte,
war er bereit, sich mit einer Personalunion zu begnügen, die ihm zur
Durchführung seiner weitausschauenden Pläne Siziliens reiche Hilfsmittel
zur Verfügung stellte. Statt dafs nun der junge König Sizilien übernahm,
übertrug ihm Friedrich IL Schwaben, machte ihn hiedurch zum
deutschen Reichsfürsten und stellte, wenngleich in abgeschwächter Form,
eine Interessengemeinschaft zwischen Sizilien und Deutschland her, die
das Versprechen vom 1. Juli 1216 aufhob. — alles in der Absicht,
seinem Sohne nicht Sizilien, sondern Deutschland zuzuweisen, sich selbst
zum Kaiser krönen zu lassen und die Verwaltung Siziliens in die eigenen
Hände zu nehmen. Diese Politik führte Friedrich IL, ohne in der
Wahl seiner Mittel allzu wählerisch zu sein, um so leichter durch, als
mit Otto IV. ein Gegner gestorben war, den die Kurie noch als Waffe
gegen ihn hätte benützen können. Seit dem September 1218 führte
Heinrich demnach nicht mehr den sizilischen Königstitel, sondern nur
den eines Herzogs von Schwaben. Um die Stellung seines Sohnes in Deutsch-
land zu stärken, gab ihm Friedrich IL das erledigte Rektorat von Burgund
und begann nun seine Wahl zu seinem Nachfolger zu betreiben. Damit
wäre der grofse Erfolg Innozenz' III. hinfällig geworden; wieder stand
die Union Siziliens mit dem Reiche in Aussicht. Die Handhabe zu
diesem Vorgehen bot rler Kreuzzug, der nur dann Aussicht auf Erfolg
hatte, wenn sich der König selbst an die Spitze stellte. Erst jetzt, im
Gefühl seiner Unentbehrlichkeit. trat Friedrich mit seinen Absichten her-
vor. Zwar erneuerte er (1220. 10. Februar) sein früheres Versprechen,
aber schon mit dem Vorbehalt, dafs er seines Sohnes Nachfolger würde,
falls dieser mit Tod abginge, ohne Sohn oder Bruder zu hinterlassen;
ja er sprach die Hoffnung aus, dafs der Papst ihm auf Lebenszeit Sizilien
überlassen werde. Während dieser Verhandlungen wählten die Fürsten
seinen Sohn Heinrich zum König (1220. April). Bei dieser Königswahl
wird zuerst der Electores, der Vorwähler, Erwähnung getan, doch
haben sie noch kein ausschliefsliches Wahlrecht, sondern teilen es mit
Die Landeshoheit der geistliehen Reichsfürsten. 79
den übrigen Fürsten. Die Bedenken der Kurie zu beschwichtigen,
bestätigten die deutschen Fürsten alles, was Friedrich II. der Kirche
verbrieft hatte, namentlich auch, dafs das Kaiserreich keinerlei Union mit
Sizilien habe. Trotzdem war diese nunmehr zur Tatsache geworden.
Der Papst fügte sich in das Unvermeidliche, und dies um so mehr, als
ihm der König die Reichshilfe bei den Rekuperationen der Kirche in
Mittelitalien in Aussicht stellte. Die geistlichen Fürsten, denen Heinrichs
Wahl vornehmlich zu danken war, erhielten von Friedrich IL Zuge-
ständnisse, die für die Ausbildung der geistlichen Reichsfürstentümer
von gröfster Wichtigkeit waren.1)
Der König verzichtet nicht blofs selbst auf da s^S polien recht, sondern ver-
bietet jedeni Laien, sich des Nachlasses der Prälaten zum Schaden ihrer Nachfolger
zu bemächtigen, und untersagt die Anlegung neuer Zoll- und Münzstätten in den Ge-
bieten und Gerichtsbarkeiten geistlicher Fürsten und die Beeinträchtigung der be-
stehenden. Damit wird des Königs Recht, über Zoll und Münze zu ver-
fügen, für einen grofsen Teil des Reiches tatsächlich aufgehoben.
Ebenso wird die Aufnahme Höriger in die königlichen Städte, die An-
legung neuer Städte, Burgen und Dörfer auf dem Boden der Kirche
untersagt, den kgl. Beamten verboten, in Zoll-, Münz- und anderen Ver-
waltungssachen in den Städten geistlicher Fürsten eine Gerichtsbar-
keit auszuüben, es sei denn acht Tage vor Beginn oder nach Schlufs eines da-
selbst abgehaltenen Hoftages. Der König wird den Verkehr mit den von den Bischöfen
Gebannten meiden ; Gebannte dürfen bei den Gerichten nicht als Kläger oder Zeugen,
sondern nur als Geklagte erscheinen ; wer über sechs Wochen im Banne verharrt, ver-
fällt der Reichsacht, »weil das weltliche Schwert zur Unterstützung der Geistlichen
angeordnet ist. « Damit gelangten die geistlichen Fürsten in den Besitz
der wichtigsten landeshoheitlichen Rechte und wurde die Machtfülle des
deutschen Königtums derart eingeschränkt, dafs man von jetzt an »weniger von einer
Regierung des Königs als der Fürsten sprechen kann« 2) und die Krone bei ihren
Handlungen immer auf die Zustimmung der Fürsten angewiesen ist. Wie verschieden
ist nun die Stellung des Königs von der, die einst sein Vater oder sein Grofsvater
eingenommen hatte ! Um so begreiflicher, dafs er entschlossen war, den Schwerpunkt
seiner Macht nicht in Deutschland, sondern in Sizilien zu suchen, denn mochten die
Verhältnisse dort auch noch so zerrüttet sein, sie gestatteten doch immer noch den
Aufbau des Staates nach den Wünschen eines kraftvollen und zielbewufsten Herrschers.
2. Nachdem Friedrich II die für die Zeit seiner Abwesenheit not-
wendigen Verfügungen getroffen und dem schwäbischen Edlen Heinrich
von Nifen die Obhut über Schwaben und den jungen König überlassen
hatte, trat er (1220, August) die Romfahrt an. Die für Deutschland ge-
troffenen Mafsnahmen wurden bald dahin abgeändert, dafs er den tat-
kräftigen Erzbischof Engelbert von Köln zum Vormund seines
Sohnes und Gubernator des Reiches bestellte. Mit geringer Truppen-
macht und doch als mächtiger König betrat Friedrich den Boden Italiens,
den er acht Jahre zuvor einem Abenteurer gleich, verlassen hatte. In-
dem er die Bestimmungen des Konstanzer Friedens als die Reichsgrund-
lage der politischen Verhältnisse in Obertalien betrachtete, leisteten ihm
auch die früheren Gegner des staufischen Königtums ihre Huldigung.
*) Privilegium in favorem prineipum ecclesiasticorum vom 2G. April 1220. MM.
G. LL IV, 2, 86—91.
*) Winkelmann, Jahrb. S. 66. So auch Rodenberg, S. 234.
$0 Die Kaiserkrönung Friedrichs II.
Den Wünschen des Papstes kam er dadurch entgegen, dafs er gegen
die Häresien in der Lombardei und die der Kirchenfreiheit feindlichen
Statuten der Städte einschritt und für die Überweisung der Mathildischen
Güter an die Kirche sorgte. Trotz alledem liefs die Kurie dem Könige
noch einmal wegen der Union der beiden Reiche Vorstellungen machen
und beruhigte sich erst, als er eine Realunion beider von sich wies1)
und erklärte, Sizilien nicht von seinen kaiserlichen Vorfahren, sondern
durch das Recht seiner Mutter als päpstliches Lehen erhalten zu haben.
Unter diesen Umständen willigte die Kurie ein. dafs er selbst Lehens-
träger für Sizilien bleibe und demgemäfs auch fürderhin den Titel eines
Königs von Sizilien führe. Die Verhandlungen über die sizilische
Frage schlössen sonach zweifellos mit einem Erfolg des Königs. Am
Cäcilientage — dem 22. November 1220 — empfing er aus den Händen des
Papstes die Kaiserkrone; aus denen des Kardinals Hugolinus von Ostia
nahm er das Kreuz mit der Verpflichtung, den Kreuzzug im August
des nächsten Jahres anzutreten.
Am Tage der Kaiserkrönung wurde eine Anzahl von Satzungen erlassen, von
denen die ersteren 2) die Sicherstellung der Kirchenfreiheit in den Städten und die
Befreiung der Geistlichkeit von städtischen Steuern und städtischer Gerichtsbarkeit,
andere che Verfolgung der Ketzer zum Ziele haben, die letzten endlich den Schutz der
Schifibrüchigen, der Pilger und Fremden sowie der friedlichen Arbeit des Landmannes
aussprachen. Während der Papst noch an dem Krönungstage den Bann gegen jeden
Übertreter dieser Satzungen aussprach, wurden Lehrer und Scholaren in Bologna ver-
pflichtet, sie in ihre Gesetzbücher zu schreiben und über sie als über ewig geltende
Gesetze zu lesen. Hatten sonach die guten Beziehungen zwischen Kaiser und Papst
für jenen grofse Vorteile im Gefolge, so ging doch auch dieser nicht leer aus: nicht blofs
dafs der Kaiser der Kirche bereitwillig den weltlichen Arm zur Verfügung stellte, es
gelang dem Papste auch mit Hilfe des Kaisers, seine Herrschaft im Kirchenstaat
zu befestigen.
3. Während Friedrich IL seine Siegeslaufbahn in Deutschland ver-
folgte, herrschten in Sizilien anarchische Zustände. Noch hielten ein-
zelne Grofse und Städte zu Otto IV. Auch als des Weifenkaisers Stern
im Erbleichen war, wurden die Zustände nicht besser, da es dem Stell-
vertreter des Königs an Mitteln gebrach, den Übelständen abzuhelfen.
Prälaten und Barone erweiterten ihre Macht und ihren Besitz auf Kosten
des Königtums ; Lehen wanden nicht gemutet, Kronländereien besetzt,
Dienstespnichten vernachlässigt. Auf dem Festlande waren die Grafen
von Celano und Molise, auf der Insel Rainer von Manente, einst Ge-
nosse Markwards von Airweiler, Gegner der Krone. Hier unternahmen
die seit 1189 aus den Städten verdrängten Sarazenen teils auf eigene
Faust ; teils im Dienste habgieriger Barone verheerende Raubzüge.
Diesen Zuständen ein Ende zu bereiten, in Sizilien durchzuführen, was
in Deutschland wegen der ausgebildeten Fürstenmacht, in Oberitalien
wegen der Machtfülle der Kommunen unmöglich geworden : die Be-
gründung einer starken einheitlich verwalteten Monarchie, begann Fried-
rich IL gleich nach der Kaiserkrönung mit den Rekuperationen könig-
1) Frofitemur Imperium nichü prorsus iuris habere in regno Siciliat.
2) Sie gehen zum Teil auf Beschlüsse der Lateransynode zurück. MM. Germ.
LL. II, 243. Mirbt, Nr. 227.
Ordnung der sizilischen Verhältnisse. 81
lieh er Güter und Rechte. Auf dem Hoftage zu Capua (zwischen 17.
und 21. Dezember 1220) ordnete er eine strenge Revision aller während
seiner Minderjährigkeit und seiner Abwesenheit erteilten Privilegien
an. Alle seit 1189 erteilten Privilegien mufsten ihm 'zur Bestätigung
vorgelegt werden und nur die bestätigten behielten ihre Gültigkeit.1)
Alles entfremdete Königsgut, für dessen Besitz die Inhaber keine legitimen
Besitztitel aufzubringen vermochten, wurde eingezogen. Um die Zer-
splitterung der Lehensgüter und damit die Verringerung ihrer Leistungs-
fähigkeit zu verhüten, wurden eigenmächtige Veräufserungen aus ihnen
verboten und die bereits erfolgten für ungültig erklärt. Alle ohne Er-
laubnis des Königs seit 1189 errichteten Burgen und Türme mufsten
abgebrochen werden ; dagegen liefs der König an geeigneten Stellen Burgen
erbauen. Richtete sich ein Gesetz gegen die übermäfsige Anhäufung
von Grund und Boden in der Toten Hand, so gebot ein anderes die genaue
Entrichtung des Zehents an die Geistlichkeit, freilich auch die pünktliche
Einhebung der königlichen Gefälle. Am nächsten Hoftag zu Messina
wurde die Verpflichtung, die alten Rechtstitel vorzuweisen, selbst auf die
Zeiten der Könige Roger, Wilhelm I. und Wilhelm IL ausgedehnt. »Des
Königs Gesetz, sein Gericht und die Furcht vor diesem« machte sich in kurzer
Zeit fühlbar. Wurden bei den legislatorischen Arbeiten anfänglich die
Prälaten und Barone des Landes zu Rate gezogen, so ging Friedrich IL
bald unabhängig vor. Hoftage wurden in den nächsten Jahren über-
haupt nicht mehr abgehalten; der Kaiser erläfst aus eigener Machtvoll-
kommenheit Edikte, schreibt Steuern aus und läfst sie durch seine. Be-
amten erheben. Selbst auf die Bischofswahlen nimmt er gegen die
Bestimmungen des Konkordates von 1198 wieder Einflufs. Werden auch die
Formen der Verwaltung nicht geändert, so werden die Zügel doch immer
straffer angezogen und binnen kurzer Zeit grofse Erfolge erzielt.2)
Um die maritimen Interessen des Landes zu fördern, seinen Handel zu heben,
werden die Privilegien der fremden Seestaaten aufgehoben und, um die normannische
Seemacht zu stärken, die alte normannische Seeordnung in Anwendung gebracht,
durch die einzelne Städte und Gebiete verhalten wurden, Schiffe zu liefern und Mann-
schaften auszurüsten. Der Erfolg dieser Malkregel zeigte sich unmittelbar, denn noch
in demselben Jahre konnte der Kaiser den Kreuzfahrern eine Flotte nach Ägypten (§ 18)
zu Hilfe schicken. Mit diesen Mafsregeln steht die Unterwerfung der unbotmäfsigen
Lehensaristokratie in Zusammenhang. Noch wichtiger war der Kampf gegen die
Sarazenen Siziliens: am 17. Juni 1222 wurde ihr Bergschlofs Jato erobert und ihr Emir
Ben-Abed, der letzte mohammedanische Fürst Siziliens, samt seinen Söhnen ge-
fangen genommen. Ein Teil der Sarazenen zog hierauf in die Ebene und widmete
sich friedlichen Beschäftigungen, die übrigen wurden grofsenteils nach Luceria in der
Capitanata verpflanzt, wo sie mitten unter Christen geduldet wurden, als Knechte
des Fiskus tüchtige Ackerbauer und Handwerker abgaben und dem Kaiser für seine
Kriege eine Truppe stellten, auf die er sich, da sie als Mohammedaner kirchlichen Ein-
flüssen unzugänglich waren, durchaus verlassen konnte.
*) Die Assisse De resignandis privilegiis ist übrigens nur che Nachahmung eines
schon von König Roger gegebenen Beispiels. S. Böhmer-Ficker, Regg. 1492. Privilegien
Tankreds und Ottos IV. wurden kraft des alten Gesetzes König Wilhelms kraftlos, dafs
alle Dokumente zu vernichten seien, *in quibits nomen alieuius Jwstis vel proditoris
nostri scriptum sit«. H-B. IV, 98.
2) Winkel mann, Jahrb. I, 142.
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 6
$2 Honorius III. und die Kreuzzugsfrage.
§ 18. Der sog. fünfte Kreuzzug 1217 — 1221 und die Beziehungen
zwischen Kaiser- und Papsttum toii 1221 — 1227. Friedrich II. und
die lonibardische Liga.
Quellen, s. P. Richter, Beitr. zur Historiogr. in den Kreuzfahrerstaaten für
die Zeit Friedrichs II. Diss. Berl. 1890. Urkk. S. § 17. Von Briefen: Jacobus de
Vitriaco, Epp. de exped. Damiatina sex ; s. Ausg. u. Lit. bei Potthast I, 633. Oliverus
scolasticus Coloniensis, F,pist. ad Engelbertuni arch. Coi. de obsidione Darniatae 1218
bis 1219, ed. Röhricht, s. unten. Epp. dccein. Westd. Zeitsch. X. Epistolae variae u.
Chartae variae in Röhricht, Studien z. Gesch. d. 5. Kreuzzuges. Innsbr. 1891. —
Die Geschichtschreiber sind nur zum Teil in wissensch. brauchbarer AVeise publiziert.
Die kleineren hat Röhricht publiziert in Quinti belli sacri scriptores minores. Genevae
1879. Es sind: Ordinacio de praedic. s. crucis in Anglia, Gesta crucigerorum Rhena-
norum, De itinere Frisonum, Gesta obsidionis Damiatae v. Codagnellus, Johannes
de Tulbia, De domino Job. rege Jerusalem 1218 — 1220. Liber duellii christiani in
obsidione Damiate exacti 1218 — 1220. Fragm. de captione Damiatae (mit franz. Über-
setzung) u. Prophetiae cuiusdam arabicae etc. Von den gröi'seren : Oliverus Scolasticus,
Historia Damiatina [über Entstehung, Inhalt u. Literatur s. Potth. LI. 877). Jacobus
de Vitriaco, Hist. orientalis bis 1218 (Ausg. u. Lit. bei Potth. I, 635 . Historia expe-
ditionum in Terram Sanctam 1217 — 1219 in Chronica regia Colon, s. oben. Rycc.
d. S. Germano, Emo, Roger de Hoveden, Guilelm. Tyr. s. oben. Die Zusammen-
stellung der Zeugnisse aus den Chroniken Deutschlands, Belgiens, Englands u. s. w.
unter dem Titel Testimonia minor a de quinto bello sacro e chronicis occidentalibus
ed. Röhricht, Genev. 1882 (im 3. Bd. der Publications de la societe de l'Orient Latin)
enthält 233 versch. Zeugnisse. Einzelnes wie den Bericht des Bisch, v. Lissabon in
Raynaldus Ann. eccl. a. a. 1217. Von arab. Geschichtschreibern: Ibn-el-M a k r i z i ,
der berühmteste Geschichtschi'. Ägyptens. Ausg. bei Hammaker, Komment. Wüsten-
feld 482. Abu Schama bei AVilken VI. Ibn-el-Athir, Rec. d. hist. d. croisad. aut. Ai'ab. LT.
Ausg. auch in Michaud, Extraits des Historiens Arabes, trad. p. Reinaud. Paris 1822.
Altulfeda im Recueil aut. Orient. I. Auszüge aus Ron Dschubair, Rec. . . des crois. LH.
Hilfsschriften: R. Röhricht, Beiträge zur Gesch. der Kreuzz. I, 1 — 20.
H, 230 — 263. Röhricht, Die Kreuzzugsbewegung 1217. Forschungen XVI. R ö h rieht,
Studien s. oben. Röhricht, D. Bei. v. Damiette. HT. 5, F. 6. Dort rinden sich
sowohl in der Einl. als in den Anmerkung, noch Literaturvermerke, auf die hier im
allg. hingewiesen wird. So namentlich der Aufs. Röhrichts selbst : Der Kreuzz. d. K.
Andreas von Lngarn 1217. H. Hoogeweeg, Der Kreuzzug von Damiette. MJÖG.
ViLL u. IX. Dort noch einzelne Literaturangaben. Die allg. Werke über die Gesch.
d. Kreuzzüge s. oben.
1. So mafsvoll auch Honorius III. die Politik der Kurie lenkte,
an hingebungsvollem Eifer für die Sache des Kreuzzuges übertraf er
selbst Innozenz III., so dafs die Kreuzzugstätigkeit des Papsttunis mit
ihm ihren Höhepunkt erreichte. Gleich nach der Inthronisation forderte
er zur Unterstützung der Christen im hl. Lande auf und traf Anord-
nungen zur Einsammlung und Verteilung der Kreuzz ugssteuern. Im
Morgenlande wirkte Jakob von Vitry, der gefeierteste Kreuzzugsprediger
seiner Zeit. Er wies darauf hin. dafs die Zeit für einen Kreazzug nie-
mals günstiger lag. Aber in allen Ländern des Okzidentes türmten
sich Hindernisse auf. Bei den unsicheren Zuständen in Deutschland
verschob Friedrich IL sein Unternehmen auf eine spätere Zeit, Doch
setzten sich 1217 bedeutende Heerscharen in Bewegung: in Lngarn
Der Kampf um Damiette und dessen Eroberung. 83
sammelte König Andreas IL, im südöstlichen Deutschland Herzog Leo-
pold VI. von Österreich, Otto von Meran u. a. eine stärkere Heeres-
macht, die sich im Herbst 1217 in Akkon mit jener vereinigte, welche
die Könige Johann von Jerusalem, Hugo von Cypern und der Fürst
Bohemund ausgerüstet hatten. Statt die Macht der Ejubiten in Ägypten
anzugreifen, unternahmen die Kreuzfahrer, denen es an einer zielbewufsten
Leitung fehlte, drei erfolglose Züge in das Innere Syriens. Verstimmt
und ohne sich um den Bann zu kümmern, den der Patriarch gegen ihn
schleuderte, trat Andreas mit den Seinen die Heimreise an (1218, Januar).
In die hiedurch entstandene Lücke rückten friesische und norddeutsche
Pilgerscharen ein, die sich im Mai 1217 in Darthmouth gesammelt und
mit skandinavischen den Zug angetreten hatten. Ein Teil von ihnen
half den Portugiesen Alcazer do Sal erobern, während die übrigen weiter
zogen. Im Frühlinge 1218 trafen beide Scharen vor Akkon ein. Nun
wurde der Plan, den Hauptstofs gegen Ägypten zu führen, wieder auf-
genommen und Damiette, »der Schlüssel Ägyptens«, als Kampfziel be-
stimmt. Führer war König Johann von Jerusalem. Die Landung des
Christenheeres (Ende Mai) kam den Ägyptern unerwartet. Die Festung
hatte nur eine geringe Besatzung. Sie lag auf einer Halbinsel und war
durch eine dreifache Mauer und zahlreiche Bastionen geschützt; ausser-
dem stand auf einer Insel im Nil ein starker Turm, von dem aus eine
Kette bis zum nächsten Turm der Festung das Fahrwasser sperrte.
Der erste Angriff der Kreuzfahrer hatte denn auch keinen Erfolg (1. Juli).
Erst am 24. August gelang es mit Hilfe einer kunstvollen, auf einem
Doppelschiff errichteten Belagerungsmaschine, den Turm zu nehmen.
Die Nachricht hievon erschütterte den Sultan el-Adil so, dafs er bald
darauf starb. In Ägypten folgte ihm el-Kamil, in Damaskus el-Muaz-
zam. Die Christen nützten die mifsliche Lage ihrer Feinde nicht aus.
Ein Teil von ihnen zog heimwärts. Als Ersatz kamen neue Scharen,
bei denen sich der Kardinallegat Pelagius befand, der auf Grund eines
päpstlichen Schreibens den Oberbefehl beanspruchte und deshalb mit
König Johann in Streit geriet. Inzwischen hatte auch der Sultan neue
Streitkräfte an sich gezogen und bedrängte die Christen. Während des
Winters wurden diese zuerst von einer Nilüberschwemmung, hierauf von
einer furchtbaren Lagerseuche heimgesucht, weshalb sie ihre Hauptmacht
auf das östliche Ufer verlegten, so dafs sie die Stadt vollständig ein-
schlössen. Den Übergang hatte ihnen eine im Heere des Sultans aus-
gebrochene Meuterei erleichtert. El-Kamil schlug den Aufstand nicht
nur nieder, sondern machte auch neue Rüstungen und ergriff die Offen-
sive. Einen schweren Verlust erlitten die Christen durch den Abzug
Herzog Leopolds, doch konnte die Lücke auch jetzt durch neuen
Zuzug ausgefüllt werden. Bei der steigenden Not in der belagerten
Stadt gestand der Sultan die Herausgabe Jerusalems für den Abzug von
Damiette zu, aber seine Vorschläge, denen noch weitergehende folgten,
wurden auf das Betreiben des Legaten, der Ordensritter und Italiener
gegen die Meinung König Johanns, der Deutschen und Franzosen ab-
gelehnt. Endlich fiel die Stadt (1219, 5. November).
6*
g4 Niederlage der Christen. Verlust von Damiette.
2. Die Kunde hievon rief im Abendland grofse Begeisterung her-
vor ; die christliche Herrschaft in Ägypten und Syrien aufzurichten,
schien nicht mehr schwer; selbst die Sarazenen wurden mutlos. Schon
im Frühlinge 1219 hatten sie mehrere Hauptburgen Palästinas und
Jerusalem schleifen lassen, da es schwer war. sie zu verteidigen; jetzt
wurde Jerusalem völlig zerstört; aber die Hoffnungen der Christen er-
füllten sich nicht ; die Zahl ihrer Streiter war zu klein und diese selbst
uneinig. Das Jahr 1220 verging unter belanglosen Kämpfen; der Haupt-
schlag sollte 1221 vom Kaiser geführt werden. Schon im Mai setzten
sich deutsche Heereshaufen unter Ludwig von Bavern, dem Bischof von
Passau u. a. in Bewegung. Der Kaiser sandte eine Mahnung nach der
andern nach Ägypten, sich vor seiner Ankunft nicht von Damiette zu
entfernen. Auch der Papst hielt dafür, entscheidende Schläge erst nach
des Kaisers Ankunft zu führen. Dieser erhielt zunächst einen neuen
Aufschub, um die Verhältnisse Siziliens zu ordnen ; er liefs auch bereits
(s. oben) eine Flotte nach Ägypten abgehen. Bevor diese aber noch
erschien, war die Entscheidung gefallen. Auf das Drängen des Legaten,
dem der Papst mitgeteilt hatte, dafs auf die Ankunft des Kaisers in der
nächsten Zeit nicht zu rechnen sei, beschlossen die Kreuzfahrer, die
Eroberung Ägyptens in Angriff zu nehmen, und rückten trotz aller War-
nungen König Johanns zu einem Zeitpunkt, da schon die Anschwel-
lungen des Nils begannen, bis in die Nähe des 1219 erbauten el Man-
surah. Noch jetzt wurden den Christen günstige Friedensvorschläge
gemacht, aber gleich den früheren zurückgewiesen. Als sich das Wasser
des Nils seinem Höhepunkt näherte, durchstachen die Ägypter die
Dämme und schnitten den Christen, die sich »zwischen den Gewässern
wie Fische im Wasser verstrickt« sahen, den Rückzug nach Damiette
ab. Der Sultan hätte sie vernichten können, aber er besorgte, dafs dann
die Rachezüge der Franken erst recht angehen würden; darum schlofs
er mit ihnen (am 30. August 1221) einen Vertrag, in welchem er ihnen
gegen die Zurückgabe von Damiette freien Abzug gewährte und das
hl. Kreuz auslieferte. Zugleich wurde ein Waffenstillstand auf 8 Jahre
geschlossen, der innerhalb dieser Frist nur durch einen gekrönten König
aufgekündigt werden durfte. Am 8. Dezember zogen die Ägypter wieder
in Damiette ein. Die Hauptschuld an dem Mifslingen trugen aufser
dem Legaten, der das Unternehmen gegen den Rat kriegserfahrener
Männer begann, Papst und Kaiser: jener, weil er den Legaten trotz der
Kenntnis seiner gefährlichen Pläne gewähren liefs, dieser, weil er seine
Abfahrt für einen Termin in Aussicht stellte, den er voraussichttlich
nicht einhalten konnte. Honorius HL und Gregor IX. haben daher
unrechterweise dem Kaiser die Hauptschuld am Mifslingen des Unter-
nehmens beigemessen.
3. Den Papst hatte das Unglück vor Damiette nicht entmutigt.
Schon am 12. April 1222 traf er mit dem Kaiser neue Vereinbarungen.
Da sich jedoch wegen der Eingriffe Friedrichs II. in die Wahlfreiheit
der sizilischen Kirche und der Neugestaltung der reichsitalischen Ver-
waltung Schwierigkeiten ergaben, wurde ein Fürstenkongrefs zu Verona
Der Vertrag von Ferentino. Die Zustände in der Lombardei. 85
für den Herbst bestimmt. Dieser kam nicht zustande, weil sich die
Beziehungen zwischen Kaiser und Papst wegen der Übergriffe des kaiser-
lichen Legaten in Tuscien, Spoleto und Ancona, wo er die Reichsgewalt
wieder herstellen wollte, verschlechtert hatten, der Kaiser übrigens noch
mit der Niederwerfung der Sarazenen, auf Sizilien beschäftigt war. Erst
im März 1223 kam in Ferentino ein Übereinkommen zustande und
wurde dem Kaiser eine Frist von zwei Jahren zum Antritt des Kreuz-
zuges gewährt. Um ihn noch mehr an die Sache des hl. Landes zu
fesseln, sollte er — seine Gemahlin Konstanze war am 23. Juni 1222
gestorben — Iolante, die Erbin Jerusalems, heiraten. Zugleich wurde
eine allgemeine Kreuzzugssteuer festgesetzt und zu ihr nicht blofs der
Klerus, sondern auch Laien herangezogen. Aber auch der neue Termin
konnte nicht eingehalten werden : es war eben in keinem Lande jene
Begeisterung vorhanden, die in Ferentino vorausgesetzt ward. Eine
neue Verschiebung fand statt.
Im Vertrag von S. Germano wurde am 25. Juli 1225 festgesetzt, dafs der Kaiser
im August 1227 mit 100 Transportschiffen und 50 Galeeren absegeln und diese Streit-
macht zwei Jahre lang im hl. Lande erhalten, aufserdem für 2000 Ritter und ihre
Knappen Schiffe stellen und als Pfand 100000 Unzen Gold erlegen werde, die ihm
beim Antritt des Zuges wieder zufliefsen. Sollte der Kaiser vor oder auf dem Zuge
sterben oder die Kreuzfahrt nicht stattfinden, so verfällt das Geld zum Besten des
hl. Landes ; tritt der Kaiser zu dem genannten Zeitpunkt die Fahrt nicht an, so ver-
fällt er dem Kirchenbann. Sollte er sterben, ohne sein Gelübde erfüllt zu haben, so
ist sein Nachfolger gehalten, die Verpflichtung zu erfüllen. Dieser Vertrag hat den
bisherigen Charakter der Kreuzzüge von Grund aus geändert a), denn was bisher Sache
der Christenheit war, wurde nun einem einzigen Lande, dem unter päpstlicher Lehens-
hoheit stehenden Sizilien, zugedacht. An die Stelle eines Religionskrieges trat ein
Eroberungskrieg, der nur äufserlich den Schein eines Religionskampfes hatte, indem
die Kirche seinen Vollzug überwachte und den Teilnehmern ihre Segnungen spendete.
Am 9. November 1225 erfolgte in Brindisi die kirchliche Einsegnung der Ehe Fried-
richs IL mit Iolante, der Königin von Jerusalem. Der Kaiser wurde damit Herr eines
dritten Reiches, das freilich erst noch zu erobern war. Indem er nun von seinem
Schwiegervater König Johann Verzicht auf das Königreich Jerusalem begehrte, nahm
er selbst den Königstitel von Jerusalem an und liefs sich von den syrischen Grofsen,
welche die nunmehrige Kaiserin nach Apulien begleitet hatten, die Huldigung leisten.
Die Päpste erkannten diesen Königstitel erst seit 1230 an.
4. Während Friedrich IL in Unteritalien die königliche Autorität
befestigte, lagen in Oberitalien die meisten Städte mit den benachbarten
Grofsen oder untereinander oder die Parteien in den einzelnen Städten
miteinander im Kampfe und waren nur in dem Streben einig, ihre Macht
über die Bestimmungen des Konstanzer Vertrags hinaus zu vermehren.
Weder Friedrich IL noch seine Legaten hatten an diesen Zuständen
etwas zu ändern vermocht. Zu Ostern 1226 berief er einen Hof tag nach
Cremona, in der Absicht, die Zustände von 1183 wieder herzustellen.
Das hätte für viele Städte das Aufgeben mancher usurpierter Rechte
bedeutet. Da sie zugleich eine Begünstigung kaiserlich gesinnter Städte,
wie Cremona, Pavia u. a., befürchteten, so erneuerten Mailand, Bologna,
Brescia, Mantua, Padua, Vicenza und Treviso am 6. März 1226 in der
') Winkelmann I, 239.
86 Der Lombardenbund un<l Friedrich II. Vermittlung und Tod des Papstes.
Kirche des hl. Zeno zu Mosio ihren alten Bund auf 25 Jahre. Ihm
traten noch Vercelli, Alessandria, Faenza, Lodi und Piacenza bei. Sein
angebliches Ziel war die Aufrechthaltung des Konstanzer Vertrags, sein
wirkliches die Beibehaltung des augenblicklichen Zustandes. Friedrich II.
sammelte ein Heer und kam bis Riniini. Da er aber auch Insassen des
Kirchenstaates für das lombardische Unternehmen verwendete, trat ihm
der Papst entgegen, der ihm auch wegen der sizilischen Verhältnisse
grollte. Als Friedrich II. nach Xorditalien vorrückte, liefs die lombar-
dische Liga die Alpenpässe sperren, so dafs dem deutschen Heere, das
bereits bis Trient gelangt war, die Klausen verlegt waren und die
deutschen Fürsten bis auf jene, die den "Weg durch Ost erreich ge-
nommen hatten, wieder umkehrten. Um die Liga zu sprengen, ver-
besserte der Kaiser zunächst seine Beziehungen zum Papste und begann
Unterhandlungen mit den lombardischen Städten. Aber schon gingen
die Absichten der Lombarden auf völlige Lahmlegung der kaiserlichen
Gewalt. Zu dem Zwecke ward jeder Sonderverkehr mit ihm eingestellt,
die "Wahl ihrer Podestäs aus anderen als den Gemeinden der Liga ver-
boten und bald noch eine Zahl zum Teil schimpflicher Bedingungen
gestellt. Indem sie den Austritt einer Stadt aus ihrer Liga einer Re-
bellion gleichstellten, trat ihre Absicht hervor, den Bund zu einem
selbständigen Staatswesen auszugestalten.1) Ein Gutachten zahlreicher unter
dem Vorsitz des Bischofs Konrad von Hildesheim in Parma versammelter
Kirchenfürsten erklärte dagegen, dafs die Lombarden durch ihr Vorgehen
den Rechten und der Ehre des Kaisers nahe getreten seien; da auch
die folgenden Verhandlungen ergebnislos blieben, sprach der Bischof
über die Liga wegen unerlaubter Verbindung« Kirchenbann und Inter-
dikt aus, der Kaiser verhängte über die Mitglieder die Acht und erklärte
sie ihrer Privilegien, zumal der ihnen durch den Konstanzer Vertrag
verliehenen Rechte, verlustig, hob ihre Städteverfassungen auf. ver-
ordnete die Auflösung ihrer hohen Schulen u. s. w. Der Urteilsspruch
konnte indes wegen der Schwäche der Kaiserlichen nicht vollstreckt
werden. Indem Friedrich II. schliefslich die Frage der Besetzung der
sizilischen Bistümer nach den Wünschen des Papstes erledigte, nahm
dieser die Vermittlung in die Hand, und die lombardischen Städte er-
klärten sich bereit, für den Kreuzzug durch zwei Jahre 400 Ritter zu
stellen und die kirchlichen und kaiserlichen Gesetze gegen die Ketzer
und zum Schutze der Kirchenfreiheit zu beobachten (1227, Januar). Da
über die politischen Fragen keine Entscheidung erfolgte, fiel der Schieds-
spruch des Papstes gegen Friedrich und für die Liga aus. die nun im Besitz
der von ihr usurpierten Rechte verblieb. Der Papst durfte hoffen, dafs nun
der Kreuzzug ohne Hindernis stattfinden würde. Bevor es aber noch
dazukam, starb er am 18. März 1227. Ohne die glänzenden Eigenschaften
seines Vorgängers zu besitzen, vermochte er die von ihm überkommene
Macht unversehrt zu erhalten, und der erste Versuch des Kaisers, die Ver-
hältnisse Italiens nach seinem Sinne zu gestalten, war völlig gescheitert.
1 Für das Folgende AVinkelniann, Jahrb. I, 292 tf.
Die Politik des Reichsverwesers Engelbert von Köln. #7
§ 19. Die Regentschaft Engelberts von Köln (1220—1225) und Herzog
Ludwigs von Bayern (1226—1228).
Quellen wie §17. Hilfsschriften ebenda. Dazu: Wissowa, Pol. Beziehungen
Englands u. Deutschlands. Breslau 1889. J. Ficker, Engelbert der Heilige, Erzb. v.
Köln u. Reichsverweser. Köln 1853. Isaacsohn, De consilio regio. Berl. 1874.
Hoogeweg, B. Konrad H. v. Hildesheim als Reichsfürst, Z. V. N. Sachs. 1889 (An-
hanger der Staufer bis an sein Ende 1249). Rodenberg, wie oben.
1. Dem Reichsverweser Erzbischof Engelbert von Köln standen
anfänglich einzelne Reichsfürsten — vornehmlich geistliche — und
Reichsministerialen als königlicher Rat, der allerdings kein geschlossenes
Kollegium bildete, zur Seite. Durch Heinrichs Krönung zu Aachen
(1222, 8. Mai) wurde an der bestehenden Regierungsweise nichts geändert.
Erst nach dem Tode des Bischofs Otto von Würzburg (1223) und des
Reichskanzlers und Bischofs von Speyer und Metz, Konrad von Scharf en-
berg (1224), wurde Erzbischof Engelbert, bisher der tatkräftigste Vertreter
der territorialen Politik des Fürstentums, der eigentliche Regent, der
sich mit den Fürsten verständigte, das Ratskollegium anhörte und im
Namen des Königs die entsprechenden Anordnungen traf.1) Seine Re-
gierung fand das begeisterte Lob Walters von der Vogelweide, der dem
Reichs verweser nahe stand. Engelbert handhabte in strengster Weise
Recht und Gesetz, sorgte für die Aufrechthaltung des Landfriedens,
Sicherheit die Verkehrs und das Gedeihen des Bürgertums , freilich
meist nur für sein eigenes Land, sonst mufste auf die schon stark ent-
wickelte Landeshoheit der Reichsfürsten billige Rücksicht genommen
werden. Auch griff der Kaiser nicht selten von Sizilien aus in die
Reichsverwaltung ein. In der auswärtigen Politik war das bedeutendste
Ereignis die Gefangennahme König Waidemars II. von Dänemark, die den
Sturz der dänischen Grofsmachtstellung einleitete (§ 13) und der Reichs-
regierung Anlafs bot, die 1215 an Dänemark abgetretenen Lande nord-
wärts der Elbe zurückzugewinnen. Stand die Politik des Reichsverwesers
schon in dieser Frage nicht völlig mit der des Kaisers in Einklang, der
sie von universalem Gesichtspunkte aus führte, so war dies noch weniger
in bezug auf die Westmächte der Fall, denen gegenüber Friedrich II.
an der Politik seines Hauses festhielt. Der zu Gatania (1223, November)
zwischen ihm und Ludwig VIII. abgeschlossene Vertrag bestimmte, dafs
der Kaiser weder selbst noch auch seine Untertanen ein Bündnis mit
England schliefsen würden. Engelbert neigte dagegen nach der Über-
lieferung seiner Vorgänger zu England und begünstigte, gegen den Plan
einer französischen Heirat, die Vermählung Heinrichs mit einer eng-
lischen Prinzessin. Diese Politik schien dem Reichs verweser angesichts
der Fortschritte des kapetingischen Königtums durchaus geboten, und
daran änderte auch die Zusammenkunft Ludwigs VIII. und Heinrichs
zu Toul (1224, 19. November) nicht das mindeste. Wenn schliei'slich ein-
zelne Reichsfürsten, wie Thüringen und Bayern, die Vermählung Heinrichs
*) Winkelmann, 353.
8g Engelberts Ermordung und ihre Wirkungen.
mit Agnes, der Tochter des Böhmenkönigs Ottokar L, wünschten, ver-
warf der Kaiser alle diese Projekte und bestimmte Margareta, die
Tochter Herzog Leopolds VI. von Ost erreich, zur Gemahlin seines
Sohnes. Die Hochzeit wurde am 18. November 1225 in Nürnberg ge-
feiert. Elf Tage zuvor ward Engelbert von seinem Verwandten, Grafen
Friedrich von Altena-Isenburg, dessen Gewalttätigkeiten gegen das Kloster
Essen er ein Ziel setzen wollte, zu Schwelm ermordet. Die Trauer um
den Heimgang des trefflichen Reichsverwesers war eine allgemeine.1)
2. Für Deutschland hatte der Mord verhängnisvolle Wirkungen.
Zunächst erhob sich in vielen Landesteilen bis zur Neubesetzung des
Amtes rohe Gewalt, der der königliche Rat bei seinem geringen Ansehen
nicht beizukommen vermochte. Erst im Juli 1226 erhielt Herzog Ludwig
von Bayern die Würde eines Gubernators. Indem im königlichen Rate
durch ihre stärkere Beiziehung die Macht der Fürsten überwog, erhielt
ihre städtefeindliche Richtung auch in der Reichsregierung das Über-
gewicht. — Am 28. April 1227 war Pfalzgraf Heinrich, der letzte Sohn
Heinrichs des Löwen, gestorben. Er hatte sein Erbe seinem Neffen
Otto von Lüneburg zugedacht, aber auch Staufer und Bayern erhoben
Ansprüche, über die schliefslich Otto die Oberhand gewann. Wiewohl
der neue Reichsverweser in den Bahnen seines Vorgängers wandelte,
blieb Friedrich IL auf französischer Seite und erneuerte mit Ludwig IX.
das Bündnis von 1223. Während der Kreuzfahrt des Kaisers (§ 20)
gewann das Reichsregiment zwar an Selbständigkeit, doch mehrten sich
die Fehden und die A^erwirrung im Reiche, zumal unter den Mitgliedern
der Reichsregierung keine Einigkeit herrschte. Zu Weihnachten 1228
kam es zum Bruche zwischen König Heinrich, der sich der Vormund-
schaft entwachsen fühlte, und Herzog Ludwig, dessen Regentschaft ihr
Ende fand. Heinrich nahm sie nun selbst in die Hände. Dies geschah
in einem Augenblick, da das Papsttum daran ging, dem staufischen
Hause nicht nur Sizilien, sondern selbst das Königtum in Deutschland
zu entreifsen.
2. Kapitel.
Friedrich II. und Gregor IX.
§ 20. Gregor IX. und der Kreuzzug' Friedrichs II. Krieg zwischen
Kaiser und Papst.
Quellen zur Gesch. Greg. IX. U r k k. : L. A u v r a y , Les Rt gistres de Gregoire IX.
Paris 1890—1896. Theiner, S. 89—116, sonst wie §17. Geschichtschreiber : Vita
Gregorii IX. Murat. HI, 575 — 587. Verf. Zeitgen. ans d. Umgeb. des Papstes Marx,
Die vita Greg. IX. Berl. 1889. Feiten, Papst Greg. IX. Beil. 1 . Für die Kreuz-
fahrt Friedrichs II. Akten und Briefe wie oben. Dazu Sudendorf, Registr., die
Geschichtschr. s. oben. Für die Yorgesch. ist Ryccardus de 8. Germano s. oben)
am wichtigsten. Aufser ihm Roger v. AVendover, Matthäus Paris, die Forts.
v) Ou-c des, daz in diu erde mac getragen. Walter, ed. AVilmans 320, 11. Des
Isenburgers Strafe in der vita S^ Engelberti, cap. XVII.
Gregor IX. Sein Charakter und .seine Ziele. 89
des Wilhelm v. Tyms, die oben gen. deutschen Chroniken u. Annalen, vornehmlich
der Chron. Ursp., die Ann. Stadenses und Marbacenses (s. oben). Wichtig ist das
Chron. Sic. Huillard-Breholles I u. von deutschen Dichtern Fridanc in seiner »Be-
scheidenheit«, ed. Bezzenhergcr. Halle 1872. Von arab. Schriftstellern kommen auch
hier Abulfeda, Ihn el-Athir, Makrizi, dann Ibn el-Amid u. Alhusain in Betracht.
Hilfsschriften: Bai an, Storia di Gregorio IX e dei suoi tempi. Mod. 1872/3.
Feiten, Papst Gregor IX. Freib. 1886 (tendenziös). K ö hier, W i n k e 1 m a n n ,
S c h i r r m a c h e r , Gregorovius wie oben. Für den Kreuzzug s. § 18. Dazu Richter,
Beitr. zur Historiographie in den Kreuzfahrerstaaten zur Zeit Friedr. H. Diss. 1890.
B. Röhricht, Die Kreuzfahrt Kaiser Friedrichs n. (1228—1229) in Beitr. I, 1—112.
K e s t n e r , Der Kreuzzug Friedrichs IL Gott. 1870. v. Löher, Kaiser Friedrichs
Kampf um Cypern. Abh. bayr. Akad. XIV. Münch. 1878. Winkelmann, Der Kreuzz.
K. Friedrichs H. in Jahrbb. d. d. Gesch. H, 85 ff. B 1 o c h e t , Les relations dipl. des
Hohenstaufen avec les sultans d'Egypte. RH. XXVII. Honig, Rapporti fra F. II.
e Gr. IX. rispetto alla sped. in Palästina. Bol. 1897. Bernecker, Beitr. z. Chronol.
d. Reg. Ludwig IV. d. H. von Thüringen. Kgsbg. Diss. 1880. Koch, Hermann von
Salza. Leipz. 1885. Dasse, Hermann v. Salza. Diss. 1867. Loreck, H. v. S. Sein
Itinerar. Diss. 1880. C. Rodenberg, Die Vorverhandlungen zum Frieden von
St. Germano. N. Arch. XVIH. G. Xoel, Der Friede von S. Germano. Berl. 1891.
Fehling, Kaiser Friedrich H. u. die römischen Kardinäle 1227 — 1239. Hist. Stud. XXI.
Berl. 1901. H. Frankfurth, Gregor de Montelongo. Marb. 1898. S. dazu Hampe
i. d. H. Vierteljahrschr. II, 404. (Einige kleinere Xachtr. JBG. 1899 ff.)
1. Auf einen der friedliebendsten Päpste folgte ein Mann von
starker Leidenschaft und eherner Willensfestigkeit.1) Schon einen Tag
nach dem Tode Honorius' III. wurde der Kardinalbischof von Ostia
Hugo, meist Hugolinus genannt, gewählt und als Papst Gregor IX. aus-
gerufen. Er stammte aus dem Hause der Conti und war mit Innozenz III.
verwandt. Schon bejahrt, ein Mann von stattlichem Aufsern, tadellosem
Ruf, fromm und sittenstreng, beredt und gerühmt wegen seiner Kennt-
nisse in den philosophischen und Rechtswissenschaften, war er bereits
1198 Kardinal geworden und hatte sich bei verschiedenen Legationen
in Unter- und Oberitalien und Deutschland bewährt. Unter Honorius III.
wirkte er mit gröfstem Eifer für den Kreuzzug. Gregor IX. huldigte
den Grundsätzen seines Vorgängers, aber kraftvoller als dieser: »Wie
ein Blitz aus dem Süden«, sagt sein Biograph, »ist er hervorgetreten.«
Ein friedliches Zusammenwirken mit dem Kaiser war nur dann möglich,
wenn dieser sich willig der Leitung der Kirche fügte.2) Kaum hatte
Gregor IX. den päpstlichen Stuhl bestiegen, als er dem Klerus die
Förderung des Kreuzzugs zur Pflicht machte und den Kaiser unter
Strafandrohungen an sein Gelübde mahnte. Dieser liefs es an Eifer nicht
fehlen : in allen Häfen Siziliens wurden Schiffe ausgerüstet, von der
Geistlichkeit Kriegssteuern erhoben; in Deutschland wirkte der Grofs-
meister des Deutschen Ordens, Hermann von Salza, mit grofsem Erfolge
für das Unternehmen. In einzelnen Landschaften war der Andrang so
stark, dafs z. B. der Herzog Leopold von Österreich für die Verteidigungs-
fähigkeit seines Landes besorgt wurde. Besonders eifrig waren auch
diesmal die Friesen. Neben Deutschland tat sich England hervor.
Frankreich blieb dagegen zurück, da hier der Krieg gegen die Albigenser
x) Gregorovius V, 140.
2) Seine Politik erörtert knapp Fehling, S. 1.
90 Die Baimung Friedrichs II.
die Kräfte des Landes in Anspruch nahm. Die Kreuzfahrer sammelten
sich in Brindisi. Die ungeheure Sommerhitze daselbst, das dichte Zu-
sammenwohnen und die ungeregelte Lebensweise der Pilger erzeugte
eine Seuche, der Tausende erlagen. Unter den Opfern befand sich auch
der Bischof von Augsburg. Da sich bei so starker Beteiligung an dem
Kreuzzug die Zurüstungen als unzureichend erwiesen, kehrten viele
Kreuzfahrer in die Heimat zurück. Friedrich IL. wiewohl selbst von
der Krankheit ergriffen, beteiligte sich noch an den nächsten Arbeiten.
Am 9. September 1227 schiffte er sich ein, um sich in Otranto von seiner
Gemahlin zu verabschieden. Da starb auch Landgraf Ludwig von
Thüringen. Der Tod dieses Fürsten, auf dessen Hilfe der Kaiser vor-
nehmlich gerechnet hatte, erschütterte ihn so, dafs sich seine eigene
Krankheit verschlimmerte. In einem zu Otranto abgehaltenen Kriegs-
rat, an dem auch der Patriarch von Jerusalem, der Bischof von Akkon
Jakob von Vitry und Hermann von Salza teilnahmen, entschlofs er sich,
zurückzubleiben, den Oberbefehl über die bereits abgesegelten Heeres-
teile dem Herzog Heinrich von Limburg zu übertragen, die noch im
Hafen liegenden Schiffe dem Deutschordensmeister und dem Patriarchen
von Jerusalem und anderen Grofsen zur Verfügung zu stellen und seine
Abfahrt auf den Mai des nächsten Jahres zu verschieben.
Die Kunde hie von versetzte den Papst in heftige Erregung. In
der Annahme, dafs des Kaisers Krankheit nur erdichtet sei1), sprach der
Papst, ohne die Umstände näher zu prüfen2], über ihn den Bannfluch
aus (29. September). Die Bemühungen des Kaisers um .dessen Zurück-
nahme blieben vergeblich, vielmehr wurde der Bann auf der römischen
Synode am 18. November 1227 und am Gründonnerstag des folgenden
Jahres wiederholt, alle auf den Kreuzzug bezüglichen Handlungen für
ungültig erklärt und die Kreuzfahrer ihrer Gelübde entbunden. AVar
auch der Papst zu seinem Vorgehen formell berechtigt, so hätten doch
die vielen zugunsten Friedrichs sprechenden Tatsachen, vor allem seine
wirkliche Erkrankung, berücksichtigt werden sollen. Statt dessen wurden
von der Kurie Dinge eingemischt, die mit der Kreuzfahrt nichts zu tun
hatten.3) Der Kaiser rechtfertigte seine Haltung in einem Rundschreiben
an alle Fürsten, widerlegte die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen
und verkündigte seine Absicht, den Kreuzzug anzutreten. Der Papst
konnte nicht hindern, dafs des Kaisers Schrift durch den Juristen Rof-
fried von Benevent auf dem Kapitol verlesen wurde und die Römer
ihren Sympathien für Friedrich II. Ausdruck gaben, ja nach der dritten
Verkündigung des Bannes einen Tumult erregten. Er war genötigt, aus
der Stadt zu ziehen.
*) Die sachgemäfseste Erörterung hierüber bei Winkelinann I, 333 f. Zur Ban-
nung des Kaisers s. auch, die Note in Döllinger, Die Ermordung des Herzogs Ludwig.
Akad. Vortr. III, 196.
2) Sine causae cognltione. Friedrichs Feinde schienen ihm ein Verbrechen aus
seiner Genesung zu machen und dafs er nicht wie so viele andere der Seuche erlegen
war. Ebenda nach Cherrier, Bist, de la lutte des papes, II, 51.
5) Indem sie Forderungen vorbrachte, die den Zweck hatten, Sizilien zu einer
päpstlichen Statthalterschaft herabzudrücken. S. Ficker in den MJÖG. IV, 375.
Der Kreuzzug Friedrichs II. 91
2. Um zu zeigen, dafs sein Zurückbleiben nicht beabsichtigt war,
setzte Friedrich II. die Rüstungen fort. Die Lage im Oriente war inso-
fern günstig, als der Sultan im Streite mit seinen Brüdern und in der
Absicht, des Kaisers Hilfe zu gewinnen, schon 1227 mit dem Erbieten
an ihn herantrat, Jerusalem und die übrigen Erwerbungen Saladins im
Küstengebiete abzutreten. Selbst als der christenfeindliche Muazzam
von Damaskus gestorben war, blieb dem Sultan die Unterstützung
Friedrichs für die Durchführung seiner Pläne auf Damaskus immer
noch wertvoll. Um auf die Entschliefsungen des Sultans einzuwirken,
sandte Friedrich eine Heeresabteilung nach Syrien, wohin er selbst im
Mai aufzubrechen gedachte. Inzwischen gebar ihm seine Gemahlin einen
Sohn, den er Konrad nannte, und der nun der legitime Erbe des König-
reiches Jerusalem wurde. Nachdem Friedrich auf dem Hoftage von
Barletta Anordnungen für die Dauer seiner Abwesenheit getroffen hatte
und seine Annäherungsversuche an den Papst nicht nur ergebnislos ver-
laufen, vielmehr ein förmlicher Kriegszustand eingetreten war, segelte
er mit einem kleinen Heere ab (28. Juni) und landete am 21. Juli 1228
zu Limisso auf Cypern. Hier machte er die seit Heinrich VI. bestehende
Lehenshoheit des Reiches aufs tatkräftigste geltend, indem er den Vor-
mund des jungen Königs Heinrich zwang, ihm die Huldigung zu leisten,
die Vormundschaft und bis zur Grofs jährigkeit Heinrichs die Einkünfte
der Insel zu überlassen. Am 7. September landete er in Akkon. Als
rechtmäfsigem Inhaber des Königreiches für seinen Sohn Konrad wurde
ihm allgemein gehuldigt. Selbst die Geistlichkeit zog ihm entgegen,
mied aber seinen näheren Verkehr. Bei seiner Schwäche — sein Heer
zählte nur 800 Reiter und 10000 Mann zu Fufs — war an ein kräftiges
Vorgehen nicht zu denken. Zudem machten sich alsbald die Einflüsse
der Kurie geltend : Zwei Minoriten waren erschienen und hatten jede
Unterstützung des Gebannten verboten. Da Friedrich IL die Einigkeit
im Christenheer aufrecht erhalten wollte, sich anderseits viele scheuten,
seinen Befehlen zu gehorchen, trat er den Oberbefehl an Hermann von
Salza, den Marschall Filangieri und den Connetable Odo von Montbeliard
ab, von denen der erste die deutschen und lombardischen, der zweite
die Truppen Jerusalems und der dritte die Cyperns befehligte ; aber der
Patriarch von Jerusalem und die Meister der Templer und Johanniter
weigerten sich, dem Zuge zu folgen, falls Befehle in des Kaisers Namen
gegeben würden. Auch diesmal gab Friedrich nach : die Befehle wurden
im Namen Gottes und der Christenheit gegeben. Diese Zerwürfnisse
erschwerten die Unternehmungen des Kaisers, der sich schliefslich nur
auf seine Sizilianer, die Deutschen und die im Lande ansässigen Pisaner
und Genuesen verlassen konnte, während Vertreter des Papstes den
Sultan aufforderten, dem Kaiser das Königreich Jerusalem nicht zurück-
zustellen.1) Indem Friedrich auf die Nachrichten über des Papstes Vor-
gehen in Sizilien seine ursprünglichen Forderungen, d. h. das alte
Königreich Jerusalem, auf ein bescheideneres Mafs herabsetzte, kam es
*) Winkelmann H, 106.
92 Erfolge Friedrichs IL in Palästina.
am 18. Februar 1229 zu einer Vereinbarung, nach welcher er Jerusalem,
mit dem Rechte es zu befestigen, erhielt.
Doch sollte Omars Moschee den Mohammedanern verbleiben, damit sie dort,
wenn sie unbewaffnet kämen, ihren Gottesdienst verrichten könnten. Auch Christen
sollten dort Zutritt haben, wie umgekehrt Mohammedaner an der hl. Stätte in Bethlehem.
Dieser Ort nebst den am AYege nach Jerusalem liegenden Ortschaften, die Strafse von
Jerusalem über Ramiah nach Jaffa mit den zu beiden Seiten liegenden Orten, Xazareth
mit den Plätzen bis Akkon, Stadt und Hafen von Sidon, die benachbarte Ebene und
che Burg Turon wurden an che Christen abgetreten. Diesen blieb ferner, was sie in
Friedenszeiten innegehabt. Die gegenseitigen Kriegsgefangenen wurden ausgeliefert
und bestimmt, dafs der Vertrag 10 Jahre 5 Monate und 40 Tage dauern solle. Würde
der Sultan von den übrigen christlichen Mächten in Syrien angegriffen, so sollte der
Kaiser die Seinigen von deren Unterstützung abhalten.
Dieser Vertrag, der nicht vollständig auf uns gekommen ist, hat
schon bei den Zeitgenossen eine verschiedene Beurteilung erfahren.
Glänzende Erfolge konnten , was schon Hermann von Salza bemerkt,
nur errungen werden, wenn Staat und Kirche einträchtig zusammen-
wirkten; aber der Kaiser hatte erreicht, was seit 50 Jahren unter den
gröfsten Opfern — und immer vergeblich — erstrebt worden war : den
Besitz der hl. Stätten und ungehinderten Zugang zu ihnen.1) Den
wahren Erfolg entnimmt man ebenso dem Jubel, mit dem die Christen,
wie dem Schmerz, mit dem die Sarazenen den Vertrag aufnahmen. —
Xoch machte der Kaiser den — freilich ergebnislosen — Versuch, den
Patriarchen zu versöhnen, denn ihm war darum zu tun, nach Landes-
sitte gekrönt zu werden. Kommissäre des Sultans übergaben dem Kaiser
die Stadt; am 17. März 1229 hielt er seinen Einzug; die Deutschen
rückten unter dem Gesang ihrer Kriegslieder ein. Xoch an demselben
Tage verrichtete Friedrich am hl. Grabe sein Gebet. Am nächsten
Sonntag schritt er ohne kirchliche Feierlichkeit zum Hochaltar der
Grabeskirche, nahm von dort eine goldene Königskrone und setzte sie
auf sein Haupt. Hermann von Salza verlas eine Ansprache, die das
Vorgehen des Kaisers rechtfertigte und Worte des Friedens enthielt.
Am folgenden Tage erschien aber schon der Bischof von Cäsarea und
sprach über die heiligen Orte das Interdikt aus ; ein englischer Domini-
kaner erneuerte den Bannfluch gegen den Kaiser, was diesen bewog,
seinen Aufenthalt in Jerusalem abzukürzen. Es sollte ihm sonach der
Wiederaufbau der Befestigungen unmöglich gemacht werden. Doch
traf er auch hiefür noch die nötigen Anordnungen. Dann ging er nach
Akkon und setzte das Abendland von seinen Erfolgen in Kenntnis.
Noch versuchte der Patriarch, die heimkehrenden Pilger von der Rück-
fahrt abzuhalten, und betrieb Rüstungen zu neuem Kampfe; da der
Kaiser aber hierin eine Gefährdung seiner Erfolge erblickte, setzte er
diesem Vorgehen Waffengewalt entgegen, worauf der Patriarch das
Interdikt auch über Akkon verhängte und den Bann über den Kaiser
und alle jene aussprach, die ihm gehorchen würden. Als nun neuerdings
1 Freidank: Die sträze uns alle oßen steint,
Die zuo den heiigen steten gänt.
Der Krieg zwischen Kaiser und Papst! 93
ungünstige Nachrichten aus Sizilien einliefen, übertrug Friedrich die
Verwaltung des Reiches seinem getreuen Baliam von Sidon und dem
Elsässer Wernher von Egisbeim, schiffte sich am 1. Mai ein und langte
am 10. Juni 1229 in Brindisi an.
3. Noch vor seiner Abfahrt von Sizilien hatte Friedrich II. alle
Vorsichtsmaisregeln zur Verteidigung dieses Landes getroffen. Meinte
der Papst, den Kaiser durch einen Angriff Siziliens am empfindlichsten zu
treffen, so traf der Kaiser Anstalten, die von Innozenz III. gewonnenen
Gebiete von Mittelitalien (§ 6) : Ancona, Spoleto und das Gebiet der Mark-
gräfin Mathilde, wieder an sich zu ziehen, machte seinen Statthalter, den
Urslinger Reinald, zum Reichslegaten in der Mark Ancona und den
Mathildischen Ländern, liefs die päpstliche Enklave Benevent absperren
und zog ein gegen seine alten Widersacher, die Grafen von Celano u. a.,
bestimmtes Heer in den Abruzzen zusammen. Dagegen schlofs der
Papst ein Schutz- und Trutzbündnis mit den Lombarden, deren
Rebellion hiedurch ihre förmliche Berechtigung erhielt; den entschei-
denden Schritt tat er aber erst nach des Kaisers Abzug, indem er die
Fürsten und Untertanen des Reiches und Siziliens des Gehorsams gegen
den Kaiser entband und über alle, die ihm bei einem Angriff auf den
Besitz der Kirche beistehen würden, den Bann aussprach. Als Reinald
in Ancona einbrach, trug auch der Papst kein Bedenken, Sizilien an-
zugreifen. Aus allen Ländern wurden Beiträge erhoben: schon galt der
Kampf als Glaubenskrieg.1) Drei Heeresabteilungen wurden aufgestellt,
die erste hatte den Aufstand in den Abruzzen zu unterstützen, die zweite
unter dem Titularkönig Johann von Jerusalem und dem Kardinal Colonna
gegen Reinald von Spoleto zu kämpfen und die dritte unter dem Legaten
Pandulf ins Königreich einzufallen. Die kaiserliche Herrschaft sollte
durch die päpstliche ersetzt werden. Schon schlössen sich die von
Friedrich IL gemafsregelten Barone an und wurden von päpstlichen
Truppen, die nach ihren Abzeichen .Schlüsselsoldaten genannt wurden,
in ihre Besitzungen und Würden wieder eingesetzt. Am 18. Januar 1229
betraten die Schlüsselsoldaten das Königreich. Zum erstenmal erscheint
das Papsttum als kriegführende Macht zum Zweck der Eroberung eines
fremden Landes. Einzelne Grofse und ganze Ortschaften traten über.
Die Minoriten bewährten auch hier ihre Befähigung zur politischen
Agitation. Die Kaiserlichen räumten die Mark Ancona bis auf Sulmona ;
mehr als die Hälfte des sizilischen Festlandes wurde besetzt; auch auf
der Insel regte sich der Widerstand gegen Friedrichs II. System. Schon
trifft Gregor IX. Mafsregeln, die auf eine dauernde Herrschaft der Kirche
berechnet waren. Selbst Deutschland sollte den Staufern entrissen werden.
Aber der Herzog Otto IV. von Lüneburg lehnte die ihm zugedachte
Rolle eines Gegenkönigs ab, und Herzog Ludwig von Bayern, der sich
von der päpstlichen Partei hatte gewinnen lassen, wurde unterworfen.
Von den geistlichen Fürsten verhielten sich die meisten ablehnend. Der
Stimmung des Volkes gab der unter dem Namen Freidank dichtende
J) BFW. 6751, 6767 u. 6771.
94 Der Friede von San Germano.
Schwabe Ausdruck, dafs kein Bann vor Gott weiter reiche als des
Menschen Schuld, die Schuld des Kaisers aber durch den Kreuzzug
gesühnt sei. Seine Heimkehr gab der Sache eine andere Wendung. Er
knüpfte uiiverweilt Unterhandlungen an, da diese aber bei der Hartnäckig-
keit des Papstes nicht zum Ziele führten, griff er tatkräftig in den Krieg
ein. Während das päpstliche Heer Cajazzo belagerte, die finanziellen
Schwierigkeiten des Papstes wuchsen, die Lombarden in die Heimat ab-
zogen, mehrte sich der Anhang des Kaisers. Namentlich schlössen sich
ihm die deutschen Ritter an, die eben aus Syrien zurückkehrten. Binnen
wenigen Monaten hatte . er die Feinde über die Grenzen getrieben, ein
Sieg, der grofses xlufsehen machte, dem aber die Ergebnisse nicht ent-
sprachen. Wiewohl der Papst alle Eroberungen wieder eingebüfst hatte,
sein eigenes Land im Aufruhr war, er selbst sich in der Verbannung
befand, bot der Kaiser die Hand zum Frieden. Die Verhandlungen
hatten einen schleppenden Verlauf; da nahmen auf des Kaisers Wunsch
sechs süddeutsche Fürsten die Vermittlung in die Hand ; der Kaiser
wurde durch den Meister Hermann von Salza und den Erzbischof von
Reggio, der Papst durch zwei Kardinäle und die Lombarden durch den
Bischof von Brescia vertreten. Am 23. Juli 1230 wurden in S. Germano
die Präliminarien, am 28. August zu Ceperano in Campanien der Friede
abgeschlossen. Der Kaiser war bereit, sich in allen Dingen, um derent-
willen er gebannt war, den Anordnungen der Kurie zu fügen, erliefs
eine Amnestie für die Anhänger des Papstes und versprach die Resti-
tution der Besitzungen der Kirche. Nachdem er noch die Wahlfreiheit
des sizilischen Klerus und seine Exemption von den Steuern und der
Gerichtsbarkeit des Staates bewilligt hatte, wurde er samt seinen An-
hängern vom Banne losgesprochen. Eine Zusammenkunft mit Gregor IX.
besiegelte den Friedensschlufs.1)
§ 21. Die Gesetzgebung Friedrichs II. im Königreich Sizilien
1230—1231.
Die Quellen zur >iz. G-esch. in Capasso, Le Fonti della Storia delle Trovincie
Napolitane. Napoli 1902 p. 100 ff. Die Constitutiones regni Siciliae. Ausg. v. Carcani.
Neapel 1782. Mit verbessert. Text: Huillard-Breholles, Hist. diplorn. Frid. sec. IV, 1.
AVinkelmann, Acta irnperii inedita I. Daselbst S. 597 — 731 die Acta Sicula Registroram
Fridericianorum excerpta Massiliensia, Fomiulae magnae iinperialis curiae und Statuta
officiorum). Winkehnann, Sizilische u. päpstliche Kanzleiordnungen Erw. Abdr. d.
vorigen). Innsbr. 1880. Paolucci, Urkunden u. Aktenstücke z. Gesell. >iz. im staut
Zeitalter. Atti d. R. Acc. de Palermo 1901.
Hilf s Schriften: Huillard-Breholles, w. oben. AVinkelmann, De regni
Siciliae administratione .. regnante Friderico II. Berlin 1850. Schirrmacher und
R a u m e r HE, wie oben. C a passo, Sulla storia esterna delle costitutioni del regno
di Sicilia. Xapoli 1896. Br a ndil e o n e , n diritto nelle leggi Normanne e Sueve del
regno di Sicilia. Torino 1884. H. Wilda, Zur siz. Gesetzgebung, Steuer- und Finanz-
verwaltung unter K. Fr. II. u. seiner norm. Vorfahren. Halle 1889. Scheffer-
Boichorst, Das <4csetz K. Friedrichs, De resignandis privilegiis. SB. preufsische
Ak. 1900. Weitere Lit. Angaben s. Winkelm. H, 266, Note 1. Hampe, Kaiser
1 Über dessen Bedingungen und Bedeutung s. auch Winkelmann H, 188 f.
Die Gesetzgebung Friedrichs in Sizilien. 95
Friedr. IL HZ. 83. Huillard-Breholles, Vie et correspondance de Pierre de la
Vigne. Paris 1865. S. daz. Winkeini. II, 270, Note 1. Zu Petr. de Vin. s. Capasso 112.
Dort über die Brief Sammlung alles Nötige. Winkelmann, Über die Goldprägungen
Friedrichs II. f. d. Königr. »Sizilien. MJÖG. XV. Schaube, Der Wert der Augustalen.
Ebenda XVI. A m a r i in, wie oben.
1. Schon während des Krieges mit dem Papste hatte der Kaiser
ungehorsame Städte und einzelne Personen gestraft. Hierin schritt er
nach dem Frieden fort. Da sich die 1220 begründete Neugestaltung
des Staates nicht als fest genug erprobt hatte, während der Friedens-
verhandlungen oft die Frage aufgeworfen werden mufste, was altes Recht
und Herkommen sei, die Gesetzgebung Lücken aufwies, die auszufüllen
waren, nahm der Kaiser die Abfassung eines neuen Gesetzbuches für
Sizilien inrAngrifl (1230). Aus jeder Provinz wurden vier bejahrte,
sachkundige Männer an den Hof gerufen, um über die Konstitutionen
der normannischen Könige und die Rechtsgewohnheiten in einzelnen
Landesteilen Auskunft zu geben. An der Abfassung des Gesetzbuches
war der Erzbischof Jakob von Capua hervorragend beteiligt, was ihm
die Ungnade des Papstes zuzog, denn dieser befürchtete nicht ohne
Grund von der neuen Gesetzgebung eine starke Einschränkung der
kirchlichen Rechte. Sehr wahrscheinlich ist es, dafs auch der Grofshof-
richter Petrus de Vinea, den man lange als eigentlichen Urheber
dieser Gesetzgebung bezeichnete, an der Arbeit beteiligt war, zu der ihn
schon seine Stellung befähigte. In der Hauptsache war sie im Juni 1231
beendet und wurde einer in Mein tagenden Ständeversammlung zur
Begutachtung — nicht zur Beschlufsfassung, da sich der Kaiser als
Nachfolger der alten Cäsaren als die alleinige Quelle des Rechtes be-
trachtete — vorgelegt. Die Einsprache des Papstes hatte auf die Kodifi-
kation keinen Einflufs. Die Gesetze wurden im September 1231 publiziert.
2. Die Friederizianische Gesetzgebung ist kein nach bestimmten
Gesichtspunkten systematisch und einheitlich ausgearbeitetes Werk. 1)
Neben Mafsregeln von bleibender, finden sich Bestimmungen von vor-
übergehender Bedeutung. Der Hauptsache nach bezieht sie sich auf das
öffentliche Recht, insbesondere auf die Organisation des Beamtentums,
mit dessen Hilfe Friedrich unter grundsätzlicher Zurückdrängung des
Lehenssystems sein Königreich regierte. Wie in Deutschland, freilich
ganz anders als dort, knüpft er an das historisch Gewordene an. Während
er dort nach seinen eigenen Worten nur das Haupt sein konnte, das
auf den Schultern der Fürsten ruhte, wollte er in seinem Königreich
Alleinherrscher in einem Mafse sein, das dem Despotismus nahe steht.
Nicht mit Unrecht konnte Gregor IX. behaupten, dafs es in diesem
Reich niemand wage, ohne Bewilligung des Königs Hand oder Fufs zu
regen. Als Nachfolger der alten Normannenkönige nimmt er aus deren
Verordnungen auf, was der Ausbildung der monarchischen Gewalt zu-
gute kommt. In einzelnen Teilen, vor allem in der Steuer- und Finanz-
verwaltung, trägt seine Gesetzgebung einen modernen Zug, der sich in
x) Für das Folgende s. Winkelmann II, 272 ff.
96 Inhalt und Charakter der Gesetzgebung Friedrichs II.
der Bevorzugung wissenschaftlicher Tüchtigkeit vor der Geburt, der
Gründung der Staatsuniversität Neapel und vielen merkantilen und fiska-
lischen Mafsregeln ausspricht. Der Zweikampf wird beschränkt, weil er
nicht mit der Natur im Einklang steht, die Gottesurteile mit glühendem
Eisen und kaltem Wasser verworfen, »weil sie nicht die Natur der Dinge
beachten und Wahrheit nicht erzielen«. Bei einer Raupenplage befiehlt
er, statt kirchliche Bittgänge anzuordnen, dafs jeder Untertan bei hoher
Geldstrafe vier Mafse voll Raupen sammeln und an Geschworene des
Ortes zur Verbrennung übergebe. *) Neben dem König und seinen
Beamten dürfen weder Prälaten noch Barone noch Städte als selbständige
politische Gewalten in die Ausübung der Staatsgewalt eingreifen.2) Dem
Adel ist die Kriminalgerichtsbarkeit und das Befestigungsrecht genommen
und das Recht der Selbsthilfe untersagt. Kein unmittelbarer Lehensmann
darf ohne Bewilligung des Königs heiraten, kein Vertrag geschlossen
werden, durch den ein Lehen in fremde Hände käme. Erscheint der
Adel hiedurch geschädigt, so sind die Lehen doch nahezu erblich. Der
Allgewalt des Staates mufs sich auch die Geistlichkeit fügen. Eben ge-
schlossenen Verträgen zum Trotz mufs sie in Klagen über Grundstücke,
Erbschaften, Verrat und Majestätsverbrechen dem weltlichen Gericht Rede
und Antwort stehen. Der Anhäufung von Grund und Boden in der
Toten Hand wird vorgebeugt, ) denn sonst könnten die geistlichen Körper-
schaften in kurzer Zeit das ganze Königtum an sich bringen«. Das Recht
der geistlichen und weltlichen Grofsen, an den Beratungen über Staats-
angelegenheiten auf Reichsversammlungen teilzunehmen, ist nicht auf-
gehoben, die Reichstage werden aber selten berufen, und selbst dann
erfährt die Macht der Grofsen durch die des Königs und das Über-
gewicht seiner Beamten einerseits, durch die Teilnahme der Bürgerschaft
an den Beratungen anderseits eine Einschränkung. Neben den allge-
meinen Reichsversammlungen gab es noch Provinziallandtage, die zwei-
mal des Jahres je 14 Tage abgehalten und von den angesehensten
Bürgern der Städte und den Prälaten beschickt wurden.
Unter den Gerichtsbeamten nimmt der Gr of s j ustiti ar die erste Stelle ein.
Er ist Vorsitzender im Kollegium der vier Grofshofriehter, unter deren Beirat er über
Hochverrat und Majestätsverbrechen richtet, er beaufsichtigt die niederen Gerichte,
entscheidet über die von den Landrichtern ergangenen Berufungen und erteilt den
niederen Beamten in zweifelhaften Fällen Rat. Während seines Aufenthaltes an einem
Orte ruhen die Untergerichte. Ihm sind die Behörden der einzelnen (9) Provinzen
unterstellt : die Justitiarii mit ihren Lnterbeamten. Diese dürfen in dem ihnen zu-
gewiesenen Amtsbezirk weder gebürtig noch ansässig, noch mit Einwohnern daselbst
nahe verwandt sein. Sie entscheiden in peinlichen Sachen und Rechtsstreitigkeiten
über niedere Lehen. Die Gesetze, über deren Ausführung sie wachen, sind mit Aus-
nahme der Ketzergesetze mild. Selbsthilfe, Gottesurteile und gerichtlicher Zweikampf
(s. oben) sind verboten. Nur des Königs Beamten tragen Waffen, Ritter und Bürger
nur dann, wenn sie aufser Land ziehen. Die Folter wird nur bei Atajestatsverbrechen
angewendet. Güter Geächteter fallen nur dann an den Staat, wenn der Geächtete
keine Kinder oder nahe Verwandte hat. — Neben dem Justitiar ist der Kämmerer
der wichtigste Beamte der Provinz. Er besorgt die Verwaltung und die Eintreibung
1 Hampe, S. 14.
2) Schirrmacher IL 249.
Moderner Zug der Gesetzgebung Friedrichs IL 97
der Steuern. Unter ihm stehen als Ortsheamte die Bajuli, denen ein Notar und ein
Richter zur Seite stehen, die die Ortspolizei innehaben, überMafs und Gewicht wacher
und bei der Anlage der Steuerrolle tätig sind. Ihre Einnahmen bestehen in Gefällen.
Von seinen Beamten verlangt der Kaiser die strengste Pflichterfüllung, wie er anderer-
seits ihr Ansehen in jeder Weise fördert. Sie treten, nachdem sie auf ihre Fähig-
keiten hin geprüft sind und den Eid der Treue abgelegt haben, in den Dienst. Xach
Jahresfrist legen sie Rechenschaft ab. Der ganze Yerwaltungskörpcr ist derart organisiert,
dafs ein Glied das andere genau überwacht. Daneben wurden noch geheime Konduite-
li sten geführt.
2. Sein Organisationstalent betätigte der Kaiser vornehmlich auch
zur Hebung des allgemeinen Wohlstandes : er hob auf seinen Domänen
die Leibeigenschaft auf, richtete Musterwirtschaften ein, liefs öde Land-
strecken urbar machen, förderte den Weinbau, die Kultur der Baum-
wolle usw. Um Arbeitskräfte zu gewinnen, wurden Kolonisten eingeführt.
Die Ein- und Ausfuhr wurde möglichst erleichtert, Binnenzölle aufge-
hoben und Handelsverträge nicht blofs mit anderen italienischen Staaten,
sondern auch mit Ägypten und Tunis abgeschlossen. Das Steuer-
wesen ist wenigstens zum Teil in moderner Weise ausgebildet. Zwar
ist der Lehensmann noch zu persönlichen und dinglichen Leistungen
verpflichtet, daneben gibt es aber direkte und indirekte Steuern
wie in den modernen Staaten. Zu jenen gehört die allgemeine
Grundsteuer, die Kollekte, eine bei bestimmten Gelegenheiten vom
Lehen zu zahlende Abgabe, erwachsen aus dem sogenannten Acljidorhim,
das der Lehensherr von den Vasallen und dementsprechend in gewissen
Fällen der König vom ganzen Lande erhob. Jetzt verlor diese Steuer
den Charakter einer gelegentlichen Abgabe und wurde nach orientalischer
Art zur allgemeinen Grundsteuer. Von ihr gibt es keine Ausnahme;
nur die Armen sind steuerfrei. Die Einschätzung geschieht durch eine
aus Beamten und Grundbesitzern bestehende Kommission. Eine zweite
direkte Steuer ist die Kopfsteuer, der alle fremden Volkselemente:
Juden und Sarazenen, unterworfen sind. — Die indirekten Steuern sind
entweder Zölle oder Monopole, Verbrauchs- und Verkehrssteuern. Um
das Reich sind Zollgrenzen gezogen. Wichtige Verbrauchsartikel, wie
Salz, Stahl, Kupfer, Rohseide, werden vom Staate vertrieben (Monopole),
eine Art der Besteuerung, die die Normannen von den Arabern kennen
gelernt hatten und die nun von Friedrich IL weiter entwickelt wurde. Die
Monopolisierung ging sogar noch weiter als in den modernen Staaten.
So übernahm z. B. der Fiskus alle Färbereien. Die Juden pachteten
dies Monopol und färbten nach einem bestimmten Tarif. In ähnlicher
Art wurde der Getreidehandel betrieben. Aus- und Einfuhrszölle wurden
schon von den Normannen erhoben, Friedrich behielt sie bei. So hat
jedes einlaufende Schilf das Anker-, Landungs- und Hafengeld zu zahlen.
Die Zölle werden durch Dohanerii, königliche Beamte, eingehoben, die
Waren in königlichen Lagerhäusern aufgestapelt, wofür ein Lagergeld
gezahlt wird, dessen Bezahlung in dem Falle unterbleibt, als die Ware
nicht verkauft wird. Dort werden auch die auszuführenden WTaren
untergebracht. Der Einfuhrszoll betrug für Schiffe sarazenischer Kauf-
leute 10°/0, für solche der Christen nur 3%. Die Ausfuhr war nur von
Loser th, Geschichte des späteren Mittelalters. 7
98 Erfolge der Gesetzgebung Friedrichs II.
gewissen Häfen aus gestattet. Der Zoll für Korn und Vieh war nicht
immer gleich; auch galten die Zölle für den Verkehr in den einzelnen
Provinzen. Das Steuersystem stellte dem Kaiser ungeheure Einkünfte
zur Verfügung, aus denen zum Schutz des Handels eine starke Flotte
geschaffen wurde und die in hervorragender Weise die militärischen
Bedürfnisse befriedigen halfen. Für Zwecke des Kriegswesens ward das
ganze Land in Kreise geteilt, in denen Hauptleute für die Besetzung
und Verproviantierung der Kastelle sorgten. Da der Lehensdienst bei
Kriegszügen aufserhalb des Landes sich als unzureichend erwies, wurden
Söldner entweder in Deutschland oder unter den Sarazenen Siziliens
angeworben. Die Macht des Kaisers war sonach eine weitaus gröfsere,
als sie ein gleichzeitiger Fürst besafs. Die Zeitgenossen meinten wohl,
kein Kaiser seit Karl dem Grofsen sei an Schätzen so reich gewesen
als er. Gleichwohl brachten die Kriege mit dem Papste und den Lom-
barden ihn in eine solche Geldnot, dafs die auch in gewöhnlichen Zeiten
nicht geschonte Steuerkraft des Landes in übermäfsiger Weise angespornt
werden und der Kaiser zu Anlehen seine Zuflucht nehmen mufste.
§ 22. Die selbständige Regierung König Heinrichs in Deutschland
1229—1235.
Quellen wie §§ 7, 8, 17. Dazu Vita s. Elisabethae de Thuringia s. Potthast H,
1284—1286. Annales ScheftJarienses. MM. Germ. SS. XVII, 335. Conradus de Fabariar
( asuum Si Galli cont. m, 1203—1233, ib. H, 163 ff. Chronic. Erphord. Böhmer, FF. II,
388. Zu den Hilfsschriften oben § 17 und 19. Dazu: J. v. Döllinger, Die Er-
mordung des Herzogs Ludwig von Bayern 1231. Akad. Vortr. EU, 194 — 210. H. Linde -
mann, Die Ermordung des Herzogs Ludwig von B. u. die päpstl. Agitation in Deutschi
Rost. 1892. E. Winkelmann, Die angebl. Ermordung des H. Ludwig v. B. durch K
Friedrich IL M.IÖG. XVII, 48. S. Ratzinger in den HPB11. CXYLH, 535. Riezler
Gesch. Bayerns H. L. v. Heinemann, Heinrich v. Braunschw. Pfalzgraf bei Rhein
Gotha 1886. Schirrmacher, Die Mission Ottos des Kardinaldiakons v. St. Nikolaus
in carcere Tulliano 1228 — 1231. Forsch. VHI, 47 — 58. Henke, Konrad v. Marburg
1861. B. Kalt n er, Konrad v. M. u. die Inquisition in Deutschi. Prag 1882. Bilba
soff, K. Friedr. H. u. d. hl. Elis. Z. thür. Gesch. VII. Witzschel, ebenda S. 359
Hörn, S. Elisabeth de Hongrie. Paris 1902. Hausrath, Der Ketzermeister Konrad
v. Marburg. 1861. J. Beck, K. v. M. 1871. Wenk, HZ. 69. Wegele, Die hl. Elisabeth
v. Thüringen. HZ. V, 351 dort S. 353 Bericht über che Quellen u. Lit. zu ihrer Gesch. .
Bücking, Leben d. hl. Elisabeth. 2. Aufl. Marb. 1898 s. auch RE. prot. Th.\
A. Luschin v. Ebengreuth, Die Anfänge der Landstände. HZ. 78, 427 ff.
Rohden, Der Sturz Heinrichs VH. Forschungen XXII. Rohden, Die Katastrophe
Heinrichs VII. Münster 1885. AV e 1 1 e r , Z. Kriegsgesch. d. Empörung Heinrichs.
Wurt. A'jhefte. Berchtold, Die Entwicklung der Landeshoheit in Deutschland.
München 1863. Löher, Fürsten und Städte zur Zeit der Hohenst. Halle 1846.
L. v. Borch, Zu den Fürstenrechten (Z. f. d. ges. Staatsw. XL VI). Geffken, Die
Krone u. das niederdeutsche Kirchengut unter Friedrich H. Diss. Leipz. 1891.
1. Die selbständige Regierung König Heinrichs ist schon in ihren
Anfängen (1229) hart getadelt worden; doch ist es unbillig, ihn für die
im Reiche herrschenden unerquicklichen Verhältnisse verantwortlich zu
machen. In seinem Rate traten die Fürsten vor den Reichsministerialen,
die sich gegen die steigende Macht des Fürstentums stemmten und den
König in ihrem Sinne beeinflufsten, in den Hintergrund. Seinem Streben,
Das Königtum Heinrichs (VII.) und das Landesfürstentum. 99
sich den Fürsten gegenüber an die Städte zu halten, setzten sich
jene beharrlich und nachdrücklich entgegen, und der grofse Hof tag,
der am 19. Januar 1231 in Worms zusammentrat und vom 29. April
bis zum 1. Mai weitertagte, hatte einen städtefeindlichen Charakter.
Fortan sollte keine Stadt Einigungen, Bündnisse oder Eidgenossen-
schaften zu machen befugt sein und der König ohne Zustimmung des
betreffenden Herrn solche weder gestatten können noch dürfen. Schon
darin liegt eine Einschränkung der königlichen Macht.1) Verhängnisvoll
wurde das grofse den Fürsten am 1. Mai 1231 erteilte Privilegium, denn
es gewährt ihnen eine solche Fülle von Freiheiten, »dafs die kgl.
Gewalt aus den Fürstentümern ausgeschlossen, die fürstliche als die
allein gültige anerkannt wird. « Die Wormser Beschlüsse bilden
demnach einen entscheidenden Wendepunkt in der deut-
schen Geschichte.
Die Fürsten erlangen gesetzliche Anerkennung aller Rechte, die sie im Laufe der
Zeiten durch besondere Verfügungen bekommen hatten oder in deren tatsächlichem
Besitz sie sich augenblicklich befanden. Sie erhalten eine feste Grundlage, auf der sie
ihre Territorialherrschaft nach unten und oben hin ausbauen konnten, und werden reichs-
rechtlich nun zum erstenmal als Landesherren (domini terrae) bezeichnet. Das
Privilegium nimmt dem König das Befestigungsrecht 2), die Gerichtsbarkeit s), das Münz-
und Geleitsrecht, den Einflufs auf die Regelung des Verkehrs, auf Markt- und Strafsen-
wesen. ' Die Landeshoheit der Fürsten erfährt aufserdem eine wesentliche Stärkung
durch die gegen die Städte gerichteten Beschlüsse, die bestimmt waren, das Zuströmen
der Landbevölkerung in die Städte zu verhüten. Dadurch mufste das Städtewesen in
seiner Entwicklung gehemmt werden. So sollen die »Pfahlbürger«, d. h. jene Leute,
die gegen gewisse Abgaben, ohne in der Stadt zu wohnen, deren Schutz und Recht
geniefsen, abgetan sein, keine Eigenleute der Fürsten, Edlen usw., keine Ver-
urteilten und Geächteten in die Stadt aufgenommen werden. Die städtische Bann-
meile sollte abgetan, die städtische Gerichtsbarkeit über den Umfang der Stadt nicht
ausgedehnt werden usw. Wird das Befestigungsrecht dem König abgesprochen, so
wird es nunmehr dem Landesfürsten zugesprochen.
Dem Königtum verblieben in den fürstlichen Territorien höchstens
noch einige Ehrenvorrechte. Der Gang der Entwicklung war sonach in
Deutschland von dem in Sizilien durchaus verschieden. Wurden in
Sizilien die feudalen Kräfte zugunsten des Königtums nahezu vernichtet,
so wurde dieses in Deutschland von der Lehensaristokratie überwältigt.4)
Freilich mufsten sich auch die Landesherren eine Einschränkung
ihrer Macht gefallen lassen: denn noch auf demselben Reichstage
wurde das Gesetz erlassen, das sie in der Gesetzgebung und Be-
steuerung an die Zustimmung der höheren Stände ihrer Länder bindet.5)
x) Winkelmann, Jb. II, 240 ff.
2) Quod nullum novum castrum vel civitas (in praeiudicium principum) per nos
vel per quemquam alium . . constrnantur. Punkt 1. MM. G. LL. IE, 291.
3) Punkt 7 lautet : Centumgravii (die Schultheifsen) recipiant centas (Nieder-
gericht, Landschranne) a domino terre vel ab eo, qui per dominum terrae fuerit
infeodatus . . .
4) Winkelmann, 251.
5) . . . ut neque principes neque alii quilibet constitutiones vel nova iura facere
possint, nisi meliorum et maiorum terre consensus primitus habeatur. Die maiores sind
wohl vornehme Adelige des Landes, die sich im Besitz von Burgen befanden. Zur
Erklärung vgl. G. v. Below, Territorium und Stadt S. 170 f.
7*
i
100 Die Landstände. Gegensatz zwischen der kais. und kgl. Politik.
Das Institut der Landstände erhielt somit seine reichsgesetzliche
Grundlage. Im übrigen wurde hiedurch keine neue Rechtseinrichtung
geschaffen, sondern das bestehende Gewohnheitsrecht als allgemein ver-
bindlich erklärt. So ungeheuren Erfolgen der Fürsten gegenüber suchte
Heinrich wenigstens die Reste der ihm gebliebenen Rechte zu wahren
und das Reichsgut zu mehren. So kaufte er (1231) die Talleute von
Uri aus dem Besitz der Grafen von Habsburg los und erklärte, sie nie-
mals wieder verleihen oder verpfänden zu wollen.
2. Die städtefeindliche Politik der Fürsten wurde vom Kaiser, der
die deutschen Verhältnisse lediglich vom Gesichtspunkt seiner Ge-
samtinteressen aus würdigte, rückhaltlos gebilligt; indem sie aber im
Widerspruch zu der seines Sohnes stand, war sie der Grund zu dem
Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn, welches das durch die rätselhafte,
von vielen irrtümlich auf den Kaiser zurückgeführte Ermordung des Herzogs
Ludwig von Bayern (1231, 15. September) in Erregung versetzte Reich
einem Bürgerkrieg nahebrachte1). Die Spannung wuchs, als Heinrich,
um die böhmische Prinzessin Agnes zu heiraten, sich von seiner baben-
bergischen Gemahlin scheiden lassen wollte. Der Kaiser hatte nach
dem Friedensschlufs mit dem Papst seine Aufmerksamkeit den Verhält-
nissen von Mittel- und Oberitalien zugewendet. Lni die Streitigkeiten
mit den Lombarden zu erledigen, wurde auf den 1. November 1231 ein
allgemeiner Reichstag nachRavenna ausgeschrieben, wo aufser den
Grofsen und den Vertretern der Städte Italiens auch die Fürsten von
Deutschland und Burgund erscheinen sollten. Die lombardische Liga
verhielt sich ablehnend. Auf einer Tagfahrt zu Mantua (12. Juli) er-
neuerten sie ihren alten Bund, auf einer zweiten zu Bologna (26. Oktober)
beschlossen sie die Aufstellung eines Heeres, baten den Papst um Bei-
stand und verlegten endlich auch jetzt die Alpenpässe, dafs König-
Heinrich nicht erscheinen konnte und die Reichstagseröffnung bis
Weihnachten verschoben werden mufste. In Ravenna waren nichts-
destoweniger zahlreiche deutsche Fürsten offenbar in der Absicht er-
schienen, die kaiserliche Anerkennung der Worrnser Beschlüsse zu er-
halten. In der Tat erliefs der Kaiser (1232, Januar) ein Reichsgesetz gegen
die Autonomie der bischöflichen Städte : Kommunen, Räte, Bürgermeister,
Beamte, die von Bürgern ohne Erlaubnis der Bischöfe eingesetzt wurden,
werden aufgehoben und entfernt, die landesherrliche Münze als alleiniges
Verkehrsmittel festgesetzt und alle Zünfte für nichtig erklärt. Den geist-
lichen Landesherren wird demnach die ausschliefsliche Verwaltung dieser
Städte übertragen. Den Kaiser bewogen zu diesem Vorgehen zweifellos
die mit den lombardischen Kommunen gemachten Erfahrungen. Über
diese wurde der Reichsbann ausgesprochen ; doch fehlten dem Kaiser
die Mittel, um mit tätlicher Hand gegen sie vorzugehen. Das Aus-
bleiben seines Sohnes, der wie andere Fürsten den Weg über Aquileja
hätte nehmen können, erfüllte ihn mit Mifstrauen. Er entbot ihn noch-
mals für den März 1232 zu sich, verlegte den Reichstag, um Deutsch -
1 Winkelmann in MJÖG. XVI, 47. Dort die Quellen u. Lit. über die Frage.
rt/
*E
Konrad von Marburg und die Ketzerverfolgung in Deutschland. 101
Land näher zu sein, nach Friaul und liefs ihn abwechselnd in Aquileja,
Udine und Cividale tagen. Heinrich zögerte, ja er gewährte den Städten
Freiheiten, die mit den jüngsten Verfügungen des Kaisers im Wider-
spruch standen. Endlich erschien er in Aquileja und leistete den Eid,
»die kaiserlichen Befehle fortan zu befolgen und die Fürsten mit vor-
nehmlicher Gunst auszuzeichnend. Die Strafe der Absetzung und des
Kirchenbannes wurde festgesetzt, falls er wieder etwas gegen den Kaiser
unternehme. Zwölf Reichsfürsten übernahmen die Bürgschaft für seine
Treue, deren Wächter sie dadurch wurden. Die Wormser Beschlüsse
wurden mit einigen dem Königtum günstigen Abänderungen bestätigt.
Von Wichtigkeit war es, dafs die beiden mächtigen Brüder Ezzelin und
Alberich aus dem Hause Romano, die Machthaber in der Mark Treviso,
auf die Seite des Kaisers traten, und dafs er durch Ezzelin Verona und da-
mit eine sichere Alpenstrafse gewann. Um die Unterstützung der Kurie
zu erhalten, hatte er schon in Ravenna seine Ketzergesetze erneuert und
verschärft. Der Papst übernahm nun zwar das Amt eines Schieds-
richters, aber sein Schiedsspruch (1233, Juni), dafs beide Teile ihren
Groll aufgeben und die wider einander erlassenen Edikte aufheben sollten,
lautete eher zugunsten der Lombarden als des Kaisers.
3. Unter dem Einflufs der Reichsministerialen lenkte Heinrich wieder
in seine alte Politik ein und verschärfte hiedurch den Gegensatz zu
seinem Vater. Im übrigen erwies er sich unfähig, den Fehden, die das
Reich verwüsteten, entgegenzutreten und die grofse Ketzerbewegung, in
deren Mittelpunkt der durch seine Leidenschaft bekannte Magister
Konrad von Marburg1) stand, noch zu rechter Zeit einzudämmen.
Schon seit 1214 hatte dieser die Verfolgung der Ketzer betrieben ; Innozenz III.
und Honorius HI. hatten ihn zum Kreuzprediger in Deutschland ernannt, dann war
er am Hofe des Landgrafen Ludwig von Thüringen als Beichtvater der Landgräfin,
der hl. Elisabeth, zu grofsem Einflufs gelangt.2) Durch die neuen Ketzergesetze wurde
sein Eifer mächtig angespornt : in Erfurt, Mainz, Strafsburg, Gofslar u. a. O. loderten
che Scheiterhaufen auf. An der Verfolgung beteiligten sich Leute, die, wie Dorso s)
und sein Begleiter Johannes, nach dem Grundsatz verfuhren : Besser, hundert Un-
schuldige verbrennen, als einen Schuldigen entkommen zu lassen. Die Verfolgung
traf auch Leute, denen kein Makel im Glauben nachgewiesen werden konnte, die aber
reich waren. Auf den König selbst fiel der furchtbare Verdacht, aus diesem Grunde
die Ketzerverbrennung gefördert zu haben. Bald griff man auch nach hochstehenden
Personen, wie den Grafen von Sayn, Solms u. a. Am 15. Juli 1233 wurde eine Synode
in Mainz gehalten, wo die Unschuld des Grafen von Sayn erwiesen wurde, der harte
Sinn Konrads aber nicht gebeugt werden konnte. Da wurde der Ketzerrichter auf dem
Heimwege nach Marburg von einigen Rittern, die entweder selbst angeklagt waren oder
den Tod der Ihrigen beklagten, erschlagen (30. Juli). Von nun an lenkte die Ketzer-
verfolgung in Deutschland in etwas mafsvollere Bahnen ein. Das Landfriedensgesetz
von Frankfurt setzte fest (11. Februar 1234), dafs Ketzer dem weltlichen Gericht zu
überweisen seien und dieses nach Billigkeit vorzugehen habe. Der Untergang der
Stedinger, die westwärts der Weser an der Grenze von Fricsland und Sachsen
*) Vollständiges Quellenmaterial u. Lit. in RE. X, 747.
2) Erat, sagt ein Bericht aus dieser Zeit, sicut omnes rtovimus, homo rigidus et
austerus, unde a multis timebatur. Dietr. v. Apolda.
5) Der »kannte die Ketzer am Gesicht«.
4) BFW. 4287 a.
102 Friedlich II. und Heinrich VII. Heinrichs Sturz.
wohnten, wurde hiedurch allerdings nicht verhindert. Sie hatten sich von der welt-
lichen Gerichtsbarkeit der Grafen von Oldenburg und der geistlichen des Erzbistums
Bremen losgesagt und wurden deswegen als Ketzer verklagt. Der Krieg gegen sie
begann zu Weihnachten 1230, aber erst vier Jahre spater erlagen sie einem starken
Kreuzheer. Nur einem Rest der Bauern gelang es. sich zu den Friesen zu retten.
4. Mittlerweile war das Verhältnis zwischen Kaiser und Sohn
unhaltbar geworden, denn dieser hatte einzelne Mafsregeln ergriffen, die
dessen harten Tadel fanden. Friedrich IL verlobte sich mit der Schwester
des englischen Königs, ohne deswegen aber mit Frankreich zu brechen,
um dessen Freundschaft Heinrich sich vergeblich bemühte. Am 2. Sep-
tember 1234 erliefs dieser, um sein Verhalten zu rechtfertigen, ein
Manifest mit heftigen Klagen gegen den Kaiser. Xoch war er nicht
zum äufsersten bereit, aber schon wenige Tage später wurde auf dem
Tage von Boppard die Empörung gegen den Kaiser beschlossen. Heinrich
forderte von den Städten einen Eid, ihn gegen jedermann zu unter-
stützen, nahm die Söhne angesehener Bürger als Geiseln und schlofs,
dem Kaiser den Zutritt nach Deutschland zu verwehren, mit den Lom-
barden einen Vertrag. Von den weltlichen Fürsten trat keiner, von den
geistlichen nur wenige auf seine Seite, und als der Kaiser aus Italien
heranzog, wurde Heinrich fast von allen seinen Anhängern verlassen.
Am 4. Juli zog Friedrich IL in Worms ein. Heinrich hatte inzwischen
durch die Vermittlung Hermanns von Salza des Kaisers Gnade nach-
gesucht und sie auch, wahrscheinlich unter der Bedingung, auf das Reich
zu verzichten, zugesichert erhalten. Da er aber einzelne vom Kaiser
gestellte Forderungen nicht erfüllen wollte, wurde er gefangen und zu-
erst nach Heidelberg, dann nach Allersheim bei Xördlingen, hierauf nach
S. Feie in Apulien und vier Jahre später nach Xicastro gebracht. Auf
dem Weg nach der Burg Martorano stürzte er — man weifs nicht, ob
absichtlich oder durch Zufall — vom Rosse und starb am 12. Februar
1242. Er ward in Cosenza beigesetzt. Seine Gemahlin Margareta, die
ilim in die Gefangenschaft gefolgt war. kehrte nach Deutschland zurück.
5. Am 15. Juli 1235 feierte Friedrich IL mit gröfster Pracht seine
Vermählung mit Isabella von England. Einen Monat später hielt er in
Mainz einen glänzenden Reichstag ab, der nahezu von allen deutschen
Fürsten besucht und auch aus Italien beschickt ward und die Aufgabe
hatte, einen geordneten Rechtszustand herzustellen. Hier wurde das
berühmte Reichsgesetz1) erlassen, das der Ausgangspunkt für die spätere
Entwicklung der Landfriedensgesetzgebung in Deutschland geworden ist.
Den Anlafs bot die Empörung König Heinrichs, denn ein Teil der Ge-
setze betrifft die Reichsministerialen als die eigentlichen L'rheber der
Empörung.2) Danach wird nicht blofs der Sohn, der sich wider den
Vater erhebt und ihm nach dem Leben trachtet, sondern auch jeder
Ministeriale, der ihn unterstützt, ehr- und rechtlos. Das Fehderecht wird
auf den Fall der Notwehr und der Rechtsverweigerung beschränkt. Aber
selbst dann mufs der Eröffnung der Fehde die »Widersage« vorhergehen.
1 Consütuüo pacis Frederici II. MM. Gr. LL. H, 313.
\ § 11-
Höhepunkt der Macht Friedrichs II. 108
Am bedeutendsten war die nach sizilischem Vorbild verfügte Einsetzung
eines histitiarius citriae — des Reichshofrichters — . Er soll ein frei-
geborener Mann sein und sein Amt mindestens ein Jahr bekleiden. Ihm
■O
steht ein Notar zur Seite, der des Kaisers Entscheidungen aufzeichnet,
um sich fürderhin danach zu richten : es war somit eine Sammlung von
Reichsgesetzen in Aussicht genommen. Nur wenn es sich um Ehre und
Gut der Fürsten und anderer hochgestellter Personen handelt, behält
sich der Kaiser die Entscheidung vor. Auf dem Mainzer Reichstag kam
auch die völlige Aussöhnung des weifischen und staufischen Hauses zu-
stande, wozu die englische Heirat den Weg geebnet hatte. Otto von
Lüneburg übertrug seinen Allodialbesitz, von dem ihm zuletzt (s. oben)
ein Teil noch bestritten worden war, dem Kaiser, worauf dieser das ge-
samte braunschweigische Erbe zu einem in männlicher und weiblicher
Linie erblichen Herzogtum erhob und Otto damit belehnte. Endlich
verfügte der Reichstag noch den Krieg gegen die Lombarden, die sich
mit Heinrich verbündet hatten.
Der Reichstag von Mainz bezeichnet den Höhepunkt der Macht Friedrichs II.
Es liegt nahe, an jenes glänzende Reichsfest zu erinnern, das vor etwas mehr als
einem halben Jahrhundert an derselben Stätte gefeiert wurde. Damals ward der Erwerb
Siziliens vorbereitet, die Macht der Weifen zerschlagen, die Lombardei befriedigt ;
jetzt ist Friedrich U. absoluter Herr in Sizilien, aber die Grundlagen seiner Macht in
Deutschland sind verschoben, ein grofser Teil der staufischen Eigen- und Reichsgüter
ist dahingegeben und die Reichsministerialen, damals die Stütze des Reiches, sind
beiseite geschoben. Dagegen steht jetzt ein abermaliger schwerer Kampf gegen die
lombardischen Städte bevor.
§ 23. Der Kampf Friedrichs II. gegen die loinbardische Liga und den
Papst Gregor IX.
Quellen grofsenteils wie oben §§ 17, 20 u. 22. Dazu: Electio Conradi IV a. 1237-
MM. Germ. LL. H, 1, p. 322—324. Decretum electionis. MM. Germ. Leg. Sect. IV tom. H,
439. (Ander. Ausg. ebenda.) Albertus Bohemus (Albert Beham) Registrum epistolarum.
Bibl. d. lit. Yer. XYI. Stuttg. 1847. Exzerpte eines zweiten verlorenen Buches s. Oefele,
SS. rer. Boic. I, 787 (zu Albert v. B. s. Schirrmacher, Albert v. Possemünster 1871.
Dazu Lerchenfekl-Aham. Hist. pol. Bll. 1874. Winkelmann, HZ. XXVII, 159. Ratzinger,
Hist. pol. Bll. 84—85). Petri de Yin. Epp. Jans Enenkel, Weltchron., ed. Strauch. 1891.
Die österr. Annalistik in MM. Germ. SS. IX (s. Redlich in MJÖG. m). Hermannus
Altahensis, Annales bis 1273. MM. Germ. XVH, 381—407. Chron. Erphord, wie oben.
Albericus v. Trois-Fontaines. MM. Germ. SS. . XXHI. Von italienischen aufser den ob.
§ 17, 21 genannten : Rolandinus Patavinus, Liber chronicorum bis 1260 u. 1262. Muratori
Vm, 169 u. MM. Germ. SS. XIX, 38—147. Maurisius Gerardus, Historia de rebus
Eccelini tyranni et dominorum de Romano bis 1237, ed. Leibnit. SS. rer. Brunsw. II.
Von fremden Quellen wird nun Matthäus Parisiensis die wichtigste. Ed. Luard, Rer.
Brit. SS. Xr. 57, tom. 1—7. MM. Germ. SS. XXVHI, 107—483.
Hilfsschriften. Zu den obengenannten: Winkelmann, Zur Gesch. K.
Friedrichs 1239 — 40. Forsch. XH, 261 ff., 561 ff. Juritsch, Gesch. der Babenberger u.
ihrer Länder. Innsbr. 1894. Schwarz, Herzog Friedrich H. der Streitbare von Österreich
in seiner Stellung z. d. Hohenst. u. Pfemysliden. Saaz 1876. A. Ficker, Herz.
Friedr. H. der letzte Babenberger. Innsbr. 1884. Hirn, Kritische Gesch. Friedrichs H.
Salzburg 1871. C. Kozak, Über den Streit Herz. Friedrichs H. mit Kaiser Friedrich H.
Czernowitz 1894. Koch, Hermann v. Salza. Leipz. 1885. Tenkhoff, Der Kampf
der Hohenstaufen um die Mark Ancona u. das Herzogtum Spoleto. Paderborn 1893
104 Friedrich II. und die Lombarden.
Baer, Die Beziehungen Venedigs zum Kaiserreich in der staufischen Zeit. 1888.
Grofsmann, König Enzio. Gott. 1883. H. Blasius, König Enzio. Breslau 1884.
Mit ro vi 6, Federico II. e l'opera sua in Itaria. Triest 1890. Ratzinge r, Albert
Böheim, Forsch, z. bayr. Gesch. Abt. 1. Kempt. 1898 s. auch oben. Liebermann,
Z. G. Friedrichs LT. u. Richards y. Cornwall. XA. XTTT, 217.
1. Es war den Bemühungen des Papstes und Hermanns von Salza
gelungen, den Krieg des Kaisers wider die Lombarden hinauszuschieben.
Die Frist zur Annahme des päpstlichen Schiedsgerichtes war ihnen
bis Weihnachten 1235 und bis zum 2. Februar 1236 erstreckt worden.
Sie liefsen beide Termine unbenutzt, und der Kardinallegat Jakob von
Präneste, ein alter Gegner Friedrichs IL, den Gregor IX. als Vermittler
in die Lombardei entsandte, zog noch Piacenza auf die Seite des Bundes.
Der Kaiser schuf, ehe er in den entscheidenden Kampf eintrat, in Deutsch-
land Ordnung: Er entschädigte den Böhmenkönig Wenzel für die An-
sprüche seiner Gemahlin, der Stauferin Kunigunde, auf einzelne Teile
von Schwaben und brachte die Sache Friedrichs IL von Österreich zur
Entscheidung. Dieser hatte während der Empörung König Heinrichs eine
zweideutige Rolle gespielt, sich mit grofsen Plänen gegen Ungarn und
Böhmen getragen und dem Kaiser, der hiefür nicht zu gewinnen gewesen,
den Gehorsam aufgesagt. Die benachbarten Fürsten hatten wider ihn Klagen
erhoben.1) Da er auf die kaiserlichen Ladungen nicht erschien, Anhänger
Heinrichs bei sich aufnahm, mit Mailand in Verhandlungen trat und den
Papst für sich zu gewinnen suchte, wurde (1236, Juni) die Acht gegen ihn
ausgesprochen und deren Vollstreckung den ihm feindlichen Nachbarn
Bayern und Böhmen und den geistlichen Fürsten von Passau, Freising
und Bamberg übertragen. Binnen kurzem war sein Land bis auf wenige
Plätze in den Händen der Gegner. Inzwischen war der Kaiser nach
der feierlichen Erhebung der Gebeine der hl. Elisabeth in Marburg nach
Italien aufgebrochen und mit geringer Heeresmacht in Verona ein-
getroffen. Auf seiner Seite standen : Cremona, Pavia, Parma, Reggio
und Modeiia. Noch wurden Verhandlungen mit den Lombarden gepflogen,
aber schon war der Kaiser wegen des bisherigen Verhaltens der Liga
entschlossen, über die Bedingungen des Vertrags von Konstanz hinaus-
zugehen.2) Am 18. Oktober ging Bergamo zu ihm über, dann wurden
Vicenza und Ferrara genommen. Der Feldzug von 1236 ward siegreich
beendet; dennoch trat er den Rückmarsch nach Deutschland an, um
die Herzogtümer Osterreich und Steiermark als verwirkte Reichslehen
in seine unmittelbare Verwaltung zu nehmen. Zu AV einnachten weilte
er in Graz. Ganz Steiermark fiel ihm zu. Im Januar 1237 zog er
nach Wien. Hier wurde auf einem glänzenden Hoftage sein Sohn
Konrad von den anwesenden (11) geistlichen und Laienfürsten zum
König gewählt (1237, Februar) und die Stadt Wien reichsunmittelbar
gemacht. Bevor er aus dem Lande schied, setzte er einen Landes-
hauptmann ein und nahm die Dienstmannen und Landleute von Steier-
1) Zusammenstellung bei Juritsch, S. 552.
2) BFW. 2197 c.
Kampf gegen die lombardische Liga. Der Sieg von Cortcnuovu. 105
mark unter seine und des Reiches unmittelbare Regierung. Im Juni
liefs er zu Speyer die Wahl seines Sohnes durch die Fürsten des Reiches
bestätigen, setzte den Erzbischof von Mainz zum Reichsverweser ein
und zog abermals nach Italien. Kaum war er aus Österreich abgezogen,
als Herzog Friedrich II. einen Teil seiner Länder wieder in Besitz nahm.
Die Pläne des Kaisers in Deutschland waren hiedurch in Frage gestellt;
aber die Bekämpfung der Lombarden erschien ihm wichtiger. Inzwischen
hatte Ezzelin Padua, Treviso und den Markgrafen von Este unterworfen.
Neue Vermittlungsversuche des Papstes führten zu keinem Ergebnis.
Der Kaiser selbst unterwarf nun Mantua und den Grafen von S. Boni-
facio und eroberte Montechiaro. Nachdem er Verstärkungen aus Pavia,
Tortona und Bergamo an sich gezogen, stiefs er am 27. November 1237
bei Cortenuova auf die Feinde und brachte ihnen eine völlige Nieder-
lage bei. Die Mailänder und ihre Bundesgenossen verloren 10000 Mann ;
ihr Fahnenwagen fiel in die Hände der Sieger ; »nach dem Vorgang der
alten Cäsaren« sandte ihn Friedrich II. an die Römer. Lodi unterwarf
sich. Selbst Mailand bat nun um Frieden. Die Verhandlungen zer-
schlugen sich, weil der Kaiser unbedingte Unterwerfung begehrte. Jm
folgenden Jahr nahm er fast die ganze Lombardei in Besitz, nur Mai-
land, Alessandria, Brescia, Piacenza, Bologna und Faenza hielten sich.
Dagegen wurde Tuscien besetzt. Schon am 3. März 1238 schrieb
Friedrich an seinen Schwager, den Grafen Richard von Cornwallis, dafs
»sein Geschlecht den verfallen gewesenen, jetzt aber wieder wachsenden
alten Ruhm des Reiches herstellen werde.« In der Tat war sein
System der Verwirklichung nahe. Durch die Unterwerfung der
Lombarden wurden die beiden grofsen Machtgebiete, die er beherrschte,
miteinander verbunden. Das italienische Zwischenland erklärt er als
seines Reiches Vollendung, deutsches Blut und sizilisches Geld als die
Mittel, es zu behaupten.1) Schon trifft er Organisationen für Mittel- und
Oberitalien: Besoldete Beamte werden als Vikare oder Kapitäne für
die kaiserliche Verwaltung und Rechtspflege eingesetzt, die Lombardei
in zwei Generalvikariate geteilt, die neugeschaffenen Ämter aber nicht
an Deutsche, sondern an Italiener gegeben. Wie in den Tagen Hein-
richs VI. war der Kirchenstaat im Norden und Süden von staufisch em
Besitz umgeben. Da war es ein Mifserfolg des Kaisers vor Brescia, was
den Papst bewog, mit den schärfsten Mitteln vorzugehen. Es ist der
Wendepunkt in den Erfolgen des Kaisers.2) Unter des Papstes
Vermittlung wird zwischen Venedig und Genua verhandelt, denn der
Kaiser soll auch in Sizilien angegriffen werden. Hatten schon dessen
bisherige Erfolge den Papst beunruhigt, so wurde er geradezu er-
bittert, als Friedrich seinen natürlichen Sohn Enzio mit Adelasia, der
Erbin Sardiniens, vermählte und ihn zum König von Sardinien — einem
Lehen des Papstes — machte. Als endlich Hermann von Salza, der
umsichtige Vermittler zwischen Kaiser und Papst, gestorben war (1239,
30. März), war der offene Kampf nicht mehr zu vermeiden.
*) Nitzsch m, 110.
2) BFW. 2397 b.
206 Kampf zwischen Kaiser- und Papsttum.
2. Gregor IX. versuchte, in Deutschland eine antistaufische Partei
ins Leben zu rufen. Verstimmt über des Kaisers Absichten auf Öster-
reich, zogen sich Böhmen und Bayern vom Kampfe gegen Friedrich den
Streitbaren zurück. Um diese Fürsten für seine Zwecke zu gewinnen,
sandte Gregor einen gewandten, der deutschen Verhältnisse kundigen
Unterhändler, den Passauer Domdechanten Albert Behaim von Kager,
ab, dessen nächste Aufgabe es war, eine Einigung der deutschen Fürsten
zum Zwecke der Wahl eines Gegenkönigs zustande zu bringen. Schon
im Frühling 1238 traten Bayern, Böhmen und Österreich miteinander
in Verbindung; mit böhmischer Hilfe gewann Friedrich von Österreich
den gröfsten Teil seines Landes zurück. Dann verhängte Gregor IX.
am Palmsonntag 1239 »wegen fortgesetzter Mifshandlung der sizilischen
Kirche und des Kampfes wider den Papst, über den Kaiser den Bann
und entband seine Untertanen von der Pflicht des Gehorsams. Der
lombardischen Frage wurde nicht mit einem Worte gedacht. Die deutschen
und selbst französischen Bischöfe wurden aufgefordert, den Bann zu ver-
künden, weltliche Fürsten vor der Unterstützung des Kaisers gewarnt.
Dagegen verteidigte sich der Kaiser in einer Zuschrift an Fürsten und
Völker, klagt über den Mifsbrauch der päpstlichen Gewalt und stellt
das Verlangen nach einem Konzil, um dort seine Unschuld und des
Reiches Recht zu erweisen.1) Da die Bannbulle vornehmlich durch
lombardische Bettelmönche verkündigt wurde, verfügte er ihre Aus-
weisung aus seinem Königreich und bedrohte die übrige Geistlichkeit
mit Einziehung des Kirchengutes, falls sie sich weigere, den Gottesdienst
zu verrichten. Dagegen antwortete der Papst in einer Denkschrift an
alle Bischöfe, Könige und Fürsten der Christenheit und stellte des Kaisers
Behauptungen als ein Gewebe der Lüge, ihn selbst als Ketzer hin, der
die Gewalten des Papsttums leugne, von Jesus, Moses und Mohammed
als den drei Betrügern der Welt gesprochen habe, usw.2) Gegen
solche Anschuldigungen legte der Kaiser einen förmlichen Protest ein.3)
Auf den Bann hin fielen einige Anhänger Friedrichs in Italien von ihm
ab, wie Azzo von Este, Alberich da Romano und Ravenna. Der Papst
selbst schlofs ein Bündnis mit Mailand, Piacenza, Venedig und Genua
zur gemeinsamen Eroberung Siziliens, verpflichtete sich, auf keinen
Separatfrieden einzugehen, gewann den Grafen der Provence für sich
und knüpfte Verhandlungen mit Frankreich an; dagegen ernannte der
Kaiser seinen Sohn Enzio zum Reichslegaten in Italien und nahm die
Mark Ancona und das Herzogtum Spoleto »wegen der Undankbarkeit
des Papstes « wieder an das Reich zurück. Gregors Versuche, einen
x) Die Bulle H. B. V, 286. Das Schreiben des Kaisers. Acta irnp. med. II, 29.
a) H. B. V, 327. Auch MM. G. Epp. I, 645—654. Die Blasphemie von den drei
Betrügern ist wahrscheinlich 1201 von einem Theologen in Paris vorgebracht worden.
S. Eeuter, Gesch. d. rel. Aufklärung im MA,, S. 298. Dafs sie Friedrich IL jemals aus-
gesprochen, ist niemals bewiesen worden (Winkelmann II, 135). S. Hampe, HZ. 83, 39,
wonach ein solcher Satz der innersten Überzeugung des Kaisers wenig entsprach, dafs
er aber von Friedrich IL überhaupt nicht hätte gesprochen werden können, ist nicht
weniger schwer zu beweisen.
s) H. B. V, 348.
Fortschritte des Kaisers. Das Ende Gregors IX. 107
Gegenkönig in Deutschland aufzustellen , waren inzwischen erfolglos
geblieben, eine Fürstenversaminlung in Eger verpflichtete sich vielmehr,
in Rom für den Frieden zu wirken, und der dänische Prinz Axel, dem
die Krone zugedacht war, leimte ebenso ab wie später Graf Robert von
Artois.1) Sowohl Österreich als Böhmen und Ba}^ern suchten um Frieden
nach. Trotz der Versuche Alberts von Behaim verharrten die Fürsten
auf Seiten Friedrichs und arbeiteten durch den Grofsmeister Konrad
von Thüringen, den Bruder des Landgrafen, für den Frieden. Dieser
scheiterte an dem Widerspruch des Papstes. Im folgenden Jahre (1240)
eroberte Enzio die Mark Ancona, während Friedrich Spoleto nahm und
einen Teil des Kirchenstaates besetzte. Schon wurden selbst die Römer,
unter denen Friedrich einen Anhang hatte, schwierig. In seiner Not
griff der Papst zu einem aufserordentlichen Mittel: Am 22. Februar nahm
er das hl. Kreuzesholz und die Häupter der /Apostelfürsten und trug
sie im feierlichen Aufzuge zur Peterskirche, was auf die Menge einen
solchen Eindruck machte, dafs viele gegen den Kaiser das Kreuz nahmen.
Konrads Vermittlung blieb unter diesen Umständen erfolglos. Friedrich
verlor inzwischen zwar Ferrara, eroberte aber Ravenna wieder und ge-
wann Faenza. Nun beschlofs der Papst, für Ostern 1241 ein allgemeines
Konzil zu berufen, um über den Kaiser zu Gericht zu sitzen. Um so
weniger war dieser geneigt, zu dessen Zustandekommen beizutragen.
Eine genuesische Flotte, welche die oberitalischen, französischen und
spanischen Prälaten, die sich in Genua und Nizza (1241, März) gesammelt
hatten, »insgeheim« nach dem Kirchenstaat überführen sollte, wurde
am 3. Mai von den Pisanern angegriffen und geschlagen. Mehr als
100 Prälaten gerieten in die Gefangenschaft des Kaisers. Damit war
der Zusammentritt des Konzils vereitelt. Der Kaiser drang immer weiter
im Kirchenstaat- vor. Noch in den letzten Monaten hatten weltliche
und geistliche Fürsten Deutschlands dem Papste Bitten um Herstellung
des Friedens unterbreitet, dessen das Abendland dringend bedurfte, um
sich der Überflutung durch die Mongolen zu erwehren. Selbst die ge-
fangenen Prälaten erhoben ihre Stimmen für den Frieden, für den ins-
besondere Graf Richard von Cornwallis, Friedrichs Schwager, tätig war.
Doch der Papst verlangte unbedingte Unterwerfung.2) Seine Lage wurde
dabei immer schwieriger. Im Juli 1241 fiel der Kardinal Johann Colonna
von ihm ab. Der Kaiser nahm Tivoli und schlug bei Grottaferrata im
Angesichte Roms sein Lager auf. Kurz nachher — am 22. August 1241 —
starb Gregor IX., ein Mann, den auch die äufserste Not nicht zu beugen
vermochte. In der Kirche hat er als Gesetzgeber eine grofse Bedeu-
tung erlangt.
§ 24. Der Einbruch der Mongolen. (Die Weltherrschaft Dschingiskhans.
Die Mongolen in Rufs] and, Polen und Ungarn.)
Quellen. Urkk. u. Briefe w. oben. Dazu Grünhagen, Regg. z. schles. Gesch.
2. Aufl. Bresl. 1884. Boczek, Cod. dipl. Morav. II, HI (enthält Fälschungen Boczeks).
») BFAV. 2468 a.
f) Vohtit papa omnibus modis, ut Imperator se absolute sub leeret. Matth. Paris.
108 Die Mongolen.
Erben-Emier, Regg. Boheni. I, II, Fejer, Cod. dipl. Hung. IV — VII. Meiller, Regg. zur
Gesch. der Babenb. ; für die Colonisat. wichtig: TJrkundenb. d. Deutschen in Sieben-
bürgen v. Zimmermann u. Werner, Hermannstadt 1892. Ge schicht Schreiber :
Ein Verz. der Quellen bei Hammer - Purg st all, Geschichte der Gold. Horde in
Ki] »tschack d. i. d. Mongolen in Rufsland. Pest 1840. S. XXI — L. Dort die Orient.
Quellen. S. auch Strakosch-Grafsmann, Der Einfall der Mongolen in Mitteleuropa
1241—1242. Innsbr. 1893. Auch dort wird S. 202 v. d. Orient. Quellen gehandelt.
Über chines. Quellen s. Sc hie mann, Rufsland, Polen u. Livland. I. Bd. S. 153 f .
Abendl. Quellen: Thomas v. Spalato, Historia Salonitanorum etc., ed. Schwandtnei •
ss. rer. Hungar. DU, 532. Auszüge MM. Germ SS. XXrX, 570 ff. Rogerii Carmen
miserabile super destruet. regni Hung , ed. Florianus, Histor. Hung. Font, domestici IV
MM. Germ. SS. XXIX, 549 ff. Nota de invasione Tart. in Ungariam. MM. G. SS. XXIV,
65. Planctus destruetionis Eng., ib. XXIX, 604 — 7 s. auch XA. H, 616). Fragmentum
de invasione, ib. 599 — 600. Simon de Keza, Chron. Hungar. bis 1290. Florian, n,
52 — 93. Albericus v. Trois-Fontaines, s. oben. Die Berichte Ivos v. Xarbonne
in Matthäus Paris MM. Germ. SS. XXVDH. Johannes de Piano Carpini, Libellus
historicus de Hungariae devastatione per Tartaros b. Addit. ad Matth. Paris, ed. Watson.
Andere Ausg. Potth. I, 663. Die Hypatios Chronik, Ausg. der archäographischen
Kommission. Petersb. 1871. Julianus, fratr. Praed., Tractatus de Tartans, ed. Dudik.
Iter Romanum H, 326 — 340. (S. auch Bonaparte, Documents de l'epoque mongole
de XTTTe et XIVe siecles. Paris 1895.) Gewarnt wird vor einer Benutzung der sogen.
Königinhofer Handschrift, einer Fälschung Vaclav Hankas aus der ersten Hälfte de*
XIX. Jahrh. S. Knieschek, Der Streit um che Königinhofer Handschrift. Prag 1888
und Truhlaf in MJÖG. 1888. S. auch Arch. für slav. Philol., X. Bd., Aufsätze von
Masaryk u. Gebauer. Bretholz; Die Tataren in Mähren u. die moderne mährische
Urkundenfälschung. Z. f. Gesch. Mähr. u. Schles. L, S. 46 — 55. (Die Quellen zum Tataren-
einfall.) Die Hedwigslegende. SS. rer. Sil. H. Ausg. u. Lit. bei Potth. H, 1362/3. Ein-
zelnes in Petis de la Croix, Übersetzung v. Cherefeddin Ali s. § 135. Haythonis
Armeni Historia Orientalis, ed. Müller 1671. Andere Ausg. Potth. 1. c. Wattenbach,
D. G. Q. H., Beil. H. Goll, Historicky rozbor. Prag 1886.
Hilfsschriften. Aufser den allg. zur Geschichte Friechlchs H. : Hammer-
Purgstall, wie oben. J. Schmidt, Gesch. der Ostmongolen u. ihres Fürstenhauses,
Petersb. 1829. Schott, Älteste Nachrichten von den Mongolen und Tataren. Abh.
Berl. Ak. 1845. Erdmann, Temudschin der Unerschütterliche. Leipz. 1862. Külb,
Gesch. der Missionsreisen nach der Mongolei während d. 13. u. 14. Jahrh Regensb.
1860. d'Ohsson, Histoire de Mogols I, H (benützt auch Orient. Quellen wie Alai-eddin,
Radschid-eddin u. a.). O. Wolff, Gesch. d. Mongolen oder Tataren. Bresl. 1872.
Ho wort h, History of the Mongols. Lond. 1876 — 1880. Howorth, Chingiz Khan
and bis ancestors I Ant. XVH. Raschid eddin, Istorja Mongolov, Istorija Cingis-Chana
od vossestvija ego na prestol do konciny Gesch. d. Mongolen, Gesch. Dschingis-Chans
v. s. Erhebung auf den Thron bis zum Ende. Pers. u. russisch v. Berezin). Petersb.
1888. S. auch Heimol t, Weltgeschichte H. Ostasien u. Ozeanien. D. Ind. Ozean.
Leipzig u. Wien 1902. Solovj ew, Istorija Rossii etc. 7 Bde. Petersburg 1900. Brückner,
Gesch. Rufslands bis z. Ende d. 18. Jahrh. Bd. 1. Gotha 1896. Schiemann wie
oben. G. Bachfeld, Die Mongolen in Polen. Innsbr. 1889. G. Strakosch-
Grafsniann, wie oben. Fr. v. Räumer, Gesch. d. Hohenst. IV. Zum Mongolen-
einfall in Böhmen u. Mähren u. zur Haltung Friedrichs v. Österr. s. P a 1 a c k y , Der
Mongoleneinfall 1242 (ist wegen der Benützung der Königinhofer Handschr. ebenso
vorsichtig zu benützen wie s. Gesch. v. Böhmen u. Dudiks Gesch. v. Mähren). Bach-
mann, Gesch. Böhmens I. E. Schwamm el, Über die angebl. Mongolenniederhme
vor Olmütz. Wien 1860. — Der Anteil Friedrichs des Streitbaren an der Abwehr der
Mong. 1860. Die Schriften von Ficker, Hirn, Schwarz u. Kozak s. oben. S. die
Landesgesch. v. Rufsland, Polen, Schlesien u. s. w., vor allem aber Rankes Welt-
geschichte VHI, S. 417, wo der Gegenst. von den höchsten Gesichtspunkten aus be-
handelt u. gewisse Völkerverschiebungen im südöstl. Europa aufgeklärt werden. Sonstige
Lit. s. unten § 133. Über che militärische Seite s. Köhler, Kriegswesen IH, 434 dort
auch Quellenvermerke). Alt. Lit. in Rehm, MA. III, 2, 161.
Die Anfänge Dschingiskhans. 109
1. Während Kaiser und Papst im heftigsten Kampfe gegeneinander
standen, kam die christliche Kultur des Abendlandes in Gefahr, durch
einen Angriff aus dem Osten vernichtet zu werden. Die Mongolen (später
fälschlich Tataren1) genannt), deren Ursitze am Nordrand der hochasiati-
schen Steppe in der Gegend des Baikalsees liegen, hatten schon im
frühen Mittelalter durch einige ihrer Stämme eine wichtige Rolle ge-
spielt. Auf die Abendländer machten die Mongolen im 13. Jahrhundert
denselben schrecklichen Eindruck wie einst die Hunnen.2) Ihre grofsen
Erfolge im Kriege gewannen sie nicht nur durch die überlegene Kopf-
zahl ihrer Heere, sondern auch durch die strategische und taktische
Einsicht ihrer Feldherren, durch strenge Kriegszucht, schnelle Bewegung,
grofse Abhärtung und Ausdauer und ihre stürmische Tapferkeit und
Todesverachtung. Begründer ihrer Weltmachtstellung war T e m u d s c h i n.
Er wurde 1155 als Sohn des Häuptlings Jessugei geboren. Nach seines
Vaters Tode — der Sohn zählte erst 13 Jahre — fielen einzelne Stämme
ab. Temudschin floh nach Karakorum zu Ungkhan, dem Herrscher
der Keraiten, demselben, der in der Sage des späteren Mittelalters unter
dem Namen Priester Johannes bekannt ist, trotzdem er weder nur
Christen beherrschte, noch auch ihrer Lehre zugetan war. Temudschin
und Ungkhan entzweiten sich. Nach Ungkhans Besiegung (1203) unter-
warf Temudschin nicht nur dessen Stämme, sondern auch jene, die
von ihm selbst abgefallen waren. Auf einem von allen Stämmen be-
schickten Kurultai (Reichstag) wurde er (1206) zum Dschingiskhan, d. h.
dem grofsen Khan, ausgerufen: er schlug seine Residenz in Karakorum
auf. Nach der Unterwerfung der mongolischen Horden im südlichen
Sibirien begann er den Kampf gegen Katai, das nordchinesische Reich.
Im Jahre 1211 wurde die von den Chinesen gegen die nördlichen Völker
aufgerichtete Mauer durchbrochen, in den beiden folgenden Jahren das
nördliche China unterworfen und Korea tributpflichtig. Dann drangen
die Mongolen gegen Chovaresmien vor, das, von Sultan Mohammed III.
beherrscht, sich vom Kaspischen Meer bis an den Indus erstreckte. Eben
war er im Begriff, dem abbassidischen Kalifat in Bagdad ein Ende zu
machen, um es einem Nachkommen Alis zu übergeben, da wandte sich
der Kalif AI Nasir an Dschingiskhan um Hilfe; aber erst als Chova-
resmier eine tatarische Karawane , bei der sich Gesandte befanden,
beraubt und die Gesandten getötet hatten, begann der Grofskhan den
Krieg (1218), der nun mit beispielloser Grausamkeit geführt wurde. In
Bochara, einem Hauptsitz der mohammedanischen Gelehrsamkeit, wurden
*) Seit dem 13. Jahrh. ist im Abendland die (falsche) Schreibart Tartaren üblich.
Zu ihrer ethnogr. Stellung s. Koelle, On Tatar and Turks JEAS. XIV, 125. Müller,
Allg. Ethnographie; Beschreibung der Mongolen bei TVolff, 125 ff. Über Gesetze und
Einrichtungen d. M., s. Hammer, Gesch. d. g. Horde, S. 183—297.
8) Die Epistola imperatoris de adventu Tartarorum in Matth. Paris. Eine nach
den Quellen ausgearbeitete Schilderung bei Schieruann I, 153. Über die Zustände der
Mongolen im 13. Jahrh. verbreitet sich der Bericht des V.enezianers Marco Polo, der
21 Jahre 1271—1295^ unter ihnen lebte.
11Q Die Eroberungszüge der Mongolen.
die Bücher verbrannt und die Büchersäle in Ställe verwandelt.1) Sainar-
kand, Balkh. Merw, Herat wurden erobert, und der mächtigste unter
allen Sultanen der Chovaresmier endete sein Leben in bitterer Armut
auf einer Insel des Kaspischen Meeres. Von seinen Söhnen rettete sich
der sagenberühmte Dschelal-eddin nach Indien. Während die Eroberungs-
züge in Asien weiter gingen, trieben die Mongolen unter der Führung
Dschudschis, eines Sohnes des Grofskhans, die Rumänen unter ihrem
Führer Ruthen nach dem Westen ; sie trennten die Polowzer zwischen
Wolga und Don von den übrigen Stämmen, die ihnen Widerstand
leisteten, trieben sie aber dann bis in die Krim und zwangen sie, sich
an die Russen zu wenden, die in Kiew, Tschernigow, Halitsch,
Rjäsan, Wladimir und Nowgorod ihre Teilfürsten tum er hatten.
Die Fürsten im südlichen Rufsland zogen ihnen zu Hilfe und drängten
die Mongolen bis an die Kalka zurück. Hier trieb der Ehrgeiz
Mstislaws von Halitsch vorzeitig zur Schlacht (1223, 16. Juni), die haupt-
sächlich durch die Flucht der Polowzer verloren ging. Neun Zehntel
des russischen Heeres, darunter sechs Fürsten, fielen im Kampfe. Dschin-
giskhan war mit den Erfolgen seines Sohnes so zufrieden, dafs er ihm
(1224) das ganze Reich Kap tschak — vom westlichen Altai bis zur
Wolga — übergab. Den letzten Kriegszug unternahm er selbst gegen
Tangut. Da starb er im August 1227 und wurde seinem Wunsche gemäfs
unter einem Baum im Quellengebiete des Onon begraben; ein Hain wurde
in der Nähe gepflanzt — es ist die Begräbnisstätte der Dschingiskhane.
Auf Dschingiskhan wird die Abfassung des bürgerlichen und militärischen Gesetz-
buches Jasa, d. i. Vorbote, oder auch Tundschin, d. h. was man wissen ruufs, zurück-
geführt. Man kennt es nur aus Auszügen. Es enthält meist Strafbestimmungen gegen
Verbrechen. Genau sind die Anordnungen über das Kriegswesen. Der Waffendienst
gilt als er^te Pflicht. Aufser dem Gesetzbuche gab es noch mündliche in Gesetzeskraft
stehende Herrschergebote des Dschingiskhans. Während im Abendlande die Meinung
herrschte, dafs die Mongolen an keinen Gott glauben2 , hatten sie gleichwohl die Ver-
ehrung eines höchsten Wesens. Daneben bestand freilich noch ein Fetischdienst und
mischte sich Dämonenverehrung mit buddhistischen und anderen religiösen Anschau-
ungen, die sie bei den unterworfenen Völkern kennen gelernt hatten. Diesen wurde
im übrigen che freie Ausübung ihrer Religion nicht verwehrt.
Die eroberten Länder wurden nach Dschingiskhans Tod unter
seine Söhne verteilt und zum Grofskhan sein ältester Sohn Ogotai
gewählt (1229). Kaptschak erhielt Batu, der Sohn Dschudschis.
Auf Ogotai folgte nach einem Interregnum von mehr als vier Jahren
(1246) sein Sohn Kujuk, dann (1251) Mangu, ein Enkel Dschingis-
khans, der einen seiner Brüder. Hulaghu. gegen Bagdad (s. unten),
einen andern, Kubilai, gegen China entsandte. Kubilai (1259 — 1294)
*) »Ihr habt-, wurden che um Gnade flehenden Bewohner angeherrscht, >arge
Sünden begangen, und die Häupter und Führer des Volkes sind che ärgsten Ver-
brecher. Wollt ihr eine Rechtfertigung für mein Verhalten : Wohlan, ich bin Gottes
Geifsel.« In Herat wurden 1 600 000 Menschen getötet. Mit den Worten: Das Gras ist
geschnitten, nun füttert die Pferde, forderte er seine mordgewohnten Reiter zur Plün-
derung auf. Schiernann, S. 157.
a Matth. Paris. Et ut breviter dicam, nihil credunt. Ein Auszug der Jasa findet
sich in dem Werke des Arabers Makrizi t 1441 über Ägypten. Zu Vlakrizi s. oben § 18.
Der Einbruch der Mongolen in Rufsland, Polen und Ungarn. 111
verlegte seine Residenz nach Peking, wo seine Dynastie bis 1368
regierte. Die mongolische Herrschaft in Ostasien nahm seit jener
Zeit den eigentümlichen chinesischen Charakter an. Schon Kubilai
führte in seinem Reiche die buddhistische Lehre in der Gestalt des
Lamaismus ein. Anders im Westen, wo sich die Mongolen der moham-
medanischen Lehre zuwandten. Alle Grofskhane setzten die Erobe-
rungen fort, treu der Weisung Dschingiskhans, nur mit besiegten Völkern
Frieden zu schliefsen.
2. Während sich Ogotai mit dem inneren Ausbau des Reiches
beschäftigte und Karakorum, das bisher aus elenden Hütten und Zelten
bestand, in eine Residenzstadt mit prachtvollen Palästen umwandelte,
setzte Batu die Eroberungen im Westen fort. Nachdem er den Bul-
garen und Magyaren in Ugorien (zwischen Wolga und Ural) eine Nieder-
lage beigebracht hatte, zog er gegen die Russen. Zuerst (1237, 21. De-
zember) erlag Rjäsan, dann (1238, Februar) wurden Moskau und
Wladimir genommen und der Grofsfürst Jurij am 4. März am Sit
völlig geschlagen. Die Mongolen drangen gegen Nowgorod, sahen sich
aber durch Tauwetter und unwegsamen Boden zum Rückzug genötigt.
Im folgenden Jahre schlugen sie den Kumanenfürsten Kuthen, so
dafs er um Aufnahme ins ungarische Reich nachsuchte, die ihm unter
der Bedingung, dafs er Christ würde, gewährt wurde. Am 6. Dezember
1240 fiel Kiew. Erbittert wegen der A.uf nähme Kuthens, rückten die
Mongolen gegen die Ungarn, die, des Waffendienstes entwöhnt, mit dem
König im Streit und von Hafs gegen die eingewanderten Rumänen er-
füllt, sich nur ungenügend und spät gerüstet hatten, und denen nur
Friedrich der Streitbare Hilfe leistete. Batu hatte seine Scharen in
vier Haufen geteilt. Mit der Hauptmasse zog er von Halitsch über die
Karpathen, der eine Flügel unter Peta westwärts gegen Polen, der
andere in zwei Abteilungen über Rodna nach Siebenbürgen und über
die Moldau und Walachei nach Ungarn. Im März 1241 drang Batu
durch die Pässe von Munkacz über die Karpathen und stand Mitte des
Monats schon wenige Meilen von Pest. Statt mit den Kumanen *) gemeinsam
vorzugehen, entlud der Hafs der Ungarn sich gegen diese, und ihr
Führer Kuthen wurde von Ungarn und Deutschen in Pest erchlagen.
Wiewohl der kumanischen Hilfe beraubt, zog König Bela IV. Mitte
April 1241 gegen die Mongolen und erlitt bei Mohi eine gänzliche
Niederlage. Man erzählt, dafs von den Ungarn nur 15 entkamen,
unter ihnen der König, der sich nach Osterreich zu Herzog Friedrich
rettete. Ungarn wurde grauenhaft verwüstet. Nun brachen die mon-
golischen Heersäulen in Siebenbürgen und das südliche Ungarn ein und
vollendeten den Ruin des Landes. Das Heer unter Peta hatte sich
gegen Polen gewandt, das wie Rufsland in kleinere Länder geteilt war :
Krakau mit Sandomir, Masovien und Grofspolen mit Niederschlesien.
Diese geteilte Macht konnte keinen nachhaltigen Widerstand leisten.
l) Dafs die Kumanen nicht magyarischer, sondern türkischer Abstammung wären,
beweist Gf. Küen, s. JBG. Vm.
\\2 Das Reich der Goldenen Horde.
Sandouiir und Krakau fielen; Herzog Heinrich von Xiederschlesien
stellte sich dem Feinde »auf der Wahlstadt« bei Liegnitz entgegen, erlitt
aber am 9. April eine gänzliche Niederlage und fiel selbst in der Schlacht.
König Wenzel von Böhmen hatte sich zu spät aufgemacht, um noch
eingreifen zu können. Die Mongolen zogen nunmehr zum Hauptheer
nach Ungarn. Das von Wenzel schutzlos gelassene Mähren wurde auf
ihrem Durchzug entsetzlich verwüstet. Bela IV. hatte inzwischen Hilfe-
rufe an die christlichen Mächte, vor allem an den Papst und den Kaiser,
ergehen lassen und sich erboten, sein Land vom Kaiser zu Lehen zu
nehmen. Der Papst begnügte sich, das Kreuz in Ungarn und dessen
Nachbarländern predigen zu lassen, der Kaiser wies Bela an Konrad IV.,
der mit einer Anzahl von Fürsten das Kreuz genommen hatte. Friedrich
von Österreich nützte dagegen Belas Notlage aus, um sich der an-
grenzenden Landesteile zu bemächtigen. Im Winter 1241 setzten die
Mongolen über die Donau und nötigten Bela zur Flucht nach Dalmatien.
Einige Mongolenschwärme kamen bis in die Nähe von Wien, andere
nach Kroatien, dem nördlichen Dalmatien, Serbien, bis nach Bulgarien.
Da bewog sie die Nachricht vom Tode des Grofskhans Ogotai zur Umkehr.
Der Grofsfürst Jaroslaw II. sandte seinen Sohn Konstantin an das Hof-
lager des neuen Grofskhans, um dort die Huldigung zu leisten. Das
russische Reich stand fortan unter der Herrschaft des Khans von
Kaptschak. Dieses Reich, das Batu regierte, reichte vom Kaspischen
Meer und D erbend bis nach Nowgorod und an den Don. Es ist das
Reich der Goldenen Horde.1) In Schlesien, Mähren und Ungarn
setzte eine mit Eifer und Verständnis in Angriff genommene Koloni-
sation deutscher Ansiedler ein, um die schweren AVunden zu heilen, die
der Einbruch der Mongolen geschlagen hatte.
3. Kapitel.
Friedrich II. imd Innozenz IV. 1241 [1243]— 1250. (Der Ent-
sclieidungskainpf zwischen Kaiser und Papsttnm.)
§ 25. Die FriedensYer suche nach dem Tode Gregors IX. Innozenz IV.
und das Konzil von Lyon.
Quellen. Urkk. u. Briefe w.oben. Dazu aufser Potth. Regg. pontiff . : E.Be r g e r ,
Los Registres d'Innocent IV. Paris 1884 — 1897. Rayn. Ann. eccl. Th einer, S. 116
bis 135. Geschieht schreib er: Die Biogr. Innoz. IV. von dem zeitgen. Minoriten
Nicolaus de Curbio bei Murat. HE, 492. unter den ital. Geschiehtschr. kommt neben
Ryccardus de S. Germano schliefst mit 1243 am meisten Salimbene de Adamo in
Betracht: Chronicon a. a. 1212 — 1287. In MM. bist, ad provinc. Parmensem et Placen-
tinam pertinentia DI. Parmae 1857 8. dazu Dove, Die Doppclchronik v. Reggio und
Salimbene. Leipz. 1873 u. E. Michael, Salimbene u. s Chronik. Innsbr. 1889.
Annales Piacentini, wie oben. Ann. Januenses. MM. G. SS. XVHL Rol. v. Padua,
T,vie oben. Annales et Notae Parmenses. MM. Germ. bist. XVIII, 662 ff Le Croniche
de Viterbo 1080 — 1254, ed. Böhmer FF. IV, 681 ff. Sonst wie oben. Über die Haupt-
1 Von ordUj d. h. das Lager des Herrschers .
Die Vakanz des päpstlichen Stuhles. Opposition der geistlichen Reichstursten. H3
quellen zur Gesch. des Konz. v. Lyon s. Schirrniacher IV, 387. Es sind die Brevis
notitia (s. Tangl in den MJÖG. XV, 377) ap. Mansi Conc. Coli. XHL, 610 u. damit
übereinstimmend die Annales Caesenates bei Muratori XIV, 1098 ; besonders aber Matth.
Paris (ad a. 1245), der möglicherweise selbst beim Konzil anwesend war. Dann die
Notitia saeculi auetore Pavone, ed. Karajan (s. dazu aber F. Wilhelm, Die Schriften des
Jordanus von Osnabrück. MJÖG. XIX, 648 ff. Danach ist der hist. Wert des
Pavo nicht hoch).
Hilfsschriften: Die allg. Werke zur Gesch. Friedrichs II. s. oben §§ 8, 17 u. ff.
Dazu: Köhler, D. Verhältnis Friedrichs II. z. d. Päpsten. Diss. 1888. Tammen,
Kaiser Friedrich II. u. Papst Innozenz IV. 1243 — 1245. Leipz. 1886. Maubach, Die
Kardinäle u. ihre Polit. 1243—68. Bonn 1902. Beyer, Der Abfall und die Be-
lagerung von Parma 1247. Progr. Freistadt 1892. H. Weber, Der Kampf zwischen
Papst Innozenz IV. u. Friedrich II. bis zur Flucht des Papstes nach Lyon. Berlin 1900.
Bu.rkh.ar dt, Konrad v. Hochstaden. Bonn 1843. Funkhänel, Heinr. Raspe als
Pfleger d. d. Reiches. Z. thür. Gesch. VII. C'ardauns, Konrad von Hochstaden, Erzb.
v.Köln. 1880. E. Fink, Siegfried v. Eppenstein, Erzb. v. Mainz (1230-1249). Rost.
1892. Rodenberg, Kaiser Friedrich s. §17. Rodenberg, Innozenz IV. und das
Königreich Sizilien 1245 — 1254. Grub er, Eberhard H., Erzb. v. Salzburg 1200 — 1246.
Progr. Burghausen. W e s e n e r , De actionibus inter Innoc. IV. et Frid. H. a. 1243 — 45.
Bonn 1870. Winkelmann, Kaiser Friedrichs Kampf um Viterbo. Hannover 1886.
Schürmann, D. Polit. Ezzelins III. Progr. 1886. Mitis , Storia d'Ezzelino TV. da Romano
1897. Gittermann, Ezzelin III. da Romano. Freib. 1890. Cantu, Ezzelino d. R.
Mil. 1901. J. Zeller, L'empereur Frederic H et la chute de l'empire germanique
du moyen-äge, Conrad IV et Conradin. Paris 1885. Mikulla, Die Söldner im Heere
Friedr. II. Bresl. 1885.
1. Kaum hatte Friedrich II. den Tod des Papstes vernommen, ein
Ereignis, das er den Königen Europas mit dem Wunsche mitteilte, dafs
ein friedliebender Papst den Stuhl des hl. Petrus besteige, als er seine
Feindseligkeiten gegen Rom einstellte und den Kardinälen erlaubte, sich
zur Wahl eines Papstes zu versammeln. Die in Rom anwesenden (10)
Kardinäle wählten am 25. Oktober den Mailänder Gaufried, Bischof der
Sabina, als CölestinIV. zum Papst, der aber, noch ehe er die Weihe
erhalten hatte, am 10. November starb. Während die Römer auf die
rasche Vornahme einer Neuwahl drängten, die Weifen in der Stadt sich
gegen die Ghibellinen erhoben und der Kaiser vor der Stadt stand,
flohen die Kardinäle nach Anagni, worauf eine mehr als anderthalb-
jährige Vakanz des päpstlichen Stuhles eintrat, die von der einen Seite
dem Kaiser, von der anderen den uneinigen Kardinälen in die Schuhe
geschoben ward. Inzwischen waren dem Kaiser auch in Deutschland
Schwierigkeiten erwachsen. Die geistlichen Fürsten, besorgt, dafs er
seine Siege in Italien benützen könnte, um die grofsen Errungenschaften
des deutschen Fürstentums aufzuheben, und von der Überzeugung durch-
drungen, im Bunde mit dem Papsttum gröfsere Vorteile zu erringen,
traten in die Opposition. Am 11. September 1241 schlössen die Erz-
bischöfe von Köln und Mainz ein Bündnis gegen die Staufer, dem sich
bald andere Reichsfürsten anschlössen. Nur die Mongolennot hinderte
sie an der Durchführung ihrer Absichten. Dagegen gewann Friedrich IL
den Landgrafen Hermann von Thüringen und König Wenzel, denen er
die Würde eines Reichsverwesers verlieh, und fesselte die bisher zurück-
gesetzten Städte durch reiche Privilegien an sich. Den Kampf gegen
Köln und Mainz führte König Konrad zu Ende. Nun drängten alle
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 8
114 Die Wahl Innozenz' IV. Seine Flucht nach Lyon.
Kreise der abendländischen Christenheit auf die Vornahme der Papst-
wahl. Friedrich II. räumte schliefslich selbst die Hindernisse hinweg,
die ihr von seiner Seite entgegenstanden, und die Kardinäle hoben
den Kardinal Sinibald Fiesco aus dem alten genuesischen, zum Reichs-
adel gehörigen Hause Lavagna als Innozenz IV. (1243 — 1254) auf den
päpstlichen Stuhl (1243, 25. Juni). Ein erprobter Anhänger der Politik
Gregors IX., deutete er schon durch die Wahl seines Namens die Rich-
tung an, die er befolgen würde. Bisher war er ein Freund des Kaisers,
der ihn nach der Wahl auch als solchen begrüfste, freilich nicht ohne
Sorge, dafs er es fürderhin nicht mehr sein könnte. 2) Wiewohl
Papst und Kaiser friedfertige Gesinnungen kundgaben, war eine Einigung
schwer zu erzielen. Während jener unbedingte Restitution aller der
Kirche gehörigen Länder, Einschlufs der Lombarden in den Frieden
und Entscheidung der strittigen Fragen durch ein Konzil begehrte,
konnte der Kaiser wohl in den ersten, nicht aber in die beiden folgen-
den Punkte willigen. Trotzdem wurden bis Ende 1244 Verhandlungen
gepflogen und führten in allen bis auf die lombardische Frage zu einer
Einigung; der Papst begehrte, dafs ihm auch hierin die Entscheidung
überlassen werde, was der Kaiser, um seine Hoheitsrechte in der Lom-
bardei zu wahren, zurückwies ; daher lehnte es der Papst ab, ihn vom
Bann zu lösen. Noch war der Kaiser zu weiteren Zugeständnissen be-
reit und hoffte, den Papst bei einer Zusammenkunft für seine Vorschläge
zu gewinnen, schon aber verhandelte dieser nur noch zum Schein und
war sein Plan feststehend, ein Konzil, das die Absetzung des Kaisers
aussprechen sollte, auf einem Boden zustande zu bringen, der sich der
Beeinflussung durch diesen entzog. Am 28. Juni 1244 flüchtete er von
Sutri nach Civitavecchia, von wo die Genuesen, die er von seinen Ab-
sichten in Kenntnis gesetzt hatte, ihn und seine Begleiter, unter ihnen
seinen Biographen und Beichtvater Nikolaus de Curbio, nach Genua
führten. In einem Schreiben an Brescia nennt er die Hemmung des
freien Verkehrs mit den Gläubigen als Ursache der Flucht. Böswillige
Federn wufsten von finsteren Plänen des Kaisers, ihn gefangen zu
nehmen, zu erzählen. Als frohe Botschaft wurde die Flucht, die seinem
Kampfe gegen Friedrich den Stempel der Unversöhnlichkeit aufprägte,
in den lombardischen Städten aufgenommen. Sie waren es, die den
Papst aufforderten, die Absetzung des Kaisers zu proklamieren. Dieser
war über die Kunde von der Flucht des Papstes sehr ungehalten : Er
sei ja doch bereit gewesen, seinen Wunsch zu erfüllen. Der Papst ver-
langte von Ludwig IX. eine Zufluchtstätte in Reims. Dagegen sprachen
sich die französischen Grofsen aus, um nicht Frankreich in einen Streit
mit dem Kaiser zu verwickeln. Der Papst ging daher nach Lyon, das
zwar dem Xamen nach zum Reiche gehörte, in Wirklichkeit aber autonom
war. Von hier aus berief er auf den 21. Juni 1245 ein allgemeines
Konzil. Dort sollte die Absetzung des Kaisers erfolgen.
*) Perdidi bonum amicwm . quia nullus papa potest esse Ghibellinus. Galv.
Flamma, c. 276.
Das Konzil von Lyon. Anklage des Kaisers und dessen Verteidigung. 11")
2. Noch ehe Innozenz IV. aus Italien flüchtete, suchte er die anti-
kaiserliche Partei in Deutschland zu stärken und die Erhebung eines
Gegenköni&'s vorzubereiten : er stellte den Fürsten reiche Vorteile in
Aussicht, so sollte dem Herzog Friedrich II. von Osterreich die Errichtung
eines von Passau unabhängigen Bistums in Wien bewilligt werden. Aber
auch der Kaiser war nicht müfsig geblieben und Österreich das Land
der staufischen Hoffnungen. Da er seit 1241 Witwer war, wurde seine
Vermählung mit Gertrud, der Nichte Herzog Friedrichs, in Aussicht ge-
nommen. Er durfte hoffen, bei dessen kinderlosem Ableben Österreich
und Steiermark zu gewinnen. Nun wurde dem Herzog auf einer Fürsten-
versammlung zu Verona die Erhebung Österreichs zum Königreich zu-
gesagt und die betreffende Urkunde ausgefertigt1). Doch kam es nicht
zur Ausführung des Vertrags, da Gertrud sich weigerte, den Kaiser zu
heiraten, solang er im Banne sei. Der Verkehr zwischen diesem und
dem Herzog blieb trotzdem ein freundschaftlicher. Ebenso wurden die
Städte des Reiches noch fester an den Kaiser geknüpft. Nun trat auch
das Konzil zusammen. Aufser den Kardinälen hatten sich die Patriarchen
von Konstantinopel, Antiochien und Aquileja, 140 Erzbischöfe und
Bischöfe, einzelne Fürsten und Vertreter von Städten eingefunden. Am
stärksten war Frankreich, am' schwächsten Deutschland vertreten. Als
Sachwalter des Kaisers erschien der Grofshofrichter Thaddäus von Suessa.
Noch im letzten Augenblick war eine Einigung zwischen Kaiser und
Papst unter Vermittlung des Patriarchen von Aquileja versucht worden,
aber ohne Ergebnis geblieben. Auch die Friedensanerbietungen Thaddäus'
von Suessa während der Vorberatung am 26. Juni wurden abgelehnt,
da es an einer Bürgschaft für den Erfolg fehle. Am 28. Juni beschuldigte
der Papst den Kaiser der Häresie, des Sakrilegs, der Unzucht und des
Meineides. Thaddäus verteidigte ihn mannhaft und bat, ihm Gelegen-
heit zu geben, zu erscheinen. Das lehnte der Papst mit der Drohung
ab, in diesem Falle selbst zu gehen. Auch in der zweiten Sitzung
(5. Juli) wurden heftige Anklagen gegen den Kaiser vorgebracht und,
um ihm Zeit zu geben, vor dem Konzil zu erscheinen, die dritte Sitzung
auf den 17. Juli verschoben; aber dies war eine Frist, die für den Zweck,
falls er ernst gemeint war, viel zu kurz war. In der Zwischenzeit liefs
der Papst, um die im Laufe der Zeit von der Kurie erworbenen Besitz-
titel vor den Ansprüchen der weltlichen Macht zu sichern, von ihren
Privilegien Abschriften anfertigen und durch die Siegel von 40 anwesen-
den Prälaten bekräftigen. Angesichts der Unmöglichkeit, die dem Kaiser
drohenden Gefahren abzuwenden, erklärte Thaddäus in der dritten Sitzung
das zu gewärtigende Urteil für null und nichtig, da der Kaiser nicht
ordnungsmäfsig geladen, der Papst als sein Feind zugleich sein Kläger
und Richter, die Klagepunkte zudem nicht erwiesen seien, und legte
Berufung an ein allgemeines Konzil ein, denn das gegenwärtige sei kein
solches. Gegen den Wunsch der Prokuratoren der weltlichen Mächte
und des Patriarchen von Aquileja wurde Friedrichs Absetzung von den
*) Die Constitutio regni Austriae in MM, Germ. LL. IV, II, 358.
11(3 Die Verurteilung des Kaisers.
Prälaten gut geheifsen, das Urteil durch 150 Siegel bekräftigt, die Unter-
tanen des Kaisers des Treueides entbunden und die Wahlfursten auf-
gefordert, eine Neuwahl vorzunehmen. Zugleich behielt sich der Papst
die Verfügung über das Königreich Sizilien vor. Als die versammelten
Väter zum Zeichen der Verdammnis des Kaisers die Lichter auslöschten,
rief Thaddäus gramerfüllt aus: »0 Tag, Tag des Zornes, des Unglücks
und Elends!« Der Kaiser war über dies Vorgehen tief erbittert.1) In
einem Rundschreiben an Fürsten und Grofse erkennt er wohl die oberste
Richtergewalt des Papstes in geistlichen Dingen an, aber kein göttliches
oder menschliches Gesetz weise diesem das Recht zu, in weltlichen Dingen
über Könige und Fürsten zu richten, ihnen Reiche und Länder abzu-
sprechen. Das Verfahren gegen ihn sei null und nichtig; warnend wird
allen Fürsten das an ihm vollzogene Beispiel entgegengehalten.2) In
einem anderen Schriftstück erhebt er laute Klage über die Verderbtheit
der römischen Kirche. Zum erstenmal wird der Wunsch laut,' den ge-
samten Klerus zur Armut und Einfachheit der Kirche im apostolischen
Zeitalter zurückzuführen. 3) Der Papst antwortete darauf mit dem Hin-
weis auf die ihm von Gott verliehene Macht, die nicht blofs alles Geist-
liche, sondern auch alles Weltliche umfasse. Indem der Kaiser diesem
Anspruch die Legitimitätstheorie des Königtums von Gottes Gnaden
gegenüberstellte, kam es zu einem Kampf zweier Prinzipien, bei denen
eine Versöhnung nicht möglich war. Vermittlungsversuche, die Ludwig IX.
im Interesse des von ihm geplanten Kreuzzuges machte, waren daher
von vornherein aussichtslos und wurden von der Kurie kühler als vom
Kaisertum aufgenommen, denn jener standen sowohl in Italien, wo sie
als Schützerin der Nationalität gegen die Fremdherrschaft und der Frei-
heit gegen den Absolutismus erschien, als auch in Deutschland, wo sich
der Sondergeist kräftig regte, Hilfskräfte zur Verfügung, mit denen sie
den Kampf siegreich zu beenden hoffte.
§ 26. Friedrich II. und die Gregenkönige. (Konrad TV. und Heinrich
Kaspe von Thüringen. Der Fall von Parma. Wilhelm von Holland
und der Bürgerkrieg in Deutschland.)
Quellen wie oben. Heinr. Raspe, Constit. in MM. Germ. LL. wie oben. Zu
den Hilf s Schriften v. §23 u. 25 s. A. Rübesamen, Landgraf Heinrich Raspe
v. Tb. Halle 1885. Reufs, Die Wahl H. Raspes v. Th. Progr. Lüdenscheid 1878.
II gen und Vogel, Krit. Darstellung d. Thür. u. Hessischen Erbfolgekrieges 1247 — 1264.
Z.V. hess. G. XF. X. Reufs, K. Konrad IV. u. s. Gegenkönig H. Raspe v. Th.
Progr. Wetzlar 1885. Sp ei er, Gesch. Konrads IV. 1228-1254. Berl. 1898. Well er,
*) Die Szene, wie der Kaiser die Nachricht von seiner Absetzung erhielt, bei
Matth. Paris, Pertz, MM. SS. XXVIH, 268 : Abiecit nie papa . . . privans me Corona mea.
TJnde tarda audacia f Darauf läfst er seinen Schatz mit den Kronen holen : Vide, si
iam sunt amisse corone niee! Re per tarn igitur unam imposuit eapiti suo et coronatus
erexit se et minaeibus oculis, voce terribili et insaciabili corde dixit . . . : Non adhuc coronani
meam perdidi nee papali impugnacione vel synodali concilio sine cruento perdam
certamine . . .
2) A nobis ineipitur, sed tua et aliorum prineipum dignitas conculcatur . . .
3) Semper fuit nostre voluntatis intencio clericos euiuseunque ordinis . . . ad illum
Station reducere, ut tales persererent in fine, quales fuerunt in ecclesia prhnitiva.
Die Wahl Heinrich Raspes und der Kampf der Gegenkönige. 117
Konrad IV. u. die Sehwaben. Würt. Viertel Jahressoll. NF. VI. Meer man, Ge-
schiedenis van graaf Willem van Holland. 4 Bde. 1783—1797. A. Ulrich, Gesch.
des röm. K. Wilhelm v. H. Hann. 1882. 0. Hintze, Das Königtum Ws. v. H.
Leipz. 1885. Th. Hasse, K. Wilhelm v. H. Strafsb. 1885. P. L. Müller, Wilhelm
v. Holland. ADB. 42. Döhmann, K. Wilhelm v. H., die rhein. Erzbisehöfe u. der
Neuwahlplan von 1255. Strafsb. 1887. .1. Kempf, Gesch. d. d. Reichs während des
Interregnums. Würzburg 1893.
1. Die Ereignisse von Lyon hatten in Italien keine so starke Wir-
kung hervorgebracht als in Deutschland. Im Westen und Osten der
Lombardei traten Städte, die, wie Venedig, auf Genuas steigende Macht
eifersüchtig waren, vom Bunde gegen Friedrich IL zurück, andere, wie
Alessandria, Tortona u. a., schlössen sich ihm fester an. Im Westen be-
wachte der zu ihm zurückgetretene Graf von Savoyen, im Osten Ezzelin
die Übergänge über die Alpen, während in den mittleren Pogegenden
König Enzio, in Mittelitalien die übrigen Feldherren des Kaisers das
Feld behaupteten. Schon 1245 hatte Friedrich IL Kunde von einem
gegen sein und Enzios Leben gerichteten Anschlag erhalten, dessen
Urheber ein Schwager des Papstes war. Die Verschwörung erstreckte
sich bis in die nächste Umgebung des Kaisers; verschiedene hohe
Beamte des Kaiserreichs und Siziliens waren beteiligt. Die Urheber-
schaft wurde dem Papste beigemessen; doch läfst sich nur feststellen,
dafs er mit den Verschworenen im Briefwechsel stand und ihnen auch
später Gnaden erwies. In Deutschland hatte sich Landgraf Heinrich
Raspe von Thüringen schon 1244 den Gegnern des Kaisers zugewendet.
Er schien der geeignete Kandidat für das Gegenkönigtum zu sein,
und so liefs es der Papst zu seinen Gunsten weder an Überredung, noch
an Drohungen, noch an Geldmitteln fehlen. An die Fürsten erging der
Befehl, ihn zu wählen; die geistlichen wurden unter Androhung der
Suspension, die weltlichen bei andern Strafen zur Anerkennung des zu
wählenden Königs und künftigen Kaisers verhalten. Dominikaner und
Minoriten waren hiebei in drastisch-agitatorischer Weise tätig.1) So
wählte eine Anzahl meist geistlicher Fürsten am 22. Mai 1246 zu Veits-
höchheim Heinrich Raspe zum König. Schon die Zeitgenossen haben
ihn rex clericoram — Pfaft'enkönig — genannt. Trotzdem alle bedeutenderen
Laienfürsten der Wahl fern geblieben waren, war der Papst fest ent-
schlossen, an ihm festzuhalten und mit dem Kaiser nur dann Frieden
zu schliefsen, wenn er auf das Reich verzichte. Alle Hebel wurden in
Bewegung gesetzt, um dem staufischen Hause die Sympathien der
Fürsten und Völker abwendig zu machen. Selbst die Freundschaft
Ejubs von Ägypten sollte ihm entzogen werden.2) Raspe hatte auf den
25. Juli einen Reichstag nach Frankfurt ausgeschrieben. Konrad IV.,
entschlossen, ihn zu verhindern, zog mit Heeresmacht heran, wurde
aber infolge des Abfalls zweier schwäbischer Grofsen wiederholt bei Frank-
furt geschlagen 3) und nunmehr nicht blofs des schwäbischen Herzogtums,
*) S. Emko in MM. G. SS. XXIH, 529.
2) Ann. Stad.
3) Dafs ein zweimaliges Treuen stattfand (am 25. Juli und 5. August), beweist
Reufs, 8. 10. Die älteren Arbeiten kennen nur ein Treffen, das vom 5. August.
118 Niederlage des Kaisers vor Parma.
sondern auch seiner Güter verlustig erklärt. Erst jetzt trat infolge der
von dem Legaten des Papstes und Albert Behaim betriebenen Agitation
eine erhebliche Zahl geistlicher und einzelne weltliche Fürsten auf
die Seite Heinrichs. Konrad IV. gewann dagegen die mächtige Unter-
stützung Herzog Ottos von Bayern, mit dessen Tochter er sich ver-
mählte. Otto ward zu der Allianz mit den Staufern durch die Sorge
bewogen, dafs Böhmen sich in den Besitz Österreichs setzen würde.
Der letzte Babenberger, Friedrich IL, war nämlich im Kampfe gegen die
Ungarn gefallen (15. Juni), und König Wenzel hatte rasch die Vermählung
seines Sohnes Wladislaw mit der Richte des Herzogs durchgesetzt. Über
Otto von Bayern wurde nun gleichfalls der Bann ausgesprochen und
sein Land mit dem Interdikt belegt. Der Gegenkönig hatte seinen Sieg
nicht weiter verfolgt. Erst als er von seinen Anhängern zu Hilfe ge-
rufen wurde, wandte er sich gegen Bayern und Schwaben und belagerte
Ulm (1247, Januar); aber seine Erkrankung, die Beschwerden des Winters
und das Herannahen des Königs nötigten ihn zum Rückzug nach
Thüringen.1) Dort starb er — der letzte seines Stammes — am 16. Fe-
bruar 1247. Die Landgraf schaft kam an den Markgrafen Heinrich von
Meifsen.
2. Raspes Tod hatte den Papst wohl hart getroffen, doch gelang
es seinen Anhängern, der kaiserlichen Partei in Italien einen schweren
Schlag zu versetzen. Noch im März 1247 hatte der Kaiser die Absicht,
nach Deutschland zu gehen, als der Rat einflufsreicher Anhänger dies-
und jenseits der Alpen ihn bewog, selbst nach Lyon zu ziehen, um dem
Papste dort persönlich den Frieden abzuringen. Nachdem er seinen
Sohn Heinrich zum Statthalter in Sizilien eingesetzt hatte, schlofs er
A ertrage mit Savoyen und dem Dauphin von Vienne, um sich die
Alpenübergänge zu sichern. Aber der Papst blieb unerbittlich. Fest
entschlossen, auf kein Anerbieten einzugehen, das die Staufer im Besitz
des Kaisertums liefs, gewann er Frankreichs Beistand für den Fall, als
der Kaiser Gewalt brauche. Schon war Friedrich IL bis Turin gelangt.
Da traf ihn die Nachricht, dafs Parma in Enzios Abwesenheit in die
Hände der Päpstlichen gefallen sei (1247, 16. Juni). Diese Stadt war
sein Hauptstützpunkt: sie sicherte die Verbindung Deutschlands mit
dem Königreiche, Tusciens mit der Lombardei, Piemont und der Trevi-
sanischen Mark. Um sie wieder zu gewinnen, kehrte er zurück und
stand bald wieder an der Spitze eines starken Heeres, und um die Be-
lagerung auch während des Winters fortzusetzen, gründete er in der
Nähe seines Lagers eine neue Stadt Vittoria. Als der Fall Parmas nahe-
gerückt war, machten die Belagerten einen Ausfall (1248, 18. Februar),
eroberten und verbrannten Vittoria und zwangen den Kaiser, die Belage-
rung aufzuheben. Das kaiserliche Heer hatte schwere Verluste erlitten ;
unter den Gefallenen befand sich Thaddäus von Suessa. Der Kaiser
selbst rettete sich nach Cremona. Mittlerweile war der Legat Pietro
Capocci in Deutschland : als Engel des Friedens erschienen und hatte
1 Eine Schlacht bei Ulm fand nicht statt. BF. 48831). Rübesamen, 52.
Die Wühl Wilhelms von Holland. Unentschiedener Kampf der ( regenkönige. 119
mit verschiedenen Fürsten Verhandlungen über eine Neuwahl gepflogen.
Auf Betreiben des Herzogs von Brabant wurde dessen Neffe Gral' Wil-
helm von Holland als Thronkandidat aufgestellt und auf einer meist
aus geistlichen Fürsten bestehenden Versammlung zu Worringen (3. Ok-
tober) zum König gewählt — der erste nicht fürstliche Herrscher auf
dem deutschen Thron (1247 — 1256). Bei seinen Familienverbindungen
war es nicht schwer, seine Anerkennung in den unteren Rheinlanden
durchzusetzen. Nachdem er Köln durch reiche Vergabungen gewonnen
und Aachen zu ihm übergegangen war, wurde er dort im Beisein zweier
Kardinäle, doch nicht mit der echten Krone, zum König gekrönt (1. No-
vember). Jetzt wurde sein Anhang auch im südlichen Deutschland be-
deutender. Das staufische Haus, das einst seine Kraft im schwäbischen
Adel besessen, wurde von diesem grofsenteils verlassen, fand dagegen
eine kräftige Stütze in den so lange zurückgesetzten Bürgerschaften
am Rhein und in Schwaben. Aber die Hilfe, die der Papst seinem
Schützling, dem Gegenkönig, gewährte, machte den Kampf zu einem
ungleichen. Am heftigsten wogte er in Österreich, das der Kaiser als
erledigtes Reichslehen festzuhalten versuchte. Dagegen warf sich der
Papst zum Anwalt der weiblichen Verwandten des letzten Babenbergers
auf: das waren seine Schwester Margareta, die Witwe König Heinrichs,
und seine Nichte Gertrud. Da aber auch jene durch ihre Heirat und
ihren Sohn Friedrich, »der Vipernbrut« des Stauferhauses angehörte,
wirkte er für Gertrud, die sich nach dem Tode Wladislaws (1247, Januar)
mit dem Markgrafen Hermann von Baden vermählt hatte, an den sie
nun ihre Rechte übertrug. Die Österreicher wünschten Margaretas
Sohn zum Herzog, aber der Kaiser ernannte Otto von Bayern zum
Reichsverweser für Österreich und den Grafen Meinhard von Görz für
Steiermark. Unter diesen Verhältnissen kam es in Österreich zu einer
förmlichen Anarchie. In Böhmen erhob sich gegen den päpstlich ge-
sinnten König Wenzel die staufische Partei unter seinem Sohne Pfemysl
Ottokar, dem Sohne der Stauferin Kunigunde, ohne aber besondere Er-
folge zu erzielen. Dagegen blieb sie in Österreich Siegerin, zumal Her-
mann von Baden eines frühen Todes starb (1250, 10. Oktober). Der
Kampf der Gegenkönige im übrigen Deutschland ging ohne Entscheidung-
weiter, diese wurde erst durch den Tod des Kaisers herbeigeführt.
§ 27. Das Ende Friedrichs IL Seine Persönlichkeit und sein Charakter.
Quellen. Über die Persönlichkeit Friedrichs und seine Bedeutung berichten
die Quellen von ihrem Parteistandpunkt aus, wie Petrus de Yinea in seinen Briefen,
die dem Konzil gegen den Kaiser vorgelegten Akten, die vita Gregorii IX. u. a. Über
einen Bericht aus seiner Jugendzeit aus der Feder seines Lehrers Franziscius s. Hampe
in d. HZ. 83, 8. Assibt im Dschami-ellewärich bei Amari, Bibl. p. 515. S. auch Amari,
Estratti dal Tarih Mansuri in ASt. NF. 98 ff. Salimbene, wie oben. Die anderen
Quellen gehören einer späteren Zeit an. Von Neueren handeln über seine Persön-
lichkeit, seine Erz. und seinen Charakter: Huillard-Br eholle s, Introductio I,
CLXXVn ff. Winkel m a n n II, 137. Schirr m acher I, 32 ff., IV, 339. I) e lbr ü c k ,
E. Porträt Fr. IL Z. bild. Kunst XF. 14. Wie die älteren Quellen gehen auch die
neueren Darstellungen in der Beurteilung dieses Kaisers weit auseinander. Am ge-
120 Der Kampf in Italien. Verrat in des Kaisers Umgebung.
hiesigsten haben sieh Böhmer in der Vorrede zu den Regg. und Höfler (s. oben über
ihn ausgesprochen, wogegen O.Lorenz unter Berücksichtigung der Arbeiten Huillard-
Breholles', Schirmiachers, Winkelmanns u. Xitzsch" Einsprache erhoben hat : Kaiser
Friedrich und sein Verh. zur römischen Kirche in Drei Bücher, Geschichte u. Politik
1 — 51 VHZ. XI, 316 unter dem Titel Friedlich EL). Von Wichtigkeit ist die Darstellung
J. Fickers in der Neubearbeitung von Böhmers Regesten V, 1, S. XI — XXXEH und
jetzt vornehmlich auch K. Hampe, Kaiser Friedrich II . HZ. 83, 1 — 42. S. auch
Freeman, Kaiser Friedlich H. in »Zur Gesch. des MA.«. Strafsburg 1886. Dove in d.
ADB. Zu K. Enzio s. aufser § 23 noch F r a t i , La prigonia del Re Enzio in
Bologna. AStlt. XXTTT. C i p o 1 1 a , K. Enzios Gefangenschaft in Bologna. MJÖG.
IV, 463. Scheffer-Boichorst, Über Testamente Friedrichs H. in »Zur Gesch. d.
Xn. u. im. Jahrb.«. Berl. 1897. S. 268 ff. Hartwig, Über den Todestag und das
Testament Frs. H. Forsch. Xu, 631. Über die sizil. Politik des Kaisers s. auch Kap-
herr w. § 7. Del Giudice, Filangieri sotto il regno di Federigo, di Corrado e di
Manfredi. Nap. 1893. Die reiche Literatur zur deutschen Kaisersage findet sich ver-
zeichnet in dem trefflichen Aufsatz von Julius Heidemann, Die deutsche Kaiser-
idee u. Kaisersage im MA. und die falschen Friedliche. Wissensch. Beil. zum Jahres-
bericht des Berl. Gymn. zum grauen Kloster 1898. S. 6. Hier seien nur die wichtigsten
Schriften genannt : G. V o i g t , Die deutsche Kaisersage. HZ. XXVI (dazu : S. R i e z 1 e r ,
HZ. XXXII u. Brosch XXXV). J. Häufsner, Die deutsche Kaisersage. Progr.
Bruchsal 1882. A. Fulda, Die Kyffhäusersage 1889 herausg. von Schmidt u. Gnau .
Grauert, Zur d. Kaisersage. HJb. XTTT. Schröder, Die deutsche Kaisersage u.
die Wiedergeburt d. d. Reiches. Heidelberg 1893. J. K a mpers, Die deutsche Kaiser-
idee in Prophetie und Sage. München 1896. S. auch Bassermann in d. N. Heidelb.
Jb. XL
1. Durch die Niederlage der kaiserlichen Truppen vor Parma
wurden die Machtverhältnisse der Parteien in Oberitalien zunächst nur
unwesentlich verschoben. Schon fünf Tage später nahmen die Kaiser-
lichen ihren Gegnern, die sich in den Besitz der Pobrücke bei ßugno
setzen wollten, 87 Schiffe weg, sicherten durch die Wiedereroberung von
Medesano bei Parma die Verbindung mit dem Süden, brachten der
Ritterschaft von Parma eine Niederlage bei (1248, 19. März) und rückten
bis Vittoria vor, wogegen allerdings Ravenna und die meisten Städte
der Romagna vom Kaiser abfielen; auch die Mark Ancona und das
Herzogtum Spoleto wurden nun wieder für die Kirche in Besitz genommen.
Dafür gelang es dem Kaiser in Norditalien Vercelli zu gewinnen. Das
Haus Savoyen fesselte er durch Vergabung von Reichsgut an sich;
seinen Sohn Manfred vermählte er mit der Tochter des Grafen Amadeus,
König Erizio mit einer Nichte Ezzelins. Dagegen lauerte in seiner un-
mittelbaren Umgebung der Verrat. Sein Leibarzt machte, wie Friedrich IL
behauptete, von päpstlichen Legaten bestochen, an ihm einen Ver-
giftungsversuch, und sein ehedem vielgefeierter Kanzler Petrus de Vinea
wurde, des Verrates beschuldigt1), geblendet und soll sich im Kerker zu San
Miniato in Tuscien selbst entleibt haben. Gegen Minderbrüder und
Prediger, die Bann und Interdikt in Italien zur Geltung brachten, wurde
mit Folter und Todesstrafen vorgegangen. Im Begriffe, in Sizilien neue
Kräfte zu sammeln, um die Heerfahrt nach Deutschland zur Unter-
stützung Konrads IV. und der Ordnung der österreichischen Verhält-
*) Ob beide Ereignisse in ursächlichem Zusammenhang stehen, mufs allerdings,
bezweifelt werden. BF. 3767 und Kempf, S. 107.
Gefangennahme Enzios. Fortschritte der Staufer. Tod des Kaisers. 121
nisse anzutreten, traf ihn die Nachricht von dem grofsen Siege der Bc-lo-g-
nesen und der Gefangennahme Enzios in der Schlacht bei Fossalta1)
(1249, 26. Mai). Seine Versuche, den Sohn, dessen Feldherrntalent er
schwer vermifste, aus der Gefangenschaft zu lösen, blieben vergebens.
Enzio starb erst nach 23 jähriger Haft. Die Wirkung dieser Nieder-
lage war gröfser als der bei Vittoria ; gleichwohl erzielten die Päpstlichen
keine dauerhaften Erfolge. Ravenna trat zum Kaiser zurück, und wenn
auch Modena abfiel, hielten doch Savoyen und Ezzelin in Oberitalien
die kaiserliche Sache aufrecht. Auch in der Romagna und Ancona
machte sie Fortschritte. Enzios Nachfolger, der Markgraf Uberto Palla-
vicini, brachte den Parmensern an demselben Ort, wo Vittoria stand,
eine völlige Niederlage bei, und auch zur See gewannen die Kaiserlichen
über die Genuesen einen Sieg bei Savona. Gerade jetzt stand Friedrichs
Sache besser als seit langem : in Deutschland kämpfte Konrad IV. mit Erfolg
wider das Gegenkönigtum, und die lombardischen Städte, aufs äufserste
erschöpft, waren einem Frieden geneigt. Dem Papste aber entfremdete
seine Hartnäckigkeit immer mehr Anhänger. Sowohl in Deutschland
als in Frankreich mafs man ihr die Hauptschuld an dem Mifserfolg
Ludwigs IX. im Oriente bei. Schon fühlte sich Innozenz IV. in Lyon
nicht sicher und suchte nach einer Zufluchtstätte in Bordeaux. Da er-
krankte der Kaiser und liefs sich auf sein Schlofs Fiorentino in der
Capitanata bringen ; dort starb er, nachdem ihn der Erzbischof von Pa-
lermo mit der Kirche ausgesöhnt hatte, am 13. Dezember 1250. Sein
Leichnam- wurde im Dom zu Palermo neben denen seiner Eltern bei-
gesetzt. Noch aus den Bestimmungen seines Testamentes ist ersichtlich,
wie sehr es ihm um die Aufrechthaltung der Verbindung Siziliens mit
dem Reiche und um die Versöhnung mit der Kirche zu tun war. Da-
nach sollte Konrad IV. sein Erbe im Kaiserreich und in Sizilien sein
und im Falle seines kinderlosen Abscheidens seine Söhne Heinrich, bzw.
Manfred an seine Stelle treten. Heinrich sollte entweder Arelat oder
Jerusalem und Manfred das Fürstentum Tarent als sizilisches Lehen er-
halten. Die Nachfolge in Österreich und Steiermark war seinem Enkel
Friedrich bestimmt. Der Kirche sollte alles Ihrige wieder erstattet werden,
aber unter der Voraussetzung, dafs auch sie dem Reiche das Ihrige gab.
2. Morgen- und abendländische Quellen berichten über die äufsere
Gestalt des Kaisers. Seine Züge treten uns in seinen nach antikem
Vorbild (1231) ausgemünzten Augustalen2) entgegen, bei denen Porträt-
ähnlichkeit beabsichtigt und wohl, auch erreicht worden ist. »Die Gestalt
des Königs«, sagt eine Beschreibung aus seiner angehenden Jünglingszeit,
»mufst du dir nicht gerade klein vorstellen, doch auch nicht gröfser, als
sein Alter erfordert. 3) Ihm eignet eine königliche Würde, die Miene
und gebieterische Majestät des Herrschers. Sein Antlitz ist von anmuts-
voller Schönheit, mit heiterer Stirn und einer noch strahlenderen Heiter-
keit der Augen, so dafs es eine Freude ist, ihn anzuschauen.« So auch
1) Zwischen Modena und Bologna.
2) Winkelniann, Über die Goldprägungen Kaiser Friedrichs II. MJOG. XV.
3) Hampe, HZ. 83, 9.
122 Charakteristik Friedrichs II.
Salimbene. der ihn selbst gesehen. Er nennt ihn schön von Erscheinung,
wenn auch nur mittelgrofs. Vielleicht war es das, weshalb er dem Araber
nicht gefiel, der ihn während des Kreuzzuges sah. Doch auch er rühmt
seine edle Haltung. Rötlichblond wie Heinrich VI. war er lebensfrischer
und kräftiger als dieser. Die Leibesübungen der Jugend hatten seinen
Körper gestählt. Er liebte das Reiten und vor allem die Jagd, der er
selbst während der Feldzüge oblag. Gleich seinen normannischen Vor-
fahren war er ein Freund prunkvollen Auftretens. An seinem Hofe
herrschte eine märchenhafte Pracht. Luxus und weitgehende Befriedi-
gung der Sinnlichkeit waren ihm Lebensbedürfnis, aber sie entnervten
ihn nicht. 2) Seine Harems und die Umgebung mit Sarazeninnen mochten
schweren Anstofs in allen Kreisen der Christenheit erregen ; er setzte
sich darüber hinweg. Dafs sein Familienleben darunter litt, ist be-
greiflich , gleichwohl waren die Beziehungen zu seinen Söhnen von
grofser Herzlichkeit. Den Wissenschaften war er ein eifriger Gönner.2)
Ein guter Redner, mehrerer Sprachen kundig, zeigte er für die Dicht-
kunst Interesse, so dafs er sich auch wohl selbst als Dichter versuchte,
weshalb ihn Dante als Vater der italienischen Dichtkunst preist. In
gleicher Weise hatte er Sinn für die bildenden Künste. — Die grofsen
Herrschergaben des Kaisers werden auch von seinen Gegnern anerkannt.
»Wäre er-, sagt Salimbene, »ein guter Katholik gewesen, hätte er Gott
und die Kirche geliebt, er hätte nicht seinesgleichen gehabt.« Aber er
sei ein Atheist gewesen3), verschlagen und jähzornig, schwelgerisch und
habgierig: alles in allem ein Gewaltmensch (vdlens liomo). Sicher konnte
manche Aufserung ihn in den Ruf eines Atheisten bringen, aber die
ärgsten Sätze, die ihm zugeschrieben werden, wie der von den drei
grofsen Betrügern der Welt, sind wohl niemals aus seinem Munde ge-
kommen, andere hatten in der Erbitterung über das Verhalten des
Klerus gegen ihn ihren Grund und mochten daher schärfer ausgefallen
sein, als es beabsichtigt war. Auch lag es im Interesse seines Verkehrs
mit den Arabern, als freisinnig zu gelten, und schliefslich war sein
kirchliches Ideal ein anderes, als es ihm in der damaligen Kirche ent-
gegentrat. Und gerade hierin wufste er sich in vollster Überein-
stimmung mit gut katholischen Männern seiner Umgebung. Gegen
Juden und Mohammedaner übte er eine Duldung, die selbst jene Zeit-
genossen oft nicht begriffen, denen sie zugute kam. In diese sind
freilich die Ketzer nicht inbegriffen, die als Rebellen gegen die Kirche
gelten und als solche nicht Gegenstand eines Krieges, sondern gericht-
licher Bestrafung sind. 4) Für die Entwicklung des Kaisers war seine
1 Hampe HZ. 83, S. 19.
2) Von ihm stammt zweifellos das Buch »Über die Kunst mit Vögeln zu jagen-,
das nach jahrelangem Sammeln abgefafst wurde. Maßgebend für sein Urteil ist mehr
seine eigene Beobachtung als der Ausspruch gelehrter Autoritäten, wiewohl er auch
diese kennt und zitiert. S. Hampe, 1. c.
s Fidem Dei non habuit.
4 Den Grund der verschiedenen Behandlung von Ungläubigen und Ketzern hat
Freeman gut auseinandergesetzt.
Seine polit. Ziele. Unvcrmeidlichkeit <1. Kampfes zwisch Kaiser- u. Papsttum. \2)*>
sizilianische Herkunft und die arabische Nachbarschaft mit ihrem grofsen
Einflufs anf seine Bildung, auf das Hofleben und die Verwaltung mafs-
gebend. Auf diesen Ursprung sind seine despotischen Neigungen und
seine Liebe zu orientalischer Pracht zurückzuführen. Freilich waren
auch die Erfahrungen seiner Jugend nicht geeignet, auf sein Gemüt und
seine Intellekte vorteilhaft einzuwirken (s. oben § 8). Die hohen Vor-
stellungen von seiner Würde steigerten sich, als er die Kaiserkrone er-
langte, mehr noch, als sie ihm bestritten ward. Bei dem göttlichen
Ursprung des Kaisertums wollte er in seinen weltlichen Befugnissen so
uneingeschränkt sein wie der Papste in seinen geistlichen.1) In seiner
Politik war das persönliche Moment mafsgebend. Mehr deshalb als aus
sachlichen Erwägungen hat er seine italische Heimat zum Mittel- und
Stützpunkt seiner Machtstellung erhoben und eben darum den deutschen
Verhältnissen nicht die gleiche Aufmerksamkeit zugewandt, ja nicht
einmal den Versuch gemacht, jene Rechte zurückzuverlangen und nach-
drücklich geltend zu machen, die noch sein Vater und Grofsvater besafsen.
Es ist freilich zweifelhaft, ob diese Rekuperationspolitik erfolgreich ge-
wesen wäre , denn zwischen seiner und der Regierung seines Vaters
liegt der unselige deutsche Thronstreit mit den grofsen Verlusten des
Königtums. Der Ordnung der Verhältnisse Oberitaliens in jenem Sinne,
wie sie in seinem sizilischen Erbreich gelungen war, hat er zuletzt alles
andere hintangesetzt. Sein Ziel war, ganz Italien von Sizilien aus ab-
solut zu beherrschen. Da die Herstellung eines absoluten Königtums in
Deutschland unmöglich war, liefs er dort den Dingen ihren Lauf. In-
dem er die ihm widerstrebenden Gewalten unterschätzte und gleichzeitig
seine Forderungen an die Lombarden bis ins Mafslose überspannte, kam
er um die Früchte seiner Siege; denn dies gab nun der Kurie die Ver-
anlassung, sich in den Streit einzumischen.2) Dafs ihm der Kampf mit
dem Papsttum unerwünscht war, steht aufser Zweifel. Seinen Neigungen
hätte vielmehr ein Zusammengehen beider Gewalten, wie es tatsächlich
lange bestand, entsprochen. In diesem Sinne hat er der geistlichen Ge-
walt den weltlichen Arm zur Verfügung gestellt. Aber dieses Zusammen-
gehen war nicht möglich, solange der Kaiser dieselbe Macht, die er in
Unteritalien besafs, auch in Oberitalien begehrte, weil durch sie die
freie Bewegung des Papsttums in Frage gestellt war. Da beide Teile
starr auf ihren Prinzipien verharrten, war der Entscheidungskampf
zwischen beiden Mächten unvermeidlich geworden. Nun griffen beide
zu den äufsersten Mitteln: die Kurie, indem sie in rein weltlichen
Fragen kirchliche Strafmittel in Anwendung brachte, der Kaiser, indem
er, in das innere Leben der Kirche eingreifend, ihre Reformbedürftigkeit
betonte. Das Wirken dieses Kaisers, des letzten starken Vertreters eines
auch in seinen Verirrungen kraftvollen Geschlechtes, machte in der
ganzen Welt den tiefsten Eindruck. Stand sein Ruf bei den Arabern
a) Hampe, S. 13.
2) Ebenda, S. 36. S. auch die Bemerkungen über die Politik Friedrichs IL bei
Eodenberg : Kaiser Friedricli II. und die deutsche Kirche, S. 228, und die charakt.
Worte S. 230.
124 Nachruhm des Kaisers in der Heimat und Fremde.
hoch, wie viel höher im Abendland, wo man in den breiteren Volks-
schichten an seinen Tod nicht glaubte, wo noch in den Tagen Rudolfs
von Habsburg die falschen Friedriche aufstanden, und wo man mit seiner
Wiederkunft auch das Wiedererstehen eines kraftvollen Kaisertums er-
wartete , denn auf Friedrich II. bezieht sich die deutsche Kaisersage,
nicht auf Barbarossa.
3. Abschnitt.
Das Zeitalter Ludwigs IX. von Frankreich und der
letzten Kreuzzttge (1250—1273).
1. Kapitel.
Keichsgeschiclite und Papsttum in den Jahren 1250—1273.
§ 28. Konrad IT. und Wilhelm von Holland. Der Bheinische Bund.
Die Doppebvahl ron 1257 und ihre staatsrechtliche Bedeutung.
Quellen. Urkunden, Briefe, Gesetze wie §§7, 17u.ff. Dazu Conradi regis
Constitutiones. MM. Germ, wie oben. Guilelmi regis constitutiones, ebenda. Potthast
u. Theiner (S. 135 — 174 , w. oben. Geschichtschreiber wie § 7, 17 u. ff. Noch immer
kommen in Betracht die Gesta Treverorum, Chronica regia, Emo u. Menco contin., die
Chronica minor auctore Minorita Erphordiensi, die Annales Stadenses, Hermann von
Altaich, die Annales Austriae, che Annales Wormatienses , MM. Germ. SS. XVII,
Spirenses ib., Maguntinenses, Argentinenses, Marbacenses ib. (s. Schulte in MJÖG.
V, VIP, Colmarienses ib., Martinus Polonus ib. XXII, Ottokars österr. Reim-
chronik, ed. Seemüller, MM. Germ. hist. SS. Hann. 1890 (s. Huber MJÖG. IV u.
Busson, Beitr. z. Krit. d. steir. Reinichron. 1 — 4. "Wien 1885 — 1892. \ Joh. de Beka
Chronicon, Böhmer FF. H, 432—449. Cosmas Prag. Contin. MM. Germ. SS. IX. Die
Reimchronik d. Melis Stoke 1247—1256. Exz. bei Böhmer FF. H, 416—432. Chronicon
Maguntinum (Christian archiep. Mag.) bis 1251. MM. Germ. SS. XXV. Italienische
Quellen. Aufser Xikol. de Curbio, Salimbene, den Annal. Piacent. u. Januenses, Niko-
laus de Jamsilla (s. Karst im HJb. XIX : Historia de rebus gestis Friderici, wie
oben. Thomas Tuscus, Gesta imp. et pontiff. MM. G. SS. XXII. Englische:
Thomas Wykes, Ann. hist. Anglic, ed. Luard, Rer. brit. SS. XXXVI. Matth. Paris w. oben.
Hilf s schriften. D. allg. "Werke s. oben; zur Gesch. K. Wilhelms s. auch
§26. Schirrmacher, D. letzten Hohenstaufen. Gott. 1871. Kempf, Gesch. d. d.
Reichs während d. Interregnums. Würzb. 1893. Quidde, Zum Romzugsplan Wil-
helms v. H. DZG. I. Müller, Wilh. v. H. ADB. XLH. Sattler, D. flandiv
holl. Verwicklungen 1248 — 56. Diss. 1872. Brosien, D. Streit um Reichsnandern.
1891. Scheffer-Boichorst, Kl. Forschungen. MJÖG. VI, XL Michael,
Innoz. IV. u. Konrad IV. Z. kath. Theol. XVIII. Sternfeld, Karl v. Anjou als Graf
v. d. Provence. Berl. 1888. Schaab, Gesch. d. Rhein. Städtebundes. 2 Bde. Mainz
1843/45. Menzel, Gesch. d. Rh. Städtebundes. Hann. 1872. Busson, Z. Gesch. d.
gr. Landfriedensbundes 1254. Innsbr. 1874. Weizsäcker, Der Rh. Bund. Tüb. 1879.
Q u i d d e , Stud. z. Gesch. d. Rh. Landfriedensbundes. Frkft. 1885. Becker, D. Initiative
bei Stiftung d. Rh. Bundes. Giefsen 1899. Zurbonsen, D. AVestf. Städteb. Münster
1881. — Z. Gesch. d. Rh. Landfriedens. Westd. Z. H. — D. Rhein. Landfriedens!).
Forsch. XXIH. Döhmann, K. Wilhelm u. der Xeuwahlplan v. 1255. Leipz. 1885.
Konrad IV. und Wilhelm von Holland. 125
Busson, Über d. Doppelwahl d. J. 1257. Mimst. 1866. Hermann, Älfons X. als röm.
König. 1897. S;c h e I f e r - B o i c h o r s t , Z. Gesch. Alfons X. MJÖG. XIV (s. auch Fanta,
ebenda VT). "Redlich, Z. Wahl Alfons' X. MJÖG. XVI. Gebauer, Leben
Richards. Leipz. 1774. Schirrmacher, ADB. XXVIII. Koch, Richard v. Corn-
wall 1888. Sehe 11h als, Das Königslager vor Aachen 1887. Steudener, Albrecht I.
Herz. v. Sachsen (1212—1260). Z. Harz. Ver. f. Gesch. XXVIII. Rodenberg,
Innozenz IV. u. d. K. Sizilien. Halle 1892. Otto, Alex. IV. u. d. d. Thronstreit.
MJÖG. XIX.
1. Die Nachricht vom Tode Friedrichs II., »des Hammers von
ganz Italien«, erfüllte die Knrie mit unendlicher Freude. Sofort wurde
die Rückkehr des Papstes, die Einziehung des sizilischen Lehensreiches
und die Vernichtung des staufischen Königtums in Aussicht genommen,
die Bewohner Siziliens gemahnt, sich fürderhin nicht mehr unter das
alte Joch zu beugen und Fürsten und Städte Deutschlands, selbst die
bisherigen Getreuen Konrads IV. aufgefordert, sich an König Wilhelm
anzuschliefsen. Dieser wurde nach Lyon berufen, wo er »nach alter
Sitte der Könige« dem Papste den Steigbügel hielt.1) Hier wurden zwischen
beiden (nicht näher bekannte) Vereinbarungen getroffen und der Bann
über Konrad IV. und seine Anhänger ausgesprochen. Eine Abordnung
schwäbischer Grofsen erschien mit der Bitte, den König auch dann
nicht in den Besitz seines schwäbischen Herzogtums zu setzen, wenn er
von der Kirche zu Gnaden aufgenommen wäre. Nach sechsjährigem Auf-
enthalt in Lyon verliefs der Papst diese Stadt. Die Reise nach Perugia
glich . einem Triumphzug. Nun sah Konrad sich genötigt, gleichfalls
nach Italien zu ziehen, um wie sein Vater Sizilien zum Stütz- und Angel-
punkt seiner Herrschaft zu machen. Sizilien war ihm durch seinen
Halbbruder Manfred, auf den des heimgegangen en Kaisers hohe Herrscher-
gaben übergegangen waren, gegen die aufständischen Bewohner erhalten
worden, freilich nicht, ohne dafs Manfred den Versuch gemacht hätte, selbst
die Krone Siziliens zu erringen. Nachdem Konrad auf dem Reichstag
zu Augsburg (1251, Juni) seinen Schwiegervater, den Herzog von Bayern,
zum Reichsverweser in Deutschland eingesetzt hatte, trat er die Fahrt
nach Italien an. Von Pola aus — denn den Landweg hatten die Gegner
verlegt — fuhr er nach Unteritalien. Auf dem Hof tag zu Foggia (1252,
Februar) erliefs er Konstitutionen, zum Teile bestimmt, die harten Gesetze
seines Vaters zu mildern. Die Universität Neapel wurde zur Strafe für
ihren Abfall nach Salerno verlegt. Noch machte er dem Papste Friedens-
an erbietungen : er verlangte die Anerkennung im Kaiser- und Königreich.
Als sie zurückgewiesen wurden, wandte er sich gegen Capua und Neapel,
die sich ebenso wie die Barone des Landes unterwarfen. Auch in Ober-
italien erstarkte die Macht der Ghibellinen unter Ezzelin da Romano
und Pallavicini, von denen jener in Verona, Padua, Vicenza und der
Trevisanischen Mark seine Gewaltherrschaft aufrichtete, dieser zum Reichs-
vikar in der Lombardei ernannt wurde. • Nur im Westen der Lombardei
hatten die Weifen durch den Übertritt des Grafen Thomas von Savoyen
*) D. h. das officium stratoris ausübte, das aber jetzt eine andere Bedeutung
hat, als etwa in den Tagen Pippins oder selbst noch Lothars von Supplinburg.
126 Der Tod Konrads IV. König Wilhelm und der Rheinische Bund.
das Übergewicht. Die Hoffnungen der Kurie, Sizilien unter ihre un-
mittelbare Herrschaft zu bekommen, gingen nicht nur nicht in Erfüllung,
die Bedrängnis des Papstes in Rom selbst wurde durch die Erhebung
des kommunalen Geistes immer gröfser, daher bot er die Krone Siziliens
erst Richard von Cornwall, und als dieser als Oheim des staufischen
Prinzen Heinrich sie ablehnte, dem Grafen Karl von Anjou, dem jüngsten
Bruder König Ludwigs IX., an; doch auch dieser wies sie trotz seines
Ehrgeizes und seiner Gier nach den Reichtümern Italiens infolge des
Widerspruchs seiner Verwandten zurück. Im Hause der Staufer starben
in der nächsten Zeit rasch nacheinander Konrads Neffe Friedrich von
Osterreich und sein Bruder Heinrich, der Sohn der englischen Prinzessin
Isabella. Parteihafs beschuldigte den König des Mordes beider, und da
nun König Heinrich III. von England der Rücksichtnahme auf die
Staufer enthoben war, bot Innozenz IV. die sizilische Krone dem jugend-
lichen Prinzen Edmund an, für den sie Heinrich III. annahm. Freilich
mufste sie erst noch erobert werden. Konrad IV. hatte alle Mafsregeln
zur Offensive in Italien und Deutschland ergriffen. Im Begriffe, nord-
wärts zu ziehen, erkrankte er an einem hitzigen Fieber und starb am
21. Mai 1254. Er hinterliefs einen erst zwei Jahre alten Sohn, Konrad,
den er in seinem Testament der Obhut der Kirche übergab. Die
staufische Politik, welche die Vereinigung Siziliens mit dem Reiche be-
zweckt hatte, brach nun endgültig zusammen.
2. Während Konrad IV. in Sizilien beschäftigt war, befestigte sich
das Königtum Wilhelms in Deutschland. Am 25. März 1252 schlössen
in Form einer Nachwahl sich Sachsen und Brandenburg, dann auch
Böhmen und andere Territorien an ihn an.1) Nach Konrads Tode wurde
Wilhelm auch von den meisten seiner bisherigen Gegner anerkannt, nament-
lich auch von den Städten, unter denen sich eben damals eine lebhafte Be-
wegung kundgab, um sich gegen die während der WTirren des Thron-
streites eingerissene Anarchie durch Bündnisse zu schützen, Im Juli
1253 schlössen Münster, Soest, Dortmund und Lippstadt einen Bund
zum Schutz der Strafsen; Gefangennahme oder Beraubung eines Bürgers
sollte nicht blofs dem Schuldigen, sondern seiner ganzen Sippe Markt
und Kredit der Bundesstädte verschliefsen. Einen ähnlichen Bund
schlössen (1254, Februar) Worms und Mainz : der Verkehr soll unge-
stört bleiben, ungerechte Zölle abgetan sein. Der Bürger in der einen
wird in der andern Stadt als Einheimischer behandelt, zur Verhütung
von Streitigkeiten ein Schiedsgericht eingesetzt, zu dem jede Stadt vier
Mitglieder sendet. In gleicher Weise wurde ein Bundesverhältnis dieser
beiden Städte mit Oppenheim und ein drittes zwischen Mainz und Bingen
geschlossen. Höhere Bedeutung als diese drei Bündnisse erlangte der
Rheinische Bund, der am 13. Juli 1254 gestiftet wurde und dem im
Gegensatz zu den früheren Bündnissen auch Fürsten, Grafen und Edle
angehörten. Die Anregung zu dem Bunde ging von Mainz, Worms und
Oppenheim aus, denen sich Frankfurt, Friedberg, Gelnhausen, Wetzlar,
1 Über die Bedeutnno- dieses Vorganges s. Fieker in den Regg. Xr. 5065 b.
Zweck und Ausdehnung des Bundes. 127
dann Bingen, Oberwesel und Boppard anschlössen. Der erste Fürst,
der dem Bunde beitrat, war der Erzbischof von Mainz, ihm folgten Köln,
Trier und die Bischöfe von Worms, Metz Strafsburg und Basel. Der
Bund dehnte sich so rasch aus, dafs im Jahre 1256 ganz Deutschland
mit Ausnahme der böhmisch-österreichischen Länder und der nördlich
von diesen gelegenen Marken in sein Bereich gezogen wraren. Zweck
des Bundes war die Aufrechthaltung des Landfriedens (Friedrichs IL
von 1235), Abschaffung des Pfahlbürgertums und der unberechtigten
Zölle. Die Durchführung des Landfriedensgesetzes, die den schwachen
Händen der Zentralgewalt entglitten war, sollte auf dem Wege freier
Vereinbarung erreicht und Widerstrebenden gegenüber erzwungen werden.
Der Bund nahm somit den Gedanken der Reichsgesetzgebung und
damit den Reichsgedanken selbst in der Zeit allgemeiner Auflösung auf
und kleidete die Verwirklichung des Gedankens in eine neue, zeitgemäfse
und die nächsten Jahrhunderte beherrschende Form.1) Die Leitung des
Bundes lag in den Händen der Bundesversammlung, zu der jedes Mit-
glied höchstens vier Vertreter ernannte und die anfänglich nach Bedürfnis,
ohne an einen bestimmten Ort oder an eine bestimmte Zeit gebunden
zu sein, zusammentraten. Später gab es vier regelmäfsig abwechselnd
in Mainz, Köln, WTorms oder Strafsburg tagende Versammlungen. Der
Bund wurde nicht nur von König Wilhelm anerkannt, dieser trat selbst
an seine Spitze, indem er einen Justitiar ernannte, der sich an den inner-
halb des Bundes gepflogenen Verhandlungen beteiligte und vom König
in Friedensangelegenheiten die Rechtsprechung zugewiesen erhielt. Trotz
des Beitritts der Fürsten blieben die Städte das treibende Element. Sie
nahmen die Wahrung des Landfriedens kräftig in die Hand und ver-
folgten auch darüber hinaus ihre eigene, oft sehr kühne Politik. Daher
mochte es den Zeitgenossen scheinen, als sei es ihre ausschliefsliche
Schöpfung gewesen. Die Gegensätze der Interessen der Fürsten und
Städte liefsen sich freilich nicht verwischen, und bald kam es zu Störungen,
welche seine gedeihliche Fortentwicklung hemmten.
3. Der Anschlufs des Rheinischen Bundes an den König änderte
dessen Stellung zu den Fürsten; denn nun durfte er daran denken, sich
der Bevormundung der rheinischen Erzbischöfe, denen er vornehmlich
sein Emporkommen dankte, zu entziehen. Dagegen tauchte, wahr-
scheinlich erst nach dem Tode Innozenz' IV. (1254, 13. Dezember), —
denn dieser hätte eine Schädigung »seines Pflänzleins« nimmermehr zu-
gegeben — der Plan auf, einen andern König zu wählen. Auch
Alexander IV. liefs dies nicht zu. Den Römerzug konnte Wilhelm an-
fänglich nicht antreten, da er in fortwährende Fehden mit der Gräfin
Margareta von Flandern, dem mit ihr verbündeten Grafen Karl von
Anjou, mit Köln und den Friesen verwickelt war, und auch als er zu
Ende 1255 den Entschlufs fafste, nach Rom zu ziehen, ist es dazu nicht
mehr gekommen, da er auf einer Heerfahrt gegen die Westfriesen
verunglückte, indem er mit seinem Rofs im Eise einbrach und von
l) Quidde, Studien, S. 28.
128 Richard von Comwallis und Alfons X. von Kastilien.
den Feinden, die ihn nicht kannten, erschlagen wurde (1256, 28. Januar).
Sein Tod war ein schweres Unglück für das Reich, das nun das Elend
eines langen Doppelkönigtums tragen mufste.1) Bei der Jugend Konradins,
des letzten .legitimen Sprossen der Staufer, und der Feindschaft des
Papstes, konnte das staufische Haus für die Neuwahl nicht in Betracht
kommen. Die verschiedenartigen Interessen der Fürsten waren nur in
Abwehr eines einheimischen Thronwerbers einig. Die lebhafteste Sorge
für die Beschleunigung der Wahl bekundeten noch die Städte. Auf der
Tagsatzung zu Mainz (17. März) erklärten sie, nur ein von den berech-
tigten Fürsten einmütig gewähltes Oberhaupt anzuerkennen. Heinrich III.
von England wirkte zugunsten eines den englischen Interessen ge-
neigten Königs, ohne hiebei, wie es scheint, an seinen Bruder Richard
von Cornwalis zu denken, da dieser dem sizilischen Unternehmen
Edmunds abgeneigt war. Ein ernster Kandidat war Alfons X. von
Kastilien, der bereits nach dem Tode Konrads IV. als Enkel Philipps
von Schwaben Erbansprüche auf Schwaben erhoben hatte. Im März 1256
wählte ihn die ghibellinische Stadt Pisa als Sprossen des staufischen
Hauses zum römischen Kaiser.2) Marseille schlofs sich an, der Papst
aber erklärte sich um so mehr damit einverstanden, als eine etwaige Kan-
didatur Konradins, die er übrigens den Fürsten unter schwerer Straf-
androhung verboten hatte, hiedurch am wirksamsten bekämpft wurde.
Für Alfons waren auch französische Einflüsse tätig. Da sich der Erz-
bischof von Mainz in der Gefangenschaft des Herzogs von Braunschweig
befand, lag die Wahl in den Händen des Erzbischofs Konrad von Köln.
Kölns ererbte Politik wies auf eine Verbindung mit England hin.
Konrad trat schon im Sommer 1256 für die Wahl Richards ein und
dürfte auch in Prag hiefür tätig gewesen sein. Sachsen, Brandenburg
und Braunschweig nebst einer Anzahl norddeutscher Fürsten stellten
auf einer in Wolmirstedt (5. August) abgehaltenen Fürsten Versammlung
den Markgrafen Otto von Brandenburg als Kandidaten auf und suchten,
die Städte für ihn zu gewinnen. Diese waren aber ebensowenig einig,
wie die Fürsten selbst. So vergingen zwei Wahltage, ehe eine Ent-
scheidung erfolgte. Die englische Partei war äufserst rührig und Richard
zu grofsen Opfern bereit. Köln, Mainz und Bayern wurden dergestalt3)
gewonnen. Dagegen blieb Trier auf Alfons' Seite. Richard mufste dem
jungen Konradin, als Neffen des Pfalzgrafen Ludwig, den Besitz des
schwäbischen Herzogtums und aller seiner Erb- und Lehensgüter garan-
tieren. Auf dem zu Weihnachten tagenden Parlament erklärte er, die
deutsche Königswürde anzunehmen. Zum Wahltag war der 13. Januar 1257
x) Kenipf, S. 177 ff. Dafs Wilhelms Königtum nicht so kläglich war, als es oft
geschildert wird, s. bei Cardauns Konrad v. Hochstaden, S. 36.
2) »Die Form der Wahl war eine höchst merkwürdige: eine Institution des
römischen Privatrechts, deren Bedeutung man schwerlich ganz begriffen hatte, wurde
auf grofse staatliche Verhältnisse übertragen — die negotiorum gestio. Ohne einen
Auftrag von seinem Geschäftsherrn erhalten zu haben, schliefst ein Geschäftsführer
für ihn einen Vertrag ab, dessen nachherige Genehmigung erwartend.« Scheffer-
Boichorst, S. 233.
3 Die »Handsalbens s. BF. 11771 und Kempf, 8. 197 ff.
Die Doppel wühl von 1257. Das Kurfürstenkollegium. 129
bestimmt. Entschlossen, das Interregnum, das nach Reichsrecht nicht
über Jahr und Tag dauern sollte, zu beenden, nötigte die englische
Partei ihre Gegner zu geschlossenem Vorgehen. Die Anhänger Branden-
burgs schlössen sich nun an Trier an, setzten sich in den Besitz von
Frankfurt und sperrten ihren Gegnern die Tore. Diese forderten darauf-
hin die in der Stadt anwesenden Kurfürsten zur Teilnahme an der Wahl
auf, und als dies zurückgewiesen wurde, wählte Konrad von Köln zu-
gleich auch namens des abwesenden Erzbischofs von Mainz und des
Pfalzgrafen Ludwig den Grafen Richard zum König. Die böhmischen
Gesandten traten wenige Tage später der Wahl bei. Die übrigen Wähler
erhoben Protest gegen das ganze Vorgehen und wählten am 1. April
durch den Erzbischof von Trier König Alfons X. Auch König Ottokar
von Böhmen stimmte mittels Vollmacht für ihn.
Mit der Doppelwahl von 1257 gelangt die erste Phase in der Entwicklung des
Kurfürstentums zum Abschlüsse. In früheren Jahrhunderten gingen bei der Sukzession
Erb- und Wahlrecht nebeneinander. Wenn Otto von Freising — selbst ein Fürst des
Reiches — es als dessen Prärogative preist, dafs die Könige nicht kraft ihrer Her-
kunft, sondern durch Wahl der Fürsten auf den Thron gelangen, so wurde bei den
Königswahlen doch auf das regierende Haus Rücksicht genommen.1) Heinrichs VI.
Versuch, die Krone erblich zu machen, scheiterte. An den Königswahlen nahmen in
der sächsischen, salischen und staufischen Zeit alle Fürsten Anteil. Zu Beginn des
13. Jahrhunderts fanden sich selbst noch solche Grafen und Herren ein, die dem
Reichsfürstenstande nicht angehörten. Es gab bis dahin auch weder eine fest be-
stimmte Reihenfolge in der Abgabe der Stimmen, noch wurde die Wahl durch Mehr-
heitsbeschlufs entschieden. Das Wesentliche lag in den Vorverhandlungen, die eine
Einigung in der Person des Bewerbers bezweckten. An der Stimmabgabe beteiligten
sich dann nicht mehr alle, sondern nur jene Fürsten, denen dieses Ehrenvorrecht
zustand. Sie waren aber in der Wahl nicht mehr frei, sondern hatten den in den
Vorverhandlungen bezeichneten Kandidaten zu wählen, und die andern Fürsten gaben
ihren Konsens. Aus diesem Ehrenvorrecht hat sich das alleinige Recht der Kurfürsten
entwickelt. Unter den Reichsfürsten hatte der Mainzer schon im 11. Jahrhundert ein
unbestrittenes Ansehen, ihm folgen die Erzbischöfe von Köln und Trier. Von den
Laienfürsten waren ursprünglich die Stammesherzoge die ersten, dann jene, die noch
in Beziehung zum Krönungsakt stehen : der Pfalzgraf bei Rhein als Truchsefs, der
Herzog von Sachsen als Marschall, der Markgraf von Brandenburg als Kämmerer des
Reiches. Sie waren durch ihren Dienst beim Krönungsmahl berufen, amtliches Zeugnis
für die Berechtigung des Gekrönten abzugeben.2) Die genannten sechs Fürsten werden
in dem (um 1230 abgefafsten) Sachsenspiegel als die ersten an der Kur bezeichnet.
»Als die ersten«, denn noch wählten alle Fürsten. Die ersten sind es, die dem Papst
das Wahlergebnis bezeugen. Die grofse Änderung, wonach eine so grofse Anzahl
mächtiger Reichsfürsten, wie Salzburg, Passau, Bamberg, Bremen, Kärnten, Flandern u. a.
ihr Wahlrecht einbüfsten und dies an eine kleine Zahl bevorzugter Fürsten übergeht,
tritt 1257 ein. Das Kurfürstenkollegium ist jetzt wesentlich abgeschlossen. Einen Streit
x) S. die Literatur hierüber in Gustav Richter, Annalen der deutschen Gesch. HI,
2, 718. Schröder, Deutsche Rechtsgesch. 3. A. Lpzg. 1898. Drei Momente kommen bei
den Wahlen der sächsischen und salischen Zeit in Betracht: das Erbrecht der Söhne
bzw. Verwandten, die Designation durch den Vorgänger und die Wahl der
Fürsten. Wenn ein kraftvoller Herrscher die beiden ersten zur Geltung brachte, war
die Wahl der Fürsten nicht viel mehr als blofse Zustimmung. Erst unter Heinrich IV.
gewann die Vorstellung eines freien Wahlrechts an Stärke und gelangte nach dem
Tode Heinrichs V. zum Sieg. Näheres über die Entstehung des Kurkollegiums wird
eine andere Abteilung dieses Handbuches bringen.
2) Schröder, S. 471.
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 9
130 Die Könige Richard und Alfons.
gab es nur noch über die siebente Stimme zwischen Böhmen und Bayern. Eine Neue-
rung, die Gleichfalls jetzt eintrat und wahrscheinlich bis zur goldenen Bulle beobachtet
wurde, bestand darin, dafs die Kurfürsten nach vollzogener Einigung einen aus ihrer
Mitte ermächtigten, den »Kürspruch« zu tun und damit den Rechtsakt der Wahl zu
vollziehen.1) Bei der AVahl von 1257 wird der Teilnahme der Fürsten an den Vor-
verhandlungen noch gedacht, als die mafsgebenden gelten aber bereits die Sieben.
Die Wahl von 1257 machte dadurch, dafs sie Ausländer zur Herr-
schaft berief, das Reich von den politischen Zuständen fremder Länder,
abhängig.2) — Im April 1257 kam König Eichard nach Deutschland
und wurde am 17. Mai zu Aachen gekrönt. Es gelang ihm, seinem
Königtum in den mittleren und oberen Rheingegenden Anerkennung
zu verschaffen Die gröfsere Zahl der rheinischen Bundesstädte wandte
sich ihm zu; da aber einzelne an Alfons festhielten, zerfiel nun auch
der Rheinische Bund in eine Anzahl von Sonderbündnissen. Um die
Anerkennung der Reichsstädte zu erhalten, gab Richard viele der bisher
noch erhaltenen Reste der obersten Reichsgewalt dahin. Zu einem ernst-
lichen Kampfe der Gegenkönige ist es bei der Lage der Dinge nicht ge-
kommen. König Richard war unzweifelhaft der Mächtigere, für ihn fiel auch
seine in Aachen erfolgte Krönung und seine Regierungstätigkeit ins Gewicht,
wogegen Alfons, durch seine königlichen Pflichten in Kastilien zurück-
gehalten, niemals in Deutschland, wo er als Sprosse der Staufer viele
Sympathien hatte, erschien und allmählich dahin gelangte, sein deutsches
Königtum als blofse AVürde anzusehen. Nach anderthalbjähriger Tätig-
keit kehrte Richard im September 1258 nach England zurück. Von
dort aus wurde Deutschland regiert. Die Geschichte des deutschen
Reiches wird für die folgenden Zeiten mehr und mehr eine Geschichte
der einzelnen Territorien. Eines von diesen — das böhmische — ist
im Begriffe sich zu einer Grofsmacht zu entwickeln.
§ 29. Die (xerinanisierung des nordöstlichen Deutschland und die
Gründung des deutschen Ordensstaates iu Preufsen. Die Entstehung
der Hanse.
Quellen. Das Quellenrnaterial liegt vornehmlich in den zahlreichen Urkunden-
büchern vor. Dahlmann-AVaitz-Steindorff, Nr. 604 — 651 . (S. auch Z y c h y
Powolanie Krzyzaköw do Polski, Progr. Premysl 1887, wo einzelne Ergänzungen angegeben
sind.) Von besonderer Bedeutung sind für diese Periode : der Cod. dipl. Silesiae,.
tom. 1 — 16. Bresl. 1857 ff. (s. Grünhagen, Regg. zur schlesischen Gesch. 1 — 3,
2. Aufl. bildet den 7. Bd. d. Cod. dipl.) u. wegen der Einleitung: Tschoppe und
Stenzel, Schlesisch-Lausitzische Urkundensammlung zur Gesch. des Ursprungs der
Städte u. der Einführung u. Verbreitung deutscher Eechte. Hamb. u. Berl. 1832. Der
Cod. dipl. Prussicus, 6. Bde., ed. Voigt, Königsb. 1836 Perlberg, Preufs. Regg. Königs-
berg 1876). Preufsisches Vrkundenb., herausg. von Philippi u. Wölky. Königsb. 1882
u. Neues preufsisches "Crkundenb., Westpr. Teil, ed. AVölky. Danzig 1885 — 1887 u.
Ostpreufsischer Teil, ed. AVölky u. Mendthal. Leipz. 1891. Pommerellisches Urkundenb.,
ed, Perlbach. Danzig 1882. Die Statuten des D. Ordens, herausg. von Perlbach. Halle
1890 (s. DZG. VTI, 138). Hansisches Urkundenbuch, 1—4. Bd., bis 1492. Die Rezesse
u. andere Akten der Hansetage von 1256 — 1430, herausg. durch die Münchn. hist.
») Schröder, S. 469.
2) Otto, S. 91.
Die Germanisierung des nördlichen Deutschland. 131
Komin., bearbeitet v. Koppmann. Bd. I — VI. Leipz. 1870 ff. Hanserezesse von 1431
bis 1476, bearb. v. v. der Kopp, Bd. 7, 1876 ff., 1477—1530 v. D. Schäfer, Bd. 1—5,
1881 ff. Für einzelnes auch die MM. med. acv. Historie, res gestas Pol. illustrantia,
tom. 1, 5, 9 u. d. Cod. dipl. mai. Pol. Pozn. 1877 ff. Dahlm.-Waitz, 669 ff.
Geschieht Schreiber: s. Toppen, Gesch. d. preufs. Historiogr. Berl. 1853.
Koppmann, Z. Geschichtschreib, d. Hansestädte. Hamb. GB11. I. Grünhagen,
Wegweiser durch d. GQ. Schlesiens. 2. A. 1889. Perlbach, Mater, z. Geschichte
Pommerellens. Altpr. Monatsschr. XXXVII. Mehr als sich für die Geschichte der
Besiedlung Schlesiens in den SS. rer. Sil. findet, von denen keiner eine Geschichte
der Ansiedlungen geschrieben hat, da der Gang der Besiedlung ein ganz anderer war
als in Preufsen, findet sich in den SS. rer. Prussicaram von Hirsch, Toppen u. Strehlke.
4 Bde. Leipz. 1861 — -1870. In Betracht kommen : Exordium ordinis Cruciferorum seu
Chronica de Prussia, ed. Hirsch in SS. rer. Pruss. V, 594 — 622, s. unten unter Chronik
v. Oliva, s. Potthast unter Fontes Olivenses; daselbst auch die übrigen Ausgaben.
Narratio de primordiis ord. Theutonici, ib. I, 220 — 225. Hermannus magister (1210
bis 1239), Epistolae MM. Germ. LL. H, 1, 263—5. Cartae 272—273. Petrus de Dusburg,
Chronicon terrae Prussiae bis 1330, I, 3—319 (s. Potth. II, 916 u. Lorenz II, 203). Die
Ausg. enthält in den Beilagen die einschlägigen Lrkk. u. Vermerke aus niederdeutschen,
thüringischen, böhmisch-schlesischen Chroniken, österreichischen u. sonstigen Annalen
u. Chroniken. Annales Peplinenses = Ann. Prussici breves bis 1293, ib. 270 — 271.
Canonici Sambiensis Epitome gestorum Prussiae bis 1352, ib. 272 — 290. Jeroschin,
Di Kronike von Pruzinlant (übersetzt von Peter von Dusburg in deutsche Reime), ib.
303—624. Die ältere Chronik von Oliva u. die Sehrifttafeln von Oliva, ib. 669—731
(mit Beil., Berichten aus dänischen, norwegischen, polnischen u. a. Chroniken! Terra
Pommerania quomodo subiecta'est ordini fratrum Theutonicorum, ib. 806—808. Die
kurze preufsische Reimchronik (Fragmente bis 1338), ib. H, 2 — 8. Hermannus de "Wart-
berge, Chronicon Livoniae, ib. H, 21 — 178 (s. oben). Die Chronik Wigands v. Marburg,
ib. LT, 429—662 (gehört schon zur nächsten Zeitperiode). Kurze preufsische Annalen
1190—1337, ib. HI, 1—4. Annales expeditialis Prussici 1233—1414, ib. 5—12. Franciscani
Thorunensis Ann. Prussici, ib. mit Johanns v. Possilge Chronik v. Preufsen (die aber erst
von 1350 beginnt) u. den Auszügen aus Detmars Chronik v. Lübek, die auf Preufsen
Bezug haben, ib. 13 — 399. Mit reichen Beilagen aus fremden Quellen. Chronica terrae
Prussiae 1029—1450, ib. 465-471. Die ältere Hochmeisterchronik 1190—1390 bzw. 1433,
ib. 540 — 709. Hist. brevis magistrorum ord. Theutonici, ib. IV, 254 — 274. Hartmann
v. Heldrungen, Bericht über die Vereinigung des Schwertbrüderordens mit dem D. Orden.
SS. rer. Pruss. V, 169—172. Henricus Lettus, MM. G. SS. XXHL
Hilfsschriften (aufser den Werken zur allg. deutschen Gesch.): G. Wen dt,
Die Germanisierung der Länder östlich der Elbe. Progr. v. Liegnitz 1884. O.Kämmel,.
Die Germanisierung des d. Xordostens. Z. Allg. G. 1887. Schulze, Die Kolonisierung
u. Germanisierung der Gebiete zw. Saale u. Elbe. Leipz. 1896. Ernst, Die Koloni-
sation von Ostdeutschland. Progr. Langenberg 1888. v. d. R o p p , Deutsche Kolonien
im 12. u. 13. Jahrh. Giefsen 1886. Simonsfeld, Die Deutschen als Kolonisatoren.
Hamb. 1885. Wattenbach, Die Germanisierung der östlichen Grenzmarken des
deutschen Reiches. HZ. IX (dort auch die ältere Literatur). Ernst, Die Kolonisation
Mecklenburgs. Rostock 1875. Sommerfeld, Die Germanisierung des Herzogt. Pom-
mern bis zum Abi. d. 13. Jahrh. Leipz. 1896. Guttmann, Die Germanisierung der
Slaw. in der Mark. Forsch, brand.-preufs. Gesch. IX. Bienemann, Kol. Pol. d. d.
Ritterordens. Z. Kulturg H. Watterich, Die Gründung des deutschen Ordensstaates
in Preufsen. Leipzig 1857. Lohmeier, Die Berufung des D. Ordens nach Preufsen.
Königsb. 1872. Rethwisch, Die Berufung des D.Ordens nach Preufsen. Berl. 1868.
E w a 1 d , Die Eroberung Preufsens durch d. Deutschen. 4 Bde. Halle 1872 — 86. Koch,
Hermann v. Salza und Dasse, Hermann v. Salza, wie oben. J. Voigt, Geschichte
Preufsens von den ältesten Zeiten bis zum Untergang der Herrschaft des Deutschen
Ordens. 9 Bde. Königsberg 1827— 1839. Handb. d. Gesch. Preufsens. 3 Bde., ib. 1841
bis 1843. Lohmeier, Geschichte Ost- u. Westpreufsens. Gotha 1880. Prutz, Ge-
schichte Preufsens I. Stuttgart 1900. Treitschke, Das Ordensland Preufsen im
2. Bde. d. Hist. u. pol. Aufs. Leipz. 1871. Röhrich, D. Kolonis. d. Ermlandes.
9::=
132 Die deutsche Kolonisation
ZVG. Erral. Xu, XHI. Hocken b eck, Kloster Lekno WengroAvitz u. die Preufsen-
mission 120(3 — 1212. Arnsberg 1893. Reh, Z. Klarstellung über die Bez. d. D. Ordens
zu B. Christian v. Preufsen. Altpreufs. Monatsschr. XXI, 343. G. Freytag, Bilder
a. d. d. Vergangenheit II. Werke 18. Für Livland s. oben § 13. — Winter, Die
Prämonstratenser des 12. Jahrh. u. ihre Bedeutung f. d. nordöstl. Deutschland. Berlin
1865. W inter, D. Zisterzienser d. nordöstl. Deutschland. Gotha 1868 — 71. E.Schulze,
Xiederl. Siedlungen in den Marschen a. d. unteren Weser u. Elbe im XII. u. XIII.
Jahrh. Z. hist. V. NiedL Sachs. 1889. Sartorius, Gesch. d. Hanseatischen Bundes I.
Gott. 1802 (S. 329 Vera. v. Quellen u. Urkk.\ Urk. Gesch. des Hans. Bundes, her. v.
Lappenberg. Hamb. 1830. Barthold, G. d. d. H. Leipz. 1853 54. Th. Lindner,
Die d. Hanse. Leipz. 1899. D. Schäfer, Die Hansestädte u. K. Waldemar von
Dänemark. Hans. Gesch. bis 1376. Jena 1879. — Die Hanse u. ihre Handelspolitik.
Jena 1885. — Die Hanse. Biefeld 1903. Müller, Die Hanse. Progr. 1889. Gold-
schmidt, D. d. Hansa. Pr. Jb. IX. Mantels, Beiträge zur Lübeck-Hansischen
Gesch. Jena 1881. Berg, Lübecks Stellung in d. Hanse. Diss. 1889. Detten,
D. H. d. Westfalen. Mimst. 1897. Stein, Beitr. zur G. d. d. Hanse, (iiefsen 1900.
Grandinson, Studier i Hans.-Svensk historia I. Stockh. 1884 beb. d. Bez. deutsch.
Kaufleute zu Schw. bis 1332). Die übrigen Arbeiten zur Gesch. d. d. Hanse s. Dahlm.-
Waitz-Steindorff unter Xr. 3130 bis 3152.
1. In den Tagen des Niederganges der Kaisermacht erreichte das
deutsche Volkstum seine weiteste Ausbreitung im Mittelalter. Ganz
Ostdeutschland wurde auf friedlichen! Wege durch Kolonisation dem
deutschen Volke gewonnen. Diese Kolonisation — eine rückläufige
Bewegung vom Westen nach Osten — setzte im 12. Jahrhundert ein und
war zu Ende des 13. nahezu abgeschlossen. Bei der Schwäche der Kaiser-
gewalt ging ihre Leitung nicht mehr von dieser, sondern von dem Landes-
fürstentum aus und vollzog sich unter lebhafter Teilnahme aller Schichten
der deutschen Bevölkerung : der Geistlichkeit und des Adels, der
Ministerialen und vor allem des Bürger- und Bauernstandes. Hervor-
ragend war die Tätigkeit einzelner Orden wie der Prämonstratenser und
Zisterzienser, denen sich die ritterlichen Orden anschlössen. Sie zogen
deutsche Bauernschaften in die öden Gegenden des Ostens und schufen
ihre meist in weltentlegener Waldgegend befindlichen Ländereien in er-
giebige Ackerfluren um; der hiedurch erzielte wirtschaftliche Erfolg
verlockte Fürsten und Adelige zur Nachahmung. Der seit den Kreuz-
zügen wachgewordene Wandertrieb ergriff einen grofsen Teil des Volkes.
Scharenweise und einzeln zogen Ritter, Bürger und Bauern, Bergarbeiter
und Kaufleute aus Holland und Friesland, Flandern und Westfalen nach
dem Osten. Der Ritter baute mitten auf dem ihm reichlich zugemessenen
Grunde seine Burg, der Bürger liefs sich in den neu angelegten, mit
eigenem Recht versehenen Städten und der Bauer auf den von einem
Unternehmer (dem Locator) ausgesetzten Dorf stellen nieder. Der eiserne,
breitschauflige Pflug dieser Bauern rang dem Boden weitaus reichere
Erträgnisse ab als der hölzerne slawische Hakenpflug; statt ärmlicher
Hütten wurden stattliche Wohnstätten aus Backstein, weite Rathäuser
und herrliche Kirchen errichtet. Für die Städte wurde zuerst der grofse
quadratische Marktplatz abgesteckt, von dessen Ecken die Strafsen aus-
liefen, und in dessen Mitte das Rathaus stand. In den Dörfern stehen
die Häuser der Reihe nach an der Strafse, hinter jedem die Ackerflur
des Besitzers. Zu Beginn des 12. Jahrhunderts bildete ungefähr die
und ihr Zug nach dem Osten. Der Deutsche Orden. 133
Elbe die Grenze zwischen Deutschen und Slawen (Wenden). Von den
deutschen Kaisern begann Lothar III. planmäfsig nach dem Osten vor-
zudringen. Während Barbarossa seinen italischen Plänen nachging,
nahm Heinrich der Löwe die Kolonisierung von seinem sächsischen
Herzogtum aus in Angriff, und die Grafen von Schauenburg-Holstein
besetzten Wagrien mit deutschen Kolonisten. Noch viel stärker setzte
die Bewegung im Zeitalter Friedrichs IL ein. Hervorragenden Anteil
nahmen die Brandenburger. Schon Albrecht der Bär (f 1170) hatte
Holländer, See- und Flamländer in Brandenburg angesiedelt. Indem
dieses seinen Besitz bis über die Oder ausdehnte, wurde durch die Be-
siedlung des Gebietes an der unteren Warthe der Zusammenhang Pom-
merns mit den ganz slawischen Landschaften Polens unterbrochen. In
Pommern waren es die wendischen Herzoge selbst, die ihre und ihres
Volkes Germanisierung förderten. Schon in den dreifsiger Jahren des
13. Jahrhunderts wichen die letzten Wenden aus Stettin. Länger dauerte
der Prozefs auf Rügen. Am eifrigsten in der Kolonisierung erwiesen
sich die piastischen Herzoge Schlesiens, die sich, um ihre Selbständig-
keit Polen gegenüber zu wahren, eng an Deutschland anschlössen, ihre
Gemahlinnen aus deutschen Fürstenhäusern wählten, deutsche Ritter in
Sold nahmen und Scharen deutscher Bauern ins Land zogen, das all-
mählich einen deutschen Charakter annahm. Selbst im eigentlichen
Polen wurden deutsche Städte gegründet und mit deutschem — dem
Magdeburger — Recht bewidmet und die schon bestehenden Kolonien
in Böhmen und Mähren (§ 24 und 30), Ungarn und Siebenbürgen (§ 24)
verstärkt. Endlich wurde auch die grofse Lücke zwischen dem bereits
christlich gewordenen Livland und Pommern geschlossen.
2. In der Kolonisierung Preufsens übernahm der Deutsche Orden
die Führung. In der Erkenntnis, dafs seine Wirksamkeit im hl. Lande
dem Ende zuneige, suchte er ein näherliegendes Ziel für seine Tätigkeit,
und der Hochmeister Hermann von Salza (1211 — 1239) bahnte ihm
den Weg zur Gründung einer eigenen Territorialherrschaft. Zunächst
folgte er dem Rufe des ungarischen Königs, ihm gegen die Kumanen
zu helfen, und erhielt (1211) von ihm das unbewohnte Burzenland in
Siebenbürgen. Bald erhoben sich stattliche Burgen, und sächsische und
flandrische Elemente begründeten auch hier eine höhere wirtschaftliche
Kultur. Als sich aber der Orden der ungarischen Lehenshoheit ent-
ziehen und eigene Landeshoheit gewinnen, wollte, erwachte die Eifer-
sucht der Ungarn. Die Schenkung wurde widerrufen, und der Orden
zog aus dem Burzenlande ab, nicht ohne reiche Erfahrungen für die
Organisierung neu erworbener Gebiete gemacht zu haben. Bald wurde
seine Tätigkeit auf ein wichtigeres Land hingewiesen. Schon der
hl. Adalbert hatte den Versuch gemacht, die heidnischen Preufsen zu
bekehren. In staufischer Zeit wurden diese Versuche von Zisterziensern
Grofspolens aufgenommen. Ein Mönch namens Christian, spätere
Überlieferung läfst ihn aus dem Kloster Oliva stammen, setzte die Ver-
suche fort, wurde der erste Bischof von Preufsen (1212) und erhielt von
dem Herzog Konrad von Masovien und Kujavien einen Teil des von
134 Die Eroberung und Kolonisierung Preufsens.
den Preufsen aufgegebenen, von ihnen durch beständige Einfälle heim-
gesuchten Kulmerlandes, das im übrigen unter polnischer Hoheit ver-
blieb. Nach dem Vorbilde des Schwertordens stiftete er zur Bekämpfung
der Heiden den Ritterorden von Dobrzin. Aber seine Kräfte reichten
nicht aus. Das Heidentum erregte eine scharfe Reaktion, da rief
Konrad den Deutschen Orden herbei und schenkte ihm (1228) Kulm
nebst einigen Grenzburgen und die Gebiete, die er erobern würde.
Friedrich II. bestätigte diese Schenkung und verlieh dem Orden reichs-
fürstliche Rechte. 1229 kamen die ersten Ordensritter nach Kujavien
und begannen die Eroberung Preufsens. Die Preufsen1), mit Litauern
und Letten zum arischen Sprachstamm gehörig, waren in zahlreiche
Stämme zersplittert, die erst der Kampf gegen die Fremdherrschaft
zusammenführte. Ohne gemeinsames Oberhaupt, in Zeiten des Friedens
auch ohne Vorsteher der einzelnen Gaue, hatten sie einen Adel und Freie,
und neben diesen auch Hörige und Sklaven. Das Volk stand noch auf
niederer Kulturstufe. Ihr Kultus war ein roher Naturdienst. Weder
die ' Schrift noch eine geordnete Zeitrechnung waren ihnen bekannt.
Sie trieben Ackerbau, Jagd und Fischfang. Das Wild erlegten sie vor-
nehmlich auch der Felle wegen, mit denen sie Handel trieben. Der
Kampf gegen sie war ein schwerer; aber die Ordensritter brachten eine
treffliche Schulung mit: sie suchten den Erfolg weniger in offener Feld-
schlacht als in langsamer, methodischer Arbeit, in der Anlage befestigter
Plätze, unter deren Schutz sie die Umwohner bekämpften. Das solcher-
gestalt gewonnene Gebiet ward die Operationsbasis, von der aus die
nächste Landschaft bewältigt wird.2) Schon 1230 zogen gröfsere Scharen
unter dem Landmeister Hermann Balk in das Land; 1231 wurde Kulm,
1232 eine zweite Burg gegründet und nach Toron in Palästina Thorn
genannt. Beide wurden zugleich als Städte angelegt und mit Magde-
burger Recht versehen. Die Ansiedler erhielten Haus, Hof und Acker-
land und völlige Selbstverwaltung, mufsten sich aber zu militärischen
Dienstleistungen verpflichten. Allmählich wurden aufser dem Kulmer-
land Pomesanien, Pogesanien und das Ermeland gewonnen, Erfolge, die
nur durch die kräftige Mitwirkung deutscher Fürsten möglich waren.
Der Herzog von Braunschweig, der Markgraf von Meifsen, die . Piasten
Schlesiens beteiligten sich an diesen »Kreuzfahrten nach Preufsen«,
selbst die Piasten von Grofspolen und die Herzoge von Ostpommern
schlössen sich zeitweise an, und auch einzelne Städte, wie Lübeck, ge-
währten von der Seeseite her Hilfe. 1237 wurde Elbing angelegt und
hiedurch eine maritime Verbindung mit den älteren deutschen Küsten
gewonnen.3) Nachdem die Ritter von Dobrzin schon 1235 mit dem
Deutschen Orden vereint worden waren, erfolgte (1237) die Lnion mit
dem Schwertorden. Estland wurde an Dänemark überlassen, in Liv-
l) Die Abstammung Po-ruzi, die neben den Russen Wohnenden, ist sprachlich
unmöglich. Vgl. das lith. protas, Einsicht: sie betrachten sich anderen Völkern gegen-
über als die besser Begabten, Verständigen.
8) Prutz, Preufsische Gesch. I, 47.
s) Ranke, Weltgesch. VTH, 391.
Die Ordensherrschaft in Preufsen, Die Hanse 135
land erhielt aber der Deutsche Orden die bischöfliche Hoheit. Inzwischen
gelang es ihm auch , die landesherrlichen Rechte , die der Bischof
Christian noch in einem Drittel des Kulmerlandes hatte, an sich zu
bringen. Um sich seines Besitzes auf die Dauer zu versichern, über-
trug der Orden sein ganzes Gebiet dem hl. Petrus und erhielt es (1234)
von Gregor IX. als Lehen des päpstlichen Stuhles wieder zurück. Als
Hermann von Salza 1239 starb, stand die Macht des deutschen Ordens
in Preufsen bereits auf festen Füfsen. Im ganzen Deutschen Reich gab
sich das lebhafteste Interesse für den Orden kund, wozu die zahlreichen
Siegesberichte, die nach dem Westen gelangten, nicht wenig beitrugen.
Reichliche Beiträge an Geld, Schenkungen von Häusern, Höfen und
Gütern flössen ihm zu. Kaiser Friedrich IL und König Heinrich gingen
mit gutem Beispiel voran ; ihnen folgte Friedrich der Streitbare von
Österreich. Der Zudrang von Rittern und Brüdern wurde immer stärker,
und so konnte der Orden die schweren Kämpfe gegen Preufsen und das
mit diesem verbündete Pommerellen bestehen. Wie Gregor IX. war auch
Innozenz IV. sein eifriger Gönner. Das ganze Ordensgebiet wurde
(1243) in vier Bistümer eingeteilt: Kulm, Pomesanien, Ermland und
Samland, deren Bischöfe zur Fernhaltung fremder Einflüsse aus Ordens-
priestern genommen wurden. Das neue Staatswesen war in um so
kräftigerem Aufschwünge begriffen, als sich das Bedürfnis nach neuen
starken Bollwerken gegen die Mongolen fühlbar machte. Diese Erkenntnis
war es, die den Böhmenkönig Ottokar bewog, seine erste Heerfahrt nach
Preufsen zu unternehmen. Eine allgemeine Reaktion des Heidentums
(1261) wurde nach mehrjährigem Kampfe unterdrückt, und nur langsam
machte der Orden unter der Leitung Konrads von Thierberg wieder
Fortschritte. Ihm war die Erbauung der Marienburg zu verdanken
(1274). Der Krieg, der immer mehr den Charakter eines Vernichtungs-
kampfes annahm, konnte der Hauptsache nach 1283 als beendet an-
gesehen werden. Von besonderer Bedeutung war der Fall von Akkon
(1291). Der Deutsche Orden übersiedelte nun zuerst nach Venedig und
als die Aussicht, in Palästina wieder zur Bedeutung zu gelangen, dahin
schwand, verlegte Konrad von Feuchtwangen seinen Sitz nach Preufsen,
wo nun der Kampf gegen die Litauer kräftig aufgenommen wurde.
3. Infolge dieser Neugründungen im Nordosten des Reiches nahm
auch der deutsche Handel und Verkehr einen mächtigen Aufschwung. Im
Jahre 1241 schlofs Lübeck mit Hamburg zum Zwecke des Schutzes seiner
Handelsstrafsen jenen Bund, den man als den Beginn der Hanse bezeichnet.
Das Bündnis war freilich für solche Zwecke weder das erste, noch diente
es allgemeinen Interessen , als Ausgangspunkt für die Hanse wird viel-
mehr die Herstellung dauernder Verhältnisse zu betrachten sein.1) Schon
seit geraumer Zeit trieben norddeutsche Kaufleute einen schwunghaften
Handel nach England, Skandinavien und bis tief nach Rufsland. In
London besafsen sie schon im 12. Jahrhundert ihre Gildhalle, wie
späterhin in Nowgorod den Peter hof, wo sie nach eigenem Rechte
») Lindner, S. 48.
136 Macht und Ausdehnung der Hanse.
lebten. Ein wichtiger Platz für den Handel nach dem Osten war
Wisby anf Gothland. Nahm früher Köln als deutsche Handelsstadt
den ersten Platz ein, so beanspruchte nach den grofsen Kolonisationen
Lübeck denselben Rang, und in der Tat stehen beide 1282 in London
gleichberechtigt nebeneinander. Damals wurde zum erstenmal die Be-
zeichnung gebraucht »Kaufleute von der Hanse der Deutschen . Da
das Reich als solches aufserstande war, dem deutschen Handel wirk-
samen Schutz angedeihen zu lassen, schlössen die Handelsplätze zur
Sicherung des Verkehrs unter einander Einigungen. Ein solcher Vertrag
wurde 1259 zwischen Lübeck, Rostock und Wismar geschlossen. Bald
folgten ähnliche Bündnisse anderer Städte nach, und es bildeten sich
Verhältnisse von festerer Dauer. Die geographische Lage, altüberlieferte
Stammes- oder Interessengenossenschaft u. dgl. fügten dann mehrere
Gruppen zusammen. Die Städte entsandten ihre Vertrter zu gemein-
samen Beratungen. Ihre Beschlüsse hiefsen ^Abschiede« oder »Rezesse«;
sie bezogen sich übrigens nicht blofs auf Handelssachen, denn schon
in älteren Rezessen wird bestimmt, dafs ein in einer Stadt ausgewiesener
Verbrecher in keiner andern Aufnahme rinden dürfe, dafs Diebe und
Mörder in jeder geächtet seien usw.1) Zweck der Bündnisse war
demnach Schutz und Sicherheit nach innen und aufsen, »Erhaltung und
Erweiterung der entweder einzeln oder gemeinsam in der Fremde oder
von dem Landesfürsten erlangten Freiheiten, Wahrung gesicherter Fahrt
zu Wasser und zu Lande, schiedsrichterliche Vermittlung in den Streitig-
keiten des Bundes untereinander, Aufrechthaltung der Ruhe im Innern
der Städte und Schutz des städtischen Regiments gegen Aufruhr und
Neuerung.« Im Verlauf weniger Jahrzehnte waren die meisten der an
der Nord- und Ostsee und an den Strömen dieser Meere gelegenen
Städte in solchen Gjuppen vereinigt. Ein einheitlicher Bund bestand
noch nicht, nur in besonderen Fällen wurden gemeinsame Verhandlungen
geführt. Selbst die einzelnen Gruppen sind noch keine festen Bünd-
nisse. Solche Gruppen waren: die um die Zuidersee, die kölnische, die
westfälische, die hamburg-lübeckische Gruppe, die wendisch-pommersche,
die livländische Gruppe mit Riga, Reval und Wisby und bald auch die
brandenburg-preufsischen Städte. Noch ist Lübeck nicht Vorort, aber
sein bedeutender Handel verleiht ihm grofses Gewicht. Im Norden war
noch Wisby Zentralpunkt für den dortigen Handel, bis seine Stellung
auf D a n z i g überging ; im Westen war der grofse Weltmarkt in Brügge,
wo die Kaufleute die Erzeugnisse des Nordens zum Verkaufe brachten
und dagegen die Produkte des Südens nach dem Norden führten.
§ 30. Die böhmisch-österreichische Grrofsinacht unter Ottokar II.
Quellen. Urkk. wie oben § 17 u. 24. Dazu Erben-Ernler, Regesta Boh. et
Moraviae I, II. Boczek, Cod. dipl. Mov. IQ, IV. Schwind u. Dopsch, Ausgewählte
Urkk. zur Verfassungsgeschichte Österreichs, Innsbr. 1895. Geschichtschreiber:
l) Lindner, S. 49.
Ottokur gewinnt Österreich. Sein Krieg- mit Ungarn. 137
Hie österr. u. böhmischen Annalen im IX. Bd. der MM. Germ. SS. Ottokars österr.
Heimchronik, ed. Seemüller (Ottokars Reimchronik ist nach den Ergebnissen der Studien
Hubers u. Bussons [s. Potth. II, 889 u. Lorenz I, 242 — 252] mit Vorsicht zu benutzen).
Die böhmischen Chroniken auch in FF. rer. Bohemic, II. Ebenso Dalimils (tschechische)
Keimchronik bis 1314. Mit gereimter und prosaischer Übertragung ebenda HL
Hilfsschriften: O. Lorenz, Deutsche Gesch. im XIH. u. XIV. Jahrh. 2 Bde.
Wien 1864 — 67. Dazu Lorenz, K. Ottokar H. u. das Erzbistum Salzburg in Drei Bücher
Gesch. u. Politik, S. 409 — 460. Lorenz, Österr. Erwerbung durch Ottokar H. Z. f.
öst. Gyum. VHI. F. Krone s, Die Herrschaft K. Ottokars in Steiermark 1252 — 1276.
MVG. Steierm. XXH. Goll, K. Ottokars von Böhmen zweiter Kreuzzug. MJÖG.
XXIH, 231. Dazu die Werke über allg. österr. u. böhm. Gesch. von Krones, Huber,
M a yer, über österr. Reichsgesch. von Luschin, Huber, Bachmann, Werunsky
u. Gumplowicz. Palacky, Gesch. Böhmens H, Bachmann, Gesch. Böhmens I.
Dudik, Gesch. von Mähren; für die Beziehungen zwischen Böhmen und Preufsen
s. J. Goll, Czechy a Prusy. Prag 1897.
1. In Österreich und Steiermark herrschten seit dem Tode Herzog
Friedrichs des Streitbaren anarchische Zustände. Der jugendliche
Sohn der Babenbergerin Margareta, dem Kaiser Friedrich IL beide
Länder vermacht hatte, folgte ihm bald im Tode nach, und der Abzug
Konrads IV. nach Italien schwächte die staufische Partei. Im Osten
suchte sich Ungarn, im Westen Bayern festzusetzen. Schliefslich knüpften
auch König Wenzel von Böhmen und sein Sohn, der Markgraf Ottokar IL
von Mähren, der sich seit dem offenkundigen Niedergang des staufischen
Hauses ganz an die päpstliche Partei angeschlossen hatte, mit den Grofsen
Österreichs Verbindungen an. Von diesen gerufen und der Unterstützung
der Bischöfe sicher, nahm Ottokar den Titel eines Herzogs von Öster-
reich an und besetzte im Herbste 1251 das Land. Um seine Stellung
zu befestigen und einen Teil der babenbergischen Allodialgüter an sich
zu bringen, heiratete er die alternde Margareta und gewann Klerus,
Adel und Städte durch reiche Vergabungen, so dafs »es bald keinen
Winkel mehr gab, der seine Herrschaft zurückgewiesen hätte«. Nur
bei der Besitznahme Steiermarks trat ihm König Bela IV. von Ungarn
in den Weg, der schon 1247 seine Absichten auf das Babenberger
Erbe kundgegeben hatte. Im Sommer 1252 begann er den Krieg in
Österreich und Mähren, bewog Gertrud, die Witwe Hermanns von Baden
(s. § 26), seinen Verwandten Roman von Halitsch zu heiraten, und suchte
ihre Erbrechte an sich zu ziehen. Doch gelang es Ottokar, den gröfsten
Teil Steiermarks zu besetzen, während die staufische Partei durch den
Erzbischof Philipp von Salzburg aus dem Felde geschlagen wurde. Im
folgenden Jahre brachte Bela eine starke Koalition gegen Ottokar zu-
stande, an der Bayern, die Fürsten von Halitsch, Krakau und Oppeln
teilnahmen und der sich selbst österreichische und steirische Landherren
anschlössen. Ottokar wurde nicht einmal von seinem Vater kräftig
genug unterstützt, dagegen trat der Papst mit Nachdruck für ihn ein,
und durch die Vermittlung eines Legaten wurde am 3. April 1254 der
Vertrag von Ofen geschlossen, nach welchem Ottokar, der mittlerweile
(1253, 22. September) die Regierung Böhmens angetreten hatte, Öster-
reich behielt. Steiermark fiel an Bela IV. Doch mufste er Gertrud
entschädigen und zu Ottokars Gunsten auf Wiener Neustadt und Putten
138 Steigende Macht Ottokars. Die Erwerbung Steiermarks und Kärntens.
im Osten und den Traungau im Westen verzichten. So gelangten Länder,
in denen bis vor kurzem die staufische Partei die herrschende gewesen
war, an nichtdeutsche Fürsten. Um sich die Gunst des Papstes zu er-
halten und wohl auch im Interesse des in Österreich stark begüterten
Deutschen Ordens trat Ottokar seine später stark überschätzte Heerfahrt
nach Preufsen an (1254/55). Bei der durch die Doppelwahl von 1257 er-
folgten neuerlichen Schwächung der Reichsgewalt hoffte er. die Erwerbung
Steiermarks um so leichter durchzusetzen. Anlafs hiezu bot ein Streit
des Erzbischofs Philipp von Salzburg mit dem Bischof Ulrich von Seckau
um den Salzburger Erz stuhl. Philipp gewann hiebei die Unter-
stützung seines Bruders Ulrich von Kärnten und des ihm verwandten
Böhmenkönigs, wogegen der Seckauer sich an Stephan, den Sohn Belas IV..
um Hilfe wandte. Ottokar verband sich mit dem der ungarischen Herr-
schaft abgeneigten steirischen Adel. Die Steirer, denen es nicht gleich-
gültig war, vom Verbände des deutschen Reiches losgerissen zu sein,
boten Ottokar in förmlicher Weise die Herrschaft an, und so wurde
Steiermark von seinen Scharen besetzt. Bela IV. machte im folgenden
Jahre einen Einfall nach Österreich, erlitt aber bei Kroifsenbrunn (1260,
12. Juli) eine Niederlage und trat im Wiener Frieden (1261, 31. März)
Steiermark an Ottokar ab. Im Besitz der babenbergischen Erbschaft,
liefs dieser nunmehr seine Ehe unter dem Vorwand, dafs Margareta
einst in Trier den Schleier genommen und ein Jahr lang in Würzburg
als Nonne gelebt habe, für ungültig erklären und heiratete Kunigunde.
eine Enkelin Belas IV. Unter feierlichem Gepränge liefs er sich zu
Weihnachten 1261 durch den Erzbischof von Mainz in Prag krönen.
Margareta zog sich nach Krummau zurück und starb dort 1267. Ottokars
Macht wurde immer bedeutender. Während er der Erhebung des jugend-
lichen Konradin auf den deutschen Thron (§ 32) mit Erfolg entgegentrat,
näherte er sich dem König Richard, von dem er die Belehnung mit
den böhmischen und österreichischen Ländern erhielt1) und der ihm die
Verwaltung der Reichsgüter rechts vom Rhein übertrug. Ottokar be-
nutzte dies, um die Erwerbung von Eger, das vordem eine Reichsstadt
gewesen und nun von Konradin in Besitz gehalten wurde, vorzubereiten.
Durch einen zweiten Kreuzzug nach Preufsen und sein Verhalten in der
Frage der deutschen Königswahl erwarb er den Dank der Kurie2) und
durch sie Einnufs auf die Besetzung der Hochstifter von Salzburg und
Passau. Ein Krieg, der hierüber mit Bayern ausbrach, wurde durch
die Vermittlung des päpstlichen Legaten beigelegt. Den kinderlosen
Herzog Ulrich von Kärnten bestimmte er, statt seines Bruders Philipp
ihn selbst zum Erben einzusetzen, wogegen er diesem das Patriarchat
von Aquileja verschaffte. Als Ulrich (1269) starb, beanspruchte Ottokar
den Besitz von Kärnten und des mit diesem verbundenen Teiles von
Krain, ohne sich um die Rechte des Reiches oder jene Philipps zu
kümmern. Dieser gewann zwar die Unterstützung Ungarns, da dieses
x) Dies geschah in unzulässiger, weil brieflicher Form.
8) Dafs I7rban IV. dein Könige die Oberhoheit über die Länder der Ruthenen
und Litauer verschaffen wollte, s. bei Goll, S. 236 ff.
Die Machtstellung Ottokars. Wachstum d. deutschen Einflusses in Böhmen. 139
aber zu einem Kriege nicht gerüstet war, kam es zu einem Waffenstill-
stand, während dessen sich Ottokar die Anerkennung in Kärnten und
Krain sicherte. Stephan V. begann trotzdem den Kampf, sah sich aber
bald zu einem Friedensschlufs genötigt, der dem böhmischen König den
Besitz der neuen Erwerbungen sicherte. Nach dem Tode Stephans
suchte Ottokar selbst auf die Verhältnisse Ungarns Einflufs zu gewinnen,
und schliefslich mufste Philipp von Aquileja auf seine Erbansprüche
verzichten; ja das Kapitel von Aquileja und der friaulische Adel stellten
sich unter böhmischen Schutz. Jetzt (1272) stand Ottokars Macht auf
ihrer Höhe. Sein Reich dehnte sich fast über den ganzen Osten Deutsch-
lands aus : vom Erz- und Riesengebirge bis zur Adria reichend, schlofs
es den gröfsten Teil des heutigen Osterreich diesseits der Leitha in sich.
Von den Zeitgenossen nannten die einen den böhmischen König seines
Reichtums wegen den »Goldenen«1), die andern wegen seiner mili-
tärischen Machtmittel den »Eisernen«. Völker verschiedener Zunge hat
er mit Klugheit regiert und für alle seine Länder zeitgemäfse Einrich-
tungen getroffen. Mufste er anfangs den Grofsen seiner Erbländer gegen-
über nachsichtig sein, so brachte er seit seinen grofsen Landerwerbungen
seine landesherrliche Macht kräftig zur Geltung. In den neu erworbenen
Ländern Österreich und Steiermark liefs er Verzeichnisse über die Rechte
und das Einkommen der Landesfürsten anlegen. Mehr als auf den
Adel stützte er sich auf den Klerus und die Bürgerschaften, die er in
jeder Weise förderte, und unter denen er auch die eifrigsten Anhänger
fand. Gleich seinem Grofsvater und Vater ein eifriger Förderer der
deutschen Kolonisation, zog er einen Strom deutscher Auswanderer:
Bauern, Bergleute und Bürger über den »Grenzwald« nach Böhmen.
Bayern, Franken und Sachsen liefsen sich an den Abhängen des Böhmer-
waldes, des Erz- und Riesengebirges nieder. Wälder wurden gerodet
und in ergiebiges Ackerland umgewandelt, mehr als dreifsig Städte, zahl-
reiche Märkte und Dörfer gegründet, in denen Deutsche nach eigenem
Rechte lebten. Schon bestehende Städte und Märkte erhielten deutsches
Recht. Dem Beispiel des Königs folgten die oberen Schichten der Be-
völkerung: der Klerus, vor allem der staatskluge Berater des Königs,
Bischof Bruno von Olmütz, dann die Klöster des Landes, die Mittel-
punkte der deutschen Kolonisation, endlich auch der Adel.2) Auch auf
geistigem Gebiete wurde der deutsche Einflufs in Böhmen der herrschende,
und diese Richtung war unter Ottokar IL eine so starke, dafs einheimische
Chronisten ihrem Unmut hierüber offenen Ausdruck geben, während
umgekehrt deutsche Geschichtschreiber und Dichter diesen König als
den Förderer deutscher Art priesen.
*) Das jährliche Einkommen des Königs ward auf 100000 Mark berechnet. Im
Vergleich dazu: Sachsen 2000, Bayern -Pfalz 20000, Brandenburg 50000, Riga 1000,
Magdeburg 4000, Bremen 5000, Salzburg 20000, Trier 3000, Mainz 7000 und Köln
50000 Mark.
2) Die Literatur über die deutsche Kolonisation in Böhmen und Mähren, s. b. Bach-
mann I, 470.
140 Die Anfänge Manfreds.
§ 31. Das Papsttum und die sizilische Frage seit dem Tode tourads IV.
König Xanfred und Karl von Anjou.
Quellen: Von den erzählenden sind die wichtigsten schon in §§ 21, 23, 25 u. 28
genannt; dazu Saba Malaspina, Herum Sicularum libri sex 1250 — 1276. Murat. YIII.
Bartholomaeus de Xeocastro, Historia Sicula a rnorte Friderici II bis 1294. Murat. XIII.
Thomas Tuscus, Gesta imperatorum et pontificum bis 1278. Böhm. IV, 609. MM. G.
SS. XXII. Epist. Conrad! Dominic. Panorm. seu brev. chronica bis 1283. Murat. I.
Andreas Ungarns, Descript. victoriae a Karolo Prov. comite reportatae 1245 — 1247. MM.
Germ. SS. XXYT, 560 — 580. Chron. Mantuanum, ib. 19 ff. Adam de la Hall, Chanson du
roi de Sicile, Bouchon. Coli. VTL Von späteren : Giov. Villani, lib. VJJJL, cap. I. Zur Gesch.
der Päpste, s. Fragments du dernier registre d' Alexandre IV, ed. L. Delisle. B. E. Ch.
XXXVm. Les Eegistres d' Alexandre IV, ed. p. Bourel de la Ronciere, J. de Loye et
A. Coulon. Paris 1902. Registr. Urbani IV, ed Baumgarten. R. Quart. -Seh. III. Dorez
et Guiraud, Les Registr. d'Urbain IV. Paris 1899. Theiner, wie oben. S. Potth., Regg.
pontiff. LT. Die Biographien der Päpste Alex. IV. u. Urban IV. bei Muratori m. Briefe
Urbans IV. in Martene Thes. II u. MM. Germ. Epp. EI.
Hilfsschriften: B. Capasso, Historia diplom. regni Siciliae 1250 — 1260,
Xapoli 1874. Raumer IV, Schirrmacher, Die letzten Hohenstaufen. Gott. 1871. Dazu
Scheffer-Boichorst. HZ. 28, 431 — 440. Karst, Gesch. Manfreds bis zu seiner Krönung.
Berlin 1897 (enthält S. XI— XIV ein Verz. von Quellen u. Hilfsmitteln für die Gesch.
Manfreds von 1250 — 1258). Freidhof, Die Städte Tusciens zur Zeit Manfreds. Lyc.
Progr. Metz 1879. Fahrenbruch, Zur Gesch. Manfreds. Diss. Strafsburg 1880.
C e s a r e , Storia di Manfredi. Xapoli 1837. Merkel, Storia di Manfredi I. e Manfredi LI.
Lancia. Turin 1886. Del Giudice, Rice. Filangieri sotto il regno di Federigo, di
Corrado et di Manfredi. Xap. 1893. La famiglia di re Manfredo. Arch. Xap. IV, 3. 1879.
La f. d. r. M. Narr, storica, 2. ed. Xap. 1896. J. Ficker, König Manfreds Söhne.
MJÖG. IV, 1. Busson, Friedrich, Manfreds Sohn in Tirol, ebenda XTU. Stern-
feld, Karl v. Anjou, wie oben. Joubert, L'etablissement de la maison d' Anjou
dans le royaume de Xaples. 1887. Merkel, L'opinione dei contemporanei sull' impresa
italiana di Carlo I. d'Angiö in d. Mem. de l'Acad. dei Lincei. 1889. Derselbe, Un
quarto di secolo di vita communale e le origini di dominazione Angoina in Piemont.
M. Ac. Tor. XLII. Meomartini, La battaglia di Benevento. Ben. 1895. S* Priest,
Histoire de la conquete de Xaples p. Ch. d' Anjou. Paris 1849. Cadier, Essai sur
l'administration du royaume de Sicile sous Charles le et H d' Anjou. Paris 1891. Cherrier,
Hist. de la lutte, wie oben. Hampe, Gesch. Konradins, wie oben. Rodenberg,
Innozenz IV. u. das Königreich Sizilien. Halle 1892. Doeberl, Bertold von Hohen-
burg. DZG. XU. O.Hartwig, Florentiner Geschichte 1250—1292. DZG. I, 12—48,
n, 38, IV, 70 ff., 241 ff . Sievert, Das Vorleben des Papstes Urban IV. Rom. Quartal-
schrift X. Georges, Hist. du pape Urban IV. Paris 1865. Die allg. Werke, wie
Gregorovius etc., s. oben.
1. Konrad IV. hatte während der letzten Jahre seinen Halbbruder,
den bei den Italienern beliebten Manfred beiseite geschoben und die
Reichsverweserschaft nicht ihm, sondern dem Markgrafen Bertold von
Hohenburg, einem Verwandten seiner Gemahlin, übergeben, der den Papst
zur Anerkennung Konradins zu bewegen versuchte; Innozenz IV. ge-
willt, Sizilien unmittelbar in Besitz zu nehmen, behielt sich die Prüfung
der Ansprüche Konradins für die Zukunft bevor. Wie 1198 wurde auch
jetzt das Nationalgefühl der Italiener gegen die Deutschen erregt und
ein Heer zur Unterwerfung Siziliens ausgerüstet. Die nationale Oppo-
sition, die Guelfen und die Anhänger Manfreds zwangen Bertold, von
der Regentschaft zurückzutreten. Die Grofsen Siziliens verpflichteten
sich auf einem zu S. Gerrnano abgehaltenen Tage, falls Konradin lebe,
Manfred als Reichsverweser, falls er aber tot sei, als König anzuerkennen^
Das Ende Innozenz' IV. Das Königtum Manfreds. 141
Auch Manfred suchte nun um die Anerkennung des Papstes nach, dieser
sprach jedoch den Bann über ihn aus und liefs ein Heer in Unteritalien ein-
rücken, worauf sich Manfred bereit erklärte, dem Papst unter Vorbehalt
der Rechte Konradins und seiner eigenen, den Besitz Siziliens zu über-
lassen; dafür wurde er vom Banne gelöst und zum Vikar im König-
reiche eingesetzt. Konradin erhielt die Anerkennung als Herzog von
Schwaben und König von Jerusalem. Die Bewohner Siziliens mufsten
dem Papst den Treueid leisten, doch wurde in die Formel die Klausel
eingefügt: Mit Vorbehalt der Rechte des Knaben Konrad. Von einer
Übernahme der Vormundschaft des Papstes über ihn war nicht mehr
die Rede. So schien die Kurie alle ihre Absichten erreicht zu haben.
Im Oktober 1254 betrat Innozenz IV. bei Ceperano das Königreich.
Manfred führte des Papstes Zelter und leistete den Treueid. Am
27. Oktober hielt Innozenz IV. seinen Einzug in Neapel. Erst jetzt
trat sein Plan einer völligen Annexion Neapels zutage. Daher wandte
sich Manfred von ihm ab, bemächtigte sich der Festung Luceria und
der daselbst von Friedrich IL und Konrad IV. angehäuften Geld- und
Kriegsmittel und wurde von den Sarazenen, denen eine Unterwerfung
unter den Papst unerwünscht war, als Herr begrüfst. Der Sieg bei
Foggia (2. Dezember) über die päpstlichen Truppen vernichtete die
Hoffnungen des Papstes auf den Besitz Siziliens. Fünf Tage später starb
er zu Neapel im Hause des Petrus de Vinea.
2. Noch unter dem Eindruck von Manfreds Erfolgen schritten die
Kardinäle zur Neuwahl. Sie fiel auf Rainald, einen Neffen Gregors IX.,
der nun als Alexander IV. (1254 — 1261) den päpstlichen Stuhl bestieg.
Trotz seiner friedlichen Gesinnung behielt er in der sizilischen Frage die
Politik seines Vorgängers bei. Sowohl Manfred als die Kurie traten mit
Konradin in Verbindung, Manfred, um seine Stellung zu sichern, denn
sein Erbrecht mufste mit dem Konradins fallen, die Kurie, um diesen
gegen Manfred zu gebrauchen. Um auf Konradins Vormund, Ludwig
von Bayern, einen Druck auszuüben, unterstützte sie Alfons' X. An-
sprüche auf Schwaben; Ludwig erkannte indes Manfred als Reichs-
verweser an (1255, 20. April), der allmählich das ganze Königreich er-
oberte und, um seine Herrschaft zu sichern, mit einzelnen Städten Mittel-
und Oberitaliens Verbindungen anknüpfte und dann den letzten Schritt
zur Aufrichtung seines Königtums tat. Er liefs nämlich Nachrichten
vom Tod Konradins verbreiten und Exequien für ihn halten, worauf er von
den Grofsen (am 10. August 1258) zum König erwählt und in der
Kathedrale zu Palermo gekrönt wurde. Da Manfreds Usurpation den
nationalen Interessen Siziliens entsprach, erhob sich gegen sie selbst
dann kein Widerspruch, als sich die Nachricht von Konradins Tod als
eine falsche herausstellte. War Manfreds Herrschaft für Sizilien ein
Glück, da nun wieder Ruhe und Ordnung daselbst einkehrten, so war
er doch viel zu sehr Staufer, als dafs er nicht den Versuch gemacht
hätte, Italien unter ein einziges Haupt zu bringen und zum Mittelpunkt
des Kaisertums zu machen. Er griff in die Verhältnisse Mittel- und
Oberitaliens ein und gewann trotz der Erneuerung des Bannfluches selbst
442 Die Schlacht von Montaperto. Manfred und das Papsttum.
in Rom Einflufs. Die Ghibellinen Toskanas sahen in ihm ihr Oberhaupt,
und Siena leistete ihm den Eid der Treue (1259). Von den alten Stützen
der staunsehen Herrschaft hielt sich nur Ezzelin fern, aber die Macht
seines Hauses brach noch in demselben Jahre zusammen. Schon zeigte
es sich, dafs die Weifen in Italien nicht das Übergewicht hatten. Flo-
rentiner Ghibellinen hatten, aus ihrer Vaterstadt vertrieben, von Siena
und Manfred Hilfe erhalten. Am 4. September 1260 kam es bei Mont-
aperto zur Schlacht. Die "Weifen wurden geschlagen, und die Ghibellinen
hielten nun ihren Einzug in Florenz. Ganz Tuscien bis auf Lucca und
Arezzo erklärte sich für Manfred. In so seltsamer Weise hatten sich
die Dinge verschoben, dafs sich die Weifen an Konradin wandten, er
möge in Italien erscheinen und sein Reich seinem ungetreuen Statt-
halter abnehmen. 1) Der päpstliche Hof geriet in die gröfste Sorge.
Über Siena, die Florentiner Ghibellinen und alle Anhänger Manfreds
wurde der Bann verhängt. Dagegen schlössen die bedeutendsten Städte
Toskanas (1261, 28. Mai) ihren grofsen Ghibellinenbund, dem auch Man-
fred beitrat. Kurz zuvor hatte ein Teil der Römer ihn, eine Gegenpartei
König Richard zum Senator gewählt. Von Kummer gebeugt, starb
Alexander IV. am 25. Mai 1261. Da sich die Kardinäle über die Wahl
eines Kollegen nicht einigen konnten, wurde am 29. August 1261 Jakob
von Troyes gewählt, ein Mann von niederer Herkunft, der sich durch
seine Talente bis zum Patriarchen von Jerusalem emporgeschwungen
hatte. Die Wahl dieses Franzosen — er nannte sich Urban IV.
(1261 — 1264) — war für das Papsttum verhängnisvoll, denn er lenkte
die päpstliche Politik vollends in jene französische Richtung, die zu
ihrer Knechtung durch das französische Königtum geführt hat. Von
den 14 Kardinälen, die er binnen einem halben Jahre ernannte, waren
nicht weniger als 8 Franzosen. Von französischer Gesinnung erfüllt,
war er entschlossen. Sizilien den Staufern zu entreifsen und an einen
französischen Prinzen zu geben.
2. Eben jetzt stand Manfred auf der Höhe seiner Macht. Sizilien
erfreute sich unter seiner Fürsorge tiefen Friedens. Aufstände, wie die
der falschen Friedriche (1261) dienten nur dazu, seine Macht zu er-
höhen. Wie einst sein Vater, sorgte er nicht nur für die materiellen,
sondern auch für die geistigen Interessen seines Landes. Sein Hof war
der glänzendste seiner Zeit; mit dem sizilischen Königshause ver-
schwägert zu sein, galt bei auswärtigen Fürsten als besondere Ehre.
Nach dem Tode seiner ersten Gemahlin Beatrix vermählte er sich mit
Helene, der Tochter Michaels von Epirus. Seine Tochter Konstanze gab
er Peter, dem Sohne König Jakobs von Aragonien, zur Ehe. An Man-
fred wandte sich der vertriebene Kaiser Balduin II. von Konstantinopel,
und selbst Ludwig IX. wirkte anfänglich mehr in Manfreds als im
Interesse seines eigenen Bruders Karl von Anjou. Von dessen Seite
wurde das staufische Königtum erst ernstlich bedroht, als die Kurie,
nachdem sich die Verhandlungen mit Manfred zerschlagen hatten, die
l) BFW. 4720, 4778.
Die Anfänge Karls von Anjou. Sein Vertrag mit dem Papsttum. 143
französische Kandidatur für den sizilischen Thron ernstlich wieder
aufnahm.
3. Karl von Anjou1), als jüngster Sohn Ludwigs VIII. 1226 ge-
boren, der Liebling seiner Mutter Blanka, zeigte in seiner Jugend nicht
jene düstere Verschlossenheit, die ihm später eigen war. Ein Freund
der Sänger und Dichter, hat er sich bei Gelegenheit selbst als Dichter
versucht. Durch seine Gemahlin erwarb er die noch zum deutschen
Reich gehörigen Grafschaften Provence und Forcalquier, ein Gebiet, das
ihm wichtiger war als Anjou, da er dort nicht wie hier von seinem
Bruder abhängig war. Auf dem Kreuzzug Ludwigs IX. erwarb er hohen
Ruhm, und nach seiner Heimkehr erlangte er bei der Ohnmacht der
Nachfolger Friedrichs IL und der Bedrängnis des Papsttums Einflufs
auf Arles, Avignon und Marseille. Nachdem das erste Angebot der
sizilischen Krone erfolglos geblieben, suchte er als Bundesgenosse Mar-
garetas von Flandern in deren Kämpfen mit König Wilhelm in Henne-
gau festen Fufs zu fassen. Ein Aufstand in Marseille gab ihm den Anlafs,
diese noch zum deutschen Reich gehörige Stadt zu erwerben. Die Streitig-
keiten der Dynasten und Kommunen Oberitaliens boten ihm Gelegenheit
zur Einmischung. Vor allein bediente er sich der in ihrer kriegerischen
Kraft erstarkten Kommunen in Piemont, das allmählich der Stützpunkt
seiner Unternehmungen diesseits der Alpen wurde. Als Ludwig IX. die
sizilische Krone, die ihm Urban IV. für seinen jüngeren Sohn antrug,
zurückwies, tauchte die Kandidatur des Angiovinen wieder auf. Aller-
dings waren die Bedingungen, unter denen er Sizilien erwerben sollte,
drückend, denn ein grofser Teil sollte davon losgelöst werden, er mufste
sich verpflichten, weder das deutsche Königtum noch Oberitalien oder
Tuscien oder endlich ein Amt in Rom anzunehmen. Nachdem der Papst
den früheren Vertrag mit England für ungültig erklärt hatte, trat noch
ein Ereignis ein, durch welches das ganze Unternehmen in Frage ge-
stellt wurde. Karl wurde nämlich vom römischen Volk zum Senator
gewählt. Falls er jetzt auch noch in den Besitz Siziliens kam, war der
Papst in seiner Machtstellung bedroht; trotzdem sah sich Urban IV.
angesichts der Erfolge Manfreds gezwungen, Zugeständnisse zu machen :
Karl erhielt die Senatorswürde zwar nur für die Zeit, als es den Papst
gutdünken würde, er benutzte sie aber, um seine Vorbereitungen für das
italienische Unternehmen zu treffen, zugleich auch als Mittel, die For-
derungen des Papstes herabzudrücken. Ein Vikar ergriff 1264 in seinem
Namen Besitz von dem Kapitol, und Rom wurde nun der Sammelplatz
aller Gegner Manfreds. Urban IV. starb, ohne die Erhebung Karls er-
lebt zu haben (1264, 2. Oktober). Klemens IV. (1265—1268) führte als
einstiger Berater Ludwigs IX. und Freund Karls das Werk seines Vor-
gängers zu Ende. Im April 1265 wurde zu Aix der Vertrag geschlossen,
der das staufische Haus seines Besitzes beraubte, Karl trat, umgeben
von den Grofsen der Provence, mit seiner Gemahlin auf den Balkon
*) S. seine Charakteristik bei Hampe, Konradin 112/13. Vgl. Salimbene 355 und
G. Villani VII, 1.
144 Die Belehuung Karls. Die Schlacht von Benevent. Manfreds Tod.
seines Palastes. Von dort aus rief der Legat der versammelten Menge
zu, dafs der hl. Vater dem Grafen das Königreich übergeben habe.
Zahlreiche Barone nahmen nun das Kreuz gegen Manfred. Ein Kreuz-
zugszehent wurde ausgeschrieben und ein Anlehen aufgenommen. Karls
Gemahlin versetzte ihre Juwelen. König Manfred hatte sich indes wohl
vorgesehen. Den Landweg schützten Pallavicini und die übrigen Häupter
der Ghibellinen, den Seeweg sollte eine pisanisch-sizilische Flotte ver-
sperren. Karl entschlols sich, während sein Heer in der Provence
zurückblieb, für den Seeweg. Vom Glück begünstigt, entkam er der
feindlichen Flotte und hielt am 23. Mai seinen Einzug in Rom. Am
21. Juni wurde er mit den Insignien des Senators bekleidet und 7 Tage
später mit Sizilien belehnt. Doch mufste er auf Benevent verzichten,
sich zur Zahlung eines jährlichen Tributs und Erstattung der erhaltenen
Vorschüsse verpflichten und versprechen, nach der Eroberung Apuliens
das Amt des Senators niederzulegen. Das französisch-provenzalische
Heer stieg im Juni über die Savoyer Alpen. Verträge mit Montferrat,
Este und mehreren Häuptern der Weifen, nicht minder auch Verrat auf
ghibellinischer Seite, hatten ihm die Wege geebnet; in erschöpftem Zu-
stand traf es zu Weihnachten in Rom ein. Am 6. Januar 1266 wurde
Karl samt seiner Gemahlin gekrönt, Not und Mangel trieben ihn, so-
bald als möglich an den Feind zu gelangen. Am 20. Januar brach
er gegen Manfred auf, der in Capua weilte. Beide Gegner brannten vor
Kampfbegier. Die Schlacht fand bei Benevent am 26. Februar statt.
Karl erfocht nach hartem Ringen, unterstützt durch den Verrat der
Grafen von Caserta und Acerra, den Sieg. Manfred wurde erschlagen.
Erst am dritten Tage fand man die der Rüstung beraubte, von Wunden
entstellte Leiche. Karl liels sie ehrenvoll, wenn auch ohne den Segen
der Kirche, an der Brücke des Calore bestatten. Französische Ritter
trugen, den Helden zu ehren, jeder einen Stein herzu und setzten ihm
ein Denkmal. Aber der fanatische Eifer des Erzbischofs von Cosenza
duldete kein Begräbnis auf dem der Kirche gehörenden Boden. Darum
wurde die Leiche aus der Erde gerissen und an Latiums Grenze am
Ufer des Verde eingescharrt. Grauenhaft war das Schicksal der Familie
Manfreds. Seine Witwe starb nach fünf-, die Tochter nach achtzehn-
jähriger Kerkerhaft; die drei natürlichen Söhne, Heinrich, Friedrich und
Anseimus, wurden in ihrem Gefängnis zu Sta Maria del Monte in Terra
di Bari so hart behandelt, dafs König Karl selbst 1298 einschreiten
mufste. Sie kamen dann ins Kastell dell' Uovo zu Neapel. Von den
dreien starb der älteste, erblindet und entkräftet, erst nach mehr als
fünfzigjährigen Kerkerqualen. Dem zweiten, Friedrich, gelang es. zu ent-
kommen. Er zog als Bettler an den Höfen Europas umher und starb
nach wechselvollen Schicksalen in Ägypten, wo ihm der Sultan eine Zu-
fluchtsstätte gewährte. Mit ähnlicher Härte wurden die übrigen Ver-
wandten behandelt. Karl hielt einen triumphierenden Einzug in Neapel.
Er bedeutete den Sieg des französischen über das deutsche Element auf
italienischem Boden. Aufserordentlich reich war die Beute des Siegers.
Zwei schwere goldene Kandelaber und den mit Perlen verzierten Thron
Der Ausgang des staufischen Hauses. 145
Friedrichs IL sandte er an den Papst. Die Sarazenen Lucerias über-
gaben die dort angehäuften Schätze. Die Furcht vor dem Sieger lähmte
jeden Widerstand. Die Städte leisteten die Huldigung, und die Anhänger
Manfreds in Ober- und Mittelitalien beeilten sich, Frieden mit der Kirche
_ zu machen.
§ 32. Konradin yon Schwaben und der Ausgang des staufischen
Hauses.
Quellen wie oben. Dazu: Pietro da Pretio, Adhortatio. Ausg. bei Capasso 110.
Über die Quellen 7Air Schlacht bei Tagliacozzo s. Busson DZG. IV u. Koloff in d. N.
Jbb. Ph. XI, Xu. Es sind: die Annales Plac. Gibeil., S. Justine Pat, Saba Malaspina,
Salinibene, Ptolem. Luc, Riccobaldus Ferrariensis, Fereto v. ATicenza, Giov. Villani,
Annales clerici (ut videtur) Parisiensis, Hist. regum Franc, contin , Chronicon Hanon. u.
Primat. Ein gutes Verzeichnis der Hilfsschriften in Hampe, Gesch. Konradins v.
Hohenstaufen, S. 369—375. Busson, Z. Gesch. Konradins. Forsch. XI, XIV. Miller,
Konr. v. Hohenst. Berl. 1897. Ficker, Konradins Marsch zum palent. Feld u. Die
Operationen Karls von Anjou. MJÖG. II, IV. Köhler, Die Operationen Karls v. A.
vor der Schlacht bei Tagliacozzo, ebenda IV. Köhler, Zur Schlacht von Tagliacozzo.
Bresl. 1884. Köhler, Die Entwicklung des Kriegswesens. Bresl. 1886 — 93. Erg.-Heft.
A. Busson, Die Schlacht bei Alba. DZG. IV (dort die Rhythmi de victoria Karoli).
Sackur, Z. Vorgesch. d. Schi. v. Albe. HZ. 75 u. 76. Jetzt vornehmlich G. Rolof f,
Die Schlacht bei Tagliacozzo (mit einer Kartenskizze). X. Jbb. Ph. XI, 31 — 54.
Roloff hält die bisherigen Darstellungen der Schlacht für eine Art Roman. Delpech,
La tactique au moyen-äge. Paris 1886. 2 Bde. Del Giudice, II giudizio e la con-
danna di Corradino. Xap. 1876. O. Hartwig, D. Verirrt. Ks. Im Neuen Reich. 1872.
Brayda, La Responsabilitä di Clemente IV e di Carlo I d'Anjou nella morte di
Corradino di Suevia. Napoli 1900. D u r r i e u , Les Francais dans le royaume de Xaples
sous le regne de Charles Ie dans Les archives angevines de Xaples H. 1886. Joubert,
wie oben. Wegele, Friedrich d. Freidige. Xördl. 1870.
1. Die Kunde von der Schlacht bei Benevent rief den legitimen
Sprossen des staufischen Hauses zur Verteidigung seines Erbrechtes in
die Schranken. Konradin — wie die Italiener ihn nicht ohne Anflug
verächtlichen Spottes nannten, er selbst nennt sich in den Urkunden
stets Konrad — erfuhr schon in zarter Jugend die mannigfachsten
Schicksalsschläge. Sein Verhängnis war der unauslöschliche Hafs der
Kurie gegen sein Haus. Schon der Versuch deutscher Fürsten, ihm
das deutsche Königtum' zu verschaffen, weckte den Widerspruch des
Papstes. Verlor er Sizilien durch den eigenen Oheim, so wurde ihm
auch sein schwäbisches Herzogtum durch die kastilische Verwandtschaft
bestritten und sein Erbgut von den Grofsen Schwabens als gute, Beute
betrachtet. Seine Mutter Elisabeth vermählte sich (1259) in zweiter Ehe
mit dem Grafen Meinhard von Görz-Tirol. Nach dem Sieg der Ghibel-
linen bei Florenz liefsen sich Stimmen vernehmen, die ihn nach Italien
riefen. Bisher am Hofe seines bayrischen Oheims Ludwig erzogen,
übernahm er mit zehn Jahren formell die Regierung von Schwaben,
stand aber in der Pflege Bischof Eberhards von Konstanz. Grofsen
Einflufs auf ihn gewannen aufser dem Abt Bertold von St. Gallen
einige Reichsministerialen, deren unternehmungslustiger Sinn seine
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 10
146 Konradin von Schwaben.
Neigungen beeinflufste. l) Auch seine zweite Kandidatur für den deutschen
Thron (1262) wurde durch die Kurie vereitelt. Dagegen traten die
italienischen Pläne in den Vordergrund. Nach Manfreds Tode trafen
ihn die Hilfegesuche der Ghibellinen. Die Aussichten für das italienische
Unternehmen waren nicht ungünstig. Karl von Anjou fand in Sizilien
nichts als Mifs-timniung und Widerspruch, weil — ganz abgesehen von
seinen persönlichen Eigenschaften, unter denen Grofsmut und Versöhn-
lichkeit fehlten — sein Regiment, im Gegensatz zu dem Friedrichs II.
und Manfreds, ganz den Charakter einer Fremdherrschaft trug. Seine
Beamten waren grofsenteils Fremde, .-eine Truppen meist Ausländer. Der
politische und militärische Einflufs der sizilischen Edelleute war lahm-
gelegt, und die in Aussicht genommene Wiedereinsetzung aller durch
die Staufer Verbannten und die Annullierung der seit dem Konzil von
Lyon erteilten Privilegien drohte eine Umwälzung in den Besitzver-
hältnissen herbeizuführen. Schon wurde einzelnen Grofsen ihr Besitz
vorenthalten, anderen die nachgesuchte Gnade versagt. Die grofse Masse,
die eine Erleichterung des von den Staufern geübten Steuerdruckes er-
wartet hatte, sah sieh bitter enttäuscht, denn das angiovinische Regiment
war noch despotischer und die Steuern um so drückender, als nach den
neuen V ertragen die Geistlichkeit von ihnen befreit war. Trotz der
Mahnungen des Papstes wurde auch das Parlament nicht berufen, und
so wurde der Wunsch nach der Rückkehr der staufischen Herrschaft
überall rege. Von der öffentlichen Meinung getragen, wandten sich
einige Grofse an Konradin, der nun besehlofs, dem Rufe zu folgen. Er
war eben zum Jüngling herangewachsen : eine schöne Gestalt, von ein-
nehmenden Zügen. Des Lateinischen mächtig, verstand er es. im Sinne
der Zeit -einen Gefühlen auch poetischen Ausdruck zu verleihen. Sein
Sinn war erfüllt von seines Hauses Grofse. 2J Nachdem er ein Ehe-
bündnis mit Sophie, der Tochter des Markgrafen von Landsberg, ein-
gegangen, wurde auf dem Hoftag von Augsburg (1266, Oktober) die
Heerfahrt für den Spätsommer 1267 festgesetzt. Um Teilnehmer zu ge-
winnen, machte er Vergabungen und A'erpfändungen aus seinem Haus-
gute ; seinen bayrischen Oheimen -chenkte er für den Fall seines Todes
seinen Besitz. Xachdem er von seiner Mutter Abschied genommen, er-
folgte der Aufbruch. Ein Manifest an die deutschen Fürsten forderte
Hilfe. Aber bei der Haltung des Papstes3) war auf ihre Teilnahme
nicht zu rechnen. In Sizilien eröffneten Konradins Statthalter, Konrad
Capece und Friedrich von Kastilien, den Kampf mit einem Sieg über
Karls Statthalter. Konradin hielt am 21. Oktober seinen Einzug in
Verona. In seiner Umgebung befanden sich Ludwig von Bayern, die
Grafen Meinhard und Albert von Görz und Tirol. Friedrich von Öster-
reich, rechtmäfsiger Erbe des Babenbergischen Besitzes, und Graf Rudolf
von Habsburg: durfte Friedrich bei einem siegreichen Ausgang des
1 Hanipe, S. 170.
2 Ebenda, S. 92.
s Der P 9g< gen Konradin wurde am 14. April 1267 aufgenommen.
Das Unternehmeil Konradins. 147
Unternelimens die Einsetzung in die österreichisch-steirischen Herzog-
tümer erwarten, so hat Graf Rudolf in der Folge ihren Besitz er-
langt. Da die Lombardei weifisch gesinnt war, bot der Weitermarsch
Schwierigkeiten. Klemens IV. sprach am 18. November 1267 den Bann
über Konradin und seine Anhänger aus. Zogen sich Herzog Ludwig,
dessen Land mit dem Interdikt bedroht wurde, und Meinhard von Görz
von einem Unternehmen zurück, an dessen gutem Ausgang sie ver-
zweifelten, so drängten Friedrich und die italienischen Ratgeber um so
eifriger vorwärts. Am 17. Januar brach das Heer von Verona auf, am
20. hielt es seinen Einzug in Pavia. Von den lombardischen Grofsen
trat nur der Markgraf Malaspina auf seine Seite, doch boten Pavia und
die Ghibellinen von Tuscien kräftige Unterstützung. Das rasche Vor-
gehen Konradins hinderte seinen Gegner, ihm schon im Norden Italiens
entgegenzutreten. Da der Weg über Pontremoli und die Lunigiana
versperrt war, zog Konradin das Tal der Bormida aufwärts und schiffte
sich zu Porto di Vado (s. w. v. Savona) auf pisanischen Schiffen nach
Pisa ein, wo er am 7. April ankam; das staufische Heer folgte unter
der umsichtigen Führung Friedrichs von Österreich. Von allen Seiten
strömten Ghibellinen zu. Auf die Kunde von Konradins Ankunft
hatten sich die Sarazenen Lucerias erhoben; ihrem Beispiele folgten nun
auch die christlichen Anhänger der Staufer. Immer mächtiger griff die
Parteinahme für Konradin um sich. Wohl wurde am 5. April der Bann
gegen ihn erneuert und ihm auch das Königreich Jerusalem abgesprochen,
aber das tat seinen Erfolgen geringen Eintrag. Selbst in Rom trat eine
Partei auf seine Seite. Heinrich von Kastilien, ein Bruder König Alfons' X.,
von den Römern (1267) zum Senator erwählt, und sein Stellvertreter
Guido von Montefeltro, der gröfste Feldhauptmann seiner Zeit, waren
eifrige Ghibellinen. Am 24. Juni wurde Konradin mit den gröfsten
Ehren in Siena aufgenommen. Es ist ohne Zweifel, dafs er bei längerem
Verweilen in Tuscien die ganze Provinz auf seine Seite gebracht hätte.
Am 25. Juni gewann Friedrich von Österreich bei Ponte Valle einen
Sieg über Karls Marschall ; brachte er auch keine Entscheidung, so galt
er doch als günstiges Vorzeichen. Am 28. Juni hielt Konradin unter
dem Jubel des Volkes seinen Einzug in Rom und wurde am Fufs des
Monte Mario vom Senator begrüfst. Er schien seinem Ziele nahe, aber
der Papst blieb ungebeugt. Als dieser von seinem Palaste zu Viterbo aus
Konradins Scharen im Vorbeimarsch sah, soll er sein Bedauern über
den Jüngling ausgedrückt haben, der zur Schlachtbank geführt werde.1)
Konradin eilte weiter. Wenn es gelang, den Aufständischen in der
Capitanata die Hand zu reichen, war der Feldzug entschieden.2) Karl
hatte sich zuletzt mit der Belagerung von Luceria beschäftigt. Mit
4000 Reitern eilte er Konradin bis ans Palentinische Feld bei Alba ent-
gegen, darauf bedacht, seinem Gegner, der mit 5 — 6000 Mann heranzog,
x) So Ptol. Luc. Hist. eecl. Anders Jakob de Yoragine bei Muratori IX, 50
S. Hampe, 251.
2) Ebenda, S. 278.
10*
148 Die Schlacht von Tagliacozzo. Konradins Ende.
den Weg nach Sulmona abzuschneiden. Bei Tagliacozzo kam es ani
23. August zur Schlacht. Karls Heer, an Zahl geringer, war besser
organisiert. Die drei Heerhaufen Konradins kämpften mit Glück gegen
zwei Heeresabteilungen Karls, der eine Reserve von 1000 Rittern weiter
rückwärts aufstellte; sie glaubten, die ganze feindliche Armee besiegt zu
haben, ein Ritter in königlicher Rüstung war gefallen, sie hielten ihn
für den König. Ein unerwarteter Angriff unter Karls eigener Führung
rief aber eine Panik unter ihnen hervor, die ihre völlige Niederlage zur
Folge hatte. Karls Sieg war entscheidend. Noch vom Schlachtfeld aus
sandte er seinen Siegesbericht an den Papst. Konradin kam auf der
Flucht nach Rom, fand aber die Stimmung so geändert, dafs er es heim-
lich verliefs. Er hatte die Absicht, nach Sizilien zu entkommen, wo
seine Sache günstig stand. Indem er sich zu Astura, einem dem Hause
Frangipani gehörigen Orte, einschiffte, wurde er von diesem gefangen
und an seinen Gegner ausgeliefert. Vier Tage später hielt Karl seinen
Einzug in Rom und wurde zum Senator auf Lebenszeit gewählt. Fest
entschlossen, seinen Sieg bis zur völligen Vernichtung des Gegners aus-
zunützen, führte er die Gefangenen hinter sich her, warf sie ins Ge-
fängnis del Uovo bei Neapel, liefs die Frage, ob Konradin und seine
Genossen als Majestätsverbrecher anzusehen seien, durch eine zu diesem
Zwecke berufene Versammlung entscheiden und das Todesurteil voll-
strecken. Der junge Staufer vermachte sein Gut wie schon bei seinem
Auszug den bayrischen Oheimen. Friedrich vererbte ihnen auch Oster-
reich, seiner Mutter Steiermark, ohne freilich die Macht zu haben, sie zu
vergeben. Das Todesurteil wurde am 29. Oktober 1268 vollzogen. Konradin
starb beherzt. Seine letzten Worte lauteten: »Mutter, welche schmerzliche
Kunde wirst Du von mir vernehmen«. Als sein Haupt fiel, schrie Fried-
rich vor Schmerz und Entrüstung auf. Dann folgten er und die übrigen
Genossen dem Königssohn in den Tod. Ihre Leichen wurden in der
Nähe eines Judenfriedhofes im Sand der Küste verscharrt. Jetzt erst
war der lange Streit zwischen Kaiser- und Papsttum um die Herrschaft
in Italien beendet, Das Papsttum triumphierte. In Deutschland säumten
Konradins Anhänger nicht, dem Papste nicht blofs die Schuld an dessen
Tod, sondern auch an dem schmachvollen Zustand des Reiches zuzu-
schreiben. Wie tief die Anhänglichkeit an das staufische Kaiserhaus
ging, sieht man nicht blofs aus der deutschen, jetzt schon im Volke
lebendigen Kaisersage, sondern auch daraus, dafs noch in Konradins
Todesjahr der Versuch einer Königswahl gemacht wurde, bei der in
erster Linie die Verwandtschaft mit dem staufischen Hause in Betracht
kam. Sie sollte auf Friedrich den »Freidigen ;, den Sohn Albrechts von
Thüringen und Meifsen fallen, von dem man in Deutschland des Reiches
Wiedergeburt erwartete, und der sich in Briefen an seine italienischen
Anhänger bereits Friedrich III. nannte. Sein Anhang war freilich zu
schwach, und um sich, wie Konradin wollte, die Krone zu erkämpfen,
war er zu jung und wohl auch zu arm.
Frankreich unter Ludwig IX. 149
2. Kapitel.
Die Staaten des Westens.
§ 33. Die Anfänge Ludwigs IX.
Quellen. Urkk. u. Briefe: Teulet et de Laborde, Layettes du Tresor des
chartes, tom. II et HI. Paris 1875. Rechnungen über Kriegsausgaben etc. Petrus de
Condeto, Ceratae tabb. Bouq. XXII. Petri d. C. Epistolae, d'Achery. Spie. II, 551.
Gervasius, abb. epp. 137, Sac. antiquit. MM., ed. Hugo I. Molinier, Correspondance
administrative d'Alfonse de Poitiers, tom. I. Paris 1897. — Geschichtschreiber:
Vita Ludovici IX auetore Galfrido de Bello Loco (Beaulieu). Bouquet XX, 1 — 27.
S. XA. IV, 435. (Gaufried, Predigermönch u. Beichtvater Ls. IX. schrieb auf Befehl
Gregors X.) De vita et actibus et miraculis S. Ludovici auetore Guilelmo Carnotensi
(Predigermönch aus der Umg. Ls. IX.), ib. 27 — 41. Gesta s. Ludovici auet. monacho
S. Dionysii anon. ib. 45 — 47. Von Wert nur die Kapp, über die Erziehung Ludwigs IX.
Guilelmus (Beichtvater der Königin Marguerite) : Yie de Saint Louis, ib. 58 — 121. Im
Anhang die Miracles de St. Louis, S. 121 — 159. Sermon en l'honneur de Saint Louis
par Guillaume de Saint Pathus. BECh. LXTTT, 276. Histoire de S. Louis par Joinville,
ib. 190—304. (Übers, in Schillers Memoiren etc. 1 Abt. Bd. IV, G. Paris in Hist.
litter. XXXII. De Laborde, Jean de Joinville et les seigneurs de Joinville Paris 1894.)
Gesta Ludovici noni auet. Guil. de Xangiaco, ib. 309 — 664 (Ausz. MM. Germ. hist. XXVI).
Über den Wert s. Bouq. XX, p. LI. Conseils de S. Louis ä une de ses filles. Bouq.
XXIII, 132—154. Bulla canonisat. S. L. p Bonif. VLE, a. 1296, ib 148—160 (s. die reiche
Lit. b. Potth. H, 1437 f.). Von Chroniken sind die wichtigsten : Chronique anonyme des
rois de France bis 1286. Bouq. XXI, 80 — 102. Chronicon Hanoniense (quod dicitur
Balduini Avennensis) bis 1281. Bouq. XXI, 161—181. Im Ausz. MM. Germ. SS XXIV,
419. Chron. Girardi de Arvernia bis 1272 u. 1288, ib. 213 ff. Brachst. MM. Germ.
XXI, 593 ff. Chron. Guil. de Nangiaco a. a. 1226—1300. Bouq. XX, 543—82. Chron.
Lemovicense cum. suppl. a Petro Coral, ib. XXI, 763—788. Philippe Mousket,
Chronique rimee, ib. XXII, 38—81. MM. Germ. SS. XXVI, 741—821. Chronique de
S. Magloire, Bouq. XXII, 82—86. MM. Germ. XXVI, 610—612. Guiart, Branche
des royaulx lignages. Bouq. XXII, 171—300. Fragm. d'une chronique anonyme dite
chronique de Reims, ib. 302—329. MM. G. SS. XXVI, 526 ff. Chroniques de Flandre,
ib. XXII, 331 — 429 (wichtig erst für die erste Hälfte d. 14. Jahrh.). Chronique de
Primat, ib. XXIII, 5—106 (bis 1255, s. d. Note bei Potth. II, 936). Ausz. MM. G. XXVI,
639—671. Joh. de Columna, Mare historiarum. Bouq. XXIII, 107—124 (MM. Germ.
SS. XXIV, 269-284, s. Lorenz II, 336\ Annales Reineri. MM. Germ. SS. XVI, 645
bis 680. Chronicon monasterii Mortui Maris. Bouq. XII, XVIII, XXIII. MM. Germ.
SS. VI, 467-469. Laurentius de Leodio Contin. bis 1250. Bouq. XI, XIII. MM. Germ.
SS. X, 486—516. Chron. Norm. Bouq. XXIII, 213—222. Chron. Rotomag., ib. 332-343.
Von fremden kommt aufser Matth. Paris besond. die Chron. reg. Col. (s. oben) in
Betracht. Ergänzungen in Monod, 196 ff. u. Molinier, Les sources de l'hist. d. France, HL
Hilfsschriften: Petit-Dutaillis, Etüde sur la vie et le regne de Louis VIH
(1187 — 1226). Paris 1894. Le Nain de Tillenion t, Vie de saint Louis publ. par
J. de Gaulle. Paris 1847 — 51. ^Xoch immer zu brauchen^ weil jetzt verlorene Quellen
darin benutzt sind.) Langlois, Louis IX. Rev. d. Paris XVII. F. Faure, Histoire
de S. Louis. Paris 1865. H. Walion, S. Louis et son temps. Paris 1875. Lecoy
delaMarche, Saint Louis, son gouvernement et sa politique. Tours 1887. Ledain,
Hist. d'Alphonse frere de s. Louis et du comte de Poitiers. 1869. Boutaric, S. L.
et Alf. d. P. Paris 1870. Lavisse-Luchaire, Hist. de France III, 1. Louis VII— VIII.
Paris 1901 u. Lavisse- Langlois , III, 2. Saint Louis, Philippe le Bei. Paris 1901.
F. Perry, S. Louis, the most Christian King. X. York 1901. Berg er, S. Louis et
Innocent IV. Paris 1893. Bunge r, D. Bez. Ludw. IX. zur Kurie. 1254 — 64. Diss.
1896. E. Berg er, Histoire de Blanche de Castille. Paris 1895. Ga vril o vitsch ,
Etüde sur le traite de Paris de 1259 entre Louis IX et Henri III d'Angleterre. Paris
]50 Die Anfänge Ludwigs IX.
1899. Guilhiermoz, Saint Louis les gages de bataille et la procedura civile.
BECh. XLVJII. Vi oll et, Les Etablissements de saint Louis. Soc, de l'hist. de France
1881—86. Pirenne, Hist de Belgique I.
1. Ludwig VIII. führte, nur viel kräftiger noch, die Politik seines
Vaters sowohl gegen England, als auch im Süden Frankreichs weiter.
Im Kampfe gegen England gewann er Aquitanien bis an die Grenzen
der Gascogne, gegen die Albigenser Avignon (s. § 11). Schon war
er bis Toulouse gedrungen, als ihn der Abzug des Grafen Theobald
von Champagne zum Rückzug nötigte. Vom Lagerfieber ergriffen, starb
er zu Montpensier, nicht ohne vorher eine verhängnisvolle Anordnung
getroffen zu haben. Im Gegensatz zu der Politik seiner Vorgänger, die,
um die königliche Gewalt zu stärken , an die jüngeren Söhne keine
Apanagen oder doch nur unbedeutende Teile des königlichen Gutes
austeilten, gab Ludwig seinem zweiten Sohne Artois, dem dritten Anjou
und Maine, dem vierten Poitou und Auvergne. Der jüngste, Karl,
sollte in den geistlichen Stand treten, erwarb aber durch Heirat die
Provence (s. oben), erhielt nach dem Ableben Johanns von Anjou dessen
Länder und wurde schliefslich König von Sizilien. Allerdings sollte der
französische Besitz der jüngeren Söhne bei ihrem kinderlosen Abgang
an die Krone zurückfallen, da dies aber voraussichtlich nicht so bald
eintrat, wurde die Ausbildung eines einheitlichen Gesamtstaates auf
lange hinaus gehemmt. Diese Anordnung trat noch dazu in einem
Augenblicke ein, als das Königtum eine schwere Krise zu bestehen hatte.
In der Regierung war nämlich Ludwig IX. (1226 — 1270) gefolgt. Bei
seiner Jugend — er zählte erst zwölf Jahre — übernahm seine Mutter
Blanka kraft einer Verfügung Ludwigs VIII. die Regentschaft — der
erste und einzige Fall einer Frauenregierung im Hause der Kapetinger.
Der unbeliebten Ausländerin gegenüber hielten die weltlichen Grofsen
den Augenblick für gekommen, das System Philipps IL zu stürzen, und
scheuten zu diesem Zwecke ebensowenig vor der Verbindung mit dem
Ausland wie vor den schwersten Anschuldigungen der Regentin zurück.
Blanka trat der Koalition mit staatsmännischem Geschick, männlichem
Geist und unbeugsamem Mut entgegen und wufste, vom Klerus und
dem Bürgertum unterstützt, die Interessen der Grofsen derart zu teilen,
dafs einige von ihnen auf ihre Seite traten, während Friedrich IL den
deutschen, auch in Frankreich begüterten Fürsten jede Einmischung in
den Kampf untersagte, der sonach mit einem vollen Siege des König-
tums endete.
2. Unter der Leitung seiner trefflichen Mutter, die mit einer
gewissen Eifersucht seine Ausbildung überwachte, wuchs Ludwig IX.
heran. »Ein feiner Ritter«, wie Joinville ihn nennt, hoch und schön
gewachsen, von lebhaften Augen, blondem Haar und heller Gesichtsfarbe,
»mit der Figur eines Engels « (Salimbene), besafs er trotz seines lebhaften
Geistes tiefreligiöse Neigungen und selbst asketische Anwandlungen, die
freilich nicht so weit gingen, dafs er auf die Freuden des Rittertums ver-
zichtet hätte. Ohne besondere militärische Anlagen zeichnete er sich
im Kampf durch kaltblütige Unerschrockenheit aus. Von seinen Pflichten
Charakter Ludwigs IX. 151
als König hatte er die höchsten Vorstellungen ; von strengstem Gerechtig-
keitsgefühl, trat er den feudalen Elementen nur so weit entgegen, als es die
Notwendigkeit forderte; trotzdem wahrte er, gleich seiner staatsklugen
Mutter, deren Rat er auch seit seiner Volljährigkeit (1234) befolgte, alle
Rechte des Königtums. Selbst in den Ländern seiner Vasallen besafs er
grofsen Einflufs. Von diesen verfolgten einzelne, wie Flandern im Orient
oder Champagne in Navarra, ihre weitabliegenden Ziele oder waren, wie
Burgund und Bretagne, in innere Kämpfe verwickelt. Dazu kam, dafs
sich die Bistümer und die Städte aufs engste an das Königtum an-
schlofsen. Die Politik des Königs war eine friedliche. Selbst mit Eng-
land schien die Herstellung freundlicher Beziehungen keine Schwierig-
keiten zu bieten, seit Ludwig IX. und Heinrich III. einander durch Ver-
schwägerung näher traten. Trotz alledem kam es noch einmal zu einer
Erhebung der grofsen Barone gegen das Königtum, die ihren Grund in
dem Widerwillen der Grofsen von Poitou gegen die neue französische
Herrschaft hatte. Als Ludwig IX. nämlich 1241 im Januar den »unvergleich-
lichen«1) Hof tag abhielt, belehnte er seinen Bruder Alfons mit Poitou
und Auvergne. Dagegen erhob sich Hugo de la Marche, angereizt durch
seine Gattin Isabella, die Witwe Johanns ohne Land. Es kam zu einem
weitverzweigten Bund gegen das Königtum, der trotz englischer Hilfe
seine Ziele nicht erreichte. Die Engländer wurden bei Taillebourg
(1242, 21. Juli) und tags darauf bei Saintes geschlagen. Hugo mufste den
Frieden mit der Abtretung eines Teiles seiner Besitzungen erkaufen, der
Graf von Toulouse die Kriegskosten bezahlen und auf alle seine An-
sprüche verzichten (1243). »Von jetzt an«, sagt Wilhelm von Nangis,
»hörten die Grofsen auf, gegen den Gesalbten des Herrn zu konspirieren.«
In der Tat war die Überlegenheit des Königtums über die Lehensaristo-
kratie neu gekräftigt und der Besitz der den Engländern entrissenen
Länder gesichert. Fortan mufsten französische Untertanen, die zugleich
englische Lehensträger waren, dem einen oder dem anderen dieser Ver-
hältnisse entsagen (1244), wodurch die nationale Scheidung zwischen
Engländern und Franzosen auch äufserlich befestigt wurde.
§ 34. Die Zustände in Syrien und der erste Kreuzzug Ludwigs IX.
Quellen: S. § 33. (Hauptberichterstatter ist Joinville.) Dazu Gualterus Cornutus,
Hist. susceptionis coronae spineae, Eiant Exuviae I. — Odo Tusculanus Ep. ad. Innocen-
tium IV, d'Achery Spicil. VII, 213. Ludovicus rex:, Epistola de captione et liberatione
sua, Duchesne, Hist. Franc. SS. Y, 428. Les Gestes des Chiprois. Kecueil des chroniques
francaises ecrites en Orient aux Xffle et XlVe siecles, p. p. G. Raynaud. 'Geneve 1887
(enthält 1. Chronique de Terre-Sainte [1131 — 1224], 2. Recit de Philippe de Navarre
[1212—1242] u. Chronique du Templier de Tyr. 1242—1309).
Hilfsschriften: Die allgeni. Werke über die Kreuzzüge, s. oben. Am aus-
führlichsten Walion I, 225 — 397. E. J. Davis, The invasion of Egypt by Louis IX
of France and a history of the contemporary sultans of Egypt. 1898. Schaube,
Die Wechselbriefe König Ludwigs d. H. von seinem'ersten Kreuzzug. Jahrb. f. National-
ökonomie u. Statistik XV.
x) So genannt wegen der daselbst entfalteten Pracht.
152 Die politische Lage Syriens.
1. Mit den unzulänglichen Streitkräften, die Friedrich II. in
Palästina zurückgelassen, konnte eine feste Ordnung der Dinge daselbst
nicht erzielt werden. Die Mohammedaner waren über den ungünstigen
Frieden erbittert und die Templer und Johanniter in diesen nicht ein-
bezogen. Die Aussöhnung zwischen Kaiser und Papst stellte zwar auf
eine Zeit lang die Ruhe wieder her, aber bald kam es auf Cypern zu
neuen Wirren, die auch auf Syrien zurückwirkten. Trotz des mit dem
Sultan bis 1239 abgeschlossenen Friedens rief Gregor IX. die Christen
schon 1231, dann in den Jahren 1234—1237 zu den Waffen1); 1237
meldete er dem Kaiser, dafs französische Kreuzfahrer zum Auszug be-
reit seien, und bat um Unterstützung. Mit Mühe erwirkte Friedrich
einen Aufschub bis zum Ablauf des Friedens. Da nach dem Tode El
Kandis (1238) unter seinen Erben ein heftiger Zwiespalt ausbrach, schien
der Augenblick für ein neues Unternehmen günstig. Im Frühling 1239
war Theobai d von Champagne, König von Navarra, zur Abfahrt
bereit, doch der Papst, der mittlerweile den Kaiser aufs neue gebannt
hatte, verbot eine Kreuzfahrt, die zu dessen Vorteil ausschlagen konnte.
Theobald brach dessenungeachtet auf, erlitt aber in der Nähe von Gaza
eine Niederlage. Bald wurde auch Jerusalem von den Sarazenen wieder
erobert, seine Festungswerke zerstört, und Theobald kehrte in die Heimat
zurück. Mittlerweile hatte Graf Richard von Cornwalis, der Bruder
Heinrichs III. von England, gleichfalls gegen den Willen des Papstes
die Fahrt angetreten und landete im Oktober 1240 zu Akkon. Wiewohl
ein Enkel König Richards und als solcher mit Jubel begrüfst, betrat er
doch lieber wie Friedrich H. den Weg der Verhandlungen, erhielt
Jerusalem und die an der Pilgerstrafse liegenden Orte zurück und liefs
Askalon befestigen. Nach diesen nicht unbedeutenden Erfolgen kehrte
er heim, worauf der alte Zwist unter den Christen in Jerusalem aufs
neue ausbrach. Alle Widersacher des Kaisers begannen gegen die
staufische Herrschaft in Jerusalem zu wühlen und erreichten, dafs die
Hoheitsrechte bis zur Ankunft Konrads IV. an Alice, die Mutter König
Heinrichs von Cypern, eine Enkelin König Amalrichs, übertragen wurden.
Während Friedrichs Feinde über ihre Erfolge jubelten, erfolgte der Ein-
bruch der Cbovaresmier (1244), für den Friedrich II. die Templer ver-
antwortlich machte, die sich mit den Hauptfeinden Sultan Ejubs von
Ägypten, Ismael von Damaskus und Nasir von Kerak, verbündet hatten,
worauf Ejub im Gefühl seiner Schwäche die Chovaresmier zu Hilfe rief.
Raubend und mordend fielen sie in Palästina ein, eroberten Jerusalem
und profanierten oder zerstörten die Heiligtümer. Ein Teil der flüch-
tigen Bewohner wurde bei Ramiah niedergemacht, dann erlitt das
christlich-islamitische Heer von den mit den Chovaresmiern verbündeten
Ägyptern unter Bibars — dem späteren Sultan — eine furchtbare
Niederlage (17. Oktober). Die Blüte der geistlichen Ritterorden wurde
erschlagen. Einen Versuch der Templer, ihre gefangenen Brüder aus-
zulösen, wies Ejub mit dem Hinweis auf ihre gegen Friedrich II. und
1 Röhricht, Gesch. d. K., S. 233 ff.
Die Kreuzfahrt Ludwigs IX. 153
Richard von Cornwalis verübte Treulosigkeit ab. Ejub nahm Damaskus
(1245), Tripolis und Askalon (1247) und besafs somit fast das ganze
Reich Saladins. Innozenz IV. hielt trotz der Trauer des Abendlandes
über diese Verluste die Vernichtung der Staufer für wichtiger als die
Wiedereroberung Palästinas. Noch jetzt trat er dem Kaiser im Orient allent-
halben entgegen ; so wurde nach dem Tode der Königin Alice Heinrich von
Cypern als König anerkannt. Da die Kreuzzugsunternehmungen im Abend-
land immer mehr in Mifskredit kamen, wäre es kaum mehr zu einer
Kreuzfahrt gekommen, wäre nicht die alte Begeisterung noch in einem
der bedeutendsten Monarchen Europas lebendig gewesen.
2. In den Tagen, als die Chovaresmier Jerusalem verheerten, war
Ludwig IX. schwer erkrankt. Aus Dank für seine Genesung nahm er
(1244, Dezember) einem Gelübde zufolge, das er während seiner Krank-
heit gemacht hatte, trotz des Widerspruchs seiner Mutter, seiner Brüder
und der Grofsen das Kreuz. Vergebens wiesen die einen auf die Aussichts-
losigkeit des Unternehmens, die andern auf die von der gesteigerten
Macht des Papsttums drohenden Gefahren, die dritten darauf hin, dafs
ein bei mangelnder Besinnung gemachtes Gelübde niemand binde.
Seinem Beispiele folgten seine Brüder und viele Grofse. Die Ausfahrt
verzog sich bis 1248. Da dem König an einer kräftigen Unterstützung
aus Deutschland und Italien lag, machte er noch einmal — freilich ver-
gebliche — Versuche, Kaiser und Papst zu versöhnen. Die Beihilfe
aus diesen Ländern, aus England und Norwegen war eine geringfügige.
In Frankreich selbst fand das Unternehmen so wenig Anklang, dafs die
•Kreuzfahrer sich den Durchzug nach Süden mit dem Schwert erkämpfen
mufsten und nicht wenige Pilger sich in Lyon vom Papste ihres Ge-
lübdes entbinden liefsen. In Aigues-Mortes schiffte sich Ludwig mit dem
gröfsten Teil seines Heeres ein und landete am 17. September auf
Cypern. Sein Heer zählte 50000 Krieger. Statt den Zug rasch fortzu-
setzen, beschlofs er, in Cypern zu überwintern. Zwar erklärte sich König
Heinrich von Cypern zur Teilnahme bereit, ja eine Gesandtschaft des
Grofskhans weckte die Hoffnung auf eine Allianz und selbst auf die Be-
kehrung der Mongolen, aber diese Hoffnungen gingen nicht Erfüllung.
Das müfsige Leben lockerte die Zucht des Heeres, und das ungewohnte
Klima raffte viele hinweg. Am 15 Mai 1249 erfolgte die Ausfahrt, und
zwar gegen alle Erwartung nach Ägypten. Wie ein Menschenalter früher,
sollte die Entscheidung am Nil gesucht werden. Das Kreuzheer landete
nördlich von Damiette (5. Juni) ; die Besatzung dieser Stadt überliefs den
wichtigen Platz ohne Schwertstreich den Franzosen. Aber der Erfolg
wurde nicht rasch genug ausgenützt. Lange wurde beraten, ob man
gegen Alexandrien oder Kairo ziehen solle. Graf Robert von Artois,
des Königs Bruder, setzte das letztere durch, denn »man müsse der
Schlange den Kopf zertreten«. Mittlerweile starb der Sultan (22. No-
vember), nachdem er den Kreuzfahrern eben noch günstige Friedens-
anerbietungen gemacht hatte. Da die Ägypter die Ankunft seines Sohnes
Turanschah abwarten wollten, wurde der Tod des Sultans verheimlicht. Die
Kreuzfahrer drangen auf demselben Weg wie 1221 vorwärts und lagerten
154 "Die Niederlage und Gefangenschaft Ludwigs IX.
sich vor Mansurah, wo die Ägypter ihre Flotte und ihr Landheer ver-
einigt hatten. Das Christenheer geriet hier bald in eine grofse Bedrängnis :
rechts hatte man den Nilarrn von Damiette, vor sich den breiten
Kanal von Aschinum Tanah1) und jenseits, gestützt auf Mansurah, die
Feinde zu Lande und auf den Schiffen in so starker Stellung, dafs die
Christen ihnen nicht beizukommen vermochten. Ein Beduine zeigte
ihnen eine Furt durch den Kanal ; durch diese drängten nun Graf Robert
und die Templer hitzig vor und kamen bis Mansurah, fanden aber auf
dem Rückweg fast alle durch das Schwert der Mamelucken den Tod.
Mit Mühe "hielt sich Ludwig auf dem Südufer des Kanals. Nach der
Ankunft Turanschahs, die belebend auf die Seinigen wirkte, wurde die
Pilgerflotte nicht nur in der Front und im Rücken angegriffen, sondern
auch ihre Rückzugslinie bedroht. Bald begannen im christlichen Lager
Hunger und Krankheiten ihre Verheerung, und Ludwig zog in seine
frühere Stellung zurück. Jetzt bot er den Ägyptern Frieden und die
Rückgabe von Damiette gegen Jerusalem an; das wurde aber zurück-
gewiesen; als die Christen, völlig erschöpft, den Rückzug nach Damiette
antraten, drangen ihnen die Ägypter ungestüm nach, machten Tausende
nieder und nahmen den Rest des Heeres samt dem König und seinen
Brüdern gefangen. Die meisten Kranken wurden aus Furcht vor An-
steckung getötet und nur die Reicheren des Lösegeldes wegen ver-
schont. Der König selbst ward in Fesseln gelegt. Turanschah suchte
seinen Sieg soweit als möglich auszunützen. Zwar wurde seine Forde-
rung der Übergabe aller christlichen Besitzungen in Syrien mit dem
Hinweis auf die Rechte Friedrichs IL zurückgewiesen, doch kam es
schliefslich gegen die Räumung Damiettes und Zahlung einer Kriegs-
entschädigung von einer Million byzantinischer Goldstücke2) zu einem
zehnjährigen Waffenstillstand, der auch dann in Kraft blieb, als der
Sultan — der letzte der Ejubiten — durch eine Verschwörung des Mame-
luckenemirs Bibars umgebracht wurde. Am 7. Mai 1250 wurde Damiette,
wo Ludwigs Gattin ihm einen Sohn, Tristan, geboren hatte, den Sarazenen
übergeben. Die meisten Abendländer eilten in die Heimat. Ludwig
und seine Brüder begaben sich nach Akkon. In der Heimat hatte man
an die Unglücksbotschaft anfangs nicht glauben wollen und liefs die
Boten als Betrüger hinrichten. Als sich die Trauernachricht bestätigte,
mahnte die Königinmutter, welche die Regierung führte, zur Heimkehr.
Sie fürchtete, dafs die Engländer die Gelegenheit benützen würden, um
den Krieg gegen Frankreich wieder aufzunehmen. Aber Ludwig IX. er-
klärte, in Palästina zu bleiben, bis auch die letzten Gefangenen befreit
seien. Damals tauchten in Syrien Prätendenten auf, von denen einer, ein
Urenkel Saladins, Aleppo gewann und den Christen ein Bündnis anbot.
Jetzt konnte Ludwig einen Druck auf die Ägypter ausüben, und jetzt
erst gaben diese die letzten Gefangenen heraus und verzichteten auf
die zweite Hälfte des Lösegeldes. Noch hoffte der König, den Krieg
1 Spezialkarte, Michaud III, S. 435. Über Mansurah s. Köhler, Kriegsw. III, 262.
2) Die Summe wurde später um 200000 Goldstücke herabgemindert.
Ali [enthalt Ludwigs in Palästina. 155
fortsetzen zu können , falls er aus der Heimat Unterstützung bekäme.
Zu diesem Zwecke sandte er ein Rundschreiben an seine Untertanen :
aber sowohl die grofsen Vasallen, als auch die Grafen und Ritter ver-
weigerten jede weitere Hilfe. Dagegen entstand nun von anderer Seite
eine Bewegung zugunsten des Kreuzzuges. Um Ostern 1251 erhob
sich in Flandern ein Zisterzienser aus Ungarn, namens Jakob, mit dem
Vorgeben einer göttlichen Botschaft: die bisherigen Kreuzzüge hätten
keinen Erfolg gehabt, weil Gott kein Gefallen an dem Hochmut der
Ritter habe. Die Armen seien bestimmt, das hl. Land zu befreien. Nun
lief ein Heer von Bauern und Hirten zusammen und schwoll allmählich
bis auf 100000 Köpfe an. Da sich ihnen Gesindel jeglicher Art bei-
mischte, wurden sie bald zur Geilsei aller Gegenden, die sie betraten.
Wie gegen den Adel und die Reichen, traten sie auch gegen die oberen
Stufen der Hierarchie, ja gegen den Klerus überhaupt auf: Man bedürfe
keines Papstes und keiner Bischöfe; sie erkannten sich selbst das geist-
liche Hirtenamt zu, predigten, schlössen und trennten Ehen. Erst als
der ungarische Meister von einem, der an seine Wundertaten nicht
glauben wollte, erschlagen und eine Anzahl seiner Anhänger, Pastorellen
genannt, aufgeknüpft war, löste sich die Masse bis auf wenige auf, die
nach Akkon kamen. Dies Unternehmen erhöhte nur noch den Wider-
willen der Völker gegen die Kreuzzüge. Nichtsdestoweniger sandte
Ludwig IX. immer noch Briefe um Hilfe ins Abendland. Im Frühling 1252
boten ihm die Ägypter selbst Bundesgenossenschaft gegen die Syrier
an. Das ganze Land diesseits des Jordans sollte den Christen zufallen.
Da sie aber schon im folgenden Jahre mit ihren Gegnern Frieden
machten, wurde die Lage der Kreuzfahrer eine bedenkliche. Ludwig
liefs noch die Mauern von Cäsarea, dann die von Joppe und Sidon
herstellen. Mittlerweile starb seine Mutter (1252, Dezember) und seine
Anwesenheit in Frankreich wurde immer dringender ersehnt. Doch
schiffte er sich erst Ende April 1254 in Akkon ein und kam im Juni in
der Heimat an. Der Kreuzzug war mifsglückt, und zwar nicht ohne
Verschulden des Königs. Das wurde ihm von den Zeitgenossen aber
nur wenig angerechnet; diesen erschien er seiner 'Tapferkeit wegen so
bewunderungswürdig wie Gottfried von Bouillon und wegen seiner Fröm-
migkeit als ein zweiter Peter von Amiens.
§ 35. Ludwig IX. und der Beginn der französischen Vormacht-
stellung in Europa.
1 . Während der Abwesenheit des Königs hielt dessen Mutter Blanka
mit kräftiger Hand die Ordnung in Frankreich aufrecht. Nicht so
günstig als in den Ländern der Krone lagen die Verhältnisse in denen
der Grofsen. Ein Aufstand der Gascogner gegen die englische Herr-
schaft, der dem König von Kastilien Gelegenheit zur Einmischung gab,
nötigte Heinrich III., selbst nachdem Süden zu ziehen; die Unsicherheit
der englischen Herrschaft daselbst und die Unzulänglichkeit seiner Mittel
hielt ihn von dem Versuche ab, die Abwesenheit König Ludwigs zur
156 Die innere und äufsere Politik Ludwigs IX.
Wiedergewinnung der verlorenen Provinzen zu benützen. Die Kämpfe
im Norden (s. oben § 33) endeten erst nach Ludwigs Heimkehr damit,
dafs Guido von Dampierre die Nachfolge in Flandern, Johann von
Avesnes in Hennegau erhielt, auf welches letztere Karl von Anjou gegen
eine Geldentschädigung verzichtete. In der Provence war auf die Kunde
von der Gefangennahme des Königs und seiner Brüder ein Aufstand
gegen die verhafste Herrschaft seines Bruders Karl von Anjou entstanden.
Städte, die vordem fast republikanische Freiheiten genossen hatten und
dessen Regiment verabscheuten, wie Marseille, Aix, Arles, Nizza und
Avignon, erhoben sich und wurden erst nach Karls Ankunft unter-
worfen. In Marseille kam es allerdings noch 1256 und 1262 zu Auf-
ständen, die durch blutige Strafgerichte beendet wurden. In friedlicher
Weise vollzog sich dagegen die Erwerbung der Grafschaft Toulouse.
Nach dem Tode Raimunds VII. (1249) liefs Blanka das Land im Namen
ihres abwesenden Sohnes Alfons besetzen, der nach seiner Heimkehr
die Huldigung der Stände erhielt und in der Grafschaft eine Verwaltung
einführte, die sich eng an die französische anschlofs. Ludwig IX. rief
die Provinzialstände von Languedoc ins Leben, indem er befahl, dafs
sein Seneschall bei allen wichtigen Angelegenheiten die Prälaten, Barone
und > Bürger der guten Städte zu Rate ziehe.
2. In den auswärtigen Angelegenheiten befolgte der König eine
Politik des Friedens und der Versöhnung. Mit Jayme von Aragonien
schlofs er den Vertrag von Corbeil (1258, 11. Mai), in welchem Frank-
reich auf seine Lehenshoheit über Katalonien, Aragonien dagegen auf
seine Lehen im südlichen Frankreich verzichtete. Allerdings zerrissen
nun die Bande, die den Süden Frankreichs an den Norden Spaniens
knüpften. Dem englischen König gestand Ludwig zum Mifsvergnügen
der öffentlichen Meinung in dem Frieden von Abbeville (1259) den
Besitz von Perigord, Limousin und den Süden von Saintonge zu, wogegen
jener seine Ansprüche auf die Normandie, Anjou, Touraine, Maine,
Poitou und den Norden von Saintonge endgültig aufgab. Eine gleiche
Mäfsigung bekundete Ludwig in seinem Verhalten gegen Deutschland.
Wenn er als frommer Sohn der Kirche einerseits die Mahnungen des
Kaisers, auf seine Seite zu treten1), abwies, legte es ihm doch die alte
Verbindung der beiderseitigen Herrscherhäuser und das gemeinsame
Interesse der monarchischen Gewalten nahe, eine vermittelnde Stellung
einzunehmen. Wie er die Anerbietungen Gregors IX., die deutsche
Krone an einen Prinzen Frankreichs zu übertragen, zurückwies, so blieb
er auch Innozenz IV. gegenüber in strikter Neutralität, indem er einer-
seits Friedrich IL auch nach dessen Absetzung als Kaiser anerkannte,
anderseits aber den Papst schützte, als der Kaiser Miene machte,
gegen Lyon vorzurücken. Die Wirren im deutschen Reiche seit 1250
gaben gute Gelegenheit, Frankreichs Grenzen im Osten vorzuschieben,
1 Das Vorgehen des Papstes sei in praeiudicium iuHsdictionis regum etc. Es
ist eine Erläuterung des alten Satzes: Nam tua res agitnr. partes cum proximus nrdet.
Cremona, 1245, Sq>t. 22. Huill.-Breh. VI, 550.
Steigender Einflufs Frankreichs. Innerer Aushau des frz. Lehensstaates. 157
aber Ludwig begnügte sich mit den — freilich auch sehr bedeutenden —
Erwerbungen seines Bruders Karl in der Provence und mit dem Kauf
der Grafschaft Macon. Im Streit zwischen den Königen Alfons und
Richard stand er, den kapetingischen Traditionen entsprechend, auf kasti-
lischer Seite. So wenig gewalttätige Mafsregeln er auch in Anwendung
brachte, der Einflufs des französischen Königtums in Europa war fort-
während im Steigen. Abgesehen von den französischen Staatsbildungen
im Orient, verfiel Italien nach dem Sturz der Staufer den französischen
Machteinflüssen. Ludwig selbst erwarb sich durch seine Tugenden die
Stellung eines Schiedsrichters nicht blofs in den Angelegenheiten seiner
Vasallen, sondern auch aufserhalb Frankreichs. Willig legten die eng-
lischen Barone und Heinrich III. die Entscheidung ihrer Streitigkeiten
in die Hände eines Königs, der ihnen »als das personifizierte Recht« galt.
3. Mit dem äufseren Wachstum hielt auch der innere Ausbau des
französischen Lehensstaates gleichen Schritt. Weit entfernt, an den her-
gebrachten feudalen Rechten zu rütteln, erlangte das Königtum eine
derartige Macht und ein solches Ansehen, dafs sein Inhaber nicht mehr
wie früher der Erste unter seinesgleichen, sondern das schützende Ober-
haupt aller war, das selbst die feudalen Gewalten gegen Übergriffe oder
den Übereifer seiner Beamten und Diener in Schutz nahm. Das Parla-
ment genofs eine vollständige Unabhängigkeit, und keine Rechtsver-
letzung fand vor seinen Augen Gnade. Dabei wurden die Errungen-
schaften Philipps IL auf dem Gebiete der Rechtspflege und Verwaltung
in naturgemäfser Weise fortgebildet. Zu den Baillis und Senechanx
kamen die Enqiteteurs, meist Franziskaner oder Dominikaner, welche die
Beamten zu überwachen und Klagen wider sie an den König zu bringen
hatten. Aus dem alten Kronrat (grand conseil), der sich aus Grofswürden-
trägern, Baronen und Prälaten zusammensetzte, bildeten sich noch zwei
Sektionen heraus : für die richterlichen Angelegenheiten der oberste
Reichsgerichtshof (das Parlament) und für das Finanzwesen der oberste
Rechnungshof (Chambre des comptes). Auf dem Gebiet der Rechtspflege
wurde zunächst das Fehdewesen stark eingeschränkt. Schon Philipp IL
hatte verordnet, dafs eine angesagte Fehde erst nach 40 Tagen be-
gonnen werde (die Quarantaine), damit sich der Gegner rüsten oder des
Königs Entscheidung anrufen könne. Ludwig IX. verschärfte dieses
Gebot. Der Zweikampf vor Gericht wurde abgeschafft und an dessen
Stelle der Zeugenbeweis eingeführt. An die Stelle der Rache trat nun
der Rechtsspruch. W7er mit dem Urteil unzufrieden war, appellierte an
einen der vier Obergerichtshöfe (grands baillages), in letzter Instanz
an den König. Galt diese Appellation anfangs auch nur für das Kron-
land im engeren Sinne, so wurden immer häufiger die sogenannten
»Königsfälle«, meist schwere Kriminalfälle, überhaupt an das königliche
Gericht gebracht und dadurch die erbliche Gerichtsbarkeit der grofsen
Vasallen im wesentlichen auf rein territoriale Angelegenheiten einge-
schränkt. Es gab nunmehr in Frankreich keine souveränen Grofsen,
sondern grofse Vasallen unter einem Souverän. Das Parlament setzt
sich teils aus ständigen Räten, vom König ernannten Klerikern, Rittern
158 Die Kirchenpolitik Ludwigs IX
und Amtsleuten zusammen, teils wurden je nach der Rechtssache Kron-
beamte. Barone und Prälaten berufen, schon jetzt vielfach studierte
Juristen, denen Untersuchung und Berichterstattung zufiel. Daneben
blieben die alten Gewohnheitsrechte (coutumes) bestehen. Amtsmifsbraueh
wurde strenge geahndet; um selbst den Schein eines solchen zu ver-
hüten, wurde den Beamten verboten, ihre Kinder innerhalb ihres Amts-
bezirkes zu verheiraten oder Amter an Verwandte zu geben. — Der
Herstellung der Sicherheit in Handel und Wandel diente die grofse
Münzreform von 1263, die aber auch zur Hebung der Königsgewalt bei-
trug. Bisher hatten ungefähr 80 weltliche und geistliche Grofse das
Münzrecht, das sie oft genug zu ihrem Vorteil mifsbrauchten. Der König
setzte es durch, dafs die königliche Münze — und diese mufste stets
vollwichtig sein — an allen übrigen Orten allein, in dem Gebiete
dieser Grofsen aber neben ihrer Münze zirkulieren sollte. Als Freund
der Städte traf er für sie eine Menge Wohlfahrtsmafsregeln. Einzelne
wurden von drückenden Lasten befreit, andere erhielten städtische Ge-
rechtsame, in allen wünschte er taugliche Magistrate und eine geordnete
Verwaltung des städtischen Vermög?ns.
4. Der Kirche in aufrichtiger Weise ergeben, schützte er ihre
Rechte gegen die Eingriffe der königlichen Beamten, übte sein Recht der
Pfründenverleihung in mafsvoller Weise und unter Beobachtung der kirch-
lichen Satzungen aus und bewies vornehmlich den Bettelorden eine grofse
Zuneigung. Ihre Mitglieder bekleideten nicht blofs einflufsreiche kirchliche
Amter, sondern wurden auch zu diplomatischen Missionen und gewöhn-
lichen Amtsgeschäften verwendet; bevorzugt war der Predigerorden,
dessen Tätigkeit im Dienste der Inquisition alle Förderung fand. Aber
trotz seiner frommen Gesinnung und Ergebenheit gegen den hl. Stuhl
trat er allen Übergriffen der Geistlichkeit streng entgegen und schränkte
ihre Privilegien nicht unwesentlich ein. Er duldete das Vorgehen der
Barone und Kommunen, die sich wiederholt vereinigten1) (so namentlich
1246, 1247 und 1253), um die kirchliche Gerichtsbarkeit über die Welt-
lichen auf Ketzerei, Ehe- und Testamentsangelegenheiten einzuschränken
oder der Anhäufung irdischer Güter in der Toten Hand entgegenzutreten.
Der Papst Alexander IV. sah sich (1260) genötigt, den Klagen des Königs
über Mifsbrauch des Bannes und der geistlichen Jurisdiktion entgegen-
zukommen. Fortan sollte kein königlicher Richter, der einen Geistlichen
eines Kapitalverbrechens wegen festhalte oder verurteile, in den Bann
getan werden. Auch die Besteuerung des kirchlichen Vermögens aus
Anlafs der vom König unternommenen Kreuzzüge mufste sich der
Klerus gefallen lassen. Ludwig IX. galt bis in die neueste Zeit als der
eigentliche Begründer der gallikanischen Kirchenfreiheit. Nachdem er
verschiedenen Versuchen der Kurie, das Recht der Besteuerung fran-
zösischer Kirchen auszuüben und die geistliche Gerichtsbarkeit noch weiter
auszudehnen, entgegengetreten war, soll er 1269 die sog. pragmatische
Sanktion2) erlassen haben, welche die Verleihung französischer
1 Zum Teil auf die Aufforderung seitens des Kaisers Friedlich II.
* Der Ausdruck p r a g m a tische Sanktion stammt aus Byzanz.
Die angebliche pragmatische Sanktion Ludwigs IX. 159
Pfründen an Ausländer verbietet, der französischen Kirche die voll-
ständigste Wahlfreiheit sichert, gegen die Anhäufung von kirchlichen
Benefizien in einer Hand und gegen die drückenden und willkürlichen
Gelderpressungen der Kurie kämpft usw. Diese angebliche prag-
matische Sanktion ist eine Fälschung des 15. Jahrhunderts, die
auf Grundlage der sogenannten Reformation Philipps des Schönen vom
Jahre 1303 in der Zeit des Basler Konzils, und zwar im Hinblick auf
die Verhandlungen zu Bourges im Jahre 1438. angefertigt* wurde.1)
§ 36. Heinrich III. (1216—1272) und die Fortbildung der englischen
Verfassung.
Quellen. Urkk. u. Korrespondenzen : Patent Rolls of the Ejeign of Henry III.,
1216—32. Lond. 1901—03. Close Rolls, ib. 1902. Royal and other hist. letters illustrative
of the reign of Henry III., ed. W. W. Shirley 2 voll. Lond. 1862—66 (Roll. Series).
Staatsakten in Ryrner wie oben. Lettres of Cardinal Ottoboni. EHR. XV, 87. Sermons,
letters of K. Grosseteste in Brown, Fasciculus rer. expetendarum et fugiendarum.
Lond. 1690. Roberti Grosseteste, Epistolae, ed. Luard, Rolls Ser. Lond. 1861. Epp.
Adae de Marisco (Freund Simons v. Montfort) in MM. Franciscana, edd. Brever and
Howlett, Rolls Ser. 2 voll. Lond. 1858—1882. Excerpta e Rotulis finium 1216—72.
Lond. 1835'36. Reg. of St. Osmund, Rolls Ser. 78. Ramsey Cartulary, -ib. 79. Saruni,
Charters and Documents Rolls Ser. 97. The Red Book of the Exequer, R. S. 99.
Calendarium genealogicum. Henry HI. and Edward L, ed. by Ch. Roberts. London 1865.
Geschichtschreiber: Roger of Wendover (s. oben) steht mit seinen Sym-
pathien auf sehen des Königs u. des Papstes. Sein Fortsetzer ist Matthäus Paris, der
berühmteste Geschichtschreiber Englands im MA., in seiner Chronica maiora. Schon
Baronius nennt sein Werk ein »goldenes Buch, wiewohl befleckt durch Feindseligkeit
wider den hl. Stuhl«. Charakterist. bei Green I, 174. Matth. Par. ist ausgezeichnet
durch seine Unabhängigkeit u. Vaterlandsliebe. Ausgabe von Luard: Rolls Ser. 7 voll.
Lond. 1872—83. Excerpte MM. Germ. SS. XXVIII, 107—389. Andere Ausgaben s. bei
Potthast u. Grofs. Die Historia minor, ed. Madden, Rolls Ser. 3 voll. Lond. 1866
bis 1869 (ist eine gekürzte Redaktion, aber mit Zusätzen). Über Matth. von Paris
ist alles Wichtige zusammengestellt in Grofs, S. 300. Die Annales monastici, (ed. Luard,
ib. Nr. 36); vol. 1 — 4 (enthalten die Annales v. Margan, de Theokesberia, de Burton,
Wintonia, Waverleia, Dunstaplia, Bermundeseia [erst 1433 kompiliert], das chron.
Thomae Wykes u. die Annales de Wigornia, über den Wert der einzelnen s. Grofs 1. c.
In Betracht kommen vornehmlich die von Dunstable, Waverley u. Berrnondsey). In
S. Albans hat Rishanger die Tätigkeit des Matth. Paris fortgesetzt, aber ohne dessen
Geist u. Wissen : Chronica monasterii S. Alban II, ed. Riley in den Rolls Ser. Lond.
1865, 1876. Das Opus Chronicorum (Rishanger) s. in den Rolls Ser. 1866. R. ist ein
Bewunderer Simons von M. Das ist auch in den Annales Cestrienses, ed. Christie,
Lond. 1887, der Fall. Annales S. Pauli Londoniensis, ed. Liebermann. MM. Germ.
XXVIII. Coggeshall u. Coventry s. oben. Gloucester Robert of, The metrical chronicle,
ed. Wright Rolls Series. Lond. 1887. Fitz-Thedmar, De antiquis legibus liber, ed.
Stapleton. Lond. 1886. Flores Historiarum, ed. Luard. Rolls Series 3 voll. Lond. 1890.
Silgrave, Chronicon Henrici de . ., ed. Hook. Lond. 1849. John de Tayster, Chronica
abbreviata, ed. Luard, Rolls Series. Lond. 1859. Chronica de Mailros, ed. Stevenson.
Edinb. 1835. Chr. de Lanercost, ibid. 1839. Contin. chronici Willemi de Xovoburgo.
Rolls Ser. 82. Ann. monast. b. Mariae juxta Dublin, Annal. Irland., ed. Gilbert, Rolls
Ser. 80. Einzelnes in Knighton Rolls Ser. 92. Die Histoire de Guillaume Marechal
s. oben. Gesänge auf den Tod Montforts s. Grofs Xr. 2752. The song of Lewes, ed.
by Kingsford. Oxford 1890. Eine gute Zusammenstellung des Quellenmat. für die
Verfassungsgesch. Englands bietet auch für diese Periode Stubbs, Select Charters.
*) Über die Motive der Fälschung s. Scheffer-Boiehorst in den MJÖG. 8, 393.
1(30 Die Anfänge Heinrichs HL. von England.
H i 1 f s s c h r i f t e n. Die allg. Werke von Pauli, Green, Pearson, Gneist,
ß ü di n g e r j S t u b b s s. oben. Richardson, The national movement in the reign of
Henry III and its culmination in the Barons' war. Lond. 1897. Bemont, Simon de
Montfort, eomte de Leicester. Paris 1884. Pauli, Simon von Montfort. Tübingen 1861,
besser die englische, von Pauli revidierte Ausgabe Goodwins, London 1876. Prothero,
The life of Simon de Montfort. London 1877. Blaauw, The barons" war. Cambr. 1871.
Feiten, Robert Grosseteste. Freib. 1887. Lechler, Robert Grofseteste. Leipz. 1867.
Pauli, Robert Grosseteste u. Adam v. Marsh. Tübingen 1864. Stevenson, Robert
Grosseteste. Lond. 1899. L u a r d , R. Grosset. Dict. of nat. biography, J. Fortescue, The
Governement of England, ed. Plummer. Oxf. 1885. Gibson, The Parliament of 1264.
EHR. XVI, 499.
1. Nach dem Tode William Marshals, Grafen von Pembroke (1219),
übernahmen der Legat Pandulf, Stephan Langton und der Justitiar
Hubert de Burgh die Geschäfte, von denen der letztere bald die
mafsgebendste Persönlichkeit wurde. Ein Staatsmann noch aus der Schule
Heinrichs IL, sah er sich durch die Einmischung Roms, das bei des
Königs Minderjährigkeit Anteil am Regimente begehrte, vielfach gehindert,
bis es Langton (1221) durchsetzte, dafs nach Pandulfs Abberufung kein
Legat mehr nach England abgesendet wurde. Hubert de Burgh selbst
hing wie Langton mit ganzem Herzen an der noch vielseitig angefochtenen
Magna Charta. Allmählich gelangte der Grundsatz zur Anerkennung,
dafs einem jeden Zugeständnisse an die Krone die Abhilfe von Mifs-
bräuchen vorhergehen müsse. Man kann die ersten 16 Jahre der
Regierung Heinrichs III. als ein Adelsregiment bezeichnen, das in
seinem Namen geführt wurde. Seitdem er aber grofsj ährig geworden
(1227), war Huberts Einnufs im Sinken. Nach Langtons Tode (1228)
wendeten sich die Dinge vollends zum Schlimmen. Der König trat
immer eigenmächtiger auf, und Rom kehrte England gegenüber immer
mehr den Herrscher heraus. Da die Barone die unaufhörlichen For-
derungen des Königs zurückwiesen, verlangte er den Zehent von allem
beweglichen Gut des Klerus ; die Patronatsrechte wurden mifsachtet und
die besten Pfründen des Landes schon jetzt für Italiener reserviert.
Ein grofser Teil der Landesbewohner erhob sich gegen dies Verfahren,
und Hubert stand mit seinen Neigungen auf Seiten des Volkes. Da liefs
der König eine Untersuchung gegen seine Verwaltung einleiten, die
seinen Sturz zur Folge hatte. Damit beginnt (1232) die Epoche des
persönlichen Regiments des Königs, die zwei Jahrzehnte andauerte.
Heinrich III., der nichts von dem hinterhältigen Wesen seines Vaters an
sich hatte, dem freilich auch die politische Begabung seiner Vorgänger
fehlte, strebte nach der Wiedergewinnung des kontinentalen Besitzes und
der Abschaffung der durch die Magna Charta geschaffenen Ein-
schränkungen der königlichen Gewalt. Hiebei geriet er auf der einen
Seite in einen Streit mit Frankreich, auf der andern mit den Interessen
des eigenen Landes. Mit Vorliebe nahm er Fremde in seine Dienste.
Den gröfsten Einnufs gewannen die Oheime seiner Gemahlin Eleonore
von der Provence, Peter von Savoyen und Bonifaz, welch letzteren er
zum Erzbischof von Canterbury ernannte; da seine in zweiter Ehe an
einen Edelmann aus Poitou verheiratete Mutter ihre Verwandtschaft nach
England zog, gelangte die Verwaltung in Hände, denen Englands Gesetze
Das Parlament. Die ständische Opposition. Simon von Montfort. 151
und Gewohnheiten völlig fremd waren, so clafs anarchische Zustände
eintraten. Als der grofse Rat dem König die Mittel zur Zahlung seiner
Schulden bewilligte, mufste er die Magna Charta bestätigen (1237). Nicht
lange nachher tauchte der Name Parlament auf1) und wird von nun
an häufiger, ohne noch die älteren Bezeichnungen Colloquliim oder Con-
ciliam zu verdrängen.2) Trotz der Bestätigung der Magna Charta hielt sich
der König ebensowenig an ihre Bestimmungen, wie er die Proteste der
Barone beachtete. Am meisten litt die englische Geistlichkeit durch die
Exaktionen der Kurie, die allmählich den Widerstand des Landes und
schliefslich selbst des Königs hervorriefen. Allerdings genügte schon die
Drohung mit dem Interdikt, um ihn von diesem Weg abzulenken; doch
drängte diese Nachgiebigkeit und seine Verschwendung der Geldmittel
geistliche und weltliche Magnaten in die Opposition. Von 1244 an wird
weder ein Grofsrichter, noch ein Kanzler, noch ein Schatzrichter ernannt,
sondern die Verwaltung bei Hofe von Bureaubeamten geführt. Daher
begehrten die Grofsen für die Unterstützung, die der König beim
ungünstigen Fortgang des Krieges verlangte, dafs nicht blofs die Magna
Charta aufs neue bestätigt, sondern auch die Wahl des Justitiars, Kanzlers
und Schatzmeisters von der Reichsversammlung vollzogen und dem
König ein ständiger Staatsrat beigegeben werde (1248). Dagegen suchte
sich Heinrich III. durch populäre Verwaltungsmafsregeln, namentlich
dadurch, dafs das Verfahren der Grundherren gegen ihre Hintersassen
überwacht und diese gegen Übergriffe geschützt wurden, ein Gegen-
gewicht gegen die Barone zu schaffen ; aber schon haben diese für ihren
Kampf um die Aufrechterhaltung der reichsständischen Regierung einen
Führer gefunden, und damit beginnt die dritte Epoche (1252 — 1266)
der Regierung Heinrichs III.
2. Simon von Montfort, der vierte Sohn des berühmten Führers
der kirchlichen Parteien im Albigenserkriege, hatte als Erbe die englische
Grafschaft Leicester erhalten und durch sein ritterliches Auftreten die
Hand Eleonorens, der Witwe William Marshals des Jüngeren und Schwester
des Königs, erworben. Dadurch wurde die Mifsgunst der einheimischen
Barone gegen den Ausländer wachgerufen. Zugleich eiferte die Kirche
gegen die Ehe, da Eleonore nach ihres Gatten Tod Witwenschaft gelobt
hatte. Nachdem er die Dispens des Papstes erhalten, wurde er unter
die Räte des Königs aufgenommen. Wegen seiner Beziehungen zu
Friedrich IL fiel er in Ungnade und flüchtete nach Frankreich. Der
würdige Kirchenfürst Englands, Bischof Robert Grosseteste, her-
vorragend durch Frömmigkeit und Wissen und nicht zuletzt auch durch
seinen Eifer für die Rechte der englischen Kirche, brachte (1240) eine
Versöhnung zustande. • Der Kreuzzug, den Montfort hierauf unternahm,
erhöhte seinen Ruhm, so dafs die Grofsen Jerusalems ihn vom Kaiser
als Statthalter für die Zeit der Minderjährigkeit Konrads IV. erbaten.
Er kehrte indes in die Heimat zurück und tat sich im Kriege gegen
x) Zuerst 1246 bei Matth. Paris. Im offiziellen Gebrauch zuerst 1258.
2) Näheres bei Gneist, S. 263.
Löserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 11
152 Die Provisionen von Oxford.
Frankreich durch Umsicht und Tapferkeit hervor. Als Gouverneur von
Poitou schirmte er die Rechte des Königtums gegen die grofsen Vasallen
und schützte das Volk gegen deren Druck; dadurch zog er sich den
Hafs der Barone zu. die ihn beim Könige in Mifsgunst setzten. Nach
dem Tode Blankas dachten die französischen Grofsen daran, ihn bis
zur Heimkehr Ludwigs IX. mit der Regentschaft zu betrauen. Er lehnte
sie ab. In England wurden inzwischen die Zustände immer trostloser.
Die für die sizilischen Projekte des Königs (s. oben) und die Kreuzzugs-
steuern erhobenen Gelder drückten auf das Land, »das mit allen seinen
Reichtümern dem Papste dienstbar und dessen Krone gleichsam ein
Organ der Hierarchie war.1) Auf der Versammlung zu Westminster
kam es 1258 zu einem allgemeinen Ausbruch der Unzufriedenheit.
Montfort stellte sich an die Spitze der unzufriedenen Barone, die nun
für den König in den : Provisionen von 0 x f o r d eine A rt vormund-
schaftlicher Regierung einsetzten2).
24 Vertrauensmänner hatten vier Männer zu bezeichnen, die einen aus 15 Mit-
gliedern bestehenden Rat, gleichsam ein Reichsministerium, einsetzten, dessen Mehr-
heit dem König förmlich die Regierung aus den Händen wand. Der Ausschufs der 24,
der nicht zurücktrat, A'erlangte genaue Befolgung der oft beschworenen Freiheitsbriefe.
Ihm sollte die Ernennung des Justitiars, Kanzlers und Schatzmeisters zustehen. Das
Parlament sollte dreimal im Jahre abgehalten werden. Zu diesen Gerichtsversanunlungen
erscheinen auch che 15 Räte des Königs und ein Ausschufs von 12 Magnaten, welche
die allgemeinen Reichsangelegenheiten erledigen. Ihren Beschlüssen hat sich die
<Tesamtheit zu fügen. Vier gewählte Ritter aus jeder Grafschaft haben die Beschwerden
der Kreise für das nächste Parlament aufzunehmen.2 Mit der Kerze in der Hand,
mnfste der Kimig die Provisionen beschwören.
Die neue Politik Englands war die : keine Zahlungen an Rom,
Rücktritt vom sizilischen Unternehmen. Friede mit Frankreich und
Wales. Alle Macht war in Montforts Händen, und ihm gelang es, mit
Frankreich Frieden zu schliefsen (s. oben). Aber wie einst Johann
gewann auch Heinrich III. die Hilfe des Papstes, der die Statuten (1261)
verdammte. 4) Die Verwirrung im Reiche stieg von Jahr zu Jahr. Eine
Zeitlang erhielt der König die Oberhand. Darauf erhoben sich die
Barone unter Simon zum Schutz der Oxforder Bestimmungen. Auch
die Städte, in denen der demokratische Geist das Übergewicht gewann,
schlössen sich an; die Geistlichkeit und die Universitäten ergriffen für
Montfort Partei. Viele vom Adel hielten dagegen zum König. Beide
Teile riefen das Urteil Ludwigs IX. an, und dieser entschied zugunsten
Heinrichs, eine Entscheidung, die auch die Bestätigung des Papstes
erhielt. Danach sollten die Provisionen aufgehoben und dem König
das Recht gewahrt werden, sich seine Räte nach Belieben zu wählen.
Montfort und die Bürger von London widersetzten sich dieser Ent-
scheidung, und die Bürger griffen zu den Waffen. Das königliche Heer stand
unter dem Befehl des Kronprinzen Eduard. Als der König Montforts
1 Ranke, Werke XIV, 57.
* (meist 264.
3 Ebenda S. 265.
Kymer I, 405, 406.
4
Simon villi Montfort, Stifter des Hauses der Gemeinen. 103
Vorschlag, die Oxforder Provisionen zu beschwören, zurückwies, kam es
am 14. Mai 1264 bei Lowes zur Schlacht, Das Feldherrntalent Eduards
war dem Montforts nicht gewachsen. Heinrich III., sein Bruder, der
deutsche König Richard und der Kronprinz wurden gefangen. Morjtfort
stand jetzt an der Spitze des Staates. Begeisterte Sänger feierten ihn
in kräftigen Liedern.1) Er nutzte seinen Sieg mafsvoll aus : Die Oxforder
Provisionen sollten einem Schiedsgericht unterworfen, Fremde von ein-
heimischen Ämtern ausgeschlossen und strenge Sparsamkeit im königlichen
Haushalt eingehalten werden. Aber Ludwig IX. lehnte das schieds-
richterliche Amt ab, und der Papst verurteilte die Sache der Barone.
Li n seinen Anhang zu stärken, rief Montfort nicht nur wie früher zwei
Bitter aus jeder Grafschaft, sondern auch je zwei Bürger aus einer Anzahl
von Flecken ins Parlament. Es Avar das erstemal, dafs auch Kauf-
leute und Handwerker an den Beratungen teilnahmen. Simon von
Montfort ist sonach Stifter des Hauses der Gemeinen. Trotz
alledem war sein Ansehen bald nachher erschüttert. Den auswärtigen
Verhältnissen gegenüber war er gewachsen, aber die Schwierigkeiten im
Innern wurden immer gröfser. Die Gefangenhaltung des Königs und
des Kronprinzen entfremdete ihm die Massen. Es gelang dem Kronprinzen,
zu entkommen und ein Heer zu sammeln. Bei Evesham kam es (1265)
zur Schlacht, und Montfort fiel. An seinem entseelten Leib nahmen die
Gegner schmähliche Rache. Dem Volke freilich galt er als ein Heiliger2),
der für den Frieden, die Freiheiten und das Heil des Landes gefallen.
Nun nahm der König wieder die volle Gewalt in Anspruch, und damit
beginnt die Schlufsperiode dieser Regierung. Auf dem Parlament von
Kenilworth (1266, 31. Oktober) wurden zwar die Provisionen von Oxford
nochmals verworfen; da hierüber aber neue Bewegungen ausbrachen,
mufste die Krone doch wieder in Montforts Bahnen einlenken, und der
Kronprinz selbst war es, der seinen Vater hiezu bewog. Beim Parlament
von 1267 fanden sich neben den Magnaten wieder Verordnete der Städte
ein. Das Land genofs hierauf eines vollständigen Friedens, so dafs Eduard
einen Kreuzzug (s. unten) unternehmen konnte.
3. Kapitel.
Das Ende der Kreuzzüge.
§ 37. Der Untergang des lateinischen und die WiederaiiMcktiing
des griechischen Kaisertums. Die kleinen lateinischen Staaten in
Griechenland.
Q uellcn: S .H o p f in Ersch-Gruber KE. 85, 200—205. K r u mbacher, Gesch.
d. byz. Lit. 2. A. München 1897, und Molinier III. Hauptquelle : Georgios Akro-
polites (f 1282): Xqovmj] avyyqacfi] 1204—1261 (schwulstig, aber zuverlässig). Krumb. 286 \
ed. Bonn 1836. Georgios Pachymeres(f nach 1308): De Michaele etAndronico Palaeologis
*) Fides et fidelitas — ^Symonis solius — Fit jjacis integritas — Angliae tothis.
2) Salve Simon Montis fortis etc. Fue'runtque qui dicerent ad sepulclirum eins
multafieri miracula. Cont .chron. Will, de Novoburgo. Über die Schlacht s. Köhler III, 302*
11 *
1(34 Allgemeine Lage des lateinischen Kaisertunis.
libri XIII, 1255 — 1308, ed. Bonn 1836. Streng nation.-griech. Standpunkt in der Unions-
frage, s. Krumb. 289, dort auch über Seldjoug Namen als Quelle für die Gesch. v.
Byz. im 12. u. 13. Jahrh. Xikephoros Gregoras der gröfste Polyhistor, der letzten
zwei Jahrh. in Byz. f um 1359): 'Iorooia 'Pcopaucq 1204 — 1351. Bonn 1829 — 1855. Typikon
Michaels VIII, ed. Gedeon 1895 Krumb. 318). Ephraemius Byzantinus, Yitae caesarum
bis 1261. Cor}», bist. Byz. Bonn 1840. Michael Panaretos : IJsol xä,v t/~5 Toan^oxvxoz
ßaadecov 1204 — 1426, ed. Tafel. Frankf. 1832 Krumb. 393 . Xqovocov tcZv ev 'Pwfiavht
koli iiahara ev r<o Mooe'q Tio/.eucov rcov (Poäyy.cov bis 1292, gew. Chronique de Mor^e
genannt, behandelt nach einer grösseren Einleitung die Gesch. der Feudalstaaten der
Lateiner im Peloponnes. Sie ist in Versen. Es gibt zwei griechische, eine französische,
aragonische u. italienische Bearbeitung. Die griech. in Buchon, Recherches historiques
sur la principaute francaise de Moree, tom. IL Andere Ausg. s. Potth. I, 294, s. auch
Hopf, p. 203 u. Krumbacher 834. Der Verf. ist ein gräzisierter Franke Gasmule .
Marino Sanudo Torsello : Istoria del regno di Romania sive regno di Morea. 4 parti,
ed. Hopf, Chroniques Greco-Romanes 99 — 170. Giovanni Musachi Chron. in Hopf,
Chron. Grec.-Rom. Über Ramon Muntaner s. unten.
Hilf s s chrif t e n ; Du Fresne du C an ge : Historia Byzantina duplici com-
mentario illustrata. Paris 1680. Histoire de Tempire de Ople. sous les empereurs Franeois.
Paris 1668. Ch. Le Beau, Histoire du Bas-Empire. Paris 1757 — 1784, ed. >t Martin,
21 voll. Paris 1824 — 36. Gibbon, History of the decline and fall of the Roman cmpire,
wie oben. Finlay, History of the Byzantine and Greek empires fi'om 716 — 1453,
vol. II, 1854. History of Greece from its Conquest by the Crusaders to its Conquest
by the Turks and of the Empire of Trebizond 1851. Deutsch von Reiching. Tübingen 1853.
AV. de Brunet de Presle et A. Blanchet, La Grece depuis la conquete romaine.
Paris 1860. K. Hopf, Geschichte Griechenl. v. Beginn d. MA. in Ersch u. Gruber,
RE. I. Sekt., 85. u. 86. Bd. Lpzg. 1867/68. Schlosser, Weltgesch. in zusammenh.
Erzählung. III, 2. 1. Abt. 1824. Hertzberg, Gesch. Griechenl. seit d. Absterben des
antik. Lebens. 3 Teile. Gotha 1876/78. Gesch. d. Byzantiner u. des osmanischen Reiches.
Berlin 1883. Oman, The Byzantine empire. London 1892. Rambaud in Lavisse-
Rambaud, Hist. generale III. Geiz er, Abrifs d. byz. Kaisergeschichte in Krumbacher,
s. 911 — 1067. AVerke griechischer Autoren sind: Pap'arrhegopulos, 'Iarooia rov
' E'ür,viy.ov efrvovg. 5 Bde. 2. Aufl. Athen 1887—1888. KaXXiyag, MsUrai Bviavxivtje,
loTooiag 1204 — 1453. Athen 1894. Stamatiades, 'loxooio. xri rV.cuoeats toi BiZarriov
vTxo röji' <Pprr/y.cor y.a't tt}g avtod'i t^ovoias avtiov 1204 — 1261. Athen 1865 Fallmcrayer,
Gesch. d. Halljinsel Morea während d. MA. Stuttg. 1830/36. — Gesch. d. Kaisertums
Trapezunt. München 1827. Gregorovius, Gesch. d. Stadt Athen im MA. 2 Bde.
Stuttgart 1889. Buchon, Recherches et materiaux pour servir ä une hist. de la
domination franc. aux 13 — 15 siecles. 2 voll. Paris 1841. Xouvelles recherches historiques
sur la principaute franc. de Moree et ses hautes baronnies. 2 voll. Paris 1843. Hist.
des conquetes et de l'etablissement <les Francais dans les etats de l'ancienne Grece.
Paris 1846. De Mas Latric, Les princes de Moree ou d'Achaie 1203—1261. Yen. 1882.
Beving, La principaute d'Achaie et de Moree 1204 — 1430. Brüssel 1879. Schlum-
berger, Xumismatiijue de l'Orient latin. Paris. 1875. Jirecek, Gesch. d Bulgaren.
Prag 1876. Norden, Das Papsttum u. Byzanz. Berl. 1903. Ausf. Lit. -Angaben bei
Krumbacher, S. 1068 ff.
1. Trotz der Unterstützuno- durch das Papsttum hielten die lateini-
schen Kaiser mit Mühe ihre schlecht begründete Herrschaft aufrecht;
dagegen waren unter den griechischen Reichen Nikäa und Epirus in
unaufhaltsamem Wachstum begriffen, nur Trapezunt vermochte den
Wettstreit mit beiden nicht auszuhalten. In diesen drei Staaten fanden
die von den bürgerlichen und militärischen Stellen des lateinischen
Kaisertums ausgeschlossenen Griechen Gelegenheit zur Entfaltung ihrer
Kräfte. Gebot Michael (Angelos Komnenos) bereits über Epirus,
Albanien und Thessalien, so eroberte sein Nachfolger Theodor (1214
bis 1230) Thessalonich, schob die Grenzen seines Reiches bis nach
Epirus und Nikäa. Theodor Lascaris und Vatatzes. 1G5
Adrianopel vor und liefs sich durch den Erzbischof von Achrida zum
Kaiser der Romäer krönen. Es war der erste grofse Erfolg der Griechen
über die Lateiner. Theodors Herrschaft reichte bereits vom Adriatischen bis
zum Schwarzen Meere. Noch bedeutender wurde die Macht des Kaisertums
Nikäa. 'Schon Theodor Lascaris (1204 — 1222) dehnte dieses Reich
in siegreichen Kämpfen gegen die Lateiner, Türken und Trapezunt über
Bithynien, Mysien, Lydien, Ionien und einen Teil von Phrygien aus.
Er wurde hiebei von seinem Schwiegersohn Johannes Dukas Vatatzes,
einem tüchtigen Feldherrn und Staatsmann, unterstützt. Seine Absichten
gingen bereits auf die Wiederherstellung des griechischen Gesamtreiches.
Hierin sah er sich aber durch die Bulgaren unter ihrem tatkräftigen
Fürsten Johann Äsen IL (1218 — 1241), dann durch die Beherrscher von
Naxos, Athen und Achaja, durch die Venezianer, die ein starkes Interesse
an der Erhaltung der kleinen lateinischen Staatswesen hatten, und deren
Hauptstützpunkt Kreta wurde, endlich durch den Epirotenfürsten Theodor
gehindert. Nach Lascaris' Tode ergriff Vatatzes (1222 — 1254) bei der
Minderjährigkeit des Thronfolgers mit fester Hand die Zügel der Re-
gierung. An militärischen und diplomatischen Talenten überragte er
seinen Vorgänger. Im Bunde mit Epirus schlug er die Franken so
nachdrücklich, dafs die Griechen zu ihm bereits als zu ihrem Befreier
emporblickten. Als er aber Adrianopel besetzte, stiefsen seine Interessen
mit denen von Epirus zusammen, und die Eifersucht dieser beiden
griechischen Staaten war es, die das lateinische Kaisertum (s. § 15)
rettete. Diesem verblieb nur noch ein kleiner Rest seines Besitzes in
Asien. Theodor von Epirus wurde in einem Streit mit den Bulgaren
an der Maritza geschlagen und gefangen (1230). Die Bulgaren setzten
sich nun in den Besitz Adrianopels und nahmen das Innere Mazedoniens
bis Serrä und Achrida und Albanien bis Durazzo. Thessalonich, der
Rest des epirotischen Reiches, und der Kaisertitel fielen nun an Manuel
Angel os (1230 — 1240), den Schwiegersohn Asens, einen Bruder Theodor
Angelos' und Gegner des Kaisers Vatatzes. Unter diesen Umständen
glaubte Johann von Brienne (s. § 15) den Kampf gegen Nikäa wieder
aufnehmen zu können. Vatatzes wies jedoch die Angriffe der Lateiner
nicht nur ab, sondern schlofs einen Bund mit den Bulgaren. Kon-
stantinopel wurde (1236) zu Wasser und zu Land belagert und nur durch
die Tapferkeit des Regenten, dem die Venezianer und peloponnesischen
Franken zu Hilfe geeilt waren, gerettet. Nach Briennes Tod gab Äsen
die Allianz mit Nikäa auf und verbündete sich mit dem Kaiser von
Konstantinopel. So war es jetzt die Eifersucht der Bulgaren und Griechen,
die das lateinische Kaisertum rettete. Freilich besafs Balduin IL bei
seinem Regierungsantritt (1237) nicht viel mehr als das Weichbild der
Stadt. Von den 25 Jahren seiner Regierung brachte er mehr als die
Hälfte im Auslande zu, wo er als Hilfeflehender erschien; oft genug
mit Hohn und Spott behandelt, in England erst nach langem Zögern
zugelassen und selbst in Frankreich kühl empfangen, gab er die Reste
seines Privatbesitzes, ja selbst die Reliquienschätze seines Reiches dahin.
Und doch waren alle diese Opfer vergebens. Auch die Bündnisse, die
166 Machtstellung Nikäaa unter Vatatzes und Theodor IE. Michael Paläologos.
er zum Arger der Christenheit mit Türken und Kumanen schlofs, be-
freiten ihn nicht aus seiner Not; dabei bestanden die alten Übelstände
in der Hauptstadt fort: die venezianischen stritten mit den übrigen
Prälaten, die Griechen verabscheuten die kirchliche Union, und die
Mittel des Reiches wurden immer unzulänglicher. Einzelne Erfolge der
Venezianer änderten an dieser Lage nichts, und Vatatzes dehnte seine
Herrschaft bereits über die Küsten von ganz Kleinasien und die meisten
Inseln des Agäischen Meeres aus. Je eifriger sich der Papst für das
lateinische Kaisertum einsetzte, um so eher gewann Vatatzes, trotzdem
er sich gleich seinem Vorgänger zeitweise um Roms Freundschaft be-
mühte, die Hilfe Friedrichs IL, mit dessen Tochter Anna, der Schwester
Manfreds, er sich vermählte (1241). Als nach dem Tode Asens II. ein
neunjähriges Kind auf den bulgarischen Thron gelangte, stand den
weiteren Fortschritten des ATatatzes kein- Hindernis im Weg. Die Bul-
garen mufsten die meisten ihrer Eroberungen herausgeben, das epirotische
Regentenhaus auf den Kaisertitel verzichten und Salonichi abtreten.
Vatatzes verstand es auch, sein Reich im Innern zu kräftigen. Er ver-
besserte die Verwaltung, sorgte für den Wiederanbau verödeter Ländereien
und liefs seine eigenen Domänen musterhaft bewirtschaften. In gleicher
Weise war er für die Hebung von Gewerbe und Handel besorgt. Wie-
wohl von dem Wunsche beseelt, das griechische Reich in seinem alten
Umfang wiederherzustellen, übte er Schonung gegen jene feudalen Ge-
walten, die grofse Länderstrecken kolonisiert oder zahlreiche kriegerische
Dynastien in den Küstenlandschaften und auf den Inseln gebildet hatten.
2. Auf Vatatzes folgte sein Sohn Theodor IL (1254—1258), der,
nicht weniger begabt als Vatatzes, aber heftiger und strenger als dieser,
Kriege gegen die Bulgaren und Epiroten führte. Auch seine Verwaltung
stand der des Vaters nicht nach. Nach seinem frühen Tode folgte sein
achtjähriger Sohn Johannes Lascaris (1258 — 1259), dessen Vormund-
schaft er dem Patriarchen Arsenius und seinem Günstling Muzalo über-
lassen hatte. Eine so bewegte Zeit ertrug kein Knabenregiment, Als
Muzalo den fremden Söldnern ein ihnen von Theodor verheifsenes Ge-
schenk versagte, entstand eine Militärrevolte, und der General Michael
Paläologos, ein Mann aus altem, dem Kaiserhause verwandten Geschlechte,
dessen militärische Tüchtigkeit schon Vatatzes anerkannt und dem
Theodor IL stets ein berechtigtes Mifstrauen gezeigt hatte, wurde nun
mit dem Range eines »Despotes;< als Vormund des jungen Kaisers an
die Spitze der Geschäfte gestellt. Schon nach kurzer Zeit liefs er sich
als Michael VIII. (1259 — 1282) zum Mitkaiser krönen. Unter dem
Eindruck der nächsten Ereignisse fand auch die Person des legitimen
Herrschers keine Schonung. In Epirus hatte nämlich Michael Angelos
Komnenos eine Allianz mit Manfred von Sizilien und Wilhelm von
Achaja (s. unten) in der Hoffnung geschlossen, die alte Stellung in Thessa-
lonich zurückzugewinnen. Michael wurde hiedurch zum Kriege gezwungen.
In der Ebene von Pelagonia schlug er (1259, Oktober) seinen Gegner
so entscheidend, dafs er im Frieden von 1262 auf sein epirotisches
Stammland beschränkt und Wilhelm von Achaja genötigt wurde, wichtige
Untergang d. lat. Kaisertums. Neu-Frankreich in Mittel- u. Südgriechenland. 167
Plätze abzutreten. Der Sieg von Pelagonia hatte Michael in der Absicht
bestärkt, den Entscheidungskampf um Konstantinopel zu beginnen. Zu
dem Zwecke knüpfte er mit den Bulgaren und den auf Venedig eifer-
süchtigen Genuesen freundschaftliche Beziehungen an und schlofs mit
diesen zu Nymphäum (1261, Januar) einen Vertrag, der alle die Vorteile,
die Venedig bisher genossen hatte, den Genuesen zuwies. Dann überfiel
sein Feldherr Alexios Strategopulos im Einverständnis mit dem griechi-
schen Teil der Bevölkerung Konstantinopel. Balduin II. entfloh nach
Euböa. Ihm folgte der gröfste Teil der lateinischen Einwohner, voran
der Klerus. Am 15. August 1261 hielt Michael einen prunkvollen Einzug
und liefs sich in der Sophienkirche krönen. Der junge Kaiser Johannes
wurde geblendet und eingekerkert. Wiewohl sich das Ereignis ohne
Mithilfe der Genuesen zugetragen hatte, wurden diesen die Vorteile des
Vertrags von Nymphäum gewährt. Mit der Eroberung Konstantinopels
war das griechische Kaisertum, allerdings nicht in seinem früheren Um-
fange, wieder hergestellt. In der Griechenwelt wurde das Ereignis freudig
begrüfst, in den einsichtsvollen Kreisen befürchtete man freilich von
der Rückkehr nach Konstantinopel eine abermalige. Vernachlässigung
der Provinzen zugunsten der Hauptstadt. Balduin entwich in das
Abendland und machte von dort aus Versuche, sein Reich zurückzu-
gewinnen. Als er 1273 in Apulien starb, erbte sein Sohn Philipp seine
Ansprüche. Mit ihm beginnt die lange Reihe lateinischer Titularkaiser.
3. Ein besseres Geschick als das lateinische Kaisertum hatten die
kleinen lateinischen Lehensstaaten in Mittel- und Südgriechenland und
auf den Inseln. Der Teil Griechenlands südlich von Salonichi war unter
eine Anzahl von Lehensträgern verteilt worden, die das Recht erhielten,
feste Schlösser zu bauen, Münzen zu prägen, Gerichtshöfe zu errichten
und Kriege mit ihren Nachbarn zu führen. x) Von diesen Staaten ge-
langten drei: Athen, Achaja und Xaxos, zu gröfserer Bedeutung.
Die Eroberung bot bei der Gleichgültigkeit der griechischen Bevölkerung
den Ereignissen der Hauptstadt gegenüber keine grofsen Schwierigkeiten.
Die Sieger hielten sich einige Generationen hindurch von den Besiegten
unvermischt, so dafs ihr Unternehmen den Charakter einer kriegerischen
Eroberung mit dem einer kolonialen Niederlassung vereinigte. Das Land,
von abendländischen, meist französischen Rittern besiedelt, wurde in
gewissem Sinne ein Xeu-F rankreich, das sich bis in die Zeiten der
osmanischen Eroberung behauptete. Die Landschaften, durch starke
Befestigungen geschützt, erhielten eine geordnete Verwaltung, unter der
sie kräftig aufblühten. Ein burgundischer Edelmann Otto de la Roche
(1205 — 1225), hatte von dem König Bonifaz Athen und Theben als
Lehen erhalten. Er liefs den Griechen nicht nur ihren Privatbesitz, die
lokalen Institutionen, Gesetze und Kultus, sondern trat auch den zu
weitgehenden Ansprüchen der abendländischen Kirche entgegen. Nach
Bonifaz' Tode machte er sich selbständig, leistete dagegen auf dem
Reichstag von Ravennika (1210) dem Kaiser Heinrich die Huldigung.
*) Finlay, S. 144, 190.
Ißg Das Herzogtum Athen. Die Vülehardouins in Morea.
Er residierte in Theben. Als er 1225 mit seinen Kindern nach Frank-
reich zurückkehrte, überliefe er seine Herrschaft seinem Neffen Guido,
unter dem sie einen weiteren Aufschwung nahm. In einen Streit mit
dem Fürsten von Achaja verwickelt, erhielt er von König Ludwig IX.,
der zum Schiedsrichter angerufen wurde, den Titel eines Herzogs von
Athen. Guidos Dynastie erlosch im Mannestamm 1308, und das Herzog-
tum gelangte an das Haus Brienne. — Der Peloponnes war bei der
Reichsteilung den Venezianern zugefallen. Aufserstande, alle ihnen zu-
geteilten Plätze selbst zu besetzen, nahmen sie Fremde in Sold. Zu
ihnen gehörte Gottfried von Yillehardouin, ein Neffe des gleichnamigen
Marschalls. Im Bunde mit Johannes Kantakuzenos, einem Schwager
des Kaisers Isaak, eroberte er den westlichen Teil des Peloponnes. Da
er klug genug war. den Einwohnern ihre Gesetze und Gewohnheiten
zu lassen, erhielt er deren Huldigung. Nach dem Tode seines Ver-
bündeten brach dessen Sohn den Vertrag, verband sich mit Sguros, dem
Tyrannen von Nauplion, und Michael von Epirus. Rasch entschlossen,
bat Villehardouin den König Bonifaz um Hilfe, lehnte aber dessen An-
erbieten, in seine Dienste zu treten, ab, da er in seinem alten Waffen-
bruder Wilhelm von C h am p litte einen Verbündeten fand, der bereit
war, mit ihm den Peloponnes zu erobern. Wilhelm stammte aus einer
Grafenfamilie der Champagne. In den Augen Villen ardouins mochte er
als rechter Erbe der Champagne gelten, daher erkannte er ihn willig
als Oberherrn an. Beide schlugen die Griechen bei Kondura, und Wil-
helm nahm nun den Titel eines »Fürsten von ganz Achaja« an. Das
Volk, das bisher unter dem Druck seiner Optimalen geseufzt hatte, be-
hielt seine Gewohnheiten und diente den neuen Herrschern wie früher
dem Kaiser. Die Kunde vom Tode seines Bruders bewog Champlitte
(1209), Achaja zu verlassen. Er starb auf der Heimkehr und bald nach
ihm sein Neffe Hugo, den er als Statthalter zurückgelassen hatte. Um
einer Anarchie zu entgehen, wählten die Lehensträger nunmehr Villehar-
douin zum Fürsten. Gottfried I. (1209 — 1218) und seine Nachfolger
Gottfried II. (1218—1245) und Wilhelm I. (1245—1278) waren kriegs-
gewandte Männer, die allmählich ganz Morea1) in Besitz nahmen. Das
Fürstentum zählte schon unter Gottfried I. zehn Baronien mit 94 Ritter-
lehen. Der Klerus, an dessen Spitze der Erzbischof von Patras stand,
nachdem die griechischen Bischöfe das Land und ihre Kirchen verlassen
hatten, war tatsächlich säkularisiert und mit Ritterlehen ausgestattet, wie
solche auch den Ritterorden zugewiesen wurden.
4. Auch im Archipel gaben die Venezianer Adeligen die Erlaubnis,
einzelne Teile des einstigen griechischen Reiches als Lehen Venedigs
in Besitz zu nehmen. So kamen Andros, Tinos, Chios und andere
Inseln in den Besitz venezianischer Familien, wie der Dandolo, Ghisi,
Giustiniani u. a. So sehr soll die Leidenschaft, auswärtigen Landbesitz
1 Dieser Name (hwota = Maulbeerland kommt erst seit der franz. Herrschaft
im Peloponnes vor und ist nicht von den Byzantinern, unter denen ihn zuerst
Pachymerea gebraucht, gebildet worden, sondern verdankt seine Entstehung den
Franken. S. Hopf, Gr. Gesch. 264 — 267. Krumbacher 412.
Die lut. Herrschaften im Archipel. Syrien seit 1254. 159
zu suchen, die Gemüter aller Stände Venedigs erregt haben, dafs man
öffentlich darüber sprach, ob es nicht geratener sei, den Sitz der Re-
gierung aus Venedig hinweg nach Konstantinopel zu verlegen. x) Das
wichtigste Gebiet fiel an Marco Sanudo (1207), der von Naxos aus sein
Gebiet über Paros und andere Inseln, aus denen seine Baronie nun
bestand, ausdehnte und auf dem Parlament zu Ravennika den Titel
eines Herzogs des Archipels oder von Naxos erhielt. Die Dynastie
Sanudo behauptete wie die von Achaja und Athen ihre Macht auch
nach der Zertrümmerung des lateinischen Kaisertums. Ein Hauptstütz-
punkt der venezianischen Macht war aufser Negroponte vornehmlich
Kreta, dessen Kolonisierung die Venezianer um 1210 begonnen hatten.
Schon 1212 gab es dort nicht weniger als 200 Ritterlehen, und zahlreiche
Sprossen altvenezianischer Patriziergeschlechter siedelten sich in Kreta
an, dessen Kirchen ausschliefslich mit venezianischer Geistlichkeit besetzt
und dessen Kirchengüter säkularisiert wurden.
§ 38. Die Lage Syriens seit 1254. Der Einbruch der Mongolen und
ihre Abwehr durch die Mamelucken,.
Quellen wie oben §34 u. unten 39. Dazu: Extraits des Historiens Arabes . . .
par . . Eeinaud p. 668 : Tableau des belles qualites de Malek-Dhaher (Bibars), extrait
de la Yie de ce prince par Schafi fils d'Aly-Abbas. — Yie de Malek-Mansour Kilaoun,
ib. 683 ff. Makrizi w. oben. Extrait d'lbn-Ferat bei Michaud-Reinaud p. 765. (Wüstenf.
Nr. 454.)
Hilfsschriften. Aufser den allg. Werken von Michaud, Wilken, Kugler,
Röhricht, Hertzberg, Weil s. R. Sternfeld, Ludwigs des Heiligen Kreuzzug nach
Tunis 1270 u. die Politik Karls von Sizilien. Berl. 1896. S. 1 — 16. Caro, Zum
zweiten Kreuzzug Ludwigs IX. v. Frankr. Hist. Yierteljahrsschr. T, 238 — 44. Barthold,
Z. G. d. Christent. in Mittelasien bis zur Mong.Erob. Tübingen 1901. G. Weil,
Die Assassinen. HZ. IX, 418. Die sachgemäfseste Darstellung bietet A. Müller,
Der Islam im Morgen- und Abendland. 3. Buch 1. u. 2. Kapitel. Muir, The Mameluke
or Slave dynasty of Egypt. 1260—1507. Lond. 1896.
1. Seit dem Abzüge Ludwigs IX. aus dem Morgenlande wurde
die Lage der syrischen Christen immer gefährdeter. Wohl befanden
sich noch einige Burgen und Städte in ihrem Besitz; diese hatten auch
eine durch Handel und Gewerbe reich gewordene Bevölkerung, der aber
Einigkeit und Opfermut fehlte. Fürsten und Grofse gingen ihre Wege,
ohne sich um die Interessen der Gesamtheit zu kümmern, und ihrem
Beispiel folgten die aufeinander eifersüchtigen Ritterorden sowie die
fremden Kolonisten, vor allen die Venezianer und Genuesen, die trotz
der Zeiten Not miteinander im Kampfe lagen. Im Abendland war die
Begeisterung für die opfervollen Fahrten im Abnehmen, die Kreuzzugs-
prediger begegneten offenem Mifstrauen, nicht selten Hals und Ver-
achtung. Zum Glück für die Christen waren auch die mohammedani-
schen Staaten durch inneren Zwist zerrüttet, und ihre gegenseitige Feind-
schaft verschaffte jenen eine Zeitlang Ruhe. Damaskus bewilligte ihnen
(1255) einen zehnjährigen Frieden, der auch von den Ägyptern anerkannt
*) Finlay, S. 305.
170 Vordringen der Mongolen. Untergang der Assassinen.
wurde. Die Friedenszeit wurde von ihnen jedoch nicht zur Kräftigung
und zu Rüstungen für spätere Kämpfe, sondern dazu benützt, ihre eigenen
Kämpfe auszuf echten. Während eine Partei zur Witwe König Heinrichs
von Cypern hielt, die für ihren Sohn Hugo II. die Regierung verlangte,
hielten die andern zu Konradin als ihrem rechtmäfsigen Herrn. Schliefs-
lich führte ein Streit zwischen Genuesen und Venezianern zu einem
offenen Kampfe, in welchem jene geschlagen wurden (1258), wofür sie
sich beim Sturz des lateinischen Kaisertums an den Venezianern rächten
(§ 37). Dazu drohten schwere Gefahren von den Mongolen. Schon
1253 waren diese unter Hulaghu (s. i; 24t in Vorderasien eingebrochen.
Drei Jahre später vernichtete er die Sekce der Ismaeliten oder Assas-
sinen1), die in den Gebirgen südlich vom Kaspischen Meere durch mehr
als anderthalb Jahrhunderte geherrscht und deren Grofsmeister seinen
Statthalter ernannte, um die während der Kreuzzüge so berüchtigt ge-
wordene Kolonie auf dem Libanon zu leiten. Mit dem Fatalismus des
Korans hatten sie die indische Seelen Wanderung und die Gesichte
ihrer eigenen Propheten verknüpft. Ihre erste Pflicht bestand darin.
Seele und Leib dem AVeltvertreter Gottes in blindem Gehorsam zu
weihen. Die Dolche ihrer Sendlinge wurden im Osten und Westen ge-
spürt. Christen und Sarazenen übertreiben übrigens die Zahl derjenigen,
die dem Glaubenseifer, der Habgier und Rache des Alten vom Berge zum
Opfer fielen. Hulaghu drang hierauf gegen Bagdad. Der letzte Kalif
Mustässim (1252 — 1258) trat den Mongolen mit hochtrabenden Worten
entgegen, ergab sich aber nach schwacher Gegenwehr und wurde getötet
(1258). Von den Abbasiden entkamen einige. Einen von ihnen machte
der Mamelucken sultan Bibars (s. unten) zum Kalifen, um einen »Be-
herrscher der Gläubigen« von unzweifelhafter Echtheit zur Bekundigung
seiner eigenen Legitimität neben sich zu haben, denn immer noch hingen
einzelne Ägypter an der 1171 gestürzten Dynastie der Fatimiden. Die
Nachkommen dieses Kalifen behielten ihre Stelle, bis die Osmanen
dem Mameluckenstaate in Ägypten ein Ende machten. 1260 brach
Hulaghu nach Syrien auf und eroberte LIaleb. Auf die Kunde vom
Tode des Grofskhans Mangu (1259) zog er ab und überliefs die Fort-
setzung des Krieges seinem Feldherrn Ketboga. Die kleinen Ejubiten-
fürsten ergaben sich ohne Widerstand. Da die Mongolen als Feinde
der Mohammedaner erschienen, schlofs sich ein Teil der Christen an
sie an, ja man hegte in vielen Kreisen die Hoffnung, die Mongolen zum
Christentum zu bekehren.
2. Von den mohammedanischen Staaten war nur Ägypten im-
stande, den Mongolen Widerstand zu leisten. Dort war 1254 die Dynastie
der Ejubiten (§34) durch den Emir der Mamelucken2) Eibek verdrängt
1 Dieser Name ist seit den Kreuzzügen mit Mördern gleichbedeutend. Ursprüng-
lich ist ein Haschäschi jemand, der sieh mit dem Verkaufe oder Genufs des Haschisch,
des bekannten Betäubungsmittels der Orientalen, abgibt, also ein Haschischer. Über
die Assassinen, s/l). Müller II, 102—106.
2 Mamlük bedeutet im arab. : erworben, erkauft. Es sind türkische Kri
gefangene, aus denen die Ejubiten ihr Leibregiment bildeten.
Die Mameluckensultane. Bibars in Ägypten. 171
worden. Nach dessen Ermordung führte der Mameluck Kotus für Eibeks
Sohn die Vormundschaft und warf sich schliesslich (1259) seihst zum
Sultan auf. Den Mongolen trat er in der Nähe von Sichern entgegen.
Ketboga wurde besiegt, gefangen und getötet; sein Heer löste sich auf;
Reste davon flüchteten über den Euphrat. Ganz Syrien fiel unter die
Botmäfsigkeit der Mamelucken. An diesen brach sich sonach die Kraft
der Mongolen. Hulaghu Avar genötigt, über den Euphrat zurückzugehen.
Von Kubilai erhielt er den Titel »II -Chan«, d. h. Stammesfürst. Da-
mit wurde er als Herrscher über Persien und die Länder westlich vom
Oxus anerkannt. Hulaghu und die folgenden Il-Chäne standen übrigens
nur in loser Abhängigkeit vom Grofskahn. — Kotus strafte die Christen,
die es mit den Mongolen gehalten hatten. Im Begriffe, nach Ägypten zurück-
zukehren, wurde er von dem Mamelucken-Emir Bibars (1260) getötet. Mit
diesem Manne, an dessen Händen schon das Blut Turanschahs klebte, be-
ginnt die Reihe der bachritischen 2) Mameluckensultane Ägyptens. Bibars
war bei aller Gewalttätigkeit und Grausamkeit ein bedeutender Staatsmann,
der es verstand, seine Stellung durch eine Reihe trefflicher Regierungs-
mafsregeln zu befestigen. Er beseitigte drückende Abgaben, richtete
einen regelmäfsigen Postdienst ein, um Ägypten und Syrien vor den
Angriffen der Christen und Mohammedaner schneller sichern zu können,
verstärkte die Festungen und liefs eine Flotte bauen. Wiewohl ein
Feind der Christen, stand er mit christlichen Herrschern in Beziehungen,
die den Zweck hatten, die syrischen Christen zu isolieren und die christ-
lichen Mächte von einem Bündnis mit den Mongolen abzuhalten. Be-
müht, die Christenherrschaft in Syrien gänzlich zu vernichten, unter-
nahm er 1261 — 1268 Verwüstungszüge dahin, eroberte Cäsarea,
Arsuf und Safed und wies zugleich die Angriffe des Königs Hethum
von Armenien und der Mongolen zurück. Im Jahre 1268 eroberte er
Jaffa und Antiochien. Nicht weniger als 8000 Christen wurden in
Antiochia zu Sklaven gemacht. Das nördliche Syrien war damit für
die Christen für immer verloren und der Besitz Bohemunds VI. auf
Tripolis beschränkt. Wohl wurde nun ein Friede auf zehn Jahre
geschlossen, aber noch in demselben Jahre erklärte Bibars an die Be-
wohner von Akkon den Krieg, weil sie Mamelucken, die zu ihnen ge-
flohen waren, nicht ausgeliefert hatten. Da er aber von der beabsich-
tigten Kreuzfahrt König Jaymes von Aragonien und dessen Bündnis
mit den Mongolen Kunde erhalten hatte, bewilligte er den Christen
einen Frieden.
§ 39. Der zweite Kreuzzug Ludwigs IX. Das Ende des Königreichs
Jerusalem. Ergebnisse der Kreuzzüge.
Quellen s. § 33 u. 37. Dazu: Petrus Coral, De Castro Saphet narratio. Baluze
Mise. VI, 357. Contractus navigii Ludovici cum A'enet. Duchesne SS. V. Guilelmus
Tripolitanus, De Statu Saracenoruni. Duchenne Y, 432. De excidio Acconis auet. anon.
*) Bachr, arab. Meer, grofser Strom. Jene Mamelucken, die auf der bei Kairo
gelegenen Xilinsel Röda ihren Sitz hatten.
172 Das KreuÄZUgsunterneh'men K. Jaymes von Aragouien.
Martene Ampi. Coli. V, 757. Epitome bellorum pro recup. Terrae Sanctae. Canisius
Lect. ant. VJ, 2-19. Actes passes en 1271 — 74. Arch. de l'Or. lat. I. Reinaud, Extraits
des Historiens Arab. relat. aux guerres des Croisades. Paris 1829. Für die Unter-
nehmungen des 14. u. 15. Jahrh. s. die Zusammenstellung in Delaville le Roulx, La France
en Orient au XIVe siede. Paris 1886. In Betracht kommen : Petrus de Bosco Dubois ,
De recup. Terrae Sanct. Paris 1892. Guilclinus de Adam, De modo Saracenos extirpandi.
Informatio mag. Hospitalis (Fulco de Villaret super fac. passag. BECh. LX, 603. Nogaret,
in Boutaric, Xotices et extraits des documents ined. rel. ä l'hist. de France sous
Philippe le Bei. Paris 1861. Brocardus, Directorium ad pass. fac. pub. par Reitfen-
berg in Ee Chevalier au cygne. Bruxelles 1846. Marino Sanudo Torsellus , De exped.
in Terr. Sanct. Bongars II. Le memoire du roi de Chypre Henry II de Lusignan ,
ed. Mas Latrie, Hist. de Chypre II, 118. La Prise d'Alexandrie ou Chronique du roi
Pierre I de Lusignan, s. Guiilaurne Machaut p. p. Mas Latrie. Geneve 1877. — Noch
ungedruckt : Lull, De acquisitione Terrae Sanctae, s. bei Delaville le Roulx II, 227.
Lrkk. s. in J. Müller, Documenti sulle relazioni delle cittä Toscana coli' Oriente
cristiano. Fir. 1879. Einzelnes in >Lettres inedites concernant les croisades- 1276 — 1307.
BECh. LH. Jorga, Notes et extraits pour servil* ä l'histoire des croisades au XVe siede.
Paris 1899 Mas Latrie, Traites de paix et de commerce et doc. divers concern. les
relat. des chretiens avec les Arabes. Paris 1865.
Hilf s schrift e n. Die allg. Werke w. oben. Dazu: Röhricht, Lntergang
d. Königreichs Jerusalem. MJÖG. XV. Sternfeld, Ludwigs d. H. Kreuzzug gegen
Tunis. Berl. 1896 dort S. 379— 382 die einschl. Lit. . Müller, Der Islam im Morgen-
u. Abendland. Berlin 1885. Schäfer, Gesch. Span. III. Die allg. AVerke zur Gesch.
Karls v. Anjou s. unten. C a p etan o vic i, D. Erob. v. Alexandr. d. Peter I. von
Lusignan. Diss. 1894. Herzsohn, D. Überfall Alexandriens d. P. I. Kg. v. Jerus.
Diss. 1886. Für die Ergebnisse d. Kreuzz. : Heeren, Vers, einer Entwicklung der
Folgen d. Kreuzzüge. H. W. II. K a m p schulte, Über Charakter und Entwicklungs-
gang der Kreuzzüge. Bonn 1864. He yd, Gesch. d. Levantehandels im MA. Stuttg.
1878. Prutz, Kulturgesch. d. Kreuzzüge. Berl. 1883. Populär: Henne am Rhyn,
Kulturg. d. K. Leipz. o. D. Herquet, Cyp. Königsgestalten. Halle 1881. Prutz,
Christent. u. Islam. HT. 1878. Delaville le R o ulx , wie oben dort II, 228—240
eine vollst. Bibliogr. bis 1886 , s. H o o g e w e g in MJÖG. VIII, 656. H i r s c h - G e r e u t h ,
Studien zur Geschichte der Kreuzzugsidee nach den Kreuzzügen. München 1897.
Delescluze' Raymond Lull RdDM. XXIV. Lot, Essai d'intervention de Charles
le Bei en faveur des chretiens d '< Orient. BECh. XXXVI. — Projets de croisade sous
Charles le Bei et sous Philippe de Valois, ib., tom. XX. Mas Latrie, Histoire de
Chypre. Paris 1852—61.
1. Die Xot der Christen im Morgenland ' bewog König Jayme von
Aragonien, den Sieger in einer Reihe von Kämpfen gegen die spanischen
Sarazenen, in den Kampf in Syrien einzutreten, und dies um so mehr,
als ihm der Mongolenkhan ein Bündnis angetragen und der Kaiser von
Griechenland die besten Zusicherungen gemacht hatte. Am 4. September
1269 ging seine Flotte zu Barcelona unter Segel. Anhaltende Stürme
nötigten sie, in Aigues-Mortes zu landen. Durch Stürme an einer zweiten
Einschiffung gehindert, gab er ein Unternehmen auf, das selbst der
Himmel nicht zu billigen schien. Nur ein kleiner Teil des Heeres zog
unter Anführung Fernando Sanchez1 nach Akkon. Wiewohl die von
den Mongolen erwartete Hilfe ausblieb, nahmen die Aragonesen den
Kampf auf, erlitten aber eine Niederlage und kehrten in die Heimat
zurück. So endete der einzige Kreuzzug der Spanier ins hl. Land in
ruhmloser Weise. Inzwischen hatte Ludwig IX. seit 1266 mit seinem
Bruder König Karl und Klemens IV. Verhandlungen wegen eines Kreuz-
zuges geführt und im folgenden Jahre das Kreuz genommeu. Seinem
Der zweite Kreuzzug Ludwigs IX. 173
Beispiel folgten sein Bruder Alfons, seine Söhne Philipp, Johann Tristan
und Peter und eine Anzahl französischer Grofser. In den breiteren
Schichten fand das Unternehmen auch jetzt wenig Anklang. Es bedurfte
erst der kräftigsten Mahnungen des Papstes und des Königs, um eine
gröfsere Zahl von Teilnehmern zu gewinnen und vom Klerus die Zahlung
des Kreuzzugszehents zu erhalten. Ludwig IX. hatte die Ausfahrt für den
Mai 1270 festgesetzt. Da die Venezianer für ihre Handelsbeziehungen zu
Ägypten besorgt waren 1), sollten genuesische Schiffe die Überfahrt über-
nehmen. Die Prinzen Eduard und Edmund von England fanden sich ein,
und die Friesen taten sich auch diesmal durch stärkere Rüstungen hervor.
Ludwig IX. stach am 2. Juli 1270 zu Aigues-Mortes in die See. Das
Heer segelte nach Cagliari, und hier war es, wo der Kreuzzug von
seinem Ziel Ägypten oder Syrien ab- und nach Tunis hingelenkt wurde.
Zur Zeit der Staufer stand nämlich Tunis in tributärem Verhältnis zu
Sizilien; dieses war nun gelöst, ja der Emir hatte Parteigänger des
staufischen Hauses in Schutz genommen. Indem nun König Karl die
alte Politik der Staufer wieder aufnahm, hatte er, wohl schon vor der
Abfahrt, geraten, einen Zug nach Tunis zu unternehmen.2) Ludwig IX.
gab nach ; man hatte ihm die Überzeugung beigebracht, dafs der Emir,
einem unbedachten Versprechen zufolge, Christ werden wolle, hiezu aber
eines starken Rückhaltes bedürfe. Die tunesische Landung sollte dem-
nach nur das Vorspiel für die eigentliche Kreuzfahrt sein, der sodann
auch die Mittel des Emirs von Tunis zugute kämen. Die Flotte er-
reichte am 17. Juli Tunis. Ohne Schwierigkeiten rückten die Kreuz-
fahrer bis zur Mitte des alten Karthago vor. Indem nun Ludwig vor
der Ankunft Karls von Anjou nichts Ernstes unternehmen wollte, gewann
der Emir Zeit, sich zum Widerstand zu rüsten. Im Christenheere brach
infolge von Hunger und Hitze eine Krankheit aus, der zuerst Johann
Tristan, dann Ludwig IX. selbst erlag (25. August). Wenige Stunden
nach seinem Tode landete König Karl und übernahm, da auch der nun-
mehrige König Philipp III. von Frankreich erkrankt war, die Leitung
des Feldzuges. Die Tunesen, in zwei Treffen geschlagen, schlössen am
30. Oktober einen Präliminarfrieden, der am 21. November ratifiziert
wurde. Danach sollten die gegenseitigen Gefangenen ausgeliefert werden
und der Emir sodann den doppelten Tribut an Sizilien, den Königen von
Frankreich, Sizilien und den Kreuzfahrern die Summe von 210 000 Gold-
unzen (8:/2 Millionen Mark) zahlen und den Ghibellinen fürderhin keinen
Schutz gewähren. Die englischen Prinzen erschienen erst nach Abschlufs
des Vertrages. Während die Friesen, die in diesen Kämpfen ihre alte
Tapferkeit bewährt hatten , nach Syrien zogen , segelten Franzosen,
Italiener und Engländer nach Sizilien, um den Kreuzzug fortzusetzen.
Aber ihre Flotte hatte durch Stürme gelitten, viele Kreuzfahrer waren
erkrankt, und König Philipp wünschte, in die Heimat zurückzukehren.
Daher wurde beschlossen, die Kreuzfahrt erst in drei Jahren wieder
l) Siamo Veneziani, pol Christiani.
- Sternfeld, S. 220 : »Die Wendun
g gegen Tunis-
174 Die letzten Kreuzzugsversuche. Armenien trnd Cypern.
aufzunehmen. Nur die englischen Prinzen fuhren im Frühling 1271
nach Syrien, wo Bibars inzwischen neue Erfolge errungen hatte. Die
Nachricht von der Ankunft der Engländer bewog ihn. den Christen
einen Frieden auf zehn Jahre zu gewähren. Auch Eduard von England
vermochte mit seinen schwachen Kräften in den Verhältnissen Syriens
keinen Wandel zu schaffen. Ein Attentat, das die Feinde auf ihn
versuchten, beschleunigte seine Heimkehr. Von den Kämpfen gegen
die Mongolen in Anspruch genommen, hielt Bibars den mit den Christen
geschlossenen Frieden. Bei seinem Tode (1277! stand der Islam in
Vorderasien kräftiger da als früher.
2. Noch zu Lebzeiten Bibars hatte Gregor X. (s. § 40), der als
päpstlicher Legat die trostlose Lage der syrischen Christen kennen ge-
lernt hatte, das Abendland zu einer neuen Kreuzfahrt angeeifert und zu
diesem Zweck ein Konzil nach Lyon berufen, aber sein früher Tod. die
rasche Aufeinanderfolge der nächsten Päpste und schwerwiegende
politische Ereignisse wie die Sizilianische Vesper standen einem neuen
Unternehmen im Wege. Da Bibars' ältester Sohn einer Verschwörung
erlag und der zweite durch den Emir Kilawun verdrängt wurde, diesem
aber die Herrschaft in Syrien von einem Nebenbuhler bestritten wurde,
lagen die Dinge für die Christen nicht ungünstig. Aber auch in Tripolis
und Cypern herrschte Streit : dort wegen der Vormundschaft für ßoe-
mund VII., hier wegen der Nachfolge nach Hugo IL, mit dem der
Mannesstamm der eyprischen Lusignans erloschen war. Mittlerweile
befestigte Kilawun seine Stellung durch einen Sieg über die Mongolen.
(1281 Oktober) und wandte dann seine Waffen gegen die Christen: 1285
eroberte er Markab, vier Jahre später Tripolis. Als er zur Eroberung
von Ptolemais schreiten wollte, erkrankte er and starb (1290). Das
Unternehmen wurde nichtsdestoweniger von seinem Sohne fortgesetzt,
und so fiel dies starke Bollwerk der Christen am 18. Mai 1291 in die
Hände der Sarazenen. Nun ergaben sich auch die letzten befestigten
Plätze. Von den christlichen Staaten im Orient erhielten sich nur
noch Armenien und Cypern. Jenes verlor erst 1375 durch die
Mamelucken seine Seil »ständigkeit. Cypern, wohin sich die Flüchtigen
aus dem Königreich Jerusalem gerettet hatten und das durch seinen
Handelsverkehr während der Kreuzzüge zu grofsem Wohlstand gelangt
war. behauptete sich noch durch zwei Jahrhunderte; es erreichte den
Glanzpunkt seiner Macht erst unter Heinrich IL (1285 — 1324), ja von
seinen Nachfolgern konnte es sogar Peter I. (1359 — 1369) noch wagen,
Ägypten selbst anzugreifen.1) Seit Peter II. (1369 — 1382) schwächten
unglückliche Kriege gegen die Genuesen und die Sultane Ägyptens Cyperns
Macht, nicht weniger die Zwistigkeiten im königlichen Hause und die
Reibungen zwischen der griechischen und katholischen Bevölkerung des
Landes. Jakob II. heiratete eine venezianische Patrizierin, Katharina
Cornaro. die nach dem Tode ihres Gatten die Insel an Venedig abtrat
1 Die Croisade de Pierre I, roi de Chypre bei Delaville le Roulx I, 118 — 140,
die Amadeas' VI. v. Savoyen, ib. 111 — 158.
Die Ritterorden. Kreuzzugsschriften des 14. u. 15. Jahrhunderts. 175
(1489). In dessen Besitz blieb sie noch ein Jahrhundert, bis sie an die
Osmanen fiel. Die drei grofsen Ritterorden, deren gegenseitige Eifer-
sucht und unzeitige Parteinahme in politischen Dingen von so verhängnis-
voller Bedeutung für die Entwicklung Jerusalems geworden war, zogen
sich vom asiatischen Festland zurück: die Templer gingen nach Cvpern,
dann nach Paris, wo ihrer ein schmachvolles Ende wartete, die Hospita-
nt er nahmen (1310) Rhodus in Besitz und erfüllten hier noch zwei Jahr-
hunderte ihre Aufgabe in ruhmvoller Weise. Die glänzendste Aufgabe
fiel dem deutschen Ritterorden in Preufsen zu (s. oben).
3. Trotz aller Verluste wollte das Abendland die Hoffnung nicht
aufgeben, das hl. Land den Händen der Ungläubigen zu entreifsen.
Päpste, Kaiser und Könige teilten diese Hoffnungen noch im 15. Jahr-
hundert. Nicht gering ist die Zahl der theoretischen Erörterungen, die
von Seiten Geistlicher und Laien über die beste Art, dieses Ziel zu er-
reichen, gepflogen wurden. Glaubte König Karl von Sizilien, der Sache
durch eine Vereinigung aller drei Ritterorden zu nützen, so
befürworteten der Minorit Fidentius von Padua oder Marino Sanudo
eine »kommerzielle Blök ade«, eine Art von Kontinentalsperre,
gegen Ägypten, während Raimund Lull die Gewinnung des hl. Landes
auf friedlichem Wege, durch Errichtung von Schulen und Klö-
stern in den Ländern der Ungläubigen zu erreichen glaubte. Die
Staatsmänner unter Philipp IV. von Frankreich liefsen sich dagegen
mehr von politischen als von kirchlichen Beweggründen leiten, so Pierre
Dubois, der in seiner Schrift »von der Wiederei'oberiing des hl. Landes«
die Reform der Kirche und Gesellschaft und Herstellung eines allge-
meinen Friedens verlangt, bevor man an die Sache gehe. Die Kosten
der Unternehmung sollten durch Einziehung der Ordensgüter und eine
Besteuerung des Klerus hereingebracht, das hl. Land vod Abendländern
kolonisiert und Schulen errichtet werden. Derartige Entwürfe tauchten
noch mehrere auf1): aber nicht mehr der Glaube ist die bewegende
Triebfeder für derlei Pläne ; vielmehr sind es die kommerziellen Interessen,
die von italischen Seestaaten schon von Anfang an oft genug über die
kirchlichen gesetzt worden wTaren.
4. Der Zweck der Kreuzzüge, das Morgenland der christlich abend-
ländischen Herrschaft zu unterwerfen, war nicht erreicht worden, viel-
mehr reihen sich an die Siege des Islam im 13. dessen gröfsere Triumphe
im 14. und 15. Jahrhundert an und ist an der Wende des Mittelalters
das abendländische Europa von einer Überflutung durch den Islam be-
droht. Die Ursachen dieses Mifslingens sind verschiedener Art2): Es
fehlte zunächst an einer umfassenden, von einheitlichen Gesichtspunkten
ausgehenden Besiedlung des syrischen Bodens. Als die Christen im
hl. Lande festen Fufs fafsten, war dessen Bevölkerung eine dünne, da
die Araber gröfstenteils geflohen und die syrischen Christen in ihr Ge-
x) Einzelheiten hierüber s. in Delaville le Eoulx, liv. I.
2) S. Kugler, S. 423 u. Prutz, Kulturgesch., 8. 89—155.
176 Ursachen d. Mifslingens d. Kreuzzüge. Ihre Einwirkungen auf das Abendland.
schick mit verflochten waren. Der Bestand der neugegründeten Staaten
hing nun von dem Zuzug abendländischer Bevölkerung ab. Dieser
war im Anfang recht unbedeutend, denn nur der kleinste Teil der
Pilger- und Kreuzfahrerscharen war geneigt, für immer in der Fremde
zu bleiben. Und selbst als er ein stärkerer wurde, bestand er aus Ele-
menten so verschiedenartiger Gesellschaftsklassen und Herkunft, dafs
ihre Verschmelzung nicht gut möglich wurde. Da fanden sich ein:
Nord- und Südfranzosen, damals mehr als heute voneinander geschieden,
Bretonen und Provencalen, Lombarden, Venetianer, Toskaner und Sizi-
lianer, Lothringer, Friesen und Deutsche, Skandinavier, Engländer,
Walliser, Schotten und Lmgarn ; dazu kamen die Reste einheimischer
Bevölkerung, Syrer, Armenier, Griechen und Araber. Am stärksten waren
die Franzosen vertreten, die denn auch den mafsgebenden Einflufs auf
die Kultur des Orients gewannen, so dafs die Formen des Lebens,
Recht, Sitte und Sprache im wesentlichen auf französischer Grundlage
ruhten. Es hielt schwer, aus diesen Elementen jene militärische und
politische Einheit zu schaffen, ohne die ein dauernder Bestand der
Kolonie nicht zu erwarten war. Zu dem nationalen Gegensatz der ein-
zelnen Bevölkerungselemente kam der Widerspruch der Handelsinteressen
der italienischen Seestaaten, dann die L^neinigkeit der christlichen Fürsten
in Syrien, die Eifersucht der Ritterorden, während der ersten Kreuz-
züge auch die Hinterhältigkeit der griechischen Politik, später die Herrsch-
sucht und der Vernichtungskampf der Kurie gegen die Staufer und endlich,
wenn auch vielleicht in geringerem Grade, die Verderbtheit der im
Morgenlande heimisch gewordenen Abendländer, die mit den Sitten und
Gebräuchen vielfach auch die schlechten Seiten der Mohammedaner
annahmen. Verfehlten die Kreuzzüge aus allen diesen LTsachen ihr
Ziel, so waren sie doch von den nachhaltigsten Einwirkungen auf alle
von ihnen betroffenen Länder begleitet. Abend- und Morgenländer boten
einander mannigfache Anregungen. AVenn es im allgemeinen richtig
ist, dafs durch die Kreuzzüge die religiösen Gegensätze eine Verschärfung
erfuhren, so fand doch in Palästina selbst eine Annäherung der fried-
lichen Elemente statt, wie sie den Franken im Interesse ihrer Kolonie
geboten schien. Die Mehrheit der syrischen Christen war bemüht, diesen
Kämpfen den Charakter eines Religionskrieges zu nehmen, und trat für
eine milde und tolerante Behandlung der in christlichen Gebieten an-
sässigen Mohammedaner ein, wie sich umgekehrt auch diese auf ihren
Gebieten gegen die Christen selbst während des Kampfes nicht weniger
duldsam erwiesen. Viel bedeutsamer ist der Einflufs, den der Orient
unter der Vermittlung der »Franken« auf die Entwicklung des Abend-
landes genommen. Eine neue Welt tat sich vor den Kreuzfahrern auf.
Noch war Bagdad der Sitz einer reichen Kultur und die Araber nicht
blofs in der Philosophie, Astronomie, Mathematik und Heilkunde, son-
dern auch in der Dichtkunst, den bildenden Künsten, der Staatsverwal-
tung, in Gewerbe, Ackerbau und Handel den Abendländern weitaus
überlegen. Nicht wenige Xatur- und Kunstproduktc wurden nun im
Abendlande bekannt, und bürgerten sich dort mit der Sache auch die
Ergebnisse der Kreuzzüge. 177
Namen ein.1) Ebenso bedeutend waren die Anregungen, welche die
Pilger von den Griechen erhielten, denn noch fanden sich im griechi-
schen Reiche mehr oder minder bedeutende Reste antiken Lebens vor;
militärische Einrichtungen und die Grundlagen des alten römischen
Steuerwesens hatten sich, wenngleich vielfach verändert und verschlechtert,
erhalten. Es gibt sonach kaum eine Seite im politischen, militärischen,
industriellen und künstlerischen Leben, die nicht aus dem Morgenlande
Anregung erhalten hätte, wenn es auch im einzelnen mitunter schwer
ist, den Ursprung dieser Beeinflussung in die Zeit der Kreuzzüge zu
versetzen, da die Beziehungen der Araber zu den Christen auf Sizilien
und in den christlichen Reichen Spaniens noch ältere sind. Sicher ist,
•dafs dem Handel neue Wege geöffnet wurden und die Handelsstädte
Italiens einen Aufschwung nahmen, der ihren Glanz im 14. und 15. Jahr-
hundert vorbereitete. Am meisten wurde durch die Kreuzzüge die
politische Macht der Päpste gehoben, unter deren Leitung die Völker
in den Kampf zogen, und die von diesen nicht blofs erhebliche Blut-
steuern, sondern seit dem Laterankonzil auch den Kreuzzugszehent ver-
langten. Auch die Ausbildung des Feudalwesens, die Blüte des Ritter-
tums, das Aufblühen der Städte, die bessere Stellung der Bauern, die
Anfänge der modernen Staats- und Gesellschaftsordnung, all das erfolgte
in der Zeit und zum Teil unter dem Einflufs der Kreuzzüge. Am be-
deutendsten war freilich die erstarkende Opposition gegen die Vorherrschaft
der Kurie und der rege Handelsverkehr mit dem Morgenland mit allen
seinen Nachwirkungen, der auch nach der Beendigung der Kreuzfahrten
bestehen blieb. In diesen beiden Momenten darf man bereits die Morgen-
röte der neueren Geschichte erblicken.
4. Abschnitt.
Das Zeitalter Rudolfs yon Habsburg
und das Ende der unbedingten Vorherrschaft des
Papsttums (1273-1303).
1. Kapitel.
Das Königtum der ersten Habsburger.
§ 40. Gregor X. und Rudolf ron Habsburg.
Quellen. Aufser Potthast, Regg. pontiff. u. Theiner, Cod. dipl : G u i r a r d ,
Les Registres de Gregoire X et Jean XXI. Paris 1892/3. (Kaltenbrunner, Über das
Registrum Berardi. MJÖG. VII. Palacky, It. Reise. Prag. 1838. Cenni, MM. doniinii
pont. II. Rom 1760, s. Potthast, Wegweiser II, 988). Vita Gregorii X papae Murat. III,
2, 424 ; III, 1, 499. Eine treffliche Quellenübersicht z. G. R. v. H. findet sich in R e d -
lichs Xeuausgabe von Böhmers Regesten VI, 1. Innsbruck 1898, 13 — 16. Mit Rück-
*) Einzelheiten bei Prutz, Kulturgesch., 397 — 495, vornehmlich aber in Hey d,
Gesch. d. L. im MA., wie oben.
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 12
178 Das Königtum der ersten Habsburger.
sieht darauf wird hier nur das Wichtigere herausgehoben. Urkk. s. in Böhmer-Redlich.
Dazu : Böhmer, Acta imperii sei. u. Acta imp. inedita, Lichnowsky, G. d. H. H. II.
Constitutiones et traetatus in MM. Germ. II, 1, 382 ff. Mitt. aus römischen
Archiven I, II Aktenstücke z. G. d. d. Reiches unter Rudolf I. u. Albrecht I. und eine
Wiener Briefsammlung). Wien 1889—1894. Mag, Das habsb. Urbar II. Basel 1899.
Die verschiedenen Briefsteller s. Böhmer-Redlich, S. 15, 16. Die Urk.-Bücher s.
bei Dahlman n- Waitz- Stei ndorf f 41 ff. Für die ältere Genealogie der Habs-
burger sind die Acta Murensia Hauptquelle; s. hierüber vorläufig Redlich, R. v. H.
S. 743. Die Electio Rudolf! in MM. Germ. LL. II, 1, 383. Coronatio, ib. 384—94.
Geschichtschreiber. S. Redlich S. 13—15. Dort sind 10 Gruppen an-
geführt. Von bes. Wichtigkeit wegen des elsässischen Ursprungs des habsburgischen
Hauses sind die elsässischen Quellen: Ann. Colmar. minores (bis 1298, maiores
(bis 1305;. Bas. Chron.Colm. MM G. SS. XVII. Gottfried von Ensmingen, Gesta Rudolf!
et Alberti regum, ib. Fortges. in Closeners Strafsb. Chronik. Städtechron. YIII. Matthias
von Neuenbürg, Chronik bis 1350, fortges. bis 1378, ed. Studer. Bern 1866. Huber
in Böhmer. FF. IV. Von schwäbischen Quellen: Die 2. Fortsetzung der Kaiser-
chronik. MM. G. Deutsche Chron. I. Christian Kuchimeister , Xüwe Casus mon. s.
Galli bis 1330. Mitt. hist. V. St. Gallen 18. Joh. Vitoduranus v. Winterthur bis 1348,
ed. Wyss. Zürich 1856. Von bayrischen Quellen: Annales s. Rudberti Salisb.
MM. G. SS.LX. Die Cont. von Hermanns Ann. Altahenses v. 1273-1290 u. 1301 bis
1303. MM. G. SS. XYH. D. Mon. Fürstenfeldensis. Böhm. FF. I, 1—68, bis 1326.
Aus österreichischen Quellen s. den IX. Bd. der MM. G. SS. über sie oben § 23).
Ottokars österr. Reimchronik, ed. Seemüller. MM. GD. Chr. V. Joh. Victoriensis bei
Böhmer. FF. I, 271 ff. Aus böhmisch-mährischen Quellen: Die Fortsetzungen
des Cosmas bis 1283. MM. G. SS. IX. Dalimils Reimchron. FF. rer. Boh. HI u. die
Königsaaler Geschichtsqu. FF. rer. Austr. I, 8. Über Boczeks Fälsch, s. Redlich S. 15.)
Aus thüring. -sächs. Quellen: Annal. Reinhardsbrunn, (s. oben). Chron. St. Petri
Erphordiensis (wie oben). Sächs. WTeltchron. Fortsetzung MM. G. DCh. 2, 280. Ausrhein. -
niederl. Quellen: Ann. Wormat., Mogunt., Agripp. in MM. G. XVI u. XVII. Gesta
Trev., ib. XXIV. Jan van Heelu, Willems Coli, des chron. Belg. I. Melis Stockes
Reimchron. Utrecht 1885. Ital. Quellen: Aufser der Forsch, d. Martin v. Troppau
aus Orvieto bes. Thomas Tuscus, Salimbene, Ann. Jan., Piacent. u. Friul. wie oben.
Hist, Volksl. bei Lilienkron I. Ergänz, bei Redlich a. a. O.
Hilfsschriften. Das Hauptwerk, das die Resultate älterer Forschung zu-
sammenfafst, diese weiterführt und ein Gesamtbild über die Reichsgeschichte in der
Zeit vom Untergang des alten Kaisertums bis zum Tode Rudolfs bietet, ist jetzt
O. Redlich, Rudolf v. Habsburg. Innsbruck 1903. Zur älteren Gesch. der Habs-
burger s. aufser Dahlinann-Waitz-Steindorff, Nr. 2942, 2945, 2946, 795, die allg. Werke über
habsburgische, österr. u. böhmische Gesch. von Lichnowsky, Krones, Huber, Mayer, Bach-
mann u. a. Dazu Schulte, Gesch. d. Habsburger in den ersten drei Jahrhunderten.
Innsbr. 1887. Krüger, Zur Herkunft der Habsburger. Jb. Schweizer Gesch. XIII.
Gisi, Der Ursp. d. Häuser Zähringen u. Habsburg. 1888. Schulte, Z. Herkunft
d. H. MJÖG. X. W i 1 1 e , Z. Abst. d. österr. Kaiserhauses. MJÖG. XVII. Liebe na u,
Die Anfänge d. H. H. 1883. Heyck, Die Zähringer. Hub er, Rud. v. H. vor seiner
Thronbesteigung. Wien 1873. S c h m i d 1 i n , Ursprung u. Entfaltung der habsb. Rechte
im Oberelsafs. 1902 Loserth in d. ADB. Dierauer, Gesch. d. Schw. Eidgenossen-
schaft I. Merz, Die Habsburg. 1896. Langl, Die Habsburg. 1895. Zur Gesch.
Rudolfs (mit Ausschlufs der ganz veralteten Schriften). Kopp, Gesch. d. eidgen,
Bünde I, H. Leipz. 1845—71. O. Lorenz, Deutsche Gesch. im XIII. u. XIV. Jahrh.
AVien 1863 — 1866. Lindner, Deutsche Gesch. unter den Habsb. u. Luxemburgern.
Stuttg. 1888. Die allg. deutschen Geschichten wie Lamprecht IV, Xitzsch HI.
Assmann-Viereck, Gesch. d. MA. 3. Abt. 3. A. 1902. Michael, Gesch. d. d.
Volkes. Freib. 1897. R a n k e , Weltgeschichte VIII. Spezi al Schriften: F.Walter,
Die Polit. d. Kurie unter Gregor X. Beii. 1894. Zisterer, Gregor X. u. Rud. v. H.
Freib. 1891. Otto, Die Bez. Rudolfs von Habsburg zu Gregor X. Innsbr. 1895.
Wert seh, D. Bez. R. v. H. zur röm. Kurie bis z. Tode Xikolous III. Giese, R. v. H.
u. die röm. Kaiserkrone. Halle 1893. Die allgem. Werke zur Gesch. der Päpste und
Gregor X. und seine Politik. Der Tod K. Richards. 179
die Schriften von Deussen, Muth, Engelmahn, Dönitz s. oben. Otto, Verzichtleistung
K. Alfons' X. MJÖG. XVI. Redlich, Die Anfänge Rudolfs v. H. MJÖG. X. u. Erg.
Bd. IV. Gössgen, Die Bez. R. v. H. zum Elsafs. Strafet). 1899. G. v. d. Kopp, Erzb.
Werner v. Mainz. Göttingen 1871. Baörwald, De electione Rudolfi. 1855. Riedel,
Graf R. v. H. u. Burggr. Friedrich v. Nürnberg. 1853. Witte, Burgg. Friedrich III. von
Nürnberg u. d. Zollernsche Besitz in Österreich. MJÖG. XXI, 235—250. Grauert,
Zur Vorgesch. d. Wahl Rudolfs. HJb. XIII. Breslau, Z. Vorgesch. d. Wahl Rs.
MJÖG. XV. Heller, Deutschland u. Frankreich in ihren pol. Beziehungen. Göttingen
1874. Lorenz, D. siebente Kurstimme. Wiener SB. XVII. F ick er, Fürstl. Wille-
briefe. MJÖG. III. Scheffer-Boichorst, Zur Gesch. d. pfalz-bayr. Kur. München
1884. Redlich, Habsburgj Ungarn u. Sizilien. Festschrift f. Büdinger 1898. Ehren-
berg, Der Reichstag 1273—1378. Hist. Stud. 1883. Müller, Gesch. d. böhm.
Kur 1273—1356. Diss. 1891.
1. Bald nach der Schlacht bei Benevent zeigte es sich, dafs der
französische Einflufs in Italien dem Papsttum nicht weniger gefährlich
sei als jener der Staufer. Der Sieg bei Alba hatte die Stellung König
Karls aufs er ordentlich gefestigt. In Rom zum Senator gewählt, wurde
er vorn Papst auf 10 Jahre bestätigt. Roms Münzen trugen sein Bild.
Die Stadt wurde durch seine Vikare regiert. Seine Herrschaft war hart
und seine Macht durch die lange Vakanz des päpstlichen Stuhles ge-
stiegen. Wenige Wochen nach Konradins Tod war nämlich Klemens IV.
gestorben. Der päpstliche Stuhl blieb nun drei Jahre lang unbesetzt,
da sich die Kardinäle über keinen Kanditaten zu einigen vermochten.
Neben der französischen, vom Könige Karl begünstigten Partei gab es
eine italienische, die auf die Wahl eines von Frankreich unabhängigen
Papstes drängte. Endlich1) wurde am 1. September 1271 Tedald aus
dem Hause Visconti in Piacenza als Gregor X. (1271 — 1276) gewählt.
Die Kunde hievon traf ihn in Akkon. Er hatte die trübseligen Ver-
hältnisse daselbst aus eigener Anschauung kennen gelernt und war daher
mehr als einer seiner unmittelbaren Vorgänger bemüht, einen allgemeinen
Kreuzzug zustande zu bringen. In diesem Sinne nahm er die Verhand-
lungen mit Michael Paläologos über die Union der morgen- und abend-
ländischen Kirche lebhaft auf, trat den gegen Ostrom gerichteten Plänen
Karls von Anjou entgegen und suchte unter allen christlichen Herrschern
Frieden und Eintracht herzustellen, vornehmlich in jenem Reiche, das
der abendländischen Christenheit das weltliche Oberhaupt gab — Deutsch-
land. Dem deutschen König und künftigen Kaiser war bei seinen Kreuz-
zugsplänen eine hervorragende Rolle zugedacht.
2. Am 2. April 1272 starb König Richard. Noch lebte König
Alfons X. Dieser meinte nun, die Anerkennung des Papstes und die
Kaiserkrone zu erhalten, ja er verlangte, dafs der Papst den Wahl-
fürsten die Vornahme einer Neuwahl verbiete ; das lehnte der Papst ab,
da es ihn in einen Streit mit König Karl, dem Gegner Alfons' X., ver-
wickelt hätte. Er wies auf das freie Wahlrecht der Kurfürsten hin.
Noch ablehnender verhielt er sich gegen die Kandidatur Friedrichs des
Freidigen von Meifsen, eines Enkels Kaiser Friedrichs IL, und so auch
*) Quem patrem patrum fecit discordia fratrum.
12*
ISO Wahlkandidaten nach dem Tode König Richards.
gegen die des französischen Königs Philipp III., die von Karl von Anjou
in der Hoffnung gefördert wurde, in seinen italischen Plänen nicht ge-
stört zu werden. Da die Wahlangelegenheit in Deutschland langsam
in Flufs kam, trug der Papst den Kurfürsten die Wahl eines Königs
auf, widrigenfalls er dem Reiche selbst ein Oberhaupt setzen würde
(1273, Juli). Schon im August 1272 unterhandelte der Erzbischof von
Köln mit dem böhmischen König über die Vornahme der Neuwahl.
Ottokar trat hierüber selbst mit dem Papst und König Karl in Fühlung;
in seinen Ländern erwartete alles seine Wahl und von ihr zugleich die
Wiederaufrichtung des daniederliegenden Kaisertums. Nur wenn er
selbst gewählt wurde oder eine zwiespältige Wahl erfolgte , durfte er
übrigens hoffen, seinen grofsen Ländergewinn zu sichern. Aber seine
Kandidatur wurde vom Papst nur unter der Voraussetzung gebilligt,
dafs sie den deutschen Fürsten gefalle, und diesen war er zu mächtig.
Die Hoffnung auf ihre Uneinigkeit hielt ihn ab , sich kräftig an dem
Wahlgeschäft zu beteiligen. Aufser Ottokar IL strebte der Pfalzgraf
Ludwig nach der Krone ; ihm galt es, seinen nach Konradins Tode er-
worbenen Besitz, bei dem sich viel Reichsgut befand, zu sichern. Ehe
noch der Befehl des Papstes in Deutschland eintraf, hatten die rheinischen
Kurfürsten sich geeinigt, Die Führung übernahm der Erzbischof Werner
von Mainz. Am 16. Januar schlofs er ein Bündnis mit Ludwig. Dann er-
klärten die mittelrheinischen Städte, nur einen einhellig gewählten König
anzuerkennen, worauf allmähüch auch Köln und Trier, Sachsen und
Brandenburg mit Mainz in Verbindung traten. Böhmen, mit welchem
kein Übereinkommen erzielt werden konnte, wurde nicht weiter berück-
sichtigt. Als Gregor X. den Bann aufhob, der noch auf Ludwig als
Anhänger Konradins lastete, konnte dieser als Wähler und zugleich als
Bewerber auftreten. Aber auch ihm stand seine grofse Macht im Wege,
jedenfalls mehr als die staufischen Erinnerungen; denn diese hafteten
auch an dem Grafen Rudolf von Habsburg, der nun vom Burggrafen
Friedrich von Nürnberg in Vorschlag gebracht1) und zum Zweck der
Sicherung seines grofsen Allodialbesitzes in Osterreich, sowie des von ihm
erworbenen Reichsgutes eifrig gefördert wurde. Geringere Aussichten
hatte die Kandidatur Siegfrieds von Anhalt, der den rheinischen Wähler-
kreisen völlig fremd war. Dagegen genofs Graf Rudolf von Habsburg .
der Sprosse eines uralten, aus dem Elsafs stammenden Geschlechtes,
dessen Besitz von den Alpenpässen der Schweiz bis vor die Tore von
Kolmar reichte, und dessen Macht doch nicht grois genug war, um die
Besorgnisse der Kurfürsten wachzurufen, die besten Aussichten. Sein
Ruf als erfahrener Kriegsmann und trefflicher Hauswirt reichte weit
über die Grenzen seiner engeren Heimat. Dabei stand er in guten
Beziehungen zu Mainz und Pfalz. Noch vor der Wahl wurden Verein-
barungen über die Wiedergewinnung des abhanden gekommenen Reichs-
gutes getroffen. Zu diesem gehörten nicht blofs Domänen, sondern da
ein jedes Recht seine nutzbare Seite hatte, auch Lehen und Gerichts-
1 Ober che Motive s. Witte, wie oben.
Die Königs wähl Rudolfs. Das Haus Habsburg. 181
barkeiten. Nun wurde festgesetzt, dafs in Zukunft über Reichsgut nicht
mehr ohne die Zustimmung der Kurfürsten verfügt werden dürfe. Diese
erfolgt — vor oder nachher — in der allerdings nicht neuen,
jetzt aber neubelebten Form der Willebriefe oder durch Mitbesieglung
oder mündliche Zustimmung. Indem nun der König bei allen wichtigen
Verfügungen an die Zustimmung der Kurfürsten gebunden war, gestaltete
sich das Kurfürstentum, vom König anerkannt und mit festen Rechten
ausgestattet, zum festen Kern für eine mächtige ständische Entwicklung.1)
Die Bestimmung erhielt sogar eine rückwirkende Kraft2), indem die
Aufsuchung und Einziehung aller Güter angeordnet wurde, die seit
Friedrichs II. Absetzung dem Reiche ohne Zustimmung der Mehrheit
der Kurfürsten entzogen worden waren. Die »Re Vindikation« des Reichs-
gutes sollte freilich nur insoweit erfolgen, als es sich nicht in der Hand
von Rudolfs Wählern befand, und konnte somit zunächst nur Ottokar
gegenüber durchgeführt werden. Allerdings mochten die Kurfürsten
hiebei mehr an Revindikationen für das Reich als für das Haus des
Königs gedacht haben. Den einzelnen Kurfürsten wurde die Schadlos-
haltung für ihre Wahlkosten zugesagt, der Pfalzgraf gewonnen, indem
ihm eine von Rudolfs Töchtern verheifsen und sein Erwerb aus Kon-
radins Erbschaft gesichert wurde. In gleicher Weise war das Vorgehen
gegenüber Sachsen und Brandenburg. Der Wahltag wurde auf den 29.
September festgesetzt und Böhmens Wahlrecht trotz der Einsprache des
Bischofs von Bamberg gegen die Nichtberücksichtigung Böhmens und die
Wahl Rudolfs als einer nichtfürstlichen Person dadurch beseitigt, dafs die
siebente Kurstimme Bayern zugesprochen und bestimmt wurde, dafs sie
gemeinsam vom Pfalzgrafen Ludwig und dem Herzog Heinrich geführt
werden solle. Die Wahl erfolgte am 1. Oktober: die Kurfürsten über-
trugen ihre Stimmen dem Pfalzgrafen, und dieser verkündigte den Grafen
Rudolf von Habsburg als erwählten römischen König. Rudolf hatte
eben noch mit dem Bischof von Basel in Fehde gestanden, am 22. Sep-
tember die Belagerung von Basel aufgehoben und war rheinabwärts
gezogen. Am 2. Oktober hielt er seinen Einzug in Frankfurt und am
24. wurde er in Aachen zum König gekrönt.
Die Anfänge des habsburgischen Hauses liegen im oberen Elsafs, Basel abwTärts
zu beiden Seiten des Rheins bis unterhalb Breisachs zwischen den Vogesen und dem.
Schwarzwald. Von dort hat sich seine Macht einerseits nach Unterelsafs und dem Breisgau,
andererseits auch in die Gegend an der Aar und Reufs verbreitet. Ahnherr des Hauses
war Guntram der Reiche (f 973). Aller Wahrscheinlichkeit nach gehörte er den
Etichonen, dem alten Herzogsgeschlechte im Elsafs, an. Bischof Werner erbaute (um 1020)
die Habichtsburg auf der Höhe des Wülpelsberges unwTeit Brugg im Aargau. Zum ersten-
mal wird 1090 ein Habsburger als Graf bezeichnet. Es ist Otto, der sich eng an
Heinrich V. anschlofs. Die Sprossen des Geschlechtes verstanden es trefflich, ihres
Hauses Macht zu mehren. So auch Graf Rudolf, 1218 geboren und von keinem Geringeren
als Friedrich IL aus der Taufe gehoben, blieb er den Staufern treu zugetan. Xach
dem Tode seines Vaters Albrecht, der 1239 oder 1240 im hl. Lande starb, trat er
seinen reichen Erbbesitz an. Schon wrar Habsburg eines der bedeutenderen Dynasten-
x) Herzberg-Fränkel, Rudolf von Habsburgs Wahl und Anerkennung, S. 3.
2) Man darf darin nichts Besonderes sehen ; es ist die Methode, die Friedrich IL
in Sizilien und Eduard I. in England geübt hat,
182 Böhmens Protest. Die Haltung der Kurie.
häuser im südwestlichen Deutschland. Die Habsburger hatten, aufsei* dem Besitz in Elsafs,
die Grafschaft im westlichen Zürichgau, im Aargau und Frickgau, die Landgrafschaft
im Elsafs, die Yogtei in Luzern und Glarus, die Grafschaft Kyburg, die Landgrafschaft
im Thurgau usw.1 Über die äufsere Erscheinung Rudolfs berichtet die Kolmarer
Chronik : »Er war ein Mann von grofser Gestalt, 7 Fufs lang, schlank, mit kleinem Kopf,
bleichem Gesicht, langer Xase, spärlichem Haarwuchs und langen, schmalen Händen
und Füfsen. In Speise und Trank ruäfsig, war er ein weiser, umsichtiger Mann, doch,
selbst bei den reichsten Geldmitteln in steter Geldverlegenheit.« In jüngeren Jahren
war er Friedrich II., trotz Bann und Interdikt, nahe gestanden und blieb auch auf dieser
Seite, als sich, ein grofser Teil des schwäbischen Adels von den Staufern abwandte ;
gleichwohl waren die Verhältnisse so sehr geändert, dafs eine Wiederaufnahme der
staufischen Politik von ihm nicht zu erwarten war.
3. Trotz der einmütigen Wahl und der allgemeinen Anerkennung,
die Rudolf im deutschen Lande mit Ausnahme Böhmens fand, dauerte
es doch zwei Jahre, bis Gregor X. die Wahl anerkannte. Der Böhmen-
könig setzte alles daran, sie zu hintertreiben. Hatten die Kurfürsten
nach der Krönung Berichte über den Vorgang an den Papst geschickt
und um die Kaiserkrone für Rudolf gebeten, so wandte sich auch
Ottokar, der schon gegen die Wahl protestiert hatte, mit der Bitte an
den Papst, ihn in seinen Rechten zu schützen und das Reich vor der
Schmach zu bewahren , einem unbekannten , bettelarmen Mann über-
geben zu werden. Dasselbe Ziel verfolgte auch eine Denkschrift, die
Ottokars Berater, Bischof Bruno von Olmütz, für das Konzil von Lyon
ausarbeitete und in der er die Wahl als zwiespältig und Ottokar allein
als den Mann hinstellte, der die Christenheit gegen die Ketzer zu schützen
und dem hl. Lande zu helfen vermöge. König Rudolf sandte im
Dezember 1273 seine Boten an die Kurie und bat, ihn seinerzeit mit
dem kaiserlichen Diadem zu zieren. Das Konzil wurde am 7. Mai 1274
eröffnet und tagte bis zum 17. Juli. Zur Beratung gestellt wurden:
die Kreuzzugsfrage, die Union mit der griechischen Kirche und die Re-
formation des Klerus. Daneben wurde auch über politische Fragen
verhandelt. Die deutschen Bischöfe drängten auf die Anerkennung
Rudolfs und wiesen die Bemühungen der kastilischen Gesandten zugunsten
Alfons' X. zurück. König Ottokar liefs seine Sache durch die Bischöfe
von Olmütz und Seckau vertreten. Als aber Rudolfs Gesandter (am
6. Juni) in dessen Xamen die von Otto IV. und Friedrich IL ausge-
stellten Eide und Privilegien beschwur und Rudolf dem Papste die ge-
wünschten Zugeständnisse machte, war dessen Entscheidung nicht mehr
zweifelhaft. Schon war Rudolf mit Ungarn in Verbindung getreten ; nun
drängte der Papst, dafs Alfons X. seinen Ansprüchen auf das Kaisertum
entsage, brachte eine Annäherung zwischen Rudolf und Karl von Anjou
zustande und legte dem König Ottokar, dessen Wahlrecht im übrigen
nicht bestritten wurde, die Anerkennung Rudolfs ans Herz. In Bezug
auf die ihm streitig gemachten österreichischen Länder (s. unten) sollte
er sich dem Schiedsspruch des Papstes unterwerfen. Die österreichische
Frage sollte demnach noch vor der Anerkennung Rudolfs entschieden
werden. Zu seinem eigenen Schaden schlug Ottokor ein hinhaltendes
*) Genaue Beschreibung bei Redlich, S. 20.
Die Anerkennung Rudolfs. Die Revindikation des Reichsgutes. 133
Verfahren ein. Um für sein ferneres Vorgehen Zeit zu gewinnen, er-
klärte er sich bereit, nach vier Jahren einen Kreuzzug zu unternehmen,
dann erwarte er einen gütlichen Vergleich durch den Papst. Darauf
ging Gregor X. nicht ein. Nun knüpfte Ottokar Verbindungen mit
Alfons an, regte ihn zum Widerstand auf und setzte sich mit den Ghi-
bellinen Oberitaliens, die für Alfons eintraten, und mit einzelnen deutschen
Fürsten in Verbindung. Nachdem Ottokar die Anerbietungen des Papstes
zurückgewiesen hatte, erkannte dieser (am 26. September 1274) Rudolf
als römischen König an; zeitgenössische Schriftsteller sahen darin eine
förmliche Approbation seines Königtums.1) Ottokars Proteste waren
damit erledigt. Den König Alfons vermochte der Papst zum Verzicht
auf das Kaisertum. Bei der Zusammenkunft Gregors X. mit Rudolf,
die in Lausanne (1275, 15. Oktober) stattfand, legte dieser und sein Ge-
folge das Kreuzzugsgelübde ab. Für die Kaiserkrönung wurde Lichtmefs
des nächsten Jahres in Aussicht genommen, doch ist es weder zu dieser
noch zu dem Kreuzzug gekommen, denn Gregor X. starb schon am
10. Jannar 1276, und die Politik der nächsten Päpste bewegte sich in
anderen Bahnen.
§ 41. Die Revindikation des Reichsgutes und das Rechtsverfahren
gegen Ottokar IL Die Kriege von 1276—1278.
Hilf s Schriften. S. §40. Dazu: Lamprecht, Die Entstehung der Wille-
briefe u. die Revindikation des Reichsgutes unter Rudolf v. H. Forsch. XXI, XXIII.
Plischke, Das Rechtsverfahren gegen Ottokar. Bonn 1885. Zeifsberg, Über
das Rechtsverfahren Rs. v. H. gegen Ottokar v. B. AÖG. 69, s. dazu MJÖG. X, 381.
Busson, Salzburg u. Böhmen vor dem Kriege von 1276. Ebenda 65. Dop seh,
Die Kärten-Krainer Frage. AÖG. 87. Scheffer-Boichorst, Die ersten Beziehungen
zw. Habsburg u. Ungarn. MJÖG. X. Redlich, Habsburg, Ungarn u. Sizilien. Fest-
schrift f. Büdinger 1898. Redlich, Zur Gesch. d. öst. Frage unter K. Rudolf I.
MJÖG. Erg. Bd. IV. K u p k e , Das Reichsvikariat u. die Stellung der Pfalzgrafen bei
Rhein. Diss. 1891. Zu den beiden Kriegen: Köhler, Die Schlacht auf dem March-
feld. Forsch. XIX— XXI. MJÖG. III. Busson, Der Krieg von 1278 u. die Schlacht
bei Dürnkrnt. AÖG. 62. Köhler, D. Entwicklung d. Kriegswesens II, 92. Gräbner,
Rudolf von Habsburg u. Otto von Brandenburg. 1901. Paul er, .Gesch. Ung. im Zeit-
alter der Arpaden (magyarisch). Boczek, Mähren unter Rudolf I. Gräbner,
Böhmische Politik vom Tode Ottokars II. bis z. Aussterben der Pfemysliden MVGDB.
XLI, 313. Die Lit. zu den Stadtrechtsprivilegien Wiens s. Redlich-Böhmer Regg.
Xr. 974, 975. Krones, Die Herrschaft König Ottokars von Böhmen in Steiermark.
Mitt. hist. Ver. Steierm. XXII. Friefs, Die Herren v. Kuenring. Löschke, Die
Politik K. Ottokars geg. Schlesien u. Polen. ZG. Schles. XX.
1. Seiner Aufgabe, die Revindikation des Reichsgutes vorzunehmen,
kam König Rudolf um so eifriger nach, als sie die Handhabe bot, gegen
Ottokar vorzugehen, dessen Monarchie sich auf Kosten des Reiches zu
einem von diesem fast unabhängigen, ja ihm feindseligen Staate ent-
wickelt hatte. Demgemäfs wurde schon auf dem Hoftag von Speyer
(1273, Dezember) der allgemeine Befehl erlassen, dafs alles ungebührlich
erworbene Reichsgut herauszugeben sei. 2) Die Vögte und Beamten des
*) So Hermann von Altaich, S. 409.
2) Redlich-Böhmer, Xr. 48. S. den Zug Rudolfs gegen den Markgr. v. Baden
wegen Revindikation von Reichsgut. RB. 190 a, 191.
184 ^as Rechtsverfahren gegen König Ottokar.
Reiches haben solches Gut aufzusuchen und einzuziehen. Bei der
Mangelhaftigkeit der Rechtstitel Ottokars auf seine Ländererwerbungen
konnten auf Grund dieser Anordnung Osterreich, Steiermark, Kärnten,
Krain, die windische Mark und das Egerland entweder als heimgefallene
Lehen oder entfremdetes Reichsgut in Anspruch genommen werden-
Der Neutralität der Kurie versichert, leitete Rudolf ein förmliches Rechts-
verfahren gegen Ottokar ein. Dem Reichstag von Nürnberg legte er
im November 1274 die Fragen vor: 1. Wer Richter sein solle, wenn er
gegen einen Fürsten wegen widerrechtlichen Besitzes von Reichsgut
Klage erhebe. Die Antwort lautete : der Pfalzgraf. Als dieser den
Richterstuhl bestiegen, fragte der König weiter, was bezüglich der dem
Reiche seit der Absetzung Friedrichs IL entrissenen Güter zu geschehen
habe. Die Antwort lautete : sie seien einzuziehen und der König ver-
pflichtet, dem Reich zu seinen Rechten zu verhelfen. Auf Rudolfs dritte
Frage, was bezüglich des Königs von Böhmen zu geschehen habe, der
seit der Königswahl Jahr und Tag habe verstreichen lassen, ohne um
die Belehnung mit seinen Reichslehen anzusuchen, erfolgte der Spruch :
Wer immer ohne echte Not, sei es aus Nachlässigkeit oder Widersetzlich-
keit, binnen Jahr und Tag seine Lehen nicht mute, soll ihrer nach
Ablauf dieser Frist verlustig gehen. Auf die Frage endlich, wie gegen
Ottokar, bei welchem Widersetzlichkeit vorliege, vorzugehen sei, wurde
entschieden, ihn zur Verantwortung vor den Pfalzgrafen zu zitieren. Die
Entscheidung in der zweiten Frage genügte, um gegen den Böhmen-
könig in Bezug auf seine österreichischen Länder vorzugehen; bezüglich
Böhmens und Mährens mufste der Weg des Lehensprozesses ein-
geschlagen werden. Ottokar erschien weder in Würzburg, wohin er auf
den 23. Januar, noch in Augsburg, wohin er auf den 15. Mai geladen
wurde. Wohl aber entsandte er nach Augsburg den Bischof von Seckau,
der Rudolfs Wahl und Wähler so heftig angriff, dafs ihn nur das Ein-
schreiten des Königs vor dem Zorn der Fürsten schützte. Nun wurden
ihm wegen vorsätzlichen Lmgehorsams 2) seine Reichslehen (Böhmen und
Mähren) und seine Reichsämter (das Schenkenamt) und in Ausführung
des ersten Nürnberger Spruches Österreich und die übrigen neu-
erworbenen Länder als entfremdetes Reichsgut aberkannt und die siebente
Kurstimme endgültig an Bayern gegeben. Da Ottokar die Aufforderung,
die Reichslehen und entfremdeten Reichsgüter auszuliefern, in schroffer
Form abwies, wurde über ihn zuerst die einfache und am 24. Juni 1276
die Ober acht ausgesprochen. Damit war der Kriegsfall gegeben.
2. Mittlerweile hatte Rudolf, an den sich die Brüder Meinhard und
Albrecht von Görz-Tirol aufs engste anschlössen und ihm die Freund-
schaft Ungarns vermittelten, den letzten Sponheimer Philipp mit Kärnten
und den dazu gehörigen Teilen von Krain und der Mark belehnt und
den Erzbischof von Salzburg, die in Österreich begüterten Bischöfe und
viele der österreichischen mit Ottokars Regimente unzufriedenen Adeligen
für sich gewonnen. Gegen diese schritt Ottokar ein: er nahm vom Adel
l) Gontumacia.
Der er.ste Krie<r gegen Ottokar. 185
und den Städten Geiseln, zwang die Bischöfe durch die Temporalien-
sperre und den Erzbischof von Salzburg durch die Verwüstung seiner
Besitzungen sich mit ihm zu vergleichen und suchte selbst noch Ungarn
auf seine Seite zu ziehen. Mitte August 1276 brach Rudolf vom Rheine
auf. Von den Kurfürsten unterstützten ihn nur Mainz und Pfalz. Von
entscheidender Bedeutung war der Anschlufs Bayerns an Rudolf, wofür
dieser seine Tochter Katharina mit Otto, dem Sohn Herzogs Heinrichs,
verlobte und als Pfand für den Brautschatz Oberösterreich anwies. Nach
einem von dem Erzbischof von Salzburg entworfenen Kriegsplan sollte
Rudolf Böhmen beunruhigen, um dessen Hauptmacht dort festzuhalten,
Meinhard von Tirol zur Unterstützung der Gegner Ottokars in
Kärnten und Steiermark einrücken und ein drittes Heer in das von Ver-
teidigern entblöfste Österreich eindringen. Während Ottokar den Angriff
bei Tepl erwartete, änderte Rudolf nach Bayerns Anschlufs den Plan
und wTandte sich mit seiner Hauptmacht nach Österreich, indes
Meinhard in Steiermark einrückte, wo nun die Dienstmannen Steiermarks
und Kärntens in grofser Zahl in dem nordwestlich von Graz gelegenen
Zisterzienserkloster Reun zusammentraten und sich für König Rudolf
verpflichteten. Nur der Klerus und die von Ottokar begünstigten Städte
blieben entweder neutral oder auf Seiten Ottokars. Ende September
rückte Rudolf in Österreich ein; am 18. Oktober stand er vor Wien.
Ottokar war inzwischen durch Ober Österreich ins Marchfeld gezogen.
Seine Scharen lichteten sich durch den Abfall der Adeligen, die dem
Beispiel der Steirer und Kärntner folgten. Verhängnisvoll aber wurde
für ihn die Opposition des böhmischen Adels gegen das böhmische
Landesfürstentum, besonders der Witigonen unter Zawisch von Falkenstein.
Als sich auch die Ungarn trotz anfänglicher Verstimmung wieder Rudolf
näherten, kam Ottokar in Gefahr, von zwei Seiten angegriffen zu werden.
Daher war er zu einem friedlichen Abkommen geneigt, das denn auch
am 21. November 1276 getroffen wurde.2) Danach trat Ottokar Öster-
reich, Steiermark, Kärnten, Krain, die Windische Mark und das Egerland
an das Reich ab und erhielt die Belehnung mit Böhmen und Mähren.
Sein Sohn Wenzel wurde mit einer Tochter Rudolfs (Guta), seine Tochter
Kunigunde mit Hartmann, einem Sohne Rudolfs, verlobt; die gegen-
seitigen Gefangenen sollten ausgewechselt, eine Amnestie erlassen und
Ungarn in den Frieden eingeschlossen sein. Ottokar leistete (am
25. November) die Huldigung, und Rudolf hielt (am 29. oder 30.) seinen
Einzug in Wien.
3. Über die Ausführung des Novembervertrages kam es bald zu
Mifshelligkeiten. Ottokar weigerte sich, das Land nördlich von der
Donau, da es als Pfand für die Aussteuer Gutas verschrieben sei, heraus-
zugeben, während Rudolf die Zeit der Verpfändung erst nach der
Heirat für gekommen erachtete. Ebenso zögerte Ottokar, Hainburg und
Eger, dieses als Mitgift seiner Mutter, herauszugeben. Schon 1277 stand
0 RB. 578, 579, 588 a.
2) 623.
136 Neue Mifshelligkeiten. Wiederausbruch des Krieges.
der Wiederausbruch des Krieges bevor, doch kam es noch einmal zu
einem für Ottokar freilich viel ungünstigeren Vergleich (6. Mai), in
weichern von Kunigundens Vermählung keine Rede mehr ist und der
Tochter Rudolfs Eger als Heiratsgut verschrieben wird. x) Ein Ergänzungs-
vertrag (12. September) gesteht Ottokar volle landesfürstliche Gewalt zu
und setzt seine Pflichten dem Reiche gegenüber fest. Doch tauchten
neue Schwierigkeiten auf. Ottokar klagte über die fortgesetzte Unbot-
mäfsigkeit der Witigonen, die die Verbindung mit Rudolf aufrecht hielten.
Reichsgewalt und Landeshoheit traten einander gegenüber: Ottokar wollte
keinen Einnufs des Reiches auf die inneren Angelegenheiten Böhmens
dulden. Zu nochmaligem Waffengang entschlossen, suchte er Bundes-
genossen unter den schlesischen und polnischen Fürsten. Bisher ein
werktätiger Freund des deutschen Elementes in seinen Erbländern, hob
er jetzt die Gemeinsamkeit der Tschechen und Polen den Deutschen
gegenüber hervor.2) Von deutschen Fürsten gewann er Meifsen,
Thüringen und Brandenburg; mit Köln verhandelte er, und selbst Mainz
und Trier suchte er auf seine Seite zu ziehen. Heinrich von Bayern
liefs sich durch Geld gewinnen. Rudolf war diesen Vorgängen gegen-
über nicht müfsig geblieben. Er schlofs ein Schutz- und Trutzbündnis
mit Ungarn (1277, 12. Juli) und traf (11. November) mit König Ladis-
laus in Haimburg zusammen. Der ungarischen Hilfe gewärtig, der
Unterstützung der Österreicher und Meinhards versichert, im Besitz der
Hauptstadt und der mächtigen Verteidigungslinie an der Donau, nahm
er den Kampf auf. Den Wienern, die dem neuen Regiment wegen des
auf ihnen lastenden Steuerdruckes abgeneigt waren — noch im Früh-
jahr 1278 wurde eine Verschwörung entdeckt, an der aufser dem Marschall
Heinrich von Kuenring der Wiener Bürger Paltram beteiligt war —
wurden die jüngst erst bestätigten Privilegien der letzten Babenberger
und Kaiser Friedrichs IL neuerdings zugestanden, deren Gültigkeit aber
von ihrem Wohlverhalten abhängig gemacht. Wenn Rudolf aus dem
»Reiche« nur wenig Hilfe bekam, liegt der Grund darin, dafs er sich
um sie nicht besonders bemüht hat.3) Um so freier konnte er nach
gewonnenem Siege über dessen Früchte verfügen. Die Entdeckung der
Verschwörung nötigte Ottokar, vorzeitig loszuschlagen. Am 27. Juni zog
er von Prag aus. In Brunn erwartete er den Zuzug böhmischer und
mährischer Grofsen und die schlesischen und polnischen Hilfstruppen.
Wie er sich aber in seiner Hoffnung auf eine Erhebung der öster-
reichischen Städte täuschte, so unterschätzte er das Eingreifen Ungarns.
Mit der Belagerung von Laa verlor er kostbare Zeit. Mittlerweile
sammelte Rudolf seine Streitkräfte. Die Ungarn standen bereits am
6. August bei Prefsburg. Am 14. brach er von Wien auf, zog auf
dem rechten Donauufer nach Hainburg und setzte — was die Ungarn
schon vor ihm getan hatten, über die Donau. In Marchegg sammelten
1) R. B. 648, 656 a, 753.
2) S. hierüber die trefflichen Ausführungen bei Redlich, S. 305.
3) Busson, S. 24—28.
Die Schlacht bei Dürnkrut und Ottokars Ende. 187
sich die Reste seiner Truppen aus Osterreich, Steier und Schwaben.
Eine Heeresabteilung hatte den böhmischen König derart beunruhigt,
dafs er die Belagerung von Laa aufhob und an die March zog, dann
aber untätig zwischen Drösing und Jedenspeugen stehen blieb. Nach
kurzer Beratung mit Ladislaus entschlofs sich Rudolf zur Schlacht. Sie
wurde am 26. August — einem Freitag — geschlagen. Ottokars Heer
— an 30000 Mann — war jenem Rudolfs, das nur 2000 Ritter zählte,
an schwerer Reiterei überlegen, die Hilfstruppen Ungarns werden aller-
dings auf 15000 Mann geschätzt, waren aber meist Bogenschützen und
als solche im Schlachtgemenge wenig zu brauchen. Der Schlachtort war
das Kruterfeld zwischen Dürnkrut und Jedenspeugen. Der Kampf, der
um 9 Uhr begann, dauerte 5 — 6 Stunden :) und endete nach hartem
Ringen mit einem vollen Sieg Rudolfs. Die Entscheidung brachte seine
kleine Reserve, welche die rechte Flanke der Feinde durchbrach und
sie gegen die March drängte. Als sich eine Stimme unter den
Kämpfenden hören liefs : Sie fliehen, sie fliehen ! stürzte sich ein Teil
der Fliehenden blindlings in die March, wobei Hunderte ertranken. Die
Flucht erfolgte nordwärts gegen Drösing. Ottokar suchte erst, als er das
Vergebliche ferneren Widerstandes erkannte2), sich nach Drösing durch-
zuschlagen, wurde aber eingeholt und von persönlichen Feinden er-
schlagen. Die Leiche wurde erst nach Wien, dann nach Znaim und
endlich nach Prag überführt. Rudolf leitete eine kräftige Verfolgung
ein, ' welche die Vernichtung der Feinde vollendete. Seine Verluste
waren unbedeutend. Schon nach drei Tagen entliefs er die unbequem
gewordenen ungarischen Hilfstruppen. Er dürfte den Ungarn die Gewähr-
leistung der alten Grenzen zugesichert haben. Noch vom Feldlager aus
schickte er seine Siegesberichte aus. Ende August rückte er, ohne
Widerstand zu finden, in Mähren ein. Bischof Bruno, der Adel und
die Städte Mährens unterwarfen sich. Da Ottokars Sohn Wenzel erst
sieben Jahre alt war, übernahm Markgraf Otto von Brandenburg, den
Wenzel für den Fall seines Todes zum Vormund seiner Kinder ernannt
hatte, die Regentschaft. Rudolf drang bis in die Nähe von Kuttenberg,
während Otto bei Kolin lagerte. Ehe es zu einem neuen Kampfe kam,
vermittelten der Erzbischof von Salzburg und Bischof Bruno von Olmütz
den Frieden. Otto wurde auf fünf Jahre als Landesverweser und Vormund
Wenzels anerkannt. Für dieselbe Zeit durfte Rudolf Mähren besetzt
halten. Der Friede wurde durch eine Doppelheirat zwischen Rudolfs
Kindern Guta und Rudolf und denen Ottokars Wenzel und Agnes
besiegelt und zugleich ein Eheverlöbnis zwischen Rudolfs Tochter Hedwig
und einem Bruder des Brandenburgers geschlossen. Von den übrigen
Gegnern Rudolfs mufste Heinrich von Bayern das ihm verpfändete Ober-
österreich herausgeben.
*) Über die Lit. zur Schlacht, Redl.-Böhmer 993. Beschreibung der Schlacht bei
Redlich, Rudolf v. H., S. 320 ff.
2) More et animo gyganteo virtute mirabili se defendit. Rud. an d. Papst. Bodui. 92.
28g König Rudolf und das Papsttum.
§ 42. Rudolfs Politik toh 1279—1282. Die Erwerbimg Österreichs
für das Haus JTabsburs?. König Rudolf und das Reich in den letzten
Jahren seiner Regierung.
Quellen. Zur Papstgesch. s. auch § 47. Potthast, Regg. pontiff. Rayn. Annal.
eccl. Die Lebensbeschreibungen der Päpste Innozenz V, Johann XXI, Nikolaus III,
Honorius IV. u. Nikolaus IV. bei Murat. III, 2, 426—435 u. III, 1, 605—613. Zur Be-
lehnung der Habsburger s. auch Sehwind u. Dopsch. Ausgew. Urkk. Innsbr. 1895.
Zur ausw. Polit. auch Rynier Foedera I.
Hilfsschriften s. oben. Dazu : Gregorovius, Geschichte d. St. Rom V.
S tapp er, Papst Johann XXL Mimst. 1899. Giese, Rud. v. H. u. d. Kaiserkrone
MJÖG. XVI. P a w 1 i c k i , Papst Honorius IV. Münster 1896. Wilhelm, Die Schriften
des Jordanus von Osnabrück. MJÖG. XIX, 615 ff. Jordanus tritt den Plänen Xikol. LH.
auf Abschaffung des Imperiums entgegen'. Zur Belehnungsfrage : Redlich, wie oben,
v. Zeifsberg, Rudolf v. H. u. der österr. Staatsgedanke. Festschr. zur Sechshundert-
jahrfeier der Belehnung des Hauses Habsburg mit Österreich "Wien 1882. Dopsch,
Die Kärnten-Krainer Frage u. die Territorialpolitik der ersten Habsburger in Österr.
AÖG. ST Absehliefsende Arbeit. Wyneken, Der Landfrieden in Deutschland.
Gott. 1886. Schrohe, Die politischen Bestrebungen Erzb. Siegfrieds v. Köln. Beitr.
z. G. d. Reiches unter Rudolf u. Adolf. Ann. Ver. Gesch. X Rhein LXVII— VIII. Havet,
La frontiere de l'Empire dans l'Ai-gonne etc. BECh. XLII. P. Fournier, Le royaume
d'Arles et de Vienne. Paris 1891. GGA. 1883 St. 9. Heller, wie oben. Dobenecker,
K. Rudolfs Friedenspol. in Thüringen. Z. thür. Gesch. XF. IV, 529. E. Reut her,
Der Feldzug Rudolfs v. H. gegen Burgund i. J. 1289 1901. Pfeffer, Die böhm.
Politik unter Wenzel IL Halle 1901. M. de Piepape, Hist. de la reunion de la
Franche-Comte ä la France. 2 voll. 1881. Funk-Brentano, Philippe le Bei et la
noblesse franc-comtoise. BECh. XLIX. F 1 e ury-Bergier, Philippe le B. et Otton IV,
comte palat. de Bourgogne. Besancon 1890. Langlois, Le regne de Philippe le
Hardi s. oben. Busson, Die Idee des Erbreiches u. che ersten Habsburger. Wien.
SB. 88. Rodenberg, Zur Gesch. d. Idee eines d. Erbreiches im MA, MJÖG. XVI.
Dopsch, Zur deutschen Verfassungsfrage unter Rudolf v. H. Festsch. z. Ehren
Büdingers 1898. Schweizer, Habsb. Stadtrechte u. Städtepolitik. Ebenda. Die falschen
Friedriche, s. d. Lit. zur Kaisersage S. 120. Z e u m e r , Z. Gesch. d. Reichssteuern im früheren
MA. HZ. 81. Herzberg Fränkel, Z. erbkönigl. Pol. d. ersten Habsburger. MJÖG. XH.
Pirenne, Gesch. v. Belgien I. Sonst s. Dahlmann-Waitz-Steindorff, 2961 — 2969,
2973 u. 2974.
1. Am 22. Juli 1279 starb der letzte Sponheinier. Herzog Philipp
von Kärnten. Zu Österreich und Steiermark war nun auch noch
Kärnten erledigt. Diese Herzogtümer seinem Hause zu erwerben, darauf
war die Politik Rudolfs gerichtet und dies auch der Grund, weshalb
jene Fragen, die bisher im Vordergrund standen, zurückgestellt wurden.
Gegen die Kaiserkrönung Rudolfs verhielten sich die Nachfolger Gregors X.
zurückhaltend, wenn nicht geradezu ablehnend. Je mehr unter diesem
Papst der angiovinische Einflufs zurücktrat, desto lebhafter war das
Bemühen König Karls, französisch gesinnte Päpste zur Regierung zu
bringen. Schon Innozenz V. (1276) stand unter seinem Einflufs. Sein
Nachfolger Hadrian Y. starb schon nach wenigen Wochen, und
Johann XXI. (1276 — 1277) war ganz für König Karl. Erst mit
Nikolaus III. (1277 — 1280) bestieg ein Papst von der Art eines Inno-
zenz III. den päpstlichen Stuhl, ein Meister der Staatskunst, voll
kühner Pläne und politischer Entwürfe. Um die Selbständigkeit des
päpstlichen Stuhles besorgt, glaubte er. diese am leichtesten im Gegen-
Die Politik Nikolaus' III. 189
wirken der grofsen Parteien Italiens erreichen zu können. Von Rudolf
verlangte er die Bestätigung aller Schenkungen der alten Kaiser an den
päpstlichen Stuhl, vor allem den Besitz der Romagna und Pentapolis
und den Widerruf des Eides, der eben noch dem Kanzler des Königs
in Bologna, Imola, Faenza, Ravenna und anderen Orten geleistet worden
war, von König Karl den Verzicht auf die Senatorwürde in Rom und
die Zurückberufung seiner Stellvertreter aus Toskana ; ja er nahm keinen
Anstand, die Erbansprüche Pedros III. von Aragonien auf Sizilien zu
unterstützen. Im Hinblick auf sein Verhältnis zu Böhmen bestätigte
Rudolf alles1) und gab, ganz mit dem Gedanken an den österreichischen
Länder erwerb beschäftigt, die Idee einer Intervention in Italien auf. Die
Absichten des Papstes gingen, wie Tolomeo von Lucca berichtet, auf eine
förmliche Teilung des Kaiserreichs : Das deutsche Reich sollte als Erb-
reich den Habsburgern verbleiben, ein Königreich Arelat geschaffen und
zur Entschädigung für Karls V erzieht auf seine Stellung in Mittel- und
Oberitalien an seinen Sohn Karl Martell gegeben und dieser mit Rudolfs
Tochter dementia vermählt werden. In Mittel- und Oberitalien sollten
zwei von Deutschland unabhängige Reiche geschaffen werden. Karl von
Anjou wurde mit der Provence belehnt (1280, 28. März). Von den Plänen
des Papstes, falls sie wirklich gehegt wurden, kam nur die Familien-
verbindung zwischen Habsburg und Anjou zustande und wirkte auf
Rudolfs Beziehungen zu Frankreich zurück. Während sich diese besserten,
was allerdings das Reich nur schädigte, indem er die Schutzherrschaft
über Toul an Frankreich überliefs (1281, 16. November), lockerten sich
jene zu England und lösten sich seit dem Tode von Rudolfs zweitem
Sohne Hartmann (1281, 21. Dezember), der mit der englischen Prinzessin
Johanna verlobt gewesen, ganz auf. Da nunmehr auch Savoyen keinen
Schutz gegen Frankreich fand, griff es bald zu den Waffen gegen den
deutschen König selbst. 2) Nach dem Tode Nikolaus HL wurde wieder
ein Franzose und ausgesprochener Feind der Deutschen gewählt:
Martin IV. (1281 — 1285), dessen Politik die Schranken niederrifs, die
sein Vorgänger aufgerichtet hatte. Karls Macht wurde eine gröfsere als
früher. Nun nahm er auch seine auf die Eroberung Griechenlands
gerichteten Pläne wieder auf. Unter diesen Umständen verzichtete
Rudolf auf eine selbständige italienische Politik, und ein so wichtiges
Ereignis wie die Sizilianische Vesper vermochte daran nichts zu ändern.
Über den Römerzug wurde auch später noch mit Honorius IV. und
Nikolaus IV. verhandelt; dem König lagen aber mehr Fragen in Deutsch-
land am Herzen.
2. Schon vor dem Ausbruch des zweiten Krieges unternahm Rudolf
einleitende Schritte zur Erwerbung Österreichs, indem er, um die Land-
herren und Prälaten zu gewinnen, die von König Ottokar im Interesse
der landesfürstlichen Gewalt gegen sie getroffenen Mafsregeln zurück-
nahm, die Städte durch Bestätigung ihrer Rechte und reiche Vergün-
*) Redlich-Böhmer 918—920, 944, 955, 970, 999—1001, 1062.
2) Nr. 1420 a, 1730 a.
190 Der Landfrieden. Die Erwerbung Österreichs durch die Habsburger.
tigungen an sich fesselte, vor allem aber seinen Söhnen jene Lehen
übertragen liefs, welche die Babenberger von Salzburg, Passau, Freising
und Regensburg innegehabt hatten. Nach Herzog Philipps Tode kamen
noch die Bamberger Lehen hinzu. Die Ansprüche der Babenbergerin
Agnes, einer Grofsnichte des letzten Babenbergers, wurden durch einen
billigen Ausgleich beseitigt. Als er 1281 aus Österreich schied, dem er
fünf Jahre hindurch seine ganze Sorge zugewandt hatte1), liefs er seinen
ältesten Sohn Albrecht als Reichsverweser zurück. Die Verleihung der
Herzogtümer an seine Söhne bot grofse Schwierigkeiten, da noch die
Ansprüche seines Bundesgenossen Grafen Meinhard von Görz-Tirol zu
befriedigen waren, namentlich aber weil sich seine Beziehungen zu den
meisten Kurfürsten verschlechtert hatten und diese nicht geneigt waren,
die auf die Machtvergröfserung des neuen Königshauses gerichteten
Absichten zu unterstützen. Wie er schon in Osterreich kräftig für den
Landfrieden gesorgt hatte, bemühte er sich nun auch ün übrigen
Deutschland um die Einschränkung der Fehden, um die Revindikation
abhanden gekommenen Reichsgutes, für welchen Zweck er neun Land-
vogt eien errichtete, um die Fortbildung des Reichssteuerwesens, zumal
die Heranziehung der Städte zu den Lasten des Staates, vor allem aber
um die Aufrichtung des Landfriedens. Es handelte sich darum, die ver-
schiedenartigsten Gegensätze auszugleichen : die der grofsen Fürsten-
tümer, die ihre Landeshoheit zu erweitern, der Grafen und Herren, die
sich ihrer zu erwehren, der Städte, die ihre Reichsunmittelbarkeit zu
behaupten und ihre Kräfte durch die Aufnahme von Pfahlbürgern zu
verstärken suchten. So dringend tat im Westen ein kräftiges Vorgehen
not, dafs Mainz und Kurpfalz schon 1278 für ihre Länder einen Land-
frieden aufrichteten. Xun verkündete Rudolf (am 6. Juli 1281) zu Regens-
burg den bayrischen, drei Wochen später zu Nürnberg den fränki-
sch e n und erneuerte hierauf auch in einzelnen Städten und Landschaften
Schwabens den Landfrieden Friedrichs H. Am 14. Dezember 1281
verkündete er endlich den rheinischen Landfrieden auf fünf Jahre.
In der nächsten Zeit trat er den geistlichen Kurfürsten wieder näher,
und nun gab zuerst der Erzbischof Siegfried von Köln seinen Willebrief,
dafs Rudolf seinen ehelichen Söhnen ein Fürstentum, welches er wolle
und wann er wolle, verleihe.2) Vier Wochen später erklärten Sachsen
und Brandenburg und endlich auch Mainz, Pfalz und Trier ihre Zu-
stimmung, dafs Rudolf die österreichischen Länder samt Kärnten, Krain
und der Mark seinen Söhnen zu Lehen geben dürfe. Nur Böhmens
Zustimmung fehlte, da Wenzel nicht als Kurfürst anerkannt war. Einige
Tage vor Weihnachten 1282 verlieh nun Rudolf in Augsburg seinen
beiden Söhnen Albrecht und Rudolf die Herzogtümer Osterreich, Steier-
mark und Kärnten nebst Krain und der Windischen Mark mit der
Fürstenwürde. Kärnten gab er (1286) dem Grafen Meinhard für dessen
*) Einzelheiten s. bei Redlich, S. 348 ff. Die wichtigsten Einrichtungen der Zeit
Ottokar.s auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung und des Finanzwesens blieben bestehen.
2) RB. 1688.
Höhepunkt <l. Macht Rudolfs u. ihr Niedergang. Die falschen Friedriche. 191
wirksamen Beistand in den böhmischen Kriegen, nachdem das Haus
Habsburg seine eigenen Bestrebungen zurückgestellt hatte und die
Schwierigkeiten beseitigt waren, die sich aus der Verbindung Krains
mit Kärnten ergaben, und mit denen Meinhards Erhebung in den Reichs-
fürstenstand verknüpft war. Meinhard ist der Begründer der Land-
grafschaft Tirol als eines unmittelbaren Hoheitsgebietes. Da er überdies
pfandweise auch Krain innehatte und die Stadt Triest ihn aus Furcht
vor Venedig zu ihrem Kapitän machte, reichte seine Macht von den
Quellen des Inn bis an das Adriatische Meer. Durch seinen festen
Anschlufs an Osterreich gewann dieses unter den deutschen Fürsten-
tümern die hervorragendste Stellung. Da man in den österreichischen
Ländern übrigens von der in der Belehnungsurkunde vorgesehenen
Doppelverwaltung üble Folgen befürchtete, verfügte Rudolf, dafs der
ältere Sohn sie allein besitzen und der jüngere durch Geld abgefunden
werden solle, falls ihm nicht binnen vier Jahren ein Königreich (Arelat?)
oder ein Fürstentum zufallen würde.
3. Das Jahr 1282 bezeichnet den Höhepunkt der Macht Rudolfs.
Von nun an war sein Ansehen trotz vereinzelter Erfolge im Südwesten
des Reiches doch im Niedergang begriffen. Fast in allen Territorien
waren die freien Stadt- und Landgemeinden von den steigenden An-
sprüchen der fürstlichen Gewalten bedroht. In vielen Städten tobte der
Kampf zwischen Rat und Gemeinen, in anderen stritt der Rat mit dem
Klerus, in einzelnen klagte man über die Landgrafen oder die Burg-
mannen des Königs, hie und da wandte sich die unbehagliche Stimmung,
die durch einige Mifsjahre und durch die Steuerauflagen Rudolfs noch
gesteigert wurde1), gegen die Juden. Damit mag es zusammenhängen,
dafs in den niederen Schichten des Volkes, in denen der Glaube an die
Wiederkehr Friedrichs IL fortlebte, jene Personen Anhang fanden, die
sich (1283 — 1285) als Kaiser Friedrich ausgaben.2) Gelang es dem
König, solcher Irrungen Herr zu werden, so mifsglückten seine Pläne,
Schwaben und Burgund für sein Haus zu erwerben. Die Wiederher-
stellung Schwabens als Herzogtum scheiterte an dem Widerstand der
schwäbischen Dynastengeschlechter, vor allem Württembergs. Das König-
reich Arelat hatte Rudolf schon 1278 seinem zweiten Sohne Hartmann,
dann (1279 — 1281) in angeblichem Zusammenhang mit der geplanten
Aufrichtung eines deutschen Erbreiches seinem Schwiegersohn, dem
Angiovinen Karl Martell, endlich seinem jüngsten Sohne Rudolf zuge-
dacht.3) Auch hier arbeiteten die Grofsen, vor allem die Grafen von
Savoyen dem König entgegen, und die Vermittlungsversuche Englands,
die mit Rudolfs früherer antifranzösischer Politik zusammenhingen, waren
vergebens. Im Jahre 1281 kam es zur offenen Fehde mit Savoyen.
Am 6. Februar 1284 vermählte sich der nunmehr 66 jährige König mit
der 14 jährigen Elisabeth, der Schwester Herzog Roberts von Burgund.
l) RB. 1850 a u. 1897 a.
a) Zusammenstellung ebenda Nr. 1914 a.
3) Ebenda 1156 a.
192 I>ic Wirren im Westen und Nordwesten des Reiches
Das hinderte Elisabeths Bruder nicht, sich auch fernerhin an Frankreich
zu halten. Unter den burgundischen Städten war Bern der Mittelpunkt
aller dem Hause Habsburg feindlichen Bestrebungen. Als es die Be-
zahlung der Reichssteuern verweigerte, zog Rudolf gegen die Stadt und
nötigte sie. ihre Pflichten gegen das Reich zu erfüllen (1289). Während
dieser Kämpfe kam das ganze westliche Burgund in Bewegung. Pfalz -
graf Otto warf seine Lehensverbindlichkeiten gegen das Reich ab und
Bisanz empörte sich. Während Rudolfs Verwandte teilnahmslos blieben
oder auf Frankreichs Seite standen, wuchs im Delphinat, Burgund,
Lothringen und den übrigen Grenzländern der französische Einflufs.
Rudolf eröffnete (1289) den Feldzug mit grofser Heeresmacht und zwang
den Pfalzgrafen zur Huldigung. An den Verhältnissen Burgunds wurde
hiedurch aber nicht viel geändert, und dessen Verband mit dem Reiche
blieb ebenso locker wie zuvor.
4. Nicht besser stand es im Nordwesten des Reiches. Rudolfs
Einflufs auf die Verhältnisse in den Rheinlanden dauerte nicht viel
länger als seine Anwesenheit daselbst. Auch seine Beziehungen zu den
Erzbischöfen verschlechterten sich. In Mainz war es ihm nach Wern-
hers Tode gelungen, gegen zwei Kandidaten, unter denen sich Gerhard
von Eppenstein befand, seinen Anhänger, den Baseler Bischof Heinrich
von Isni durchzusetzen (1286), aber dieser starb schon nach zwei Jahren,
und nun gelangte Gerhard von Eppenstein auf den Mainzer Erzstuhl.
Noch weniger durfte Rudolf von dem Erzbischof Siegfried von Köln
erwarten. Dieser war nach dem Tode Ermingards, der Gemahlin Rainalds
von Geldern, in den Limburgschen Erbfolgestreit verwickelt worden
und dachte ihn zu benützen, um auch in Flandern zur Macht zu ge-
langen. Darum unterstützte er die Ansprüche Rainalds, dem der König
den Limburgschen Besitz auf Lebenszeit übertragen hatte, gegen Ermin-
gards Vetter, den Grafen Adolf von Berg, der seine Ansprüche an den
Herzog von Brabant verkaufte. Fast alle Fürsten der Niederlande, der
hohe und niedere Adel aus der Maas- und Rheingegend, die Bürger
von Köln — als Gegner Siegfrieds — nahmen an dem Kampfe teil.
Am 5. Juni 1288 kam es zur Schlacht bei Wor ringen, die mit Sieg-
frieds gänzlicher Niederlage endete und seine Politik auf geraume Zeit
lahmgelegt hätte, wären nicht die anderen geistlichen Kurfürsten im
Interesse ihrer Stellung für ihn eingetreten. Rudolf erkannte die vollendete
Tatsache an und trat nicht blofs zu Brabant. sondern auch zu Geldern
und Cleve in freundschaftliche Beziehungen. Geldern wurde durch
das Reichs vikariat in Ostfriesland entschädigt. Mit Dietrich von Cleve
verheiratete er seine Nichte Margareta, alles zu dem Zweck, um den
zweideutigen Stützen gegenüber, die er an den geistlichen Kurfürsten
hatte und die noch am 10. März 1290 ihren alten Bund »gegen jeder-
mann, Kirche und Reich ausgenommen «, erneuert hatten, sichere Freunde
zu gewinnen.
5. Im nördlichen und nordöstlichen Deutschland vollzogen sich
die wichtigsten Ereignisse, wie die Kämpfe in Preufsen. ohne Zutun des
Königs. Das rücksichtslose Vorgehen des Markgrafen von Branden-
Die letzten Jahre Rudolfs. Seine Bemühungen um die Nachfolge. 193
bürg gegen Städte und Fürsten in Niedersachsen gab ihm den Anlafs
zum Abschlufs eines Landfriedens (1283), der seine Spitze gegen Branden-
burg richtete und den deutschen Ostseestädten zu ihren Erfolgen gegen
Norwegen verhalf, im übrigen freilich nicht hinderte, dafs bald neue
Fehden in allen Teilen Norddeutschlands ausbrachen, denen der König
nicht abhelfen konnte. In Thüringen griffen die Kämpfe zwischen
dem Landgrafen Albrecht und seinen Söhnen Friedrich und Diezmann
in alle Verhältnisse ein. Dies bewog Rudolf, nach Thüringen zu ziehen.
Mitte Dezember 1289 traf er in Erfurt ein und hielt sich hier ein ganzes
Jahr auf. Der Landfrieden von Boppard (1282), der auf dem Würz-
burger Nationalkonzil (1287) auf drei Jahre verlängert worden war, wurde
nochmals erneuert und mit aller Strenge durchgeführt. Rudolfs Tätig-
keit war nach dieser Seite hin eine so durchgreifende, dafs sie noch bei
kommenden Geschlechtern in Andenken blieb. Zu Hütern des Land-
friedens wurden weltliche Grofse ernannt und ein Hauptmann an ihre
Spitze gestellt — eine Anordnung, aus der sich in der Folge die Kreis-
verfassung entwickelt hat. Die zur Aufrechthaltung des Landfriedens
erforderlichen Kosten mufsten von den im Frieden befindlichen Ständen
getragen werden. Am erfreulichsten war noch Rudolfs Verhältnis zu
seinem Schwiegersohn König Wenzel von Böhmen. Doch war auch
dieses zeitweise getrübt, da man in Böhmen an die Zurückgewinnung
der verlorenen Alpenländer dachte. Als die junge Königin Guta ihren
Einzug in Böhmen gehalten hatte (1287), wurde die Regierung mehr im
Sinne der habsburgischen Partei geführt; ihr fiel Zawisch, der Stiefvater
König Wenzels, das Haupt der auf den Wiedererwerb Österreichs ge-
richteten Partei, zum Opfer; doch wurde der Plan einer Rekuperation
auch jetzt nicht aufgegeben. Um Wenzel IL für die Nachfolge seines
Hauses zu gewinnen, erkannte Rudolf Böhmens Kurrecht und Schenken-
amt an (1289 und 1290) und gewährte ihm eine Reihe von Vergünsti-
gungen; dafür erhielt er die Zustimmung zur Wahl Herzog Rudolfss
aber dieser starb bereits am 8. Mai 1290. Nach den Wünschen König
Rudolfs sollte die Krone nunmehr seinem einzigen noch übrigen legi-
timen Sohne, dem Herzog Albrecht, zufallen. Diesen empfahlen seine
hohen militärischen und diplomatischen Talente nicht weniger als seine
Tatkraft. Auch hatte er sich in seiner schwierigen Stellung in Österreich
bereits bewährt, einen Streit mit dem Erzbistum Salzburg siegreich be-
endet und in Ungarn, dessen König er in einem Streite gegen die Güs-
singer beistand, die westlichen Komitate besetzt. Nach dem Tode des
ungarischen Königs Ladislaus (1290) dachte Rudolf daran, dafs er
einstens selbst Zeuge war, wie Bela IV. sein Reich von Friedrich IL zu
Lehen genommen. Nun übertrug er es als Lehen an seinen Sohn
Albrecht, was freilich erfolglos blieb, da in Ungarn Andreas der Vene-
zianer, der letzte Arpade, als König anerkannt wurde. Albrecht war
zudem zu einem Verzicht auf Ungarn um so geneigter, als die Frage
der deutschen Königswahl in den Vordergrund trat. Seine x4.ussichten
waren ungünstig genug, denn abgesehen davon, dafs er allen Kurfürsten
viel zu mächtig war, waren die geistlichen überdies noch dem Hause
Loserth, (xoschichte des späteren Mittelalters. 13
194 Die Wahl Adolfs von Nassau.
Habsburg wenig geneigt oder geradezu feindselig gesinnt. Es waren
sonach schlechte Aussichten, als der Hoftag, den Rudolf für die Durch-
führung seiner Absichten nach Frankfurt berief, am 20. Mai 1291 zu-
sammentrat. Rudolfs Bemühungen für die Nachfolge seines Sohnes
waren in der Tat vergeblich. Wenige Wochen später erkrankte er zu
Germersheim. Im Vorgefühl seines nahen Todes zog er nach Speyer
und starb dort am 15. Juli 1291. Seine Leiche wurde neben der des
Staufers Philipp beigesetzt.
§ 43. Adolf von Nassau.
Quellen s. §40. Dazu: Böhmer Regg. Stuttg. 1844. Constitutiones in MM.
G. LL. II. Forma depositionis regis Adolfi. AÖG. II. Hirzelin, Über d. Schlacht
bei Göllheim. 479. Böhmer FF. II. Emichonis "Worin. De schismate regum Adolfi et
Alberti. Forsch. XIII. S. auch Huber, Ost. Gesch. II, 61. Zu d. § 40 angemerkten
darstellenden Quellen s. Flores temporum. MM. G. SS. XXIV Lorenz I, 62 . Annales
Eistettenses s. § 44. Zur Gesch. Bonifaz" VIII. s. unten.
Hilfsschriften. Die allgem. "Werke von Lorenz, Kopp, Lindner, Huber,
Afsmann- Viereck u. a. s. oben. Dazu: Schliephake, Gesch. v. Nassau. 1874 — 75.
R o th , G. d. röm. K. Adolf v. X. Wiesbaden 1879. We gel e , A. v. X. ADB. I. Ennen,
Die Wahl As. v. X. Köln 1866. 0. Lorenz, Über die Wahl As. v. X. Wien. SB. 1861.
Busson, Die Wahl As. y. X. Ebenda Bd. 114. L. Schmidt, Die Wahl des Grafen
A. v. X. Wiesb. 1870. Schef f er-Boichorst, Z. G. d. 12. u. 13. Jahrh. Berl. 1897.
Dop seh, Ein antihabsburg. Fürstenbund 1292. MJÖG. XXI. — Die Karnten-Krainer-
frage wie oben. Droysen, Albrechts Bemühungen um die Xachfolge im Reich.
Leipzig 1862. Schmidt, Der Kampf um das Reich zw. dem röm. K. Ad. u. Herzog
Albrecht. Tübingen 1858. Matz, De causis belli inter Ad. etc. Diss. 1878. Preger,
Albrecht v. Österr. u. Adolf v. X. Leipzig 1869. Bergengrün, Die pol. Bez. Deutsch-
lands zu Frankreich unter Adolf v. X. Strafsb. 1884. Piepape u. Funk-Brentano,
wie oben. Otto, Die Absetzung Adolfs von X. u. die röm. Kurie. H. Vierteljahresschr.
1899. 8 as sann, A. v. X. u. Albr. v. Ost. vor Kenzingen. ZG. Freib. LX. Domeier,
Die Absetzung As. v. X. Berlin 1889. Heymach, Gerhard v. Eppenstein. Strafsb.
1880. Wegele, Friedrich der Freidige. Xördl. 1870. Lippert, Friedr. d. F. u. die
Meinhardiner v. Tirol. MJÖG. XVII. Michelsen, Die Landgrafschaft Thüringen
unter den Königen Adolf, Albrecht u. Heinrich VII. Jena 1860. "Winter, Strafs-
burgs Teilnahme an dem Kampf zwischen Adolf von Nassau u. Albrecht von Oster-
reich. Forsch. XIX, 521 ff. Otto, Zu den Urkk. über die Absetzung Adolfs von Nassau.
DZG. XH, 507.
1. Trotz des Mifserfolges am letzten Reichstag in Frankfurt gab
Herzog Albrecht, der soeben noch einen Aufstand des steirischen Adels
niedergeworfen und sich ungeachtet seines Sieges als milder Herrscher
bewährt hatte, den Versuch nicht auf, in den Besitz des Königtums zu
gelangen. Von den geistlichen Kurfürsten war ihm nur Köln feindlich
gesinnt, Trier neutral, und mit Mainz wurde verhandelt. Pfalzgraf
Ludwig war eifrig für ihn tätig. Von den übrigen Kurfürsten trat ihm
König Wenzel entgegen, der schon unter der letzten Regierung an der
Erneuerung der böhmischen Grofsmachtstellung gearbeitet hatte. Er
war es, der Albrechts Wahl vereitelte, Sachsen und Brandenburg an
sich zog, den geistlichen Wählern freilich die Wahl eines Kandi-
daten überlassen mufste. Als Albrecht sich aufmachte, um in die Nähe
der Wahlstätte zu gelangen, war dieser schon gefunden. In der Wor-
ringer Schlacht hatte sich Adolf von Nassau als Verbündeter Kölns
Die Politik König Adolfs. 195
durch stürmische Tapferkeit hervorgetan. Nun empfahl Siegfried von
Köln den früheren Kampfgenossen, dessen mäfsiger Besitz dafür bürgte,
dafs er ein gefügiges Werkzeug in der Hand der Kurfürsten sein würde,
und der ihnen aufserdem die ungemessensten Zusagen machte ; so erhielt
Mainz das Recht, den Reichsvizekanzler zu ernennen, und damit leitenden
Einflufs auf die Reichspolitik, Köln den Ersatz dessen, was es bei Wor-
ringen verloren. Waren Triers Ansprüche geringer, so durfte Böhmen
dagegen auf die Unterstützung seiner Revindikationspläne hoffen. Es
bildete sich ein förmlicher Fürstenbund, um den Habsburgern Öster-
reich, Meinhard Kärnten zu entreifsen. Eine Familienverbindung der
Häuser Nassau und Böhmen wurde festgesetzt, diesem das Pleifsner
Land als Pfaud, die Berücksichtigung seiner Ansprüche auf Eger
und die Besetzung von Meifsen zugesagt. Leicht wurden Sachsen und
Brandenburg gewonnen, und endlich gab auch Pfalz seinen Widerspruch
auf. Nachdem alles geordnet war, vollzog der Erzbischof Gerhard von
Mainz im Namen aller die Kur (1292, 5. Mai). Am 24. Juni erfolgte in
Aachen die Krönung. Bei der Vakanz des päpstlichen Stuhles wurde die
übliche Wahlanzeige nach Rom unterlassen. König Adolf (1292 — 1298)
war ein Mann von ritterlichem Sinn und erprobter Tapferkeit, dabei ein
Freund des Friedens und der Gerechtigkeit, bei allen diesen Vorzügen
aber seiner Aufgabe nicht gewachsen. Wenn er sich ihr dennoch unter-
zog, geschah es in der Hoffnung, für sein Haus in ähnlicher Weise wie
sein Vorgänger wirken zu können.
2. Bald zeigte es sich, dafs Adolf seine Zusagen nicht erfüllen
konnte, sich auch dem Willen der Kurfürsten nicht vollständig unter-
ordnen wollte. Daher suchte er ihre natürlichen Gegner, die kleineren
Fürsten und Herren am Rhein, in Franken und Schwaben, an sich zu
ziehen, hielt sich an Kölns alte Feinde und ernannte den Herzog Johann
von Brabant zum Schützer des für zehn Jahre erneuerten Landfriedens
für das nordwestliche Deutschland. Herzog Albrecht konnte bei der
schwierigen Lage seiner eigenen Untertanen und dem feindlichen Ver-
halten seiner Nachbarn gegenüber an einen Widerstand gegen den König
nicht denken ; daher leistete er die Huldigung und empfing die Belehnung
mit seinen Herzogtümern. Jetzt erst war er gegen etwaige Ansprüche
Böhmens gesichert. Dagegen gelang es Adolf, einen Teil des habsburgi-
schen Anhangs im Elsafs und in Schwaben auf seine Seite zu ziehen. Ein
grofser Erfolg war es, als sich Rudolf von der Pfalz trotz seiner habs-
burgischen Herkunft — er war ein Enkel Rudolfs von Habsburg und
nach diesem genannt — ihm zuwandte und seine Tochter Mechthild zur
Ehe nahm. Sein Königtum war jetzt so weit erstarkt, dafs er an die
Vergröfserung seiner Hausmacht denken konnte. Er griff auf die Pläne
seines Vorgängers zurück. Wenige Wochen vor diesem war Markgraf
Friedrich Tuto von Meifsen, ohne Söhne zu hinterlassen, gestorben, und
sein Besitz, der nach strengem Lehensrecht dem Reiche heimgefallen
war, von den Söhnen Albrechts des Entarteten von Thüringen, Fried-
rich und Diezmann, besetzt Avorden. Adolf zog nicht nur Meifsen
und das Osterland als erledigtes Reichslehen ein, sondern kaufte von
13*
196 König Adolf und die Kurfürsten.
Albrecht, der mit seinen Söhnen zerfallen war, auch noch Thüringen.
Zwar schlofs der Landgraf bald nachher einen Vertrag mit Diezmann,
in welchem er diesem gegen eine Geldentschädigung das thüringische
Erbe in Aussicht stellte, aber Adolf, entschlossen, seine Absichten durch-
zuführen, erklärte Friedrich und Diezmann in die Acht und begann
gegen sie den Krieg. Die Mittel hiezu boten ihm englische Hilfsgelder.
Seit dem Frühjahre 1294 lag Eduard I. mit Philipp IV. von Frankreich
in Streit. Brabant, Holland, Köln und andere deutsche Territorien hielten
alter Überlieferung gemäfs zu England. Auch Adolf schlofs ein Bündnis
mit Eduard I. und erklärte (1294, 31. August) an Frankreich den Krieg,
»weil Philipp und dessen Vorgänger dem Reiche Güter und Besitzungen,
Rechte, Gerichtsbarkeiten und Landstrecken abgenommen hätten.« Im
März 1295 versammelte er einen Reichstag in Frankfurt, um den Krieg
vorzubereiten. In der Zwischenzeit hielt er einen Hoftag zu Mülhausen
und ordnete die Verhältnisse Thüringens. Dann zog er nach Meifsen.
Aber auch Frankreich fand in Deutschland Bundesgenossen an Luxem-
burg, den Herren der Dauphinee, dem Pfalzgrafen von Burgund, vor
allem an Österreich. Noch gelang es Bonifaz VIII., der mittlerweile
(1294. 24. Dezember) den päpstlichen Stuhl bestiegen hatte, den Krieg
zu verhindern. So konnte Adolf seine Streitkräfte gegen Meifsen ver-
wenden. Im August 1295 erfolgte der zweite Einbruch in Thüringen.
Freiburg wurde erobert (1296, Januar) und Graf Heinrich von Nassau
als Reichsstatthalter in Meifsen und Osterland eingesetzt. Auch in
Thüringen trat Adolf als Herr und Mitregent auf. Er stand nun
auf der Höhe seiner Erfolge. Nochmals zog er gegen den Westen, aber
die Rücksicht auf den Papst und auf Österreich hielt ihn vom Krieg
gegen Frankreich zurück. Und doch hätte er jetzt mehr Grund hiezu
gehabt als früher; denn der Pfalzgraf Otto von Burgund hatte seine
Tochter mit einem Sohne Philipps verlobt und ihr als Mitgift die Frei-
grafschaft, ein Lehen des Reiches, zugesagt. Wohl liefs Adolf den Pfalz-
grafen seines Landes verlustig erklären, tat aber nichts, um den Rechts-
spruch durchzuführen, wogegen sich Philipp in den Besitz der Freigraf-
schaft setzte. Erst im Frühjahr 1297 sollte der Krieg gegen Frankreich
wieder aufgenommen werden.
3. Inzwischen hatten sich Adolfs freundschaftliche Beziehungen zu
den Kurfürsten völlig gelöst. Mainz fand sich in Thüringen bedroht,
Böhmen in seinen Ansprüchen auf Meifsen betrogen. Das verwandt-
schaftliche Band der Häuser von Nassau und Böhmen rifs der Tod der
böhmischen Prinzessin Agnes entzwei. In den Kurfürsten reifte der
Plan, den König, der ihnen zu mächtig und zu selbständig geworden
war, zu stürzen. Während der Papst mit Rücksicht auf Sizilien und
das englisch - französische Zerwürfnis (s. unten) nichts tat, um die Be-
wegung aufzuhalten, fanden die Kurfürsten einen Teilnehmer an Herzog
Albrecht von Österreich. Bei dem glänzenden Krönungsfeste, das
Wenzel (1297, 2. Juni) in Prag feierte, wurde die Neuwahl erörtert und
auf einer Fürstenversammlung in Wien (1298, Februar) der Krieg gegen
Adolf beschlossen. Mit einer kleinen Schar, unterstützt von Böhmen
Seine Absetzung und sein Ende. 197
und Ungarn, zog Albrecht aus. Verhandlungen und Geld verschafften
ihm den Durchzug durch Nieder- und Oberbayern, dessen Fürsten An-
hänger Adolfs waren. In der zweiten Hälfte des März zog er über den
Lech. Adolf eilte herzu, um ihm den Weg nach Frankfurt, wohin der
Erzbischof von Mainz für den 1 . Mai einen Tag angesetzt hatte, zu ver-
legen. Albrecht wich einem Kampfe aus und zog statt nach Ulm, wo
Adolf stand, nach Waldshut am Rhein und von dort nach dem befreun-
deten Strafsburg. Da der Tag zu Frankfurt nicht stattfinden konnte,
wurde ein zweiter auf den 15. Juni nach Mainz angesetzt. Dort er-
öffneten die Kurfürsten am 23. Juni den Prozefs gegen Adolf, erklärten
ihn für abgesetzt und wählten den Herzog Albrecht zum römischen
König. Dessen Lage war hiedurch gründlich geändert : er stand nicht
mehr wie ein Untertan seinem Herrn, sondern wie ein erwählter König
dem abgesetzten gegenüber. Adolf, nicht gesonnen, seine Krone um leichten
Preis dahinzugehen, war von Speyer über Worms gegen Mainz seinem
Gegner nachgezogen ; er verschmähte es, Verstärkungen aus den benach-
barten Städten abzuwarten. Albrecht selbst führte am 2. Juli 1298 in
dem vom Hasenbach durchflossenen Tal von Göllheim die Entschei-
dung herbei. Adolf fiel in tapferem Kampfe. Sein Tod entschied die
Schlacht. Die bayrischen Herzoge Rudolf und Otto, die auf seiner
Seite gekämpft hatten, traten den Rückzug an. Unter den Gefangenen
befand sich Adolfs Sohn Ruprecht. Adolfs Leiche wurde in dem süd-
lich vom Schlachtfeld gelegenen Kloster Rosenthal beigesetzt. In Oster-
reich und Thüringen freute man sich über seinen Sturz, in anderen
Kreisen regte sich tiefes Mitgefühl ; vor allem trauerten die Städte, die
an ihm einen zwar nicht städtefreundlichen, doch gerechten und ritter-
lichen König verloren. Albrecht selbst gab noch in seinen Sieges-
berichten seinem Gegner den Preis der Tapferkeit.
§ 44. Albrecht I. (Die Befestigung seiner Macht.)
Quellen s. §40 u. 43. Dazu: Albertus rex Constitutiones. MM. Genn. LL. II,
466—469. Pactum Philippi regis cum Alberto a. 1299, ib. 972. S. auch NA. XXIII. Annal.
Kistett. Henricus de Rebdorf, Chronica bis 1362, ed. Böhmer FF. IV. (S c h u 1 1 e ,
Die sog. Chronik d. H. v. R. Münster 1879.) D. Formelbücherlit. s. § 40 unter Redlich;
für Albrecht I. in AÖG. II u. MJÖG. IL Die Päpste Bonifaz VIH und Benedikt XI.
s. unten.
Hilfs schriften. Olenschlager, Erläuterte Staatsgeschichte des röm.
Kaisertums in der ersten Hälfte des 14. Jahrh. Frankf. 1755. Kopp, Lorenz, Lindner,
Arsmann- Viereck, die allg. Werke über österr. Gesch. wie oben. Hub er, Die Zeit
der ersten Habsburger. Wien 1866. W e g e 1 e , Albrecht I. ADB. I. Mücke, Albrecht I.
Gotha 1866. Doornick, De Alberto duce 1862. Lippert, Wegele, Droysen
u. a., Spezialschriften wie oben § 40, 43. Herzberg-Fränkel, wie § 42. Wanka v.
Rodlow, Beiträge zur Beurteilung der Zollpolitik K. Albrechts. Progr. Weinberge 1902"
im Anschlufs an Schulte, Gesch. des ma. Handels u. Verkehrs zwischen West,
deutschland u. Italien mit Ausschlufs von Venedig I. Leipz. 1900). Henneberg
Die polit, Beziehungen zwischen Deutschland u. Frankreich unter Albrecht I. 1891.
Boutaric, La France sous Philippe le Bei s. unten. Niemeier, Untersuchungen
über die Beziehungen Albrechts I. zu Bonifaz VIII. Berlin 1900. H e n n e s , K. Albrechts
Feldzug im Erzstift Mainz ZV. rhein. Gesch. Mainz I, 26.
198 König- Albrecht I. und seine Reichspolitik.
1. Albrecht (1298 — 1308) war an fünzig Jahre alt, als er den Thron
bestieg. Soeben hatte er sich noch als tüchtigen Herrführer erprobt. Aber
er war auch ein ausgezeichneter Staatsmann, dessen Pläne klar und ziel-
bewufst nur auf das Erreichbare gerichtet waren. Da er das Gefährliche
der Art, wie er zur Herrschaft gelangt war, erkannte : durch Absetzung
des rechtmäfsigen Herrschers und offenen Kampf gegen den König,
über dessen Leiche hinweg er sich seinen Weg gebahnt hatte, legte er
seine Würde in die Hände seiner Wähler zurück und unterzog sich einer
förmlichen Neuwahl (1298, 27. Juli). Am 24. August empfing er zu
Aachen die Krone. Gleich nach der Wahl sandten die Kurfürsten die
Anzeige davon an die Kurie und baten, den Gewählten zum Empfang
der Kaiserkrone zu berufen. Auch Albrecht hatte den Kurfürsten grofse
Zugeständnisse machen müssen. Auf dem Hoftag zu Nürnberg verlieh
er — auch das war ein Zugeständnis an die Kurfürsten — seine Herzog-
tümer an seine Söhne, zwar zu ungeteilter Hand , doch so, dafs sein
Erstgeborner, Rudolf, allein die Regierung führte. Er erneuerte den
Landfrieden seiner Vorgänger, nicht ohne einige Bestimmungen anzu-
fügen, die, wie die Beschränkung der Aufnahme von Bürgern, den Städten
zum Schaden gereichten, und andere, die ihre Spitze gegen die Landes-
fürsten richteten, so, wenn er, die Re Vindikation des Reichsgutes fort-
setzend, unter diesem Titel die Beseitigung aller seit -Friedrichs IL Tode
eingeführten widerrechtlichen Zölle begehrte. Seine Reichspolitik trägt
überhaupt einen schärferen Zug als die seiner Vorgänger, wie er denn
auch eine Anlehnung an die durch die Fürstenmacht in ihrer Entwick-
lung gehemmten Städte suchte, ihren Handel sicherte, ihre Belastung
mit neuen Zöllen verhinderte und in der Frage der Besteuerung kirch-
licher Güter auf ihre Seite trat. Folgte er gegen Meifsen und Thüringen
der Politik seines Vorgängers, so schlofs er sich in der äufser^n Politik
an Frankreich an. Bei einer Zusammenkunft zu Quatrevaux (bei Toul)
am 8. Dezember 1299 wurden die Verhandlungen über den Abschlufs
eines Friedens- und Freundschaftsbündnisses zu Ende geführt. Die Ge-
meinsamkeit der Interessen führte die Könige beider Länder zusammen.
Suchte Philipp Albrechts Unterstützung in seinem Streit mit Bonifaz VI IL,
so gewann Albrecht die Neutralität Frankreichs in seinem Streit mit den
Kurfürsten, der nach dem Bericht einzelner Quellen hier seinen Anfang
nahm und in seinem Plane , die Krone des Reiches in seinem Hause
erblich zu machen, seinen Ursprung hatte. Die Kurfürsten lehnten es
ab, hiebei mitzuwirken. Bei Albrechts Beziehungen zu Frankreich konnte
nun freilich auch die burgundische Frage nicht mehr in einer Deutsch-
land entsprechenden Weise gelöst werden.
2. Am 29. Oktober 1299 war Graf Johann A~on Holland, ein Enkel
König Wilhelms, gestorben, ohne Leibeserben zu hinterlassen. Holland,
Seeland und Friesland fielen nun als erledigte Reichslehen heim. Aber
Johann von Avesnes, Graf von Hennegau, der Sohn von Wilhelms
Schwester Adelheid, besetzte sie. Da er sich weigerte, von seinen
Ansprüchen abzustehen, wurden die Länder dem König und dem Reiche
zugesprochen, er selbst in die Acht erklärt. Albrecht unternahm
Albrecht I. und die Kurfürsten. 199
eine Heerfahrt nach Holland. Während des Kriegszuges schlössen die
rheinischen Kurfürsten (1300, 14. Oktober) ein Bündnis gegen ihn, er-
hoben jetzt erst Klage wegen des an König Adolf begangenen Mordes
und zogen den Papst auf ihre Seite. War Bonifaz VIII. noch am
13. Mai 1300 gegen die Abtretung Toskanas geneigt, Albrecht als König
anzuerkennen, so trat er nun gegen ihn und das »Viperngeschlecht« der
Staufer, dem Albrechts Gemahlin entstammte, auf. Schroff betont er
des Papsttums Ansprüche auf die Prüfung der deutschen Königswahl1),
lud den König vor seinen Richterstuhl, um seine Unschuld an Adolfs
Tod zu erweisen und verbot den Fürsten, ihn als König anzuerkennen.
Aber Albrecht gewann die kräftige Unterstützung der Bürger und der auf
die Fürstenmacht eifersüchtigen Grofsen, berief Abgeordnete der Städte
zu sich und versprach, ihren Klagen über die drückenden Rheinzölle
abzuhelfen. Da sich die Kurfürsten weigerten, vor seinem Richterstuhl
zu erscheinen, forderte er im Sinne des Nürnberger Beschlusses die Be-
seitigung aller seit Friedrich II. aufgerichteten widerrechtlichen Zölle und
Abgaben und begann den Kampf. Zuerst wurde der Pfalzgraf, dann
die geistlichen Kurfürsten unterworfen. Sie mufsten alle vom Reiche
gewonnenen Güter herausgeben, auf alle Zölle verzichten und einzelne
Burgen brechen. Seine Zollpolitik kam freilich zunächst nur seiner
Hausmacht zugute, denn jetzt beherrschte er die obere und mittlere
Rheinstrafse, während er bereits die Erwerbung von Holland ins Auge
fafste. Mächtiger als irgend einer seiner unmittelbaren Vorgänger, nahm
er den Plan der Erblichkeit der Krone wieder auf. Er hoffte, ihn mit
Hilfe des Papstes, der seiner im Kampf gegen Frankreich bedurfte,
zu verwirklichen. Bonifaz VIII. bot denn auch selbst die Hand zum
Frieden und erkannte Albrecht (1303, 30. April) als König an. Zwar
gebraucht er dem deutschen König gegenüber noch hochtrabende Worte2),
auch nimmt sich der Ton, den dieser in seinem Fidelitätsbrief (1303,
17. Juli) anschlägt, kläglich genug aus. Albrecht scheint indes solche Zu-
geständnisse nur gemacht zu haben, um die Erblichkeit der Krone durch-
zusetzen.3) Denn wenn, wie der König anerkennt, der Papst das Recht
der Kurfürsten, den König zu wählen, geschaffen hat, so kann er es
ihnen auch wieder entziehen. Diese Pläne wurden freilich durch den
bald hierauf erfolgten Tod des Papstes vereitelt.
§ 45. Der Ausgang: der nationalen Dynastien in Ungarn und Böhmen
und das Ende Albrechts I.
Quellen zur böhm. Gesch. s. § 30. Zur ungar. s. oben § 24 und unten § 88.
Die polnischen Quellen finden sich zumeist in den MM. Pol. historica, die beiden
ersten Bände von Bielowski, das folgende v. d. Krak. Ak. herausgegeben. Für diese
x) Nos ad quos ius et auctoritas examinandi personam in regem Romanorum
electam . . . et reprobatio pertinere noscuntur . . .
2) Tu non iudicium sed misericordiam hicmiliter implorasti. Dazu die Zweilichter-
theorie : fecit Deus duo luminaria. . . .
3) Matth. v. Neuenbürg, cap. 34: nisi sibi et heredibus suis regnum et Imperium
confirmaretur per sedem.
200 Die böhmische Grofsmaeht unter Wenzel II.
Zeit : Yinc. Kadlubek, Chronicae Polonorum bis 1203. Bielowski, MM. Pol. hist. II,
249 — 477. Auszüge, MM. Germ. hist. SS. XXIX, 477. Chronicae Polonorum., der 90g.
Martinas Gallus aber nur für die älteste Zeit . MM. Gr. hist. SS. 423—478. Chron.
Polono-Sües. ib. XIX, XXIX. Baszko, Chron. Pol. bis 1272, Bielowski II, 467—470.
Hilfsschriften: Zu den in § 24, 30 u. 44 erwähnten; Fiedler, Böhmens
Herrschaft in Polen. AÖG. XIV. u. Krones, Der Thronkampf der Pf emysliden und
Anjous. Z. f. d. öst. Gymn. XIV. R o ep eil - C aro, Gesch. Polens L, II. Hovedissen,
K. Albrechts Verhältnis zu Böhmen. Xordhausen 1892. J. Heide mann, Peter von
Aspelt. Heide mann, Heinrich v. Kärnten als K v. Böhmen. Forsch. IX, 471.
Zur Gesch. u. Pol. Peter Aspelts, ebenda 259 ff.
1. Da die böhmische Politik den Wiedererwerb der österreichischen
Alpenländer nicht durchzusetzen vermochte, wandte sie sich gegen Polen.
Hier hatte die altslawischer Sitte entsprechende Teilung des Reiches unter
die vier älteren Söhne Boleslaws III. (t 1139), nach welcher zunächst
vier polnische Staaten : Krakau-Schlesien, Masovien-Kujavien, Gnesen-
Pommern und Sandomir, entstanden, verhängnisvolle Wirkungen, die
noch durch die Bestimmung erhöht wurden, dafs immer der Alteste im
Hause der Piasten mit dem Besitz von Krakau eine höhere Gewalt über
die andern ausüben und dadurch die Einheit des Reiches sichern sollte;
denn nun kamen zu den Kämpfen um einzelne Länder noch die um
das Seniorat hinzu. Sie dauerten über ein Jahrhundert und haben die
Einheit des Reiches völlig aufgelöst. Unter diesen Kämpfen wurde 1163
Schlesien abgetrennt, ohne dafs schon jetzt die Oberhoheit des Krakauer
Grofsfürsten aufhörte; ebenso gingen Pommern bis auf Pommerellen
und das jüngst erst gewonnene Fürstentum Halitsch verloren, und Masovien
war aufserstande, sich der Angriffe der Preufsen zu erwehren. Als che
Verwirrung bereits einen hohen Grad erreicht hatte, wurden Versuche
gemacht, die nationale Einheit neu zu begründen. Als Herzog Heinrich
Leszek von Krakau und Sandomir, ohne Kinder zu hinterlassen, starb,
stritten Przemyslaw von Grofspolen (Posen), dem Heinrich seinen Besitz
vermacht hatte, und Wladislaw Lokietek (d. h. der Ellenlange, der Zwerg)
aus der kuj avischen Linie um das Erbe. Eine dritte Partei, der Leszeks
Witwe Griffina, eine Tante Wenzels IL, angehörte, wandte sich an
Böhmen. Schon 1289 liefs sich dieser von den Herzogen Schlesiens
huldigen, und 1292 zog er selbst nach Krakau und erhielt die Huldigung
des Landes. Sandomir wurde genommen, und auch Wladislaw und sein
Bruder mufsten Böhmens Oberhoheit anerkennen. Dessen Herrschaft
reichte schon jetzt vom Bayrischen Wald bis an die Weichsel. 1296 starb
Przemyslaw von Grofspolen, der kurz zuvor Pommerellen in Besitz ge-
nommen und mit Zustimmung des Papstes in Gnesen die Krönung zum
König von Polen erhalten hatte, eines gewaltsamen Todes. Da er nur eine
minderjährige Tochter Richsa hinterliefs, stritten Lokietek, die Herzoge
von Kujavien-Leslau und von Glogau um das Land, bis es der Adel
zugleich mit der Hand der Prinzessin Richsa dem Könige Wenzel IL
antrug. Wenzel nahm die Krone an, und König Albrecht, dessen Ein-
willigung er nachsuchte, gab sie unter der Bedingung der Anerkennung
der deutschen Lehenshoheit. Im Sommer 1300 zog Wenzel IL nach
Polen und liefs sich in Gnesen zum Könige krönen.
Albrecht I. und Wenzel II. 201
2. Kaum hatte Wenzel II. seine Herrschaft in Polen begründet, so
wurde ihm auch noch die Krone von Ungarn angetragen. Schon dem
König Andreas III. war die Herrschaft durch das Haus Anjou be-
stritten worden, da Karl IL von Neapel die Schwester Ladislaus' IV.
geheiratet hatte. Als nun am 14. Januar 1301 Andreas HL, der letzte
vom Mannesstamm der Arpaden, starb, mufste die Frage, ob die weib-
lichen Mitglieder des Arpadenhauses ein Erbrecht besäfsen oder der
Thron durch freie Wahl besetzt würde, zur Entscheidung gelangen. Das
nächste Recht hätte Elisabeth, die Tochter des letzten Königs, besessen,
die einen hielten jedoch zu Karl Robert von Anjou, der an dem Papste
eine Stütze hatte; aber eben weil Bonifaz VIII. Ungarn als Eigentum
des hl. Stuhles erklärte, über das er nach Gutdünken verfügen könne,
trugen die andern die Krone erst den Herzogen von Niederbayern als
Enkeln Belas IV., und als diese ablehnten, dem Könige Wenzel IL an,
der durch seine Mutter gleichfalls mit dem Arpadenhause verwandt war.
Wenzel nahm die Krone für seinen gleichnamigen Sohn an, und dieser
wurde am 27. August 1301 in Stuhlweifsenburg gekrönt. Der Papst
hielt jedoch an den Ansprüchen des Hauses Anjou fest und sprach das
Reich Karl Robert zu (1303, 31. Mai). Auch König Albrecht, dem das
Anwachsen Böhmens Besorgnisse einflöfste, trat gegen Wenzel auf und
verlangte nicht blofs die Räumung Ungarns und Herausgabe Polens an
Lokietek, sondern auch die Zurückgabe von Eger und Meifsen gegen
Erstattung der Pfandsumme und den dem deutschen König gebührenden
Zehent von den neu entdeckten Silbergruben von Kuttenberg. Es
handelte sich um die Zertrümmerung der böhmisch-polnisch-ungarischen
Grofsmacht und die Zurückführung Böhmens in seine alten Grenzen.
Dagegen schlofs Wenzel ein Bündnis mit Frankreich. Zwar unternahm
er einen Zug nach Ungarn, um den Thron seines Sohnes zu befestigen,
mufste jedoch samt diesem den Rückzug antreten, um sein eigenes Reich
vor den Angriffen Albrechts zu schützen. Dieser sprach über Wenzel
die Reichsacht aus, aber der Feldzug, den er nach Böhmen unternahm,
scheiterte an dem Widerstand Kuttenbergs ; auch traten von den Fürsten
des Reiches, denen das Wachstum von Habsburgs Macht bedenklich
wurde, einzelne auf Wenzels Seite. Nach dessen Tode (1205, 21. Juni)
schlofs Wenzel III. Frieden. Gegen den Verzicht auf Eger und Meifsen
sollten ihm Polen und seine Erbländer mit vollem Herrscherrecht ver-
bleiben. Seine Ansprüche auf Ungarn übertrug er an Otto von Bayern,
der sich jedoch gegen Karl Robert nicht behaupten konnte.
3. Am 4. August 1306 wurde Wenzel III. , der letzte vom Manns -
stamm der Premysliden zu Olmütz ermordet. Die Union zwischen Polen
und Böhmen war damit zerrissen. Während die böhmischen Stände
ihr Wahlrecht betonten und sich Heinrich von Kärnten, dem Gemahl
von Wenzels III. Schwester, zuneigten, erklärte Albrecht Böhmen als
heimgefallenes Lehen des Reiches. Ein Feldzug, den er vom Westen,
sein Sohn Rudolf vom Süden aus gegen Böhmen unternahm, bewog die
böhmischen Grofsen, den Herzog Rudolf, der sich mit Wenzels IL
Witwe vermählte, anzuerkennen. Rudolf und seine Brüder wurden mit
2 02 Die Erwerbung Böhmens durch die Habsburger.
der Krone Böhmens belehnt. Nun war Albrechts Macht aufs höchste
gestiegen. Von Seiten des Papsttums war nach dem Tode Bonifaz' VIII.
kein Widerspruch zu erwarten, die alten Gegner im Reich gestürzt und
Habsburg im Besitz der österreichischen Länder, der reichen Land-
schaften im südwestlichen Deutschland. Mährens. Böhmens, Meifsens,
des Pleifsner- und Osterlandes. Im Besitze von Meifsen, nahm Albrecht die
Ansprüche seines Vorgängers auf Thüringen wieder auf. Da wandte
ihm das Glück den Rücken. Im Herbst 1306 zos: er nach Osterland,
der frühe Winter zwang ihn zum Rückzug, und sein Feldhauptmann
erlitt im Mai 1307 eine Schlappe durch Friedrich den Freidigen und
Diezmann, infolgedessen ein Teil der Meifsner Mark und des Pleifsner-
landes verloren ging. Wenige Monate später starb König Rudolf von
Böhmen ; die habsburgfeindliche Partei dieses Landes wählte nun Heinrich
von Kärnten zum König. Nur in Mähren wurde Albrechts zweiter Sohn
Friedrich anerkannt. Albrecht zog zwar noch 1307 nach Böhmen und liefs
auch Kärnten angreifen, mufste aber im Oktober den Rückzug antreten,
während Friedrich der Freidige fast die gesamte AVettinsche Erbschaft
in Besitz nahm. Im Frühlinge 1308 traf Albrecht, der sich in der
Schweiz aufhielt, grofse Zurüstungen für einen neuen Feldzug, da machte
ein verbrecherisches Unternehmen seinen Plänen ein plötzliches Ende.
In seiner Umgebung befand sich sein Neffe Johannes, der Sohn Herzog
Rudolfs. Weder sein Vater noch auch Johannes hatten bisher eine
Entschädigung für die 1283 festgesetzte Verzichtleistung auf die Mit-
regierung in Österreich erhalten, und so lebten seines Vaters Anrechte auf
Österreich wieder auf. Diese wurden von Albrecht nicht beachtet. Viel-
leicht erregten noch andere Motive den GroU gegen diesen, so z. B.,
dafs er. wiewohl ein Enkel Ottokars, bei der Verleihung Böhmens nicht
berücksichtigt wurde. Der ihm gewährte Anteil an der Verwaltung des
habsburgischen Besitzes in Schwaben war ihm kein genügender Ersatz,
und so bildete sich eine Verschwörung, an der aufser ihm noch einige
unzufriedene Adelige aus den österreichischen Vorlanden, Rudolf von
Wart, Rudolf von Bahn und Walter von Eschenbach, teilnahmen. Sie
durften erwarten, zu hohen Ehren zu kommen, wenn Herzog Johann
an der Macht sei, und wufsten. dafs Albrecht unter den Kurfürsten ver-
balst war. Wurde doch der Erzbischof von Mainz geradezu beschuldigt,
zum Mord gehetzt zu haben. Die Verschworenen überfielen den König,
als er am 1. Mai 1308 seiner Gemahlin von Baden aus gegen Brück
entgegenritt, Johannes stiefs ihm einen Dolch in die Brust, worauf Wart
ihn noch mit dem Schwerte durchbohrte und Bahn ihm den Schädel
spaltete. Im Angesichte der Habsburg hauchte der König seine Seele
aus. Er fiel mitten in seinem Werke der Konsolidierung der Zentral-
gewalt und der Unterordnung der Fürsten unter das Reich, für das er
mehr als seine Vorgänger gearbeitet hatte. Seine Söhne mufsten alsbald
die auf Habsburgs Gröfse gerichtete weitausschauende Politik Albrechts
aufgeben und schlössen gegen eine Geldentschädigung Frieden mit
Heinrich, dem nunmehrigen König von Böhmen. Im nächsten Jahre
begann die Verfolgung der Könisrsmörder. Nur Rudolf von Wart wurde
Die Ermordung Albrechts. 203
gefangen und an der Stätte des Mordes aufs Rad geflochten. Balm hielt
sich in einem Kloster zu Basel verborgen, und Eschenbach lebte noch
35 Jahre als Viehhirt in Württemberg. Herzog Johann pilgerte zum
Papste. Dieser wies seine Bitte um Gnade zurück, denn sein Vergehen
sei nach weltlichem Rechte zu strafen. Als Heinrich VII. 1312 in Pisa
weilte, warf sich der reuige Verbrecher ihm zu Füfsen. Heinrich verzieh ihm,
hielt ihn aber in Gefangenschaft, in der er am 13. Dezember 1313 starb.
2. Kapitel.
Der Beginn der Opposition gegen die weltliche Oberherrschaft
des Papsttums.
§ 46. Die Sizilianische Vesper1) und das Ende Karls ron Anjou.
Quellen, s. Capasso S. 120 ; ob. §31, 32. Giudice (Giov. del), Codice diplo-
matico di Carlo I. et II. d'Angiö. Nap. 1863 — 1896. Ricordi e docunienti del Vespro
Sicil. Docurnenti inediti. Palermo 1882. Altre narrazioni del V. S. Mil. 1887. G e -
s Chi cht schreib er. Annales Siculi bis 1282. MM. G. SS. XIX, 494. Cronica del
ribellamentu di Sicilia contra Re Carlu 1282, ed. V. di Giovanni 1882. (Andere Ausg.
Potth. I, 230). Processo istorico della insurrezione etc. in Ricordi e docurnenti del
Vespro Sicil. I, 1882. Adam de la Halle : C'est du roi de Sezile in Buchon Coli. VII.
1828. Athanasius Acensis, De adventu Catanam regis Jacobi narratio, ed. V. die Gio-
vanni in Cronache Siciliane. Bologna 1865. Bartholomaeus de Xeocastro (Zeitgen.
Gesandter Jakobs von Arag. bei Honor. IV.). Historia Sicula a morte Friderici II. (1250
bis 1294). Murat. XII, 1013—1096. Xikolaus Specialis, Historia Sicula a. a. 1282 bis
1337. Mur. X, 917 — 1092. Muntaner, En Ramon, Chronica o descripcio dels fets
e hazanyes del inclyt rey Don Jauine, ed. Buchon Chroniques etrangeres 1840. Deutsch
v. Lang. Lit. Ver. Stuttgart 1844. Lit. bei Potth. I, 798. Marino Sanudo (Torsello),
Storia di Carlo Angiö, ed. Hopf. Xap. 1862. Villani lib. VII. Erg. b. Molinier, III, 165 ff.
Hilfsschriften. Pedone-Lauriel, Bibliografia del 6. centenario del
Vespro Siciliano. Palermo 1882 (s. auch JGW. V, II, 326). Saint P r i e s t , Histoire de
la conquete de Xaples par Ch. d' Anjou. Paris 1847 — 1849. Amari, La guerra del
Vespro Siciliano, 9a ed. Milano 1886. Ricordi e docurnenti wie oben. Minie ri-
Riccio, Genealogia di Carlo I. d'Angiö. Xaples 1857. II regno di Carlo I. negli
anni 1271 e 1272. Xaples 1875 dal anno 1275 al 1285. Flor. 1875—81, 11 voll.
Della dominazione iVngioina . . . Xaples 1876. Memoria della guerra di Sicilia 1282
bis 1284. Xaples 1876. (Die anderen Schriften Minieri-Riccios s. bei Monod p. 202
u. Capasso wie oben.) O. Hartwig, Giovanni Villani und die Leggenda di Messer
Gianni di Procida. HZ. XXV, 233. Dazu d. lehrreichen Besprechungen. HZ. LVI, 551.
Buscemi, Vita di Giovanni da Procida. Pal. 1838. V. di Giovanni, Giovan
da Procida e il ribellamento di Sicilia nel 1282. 1870. Renzi, II secolo XIII. e Giov.
da Procida. Xap. 1860. Rosa, G. da Procida. Arch. stör. Ital. XVII. Cadier,
Essai sur l'administration du royaume de Sicile sous Charles Ier et Charles II d' Anjou.
Paris 1890. Von Wichtigkeit ist Durrieu, Les archives Angevines de Xaples (2 Bde.,
1265—1285). Paris 1887. Auch einzelnes v. Scaduto, Stato e Chiesa etc., Palermo 1897,
gehört hieher. Gregorovius V. Reumont II. Leo, Gesch. d. ital. Staaten IV.
x) Xach Amari stammt die Bezeichnung Sizil. Vesper erst aus dem Ende des
15. Jahrh. : Sulla orig. della denominazione »Vespro siciliano«. Palermo 1882. Der erste
Autor, der das Wort in seinem heutigen Gebrauch anführt, ist Pandolfo Collenuccio,
dessen Geschichte von Neapel 1539 gedruckt wurde. Es ist in der Zeit Karls VIII. ent-
standen, als man die Schmach der Invasion der Franzosen bitter empfand.
204 Die Siziliardsche Vesper.
1. Das stetige Wachstum des französischen Einflusses in Italien
ist durch die Verordnung Karls von Anjou vom Jahre 1277 bezeichnet,
die bestimmt war, den Gebrauch der französischen Sprache unter die
Gewohnheiten seines Reiches einzubürgern.1) Indem Martin IV. die von
Nikolaus III. stark eingeschränkten Machtbefugnisse Karls wieder her-
stellte, konnte dieser die Pläne seiner normannischen und staufischen
Vorgänger auf Konstantinopel und den ganzen Orient wieder aufnehmen.
Die Sizilianische Vesper bereitete ihnen indes ein unverhofftes Ende.
Der Übermut französischer Emporkömmlinge und des mit den Gütern
der Anhänger Manfreds ausgestatteten französischen Adels, die Ver-
legung der Residenz von Palermo nach dem aus politischen Motiven
begünstigten Neapel, am meisten der harte, trotz der gegenseitigen Zu-
sicherungen Karls noch vermehrte Steuerdruck und das ganze Regiment,
welches das Nationalgefühl des Volkes beleidigte und dessen Wohlstand
schädigte, erzeugte in allen Schichten der sizüischen Bevölkerung eine
tiefe, von den Paläologen und dem Hause Aragon geschürte Bewegung,
deren Seele Johann von Procida2) wurde, ein Anhänger Manfreds, der,
seiner Güter beraubt, am Hofe Pedros von Aragonien, des Schwieger-
sohnes Manfreds, eine Zufluchtsstätte gefunden hatte und die Vertreibung
der Franzosen aus Sizilien zu seiner Lebensaufgabe machte. Von Pedro
mit Geldmitteln versehen, wiegelte er Adel und Volk Siziliens auf, unter-
richtete Michael Paläologus von den wider ihn gerichteten Plänen Karls
und wüfste auch Nikolaus III. für Aragons Rechte günstig zu stimmen.
Auch nach dem Tode dieses Papstes setzte er seine Anstrengungen fort.
Michael VIII. versprach reichliche Geldhilfe, doch steht Pedros Fahrt
nach Afrika mit dem Ausbruch der Bewegung auf Sizilien in keinem
inneren Zusammenhang. Zur Erhebung bedurfte es nur eines Anlasses.
Dieser fand sich in Palermo. Als das Volk nach altem Brauch am
Ostermontag 1282 nach S. Spirito zog, um dort der Vesperandacht bei-
zuwohnen, griff einer der Franzosen unter dem Vor wand, nach ver-
botenen Waffen zu suchen, eine edle, von ihren Eltern und ihrem Bräu-
tigam begleitete Jungfrau schamloser Weise an. Ein junger Mann rifs
ihm die Wehr von der Seite und durchbohrte ihn, die Frauen stoben
auseinander, die Männer trieben die Franzosen mit Steinwürfen in die
Stadt zurück und machten alle nieder, deren sie habhaft wurden. Rasch
verbreitete sich der Aufstand über die Insel. Die Bewohner der meisten
Städte pflanzten das Reichspanier auf, das noch aus der staufischen Zeit
in guter Erinnerung stand, und errichteten republikanische Gemeinwesen.
An die Stelle der angiovinischen Herrschaft sollte eine Föderativrepublik
mit dem Vorort Palermo unter formeller Schutzherrschaft der Kirche
treten. Bald schlofs sich auch der Adel an. Karl sandte die gegen
Konstantinopel bestimmte Flotte vor Messina, wies aber Vermittlungs-
versuche der Messinesen zurück. Erst jetzt wandten sich die Sizilianer
*) S. Durrieu, Not. bot les registres Angev. Ec. Franc, de Rome, Mel. I, 3.
MJÖG. IV, 3 H.
2} Der grofse Einflufs Procidas ist aber von Amari bestritten worden JBG. 1882 .
S. auch Hartwig in d. HZ. XXV u. LV, 554.
Die Häuser Anjou und Aragonien. Ende Karls von Anjou. 205
an Pedro, der mit seiner Flotte am 30. August 1282 vor Trapani er-
schien und am 2. September in Palermo einzog, wo er zum König ge-
krönt wurde. Pedros Admiral Roger de Loria brachte der Flotte Karls
vor Messina schwere Verluste bei, zog dann gegen Kalabrien und ver-
nichtete 80 französische Schiffe. Für Konradins Hinrichtung mufste der
bei Catona gefangene Neffe Karls, der Graf von Alencon, büfsen, der vom
Volke in Stücke gehauen wurde.
2. Bei der Unmöglichkeit, seinen Gegner in offenem Kampfe zu
besiegen, forderte ihn Karl zum Zweikampfe heraus, der aber nach
englischen Berichten vom Papste verboten wurde.1) Wiederholt sprach
Martin IV. den Bann gegen Pedro aus, die Bewegung gegen die Fran-
zosen ergriff aber bald ganz Italien. In Rom wurde die französische
Besatzung niedergehauen, die senatorische Gewalt Karls für erloschen
erklärt und ein Volksregiment eingesetzt (1284 Januar). Konrad von
Antiochien, der dem Blutbad von Alba entronnen war, tauchte an der
Spitze bewaffneter Scharen auf, um sich in den Besitz seiner Grafschaft
Alba zu setzen. Es half wenig, dafs der Papst als Oberlehensherr
Aragoniens dieses Reich dem König Pedro absprach und dem zweiten
Sohne Philipps III. von Frankreich, Karl von Valois, zuwies. Aragonien
schlofs sich nur um so eifriger an Pedro an. Allerdings hatte es sich
nunmehr gegen zwei Feinde zu wehren. Den Kampf gegen Frankreich
führte Pedro selbst, den wider Karl sein Admiral Roger de Loria, der
bedeutendste Seeheld jener Zeit. Pedro sandte seine Gemahlin, Man-
freds Tochter Konstanze, mit den Infanten Jayrne und Friedrich nach
Sizilien, wo sie als angestammte Herrin mit Jubel begrüfst wurde. Am
8. Juni 1283 schlug Loria die Provencalen bei Malta und zwei Wochen
später vor Neapel. Hier wurde Karls einziger Sohn, Karl von Salerno,
gefangen und Manfreds Tochter Beatrix befreit. Die Sizilianer begehrten
die Hinrichtung des gefangenen Prinzen als Rache für Konradins Tod,
aber Konstanze 2) schenkte dem Sohne ihres Todfeindes das Leben. Von
Trübsinn heimgesucht, vielleicht auch von Gewissensqualen gefoltert
starb Karl in Foggia (1285, 7. Januar). Seine Schöpfungen waren grofsen-
teils zusammengebrochen, sein Sohn in den Händen der Gegner. Die
Verwaltung des Reiches übernahm zunächst Graf Robert von Artois.
Im November 1285 starb auch Pedro. Sizilien erhielt sein zweiter Sohn
Jayme, doch unter der Bedingung, dafs er in Aragonien nachfolgen sollte,
falls sein älterer Bruder Alfons kinderlos stürbe. In diesem Fall sollte
Sizilien an Pedros dritten Sohn Friedrich gelangen. Jayme wurde am
2. Februar 1286 in Palermo gekrönt. Trotz der kräftigen Unterstützung
Anjous durch den Papst und Frankreich behaupteten die Sizilianer das
Feld. Ihre Flotte gewann Erfolg auf Erfolg. Im Jahre 1286 landeten
sie an der römischen Küste, nahmen Astura und hieben einen Sohn des
Verräters an Konradin nieder. Zu gleicher Zeit ßrrangen die Aragonesen
auch im Westen Erfolge. Die ersten Friedensverhandlungen wurden von
*) Nach Muntaner stellte Pedro sich in der Tat in Bordeaux, aber sein Gegner
erschien nicht.
3) Sie starb 1300 in Barcelona.
206 ^as Papsttum unter Honorius IV. und Nikolaus IV.
England eingeleitet; doch erst 1288 kam ein Vergleich zustande, der
Karl IL die Freiheit wiedergab; er hatte 100000 Mark an Aragonien
zu zahlen und einen förmlichen allseitigen Frieden zustande zu bringen.
Das gelang ihm aber nicht, denn weder der Papst noch Karl von Valois,
der »König ohne Land«, wollten davon etwas wissen. Als Alfons III.
von Aragonien starb, folgte ihm König Jayme von Sizilien. Dieser
verzichtete wohl auf dem Kongrefs zu Tarascon auf Sizilien wie Karl
von Valois auf Aragonien, aber die Sizilianer riefen nun Pedros dritten
Sohn Friedrich EIL (1296 — 1337) zum König aus.
§ 47. Bonifaz VIII. und die Überspannung der päpstlichen
Machtansprüclie.
Quellen. S. d. Vera, in der RE. f. prot. Thcol. III, 290. Dazu H. Finke,
Aus den Tagen Bonifaz' VIII. Funde u. Forschungen. Münster i. TV 1902. Finke teilt
an Quellen mit: 1. Bericht über das Pariser Nationalkonzil von 1290. 2. Bericht
Aragonesischer Gesandten von der Kurie. 3. Zu den Anklagen gegen Bonifaz VIII.
einen Traktat zu dessen Verteidigung. 4. Die dem Kardin. Joh. Atonachus irrig
zugeschriebene Glosse zur Bulle Unam Sanctam. 5. Die Schriften Arnolds von
Villanova. Die Register der Päpste Honorius IV., Nikolaus IV., Bonifaz VIII. und
Benedikt XI. publ. in der Biblioth. des Ecolea de Rome et d'Athenes von Prou, Langlois,
Digard, Faucon u. Thomas (noch nicht vollendet;. Potth. u. Theiner wie oben. Die
Biographien der gen. Päpste bei Murat. III, 2, 611 ff. Vita Honorii IV., 611—612,
Nicolai IV, 612 — 613. Wichtig die Vita Coelestini V. Opus metric. Jacobi Cardinalis
613 — 668. Vita s. Petri de Murrone auct. Petro de Alliaco. AA. SS. 19. Mai. Jacobus
Cardinalis: De electione et coronatione Bonifacii VIII. papae libri duo, Muratori III,
2, 142. Acta inter Bonifacium VIII., Benedictum XL, dementem V. et Philipp pulchrum.
Paris 1614. Zwei Berichte über das Attentat von Anagni Relationes de Bonifacio VIII
papa capto et liberato . MM. Germ. SS. XXVIII, 622. Processus factus iussu D. Cle-
mentis V. etc. Abh. d. bayr. Akad. d. W. Bd. III. Abt. 3. (Denkschr. XVII. München 1843.)
Vulgerius, Versus in Bonifacium VIII. Eccard, Corp. hist. med. aevi II, p. 1849 — 58.
Chronica TTrbevetana 1294 — 1304 , ed. Himmelstein. München 1882. Ann. Eccl. v.
Raynald wie oben. Die Denkschriften der Colonna gegen Bonifaz VIII. und der
Kard. geg. d. Colonna v. Denifle. ALKG. V, 493.
Hilf s schriften: S. Zöpffel-Hauek in d. RE., I. S. 292. Aufser den all. Gesch.
der Päpste u. Gregorovius [wo das reiche Arch. d. Familie Gaetani ausgenützt ist)
und Reumont II. vornehmlich: Marini, Vita e miracoli di Pietro del Morone. Mai-
land 1640. Schulz, Peter von Murrhone als Papst Cölestin V. ZKG. XVII. u. Berl.
Dies 1894. Roviglio, La Rinunciä di Celestino V. Verona 1893. Celidonio,
Vita di s. Pietro del Morrone, Celestino papa V. 1895. Baumgarten, Die Kardinals-
ernennungen Cölestins V. Festschrift z. 1100 jähr. Jub. d. deutsch. Campo Santo. S. auch
S. Pierre Celestin in Annal. Boland. XVI u. jetzt vor allem H. Finke, wie oben. Tosti,
Storia di Bonif. VIII. 1846. Drumann, Gesch. Bonif. VIII. Königsb. 1852. Bai an,
II processo di Bon. VIII. Rom 1881. Souchon, Die Papstwahlen von Bonifaz VIII.
bis Urban VI. Braunschw. 1888. Sägmüller, Tätigkeit u. Stellung d. Kardin. bis
Bonifaz VIII. Th. Q.-Schr. 83. S. dazu Wenck in den GGA. 1900, S. 139—175.
Chantrel, Bonif. VIII. Paris 1862. Hefele, Konziliengesch. VI. Ehrle, Die
Spiritualen, ihr Verhältnis zum Franzisk.-Orden u. den Fraticellen. ALKG. I, 509
(p. 521. Die epist. excusat.), II, 106, (Über die Abd. Cölest. VIII., 525. aus Olivis Leben
und Schriften).
1. Nach dem Tode Martins IV. wurde Jakob aus dem Hause
Savelli gewählt, der in Erinnerung an den ersten Papst dieses Hauses
den Namen Honorius IV. (1285 — 1287) annahm. Stand er als Römer
Cölcstin V und Bonifaz VIII. 207
in seiner äufseren Politik freier da als sein Vorgänger, so hielt er doch
an dem Hause Anjou ebenso fest wie Nikolaus IV. (1288 — 1292), der
erste Minorit auf dem päpstlichen Stuhl. Vielfache Förderung durch das
Haus Colonna belohnte er dadurch, dafs er ein Mitglied des Hauses
zum Kardinal, ein anderes zum Rektor der Mark Ancona erhob. So
stieg dieses seiner ghibellinischen Gesinnung wegen lange zurückgesetzte
Geschlecht über die andern empor. Ein langer Kampf zwischen den
Häusern Colonna und Orsini, der nach Nikolaus' Tode ausbrach, ver-
ursachte eine zweijährige Vakanz des päpstlichen Stuhles und hinderte
die Kardinäle schliefslich auch, ihre Stimmen auf einen bedeutenden
Mann zu vereinigen. Erst als Karl IL von Neapel drängte, da er zur
Wiedergewinnung Siziliens päpstlicher Hilfe bedurfte , schritten die
Kardinäle zur Wahl. Damals lebte in weltabgeschiedener Einsamkeit
auf dem Berge Murrhone bei Sulmona in den Abruzzen ein Einsiedler
namens Petrus, um den sich ein eigener Orden, die Murrhoniten, bildete
und der schon früh Beziehungen zu den Spiritualen, einer Abzweigung
der strengeren Richtung der Franziskaner, hatte. In der Verlegenheit
der Konklaves wurde sein Name genannt und der Aszet, der in weiten
Kreisen als Heiliger galt1), gewählt. -Er nannte sich Cölestin V.
(5. Juli bis 13. Dezember 1294). Nur das inständigste Bitten seiner
Mitbrüder bewog ihn, die Würde anzunehmen : ein Mann, dem die
Welt mit ihren Bedürfnissen fremd und der kaum des Lateinischen
mächtig war; wenigstens mufsten die Kardinäle sich vor ihm des
Italienischen bedienen. Karl IL bemächtigte sich seiner und beherrschte
durch ihn die christliche Welt. Dem Wunsche Karls IL entsprechend,
ernannte er zwölf angiovinisch gesinnte Kardinäle, und um dessen
Befehlen auch ferner gefügig zu sein, wurde er nach Neapel geführt.
Cölestin V. fühlte, dafs er seiner Stellung nicht gewachsen sei. Unter
angstvollen Zweifeln rang er sich zum Entschlüsse durch, seiner Würde
zu entsagen — etwas Unerhörtes in der Geschichte des Papsttums. Der
Kardinal Benedikt Gaetani verstand es, seine Zweifel zu lösen2): er
wies auf einen Präzedenzfall hin — auf die Abdankung Klemens' I.
Cölestin tat die »feige Tat«, wie Dante sie nennt, und nun wurde Gaetani
selbst in Castelnuovo bei Neapel zum Papste gewählt: es ist Bonifaz VIII.
(1294—1303).
2. Kein Gegensatz kann schroffer sein als der zwischen ihm und
seinem Vorgänger. Dieser, der im Sinne des hl. Franziskus sein Armuts-
ideal auf den Thron brachte, jener ein Papst, der im Geiste Gregors VII.
und Innozenz' III., ja noch über beide hinaus, des Papsttums schranken-
lose Herrschaft auch über alles Weltliche betonte. Beide mufsten an
ihren Idealen scheitern, denn der Gedanke der absoluten Armut der
Kirche war nur in einem kleinen Kreise von Aszeten lebendig und rief
den Widerspruch der reich begüterten und die Welt beherrschenden
*) Von seinen Wundern : Et vir Dei exutam cucullam ad solis radium in aere
suspendit non aliter quam suo imperio. Max. Bibl. Patr. XXV, 760.
2) Was sich die Welt von dem betrügerischen Vorgehen Bonifaz' VIII. erzählte,
mag man in den Königsaaler Geschichtsquellen S. 135 lesen.
208 Bonifaz VIII. und das Haus Colorina.
Hierarchie wach , anderseits rnufste auch Bonifaz VIII. die Erfahrung
machen, dafs die Zeiten vorüber seien, in denen sich alle Staaten, auch in
politischen Dingen, vor dem Papsttum beugten. Bonifaz VIII. entstammte
einem alten, in Anagni ansässigen Rittergeschlechte, das wahrscheinlich
langobardischen Ursprungs war. Um die Mitte der dreifsiger Jahre
geboren, theologisch und juristisch geschult, hatte er sich in diplo-
matischen Geschäften erprobt. Eine imponierende Erscheinung, trug er
oft genug einen Hochmut zur Schau, der ihm viele Feinde schuf. Als
Papst suchte er zuerst die Bevormundung durch Karl IL abzuschütteln
und seinen legitimen Einflufs auf Neapel zurückzugewinnen. Daher
kehrte er nach Rom zurück, aber nicht ohne sich seines Vorgängers ver-
sichert zu haben; denn leicht konnte sich dessen jemand bemächtigen
und ihn auf den päpstlichen Stuhl zurückführen. Mit ungeheurem Pomp
wurde nun Bonifaz VIII. in Rom gekrönt. Zwei Vasallenkönige, Karl II.
von Sizilien und Karl Martell, hielten die Zügel des Zelters. Mittler-
weile war Cölestin nach Murrhone entkommen. Dort fanden ihn Boten
des Papstes. Er wurde nach einem Fluchtversuch zurück- und in das
Kastell Fumone gebracht, wo er nach kurzer Zeit starb (1296, 19. März .
Bonifaz VIII. suchte zunächst dem Hause Anjou Sizilien zurück-
zugewinnen , aber diese Versuche schlugen fehl (s. oben). Leichter
erreichte er seine Absichten im übrigen Italien: in einzelnen Städten
liefs er sich die oberste Magistratsgewalt übertragen, in Rom setzte er
aus eigener Machtvollkommenheit Senatoren ein. Am meisten sorgte
er für das Gedeihen seines Hauses, und bald erhob sich mit den Gaetani
eine neue Adelsdynastie im Kirchenstaat, welche die anderen zu ver-
dunkeln drohte, vor allem die der Colonna; mit diesen geriet der Papst
in einen Streit, der die eigentliche Ursache seiner schweren Katastrophe
geworden ist. Das Haus Colonna war durch einen Familienzwist
zerfallen. Indem sich Bonifaz VIII. einmischte, verletzte er die Kar-
dinäle Jakob und Petrus Colonna. Beide mifsbilligten den engen Anschlufs
an Anjou und traten mit König Friedrich von Sizilien in Verbindung.
Zudem waren einzelne Kardinäle mit den absolutistischen Neigungen
des Papstes nicht einverstanden. Nun wurde betont, dafs Bonifaz nicht
wahrer Papst sei. da er zu Lebzeiten Cölestins V. gewählt sei, ein Papst
aber nicht abdanken dürfe. Da sich die Opposition um die Kardinäle
Colonna scharte, verlangte Bonifaz die Aufnahme einer Besatzung in die
i CD O
ihnen gehörigen Burgen, vornehmlich in Palestrina, dem alten Präneste.
Dies wurde verweigert. Als er auch noch von den Gerüchten über die
Unrechtmäfsigkeit seiner Würde Kunde erhielt, lud er Peter Colonna
vor, der aber mit seinem Oheim, dem Kardinal Jakob, entwich. Er ent-
setzte beide ihrer Würde, worauf sie in einem Manifest ihm ihre
Anerkennung verweigerten und an ein allgemeines Konzil appellierten.
Der Papst sprach den Bann über sie aus, liefs das Kreuz gegen sie
predigen und ihre Burgen besetzen. Nur Palestrina hielt sich. Auch
dieses gewann der Papst, indem er den Kardinälen Verzeihung zusicherte.
1 Über sonstige Motive der Verfemdung s. Finke, S. 122.
Das Jubiläum von 1300; Die Machtstellung Bonifaz' VIII. 209
Kaum war Palestrina in seinen Händen, so wurde es von Grund aus
zerstört. Da die Colonna überdies nicht in ihre früheren Rechte und
Besitzungen eingesetzt wurden, erhoben sie Klage, wurden nunmehr aber
nochmals gebannt und geächtet und ihrer Güter beraubt. Sie fanden
Hilfe bei befreundeten Ghibellinen und teils in Sizilien, teils in Frank-
reich Aufnahme.
3. Grofs waren die Erfolge des Jubiläums von 1300, von dessen
aufserordentlicher Pracht alle Quellen Wunderdinge berichten. Ungeheure
Geldsummen gingen ein. Einen Teil hievon verwendete Bonifaz VIII.
zur Herstellung der Kirchen; das meiste dürfte seiner auswärtigen
Politik, vorab dem Kampfe gegen Sizilien, zugute gekommen sein.
Den Christenscharen, die nach Rom pilgerten, erschien er als der
wahre Herrscher auf Erden: sie bewunderten hier den Glanz der päpst-
lichen Residenz und die Herrlichkeit des Gottesdienstes. Bonifaz selbst
zeigte sich, wie erzählt wird, an einem Tage im Pontifikal-, am zweiten
im kaiserlichen Schmuck, um seine geistliche und weltliche Herrschaft
über alle Reiche anzudeuten. Nicht allen freilich war diese Erscheinung
erwünscht.1) Dafs diese Ansprüche des Papstes nicht blofs theoretische
waren, beweist sein Vorgehen im deutschen Thronstreit (§ 44), in den
Kämpfen um die Nachfolge in Ungarn (§ 45), gegen Erich VIII. von
Dänemark, den er im Streit mit dem Erzbischof von Lund (1302) zur
Unterwerfung zwang, vor allem aber in der englisch-schottischen Streit-
frage und in seinem Kampfe mit Philipp IV. von Frankreich.
§ 48. Eduard I. Der schottische Freiheitskampf und die Weiter-
bildung der englischen Verfassung.
Quellen (auch, für die Gesch. Eduards II.). S. Grofs, S. 256. Liebermann
in DZG. IV, VIII. Stubbs, Sei. Charters. Oxf. 1890. Urkunden und Briefe:
Eymer, w. oben. Calend. of the patent rolls . . . Edward I. AD. 1281 — 1307.
Lond. 1893. Edward II., 1307—27, ib. 1894. Cal. of the close rolls Edward I, 1272—79,
ib. 1900. Documenta illustrating of Engl. hist. in the XIII— XIV cent., ed. Cole, ib. 1844.
Rotuli parliamentorum 6 voll. (1278 — 1503), s. Grofs 2010. Parliamentary writs, ed.
Palgrave. Lond. 1827—34. Records of the pari, at Westminster in 1305. RS. 98, 1893.
Year-Books of the reign of king Edward I. Years XX— XXII, XXX— XXXV. RS.
1866 — 79, s. Grofs p. 353. Les reports des cases (Edw. II jusqu'ä Henry VIII) 12 parts.
Lond. 1678 — 80. Für die kirchl. Verhältnisse bieten aufser Wilkins II viel d. Registrirm
Dunelmense (1311—1374). RS. 1873. Malmesburiense. RS. 72. Die Historians of
the Church of York III. RS. 71. Das Reg. ep. Johann, de Peckham. RS. 77. Ramsay
Cartulary ib. 79. Litt. Cantuar. RS. 85. The red book of the exequer. RS. 90.
Rotuli Scotiae. Lond. 1814 — 19. 2 Bde. Doc. and records illustr. the hist. of Scotland
etc., ed. Palgrave. Lond. 1837. Docum. illustr. of the hist. of Scotland 1286—1306,
ed Stevenson. Ed. 1870. Instrumenta publica super fidelitatibus . . . Scotorum domino
regi Angliae factis 1291—96 Ed. 1834. Diary of the exped. of Edward I into Scotl.,
ed. Tytler, ib. 1827. Scotland in 1298: doc. ed. Gough. Lond. 1898. Rotulus Walliae, ed.
Philipps ib. 1865. Calendar of doc. relat, to Ireland 1171—1307, ed. Sweetmann and
Handcock ibid. 1886. Historial and munic. Documents of Ireland. RS. 1870. 'S. auch
Itinerarv of K. Edward 1272—1307, ed bv Gough 1900. Calendarium genealogicum
wie S 36.
l) Dante, Fegefeuer XVI, 106.
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 14
210 Die Anfänge Eduards I. Ziele seiner Politik.
Geschichtschreiber. Annales rnonastici s. oben. Annales London. RS.
1882. Trevet, Ann. sex regum Angl. bis 1307, ed. Hog 1849. Rishanger, Lanercost,
Hernmingburg, Flores Hist. wie oben. Chron. nion. de Melsa. ES. 1867. 2 Bde.
Cotton, Hist. Angl. bis 1298. RS. 1859. Langtoft, The chronicle bis 1307. Rolls Ser.
1866 — 68. Annales regni Scotiae. Rolls Ser. Lond. 1863. Ann. Edward L, ebenda.
Barbour, The book of Robert de Broyss, ed. Skeat, Edinb. 1894. Fordun, Chronica gentis
Scotorum bis 1383, ed. Skene, Edinb. 1871. Commendatio lamentabilis in transitu
niagni regis Edwardi. Rolls series. Lond. 1883. Annales Paulini, Rolls Ser. Lond. 1882.
Baker, Chronicon Galfridi le Baker de Swynebroke bis 1356. Oxf. 1889. Blaneford,
Chronica. Rolls Ser. 1866. Gesta Edwardi de Canarvan auctore canon. Bidlingtoniensi.
Rolls Series. Lond. 1883. Thoniae Gray, Scalachronica. Edinb. 1836. John of
Trokelowe, Annales bis 1232. Rolls Ser. 1866 (nur für Ed. IL). Vita Edwardi LT., ed.
Stubbs. Rolls Ser. Lond. 1883. Thomas de la More, Vita et mors Edwardi regis Angliae
(1307—1327). Rolls Ser! Lond. 1883. Ann. Cambriae, Rolls Ser. Lond. 1860. Annais
of Loch Ce I, IT. Rolls Ser. 1871. Annais of Ireland, ib. 80. Für einzelnes auch
Knigthon, Walsingham u. Higden , s. oben. Adae Murimuth, Cont. Chronicorum.
Rolls Ser. 93. Auch Nikolaus von Harpesfield, Hist. Angl. Douai, 1622, hat mitunter
Quellenwert.
Hilfsschriften. Pauli IV., Green e, Gneist, Stubbs, Freemann,
Hist. Essays wie oben. — Dazu: Burton, History of Scotland, 2 ed. Edinb. 1873.
S e e 1 e y , The life and reign of Edward I. London 1872. T o u t , Edward I. Lond. 1893.
Black, Edward I and Gascony in 1300. EHR. XVII, 518. Robert the Bruce and
the struggle for Scot. independence. X. York 1897. Dirnitresco, Pierre de Gaveston.
Paris 1898. Dodge, Pierre Gaveston: a chapter to early constitutional history.
Lond. 1899 (s. aber Grofs 2849). Doc. relat. of the death of Edw. II s. Gross 285*2.
Loserth, Stud. zur engl. Kirchenpolitik. Wien. SB. CXXXVI. Riefs, D. Ursprung
d. engl. Unterhauses. HZ. LX, 1. Morris, The walsh wars of Edw. I. Oxford 1901.
Bain, The Edwards in Scotland 1296—1377. Edinb. 1901.
1. Als Heinrich III. starb, befand sich sein ältester Sohn E d u a r d
(1272 — 1307) auf der Rückkehr vom Kreuzzug. In Orvieto unterhandelte
er mit Gregor X. über eine kräftige Unterstützung des hl. Landes. Er
gehörte zu den letzten Fürsten, die sich noch für dessen Eroberung be-
geisterten. Auf der Heimreise setzte er sich mit Philipp III. über die
Streitigkeiten zwischen Frankreich und England auseinander und sicherte
seinen festländischen Besitz. Am 19. August 1274 wurde er in West-
minster gekrönt. Schon als Kronprinzen hatten ihn hohe Tugenden aus-
gezeichnet. Beim Ausbruch des Bürgerkrieges bemüht, seinen Vater zur
Einhaltung der Oxforder Provisionen zu bewegen, trat er gleichwohl bei
der Gefahr der Krone auf die Seite des Vaters. Simon von Montfort
war sein Meister in der Kriegskunst, aber auch in jener Selbstbeherrschung,
die ihm gestattete, seine Erfolge in mafsvoller Weise auszunützen. Man
merkte sofort, dafs eine kräftige Hand das Staatsruder lenke. Um die
Macht der Krone zu stärken, ward alles entfremdete Krongut vom Klerus
und Adel zurückgenommen, das weitere Anwachsen des Besitzes der
Toten Hand verboten und dadurch verhindert , dafs Lehensträger sich
ihren Pflichten gegen König und Reich entzogen. Auflagen, Zehenten
und freiwillige Gaben, die während der Wirren der letzten Regierung in
Vergessenheit gekommen waren, wurden eingefordert, die Münze ver-
bessert und jede Münzverschlechterung mit Landesverweisung bestraft.
2. Die äufsere Politik unter Eduard L, die kraftvollste seit Heinrich IL,
ist gekennzeichnet durch die Eroberung von Wales, die Erwerbung der
Die Eroberung von "Wales. Die Oberherrschaft über Schottland. 211
Oberherrschaft über Schottland und die Kriege gegen Frankreich. Während
der Regierung Heinrichs III. hatte Llevellyn IL, der Fürst von Wales1),
im Bunde mit Frankreich gegen England Erfolge errungen. Als er jetzt
die Huldigung versagte, wurde er in die Acht erklärt und zur Unter-
werfung gezwungen. Noch verblieb ihm Anglesea und ein Teil vom
Fürstentum Wales. Als er vier Jahre später, von seinem Bruder David
bewogen, den Krieg erneuerte, wurde er erschlagen, sein Bruder gefangen
und vom Parlament zum Tode verurteilt. Die nachgeborene Tochter
Llevellyns starb 1337 als Nonne. Das war der Ausgang des walisischen
Fürstentums. Wales wurde in Grafschaften geteilt und Grafschafts-
gerichte, Jury und Zivilverfahren der Engländer den heimischen Ge-
bräuchen angepafst. Nur im Kriminalprozefs sollte ausschliefslich eng-
lisches Recht gelten. Um die Walliser für sich zu gewinnen, gab
Eduard seinem Sohne, der in ihrem Lande geboren war (1284), den
Titel eines Prinzen von Wales, der fortan dem jeweiligen Thronfolger
verblieben ist.
3. Von besonderer Bedeutung war es, dafs Schottland lehenspflichtig
wurde. Dieses Land bildete noch keine festgefügte Einheit. Es war
eine lose Vereinigung mehrerer durch ihren Dialekt und ihre Geschichte
von einander geschiedener Keltenstämme. In der Zeit König Knuts war
das nördliche Northumbrien — Lothian — als Lehen an die schottischen
Herrscher gekommen. Die Residenz wurde nach Edinburg verlegt und
die Regierung nahm einen englischen Charakter an. Die alte schottische
Clanverfassung konnte sich nur im Hochlande behaupten. Im Süden
besafsen die Angelsachsen, später die Dänen allen Einflufs. Auf Man,
den Hebriden, Orkaden und Shetlandsinseln gab es normannische Herr-
schaften. Die Beziehungen der schottischen Herrscher zu England waren
je nach den Zeiten verschieden. Als Besitzer englischer Kronlehen waren
sie zur Huldigung und Heeresfolge verpflichtet. Das Haus Plantagenet
wollte diese Lehenshoheit anfangs auch über das eigentliche Schottland
ausdehnen, suchte aber später den Mittelpunkt seiner Politik auf dem
Kontinent. Doch wurden Englands Ansprüche niemals ganz aufgegeben.
Diese Verhältnisse wurden noch schwieriger, als die Königshäuser
beider Länder durch Verwandtschaft miteinander verknüpft wurden.
Alexander III. (1249—1286) hatte eine Tochter Heinrichs III. ge-
heiratet. Willig leistete er für seine englischen Lehen die Huldigung.
Trotzdem Eduard I. sein Schwager war, ging seine Absicht dahin, das
Verhältnis herzustellen, wie es unter Heinrich IL bestand: ganz Schott-
land unter die englische Lehenshoheit zu bringen. Für die Durchführung
dieses Planes lagen die Dinge sehr günstig. Alexander III. hatte nur
eine Enkelin Margareta, die Tochter König Erichs von Norwegen, hinter-
lassen. Sie sollte mit Eduards Sohn vermählt und demnach die Union
beider Reiche vollzogen werden. Da Margareta aber schon 1290 starb
und die direkte Nachkommenschaft der schottischen Könige erloschen
war, nahm Eduard als Oberlehensherr das Recht in Anspruch, über die
x) Die ältere Gesch. v. Wales s. (in kurzer Zusammenfassung) bei Green, 192 ff.
14*
212 Eduards Erfolge in Schottland. William Wallace.
Nachfolge zu entscheiden. Er legte dem Parlament in Norham (1291)
eine Staatsschrift vor, die den Nachweis führte, dafs England seit Jahr-
hunderten die Oberherrschaft über Schottland besessen habe. Die beiden
Thronbewerber Robert Bruce und John Baliol erkannten dies Recht an.
Für Baliol, einen Urenkel des schottischen Königs David, sprachen sich
die zu diesem Zwecke versammelten geistlichen und weltlichen Magnaten
aus. Am 20. November 1292 schwur er dem König Englands den Treu-
eid, zehn Tage später wurde er zu Scone auf dem alten Königstein1)
gekrönt. Schottland war nun ein Vasallenstaat Englands. Bisher war
der schottische Herrscher niemals verpflichtet gewesen, den Versamm-
lungen englischer Barone beizuwohnen, englische Kriegsdienste zu leisten
und aufserordentliche Steuern zu zahlen; auch die kirchliche Unab-
hängigkeit Schottlands war anerkannt. Nun beriefen sich schottische
Untertanen gegen die Entscheidung ihres Königs auf den obersten
Lehensherrn. War Baliol geneigt, auch hierin nachzugeben, so zwang
ihn die Stimmung seines Volkes zum Widerstand; die auswärtigen Ver-
hältnisse kamen ihm hiebei zustatten. Als Eduard I. wegen des Be-
sitzes von Guienne mit Frankreich in einen Krieg geriet (s. § 43), schlofs
Baliol mit diesem ein Bündnis und suchte die Abhängigkeit von Eng-
land abzuschütteln. Da er dem König Eduard die Heeresfolge ver-
weigerte, zog dieser, während er sich in Südfrankreich in der Defensive
hielt, gegen die Schotten und schlug sie bei Dunbar (1296). Baliol selbst
wurde gefangen und der Königstein nach der Westminsterabtei geführt.
Schottland wurde jetzt englische Provinz und von einem englischen
Statthalter nach englischer Art regiert.
4. So grofs die Erfolge der Engländer in Schottland waren, fast
nicht minder bedeutend waren ihre Verluste in Frankreich, wo Philipp
alles Land bis auf Bayonne und einzelne feste Plätze eroberte. Die
Niederlagen Englands weckten die Hoffnung der Schotten, ihre Freiheit
wiederzugewinnen. Es kam zu einer Erhebung, an deren Spitze sich
der Ritter William Wallace, ein Mann von ebenso grofser Tapferkeit als
Schlauheit2), stellte. Im September 1297 gewann er bei Stirling am
Forth einen glänzenden Sieg und trat nun in Baliols Namen an die Spitze
des Landes. Eduard, der eben in Flandern weilte, befand sich in der
bedenklichen Lage, einen Doppelkrieg zu führen, während in England
selbst sich die Opposition gegen ihn regte. Da schlofs er mit Philipp IV.,
der sich eben zum Streit gegen Bonifaz VIII. rüstete , einen Vertrag,
der ihm gestattete, auf dem schottischen Kriegsschauplatz zu erschein« n.
Zuvor beschwichtigte er die englische Opposition. Da seine Kriege viel
Geld kosteten , war er gezwungen , Jahr für Jahr die Beihilfe seiner
Untertanen in Anspruch zu nehmen. Dabei ging es nicht ohne Gewalt-
tätigkeiten ab. Der Adel mufste zu Felde ziehen oder das Schildgeld
entrichten ; vom Klerus wurden, s da er nicht zu Felde ziehen könne ,
die stärksten Geldleistungen in Anspruch genommen. Auch der Bürger-
1 Der hl. Stein, ein länglicher Block aus Kalkstein, der Legende nach der näm-
liche, auf dem Jakob lag, als die Engel auf- und niederstiegen.
2 Die Berichte über seine riesenhafte Stärke sind nicht historisch.
Das Steuerbewilligimgsrecht der Stünde Englands. 213
stand wurde schwer belastet. Anfangs wurden die Auflagen willig gezahlt,
denn die wallisischen und schottischen Kriege entsprachen den Interessen
des Landes. Zu den »Parlamenten« berief Eduard neben dem hohen Klerus
und Adel Abgeordnete der freien Gutsbesitzer aus den Grafschaften und
Vertreter der Städte.1) Mit ihnen wurde zunächst über die Beisteuer
zum Kriege, dann aber auch über andere Landesangelegenheiten, Staats-
einrichtungen und Gesetze, beraten. Der Krieg gegen Schottland wurde
allmählich wegen der grofsen Verluste an Menschenleben und der
Schädigung des Handels unbeliebt, der Adel weigerte sich, Heeresfolge
zu leisten oder das Schildgeld zu zahlen, und der Klerus berief sich auf
die Bulle des Papstes Bonifaz VIII. ■»Clericis laicosi (s. § 51), die dem
Staate verbietet, von kirchlichem Gut ohne Genehmigung des Papstes
Auflagen zu erheben. Die Forderungen des Königs fanden schliefslich
allgemeinen Widerspruch. Schon als er für seinen flandrischen Feldzug
neue Leistungen forderte, trat ihm selbst der hohe Adel entgegen und
wurde von der Geistlichkeit und den Vertretern der Grafschaften und
Städte unterstützt. Sie sammelten 1500 schlagfertige Ritter zur Wahrung
ihrer Rechte, verlangten Einhaltung der alten Freibriefe und Abschaffung
aller verfassungswidrigen Leistungen. Aber erst als die Unglücksposten
Wallaces Siege meldeten, gab Eduard nach. Auf dem Parlament zu
Westminster (1297, 10. Okt.) wurde festgesetzt, dafs der König in Zukunft
keine Steuer ohne Bewilligung der Stände einheben solle. Diese er-
hielten damit das Steuerbewilligungsrecht. Als der König
hiezu von Gent aus seine Einwilligung gab, geriet ganz England in eine
patriotische Erregung. Mit einem gröfseren Heere, als ihm je zur Ver-
fügung gestanden , zog er zu Felde. Es gelang ihm, die Schotten, die
einem Kampfe ausweichen wollten, bei Falkirk (am 22. Juli 1298) zu
schlagen. Mit Mühe entkam Wallace nach Frankreich. Eine einheimische
Regentschaft führte den Krieg trotzdem weiter. Als Eduard nach seinem
Siege das Steuerbewilligungsrecht der Stände nur mit einer verfänglichen
Klausel bestätigen wollte2), entstand grofse Aufregung. Da er aber
schliefslich neuer Hilfsgelder bedurfte , gab er nach. Damit hatte die
englische Verfassung die erste und wichtigste Phase ihrer Entwicklung-
abgeschlossen.
§ 49. Bonifaz VIII. und der schottische Unabhängigkeitskampf.
Das Ende Eduards L Eduard II.
1. Wie über die übrigen Staaten des Abendlandes nahm Bonifaz VIII.
auch über Schottland oberherrliche Rechte in Anspruch. Den Anlafs
dazu boten die Schotten selbst, die sich an ihn um Hilfe wandten. Ein
halbes Jahr vor der Schlacht bei Falkirk sandte er ein Schreiben an
l) Stubbs, 481, 486. Die Verordneten der Grafschaften und Städte haben so aus-
gerüstet zu sein : quod dicti milites (Ritter) plenam et sufficientem potestatem (Vollmacht)
pro se et communitate comitatus predicti et dicti cives et burgenses pro se et communitate
habeant . . . ad faciendum, quod tunc de communi consilio ordinabitur in praemissis.
*) Fine captioso. Die Klausel lautete : salvo iure coronae nostrae.
214 Bonifaz VIII. und Eduard I. Robert Bruce.
Eduard L, das seine Vermittlung ankündigte, und klagte, dafs England
sich unerlaubter Weise Schottlands bemächtigt habe. In einem zweiten
Schreiben erklärte er Schottland, ein uraltes Glied der Kirche, unmittelbar
mit Rom verbunden1) und beanspruchte die Entscheidung des Streites.
Zugleich begehrte *er die Freilassung Baliols als seines -Bundesgenossen«.
Das letztere gewährte Eduard. Zur Entscheidung des ersteren berief er
ein Parlament nach Lincoln (1301, 20. Januar). Hier wurde auf Grund
eines gelehrten Gutachtens die Ansicht, dafs England kein Recht auf
Schottland habe, und die Ladung des Königs vor das Gericht des Papstes
kräftig zurückgewiesen. »Nimmermehr«, hiefs es da, »werden und
können wir dulden, dafs unser König solche unerhörte Anmafsung auf
sich nehme.«2) Wandte sich die Krone in den Tagen König Johanns
gegen die Grofsen an den Papst, so rief sie jetzt die Hilfe der Stände
gegen diesen an und liefs seine Forderungen abweisen. Bonifaz VIII.
ging dem Streit nicht weiter nach, denn schon nahm der Kampf gegen
Philipp IV. alle seine Kräfte in Anspruch. Dieser Kampf kam England
auch sonst zugute. Frankreich hielt nicht nur Frieden, sondern gab
auch die im Süden gemachten Eroberungen heraus und überliefs die
Schotten ihrem Schicksal.
2. Eduard I. eroberte unter diesen Umständen bald ganz Schott-
land. Wallace, durch Verrat gefangen, wurde als Räuber, Mörder und
Hochverräter zum Tode verurteilt und in grauenhafter Weise getötet
(1305), was seinen Ruhm nur noch erhöht hat. Hätte sich Schottland
der englischen Herrschaft willig gefügt, so hätte die englische Freiheit
gegen Eduard I. einen schweren Stand gehabt. Er war durchaus ge-
neigt, das Beispiel Johanns nachzuahmen. Es scheint, dafs er sich an
den Papst wandte, damit er ihn seines Eides entbinde. Klemens V. er-
liefs in der Tat (1305) eine Bulle, worin die Bestätigung der Magna Charta
widerrufen wird, aber der Schottische Krieg hemmte die Weiterentwick-
lung dieser Dinge. Nach Wallaces Tode wurde Robert Bruce, ein
Enkel des Prätendenten, die Seele des schottischen Widerstandes. Jung
und alt scharte sich um ihn. Am 25. März 1306 in der Abtei zu Scone
gekrönt, nötigte er England aufs neue zum Kriege. Zwar wurde er be-
siegt und entkam in einer an Abenteuern reichen, von Dichtern ge-
feierten Flucht nach Irland, kehrte aber schon im nächsten Jahre zurück.
Eduard dachte daran, noch einen Feldzug gegen die Schotten zu unter-
nehmen, da- starb er am 7. Juli 1307. Noch auf, dem Totenbett be-
schwor er die Umstehenden, dem Kronprinzen einzuprägen, nicht zu
ruhen, bis ganz Schottland unterworfen sei.
Eduard I. war nicht blofs die populärste Erscheinung Englands zu seiner Zeit,
sondern auch in jeder Beziehung ein nationaler König. Im Guten und Bösen der
typische Vertreter seines Volkes : eigenwillig und herrschsüchtig, hartnäckig auf seinem
Rechte bestehand, von unbezähmbarem Stolz, hart und unbeugsam, im Grunde aber
J) Die Korresp. bei Rymer I, 194.
*) Das Gutachten bei Walsingham, Hist. Angl. I, 87 — 95. Wie diese Vorgänge
später auf Wiclifs Kampf gegen das Papsttum einwirkten, s. in Loserth, Stud. z. engl.
Kirchenpol., S. 15.
Eduard II. und Piers Gaveston. Niederlage in Schottland. 215
gerecht und selbstlos, arbeitsam und gewissenhaft und dabei fromm, denn sein Vor-
gehen gegen die Kirche entsprach der Not, und wohl auch nur deshalb blieb er mit
der Zahlung des Lehenszinses an die Kurie im Rückstand. Seine fromme Gesinnung
erhellt daraus, dafs er den Papst bat, Robert Grosseteste, einen der Vorläufer der
grofsen kirchlichen Reformbewegung des* 14. Jahrhunderts, heilig zu sprechen.
2. Wiewohl ganz anders geartet als sein Vater : unkriegerisch und
ein Freund weichlichen Hoflebens, strebte Eduard II. (1307 — 1327)
gleich diesem, das Joch der Barone abzuschütteln, und suchte, wie dies
in Frankreich (§ 50) üblich war, seine Ziele durch Werkzeuge zu er-
reichen, die er aus Leuten untergeordneter Stellung wählte. Schon in
seiner Jugend hatte ein aus Guienne stammender Abenteurer von ein-
nehmender Gestalt und geistreichem Wesen, Piers Gaveston, Einflufs auf
ihn gewonnen. Eduard I. hatte diesen, da er nichts Gutes von ihm er-
wartete, verbannt. Nun wurde er zurückberufen und zum Grafen von
Cornwallis erhoben. Ja Eduard IL gab ihm seine Nichte zur Frau und
machte ihn, als er selbst nach Frankreich zog, um seine Braut Isabella,
Philipps IV. Tochter, abzuholen, zum Reichs verweser. Gaveston griff
gewaltsam zu; ältere verdienstvolle Beamte wurden entlassen, die Mehr-
zahl der Barone mit Spott und Zurücksetzung behandelt. Daher bildete
sich eine starke Opposition, die den König nötigte, ihn zu entlassen.
Er tat dies, ernannte ihn aber zum Statthalter von Irland und rief ihn
überdies schon im folgenden Jahre zurück. Nun setzte das Parlament
den Ausschufs der 21 »Anordner« (Ordainers) ein, um den Mifsbräuchen
im Haushalt des Königs und im Staatswesen ein Ende zu machen (1310).
Unter diesen Wirren zog sich auch der Schottische Krieg ergebnislos
hin. Als Eduard IL 1311 aus dem Felde heimkehrte, legten die An-
ordner ihm eine Anzahl von Reformartikeln vor : die alten Verbote will-
kürlicher Besteuerung wurden erneuert, die noch von Eduard I. einge-
führten Zollgebühren abgeschafft und bestimmt, dafs der König ohne
Genehmigung des Parlamentes keine Reise ins Ausland machen, keinen
Krieg führen und die hohen Staatsämter nur unter dessen Beirat be-
setzen dürfe. Parlamente sollten mindestens einmal des Jahres berufen,
die obersten Staatsbeamten durch sie beeidigt und die ganze Staats-
verwaltung überwacht werden. Gaveston mufste dem Hasse der Barone
weichen. Als er aber nach zwei Monaten wieder in seine Amter und Würden
eingesetzt wurde, nahm ihn der Vetter des Königs, Graf Thomas von
Lancaster, welchen Gaveston in seiner ersten Zeit »das alte Schwein«
oder den »Schauspieler« genannt hatte, gefangen und liefs ihn ent-
haupten (1312, Mai). Der König schwur zwar den Baronen Krieg ohne
Erbarmen, mufste aber bald einlenken, da Bruce in Schottland einen
festen Platz nach dem andern eroberte. Schon war auch der stärkste
von allen, Stirling, dem Falle nahe, da rückte Eduard II. mit einem
ungeheuren Heere, man schätzte es auf 100000 Mann, heran; trotzdem
gewann das Feldherrntalent und die persönliche Tapferkeit des schotti-
schen Königs am 24. Juni 1314 an dem morastigen Bache Bannock-
burn einen glänzenden Sieg. Eduard selbst entkam mit Mühe. Stirling
fiel. Der Sieg wirkte auch auf Irland zurück. Robert Bruce sandte
216 Die beiden Despeuser. Sturz und Absetzung Eduards II.
seinen Bruder Eduard nach Ulster (1315), wo er zum König gekrönt
wurde, aber drei Jahre später gegen die von Roger Mortimer geführten
Engländer fiel. Irland war zwar wieder erobert, aber Schottland blieb
verloren. Zu all diesem Elend gesellten sich noch Hungersnot und Pest,
die England drei Jahre hindurch heimsuchten (1314 — 1316). Dabei
dauerte der innere Zwiespalt fort. Lancaster blickte mit Eifersucht auf
des Königs Günstlinge, den älteren und jüngeren Hugh Despenser, von
denen der letztere durch seine Heirat mit der Erbtochter des Grafen
Glocester eine Stellung erlangte wie vordem Gaveston. Auch gegen
ihn wandten sich die Barone, und es gelang Lancaster, die Verbannung
beider Despenser durchzusetzen. Eine der Königin zugefügte Beleidigung,
mehr noch die Aneignung aller gesetzgebenden Gewalten durch die Barone
führte die schwankende Volksgunst wieder dem König zu. Die Despenser
wurden zurückberufen. Lancaster und seine Partei traten nun in hoch-
verräterische Verbindungen mit den Schotten, die, rechtzeitig aufgedeckt,
seinen Sturz herbeiführten. Er wurde am 22. März 1322 enthauptet.
Eine völlige Reaktion trat ein. Das Parlament hob nicht blofs die gegen
die Despenser getroffenen Verfügungen und viele Statuten der Ordainers
auf, sondern setzte fest, dafs alle Gesetze, »die sich auf den Besitzstand
der Krone, des Reiches und Volkes bezogen, vom Könige im Parlament
verhandelt, bewilligt und bestätigt werden müssen durch und mit Zustim-
mung der Prälaten, Grafen, Barone und Gemeinen des Reiches«. Die Volks-
tümlichkeit des Königs hatte nicht lange Bestand. Lancasters Hinrichtung
erregte des Volkes Mitleid. Es pilgerte zu seinem Grabe und verglich ihn
mit Thomas von Canterburv. Der Übermut der Despenser, die Verluste in
Schottland und der Waffenstillstand, der mit Bruce auf 13 Jahre ab-
geschlossen werden mufste, erzeugten allgemeine Unzufriedenheit. Als
Eduard in einen Streit mit Frankreich geriet, kam die Königin, welche des
Königs Gegner mit ihm verfeindet hatten, in eine schiefe Stellung und ging
unter dem Vorwand, den Streit zu schlichten, und' von ihrem Sohne be-
gleitet, der an Stelle des Vaters für Gascogne und Aquitanien die Huldi-
gung leisten sollte, nach Frankreich (1326). Xun weigerte sie sich,
zurückzukehren, ehe die> Despenser entlassen seien, und setzte sich
in Verbindung mit allen Gegnern des Königs, deren Zahl mit jedem
Tage wuchs. Mit einer Schar von 2000 Bewaffneten landete sie an der
Küste von Suffolk. Die Grofsen des Landes und die Bürgerschaften,
endlich selbst die Truppen des Königs traten auf ihre Seite. Der König
entfloh mit den beiden Despenser nach dem Westen. Zuerst fiel der
ältere in die Hände seiner Gegner und wurde trotz seiner 90 Jahre als
Hochverräter hingerichtet. Nicht lange nachher wurde auch der König
mit dem jüngeren Despenser gefangen, letzterer auf einen 50 Fufs hohen
Galgen aufgeknüpft, der König als Gefangener nach Kenilworth geführt.
Am 1: Januar 1327 trat das Parlament in Westminster zusammen. Es
nahm das Recht in Anspruch, den König, der sich zur Regierung un-
fähig, erwiesen hatte, abzusetzen. Die Anklagepunkte lauteten auf Träg-
heit, Unfähigkeit, den Verlust von Schottland, Verletzung des Krönungs-
eides und der Kirche und Barone. Nach ihrer Verlesung wurde er der
Seine Ermordung. Die franz. < »i^position gegen das Papsttum. 217
Regierung entsetzt und Eduard III. zum König proklamiert. Als dieser
erklärte, ohne Einwilligung des Vaters die Krone nicht anzunehmen, holte
eine Deputation dessen Zustimmung ein, die er erst gab, als man ihm be-
deutete, seine Weigerung gefährde die Nachfolge des Sohnes. Jetzt
trat Eduard III. die Regierung an. Sein Vater hatte ein schreckliches
Ende. Von seiner ehebrecherischen Gemahlin verstofsen, ward er aus
der milden Hut Lancasters genommen und dem Ritter Johann Maltravers
übergeben, der ihn von Burg zu Burg schleppte, bis er endlich auf
Schlots Berkeley von zwei Mördern getötet wurde.1) Dem unter Kissen und
Bettdecken Begrabenen stiefs man ein glühendes Eisen durch den After
bis in die Eingeweide. Jede äufsere Verletzung wurde vermieden;
nur die entstellten Gesichtszüge zeugten von den erduldeten Qualen.
Welchen Anteil die Königin an dem Morde hatte, läfst sich nicht
feststellen.
3. Kapitel.
Die französische Opposition gegen die weltliche Oberherrschaft
des Papsttums.
§ 50. Frankreich unter Philipp III. dem Kühnen (1270—1285).
Die Anfänge Philipps IV. des Schönen (1285-1314).
Quellen. S. oben § 33. Urkk. u. Akten zur Gesch. Philipps III. auch in
Langlois, Le regne de Philippe III le Harcli 1887. Dort eine reiche Übersicht über die
Quellen zur Gesch. seiner Zeit. Die Akten zur Gesch. Philipps IV. s in Boutaric,
Polices et extraits de documents relatifs ä l'histoire de France sous Philippe le Bei.
Paris 1862. Ordonnances des rois de France wie oben. Isambert, Rec. general des
anciennes lois, torn. II, III. Boutaric, Actes du Parlement de Paris. 2 voll. Paris
1863 — 67. Textes relatifs ä l'hist. primitive du Parlement p.p. Langlois. Picot, Docu-
ments relatifs aux etats generaux et assemblees reunis sous Philippe le Bei. Paris 1901.
Die Comptes de . Philippe III et IV in Bouquet XXII. Lettres inedites de
Philippe le Bei p. p. Baudouin, Paris 1887. Servois, Documents inedits sur l'avene-
ment de Philippe le Bei 1837 (s. Lavisse, Hist. gen. III, 62). Phil, le Bei ,Lettres de,
rel. au pays de Gevaudan p. p. Sache, Paris 1897. Funk-Brentano, Documents pour servir
a l'histoire des relations avec l'Angleterre et Allemagne sous Philippe le Bei. RH. 1889.
Acta inter Bonifacium VIII., Benedictum XI., dementem V. et Philippum Pulchrum,
publies p. Pithou. Paris 1614. Fasciculus actorum pertinentium ad controversiam
inter Bonifacium VIII. et Philippum IV. Leibnitz, Mantissa cod. jur. gent. dipl.
Hannov. 1693. Die Papstregister s. oben. Die Historiker finden sich grösstenteils
in Bouq. XX — XXIII. u. sind zum gröfsten Teil schon, oben § 33 aufgezählt. Da
Monod, Nr. 2464 — 2496 u. Molinier 2847 ff. ein vollst. Verzeichnis enthalten, mögen hier nur
die wichtigsten genannt werden : Guilelmus de Xangiaco, Gesta Philippi Audacis.
Bouq. XX, 466-559. Ausz. MM. Germ. Hist. SS. XXVI. Guilelmus Scotus Chronic,
bis 1317, ib. XXI, 202—211. Guilelmus Maior, Gesta episcop. Andegev. bis 1316.
d'Achery Specil. X. Für die franz.-belgischen Verhältnisse : Chroniques de Flandre.
Bouquet XXII, Chronique anonyme de la guerre entre Philippe le Bei et Gui de
Dampierre 1294-1304. De Smet, Corp. chron. Flandriae IV (s. auch BECh. LX, 296.)
Zur Schlacht v. Courtray. La version flamande et la version francaise de la bataille de
*) Diesen soll der orakelhafte Befehl zugekommen sein : Edicardum oeeidere
nolite timere bonum est, bei dem es auf die Interpunktion ankommt, wie er zu deuten ist.
218 Philipp in.
Courtrai 1302. Bruxelles 1891 s. auch BECh. 51, 238 u. EQH. 1898. . Balduinus Nino-
viensis (Ninove, Diöz. Mecheln) Chron. bis 1294, ed. in MM. Germ. SS. XXV. 521 ff.
Chronographia regum Francorum 1270 — 1405, tom. I (1270 — 1328), ed. Moranville\
Paris 1891. Landulfus de Columna, can. Carnotensis, Breviarium historiarum. Unt.
d. Titel : Elogia Philippi Pulchri Francorum regis eiusque filiorum Ludov. Hutini et
Philippi Longi. Bouq. XXIII, 193. Godefroy de Paris, Chronique metrique de Philippe
le Bei 1300— 1316. Bouq. XXII, 87—166. Jean des Preis dit d'Outremeuse : Ly Myreur
des histors bis 1340, ed. Borgnet. Brux. 1860—80. Nicol. Trivet, wie oben. Chronik
v. Orvieto. Auszüge in Döllinger Beiträge III, 347 — 313. Über den Tod u. d. Leichen-
begängnis Ph. d. S. s. d. Schreiben Wilh. Baldrichs an den Hof v. Majorka in
BECh. 58, 1.
Hilfsschriften (für Bonif. VIH. s. § 47). Hauptwerk für Philipp III. : Lang-
1 o i s , wie oben. Ledere, Les Rapports de la papaute et de la France sous
Philippe HI (1270—1285). Bruxell. 1890. Baudon de Mony, Rel. polit. des comt.
de Foix avec de la Catalogne. 2 Bde. Paris 1896. Bonnassieux, Dela Reunion
de Lyon ä la France. Paris 1876. Für Philipp IV. : Boutaric, La France
sous Philippe le Bei. Par. 1861. Jolly, Philippe le Bei, ses dessins, ses actes, son in-
fluence. Paris 1889. Für den Streit mit Bonifaz VIII. : Dupuy, Histoire du
diffe>end dentre le pape Bonif ace VIII et Philippe le Bei et le proces fait a Bernard,
£veque de Pamiers l'an 1295. Paris 1655. Baillet, Histoire des demeles du pape
Boniface VIH avec Philippe le Bei. Paris 1718. Rocquain, Philippe le Bei et la
bulle Ausculta fili. BECh. 1881. Del Lungo, Da Bonifazio VIII. ad Arrigo VH.
Milano 1899. Digard, Philippe le Bei et le Saint-Siege, wird demnächst erscheinen.
Kervyn de Lettenhove, Etudes sur 1'histoire du XIHe siecle. — Recherches sur
la part que 1' ordre de Citeaux et le comte de Flandre prirent ä la lutte de Boniface VIII
et de Philippe le Bei. Brux. 1853. Baudrillart, Des idees qu'on fasait au XIVme
siecle sur le droit d'interventions du Souverain Pontife dans les affaires politiques.
Rev. d'histoire et de litterature relig. 1898. Berchtold, Die Bulle Unam sanctam und
ihre wahre Bedeutung u. Tragweite für den Staat. 1887. Ehr mann, Die Bulle Unam
sanctam. 1896. Funck, Zur Bulle Unam sanctam. ThQ.-Schr. 72, 640. Holz-
manri, Phil. d. Seh. u. die Bulle Unam sanctam DZG. NF. H, 16 — 38. Renan,
Guillaume de Xogaret. Hist. lit. de France XXVII, XXVHI. Holtzmann, Wilhelm
v. Nogaret, Rat u. Grofssiegelbe wahrer Philipps des Schönen. Freib. 1898. Renan-
]£tude sur la politique du regne de Philippe le Bei. Paris 1900. Funk-Brentano,
Les origines de la guerre de Cent ans : Philippe le Bei en Flandre. Paris 1896. Laca-
bane, Mort de Philippe le Bei. BECh. in. Funck-Brentano, La mort de Philippe
le Bei. Paris 1884. Petit, Charles de Valois (1270—1325). Paris 1900. Clement,
Trois drames historiques 1857 (enthält die Gesch. d'Enguerrands de Marigni). Rigault,
Le proces de Guichard. Mem. et doc, publ. par la societe de l'ecole des chartes.
Paris 1896. L e r o u x , Recherches critiques sur les relations de la France avec Alle-
magne au moyen-äge 1882. Ch. de la Ron eiere, Le blocus Continental de l'Angle-
terre sous Philippe le Bei. RQH. 1896. Piepape, Funck-Brentano, Bergengrün,
Henneberg u. Fournier wie oben. Luchaire, Manuel des Instit. monarchiques.
Paris 1892. Vuitry, Etudes sur le Regime financier de la France. Hervieu,
Recherches sur les premiero etats generaux. etc. Paris 1879. Aubert, Le Parlement de
Paris de Philippe le Bei ä Charles VII. Paris 1887. Pirenne, Geschichte v. Belg.
wie oben.
1. Noch auf dem Felde von Karthago wurde Philipp III. Nach-
folger seines Vaters. Die Nachwelt hat ihm den Namen des Kühnen
gegeben, man weifs aber doch nicht weshalb. Es fehlte ihm an politi-
schem Blick und Tatkraft. Schon Ludwig IX. hatte mit Vorliebe Leute
niederer Herkunft zu den Geschäften berufen, weil deren Verbindungen
nicht so geartet waren, dafs sie dem Königtum hätten schaden können.
In höherem Grade war dies unter Philipp III. der Fall. So leitete
Pierre de la Brosse, dem seine medizinische Kunst schon bei Ludwig IX.
und «eine Folitik. 219
die politische Laufbahn geöffnet hatte und der, getragen von der Gunst
des Königs, reich und angesehen wurde, die ganze Politik Philipps III.
in dessen erfolgreichsten Jahren 1270 — 1278, bis er dem Hasse eifer-
süchtiger Grofser und der Königin zum Opfer fiel und, ohne von dem
Könige, in dessen Interessen er aufgegangen war, geschützt zu werden,
»einem Räuber gleich« sein Ende auf dem Galgen fand (1278). Seine
Nachfolger waren vorsichtiger, dabei nicht weniger tatkräftig, wenn sie
auch noch nicht den Einflufs besafsen wie später ein Nogaret, Flotte u. a.
Vom Kreuzzuge heimgekehrt, stellte Philipp III. den Frieden unter
den Baronen des Südens her, schützte seinen Besitz gegen Eduard I.
und ging gegen die Gebiete des Kaiserreiches im Tal der Rhone und
Meuse erfolgreich war. Am 2. Dezember 1272 leistete ihm der Erzbischof
von Lyon den Eid der Treue, ja die französische Politik konnte bereits
die Erwerbung der deutschen Krone für das Haus Valois in Aussicht
nehmen. Wichtig vor allem war der grofse Länder erwerb im Süden
Frankreichs. Auf der Heimkehr von Tunis begriffen, starben wenige
Stunden nacheinander Graf Alfons von Poitiers, des Königs Oheim, und
dessen Gemahlin Johanna, die Tochter des letzten Grafen von Toulouse.
Ihr grofses Erbe, »die Hälfte des Midi«, fiel an die Krone: Poitou, Sain-
tonge, Toulouse, Albigeois, Auvergne, Quercy, Agenais, Rovergne und
die Grafschaft Venaissin. Die letztere wurde dem Papst, der sie bean-
spruchte, trotzdem sie Gregor IX. bedingungslos dem Grafen Raimund
zurückgegeben hatte, überlassen (1274) und ebenso Agenais kraft des
Vertrages von 1259 an England abgetreten. Dagegen wurden die An-
sprüche Karls von Anjou vom Pariser Parlamente (1283) abgewiesen;
durch den Tod seines Bruders Johann Tristan fiel dem König auch die
Grafschaft Valois zu. Im Juli 1274 war Heinrich III. von Navarra ge-
storben. Seine im Lande unbeliebte Witwe hatte sich mit ihrer Tochter
Donna Juana nach Frankreich geflüchtet, um gegen Kastiliens und
Aragoniens Ansprüche Hilfe zu finden. Philipp III. liefs in der Tat
zwei Heere in Navarra einrücken und Pampelona erstürmen. Fast das
ganze Land wurde erobert (1275). Eben war Fernando de la Cerda,
der älteste Sohn Alfons' X. von Kastilien, gestorben. Er hinterliefs
eine Witwe, Blanka, die Tochter Ludwigs IX., und zwei Söhne, Fernando
und Alfons. Nach altspanischem Recht wurde Sancho, Alfons' X. zweiter
Sohn, zum Thronerben Kastiliens proklamiert. Auf Bitten der Witwe
sandte Philipp eine Armee nach den Pyrenäen, um durch Navarra in
Kastilien einzudringen. Der Feldzug endete jedoch in unrühmlicher
Weise, und der Streit überdauerte schliefslich noch den Tod Alfons' X.
und Philipps III. Dagegen erlangte dieser durch die Vermählung seines
Sohnes Philipp mit Donna Juana, der Erbin Navarras und der Grafschaft
Champagne, für sein Haus die Anwartschaft auf diese Länder (1284).
Kurz zuvor hatte der sizilianische Freiheitskampf dem französischen
Königshause die gröfsten Aussichten eröffnet. Philipp III. stellte seinem
Oheim, dem König Karl, die ganze Macht Frankreichs zur Verfügung,
wofür Papst Martin IV. Aragonien an einen der Söhne Philipps III. mit
Ausnahme des Erstgeborenen unter der Bedingung gab, dafs Frankreich
220 Charakteristik Philipps des Schönen.
und Aragonien nicht vereinigt würden (1283). Philipp III. bestimmte
es für Karl von Valois. Doch wurde der Krieg von den Franzosen
unglücklich geführt (s. oben §46). Der König, der selbst mit einem
starken Kriegsheere über die Pyrenäen gedrungen war, sah sich infolge
mangelhafter Verpflegung und pestartiger Krankheiten in seinem Heere zu*
einem verlustreichen Feldzug gezwungen. Von tödlicher Krankheit er-
griffen, starb er am 5. Oktober 1285. Mit dem Wachstum französischen
Krongebietes waren auch die Machtbefugnisse des Königtums in stetigem Zu-
nehmen : Das Verbot der Privatfehden, des gerichtlichen Zweikampfes usw.
wurde strenge gewahrt; die Teilnahme des Bürgertums am Staats-
leben hatte ihren ungehinderten Fortgang. In dieser Hinsicht wurde
namentlich die Erwerbung von Lehen durch Bürgerliche gesetzlich ge-
ordnet und der Grund zur Organisation des Advokatenstandes gelegt.
Schärfer als unter Ludwig IX. wurde der Klerus zu den Leistungen für
den Staat herangezogen, und alle Klagen der Synode von Bourges (1276)
und der Päpste blieben erfolglos.
2. Erst 17 Jahre alt, bestieg Philipp IV. den französischen Thron :
trotz seiner Jugend ein ausgeprägter Charakter. Mit einem schönen
Körperbau, den schon die Zeitgenossen bewundernd betrachteten1), ver-
band er hohe. Gaben des Geistes und entfaltete eine Tätigkeit, der nichts
entging und die, von sicher berechnender Klugheit geleitet, Verstellung
mit scheinbarer Mäfsigung verband.2) Bei aller zur Schau getragenen
Demut und Milde war er in. der Wahl seiner Mittel durchaus skrupellos.
Seine Absichten gingen auf die Errichtung einer nach innen und aufsen
starken Alleinherrschaft. Mit Recht als Vorkämpfer des unbedingten
Absolutismus bezeichnet, ist er die Verkörperung der Idee von der
Identität des Staatsinteresses mit dem des Fürsten. Alle Hindernisse,
die diesem Ziele im Wege stehen, werden beiseite geschoben : an seinem
Willen zerschellt die Macht der Prälaten und Barone; gegen die geist-
lichen mit den weltlichen Grofsen verbündet, gegen beide mit dem Volk,
stellt er schliefslich alle dem Papsttum entgegen. Auch in der äufseren
Politik wechselt er seine Allianzen nach Bedürfnis und scheut sich nicht,
traditionelle Bande zu zerreifsen, wie den Jahrhunderte alten Bund mit
dem Papsttum, oder die bisherige Politik des französischen Königtums
dem Kaisertum und dem Orient gegenüber aufzugeben. Freilich läfst
sich nicht genau bestimmen, wie grofs sein, wie grofs der Anteil seiner
Ratgeber daran gewesen. Sie tritt nach innen zunächst in der Ver-
stärkung der Zentralgewalt, in den finanziellen Reformen und der Be-
günstigung der Städte zutage. Ein neuer Geist beherrscht jetzt das
Königtum. Da handelt es sich nicht mehr um Kreuzzüge3) oder um
die Aufrichtung eines Reiches der Gerechtigkeit und christlichen Liebe,
sondern um die Herstellung einer alles und jedes beherrschenden Staats-
gewalt, wie sie die Imperatoren Roms besal'sen und von den >:Legisten<<
1 Guilelmus Scötus : Corpore membrorumque eleganti dispositione ... a.t vere
species eins imperio digna esset.
a Drumann. 1. 80.
3) Trotz Dubois' Traktat De recupera-tione terrae sanctae. der andere Ziele verfolgt.
Philipp der Schöne und seine Ratgeber. Krieg mit England. 221
in den Schulen des römischen Rechtes für den Herrscher gefordert
wurde. Jene Grundsätze, die schon die Politik Barbarossas beeinflufsten,
kommen unter der Einwirkung der Juristen, der grundsätzlichen Gegner
des Feudaladels, auch in Frankreich zur Geltung. Diesen Kreisen sind
die vornehmsten Ratgeber des Königs entnommen, meist Leute aus dem
»Midi«, und es ist sehr bezeichnend, dafs die bedeutungsvollsten Ereig-
nisse in Frankreich in jener Zeit in der Form von Prozessen erscheinen:
Die Prozesse gegen Eduard L, gegen Flandern, gegen Bonifaz VIII. und
die Templer. *) Unter seinen Ratgebern nehmen in der ersten Zeit
Pierre Flotte, Guillaume de Nogaret und Plaisian die erste Stelle ein,
zuletzt Enguerrand de Marigny, der »Koadjutor und Gouverneur des
Reiches«, wie er mitunter genannt wird. Am bekanntesten ist Nogaret
wegen seines Anteils am Attentat von Anagni. Seine Familie, bürger-
lichen Ursprungs, trug nach ihrem in der Nähe von Toulouse liegenden
Lehen den Namen Nogaret. Sein Vater und andere Vorfahren fielen
als Albigenser der Inquisition zum Opfer, und es ist mehr als wahr-
scheinlich, dafs sein Hals gegen das Papsttum in diesem schmachvollen
Tode seiner Eltern begründet ist. Als Doktor der Rechte und Lehrer
des römischen Rechtes in Montpellier trat er 1295 in den Dienst des
Königs, wurde 1299 in den Adelstand erhoben und gehörte zu der
(später noblesse de rohe genannten) Klasse von Leuten, die, ohne dem
Priesterstand anzugehören, durch Arbeitsamkeit und Wissen emporstiegen,
mit juristischer und staatsmännischer Gewandtheit und Einsicht die Ge-
schäfte handhabten und den Königen, welche die klerikale Bevormundung
je länger desto mehr als drückendes Joch empfanden, unentbehrlich
wurden.2) Das neue Element durchdringt und belebt den ganzen Staat
und macht sich auch in der auswärtigen Politik bemerkbar : die diplo-
matischen Verhandlungen werden kräftiger geführt, Gesandtschaften
häufiger ausgeschickt und zahlreichere Traktate geschlossen; politische
Entwürfe tauchen auf und werden von Publizisten wie Peter von Dubois
verbreitet.
3. Den aussichtslosen Krieg gegen Aragonien beendete Philipp IV.
durch den Vertrag von Tarascon (s! § 46). Wenn auch Neapel und
Sizilien den Kampf weiter führten, Frankreich blieb davon unberührt.
Da Philipps Absichten dahin gingen, auch die letzten englischen Be-
sitzungen auf französischem Boden zu gewinnen, so war ein Krieg mit
England unvermeidlich. Den Anlafs gab ein Streit zwischen englischen
Schiffern aus Bayonne und Bretonen. Philipp IV. liefs Bordeaux be-
setzen, die benachbarten englischen Gebiete einziehen und lud Eduard I.
vor sein Gericht, der seinen Bruder Edmund nach Paris sandte, um
die Streitsache beizulegen. Dieser schlofs unter Vermittlung der Gattin
und Stiefmutter Philipps einen Geheimvertrag ab, dessen Bestimmungen
von Philipp listigerweise ausgenützt wurden, um sich Guiennes zu
bemächtigen. Aufserdem liefs er den englischen König des Ungehorsams
1) Coville, S; 12 f.
2) Dölliuger, S. 225.
222 Die Kämpfe um Flandern.
schuldig erklären und ihm einen zweiten und dritten Termin zur Ver-
antwortung setzen. Eduard kündigte nunmehr seine Lehenspflicht auf
und verband sich mit dem Grafen Guido von Flandern, der mit seinen
eigenen Städten im Streite lag. Auch den deutschen König Adolf, den
Erzbischof von Köln, die Grafen von Holland, Geldern und Brabant
zog er auf seine Seite, wogegen der Dauphin von Vienne, der Graf von
Burgund, der Herzog von Lothringen, vor allem aber Schottland auf
Frankreichs Seite standen. Die deutsche Hilfe war jedoch so ungenügend,
dafs Eduard den Kampf auf den Wiedererwerb der verlorenen Plätze
in Guienne beschränkte. Philipp warf dagegen seine ganze Macht nach
Flandern, wo die Lilianen, ein Teil des Adels und die reicheren Bürger
der Städte, zu ihm hielten, und gewann Lille und Brügge. Der Aufstand
der Schotten unter Wallace (s. oben) bewog Eduard zu einem Waffen-
stillstand (1297), dem schon im folgenden Jahre auf Grundlage des Status
quo ante bellum ein vom Papste vermittelter Vertrag folgte. England
erhielt hiedurch freie Hand gegen Schottland wie Frankreich gegen
Flandern. Zur Befestigung des Friedenszustandes wurde eine Doppel-
heirat geschlossen : eine Tochter Philipps III. heiratete den König Eduard,
und dessen gleichnamiger Sohn wurde mit Isabella, der Tochter Philipps IV.,
verlobt. Der Waffenstillstand zwischen beiden Ländern wurde in der
Folge noch mehrmals verlängert. Philipp IV. benützte die Waffenruhe,
um seine Hoheitsrechte in Flandern zur Geltung zu bringen, was er
um so leichter erreichte, als König Albrecht auf seiner Seite stand. Es
gelang ihm, den Grafen und seinen ältesten Sohn in seine Gewalt zu
bekommen (1300). Im folgenden Jahre hielt er in den flandrischen
Städten einen glänzenden Einzug. Mit gleichem Erfolge ging er im
Osten vor : der Bischof von Viviers und der Pfalzgraf Otto von Burgund
mufsten die Huldigung leisten; den Grafen Rainald von Mömpelgard
unterstützte er gegen den Bischof von Basel, und die Bürger von Besancon
suchte er seiner Herrschaft zu unterwerfen. Gleich gewaltsam war seine
Politik gegen Hennegau und die Bistümer Verdun und Toul.
§ 51. Philipp IT. und Bonifaz VIII.
Quellen und Hilfsschriften wie § 47 u. 50. Dazu die Schriften üher die
literarische Opposition gegen die päpstliche Oberherrschaft (s. P. Dupuy wie oben
und G o 1 d a s t , Monarchia S. Roniani irnperii. Frankfurt 1614). Die wichtigsten Schriften
sind: Aegidius de Colonna ßomanus, De ecclesiastica potestate libri tres (noch ungedr.).
Inhaltsang. v. Kraus. Viertel] ahrsschr. f. kath. Theol. 1862. — De regimine principurn
libri tres. Drucke bei Potth. I, 17, unter andern in Hahn, Coli. vet. mon. I (fälschlich
wird ihm auch die Quaestio in utrarnque partem disputata de pot. regia et pontificali
zugeschrieben. Monarchia H, 96). Quaestio de potestate Papae. Ged. bei Dupuy 663—683.
Wahrscheinlich von Dubois Tetrus de Bosco) verfafst. Von den übrigen Schriften
Dubois' seien genannt : Sunmiaria, brevis et compendiosa doctrina felicis expeditionis
et abbreviationis guerrarurn ac litiuni regni Francorurn. Ausg. v. X. de Wailly, Mem.
de l'Acad. des inscr. XVIII. 2. 1849. — Deliberatio super agendis a Philippo rege
contra epistolam papae. Dupuy 44. La Supplication du Pueuble de France . . . 214—219.
De recuperatione Terrae sanctae, ed. Langlois. Paris 1891. Die Partie über die Er-
werbung des linken Rheinufers bzw. ganz Deutschi, bei Wenck, Kleniens V. und
Heinrich VII. Halle 1882. Vielleicht rührt von Dubois auch die Disputatio inter C'leri-
Philipp der Schöne und Bonifaz VIII. 223
cum et Militem her. Monarch. I, 13—18. Johannes Parisiensis, tractatus de potestate
regia et papali. Goldast. Monarch. II, 108.
Hilfsschriften: Lorenz, D. GQ. 11,333—340. Riezler, Die lit. Wider-
sacher der Päpste im Zeitalter Ludwigs des Bayers. Leipz. 1874. Fried berg, Die ma.
Lehren über das Verhältnis zwischen Staat u. Kirche. Z. Kirchenr. VIII. u. Leipz. 1874.
Friedberg, Die Grenzen zwischen Staat u. Kirche. Tübingen 1872. Scaduto, Stato
c chiesa nelli scritti politici dal fine della lotta per le investiture sinö alla morte di
Ludov. il Bavaro. Fir. 1882 s. K. Müller, ZKG. VII, 61. Höfler, Die rom.
Welt und ihr Verhältnis z. den Reformid. d. MA. 1878. Neander, Gesch. d. ehr. Rel.
u. Kirche. 4. A. IX, 16 ff. Lechler, Der Kirchenstaat u. d. Opposit. geg. d. päpstl.
Absol. im Anf. d. 14. Jahrh. Leipz. 1870. Über Dubois u. Nogaret s. d Aufsätze Renans
in der Hist. lit. XXVI, XXVII.
1. Da Bonifaz VIII. an die Wiedereroberung des hl. Landes dachte,
wollte er den Streit zwischen England und Frankreich beendet sehen.
Philipp IV. war jedoch nicht geneigt, dem Papsttum als solchem eine
schiedsrichterliche Stellung einzuräumen, noch weniger, Eingriffe der
Kurie in seine wirklichen oder vermeintlichen Rechte zu dulden. Wie
in England, wandte sich auch in Frankreich die Geistlichkeit an den
Papst, um sich gegen die drückenden Besteuerungen des Königs zu
sichern. Infolgedessen verbot der Papst (1296) in der Bulle »Clericis
laicos'i allen Laien, Steuern und Abgaben von Geistlichen zu erheben,
und den Geistlichen, sie an den Staat zu entrichten. Die Bulle enthielt
weder etwas Neues, noch betraf sie Frankreich allein. Während Eduard I.
sich über ihre Bestimmungen einfach hinwegsetzte, andere Könige
Dispensen erbaten und erhielten1), erliefs Philipp IV. eine Verordnung,
die bei Konfiskation der Waren und Gütereinziehung jede Ausfuhr von
Gold und Silber, Edelsteinen, Lebens- und Kriegsbedarf aus dem König-
reich untersagte. Ein zweites Edikt verbot Fremden, sich im Reiche
aufzuhalten und hier Handel zu treiben. Dadurch entgingen dem Papste
die von den Legaten in Frankreich gesammelten Summen, wurden die
französischen Einkünfte der Kardinäle und anderer auswärtiger Kleriker
gesperrt, italienischen Kaufleuten der französische Markt entzogen, endlich
auch die Eintreibung rückständiger Schulden unmöglich gemacht. Da
aber der Krieg um Sizilien bedeutende Opfer forderte, das Zerwürfnis
mit dem Hause Colonna ihn anderseits von neuen Kämpfen zurück-
halten mufste, kam der Papst dem König einen Schritt entgegen. Zwar
tadelte er dessen Vorgehen als Verletzung der Kirchenfreiheit und nannte
es im Hinblick auf Frankreichs zahlreiche Gegner unklug, erklärte aber,
es sei nicht seine Absicht gewesen, dem Reiche zu entziehen, wessen es
in seiner Not bedürfe. Diese Erklärung befriedigte den König nicht.
Als die päpstlichen Gesandten von ihm die Annahme eines Waffen-
stillstandes zwischen Frankreich und England begehrten, gestand er dies
zu, erklärte aber, dafs die weltliche Regierung in Frankreich niemandem
als ihm selbst zukomme, und dafs er in weltlichen Dingen niemanden
als Richter über sich erkenne.2) Der Papst kam ihm nunmehr noch
weiter entgegen : er schränkte die Zahl der Geistlichen, auf die sich seine
1) Kopp, I. c. 188.
2) S. 193.
224 Beginn des kirchenpolitischen Kampfes.
Bulle bezog, erheblich ein (1297, Februar), gestattete, dafs die Könige
von Frankreich, wenn sie das 20. Lebensjahr erreicht hätten, befugt
seien, bei gefahrvoller Lage des Reiches auch ohne Befragung des
Papstes eine Beisteuer von der Geistlichkeit zu verlangen, und dafs diese
für die unmittelbaren Bedürfnisse des Flandrischen Krieges Beiträge
leiste. Eben damals erhob er Ludwig IX. unter die Heiligen1), machte
dem Prinzen Karl von Valois Aussichten auf den deutschen Thron, ja
auf die Nachfolge im griechischen Reiche, und begnügte sich, den Streit
zwischen England und Frankreich als Privatperson zu schlichten. Da-
durch erreichte er, dafs die Geldsendungen nach Rom ihren ungehinderteu
Fortgang nahmen. Als er aber im Streit zwischen England und Frankreich
schliefslich doch in seiner Eigenschaft als Papst entschied2), nahm Philipp
die Colonna in Schutz und schlofs ein Bündnis mit König Albrecht.
Die Erbitterung wuchs um so mehr, als Bonifaz, getragen von seinen
Erfolgen in Deutschland, Dänemark und zuletzt auch beim grofsen
Jubiläum, in Frankreich die Zügel straffer anzog.
2. Im Jahre 1298 hatte Philipp IV. von dem Vicomte Amalrich IL
von Xarbonne die Huldigung für solche Besitzungen entgegengenommen,
die sein Vorgänger noch vom Erzbischof von Xarbonne zu Lehen getragen
hatte. Nach vergeblichen Klagen des Erzbischofs vor dem König und
fruchtlosen Versuchen, sich mit Amalrich zu vergleichen, forderte
der Papst den König auf, der Beeinträchtigung der Kirche von Xarbonne
ein Ende zu machen. Xoch wurde eine Zeitlang zwischen beiden ver-
handelt, bis der Papst (1301) den Bischof Bernard Saisset von Pamiers
als Legaten nach Frankreich sandte, einen Mann von hochfahrendem
Wesen, der sich schon bei früheren Streitigkeiten den Hafs der franzö-
sischen Regierung zugezogen hatte und auch jetzt einen stolzen Ton
anschlug, als er dem König eröffnete, dafs der ihm bewilligte Zehent
nur zu Kreuzzugszwecken verwendet und ohne päpstliche Bewilligung
weder über Einkünfte erledigter Kirchen noch über geistliche Amter ver-
fügt werden dürfe3). Philipp bat um Zeit bis nach Beendigung des
Krieges. Der Prälat mag durch einige unüberlegte Aufserungen den
Zorn des Königs geweckt haben. Jetzt schützte ihn seine Stellung als
Legat. Daher konnte er nach Rom zurückgehen, um über seine Mission
Bericht zu erstatten. In seine Diözese zurückgekehrt, trafen ihn die
Schläge des Königs. Eine Kommission ward nach dem Süden abgeordnet,
um die Anklage wider den Bischof zu begründen. Dieser wurde an den
königlichen Hof gebracht, seine Korrespondenzen mit dem Papst und
den Kardinälen mit Beschlag belegt und sein Besitz eingezogen. Im
Oktober 1301 trat eine grofse Versammlung von Staatsräten, Prälaten,
1 Die Heiligsprechung erfolgte am 11. August 1297.
2 Drumann 132, 135.
3 Dafs der Papst vom König die Kreuzfahrt und die Freilassung des Grafen
von Flandern gebieterisch und unter Androhung des Interdikts verlangt und der Legat
auf die Weigerung des Königs erklärt habe, dafs der Papst die unumschränkte Gewalt
über die Fürsten besitze, ist zwar nicht hinreichend verbürgt, wird aber trotzdem noch
in neueren franz. Werken vorgetragen.
Flugschriften für die Rechte des Staates gegen die Ansprüche der Kirche. 225
Baronen und Doktoren des römischen und kanonischen Rechtes unter
Philipps Vorsitz in Senlis zusammen. Hier erhob der Kanzler Pierre
Flotte gegen den Bischof Klage wegen des Verbrechens der beleidigten
Majestät, wegen Rebellion und Häresie, Blasphemie und Simonie. Das
ganze Land geriet in Aufregung, die noch gesteigert wurde, als zahlreiche
Flugschriften und publizistische Traktate für die Staatsgewalt Stimmung
machten.
Wie in den Tagen des grofsen Investiturstreites entwickelt sich eine publizistische
Literatur, an deren Spitze die Bullen des Papstes und Briefe des Königs stehen, die
freilich bei Gelegenheit auch in entstellter Gestalt in Umlauf kamen. Je eifriger die
Parteigänger der Kirche deren Ansprüche auf die Weltherrschaft verfochten, um so
kräftiger wurden von anderer Seite die Prärogativen der Staatsgewalt verteidigt. Schon
Thomas von Aquino hatte gelehrt, dafs alle irdische Macht der geistlichen Gewalt,
dem Papsttum, unteregordnet sei ; ein ungläubiger oder häretischer Fürst verliere kraft
kirchlichen Spruches seine Herrschaft, und seine Untertanen seien seiner Herrschaft
und des ihm geleisteten Eides entbunden. Nach Agidius von Colonna, der 1316
als Erzbischof von Bourges starb, kann jede Herrschaft und alles Eigentum, jeder
Acker und jeder Weinberg nur unter der Kirche und durch die Kirche besessen
werden. Solchen Ansprüchen gegenüber traten nun die Publizisten des Königs für
die Rechte des Staates in die Schranken. Der »Dialog zwischen einem Kleriker und
einem Ritter« lehrt, dafs geistliche Würdenträger auf weltlichem Gebiet so viel oder
so wenig zu suchen haben, wie die weltlichen auf dem geistlichen. Die Behauptung
des Papstes, über alle weltlichen Reiche zu gebieten, sei absurd. Wie von den eng-
lischen Reformern zwei Menschenalter später wird hier schon betont, dafs das Kirchen-
gut nicht steuerfrei sein könne und der Kirche weltliches Gut, falls sie es mifsbraucht,
entzogen werden müsse. Aus vielen Sätzen tritt das stolze Nationalgefühl des Fran-
zosen hervor, so wenn er betont, dafs Frankreich vom Papst unabhängig sein müsse.
In einer anderen Flugschrift wird gelehrt : Bevor es noch Kleriker gab, hatte der König
von Frankreich schon die Hut über sein Königreich. Wie Friedrich II. klagen die
Publizisten über die Verderbtheit in der Kirche, und der Fundamentalsatz Wiclifs : Die
Kirche besteht nicht blofs aus dem Papst und seinen Prälaten, sondern auch aus den
Laien, wird jetzt schon vernommen und Rückkehr der Kirche zur evangelischen Armut und
Reinheit verlangt. Eine Denkschrift, sie rührt wahrscheinlich von dem königlichen
Advokaten Peter Dubois her, verlangt Säkularisierung der weltlichen Macht des
Papsttums, denn Sache des Papstes sei es, Sünden zu vergeben, zu predigen und zu
beten, nicht aber Krieg zu führen, und Johann von Paris datiert die Entartung
der Kirche bereits von der konstantinischen Schenkung. Nicht Besitzer, nicht einmal
Verwalter irdischer Güter darf der Papst sein, noch weniger hat er über Laiengut eine
Jurisdiktionelle GewTalt. Wenn ein weltlicher Herrscher in weltlichen Dingen irrt,
steht es nicht dem Papst, sondern den Grofsen zu, ihn zu bessern. Des Königs Macht
stammt nicht von jenem her, sondern unmittelbar von Gott.
Unter solchen Stimmungen1) tagte die Versammlung in Senlis.
Der Bischof von Pamiers wurde dem Erzbischof von Narbonne zur Haft
übergeben und an den Papst die Forderung gestellt, ihn seiner Würde
zu entheben. Bonifaz VIII., hierüber erzürnt, verlangte (1301, 5. Dezember)
Freilassung des Gefangenen und dessen ungehinderte Reise nach Rom
und belehrte überdies den König, dafs der Papst »über alle Könige und
Reiche gesetzt sei«, dem König dagegen, der in geistlichen und welt-
lichen Dingen dem Papst unterworfen sei, keine Pfründenverleihung
*) Johanns Traktat, wiewohl vielleicht zwei Jahre später geschrieben, gibt An-
sichten wieder, die jedenfalls in Senlis zur Geltung kamen.
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 15
226 ^ie Bulle Ausculta fili. Haltung der Reichsstände.
zustehe; er berief für den 1. November 1302 die geistlichen Würden-
träger und Gelehrte Frankreichs nach Rom, »um ihren Rat einzuholen,
wenn er daran gehe, Exzesse und Unbilden, die der König geistlichen
Personen angetan habe, zu strafen«. Die Absicht des Papstes war, gegen
Philipp vorzugehen wie einstens Innozenz IV. gegen Friedrich IL Das
ist der Inhalt der Bulle Ausculta fili charissime. Sie legt das ganze
System Bonifaz' VIII. mit aller Offenheit dar: »Niemand möge dem
König raten, dafs er keinen Höheren über sich habe und dafs er dem
Papst nicht unterworfen sei, das könnte nur ein Wahnsinniger tun.«
Der König wird wegen seiner Eingriffe in die Rechte der Kirche gerügt
und geheifsen, die schlechten Räte zu entfernen. Die Zeiten waren aber
nicht mehr die Gregors VII. oder Innozenz' IV., denn nicht einmal in
England oder in Sizilien konnte Bonifaz seine Absichten durchsetzen.
Zudem war das Beispiel Englands verlockend : Wie Eduard I. seine Sache
vor das Parlament, brachte der König seinen Streit vor die ganze Nation.
Ob nun, wie einige Chronisten berichten, die Bulle Ausculta fili, von
Philipp IV oder, wie andere wollen, vom Grafen von Artois dem Feuer
überliefert wurde, oder, was wahrscheinlicher ist, dieser ganze Bericht
eine Fabel ist, jedenfalls gestattete der König nicht, dafs die Bulle
in Frankreich verbreitet wurde. Er erklärte seine Söhne der Nachfolge
verlustig, falls sie in weltlichen Dingen einen andern als Gott als ihr
Oberhaupt anerkennen würden, untersagte der französischen Geistlichkeit
die Reise zum Konzil, liefs an den Grenzen Wachen aufstellen, um die
Goldausfuhr nach Rom einer-, das Einschleppen päpstlicher Briefe
anderseits zu verhindern, und befahl schliefslich dem Nuntius und dem
Bischof von Pamiers, das Reich zu verlassen. Die Reichsstände traten
am 10. April 1302 in Nötredame zusammen. Um die Stimmung zu
verschärfen, wurde ihnen nicht die echte, sondern eine verfälschte Bulle
vorgelegt, in der die einzelnen Sätze des Papstes in viel schrofferer Form
enthalten waren. Demselben Zwecke diente die angebliche Antwort des
Königs : Sciat maxima tua fatuitas. Im Namen des Königs sprach Pierre
Flotte ; er wufste in meisterhafter Wreise das Nationalgefühl der Franzosen
aufzuregen ; zum Schlufs mahnt er an die ungerechten Verleihungen fran-
zösischer Pfründen an Fremde, an die Gelderpressungen, den Nepotismus
und die Tyrannei der Kurie und fordert die Versammlung auf, die
Freiheiten des Königreichs und der Kirche zu schützen. Die weltlichen
Stände traten begeistert auf die Seite des Königs, und auch die geist-
lichen waren bereit, die Rechte des Reiches und der Krone zu schützen.
Die gefafsten Beschlüsse wurden von den Prälaten dem Papste, von den
weltlichen Ständen — und von diesen in französischer Sprache — den
Kardinälen mitgeteilt. Die Antworten des Papstes, auch die mündlichen,
lauteten nicht versöhnlich : Er werde den König, so liefs er sich ver-
nehmen, bei fortdauerndem Widerstand behandeln wie einen Trofsbuben.
Etwas milder lautete die schriftliche Versicherung, dafs der König dem
Papst in weltlichen Dingen ratione peccati unterworfen sei; den Geistlichen
wurde vorgehalten, die Interessen der Kirche nicht genügend verteidigt
zu haben. Einige Tage nach der mündlichen Erklärung des Papstes
Die Bulle Unam sanctam. Ihr Inhalt und ihre Bedeutung. 227
gelangte die Nachricht von dem Siege /1er Flarnänder bei Courtray
(1302, 11. Juli) nach Italien. Pierre Flotte und Robert von Artois waren
gefallen. Nun war der König zu einer Versöhnung geneigt, auf welche
die Kurie aber höchstens um den Preis vollständiger Unterwerfung ein-
zugehen bereit war. Am festgesetzten Tage trat die Synode zusammen.
Trotz des königlichen Verbotes waren viele Franzosen erschienen, die
nun vom König als Hochverräter mit dem Verlust ihrer Regalien
bestraft wurden, wogegen der Papst alle die mit dem Bann belegte, die
den Prälaten den freien Zutritt zur Synode versagen. Das Ergebnis der
Synode liegt in der berühmten Bulle Unam sanctam vor.1) Sie enthält
die nochmalige Festsetzung jener Prinzipien, auf denen das kirchlich-
theokratische System seit Gregor VII. ruhte. Hier wird der päpstliche
Absolutismus mit der Erklärung, dafs die Unterwerfung jeder mensch-
lichen Kreatur unter den Papst zu ihrem Seelenheil notwendig sei, zum
Glaubenssatz erhoben.
In der Besorgnis, dafs Philipp im Bunde mit den Colonna und mit Hilfe eines
gefügigen Konzils einen Gegenpapst wählen könnte, wird mit besonderer Schärfe
betont, dafs die Kirche nur ein Haupt haben könne. Ausgehend von der Einheit der
katholischen Kirche, die mit dem ungenähten Hemd Christi verglichen wird, verkündet
die Bulle die Theorie von den zwei Schwertern (Ecce duo gladii hie, d. h. in der Kirche).
Die Kirche besitzt beide Schwerter: das geistliche und das weltliche. Jenes ist von
der Kirche, dieses für die Kirche zu gebrauchen. Das eine führt der Priester, das
andere der König oder Eitter auf Geheifs des Priesters. Das weltliche Schwert mufs
unter dem geistlichen stehen, d. h. die weltliche Macht mufs der geistlichen unter-
geordnet sein. Wenn die weltliche fehlt, wird sie von der geistlichen gerichtet. Diese
selbst kann von niemandem auf Erden, nur von Gott im Himmel gerichtet werden,
denn wiewohl in den Händen eines Menschen, stammt sie doch von Gott, und wer
sich ihr widersetzt, widersetzt sich der Anordnung Gottes. Daher ist es zum Seelen-
heil jedes Menschen notwendig, dem Papste unterworfen zu sein.
Trotzdem 'diese Bulle noch im besonderen auf den französischen
König, den Enkel des hl. Ludwig, die Makel manichäischer Ketzerei
warf und ihn hiedurch noch mehr erbitterte, gab der Papst den Versuch
nicht auf, den König zu anderer Gesinnung zu bringen. Indem er ihm
aber solche Bedingungen vorlegte, in denen von ihm das Bekenntnis
von Schuld und Reue verlangt wird, konnte es zu keiner Einigung
kommen. In einer Versammlung der ersten Barone des Reiches und
der Fügsamsten unter den Prälaten, die am 12. März 1303 im Louvre
tagte, trat Nogaret mit leidenschaftlichen Anklagen gegen Bonifaz VIII.
auf, der auf verbotenen Wegen zum Papsttum gelangt, ein Ketzer und
Simonist sei und auf einem öffentlichen Konzil verurteilt und abgesetzt
und, um gröfseres Unglück zu verhüten, bis dahin unschädlich gemacht
werden müsse. Nogaret nahm den Standpunkt des Hauses Colonna ein.
Er sprach mit Wissen und Willen des Königs, der ihm und drei andern
fünf Tage zuvor die Vollmacht gegeben, in seinem Namen in Italien
Bündnisse und Freundschaften abzuschliefsen. Die Katastrophe des
Papstes war sonach vorbereitet.
*) Ihr Verfasser ist wahrscheinlich der oben genannte Ägidius Colonna.]
2) Holtzmann, S. 45 ff.
15*
228 Die Aufträge Nogarets. Haltung des Papstes.
§ 52. Die Katastrophe yon Anagni.
Die Quellen und neuere Literatur vermerken Döllinger in s. Aufsatz Anagni.
Akademische Vorträge III, S. 223 — 244 und Holtzmann, S. 66 ff Drei Augenzeugen
bringen Berichte : Nogaret bei Dupuy, Hist. du diff erend, s. oben. Eelatio de Boni-
facio Vni. capto et liberato. MM. Germ. SS. XXYIII, 621 — 626 (rührt von einem Curti-
sanen, wahrscheinlich franz. Abstammung"1 her. Die Biographie Bonifaz' VIII. : Ex
chronicis Urbevetanis in Döllinger. Beitr. III, 347 — 353. Die Vienner Abschrift einer
gleichz. Eelat.] bei Digard, RQH. XLIII. Istorie Pistolesi, ed. Biscioni. 1845. Die
zahlreichen kürzeren Berichte italienischer, franz., engl. u. deutscher Berichte s. bei
Holtzmann, S. 69 — 74. Hilfeschriften wie oben. Die neueste sachgemäfse Darstellung
ist die Holtzmanns S. 66—110. S. auch Finke 8. 269 ff.
Nogaret machte sich noch im März 1303 auf den Weg nach Italien.
Er hatte den Auftrag, den Papst zu verhaften und nach Frankreich zu
schaffen, um ihn dort durch ein allgemeines Konzil absetzen zu lassen.
Die Hauptperson neben ihm war Musciatto Guidi, ein Florentiner Bankier,
der mit seinem Bruder Biccio vom König in Finanzsachen häufig ge-
braucht wurde.1) Auf seiner Burg Staggia im Toskanischen sollten die
letzten Beratungen stattfinden. Im Latinerland hatte Bonifaz VIII. für seinen
Nepoten Peter Gaetano ein von Ceperano bis nach Subiaco reichendes
Baronaireich mit grofsen Kosten geschaffen; es war aufgebaut auf den
Trümmern des Hauses Colonna zum Schaden des dortigen Landadels.
Hier fanden sich zahlreiche Kräfte, bereit, mit Nogaret und Colonna dies
Nepotenreich zu stürzen oder am Papste Rache zu nehmen. Sowohl
Bonifaz VIII. als Philipp IV. schlössen mit ihren bisherigen Gegnern
Frieden, um nicht durch Rücksichten auf die übrigen Feinde im
Kampfe gehindert zu sein. Am 30. April bestätigte der Papst die Wahl
König Albrechts und entband ihn von allen in früheren Bündnissen
eingegangenen Verpflichtungen. Die Rede, in der er das Konsistorium
von der dem König zuteil gewordenen Gnade in Kenntnis setzt, enthält
nochmals theoretische Erörterungen über das Verhältnis zwischen der
geistlichen und weltlichen Macht: »WTie der Mond sein Licht von der
Sonne, hat die weltliche Macht nichts, das sie nicht von der kirchlichen
empfinge. Der Papst ist es, der das Kaisertum von den Griechen auf
die Deutschen übertragen hat. Sieben Fürsten wählen den römischen
König und künftigen Kaiser und Monarchen der Welt. Ihm sind alle
Könige und Fürsten Untertan. Die Franzosen lügen, wenn sie sagen,
dafs es für sie keinen Höheren gebe, denn nach dem Rechte sind sie
dem Kaiser unterworfen.« Wie mit Albrecht machte Bonifaz auch mit
Sizilien Frieden. Er bestätigte den vor einem Jahr zwischen Karl von
Neapel und Friedrich von Sizilien geschlossenen Vertrag. So behielt
nach schweren Kämpfen endlich doch ein staufischer Sprosse das viel-
umstrittene Eiland. Auch Philipp machte mit England Frieden; dieses
durfte Guienne und Gascogne als französische Lehen behalten. Ebenso
unterliefs er in Flandern alle gröfseren Aktionen. Aber für sein Ziel,
den Papst zu fangen und auf einem Konzil absetzen zu lassen, konnte
er den französischen Klerus unmöglich gewinnen; und doch war ihm
») Döllinger, S. 226 ff.
des Königs und der frz. Nation. Mal'snahmen des Papstes. 229
um dessen Zustimmung am meisten zu tun. Daher sollte es der Papst
selbst sein, der das Konzil berufe. Am 13. und 14. Juni berief Philipp
die Vertreter der Stände zusammen. Hier wurde Bonifaz VIII. der
schwersten Verbrechen1) beschuldigt; es wurde erklärt, dafs Cölestin nicht
abdanken durfte, Bonifaz VIII. demnach nicht rechtmäfsiger Papst sei.
Ein Konzil müsse berufen werden, um über diese Anklagen zu ent-
scheiden. Von einer Einkerkerung des Papstes und der Berufung des
Konzils durch einen Vikar war keine Rede. Dafür trat nun neben den
andern auch die französische Geistlichkeit für das Konzil ein. Daneben
blieben freilich die Aufträge bestehen, die Nogaret empfangen hatte.
Dieser mufste aber dann für alles, was er tat, nach aufsen hin selbst
die Verantwortung tragen. Für sein Vorgehen gewann der König die
Zustimmung der ganzen Nation. Eine Volksversammlung schlofs sich
am 24. Juni 1303 seiner Appellation an ein allgemeines Konzil an.
Die Universität, Städte, Klöster und andere Korporationen gaben die
Zustimmung. Bis Ende September waren nicht weniger als 700 Beitritts-
erklärungen eingelaufen. Wo der Eifer für die Ehre und Freiheit des
Reiches nicht wirkte, half der Zwang nach. Ein Widerstreben wurde
nicht geduldet. Da sich der König auf ein allgemeines Konzil berufen
hatte, mufste er sich auch an andere Nationen und vor allem an Rom
wenden. Schreiben gingen an Könige und Stände einzelner Länder; er
wandte sich selbst an die Kardinäle und bat sie um ihre Mitwirkung
zur Herstellung des Friedens; um den Schein zu wahren, dafs er den
Willen besessen, den Papst zur Abhaltung eines Konzils zu bewegen,
verlangte er von ihm dessen Berufung. Ein Abgesandter erhielt den
Auftrag, falls er nicht zum Papste gelange, die Appellation in Rom und
andern Städten Italiens an die Kirchentüren anheften zu lassen. Wahr-
scheinlich wurde auch Nogaret vom Stande der Sache verständigt. Auch
er mufste ja, falls er Gewalt brauchte, beschönigende Worte hiefür finden.
Die Ereignisse hatten ganz Frankreich aufgeregt und in allen Kreisen
des Landes ein Gefühl der Zusammengehörigkeit geweckt, wie es seit
den Tagen von Bouvines nicht mehr gespürt worden war.2) An dem-
selben 24. Juni erneuerte der König seine Ausfuhrsverbote und die
Verfügung wegen der Konfiskation der Güter rebellischer Prälaten.
Bonifaz VIII. nahm den Kampf mutig auf, täuschte sich aber über seine
eigenen Machtmittel und den aus der Fremde, vorab vorn deutschen
Reich, zu erwartenden Schutz. Er hatte sich in seine Vaterstadt Anagni
begeben, die ihm für viele Wohltaten verpflichtet war. Hier entwickelte
er eine fieberhafte Tätigkeit. Mit Würde lehnte er am 15. August den
Vorwurf der Ketzerei ab, protestierte gegen die Berufung des Konzils
und das ganze Verfahren des Königs und der französischen Stände.
Jede Appellation von ihm sei eine nichtige, denn unter den Sterblichen
gebe es keinen Gleichen oder Höheren als ihn. Er behielt sich vor,
gegen die Exzesse des Königs und die Seinigen einzuschreiten, nahm
1) Sie sind aufgezählt bei Drumann II, 89—92.
2) Holtzmann, S. 59.
230 Das Attentat von Anagni.
ihm das Recht zur Besetzung erledigter Pfründen, entzog den Lehrern
und Studenten der Pariser Universität ihre Privilegien. Und noch feier-
lichere Schritte gedachte er zu tun. Am 8. September sollte die Bann-
bulle veröffentlicht werden, die Philipp zerschmettern und seine Unter-
tanen ihres Treueides entbinden sollte. Mittlerweile ereilte den Papst
sein Geschick. Während sich seine Hoffnung auf fremde Hilfe als
trügerisch erwies , hatte sich Philipp mit allen Feinden des Hauses
Gaetani verbündet. An Nogaret und die Seinen schlössen sich Reginald
von Supino und Sciarra an, das weltliche Haupt des Hauses Colonna.
Sie gewannen einen starken Anhang. Die Bürger von Anagni rührten
keine Hand für ihren Wohltäter. Nogarets Bundesgenossen aus der
Campagna verlangten, dafs ihnen das französische Banner vorangetragen
werde, sie allein wollten die Verantwortung nicht tragen. Nun entrollte
Nogaret auch das päpstliche Banner, um anzudeuten, dafs sein Unter-
nehmen nicht gegen die Kirche gerichtet sei. Am 7. September beim
Morgengrauen rückte er vor. Die Tore von Anagni standen offen.
Unter dem Ruf: »Es lebe Frankreich und das Haus Colonna« drangen
die Scharen ein. Der Palast des Papstes und jene dreier Kardinäle
wurden bestürmt, die letzteren genommen. Als Bonifaz — es war sechs
Uhr — sah, dafs er in die Hände der Gegner fallen müsse, begehrte
er einen Waffenstillstand, der bis drei Uhr nachmittags gewährt wurde.
In der Zwischenzeit bat er die Bürger um Hilfe. Diese wiesen ihn an
Nogaret und Sciarra. Vier Bedingungen wurden gestellt, unter denen
ihm das Leben gelassen werden sollte : Restitution der abgesetzten Kar-
dinäle Jakob und Peter Colonna. Zurückgabe ihres Besitzes, Resignation
und Gefangenschaft in der Gewalt seiner Gegner. Als der Papst die
Forderungen hörte, rief er aus : Wehe mir, diese Rede ist hart ! L nd da
er schliefslich die Bedingungen zurückwies, unternahm Sciarra einen
neuen Sturm auf die Paläste des Papstes und seines Nepoten. Der
Palast des Papstes lehnte an die Marienkirche; von ihr aus war er am
leichtesten zu erobern. Da die Tore geschlossen waren, wurde Feuer
angelegt. Inzwischen fiel der Palast des Nepoten, dieser selbst ergab
sich dem Sieger. Nach einem nochmaligen Sturm fiel auch der Palast
des Papstes. Der eindringende Haufen fand ihn in seinem Zimmer auf
einem Bette liegen, er hielt ein Kreuz, gefertigt, wie es hiefs, aus dem
Holze des Kreuzes auf Golgatha, auf der Brust. Drohend wurde die
Annahme der Bedingungen, vor allem Verzicht auf das Papsttum und
Verbleiben in französischer Gefangenschaft verlangt. Der Papst erklärte,
kein Ketzer zu sein und für den Glauben zu sterben. Auf Vorwürfe
und Anklagen antwortete er mit keiner Silbe. Gefragt, ob er resignieren
wolle, erklärte er, lieber das Haupt verlieren zu wollen : »Hier mein
Nacken, hier mein Haupt.« Als Sciarra ihn töten wollte, wurde er von
den andern gehindert, und Nogaret schrieb sich das Verdienst zu, ihm
das Leben gerettet zu haben; er wollte ihn ja zweifellos lebend nach
Frankreich bringen und vom Konzil verurteilen lassen. Darin liegt
der Gegensatz zwischen Nogaret und seinen italienischen Bundesge-
nossen: diese hatten persönliche Rache zu nehmen, jener nach seinen
Überfall und Haltung des Papstes. Sein Tod. 231
Instruktionen den Papst nach Frankreich zu schaffen. Von Mifshand-
lungen war keine Rede. Bis zum dritten Tage blieb er in Haft. In der
Zwischenzeit wurde sein Palast und die dort aufgehäuften Schätze ge-
plündert. Nicht besser erging es den Palästen der Nepoten und Kar-
dinäle. Arm wie Hiob geworden, soll Bonifaz in dessen Worte aus-
gebrochen sein : Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der
Name des Herrn sei gebenedeit! Die Herrschsucht und Habsucht des
Papstes rächte sich an ihm selbst. Die Ansprüche, die er für die päpst-
liche Macht erhob, hatten ihm die Feindschaft Frankreichs, seine Ver-
suche, sich und seine Familie zu bereichern, die der Barone aus der
Campagna zugezogen; indem sich beide verbanden, mufste er erliegen.1)
Während seine Todfeinde noch verhandelten, ob man ihn dem Tode
überliefern oder lebend nach Frankreich schaffen solle, der Gegensatz
zwischen Sciarra und Nogaret sonach jedes ernstliche Handeln unmög-
lich machte, schlug die Stimmung in Anagni um. Die Bürger bewaff-
neten sich. Mit den Rufen : »Es lebe der Papst, nieder mit den Fremden«,
zogen sie zum Palast, überwältigten die Wache und befreiten den Papst.
Das Ärgste war überstanden. Zeitgenossen und Spätere haben diesen
Sachverhalt stark übertrieben: dafs der Papst mit dem Mantel des
hl. Petrus geschmückt, die Krone Konstantins auf dem Haupte, die
Schlüssel und das Kreuz in der Hand, auf dem päpstlichen Throne
sitzend, seine Feinde empfangen habe, nach anderen Berichten gar mifs-
handelt worden sei. Der Auftrag, den Papst nach Lyon zu bringen,
konnte aus Mangel an militärischen Machtmitteln nicht ausgeführt werden.
Nogaret selbst und Sciarra entflohen, das französische Banner wurde
zerfetzt und durch den Strafsenkot geschleift. Aber des Papstes Mut
und Kraft war gebrochen. Nach einigen Tagen kamen die Kardinäle
Orsini an und geleiteten ihn nach Rom. Er nahm seine Wohnung im
Lateran. Noch hoffte er, an seinen Feinden Rache zu nehmen und ein
Konzil nach Rom zu berufen: hier sollten Philipp IV. und seine Mit-
schuldigen, und zu diesen gehörte auch König Karl IL von Neapel,
gestraft werden. Diese Politik mifsfiel den Orsini, den alten Verbündeten
des Hauses Anjou. Sie stellten den Papst unter strenge Aufsicht und
führten ihn in den Vatikan; ja sie riefen Karl von Neapel nach Rom,
um im Falle einer neuen Papstwahl in der Nähe zu sein. Somit war
der Papst ein Gefangener.2) Zu allem Überflufs erschien jetzt noch der
französische Bote, der ihm die Junibeschlüsse mitzuteilen und die Be-
rufung eines Konzils zu verlangen hatte. Er konnte nicht mehr vor-
gelassen werden. Des Papstes Kräfte waren zu Ende. Zwischen hohen
Entwürfen und angstvoller Zurückhaltung schwankte er hin. Infolge
der unerhörten seelischen Erschütterung starb er aus Gram und Ver-
zweiflung am 12. Oktober 1303 — ein Greis von 86 Jahren. Das Wort,
das seinem Vorgänger in den Mund gelegt wird3), schien in den Augen
*) Holtzmann, S. 94.
2) Vgl. dazu aber Finke, S 273.
3) Intrabit ut vulpes, regnabit ut leo, morietur ut canis. Über die Genesis dieses
Satzes s. Finke, S. 42.
232 Sturz der Machtstellung des Papsttums.
der Zeitgenossen erfüllt und ist doch nicht mehr als ein vaticinium ex
eventu, — Bonifaz VIII. fiel durch einen Akt roher Gewalttat, die nie-
mand entschuldigen wird. Noch weniger wird man hiebei das Welt-
historische an dem Ereignis übersehen. Die ungeheure Macht, die
Gregor VII. beansprucht, Alexander III. gefördert, Innozenz III. in förm-
licher Weise aufgerichtet und Innozenz IV. durch den Sturz der Staufer
ausgebaut hatte, sie stürzte unter Bonifaz VIII. für immer zusammen.
Gegen die von ihm gelehrte Vereinigung der beiden Schwerter in eine
Hand sträubten sich die Nationen. Wie in Italien Dante, waren in
Frankreich zahlreiche Männer an der Arbeit, der geistlichen Gewalt
gegenüber auf die legitimen Ansprüche der weltlichen Macht zu ver-
weisen. Über Bonifaz VIII. selbst urteilten die Zeitgenossen nicht un-
günstig : den hochherzigen Sünder nennt ihn Benvenuto von Imola,
der grofse Priester heilst er bei Dante, und dieser ist es, der das
an dem Papste begangene Verbrechen in strengster Weise rügt.1)
x) Fegefeuer XX, 85.
IL Teil.
Das Papsttum unter französischem Einflufs 1303 — 1378.
(Die babylonische Gefangenschaft der Päpste.)
1 . Abschnitt.
Das avignonesische Papsttum und Philipp der Schöne.
1 . Kapitel.
Kiemen s V. und Philipp der Schöne.
§ 53. Das Pontifikat Benedikts XI. und die Anfänge Kleinens' Y.
Die Verlegung des Papsttums nach Avignon und ihre Bedeutung:.
Quellen: Le Registre de Benoit XI. p.p. Grandjean. Paris 1884 — 86 Potth.,
Regg. pontiff. IL Theiner, I, 395 — 471. Regestum Clementis papae. Romae 1885
bis 1888. Tractatus cum Heinr. VII. MM. Germ LL. II, 1. Clementis V pap , Philippi etc.,
epp. LXXI, ap. Baluze, Yitae pap. Avenion. Paris 1693. S. 55 — 293. Über die Vor-
gänge bei der Wahl Klemens' V. s. d. Schreiben d. Kardinals Nap. Orsini an Philipp
d. Seh bei Souchon, Die Papstwahlen von Bonif . VIII. bis Urban VI. Braunschw.
1888. Jetzt yornehml der Bericht an Jayme II. v. Arag. bei Finke S. LXII. Rayn.
Ann. Eccl. Acta inter Bonifacium etc wie oben. Darstellende Werke, Bio-
graphien: Bernardi Guidonis Vita Bened. papae, Muratori III, 2, 672 u. Vita Bene-
dicti XI in Eccard Corp hist. I, 1461 ff. Vitae Clementis : Prima vita auetore Joanne
canon. s. Victoris Parisiensis, Baluze 2 — 22. Secunda auet. Ptol. Luc. ib. 23 56. Tertia
auet. Bernardo Guidonis, ib. 56 — 62. Quarta, ib. 62 — 89. Quinta auet. Veneto coetaneo,
ib. 85—94. Sexta auet. Amalrico Augerii de Biterris. Murat. ILI, 2, 451 — 466. Chro-
nisten: Chronica Urbevetana wie oben. Ptolemäus v. Lucca, Hist. eccl. Murat. XI,
1224. Ferretus von Vicenza, Historia rerum in Italia gestarum 1250 — 1318. Murat. IX,
1010. Franciscus Pipinus, Chron. bis 1314. Mur IX, 746. Giovanni Villani Hist,
Fiorentina. Mur. XIII. Zur Schlacht von Courtrai : La version flamande et la version
francaise de la bataille de Courtrai p. p. Pirenne. Brux. 1890. (Funck-Brentano,
Memoire sur la bataille de Courtrai et les chroniqueurs qui en ont traite pour servir
a 1'historiogr du regne de Philippe le Bei. Paris 1891. Sevens, Kortrijk in 1302
ende slag der gülden sporen. Kortrijk 1893. Navez, Courtrai ou la bat. des eperons
d'or. Brux. 1897.) Raynald, Ann. Eccl. Die franz. Quellen s. oben, desgl. die für die
Bez. zu Deutschi , Engl. usw. Erg. bei Molinier III, 187.
Hilfsschriften. Dupuy, wie oben. Gregorovius V. Hefele VI,
D r u m a n n , Gesch. Bonif. VIII. wie oben. G a u t i e r , Benoit XL Paris 1863. Grand-
jean, Benoit XI avant son pontif. Mel. d'archeol. 1888. Kindler, Bened. XL
Posen 1891. Funke, Bened. XL Münster 1891 (dort S. 7 auch ältere Werke).
234 Benedikt XI. und Philipp der Schöne.
C. Wenck, Klemens V. und Heinrich VII. dort ausführliche Literaturvermerke).
Souchon, wie oben. Finke, wie oben. Baumgarten, Untersuchungen u. Urkunden
über die Camera collegii cardinalium für die Zeit von 1295—1437. Leipz. 1898. Für
die Gesch. d. ap. Stuhls im 14. Jahrh. überhaupt: De Loye, Les archives de la
chambre apost. au 14e siecle. Paris 1899. Für den Römerzug s. unten §57. Rabanis,
Clement V et Philippe le Bei. 1858. Lacoste, Nouvelles etudes sur Clern. V. 1896.
Hef ele, Restitution der Colonnas 1304. ThQ.-Schr. 1866. Zöpffel-Hauck, RE. II, 565.
Huyskens, Kard. Napol. Orsini. München 1902.
1. Noch am Todestag Bonifaz' VIII. war Karl II. von Neapel
in Rom eingerückt. Die Wahl vollzog sich auch diesmal unter dem Ein-
flufs des Hauses Anjou. Im Kardinalskollegium gab es drei Parteien;
der Führer der ersten, Napoleon Orsini, »der es vorzog, Päpste zu
machen, statt selbst einer zu werden«, hatte sich Bonifaz gegenüber
feindlich verhalten; die zweite Gruppe bestand aus Bonifazianern ; aus
der dritten Gruppe, die Bonifaz ergeben gewesen, ohne seine Pläne zu
billigen , wurde Nikolaus Boccasini , General der Dominikaner , als
Benedikt XL (1303 — 1304) gewählt. Nach den Stürmen unter seinem Vor-
gänger betrat er den Weg der Versöhnung und Milde, die aber weder
in Feigheit noch in Schwäche ihren Grund hatte. Er hob die meisten
Verfügungen gegen das Haus Colonna auf, ohne die beiden Kardinäle
in ihre Würde einzusetzen. Dadurch deutete er an, dafs auch er ihre
Auflehnung gegen Bonifaz VIII. als Vergehen betrachte. Mifslang es
ihm, die Gegensätze zwischen Weifen und Ghibellinen zu mildern , so
behauptete er dem König Friedrich von Trinakrien gegenüber die Lehens-
hoheit des Papsttums. Schwierig war es, ohne Preisgebung der Ehre
der Kirche geordnete Beziehungen zu Frankreich herzustellen ; denn noch
war Philipp IV. entschlossen, den verstorbenen Papst durch ein Konzil
als Ketzer verurteilen zu lassen. Indem aber Philipp den ersten Schritt
tat und eine Gesandtschaft nach Rom abschickte, um seine Lossprechung
entgegenzunehmen (1304, 25. März), sprach ihn Benedikt XL vom Bann
los, hob die wider die Universität Paris und die ungehorsamen Prälaten
erlassenen Verfügungen auf, änderte die Bulle Clericis laicos zugunsten
des Königtums ab und legte auch die übrigen Streitigkeiten grofsenteils bei.
Gegen Nogaret und die unmittelbaren Täter von Anagni war der Papst,
der die Tat mit eigenen Augen gesehen hatte, aufs äufserste erbittert;
darum legte er ihn mit zwölf anderen Genossen, unter ihnen Sciarra
Colonna, noch besonders in den Bann. Seine Begnadigung erfolgte erst
unter dem nächsten Pontifikat (1311). Die Regierung Benedikts XL steht
mitten in einer denkwürdigen Entwicklung des Kardinalskollegiums.1)
Indem Nikolaus IV. die Verordnung erliefs, dafs die Kardinäle die Hälfte
sämtlicher Einkünfte der römischen Kirche besitzen und an deren Re-
gierung bei Besetzung der Rektoren- und Kollektorenstellen teilnehmen
sollen, erhielten sie einerseits die Mittel, um ihrer hohen Würde ent-
sprechend auftreten zu können, anderseits aber auch eine rechtliche
Grundlage für ihre Mitwirkung an weltlichen Regierungshandlungen.
Sie nahmen nun auf die Regierung der Kirche grofsen Einflufs, der nur
l) Funke, S. 110.
Die Wahl Klemens' V. 235
unter Bonifaz VIII. unterbrochen war. Wie bei den deutschen Königs-
wahlen machen sich in der Folgezeit Wahlkapitulationen bemerkbar, ja
einzelne Kardinäle bekunden das Streben, das Kardinalskollegium zum
wesentlichen Faktor in der Oberleitung der Kirche zu machen. Benedikt XI.
starb am 7. Juli 1304 zu Perugia. Die Plötzlichkeit seines Todes rief die
Fabel von seiner Vergiftung hervor. Allerdings lag dem französischen
König daran, gefügigere Werkzeuge auf dem päpstlichen Stuhl zu be-
sitzen, als es dieser Papst war, der mit sich nicht schalten liefs, wie es den
Wünschen Philipps entsprach.
2. Bei der Schroffheit der Parteigegensätze im Kardinalskollegium,
in welchem sich neben Bonifazianern Anhänger Philipps IV. befanden,
kam ungeachtet des von Neapel geübten Druckes die Neuwahl erst nach
11 Monaten zustande. Gewählt wurde am 5. Juni 1305 Bertrand de Got,
Erzbischof von Bordeaux, als Klemens V. (1305 — 1314). Die Wahl dieses
Franzosen mochte sich aus mehreren Gründen empfehlen. Hatte er im Streite
zwischen Bonifaz VIII. und Philipp sich auf die Seite des Papstes ge-
schlagen, so war seine Parteinahme nicht so weit gegangen, dafs er sich
die Gunst des Königs verscherzt hätte. Dieser wufste, als er seine
Kandidatur den Kardinälen empfahl, sehr genau, was er von ihm zu
gewärtigen habe. Welche Versprechungen Klemens dem Könige vor
seiner Wahl gemacht, ist nicht genau zu erweisen, sicher dagegen ist,
dafs er die Kardinäle durch eine Wahlkapitulation gewann, die ihnen
einen legitimen Einflufs auf die Verwaltung der Kirche gewährte1) und
gewärtigen liefs, dafs das Zusammenwirken des Papstes und der Kardinäle
die Aufrichtung der Kirche von ihrem tiefen Fall zur Folge haben werde.
Sein Name erinnert an Klemens IV., der auch Franzose gewesen und dem
man nachsagte, dafs er aus Liebe zu seinem Volke die Kirche zerrüttet
habe. Im übrigen führte Klemens V. die Verhandlungen mit Philipp IV.
erst jetzt zu Ende. Gegen den Wunsch der Kardinäle verblieb er in
Frankreich, zunächst um den Frieden zwischen Frankreich und England
zu befestigen. Seine Krönung fand (14. November) in Lyon statt, das dem
französischen König bequem lag. Dieser mochte erwarten, dafs Klemens
dem Andenken seines Vorgängers den Prozefs machen werde ; dann konnten
dessen Akte kassiert und die Tat von Anagni als Rettung der Kirche
hingestellt werden. In der Tat kam Klemens V. dem König weit ent-
gegen. Unter den zehn Kardinälen, die er am 15. Dezember 1305 ernannte,
waren vier aus seiner eigenen Verwandtschaft, unter den übrigen befand
sich der Beichtvater und der Kanzler des französichen Königs.2) Jakob
und Peter Colonna wurden in ihre Würden wieder eingesetzt. Nunmehr
befanden sich die Bonifazianer und bald auch die italienisch gesinnten
Kardinäle in der Minderheit. Dadurch wurde eine Gewähr für das vom
Papst anfänglich kaum beabsichtigte Verbleiben in Frankreich geboten.
x) Das ist durch Souchon S. 26 ff. erwiesen. S. die Stelle aus dem Brief Orsinis
Quondam (bei der Wahl in Perugia) cum multis cautelis . . . hunc . . . elegimus. Saepe . .
cassatis capitulis electionis absque iuris ordine . . . S. 186.
a) Wenck, S. 48 ff. -
236 Das Papsttum in Avignou. Schäden des avignonesischen Systems.
Die Forderung, den Prozefs gegen Bonifaz VIII. einzuleiten, hielt Philipp
sechs Jahre lang aufrecht und benützte sie zur Einschüchterung des Papstes,
dem daran liegen niufste, das Ansehen seines Vorgängers unversehrt zu
erhalten. Dagegen wurde Frankreich von den Wirkungen der Bulle
Clericis laicos gänzlich eximiert; bei der xlbhängigkeit des Papstes von
Frankreich verlor auch die Bulle TJnam sanctam für dieses ihre Bedeutung.
Nach Rom sandte Klemens seine Vikare; seine Residenz nahm er schliefslich
(1308) in Avignon, einer Stadt, die seinem Vasallen, dem König von
Neapel, als Grafen der Provence gehörte und nicht weit von Venaissin
lag, das Raimund von Toulouse 1228 an die römische Kirche abgetreten
hatte. Die Abwesenheit des Papstes erzeugte in Rom eine förmliche
Anarchie. Machten sich einige Adelsgeschlechter zu Herren der Stadt,
so verlor diese nun auch eine reiche Quelle des Einkommens, seitdem
der Papst, sein Hofstaat und jener der Kardinäle fehlte und der Zuflufs
der Pilger aufhörte. Um die Ordnung notdürftig aufzurichten, enthob
der Papst die Senatoren ihrer Würde und gab dem Volke das Recht,
sich seine Vorstände selbst zu wählen. Mit Schmerz blickten gebildete
Römer auf die Ereignisse und wandten ihre Blicke dem Kaisertum zu,
von dem sie wie Dante1) ihre Rettung erwarteten.
3. Die schweren Schäden der Verlegung der römischen Kurie nach
Avignon boten nicht blofs in Rom und Italien, sondern im ganzen Abend-
land Anlafs zu Klagen.2) Schon der Kardinal Napoleon Orsini, früher
selbst ein eifriger Förderer Klemens' V., klagt das ganze System Klemens' V.
an : seine Habgier und Simonie und die bei der Kurie eingerissene Sitten-
losigkeit. Dabei konnte er das schwerste Übel: die Abhängigkeit der
Kurie von der französischen Krone, gar nicht einmal nennen, weil das
Schreiben, in welchem er davon spricht, an den König gerichtet ist. Am
meisten sagte dem Papst das Klima von Bordeaux zu, dahin, ^in den
Winkel der Gascogne«, gedachte er noch ein Jahr vor seinem Tode
den Sitz der Kurie zu verlegen. Mit zärtlicher Liebe hing er an seiner
Heimat und seiner Verwandtschaft, die er nach Kräften förderte, so
zwar, dafs er geistliche und weltliche Amter in gröfster Menge an sie
verteilte, in vielen Fällen an Personen, die ihrer ganz unwürdig waren :
an Knaben und ungebildete Leute.3) Unter den von ihm ernannten
Kardinälen sind 16 Gascogner und unter diesen vier Nepoten. Wie er
selbst für diese sorgte, taten dies auf sein Verlangen auch England und
Frankreich. Unter der Habsucht des Papstes hatte die französische
Kirche am meisten zu leiden. Zum Zweck der Gelderpressung wurde
vielen Kirchen das Wahlrecht entzogen und Bischofssitze durch päpstliche
Provision besetzt. Auf lange Zeit hinaus gilt nicht mehr Würdigkeit
und persönliche Tüchtigkeit des Bewerbers, sondern Reichtum und ein-
flufsreiche Verwandtschaft. Aufser den Verwandten und Freunden des
*) Purg. VI : Komm, sieh dein Rom in Tränen etc.
2) Zusammengestellt bei Wenck, S. 64. S. Souchon, S. 185.
3) Wenck, S. 60 — 62. Die Stelle in Orsinis Brief ist bezeichnend : Nulla remansit
cathedralis ecclesia vel alicuius ponderis praebendula. que non sit pocius perditioni quam
provisioni exposita. Nam omnes quasi per emptionem et v enditionem vel
c arnem et sanguinem possidentibus immo usurpantibus advenerunt. Weiteres s. § 61.
Philipp IV. in Flandern. Die Sporenschlacht. 237
Papstes werden die Philipps IV. am meisten gefördert. Unter dem Vor-
wand eines Kreuzzuges, der dem Papst indessen weniger am Herzen
lag, als ihm nachstehende Geschichtsschreiber zugeben, wurden von
den Kirchen schwere Auflagen erhoben. Bei ihrer Abhängigkeit
von Frankriech wurde die Kurie ganz nach den Absichten der
französischen Krone gelenkt. Hierin ist der wichtigste Grund ihrer
zahlreichen Kämpfe mit anderen Ländern zu suchen, denn bei jedem
Zusammenstofs Frankreichs mit einer andern Macht war auch die Kurie
in Mitleidenschaft gezogen. Philipp der Schöne nützte diese Lage hart,
rücksichtslos und mit der kühlen Berechnung des Diplomaten aus. Schon
im Kampf gegen Flandern stand ihm der päpstliche Rückhalt zur Ver-
fügung. Im Jahre 1301 mochte es scheinen, als sei Flandern fester Besitz
der französischen Krone (s. § 50). Da erhoben sich die Unzufriedenen
in Brügge, an ihrer Spitze Peter von Koning, der Vorstand der Tucher -
zunft. Die Bewegung wurde unterdrückt und von dem französischen
Statthalter Jacques de Chätillon, der den Weisungen Pierre Flottes folgte,
benützt, um die Zügel in den Städten straffer anzuziehen. Darüber ent-
stand eine Mifsstimmung, die von den gefangenen Grafen von Flandern,
Johann und Guy von Dampierre, genährt wurde und (1302) zu einer all-
gemeinen Erhebung, den »Matines de Bruges«, der Frühmette von Brügge,
führte, die über 3000 Franzosen das Leben kostete. Aus allen flandrischen
Städten wurden die Franzosen vertrieben und ein Heer Philipps IV. unter
Robert von Artois von dem flandrischen Bürgerheere am 11. Juli 1302 in der
sogenannten Sporenschlacht von Courtray besiegt: Artois, de Conne-
table und Pierre Flotte fielen. 4000 goldene Sporen wurden in der Kathe-
drale zu Courtray aufgehängt. Der nächste Feldzug Philipps brachte keine
Entscheidung. Erst als er Frieden mit England geschlossen und den
Streit mit dem Papsttum beendet hatte, brachte er unter grofsen An-
strengungen ein Heer auf, das die Gegner bei Mons-en-Pevele (1304,
18. Aug.), zurückdrängte, ohne aber entscheidende Vorteile zu erzielen.
Die flandrischen Landesteile mufsten dem Grafen Guy und seinen Söhnen
gelassen werden, dagegen versprachen die Flandrer, 200000 Livres zu
zahlen und als Pfand den auf dem rechten Ufer der Lys liegenden Teil
von Flandern mit Lille, Douai und Bethune zu übergeben, die dann im
Besitz der Franzosen blieben. Auf dem Fürstenkongrefs zu Poitiers
(im Mai 1307) erhielt der Frieden auch die päpstliche Bestätigung. In einer
Klausel wird der Bann der Kurie gegen die flandrischen Grafen ge-
schleudert, falls sie den Friedenstraktat verletzten. Der Bannstrahl der
Kirche war damit in den Dienst des französischen Königtums gestellt.
§ 54. Der Templerprozefs.
Quellen: Die erste in tendenziöser Weise zusammengestellte Sammlung rührt
von Dupuy her (s. Gmelin S. 213). Die eigentlichen Prozefsakten blieben fast
500 Jahre unbekannt, und selbst die Protokolle der Verhöre in Paris sind erst von
Moldenhawer (Prozefs geg. d. Orden d. Tempelherren. Hamburg 1792) auszugsweise
und in Übersetzung publiziert worden. Michelet, Proces des Templiers, Collection de docu-
ments inedits 2 voll. Paris 1841—1852 (ein Quellenwerk ersten Ranges). Ein Teil
der oberital. Akten von 1311 bei Bini, Atti della r. academia di Lucca XIII, 1845. Die
238 Der Templerprozefs.
Regle et Statuts secrets des Templiers von Maillard de Chanibure 1840 u. 1886 von
H. de Curzon, La Regle du Temple in Soc. de l'histoire de France. (Unter d. Quellen
ist d. Templerregel eine der wichtigsten. Aus ihr ist für eine angebl. ketzerische Ver-
schuldung des Ordens nicht das mindeste abzunehmen. S. Gmelin, MJÖG. XIV. Siehe
Körner, Die Templerregel. Jena 1902.) Urk. -Material bei Campomanes, Disser-
taciones hist. del orden de los Templarios. Madr. 1747 u. Mariana, Hist. gener. de
Espana. Madrid 1649, Einzelnes in Ferreira, Memorias e noticias da celebre ordern
dos Templarios. Lisb. 1735. Zur engl. Templergesch. s. Wilkins, Conc. Magn. Brit. II, 329
bis 401. Besonders wichtig ist Boutaric, Xotices et extraits de doc. ined. de la biblioth.
imper. XX, 2, 169. Schottmüller teilt in seinem Buche (s unten) die Verhöre v. Poitiers,
die des engl. Prozesses, die Inquesta facta et habita in Brundusio, den processus
Cypricus u. den Proc. in patrimonio mit. Prutz hat in seinem Buche (s. unten) Re-
gesten von Templerurkk. 1145 — 1306, Papsturkk. 1219—1319, Urkk. franz. Könige für
die Templer u. a. aufgenommen. Wichtig ist immer noch: Raynouard, MM. hist.
relatifs ä la condanmation des Templiers. Paris 1813. Von besonderer Wichtigkeit sind
die Biographien Klemens' V., s. oben. (Am wichtigsten sind die vitae III u. IV aus
der Feder Bernard Guis.) Keine erzählende Geschichtsquelle gibt eine zusammen-
hängende Darstellung des Templerprozesses. Einzelnes die Continuatio des Guilelmus
de Nangiaco u. Villani, s. Schottmüller I, 682 — 6V0. Erg. bei Molinier DU, 223.
Hilfsschriften. In Havemann, Gesch. d. Ausganges des Tempelherren-
ordens, Stuttg. u. Tübingen 1846, ist die gesamte ältere Lit. vermerkt. (Daher werden
die Werke von Le Mire, Menenius, Dupuy, Gurtler, Vertot, Ferreira, Campomanes,
Anton, Xikolai, Stemler, Le Jeune, Moldenhawer, Raynouard [wegen der Mitt. aus
Handschr. s. oben], Graf, Horky, Addison, Hammer, übergangen.) W i 1 c k e , Gesch. des
Tempelherrenordens. 2 A. 1860. Soldan, Über den Prozefs der Templer. HT. NF. VI.
1845. In neuerer Zeit ist die Frage über Schuld u. L^nschuld d. T. häufig behandelt
worden. Sie kann nach der letzteren Richtung als gelöst betrachtet werden. Die
(ketzerische) Verschuldung d. T. wurde zuerst von Loiseleur, La doctrine secrete
des Templiers. Orl. 1872, noch mehr von Prutz, Geheimlehre und Geheimstatuten
des Templerordens. Berl. 1879, vorgetragen. Dort ist die Gleichgültigkeit der Templer
gegen das Christentum betont u. werden Zeugnisse über die Zweifel an der kirch-
lichen Rechtgläubigkeit des Ordens gesammelt. Dieser habe eine ketzerische Ge-
heimlehre gehabt u. u. ä. die Menschwerdung Christi geleugnet. Modifiziert hat
Prutz seine Ansichten in seinem Buche : Entwicklung u. Untergang des Templer-
herrenordens. Berl. 1888. S. HZ. 64, 280. Prutz, Kulturgesch. d. Kreuzzüge.
Berl. 1883. Schottmüller, Der Untergang des Templerordens. Berl. 1888, tritt
für die Unschuld des Ordens ein. Dessen tragisches Ende ist in dem selbst-
süchtigen Willen K. Philipps zu suchen (s. Bemerkungen Kleins in JBG. XVI, III, 171).
Gegen Prutz: Gmelin, Schuld oder Unschuld d. T.-O. Stuttg. 1893. — Gmelin,
Die Templerregel in MJÖG. XIV (s. dazu JBG. 1897). — Prutz, Forschungen zur
Gesch. des Templerordens. 1. die Templerregel. Königsberger Stud. 1. — Knöpf ler,
Die Ordensregel d. T. HJb. VHI. Boutaric, Clement V, Philippe le Bei et les
Templiers. RQH. X, XI, 1871. La France sous Philippe le Bei. Paris 1861. Renan,
La papaute hors de l'Italie. RdDM. XXXVIII. Van Os, De abolitione ordinis Templi.
Würzb. 1876. Lavocat, Proces des freres de l'Ordre du Temple. Paris 1888. Lang-
lois, Le Proces d. Tempi. RdDM. CHI. Delisle, Memoire sur les Operations
financieres des Templiers (Mem. de l'Ac. des Insc. XXXIII, 2). In gewissem Sinne
abschliefsend Lea, History of the Inquisition IH, 238 ff. Döllinger, Der Unterg.
des Templerordens. Ak. Vortr. HI (dort auch Angaben über ital. Lit. zu dem Gegen-
stand.) Jungmann, Klemens V. u. d Aufh. d. Templerordens. ZKath. Theol. I, IH.
C. Wenck, Klemens V. u. Heinrich VII. Halle 1882. S. auch Wenck in d. GGA.
1888, 1890, 1893, 1896 u. RHist. XL, 168. Prutz, Krit. Bemerkungen zum Proz. d.
T. DZG. XL Salvemini, L'abolizione d. Ord. di Templari. AStlt. XV, 2.
Orange, The fall of the knigths of the Temple. Dublin Rev. 1895. Auf d. Literatur-
angaben über die Gesch. der Templer in den einzelnen Ländern wird verzichtet. Zum
Konzil v. Vienne s. Ehrle im ALKG. II, III, IV. Heber, Gutachten u. Reform-
vorschläge f. d. Vienner Generalkonzil. Leipz. 1896. Hefele, Konzil-Gesch. VI.
Philipp IV. und die Templer. 239
1. Der unglückliche Krieg gegen Flandern hatte die Mittel
Philipps IV. erschöpft. Er stand vor dem Zusammenbruch seiner
Pläne. Da lag es nahe, sich an das Gut der Kirche, vor allem an das
des Templerordens, zu halten, dessen Reichtum ein bedeutender war
und in den Augen der Zeitgenossen noch viel höher eingeschätzt wurde.1)
Der Orden hatte stets eine wichtige, in den letzten Zeiten der Christen-
herrschauV in Syrien aber unrühmliche Rolle gespielt. Er besafs
eine Fülle päpstlicher Privilegien, die ihm eine Sonderstellung gewährten
und dankte der Freigebigkeit der Fürsten und Grofsen reichen Besitz
an liegender und fahrender Habe. In Frankreich in den höheren
Kreisen geachtet, war er in denen des Volkes wegen des IHochmuts
seiner Mitglieder sehr unbeliebt; dem aufstrebenden Königtum stand er
im Wege, denn seine Mitglieder, auch seine Untertanen, Bauern und
Handwerker, waren der Einflufsnahme durch den Staat entzogen, und so
störte er die auf die Zentralisierung der Verwaltung gerichteten Absichten
Philipps. Das Templergut konnte der König nur bei einer förmlichen
Aufhebung des Ordens erlangen, diese konnte aber nur erzielt werden,
wenn gegen ihn die Anklage auf Häresie erhoben und begründet
werden konnte. Dies geschah in der Tat. Die meisten zeitgenössischen
Quellen melden, dafs die Habgier des Königs die vornehmste Ursache
des gegen den Orden eingeleiteten Prozesses war. Aber den König
leitete noch ein zweites Motiv. Sein Vorgehen gegen Bonifaz VIII. hatte
in vielen Kreisen Entsetzen erregt. Noch hatte er der Kirche keine
entsprechende Genugtuung gegeben. Das konnte geschehen, wenn er
sich zum Retter des durch die Ketzer bedrohten Glaubens aufwarf. Es
mufsten sonach die Templer als Ketzer erscheinen; seine Pflicht war es
dann einzuschreiten. Um den Kampf gegen sie aufzunehmen, gewährte
die vom König abhängige und ihm vielfach verpflichtete Inqui-
sition die entsprechenden Mittel. Die Inquisitoren standen im Solde des
Königs, und der Ertrag der Konfiskation flofs seiner Kasse zu. Was
den nächsten Anlafs zur Einleitung des Prozesses gab , ist nicht ganz
sicher. Es wurde behauptet, dafs eine entsprechende Zusage des Papstes
eine der Bedingungen seiner Wahl war. Dies ist wenig wahrscheinlich.
Sicher ist nur, dafs der König dem Papst bei dessen Krönung (1305,
14. November) zuerst Mitteilung über geheime Verbrechen der Templer und
Mifsbräuche im Orden machte. Es hielt nicht leicht, Klemens V. zu gewinnen ;
doch besafs Philipp ein wirksames Pressionsmittel: er drängte auf die
Einleitung des Ketzerprozesses gegen Bonifaz VIII.2) Diese Forderung
erfüllte den charakterschwachen Papst mit Schrecken; so oft er Be-
denken zeigte oder die Neigung bekundete, der Rechtfertigung der
Templer Gehör zu schenken, wandten Philipp und seine Juristen dies
Mittel an, und es versagte niemals den Dienst.
*) Döllinger, S. 267. Der Kard. Simon, der um 1300 einen dem Klerus auferlegten
Zehent zu erheben hatte und den genauen Betrag aller kirchlichen Güter wohl abzu-
schätzen verstand, legte den Templern keine höhere Steuersumme auf als den Hospi-
talitern; die Zisterzienser zahlten dagegen doppelt so viel als die beiden Ritterorden.
a) Döllinger, S. 255.
240 Einleitung des Prozesses. Verhaftung und Verhör der Templer.
2. Klemens V. mochte den Enthüllungen des Königs anfangs wenig
Glauben geschenkt haben, denn noch 1306 berief er die Meister der
Hospitaliter und Templer zu einer gemeinsamen Beratung über den Kreuz-
zug. Erst im August 1307 war er bereit, eine Untersuchung, um die der
Grofsmeister selbst gebeten hatte, einzuleiten. Ohne ihr Ergebnis abzu-
warten, wurden auf Philipps Befehl am 13. Oktober alle Templer in
Frankreich verhaftet, ihre Güter mit Beschlag belegt und die Gefangenen
dem Inquisitor übergeben. Die Klagen gegen den Orden umfafsten fünf
Punkte : Verleugnung und Entweihung des Kreuzes, Verehrung eines Idol-
kopfes, Unzüchtigkeit, Auslassung der Sakramentalworte bei der Messe und
Gestattung unnatürlicher Ausschweifungen. Auf diese Klagepunkte hin
wurden die Gefangenen im Tempel zu Paris zwischen dem 19. Oktober
und 24. November verhört und, wofern sie nicht gestanden, gefoltert.
Sechsunddreifsig Templer erlagen den Qualen, andere starben im Ge-
fängnis aus Mangel an den notwendigen Lebensbedürfnissen. Die An-
klagen waren insgesamt unbegründet. Nie und nirgends hat ein Templer
ein Geständnis abgelegt, das ihm nicht durch die Folter oder durch die
Furcht vor ihr entrissen worden wäre. Wo man wider sie nicht mit der
Folter vorgehen durfte, waren keine belastenden Zeugenaussagen zu er-
langen. Da der Inquisitor nur das Recht hatte, gegen einzelne Templer
zu verfahren, allgemeine Anordnungen aber nur dem Papste zustanden,
erhob dieser gegen das Verfahren Einsprache. Weil er fürchtete, die
Sache könnte seinem Richterspruche entzogen und die Güter des Ordens
vom Staate eingezogen werden, wollte er selbst gegen den Orden vor-
gehen und erliefs am 22. November 1307 eine Bulle, durch die er alle
Fürsten zur Verhaftung der Templer aufforderte. Hiedurch wurde die
Sache zu einer Angelegenheit der ganzen Christenheit. In England,
Irland und Wales wurden die Templer im Januar 1308 verhaftet, in
Aragonien zog der König ihre Besitzungen ein, in Portugal nahm er sie
in Schutz. Dem ausgesprochenen Willen des Papstes zum Trotz wollte
Philipp IV. die Untersuchung nicht aus der Hand geben und griff daher
zu einem Mittel, das sich schon gegen Bonifaz VIII. bewährt hatte.
Er brachte die Sache vor die Reichsstände. Diese begehrten, dafs der
König bei der Weigerung des Papstes die Ketzer selbst vertilgen solle,
und drängten auch den Papst zu weiteren Mafsregeln. Bei einer Zu-
sammenkunft in Pöitiers verlangte Philipp von Klemens die Einleitung
des Prozesses gegen die Templer und, als sich der Papst weigerte, den
Prozefs gegen Bonifaz VIII. Um dessen Ruf zu schonen, gab Klemens V.
in der Templerfrage nach.1) Aber die Übergabe der Templer an den
Papst, die nun erfolgte, war nur eine scheinbare. Sein Stellvertreter
*) Aus dieser Zeit stammt der Bericht eines Ohrenzeugen, überliefert durch den
Juristen Alberich de Rosate (Zit. bei "VVenck, 78): Destructus fuit ille ordo tempore
Clementis pape ad prouocacionem regis Francie. Et sicut audivi ab uno, qui fuit
examinator cause et testium, destructus fuit contra iusticiam. Et mihi dixit, quod ipse
Clemens pr otulit hoc: Et si non per warn iusticie potest destrui, destruatur tarnen
per viam expediencie. ne scandalizetur char us filius noster rex Francie.
Siehe zu dieser Stelle Prutz, 224.
Die Haltung des Grofsmeisters. 241
überliefs ihre Bewachung dem König, und die Inquisitoren walteten ihres
Amtes. In Poitiers wurden mittlerweile 72 Templer, doch nur solche,
die bereits Geständnisse abgelegt hatten, aufs neue verhört. Die meisten
blieben bei ihren Aussagen. Die Würdenträger wurden in Chinon ver-
nommen. Molay gestand die Verleugnung Christi und Bespeiung des
Kreuzes zu und bat um Gnade, die ihm gewährt wurde. Aber ohne Folter
wird es auch hier nicht abgegangen sein. Da Philipp bisher stets auf
die Einberufung eines Konzils gedrängt hatte, schrieb es Klemens auf
den 1. Oktober 1310 nach Vienne aus. Es hatte die Aufgabe, über die
Templerfrage, Irrlehren, den Kreuzzug und die Hebung der Kirchenzucht
zu verhandeln. Der Prozefs gegen Bonifaz VIII. sollte im Februar 1309
zu Avignon weitergeführt werden. Mittlerweile hatte der Papst eine
Bulle erlassen, welche die Templer an den ihnen gesetzten Terminen
vor die Inquisitoren wies. Der Orden als solcher sollte für seine Sache
Bevollmächtigte ans Konzil senden. Ein Lichtblick für die Verfolgten
eröffnete sich, als Heinrich von Luxemburg zum deutschen König ge-
wählt wurde. Der Papst hätte nun einen Rückhalt wider die steigenden
Ansprüche Frankreichs gewonnen ; aber er war schon zu weit gegangen,
als dafs er noch zurücktreten konnte. Indem er den Bischöfen die
Führung der Prozesse in ihren Diözesen überliefs, regte er den alten
Hafs der Weltgeistlichkeit gegen die Templer auf, denen nun nicht selten
neue Geständnisse abgeprefst wurden. Doch erklärten einzelne im
stolzen Gefühl ihrer und der Unschuld des Ordens die Geständnisse des
Meisters und der andern für erlogen. Die wichtigsten Prozesse fanden
in den Diözesen von Paris, Sens und Tours statt. Während die Bischöfe
den Prozefs gegen einzelne Ordensmitglieder führten, hatte der Papst
die Untersuchung gegen den Orden als solchen einer Kommission über-
geben, an deren Spitze der Erzbischof von Narbonne stand. Sie hatte
das Material herbeizuschaffen, auf Grund dessen das Konzil die Ent-
scheidung fällen sollte. Sie begann ihre Tätigkeit in Paris (1309,
7. August). Alle, die den Orden verteidigen wollten, wurden für den
12. November vorgeladen, aber an diesem Tage erschien kein Templer
da die Aufforderung den Gefangenen entweder nicht oder unrichtig zu-
gestellt, einzelne Personen überdies erst noch verhaftet wurden. Molay
wurde am 26. November verhört. Gewarnt, sich auf einen Widerruf
einzulassen, war er entrüstet, als er hörte, was man ihm als sein Ge-
ständnis vorlas. Er verlangte vor den Papst geführt zu werden und
verzichtete darauf, den Orden vor der Kommission zu verteidigen. Am
28. März 1310 waren 549 Templer bereit, dessen Verteidigung zu über-
nehmen. Das Verhör der Zeugen (11. April) förderte keine neuen Er-
gebnisse zutage. Die Untersuchung zog sich in die Länge. Da ver-
sammelte der neuernannte Erzbischof von Sens, ein Bruder des all-
mächtigen Ministers Enguerrand von Marigny, ein Provinzialkonzil zu
Paris (10. Mai) und befreite unter dem Vorwand, nicht gegen den Orden
als solchen, sondern nur gegen die einzelnen Templer seiner Erzdiözese
zu verfahren, den Hof von den entschiedensten Zeugen.1) Gleich am
x) Soldan, S. 407.
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 16
242 Das Urteil des Provinzialkonzils von Paris und seine Vollstreckung.
folgenden Tage wurden 54 Ritter, weil sie ihre Geständnisse zurück-
genommen hatten, verurteilt und verbrannt. Noch aus dem Prasseln
des Feuers hörte man die Beteuerungen ihrer Unschuld. Am 12. Mai
folgten vier Genossen. Entsetzt sah die Menge ihrem Martyrium zu,
ohne an ihre Schuld zu glauben. Der Terrorismus wirkte schliefslich
auf die Mehrzahl der übrigen Templer. Als Aymer de Villiers-le-Duc
vor die päpstliche Kommission trat, beteuerte er laut die Unschuld
seines Ordens. Seit er aber die 54 habe sterben gesehen, werde er
bekennen was man wolle, selbst, dafs er den Heiland ans Kreuz ge-
schlagen habe. Die päpstliche Kommission hatte sich vergebens bei
Marigny verwendet. Es blieb ihr nichts übrig, als ihre Geschäfte auf ein
halbes Jahr zu vertagen ; sie führte auch dann nur ein klägliches Dasein,
bis sie am 5. Juni 1311 ihre Sitzungen schlofs. Das in Paris gegebene
Beispiel fand in den Diözesen Reims, Rouen und Carcassone Nachahmung.
Überall beteuerten die Templer noch in den Flammen ihre Unschuld.
3. Die Ergebnisse der Untersuchung in den andern Ländern
waren sehr verschiedene. Je mehr ein Land dem Einflüsse Frankreichs
und der Kurie entrückt ist, desto geringer sind die Ergebnisse der
Untersuchung, desto milder das Los der Templer. Weder in den Staaten
der pyrenäischen Halbinsel noch in England wurde ihre Schuld erwiesen.
Die Verfolgung war dort, wo das Königtum oder, wie in Deutschland,
die Landesfürsten und der Adel die Hand über den Templern hielten,
eine laue. Am günstigsten war der Verlauf des Prozesses in Cypern.
Viele von den Zeugen und einzelne Templer erklärten, erst durch die
Erlasse des Papstes von ihren vermeinten Verbrechen gehört zu haben.
Auf dem Konzil wurden die Protokolle über die Untersuchung in den
einzelnen Ländern vorgelegt und geprüft, dem Orden aber versagt, seine
Verteidigung zu führen. Ritter, die es versuchten, wurden ins Gefängnis
geworfen. Aber das Konzil kam nicht zu dem Schlüsse, dafs der Orden
häretisch sei. Wieder drängte Philipp den Papst vorwärts. Am 5. März
1312 kam er selbst nach Vienne und nahm an den Verhandlungen
teil. Der Papst gab schliefslich zu, dafs der Orden zwar nicht wegen
Ketzerei verurteilt werden könne, aber in so schlechtem Rufe stehe,
dafs er seine Aufgabe nicht mehr zu erfüllen vermöge. Auch werde
ihm niemand mehr beitreten wollen. Unter diesen Umständen sprach
er in öffentlicher Sitzung (3. April) die Aufhebung des Ordens aus.1)
Wenige Wochen später wurde das Ordensgut mit Ausnahme des spanisch-
portugiesischen den Hospitalitern zugesprochen. Die obersten Würden-
träger behielt der Papst seinem Urteilsspruch bevor; über die übrigen
sollten Provinzialsynoden entscheiden, die für unschuldig Befundenen
aus den Ordensgütern erhalten, die Geständigen nachsichtig behandelt
und die Rückfälligen strenge bestraft werden. Sein eigentliches Ziel, in
den Besitz des Ordensgutes zu kommen, erreichte der König somit nicht.
Dafs der Verlauf der Angelegenheit ein anderer war, als er ihn gewünscht
hatte, spricht aber nicht gegen seine ursprünglichen Absichten. Übrigens
x) Die Aufhebungsbulle vom 22. März 1312 auch bei Mirbt Nr. 245.
Aufhebung des Ordens. Ende Molays. 243
behielt er das Templergut in seinen Händen. Erst seine Nachfolger
lieferten es zum Teil an die Hospitaliter aus. Auf halbem Wege durfte
er aber nicht stehen bleiben. Es folgte noch das Ende des Grofs-
meisters. Zuvor wurde endlich die Angelegenheit Bonifaz' VIII. zu Ende
geführt und seine Rechtgläubigkeit anerkannt. Doch wurde ein Dekret
erlassen, wonach weder dem König noch seiner Familie jemals vor-
geworfen werden sollte, was er an dem Papste verübt hatte. Und
noch ein weiteres Zugeständnis mufste dem König gemacht werden.
Alle Bullen Bonifaz' VIII., die dem König und Frankreich zum Nach-
teile gereichten, mufsten aus den päpstlichen Registerbüchern gerissen
und sonst der Vernichtung preisgegeben werden. Nun erst wurde auch
Nogaret vom Banne gelöst.
4. Der feierliche Schlufsakt im Templerprozesse fand am 11. März
1314 statt. Es handelte sich um Molay und seine Genossen., Vor der
Kirche von Nötredame war ein rotausgeschlagenes Gerüst errichtet.
Molay und die Seinigen wurden vor die päpstlichen Kommisäre und
den Erzbischof von Sens geführt und ihre Verurteilung zu lebensläng-
lichem Kerker ausgesprochen. Da erhoben sich der Grofsmeister und der
Präzeptor der Normandie, bestritten die Rechtmäfsigkeit des Urteils und
nahmen ihre früheren Zugeständnisse nicht nur zurück, sondern er-
klärten auch alle dem Orden ungünstigen Aussagen der übrigen Templer
für ungültig. Philipp war hierüber aufs höchste entrüstet. Sofort erliefs
er den Befehl, die beiden auf den Scheiterhaufen zu führen. Noch an
demselben Abend wurden sie ohne Rücksicht darauf, dafs sich der Papst
die Entscheidung vorbehalten hatte, verbrannt. Nicht einmal der letzte
Trost wurde den Verurteilten, denn sie waren Ketzer, gewährt.
Einen Monat später starb der Papst, und da ihm acht Monate darauf auch der
König im Tode nachfolgte, gaben die beiden rasch nach dem Ende Molays folgenden
Todesfälle zu der Legende Anlafs, Molay habe angesichts des Todes die beiden vor
das Tribunal Gottes gefordert. Diese und ähnliche Erzählungen waren in Frankreich,
Italien und Deutschland verbreitet — gewifs ein Zeichen des schwer verletzten
Gerechtigkeitsgefühles im Volke und eine schwere Schädigung von Staat und Kirche ;
die Templer hatten Cypern zu ihrem Hauptsitz gemacht und würden, wären sie nicht
vernichtet worden, dort eine Rolle gespielt haben, wie die Hospitaliter auf Rhodus.
Die Christenheit verlor mit ihrer Vernichtung ein starkes Bollwerk gegen den Islam.
Der Prozefs als solcher begründete die Härte und widernatürliche Grausamkeit, die in
der französischen Kriminaljustiz bis 1789 fortbestand, und schliefslich wurde all das,
was in den auf der Folter erprefsten Aussagen der Templer eine so grofse Rolle spielt :
die Vorstellung eines persönlichen Umgangs mit dem Teufel, das Hexenwesen u. dgl.
von jetzt an förmlich durch die höchste staatliche und kirchliche Autorität bestätigt.
Der Weg, wie man durch die Folter sich die erforderlichen Zugeständnisse zu ver-
schaffen habe, war damit vorgezeichnet.1)
§ 55. Die innere Politik Philipps IV. und der Ausgang des
kapetingischen Hauses.
Quellen u. Hilfsmittel wie oben. Dazu: Herbomez, Notes et documents
p. servir ä l'histoire des rois, fils de Philippe le Bei. BiECh. LIX, 497, 689. Ducoudray,
*) Döllinger, dem (S. 262) obige "Worte entnommen sind, schliefst seine Betrach-
tung mit den Worten : Wenn ich in dem ganzen Umfange der Weltgeschichte einen
Tag als dies nefastus bezeichnen sollte, ich wüfste keinen andern zu nennen als den
13. Oktober 1307.
16*
244 Erwerbung Lyons. Innere Politik Philipps IV. Die Reichsstände.
Les origines du Parlement de Paris et la justice au XLTIe et XI Ve siecle. Paris 1902.
Aub ert, Le Parlement de Paris de Philippe le Bei ä Charles VII (1314—1422). Paris 1887.
G. H uff er, Die Stadt Lyon und die Westhälfte des Erzbistums in ihren pol. Bez.
z. d. Reich u. zur franz. Krone. Münster 1878. Die Schriften v. Piepape u. Funck-
Brentano s. § 42. Vi oll et, Comment les femmes ont ete exclues en France de
la succession ä la couronne. Paris 1893. Lehuguer, Hist. de Phil, le Long. t. L
Paris 1897. Die Kreuzzugsprojekte s. bei Delaville le Roulx I, 78 ff.
1. Der letzte grofse Erfolg Philipps IV. war die endgültige Er-
werbung der Stadt und des Gebietes von Lyon (1313), die schon sein
Vater vorbereitet hatte. Schon 1294 nahm er die Stadt in seinen Schutz
und erklärte, dafs sie zu Frankreich gehöre. Die Beschwerden des Erz-
bischofs blieben erfolglos. Im Jahre 1307 wurde der Erzbischof zu
einem Vertrag gezwungen, der ihm zwar die unmittelbare Herrschaft
über die Stadt und das Gebiet von Lyon beliefs, aber die Oberherrschaft
Frankreichs aufs neue festsetzte. Sein Nachfolger weigerte sich, dies
anzuerkennen, und die Bürger von Lyon traten auf seine Seite. Aber
die vom Kaisertum erwartete Hilfe blieb aus. Als der König ein Heer
unter dem Oberbefehl seines Sohnes gegen die Stadt sandte, unterwarf
sich der Erzbischof und trat (am 22. April 1312) die weltliche Gerichts-
barkeit in Lyon, die deutsches Reichslehen war, gegen anderweitige
Entschädigung an Philipp IV ab. Im folgenden Jahre wurde Lyon
militärisch besetzt. — Gewalttätig wie die äufsere war auch die innere
Politik dieses Königs. Kein Mittel wird verschmäht, wenn es gilt, die
Macht des Königtums zu mehren. Auch die allgemeinen Reichsstände
bedeuten in jener Zeit eine Steigerung der Machtfülle des Königtums,
denn sie bilden das Gegengewicht gegen die feudalen, die Befugnisse
des Königtums einengenden Gewalten. Sie wurden schon vor Philipp IV.
berufen, aber ihre Einberufung hat jetzt den Zweck, der Politik des
Königs eine Stütze zu gewähren. Um diesen Zweck zu erreichen, wurden
wahrscheinlich schon 1289, 1290 oder 1292, sicher aber seit 1302 Ver-
treter des Bürgerstandes hinzugezogen. Die Freiheiten der Städte liefs
der König wohl gelten, doch wurde die Wirksamkeit ihrer Behörden nicht
selten durch die königlichen Beamten behindert und sie selbst in ihrer
Entwicklung zurückgehalten. Die allgemeinen Lasten erfuhren durch die
Kriege mit dem Ausland eine stetige Steigerung, und der vielfach ver-
mehrte Beamtenapparat erheischte derartige Summen, dafs die bisherigen
Einnahmsquellen aus den Domänen und Gefällen nicht mehr ausreichten.
Auch die Mittel der Münzverschlechterung, Vertreibung ausländischer
Wechsler und Judenverfolgungen versagten schliefslich. *) Um neue Geld-
mittel zu beschaffen, wurden an Leibeigene in den neuerworbenen
Provinzen des Südens Freibriefe verkauft, neue Zölle wie die maltote,
eine dreiprozentige Warensteuer, die aide de l'ost, eine Art Wehrsteuer,
und verschiedene aides feodales erhoben. 2) Ward bei ihrer Einführung
die Zustimmung der allgemeinen Reichsstände für notwendig erachtet,
so wurde dies die Grundlage des späteren Steuerbewilhgungsrechtes.
*) S. das Kapitel Juifs, Lombards, Monnaies in Langlois, Hist. de France III, 2, 222.
2) Coville, S. 52 ff.
Das Parlament. Die Nachfolger Philipps des Schönen. 245
In dem gleichen Mafse wie der Einflufs der königlichen Beamten steigt,
geht der des alten Feudaladels zurück. Die altfeudalen Grofswürden-
träger werden meist durch Hof- und Kanzleibeamte verdrängt. Auch
die Mitglieder des grofsen Rates sind nur selten aus den Reihen des
Adels genommen ; der Besitz von Adelslehen wird Bürgerlichen gestattet.
Der Wirkungskreis des obersten Kgl. Gerichtshofes, der curia regis, oder
wie sie seit dem 13. Jahrhundert heifst, des Parlaments, ist in
stetigem Aufnehmen begriffen1). Das Parlament wird seit 1303 jährlich
in Paris versammelt, Ausschüsse bereisen von Zeit zu Zeit die Provinzen.
So sind die Grands Jours de Troyes, die Ecliiqiäers de Ronen entstanden. Das
Königtum Philipp IV. trägt somit einen andern Charakter als das seiner
Vorgänger; durch sein ganzes Dasein »weht der schneidende Luftzug
der neueren Geschichte«.2) Der König starb unter den Vorbereitungen
zu einem Kreuzzug, erst 46 Jahre alt, am 29. November 1314.
2. Schon bei seinen Lebzeiten hatte sich gegen die alles erdrückende
Gewalt des Königtums eine Opposition der feudalen Kräfte gebildet.
Nach seinem Tode scharte sie sich um Karl von Valois, den Oheim
Ludwigs X. (1314 — 1316), und warf ihren ganzen Hafs auf Marigny,
der neben Nogaret und Plasian als Urheber aller unbeliebten Mafsregeln
Philipps IV. galt. Er konnte sich auf dessen Befehle berufen, auch war
gegen seine Rechnungen kein Einwand zu erheben, daher wurde er nicht
als Hochverräter, sondern als Zauberer, der den Tod des jungen Königs
geplant habe, verurteilt und starb am Galgen zu Montfaucon. Die all-
gemeine Aufregung zu beschwichtigen, wurden den Lehensrechten und
der Gerichtsbarkeit der Grofsen Zugeständnisse gemacht, die Münze auf
den Stand Ludwigs IX. gebracht und die Neuerungen im Steuerwesen ab-
gestellt, Der Bürgerstand mufste aber doch in seiner Stellung gelassen
werden, ja aus den Tagen Ludwigs X. stammt die Verordnung, welche
die Leibeigenschaft in den einzelnen Kronländern unter gewissen
Bedingungen aufhebt. 3) Wiewohl der Preis für diese Wohltat ein
Mittel war, des Königs Einkünfte zu mehren und mitunter so er-
schwerende Bedingungen an sie geknüpft wurden, dafs mancher es vorzog,
Leibeigener zu bleiben, enthielt sie doch einen wesentlichen Fortschritt.
Ludwig X. hinterliefs bei seinem Tode eine Tochter aus erster Ehe,
namens Johanna, und eine schwangere Gemahlin. Sein Bruder, Philipp V.
(1316 — 1322) sollte die Vormundschaft führen, falls die Witwe mit einem
Sohne niederkäme. Das geschah in der Tat. Der Thronerbe (Johann I.)
starb aber schon nach wenigen Tagen. Nun meinten viele, der Thron
gebühre der Tochter Ludwigs X., da kein Gesetz die weibliche Nachfolge
verbiete. Philipp V. brachte es jedoch dahin, dafs er als König an-
erkannt und gekrönt wurde. Eine Reichsversammlung setzte fest (1317,
a) Über die Ausgestaltung u. Befugnisse des Parlaments s. Langlois, Textes etc.,
wo auch die entsprechende Lit. vermerkt ist (S. XXVm ff.). Hist. de France HI, 2, 327.
2) Ranke, Franz. Gesch. I, 34.
y) Ordonnances des rois de France I, 653. Dort die Deklaration Ludwigs X. vom
3. Juli 1315: »Qu'il ne doit y avoir que des hommes libres au royaume des Francs.«-
Cf. BECh. 59, 710
246 Philipp V, Der Ausgang des kapetingischen Hauses.
2. Februar), dafs in Frankreich Frauen von der Thronfolge ausgeschlossen
seien1). Philipp V. erinnert durch seine umfassende gesetzgeberische
Tätigkeit an seinen Vater. Ohne dafs er so gewaltsam verfuhr wie dieser,
klagte die Bevölkerung doch über seine Reformen in Münze, Mafs und
Gewicht und die neuen Steuern. Er liebte es daher, die Reichsstände
vorzuschieben. Diese wurden nun öfter berufen und ihnen Vertreter
der Kommunen beigesellt. Noch mehr leistete er durch seine in alle
Zweige des Staatslebens eingreifenden Ordonnanzen. Die Zahl der
Parlamentsräte wurde vermehrt, der Gerichtsgang vereinfacht und die
Geschäftsordnung verbessert. Prälaten wurden zu den Gerichtshöfen
nicht mehr zugelassen, und in stärkerem Mafse als vordem traten
juristisch geschulte Leute, die »Männer der Robe«, ins Parlament.
Mit Flandern schlofs Philipp einen vorteilhaften Frieden, doch wurde
die Ruhe im Lande durch die Pastorellen gestört, Hirten und Bauern,
die das hl. Land zu befreien gedachten, deren Bewegung aber so aus-
artete, dafs sie durch Gewaltmittel unterdrückt werden mufste. Auch
Philipps Nachfolger Karl IV. (1322 — 1328), ganz das Ebenbild seines
Vaters und daher wie dieser der Schöne genannt, regierte in dessen
Geiste. In der äufseren Politik trat er bedeutsamer hervor; vor allem
war er bemüht, das Kaisertum an das kapetingische Haus zu bringen.
Glücklicher war er in seinen Unternehmungen gegen England; bei der
Schwäche Eduards IL hielt es nicht schwer, die französische Herrschaft
nach dem Süden hin auszudehnen. Mit ihm erlosch (1328, 1. Februar)
die ältere Linie der Kapetinger, eine Dynastie, die das französische
Königtum auf feste Grundlagen gestellt und das Gebiet Frankreichs
mächtig ausgedehnt hat.
2. Kapitel.
Die Erneuerung des Kaisertums unter Heinrich VII. (1308—1313).
§ 56. Die Wahl Heinrichs YII. Die Erwerbung Böhmens durch das
Haus Luxemburg.
Quellen. Urkk. Böhmer, Regg., Acta imperii inedita u. selecta wie oben. Die
Electio Henrici VII. MM. G. LL. II, 1, 490. Coron. ib. 503. Coron. Rom. 528. Consti-
tutiones, ib. 490 ff. Tractatus cum Clemente V , cum Philippo IV., cum Venetis, ib.
Dönniges, Acta Henrici VII. Berl. 1839. Bonaini, Acta Henrici VII. Flor. 1877. Wurth-
Paquet, Table chronol. de chartes et diplomes de Henri VII. (Publ. de la Soc. arch. de
Luxembourg XVH.) C. Cipolla e G. Filippi, Diplomi inediti di Enrico VII. et di Lodo-
vico Bavaro. Savona 1890. Die Regg. Bened. XI. u. Klemens' V. wie oben. Zu den G e -
schichtschreibern s. Dönniges, Kritik d. Q. f. d. Gesch. Hs. VII. Berl. 1841. Dazu
Lorenz, DGQ. II u. Dahlm.-Waitz-Steindorff, 2864-2879 u. 2881— 83. Die deutschen
Quellen sind noch grofsenteils dieselben wie § 40. Trotzdem müssen die Königsaaler
Geschichtsquellen als Hauptquelle für Böhmens Erwerbung u. wegen der direkt vom
Kaiserhof stammenden Nachrichten noch besonders genannt werden. Dazu die Historia
mortis Henrici VII. ap. Freher SS. rer. G. 645. Rhythmi, ibid. 15 — 19. Gesta Henrici VII.
imp., ed. Waitz, Forsch. XV. Gesta Baldewini de Luczenburch 1298 — 1353 in Gesta
Treveror. n. Vecerius, De reb. gestis imp. Henrici, ed. R. Reineccius II, 67. Von
italienischen Quellen: Nie. de Botrinto, Relatio de Heinrici VII. itin. Ital. Böhmer
*) Quod ad coronam xegni Franciae mulier non succedat.
Die Erneuerung des Kaisertums unter Heinrich VII. 247
FF. I, ed. Heyck. Innsbr. 1888. Albertinus Mussatus, Hist. aug. sive de gestis Henrici VII.
Murat. X. (Hauptquelle für die Romfahrt.) Dazu die Historia Cortusiorum. Muratori XII.
Fereto von Vicenza, Histor. rer. in Ital. gestarum 1250 — 1318, ed. Murat. IX. Johannes
de Cermenate, Historia de situ etc. ac de Mediolanensium gestis sub imp. Hehrico VII.,
ib. IX Dino Compagni, Istoria Fiorentina, die beste Ausg. v. Del Lungo, s. Potthast I,
332. (Scheffer-Boichorst hat seine Annahme v. D. C. als einer Fälschung auf Grund
der Arbeiten Del Lungos hin fallen lassen, s. JBG. 1886 II, 258). Giovanni de
Lemno, ed. Passerini, Documenti di Storia Ital. VI. Guilelmus Ventura, Memoriale de
gestis civium Astensium. Mur. XL Dante, Monarchia, ed. Witte. Wien 1874. Die
übrigen politischen Schriften s. bei der Gesch. Ludwigs IV. u. Karls IV.
Hilfsschriften. Die Werke von Olenschlager, Kopp, Lichnowsky, Prutz,
Huber, Lindner, Lamprecht, Palacky, Bachmann, Gregorovius, Afsmann-Viereck, wie
oben. Wichtig ist: Heidemann, Peter v. Aspelt als Kirchenfürst u. Staatsmann.
Berlin 1875, s. auch Forschungen IX u. XI, S. 46 — 78. Thomas, Die Königswahl
Hs. v. L. Strafsb. 1875. P ö h 1 m a n n , Zur deutschen Königswahl v. 1308, Forsch. XVI, 356.
Boutaric, Welwert, wie oben. Brosien, Heinr. VH. als Graf v. L. For-
schungen XV. Wenck, Klemens V. und Heinrich VII. Halle 1882 (sehr wichtig).
Sommerfeld, Die Romfahrt K. Heinrichs VH. Königsbg. 1888. — H. VH u. die
lomb. Städte. DZG H. Barthold, Die Romfahrt K. Hs. v. L. 2 Bde. Kgbg. 1830.
Der zweite Teil enth. ein (veraltetes) Verzeichnis der Quellen zur Gesch. Hs. Pöhl-
mann, Der Römerzug Heinrichs VH. Nürnb. 1875. Mas slow, Zum Romzug Hs. VH.
Freib. 1891. Felsberg, Beiträge zur Gesch. d. Römerzugs Hs. VH. 1886. G.Weber,
K. Heinrich VH. in Ital. HT. 6. F. IV. Prowe, Die Finanzverwaltung am Hofe
Hs. v. L. Berl 1888 (s. Dahlm.-Waitz 3003). Tobler, Dante u. vier deutsche Kaiser.
Berl. 1891. Bertholet, Hist. de Luxemb. V. Schotter, Joh. Gf. v. Luxemb. u.
K. v Böhmen. 1865. Dominicus, Baldewin v. Lützelb. Kobl. 1862. Lippert,
Meifsen u. Böhmen im N. Arch. f. sächs. Gesch. X. Werveke, Das Geburtsjahr
Heinr. VH DZG. VLH, 146, s. auch Irmer, Erl. Text zu der Romfahrt K. Heinrichs VH.
Berl. 1881. Kraussold, Die pol. Bez. zw. Deutschi. u. Frankr. während der Reg.
Heinrichs VH. München 1900.
1. Nach dem unglücklichen Ende Albrechts I. wurde der Mainzer
Erzbischof Peter von Aspelt Leiter der deutschen Politik. Niederer
Herkunft, war er am Hofe König Rudolfs in die Höhe gekommen und
trat, um den habsburgischen Einflufs in Böhmen zu verstärken, in die
Dienste Wenzels II. In der Zeit des Einverständnisses zwischen diesem
und Albrecht I. erhielt er das Bistum Basel. Als aber der Gegensatz
zwischen Habsburg und Böhmen aufs neue hervorbrach, blieb Peter
auf böhmischer Seite. Erst unter Wenzel III. zog er sich in sein Bis-
tum zurück. Seine Erhebung zum Erzbischof von Mainz dankte er
französischer Unterstützung. Auch Trier wurde mit einem Freunde
Frankreichs besetzt: Baldewin von Lützelburg, der des Deutschen
kaum mächtig war. Den Kölner Erzstuhl hatte Heinrich von Virne-
burg inne, der mit Frankreich im Bunde stand. So glaubten die Fran-
zosen die Zeit gekommen, in die Wahlbewerbung einzutreten. Ihr
Publizist Peter Dubois schrieb nicht blofs für die Erhebung Philipps
auf den deutschen Thron, sondern auch für die Umgestaltung der deut-
schen Reichsverfassung : die Kurfürsten sollten sich gegen eine bestimmte
Entschädigung ihres Wahlrechtes begeben, widrigenfalls der Papst das
Kurfürstentum aufheben und selbst einen Kaiser ernennen würde.
Philipp IV. ging darauf nicht ein. Er wünschte nur die Wahl seines
Bruders Karl von Valois. Da sich Frankreichs Einflufs in diesem Falle
auf Italien, Deutschland und Ungarn erstreckt hätte, blieb Klemens V.
248 Die Königswahl Heinrichs VII. Umschwung in der deutschen Politik.
den Bitten Philipps unzugänglich. Auch die in Deutschland erwachte
nationale Stimmung sprach gegen die Wahl eines Franzosen. Der Habs-
burger Friedrich der Schöne hatte im Hinblick auf die deutsche Königs-
wahl auf Böhmen verzichtet. Die geistlichen Kurfürsten waren aber
weder für Habsburg, dessen entschlossener Gegner Peter von Aspelt
war, noch für ein Mitglied eines weltlichen Kurhauses. Da gelang es
Bälde win von Trier, erst Mainz dann Köln für die Wahl seines Bruders
Heinrich von Luxemburg zu gewinnen. Noch hatten sich die weltlichen
Kurfürsten über keinen Bewerber geeinigt, als sie im Oktober 1308 in
Rense1) mit den übrigen zusammentraten. Nach längeren Beratungen
kam eine Vereinbarung für Heinrich zustande, der nun allerdings den
Kurfürsten versprechen mufste, nicht blofs die Reichsgüter und Einkünfte,
die ihnen Albrecht I. genommen, wieder zu erstatten, sondern auch
Ersatz für den erlittenen Schaden zu leisten. Zweifellos wurde er auch
verpflichtet, wie die übrigen Fürsten so auch die Habsburger in ihrem
Besitz zu bestätigen. 2) Ein neues Haus — das dritte seit 35 Jahren —
kam in Deutschland zur Herrschaft. Und dies in weniger rühmlicher
Art. Die Pläne der ersten Habsburger, das Wahlreich in ein Erbreich
zu verwandeln, waren endgültig gescheitert, ihre Machtstellung, die dem
Reiche zugute gekommen wäre, ging ihm verloren, und die grofsen
Vorteile Albrechts I. den Kurfürsten gegenüber gab Heinrich schon
während der Wahlverhandlungen preis. Am 27. November 1308 wurde er in
Frankfurt einstimmig gewählt und am 6. Januar 1309 in Aachen gekrönt.
Hatten sich die Fürsten geweigert, ein Mitglied des französischen Königshauses
zu wählen : auch Heinrich war nach Sprache und Denkungsart Franzose 3), wenn seine
luxemburgische Grafschaft auch ein Bestandteil des deutschen Reiches bildete. 'Das
Grafenhaus stand schon in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in Beziehungen
zu Frankreich, und Heinrich selbst hatte sich eng an dieses angeschlossen : Philipp
der Schöne war es, der ihn zum Ritter schlug und dessen Vasall er wurde. Heinrichs
Bruder Baldewin war in Frankreich erzogen worden, und französischer Einflufs hatte
ihm das Erzbistum Trier verschafft. In zahlreichen Kämpfen hatte sich Heinrich den
Ruf eines tapferen Kriegsmannes erworben ; mit vollem Verständnis seiner schwierigen
Stellung trat er nun sein Königtum an.
In der deutschen Politik trat nun ein völliger Umschwung ein.
Hatten Heinrichs unmittelbare Vorgänger nur das Erreichbare angestrebt,
so kamen nun wieder Tendenzen zur Geltung, die unter den Staufern
die herrschenden waren : die Fragen der Herstellung der Kaisermacht
und eines neuen Kreuzzugsunternehmens traten in den Vordergrund,
und diese Aufgaben gestatteten ihm nicht, sich um die Zustände in
Deutschland zu kümmern. Mehr als unter den letzten Regierungen
x) Zum erstenmal wurde an dieser Stätte über eine Königs wähl beraten, nachdem
sie wohl schon früher ihrer günstigen Lage wegen — in der Nähe grenzten die Be-
sitzungen der vier rheinischen Kurfürsten aneinander — als Sitz für Beratungen gewählt
worden war; das Xähere bei Lindner I, 174 ff.
2) Heidemann, S. 90.
3) Welwert, p. 181 : et Von vit ce spectacle assez curieux d'un empereur d'Alle-
magne qui, quoique Allemand, ne savait pas Vallemand et dont la chancellerie redigeait
meine les diplömes en frangais.
Die Erwerbung Böhmens durch das Haus Luxemburg. 249
gelten nun die Kurfürsten, vor allem Peter von Aspelt. Heinrich VII.
machte nicht den geringsten Versuch, dem ständischen Regiment seine
Mitwirkung bei der Herrschaft streitig zu machen ; im Gegenteil : König
und Kanzler suchten dies Regiment nach Kräften zu fördern. Die Kur-
fürsten hatten dem Papst am 27. November 1308 Mitteilung von der
getroffenen Wahl gemacht und um die Kaiserkrone für den Gewählten
gebeten. Klemens V., der Heinrichs Wahl willkommen hiefs, im übrigen
aber gegen die Deutschen um so herrischer auftrat, je bitterer er seine
Abhängigkeit von Philipp dem Schönen empfand, erteilte ihr gegen
Frankreichs Wünsche schon am 26. Juli 1309 die Approbation und
setzte die Kaiserkrönung auf den 2. Februar 1312 fest.
2. Wiewohl Heinrich (1308 — 1313) den Habsburgern die Belehnung
mit ihren Reichslehen zugesagt hatte, zögerte er nicht blofs damit, son-
dern traf auch Verfügungen, die ihre Spitze gegen sie richteten. So
schob er die Achtung der Königsmörder hinaus, entzog Schwyz und
Unterwaiden den Habsburgern und erklärte sie für reichsunmittelbar. In
Heilbronn beginnt er hierauf die Verhandlungen, die zur Erwerbung
Böhmens durch die Luxemburger führten. Es kann keinem Zweifel
unterliegen, dafs es der Erzbischof Peter von Mainz war, der die Auf-
merksamkeit des Königs auf Böhmen lenkte, wo er 16 Jahre gewirkt
und das er nur unter dem Zwang der Umstände verlassen hatte. Nun
stand er als Metropolit abermals in Verbindung mit Böhmen. Die Zu-
stände dieses Landes waren trostlose und König Heinrich, ein lebens-
froher, verschwenderischer, zur Regierung unfähiger Fürst, aufserstande,
ein kräftiges Regiment aufzurichten. Adel und Bürgertum standen ein-
ander schroff gegenüber, und bald dachten des Königs Gegner an seine
Absetzung. Hier griff der Mainzer Erzbischof ein und knüpfte Ver-
bindungen mit dem Klerus im Lande an. Es galt, mit Hilfe der ehr-
geizigen Prinzessin Elisabeth, den Luxemburgern Böhmen zu verschaffen.
Heinrich VII., vor dem eine böhmische Gesandtschaft (1309, August)
erschien, erklärte Böhmen als heimgefallenes Lehen, versprach indes,
keine Verfügung zum Nachteil Elisabeths zu treffen und suchte einen Aus-
gleich mit den Habsburgern herbeizuführen. Auf dem Hoftage von Speyer,
wo auch Graf Eberhard von Württemberg auf die Klage schwäbischer
Städte und anderer Reichsangehöriger wegen Landfriedensbruches vor-
geladen und Verhandlungen über die Romfahrt gepflogen wurden, ver-
zichtete zuerst Herzog Friedrich von Österreich auf die Belehnung mit
Mähren, erhielt dagegen die mit den österreichischen Ländern und ver-
sprach Hilfe zur Eroberung Böhmens und für den Römerzug. Jetzt
erst wurde die Acht über die Königsmörder ausgesprochen und Albrechts
Leiche zugleich mit der seines Vorgängers in der Kaisergruft zu Speyer
beigesetzt. Die Verhandlungen mit Böhmen wurden in Nürnberg und
Eger fortgesetzt. Anfangs Juli 1310 ging eine böhmische Gesandtschaft
nach Frankfurt, erhob Klage über Heinrich von Kärnten und begehrte
Gericht. Die Fürsten, unter dem Vorsitz des Pfalzgrafen, erklärten,
Heinrich besitze Böhmen nicht zu Recht, da er im Banne war, als er
das Land erhielt. Die Gesandten baten den König, Böhmen seinem
250 Die Anfänge der Signorie in Oberitalien.
Sohne Johann zu verleihen; der König, wohl in der Hoffnung, diesem
dereinst die deutsche Krone zuwenden zu können, war der Meinung,
sein Bruder Walram eigne sich mehr zu dieser Stellung, gab aber
schliefslich ihrem Wunsche nach. Am 31. August 1310 wurde Johann
mit Böhmen belehnt, worauf seine Vermählung mit Elisabeth erfolgte.
Böhmen war aber erst noch zu erobern. Der Erzbischof Peter, des
jugendlichen Königs erster Ratgeber, ward ausersehen, ihn daselbst ein-
zuführen. Der Feldzug dahin war schwierig, denn er fiel in die un-
günstigste Jahreszeit, dann hatte Heinrich von Kärnten eine feste Stel-
lung in Prag, überdies noch starken Zuzug von dem Markgrafen von
Meifsen erhalten ; auch waren die meisten Städte für ihn. Die Eroberung
von Kuttenberg mifslang, und vor Prag wurde Johanns Stellung geradezu
kritisch. Da öffnete Verrat den Belagerern die Tore ; Heinrich von
Kärnten zog sich auf die Kleinseite und den Hradschin zurück. Als sich
auch noch der Meifsner, dem Peter den ruhigen Besitz von Thüringen
und Meifsen verbürgte, von ihm abwandte, verliefs er das Land und
kehrte nach Tirol zurück ; doch behielt er den Titel eines Königs von
Böhmen und Polen bei. Johann und Elisabeth wurden am 7. Februar
1311 zu Prag gekrönt. Damit beginnt die Herrschaft des Hauses Luxem-
burg in Böhmen, die bis zu seinem Erlöschen im Jahre 1437 gedauert
hat. In Deutschland trat nun zu den beiden grofsen Territorialmächten, der
wittelsbachischen und habsburgischen, als dritte die luxemburgische hinzu.
§ 57. Die Anfänge der Signorie in Oberitalien und die Romfahrt
Heinrichs YII.
Quellen s. § 56. Zu den Hilfsschriften: Cipolla, Storia delle Signorie Ita-
liane dal 1313 — 1530 (greift hie und da noch auf die Verhältnisse unter Heinrich VII.
zurück). Milano 1881. Vitale, II dominio della parte guelfa in Bologna 1280 — 1327.
Bol. 1901. A. Franchetti, I primordi delle signorie e delle compagnie di Ventura.
La vita Italiana nel Trecento. Mil. 1892. Orsi, Signorie e principati (1300 — 1530).
Mil. 1901. Hanauer, Das Berufspodestat im XHI. Jahrh. MJÖG. XXHI, 377. S a 1 z e r ,
Über die Anfänge der Signorie in Oberitalien. Berlin 1900. O. Hartwig, Ein Menschen-
alter florentinischer Gesch. (1250—1292). DZG. I, 12 ff., H, 38 ff., V, 70 ff., 241 ff. Für
Venedig : Lenel, Die Entstehung der Vorherrschaft Venedigs an der Adria. Leipz. 1897.
S i c k e 1 , Das Vikariat der Visconti. Wien. SB. 1859.
1. Indem Heinrich VII. die Leitung der deutschen Angelegenheiten
dem erfahrenen Erzkanzler Peter überliefs, wandte er sich seinen auf
die Erneuerung der Kaisermacht gerichteten Plänen zu. Sie fanden
nicht allseitige Billigung. Zunächst wurden alle Anordnungen zur Er-
haltung des Landfriedens in Deutschland getroffen und sein Sohn zum
Reichsvikar diesseits der Alpen auf fünf Jahre ernannt. Dem Papste
versprach er, in Rom ohne seine Einwilligung keine Änderungen zu
treffen, nach der Lombardei und Toskana Reichsvikare zu entsenden,
welche die Rechte der Kirche verteidigen sollten, und in der nächsten
Zeit einen Kreuzzug zu unternehmen. In Lausanne leistete er (11. Oktober)
die von der Kurie geforderten Eide. Seine Streitmacht belief sich auf
3000 Mann. An dem Römerzug nahmen nur seine Brüder Baldewin
und Walram, einige Grafen aus der Nachbarschaft Luxemburgs und
Politische Lage Italiens bei der Ankunft Heinrichs VII. Die Signorie. 251
Herzog Leopold von Osterreich Anteil. Erst in Italien hoffte er mehr
Truppen an sich zu ziehen. Über den Mont Cenis gelangte er am
30. Oktober nach Turin. Sechzig Jahre waren vergangen, seit Italien
den letzten Kaiser gesehen. Nun mochten viele glauben, er komme,
die Politik Friedrichs II. wieder aufzunehmen. Das ganze Land geriet
in eine unruhige Bewegung. Die Lage der Dinge bei seiner Ankunft
hat er selbst geschildert1): »Allerorten hatten die Städte sich der Rechte
des Reiches bemächtigt; sie lagen nicht nur widereinander, sondern
auch in ihrem Inneren in Kampf und Fehde. Die stärkere Partei hatte
die schwächere vertrieben, und während jene zumeist unter die Herr-
schaft einer Familie oder eines kühnen Führers geriet, irrten die Ange-
hörigen der andern, ihres Besitzes beraubt und von Rachegefühlen be-
seelt, in der Fremde umher.« Überall lagen die Weifen mit den Ghi-
bellinen im Kampfe, aber es waren nur noch die Namen der alten
Parteien. Diese selbst hatten einen mannigfachen Wandel erlebt, und
die Unsicherheit der Zustände drückte auf alle. Schien es eine Zeitlang,
als sollte das Haus Anjou die Herrschaft über ganz Italien erringen,
so lähmten doch die Folgen der Sizilianischen Vesper seine Macht. Auf
Karl IL war dessen kraftvoller Sohn Robert gefolgt (1309 — 1343), der
eben erst in Avignon aus des Papstes Händen die Krone erhalten hatte
und Heinrich VII. mit Verhandlungen hinhielt. In den besten Kreisen
Italiens wurden auf den kommenden Kaiser die überschwänglichsten
Hoffnungen gesetzt2), vor allem dafs er die Gewalten der Stadttyrannen
vernichten werde. In den gröfseren Städten waren monarchische Ge-
walten — die Signorie oder Tyrannis — entstanden, deren Anfänge noch
in die Tage Friedrichs IL zurückreichen. In den einen hatte das Volk,
vom Wunsche nach Frieden beseelt, die oberste Leitung einem einzigen
Manne übertragen, in andern geschah dies wegen Erschöpfung der
Kräfte oder durch gewaltsame Anmafsung. Im allgemeinen erwuchs die
Signorie aus einer Reihe von Faktoren, die bald miteinander in Verbindung
treten, bald widereinander kämpfen. In Betracht kommen vier städtische
Amter : das des Podestä der Kommune, das Amt des Potestas merccdorum,
des Potestas populi und das Kriegskapitanat, Ämter, die erst — das eine
hier, das andere dort — auf ein, dann auf mehrere Jahre, endlich auf
Lebenszeit oder erblich verliehen und deren Amtsbefugnisse allmählich
zu einer unumschränkten Gewalt werden. Daneben ist es das kaiserliche
oder päpstliche Vikariat, durch dessen Verleihung Kaisertum und Papst-
tum die ursprünglich unrechtmäfsige Signorie legitimierten.3) Zu Beginn
des 13. Jahrhunderts wurden die Konsuln der Kommune durch einen
einzigen Podestä ersetzt, der keineswegs eine absolute Gewalt besafs : in
dem Podestä ist noch eine Art Fortleben der römischen Munizipal-
verfassung zu erkennen. Der Podestä wird aus der Nobilität einer
fremden Stadt genommen, damit er ohne Voreingenommenheit die Ge-
schäfte versehe. Er hat in der Regel nur eine einjährige Amtsdauer,
») Regg. 336.
2) Faustissimi cursus Henrici Caesaris ad Italiam anno primo schreibt Dante.
3) Salzer, S. 26, 27.
252 Ursprung der Signorie. Die alten Mächte Italiens.
die freilich bald vielfach beseitigt wurde. Der Podestä ist Anführer im
Kriege, oberster Richter und höchster Exekutivbeamter und als Richter
an die Statuten gebunden, die er beim Amtsantritt zu beschwören hat.
Als Führer der siegreichen Partei wird ihm dies Amt, ja selbst
mehrere Podestarien übertragen und allmählich die erbliche Herrschaft
mit erweiterter Machtbefugnis angebahnt. So entstand die Signorie des
Hauses Este in Ferrara, ebenso jene von Ravenna aus dem Podestat,
die übrigen zumeist aus dem Volkskapitanat ; schon 1259 war in Mailand
ein Volkspodestä auf Lebenszeit gewählt worden: Martin Torre, das
Haupt der Volkspartei; in andern Städten wie in Verona und Pia-
cenza ist neben dem Volkskapitanat der Podestat über die Merca-
danza der wichtigste Faktor für die Entstehung der Signorie. War
der Ursprung der Signorie nicht überall der gleiche, so war auch
ihre Wirkung eine verschiedene: wohltätig in der einen, verderblich in
der andern Stadt; sie war überdies nicht fest begründet, und ganz
unsicher war es, wie sich das Kaisertum zu ihnen verhalten würde.
Wie in Mailand das Haus della Torre, waren in Verona die della
Scala zur Macht gelangt. Solche Gewalten gab es in Pavia, Cremona,
Piacenza u. a. Xicht weniger als 14 grofse Städte Oberitaliens wurden von
ihnen beherrscht.1) Auch hatten sich noch einzelne Dynastenhäuser aus
älterer Zeit wie Montferrat, Piemont u. a. behauptet und verschie-
dene Städte, wenngleich unter schweren Parteikämpfen, ihre alte Freiheit
bewahrt oder wie Padua neu begründet. Wie im Osten von Oberitalien
die in loser Abhängigkeit vom Kaisertum stehende Republik Venedig,
deren aristokratische Verfassung eben jetzt zum Abschlufs kam, durch
ihre starke Herrschaft in den östlichen Meeren und ihren gewinnreichen
Handel die erste Stelle einnahm, so stand im Westen Genua trotz
seiner Kämpfe : gegen Venedig um die Herrschaft in der Levante, gegen
Pisa um die in den westlichen Aleeren und gegen Neapel und die be-
nachbarten Fürsten des Festlandes, mächtig da, wogegen Pisa, einst
die Vorkämpferin im Streit gegen die Sarazenen, durch die Niederlage
von Meloria (1284) gegen die Genuesen und die stetigen Kämpfe gegen
die toskanischen Rivalen Lucca. Siena und Florenz seine alte Macht ein-
gebüfst hatte. In Toskana war sie auf Florenz übergegangen. Die
Florentiner hatten die Schwächung der angiovinischen Macht benützt,
um ihre inneren Angelegenheiten selbständig zu ordnen. Sie schafften
den obersten, aus Ghibellinen und Guelfen bestehenden Rat ab und
schufen, ohne auf König Karls Wünsche Rücksicht zu nehmen, eine
neue Behörde : die aus den Popolaren gewählten sechs Prioren der
Zünfte (1282). Diese wurden auf Kosten der Stadt erhalten und wech-
selten alle zwei Monate ihr Amt, Es war die neue Signorie von
Florenz, ein Regiment von Kaufherren und Fabrikanten. Da sich
der Adel nicht darein finden konnte, von Popolaren beherrscht zu werden,
wurden 1293 strenge Gesetze, die ordinamenti della giusüzia, erlassen,
nach denen 37 der ersten Familien des Adels von den Priorenstellen
») Lindner, S. 209.
Ankunft Heinrichs YII. in Oberitalien. Krönung in Mailand. 253
auf immer ausgeschlossen wurden, so dafs der Adel schon an sich als
Strafe galt. Auch die Städte in den Gebieten, welche die Kirche als
ihr Eigentum beanspruchte, Bologna, Ravenna u. a. lagen in fortwährenden
inneren und äufseren Kämpfen widereinander; auch hier bildeten sich
trotz der päpstlichen Herrschaft Signorien aus, wie in Ravenna die des
Hauses Polenta, in Rimini die der Malatesta. In Rom stritten die
ghibellinisch gesinnten Colonna mit den weifischen Orsini. In Unter-
italien war Neapel durch den Vertrag von 1302 (s. oben) stark geschwächt,
im übrigen auch noch durch die eifersüchtige Rücksichtnahme auf das
Haus Aragon in Anspruch genommen.
2. So lagen die Dinge, als Heinrich VII. in Italien erschien. Seine
Boten wurden mit Beifall begrüfst und ihm selbst Gehorsam gelobt. Von
den Weifenhäuptern schlössen sich einige an; die lombardischen Städte
leisteten die Huldigung um so lieber, als der König alle gleichmäfsig
behandelte. Einzelne legten ihre Freiheit in seine Hände nieder und
empfingen von ihm ihre Vikare. Die verbannten Visconti führte er
nach Mailand zurück, das seit Otto IV. keinen Kaiser in seinen Mauern
gesehen. Guido de la Torre mufste sich demütigen. Heinrich VH.
selbst erhielt die Signorie. Er stellte sich über die Parteien. Die
alten Parteinamen sollten verschwinden. Am 6. Januar 1311 wurde
er in Mailand gekrönt. Aber bald türmten sich Schwierigkeiten auf:
der König war genötigt, die Städte zu besteuern, diese selbst unzufrieden
mit der Einsetzung kaiserlicher Beamten. Wenige Tage nach seiner
Krönung kam es in Mailand zu einem Tumult. Wohl wurde er nieder-
geworfen, aber schon wurde es deutlich, dafs der König aufserstande sei,
seine Mission als Friedensfürst zu erfüllen. Crema, Lodi, Cremona und
Brescia sagten sich los. Gezwungen, mit ihnen zu kämpfen, verlor er
kostbare Zeit. Die beiden ersten unterwarfen sich, Cremona wurde hart
gezüchtigt, nun leistete Brescia, das dasselbe Schicksal befürchtete, ver-
zweifelten Widerstand. Statt gegen Florenz zu ziehen, das den Wider-
stand gegen ihn organisierte, lag er vier Monate vor Brescia. Dort fiel
sein tapferer Bruder Walram; eine Seuche raffte einen Teil des Heeres
dahin ; auch die Königin nahm hier den Keim ihrer Krankheit in sich
auf, der sie am 13. Dezember in Genua erlag. Mittlerweile fiel Brescia.
Mit Rücksicht auf die Stimmung der Kurie wurde- es milde behandelt;
das gewann ihm aber nicht die Sympathien der Weifen, da die Häupter
der oberitalischen Ghibellinen auf seiner Seite standen. Über Pavia,
wo er eine Reichsversammlung abhielt, eilte er nach Genua und wurde
dort feierlich empfangeD. Wie es scheint, erwarteten die Genuesen von
ihm eine kräftige Förderung in der Levante. Sie übertrugen ihm die
volle Staatsgewalt, nahmen von ihm einen Statthalter und boten reiche
Geldunterstützung. Noch als er vor Brescia lag, hatte er mit König
Robert verhandelt; dieser sollte am Krönungstage in Rom erscheinen,
den Huldigungseid für die Provence leisten und Heinrichs Tochter mit
Roberts Sohn vermählt werden. Die Verhandlungen führten jedoch zu
keinem Ergebnis; auch die mit Frankreich wegen Abschlusses eines
Freundschaftsbündnisses und der Belehnung des französischen Prinzen
254 Die Kaiserkrönung Heinrichs VII. und König Robert.
Philipp mit Burgund, sowie jene mit Klemens V. wegen der Formalien
der Kaiserkrönung zogen sich in die Länge. König Robert, der das
Wiederaufleben der Ansprüche nach Konradin befürchtete, benützte den
Streit zwischen den Häusern Colonna und Orsini, um Rom zu besetzen,
betrieb die Aufrichtung eines Bundes mit den weifischen Städten Tos-
kanas, vornehmlich mit Florenz, über das Heinrich VII. am 24. Dezember
1311 die Reichsacht verhängte. Den Abfall der Weifen beantwortete
Heinrich damit, dafs er den waffen gewaltigen Grafen Wrerner von Hom-
burg zum Generalkapitän der Reichsgetreuen in der Lombardei — der
Parteiname der Ghibellinen wurde vermieden — ernannte. Am 16. Februar
1312 schiffte er sich mit 800 Mann in Genua ein und gelangte am
6. März nach dem getreuen Pisa, das nun der Stützpunkt seiner Macht
wurde. Lucca, Siena, Parma und Reggio wurden in die Reichsacht
erklärt. Vom ghibellinischen Adel begrüfst, hielt er am 7. Mai seinen
Einzug in Rom. Da sich St. Peter mit den anliegenden Stadtteilen in
den Händen der von König Robert unterstützten Weifen befand, denen
in der Stadt selbst blutige Treffen geliefert werden mufsten, liefs er sich
am 29. Juni 1312 im Lateran durch die vom Papst beauftragten Kar-
dinäle zum Kaiser krönen.
3. Sein nächstes Ziel war die Unterwerfung König Roberts. Zu
diesem Zwecke schlofs er ein Bündnis mit König Friedrich von Sizilien.
Dies und das selbstherrliche Auftreten Heinrichs VII. hatte eine Ver-
stimmung des Papstes zur Folge, die von den Weifen und Frankreich
genährt wurde. Die Erinnerungen an die Staufer wurden wieder lebendig.
Doch zögerte der Papst, mit den schärfsten Waffen vorzugehen. Er
verlangte bei Strafe des Bannes Räumung Roms, Waffenstillstand mit
Robert auf ein Jahr und das Gelübde, Neapel nicht anzugreifen. Dem-
gegenüber verteidigte der Kaiser sein Vorgehen in kräftiger Weise1),
kam aber dem Papste soweit entgegen, dafs er Rom verliefs und den
Krieg gegen Robert auf das nächste Jahr verschob. Dagegen beschlofs
er, Toskana zu unterwerfen. König Robert wurde schon jetzt vor sein
Tribunal geladen, um sich wegen des Hochverrates, den er durch seine
Verbindung mit Rebellen begangen, zu verteidigen. Obwohl der Kaiser
reichlichen Zuzug aus Deutschland und Italien erhalten hatte, war er
gezwungen, die Belagerung- von Florenz nach sechswöchentlicher Dauer
aufzuheben. Den Winter über weilte er in Toskana und gründete an
der Stelle des von den Weifen zerstörten Poggibonsi, eines wichtigen
Knotenpunktes der Strafsenzüge von Florenz, Siena und Pisa, eine neue
Stadt, Kaisersberg. Mit Eifer wurden die Zurüstungen zum nächsten
Feldzug betrieben. Robert, welcher der Zitation keine Folge geleistet,
wurde zum Reichsfeind, die feindlichen Städte und einzelne Personen
ihrer Freiheiten verlustig erklärt, Anfangs März zog er wieder nach
Pisa. Indem er König Robert seines Reiches entsetzte und mit dem
*) Die Einzelheiten bei Lindner I, 255. Die Antwort des Papstes erschien erst
nach dem Tode des Kaisers am 21. März 1214. Sie hält alle Ansprüche der Kurie
aufrecht. Ebenda S. 387.
Heinrich VII. u. Klemens V. Das Ende Heinrichs. 255
Tode bedrohte, den Konradin erlitten, mufste er mit dem Papst in
Streit geraten. Klemens V. kam den Angiovinen zu Hilfe : er sprach
gegen alle, die wider Neapel zu Felde ziehen würden, den Bann aus.
Dagegen suchte der Kaiser den Papst eines Besseren zu belehren und
bat ihn um Beistand, um nach Roberts Niederwerfung den Kreuzzug
antreten zu können. Heinrich VII. täuschte sich über die Lage der
Dinge : der Papst handelte eben ganz unter Frankreichs Einflufs. Mittler-
weile hatte König Johann von Böhmen einen Reichstag in Nürnberg
gehalten (1313, Januar). Ein starkes Hilfsheer sollte in der kühleren
Jahreszeit von Zürich aus nach Italien ziehen und zwei Bräute den Zug
begleiten : Katharina von Österreich, die den verwitweten Kaiser, des
Kaisers Tochter Beatrix, die Pedro von Sizilien heiraten sollte. Schon
hatte der Kaiser in Pisa ein Heer versammelt, die Genuesen 70, die
Pisaner 20, Friedrich von Sizilien 50 Galeeren aufgebracht und letzterer
Reggio in Unteritalien genommen. Die Ghibellinen wurden zu kräftiger
Mitwirkung aufgefordert. Den Florentinern entfiel der Mut, König Robert
dachte bereits an die Flucht in die Provence. Am 8. August verliefs
der Kaiser Pisa; am 1. September wollte er in Ostia stehen, um Friedrich
von Sizilien die Hand zu reichen. Schon seit längerer Zeit hatte er
sich krank gefühlt, der heifse Sommer und die Aufregung steigerten
seine Abspannung. Als er in die Nähe von Siena kam, war seine Kraft
zu Ende. In Buonconvento brach er zusammen. Nachdem er das
Abendmahl aus den Händen eines Dominikanermönches genommen, starb
er am 24. August 1313. Bald vernahm man das irrige Gerücht, dafs
ihm der Mönch beim Abendmahl Gift gereicht habe. Das Kloster in
Pisa wurde gestürmt, und auch in Deutschland hatten die Dominikaner
unter schweren Anschuldigungen zu leiden. Das Heer löste sich auf.
Die Leiche des Kaisers wurde unter allgemeinem Wehklagen der Bürger
im Dome zu Pisa beigesetzt. In die Wehklagen stimmten alle
Ghibellinen Italiens ein : allen voran Dante, der nun seine Hoffnungen
geknickt sah.1) Im Lager seiner Feinde wurde die Nachricht von Hein-
richs Tode mit ungemessenem Jubel begrüfst. Wohl wünschte Friedrich
von Sizilien, den Krieg fortzusetzen, aber die Deutschen kehrten heim.
Auch in Deutschland wurde die Trauerkunde mit tiefem Schmerze auf-
genommen. Von dieses Kaisers Taten und seinem Tode sangen die
Lieder fahrender Sänger; war es auch nur ein Phantom, dem er nach-
gestrebt hatte : die Erneuerung des Kaisertums war immerhin im Sinne
der grofsen Kaiser des Mittelalters.
x) Paradies XXX, 133—138.
2. Abschnitt.
Kaiser- und Papsttum iin Zeitalter Ludwigs des Bayers.
1. Kapitel.
Ludwig der Bayer und Friedrich der Schöne von Österreich
Ms zur Schlacht hei Mühldorf (1314—1322).
§ 58. Die Doppelwahl des Jahres 1314.
Quellen. Urkk. u. Briefe: Böhmer, Regg. K. Ludwigs d. B. und seiner
Zeit Fkft. 1839. Dazu Additamenturn I — III. Acta imperii selecta wie oben. Acta
imp. ined. wie oben. Riezler, Urkk. z. bayr. u. deutsch. Gesch. 1256 — 1343. Forsch. XX.
Briefe L. d. B. Böhmer FF. 1. Urkk. Ludwigs in Oefele, Rer. Boic. SS. I. 60 Urkk.
Ludwigs mitget. v. Weech, Oberb. Arch. XXm. Häutle, Beitt. zum Itinerar K. Ls.
Forsch. XE LYkk. z. Gesch. des Römerzuges K. L. d. B , herausg. von Ficker. Inns-
bruck 1865. Urk. Beitr. z. Gesch. K. Ludwigs IV., herausg. v. Höfler. Oberb. Arch. I.
Löher, Vatik. Urkk. z. Gesch. L. d. B. Arch. Z. V, VI. J. H. Reinkens, Ausz. a. d. Urkk.
d. vatik. Archivs von 1315 — 1334 in W. Preger, Die Anfänge d. kirchenpol. Kampfes.
München 1882 u. die Verträge L. d. B. Ebenda 1883. Abh. d. bayr. Ak. — Vatik.
Akten zur D. Gesch. in der Zeit L. d. B., herausg. v. Riezler. Innsbr. 1891. Xachtr.
HJb. XJH. Schwalm, Reiseberichte. NA. XXLH, XXV. Cipolla e Philippi, wie § 57.
Urkk. zur Gesch. einzelner Landschaften d. Zeit s. Dahlmann-Waitz-Steindorff 2911
bis 2913, 2922. Kleinere urkk. Beiträge z. Gesch. L. d. B., ebenda 2915. Zur Gesch. Friedr.
des Schönen: Das Register Nr. 318 des Arch. der arag. Krone in Barcelona. Briefe
Jakobs II. v. Aragon an Friedr. d. Seh. 1314 — 1327, her. v. H. v. Zeifsberg. SB.
Wien. Akad. CXL. Wien 1898. U/rkk. aus dem Arch. d. Krone v. Aragon in Zeifs-
berg, Elisabeth von Aragonien, Gemahlin Friedr. d. Seh. v. Österreich. 1314 — 1330.
SB. Wien. Ak. CXXXVII. Biik, Regg. in Lichnowsky, Gesch. d. H. Habsburg HL
Die Geschichtschreiber verzeichnet Böhmer in den Regg. Die wichtigsten
unter den deutschen sind : Vita Lud. imp., ed. Böhmer FF. I. (Lit. b. Dahlm.-Waitz-
Steindorff 2884.) Monach. Fürstenfeld. Chronica de gestis prineipum 1273 — 1326,
ebenda (Lit. DWSt. 2862). Bayrische Fortsetzung der Sächsischen Weltchronik, her.
v. Weiland. D. Chron. H. Von bes. Wichtigkeit sind die Berichte Peters von Zittau
in den Königsaaler GQ. FF. rer. Austr. I. Abt. VLH. (S. auch DWSt. Xr. 2864.) Johannes
Victoriensis, das Chronic. Sampetr. Erphord. (DWSt. 2865), die Reinhardsbrunner Annal.
wie oben. Johann v. Winterthur, Chronicon, ed. Wyfs. Zur. 1856. Heinrich (von
Eichstätt), Fortsetzung der Flores temporum, fortges. v. Heinrich dem Tauben bis 1362.
(Lit. DWSt. 2869). Chronicon de ducis. Bavar. 1311—1372. Böhmer, FF. rV. (DWSt.
2871.) Matthias v. Xeuenburg, Chronic. 1273—1350 u. 1378 in Böhmer, FF. IV und
Studer 1866. (Lit. bei DWSt. 2873.) Heinricus de Hervordia, Lib. de reb. memora-
bilioribus bis 1355, ed. Potth. 1859. Konrad von Halberstadt, Chronicon bis 1353, ed.
Wenck. Forsch. XX. Heinrich Truchsefs von Diessenhoven, Fortsetzung des Tolom.
v. Lucca 1316—1361. Böhm. FF. TV. Von Städtechroniken kommen die Strafsburger
u. Magdeburger in Betracht. Städtechron. VH, "VJJJL. Die Annales Austriae wie oben.
Für den Römerzug Albertinus Mussatus, Lud. Bavarus. Böhm., FF. I. Cortusiorum
Historia. Mur. XU. Villani, wie oben. Die Quellen z. Papstgesch. s. unten. Desgl.
die kirchenpol. Schriften.
Politische Lage in Deutschland nach dem Tode Heinrichs VII. 257
Hilfsschriften. Ein Verzeichnis älterer und neuerer Darst. über die Gesch.
Ludwigs s. in Riezler, Ludwig IV., der Bayer, röm. König in d. ADB. XIX, 475 — 476.
S. auch Afsmann-Viereck, Gesch. d. MA. S. 102. Das Wichtigere (mit Ausschlufs des
Veralteten; Olenschlager noch wegen des Urk.B. wie oben) ist: Kopp, wie oben.
Riezler, Gesch. Bayerns H (enth. von S. 259 an eine ausgez. Darstellung der Gesch. Ls.).
Heidemann, Lindner, Mayer, v. Krones, Huber, Gesch. Österr., wie oben. Kurz,
Gesch. Österr. unter Friedr. d. Seh. Linz 1818. österr. unter Albrecht H., ebenda 1819.
Loserth, F. d. Schöne. ADB. VH. Zeifsberg, s. oben. Weech, K. Ludwig
d. B. u. Johann v. Böhmen. München 1860. C. Müller, Der Kampf Ludwigs d. B.
mit der röm. Kurie. Tübingen 1879. 2 Bde. Palacky, Bachmann, Schotter,
Dominicus und die allg. Werke über deutsche Gesch., wie oben. Zur Wahl von 1314 :
Mühlin g, Gesch. der Doppelwahl d. J. 1314. München 1882. Fischer, Ludwig IV.
Nordhausen 1882. Kunze, Die pol. Stellung d. niederrhein. Fürsten 1314 — 34. Göttingen
1886. Priesack, Die Reichspolitik des Erzb. Balduin v. Trier. Götting. 1894. Wenck,
Franz. Werbungen um d. d. Königskrone. HZ. 86, 253. S. auch § 60 u. Kap. TL.
1. Nach Heinrichs VII. Tode schien es sich lediglich darum zu
handeln, welchem der beiden Häuser, die zuletzt die Krone besessen,
der Vorrang zuerkannt würde, denn die Kandidatur Karls von Valois
oder des Grafen Ludwig von Evreux schien ebenso aussichtslos wie die
der oberbayerischen Herzoge u. a. ; die Lage War diesmal für Habsburg
günstiger. Zwar hatte Peter von Aspelt noch eine mafsgebende Stellung,
auch war zu erwarten, dafs er als Begründer der luxemburgischen Herr-
schaft in Böhmen in Gemeinschaft mit Baldewin von Trier für König
Johann von Böhmen eintreten werde. Aber schon hatte seine Macht
eine Einbufse erlitten. Köln stellte sich aus Eifersucht auf Mainz auf
Habsburgs Seite. «Schon 1312, als Heinrich VII. in Italien schwer er-
krankt war, hatten sich die Beziehungen des Pfalzgrafen Rudolf zu
dem Kaiser und demnach zur ganzen luxemburgischen Partei ver-
schlechtert.
Friedrich war eine männlich schöne Erscheinung, tapfer und von ritterlicher
Gesinnung, reichte aber an diplomatischer und militärischer Begabung weder an seinen
Vater noch in letzterer Hinsicht an seinen Bruder Leopold, »die Blume der Ritter-
schaft«, heran. Diplomatisch begabter war ein anderer Bruder, Albrecht TL. »der
Weise«. In der Zeit, als sein Einverständnis mit Luxemburg sich innig gestaltete (1311)
und auch wegen der italienisch - sizilischen Verhältnisse ein solches mit Aragonien
erwünscht war, hatte er um die Hand der Infantin Elisabeth, der Tochter König
Jaymcs von Aragonien geworben. Die Verbindung kam 1314 zustande. Wenige Tage,
nachdem die fremde Königstochter ihren Einzug in Wien gehalten, konnte sie in die
Heimat berichten, dafs ihr Gemahl bei der bevorstehenden Königswahl auf vier
Stimmen, Köln, die Pfalz, den Herzog Rudolf von Sachsen und den Markgrafen Hein-
rich von Brandenburg rechnen könne. Auch stand Heinrich von Kärnten, der sich
immer noch als König von Böhmen betrachtete, auf Seiten Habsburgs.
Friedrichs Aussichten waren um so günstiger, als König Johann
von Böhmen kaum auf die Zustimmung der Kurie rechnen konnte und
in den Kreisen der Kurfürsten seine allzu grofse Jugend wider ihn geltend
gemacht wurde. Zum Unglück für Friedrich war ein Krieg zwischen
Österreich und dem Herzog Ludwig von Oberbayern ausgebrochen. Im
wittelsbachischen Hause lagen die Herzoge Rudolf von Oberbayern und
Pfalz und sein Bruder Ludwig seit langem im Streite. Stand jener schon 1291
auf Seiten der Gegner Habsburgs, so war Ludwig durch seine Mutter
Mechthild, eine Tochter König Rudolfs, in den Sympathien für Habsburg
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 17
258 Sieg Herzog Ludwigs von Bayern bei Gammelsdorf.
erzogen worden und nach seines Vaters Tod (1294) nach Wien gegangen,
wo er unter den Kindern Albrechts I. aufwuchs. 1302 übernahm er
mit seinem Bruder die Regierung, was bald zu Streitigkeiten führte.
Im Jahre 1310 war Herzog Stephan, 1312 Otto von Niederbayern ge-
storben. Nach einer letztwilligen Verfügung hatte Ludwig die Vormund-
schaft über ihre minderjährigen Söhne übernommen ; da ihm sein Bruder
Rudolf feindlich gegenüberstand , suchte und fand er Anlehnung an
Österreich, und bahnte ein Verlöbnis eines der minderjährigen Herzoge
mit einer habsburgischen Prinzessin an. Sowohl der Einflufs Österreichs
als der Steuerdruck der Regierung erregten in den niederbayerischen
Städten grofse Unzufriedenheit. Indem sie sich an Rudolf hielten, ward
Ludwig genötigt, die Vormundschaft mit ihm zu teilen. Auch mufste
er ihm die Führung der Kurstimme überlassen (1313, 21. Juni). Die
Folge hievon war, dafs nun auch das habsburgische Verlöbnis gelöst
wurde. Die Habsburger waren hierüber sehr erbittert; zudem hatten
sich nicht nur die ihres Einflusses beraubten Herzogin- Witwen, sondern
auch ein Teil des niederbayrischen Adels an diese um Hilfe gewandt.
Darüber kam es zum Kriege. Die österreichischen Herzoge Friedrich
und Leopold bereiteten von Schwaben aus einen Einfall vor, ein zweites
Heer sollte in Bayern eindringen und wurde hiebei von einem unga-
rischen Heerhaufen unterstützt. Bayern kam in grofse Not. Herzog
Ludwig sammelte indes mit ausserordentlicher Tatkraft ein Heer; ehe
sich noch die im Osten andringenden Österreicher mit den Heeres-
abteilungen aus dem Westen vereinigen konnten, brachte er jenen am
9. November 1313 bei Gammelsdorf in der Nähe von Landshut eine
schwere Niederlage bei. Dieser Sieg verbreitete Ludwigs Ruhm mehr,
als er es nach seinen Folgen verdient hätte, verschaffte ihm den Ruf
eines volkstümlichen Helden und hob ihn weit über seinen älteren Bruder
empor.1) Friedrichs Thronbewerbung geriet nun eine Zeit lang ins Stocken,
bis sich die beiden Gegner versöhnten. Schien damit Friedrichs Bewerbung
wieder auf festerem Boden zu stehen, so waren anderseits Trier und
Mainz zur Einsicht gelangt, dafs Johanns Wahl nicht durchzusetzen sei,
und boten nun das Reich dem sieggekrönten Herzog Ludwig an. Hiedurch
gewannen sie auch die böhmische Stimme, die durch Johanns Bewerbung
gebunden gewesen. Auch diesmal wurden den Wählern grofse Zusiche-
rungen gemacht. Die gröfsten Schwierigkeiten fand Ludwig bei seinem
Bruder Rudolf, der auf Habsburgs Seite trat, da seine eigene Kandidatur
aussichtslos war. Dagegen gewann Ludwig den Markgrafen Waldemar
von Brandenburg; zu ihm hielt auch Sachsen -Lauenburg, während
Sachsen- Wittenberg auf der Seite Habsburgs verblieb. So rückte der Wahl-
tag — der 19. Oktober — heran. Die alte Wahlstatt, die Frankenerde bei
Frankfurt, war von der luxemburgischen Partei besetzt. Die Österreicher
lagerten in Sachsenhausen. Sie schlugen die Einladung Peters, sich zur
Wahl an dem Wahlorte einzufinden, aus; noch an demselben Tage wählten
x) TJnde ob hoc nomen säum celebre atqne praeclara gloria ipsins in auribus
multorum yrincipum latius se diffundebat, sagen die ganz gleichzeitigen Königsaaler
Geschichtsquellen.
Die zwiespältige Königswahl. Ludwig v. Bayern u. Friedrich v Österreich. 259
Köln, Pfalz, Sachsen -Wittenberg und Heinrich von Kärnten, der die
böhmische Stimme beanspruchte, den Herzog Friedrich zum König. Am
folgenden Tage vollzog die luxemburgische Partei die Wahl : Ludwig
wurde von Mainz, Trier, Böhmen, Sachsen-Lauenburg und Waldemar
von Brandenburg, dem einige Tage später auch Heinrich von Branden-
burg zustimmte, gewählt. Frankfurt öffnete ihm die Tore und die Kur-
fürsten brachten ihm in der Bartholomäuskirche ihre Huldigung dar.
Ludwig ragte gleich seinem Gegner durch Wohlgestalt, Mut, persönliche Tapfer-
keit und ritterliche Gesinnung vor andern hervor. Sonst waren freilich in seinem
Charakter ganz entgegengesetzte Eigenschaften vereint, wie es ein Zeitgenosse sagt :
»Töricht zugleich und klug, achtlos und sorgvoll, träge und ungestüm, niedergeschlagen
und heiter, kleinmütig und tapfer, bei allem Unglück glücklich.«1) Ohne gelehrte
Bildung, nannte er sich nicht ohne Absicht einen Krieger, der von gelehrten Sachen
nichts verstehe.
Es gab nun zwei Könige im Reiche. Statt sieben waren neun
Stimmen abgegeben worden, von denen freilich die eine Seite der andern
einen Teil bestreiten konnte. Waren auf Ludwig vier, auf Friedrich nur
zwei gültige Stimmen gefallen, so war zu jener Zeit der Majoritätsstand-
punkt nicht das einzige Kriterium für die Rechtmäfsigkeit einer Wahl.
Gröfseren Wert legte man darauf, dafs die Krönung von dem recht-
mäfsigen Erzbischof und am rechten Orte vollzogen wurde. Hier weisen
beide einen Mangel auf: beide wurden am 25. November gekrönt; König
Ludwig zu Aachen, aber nicht von dem Kölner Erzbischof, Friedrich
zwar von diesem, aber in Bonn. Die vornehmsten Kriterien für die
Rechtmäfsigkeit der Wahl waren sonach nach beiden Seiten hin verteilt.2)
Doch hatte Ludwig den Vorteil, dafs er sich im Besitz der Reichs-
kleinodien befand. Da keine staatsrechtlichen Bestimmungen über die
Rechtmäfsigkeit der Wahl vorlagen, auch keine der beiden Parteien die
Entscheidung bei der Kurie suchte, mufsten die Waffen entscheiden.
§ 59. Die Entstehung der schweizerischen Eidgenossenschaft.
Quellen. S. Wyfs, Gesch. d. Historiographie in der Schweiz. Zürich 1895
S. 73 — 104. Öchsli, Die histor. Schriften d. Eidgenossenschaft. Zürich 1869. Segesser,
»Amtliche Sammlung der älteren eidgen. Abschiede«. Bd. 1. 1245 — 1420, 2. 1421 — 1477.
Luzern 1874. Kopp, Urkunden zur Gesch. d. eidgen. Bünde. 2 Bde. Luzern u. Wien
1835 u. 1851. Urkunden zur Schweizer Gesch. Herausg. v. Thommen. 1. Bd. (bis 1370).
Basel 1899. Bd. H bis 1410. Ebenda 1901. Die Bundesbriefe der alt. Eidgen. 1291—1533.
Zusammengest. v. J. J. v. Ah. Einsiedeln 1890. Das älteste Tellenlied u. Auszüge aus
der Chronik des weifsen Buches von Samen bei Dändliker S. 626. Über die hist.
Volkslieder der Eidgenossen s. Wyfs, S. 102 — 104. ,
Hilfsschriften: Aufser Kopp IV, 2, A.Hub er, Die Waldstätte Uri, Schwyz
und Unterwaiden bis zur festen Begründung ihrer Eidgenossenschaft. Mit einem An-
hang über die gesch. Bedeutung des Wilhelm Teil. Innsbr. 1861. W. Vis eher, Die
Sage von der Befreiung der Waldstätte nach ihrer allmählichen Ausbildung. Leipz. 1867.
Rilliet, Les origines de la confederation Suisse. Histoire et legende. 2. A. Genf 1868.
Deutsch 1873. Hungerbühler, Etüde critique sur les traditions relatives aux origines
de la confäderation Suisse. Geneve et Bäle 1869. Meyer von Knonau, Die Sage
von der Befreiung der Waldstätte. Basel 1873. Rochholz, Teil u. Gefsler in Sage
x) Matth. v. Neuenburg, ed. Stuttg., S. 56.
2) Daher sagt Johannes v. Victring : Iliacos intra muros peccatur et extra.
17*
260 Die Entstehung der Schweizer Eidgenossenschaft.
u. Geschichte. Heilbr. 1877. Öchsli, Die Anfänge der Schweizer Eidgenossenschaft.
Bern 1891. G. v. Wyf s, Das Reichsland Uli in den Jahren 1218—1309. P. Schweizer,
Die Freiheit der Schweizer. Jb. Schw. Gesch. X. Dierauer, Gesch. der schw. Eid-
genossenschaft. 1887, Dändlicker, Gesch. d. Schweiz I. Bresslau, Das älteste Bündnis
d. Schweizer Urkantone. Jb. Schweizer Gesch XX. (S. auch AZ. 1892. Nr. 202.)
Walter, Gründung u. Gründer d. Eidgen. in Gesch. u. Sage. Winterth. 1897.
1. Der Kampf zwischen den beiden Gegenkönigen mufste im süd-
lichen Deutschland, wo ihre Hauptmacht lag, ausgefochten werden. Der
Norden des Reiches kümmerte sich seit den Tagen Friedrichs II. wenig
um die Kämpfe des deutschen Königtums. Hatte Friedrich eine gröfsere
Hausmacht, so besafs Ludwig von Bayern einen gröfseren Anhang unter
den Fürsten, und war Habsburgs Macht in Schwaben und am Oberrhein
eine ausschlaggebende, so war die Ludwigs in Franken, am Mittel- und
Niederrhein die stärkere. Auf Seiten des Witteisbachers stand die Mehrheit
der Reichsstädte. Blieb Ludwigs Bruder Rudolf fest auf Österreichs Seite,
so kam jenem dagegen die schwere Niederlage zustatten, die Friedrichs HI.
tatkräftiger Bruder Herzog Leopold durch die Schwyzer erlitt. Diesen
Kämpfen dankt die schweizerische Eidgenossenschaft ihre
Entstehung. — Die Urkantone der Schweiz liegen östlich und südlich
vom Vierwaldstätter See: Schwyz, Uri, Unterwaiden. Schon im
achten Jahrhundert wird das Tal von Uri genannt. Der »Stier« ist
sein charakteristisches Landesabzeichen schon im ersten Landessiegel
von 1243. ^ Grund und Boden waren in verschiedenen Händen: Da
waren freie Leute, die ihre Güter als Eigen besafsen, dann einheimische
und fremde Adelsgeschlechter, unter ihnen die von Attinghausen und
die Grafen von Rapperswyl. Der wichtigste Teil von Uri endlich war
ursprünglich königliches Gut, das, durch Schenkung an die Frauen-
münsterabtei Zürich gekommen (853), im Namen der Äbtissin durch
Meier verwaltet wurde. Diese handhabten auch die niedere Gerichts-
barkeit über die auf den Stiftsländereien sitzenden Hörigen, Leibeigenen
und freien Zinsleute. Die Leute des ganzen Tales bildeten eine Mark-
genossenschaft und benützten gemeinsam das unverteilte, aus Wiesen
und Weiden bestehende Land. So bildete sich frühzeitig eine wirt-
schaftliche Einheit aus, die allmählich durch die zu bestimmten Zeiten
des Jahres abgehaltene Gemeindeversammlung zu einer politischen
wurde.2) Die dem Stifte zugehörigen Leute waren politisch vor den
andern bevorzugt : sie waren vom Gericht und der Gewalt der Gaugrafen
befreit und konnten nur von dem im Namen des Königs bestellten Vogt
des Stiftes belangt werden. Zweimal im Jahre hielt dieser unter der
Linde zu Altdorf Gericht über die Leute des Stiftes, mochten sie jetzt
Freie oder Unfreie sein. Die übrigen Urner standen unter dem Gericht
der Gaugrafen, bis schliefslich das ganze Urnerland unter die hohe Ge-
richtsbarkeit des Stiftes von Zürich gelangte. Die Gewalt als Reichs-
vögte hatten zuerst die Lenzburger, dann die Zähringer. Diese starben
1218 aus, worauf Friedrich IL die Reichs vogtei in Zürich auflöste und
*) Dändliker I, 314.
*) Ebenda, S. 315.
TJri, Schwyz und Unterwaiden. 261
die Schirmvogtei des Frauenmünsterstiftes an das Reich zurücknahm.
In Uri behielt die Abtei nur i-hr Einkommen und ihre Gefälle; die
landeshoheitlichen Rechte kamen an den Grafen Rudolf von Habsburg,
einen Freund des Kaisers. Die Urner »Gotteshausleute« verloren da-
mit ihre Immunität, und das ganze Tal kam in Gefahr, habsburgisches
Untertanenland zu werden. Erst König Heinrich, der Sohn Friedrichs II.
löste »seine getreuen alle Männer des Tals Uri« aus Habsburgs Besitz
und nahm sie wieder zuhanden des Reiches.1) Von jetzt an stand
Uri als unmittelbare Reichsvogtei unter dem König oder Kaiser, der
mit dem aus der Zahl der Landleute gesetzten »Amman« direkt ver-
kehrte. Als Rudolf König wurde, erkannte er die Reichsunmittelbarkeit
der Urner an (1274).
2. Anders lagen die Dinge in Schwyz. Hatten auch hier aus-
wärtige Stifte und weltliche Herren Grundeigentum mit unfreien In-
sassen, so gab es doch der Mehrheit nach noch freie Bauern, die keine
Grundherrschaft hatten und nur die Grafen des Zürichgaues als Ver-
treter des Königs und der Reichsgewalt anerkannten. An diese — es
waren im 12. Jahrhundert die Grafen von Lenzburg — mufsten die
freien Schwyzer eine Vogtsteuer entrichten. Nach ihrem Aussterben
kamen die landgräflichen Rechte an die Habsburger. Die Schwyzer
machten zwar den Versuch, sich aus diesem Verhältnis zu lösen und
erhielten von Friedrich II. einen Schutzbrief mit der Versicherung, dafs
sie zu keiner Zeit der Herrschaft und Gewalt des Reiches entzogen
werden sollten : nichtsdestoweniger mufsten sie aber doch dem Grafen
Rudolf Treue schwören und sich verpflichten, keinem andern als ihm
anzuhängen. Erst als Rudolf H. (von der Laufenburger Linie) nach der
Absetzung Friedrichs IL ins päpstliche Lager übertrat, griffen sie gegen
Habsburg zu den Waffen und schlössen — es ist das erste eidgenössische
Bündnis, von dem wir Kunde haben — einen Bund mit Unter-
waiden und Luzern.2) Der Ausgang des Kampfes zwischen Staat und
Kirche machte auch dieser »ghibellinischen Vereinigung am Vierwald-
stätter See« ein Ende, und die Habsburger nahmen ihre landgräflichen
Rechte wieder zuhanden. Aber die einmal erlangte reichsunmittel-
bare Stellung blieb unvergessen. Als Rudolf König wurde, behielt er
die Landgrafschaft in seinen Händen. Damit waren die Schwyzer tat-
sächlich reichsunmittelbar. Wie die Urner bildeten auch sie eine Ge-
meinschaft. Im Jahre 1281 führen sie ein eigenes Siegel mit dem
Bildnis des hl. Martinus, des Schutzpatrons von Schwyz. Als Stellver-
treter der königlichen Herrschaft fungierte ein Landamman.
3. Wieder anders waren die Zustände in Unterwaiden, ein
Name, der seit dem 14. Jahrhundert vorkommt. Das Land war durch
die Sarner und Engelberger Aa in Obwalden und Nidwaiden ge-
schieden. Der westliche Teil gehörte zu der Grafschaft im Aargau,
der östliche (wie Uri und Schwyz) zum Zürichgau. Der gröfste Teil des
*) Dierauer, S. 85.
*) Dierauer, S. 91 ff.
262 Der ewige Bund von 1291 und seine Bedeutung.
Grundbesitzes war in den HändeD der Habsburger, des niederen Adels,
einiger Gotteshäuser und freier Bauernschaften. Die Landgrafschaft
besafsen auch hier die Habsburger, wie sie auch die Vogtei über die
Gotteshäuser innehatten. Aus denselben Gründen und zu derselben
Zeit wie die Schwyzer bildeten auch die Unterwaldner eine Gemein-
schaft. Von den drei Landschaften hatte nur Uri die Stellung eines
von der gräflichen Gewalt eximierten reichsunraittelbaren Territoriums.
Nicht so gesichert war die Stellung der Schwyzer, doch standen auch
sie noch in direkter Verbindung mit König und Reich. Ihre Stellung
zu sichern, waren sie eifrig bedacht, und von ihnen ist zweifellos die An-
regung zu einer dauernden Verbindung der drei Landschaften ausgegangen.
17 Tage nach dem Tode König Rudolfs, am 1. August 1291 schlössen
Schwyz, Uri und Unterwaiden einen ewigen Bund, einander
gegen alle feindlichen Angriffe beizustehen. Dieser Bund ist die
Erneuerung eines älteren1), der in den Zeiten Friedrichs IL ab-
geschlossen worden war. Ist er zunächst auch nur ein Defensivbund,
bestimmt, Gewalt und Unrecht abzuwehren und bezweckte er nur die
Erhaltung des einheimischen, von fremden Einflüssen unabhängigen
Gerichtsstandes , so nimmt er doch gegen Habsburg Stellung. Der
Bundesbrief ist das älteste Dokument der schweizerischen Eidgenossen-
schaft.2) Nachdem die Waldstätte den ersten Schritt getan, schlössen
sie (1291, 16. Oktober) unbedenklich mit Habsburgs Gegnern in Ober-
schwaben ein Bündnis auf drei Jahre und griffen die habsburgischen
Besitzungen an. Vom König Adolf erwirkten die Schwyzer die Be-
stätigung ihres Freiheitsbriefes von 1240; einen gleichlautenden erhielten
auch die Urner. Nach Adolfs Tod mufsten sie allerdings wieder Öster-
reichs Herrschaft anerkennen.3) Von einem tyrannischen Regiment, das
König Albrecht geführt hätte, ist keine Rede; vielmehr blieben die
Rechte der Landschaften ungekränkt. Nach Albrechts Tode nahmen sie
ihre Bestrebungen wieder auf, und unter Heinrich VII. erhielten nicht
blofs die Schwyzer und Urner die Bestätigung ihrer Freiheiten, diese
wurden nun auch auf Unterwaiden ausgedehnt. So wurde auch dieses
reichsunmittelbar. Die Waldstätte standen unter einem Reichsvogt und
waren von jedem auswärtigen Gerichte mit Ausnahme des kaiserlichen
Hofgerichtes befreit. »Dem Reiche gegenüber bildeten Uri, Schwyz
und Unterwaiden fortan eine anerkannte Einheit«.4) Osterreich
war aber nicht gesonnen, alte Rechte preiszugeben; nach seiner Ver-
söhnung mit Heinrich VII. war ihm auch dessen Unterstützung sicher,
und nur der frühe Tod des Kaisers bewahrte die Waldstätte davor,
sich wieder unter Habsburg beugen zu müssen. Während des Zwischen-
reiches gingen die Schwyzer schon angriffsweise vor, indem sie das unter
Habsburgs Schirmvogtei stehende Kloster Einsiedeln überfielen und
1) Antiquam confederationis formam iuramento vallotam presentibus innovando,
2) Näheres bei Dierauer I, 100.
3) In dieser Zeit erhielt das habsburgische Urbarbuch seine definitive Gestalt.
S. Schweizer im YI1I. Bd. d. JB. f. Schw. Gesch. 143 ff.
4) Dierauer, S. 113.
Die Schlacht zu Morgarten und die Erneuerung des ewigen Bundes. 263
plünderten. Dieser grobe Landfriedensbruch blieb ungesühnt: zwar
wurden sie von König Friedrich in die Reichsacht getan, doch König
Ludwig, an den sie sich um so eifriger anschlössen, je eher sie von
ihm die erneute Anerkennung ihrer reichsunmittelbaren Stellung er-
warteten, sprach sie davon los. Nun schritten die Habsburger mit
Wa.ffengewa.lt ein. Leopold von Österreich zog mit einem Reichsheer
heran, wurde aber von den im Kampf erprobten Bauern, die schon jetzt
als tüchtige Söldner galten1), am 15. November 1315 zu Morgarten am
Egerisee entscheidend geschlagen.2) Die Sieger erneuerten am
\). Dezember 1315 zu Brunnen den ewigen Bund von 1291 und setzten
fest, dafs keines der drei Länder und kein Eidgenosse — dieser Name
erscheint hier zuerst in deutscher Form — ohne Zustimmung der
übrigen einen Herrn annehmen oder ein Bündnis abschliefsen dürfe.
König Ludwig bestätigte im folgenden Jahre die älteren Freiheitsbriefe
der drei Orte, und zwar erhielten sie nun alle die gleichen Freiheiten,
»als ob sich die inneren Verhältnisse und die auswärtigen Beziehungen
bisher bei allen gleich entwickelt hätten.« Das sind die Anfänge der
schweizerischen Eidgenossenschaft.
Die Schweiz hat im Streit für den von ihr später verleugneten und bekämpften
Reichsgedanken ihre Unabhängigkeit errungen. In späterer Zeit, als man von der
Zugehörigkeit zum deutschen Reiche nichts mehr wissen wollte, wurde die Entstehung
der Eidgenossenschaft anders dargestellt ; vor allem nimmt der Gegensatz zum Hause
Habsburg immer grellere Farben an. Richtige Überlieferungen einerseits, Irrtümer,
lokale Sagenstoffe und gelehrte Kombinationen anderseits bildeten die Tellsage in
jener Gestalt aus, in der sie in dem sog. »Weifsen Buche von Samen« (1470) erscheint.3)
Dort wird zuerst von Teil und seinem Apfelschufs berichtet.4) Später wurden immer
mehr Einzelheiten angefügt und das Ganze von Agidius Tschudi, dem schweizerischen
Herodot, zu einer abgerundeten Erzählung vereinigt. Erst der Kritik des 19. Jahr-
hunderts ist es trotz des Widerspruchs der gesamten Schweiz gelungen, Wahrheit und
Dichtung voneinander zu scheiden.5)
§ 60. Der Kampf der Gregenkönige.
Zu den Quellen kommt: Der strit ze Muldorf. Böhmer. FF. I, 161. Zusammen-
stellung der Quellen bei Kopp IV, 2, S. 439. Zu den Hilfsschriften : Pfannenschmidt,
Die Schlacht bei Mühldorf. Forschungen HI. u. IV. Weech, Kritische Bemerkungen.
Forsch. IV, 82. Würdinger, Über die von König Ludwig gewonnene Schlacht bei
Mühldorf. SB. bayer. Ak. 1872. Dobenecker, Die Schlacht bei Mühldorf und über
das Fragment einer österr. Chronik. MJÖG. Erg. I. Döbner, Die Auseinandersetzung
zwischen Ludwig IV. dem Bayer und Friedr. dem Schönen v. Österr. Göttingen 1875.
S c h r o h e , Der Kampf der Gegenkönige Ludwig u. Friedrich um das Reich bis zur
Entscheidungsschlacht bei Mühldorf. Berlin 1902.
Der Sieg der Eidgenossen war für die Sache des Hauses Österreich
ein harter Schlag. Die ganze Entwicklung der Dinge in den Urkantonen
hinderte die Österreicher, ihre Kräfte frei zu entfalten. Freilich drohten
*) Dierauer, S. 123.
2) Über die Schlacht, ebenda S. 124.
5) Die Lit. zur Tellsage s. bei Dierauer, S. 133.
4) Dändliker, 1, 134. Dierauer, 134 u. 637.
5) Neuestens wurde Tschudi übrigens noch v. A. Schulte als Fälscher erwiesen.
264 Der Kampf der Gegenkönige
auch König Ludwig grofse Gefahren, als die dem Regimente König
Johanns abgeneigten Grofsen Böhmens Verbindungen mit Österreich an-
knüpften. Schon sprach man von einer neuen Königs wähl, bei der ent-
weder die Rechtsansprüche Heinrichs von Kärnten hervorgesucht oder
ein Habsburger berücksichtigt werden sollte. Dem Eingreifen Ludwigs
dankte Johann die Erhaltung seiner Krone. Ludwig vermittelte zu
Ostern 1318 zu Taufs einen Vertrag, in welchem die Böhmen ihrem
König aufs neue Treue gelobten. Der Krieg zwischen den beiden Gegen-
königen neigte sich seit 1319 immer mehr auf die Seite Habsburgs,
dessen Einflufs auch in Italien im Steigen begriffen war. Ein schwerer
Schlag für Ludwig war der Tod des Erzbischofs Peter von Mainz (1320),
der bisher in die Geschicke Deutschlands kräftig eingegriffen hatte und
den man nicht mit Unrecht als den deutschen Königsmacher bezeichnet.
Von seinem Nachfolger Matthias von Buchegg verlangte die Kurie, sich
an Friedrich anzuschliefsen. Aber schon war die Entscheidung gefallen.
Die Habsburger hofften, den Krieg im Jahre 1322 durch einen Doppel-
angriff Bayerns von Osten und Westen ein Ende machen zu können.
Während Herzog Leopold aus Vorderösterreich vordrang, zog Friedrich,
von seinem Bruder Heinrich begleitet und durch Ungarn verstärkt, von
Osten heran und gelangte bis nach Mühldorf am Tnn. Hier wollte er
Leopolds Ankunft erwarten. Aber dessen Anmarsch vollzog sich zu
angsam; zudem wurden die Boten der Brüder durch Leute des Klosters
Fürstenfeld abgefangen. Ludwig hatte sein Heer bei Regensburg ge-
sammelt; seine Bundesgenossen trafen grofsenteils erst am Schlachttage
ein ; zu ihnen zählten Böhmen, die Herzoge von Niederbayern, Erzbischof
Baldewin und der Burggraf von Nürnberg. Beide Heere waren durch
das Flüfschen Isen geschieden. König Ludwig zeigte wenig Lust, sich
in eine Schlacht einzulassen, wurde aber durch den stürmischen Böhmen-
könig mit fortgerissen. Auch die österreichischen Heerführer wünschten
bei Ludwigs Übermacht einem Kampfe auszuweichen ; Friedrich erklärte
aber, schon so viele zu Witwen und Waisen gemacht zu haben, dafs er
die Entscheidung nicht länger aufschieben wolle. Der 28. September,
der Tag des hl. Wenzel, was die Böhmen als gutes Anzeichen nahmen,
war von Ludwig als Schlachttag angesagt und vom Gegner angenommen
worden. Die Schlacht selbst endete mit einem glänzenden Erfolge
Ludwigs.
Das bayrische Heer zählte nebst zahlreichem Fufsvolk 1500 — 1800 Helme ; beide
Heere waren in vier Haufen geteilt. Im österreichischen Heere standen in erster Linie
die Herren von Wallsee mit dem Banner von Steiermark, in zweiter Friedrich von
Österreich, durch seine königliche Rüstung allen kenntlich, in dritter sein Bruder
Heinrich mit dem Banner von Österreich und in vierter die Salzburger. Ungarn und
Kumanen hielten sich in der Reserve. Auf der andern Seite hatte Ludwig das Reichs-
banner seinem getreuen Konrad von Schlüsselburg anvertraut. Er selbst hielt sich mit
elf gleichgekleideten Begleitern abseits, wohl um die Schlacht zu leiten. Der erste
Angriff des Böhmenkönigs, der auf das rechte Ufer der Isen vordrang, wurde von den
Österreichern und Steirern abgewiesen ; als Friedrich, seinem Bruder zu Hilfe eilte,
wurden die bayrischen Reiter geworfen. König Johann selbst fiel zu Boden ; ein
österreichischer Ritter, der Ebersdorfer, half ihm verräterischer Weise wieder auf. Um
die Mittagsstunde schien den Österreichern der Sieg gesichert zu sein, da gelang es
Die Schlacht bei Mühldorf. 265
auf bayrischer Seite, das Fufsvolk zum Stehen zu bringen. Verstärkt durch Reiter,
die von ihren Pferden abgesessen waren, drangen die Bayern gegen die Österreicher
vor, stachen ihre Pferde nieder und brachten die Reiter zu Fall. Friedrich von Öster-
reich erwartete die Ankunft seines Bruders. In der Tat näherte sich eine Reiterschar,
und die Österreicher meinten, es seien die Ihrigen ; es war indes der Burggraf von
Nürnberg, der sich im Hinterhalt aufgestellt hatte und die Österreicher in der Flanke
und im Rücken angriff. Dieser Angriff entschied das Schicksal des Tages. Zuerst
flohen die Ungarn und Rumänen , ihnen folgten andere ; an 1400 Ritter wurden
gefangen. Unter ihnen befanden sich König Friedrich und sein Bruder Heinrich.
König Friedrich hatte die ganze Zeit hindurch so tapfer gestritten, dafs ihm alle den
Preis zuerkannten. Xun wurde er vor seinen Gegner geführt, der ihn mit den Worten
empfing: »Herr Oheim, ich sah Euch niemals so gern.« »Und ich Euch nie so ungern«,
erwiderte Friedrich. Wie einst bei Göllheim, spielte das Fufsvolk auch hier eine
entscheidende Rolle.
Der Sieg entschied über die Krone des Reiches. Die meisten
Herren und Städte, die bisher zu Friedrich gehalten hatten, erkannten
nun Ludwig als König an. Eine nachdrückliche Verfolgung einzuleiten,
war dieser nicht stark genug, denn noch war Leopolds Macht be-
deutend. Seit Jahrzehnten war in Deutschland keine Schlacht mehr ge-
schlagen worden, die sich mit der von Mühldorf vergleichen liefse; die
Erinnerung an sie hat sich daher tief im Volke eingeprägt. Sagen
wie die vom Ritter Rindsmaul und dem Feldhauptmann der Nürnberger,
Seifried Schweppermann entstanden, diese freilich erst im 15. Jahr-
hundert. Herzog Leopold zog sich nach Schwaben zurück. König
Friedrich wurde zuerst nach Dornberg, dann in die Burg Trausnicht l)
gebracht. Herzog Heinrich kam nach Bürglitz in Böhmen, wo er
schlecht genug behandelt wurde. Die Verbündeten Ludwigs erhielten
reichlichen Kostenersatz, vor allem Böhmen den Pfandbesitz von Eger
und die Reichsstädte Altenburg, Zwickau und Chemnitz.
2. Kapitel.
Die kirchenpolitischen Kämpfe unter Ludwig dem Bayer und
die deutsche Opposition gegen die weltliche Vorherrschaft des
Papsttums.
J5 61. Die Wahl Johanns XXII. Das arignonesische Papsttum.
Quellen (für das ganze Kapitel). Zur Gesch. Johanns XXII, s. aufser §58
noch RE. IX, 267. Rayn. Ann. Eccl. Theiner, I, 471—606. Lettres Secr. et Cur.
ed. Coulon. Paris 1901. Ausz. aus den Registern Johanns XXII. v. Höfler, Oberb.
Arch. I. S. Abh. der b. Akad. XIV— XVm. Vat. Akten, her. v. Riezler. Martene
u. Dur. Thes. anecd. U. Blifs, Calendar of .. Papal letters. 2 Bde. London 1891.
SchwalmimNA. XXV — XXVI. Acta Salzburgo-Aquilejensia. Bd. I. Her. v. A. Lang.
Graz 1903. Die Einleitung enthält die wertvollsten Zusammenstellungen über die
kirchl. Verwaltung der avign. Periode. Acta Joh. XXU, ed. Papebroch. AA. SS. 5. Mai.
Die 7 Lebensbeschreibungen Joh. XXU. in Baluze, Vitae papar. Aven. I, 113 — 196.
Auch in Muratori LH, 2 Abt. Über die Literatur, betreffend die Lehren über das Ver-
hältnis von Staat u. Kirche in der Zeit L. d. B., s. § 6 bei Lorenz. DGQ. H, 333. Aus
*) Die slawisierte Form ist Trausnitz.
266 Die kirchenpolitischen Kämpfe
der reichhaltigen Lit. kann hier nur das Wichtigste angegeben werden (die älteren
Schriften eines Landulf von Columna, Joh. v. Columna, Thomas v. Aquino, Aegidius
Romanus, Johannes v. Paris, Jordanus v. Osnabrück, Engelbert v. Admont, Dante,
die z. T. schon oben genannt sind, s. Lorenz a. a. 0. u. an den einschl. Stellen bei
Potthast). Augustinus Triumphus, Summa de eccl. potestate. Rom 1584. Übers.
Auszug bei Friedberg, De finium inter ecclesiam et civitatem regundorum iudicio. Lips.
1861. Zur Gesch. der Minoriten s. oben §4. Zum Armutsstreit (De paupertate Christi)
kommen in erster Linie die Dekretalen : Exiit qui seminat (Sexti Decret. lib. V, tit. XII,.
cap. m), Exivi de paradiso (Clement. V. tit. XI, c. 1), Quorundam exigit (Extrav.
Joh. XXQ., lib. XIV, c. 1), Quia nonnunquam, Ad conditorem, Cum inter nonnullos-
u. Quia quorundam (ebenda cap. 2 — 5) in Betracht. Eine aktenm. Darstellung des
Armutstreites in Johannes Minorita, Chronicon de gestis contra Fraticellos, ed. Baluze-
Mansi m, 206 (Lit. Lorenz II, 346—347). Michael de Caesena, Contra errores-
Johannis XXII papae super utili dominio ecclesiasticorum et abdicatione bonorum
temporalium in perfectione Status monachorum et clericorum. Goldast, Monarchia H,
1236 — 1360 (Lor. 347). Wilhelm v Occam, Compendium errorum Johannis XXII,
Goldast, Mon. II, 957 ff. Reiches Material für den Armutstreit findet sich in Lukas
Wadding, Annales Minorum. (S. auch Riezler, Widersacher § 4.) Über den mit Er-
bitterung geführten Streit über die kais. u. päpstl. Macht aufser August. Triumphus-
vor allem : Marsiglio von Padua u. Joh. v. Jandun (Lorenz II, 347) : Defensor pacis
seu dictiones vel libri tres adversus usurpatam Romani pontif. iurisdictionem (verf.
vor 11. Juli 1324 von Marsiglio mit Beihilfe Janduns), gedr. Goldast, Monarchia II,.
154 ff., s. Riezler S. 193 u. Müller in GGA. 1883. (Jourdan, Etüde sur Mannte de
Padoue. Montaub. 1882. Labanca, Marsiglio d. P. Päd. 1882. Wurm, Zu M. u. 0.
Hist. Jb. 1893.) Marsiglio, De translatione imperii, ib. 147 ff. De iurisd. imperatoris
in causis matrim. II, 1383. Die Informatio de nullitate processuum papae Joh. XXII.
contra Lud. Bav. (stammt von einem Minoriten aus der Umgebung Ludwigs). Goldast,.
Mon. I, 18—21. Wilhelm v. Occam, Defensorium contra errores Johannis XXII, ed-
Brown. Fase. rer. expet. et fug. Lugd. 1690 Dialogus inter magistrum et discipulunu
Goldast, Mon. II, 399 ff. — Opus nonaginta dierum de utili dominio rerum eccl.
Goldast II, 977 ff. — Super potestate summi pontificis. Goldast II, 313 ff. Tractatus-
de dogmatibus Joh. XXII. papae. Goldast II, 740 — 770. Alvaro Pelayo, De planctu
ecclesiae. Yened. 1560 (s. Schwab, Gerson 24). Lupoid von Bebenburg, De iure regni
et imperii Romani. Arg. 1508 (Lorenz II, 357). Ritmaticum querulosum. Böhmer FF. I,.
479. Zur Erg. s. die Übersicht der theoretischen Lit. über Staat und Kirche von
Thomas v. Aquino bis zum Schisma 1270 — 1370 in Riezler, Lit. Widersacher S. 299.
Hilfsschriften: Pastor, Souchon, Lindner u. a. wie oben. Christophe,.
Hist. de la Papaute pendant le 14e siecle. Paris 1853. Bertrand y, Recherches
historiques sur l'origine etc. du pape Jean XXII. Paris 1854. Verlaque, Jean XXHr
sa vie et ses oeuvres d'apres des documents inedits. Paris 1883 (s. Müller in d. Z. f.
KG. VI, VII). Blumenthal, Johann XXH., Wahl und Persönlichkeit. Z. Kirch.
G. XXI, 4. Hefele, VI. Für die Zust. in Avignon : Woker, Das kirchl. Finanz-
wesen der Päpste. 1878. Gottlob, Die päpstl. Kreuzzugssteuern 1892. Ottenthai,.
Die päpstl. Kanzleiregeln v. Joh. XXH. bis Nik. V. 1888. Tan gl, Die p. Kanzlei-
ordnungen von 1200—1500. 1894. Tan gl, Das Taxwesen d. p. Kanzlei. MJÖ'G. XHL
Kirsch, Die Finanzverw. des Kardinalkollegiums im 13. u. 14. Jahrh. 1895. Kirsch,.
Die p. Kollektorien in Deutschi, während d. 14. Jahrh. Paderb. 1894. König, Die
pästl. Kammer unter Klemens V. u. Joh. XXH. Wien 1894. Bau mg arten, Unter-
suchungen u. Urkk. über die Camera Collegii cardinalium 1295 — 1477. Leipzig 1898.
Kirsch, Die Verwaltung der Annaten unter Klemens VI. RQ.-Schr. XVI, 125.
Göller, Zur Gesch. d. päpstl. Finanzverwaltung. Ebenda XV, 284. Sägmüller,.
Der Schatz Johanns XXH. HJb. XVHI, 37—57. Gottlob, Päpstl. Darlehensschulden
im XIH. Jahrh. Ebenda XX, 665—717. Ehrle, Proz. über den Nachl. Klemens V.
ALKG. V, s. ebenda S. 159 ff. Hain, Das Almosenwesen unter Joh. XXH. RQS. VI.
E u b e 1 , Zum päpstl. Reservations- u. Provisionswesen. RQS. VTU. Pfugk-Harttungr
Der Johanniter- u. der Deutsche Orden im Kampfe L d. B. mit der Kurie. Leipz. 1900.
Gegner u. Hilfsmittel Ludwigs d. B. in s. Kampfe mit der Kurie. ZKG. XXI. Feite n,.
unter Ludwig dem Bayer. 267
Forsch, z. Gesch. L d. B. Heidelb. 1900. The obald, Beitr. z. Gesch. Ludw. d. B. Mann-
heim 1897. Hauptwerke überden Kampf zwischen Job. XXII. u. K. L. v. B. sind :
Riezler, Die lit. Widersacher der Päpste zur Zeit Ludwigs des Bayers. Leipz. 1874 und
Karl Müller, Der Kampf Ludwigs des Bayers mit der römischen Kurie. 2 Bde. Tübingen
1879/80 (wichtig auch wegen der beigeg. Urkk. u. Korrespondenzen). Sonst Fried-
berg, Die ma. Lehren über das Verhältnis von Staat u. Kirche. ZKR. VIII. Fried-
berg, Die Grenzen zw. Staat u. Kirche. Tübingen 1872. Die ma. Lehren über das
Verhältnis von Staat u. Kirche. 2 Tle. Leipz. 1874. Bezold, D. Lehre v. d. Volkssouver.
im MA. HZ. XXXH. Schreiber, D. pol. u. relig. Doktrinen unter L. d. B. 1858.
Scaduto, Stato e chiesa negli scritti politici dalla fme della lotta per le investiture
sino alla morte di Ludovico il Bavaro. Fir. 1882 Riezler, Gesch Bayerns H.
Döllinger, Deutschlands Kämpfe mit dem Papsttum unter L. d. B. Akad. Vortr. Ir
118 — 137. Noorden, Kirche u. Staat zur Zeit L. d. B. Hist. Vortr. 1884. L. Pfannen-
schmid, Sind dem Papste Johann die Wahldekrete der Gegenk. Ludwig u. Friedrich
vorgelegt worden ? Forsch. I, 51. C.Müller, L. d. B. Appellationen gegen Johann XXH.
ZKR. NF. XIX. W. Preger, Der kirchenpol. Kampf unter Ludwig d. B. u. s. EinÜufs
auf die öffentl. Meinung in Deutschland. Münch. 1879. Über die Anfänge des k. K. unter
L. d. B. München 1882. — Beiträge und Erörterungen zur Gesch. d. d. Reiches 1330
bis 1334. Ebenda 1880. Die Politik des Papstes Joh. XXH. in Bezug auf Italien und
Deutschland. Ebenda 1885. M. Schaper, Die Sachsenhäuser Appellation von 1324.
Greifsw. 1888. Marcour, Anteil der Minoriten am Kampf zw. K. Ludw. d. B. und
P. Joh. XXH. bis 1328. Emmerich 1874. Gudenatz, Mich. v. Caesena. Diss, 1876.
Schwemer, Der Kampf L. d. B. mit der Kurie. Z. allg. G. HI. — Papsttum und
Kaisertum. Univ. hist. Skizzen 1899. Feiten, Die Bulle Ne pretereat etc. Trier 1885.
L i p p e r t , Zur Gesch. L. d. B. MJÖG. XIH. E h r 1 e , Ludw. d. B. und die Fraticellen etc.
Arch. LKG. I, H. E h r 1 e , Petrus Joh. Olivi etc., ib. LH. Weiland, Der angebliche Verzicht
K. L. d. B. Gott. Ges. W. 1883, Nr. 7. — ZumAusgleichmit Habsburg: Friedens-
burg, L. d. B. u. F. v. Ost. 1325—26. Göttingen 1877. Preger, Die Verträge L. d. B.
mit F.d. Seh. 1325—1328. München 1883. Besser, L. d. B. u. F. d. Seh. im März
u. April 1325. Prog. Altenburg. Leupold, Bertold u. Buchegg, Strafsb. 1882. Zum
Römerzug: Weltzien, Unters, ital. Quellen zum Römerzug L. d. B. 1888. Tes-
dorpf , Der Römerzug Ludwigs d. B. Königsb. 1885. Altmann, Der Römerzug L. d. B.
Berl. 1886. C h r o u s t , Beitr. z. Geschichte L. d. B. I. Die Romfahrt 1327—1329. Gotha 1887.
Winkler, Castruccio Castracani. Berl. 1897. Eubel, Der Gegenpast Nikolaus V.
u. s. Hierarchie. HJb. XH. Sievers, Die pol. Beziehungen K. Ludwigs d. B. zu
Frankreich 1314 — 1337. Berl. 1896. Engelmann, w. oben. Höfler, Aus Avignom
Prag 1868. Pflugk-Harttung, D. Bez. Ludwig d. Bayern in d. Kanzlei Joh. XXH.
HJb. XXH, 329.
1. Von den 24 Kardinälen, die es beim Tode Klemens V. (1314,
20. April) gab, waren acht Italiener, die noch an seiner Wahl Anteil
genommen. Sie hatten diesen Papst gehafst und waren nun Feinde der
Gascogner, einer Partei, die erst Klemens V. geschaffen hatte. Sie zählte
10 Mitglieder. Auch die übrigen sechs Kardinäle waren Franzosen.
Das Kollegium trat in Carpentras zum Konklave zusammen. Nach zwölf-
wöchentlicher Beratung wurde es durch einen Tumult unterbrochen.
Von den Kardinälen flüchteten die einen nach Valence, andere nach
Avignon oder Orange. Aufserstande, die Wahl in dem unsicheren
Carpentras vorzunehmen, schlugen die Italiener als Wahlort Lyon vor.
Schon schien es zu einem Schisma zu kommen, denn beide Parteien
waren entschlossen, unter Umständen allein zu wählen. Von allen
Seiten erschollen Klagen über die lange Vakanz des Papsttums. Dante
erhob seine Stimme namens des verwaisten Italiens; die Könige von
Frankreich, England u. a. liefsen es nicht an Warnungen fehlen. Erst
258 Die Wahl Johanns XXII. Seine Politik.
als Graf Philipp von Poitiers gegen die in Lyon versammelten Kardinäle
Gewalt brauchte, bequemten sie sich zur Wahl. Sie fiel am T.August 1316
auf Jakob Duese aus Ganors, den Kandidaten der italienisch-proven-
calischen Partei, den von Xeapel am meisten begünstigten Kardinal von
Porto. Er wurde gewählt, nachdem er versprochen, die Kurie nach Rom
zurückzuführen. Als Papst nannte er sich Johann XXII. (1316 — 1334).
Er zählte bereits 72 Jahre. Seine kränkliche Gesichtsfarbe, gebeugte
Haltung und schwache Stimme versprachen kein Pontifikat von langer
Dauer. Wenn auch Wilhelm von Occani von seiner Gelehrsamkeit nicht
viel hielt, so besafs er immerhin bedeutendes Wissen und bekundete den
Ehrgeiz, als grofser Theologe zu gelten. Gleichwohl brachte ihn seine
Teilnahme an den theologischen Streitigkeiten der Zeit in die Gefahr,
als Ketzer betrachtet zu werden. Schon als Bischof und Kardinal ein
trefflicher Verwaltungsbeamter, trug er für eine geordnete Verwaltung
der Kirche Sorge. Zu dem Zwecke erliefs er eine ausführliche Kanzlei-
ordnung und gestaltete auch den geistlichen Gerichtshof um.1) Von
seiner unermüdlichen Arbeitskraft sprechen heute noch die 59 Register-
bände seines Pontifikats im vatikanischen Archiv mit ihren mehr als
60000 Xummern zählenden Aktenstücken. Dankte er sein Emporkommen
französischen Einflüssen, so tat er als Papst alles, was Frankreich fördern
konnte. Die von ihm ernannten Kardinäle waren nahezu alle Franzosen.
Seiner Zusage zum Trotz schlug er seine Residenz in Avignon auf und
hat diese Stadt auch nicht wieder verlassen. Je entgegenkommender er
gegen Frankreich war, um so hartnäckiger suchte er seine Herrschaft
über das Kaisertum aufrecht zu halten und fügte dem Anspruch seines
Vorgängers, dafs während der Erledigung des Kaisertums die Reichs-
gewalt vom Papst zu führen sei, neue Ansprüche von unerhörter Art
hinzu, so dafs sich in den Kreisen der Gelehrten und Staatsmänner eine
heftige Opposition dagegen kundgab.
2. Die gröfste Geschicklichkeit besafs Johann XXII. in der Mehrung
der kirchlichen Einkünfte, die bei den allerdings unabweislichen Bedürf-
nissen der Kurie doch in einer Länder und Völker beunruhigenden Weise
betrieben wurde. Ein grofser Teil der Einnahmen, die der Kurie bisher
aus den Tributen der zinspnichtigen Reiche, dem Census exempter Bis-
tümer, Kirchen und Klöster, dem vom Papste auf die kirchlichen Ein-
kommen gelegten Zehent und den freiwilligen Subsidien des Klerus zu-
geflossen waren, wurde seit Xikolaus IV. (s. oben) für die Kardinäle
verwendet. Da nun einerseits Einnahmen aus zinspflichtigen Reichen
wie England ausblieben, auch das sonstige Einkommen der Päpste vielfach
geschmälert war, während sie anderseits neben ihrer kirchlichen auch
ihre politische Stellung wahren mufsten, die Unternehmungen gegen
die Ungläubigen ihre Hilfe beanspruchten und die im Interesse des
Kirchenstaates geführten Kriege grofse Summen erforderten, rnufste die
Kurie auf die Schaffung neuer Einnahmequellen bedacht sein. Zunächst
kamen die Annaten in Betracht, die seit der zweiten Hälfte des
!) Lindner, I, S. 316.
Charakteristik des avignonesischen Papsttums. 269
13. Jahrhunderts aus den verliehenen Pfründen von den Päpsten
gefordert wurden. Klemens IV. hatte 1265 alle Stellen, deren Inhaber
an der Kurie gestorben waren, der päpstlichen Besetzung reserviert, was
damit begründet wurde, dafs dem Papste die volle Verfügung über alle
Pfründen zustehe.1) Klemens V. dehnte diese Befugnisse noch viel weiter aus,
und Johann XXII. zog alle Stellen dahin, deren Inhaber er selbst geweiht
oder ernannt hatte. 2) Indem er Geistliche von ihren Pfründen hinweg
auf reichere versetzte, zog die Erledigung einer einzigen Stelle die zahl-
reicher anderer nach sich, deren Besetzung dann der Kurie zustand.
Auch wurden zahlreiche Stellen vereinzelt schon seit Innozenz III.,
häufiger seit Innozenz IV. durch Reservation oder Provision ver-
geben, und selbst da, wo ein Bischof durch das Kapitel gewählt ward,
wurde der Wechsel in der Stelle ebenso ausgenützt, indem das Recht,
den Gewählten zu bestätigen, immer mehr vom Metropoliten auf den
Papst überging. Der Papst verfügte demnach über eine ungeheure
Anzahl von Stellen, aus denen er nun bedeutende Summen, etwa die
Hälfte des Jahreseinkommens der Pfründe bezog (servitia communia oder
annatae. 5) Ebenso wurde das Gebühren wesen an der Kurie festgeordnet
und dabei die Taxen für die Erlangung von Dispensen, Ablässen, Ab-
solutionen u. s. w. gesteigert, schliefslich gewisse Einkünfte, wie die
Hinterlassenschaften (Spolien) der Bischöfe usw., der Kurie reserviert.
Auch die Almosen und Vermächtnisse von Klerikern und Laien, besonders
die Ablässe und vor allem die grofsen Jubiläen, bildeten eine wesentliche
Quelle des päpstlichen Einkommens. Alle diese Abgaben wurden, so-
fern sie nicht gutwillig gezahlt wurden, unter Androhung von Bann
und Interdikt, die meisten dadurch eingehoben, dafs — und der Gebrauch
datiert schon seit dem Beginn des XIII. Jahrhunderts — in die einzelnen
Länder Kollektoren4) entsandt wurden, welche die an den päpstlichen
Stuhl zu zahlenden Abgaben einzuheben hatten. Die Einnahmen aus
allen diesen Quellen waren sehr bedeutende, wenngleich sie oftmals viel
zu hoch geschätzt worden sind.5) Gleichwohl befanden sich beim Tode
Johanns XXII. trotz der grofsen Ausgaben nicht weniger als 8 Millionen
Mark vor, Summen, die aufgespeichert wurden, um den schon lange
geplanten Kreuzzug unternehmen zu können. Dafs es dem Papst mit
dem Unternehmen Ernst war, darf wohl nicht bezweifelt werden, wie er
*) Corp. iur. can. Sexti Decret. Lib. HI, tit. IV, cap. 2: Licet ecclesiarum plenaria
disposicio ad Romanum noscatur pontificem pertinere.
2) Für das Folgende Kirsch, 1. c. XXIV ff.
3) In den Regist. Johanns XXH. bedeutet »annata< den Zeitraum eines Jahres.
Die Einkünfte des ersten Jahres von einer Pfründe »fructus primi anni« oder >fructus
unius annatae«. Die Abgabe, die etwa die Hälfte des Jahreseinkommens betrug, heilst
unter Klemens VI. annale oder annuale, erst später auch annata. S. hierüber aufser
Kirsch jetzt vornehmlich A. Lang, S. LXVI. Dort findet sich S. LXVIH über den
Verlauf päpstlicher Provisionen alles Nötige.
4) Das Abendland hat 7 Kollektorien : Frankreich, Deutschland (mit den Kirchen-
provinzen Trier, Köln, Mainz, Prag und Livland), die Britischen Inseln, die Iberische
Halbinsel, die nordischen Reiche, Polen-Ungarn und Italien.
5) S. Sägmüller im HJb. XVIH, 37, XX, 669. Ehrle im ALKG. V, 159.
270 ^er Ausbruch des Kampfes zwischen Johann XXII. u. Ludwig d Bayer.
denn auch die Karten und Pläne, die ihm der Venezianer Marino Sanudo
zusandte, prüfen liefs. Gleichwohl trug der Papst kein Bedenken, das
für Kreuzzugszwecke gesammelte Geld auch in anderer Weise zu ver-
wenden.
§ 62. Der Ausbruch des Kampfes zwischen Johann XXII. und
Ludwig dem Bayer. Die Verhandlungen der Gregenkönige.
1. An seinem Krönungstage richtete Johann XXII. ein Rund-
schreiben an alle christlichen Fürsten. Die Gegenkönige wurden darin
als Gewählte behandelt, wodurch keinem ein Rechtsanspruch eingeräumt
wurde, denn erst des Papstes Bestätigung verleihe ein Recht auf die
Krone. Ludwigs Wähler erbaten für ihn die Kaiserkrone, jene Friedrichs
die Approbation der getroffenen Wahl. Johann hielt sechs Jahre hin-
durch an seiner abwartenden Stellung fest. Für ihn waren zunächst nur
die italienischen Verhältnisse mafsgebend. König Robert hatte nach
Heinrichs VII. Tode an Klemens V. das Begehren gestellt, entweder die
Wahl eines römischen Königs überhaupt zu verhindern oder ihr die
Bestätigung zu versagen, in jedem Fall aber eine Romfahrt und Kaiser-
kxönung zu verhüten. x) Das wurde nun auch des Papstes Programm.
Wurde keiner der Gewählten zum Kaiser gekrönt, dann blieb das Im-
perium erledigt, dann ist aber auch »die Reichs verweser seh aft auf den
Papst übergegangen, denn Gott selbst hat ihm in der Person des hl.
Petrus die Rechte des irdischen und himmlischen Imperiums zugleich
verliehen«.2) Danach wurden die Reichsbeamten in Italien, falls sie
ihre Würden und Amter nicht niederlegten, mit dem Banne bedroht
und König Robert, der heftigste Feind der Deutschen, zum Reichsvikar
ernannt. Die Gegenkönige liefsen den Angriff unbeantwortet, denn wenn
sie auch Reichsvikare ernannten, blieben diese doch machtlos. Hatte
es eine Zeitlang den Anschein, als wolle die Kurie den Habsburger
begünstigen und schlofs Friedrich mit Robert ein förmliches Bündnis
zur Bekämpfung Matteo Viscontis, des Führers der Ghibellinen in Ober-
italien, so änderten sich diese Dinge seit der Schlacht bei Mühldorf.
Ludwig hatte dem Papste seinen Sieg gemeldet; er hielt den Thronstreit
für erledigt. Nicht so der Papst. Dieser erklärte sich wohl zur Ver-
mittlung bereit, verlangte aber, wie es scheint, als Preis der Anerkennung
völligen Verzicht auf die deutsche Herrschaft in Italien. Nach seinem
Siege war Ludwig am wenigsten dazu geneigt, vielmehr sandte er Bertold
von Neifen als Reich svikar nach Italien, um die vom Papst und König
Robert bedrängten Ghibellinen zu verteidigen. Dies brachte den Streit
zwischen Papst und König zum Ausbruch. Am 8. Oktober 1323 ver-
kündigte Johann XXII. in öffentlichem Konsistorium seinen ersten Prozefs
gegen Ludwig, mahnte ihn, die Regierung binnen drei Monaten nieder-
zulegen und nicht eher anzutreten, bis er die päpstliche Bestätigung
erlangt habe. Noch suchte Ludwig den Weg der Versöhnung. Er sandte
1) Müller I, S. 37.
2) Bulle vom 31. März 1317.
Johann XXII. und der Armutsstreit. Haltung der Minoriten. 271
Boten nach Avignon und bat um Erstreckung der Frist, um seine Ver-
teidigung führen zu können. Johann gewährte dies. Inzwischen erhob
der König gegen das gehässige Vorgehen des Papstes Protest (1323,
18. Dezember) und wies darauf hin, dafs der an üblicher Stätte durch
die Kurfürsten oder deren Mehrheit Erwählte und Gekrönte römischer
König sei, dem das Imperium gebühre. Dem Papst sei nur die Kaiser-
krönung vorbehalten. . Eine Prüfung oder Zurückweisung des Gewählten
stehe ihm nicht zu. Schliefslich legte Ludwig Berufung an ein allgemeines
Konzil ein. Den Vorwurf der Ketzerei abweisend, bezichtigte er den
Papst häretischer Gesinnung, weil er die Minoriten in deren Streit mit
der Weltgeistlichkeit begünstige.
2. Bald erhielt er an den Minoriten selbst Bundesgenossen. Die
Päpste hatten diesen Orden bisher in jeder Weise begünstigt und noch
Nikolaus III. ihn in der Bulle Exiit qui seminat gerühmt. Nun waren
im Orden Strömungen aufgetaucht, die, das Armutsideal verschärfend,
selbst die zum Leben unentbehrlichsten Dinge aufzuspeichern verboten.
Schon Klemens V. wollte diese Spaltungen nicht dulden. Die Frage, ob
der Orden absolut nichts (usus pauper) oder mäfsigen Besitz (usus moderatus)
haben dürfe, entschied das Konzil von Vienne im Sinne der ersteren
Richtung. Aber die Unzufriedenheit dauerte fort. Unter den Unzufriedenen
gab es zwei Richtungen : die Spiritualen und Fraticellen, von denen
jene selbst die Anlage von Vorratsräumen verwarfen und noch ärmlichere
Kutten anlegten. Dagegen wandte sich der Papst in der Dekretale
Quorundam exigit. Schon 1318 wurden in Marseille einige Spiritualen
als Ketzer verbrannt. Noch weiter gingen die Fraticellen; in Katalonien
und Südfrankreich starben 114 von ihnen den Ketzertod. Selbst der
Ordensgeneral kam mit dem Papst in Streit. Der Inquisitor von Nar-
bonne hatte nämlich den Satz, dafs weder Christus noch die Apostel,
persönlich oder gerneinsam, Eigentum besessen hätten, als ketzerisch
erklärt und der Papst die Erklärung gebilligt. Dies erregte grofsen
Unmut; daher gab der Papst durch die Bulle Quia nonnunquam die von
ihm früher verbotene Diskussion über die Regel des hl. Franziskus wieder
frei. Nun erklärten die Minoriten, die Behauptung, dafs Christus und
die Apostel kein Eigentum gehabt, sei nicht häretisch. Erzürnt, dafs
sie seinem Ausspruch Vorgriffen, erklärte der Papst diese Behauptung
als ketzerisch (1323, 12. November), und als die Minoriten sich auf die
älteren Entscheidungen Nikolaus' III. und Klemens' V. beriefen, wurden
sie belehrt, dem Papste stehe es zu, Entscheidungen seiner Vorgänger
zu widerrufen. Von den Minoriten hatten sich einige an König Ludwig
gewendet. Über ihn verhängte der Papst am 23. März 1324 die Ex-
kommunikation, die hierauf auch auf seine Bevollmächtigten in Italien
ausgedehnt wurde. Ludwig erliefs dagegen (22. Mai) zu Sachsen-
hausen eine Appellation1), voll von Vorwürfen gegen den Papst, »den
x) Die Frage, ob die Stelle über die Armut Christi mit oder ohne Wissen Ludwigs
in die Appellation eingeschaltet wurde, ist noch immer nicht befriedigend gelöst.
(Die Lit. s. oben.)
272 Die Bundesgenossen K. Ludwigs. Friedensverhandl. der Gegenkönige.
Feind des Friedens und Zerstörer des Reiches«, der sich die Rechte der
Reichsfürsten anmafse und die evangelische Lehre der Minoriten von
der Armut Christi als Ketzerei verdamme. Minoriten waren es, die an
dieser Appellation mitarbeiteten und damit die Stellung des Königs, der
nun auf ein rein kirchliches Gebief übergriff, verschlechterten. Nach
diesem Schritte war kein Einlenken des Papstes zu erwarten. Am
11. Juli 1324 wurde Ludwig das Reich abgesprochen und er selbst
auf den 1. Oktober vor die Kurie zitiert. Über seine Anhänger,
Geistliche und Städte, wurde der Bann verhängt, weltliche Fürsten mit
dem Bann, ihre Länder mit dem Interdikt bedroht. Im übrigen erklärte
der Papst, die Rechte der Kurfürsten nicht schmälern zu wollen. Um
die wider ihn erhobene Anschuldigung der Ketzerei zu widerlegen, erliefs
er am 10. November die Dekretale Quia quorundam mentes1), ohne hier-
durch aber den Streit über die Armut Christi eindämmen zu können.2)
3. Die Abhängigkeit der Kurie von Frankreich trat auch jetzt
wieder deutlich hervor. Statt für Friedrich einzutreten, drängte Johann
auf die Neubesetzung des deutschen Thrones und schob die Kandidatur
des französischen Königs Karl IV. in den Vordergrund. Für diesen
Plan gewann er den Herzog Leopold. Dieser versprach, ihn auch für
den Fall zu unterstützen, wenn Karl IV. — soweit gingen schon die
Ansprüche der Kurie — vorn Papste durch Provision ernannt werden
sollte. Leopolds Brüder sollten reich entschädigt werden, namentlich
auch durch die Wiederherstellung ihres Besitzes in Schwyz und Unter-
waiden. Von den Kurfürsten ging keiner auf solche Pläne ein, und
einen König zu ernennen, wagte schliefslich der Papst doch nicht. Da
sich von Ludwigs bisherigen Bundesgenossen einige seinen Gegnern
näherten und der Krieg eine für Bayern ungünstige Wendung nahm,
sah Ludwig sich genötigt, mit den Habsburgern Verhandlungen anzu-
knüpfen ; sein tüchtigster Diplomat, Graf Bertold von Henneberg, schlofs
in Trausnicht am 13. März 1325 einen Vertrag ab, in welchem Friedrich
sich verpflichtete, der Krone zu entsagen, Ludwig als König anzuerkennen
und mit ihm ein Bündnis gegen jedermann, auch gegen den Papst, zu
schliefsen. Eine Ehebündnis zwischen Ludwigs Sohn Stephan und
Friedrichs Tochter Elisabeth sollte die neue Freundschaft stützen. Würden
Friedrichs Brüder ihn an der Ausführung des Vertrages hindern, dann
sollte er wieder in die Gefangenschaft zurückkehren. In der Tat scheiterte
der Vertrag an dem Widerstand Leopolds, und Friedrich kehrte nach
Bayern zurück, doch nicht mehr als Gefangener nach Trausnicht, sondern
als Freund des Königs nach München. Hier kam eine neue Überein-
kunft zustande (5. September), nach welcher beide Könige gemeinsam
das Reich besitzen sollten. Würde einer der Könige nach Italien ziehen,
sollte der andere in Deutschland ungeteilt die Macht besitzen. Es wurde
demnach ein Verhältnis in Aussicht genommen, wie es einst zwischen
*) Extrav. Joh. XXH, tit. XIV, cap. V.
2) Die in diesem Streit vorgetragenen Lehrrneinungen wirkten durch Fitz-Ralphs
Buch über die Armut Christi auf Wiclif ein. S. De Pauperie Salvatoris in De Dominio
Divino (ed. Poole) und De Civ. Dom. HI, ed. Loserth.
Der Tod Friedrichs des Schönen. Die Romfahrt Ludwigs. 273
Friedrich IL und Heinrich bestand. Aber auch der Münchner Vertrag
erwies sich als undurchführbar. Unter diesen Umständen erklärte sich
Ludwig in Ulm bereit (1326, 7. Januar), ganz vom Königtum zurück-
zutreten, wenn es Friedrich gelänge, die Bestätigung des Papstes zu er-
halten, und begab sich in der Tat der Ausübung seiner königlichen
Rechte. Aber der Papst betrieb eifriger als früher die französische
Kandidatur1). Mittlerweile starb Herzog Leopold am 28. Februar 1326.
Mit ihm verlor Friedrich seine stärkste Stütze. Da die Habsburger die
Anerkennung seines Königtums nicht durchzusetzen vermochten,
trat der Münchner Vertrag wieder in Kraft. Ludwig kam zu Ende 1326
mit den habsburgischen Fürsten Friedrich, Heinrich und Albrecht in
Innsbruck zusammen. Die hier gepflogenen Verhandlungen nahmen
einen ungünstigen Verlauf. Friedrich kehrte nach Österreich zurück
und führte den Königstitel bis an sein Ende, ohne die Rechte eines
deutschen Königs auszuüben. Ein nochmaliger Versuch (1328), die Be-
stätigung des Papstes zu erhalten, erfuhr eine schroffe Abweisung. Er
starb am 13. Januar 1330 zu Gutenstein im Wiener Walde. Die Leitung
der österreichischen Politik kam nun in die Hände der Herzoge Albrecht
und Otto, die mit König Ludwig am 6. August zu Hagenau ihren end-
gültigen Frieden machten. Der Besitz des deutschen Königtums war
diesem nun gesichert.
§ 63. Der Römerzug Ludwigs.
1. Schon seit längerer Zeit hatte Ludwig den Gedanken einer
Romfahrt erwogen. Als er (seit Mitte Januar 1327) in Trient weilte, erschienen
die Häupter der ghibellinischen Partei und die Abgesandten der reichs-
treuen Städte: Cane grande della Scala von Verona, Passarini
Buonacossi von Mantua, Marco und Azzo Visconti, die Mark-
grafen von Este, Boten Castruccio Castracanis, Gesandte König
Friedrichs von Sizilien, der Pisaner usw. und boten ihm jede Unter-
stützung an, um des Reiches Rechte zu wahren und sich selbst gegen
die Weifen zu schützen. In Ludwigs Umgebung weilten Marsiglio von
Padua, Johann von Jandun und die Minoriten, die seinen Schutz auf-
gesucht hatten. Marsiglio, um 1270 geboren, hatte das Studium der
Philosophie und Medizin betrieben, eine Zeitlang auch die Feder mit
dem Schwerte vertauscht und war dann in den geistlichen Stand getreten.
Minorit ist er nicht gewesen. 1312 war er Rektor an der Pariser Uni-
versität. Dort traf er noch Männer, die im Kampfe gegen Bonifaz VIH.
die Interessen des Staates verteidigt hatten, und gewann jene Über-
zeugungen, die er in seinem berühmten Buche Defensor pacis nieder-
gelegt hat. Grofsen Einflufs nahm Occam auf ihn. Vielleicht hatte er
Beziehungen zu den Minoriten, die an Ludwigs Hof verweilten. Er trat
als Leibarzt in dessen Dienst, mit ihm sein Freund Johann von Jandun,
mit dem er noch zuletzt in Paris den Defensor pacis abgefafst hatte.
Dieses Werk enthält Theorien, die geeignet waren, die bestehenden
*) Riezler H, 365.
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 1"
274 Marsiglio von Padua. Der Defensor pacis.
Grundsätze über Staat und Kirche in ihrem gegenseitigen Verhältnis
über den Haufen zu werfen, denn sie lassen dem Papst keine andere
Macht, als sie jeder Priester besitzt, betonen dagegen um so nachdrück-
licher der kirchlichen Gewalt gegenüber die Rechte des Staates. Ludwig
nahm die Fremdlinge zwar mit Verwunderung, aber doch wohlwollend
auf. Sie erklärten dem König, seine Pflicht sei, der in der Kirche
eingerissenen Verwirrung ein Ende zu machen. Das Kaisertum sei älter
als das Papsttum, die Gesetze der Kirche dürften auf den Staat keine
Anwendung finden. Kaiser waren es, die dereinstens Päpste ihrer Wahl
einsetzten, Synoden beriefen und diesen die Befugnis einräumten, auch
in Glaubenssachen zu entscheiden.
Schon der Titel Defensor pacis, Verteidiger des Friedens, deutet die Richtung
des Buches an. Es will die Verteidigung des durch die Ansprüche der Päpste gestörten
Friedens übernehmen.1) Der Staat ist wegen der Wohlfahrt und des Friedens der
Menschen geschaffen. Der Frieden ist durch die falsche Auffassung vom Priestertum,
besonders aber durch den Anspruch der Päpste auf die Jurisdiktion und Strafgewalt
nicht blofs über den Klerus, sondern auch über die Laien gestört. Sie leiten diesen
Anspruch aus der Schlüsselgewalt Petri ab. Aber die betreffende Stelle wird falsch
aufgefafst. In Wahrheit steht weder dem römischen noch irgend einem andern
Bischof dies Recht zu. Die Kirche ist die Gemeinschaft aller an Christum Glaubenden.
Nicht blofs Priester, auch Laien sind Männer der Kirche.2) Der Begriff des Geistlichen
darf weder auf alle Handlungen noch auf alle Güter des Klerus ausgedehnt werden.
Wenn ein Geistlicher weltliche Dinge betreibt, kauft, verkauft u.s.w., so fällt dies
unter das weltliche Gesetz. Kein Papst und kein Bischof hat Priestern oder Laien
gegenüber eine richterliche Gewalt, sie sei ihm denn durch den menschlichen Gesetz-
geber übertragen. Die Gewalt, die Christus seinen Xachfolgern übertrug, beschränkt
sich auf die Verkündigung der Lehre und die Spendung der Sakramente. Die Ex-
kommunikation auszusprechen, steht keinem einzelnen Christen, sondern nur der
Gemeinschaft der Gläubigen zu. Die Handlungen eines jeden Menschen stehen unter
dem weltlichen Gesetz, nur mufs der Geistliche für seine Sünde härter gestraft werden,
da er besser unterscheiden kann. Würde man die Geistlichkeit von der weltlichen
Jurisdiktion befreien, so möchten die meisten, um ihr zu entgehen, in den geistlichen
Stand eintreten und so den Ruin jedes Staates begründen. In zahlreichen Sätzen
schränkt Marsiglio die Macht der Päpste ein : alle Bischöfe seien einander gleich, auch
Petrus habe keine Superiorität über die andern Apostel besessen. Fälschlich folgern
die Päpste >die Fülle ihrer Gewalt« aus der Bibel; sie haben diese Gewalt allmählich
auf das weltliche Gebiet ausgedehnt; während sie vordem in Armut und unter der
weltlichen Gewalt lebten, vom Kaiser bestätigt, ja auch abgesetzt wurden, sei das alles
jetzt durch die Übergriffe des Papsttums verkehrt. Damit nicht zufrieden, okkupieren
sie ganze Provinzen, beanspruchen die Oberhoheit über Kaiser und Reich, was eine
ganz rechtswidrige Unterschiebung sei. Im Volke ruht die Quelle aller Gewalten, in
seinen Händen liegt die Gesetzgebung, und der Regent ist nur sein vollziehendes
Werkzeug. Er ist dem Volke verantwortlich und daher auch absetzbar. Der Primat
des Papstes ist weder im göttlichen Rechte noch in der Bibel begründet. Marsiglios
Buch machte einen tiefen Eindruck und wurde ins Italienische und Französische übersetzt.
2. Nicht ohne Sorgen liefs sich Ludwig die Unterstützung der
Fremdlinge gefallen ; auch seine Umgebung machte ihn auf das Bedenk-
üche dieser Hilfeleistung aufmerksam. Die in Trient versammelten
Ghibellinen drängten ihn, nach Italien zu gehen, wo er denn auch viele
x) S. d. sorgf. Analvse bei Riezler, S. 193 ff., u. Preger in d. Abh. d. Kgl. bayr.
Akad. XIV, 6.
2) Einer der Hauptsätze Wiclifs und Hussens.
Die Kaiserkrönung Ludwigs. 275
Anhänger fand, welche, die einen aus politischen, die andern aus kirch-
lichen Motiven seine Ankunft ersehnten. Zu diesen gehörten die Mino-
riten. Ihren Einflufs sowie den Marsiglios oder Janduns darf man
freilich nicht allzu hoch einschätzen. Am 14. März 1327 brach Ludwig
auf. In Bergamo und Como wurde er freudig begrüfst. Noch hoffte
der Papst, dafs sich die Weifen seiner erwehren könnten, erliefs am 3.
und 9. April neue Prozesse, gegen ihn, sprach ihm die Reichslehen ab,
verhängte gegen ihn als Freund der Ketzer die kirchlichen Strafen,
verdammte die Appellation von Sachsenhausen und den Defensor pacis,
forderte ihn auf, Italien zu verlassen und sprach namentlich auch über
seine geistlichen Begleiter den Bann aus. Diese Prozesse fielen in
Deutschland auf unfruchtbaren Boden. In vielen Diözesen wurden sie
nicht verkündet, und wo dies geschah, die Geistlichkeit von den Bürgern
bedroht und dadurch in ihrem Ansehen geschädigt. Am 17. Mai hielt
Ludwig seinen Einzug in Mailand und wurde am Pfingstsonntag (31. Mai)
von den exkommunizierten Bischöfen von Arezzo und Brescia gekrönt.
Das gute Einvernehmen mit den Visconti hielt freilich nicht an : Galeazzo
wurde gestürzt, da er die Alleinherrschaft anstrebte, und Graf Wilhelm
von Montfort als Reichsverweser eingesetzt. Ludwig erneuerte seinen
»gegen Johann von Cahors« gerichteten Bund mit König Friedrich von
Sizilien und erhielt von den deutschen Fürsten und Städten kräftige
Unterstützung. Zählte doch sein Heer am Tage der Kaiserkrönung
mehr als 5000 Ritter; allerdings war der deutsche Episkopat auf diesem
letzten italienischen Kriegszug der Deutschen im Mittelalter fast gar
nicht vertreten. Am 8. Oktober gewann Ludwig Pisa. König Robert
wurde in die Acht erklärt. Dagegen erhielt Castruccio, bisher schon
die stärkste Stütze Ludwigs, die Herzogswürde von Lucca. Am 7. Januar
1328 zog Ludwig in Rom ein. Die römischen Ghibellinen unter Sciarra
Colonna nahmen ihn um so bereitwilliger auf, je mehr sich der Papst
allen Bitten, nach Rom zurückzukehren, versagte. Eine Volksversamm-
lung übertrug Ludwig (10. Januar) die Signorie und Hauptmannschaft.
Sieben Tage später wurde er in St. Peter zum Kaiser gekrönt. Da der
päpstliche Legat noch im letzten Augenblick das Interdikt über die
Stadt ausgesprochen hatte, verweigerten viele Geistliche die Vornahme
kirchlicher Handlungen. Die Salbung verrichteten die gebannten Bischöfe
von Castello und Aleria, die Krönung vier Syndici, unter ihnen Sciarra
Colonna, als Vertreter des römischen Volkes. Der Krönungszug ging
nicht wie sonst zum Lateran, sondern auf das Kapitol, wo das Krönungs-
mahl stattfand. Tags darauf wurde Castruccio zum Senator ernannt.
Statt unverzüglich gegen Neapel vorzurücken, verlor Ludwig kostbare
Zeit in Rom *), binnen deren die welfischen Einflüsse wuchsen. Mittler-
weile verkündigte der Papst, der »den Bayer« bereits am 23. Oktober
auch der Pfalzgrafschaft und der Kurwürde entsetzt hatte, den Kreuzzug
gegen ihn (1328, 21. Januar). Wer sich daran beteiligte, erhielt die
Gnadenmittel wie sonst die Kreuzfahrer nach Palästina. Das ist auch
*) Die Gründe der Versäumnisse Ludwigs bei Chroust, S. 130.
18
276 Die Absetzung Johanns XXII. Nikolaus V.
später oft genug geschehen. Diesmal war aber das Mittel noch nicht
verbraucht; es machte auf den Kaiser einen grofsen Eindruck und ist
wohl der Grund, weshalb auch er nunmehr gegen den Papst zum
Aufsersten schritt. Am 14. April 1328 liefs er in einer auf dem Peters-
platz tagenden Volksversammlung drei Gesetze verkünden, nach welchen
gegen einen der Ketzerei Überwiesenen auch ohne vorhergegangene
Ladung eingeschritten, alle Empörer gegen den Kaiser mit Güterkonfis-
kation bedroht und den Notaren befohlen wurde, die Regierungsjahre
des Kaisers in ihre Datierungen aufzunehmen; das letzte verfolgte den
Zweck, das Kaisertum zur allgemeinen Anerkennung im bürgerlichen
Leben zu bringen.1) Vier Tage später trat die Volksversammlung aber-
mals zusammen. Nun wTurde der Papst als Friedensstörer, Ketzer und
Majestätsverbrecher für abgesetzt erklärt.2) Der Kaiser beruft sich auf
das Beispiel Ottos I. Allerdings zeigte es sich, dafs es unmöglich sei,
das Papsttum auf jene Stellung zurückzuführen, die es vor Gregor VII.
eingenommen hatte. Am 23. April wTurde endlich ein Gesetz erlassen,
wonach der Papst in Rom residieren müsse und sich von da ohne Er-
laubnis des römischen Klerus und Volkes nicht über zwei Tagereisen
entfernen dürfe. Was die Absetzungsbulle andeutete und wozu den
Kaiser seine Umgebung und das römische Volk drängte, folgte nun
nach. Eine Kommission von Geistlichen und Laien wählte am 12. Mai
den Minoriten Pietro Rainalducci von Corbara als Nikolaus V. zum
Papst; er wurde vom Kaiser bestätigt, ernannte sieben Kardinäle und
bestätigte seinerseits den Kaiser in seiner Würde. Ebenso w-urden die
früheren Prozesse des Kaisers gegen Neapel und die übrigen Gegner
in Italien einer-, gegen Johann XXII. anderseits erneuert. Indem ein
Bettelmönch — übrigens nicht der erste Fall — zum Papste erhoben
w^ard, wurde das Prinzip der evangelischen Armut, für das diese kämpften,
verkörpert. Mit Ausnahme Roms fand dies Vorgehen in den meisten
Kreisen des Abendlandes Mifsbilligung ; auch deutsche Geschichtschreiber
verhehlen ihren Unmut nicht. Allerdings war es nicht der Kaiser, der
den Streit begonnen hatte ; auch ist zu bedenken, dafs fromme, heilig-
mäfsige Männer die Lehre von der Absetzbarkeit des Papstes ver-
kündeten.3) Mittlerweile war der Zeitpunkt, Neapel zu gewinnen, ver-
säumt. Im Heere herrschte Not, und in Rom wuchs die Unzufriedenheit.
Als der Kaiser von dort abzog, begleiteten ihn die Verwünschungen der
Römer. Die Anhänger des Papstes zogen ein, die Anordnungen des
Kaisers wurden widerrufen, die Leichen der Deutschen aus den Gräbern
gerissen und in die Tiber geworfen.
3. Schwer traf den Kaiser Castruccios Tod (3. September). Auch
von seinen übrigen Anhängern waren die hervorragenderen gestorben,
andere hatten sich dem Papste unterworfen. Auch diesmal wrar Pisa
J) Lindner, 375. S. auch. Lorenz, Papstwahl und Kaisertum, S. 188.
2) Kopp V, 275. Baluze IT, 512: qui cum clero et populo Romano Johannem de-
posuit de papatu.
3) Daher wälzen billig denkende Geschichtschreiber, wie der Königsaaler Abt,
die Schuld den Minoriten zu, S. 455.
Ende der Romfahrt. Haltung der Minoriten und des Gegenpapstes. 277
Stützpunkt des Kaisertums. Hier fand sich Nikolaus V. ein, und bald
war die Stadt der Sammelplatz aller Gegner Johanns XXII.
Die Häupter des Minoritenordens stellten sich dem Kaiser zur Verfügung : der
Ordensgeneral Michael von Caesena, der Provinzial von England Wilhelm v. Occain
und der Ordensprokurator Bonagratia von Bergamo. In Pisa fand das gegen Johann XXII.
begonnene Prozefsvert'ahren ein merkwürdiges Nachspiel. In einer vom Kaiser be-
rufenen Versammlung erklärte Michael von Caesena den Papst als Ketzer seiner Würde
verlustig, und der Kaiser sprach nun seine Absetzung aus. Diesmal traten kirchliche
Beweggründe hervor: es werden alle Ketzereien Johanns XXII. aufgezählt. Stand
Ludwig bei der Veröffentlichung seiner ersten Sentenz mehr unter Marsiglios Einflufs,
so treten nunmehr, nicht zu seinem Vorteil, die Minoriten in den Vordergrund. Am
19. Februar 1329 sprach Nikolaus V. den Bann über Johann XXII und seine Bundes-
genossen aus Ein allgemeines Konzil wurde nach Mailand berufen und eine Stroh-
puppe, die Johann XXH. darstellte, verbrannt.
Aber dem Papst blieben seine Anhänger treu; in Deutschland
waren diese schon im Sommer 1328 daran, einen Gegenkönig aufzustellen,
was diesmal aber noch an dem Widerstreben Luxemburgs scheiterte.
Den vereinten Kräften seiner italienischen Gegner war Ludwig nicht
gewachsen. Im Dezember 1329 zog er von Pavia nach Trient. Wohl
gedachte er bald wieder nach Italien zu ziehen. Dazu ist es aber nicht
mehr gekommen. Nachdem er den Tod seines einstigen Gegners, Fried-
richs von Osterreich, vernommen, kehrte er nach Bayern zurück, und so
fand die Romfahrt ein unrühmliches Ende. Bald machte der vom Kaiser
verlassene Gegenpapst seinen Frieden mit Avignon.
Einen Strick um den Hals, warf er sich dem Papst im August 1330 zu Füfsen,
nachdem er noch in dem vom Kaiser abgefallenen Pisa seine Irrtümer abgeschworen
hatte. Er wurde in anständiger Haft gehalten, starb indes eines frühen Todes. Schon
1329 hatte eine Gesandtschaft der Körner in Avignon dem Kaiser und dem Gegenpapst
abgeschworen und feierlich erklärt, dafs der Kaiser ebensowenig ein Recht habe, den
Papst abzusetzen, als das römische Volk den Kaiser zu krönen, und dafs dem Kardinals-
kollegium allein das Recht zustehe, den Papst zu wählen, Nach diesem Widerruf
wurde die Stadt absolviert, doch mufste sie den Majestätsrechten entsagen, die sie
zeitweise an sich genommen hatte.1) Im übrigen behandelte Johann XXII. seine Gegner
mit Milde, Fürsten und Städte Italiens sandten Botschaften nach Avignon, um ihm
zu huldigen oder um Verzeihung für ihre Gegnerschaft zu bitten.
S 64. Das Aufsteigen des Hauses Luxemburg in Deutschland
und Italien.
Quellen wie oben. Zu den böhm. s. unten § 69. Zu den Hilfsschriften
aufser Kopp V, Müller, Riezler, Huber, Krones, Caro, Gesch. Polens,
Grünhagen, Gesch. Schlesiens, Egg er, Gesch. Tirols, Palacky, Bachmann,
8. noch: Heidemann, Graf Bertold v. Henneberg als Verweser d. Mark Branden-
burg, 1323—1330. Forsch. XVH. Salchow, Der Übergang d. Mark Brandenburg an
das Witteisbach. Haus. Diss. 1893. Kürschner, Eger u. Böhmen. Wien 1870. Puy-
maigre, TIne campagne de Jean de Luxemb. RQH. XLH. Über seinen italien.
Feldz. : Pöppelmann: Joh. v Böhmen in Italien. AÖG. XXXV. Werunsky,
Gesch. Karls IV. I. Zur Kärntner Frage : Stögmann, Über die Vereinigung Kärntens
mit Österr. Wien. SB. XIX. Hub er, Gesch der Vereinig. Tirols mit Österr., s. auch
unten. Weiland, Der angebl. Verzicht Ludwigs, wie oben. Höfler, Aus Avignon.
A Böhm. GW. VI, 2. Taube, Ludwig d. Ältere als Markgraf V.Brandenburg. Berlin 1900. (Dort
S. 1—5 ein Lit.-Verz.) E. V oi gt, Die Reichspolitik Balduins v. Trier. 1328—1334. Gotha 1901.
J) Gregorovius VI, 178.
278 Die Witteisbacher in Brandenburg. König Johann von Böhmen.
1. Die Erfolge des Kaisers beruhten in den ersten Jahren seiner
Regierung im wesentlichen auf seinem Bund mit dem Hause Luxem-
burg. Die freundschaftlichen Beziehungen lockerten sich, als es Ludwig
gelang, Brandenburg für sein Haus zu erwerben. Am 14. August 1319
war Markgraf Waldemar, ohne Kinder zu hinterlassen, gestorben. Da
auch der letzte Sprosse des askanischen Hauses in Brandenburg, Heinrich
der Jüngere von J^andsberg, schon im folgenden Jahre starb, war Branden-
burg erledigt. Schon nach Waidemars Tode wurden von allen Seiten
Ansprüche auf das erledigte Erbe erhoben, und Brandenburgs Nachbarn
besetzten die ihnen zunächst gelegenen Teile des Landes. Ludwig selbst
ergriff nach dem Beispiel seiner Vorgänger die Gelegenheit, seinen Haus-
besitz zu vergröfsern. Nachdem er den Böhmenkönig mit Bautzen und
Kamenz belehnt, dem Fürsten Bernhard von Anhalt die Pfalzgrafschaft
Sachsen samt dem Fürstentum und der Mark Landsberg übertragen
hatte, übergab er in dem Augenblick, da der Mühldorfer Sieg seine
Stellung gesichert hatte, Brandenburg mit der Kurwürde seinem ältesten
Sohne Ludwig (1323). König Johann hatte sich Hoffnung auf den Erwerb
der ganzen Mark gemacht, Als nun auf Ludwigs Veranlassung auch
das Eheverlöbnis zwischen Johanns Tochter Guta und Friedrich, dem Erben
von Meifsen, gelöst, dieser mit Ludwigs Tochter Mechthild verlobt
wurde und Ludwig eine Verständigung mit seinen bisherigen Gegnern
suchte, knüpfte Johann Verhandlungen mit Osterreich und Ungarn an,
entliefs Heinrich von Österreich aus der Gefangenschaft1) und versöhnte
Heinrich von Kärnten, dessen Tochter Margareta (Maultasch) mit seinem
Sohne Johann Heinrich verlobt wurde (1327) 2). Die alten Bundesgenossen,
Ludwig und Johann, hatten sonach Grund zu gegenseitigen Klagen,
denn wie jener dem Böhmenkönig den Separatfrieden mit Österreich,
konnte dieser dem Bayern die Durchkreuzung seiner Absichten auf
Brandenburg und Meifsen zum Vorwurf machen. Da indess ein Bruch
für beide Teile schwere Schäden zeitigen mufste, lenkten sie wieder in
die alten Bahnen ein. Während Ludwig seinen italienischen Plänen
nachging, verfolgte Johann seine Interessen in Deutschland. Der Böhmen-
könig stand damals in der Blüte seiner Jahre : nach der Schilderung
des kompetentesten Zeitgenossen das Ideal eines fahrenden Ritters, be-
geistert für Kämpfe und Turniere und von den Taten der sagenhaften
Artusritter, deren Tafelrunde er herzustellen beabsichtigte, war er so
geschäftig, dafs, nach einem Sprichwort, ohne den Böhmenkönig niemand
seine Sache zu verrichten vermochte. War bei seinem Auftreten vieles
nur äufserer Glanz und Schimmer, so bekundete er doch diplomatische
Talente und hielt durch grofse Landerwerbungen Böhmen für die Kosten
schadlos, die ihm seine Kreuz- und Querzüge verursachten. Zunächst
0 Wogegen die Habsburger auf ihre Rechte auf Böhmen verzichteten und
9000 Mark Silber zahlten, für die sie Laa und AVeitra verpfändeten und das ihnen
verpfändete Znaim zurückstellten.
2) Über die einzelnen Phasen dieser Versöhnung, die schon seit 1321 beginnen,
s. Palacky, Bachmann, "Weech (S. 114) u. a. 1321 war Johanns ältester Sohn Wenzel
(Karl IV) als Verlobter Margaretas in Aussicht genommen worden.
Fortschritte der Luxemburger. 279
nahm er Böhmens Ansprüche auf Polen wieder auf (1327). Noch wich-
tiger waren Böhmens Fortschritte in Schlesien, wo zuerst (1327) die
Herzoge von Ober-, dann (1329) auch die meisten Herzoge von Nieder-
schlesien Johann als Oberherrn huldigten. Herzog Heinrich VI. von
Breslau trat ihm schon 1327 sein Land gegen dessen Nutzgenufs
auf Lebenszeit und eine Jahresrente ab. Der Kreuzzug Johanns gegen
Litthauen (1328) erhöhte seinen militärischen Ruf. Er durfte erwarten,
dafs die Vermählung Johann Heinrichs mit Margareta den Erwerb von
Kärnten und Tirol herbeiführen werde. Und noch höher stiegen seine
Aussichten. Als er im Herbste 1330 in Trient verweilte, erschienen
Gesandte der Weifen von Brescia und boten ihm, um sich der Angriffe
Mastino della Scalas zu erwehren, die Herrschaft über ihre Stadt an.
Ohne sich um den Kaiser zu kümmern, zog Johann in das Land, in
welchem 17 Jahre zuvor sein Vater als Kaiser gestorben war. Wie
dieser erschien er als Friedensstifter. Die vertriebenen Ghibellinen
mufsten in Brescia aufgenommen und die Parteinamen der Weifen und
Ghibellinen beseitigt werden. Allmählich gewann er über Bergamo,
Cremona, Como, Vercelli, ja selbst über Mailand, Lucca, Mantua die
Herrschaft, und selbst entschieden weifisch gesinnte Städte wie Parma,
Modena und Reggio schlössen sich an ihn an. Er nannte sich Herr
von den Städten, die ihm die Signorie übertragen hatten und hegte wohl
die Hoffnung, dereinst noch die Kaiserkrone zu tragen.1)
2. Die von den Luxemburgern beabsichtigte Erwerbung von Tirol
und Kärnten enthielt für Bayern die Gefahr, auf zwei Seiten von luxem-
burgischem Gebiet eingeengt zu werden. Auf Kärnten hatte zudem
Osterreich begründeten Anspruch. Ohne auf die vom Kaiser erst jüngst
zugunsten des Erbrechtes der Töchter Heinrichs von Kärnten gemachten
Zusagen Rücksicht zu nehmen, und trotzdem Johann Heinrich als
Margaretas Bräutigam bereits am Innsbrucker Hof erzogen wurde, die
tirolischen Grafschaften übrigens nicht Reichs-, sondern bischöfliche
Lehen waren2), kam es am 26. November 1330 zu einem geheimen
Vertrag zwischen dem Kaiser und Otto von Österreich, wonach nach
dem Ableben des Kärtner Herzogs das Haus Habsburg mit Kärnten
belehnt, der Kaiser aber in den Besitz Tirols gelangen sollte. Auf dem
Reichstage von Nürnberg (1331 Frühling) erhob dieser über des Böhmen-
königs Übergriffe in Italien lebhafte Klagen; die Mehrheit der Fürsten
erklärte, dafs sich der Kaiser an dem diesseits der Alpen liegenden
Gebiete König Johanns schadlos halten dürfe 3) ; es war dies die Zeit,
da König Johann Parma, Modena und Reggio vom Papst zu Lehen
nahm und das Versprechen gab, Ludwig hinfort weder als König noch
als Kaiser anzuerkennen.4) Dieser schlofs (1331, 3. Mai) einen neuen
Bund mit Österreich, seinen Söhnen Ludwig von Brandenburg und
Stephan und dem Markgrafen von Meifsen ; auch die Könige von Ungarn
1) .Friedensburg, Forsch. XIX, 200.
2) Huber II, 158.
3) S. meine Ausg. der Königs. Gesch. -Q., 486.
4) Preger, Beiträge, S. 67.
280 Die böhmische Herrschaft in Oberitalien und ihr Ende.
und Polen traten bei und begannen den Krieg gegen Johann, auf dessen
Seite sein Schwiegersohn Heinrieh der Altere von Niederbayern stand,
wogegen Ludwig die Unterstützung Ottos und Heinrichs d. J. von Nieder-
bayern erhielt. Um den drohenden Sturm zu beschwichtigen, berief
Johann seinen ältesten Sohn Wenzel (Karl) nach Italien, übertrug ihm
die Regierung der lombardischen Städte und eilte nach Deutschland.
Geheime Unterhandlungen, die er mit dem Kaiser in Regensburg pflog,
hatten das Ergebnis, dafs er Mailand, Pavia, Cremona, Bergamo, Novara,
Parma , Reggio , Modena und Bobbio gegen eine Pfandsumme von
120000 Dukaten namens des Kaisers verwalten und Lucca als Reichs-
lehen besitzen sollte. Für die Zukunft wurde ein Austausch Kärnten-
Tirols gegen Brandenburg in Aussicht genommen. Da das neue Bündnis
seine Spitze gegen Osterreich richtete, löste sich der Bund zwischen
diesem und dem Kaiser. Den Krieg zwischen Böhmen und Polen be-
endete Johann durch einen Waffenstillstand, eilte hierauf nach Mähren,
um gegen Osterreich zu kämpfen. Doch auch hier kam es schon 1332
zu einem Frieden, der die an Böhmen verpfändeten Orte den Österreichern
zurückgab. In den Friedensbedingungen zwischen Ludwig und Johann
war festgesetzt worden, dafs jener neue Aussöhnungsversuche mit der
Kurie mache. Trotzdem Ludwig geneigt war, seine gelehrten Ratgeber
fallen zu lassen, ging der Papst auf keinen Frieden ein. — Inzwischen
verteidigte Johanns Sohn nur mühsam seine Stellung in Italien, wo sich
die Begeisterung für die böhmische Herrschaft verlor, seit sie die Italiener
zu stärkeren Leistungen heranzog. Es entstand eine Liga, die sich
ebenso gegen die böhmische Herrschaft als gegen den Papst richtete.
Zwar gewann Karl am 25. November 1332 einen Sieg bei S. Feiice
im Gebiete von Modena ; an die Behauptung seiner Stellung war trotz
französisch-päpstlicher Hilfe, die ihm von seinem Vater zugeführt wurde,
nicht zu denken, und so schlofs Johann am 19. Juli 1333 mit seinen
Gegnern einen Waffenstillstand. Ehe dieser noch abgelaufen war, ver-
liefs er Italien. Damit endete die kurze Zeit der böhmischen Herrschaft
in diesem Lande.
§ 65. Das Ende Johanns XXII. und die ersten Jahre Benedikts XII.
Quellen wie oben. S. auch RE. prot. Theol. IX, 267 u. n, 566. Für Bene-
dikt Xu. s. die acht Lebensbeschreibungen in B a 1 u z e I, 197 ff. Muratori III, 2, 527 ff.
Theiner II, 1 — 118. D u c h e s n e , Lib. pontif . IL Hilfsschriften wie oben. Dazu:
Sievers, Die polit. Beziehungen Ludwigs d. B zu Frankreich. Berl. 1896. Glas-
schröder, Zu den Ausgleichsverhandl. L. d. B. mit Benedikt Xu. im Jahre 1336.
RQ.-Sch. HI. Rohrmann, Die Prokuratorien L. d. B. Göttingen 1882. S. auch
Hetzenecker, Stud. z. Reichs- u. Kirchenpol. d Würzb. Hochstiftes 1333 — 37.
Augsburg 1901.
1 . Alle Versuche des Kaisers, die Kurie zu versöhnen, waren bisher
ergebnislos verlaufen. In den letzten Monaten 1333 tauchte ein von
König Johann ausgedachter Plan auf, dafs der Kaiser zugunsten seines
niederbayrischen Vetters Heinrich, des Schwiegersohnes König Johanns,
auf die Kaiserkrone verzichte. Der Kaiser ging darauf wohl nur ein,
Das Ende Johanns XXII. Benedikt XII. 281
um die Unversöhnlichkeit Johanns XXII. aufzudecken. Die Kurie, die
sich anfänglich mit dem Entwurf befreundete, der den Franzosen ganz
Arelat verschafft hätte , sah sich bald nach einer andern Seite hin in
Anspruch genommen. Ein neuer dogmatischer Streit war ausgebrochen.
Der Papst hatte in einer Predigt den Gedanken ausgesprochen, dafs die
Seelen der Abgeschiedenen erst am jüngsten Tage zur Anschauung
Gottes gelangen würden. In den Streit, der darüber entstand, mischten
sich auch die Minoriten ein. Bedeutsamer für den Kaiser war es, dals
es im Kardinalskollegium selbst zu einer Spaltung kam. Jene Partei,
die unter Orsinis Führung das Papsttum nach Italien zurückführen wollte,
knüpfte Verbindungen mit ihm an. Ludwig sollte mit Xeapel Frieden
schliefsen. Die Kardinäle verlangten vom Kaiser die Entfernung Mar-
siglios. Schon hatte ein Minorit im Namen des Trierer Erzbischofs eine
Appellation an ein allgemeines Konzil ausgearbeitet. Die Sache kam aber
nicht mehr zu ihrem Ende. Johann XXII. hatte für den 2. Dezember 1334
ein Konsistorium anberaumt, aber er erlag schon am 4. Dezember der
Schwäche des Alters. Seine letzten Sorgen, denen er ( 1 334) in seiner
Bulle Quid in fidurorum eventibus Ausdruck gab , gingen dahin , Italien,
wo sein Einflufs immer mehr abnahm, gänzlich vom Reiche zu trennen1).
2. Bei seinem Tode bestand das Kardinalskollegium aus 24 Mit-
gliedern; unter ihnen waren 15 Franzosen. Gewählt wurde der Zister-
zienser und Kardinal Jakob Fournier aus Saverdun bei Toulouse. Es
ist Benedikt XII. (1334 — 1342). Ein gelehrter2) Theologe, im Gegensatz
zu seinem Vorgänger eine stattliche Erscheinung, im Essen und Trinken
weniger mafsvoll3) als dieser, von grofser Sittenstrenge, hielt er sich auch
von Nepotismus und Simonie freier. Von den besten Absichten für die
Hebung der kirchlichen Zucht und die Abschaffung der bei der Kurie
eingerissenen Mifsbräuche beseelt, ein aufrichtiger Freund des Friedens,
fehlte es ihm gleichwohl an Willensstärke, seine guten Absichten durch-
zuführen. Die üblen Folgen der Knechtschaft des Papsttums in Avignon
machten sich auch unter seinem Regiment geltend. In England erscholl
die Klage , dafs aus den Einkünften des Papsttums Englands Gegner
besoldet würden.4) In der Tat stellte Frankreich an den Papst die un-
gemessensten Forderungen. Mit Hilfe des Papsttums meinte es die
seinerzeit von Dubois empfohlene Politik durchführen zu können. So lag
es dem Papste nahe, mit Deutschland Frieden zu machen. Ludwig selbst
schickte den Grafen Ludwig von Ottingen nach Avignon (1335, April)
und beauftragte ihn auch zu Verhandlungen mit dem Dauphin Humbert
von Vienne, dem Arelat als deutsches Lehen überlassen werden sollte.
1) Die Stelle lautet (mit den Verbesserungen K. Müllers) S. 406 : Nos . . . pro-
vinciam Italiae ab eodem imperio et regno Alemanniae totaliter eximentes ipsam a sub-
jectione, communitate et iurisdictione eorundem regni et imperii separamus, dividimus . . .
quod nullo unquam tempore coniungantur et uniantur aut in uno corpore existere
censeantur.
2) Die lit. Werke des Papstes aufgezählt bei Müller II, 2.
3) Bibamus papaliter. Vita VIII, Baluze I, 241.
4) Walsingh., Hist. Anglic. I 200—208.
282 Die Kärntnische Frage u. d. Häuser AVittelsbach, Habsburg u. Luxemburg.
Dem Kaiser lag an der Aussöhnung mit der Kurie um so mehr, als eine
neue schwierige Frage aufgetaucht war. Am 2. April 1335 war nämlich
Heinrich von Kärnten gestorben. Da von seinen beiden Töchtern die
ältere regierungsunfähig war, schien die Nachfolge der mit dem böhmischen
Prinzen Johann Heinrich vermählten jüngeren Tochter Margareta aufser
Zweifel zu stehen. Die starke Vergrößerung der luxemburgischen Macht
wollte der Kaiser nicht zugeben. Daher belehnte er (5. Mai) die öster-
reichischen Herzoge mit Kärnten und Südtirol , während der nördliche
Teil von Tirol für die Söhne des Kaisers bestimmt war. Die Habsburger
beeilten sich, Kärnten und das an Kärnten verpfändete Krain in Besitz
zu nehmen, die Tiroler aber hielten treu zu Margareta. König Johann
konnte keinen Krieg beginnen , da er an den bei einem Turnier er-
haltenen Wunden in Paris krank danieder lag. Die Unterhandlungen
seines Solmes verliefen ohne Ergebnis, und als Johann heimkehrte,
wurde ein Waffenstillstand bis 24. Juni 1336 geschlossen; bis dahin sollte
über den Frieden verhandelt werden. Mittlerweile war auch die Gesandt-
schaft des Kaisers an den Papst ergebnislos verlaufen. Sie überbrachte die
Forderungen der Kurie. Trotzdem diese alles Mafs überschritten, setzte
Ludwig die Verhandlungen fort. Schon hatte sich aber Frankreichs
Einflufs gegen den Frieden geltend gemacht; den Franzosen lag an der
Fortdauer eines Verhältnisses, das es ermöglichte, ihre Absichten auf
Burgund und Italien durchzuführen. Auch fürchteten sie von der Her-
stellung des Friedens die Rückkehr des Papstes nach Rom. Der Kampf
um die kärntnische Erbschaft, der die Verhandlungen mit der Kurie
ungünstig beeinnufste, wurde 1336 zu Ende geführt, ohne dafs Ludwig
einen Vorteil gewann.
Auf Böhmens Seite traten die Könige von Polen und Ungarn. Während Johanns
Sohn, Markgraf Karl von Mähren, sich in Tirol behauptete, kämpfte Johann gegen
die Herzoge von Österreich und verwüstete die nördlich von der Donau gelegenen
Teile dieses Landes. Im Juli rückte auch Ludwig ins Feld und griff Xiederbayern, das
Land Heinrichs, des Verbündeten Johanns, an. Rasch eilte der Böhmenkönig herbei
und lagerte bei Landau an der unteren Isar. Den Zuzug des Markgrafen Karl ver-
hinderte des Kaisers Sohn Ludwig von Brandenburg. Von Landau aus zog der Kaiser
nach Oberösterreich, um von da in Böhmen einzufallen. Da die Österreicher bisher
allein alle Vorteile aus dem Kriege gezogen hatten und eine Entschädigung des
Kaisers ablehnten, trat er ganz vom Kampfe zurück. Dies erleichterte den Friedens-
schlufs zwischen Habsburg und Luxemburg, der am 9. Oktober 1336 zustande kam.
Indem die Österreicher auf Tirol und das Drautal von Sachsenburg aufwärts ver-
zichteten, behielten sie Kärnten. Ludwig ging leer aus. Der Weg nach Italien, um
den es ihm am meisten zu tun war, blieb ihm verschlossen.
3. Inzwischen hatte Ludwig (1336, März) neue Prokuratorien für
seine Gesandten an den päpstlichen Hof ausgestellt; aber auch dies-
mal wurden die Verhandlungen durch französische Einflüsse gestört.
Hätte ich zwei Seelen, sagte Benedikt XII. einmal dem König von
Frankreich , ich würde eine für dich dahingehen.11) Und doch war
Benedikt XII. noch einer der besseren Päpste dieser Zeit. Trotz aller
Mifserfolge sandte Ludwig im Spätherbst 1336 neue Boten nach Avignon;
l) Muratori HI, 2, 534.
Fruchtlose Friedensbemühungen des Kaisers. Sein Anschlufs an England. 283
er suchte zugleich eine Annäherung an Frankreich und war zu den
gröfsten Opfern bereit: Seine gelehrten Bundesgenossen und die Minoriten
wollte er opfern, alle Urteile gegen König Robert zurücknehmen, die
päpstliche Approbation für sein Königreich nachsuchen, die Kaiser-
krönung wiederholen und alle Eide seiner Vorgänger genehmigen. Noch
am 3. Dezember 1326 ging ein Schreiben an den Papst, aber alle Mühe
war umsonst. Der Einflufs Frankreichs trat wie immer dazwischen.
König Philipp konnte nicht bewogen werden, seine Politik zu ändern,
und das war für die Kurie das Mafsgebende. Am 11. April 1337 hielt
der Papst in Gegenwart des kaiserlichen Sprechers Markward von Randeck
eine feierliche Ansprache an die Kardinäle : Ludwig sei nicht wahrhaft
bufsf ertig ; wäre er es , so würde er Königtum und Kaisertum nieder-
legen. Trotzdem wurden auch jetzt die Verhandlungen nicht abgebrochen.
§ 66. Das englische Bündnis und der Kurverein von Rense.
Zu den obengen. Quellen u. Hilfsschr. s. Altmann u. Bernheim, Ausgew.
Urkk. zur Erläuterung der Verfassungsgesch. Deutschlands im MA. Berl. 1891. S. 33 — 37.
Eichhorn, Über den Kurverein. Abh. Berl. Ak. 1844. J. Ficker, Zur Gesch. des
Kurvereins v. Eense. SB. Wien. Ak. 1853 (s. NA. XVHI). Pauli, K. Ludwig IV. und
K. Eduard IH. in Bilder aus Alt-Engl. 2. A. 1876. Pauli, Die Beziehungen Eduards HI.
zu Kaiser Ludwig IV. 1338/39. Q. u. Er. z. bayr. u. d. Gesch. VII. Schwalm, Reise
nach Italien. NA. XXV.
1. Spät genug reifte in dem Kaiser der Entschlufs, »Avignon in
Paris zu bekämpfen«.1) Der grofse Krieg zwischen England und Frank-
reich (s. unten) war unvermeidlich geworden. Eduard III. fand bei den
niederrheinischen Fürsten Unterstützung ; in ihren Kreisen tauchte sogar
der Plan auf, dafs Ludwig zu Eduards Gunsten auf die Krone verzichte.
Am 23. Juli 1337 wurde ein Allianzvertrag zwischen beiden geschlossen
und am 26. August von Eduard ratifiziert. Ein grofser Krieg Englands und
Deutschlands mit Frankreich war in Sicht. Aber ein Jahr verstrich,
ohne dafs ein Angriff auf Frankreich erfolgte. Wieder trat der Papst
zugunsten Frankreichs auf das eifrigste ein und warnte England vor
einem Bund mit dem Kaiser, diesen vor einem Zusammengehen mit
England. Ludwig erhielt einen starken Rückhalt an den deutschen
Fürsten, von denen sich nur Böhmen und Niederbayern auf Frankreichs
Seite stellten, während die österreichischen Herzoge neutral blieben. Im
ganzen Reiche regte sich eine kriegerische Stimmung. Die Unver-
söhnlichkeit der Kurie brachte es so weit, dafs sich allerorten Stimmen
gegen ihre unerhörten, die Rechte des Königs und der Kurfürsten, die
Würde und Selbständigkeit des Reiches bedrohenden Ansprüche erhoben.
Die Führung der Kurfürsten übernahm der Mainzer Erzbischof Heinrich
von Virneburg. Eine Versammlung geistlicher und weltlicher Fürsten
und Vertreter einzelner Städte trat am 27. März 1338 in Speyer
zusammen. Der Kaiser legte ihr alle seine bisherigen Schritte bei dem
Papste vor und erklärte, dafs die Aussöhnung nur von Frankreich
l) Eiezler H, 438.
284 Die Kurvereine von Lahnstein und Rense.
verhindert werde. Er selbst sei bereit, den päpstlichen Forderungen nach
Billigkeit und Ehre zu entsprechen. Die Versammlung schickte eine
Botschaft mit der Bitte an den Papst, den Kaiser in Gnaden aufzunehmen ;
sie wurde ungnädig empfangen und die Schuld an dem Mifslingen der
Aussöhnung dem Kaiser zugeschoben. So war der letzte Versuch einer
friedlichen Auseinandersetzung gescheitert. Der Papst soll den deutschen
Gesandten unter Tränen ein Schreiben des Königs von Frankreich vor-
gewiesen und auf das Los Bonifaz' VIII. hingewiesen haben, das seiner
warte , falls er mit dem Bayer Frieden schlösse. Diese Nachricht ist
falsch, aber bezeichnend genug für den Grad der Abhängigkeit der Kurie
von allen Strömungen der französischen Politik und für das Urteil der
Menge über den Grund des unwürdigen Verhaltens der Kurie.1)
2. Jetzt gelangte die nationale Erregung auch in Deutschland zum
Durchbruch. Läfst sie sich auch nicht mit jener der französischen
Stände unter Philipp dem Schönen vergleichen, so war es doch sehr
bedeutend, dafs selbst die geistlichen Mitglieder des Kurkollegiums gegen
die Anmafsungen der Kurie auftraten. Das geschah durch die Kur-
vereine von Lahnstein und Rense am 15. und 16. Juli 1338. Am
15. Juli fanden sich in Lahnstein alle Kurfürsten mit Ausnahme Böhmens
ein und erklärten, des Reiches und ihre eigenen Rechte und Gewohn-
heiten aufrecht zu erhalten und sich hierin durch nichts beirren zu lassen.
Jeder Kurfürst sei gehalten, dem andern zu helfen, und sich, falls ein Zweifel
entstünde, der Entscheidung der Mehrheit zu fügen. Wer sich dagegen auf-
lehne, gelte als Meineidiger und Ehrloser. Tags darauf traten die Kurfürsten
und andere weltliche und geistliche Reichsstände in den Gärten zu Rense
am andern Ufer des Rheins2) aufs neue zusammen und einigten sich hier
zu weiteren Beschlüssen, die reichsrechtliche Geltung haben und den Ein-
griffen der Kurie für alle Zukunft ein Ende machen sollten. In einer
eidlichen, von drei Notaren aufgenommenen Erklärung bekunden die
Kurfürsten: Es sei Rechtens und alten Herkommens, dafs der
von allen oder von der Mehrheit der Wahlfürsten Gewählte
keinerlei Nomination, Approbation, Konfirmation'Zustimmung
oder Autorität der Kurie bedürfe, um die Administration
der Güter und Rechte des Reiches zu übernehmen und den
Königstitel zu führen. Darauf wurden die übrigen Reichsstände um
ihre Zustimmung angegangen, die sie rückhaltlos gaben. Dem Papste blieb
fortan nur noch eins vorbehalten: die Kaiserkrönung; doch wurde darüber
nichts festgesetzt. Alles andere : der königliche Titel, die königliche und
kaiserliche Regierung folgt aus der Kurfürsten Wahl. Am Reichstage zu
Frankfurt wurden sodann (6. August) zwei Reichsgesetze publiziert: das
J) Matth. v. Neuenbürg, ed. Studer, S. 85 f. Das Irrige daran hat Weech S. 70
betont. Es wird durch Regg. Nr. 148 u. den Bericht des Joh Yerdensis, eines Trierer
Geistlichen, widerlegt, der sich in Avignon aufhielt (Würdtwein, Nova subsidia XTTT, 46).
2) In pomerio sita iuxta villam Renensem . . . ubi principes electores sacri imperii
Romani ad habendos tractatus super electionibus aut aliis negociis solent convenire.
S. den Kupferstich bei Olenschlager und die dazu gehörige Vignette S. 422. Held-
mann, Die Köln. Stadt Rhens am Rhein. ZY. hess. Gesch. NF. XX. S. 9.
Die Reichsgesetze v. Frankfurt u. d. Zurückweisung d. päpst. Ansprüche. 285
eine wies die Ansprüche des Papsttums auf die Übertragung der kaiser-
lichen Gewalt zurück, diese stamme von Gott; das zweite Gesetz
setzt die Titel und Rechte des von den Kurfürsten Erwählten fest.
Wunsch des Kaisers war es, auch noch den Kaisertitel vom Papste
unabhängig zu stellen; allein die Fürsten widersprachen. Auf diesem
Boden finden wir erst Maximilian I. wieder. Zugleich erging der Befehl,
bei Strafe an Leben und Gut den Gottesdienst wieder ordnungsmäfsig
zu halten.1) Briefe des Papstes sollten fortan nur mit Erlaubnis des
Diözesanbischofs angenommen und verbreitet werden dürfen. Die Rechte
des Kaisers wurden durch seine gelehrten Bundesgenossen, vor allem
von dem Minoriten Bonagratia von Bergamo verteidigt, den ein
wohlunterrichteter Zeitgenosse »eine wahre Rüstkammer der ganzen
Jurisprudenz« genannt hat2). Die Beschlüsse von Lahnstein und Rense
wurden dem Papste mitgeteilt. Sie machten auf ihn einen mächtigen
Eindruck. Er ordnete auch sofort einen Gesandten an den Kaiser ab.
Gleichwohl war trotz aller Verhandlungen ein Ausgleich zwischen Kaiser -
und Papsttum in weiterer Ferne als früher. Ludwig stand übrigens
nicht mehr auf dem radikalen Standpunkt des Defensor pacis. Marsiglio
hatte zur Zeit des Frankfurter Reichstages seinen Einflufs bereits verloren.
3. Als die Frankfurter Tage beendet waren, zog Eduard III. von
England zum Besuch seines deutschen Bundesgenossen heran und wurde
auf dem festlichen Tage von Koblenz (5. September), nachdem die
Frankfurter Reichsgesetze und neue Gesetze über die Reichsverfassung
und den Landfrieden verkündigt worden waren, zum Reichsvikar für die
norddeutschen Länder ernannt. Ludwigs Macht stand fester als jemals
zuvor. Ein kühnes Vorgehen gegen Frankreich bot die gröfsten Aus-
sichten; gleichwohl scheute er ängstlich vor jeder ernsten Anstrengung
zurück3). Die Unterhandlungen mit dem Papste hatte er im Ernste
niemals aufgegeben und wollte es auch nicht. Dies war auch der Grund,
weshalb er in den englisch-französischen Thronstreit nicht eingriff und
mit Frankreich weiter verhandelte. Nicht gegen Frankreich, wohl aber
nach Italien zu ziehen, dahin gingen seine Absichten. Nach dem grofsen
Seesieg der Engländer bei Sluys rief Frankreich die Vermittlung des
Kaisers an; dies führte zu einer völligen Schwenkung in seiner Politik.
Er gab das Bündnis mit England auf, schlofs sich an Frankreich an
und nahm das an Eduard III. verliehene Reichsvikariat wieder zurück.
Trotz seiner Schwenkung erreichte er die Versöhnung der Kurie nicht,
Benedikt XII., erzürnt über das ohne sein Zutun abgeschlossene deutsch-
französische Übereinkommen, begehrte als Preis der Versöhnung voll-
ständige Unterwerfung und hielt an diesem Standpunkt bis zu seinem
Tode fest. Ludwig beraubte sich durch die Preisgabe des englischen
Bündnisses aller Errungenschaften, die sein Zusammenwirken mit den
Kurfürsten gezeitigt hatte. Jetzt suchten auch jene, die mit der Kurie
*) Henr. dapif. de Diessenhoven bei Böhmer FF. IV, 29 ff.
2) Joh. v. Winterthur, 142.
3) Fast alle bedeutenderen Geschichtschreiber jener Tage tadeln die Energie-
losigkeit Ludwigs, so vor allem Matth. v. Neuenburg u. Joh. v. Winterthur.
286 Die Witteisbacher erwerben Tirol.
zerfallen waren, wie Mainz und Trier, Versöhnung mit ihr und folgten
in der auswärtigen Politik dem Beispiel des Kaisers, dessen Politik
lediglich von der Rücksichtnahme auf die Interessen seines Hauses
getragen war.
3. Kapitel.
Wittelsbach und Luxemburg.
§ 67. Die tirolisehe Streitfrage. Klemens VI. und Kaiser Ludwig.
Quellen wie oben. Über die angebl. Schrift Marsiglios : Tractatus consultationis
super divortio matrimonii inter Johannem et Margaretam etc. ed. Goldast, Monarch. II.
1286 s. Riezler, Lit. Wid. 254 u. Müller II, 160. Occam, Tractatus de iurisdictione
imperatoris in causis matrimonialibus. Goldast I, 21. Riezler, S. 254. Von den dar-
stellenden Quellen kommt schon hier die Selbstbiographie Karls IV. und die Chronik
des Benesch von "Weitmühl in Betracht. S. über beide unten Abschn. 3. Für die Gesch.
Klemens' VI. s. die sechs Lebensbeschreibungen in Baluze I, 243—322. Mur. III, 2.
Theiner II, 118 — 241. Werunsky, Excerpta ex registris Clementis VI. etc. Inns-
bruck 1885. S. auch Dahlm.-Waitz-Steindorff, Nr. 2922. Dudik, Ausz. f. Mährens allg.
Gesch. aus den Regesten der Päpste Benedikt Xu. u. Klemens VI. Brunn 1880. Von
neueren Darstellungen zur Tirol. Frage aufser den schon oben genannten Werken
bes. H u b e r , Gesch. d. Vereinigung Tirols mit Österreich. Innsbruck 1864. Die übrige
Lit. s. § 76. AVeech, Kais. Ludwig u. K. Joh. v. Böhmen wie oben und Weech,
K. Ludwig d. B. u. Papst Klemens VI. HZ. Xu, 315.
1. Unter dem Eindruck der Erfolge Ludwigs suchte König Johann
wiederum Anschlufs an ihn und erhielt die Belehnung mit Böhmen,
Eger und den schlesischen Herzogtümern, wogegen er auf die lombardi-
schen Städte mit Ausnahme von Brescia verzichtete. Sein Sohn Johann
Heinrich wurde mit Tirol, dessen älterer Bruder Karl mit Feltre, Belluno
und Cadore belehnt. Schienen sich sonach die Beziehungen der Häuser
Luxemburg und Witteisbach immer freundlicher zu gestalten, so führte
das Tiroler Zerwürfnis einen Bruch herbei, der ein Zusammengehen
beider fortan unmöglich machte. Johann Heinrich lebte mit Margareta,
die wahrscheinlich ihrer Mundbildung wegen den Beinamen Maultasch
erhalten1), in unglücklicher Ehe. Die lebenslustige Fürstin fand an
ihrem schwächlichen, um drei Jahre jüngeren rohen Gemahl kein
Gefallen und glaubte sich zu der Annahme berechtigt, aus dieser Ehe
keine Nachkommenschaft zu erhalten. Die tirolischen Landherren waren
gegen den Fürsten wegen der Begünstigung Fremder erbittert und über
die strenge Finanzverwaltung wenig erfreut; sie beschlossen, ihn zu ver-
jagen und für die Fürstin einen andern Gemahl zu suchen. Als solcher
ward des Kaisers ältester Sohn, Markgraf Ludwig von Brandenburg, aus-
ersehen. Zwar mifslang ihr erster Versuch, diese Pläne durchzuführen,
aber sie gewannen den Kaiser, der die Gelegenheit wahrnahm, sich den
lange ersehnten Besitz von Tirol zu sichern. Als Johann Heinrich am
2. November 1341 von einem Jagdausflug nach Schlofs Tirol heimkehrte,
l) Huber II, 172.
Klemens VI. und seine Politik. 287
fand er die Tore geschlossen und sein Gefolge verjagt. Er zog nun
selbst aus dem Lande. Tirolische Herren trugen dem Markgrafen Ludwig
die Hand Margaretas und die Herrschaft über Tirol an; nach einigem
Zögern ging er auf ihre Wünsche ein. Der Bischof von Freising fand
sich bereit, die Ehe Margaretas zu trennen; da er aber eines plötz-
lichen Todes starb und die Bischöfe von Regensburg und Augsburg, die
darin ein Gottesgericht sahen, sich weigerten, die Scheidung vorzu-
nehmen, wurde sie als niemals vollzogen und daher ungültig durch einen
kaiserlichen Spruch1) geschieden, die neue Ehe, ohne auf die zwischen
dem Brautpaar bestehende Verwandtschaft Rücksicht zu nehmen, kirchlich
eingesegnet (1342, 10. Februar) und Ludwig nicht nur mit Tirol, sondern
auch mit Kärnten belehnt, das sich allerdings bereits seit sieben Jahren
in den Händen der Habsburger befand. Erreichte Ludwig hiedurch
sein Ziel, einen Zugang nach Italien, so erregte sein Vorgehen nicht
blofs die Eifersucht der Habsburger und schuf ihm die tödliche Feind-
schaft der Luxemburger, sondern entfremdete ihm auch die Sympathien
zahlreicher Zeitgenossen. Kaum hatte Benedikt XII. die ersten Nach-
richten über die Vorgänge erhalten, als er den Patriarchen von Aquileja
beauftragte, die Fürstin von ihrem Vorhaben zurückzuhalten und, falls
dies zu spät sei, die ehebrecherischen Gatten in den Bann zu tun.
2. Der Bannfluch war des Papstes letzte Tat gegen das Kaiserhaus.
Er starb am 25. April 1342. Das Kardinalskollegium wählte den Kardinal
Peter Roger — als Klemens VI. (1342—1352) zum Papst. Dieser bildete
in allem, nur nicht in der Politik, den vollkommensten Gegensatz zu
seinem Vorgänger. Sprosse eines vornehmen Hauses, hatte er bei seinen
trefflichen Anlagen die Stufen der Hierarchie rasch erklommen. Ein
Gönner der Künste und Wissenschaften, erregte er als Kanzelredner die
Bewunderung des böhmischen Prinzen Karl, des späteren Kaisers. Als
Papst hatte er einen schlechten Ruf. Für seinen Hof und im Interesse
von Freunden und Verwandten wurden die von seinen beiden Vor-
gängern aufgehäuften Schätze verschwendet, dem Nepotismus in aus-
gedehntem Mafse gehuldigt und Amter und Würden ohne Rücksicht auf
die Würdigkeit der Bewerber verliehen. Ein Parteigänger Frankreichs
und der mit diesem verbündeten Luxemburger, war er ein ausgesprochener
Feind der Witteisbacher. Hatte der Kaiser, indem er auf Kärnten ver-
zichtete, die Habsburger bewogen, neutral zu bleiben, so versuchte er
nun auch einen Ausgleich mit den an Landbesitz und ihrem Ruf
geschädigten Luxemburgern. Aber diese waren nicht einig. Sie fafsten
den Plan, den Kaiser mit Hilfe des Papstes zu stürzen. Wiewohl
Klemens den Kaiser von seiner Wahl nicht verständigt hatte, machte
Ludwig doch einen Versuch, in abermalige Verhandlungen einzutreten.
Aber die Lage der Dinge war jetzt eine andere; die Stimmung von
Rense, die ihm jetzt zugute gekommen wäre, war verflogen und die
deutschen Fürsten geneigt, unter Umständen eine Neuwahl vorzunehmen.
*) Der Traktat Occanis (s. oben) ist als nachträgliche Rechtfertigung des Vor-
gehens des Kaisers anzusehen.
288 Neue Yersöhnungsversuche des Kaisers.
Indem Klemens VI. aus dem Verfahren gegen Ludwig die von den
deutschen Fürsten beanstandeten Punkte ausschied, ward die Lage des
Kaisers eine bedenkliche. Baldewin von Trier, lange Jahre sein eifriger
Anhänger, trat jetzt für die Interessen seines luxemburgischen Hauses
in die Schranken. Schon am 19. Juli 1342 sandte der Papst eine
Weisung nach Italien, sich einem etwaigen Einfall Ludwigs zu widersetzen.
Am Gründonnerstag des nächsten Jahres wurde der Prozefs gegen ihn
erneuert und als die Zeit von drei Monaten verstrich, ohne dafs er sich
zur Verantwortung stellte, Johanns XXII. Prozesse gegen ihn als rechts-
gültig erklärt und in den Kirchen verkündigt. Baldewin erhielt den
Auftrag, den geeigneten Kandidaten für eine Neuwahl zu suchen; jetzt
wurde zweifelsohne an die Erhebung eines Luxemburgers gedacht. Noch
waren diese nicht völlig gerüstet. Markgraf Karl von Mähren schlofs
mit dem Kaiser einen Waffenstillstand (1343, September); auch Frank-
reich erhob die Stimme für ihn. um ihn nicht zum Anschlufs
an England zu drängen. Da Ludwig von den auf seinen Sturz ab-
zielenden Plänen Kunde hatte, suchte er um so eifriger die Versöhnung
der Kurie nach und kam ihr bis aufs äufserste entgegen : Er gab seine
gelehrten Bundesgenossen preis, bedauerte seine Appellationen gegen
Johann XXII. u. s. w. 1) Als er selbst auf die schwersten Bedingungen,
die ihm in der Erwartung ihrer Zurückweisung gemacht wurden, einging,
wurden neue Forderungen laut. Überall stand ihm sein Verhältnis zu
den Luxemburgern im Wege; daher suchte er diese zu gewinnen und
trat mit dem Markgrafen in Verhandlungen, sie waren dem Ziele nahe,
als Boten des Königs Johanns dem Markgrafen statt der Lausitz, durch
die Ludwig die Luxemburger entschädigen wollte, die deutsche Königs-
krone selbst in Aussicht stellten, worauf Karl die Verhandlungen abbrach
und mitten im Winter mit seinem Vater nach Avignon ging (1344, Februar).
Unter ihrem Einflüsse dürften neue Forderungen an Ludwig gestellt
worden sein, die nicht nur dessen kaiserliche, sondern auch königliche
Würde in Frage stellten. Auch jetzt brach er die Verhandlungen nicht
ab, aber die Reichsstände, denen er die Bedingungen der Kurie mitteilte,
wiesen sie zurück (9. September), soweit sie dem Reich zum Schaden
gereichen. Die Städte stellten sich mit Entschiedenheit auf die Seite
des Kaisers. Auf dem Fürstentag von Bacharach, der wenige Tage später
stattfand, erhoben die Luxemburger heftige Klagen gegen ihn; doch
waren sie selbst nicht stark genug, um das Königtum schon jetzt in
Anspruch zu nehmen. Ludwig hatte ihnen zudem an Polen und Ungarn
Feinde erweckt und auch die Habsburger sahen mit Sorge auf ihre
steigende Macht. Unter diesen Umständen setzte Ludwig seine Ver-
handlungen fort: bei der Schroffheit der Kurie war ein günstiger Aus-
gang freilich nicht zu erwarten und so trat der lange Kampf zwischen
Kaiser- und Papsttum in seine letzte Phase.
*) Matth. v. Neuenbürg, cap. 70 : De quo papa et collegium mirabantur dicentes
intra se : Iste difßdentia est perplexus, was Riezler übersetzt : Der ist vor Angst verrückt
geworden.
Päpstlich-luxemburgischer Bund zum Sturz des Kaisers. 289
§ 68. Die Wahl Karls IV. und das Ende Ludwigs des Bayers.
1. Die Allianz des Kaisers mit Ungarn und Polen barg für den
Papst und die Luxemburger grofse Gefahren. Zudem erhielt Ludwigs
Macht durch den Anfall von Seeland, Holland, Friesland und Hennegau
eine bedeutende Verstärkung. Am 27. September 1345 war nämlich
Graf Wilhelm, der letzte männliche Sprosse des Hauses d'Avesnes, in
der Schlacht bei Staveren gegen die Friesen gefallen. Seine ältere
Schwester Margareta war mit dem Kaiser, die zweite mit König Eduard III.
und die dritte mit dem Markgrafen von Jülich vermählt, die jüngste starb
unvermählt. Hennegau fiel als Frauenlehen unmittelbar an die Kaiserin; aber
auch der übrige Besitz wurde als erledigtes Reichslehen an sie gegeben. Dieses
Vorgehen schädigte das Verhältnis des Kaisers zu England, für das See-
land als Angriffspunkt gegen Frankreich von höchster Bedeutung war.
Auch die Luxemburger, die nun auch in der unmittelbaren Nähe ihres
Erblandes bedroht waren, erhielten Anlafs zu neuen Beschwerden. Trotz-
dem nahm Ludwig nochmals die Verhandlungen auf: er bot dem geld-
bedürftigen Böhmenkönig für die Abtretung Tirols die Niederlausitz und
20000 Mark Silber; aber die Söhne Johanns besorgten, dafs er das
Geld an seine Günstlinge verschleudern würde. So scheiterte denn der
letzte Ausgleichsversuch der feindlichen Häuser. Es gelang dem Mark-
grafen Karl, seinen Grofsoheim Baldewin von Trier ganz für seine Pläne
zu gewinnen, die sich mit denen der Kurie deckten. Karl wurde der
Kandidat Klemens' VI. und aller mit Ludwigs Regiment unzufriedenen
Parteien im Reiche. König Johann gab seine Ausgleichsversuche auf
und ging nach Avignon, wo der Papst eben daran war, Ludwigs Stel-
lung in Deutschland selbst zu untergraben. Der Erzbischof von Mainz,
Heinrich von Virneburg, der treueste Anhänger Ludwigs, wurde durch
den jugendlichen Grafen Gerlach von Nassau ersetzt. Dieser kühnen
Mafsregel gegen den ersten Fürsten des Reiches folgte am Gründonners-
tag (13. April) die feierliche Verfluchung des Kaisers1); den Kurfürsten
wurde geboten, zur Neuwahl zu schreiten, widrigenfalls der apostolische
Stuhl, von dem die Kurfürsten ihr Wahlrecht überkommen
haben, auf dem Weg der Provision für einen rechtmäfsigen König
sorgen würde. Wenige Tage später (20. April) beschwur Karl die ihm
vom Papste vorgelegten Artikel : die Eide zu leisten, die sein Grofsvater
Heinrich VII., »der letzte Kaiser«, dem Papste geschworen, alle Zu-
geständnisse früherer Kaiser und Könige an die Kirche zu erneuern,
alle Regierungshandlungen Ludwigs für nichtig zu erklären, Rom aufser
an dem zur Krönung bestimmten Tage nicht zu betreten usw. Die
Forderungen des Papstes enthielten noch mehr als die (1343) von Ludwig
zurückgewiesenen Artikel. Namentlich wurde dem Papste Ferrara über-
lassen und die vollständige Unabhängigkeit der Provence, Forcalquiers und
x) Divinam imploramus potentiam, ut Ludovici confutet insaniam, deprimat et
elidat superbiam et eum dexterae suae virtute prosternat . . . Veniat ei laqueus, quem
ignorat, et cadat inipsum. Sit maledictus ingrediens, sit maledictus egrediens. Percutiat
eum Dominus amentia et cecitate.
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 19
290 Die Wahl Karls IV. Seine Jugend und seine ersten Erfolge.
Pienionts vom Reiche zugestanden.1) Karl genehmigte alle Forderungen
der Kurie, und sein Vater übernahm die Verpflichtung, den Sohn zu
ihrer Einhaltung anzumahnen. Beide gelobten Ludwig als Ketzer und
Schismatiker zu bekämpfen, jetzige oder spätere Streitigkeiten mit Frank-
reich und Polen dem Schiedsrichteramt des Papstes zu unterwerfen und
den König von Ungarn abzuhalten, Sizilien anzugreifen, um dort die
Mörder des Königs Andreas (s. unten) zu strafen. Der Papst forderte
nunmehr (2$. April) im Hinblick auf die lange Vakanz des Kaisertums
die Kurfürsten auf, zur Neuwahl zu schreiten. Die Kurstimme Branden-
burgs wurde als die eines Gebannten für ungültig erklärt. Besondere
Schreiben an Köln, Trier und Sachsen machten die Wahl Karls zur
Pflicht. Baldewin von Trier wurde von dem über ihn wegen seiner
früheren Anhänglichkeit an Ludwig verhängten Bann losgesprochen,
worauf er den Absagebrief an seinen früheren Herrn einsandte. Der
Wahltag wurde auf den 11. Juli 1346 nach Rense ausgeschrieben. Bei
den letzten Vorbesprechungen in Trier (Mai) wurde das Mafs der »Hand-
salben« festgesetzt. Der Papst räumte noch einige Hindernisse weg, die
das Verhältnis der Luxemburger zu Polen und Frankreich betrafen.
Am festgesetzten Tage fanden sich fünf Kurfürsten in Rense ein, von
denen der eine der Vater, der andere der Grofsoheim des Kandidaten,
der dritte ein Kurfürst ohne Land (Mainz), die andern, Köln und Sachsen,
um hohe Summen bestochen waren, und von denen Rudolf von Sachsen
noch entschuldigend bemerkte, dafs er vorn Papste gedrängt werde. Das
Wahlrecht der Pfalz wurde, weil der Kurfürst nicht erschien, als aus-
gefallen bezeichnet. Die fünf Wähler vereinigten ihre Stimmen auf den
Markgrafen Karl von Mähren.
Karl wurde als ältester Sohn König Jobanns ani 14. Mai 1316 zu Prag geboren.
In der Taufe erhielt er den Xamen "Wenzel. In seine zarteste Jugend fällt der
schwere Kampf seines Vaters mit den böhmischen Baronen und mit seiner Gattin
Elisabeth, die seit dem September 1316 in dem in schöner Waldeinsamkeit gelegenen
Schlosse Bürglitz weilte, dann im März des nächsten Jahres nach Prag zurückkehrte,
wo sie an Stelle des Erzbischofs Peter von Mainz die Regentschaft übernahm. Um
den Wechselfällen des Bürgerkrieges nicht ausgesetzt zu sein, begab sie sich nach
dem festen, ihr als Leibgeding zugewiesenen Schlofs Elbogen, und hier verblieb der
jugendliche Prinz, auch als seine Mutter vom König nach Melnik verwiesen ward.
Um den König mit seiner die Rechte des Königtums verteidigenden Gemahlin zu ver-
feinden, hatten die Führer des Adels nämlich das Gerücht verbreitet, sie gehe damit
um, ihn zugunsten des jungen Prinzen des Thrones zu berauben. So unbegründet
das Gerücht war, es liefs im Herzen des Königs einen Stachel zurück; der junge
Prinz ward nun in Elbogen in einer Art von Haft gehalten. Vier Jahre alt, kehrte er
nach Bürglitz zurück. Der ruhige Aufenthalt auf den weltentlegenen Burgen
mochte den Grund zu dem verschlossenen Wesen, aber auch zu jenem bedäch-
igen Charakter gelegt haben, den er im vollen Gegensatz zu seinem Vater besafs.
Vielleicht noch aus demselben MiTstrauen entfernte dieser den Sohn aus dem Lande
und gab ihn an den Hof seines Schwagers Karl IV. von Frankreich. Hier wurde
Wenzel erzogen. Bei der Firmung, die Johann XXII. in Avignon an ihm vollzog, legte
ihm der König seinen eigenen Xamen Karl bei, und dieser ist ihm zuerst in Frank-
reich, wo der Name Wenzel ein ungewöhnlicher war, dann auch in Böhmen selbst
geblieben. Karl erhielt in Frankreich eine ausgezeichnete, fast gelehrte Erziehung mit
Würdigung der Zusagen Karls IV. bei Werunsky I, 409 — 414.
Der > Pfaffenkönig c Tod K. Johanns bei Cröcy. 291
geistlichem Einschlag. Seine Sprachkenntnisse waren bedeutend, denn er sprach und
schrieb nicht blofs das Deutsche und Tschechische, sondern auch das Französische,
Italienische und Lateinische.1) Noch in früher Jugend wurde er mit der französischen
Prinzessin Margareta, genannt Blanka, vermählt. Nach dem Tode Karls IV. weilte
er noch zwei Jahre am Hofe Philipps VI. Von jenen Männern, die sein Wesen be-
einflufsten, gedenkt er des Abtes von Fecamp, des späteren Papstes Klemens VI., der
als solcher kräftig in seine Geschicke eingriff. Im Jahre 1330 kam er nach Luxem-
burg, von wo ihn sein Vater in die Lombardei berief, um seine dort gewonnene
Machtstellung zu behaupten. Hier bewährte er sich als Krieger und Diplomat. Diese
seine Tätigkeit hat er auf Grund seiner an Ort und Stelle gemachten Aufzeichnungen
in späteren Jahren anschaulich und anmutig in seiner Selbstbiographie beschrieben.
Nach elfjähriger Abwesenheit kehrte er (1333) nach Böhmen zurück. Wir fanden,
schreibt er, das Königtum so heruntergekommen, dafs wir nicht eine einzige Burg
antrafen, die nicht mit allen ihren Krongütern verpfändet gewesen wäre. Er wurde
nun Markgraf von Mähren, Statthalter von Böhmen und verstand es, die materiellen
Grundlagen des Königtums zu heben und das verschleuderte Gut allmählich wieder
an die Krone zu bringen. Kräftiger als Johann trat er in den Kampf um das Erbe
des Kärntners ein (1335). Noch einmal erfafste den Böhmenkönig das Mifstrauen gegen
seinen Sohn : er nahm ihm die Verwaltung aus der Hand und liefs ihm nichts »als
den blofsen Titel eines Markgrafen von Mähren ohne die Sache«. Aber bald erhielt
er seine Stellung zurück, er wurde (1341) als alleinberechtigter Erbe des Königreichs
anerkannt und (1342) mit dessen Verwaltung betraut. Mit der Wahl seines einstigen
Lehrers zum Papst stiegen seine Aussichten, und seine Wahl war grofsenteils Folge
der seit Jahren bestehenden innigen Beziehungen zwischen beiden.
2. Noch am Tage der Wahl zeigte sie Karl IV. den Fürsten und
Städten an. Die Kurfürsten schickten die Wahldekrete an den Papst.
Kein geringerer als Occam hat ihr Vorgehen als Treubruch gegen ihren
früheren Herrn gegeifselt. Es war eine Wahl, die sachlich den Charakter
einer päpstlichen Provision hatte, und so ist die von Occam und andern
Zeitgenossen gebrauchte Bezeichnung eines »Pfaffenkönigs« durchaus
gerechtfertigt. Die Krönung sollte am 27. August stattfinden. Die
Bürger von Aachen wollten davon nichts wissen und rüsteten sich zur Gegen-
wehr. Karls Aussichten im Reiche waren ungünstig genug, denn seine
Wähler waren zu keinen besonderen Opfern bereit. In Trier (oder in
Luxemburg) traf ihn die Bitte König Philipps von Frankreich, ihm gegen
Eduard III. zu Hilfe zu kommen. Karl IV. und sein Vater zogen mit
einer Schar von 500 Rittern aus. Am 26. August kam es bei Crecy
zur Schlacht, in der die Franzosen geschlagen wurden und König Johann
fiel (s. § 79). Mit Mühe und Not war Karl selbst entkommen. Er hatte,
wahrscheinlich erst in einem späteren Gefechte, drei Wunden erhalten,
an denen er eine Zeitlang im Stifte Ourcamp (bei Noyon) daniederlag.2)
Inzwischen dachte der Kaiser daran, dem Drängen seiner italienischen
Bundesgenossen nachzugeben und nach Italien zu ziehen, wo man die
*) Über seine Sprachkenntnisse sagt Ludolf von Sagan, der die Verhältnisse
in Prag aus eigener Anschauung kannte: Hie Unguis loquens variis Teutunicum proprie,
Bohemicum debite, Gallicum congrue et ydioma latinum loquebatur magistraliter
et perfecte, und Königshof en : under den sprochen hette er dutsche sproche aller-
liebest . . . Zur Stelle Ludolf s ist d. Gold. Bulle, cap. XXXI, anzufügen, wo der König
von Böhmen denen beigezählt wird: quibus Teutonicum ydioma naturaliter inditum
scire praesumatur. Das ward erst unter dem Hussitenkönig Georg anders.
*) Schlachtbericht des Ritters Johann von Schönfeld an den Bischof von Passau
am 12. Sept. 1346 in Böhmer-Ficker, Acta imperii selecta, p. 750.
19*
292 Tod und Charakteristik K. Ludwigs. Ausgang seiner gelehrten Bundesgenossen.
Aufstellung eines Gegenpapstes beabsichtigte. In Deutschland hatte er
die Reichsstädte für sich ; nicht eine von den rheinischen, schwäbischen
und fränkischen Städten trat auf die Seite des Luxemburgers. Auch
unter den Fürsten besafs er einen mächtigen Anhang. Auf seine Seite
stellte sich aus Eifersucht auf Luxemburg auch das Haus Habsburg. Nach-
dem Karl in öffentlichem Konsistorium (6. November) die päpstliche
Approbation und 20 Tage später die Salbung und Krönung in Bonn
empfangen, eilte er im Aufzuge eines Knappen nach Böhmen. Tiroler
Adelige, unzufrieden mit der sparsamen bayrischen Verwaltung, hatten
in ihm die Hoffnung erweckt, Tirol wiederzugewinnen. Mitte März 1347
kam er, als Kaufmann verkleidet, nach Trient. Einige oberitalienische
Herren, die Bischöfe von Trient und Chur und der Patriarch von
Aquileja waren für ihn. Das ganze Unternehmen schien um so aus-
sichtsvoller, als Markgraf Ludwig auf einem Zug gegen die heidnischen
Preufsen begriffen war. Aber die Fürstin Margareta wies alle An-
griffe auf das Schlofs Tirol tapfer zurück, und als Markgraf Ludwig
und ihm folgend der Kaiser anrückten, war Karl zu einem verlustvollen
Rückzug genötigt. Er sammelte in Böhmen ein neues Heer, um den
Kampf gegen den Kaiser selbst aufzunehmen. Noch hatte er aber die
Grenze seines Reiches nicht überschritten, als er die Nachricht vom
Tode des Kaisers erhielt. Schon krank, war dieser von München aus
auf die Jagd geritten (11. Oktober). Nicht weit vom Kloster Fürstenfeld
sank er, vom Schlage gerührt, vom Pferde und verschied in den Armen
seiner Begleiter. Seine letzten Worte waren: »Maria, süfse Königin,
unsere Frau, sei bei meinem Scheiden!« Verschiedene Gerüchte über
seine angebliche Vergiftung schwirrten durch die Welt.1)
Ludwig war in der Mitte der sechziger Jahre, als ihn der Tod ereilte. Ein
Herrscher, der bei Zeitgenossen und Späteren eine ganz widerspruchsvolle Beurteilung
gefunden hat. Trotz seiner Siege bei Gammelsdorf und Mühldorf mehr Diplomat als
Krieger, war er unter den deutschen Kaisern der letzte, dessen Regierung durch einen
Kampf zwischen Staats- und Kirchengewalt erschüttert wurde. Trotz mächtiger Bundes-
genossen und günstiger politischer Konstellationen, trotz des Zusatmnenfallens nationaler
Interessen mit antipäpstlichen Strebungen, der wachsenden Einsicht der Laien gegen
die "Übergriffe der Hierarchie, trotz der Unterstützung durch seinen gelehrten Bundes-
genossen war er nicht imstande, den Kampf zu einem glücklichen Ende zu führen.2)
Bei allem Verständnis der politischen Fragen war er von einer grenzenlosen Unsicherheit
in der Anwendung geeigneter Mittel; daher sein fortwährendes Schwanken, das ihn
in den Buf der Unzuverlässigkeit brachte. Sehr erfolgreich war sein Wirken für seine
Familie, weniger für sein Land, am wenigsten für das Reich. Doch verdient seine
Sorge für den Landfrieden und die Hebung des Bürgerstandes hervorgehoben zu werden.
Beim Bürgertum war er sehr beliebt, und die Reichsstädte gelangten durch die unter
seiner Mitwirkung geschlossenen Bündnisse zu erhöhter Bedeutung. Von seinen ge-
lehrten Bundesgenossen starb Jandun schon 1328, Marsiglio zwischen 1339 und dem
10. April 1343, beide unversöhnt mit der Kirche. Die Minoriten standen nur in der
Frage »von der Armut Christi« wider den Papst. Michael von Caesena starb am
29. November 1342 zu München. Erst angesichts des Todes gab er — einer übrigens
nicht ganz einwandfreien Quelle zufolge — seinen Widerstand gegen das Papsttum
auf. Bonagratia starb vor 1340 ; Occam überlebte seinen Herrn und blieb auch, als sich
x) Sorgsam zusammengestellt von Riezler, Gesch. Bayerns H, 499 ff.
2) Weech, HZ. XH, 345.
Innerer Zusammenhang der kirchlichen Opposition seit Friedrich II. 293
die bayrische Partei an Günter von Schwarzburg hielt, im Gegensatz zu Klemens VI.
und dem »Pfaffenkönig«. Erst als er nach der Versöhnung der feindlichen Häuser
Luxemburg und Witteisbach nirgends einen sicheren Platz fand, erklärte er seine
Unterwerfung. Es mochte ihm schwer genug ankommen, seine Lehre zu widerrufen,
dafs die Päpste kein Recht haben, Könige ein- und abzusetzen. Er starb nach 1349.
Die folgenden Männer der Vorreformation haben sein Andenken hochgehalten und
aus seinen Lehren geschöpft. In diesem Sinne knüpft die kirchliche Opposition Eng-
lands unter Wiclif l) an die literarischen Widersacher der Päpste im Zeitalter Ludwigs
des Bayers an, ebenso wie diese an die kirchliche Opposition unter Philipp dem
Schönen und wie die französische in ihren Spuren noch in die Zeiten Friedrichs IL
zurückführt.
3. Abschnitt.
Kaiser- und Papsttum im Zeitalter Karls IV.
(1347—1378).
1. Kapitel.
Karl IV. und der Ausbau der luxemburgischen Macht.
§ 69. Der Kampf um die deutsche Krone.
Quellen. Urkk. Aufser den Acta imperii inedita u. Acta imp. selecta s.
Böhmer-Huber, Regg. d. Kaiserreichs unter Karl IV. Innsbr. 1877. Nachträge 1889.
Lindner u. Bär im NA. VEH, IX. Knothe im NA. sächs. Gesch. XII. Acta Karoli IV.
imp. inedita. Innsbr. 1891. Immer reicher wird die Zahl der Formulare ; s. Breslau,
Handb. d. Diplom. I. Böhmer-Huber LVIII (dazu MJÖG. XX). Aus ihnen sei hervor-
gehoben : Summa cancellariae (Cancellaria Caroli IV.), ed. Tadra. Prag 1895 mit tschech.
Einl. u. Noten. Der Collectarius perpetuarum formarum d. Joh. v. Gelnhausen ed.
H. Kaiser. Strafsb. 1898 (dort S. 9 ausf. Lit.-Angaben. S. auch NA. XXV und ZG.
Mährens u. Schlesiens VI.). Cancellaria Joh. Noviforensis AÖG. LXHI. Die Cancellaria
Arnesti etc. Zum Urkundenwesen der lux. Zeit s. das grundlegende Buch v. Lindner,
Das Urkundenwesen Karls IV. u. s. Nachfolger. Stuttgart 1882. S. Diekamp, HJb. IV
u. Schmitz, RQ.-Schr. VIU. Die Lit. zur Goldenen Bulle Dahlm.-Waitz-Steindorff 2924.
Dazu : Bernheim u. Altmann, Ausgew. Urkk. Berl 1891 (dort auch die andern Aus-
gaben u. die dazu gehörige Lit.). Schwind u. Dopsch, wie oben. Urkundenb für
einzelne Länder s. in DWSt. Hinzuweisen ist noch auf die gehaltvollen Aufsätze von
Konrad Burdach, Böhmens Kanzlei unter d. Luxemburgern u. die deutsche Kultur
im Zentralbl. f. d. Bibliotheksw. VIH (sep. Halle 1893). Grünhagen, Korresp. der Stadt
Breslau mit Karl IV. 1347—1355. Wien 1865. Kürschner, Die Urkk. Herzog Rudolfs IV.
v. Österreich. Wien 1873. Werunsky, Excerpta wie oben; die Urkunden der Päpste
s. unten.
Geschichtschreiber. Böhmische: Der sog. Dalimil von streng nation. Ge-
sichtspunkt aus ; früh ins Deutsche, in Prosa u. in Reime übertragen. Gedr. FF. rer.
Bohem. HI, kommt nur für die Gesch. Johanns noch in Betracht. Wertvoller sind
auch noch für die Jugendzeit Karls die Königsaaler Geschichtsquellen und für die
weiteren Jahre die Fortsetzung und die Zusätze des Domherrn Franz v. Prag, heraus-
*) In dem noch ungedruckten Werke Wiclifs De Veritate Sacrae Scripturae liest
man : Dico, quantum ad libros Venerabilis Inceptoris (Occams Beiname) : Verecundor
et gaudeo, si in veritatibus convenimas. Den Vorwurf, dafs Occam Ketzer sei, weist
Wiclif zurück.
294 Kaiser- und Papsttum im Zeitalter Karls IV.
gegeben v. Loserth in den FF. rer. Austr. I, VIH u. danach von Emier in FF. rer.
Boh. m. Der Domherr Franz hat von Karl IV. selbst Nachrichten erhalten u. kennt
z. B. die auf Cola Rienzi bez. Korrespondenz. Für die Gesch. Karls IV. selbst bis zu
seiner Königswahl ist seine vortreffliche Selbstbiographie Hauptquelle : Yita Karoli rV.
imp., ed. Böhmer in FF. rer. Germ. I u. Emier mit der tschech. u. deutschen Redaktion
in FF. Bohem. HL S. auch Geschichtschr. d. d. Vorz. XIV. Jahrh. 5. Bd. Zur
Charakteristik der theol. Gelehrsamkeit Karls IV. s. die Moralitates Karoli IV., ed.
Wotke, Z. Gesch. Mährens u. Schlesiens I, 4. Die Chronica ecclesiae Pragensis des
Benesch Krabice von Weitmühl enthält auch die vita Karoli IV. mit (zum Teil)
besseren Angaben u. andere bekannte Quellen. Herausg. v. Pelzel u. Dobrowsky,
SS. rer. Boh. II, 199 — 424 u. v. Emier FF. rer. Boh. TV. Von geringerem Werte für die
Gesch. Karls sind: die Chronik Marignolas, Dobner MM. II, 68—282 u. FF. rer. Boh. HI,
492—604 — sie reicht bis 1362 — , die Chronik Pulkawas, Dobner HE, 63—290, Menken,
SS. rer. Germ. III, 1617 u. FF. rer. Boh. IV, endlich die Summula chronicae tarn
Romanae quam Bohemicae des Neplach v. Opatowitz, Pez SS. rer. Austr. II und FF.
rer. Boh. HL Zum Teil kommt für Karls Zeit auch schon Ludolf von Sagan in Be-
tracht. Sein Catalogus abb. Saganensium ist gedr. von Stenzel in SS. rer. Sil. I, sein
Tractatus de longevo schismate ed Loserth AÖG. LX. Aufserböhmische und
schlesische Quellen. Neben den schon oben genannten Quellen, dem Chronicon
de ducibus Bavariae, Chron. Sampetrinum Erphordiense, den Gesta Treverorum, Hein-
ricus de Hervordia, Heinrich (von Eichstätt?), Heinricus dapifer de Dissenhofen, Johann
v. Winterthur u. Matth. v. Neuenburg: Die österr. Annalen und zwar vornehmlich
die von Zwettl u. Matsee im IX. Bd. d. MM. Germ. SS. Mainzer Aufzeichnungen:
Chronici Moguntini miscelli fragmenta collecta 1329 — 1511 bei Böhmer FF. IV, 367
und die Gesta archiepp. Mog. 1138 — 1410, ebenda 363—367. Von Städtechroniken die
von Nürnberg, Augsburg, Strafsburg, Magdeburg u. Lübeck im TV., V.,
VH., V1LL, IX. u. XIX. Bd. der Städtechroniken; s. die entsprechende Würdigung und
Literaturvermerke aufser bei Huber, Regg. S. LHI ff. bei Lorenz a. a. 0. Die Lim-
burger Chronik 1336—1398, ed. Rofsel, Wiesbaden 1860. Chronik Detmars des Franzis-
kaner-Lesemeisters, herausg. v. Grautoff im 1. Bd. d. Lübeckischen Chroniken.
Wichtig für die nordd. Verhältnisse. Chroniques de Metz, p. p. Huguenin. Metz 1838.
Eberhard Müllner, Chronik v. Zürich, ed. Ettmüller in Mitt. d. antiq. Ges. v. Zürich
1844, ed. Henne v. Sargans in der sog. Klingenberger Chronik 1861. Johannes v. Guben,
Jahrb. v. Zittau, 1255 — 1476. SS. rer. Lusat. NF. 1. Johannes Hocsemius, Gesta epp,
Leod. bis 1348 bei Chapeaville, Gesta pontiff. Leod. H. Levold v. Northof, Chronic*
com. d. Marca 1358, ed. Meibom SS. rer. Germ. I, ed. Trofs 1859. Michaelis de Leone
can. Herbipolensis Annotata historica 1332 — 1354 Böhm. FF. 1 u. Johannes Latomus,
Acta Frankfurtens. 793—1519; wertvoll für 1338—1356, ed. Böhm. FF. IV, 399—429.
Von italienischen Quellen (das vollst. Verzeichnis bei Böhmer-Huber LVT, LVH) sind
die wichtigsten : Das chronicon Estense bis 1354 resp. 1476. Muratori XV. Chroniques
anciennes de Savoye bis Ende des XTV. Jahrh. MM. hist. Patriae SS. I. Cronaca
della cittä di Perugia. 1309 — 1491. Arch. stör. Ital. XVIa. Cronica di Pisa, 1089 bis
1389. Muratori XV. Cronica Sanese di Neri di Donato da Siena, 1352 — 1381. Mura-
tori XV. Cortusiorum historia de novitatibus Paduae et Lombardiae, 1256 — 1358.
Murat. XH. Johannis Porta de Annoniaco modus coronationis Caroli Romanorum
imperatoris IV, ed. Höfler. Beitt. z Gesch. Böhmens I. 2. Bd. Prag 1864. Sozomenus
presb. Pistoriensis, Specimen historiae, 1362 — 1455. Muratori XVI. Am wichtigsten
ist: Villani Giovanni, Cronica bis 1348, fortgesetzt v. dessen Bruder Matteo bis 1363
und von des letzteren Sohn Filippo bis 1364. Murat. XTJT u. XIV. Separat auch von
A. Racheli. Trieste 1857. Die ungarischen u. polnischen Quellen sowie die Quellen
zur Geschichte des Papsttums s. bei den entsprechenden Paragraphen.
Hilfsschriften. Hauptwerk (aber noch nicht ganz vollendet): Werunsky,
Gesch. Karls TV. u. seiner Zeit. 3 Bde. Innsbr. 1880 — 1893. Lindner, Geschichte
d. d. Reiches unter den Habsburgern u. Luxemburgern. 2 Bde. Die allgem. Werke
zur allgem. mittelalterlichen, deutschen, bayrischen, österreichischen, böhmischen,
mährischen etc. Gesch. s. oben. Von älteren Darstellungen : Pelzel, Gesch. Karls IV.,
Königs v. Böhmen. 2 Bde. Dresden 1783. Für einzelne Perioden u. einzelne Ereignisse:
Karls Anfänge als deutscher König. 295
L. Worthmann, Die Wahl Karls IV. zum röm. König. Bresl. 1875. Freyberg,
Die Stellung der Geistlichkeit zur Wahl und Anerkennung Karls IV. Halle 1880.
Mating-Samler, Karl IV. v. Lützelb. Chemnitz 1872. Janson, Das Königtum
Günters v. Schwarzburg. Leipzig 1880 (s. DWSt. Nr. 3054). Rassow, D. Königt.
G. v. Schw. Progr. Wolgast 1887. Für die Beziehungen zum Papsttum u. Italien.
Aufser den allg. Werken y. Gregorovius u.a.: Palm, Ital. Ereignisse in den ersten
Jahren Karls IV. Gott. 1873. Werunsky, Die it. Politik Papst Innozenz' VI. u.
König Karls' IV., 1353 — 1354. Innsbr. 1878. Der erste Römerzug K. Karls' IV. Innsbr.
1878. C i p o 1 1 a , Karl IV. in Mantua. MJÖG. in. Menzel, Ital. Politik K. Karls' IV.
1355—1368. Halle 1880. 1347—1368. Progr. Blankenburg 1898. Stoy, Die pol. Be-
ziehungen zw. Kaiser u. Papst 1360 — 1364. Strafsb. 1881. Matthes, Der zweite
Römerzug K. Karls'. Halle 1880. Warnecke, Der zweite Römerzug K. Karls IV.
Jena 1881. Fournier, Le royaume d'Arles s. unten.
Bez. zu Frankreich: Gottlob, Karls IV. priv. u. pol. Beziehungen zu Frankreich.
Innsbr. 1883. Scholz, Die Zusammenkunft Karls IV. u. Karls V. von Frankreich
1378. Progr. Brieg 1878. Winkelmann, Die Bez. Karls IV. zum Königreich Arelat.
Strafsburg 1882. Leroux, Recherches critiques sur les relations politiques de la
France avec l'Allemagne 1292 — 1378. Paris 1882. Höfler, Aus Avignon Abh.
böhm. G. d. W. VI, Ser. I. Prag 1868. Beziehungen Karls IV. zum arelat. Königreich,
ib. 1865. Zu Österreich : H u b e r , Gesch. d Vereinig, wie oben. Gesch. d. Herzogs
Rudolfs IV. Innsbr. 1865. Steinherz, Karl IV. und die österr. Freiheitsbriefe.
MJÖG. IX. Wi 1 h e 1 m , Die Erwerbung Tirols durch Rudolf v. Österreich. MJÖG. XXIV.
Kurz, Österr. unter Rudolf IV. Linz 1818. Österr. unter Albrecht H., ib. 1821.
Unter Albrecht DU. 1827. Zu Ungarn: Steinherz, Die Bez. Ludwig I zu Karl IV.
MJÖG. VIQ, IX. Zu Witteisbach: Riezler, wie oben. Lindner, Karl IV. und die
Witteisbacher MJÖG. XH. Palm, Zu Karls IV. Politik gegen Bayern. Forsch, XV.
Theuner, Der Übergang der Mark Brandenburg von d. Wittelsb. an das Luxem-
burgische Haus. Berl. 1887. (S. Mark, Forsch. XIX.) Kl öden, Die Mark Brandenb.
unter Karl IV. 3 A. Berl. 1890. Diplom. Gesch. des Markgrafen Waldemar 1295 bis
1323. Berl. 1844. Scholz, Die Erwerbung der Mark Brandenb. durch Karl IV.
Breslau 1874. Glasschröder, Markwart v. Randeck, Bisch, v. Augsb. u. Aquil. Stud.
z. Gesch. Ludwigs des Bayers u. Karls' IV. Z. hist. Ver. Schwaben u. Neub. XV, XX,
XXI. Ahrens, Die Weitiner u. K. Karl IV. 1364—79. Leipz. 1895. Ferdinand,
Kuno v. Falkenstein. Erzb. v. Trier. Diss. 1885. Grünhagen, Schlesien unter
Karl IV. ZVG. Schles. XVU. Lippert, Wettiner u. Witteisbacher u. d. Lausitz im
14. Jahrh. Dresd. 1894. Allgemeines: Kroger, Der Einflufs u. die Politik K. Karls IV.
bei der Besetzung der d. Reichsbistümer. Münster 1885 Friedjung, K. Karl IV.
u. sein Anteil am geistigen Leben seiner Zeit. Wien 1876. Nuglisch, D. Finanzw.
d. d. Reiches unter Karl IV. Strafsb. 1899. K. Burdach, w. oben. Hecker, Der
schwarze Tod im 14. Jahrh. Berl. 1832. NA. 1865. Höniger, Der schwarze Tod in
Deutschland. Berl. 1882. Lechner, Das grofse Sterben. Innsbr. 1884. Rebouis,
Etüde historique et critique sur la peste. Paris 1888. Lechner, Die grofse Geifsel-
fahrt des Jahres 1349. HJb. V. S auch DWSt. Nr. 3071— 3077. Die Königs wähl
Wenzels s. unten .
1. Für die Luxemburger war Kaiser Ludwigs Tod ein glückliches
Ereignis, ohne das sich das Königtum Karls IV. ebensowenig behauptet
hätte als jenes Friedrichs des Schönen. Vor diesem hatte er freilich
noch die unbedingte Unterstützung der Kurie voraus. Um sich ihre
Geneigtheit zu erhalten, enthielt er sich bis zu seiner Approbation aller
Regierungshandlungen und liefs sich erst zum König krönen, als diese
erfolgt war.1) Dafür hatte er freilich die dem Papste schon früher ge-
machten Konzessionen noch mehrmals2) erneuern müssen. Er leistete
*) Te nominavimus in regem Romanorum. Keine blofse Anerkennungsformel,
s. Werunsky II, 74.
2) Im ganzen fünfmal. Kegg. XVI.
296 Karl IV. und die Kurie. Wahl Eduards m. Seine Ablehnung.
dein Papste den Treueid1) und schrieb, dafs er seinen Titel » König der
Römer« als abhängig von Rom betrachte.2) Schliefslich überliefs er dem
päpstlichen Stuhle die Lehensrechte, die das Reich noch in Avignon
hatte. Trotzdem bekundete die Kurie keine hohe Achtung vor ihm.
Er wurde dort »Söldling und Eilbote der Kurie« genannt3), und hatte
trotz der päpstlichen Unterstützung in Deutschland die gröfsten Schwierig-
keiten zu überwinden. Die wittelsbachische Partei hatte zu seinem Glücke
keinen geeigneten Kandidaten ; dem Markgrafen von Brandenburg, der
im übrigen ein besserer Heerführer als Diplomat war, stand der schlimme
Ruf wegen seiner tirolischen Heirat im Wege. Während seine Partei
nach einem Thronkandidaten suchte, gewann Karl auf seinem Königs-
ritt von Cham über Regensburg und Nürnberg durch Franken, Schwaben,
den Elsafs und die mittleren Rheingegenden viele Anhänger, unter die
er mit verschwenderischer Hand Privilegien und sonstige Vergabungen
austeilte. Noch über den Tod hinaus erfuhr der »verdammte Bayer«
den Hafs der Kurie. Ihre Ansprüche waren stark gesteigert: Niemand
soll als König und Kaiser anerkannt werden, der nicht von der Kirche
approbiert sei.4) An einzelnen Orten wie Basel traten die Bürger, ja
selbst der Klerus Verunglimpfungen des Verstorbenen entgegen. Sie
wollten nicht glauben, dafs Ludwig je ein Ketzer gewesen; dagegen
waren sie bereit, den von der Mehrheit der Kurfürsten Gewählten, auch
ohne des Papstes Approbation als König und Kaiser anzuerkennen.5)
Karl mufste hier wie an andern Orten nachgeben. Als er im Februar
1348 nach Böhmen zurückkehrte, hatte er in einem grofsen Teile des
Reiches die Huldigung erhalten.
2. Mittlerweile wählten seine Gegner , der abgesetzte Erzbischof
Heinrich von Mainz, der Pfalzgraf, der Markgraf von Brandenburg und
Herzog Erich von Sachsen-Lauenburg, Eduard III. von England zum
König. Doch gewann ihn Karl IV. für sich, indem er die Erbrechte
der jüngeren Schwestern des verstorbenen Grafen Wilhelm von Holland
anerkannte.6) Beide schlofsen einen Bundesvertrag, der, um den Papst
nicht zu verletzen, seine Spitze allerdings nicht gegen Frankreich richten
durfte. Eduard leimte nun die Krone ab (10. Mai). Von ausschlag-
gebender Bedeutung war die Stellungnahme der Habsburger. Unter-
handlungen, die Herzog Albrecht mit Karl IV. gepflogen, führten (Juni)
zu einem engeren Bunde, indem der König seine Tochter Katharina mit
Albrechts Sohn Rudolf verlobte. Die Habsburger nahmen nun ihre
Lehen von Karl IV. Die Witteisbacher stellten dagegen den Markgrafen
Friedrich von Meifsen, in dessen Person die Erinnerung an das Haus
der Staufer wieder lebendig wurde7), als Thronkandidaten auf. Es geschah
x) S. aber Werunsky II, 75.
2) Regg. 253, 333.
3) Höfler, Aus Avignon, 30
4) Werunsky II, 100.
6) Matth. Nüw., cap. 98.
«) Böhmer-Huber, 355. Riezler, G. B. in, 6.
7) Abnepote Friderici imp. Matth. Xlvwenb., ed. Studer, 153.
Die Witteisbacher und Karl IV. Der falsche Waldemar. 297
in der Zeit, als sich in Nürnberg ein Umschwung zugunsten der Witteis-
bacher vollzog. Doch gelang es Karl, ihre Macht zu schwächen, indem
er den Herzog Barnim von Pommern von seiner Abhängigkeit von
Brandenburg befreite und Albrecht und Johann von Mecklenburg, denen
er das bisher brandenburgische Lehen Stargard als Lehen des Reiches
übergab, zu Herzogen und deutschen Reichsfürsten erhob. Die Versuche
Albrechts von Österreich zwischen Witteisbach und Luxemburg zu ver-
mitteln, zerschlugen sich, als die Witteisbacher von der holländischen Ab-
machung vernahmen. Rachedürstend schwur der Brandenburger, den
»Böhmen« niemals als römischen König anzuerkennen.1) Aber nicht
lange hernach gewann Karl IV. nicht blofs den Meifsner durch Geld
und andere Versprechungen, er wufste auch ein abenteuerliches Gerücht,
das jetzt durch das ganze Reich ging, zum Schaden der
Witteisbacher auszunützen. Anfangs August 1348 verbreitete sich die
Kunde, Waldemar von Brandenburg, von dem man glaubte, dafs er
vor 29 Jahren gestorben, sei nicht tot. Er habe damals, von schwerer
Gewissensqual über seine nahe Verwandtschaft mit seiner Gemahlin
Agnes gepeinigt, einen andern — einen einstigen Gaukler — an seiner
Statt beerdigen lassen und dann eine Pilgerfahrt nach Palästina unter-
nommen. Es war ein offenkundiger Betrug, denn Waldemar hatte
wegen seiner Verwandtschaft mit Agnes vom Papste Dispens erhalten,
konnte also nicht deswegen von Gewissenbissen gequält sein. Der Be-
trüger — ein Bauer und Müller — benützte seine Ähnlichkeit mit dem
Gestorbenen und wufste sich einen solchen Glauben im Volke zu ver-
schaffen, dafs noch im August 25 Städte der Mark auf seine Seite
traten. Es rächte sich jetzt, dafs Markgraf Ludwig es nicht verstanden
hatte, sich dort einen starken Anhang zu schaffen, sich am liebsten im
heimatlichen Süden aufhielt und die Beamtenstellen in der Mark mit
Bayern besetzte. Dazu kam seine Ehe mit Margareta und sein
schlechtes Verhältnis zur Kirche : all das gestaltete seine Stellung zu
einer schwierigen. Unsicher ist, ob Karl IV. von dem Betrug gewufst.
Von den benachbarten Fürsten erkannten jene, die mit der Verleihung
der Mark an Ludwig nicht einverstanden gewesen (s. oben), den Präten-
denten an, und am 2. Oktober 1348 erteilte ihm Karl IV. die Belehnung, nicht
ohne sich zuvor die Niederlausitz abtreten zu lassen. Für den Fall von
Waidemars unbeerbtem Tode wurden Ludwigs Gegner, die Herzoge
Rudolf und Otto von Sachsen und die Grafen Albrecht und Waldemar
von Anhalt, belehnt. Markgraf Ludwig hatte die ihm in Brandenburg
drohende Gefahr bisher unterschätzt. Nun eilte er dahin und wurde
die Seele des Widerstandes der ganzen wittelsbachischen Partei. Zwar
wurde Ruprecht der Jüngere von der Pfalz gefangen, Ludwig selbst
aber schlug die Angriffe Karls und seiner Verbündeten auf Frank-
furt a, d. 0. siegreich ab.
3. Um dem König erfolgreicher entgegentreten zu können, wählte
die wittelsbachische Partei am 30. Januar 1349 den Grafen Günter
x) Regg. 723 a.
298 Wahl u. Tod Günters v. Schwarzburg. Frieden Karl IV. ni. d. "Witteisbachern.
von Schwarzburg zum König. Ein treuer Anhänger der Witteis-
bacher, hatte er sich bisher trotz seiner unbedeutenden Hausmacht durch
kriegerische Tüchtigkeit einen .Namen gemacht. Aber Karl verstand es,
die Interessen der pfälzischen von denen der bayrischen Witteisbacher
zu trennen. Seit dem 1. August 1348 Witwer, gewann er die Hand der
Prinzessin Anna, der einzigen Tochter des Pfalzgrafen Rudolf und er-
langte hiedurch nicht blofs die wertvolle Unterstützung der Pfalz, sondern
auch die Anwartschaft auf Rudolfs Besitz. Günters Lage wurde um so
hoffnungsloser, als er einem unheilbaren Siechtum verfiel. Nun gaben
ihn auch die bayrischen Witteisbacher preis; am 26. Mai 1349 ver-
zichtete er gegen Zahlung von 20000 Mark Silber auf die königliche
Würde, erlag aber schon nach wenigen Wochen seiner Krankheit. In
weiten Kreisen verbreitete sich das Gerücht, ein Frankfurter Arzt, von
Karl IV. bestochen, habe ihm Gift gereicht ; aber Günter starb nicht
an Gift, auch nicht an jener entsetzlichen Pest — dem schwarzen Tod,
wie man sie 100 Jahre später nannte — die damals ganz Europa ver-
heerte und in deren Gefolge eine schwere Judenverfolgung und die
grofse Geifslerbewegung auftraten, sondern an den Folgen eines Schlag-
flusses, der ihn bereits am 9. April getroffen hatte. Inzwischen hatte
Karl IV. auch mit seinen übrigen Gegnern Frieden geschlossen. Er
erklärte, weder Gerlach von Mainz gegen Heinrich von Virneburg, noch
den falschen Waldemar, den er bezeichnenderweise noch jetzt seinen
Vetter nennt, gegen den Markgrafen Ludwig zu unterstützen, seine An-
sprüche auf Kärnten, Tirol und Görz aufzugeben, endlich dahin zu
wirken, dafs Ludwig vom Banne gelöst werde. Unter solchen Umständen
erkannte dieser Karls Königtum an. Karl liefs sich nun nochmals, dies-
mal zu Aachen, krönen (1349, 25. Juli). Neue Mifshelligkeiten zwischen
ihm und dem Brandenburger wurden unter der Vermittlung des Pfälzers
beigelegt. Jetzt erst gab Karl IV. den falschen Waldemar preis und
und belehnte Ludwig mit der Mark (1350, 16. Februar). Dagegen lieferten
die bayrischen Witteisbacher die bisher in München aufbewahrten
Reichskleinodien aus. Sie wurden nach Prag überführt : ein äufseres
Zeichen dafür, dafs die Vormacht im Reiche von den Witteisbachern
an die Luxenburger übergegangen sei.1)
§ 70. Der äufsere und innere Ausbau der luxemburgischen Hausmacht.
Zu den oben verz. Quellen : Die Maiestas Karolina u. der Ordo iudicii terrae im
Cod. iur. Boh. H. Darstellungen: F. Pelzel, Die Majest. Karol. MVGDB. VI, 69—78.
Werunsky, Die MK.. Z. d. Savignystiftung IX. Gesch. Karls IV. HI, 76. Die Aktenst.
zur Gesch. der Prag. Univ. MM. hist univ. Prag. 4 Bde. Prag 1830—48. Tomek,
Gesch. der Prag. Univ. 1849. Paulsen, Gesch. d. gelehrten Unterr. Leipz. 1885.
S. auch HZ. XLV, 258. Werunsky, Gesch. Karls IV. II, 331. Denifle, Die Uni-
versitäten des MA I. Kaufmann, Gesch. d. d. Univ. II. Höfler, Magister Hus.
Prag 1864. S. 93— 112. Burdach, wie oben. Die Lit. zur Tiroler Frage s. § 76
1. Hatte Karl IV. den Besitz der deutschen Krone vor allem des-
wegen erstrebt, um sich vor Verlusten wie es jener Tirols war, zu
x) Riezler HI, 30.
Der äufsere Ausbau der lux. Hausmacht. 299
sichern, so benützte er seine Stellung nunmehr vornehmlich zur
Festigung und Mehrung seines Hausbesitzes. Das Beispiel seines Vor-
gängers hatte gelehrt, dafs dies auch bei den jetzigen Zuständen des
Reiches noch aussichtsvoll sei, und Karl erreichte in unablässiger, mehr
als zwanzigjähriger Arbeit, dafs das luxemburgische Hausgebiet die be-
deutendste Macht in Mitteleuropa repräsentierte.1) Diese Mehrung, die
keineswegs eine äufserliche und lose sein sollte, sondern auf die Dauer
berechnet war2), vollzog sich meist durch friedliche Mittel : durch seine
überlegene Diplomatie, seine Heiraten und Erb vertrage mit benachbarten
Fürstenhäusern. Zwar starb seine zweite Gemahlin Anna von der Pfalz noch
vor ihrem Vater, nichtsdestoweniger wufste Karl sich die an Böhmen
grenzenden Teile der Oberpfalz zu sichern3), so dafs die Grenzen
Böhmens bis vor die Tore Nürnbergs vorgeschoben wurden. Die Oppo-
sition Ludwigs von Brandenburg beseitigte er dadurch, dafs er die
Interessen der einzelnen Zweige des wittelsbachischen Hauses gegeneinander
kehrte. Durch seine Vermählung mit Anna, der Nichte und Erbin Herzog
Bolkos von Schweidnitz und Jauer, gewann er die Anwartschaft auf
diese schlesischen Herzogtümer, die bisher noch ausserhalb des böhmi-
schen Lehensverbandes standen. Die bedeutendste Erwerbung, die der
Mark Brandenburg, hängt mit Ereignissen zusammen, die den Ver-
lust der unter so schweren Opfern erworbenen Grafschaft Tirol für das
Haus Witteisbach zur Folge hatten. Am 13. Januar 1363 war Herzog
Meinhard, Sohn des 1361 gestorbenen Markgrafen Ludwig des Älteren
von Brandenburg und Margaretas, ohne direkte Erben zu hinterlassen,
gestorben. Schon bei Meinhards Lebzeiten hatte Albrecht IL von
Österreich alle Vorsichtsmafsregeln getroffen, dessen Erbe seinem Hause
zu sichern. Kaum hatte Rudolf IV. von Österreich, der seinem Vater
Albrecht IL (1358) in der Regierung gefolgt war, vom Tode Meinhards
Kunde erhalten, so bewog er Margareta, Tirol und ihre Witwengüter
in Bayern an die Herzoge von Österreich, als ihre nächsten Verwandten,
zu übergeben (1363, 26. Januar). Hatte das kühne Vorgehen Rudolfs
die Hoffnungen Karls IV., dereinst Tirol zurückzugewinnen, vernichtet,
so erhielt er doch nunmehr die Anwartschaft auf einen andern nicht
minder reichen Erwerb. Nach Meinhards Tode hätte Oberbayern an
seine Oheime, die Markgrafen Ludwig den Römer4) und Otto von
Brandenburg, fallen sollen, denen Meinhards Vater (1351) Brandenburg
gegen den Alleinbesitz Oberbayerns überlassen hatte. Nun rifs aber ihr
Bruder Stephan von Bayern-Landshut Oberbayern an sich. Allerdings
lag die Vereinigung der ober- und niederbayrischen Länder im Interesse
Bayerns, auch bot Stephans Charakter eine bessere Garantie für eine
*) Der Umfang der luxemburgischen Macht bei Werunsky II, 325.
2) Daher wird in den Urkk. betont, dafs die Vereinigung des neuen Erwerbs
mit dem älteren Besitz für ewige Zeiten gelten solle. S. Huber, Regg. 653.
3) Auch diesen Besitz erklärte Karl IV. als unveräuf serlichen Bestandteil
des Königreichs Böhmen (Regg. 2019) u. ähnlich bezügl. Brandenburgs Regg. 536.
4) So genannt, weil er als erster geboren wurde, als sein Vater Kaiser war.
Riezler H, 453.
300 Erwerbungen der Luxemburger. Der innere Ausbau der lux. Hausruacht.
tüchtige Regierung, als jene der beiden Brandenburger, die sich in der
Mark wenig bewährt hatten ; aber sein Vorgehen hatte diese aufs tiefste
erbittert. Sie schlössen sich eng an den Luxemburger an, und
Karl nützte den Streit im wittelsbachischen Hause meisterhaft aus.
Schon am 18. März 1363 überliefsen sie für den Fall, als sie ohne
männliche Leibeserben sterben würden , Brandenburg und die Lausitz
an Wenzel, den Sohn Karls IV. und dessen andere Erben, wogegen
Karl seine Tochter Elisabeth dem Markgrafen Otto verlobte. So wurden
die übrigen Witteisbacher schon jetzt von der Nachfolge in Branden-
burg ausgeschlossen, und so ging auch diese zweite grofse Erwerbung
Kaiser Ludwigs für sein Haus verloren. Otto heiratete übrigens nicht
Elisabeth, sondern Katharina, die älteste Tochter des Kaisers und Witwe
Herzog Rudolfs von Osterreich. Da die Ehe kinderlos blieb und
Ludwig der Römer bereits 1366 starb, war der Anfall Brandenburgs an
Böhmen nur eine Frage der Zeit (s. unten). Die Lausitz war 1360 von
den Brandenburgern an Meifsen verpfändet worden ; 1364 von Karl IV.
ausgelöst und an Bolko von Schweidnitz übergeben, kam sie schon drei
Jahre später durch Kauf an Böhmen. Mit Österreich und Ungarn
schlofs Karl Erbverträge, durch welche die Aussichten der Luxemburger
noch viel glänzender wurden, namentlich hatte es 1364, als der Erb-
vertrag zwischen Luxemburg und Habsburg zustande kam, eher den
Anschein, es würde Luxenburg das Haus Habsburg beerben, als umge-
kehrt. Ungeachtet seiner Beteuerungen, die in seinen Händen vereinigte
Macht beisammen zu halten, überliefs Karl IV. schon 1349 Mähren als
böhmisches Mannslehen seinem Bruder Johann Heinrich, gab dem
jüngsten Bruder, Wenzel, die Grafschaft Luxemburg und erhob sie
(1354) zu einem Fürsten- und Herzogtum. (Die übrigen Teilungen
s. unten.)
2. Als ein Monarch , der aus eigener Erfahrung die meiste Be-
lehrung zog, war Karl IV. entschlossen, das böhmische Königtum auf
jene unverrückbare Grundlage zu stellen, auf der er in seiner Jugend,
ehe noch die Stürme des englisch - französischen Thronstreites über
Frankreich hinweggingen , das französische gefunden hatte ; danach
sollte das Reich einheitlich verwaltet, die Justiz geregelt, die materiellen
und geistigen Kräfte des Landes gehoben und Sicherheit in Handel
und Wandel hergestellt werden. Zur Durchführung seiner Reformen
fehlte es nicht an geeigneten Kräften. Das Beste freilich leistete er
selbst. Unter seinen Beratern ragt Arnest von Pardubitz hervor, seit 1343
Bischof, seit 1344 Erzbischof von Prag, ein tüchtiger Staatsmann und Kirchen-
fürst, 'dem Böhmen die Herstellung geordneter Zustände auf kirchlichem
Gebiete dankte. Neben ihm steht der Kanzler Johann von Neumarkt, seit
1354 Bischof von Olmütz, einer der bedeutendsten Staatsmänner des
karolinischen Zeitalters, bis gegnerischer Einflufs ihn aus seiner Stellung
verdrängte. Er war es, der die Reform der königlichen Kanzlei durch-
führte, den König auf seinen Reisen begleitete, mit ihm Italien besuchte
und, in nahen Beziehungen zu Petrarca stehend, mit diesem der neuen
humanistischen Richtung (s. unten) huldigte. Seit Karl IV. die
Die Majestas Karolina. 301
Reichskanzlei dem Einflufs der drei Erzkanzler1) entrückte und unter
die Leitung eines eigenen Hofbeamten stellte, womit sie aus der geist-
lichen Sphäre in die einer Staatsbehörde, aus dem Zustand schwanken-
den Umherirrens in feste Verbindung mit dem Mittelpunkt des Reiches
gebracht wurde, gab es einen wirklichen Hofkanzler in neuerem Sinne.2)
Gleichzeitig bildete sich ein fest organisierter Hof rat aus, der einem
modernen Staatministerium vergleichbar war. Damit war die Grund-
lage für die Entwicklung eines weltlichen Staatsbeamtentums gegeben.
Um Böhmen von jeder auswärtigen Abhängigkeit zu lösen, wurde der
uralte Verband der Prager Kirche mit Mainz gelöst, das Bistum Prag
(1344) zum Erzbistum erhoben und Salbung und Krönung der Könige
Böhmens dem Erzbischof von Prag zugewiesen. Indem Arnest von
Pardubitz sein Krönungsrecht zum erstenmal ausübte (1347, 2. September),
kam ein neues Krönungsritual zur Anwendung, das bezeichnender Weise
kein anderes war, als das der Könige von Frankreich und in seinem
Ursprung bis in die Zeiten der Karolinger zurückreicht.3) Wohl be-
stätigte Karl den böhmischen und mährischen Ständen ihre alten
Privilegien, vornehmlich die, dafs die Amter an Landesangehörige ver-
liehen und der Adel des Landes nicht zu Kriegsdiensten aufser Land
verwendet werden dürfe,4) schränkte aber schon im folgenden Jahre das den
Grofsen zustehende Recht der Königswahl auf den einzigen Fall ein,
dafs vom königlichen Stamm weder ein männlicher noch ein weiblicher
Sprosse mehr vorhanden sei. Hiedurch sollte der Wiederkehr von Zu-
ständen vorgebeugt werden, wie sie nach dem Aussterben der nationalen
Dynastie in Böhmen geherrscht hatten. Diese Anordnung bedeutete
eine starke Beschränkung der ständischen Befugnisse.
Die gleiche Richtung verfolgen die einleitenden Sätze 6) jenes Gesetzbuches,
das er im Lande einzuführen gedachte und das wesentlich im Hinblick auf die unter
König Johann eingerissene Anarchie zusammengestellt wurde. Die vorhandenen Übel-
stände mit der Wurzel auszutilgen, dachte Karl schon 1348 daran, ein böhmisches
Landrecht abfassen zu lassen, eine Arbeit, die, schon von Ottokar II. und Wenzel II.
in Aussicht genommen, daran gescheitert war, dafs der böhmische Adel dafür nicht
gewonnen werden konnte, weil er von der Einführung eines geschriebenen Gesetzes
eine Verminderung seines Einflusses auf die Rechtspflege befürchtete, die er gewohnt
war, in seinem Interesse auszubeuten. Die Arbeit, für die Karl IV. vielleicht auch die
Vorarbeiten seiner Vorgänger benützte, zog sich lange hinaus, und erst als er
von seinem Römerzuge heimgekehrt war, konnte er dem Landtag den Entwurf eines
böhmischen Landrechtes vorlegen 6), dessen wichtigste Bestimmungen auf eine starke
Kräftigung der königlichen Gewalt abzielen und die Würde und Macht und das An-
*) Von Mainz, Köln und Trier.
2) Burdach, S. 172.
3) Loserth, Die Krönungsordnung der Könige von Böhmen. AÖG. LIV.
4) Böhmer-Huber, 336, 663.
5) Majestas Karolina, Prooemium 5 in Jirecek Cod. iur. Boh. H, 2, 105/6 : regno
ipso variis turoinious et procellis iactato, multimode coepit primum iustitiae potestas
tremenda tepescere . . . Die Zeit, »da die Verwegenheit und Menge der Verbrechen an-
wuchs, Raub und Mord die Strafsen erfüllte und niemand in seiner eigenen Behausung-
Sicherheit fand, da sie das Königtum nicht gewähren konnte« etc. . . .
6) Es umfafst 109 Kapitel. S. die ausführlichen Erörterungen hierüber bei
Werunsky HI, 76 ff.
302 Sorge für Böhmen. Gründung der Universität Prag.
sehen der böhmischen Krone aufrecht erhalten.1) Schon hier wie später in der
Goldenen Bulle wird Böhmens Stellung im deutschen Reiche eine privilegierte. Sonst
werden vornehmlich die Rechte des Königs als des > Obereigentümers c des Kloster-
gutes und sein Verhalten in Streitsachen wider ihn herausgehoben. Xur unbe-
scholtene, im Lande ansässige und der Landessprache kundige Personen sollen
zu Beamten genommen, die Rechtspflege unparteiisch und jede Einmischung ausge
schlössen sein. Als Majestäts verbrechen wird unter andern auch die Ketzerei be-
zeichnet ; ihre Strafe ist der Feuertod. So nutzbringend die Gesetzgebung Karls dem
Lande und seinen Bewohnern gewesen wäre, die Barone versagten, zunächst aus den-
selben Gründen wie früher, ihre Zustimmung ; der Hauptgrund war zweifellos
der scharfe, den Baronen wenig zusagende, auf die Mehrung der königlichen Macht
gerichtete Zug des Entwurfs. Doch gelang es dem König, einzelne wichtigere An-
ordnungen beim nächsten Landtag durchzusetzen, wobei er sich freilich in der Haupt-
sache auf die Herstellung des Landfriedens beschränkte.
3. Für die Aufrechthaltung des Landfriedens setzte er alle seine
Kräfte ein. In diesem Sinne hatte er schon 1347 den schlesischen
Herzogen untersagt, widereinander Krieg zu führen; nunmehr verfolgte
er den Räuberunfug im Lande in unerbittlicher Weise. Im Hinblick
auf diese Tätigkeit schien seine Regierung den Späteren als die gute
alte Zeit.'2) Hatte Karl IV. die grofsen Vorteile, die ein kräftiger Bürger-
stand dem Königtum gewährte, kennen gelernt, so wurde dieser nun
auch in Böhmen in jeder Weise gefördert.3) Diesem Zwecke galt die
Gründung der Neustadt Prag, die Xeugründung städtischer Gemein-
wesen und die Ausgestaltung älterer ; das Gedeihen aller wurde durch
Gewährung von Nutzungen und Auflagen, Unterstützung gemeinnütziger
Unternehmungen, Hebung des Handwerks, Erschliefsung neuer Erwerbs-
zweige, Anlage und Sicherung von Handelsstrafsen wesentlich gefördert.
Die gröfste Förderung erhielt die Hauptstadt durch die Errichtung des
Studium generale — der ersten Universität im deutschen Reiche — im
Jahre 1348.
Auch hier war französisches Vorbild mafsgebend*): aber Karl war auch ohnedies
ein Fürst, der wie kein zweiter unter den Zeitgenossen in der Pflege des Unterrichts
und Förderung der Wissenschaft eine der wichtigsten Aufgaben der Fürsten erkannt
hat, und in der Tat hat kein zweiter an der Gründung und Förderung so vieler Uni-
versitäten mitgewirkt als Karl IV. : er hat die Generalstudien von Arezzo und Pavia,
Orange, Genf und Lucca gestiftet, von denen freilich die beiden letzten nicht ins
Leben getreten sind, und hat den Universitäten von Siena und Florenz wichtige Privi-
legien verliehen. Durch die Gründung einer Universität auf dem Boden des deutschen
Reiches bewirkte er, dafs der Einflufs der italienischen und französischen Kultur auf
Deutschland ein stärkerer wurde als früher. Schon am 26. Januar 1347 gab Klemens VI.
die Bewilligung, dafs in Prag ein Studium generale aufgerichtet werde, und in der
Stiftungsurkunde vom 7. April 1348 spricht Karl IV. den Wunsch aus, dafs Böhmen
x) Dahin gehört z. B. Kap. 15 : De prohibita divisione terrarum regni oder De
regina Boemiae secundo nubente. Zweifellos ist auf die skandalöse Verbindung Kunigundens
mit Zawisch von Falkenstein hingewiesen. Wenn in Zukunft ein solches Ereignis ein
treten sollte, verliert die Witwe ihre Witwenbezüge und mufs aus dem Land weichen.
2) Ludolf v. Sagan (Zeitgenosse), ed. Loserth. AÖG. LX, 408: Gloriosus iste
princeps Karolus . . . in regno Bohemorum tantarn pacis procuravit habundanciam. ut
non levaret in eo gens contra g entern . . . In silvis et in rupibus pax fuit et securitas,
ut nee depredari formidare haberent. qui aurum publice in via portare vellent.
3) Einzelheiten bei Bachmann, S. 821 ff.
4) S. Benesch, S. 350: *ad modum et consuetudinem studii Parisiensis* . . .
Karl IV. und die Landfriedensbündnisse. 303
aufser den Gütern, womit die Natur es so reich bedacht hat, auch eine Fülle ein-
sichtiger Männer erhalte, damit seine Bewohner ihren Wissensdurst nicht bei fremden
Völkern zu stillen gezwungen seien, sondern ihn daheim zu befriedigen und selbst
wissensdurstige Jünglinge anzulocken vermögen ; das letztere traf, wenn auch nicht
gleich, denn die Universität hatte anfänglich unter finanziellen Schwierigkeiten zu
leiden *), doch noch während der Regierungszeit Karls IV. ein.2) Der neuen Univer-
sität und ihren Gliedern wurden alle jene Vergünstigungen zugesichert, deren sich
die Mitglieder der Universitäten Paris und Bologna zu erfreuen hatten: die Fähigkeit,
Statuten mit bindender Kraft zu machen, eigene Gerichtsbarkeit, besonderer Schutz
und Freiheit von Zöllen. Unsicher ist, ob die Universität gleich von Anfang an in
die vier Nationen der Böhmen, Bayern, Polen und Sachsen gegliedert war, oder ob,
was wahrscheinlicher ist, diese Gliederung erst später erfolgte.3)
§ 71. Karl IT. und die Landfriedensbündnisse. Die Kämpfe in der
Schweiz. Die Beziehungen Karls IV. zur Kirche.
E. Fischer, Die Landfriedensverfassung unter Karl IV. Göttingen 1883. V i e 1 a u,
Beiträge zur Gesch. d. Landfriedens unter Karl IV. Halle 1877. Mendthal, Die Städte-
bündnisse und Landfrieden in Westfalen. Königsb. 1879. Kelleter, Die Landfriedens-
bündnisse zwischen Maas u. Rhein im 14. Jahrh. 1888. Zurbonsen, wie oben. Frei-
berg, Die Stellung der Geistlichkeit zur Wahl u. Anerkennung Karls IV. Halle 1880.
Kroger, Der Einflufs u. die Politik Karls IV. bei der Besetzung der deutschen Reichs-
bistümer. Münster 1885. L o e g e 1 , Die Bischofswahlen zu Münster, Osnabrück und
Paderborn seit dem Interregnum bis zum Tode Urbans VI. Münster 1883.
1. Karl IV. schlofs mit mächtigen Herren oder Städten Landfriedens-
bündnisse oder begünstigte jene, die ohne sein Zutun entstanden
waren. Diese Bündnisse bezweckten die Hintanhaltung von Fehden,
die Erhaltung der Sicherheit der Strafsen und die Gewährung von Schutz
und Hilfe für alle Mitglieder. Zur wirksameren Betätigung ihrer Auf-
gabe traten einzelne Bündnisse miteinander in Verbindung, ja mitunter
gehören einzelne Herren und Städte mehreren an. Um die Landfriedens-
bestimmungen durchzuführen, wird von den Bündnissen ein gemeiner
Landfriedenszoll erhoben. Landfriedensbrecher werden strenge gestraft4);
wenn sie über eine gröfsere Macht, über Burgen und Schlösser verfügen,
wird das ganze Landfriedensaufgebot gegen sie geschickt und die Schul-
digen zur Anerkennung des Landfriedens gezwungen. Der Schwerpunkt
x) Paulsen, HZ. XLV, 258, Werunsky II, 336. Besser dotiert wurde die Univ.
erst 1366, was mit der Eivalität mit der in Wien 1365 gestifteten Univ. zusammenhängt.
2) Da Benesch noch vor Karl IV. starb, ist seine Angabe wichtig : Et facta est
civitas Pragensis ex studio huiusmodi famosa et celebris in terris alienis etc. Die
erste Einrichtung ist noch aus Franz v. Prag, Königs. Gesch.-Quell. S. 600 ersichtlich.
3) Werunsky, S. 334.
4) »Es soll ein schädlicher Mann, der in einer Stadt verfestet ist, verfestet
sein in allen Städten und Landen des Friedens. Jeder, in dessen Gebiet er kommt,
hat die Pflicht, ihn festzunehmen und entweder selbst zu richten oder einer andern
Behörde auszuliefern. Ein solcher Friedensbrecher hat keinen Anspruch auf irgend
welchen Schutz und Unterstützung: kein freies Geleit, kein feiler Kauf wird ihm
gewährt. Jeder darf ihn angreifen oder berauben, im Notfalle selbst töten, ohne
damit einen Bruch des Landfriedens begangen zu haben,« usw. Fischer, S. 15.
Welche »richterliche» Strafen den Friedensbrecher oder seine Gehilfen erwarten, wird
in den Urkk. nirgends genau angegeben.
304 Organisation des Landfriedens. Die Eidgenossen und Habsburg.
der Bündnisse liegt in den Behörden, denen die Leitung ihrer An-
gelegenheiten anvertraut ist. In der Zeit von 1340 bis in die Tage
König Wenzels steht an der Spitze des Bundes eine Geschworenen-
kommission, die als oberste Gerichtsbehörde im Gebiete des Landfriedens
fungiert. Die Zahl der Geschworenen war in den einzelnen Bündnissen
verschieden. Sie schwankt zwischen 5 und 15. In den kaiserlichen
Landfriedensbündnissen wird der Obmann vom Kaiser ernannt. Die
fränkischen, bayrischen und schwäbischen sind meist kaiserliche, d. h.
unter persönlicher Beteiligung des Kaisers oder auf dessen Aufforderung
auf 2 — 3, höchstens 4 Jahre geschlossene Landfriedensbündnisse. Die
erstgenannten gehen noch auf Ludwig den Bayer zurück; so auch die
rheinischen, und wetterauischen, soweit sie unter Beteiligung des Kaisers
geschlossen sind. Die älteste Geschichte haben die westfälischen, die
schon seit der Mitte des 13. Jahrhunderts bestanden und bei denen eine
unmittelbare Beteiligung des Kaisers nicht stattfand. In Brandenburg
und den Ostseeländern wurden in der Zeit des falschen AValdemar und
dann wieder, als die Mark an den Kaiser kam, für Thüringen 1372
unter Beteiligung des Kaisers, für Sachsen 1348 und 1372 ohne diesen,
Landfriedensbündnisse geschlossen. Es war sonach ein ganzes Xetz.
das über Deutschland gezogen wurde. Die Organisation des Landfriedens
dehnte sich auch auf jene Gegenden aus, wo es infolge allzu starker Zer-
splitterung an einer mächtigen Territorialherrschaft fehlte. 1) Diese
Tätigkeit wurde unter den folgenden Kaisern fortgesetzt, Erst unter
Maximilian I. erfolgte wieder ein direktes Eingreifen der Reichsgewalt.
2. Trotz aller Landfriedensbündnisse konnten Kriege einzelner
Reichsstände untereinander nicht verhütet werden. Am bedeutendsten
war jener Kampf, der zur Ausdehnung des Bundes der schweizerischen
Eidgenossen über seine ursprünglichen Grenzen geführt hat. Nachdem
die habsburgische Stadt Luzern (1332) mit den drei Waldstätten einen
ewigen Bund geschlossen hatte, wurde sie zwar wieder unterworfen,
wartete aber nur auf den Augenblick, um die österreichische Herrschaft
abzuschütteln. Dieser fand sich, als die aus Zürich vertriebenen patrizi-
schen Geschlechter mit Hilfe des Grafen Johannes von Habsburg (Rappers-
wyl) den Versuch machten (die Züricher Mordnacht am 23. Februar
1350), das Regiment der Zünfte zu stürzen. Die Verschwörung mifslang,
und Rapperswyl wurde erobert. Da nun Albrecht IL in die Sache ein-
griff, schlössen die Züricher mit Schwyz, Uri, Unterwaiden und Luzern
einen ewigen Bund. Es kam zum Kriege. Zwar einigten sich beide
Teile auf die Einsetzung eines Schiedsgerichts, da aber von habsburgischer
Seite nicht blofs Vergütung des Schadens, sondern auch die Unterwerfung
von Schwyz und Unterwaiden unter die Herrschaft Habsburgs verlangt
wurde, brach der Krieg von neuem aus. Die Eidgenossen gewannen
(1352) Glarus, das sich dem Bunde anschlofs, und eroberten Zug, das
zum Beitritt gezwungen wurde. Im folgenden Jahre schlofs sich auch
x) Huber, Regg., S. XXII. Dort die Zusammenstellung der einzelnen Land-
friedensbündnisse.
Die Kirchenpolitik Karls IV. 305
Bern an die alten drei Orte an. Mittlerweile hatte Markgraf Ludwig
von Brandenburg, der auf Habsburgs Seite stand, eine Einigung der
Kämpfenden auf Grund des Zustandes vor dem 23. Februar 1350 zu-
stande gebracht (1352); bald kam es aber zu neuem Streit. Auf die
Klage Albrechts II. rückte Karl IV. selbst an der Spitze einer Heeres-
macht gegen Zürich (1354), aber erst im folgenden Jahre bequemte sich
dieses auf Grund des Vertrags von 1352 zum Frieden. Glarus und Zug
kehrten unter Habsburgs Herrschaft zurück, und auch die Luzerner
wurden gezwungen, ihre schuldigen Abgaben an Habsburg zu zahlen.
3. Bei seinen Verhandlungen mit der Kurie vor der Königswahl
hatte sich Karl IV. verpflichtet, alle auf unrechtmäfsige Weise in den
Besitz ihrer Bistümer gelangten Bischöfe, demnach alle Anhänger Kaiser
Ludwigs, zu verjagen und die von der Kurie ernannten zu unterstützen. x)
Von einem freien Wahlrecht der Domkapitel ist kaum mehr die Rede;
vielmehr gelangt jetzt auch in Deutschland das System der päpstlichen
Provisionen zu allgemeiner Geltung. An die Stelle des legitimen
Einflusses, den die Kapitel bisher auf die Bischofs wählen ausgeübt
hatten, trat die Supplikation, die es den Päpsten ermöglichte, das Pro-
visionssystem als finanzielle und politische Mafsregel in mafsloser Weise
auszubilden. Hiedurch wurde ein Episkopat geschaffen, der blofs der
weltlichen Politik und persönlichen Vorteilen huldigte, wie denn auch
die Zahl der Bischöfe, die sich die kirchlichen Weihen erteilen liefsen,
stetig abnahm2). Wollte der König Einflufs auf die Besetzung der Bis-
tümer nehmen, so mufste auf diplomatischem Wege auf die Provision
eines dem Königtum angenehmen Kandidaten hingewirkt werden. Um
die alten Rechte wenigstens einigermafsen aufrecht zu halten, einigten
sich die Domkapitel in der Form einer Postulation über einen geeigneten
Kandidaten, um dessen Provision die Kurie ersucht wurde. Diesen
Änderungen trug Karl IV. willig Rechnung. Im übrigen waren seine
Beziehungen zu Klemens VI. weniger herzlich, als man nach der Anteil-
nahme des Papstes an Karls Wahl erwarten sollte. Schon seine Ver-
mählung mit einer Wittelsbacherin war nicht nach den Wünschen des
Papstes, der die Wahl einer französischen Prinzessin empfohlen hatte.8)
In kühler Weise wies der Papst auch Karls Wünsche wegen einer Aus-
söhnung der Kurie mit Ludwig dem Brandenburger ab, liefs vielmehr
Bann und Interdikt gegen Ludwig und seine Länder nochmals ver-
kündigen4) und ging auch weder auf die Forderung Karls, seinen Kanzler
Nikolaus von Prag auf den Erzstuhl von Köln zu befördern, ein, noch kam
er dessen Wünschen entgegen, als er die Absicht bekundete, seinen
Romzug zu unternehmen, um den Frieden unter den Parteien Italiens
herzustellen.
*) Theiner, Cod. dipl. dorn. temp. S. Sedis II, 158.
*) Kroger, 2—3.
3) Als hätte das französische Königshaus keinen Philipp den Schönen aufzu-
weisen, wird beigefügt : que velut peculiaris ipsius ecclesie filia ab eins devotione nun-
quam declinavit.
4) Böhmer, Regg., 127.
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 20
306 Die grofsen Signorien Oberitaliens.
2. Kapitel.
Der Eömerzug Karls IV. und die Verhältnisse Italiens.
§ 72. Die politischen Zustände Ober- und Mittelitaliens in der Xitte
des 14. Jahrhunderts.
S. oben § 56, 57 u. 69. Dazu: Yriarte, Venise, hist. etc. Paris 1896. Battistella,
La repubblica di Yenezia. Bologna 1897. Musatti, La storia pol. di Venezia secondo le
Ultimi ricerche. Päd. 1897. Lenel, Die Entst. d. Vorherrsch. Venedigs a. d. Adria.
Strafsb. 1897. Zu Marino Falier s. Lazzarini, Marino Faliero , La congiura. NA.
Ven. XIII. Imperiale di S. Angelo, Caffaro i suoi tempi. Turino 1894. Caro,
Genua u. die Mächte am Mittelmeere. 1257 — 1311. Halle 1897. Gabotto, Storia di
Piemonte n. prima metä d. s. XIV. Torino 1894. Cipolla, Compendio di storia politica
di Verona. 1900 (enthält die Gesch. der Visconti mit besonderer Berücksichtigung von
Verona). Perrens, Histoire de Florence. B. IV, 1313 — 58.
1. Die Ausbildung der Signorien (s. § 57) in Ober- und Mittel-
italien war in der Mitte des 14. Jahrhunderts der Hauptsache nach ab-
geschlossen. Neben Venedig und Genua, die ihre republikanische Staats-
form bewahrt haben, neben den Dynasten von Montf errat, Savoyen u. a.,
deren Ursprung ein anderer und älterer ist, zählte man in Oberitalien
fünf grofse Signorien: Mailand, Verona, Padua, Mantua und
Ferrara; ihnen gelang es, die nächst gelegenen Landschaften, die
kleineren Signorien und die noch vorhandenen republikanischen Staats-
formen aufzusaugen. Koch erinnert die Wahl, die nach dem Tode eines
Signoren vom grofsen Rate vorgenommen und vom Volke bestätigt wird,
an den demokratischen Ursprung der Signorie ; aber diese Wahl wird
allmählich zur leeren Formsache, da der regierende Fürst noch zu Leb-
zeiten seinen Sohn oder Bruder zum Mitregenten annimmt oder seinen
Stellvertreter oder Nachfolger designiert. Allmählich ward eine feste Erb-
folge, die Primogenitur, eingeführt und damit zugleich die Unteil-
barkeit des Staatsgebietes ausgesprochen. In Verona regierte das Haus
der Scaliger, in Padua die Carrara, in Mantua die Gonzaga,
in Ferrara die Este und in Mailand die Visconti. Den letzteren
war es gelungen, die Gebiete von Mailand, Como, Bergamo, Brescia,
Cremona, Crema, Lodi, Novara, Asti, Alessandria und selbst Pavia unter
ihre Herrschaft zu bringen. Blieben in den Signorien die Einrichtungen
der republikanischen Staatsverfassung bestehen, so war doch der alte
kriegerische Geist und die Anteilnahme am politischen Leben in dem
Grade erloschen, in welchem ihr Wohlstand zunahm. Von einer Geltend-
machung der Rechte des römischen Königs in Ober- und Mittelitalien
ist kaum noch die Rede, dagegen nahmen die Päpste während der Vakanz
des Kaisertums das Reich svikariat in Italien in Anspruch. Der Gegen-
satz zwischen Guelfen und Ghibellinen erlosch, und die einzelnen
Dynasten waren bemüht, sich von jeder Art von Oberherrschaft, sei es
die kaiserliche oder die päpstliche, frei zu halten.
Genua. Die Verfassung Venedigs. Marin Falieri. 307
2. Von den Republiken Oberitaliens gehörte nur Genua, freilich
auch nur dem Namen nach, zum Reiche. War sein Besitz auch in
Oberitalien, auf Korsika und Sardinien ein mäfsiger, so war es stark
durch seine Kolonien in der Levante und mit Erfolg an der Arbeit, den
Venezianern die Seeherrschaft streitig zu machen. Bei der Schwäche
der Adelsparteien erhielt das Volk dies Übergewicht; 1339 wurde sein
Führer Simone Boccanera, ein volksfreundlicher Adeliger, als Doge aus-
gerufen und ihm 15 Räte aus dem Volke zur Seite gestellt. Ein Teil
des Adels mufste aus der Stadt ziehen, doch schon nach fünf Jahren
nötigten die zurückgebliebenen Adeligen den Dogen, eine Teilung der
Amter zwischen Adel und Volk vorzunehmen. — Im Gegensatz dazu
behauptete die aristokratische Republik in Venedig nicht nur ihre volle
Macht, sondern umgab sie mit neuen Stützen. Die Machtbefugnisse des
Dux — des Dogen — waren so eingeengt, dafs er kaum mehr als den
äufseren Glanz der Herrschaft behielt. Es war Pietro Gradenigo, der
es als Doge 1297 veranlafste, dafs das eigentliche Volk von Venedig von
den Staatsämtern, ja selbst von der Wahl zu diesen und von der Legis-
lative ausgeschlossen wurde (Serrata del Gran Consiglio, der Schlufs des
Grofsen Rates). Der Grofse Rat — er bestand aus 1200 Mitgliedern —
wurde nicht mehr frei gewählt, sondern den ratfähigen Familien ent-
nommen; 1315 wurde ein Buch angelegt, in das ihre Namen eingetragen
wurden. Diese Familien bestanden teils aus Adeligen teils aus den durch
Handel reich gewordenen Kaufherren. Der Grofse Rat hatte nicht
blofs die Legislative, sondern auch das Recht, über Bündnisse mit fremden
Mächten, über Krieg und Frieden zu entscheiden, die obersten Beamten
des Staates zu ernennen, Senatsbeschlüsse aufzuheben usw. Aus
seiner Mitte wurden 41 Wähler genommen, denen die Dogenwahl zu-
stand. Der Grofse wurde von dem Kleinen Rat, dem Rate des Dogen,
einberufen. Er bestand nur aus sechs Mitgliedern, die mit dem Dogen
nicht verwandt sein durften. Daneben bestand die Quarantia, der
Rat der Vierzig, der im Einvernehmen mit dem Kleinen Rate die Gesetzes-
vorlagen ausarbeitete, die hernach dem Grofsen Rate zur Entscheidung
vorgelegt wurden. Die Quarantia hatte vornehmlich die Justizpflege
über sich. Die sechs Mitglieder des Kleinen Rates mit Einschlufs des
Dogen und die drei Häupter der Quarantia bilden die Signoria von
Venedig. Neben dem ordentlichen gab es noch ein aus 60 Personen
bestehendes Kollegium der »Erbetenen« (Pregati, Consiliiim Pogatorum),
das von Fall zu Fall, namentlich wenn auswärtige oder Fragen der
Handelspolitik zu beraten waren, berufen wurden. Die oberste Polizei
hatte der Rat der Zehn, der, vom Grofsen Rat auf die Dauer eines
Jahres gewählt, sein Augenmerk auf die Aufrechthaltung des herrschenden
Regiments zu richten hatte. Ihm gelang es 1355, die Verschwörung
des Dogen Marin Falieri zu entdecken, der, gestützt auf die niedere
Volksmenge, die Herrschaft der Aristokratie brechen und allem Anscheine
nach auch in Venedig eine starke monarchische Gewalt aufrichten wollte, wie
sie in Mailand bestand. Falieri wurde auf derselben Riesentreppe ent-
hauptet, auf der er vorher zum Dogen gekrönt worden war; die Teil-
20*
308 Die Herrschaft der Demokratie in Florenz und Toskana.
nehmer an der Verschwörung wurden an den Fenstern des Dogenpalastes
aufgeknüpft.1) Nach aufsen hin umfafste Venedig nun auch die Trevisaner
Mark, altes Reichsland, hatte auf Aquilejas Kosten eine Anzahl istrischer
Städte erworben, beherrschte die Küstenstädte und Inseln Dalniatiens
und hatte in den griechischen Gewässern den alten Besitzstand behauptet.
Der Gegensatz zu Genua führte 1350 zu einem abermaligen Krieg, der
die Genuesen zwang (1353), den Erzbischof Giovanni Visconti zum
Signore zu erwählen. Ihm gelang es, Genua die alte Stellung wieder zu
verschaffen. Die Macht des Hauses Viskonti war nun freilich so be-
drohlich gestiegen, dafs Venedig mit den Signoren von Padua, Mantua
und Verona zu einer Liga zusammentrat.
3. Während sich in der Lombardei die Signorien ausbildeten,
standen in Mittelitalien die alten Republiken noch in voller Stärke da.
Vor allem in Florenz.2) Noch waren hier nach den Satzungen von
1293 die Adeligen vom Regimente ausgeschlossen; vollberechtigt waren
nur die Bürger der 21 Zünfte, an deren Spitze je einige frei gewählte
oder durchs Los bestimmte Vorsteher standen, die namens der Zunft
die Gewerbepolizei und Gerichtsbarkeit ausübten. Die ' ersten sieben
Zünfte, die des »fetten Volkes« (popolo grosso), waren die der Notare,
Tuchmacher, Wechsler, Wollweber, Seidenweber, Ärzte und Kürschner;
die übrigen umfafsten die kleinen Leute, den popolo minuto. Nahezu
60 Jahre hatte das »fette Volk« das Regiment besessen, nun forderten
die kleinen Leute Anteil daran. Mit Hilfe des Adels, der von einer
Umwälzung die Wiederherstellung seiner Macht erwartete, und unterstützt
vom popolo minuto, gelang es dem Franzosen Gautier de Brienne,
der zum Herzogsgeschlechte Athens gehörte (§ 37) und daher kurzweg
Herzog von Athen genannt wurde, einem Günstling König Roberts von
Neapel, sich zum Signoren von Florenz auf zuwerfen (1341). Aber schon
nach zwei Jahren wurde er verjagt und vierzehn Bürger, je sieben vom Adel
und vom popolo grasso, mit der Vollmacht ausgestattet, den Staat neu zu kon-
stituieren. Nach einem Versuch, auch den Adel am Regimente Anteil
nehmen zu lassen, wurde die Verfassung noch mehr in demokratischem
Sinne umgestaltet : es wurden nämlich acht Prioren der Zünfte und ein
Bannerherr der Gerechtigkeit, der den Vorsitz hatte, eingesetzt; zwei
von den Prioren waren den oberen, je drei den mittleren und niederen
Zünften entnommen, das Amt des Bannerherrn wechselte unter den drei
Klassen des Volkes.3) Der popolo grasßo war über den Verlust seiner
Herrschaft untröstlich und schalt über die bisher verachteten niederen
Zünfte; diese führten indes das Regiment in ebenso fester Weise, wie
es die andern bisher getan hatten. — Ahnlich wie in Florenz lagen
die Dinge in Sie na. In Pisa, das soeben erst nach heftigen Kämpfen
mit Florenz Lucca erworben hatte, stand ein Kriegshauptmann, der auch
Signore genannt ward, aber freilich nicht die Machtbefugnisse lom-
») Andr. Danduli Chron., Mur. XII, 424.
2) Die Gröfse des Staatsbesitzes bei Werunsky II, 399.
3) Die übrigen Veränderungen s. bei Werunsky IT, 406.
Der Kirchenstaat. Cola Rienzi. 309
bardischer Signoren hatte , an der Spitze der Regierung. Noch hatte
das Volk hier die gesetzgebende Gewalt. Die Exekutive lag in den
Händen von 12 Volksältesten, die alle zwei Monate wechselten und
deren Oberhaupt der Cayitano del popolo (Volkshauptmann) war. In
Toskana gab es noch kleine republikanische Gewalten in Arezzo und
Volterra und dynastische Herrschaften wie die der Tarlati und Casali, die
sich aber gegen die Übermacht der Florentiner auf die Dauer nicht zu
behaupten vermochten.
§ 73. Cola Rienzi und der Kirchenstaat.1) Innozenz VI. und die
Mission des Kardinals Albornoz.
Quellen: Aufser Theiner, Cod. dip. SS. II. Die Statuten von 1363, herausg.
von Camillo Re. Rom 1880. Die Korrespondenz Rienzis im Epistolario di Cola di
Rienzo a cura di Gabrielli. Roma 1890. Die Vita di Cola di Rienzo bei Muratori III,
besser bei Zefirino del Re. 2. ed. Firenze 1854. Neuere Arbeiten : Papencordt, Cola
di Rienzo u. s. Zeit. Hamb. 1841. Rodocanachi, Cola di Rienzo. Hist. de Rome
1342 — 1354. Paris 1888. Filippini, Cola de Rienzo et la cour d'Avignon. Studi storici.
vol. X. Sonst, wie oben. Zur Gesch. Innozenz' VI. s. seine Lebensbeschreibungen bei
Muratori III, 2, 589 ff. Baluze I, 321. Raynaldus Annal. Eccl., "Werunsky, Excerpta
wie oben. Werunsky, Gregorovius u. Reuniont s. o. Rodocanachi, L'organi-
sation municipale de Rome au XIV siecle. Le-Moyen Age, 1895, 73 ff. Wurm, Kar-
dinal Albornoz, der zweite Begründer des Kirchenstaates. Paderb. 1892
1. Auch Rom war in der Mitte des 14. Jahrhunderts von Partei-
kämpfen zwischen Adeligen und Bürgern erfüllt; doch blieben hier jene
im Besitz der Regierungsgewalt. Wohl übertrug das Volk dem Papste
bei seinem Regierungsantritt die oberste Senators- und Hauptmanns-
würde, er übergab sie aber, meist auf die Dauer von sechs Monaten,
an einen Stellvertreter aus dem obersten Adel. Die Versuche des Volkes,
die oberste Gewalt in die eigenen Hände zu nehmen, hatten keinen
Erfolg, da Rom auch nicht im entferntesten jene wirtschaftliche Blüte,
demnach auch die Zünfte nicht jene Macht aufzuweisen vermochten wie
etwa in Mailand und Florenz. Die Adeligen der Campagna und Mari-
tima hielten sich von jeder Abhängigkeit von Rom frei und besafsen
auf ihren Gebieten den Blutbann. Die wichtigsten Adelsfamilien sind
noch die Colonna und Orsini, zu ihnen treten seit Innozenz III.
die Conti, seit Honorius III. die Savelli, seit Bonifaz VIII. die
Gaetani. Neben ihnen gibt es noch eine gröfsere Anzahl hervor-
ragender Adelsgeschlechter wie die Frangipani. Aufser reichem Besitz
aufserhalb Roms gehören ihnen in der Stadt starke Burgen, von denen
aus sie ihre unablässigen Kämpfe führen. Die Abwesenheit der Päpste
erzeugte eine förmliche Anarchie, und die Notlage des Volkes führte
1343 zu einer Umwälzung, die den Hauptleuten der 13 Stadtregionen
die Stellung von Regenten verschaffte; sie bekleideten sie im Namen
des Papstes. Sie sandten damals, ihr Vorgehen zu rechtfertigen, einen
jungen Notar nach Avignon. Es war Cola di Rienzo. Cola (Nikolaus),
nach seinen Angaben 1313 oder 1314 geboren, war der Sohn Maddalenas,
*) Die Gröfse des Kirchenstaates bei Werunsky II, 423.
I
310 Emporkommen Rienzis. Sein Wirken als Tribun und Befreier des Volkes.
einer Wäscherin, und des Weinschenken Renzo oder Rienzo (Lorenzo),
der nicht weit vom Ponte quattro Capi eine ärmliche Herberge hielt.
Cola hat sich durch eifrige, wenngleich späte Studien aus niederem
Stand in die Höhe gebracht. Das Studium der alten Bauwerke und der
Klassiker hatte in ihm die Begeisterung für Roms alte Gröfse und die
Sehnsucht, sie zu erneuern, wachgerufen. Von schöner Körpergestalt,
besafs er hohe Geistesgaben, vor allem eine ungewöhnliche Beredsam-
keit ; auch sein Stil wird gelobt, wenngleich er nach modernem Geschmak
zu überladen ist. Dunkle Gerüchte, als sei er ein Sohn Kaiser
Heinrichs VII., hoben ihn aus der Menge heraus. Daher verschmähte
er es, sich einem Handwerk zu widmen, und trat in den Stand der Notare.
Dem Papst, dem die Beredsamkeit des jungen Römers mehr gefiel als
die Umwälzung in Rom, ernannte wieder zwei Senatoren. Cola selbst
erhielt die Stelle eines Notars der städtischen Kammer (1344 April).
In Avignon lernte er Petrarca kennen, der dort als Gast des Kardinals
Colonna verweilte. Nach Rom zurückgekehrt, war er bemüht, auf die
Regierung und das Volk einzuwirken: auf jene, um die Leiden der
unteren Klassen zu mildern, auf dieses, um in ihm die Erinnerung an
seine einstige Majestät zu wecken. Beim Volke hatte er ein leichteres
Spiel als bei den Baronen. Am Pfingstfeste 1347 kam es zu einer Er-
hebung, die ihm zugleich mit dem päpstlichen Vikar Raimondo von
Orvieto die Signorie über Rom verschaffte. Raimondo wurde vor-
geschoben, um den Papst zu besänftigen. Wenige Tage später liefs er
sich zum Tribunen und Befreier des Volkes ernennen.-1) Die
Dauer seines Amtes, für das er anfangs nur drei Monate begehrte, war
nicht beschränkt. Der Grofse und Kleine Rat der Stadt, die Drei-
zehnmänner und Richterkollegien blieben bestehen. Er nannte sich
nach seinem phantastischen Sinn und seiner Eitelkeit: Nikolaus, durch
die Autorität unseres gnädigsten Herrn Jesus Christus der Gestrenge
und Gnädige, der Tribun der Freiheit, des Friedens und der Gerechtig-
keit und der erlauchte Befreier der römischen Republik.
2. Cola schuf in Rom feste Ordnung. Als sich Stephan Colonna
dawider erhob, ward der Adel auf seine Güter verwiesen und zur Hul-
digung gezwungen. Die Richterkollegien und die Zünfte huldigten dem
Tribunen. Er stellte mit eiserner Strenge Sicherheit des Lebens und
Eigentums in Rom her und minderte die Lasten der Bürger. Der
Titel »Herrc wurde den Baronen genommen und nur dem Papst ge-
lassen, die Justiz ohne Ansehen der Person geübt, eine geordnete Ver-
waltung eingeführt, lästige Zölle abgeschafft und die Marktpreise ge-
regelt. Schon wurden unter Colas Namen Münzen geschlagen. Der
Papst, über diese Neuerungen erschreckt, bestätigte Cola und Raimondo
als Rektoren. Cola behandelte die päpstliche Herrschaft mit Rücksicht.
Erst, als er sich gesichert hielt, griff er, über die römische Machtsphäre
hinaus, in die Verhältnisse des übrigen Italien ein. Kommunen und
Signoren Italiens wurden aufgefordert, Gesandte nach Rom zu schicken,
a) Für die Einzelheiten der Vorgänge s. jetzt "Werunsky II, 428 ff.
»Sein Sturz. Cola und Karl IV. 311
um über einen allgemeinen Frieden zu beraten. Vor diesen erklärte er,
(1. August), dafs die Kaiserwahl und die Herrschaft über das römische
Reich dem römischen Volke und dem ganzen hl. Italien zustehe. Prä-
laten, erwählte Kaiser (Ludwig und Karl), Kurfürsten und Fürsten, die
ein Recht auf die Kaiserwahl beanspruchten, wurden bis zum nächsten
Pfingsfest vor seinen Richterstuhl geladen. Das Volk klatschte Beifall,
und der Protest Raimondos verhallte ungehört. Vierzehn Tage später
liefs sich Cola eine silberne Krone, Szepter und einen silbernen Weihe-
apfel überreichen und untersagte fremden Monarchen, Italiens Boden
zu betreten, und den Italienern, die Parteinamen Guelfen und Ghibellinen
zu gebrauchen. Je mehr er sich aber in phantastische Träumereien verlor,
desto mehr schwankte der Boden unter seinen Füfsen. Alle seine
Gegner, auch das Papsttum, dem er seine Abwesenheit vorwarf und
gegen das er Verbindungen mit Kaiser Ludwig und Ungarn angeknüpft
hatte, machten seinem Regiment nach siebenmonatlicher Dauer ein Ende
(1347, 15. Dezember). Die Sympathien des Volkes hatte er verloren:
es klagte über Willkür in der Verwaltung und die Erhöhung der Salz-
steuer. Cola floh nach Neapel und von da in die Abruzzen. Der
Kardinallegat Bertrand hob seine Verordnungen auf und sprach über
ihn den grofsen Kirchenbann aus. Rom selbst verfiel einer ärgeren
Anarchie als früher, und viele Römer wünschten die geordneten Zustände
unter Cola zurück. — Während das grofse Jubiläum von 1350 prunkvoll
gefeiert wurde, lebte Cola in der Wildnis des Monte Majella. Von den
Fraticellen, die dort hausten, hatte einer, Fra Angelo, seine Hoffnungen
wieder aufgerichtet. Er gab ihm Schreiben an den römischen König
mit. Fra Angelo meinte wohl, es seien noch die Zeiten Ludwigs des
Bayers. Cola kam nach Prag und suchte Karl IV. für seine Pläne zu
gewinnen. Er rühmte sich seiner Abstammung von Heinrich VII.1)
Dann war ja Karl sein Blutsverwandter. Er verhiefs, ihn nach Rom
zu führen, wenn er ihm das Regiment über die Stadt überlasse. Karl
ging auf Colas Pläne, die ihm viel Ketzerisches zu enthalten schienen2),
nicht ein. Er liefs den Tribunen dem Erzbischof von Prag übergeben,
der ihn in seinem Schlosse Raudnitz an der Elbe in strenger Haft hielt.
Auch diesen suchte Cola zu gewinnen, aber Arnest tadelte den Joachi-
mismus seines Gefangenen, den Karl IV. endlich (1251 Juli) unter sicherem
Geleite nach Avignon bringen liefs. Cola sollte hier als Werkzeug des
Papsttums gebraucht werden.
1) Vielleicht hat Cola erst hier das Märchen erfunden, um seinen Plänen den
Erfolg zu sichern. Karl IV. wies ihn kühl ab.
2) Für Rienzi finden sich einige gute Nachrichten beim Domherrn Franz von Prag
(ed. Loserth ind. Königsaaler GQ. 601) ; sie sind auch für das Fortleben des Armuts-
ideals unter den Minoriten bezeichnend : Ein armer Priester werde Papst werden und
nach Rom zurückgehen. Das werde dann in Wahrheit ein Reich Christi sein: Post
quindecim annos deberet esse unus pastor et una fides, et quod prefatus novus papa,
dominus rex noster et ipse tribunus deberent esse quasi vestigmm sanctae Trinitatis —
ein Abbild der hl. Dreieinigkeit auf Erden. Der Domherr Franz kannte durch den Erz-
bischof von Prag den ganzen zwischen Cola und dem Kaiser stattgefundenen Verkehr.
S. Schiefser in MVGDB. XXXIV, 315.
312 Innozenz VI. Die Mission Albornoz' und Colas Ende.
3. Arn 6. Dezember 1352 starb Klemens VI. Die Absicht des
französischen Königs Johann, nach Avignon zu gehen, um die Neuwahl
nach seinem Sinne zu lenken, bewog die Kardinäle, unverweilt einen
Papst zu wählen. Nach einem Papst, der in unerhörter Weise dem
Nepotismus gefrönt hatte, war es notwendig, ein sittenstrenges Oberhaupt
zu wählen. Man dachte an den im Rufe der Heiligkeit stehenden
Generalprior der Kartäuser, Jean Birel; gewählt wurde schliefslich als
Innozenz VI. (1352 — 1362) der Kardinalbischof Stephan Aubert, aller-
dings erst, nachdem er eine Kapitulation beschworen, welche die Macht-
befugnisse des Papsttums zugunsten der Kardinäle einschränkte. Der
Papst erklärte nach seiner Thronbesteigung die Kapitulation für nichtig,
da »es offenes Unrecht sei, die von Gott schrankenlos verliehene Gewalt
durch menschliche List in Grenzen einzudämmen.« In seinem Lebens-
wandel, bis auf seine Geldgier und seinen Nepotismus, untadelig, begann
er sein Regiment mit einer Reformierung des päpstlichen Hofes. Viele
Reservationen wurden eingezogen und streng befohlen, dafs jeder Prälat
sich an den Sitz seines Benefiziums begebe. Dadurch wurde die Kurie
von einer Schar von Müfsiggängern befreit. Die Ausgaben der Hof-
haltung wurden eingeschränkt und kirchliche Gnadenbezeugungen rnafs-
voller als früher' verliehen. Die wichtigste Aufgabe erschien einem
Papste von solcher Tatkraft aber die Wiedereroberung des
Kirchenstaates. Sie wurde dem Kardinal Agidius Albornoz zuge-
wiesen, einem Manne, der erst gegen die Mauren gefochten, dann Geist-
licher geworden war. Am 30. Juni 1353 zum Legaten für Italien und
zum Generalvikar der päpstlichen Provinzen bestimmt, wurde ihm Cola
als Gehilfe beigegeben. Noch herrschte in Rom die Erinnerung an die
glückliche Zeit seines Regiments. Er versprach, die Stadt wieder zu
erheben. Nach langem Zögern von Albornoz zum Senator ernannt, ver-
traute er wie die übrigen Signoren Italiens mehr fremden Söldnern als
dem eigenen Volke. Am 1. August 1354 hielt er in der Stadt einen
feierlichen Einzug. Aber bald schlug die Meinung um; man merkte,
dafs er ein anderer geworden und wie ein Tyrann regiere. Bei einem
Tumulte fand er am 8. Oktober 1354 sein Ende. — Selbst seine Leiche
fand bei seinen Feinden keine Gnade; sie wurde geschändet. Noch
schlimmer als in Rom waren die Zustände in den Provinzen des Kirchen-
staates. Sie standen unter Rektoren, die die kurze Zeit ihrer Amts-
führung (6 Monate) zu ihrer Bereicherung benützten. Die Herrschaft
des Papsttums befand sich in förmlicher Auflösung, die Barone, grofse
und kleine Kommunen benützten die Anarchie, um ihre Gebiete durch
Annexionen zu vergröfsern.
§ 74. Die Zustände im Königreich Neapel.
Quellen s. Capasso, p. 120. Theiner, MM. Hung. hist. Raynald, Ann.
Eccl., wie oben. Unter den erzählenden Quellen ist die wichtigste : Dominicus de
Gravina, Chronicon de rebus in Apulia gestis 1333 — 1350. Murat. XII. Chronicon Estense
u. Villani wie oben. Carraciolo, Vita di Giovanna I. Vers. ital. di S. Angelozzi. 1901.
Von ungar. Quellen : Johannis de Kikullew Hist. Ludowici reg. Hung. in Schwandtner.
Neapel unter Johanna I. Ermordung ihres Gemahls, Andreas v. Ungarn. 313
SS. rer. Hung. I. u. Chronicon de gestis Hungarorum. Besser als die in deutscher
Sprache erschienenen Werke zur Geschichte Ungarns orientieren die österr. Geschichts-
bücher von Huber, Krones u. a. Baddeley, Queen Johana I. of Naples, Sicily and
Jerusalem. London 1893.
1. Nicht besser als im Kirchenstaate sah es in Neapel aus, seit König
Robert, der langjährige Führer der Guelfen Italiens, am 19. Januar 1343
gestorben war. Sein Sohn Herzog Karl von Kalabrien war ihm schon
14 Jahre im Tode vorangegangen und hatte zwei Töchter hinterlassen,
von denen die ältere, Johanna, mit dem Prinzen Andreas von Kalabrien,
dem zweiten Sohne des verstorbenen Königs Karl von Ungarn, vermählt
war. Nach König Roberts letztwilliger Verfügung war Johanna alleinige
Erbin ; bis zur Vollendung des 24. Jahres sollte ihr ein Regentschaftsrat
zur Seite stehen und die Verwaltung führen. Roberts Anordnungen
hatten den ungarischen Zweig des Hauses Anjou verletzt, der nähere
Ansprüche auf Sizilien hatte; denn die Belehnungsurkunde von 1265
enthielt die Bestimmung, dafs in Sizilien immer der Erstgeborene folgen
und Männer den Frauen in der Nachfolge vorangehen sollten. Dann
gebührte die Nachfolge dem Prinzen Andreas, und König Ludwig von
Ungarn war entschlossen, für dies Recht seines Bruders einzutreten.
Schon 1343 suchte er um die Vermittlung Karls IV., seines Schwagers,
beim Papste nach, aber Klemens VI. war nicht geneigt, auf Ludwigs
Wünsche einzugehen, denn es schien ihm bedenklich, dafs eine und die-
selbe Familie in Ungarn und Sizilien herrsche und die Hilfsquellen
Siziliens mehr zu Ungarns als zur Verfügung des Papsttums stünden.
Zudem stand Andreas in Sizilien gänzlich vereinsamt; die Königin
Johanna , eine leidenschaftliche , genufssüchtige und verschwenderische
Frau, eine Freundin glanzvoller Feste und in Liebesabenteuer verstrickt,
hafste den schwerfälligen , ungarischen Prinzen , wandte dagegen ihre
ganze Liebe dem Prinzen Ludwig von Tarent, einem Brudersohn des
verstorbenen Königs, zu. Auch die übrigen Mitglieder des sizilischen
Angiovinenhauses waren von tiefem Grolle gegen die ungarische Linie
erfüllt und die Mutter Ludwigs von Tarent darauf bedacht, den Ehebund
zwischen Johanna und Andreas zu lösen, um ihrem Sohne mit der Hand
der Königin die Krone Siziliens zu verschaffen. Unter solchen Um-
ständen zögerte der Papst mit der Entscheidung. Zwar erhielt Andreas
den königlichen Titel, aber die Krönung wurde verschoben und schliefslich
Johanna (1344, 19. Nov.) als mündig erklärt. Am 18. September des
folgenden Jahres wurde Andreas von Anhängern der Königin nach Aversa
gelockt1) und dort erdrosselt. Im Dezember gebar die Königin einen
Sohn, Karl Martell, und wählte Papst Klemens VI. zum Paten.
2. Als König Ludwig von Ungarn von diesen Vorgängen Kunde
erhielt, forderte er vom Papste als dem Oberlehensherrn Siziliens strenges
Gericht. Zu den Mitschuldigen wurden aufser der Königin mehrere
Mitglieder des königlichen Hauses gerechnet. Andreas' nachgeborener
Sohn sollte der Königinmutter Elisabeth, die Verwaltung Siziliens bis zu
*) Nach den neueren Untersuchungen ist der Beweis für die Mitschuld Johannas
nicht erbracht und Karl von Durazzo unschuldig. JBG. 1897, HI, 315.
314 -Rachezug König Ludwigs von Ungarn nach Xeapel.
seiner Grofsjährigkeit dem König Ludwig übergeben und der Königin
Johanna die Wiederverraählung mit einem Prinzen des sizilischen
Hauses untersagt werden. Der Papst kam solchen Wünschen nur teil-
weise entgegen. Die Untersuchung gegen die Mörder wurde lässig ge-
führt und die Hauptschuldigen aufserhalb der Untersuchung gelassen.
Nicht genug daran, heiratete Johanna noch vor Ablauf des Trauerjahres
mit päpstlicher Einwilligung ihren früheren Buhlen Ludwig von Tarent.
Auf das hin beschlofs König Ludwig, einen Rachezug nach Italien zu
unternehmen. Nachdem er sich mit Kaiser Ludwig verständigt und die
Signorien Italiens bewogen hatte, ihm den Durchzug zu gestatten, schickte
er einige Magnaten nüt Geld und Truppen nach Italien , folgte , unein-
geschüchtert durch die Mahnungen und Drohungen der Kurie, im
November 1347 selbst nach und erhielt am Weihnachtsfeste zu Aquila
die Huldigung der zahlreich versammelten Grofsen. Johanna und ihr
Gemahl waren in die Provence geflohen. Karl von Durrazzo und die
übrigen Prinzen leisteten die Huldigung. Karl von Durazzo, der Johannas
Schwester Maria geheiratet hatte und den ungarischen Plänen auf Neapel im
Wege stand , wurde , wiewohl ihm keine Schuld am Tode des Andreas
nachgewiesen wurde, zu Aversa an der Stelle enthauptet, wo Andreas
ermordet worden war, und seine Brüder Ludwig und Robert nebst den
Brüdern Ludwigs von Tarent gefangen nach Ungarn geführt. Als Karl
Martell, der nachgeborene Sohn des Andreas, gestorben war (1348, 19. Juni),
nahm Ludwig selbst den Titel eines Königs von Sizilien an und begehrte
vom Papste die Krönung. Klemens VI., über dies Vorgehen Ludwigs,
der übrigens schon im Mai 1348 nach Ungarn zurückgekehrt war, in
hohem Grade erbittert, bereitete Johanna und ihrer Schwester in Avignon
einen glänzenden Empfang und protestierte gegen die Eingriffe Ludwigs
in seine lehensherrlichen Rechte. Im übrigen machte sich die ungarische
Herrschaft, die zur Erhaltung ihrer militärischen Macht hohe Steuern
einhob und manche Gewalttat duldete, in Neapel bald so verhafst, dafs
eine Einladung an Johanna erging, in ihre Heimat zurückzukehren.
3. In ihrer Geldnot überliefs Johanna dem Papste gegen Zahlung
von 80000 Goldgulden ihre landesherrlichen Rechte auf Avignon,
worauf auch Karl IV., da Avignon wie die ganze Provence Lehen des
Reiches war, bereitwilligst einging (s. oben). Die vom Papste erhaltenen
Geldsummen setzten die Königin in den Stand, ihre Restaurationspolitik
in Sizilien wieder aufzunehmen. Ein deutscher Kondottiere, Werner, der
sich Herzog von Urslingen (s. § 6,2) nannte und bisher in den Diensten
Ungarns gestanden1) und der von Ludwig entlassen worden war, weil
er eben damit umging, ihn an Johanna zu verraten, trat in ihren Sold;
an seiner Seite hielten die Königin und ihr Gemahl ihren Einzug in
Neapel. König Ludwig zog im Frühling 1350 noch einmal nach Italien,
erkannte aber die Unmöglichkeit, Neapel von Ungarn aus zu behaupten,
und ging auf einen von päpstlicher Seite vorgeschlagenen Vergleich ein,
*) Ein Mann, den die Inschrift seines Wappenrockes als »Feind Gottes, des Mit-
leids und Erbarmens« bezeichnete. S. Werunsky, 478.
Die Romfahrt Karls IV. Petrarca und Karl IV. 315
nach welchem er gegen Zahlung von 300000 Goldgulden die gefangenen
Prinzen freiliefs und seine eigenen Ansprüche auf Neapel aufgab. Schliefslich
verzichtete er auch auf die Geldentschädigung , da er seinen Zug nach
Neapel nicht aus Habsucht unterommen habe, sondern um den grausamen
Tod seines unschuldigen Bruders zu rächen.1) Wohl wurde der Prozefs
wegen der Mitschuld der Königin in Avignon weitergeführt, endete aber
mit einem Freispruch unter der hohnvollen Motivierung, dafs sie zur
Zeit des Mordes verhext gewesen sei und sich daher in unzurechnungs-
fähigem Zustand befunden habe.
§ 75. Der Römerzug Karls IY.
1. Acht Jahre verstrichen, bis Karl IV. seine Romfahrt antrat.
Befolgte die Kurie seit seiner Versöhnung mit dem wittelsbachischen
Hause eine Politik der Zurückhaltung, so waren die Signorien und
Freistaaten in Ober- und Mittelitalien im Interesse ihrer Selbständigkeit
wenig geneigt, das Unternehmen zu unterstützen, und Karl selbst zögerte
aus Furcht, in die Parteikämpfe Italiens verwickelt zu werden. So ver-
sagte er sich den Lockungen Colas und wies auch die Versicherungen
Petrarcas, dafs ihn Italien mit Sehnsucht erwarte, um den Glanz des
römischen Namens und die Machtfülle des Reiches wieder herzustellen,
mit der kühlen Bemerkung ab , dafs dem Kaisertum wohl noch ein
glanzvoller Name geblieben, seine Macht aber gesunken sei. Selbst
der Ehrgeiz des Hauses Visconti, der Republiken und Signorien in
gleicher Weise bedrohte und diesen den Anschlufs an den deutschen
König nahelegte, brachte ihn nicht zu einer Änderung seines Ver-
haltens. Mittlerweile war Albornoz in Italien erschienen. Je be-
deutender seine Erfolge waren , um so eher glaubte die Kurie, der
Erneuerung des Kaisertums entraten zu können , die Kardinäle be-
fürchteten, dafs Karl auf der Rückkehr des Papsttums nach Rom be-
stehen würde. Daher zogen sich die Verhandlungen über die Romfahrt
hinaus, und schliefslich war Karl durch die Kämpfe in Deutschland in
Anspruch genommen. Erst als Venedig und die Signoren von Verona,
Padua und Mantua und der Markgraf von Ferrara, von Mailand bedrängt,
erklärten, bei längerem Zuwarten der übernommenen Verpflichtungen
gegen ihn ledig zu sein, brach er mit der geringfügigen Zahl von 300
Rittern auf und kam über Udine und Padua nach Mantua. Seine Rom-
fahrt hatte vom Aussehen alter Römerzüge wenig an sich. Den Italienern
erschien er wie ein Kaufmann, der zur Messe zieht. In Mantua erhielt
er den Besuch Petrarcas, der sich, auch diesmal vergebens, bemühte,
den König für eine Weltherrschaft im Sinne der alten Imperatoren zu
begeistern. Den Antrag des Königs, ihn nach Rom zur Kaiserkrönung
zu begleiten, lehnte der von der Antike begeisterte Dichter, den eine
mittelalterliche Krönung wenig sympathisch berührte, ab. Im Bewufstsein
seiner Schwäche vermittelte Karl IV. einen Frieden zwischen seinen
Verbündeten und den Visconti. Indem er diesen das Reichsvikariat
*) Werunsky, 484.
316 Huldigung der Florentiner. Die Kaiserkrönung.
über Mailand überliefs, versprachen sie ihm einen Beitrag von 50000
Goldgulden zur Kaiserkrönung. Am 6. Januar 1355 empfing er in der
Ambrosiuskirche zu Mailand die eiserne Krone. In Pisa wurde er als
Enkel des unvergefslichen Heinrich VII. vom Hause der Gambacorta
glänzend empfangen. Die Pisaner mochten den Beginn einer neuen Ära
erwarten. Sie übertrugen ihm die Signorie ihrer Stadt. Hier erwartete
er seine Gemahlin Anna und die Verstärkungen, die ihm aus Deutsch-
land zuströmten. Endlich fanden sich auch die Florentiner ein, die sich
noch in den letzten Monaten bemüht hatten , eine Liga gegen ihn zu-
stande zu bringen. Nachdem ihm Siena, Volterra und einige kleinere
Orte die Signorie übertragen hatten, leistete ihm auch Florenz — einst
die Seele des Widerstandes gegen seinen Grofsvater — die Huldigung
(21. März). Neun Tage zuvor war der Kardinalbischof Peter von Ostia
angekommen, der mit der Kaiserkrönung beauftragt war. Am 2. April
langte Karl vor Rom an. Seinem Gelöbnis zufolge durfte er die Stadt
nur am Krönungstage betreten. Daher zog er, in Pilgergewandung in die
Stadt und besuchte ihre Kirchen und Heiligtümer. Den feierlichen Einzug
hielt er am Ostersonntag (5. April). Nachdem er die dem Papst ge-
schworenen Eide erneuert, vollzog der Legat an ihm und der Königin
in St. Peter die Krönung; Karl wiederholte auch die von ihm als
römischem König dem Papst geleisteten Eide und bestätigte der Kirche
ihre Rechte und ihren Besitz. Noch an demselben Tage verliefs er die
Stadt — zur gröfsten Erbitterung aller jener, die seine Ankunft so heifs
ersehnt hatten.1)
2. So friedlich wie diese war lange keine Kaiserkrönung vor sich
gegangen — aber um welchen Preis ! Dem Kaiser war jedes Recht auf
die Stadt genommen, von der er den Namen trug. Um den Preis der
tiefsten Selbsterniedrigung war der Friede erkauft, Zum erstenmal
waren die Prätensionen der Päpste vollkommen anerkannt2), und dies in
einem Augenblick, der vom völligen Zusammenbruch der päpstlichen
Weltherrschaft nicht weit entfernt war. Vergebens hatten die Römer
den Kaiser aufgefordert zu bleiben, die alten Kaiserrechte an sich zunehmen
oder der Stadt die alte Freiheit zurückzugeben. Er wollte den Frieden der
Gesamtheit nicht der Rache einzelner aufopfern. Den beabsichtigten
Zweck hatte er erreicht: alle Parteien erkannten seine Herrschaft an
und nahmen ihre Lehen von ihm. Eine ungeheure Anzahl von Ver-
fügungen, die er an seinem Krönungstag traf, hielt die Erinnerung daran
fest; dann zog er fort, nicht ohne die Römer ermahnt zu haben, dem
Papste treu zu bleiben. In Pisa kam es zu einem Tumulte; es war
nämlich das Gerücht verbreitet, er wolle Lucca den Pisanern entziehen.
In der Nacht vom 20. auf den 21. Mai wurde in seinem Palaste Feuer
gelegt; nur mit Lebensgefahr konnte er sich retten. Am folgenden Tage
brach ein von den Gambacorta angestifteter Aufstand aus, der mühsam
x) Petrarca: 0 infamem diem ! 0 pudendum foedus ! Caesar hie noster rapto dia-
demate in Germaniam abiit patriis latebris et nomine contentus imperii ■ . . Quem recu-
peraturum perdita sperabamus, suum servare non audet.
2) Werunsky II, 575.
Ergebnis der Romfahrt. Gesetzgebung im deutschen Reiche. 317
unterdrückt und strenge bestraft wurde. Sieben Bürger, unter ihnen
drei vom Hause Gambacorta, wurden enthauptet. Der Aufenthalt in
Pisa, wo die Gebeine seines Grofsvaters ruhten, ja selbst in Italien, war
dem Kaiser verleidet. So rasch er konnte, eilte er heim. Einem
Flüchtling gleich, durchzog er die Lombardei. »Wenn dir«, schreibt
Petrarca, »auf deiner Heimkehr dein Vater oder dein Grofsvater be-
gegnet wären, was meinst du wohl, dafs sie gesagt hätten?« In Cremona
wurde er erst nach zweistündigem Warten und nur ohne Waffen und
ohne grofse Begleitung eingelassen. Am 3. Juli 1355 langte er in
Augsburg an. Mit kühlem nüchternen Blick betrachtete man in Deutsch-
land diese Romfahrt. Die meisten Chronisten sprechen nicht davon.
Doch hatte sie immerhin ein wichtiges Ergebnis : Was die Päpste seit
Johann XXII. eifrig erstrebten, den Zusammenhang zwischen Deutsch-
land und Italien völlig aufzulösen, hatte sich als undurchführbar erwiesen.
3. Kapitel.
Die Gesetzgebung Karls IV. im deutschen Reiche.
Der zweite Romzag.
§ 76. Die Goldene Bulle. Karl IV. und Rudolf IV. von Österreich.
Der Text der Gold. Bulle, ein Abdruck des Harnackschen mit den Verbesse-
rungen Lindners und Brefslaus bei Altmann und Bernheim, Ausgew. Urkk. Altere
Drucke bei Böhmer-Huber, Regg., 2397 und Potthast I, 194 ff Harnack, Das Kur-
fürstenkollegium bis zur Mitte des 14 Jahrh. 1883. Dort S. 202 der kritische Abdruck
der ältesten Ausfertigung d. g. B. Lindner, Die G. B. u. ihre Originalausfertigungen.
MJÖG. V. Harnack, Die älteste Ausfertigung der G. B. Forsch, z. d. G. XXIV. Lindner,
Über d. G. B. ib. XXV. Nerger, D. G. B. nach ihrem Ursprung und reichsrecht-
lichen Inhalt. Prenzl. 1877. Hahn, Ursprung u. Bedeutung d. G. Bulle. Breslau 1902.
Von älteren Arbeiten: Olenschlager, Neue Erläuterungen der Goldenen Bulle.
Frankf. 1766. Zur Gesch. Rudolfs von Österreich: Kurz, Österreich unter Herzog
Rudolf IV. Linz 1820. Hub er, Gesch. Rudolfs IV. Innsbruck 1865. Wilhelm, Die
Erwerbung Tirols durch Herzog Rudolf von Österreich. MJÖG. XXTV, 29 ff. Die Lit.
über die österr. Privilegien in Doeberl, MM. Germ, selecta IV, 86—99. Doch ist
noch Fr. Kürschner, die Urkk. H. Rudolfs IV. AÖG. XLIX anzufügen. Jäger,
Francesco Petrarcas Briefe an Karl IV. etc. AÖG. XXXVffl.
1. Wie Karl IV. der Rechtsunsicherheit in seinen Erblanden durch
Einführung eines geschriebenen Landrechtes abhelfen wollte, so galt es
auch im Reiche, die Quellen jener Streitigkeiten zu verstopfen, die seit
dem Königtum Adolfs von Nassau die ruhige Entwicklung der Dinge
gestört hatten. Demgemäfs wurden dem Reichstage in Nürnberg (1355,
November), folgende Gegenstände zur Beratung und Beschlufsfassung
vorgelegt: 1. Die Bestimmung, wer als Kurfürst zu gelten habe, 2. die
Verbesserung der Münze, 3. die Verminderung der Zölle, 4. die Errich-
tung eines Landfriedens und 5. die Entscheidung der Königswahl durch
die Majorität der Kurfürsten. Die letzte Frage war zweifelsohne die
wichtigste, sollte in Zukunft jeder Streit um das Reich vermieden werden
und ihre Regelung im Augenblicke um so leichter, als der Kaiser mit
318 Die Goldene Bulle. Ihr Inhalt
allen Kurfürsten auf gutem Fufs stand. Gab es über die Siebenzahl
der Stimmen keinen Streit, so war es doch bei dem Umstand, als einige
Kurhäuser in mehrere Linien zerfallen waren, unsicher, welche die wahl-
berechtigte sei. Von den beiden sächsischen Stimmen der Wittenberger
und Lauenburger war diese die ältere, hatte aber geringeres Ansehen,
keinen bedeutenden Besitz und zerfiel auch ihrerseits in mehrere Linien,
auch war sie noch zuletzt auf Seiten der Gegner Karls zu finden; da-
gegen hatten die Wittenberger seit König Rudolf die Kur ausgeübt und
erschienen sonach als die beati possidentes. Gewichtige Gründe sprachen
sonach dafür, ihnen die Kurwürde zuzuweisen. Im Wittelsbachischen
Hause sollte nach dem Familien vertrag von 1329 das Kurrecht zwischen
Pfalz und Bayern wechseln, nun wurde es endgültig der pfälzischen
Linie zugesprochen. Die bayrische Linie konnte sich bei dieser Ent-
scheidung beruhigen, weil sie ohnehin im Besitz der Brandenburgischen
Kur war. Am 10. Januar 1356 wurden in feierlicher Weise die 23 ersten
Kapitel der Goldenen Bulle publiziert. Sie nimmt von dem biblischen
Satz ihren Ausgang, dafs jedes Reich, das in sich geteilt ist, zu Grunde
gehen mufs. Schon habe die Zwietracht auch die Kurfürsten ergriffen,
durch die wie durch einen siebenarmigen im Lichterglanz strahlenden
Leuchter das Reich erhellt werden soll. Es folgen nun zuerst die Be-
stimmungen über den Vorgang bei der Wahl, über den Rang und die
Rechte der Wähler und ihre Beziehungen zu den andern Fürsten.
Kurfürsten sind die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier, als die Erzkanzler
für Deutschland, Italien und das linksrheinische Land (mit Ausnahme des Elsafs und
des Kölner Erzsprengeis; nebst dem Königreich Arelat. Haupt der Reichskanzlei ist,
in dessen Amtsbezirk der Kaiser verweilt ; freilich hat die Erzkanzlerwürde ihre alte
Bedeutung verloren (s. oben). Unter den weltlichen Kurfürsten nahm früher die Pfalz
die erste Stelle ein; jetzt steht Böhmen voran, dessen König des Reiches Erzmund-
schenk ist. Ihm folgen der Pfalzgraf vom Rhein, des Reiches Erztruchsefs, der Herzog
von Sachsen als Erzmarschall und der Markgraf von Brandenburg als Erzkämmerer
des Reiches. Der Erzbischof von Mainz hat das Ableben des Königs den Kurfürsten
mitzuteilen und sie binnen Monatsfrist nach Frankfurt am Main zur Xeuwahl zu laden.
Die Wahl findet drei Monate nach geschehener Ladung statt. Kommt er seiner
Pflicht nicht nach, so versammeln sich die übrigen Kurfürsten auch ohne besondere
Ladung. Sie treten unter freiem Geleite bei sonstigem Verlust des Kurrechtes ent-
weder selbst oder durch Bevollmächtigte zusammen und vollziehen die Wahl in der
Bartholomäuskirche zu Frankfurt. Stimmenmehrheit entscheidet ; der Gewählte gilt
als einstimmig gewählt. Die Meinung des Gesetzgebers hiebei war zweifellos, dafs
sich mindestens vier Stimmen auf einen Kandidaten vereinigen. Die Krönung findet
zu Aachen statt. Von einem Bestätigungsrecht des Papstes ist keine Rede.1) Vor
jeder andern Regierungshandlung hat der Gewählte die Rechte der Kurfürsten zu
bestätigen. Ihre Rang- und Sitzordnung in Gegenwart des Kaisers sowie die Reihen-
folge ihrer Abstimmung ist genau festgesetzt. Den Kurfürsten darf kein anderer
Fürst vorgezogen werden. Das Wahlrecht wird nur einem Mitglied des Kurhauses
und zwar dem Besitzer des Kurlandes zuerkannt. Dieses darf nicht geteilt werden,
denn auf ihm ruht das Recht der Kur und die Führung des Erzamtes. Es wird nach
dem Rechte der Erstgeburt vererbt. Wenn ein Kurfürst ohne rechtmäfsige Söhne stirbt,
folgt ihm der älteste Bruder, und dieser erhält die Vormundschaft, falls der Kurfürst
unmündige Söhne hinterläfst. Er übt dann die Kur aus, bis der älteste von diesen
das 18. Lebensjahr erreicht hat. Ist ein Kurhaus erloschen, so wird die Kur vom
J) Lindner II, 51.
und ihre Bedeutung. Haltung Rudolf« IV. v. Österreich. 319
König weiter verliehen. Ausgenommen ist Böhmen, wo die Stände das Recht der
Königswahl haben. Dann folgen die besonderen Rechte der Kurfürsten, vor allem
die Böhmens. Er hat den Vortritt vor den übrigen, ja er geht jedem andern König
voran. Sein Schenkenamt braucht er nicht, mit der Krone geschmückt, auszuüben, falls
er nicht will. Ebenso darf von seinen Untertanen keiner an ein höheres Gericht,
selbst nicht an das des Kaisers appellieren. Auch die andern Kurfürsten haben
grofse Vorrechte : das Bergwerks-, Münz- und Salzregal, den Judenschutz und die voll-
kommene Gerichtsbarkeit über ihre Untertanen. Nur falls diesen das Recht verweigert
wird, dürfen sie an das Hofgericht appellieren. Die Kurfürsten versammeln sich jährlich,
vier Wochen nach Ostern, um sich über die Angelegenheiten des Reiches zu beraten.
Es war somit eine regelmässige Anteilnahme der Kurfürsten an der Regierung des
Reiches in Aussicht genommen. Ist das Reich erledigt, so übernimmt im Süden der
Pfalzgraf, im Norden der Herzog von Sachsen die Reichsverweserschaft.
2. Diese Anordnungen kamen nur den Kurfürsten zugute, doch
gab es auch solche, die für alle bestimmt waren. Es wird z. B. den
Lehensträgern untersagt, Bündnisse unter sich oder mit anderer Herren
Untertanen zu schliefsen. Vasallen, die ihre Herren bekriegen, werden
mit Verlust ihres Lehens bestraft. Fehden müssen ordnungsmäfsig an-
gesagt sein, widrigenfalls sie als Verbrechen gelten. Am schlechtesten
kommen die Städte hinweg, denn die Goldene Bulle verbietet alle
Innungen und alle Städtebündnisse, ebenso die Aufnahme von Pfahl-
bürgern usw. Der Schlufs dieser Gesetzgebung erfolgte auf dem Reichs-
tag zu Metz (25. Dezember). Hier wurden die letzten acht Kapitel der
Goldenen Bulle veröffentlicht : das erste bestimmt nicht blofs die Un-
verletzlichkeit des Königs, sondern auch der Kurfürsten, die andern be-
treffen die Ordnung an Hof tagen usw. Die Nürnberger und Metzer Reichs-
gesetze sind unter dem Namen der Goldenen Bulle bekannt, nach dem
Goldsiegel, das an ihren Ausfertigungen hängt. Sie enthalten nichts
wesentlich Neues, aber es war doch notwendig, dafs das alte Herkommen
in förmlicher Weise Gesetz und die deutsche Königs wähl von dem An-
spruch der Päpste auf ihre Approbation unabhängig werde. Da die
Goldene Bulle bezüglich der Kaiserkrone keine Verfügungen traf, blieb
hierüber auch in Zukunft alles freier Vereinbarung des Königs mit dem
Papste überlassen. Der Anspruch des Papstes auf die Reichsverweser-
schaft während der Vakanz des Kaisertums fiel nun wenigstens für
Deutschland hinweg. Für Italien blieben, da nichts Näheres vereinbart
wurde, die Abmachungen in Kraft, die Karl IV. 1346 mit dem Papste
getroffen hatte.
3. Da die Goldene Bulle fast nur den Interessen der Kurfürsten
entgegen kam, fühlten sich die andern Fürsten von ihr nur wenig be-
friedigt. Am wenigsten Herzog Rudolf IV. von Österreich (1358 — 1365),
ein hochstrebender Fürst, der es nimmer vergafs, dafs sein Geschlecht
dem Reiche bereits drei Könige gegeben und der von seiner eigenen
Gröfse so eingenommen war, dafs er seine Urkunden nach den Jahren
seiner Geburt datierte und das Zimmer, in dem er geboren ward, als
Kapelle einrichtete. Empfand er es mit bitterem Schmerze, an Ehren
und Würden hinter den Kurfürsten zurückzustehen, so griff er gleich
im ersten Jahre zu dem in jener Zeit oft gebrauchten Mittel der Urkunden-
fälschung und liefs in seiner Kanzlei fünf Urkunden anfertigen, in denen
320 Die politischen Ziele Herzog Rudolfs IV. von Österreich.
gesagt wird, dafs schon alte Kaiser wie Cäsar und Nero den Herzogen Öster-
reichs dieselben oder noch gröfsere Rechte verliehen, als sie die Goldene
Bulle den Kurfürsten zuwies. Danach hat Österreich nahezu keine Ver-
pflichtung gegen das Reich, dieses ist aber gehalten, dem Herzog in seinen
Unternehmungen beizustehen. Rudolf legte sich den Titel »Pfalz-Erz-
herzog« bei, bestimmt seinen Rang unmittelbar nach den Kurfürsten
und setzt die Unteilbarkeit seines Landbesitzes fest. x) Er verfolgte die
Tendenz aus Österreich einen in sich geschlossenen, von Kaiser und
Reich unabhängigen Staat zu schaffen. Karl IV., an den er sich wandte,
schöpfte Verdacht und verlangte bezüglich der angeblichen Privilegien
Julius Cäsars und Kaiser Neros ein Gutachten Petrarcas, das für die
Absichten Rudolfs schlimm genug lautete. Der Kaiser versagte denn
auch den Privilegien seine Betätigung. Darüber kam es zu einem Streite,
in welchen auch die Tiroler Frage (s. oben) hereinspielte. Erst als der
Herzog seine Herrschaft in Tirol fest begründet hatte, wurde auf dem
Fürstenkongrefs zu Brunn (1364) Frieden geschlossen. Schon 1361 hatte
Rudolf eine Erbenngung mit Ungarn geschlossen. Ein Erbvertrag mit
dem Grafen Albrecht von Görz sicherte ihm (1363) bei dessen kinder-
losem Ableben den Besitz der Windischen Mark, Möttlings und Istriens.
Diese Gebiete fielen (erst 1374) an Krain, das nun zum Herzogtum er-
hoben wurde. Ein dritter Erb vertrag wurde (1364) mit dem böhmi-
schen Herrscherhause vereinbart. Für den Fall des Aussterbens des
einen oder andern Geschlechts in männlicher und weiblicher Linie
sollte das überlebende folgen. Mit dem Abschlufs dieser Erbverträge
war ein Gedanke ausgesprochen, der später zur Tat wurde und zur
Bildung des österreichischen Kaiserstaates geführt hat. 2) Auch in seiner
inneren Regierung erwies sich Rudolf IV. als schöpferisches Talent. Es
genügt hier, an seine Münz- und Steuerordnung, an seine Reformen im
Gerichtswesen, an die Gründung der Wiener Universität (1365), den Bau
des Stephansdomes zu erinnern. 3) Mitten unter grofsen Entwürfen starb
er eines frühen Todes am 27. Juli 1365.
§ 77. Karl IT. und das Königreich Arelat. Der zweite ßömer-
zug (1368—1369).
Quellen zur Gesch. Urbans V.: Die Biographien bei Baluze, 363 ff. Mural. LH
2, 610 ff. Urbain V, Lettres secretes p. p. Lecachez, Paris 1901 u. bei Albanes (s. unten).
Iter Italicum Urb. V. auctore Garasco de Llmoina. Baluze IL, 668 ff. Albanes, Actes anciens
et documents concern. Urbain Y publ. p. Chevalier. Paris 1897. Lit. zu L'rban V. s. in
H. Jb. XXII, 1, 180. Kirsch, Die Rückkehr der Päpste Urban Y. u. Gregor XL von
xAvignon nach Rom. Paderborn 1898. Magnan, Histoire d'Urbain Y. Paris 1862.
AYar necke, Der zweite Römerzug Karls IY. Altona 1881. Matthes, wie oben. Novacek,
Karls IV. Aufenthalt in Avignon 1365. Z. böhm. Mus. 1894. Temple-Leader e
G. M a r c o 1 1 i , Giovanni Acuto (Sir John Hawkwood) storia d'un condottiere. Firenze 1889
x) S. das Xähere über die österr. Freiheitsbriefe samt der dazu gehörigen Literatur
qei Huber II, 262.
-' Ebenda S. 280.
3) Das Xähere hierüber ebenda S 281.
Karl IV. und das Königreich Arelat. 321
1. Die Politik Karls IV. dem Königreich Arelat gegenüber war
weder einheitlich noch überhaupt von festen Gesichtspunkten getragen.
Bei der Tendenz des französischen Königtums, seinen Besitz nach Osten
hin zu vermehren, und der tatkräftigen Unterstützung Frankreichs durch
die Kurie wäre eine deutsche Rekuperationspolitik im Westen auch dann
mit Schwierigkeiten verbunden gewesen, wenn ein Kaiser von kriegerischer
Veranlagung den deutschen Thron eingenommen hätte. Die ent-
scheidenden Ereignisse fanden in den ersten Regierungsjahren Karls IV.
statt: die von Frankreich 1349 vollzogene Erwerbung des Delphinats.
Seitdem der Dauphin1) Humbert IL von Vienne zugunsten des fran-
zösischen Thronfolgers abgedankt hatte (s. unten § 78), hielt es schwer,
die südlich vom Delphinat gelegenen Teile von Arelat beim Reich zu
erhalten. Als Karl IV. in Metz verweilte, erhielt der Dauphin Karl
(1356, 26. Dezember) nebst der Bestätigung aller Privilegien früherer
römischer Könige und Kaiser für das Delphinat zugleich das Reichs-
vikariat über alle dem Reich daselbst zustehenden Rechte. Erkannte
der Dauphin damit die Hoheit des Reiches an, so trat er, seitdem er
König von Frankreich geworden (1364) Deutschland gegenüber schärfer
auf als sein Vater. Die französische Krone und das Delphinat waren
nunmehr in einer Hand vereinigt und Karl V. auch nicht gewillt, den
Kaiser als Oberlehensherrn von Burgund anzuerkennen. Dagegen hatte
der Kaiser schon 1361 Savoyen und alle seine im Arelat gelegenen
Territorien aus dem Verband mit diesem gelöst und dem Reiche un-
mittelbar einverleibt. Nichtsdestoweniger war im Arelat französischer
Einflufs in stetigem Vordringen und das der Grund, weshalb der Kaiser
(1365) eine Fahrt dahin unternahm und sich — der erste Fall seit der
Krönung Friedrichs I. 1178 — in Arles zum König krönen liefs. Graf
Amadeus von Savoyen erhielt das Reichsvikariat von Arelat, das ihm
allerdings schon im folgenden Jahre wieder entzogen wurde. Im übrigen
begnügte sich der Kaiser mit der formellen Anerkennung seiner Ober-
herrlichkeit. Hatte er durch die engere Verbindung Savoyens mit dem
Reiche den französischen Einflufs zurückzudrängen versucht, so ernannte
er doch am Ende seiner Regierung den Dauphin zum Reichsstatthalter
und General vikar nicht blofs in Delphinat, sondern auch im Arelat und
leistete hiedurch dem Vordringen Frankreichs einen mächtigen Vorschub.
2. Nach dem Abzüge Karls aus Rom unterwarf Albornoz seine
Gegner teils durch Gewalt, teils gewann er sie durch diplomatische Mittel
Die Malatesta, Montefeltro, Manfredi u. a. beugten sich, und schon 1357
konnte er seine Aufgabe als gelöst ansehen. Die Unterworfenen blieben
als Vikare im Besitz ihrer Herrschaften, und so wurde der Kirchenstaat
in eine Anzahl von Vikariaten aufgelöst; doch gab es kaum ein anderes
Mittel, die Autorität der Kirche aufrecht zu halten.2) Den Städten, denen
Albornoz als Befreier erschien, machte er begreiflich, dafs die Herrschaft
*) Über den Ursprung d. Namens Dauphin s. die Note 2 auf S. 336.
2) Alles Nähere über die Formen der neu aufgerichteten Herrschaft bei Grego-
rovius VI, 384.
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 21
322 Urban V. Die bösen Gesellschaften.
der Kirche unter allen die mildeste sei. Um für die kostspieligen
Unternehmungen des Papstes das nötige Geld zu gewinnen, mufsten
manche Überstände geduldet werden. Innozenz VI. starb am 12. Sep-
tember 1362. Noch weilte Albornoz in Italien; die übrigen 20 Kardinäle,
unter ihnen acht Verwandte des vorletzten, drei des letzten Papstes,
wählten am 28. Oktober den Abt des Benediktinerklosters St. Viktor bei
Marseille, einen Mann, den seine genaue Kenntnis der italienischen Ver-
hältnisse empfahl. Er wurde am 6. November als Urban V. (1362 — 1370)
inthronisiert. Unter den Päpsten der ganzen Periode ist er der trefflichste.
Ein ausgesprochener Feind des Nepotismus und des übertriebenen Luxus
an der Kurie, erliefs er gleich im Anfang strenge Gebote gegen die
Häufung von Pfründen. Drei Dinge lagen ihm vor allem auf dem
Herzen : die Schwächung des Hauses Visconti, ein Türkenkrieg und die
Rückkehr nach Rom. Der letzte Punkt war der wichtigste; denn schon
empfanden alle Völker die Abhängigkeit des Papsttums von den je-
weiligen Interessen des französischen Königtums auf das bitterste; wie
sie einst die Quelle für den unversöhnlichen Kampf der Kurie gegen
das Kaisertum Ludwigs abgab, so griff sie auch in den zwischen England
und Frankreich (s. § 78) ausgebrochenen Erbfolgekrieg ein. Unter diesen
Umständen war Karl IV. darauf bedacht, das Papsttum wieder nach
Rom zu führen, wo es seinen universellen Charakter zu wahren ver-
mochte. Zu dem Zwecke führte er mit dem Papste lange Verhandlungen.
Arn 23. Mai 1365 hielt er seinen Einzug in Avignon. Hier wurden die
nötigen Mafsnahmen für den Kreuzzug und für die Unterdrückung der
sog. bösen Gesellschaften (comitivae) getroffen, der Söldnerbanden, die
unter der Führung ehrgeiziger Adeliger, selbst solcher aus den Familien
Colonna, Orsini, Savelli u. a., Italien und Frankreich mit Mord und
Plünderung heimsuchten und, gut organisiert, wie sie waren, wandernden
Militärstaaten glichen. Dieses »Proletariat der aus ihren Fugen gehenden
westeuropäischen Gesellschaft« fand seinen Nährboden in dem durch den
langen Krieg zerrütteten Frankreich und dem von Parteikämpfen zer-
fleischten Italien.1) — Städte und Märkte, Kirchen und Klöster wurden
geplündert, wofern es nicht einzelne Körperschaften vorzogen, sich durch
Zahlung von Geldern vor ihren Raubzügen zu sichern. So wurden selbst
Albornoz und die Königin Johanna gezwungen, Soldverträge mit einzelnen
Kondottieren abzuschliefsen. Pläne zur Vernichtung dieser Gesellschaften
wurden jetzt in Avignon entworfen. Das Wichtigste der Verhandlungen
betraf aber die Rückkehr des Papstes nach Rom, dessen Gebiet bald
l) Die eingehendste Schilderung über die Verwüstungen der bösen Gesell-
schaften s. in dem ausgezeichneten Buche Denifles, La guerre de Cent Ans
et la d^solation des eglises, monasteres et höpitaux en France, II, cap. 10. Ich hebe
nur einen Fall, das Kloster Montolieu bei Carcassonne, heraus (S. 615) : Le monasüre
etait expose aux ravages des bandes qui y venaient sans cesse et y restaient quelquefois
pendant trois mois. Elles installaient leurs chevanx dans Veglise. le cloitre et ailleurs,
sans epargner le sanctuaire. Le culte divin cessait etc. Die entsprechenden TTrkk. aus
den päpstl. Reg. ebenda. S. auch I, 377 aus den Reg. Vat. Urbani V. : Dudum . . . multe
gentes armigere, app ellate comitive, de diversis nationibus in multis agminibus
congregate . . . etc.
Eückkehr des päpstl. Stuhles nach Rom. Zweite Romfahrt Karls IV. 323
hierauf durch die Söldnerbanden des Engländers John Hawkwood ver-
wüstet wurde. Am 13. April 1366 erliefs Urban V. eine Bannbulle gegen
die in Italien hausenden Gesellschaften und ihre »bluttriefenden Bestien«.
Der Kaiser bot zu ihrer Unterdrückung die Hilfe des Reiches, und am
19. September kam es zum Abschlufs einer Liga, gegen »künftige« böse
Gesellschaften, wodurch aber die bisherigen — unter ihnen die ärgste John
Hawkwoods — in förmlicher Weise anerkannt wurden. Eine neue Romfahrt
des Kaisers sollte die Reise des Papstes sichern. Diesen Plan mufste
Karl aber aufgeben, da er mit den Vorbereitungen hiezu im Rückstande
war. Der Papst selbst trat seine Reise zur festgesetzten Frist an. Gegen
den Willen fast aller seiner Kardinäle und die dringendsten Abmahnungen
Karls V. von Frankreich, der von der Verlegung des päpstlichen Stuhles
nach Rom das meiste zu fürchten hatte, brach Urban V. am 30. April
1367 dahin auf. Auf einer von Neapel, Venedig, Genua und Pisa bereit
gehaltenen Flotte schiffte er sich in Marseille ein. Am 16. Oktober hielt
er seinen Einzug in Rom. Die Stadt war in dem elendesten Zustand :
verwüstet und halb verödet; von den schönsten antiken Denkmälern
wraren nicht wenige erst in den jüngsten Zeiten zugrunde gegangen.
Aber ohne die Hilfe des Kaisers konnte der Papst den Ubelständen nicht
beikommen. Die Teilnahme der deutschen Fürsten und Städte an dem
zweiten Zuge Karls nach Italien war keine freudige. Leute und Geld
wurden unwillig gegeben. Für sein Unternehmen waren eben die öffent-
lichen Zustände im Reiche zu ungünstig. Von Prag aus erfolgte am
2. April 1368 der Auszug. Sein Heer wird nach einzelnen Angaben auf
70000 Mann veranschlagt. Von den Reichsfürsten nahmen aufser
einigen Bischöfen nur der Herzog Albrecht von Sachsen und Markgraf
Wilhelm von Meifsen Anteil. Der Zug richtete sich weniger gegen die
Söldnerbanden als gegen Barnabö Visconti, der sich verschiedene Gewalt-
taten gegen Besitzungen der Kirche und das Haus Gonzaga hatte zu-
schulden kommen lassen. Nach längerem Kampfe ward mit ihm ein
Frieden geschlossen (27. August), der ihn zu geringen Leistungen ver-
pflichtete, aber im Besitz seines Gebietes beliefs. Am 21. Oktober traf
Karl IV., vom Papste feierlich eingeholt, in Rom ein. Auf dem Zuge
leistete er diesem, alter Sitte gemäfs, das officium stratoris, indem er den
Zelter des Papstes eine Strecke weit führte, eine Zeremonie, die man
jetzt noch weit weniger verstand als in den Tagen Barbarossas, über
die- sich die Geschichtschreiber aber noch mehr aufregten als früher.
Am 29. Oktober langte die Kaiserin an. am 1. November erfolgte ihre
Krönung. Die Anwesenheit des Kaisers in Italien dauerte bis in den
Juli 1369. Den Städten gegenüber, die er wieder fester an das Kaisertum
zu knüpfen versuchte, gewann er manche Vorteile. Genua erkannte seine
Herrschaft an. Siena, wo es am 18. Januar zu einem Aufstand kam,
hatte eine Geldbufse von 20000 Goldgulden zu zahlen; Pisa, das sich
wegen verschiedener Neuerungen des Kaisers Ungnade zugezogen, verlor
die Herrschaft über Lucca, das gegen eine starke Geldzahlung reichs-
a) Werunsky III, 342.
21*
324 Heimkehr des Kaisers. England und Frankreich irn Zeitalter Karls IV.
unmittelbar wurde , und mufste eine bedeutende Geldsumme zahlen,
ebenso Florenz, das sich dem Kaiser gegenüber feindselig verhielt. Den
eigentlichen Zweck der Romfahrt, die Austilgung der Kompagnien, hat
der Kaiser nicht erreicht. Noch während seines Aufenthalts in Italien
brach Barnabö Visconti den Frieden, und fremde Söldnerbanden ver-
wüsteten Italien nicht weniger als früher. »Mit gefüllter Börse, von
Italien mifsachtet«, kehrte der Kaiser im August über Bologna und
Udine in die Heimat zurück. Unter diesen Umständen reute es den
Papst, nach Rom gegangen zu sein. Er mochte geringen Trost darin
finden, dafs er an dem Tage, wo er ein Jahr früher den Kaiser des
Westens empfangen hatte, nun in St. Peter den Kaiser des Ostens,
Johannes Paläologos, aufnahm, der gekommen war, seine Hilfe gegen
die Türken zu erflehen. Urban V. beschlofs die Rückkehr nach Avignon
ungerührt durch die Bitten der Italiener, die Bestürzung der Römer und
die Klagen der hl. Brigitta. Kaum war er in Avignon angelangt, als er
erkrankte. Er starb am 19. Dezember 1370. Das Volk erblickte in
seinem Tode die Strafe des Himmels, weil er Rom verlassen.
4. Kapitel.
England und Frankreich im Zeitalter Karls IV. Der 100jährige
Krieg. Erster Teil 1328—1380.
§ 78. Die Genesis des Thronstreites. Die Anfänge Philipps VI. und
Eduards in.
Französische Quellen. Korresp., Urkunden und Akten: E. Cosneau, Les
grands traites de la guerre de Cent Ans. Paris 1889. Ordonnances des rois de
France II — VI. Moranville, Eapports ä Philippe VT sur l'etat de ses rinances.
BECh. XLVHI, 380. V i a r d , Les Journaux du tresor sous Philippe VI. 1889. Viard,
Lettres d'Etat de Philippe VT. 1898. Viard, Documents parisiens du regne de
Philippe VI. 1899 — 1900. Simon Lingonensis, Acta legationum, quas pro
summis pontificibus etregibus Franciae plures egit, Martene et Durand, Thes. anecd. IV, 961
Duc d'Aumale, Notes et documents relatifs ä Jean, roi de France. Londres. 1856
Delisle, Mandements et actes divers de Charles V. Paris 1873. Guesnon, Doc
ined. sur l'invasion anglaise ... au temps de Philippe VI et Jean le Bon. Bull, hist
et phil. 1897, 208—59. Delisle, Etienne Marcel, lettres et doc. div., Mem. Soc. Hist
Paris XXIV. Ergänzungen für einzelne Provinzen u. Institutionen s. in Lavisse
Coville, Histoire de France IV, 1, an der Spitze der einzelnen Kapitel. Geschieht
Schreiber: Anonymus monachus S. Dionysii continuator prior Guilelmi de Xangiaco
chronici 1300 — 1340, ed. Geraud. Paris 1843. — Contin. posterior (Jean de Venette),
1340 — 1368, ibid. — Grandes chroniques de Saint-Denys, stückweise im TEL, V. — VHL,
X.-XE, XVn, XX. u. XXI. Bd. v. Bouquet. (Lit. bei Potth. I, 316.) — Jean le Bei,
Les Vrayes Chroniques 1326 — 1361, ed. Polain, Bruxelles 1863. — Chronique parisienne
de 1316—1339. Mem. Soc. H. Paris XI, 1884. — Chronique des quatre premiers Valois,
1327—1363. Ebenda 1862. — Chronique normande du XIV siecle 1298—1370, ib. 1882.
Froissart, Chroniques de France etc. 1307 — 1400, ed. Kervyn de Lettenhove Brux. 20 voll.
(Andere Ausg. bei Potth. I, 473.) — Chronographia regum Francorum (Cronica de
Berno), ed. Moranville, tom. I, 1270—1328, tom. II, 1328—1380. Paris 1891—93. Petite
chronique de Guyenne bis 1442. BECh. XL VIT. Richard Lescot, Chronique, ed. Le-
moine 1896. Recits d'un bourgeois de Valenciennes bis 1366, ed. Kervyn de Letten-
Der hundertjährige Krieg. 325
hove. Löwen 1877. Chroniques de Flandre, ed. Kervyn d. L. unter dem Titel : Istore
et croniques de Flandre in Collect, des croniques beiges ined. Brüssel 1879 — 80. Pierre
Cochon, Chronique normande bis 1430, ed. Beaurepaire. Rouen 1870. Cuvelier, Chro-
nique de Bertrand du Guesclin, Coli, de doc. in£d. Ser. I, no. 10. Christine de Pisan,
Hist. de Charles V, ap. Buchon, Choix de chroniques IV, s. Potth. I, 222. Aegidius
Li Muisis, Chronicon maius et minus ed. de Smet, Corp. chron. Flandriae II. Chronique
du petit Thalamus de Montpellier p. p. la Soc. arch. de Montpellier. 1836. Histoire
de messire Bertrand connestable de France etc., ed. Buchon, Choix d. doc. Paris 1861.
Andere Ausgab, u. Lit. s. Potthast I, 385. Miguel del Verms, Chronique des comtes
de Foix, Buchon IV. (Zur angeb. Chronique des Tard-venus s. Delisle in BECh. L.
Paris 1889. Danach ist die Chronik d. T-v. eine grobe Fälschung des 19. Jahrh.)
Für kleinere Quellen s. auch die bibliogr. Anzeigen Moliniers in DZG. III, V, X.
Englische Quellen. Aufser Grofs Bibliogr. s. Liebermann DZG. IV, 175 ff.,
VIII, 135 ff. Korresp. u. Staatsvertr. in Rymer, Foedera, wie oben I, IL A Calendar
of the Patent Rolls Edward III, vol. I— VI, 1327—45. Lond. 1891—1902. A Calendar
of the Close Rolls preserved in the publ. rec. off. Edward III, 1327—37. Lond. 1898
bis 1901. Year Books of the reign of King Edward III, ed. by Picke. Duckett, Orig.
documents relat. to the hostages of John King of France and the treating of Bretigny
1360. Lond. 1891. Calendar of entries in the papal registers, ed. Bliss, vol. II,
1305—1341. Für die kirchl. Verhältnisse: Wilkins, Conc. Magn. Brit. II, III. Urk.
u. Korresp. s. auch in den Historians of the Church of York ant its archbishops.
Rolls Ser. 71. Literae Cantuarienses. Rolls Series 85. Ramsay Cart., ib. 79. Harpes-
field, Hist. Anglic. Douai 1622. Dort urk. Material aus aufgehob. Stiften. Ann. Eccl.
v. Raynald. Akten zur engl. Kirchenpol. s. in Loserth, Studien zur engl. Kirchenpol.
Wiener Sitz.-Ber. CXXXV1. Die Werke Wiclifs s. unten. Die Urkk. zur Verf.-Gesch.
s. oben. Wichtig für Eduard III. u. seine drei Nachfolger: Moranville, Extraits de
journaux du tresor 1345 — 1419. BlilCh. 1888. Crecy and Calais, ed. Wrottesley.
Lond. 1897. Sonstige mil. Quellen s. Grofs p. 373. Von Geschichtschreibern sind
einzelne bereits bei der Gesch. Eduards II. genannt worden, so die Annales Paulini,
Baker, das Chronicon von Lanercost, Fordun, die Gesta Edwardi u. die Scalacronica.
Auch Hemingburgh kommt noch bis 1346 in Betracht. Avesbury, Robert of, De
gestis mirabilibus regis Edwardi III. Rolls Series. Lond. 1889 ; wichtig für die milit.
Angelegenheiten in den Jahren 1339 — 56. Knigthon, Henry, Chronicon bis 1366,
fortges. bis 1395. Rolls Ser. Lond. 1889—1895. 2 Bde. Jan de^Klerk, Van den Derden
Edewart, Rymkronik ed. Willems, Gent 1840. Wichtig für 1337 — 41. Murimuth, Adam,
Continuatio chronicarum bis 1347, fortges. bis 1380. Rolls Ser. Lond. 1889. (Fortsetz,
in der Ausgabe Hogs. Lond. 1846.) Gesta monasterii St. Albani II, HI. Rolls Series
1867 — 69 s. Walsingham § 91. Walsingham, Historia Anglicana, ed. Riley. Rolls Ser.
1863. Eulogium Historiarum (bis 1366, fortges. bis 1413), ä monacho Malmesburiensi.
Rolls Ser. Lond. 1858 — 63. 3 Bde. Zeitgenössisch von 1356 an. Chronicon Angliae
auctore monacho s. Albani. Rolls Ser. Lond. 1874. Sehr wichtig für 1376/7. Über
das Chronic. Angliae Petriburgense ed. Giles. Lond. 1845 s. Liebermann N. Arch. XVIII, 235
Capgrave, The Chronicle. Rolls Series 1858. Islip, Simon (Erzb. von Canterbury),
De Speculo regis Edwardi III. seu tractatu quem de mala regni administratione con-
scripsit, ed. Paris 1891. (Gesch. 1337.) Political poems and songs relating to English
history, ed. Wright. RS. 1859 — 61. Wyntoun, Andr. of, The originale cronykil of
Scotland bis 1408 in Versen, ed. Laing, Histor. of Scotland I, III, IX. Edinb. 1872—79.
Von ital. Quellen ist Villani (s. oben) wichtig.
Hilfsschriften. Ihre Zahl ist sehr grofs. Vollständige Angaben s. in M o n o d
u. Lavisse-Coville, Histoire de France IV, 1, an der Spitze der einzelnen Kapitel.
Hauptwerk ist jetzt das des berühmten Archivars am vatik. Archiv, Denifle, La deso-
lation des eglises, monasteres et höpitaux en France = La guerre de Cent Ans jusqu'ä
la mort de Charles V. 2 Bde. Paris 1899 (s. RQH. 1898). Funck-Brentano s. § 50.
S. L u c e , La France pendant la guerre de Cent Ans. 1890 — 1893. D e p r e z , Les
preliminaires de la guerre de Cent Ans. La papaute, la France et l'Angleterre (1328
bis 1342). Paris 1902. Petit-Dutaillis et Paul Collier, La diplomatie francaise et le
traUe" de Bretigny. Le Moyen-Age. II Ser., tom. I. MirotetDeprez, Les ambassades
326 Das Ende der Kapetinger. Eintritt des Hauses Valois.
anglaises pend. la guerre de Cent Ans. BECh. LEX. Vi oll et, Histoire des institutions
politiques de la France II. 1898. Viard, La France sous Philippe de Valois. RQH. LIX.
1896. Yiard, Les ressources extra ordinaires de la royaute sous Philippe VI.
RQH. XLIY. 1888. Boislisle, Le budget et la population de la France sous Ph.
de V. Paris 1875. S. Luce, Histoire de Bertrand Du Guesclin et de son epoque.
La jeunesse de Bertrand (1320—1364). 2 ed. Paris 1882. Zell er, Charles Y et Du
Guesclin, La diplomatie et la guerre. Paris 1886. Debidour, Hist. de Du Guesclin.
Paris 1880. Gombert, Un liberateur du pays D.G. Lille 1897. Stoddart, B. d. G.
New York 1897. Die übrigen Schriften zu Du Guesclin s. in Potthast I, 385 — 86.
Pirenne, Hist. de Belgique IL Kervyn de Lettenhove, Hist. de Flandre. 6 voll.
1853 — 54. — Jacques d'Artevelde. 1863. Ashley, James and Philipp van Artevelde.
1883. Plaine, La guerre de la succession de Bretagne. 1886. De la Borderie,
Hist. de Bretagne III. Leroux wie oben. Guiffrey, Histoire de la reunion du Dauphine
ä la France. 1868. Fournier, Le Royaume d'Arles et de Vienne. 1891. Molinier,
La reunion de Montpellier ä la France. RH. 1884. Yalois, Le Conseil du roi aux
14e — 16e siecles. 1888. Secousse, Menioires pour servir ä l'histoire de Charles le
Mauvais. Paris 1759. — Preuves de l'hist. de Ch. le M. 1758. Delachenal,
Premieres negotiations de Ch. le M. avec les Anglais. BECh. LXI. Perrens, Etienne
Marcel. 2e 6d. 1875. Tessier, La mort d'Etienne Marcel. 1886. Lazard, Un
Bourgeois de Paris, Etienne Marcel. Paris 1890. E. Meyer, Charles, roi de Navarre,
comte d'Evreux. 1898. S. Luce, Histoire de la Jacquerie. 2e ed. 1895. Dessales,
La rancon du roi Jean. 1850. Prou, Etüde sur les relations polit. d'Urbain V avec
les rois de France Jean H. et Charles Y. 1888. B e n o i s t , La politique du roi Charles V.
1886. Müller, L'influence considerable des mariages princiers et des femmes en
g^neral au moyen-äge, partic. pendant la guerre de Cent Ans entre la France et
l'Angleterre (1337 — 1453). Heidelb. 1897. Lavisse, Etüde sur le pouvoir royal au
temps de Charles V. RH. XXYI. Daumet, Etüde sur l'alliance de la France et
de la Castille. 1898, G u i g e , Les Recits de la guerre de Cent Ans : Tard-venus en
Lyonnais, Forez et Beaujolais 1356 — 1369. Lyon 1887. Die Beziehungen zu Deutschi.,
Spanien, dem Papst s. an den betreffenden Stellen. Für England aufser Pauli, Green,
Gneist, Stubbs s. Longmann, The lue and the times of Edward IH. 1869.
Mackinnon, The hist. of Edward IH. 1900. Ashley, Histoire des'doctrines econo-
miques de 1 Angleterre 1900. Pearson, Engl. Hist. in the 14 1h Century. Lond. 1876.
Warburton, Edward IH. London 1875. Moisant, Le Prince Noir en Aquitaine
1355 — 1370. Vaissete, Hist. generale de Languedoc IX. 1885.
1. Weder der Friedensschlufs von 1259, noch der Vertrag von
Montreuil 1299 hatte den Kämpfen zwischen England und Frankreich
ein Ende bereiten können. Der Vertrag von Montreuil bestimmte,
dafs Philipps IV. Tochter Isabella den englischen Thronerben
und nachherigen König Eduard IL heiraten sollte. Dieser Ehe
entsprofste Eduard III. Als er den Thron bestieg (1327, Januar),
war der letzte männliche Sprosse der älteren Linie der Kapetinger,
Karl IV., bereits der Krankheit verfallen, der er am 1. Februar 1328
erlag. Die Sukzesionsfrage war schon 1317 dahin entschieden worden,
dafs sie die weibliche Nachfolge ausschlofs (s. § 55). Karl IV. hinter-
liefs eine Tochter und eine schwangere Gemahlin. Vor seinem Tode
war festgesetzt worden, dafs, wenn seine Gemahlin einen Sohn gebären
sollte, sein Vetter Philipp von Valois Vormund und Regent sein solle.
Würde sie mit einer Tochter niederkommen, so sollten die Pairs die
Krone übergeben, dem sie gebühre. Am 1. April gebar die Königin
eine Tochter. Es handelte sich nun um die Nachfolge. Eduard III.
stand als Neffe der letzten drei Könige diesen zweifellos näher als ihre
beiden Vettern Philipp von Valois und Philipp von Evreux, aber diese
Philipp VI. Ausschlufs der Frauen von der Nachfolge in Frankreich. 327
waren Deszendenten von männlicher, Eduard III. von weiblicher Seite.
Wiewohl dieser seine Ansprüche vor die 12 Pairs des Reiches brachte,
entschieden diese für Philipp, das Haupt des Hauses Valois. Jetzt erst
bürgerte sich die Regel ein, dafs Sprossen der weiblichen Linie kein
Recht auf die Krone besitzen. Im Grunde war es nicht das vielberufene
salische Gesetz , sondern nationale Erwägungen *), von denen die
Pairs geleitet waren und denen schon früher Sugerius Ausdruck ver-
liehen hatte.2) Am Dreifaltigkeitstage wurde Valois als Philipp VI.
(1328 — 1350) gekrönt. Der Eigenbesitz seines Hauses: die Grafschaft
Valois und das jüngst ererbte Anjou und Maine wurden dem Kronlande
angefügt und die Ansprüche Johannas, der Tochter Ludwigs X., und
ihres Gatten Philipp von Evreux dahin verglichen, dafs ihnen Philipp VI.
Navarra überliefs, aber die Champagne zurückbehielt, wofür er ihnen
die Grafschaften Angouleme und Mortaine zuwies. Eine neue Dynastie
übernahm jetzt die Aufgabe, die grofsen Errungenschaften der Kapetinger:
das nationale Königtum und die Einheit des französischen
Staates, zu schützen. Die neue Dynastie schlug neue Wege ein:
Hatten die Kapetinger eine auf die Hebung der bürgerlichen Interessen
hinzielende Politik verfogt, so behielt Philipp VI. seine Vorliebe für den
Adel und dessen feudalen Rechte bei, in einer Zeit, da das englische
Königtum sich eng an das gewerbtätige Bürgertum anschlofs. Im Sinne
dieser Politik nahm Philipp VI. wieder den Kampf gegen die flandrischen
Bürgerschaften auf, die sich gegen das feudale Regiment des Grafen
Ludwig I. erhoben hatten. Zu dessen Unterstützung drang er mit einem
Ritterheer, bei dem sich auch Fürsten und Herren aus dem deutschen
Reiche eingefunden hatten, in Flandern ein und gewann bei Kassel
einen glänzenden Sieg. Ludwig nahm an den Aufständischen grausame
Rache : die Privilegien der kleineren Städte wurden vernichtet, ihre
Mauern niedergerissen und ihre völlige Vernichtung nur durch die
Zahlung bedeutender Summen abgewendet. Jetzt erst wurde der Grund
zu dem Hasse gelegt, der die flandrischen Städte bewog, sich in den
Kämpfen der späteren Jahre auf die Seite des bürgerfreundlichen eng-
lischen Königs zu stellen. Die Erfolge Frankreichs bewogen die Königin
Isabella von England, ihre auf einen Angriff Frankreichs gerichteten Ab-
sichten aufzugeben. Am 6. Juni 1329 leistete Eduard III. in der Kathe-
drale zu Amiens als Herzog von Guienne, Graf von Ponthieu und Mont-
reuil dem König Philipp die Huldigung. Da England bald hierauf
seinen Kampf gegen Schottland aufnahm, gewann es den Anschein, als
sollte das Haus Valois von keiner Seite angegriffen werden. Während
der rauschenden Feste, an denen Könige und Fürsten Europas teil-
nahmen, wurde über Pläne verhandelt, die, wie die Neubegründung des
abendländischen Rittertums, einen phantastischen Beigeschmack hatten.
J) Cont. Guill. Xang. II, 83 : Uli de regno Franciae non aequanimiter ferentes
subdi regimini Anglorum . . .
2) Nee fas nee naturale est Francos Anglis subdi. Suger. ed. Lecoy de la Marche,
p. 12. Denifle, p. 5.
328 Eduard IEL Der schottische Krieg. Der Sturz Mortimers.
Auch ein neues Kreuzzugsunternehmen trat in Sicht1), für das der Papst
Bewilligungen machte und zu welchem die Könige von Böhmen, Ara-
gonien und Navarra das Kreuz nahmen. Schon wurden in den Häfen
des südlichen Frankreich Schiffe versammelt und der Beginn des
Unternehmens auf 1336 festgesetzt. Ehe noch dieser Zeitpunkt heran-
kam, traten Ereignisse ein, die den Ausbruch des Krieges mit England
unvermeidlich machten.
2. Mit grofser Hast hatte die Königin Isabella die Thronbesteigung
Eduards III. (1327 — 1377) betrieben. Die Krönung fand am
1. Februar 1327 statt. Der junge König wurde von seiner Mutter und
diese von ihrem Liebhaber Roger Mortimer beherrscht. Das Parlament,
das trotz des Thronwechsels weiter tagte, stiefs den gegen Lancaster
erlassenen Spruch um. Die Feinde der Speriser wurden in ihre Rechte
wieder eingesetzt; die Königin liefs sich für die im Kriege aufgewendeten
Kosten entschädigen; ihren Liebhaber belohnte sie mit dem Titel eines
Grafen von March. Die Schotten drangen während dieser Vorgänge
mit 4000 Rittern und Schildknappen und 20000 nach Landessitte be-
waffneten Männern über die schlechtverteidigten Grenzen und nötigten
den König im Vertrage von Northampton (1328), Schottlands Unabhängig-
keit förmlich anzuerkennen und Robert Bruce als König zu bestätigen.
Die Vermählung des schottischen Thronerben David mit Eduards
Schwester Johanna sollte den neuen Freundschaftsbund besiegeln. Das
grofse Werk Eduards I. war vernichtet; König Robert hatte das Ziel
seines Lebens: Schottlands Unabhängigkeit erreicht. Ein Jahr nach
Abschlufs des Friedens starb er. Sein Testament enthielt die Weisung,
sein Herz in Jerusalem beizusetzen. Der schmähliche Friede wurde in
England mit Erbitterung aufgenommen. Londons Bürger verhinderten
die Zurückgabe des schottischen Königssteines. Die schwächliche äufsere
Politik bereitete den Sturz Mortimers vor. Wohl blieben die ersten
Versuche, ihn zu beseitigen, erfolglos, ja eine Verschwörung wider ihn
hatte den Sturz des Grafen von Kent, eines Oheims des Königs, zur
Folge; aber schon war Eduard III., den seine Mutter mit Philippa von
Holland und Hennegau vermählt hatte, entschlossen, nicht länger ein
Werkzeug in der Hand seiner Mutter und ihres Buhlen zu bleiben. Mit
Unterstützung einiger Lords nahm er Mortimer zu Nottingham ge-
fangen und die Regierung in die eigenen Hände. Das Parlament ver-
urteilte Mortimer wegen seiner an Eduard IL, dem Grafen von Kent
und andern begangenen Verbrechen, wegen Unterschlagung von Geldern
und der von ihm widerrechtlich angemafsten Gewalt zum Tode. Im
übrigen nützte Eduard III. seinen Sieg mafsvoll aus. Seine Mutter
wurde zwar vom Hofe verwiesen, behielt aber ein reichliches Einkommen ;
selbst Mortimers Witwe bekam ihre Eigengüter wieder. Zwanzig Jahre
später wurde auch das Urteil wider Mortimer zugunsten seines Sohnes
kassiert. Die Nachkommen der von Mortimer Hingerichteten, gelangten
nun wieder zu Ehren. Eduard III. lenkte in Eduards I. Bahnen ein.
x) Die Kreuzzugspläne Philipps b. Delaville le Roulx I, 86. Lit. s. oben § 39.
Erfolge in Schottland. Ausbruch des franz. Krieges. 329
Gegen den schottischen König David, der am 24. November 1331 zu
Scone feierlich gesalbt wurde, erhob sich das Haus Baliol. Eduard III.
zögerte, gegen seinen Schwager mit Ansprüchen auf Schottland aufzu-
treten, schliefslich reizte ihn aber die Aussicht, die Stellung seines
Grofsvaters zurückzugewinnen. Daher trat er Eduard Baliol nicht in
den Weg, als sich dieser in England einschiffte, an der Küste von Fife
landete und siegreich bis Perth drang. David floh nach Frankreich,
und Baliol liefs sich am 4. Oktober 1332 zu Scone krönen. Willig
erkannte er Englands Oberhoheit an und verpflichtete sich, Berwick ab-
zutreten. Dagegen erhob sich die nationale Partei Schottlands. Baliol
wurde zur Flucht nach England gezwungen und in das gefährdete Ber-
wick eine Besatzung gelegt. Jetzt erst trat Eduard III. nachdrücklich
zu Baliols Gunsten ein. Mit einem starken Heere brach er nach Norden
auf, schlofs Berwick ein und errang am 19. Juli 1333 bei Hallidon
Hill einen glänzenden Sieg. Der Zauber der Unüberwindlichkeit war
gebrochen, der seit Bannockburn auf Schottlands Waffen ruhte. Berwick
verblieb bei England, und Schottlands Krone fiel Baliol zu. Ein Parla-
ment, das vom 10. bis 12. Februar 1334 in Edinburg tagte, erkannte
Eduard III. als Oberlehensherrn an und bestätigte die Abtretung des
Landstriches östlich von Dumfries bis Linlithgow. König David erhielt
von Philipp VI. Schlofs Gaillard in der Normandie, die alte Burg König
Richards, als Wohnsitz angewiesen. Die Abtretung schottischen Landes
empörte das nationale Empfinden der Schotten. Nach Eduards Heim-
kehr sah Baliol sich zur Flucht nach Berwick genötigt. Zweimal —
1335 und 1336 — zog ihm Eduard III. gegen die Anhänger des Hauses
Bruce zu Hilfe, und seine Anstrengungen wären von Erfolg gekrönt ge-
wesen, hätte nicht der Ausbruch des französischen Krieges den Schotten
die ersehnte Rettung gebracht.
§ 79. Eduard III. und Philipp VI.
1. Hatte Eduard III. seine Ansprüche auf die französische Krone
bisher zurückgestellt, so wurde es doch schon 1336 mit Rücksicht auf
die offene Erklärung Philipps VI., dafs alte Verträge ihn verpflichten,
dem König David Unterstützung zu gewähren, deutlich, dafs England
entweder auf die Oberherrschaft in Schottland und den' daselbst ge-
wonnenen Erwerb verzichten oder den Kampf gegen Frankreich auf-
nehmen müsse. So ging aus dem schottischen der französische Krieg
hervor. Angeeifert wurde Eduard III. durch Robert von Artois, einen
Urenkel des bei Mansurah (1250) gefallenen Bruders Ludwigs IX. Robert
suchte nämlich die 1302 an seine Tante Madame Mahaut gekommene
Grafschaft Artois durch alle Mittel in seinen Besitz zu bekommen und
scheute hiebei selbst vor Urkundenfälschung, ja noch vor schwereren
Verbrechen nicht zurück.1) Vom Parlament verurteilt, vom König des
Landes verwiesen, zum Verlust seiner Güter verurteilt, entfloh er nach
*) Die Literatur zum Prozefs Roberts v. Artois s. bei Coville in Lavisse, Histoire
de France IV, 1, 6.
330 Die Machtmittel Frankreichs u. Englands. Beiderseitige Bundesgenossen.
Brabant und fand am englischen Hofe Aufnahme. In Frankreich wurde
er (im März 1337) des Verbrechens der beleidigten Majestät schuldig
erkannt und als Feind des Königs und Königreiches erklärt. Der Kampf
zwischen Frankreich und England nahm gleich von Anfang an grofse
Dimensionen an. Die Kräfte beider Staaten waren bei Beginn des
Kampfes sehr ungleich. Im Vergleich zu Frankreich, das die Politik
der Kapetinger fast zum ersten Staat Europas erhoben hatte und das
durch die Macht des Papsttums unterstützt wurde, mufste England als
armes Land erscheinen. Bei der fünfmal so starken Bevölkerung Frank-
reichs vermochte es dem fünfmal so starken Ritterheer der Franzosen
nur 8000 Bewaffnete entgegenzustehen.1) Was ihm aber an eigenen
Truppen abging, suchte es durch die seiner Bundesgenossen zu ersetzen,
und diese fand er bei den deutschen durch Frankreich bedrohten Fürsten
im Nordwesten des Reiches oder bei jenen, die durch Verwandtschaft
an das englische Königshaus geknüpft waren: Eduards Gattin war eine
Holländerin, seine älteste Schwester an den Grafen von Geldern ver-
mählt. Mit Jülich und Hennegau. Köln und Brabant wurden Bündnisse
geschlossen. Reiche Subsidien hielten diese Fürsten am enghschen
Bunde fest.2) Bei den Beziehungen des Papsttums zu Frankreich hielt
es nicht schwer, auch den Kaiser Ludwig auf Englands Seite zu ziehen,
und am 23. Juli 1337 wurde ein Subsidienvertrag mit ihm geschlossen.
Aber dessen Unterstützung, unbedeutend und unsicher, versagte in dem
Augenblick, als sich eine Aussicht auf Versöhnung mit dem Papste
zeigte (s. oben). Vorteilhafter war die Hilfe der flandrischen, auf den
Handelsverkehr mit England angewiesenen Städte. England konnte als
der gröfste Wollproduzent des Westens bei aller Förderung, die Eduard HL
der Tuchindustrie Englands angedeihen liefs, nur einen Teil seiner Roh-
produkte verarbeiten. Xeun Zehntel der enghschen Wolle versorgten
die Webstühle von Brügge und Gent.3) Während Eduard III. aus dem
Ausfuhrzoll eine beträchtliche Einnahme — sie wird auf 30000 Pfd.
jährlich veranschlagt — bezog, waren die flandrischen Städte auf die
englische Wollzufuhr derart angewiesen, dafs ihre Unterbrechung die
blühende flandrische Tuchindustrie vernichtet hätte. Dazu kam ein
politisches Moment : der Hafs der demokratischen Städte gegen das den
Feudalismus begünstigende Frankreich. Ihr Führer war Jakob von
Artevelde, ein Mann adeliger Herkunft, als Mitglied der mächtigen
Brauer zunft von Gent und Ruewart oder Protektor von Flandern von
gröfserem Einflufs als selbst der Herr dieses Landes. Um die deutschen
Verbündeten zu gröfserem Eifer anzuspornen, traf Eduard mit dem
Kaiser in Koblenz zusammen und liefs sich von ihm zum Reichsvikar
auf dem linken Rheinufer ernennen. Als solchem huldigten ihm die
versammelten Fürsten und erklärten sich zur Hilfe bereit. Diese wurde
ihm freilich nicht von allen gewährt. Benedikt XII. protestierte gegen
1) Die Berechnung in Green I, 267.
2) Eduard HI. griff der Politik Godolphins u. Pitts vor und wurde der Kriegs-
zahlmeister der ärmeren Fürsten Deutschlands. Green, S. 267.
s) Green, S. 267.
Beginn des Krieges. Grofser Seesieg der Engländer bei Sluys. 331
das englische Vikariat in Nordwestdeutschland; Eduard III. legte seine
Würde nieder und nahm die Verhandlungen mit Frankreich wieder auf.
Gleichwohl dachte er keinen Augenblick daran, einem Krieg auszuweichen.
Dieser sollte in Guienne defensiv, von den Niederlanden aus offensiv
geführt werden. Aber der erste Feldzug (1339) mit der vergeblichen
Belagerung von Cambray brachte dem König keine Erfolge. Er kehrte
nach England zurück, um neue Hilfsmittel aufzutreiben. Das Parlament
gewährte solche Bewilligungen, die ihn in den Stand setzten, den Krieg
kräftig fortzuführen. Die Franzosen fanden bei Navarra, Böhmen,
einzelnen deutschen Fürsten und den Genuesen1) Unterstützung und
rechneten namentlich auch auf die der Schotten. Von ihren Heeres-
abteilungen drang eine in Flandern ein, eine zweite wandte sich gegen
den Grafen von Hennegau; die Flandrer wurden überdies noch auf der
Seeseite bedroht. Sie sandten Eilboten nach England und baten um
schleunige Hilfe. Schon drohten die Franzosen mit einem Angriff auf
Antwerpen und erwogen den Plan einer Landung in England.
Eduard III. brach am 22. Juni von Orwell auf. Mit seinen 200 Schiffen
griff er die schlechtgeführte französische Flotte, die vor der Swyne-
mündung so dicht aufgestellt war, dafs sie sich nicht frei zu bewegen
vermochte, bei Sluys an2) und brachte ihr nach neunstündigem Kampfe,
dank dem Eingreifen der Vlämen, eine vernichtende Niederlage bei.
Alle Schiffe der Franzosen, bis auf 20, wurden genommen oder versenkt.
Haufenweise sprangen die Franzosen ins Meer. An 30000 von ihnen
sollen umgekommen sein.3) In ganz Flandern und weit darüber hinaus
wurde der Sieg über die Franzosen mit Jubel begrüfst4): er machte
Eduard für 30 Jahre zum Herrn des Meeres. Er wandte sich gegen
Tournay, indes Robert von Artois St. Omer belagerte. Schliefslich ver-
mittelte Johanna von Valois, verwitwete Gräfin von Hennegau und beiden
Königen verwandt, unterstützt von dem päpstlichen Legaten, einen
Waffenstillstand (25. September), in den auch Schottland eingeschlossen
wurde. Der Kaiser trat nicht lange nachher ganz vom Bunde gegen
Frankreich zurück.
2. Der Krieg hatte die Mittel des englischen Königs erschöpft.
Dunkle Gerüchte über Pläne der englischen Regierung wider ihn waren
in Umlauf. Da er sich von ihr nicht genügend unterstützt glaubte, er-
schien er unerwartet in London und stürzte die oberste, von den Bischöfen
von Chichester und Lichfleld gebildete Verwaltung. Zum erstenmal
erhielt ein Ritter, Robert de Bourchier, das Staatssiegel; auch aus den
übrigen Verwaltungszweigen wurden die Geistlichen entfernt. Das Parla-
ment gewährte reiche Mittel zur Fortführung des Kampfes, freilich nicht
ohne dafs der König ihm neue Zugeständnisse machte : vor allem sollte
*) Die Anteilnahme der Italiener s. bei Coville, 46 — 47.
2) Die Franzosen nennen die Schlacht : la bataille de VEcluse. Zusammenstellung
der Quellen zur Schlacht bei Mackinnon, 159.
3) Wie Philipp VI. die Kunde durch seinen Hofnarren zugetragen wird, s. bei
Walsingham, 148.
4) Jan de Klerk : Van deser hoeger victorien — die ewelijc blijft in memorien . . .
332 Der Erbfolgestreit in Bretagne.
die Geistlichkeit fortan vor Eingriffen weltlicher Beamten gesichert, die
Inhaber der obersten Staatsämter auf die Magna Charta vereidigt und
bei Beginn jedes Parlaments auf kurze Zeit ihrer Ämter enthoben werden,
um den Lords über ihre Amtsführung Rechenschaft zu geben.1) Wohl
protestierte der König gegen das Statut als ein ihm abgerungenes; die
äufsere Politik hinderte es aber, dafs es zu einem schärferen Zusammen-
stofs kam. Der Waffenstillstand mit Frankreich wurde mehrmals ver-
längert, und Klemens VI. gab sich alle Mühe, einen förmlichen Frieden
herzustellen. König Eduard hätte Grund genug gehabt, darauf ein-
zugehen: er hatte eben erfahren, wie geringer Verlafs auf den Kaiser
und die Reichsfürsten sei. Aber nun war zum schottischen noch ein
anderer Streitfall gekommen. Am 30. April 1341 war Johann III. ,
Herzog der Bretagne, ohne Kinder zu hinterlassen, gestorben. Eine
Nichte, Johanna von Penthievre, Tochter seines vor sechs Jahren ver-
storbenen jüngeren Bruders Gui, und der jüngste Bruder, Johann von
Montfort, erhoben auf das Erbe Ansprüche : Johanna auf Grund des
in Bretagne herrschenden Repräsentationsrechtes, das Frauen von der
Nachfolge nicht ausschlofs, Johannn von Montfort, weil die Bretagne
Lehen und Pairie des Königreichs sei, darin keine andere Nachfolge
gelten dürfe als im Königreiche selbst. Die Bretagne bestand aus zwei
voneinander völlig verschiedenen Teilen : die sog. französische Bretagne,
das Land der » Gallos« mit den Diözesen Rennes, Nantes, Dol, Saint-
Malo und einem Teil von Saint-Brieuc — Der Osten des Landes hielt zu
Johanna und ihrem Gemahl Karl von Blois, die bretonische Landschaft,
in der noch die alte keltische Sprache gesprochen ward — der Westen —
zu Montfort. Fand Johanna die Unterstützung Philipps VI., so trat
Eduard III. für Montfort ein und damit für das Recht, das er in Frank-
reich selbst bestritt; in jedem Falle war es ihm willkommen, in der Bre-
tagne jenes Einfallstor nach Frankreich zu gewinnen, das ihm bisher
gefehlt hatte.
3. Der Krieg wurde erst 1345 nachdrücklicher aufgenommen, nach-
dem die Stände in beiden Ländern reichere Mittel, in Frankreich die
Salz-, in England die Wollsteuer, zur Verfügung gestellt hatten. In
Guienne errang Graf Derby bedeutende Erfolge, Eduard selbst richtete
sein Augenmerk auf Flandern. Hier war sein bedeutendster Anhänger,
Jakob von Artevelde, der noch zuletzt den Plan verfolgt hatte, die
flandrische Dvnastie zu stürzen und den Prinzen von Wales zum Herrn
des Landes zu machen, von einem erregten Volkshaufen ermordet
worden (1345, 24. Juli). Die flandrischen Städte blieben zwar auf eng-
lischer Seite, der Kampf konnte aber doch erst im folgenden Jahre
weitergeführt werden. Ende Juni 1346 hatte Eduard III. eine mächtige
Flotte mit einem starken Kriegsheer in Portsmouth und Southampton
versammelt. Er hatte die Absicht, nach dem südlichen Frankreich zu
ziehen; widrige Winde oder, wie man meint, die Überredungskunst
Gottfrieds von Harcourt, bewogen ihn, nach der Normandie zu ziehen,
x) Gneist, 402.
Die Schlacht von Crecy. Niederlage Frankreichs. 333
um dies Land, die Heimat des englischen Adels, dessen Wiedererwer-
bung die englischen Könige niemals aufser acht gelassen, zu erobern.
Am 12. Juli landete er im Hafen von La Hogue. Die Franzosen
hatten ihre Hauptmacht nach dem Süden gesandt, doch war ihr Heer,
das die Gegner bei Rouen erwartete, immer noch um das Doppelte
stärker. Eduard war über Caen an das linke Seineufer gezogen und
bis vor Paris gekommen. Dort bot ihm Philipp die Schlacht an, aber
Eduard wies sie angesichts der Überlegenheit des Gegners zurück und
überschritt bei Poissy die Seine. Von dort aus zog er nach dem Norden
um sich mit den Flandrern zu vereinigen. Nachdem er sich den Über-
gang über die Somme, wo Philipp ihn festhalten wollte, erkämpft hatte,
lagerte er bei dem Städtchen Crecy. Hier kam es am 26. August 1346
zum Kampfe. Dem englischen Heere, das etwas mehr als 30000 Mann
zählte, standen die Franzosen mit 12000 Rittern und 60000 sonstigen
GewafTneten entgegen ; sie gedachten, ein anderes Bouvines zu gewinnen,
und in der Tat waren alle Vorteile der numerischen Macht und der Lage
auf ihrer Seite. Nichtsdestoweniger brachte ihnen das überlegene Feld-
herrntalent Eduards III. und die Tapferkeit des jungen Prinzen von
Wales eine furchtbare Niederlage bei.1) König Johann von Böhmen,
der mit seinem Sohne, dem Markgrafen Karl von Mähren, am Kampfe
teilnahm (s. oben) und das erste der drei Treffen der Franzosen be-
fehligte, fand im Gewühl des Kampfes gegen die aus ihrer Wagenburg
vorbrechenden Scharen des Prinzen von Wales den Tod. Die Blüte
der französischen Ritterschaft, an 1600 Barone und 20000 Gemeine, lag
erschlagen auf der Walstatt.2) Sie war vernichtet worden von englischen
und niederländischen Kriegern aus dem Volke. Es war ein Sieg leicht
bewaffneter Kriegsscharen über schwer bewaffnete Ritter. Nach Villani
verwendeten die Engländer Geschütze, die kleine Eisenkugeln warfen,
Trofs und Pferde niederschlugen und einen Lärm machten, dafs man
meinte, es donnere.3) Es war die erste grofse Feldschlacht, die England
auf dem Festlande gewann. Sie vernichtete die grofsen Errungenschaften
der kapetingischen Könige seit Philipp II. August und gab England
seine mafsgebende Stellung auf dem Kontinent zurück. Die Engländer
gewannen nun einen Erfolg nach dem andern. Ein in Nordengland
eingedrungenes Heer der Schotten wurde (17. Oktober) bei Nevil's
Crofs geschlagen und König David zum Gefangenen gemacht. Um
eine bequemere Operationsbasis gegen Frankreich zu haben, wurde Calais
belagert und nach elf Monaten erobert. Philipp VI. sah sich gezwungen,
um einen Waffenstillstand anzusuchen. Eduards Ansehen stand so hoch,
dafs ihm die wittelsbachische Partei nach dem Tode des Kaisers die
*) Die Quellen zur Schlacht s. in Böhrner-Huber, Regg. S. 23 u. Köhler, S. 385.
Dort auch ein Plan ; Mackinnon, S. 313 (mit Lit.-Ang., unter denen aber die deutsche fehlt).
2) Cecidit ßos tocius militiae Gallicorum.
3) Einer der am Kampfe teilnehmenden Genuesen unter Grimaldi u. Doria, sie
standen unter Johann von Böhmen, liefs Villani zweifellos Mitteilungen zugehen.
Einzelheiten bei Köhler. Dazu Denifle I, 43, Note 8. Villani, ed. Triest. I, 484.
334 Frankreich erwirbt die Dauphine. Johann der Gute.
deutsche Kaiserkrone anbot. Er war klug genug, sie abzulehnen.1) Die
Kämpfe hatten schliefslich den einen Gegner ebensowie den andern mit-
genommen. Unter päpstlicher Vermittlung ward am 28. September 1347
ein Waffenstillstand auf ein halbes Jahr abgeschlossen und die entsetz-
liche Pest, die 1348 ganz Europa durchzog, mahnte die kriegerisch Ge-
sinnten zur Ruhe. Der Waffenstillstand, wiederholt erneuert, dauerte
bis 1355. Nach so vielen Unfällen gelang Philipp VI. die Erwerbung
der Dauphine (1349); am 22. August des folgenden Jahres starb er.
Bei allem ritterlichen Wesen hatte er für die wahren Aufgaben des
Königtums kein Verständnis, ihm fehlte es nicht blofs an der politischen
Begabung der letzten Kapetinger, sondern auch an Ratgebern, wie sie
diesen in so reichem Mafse zu Gebote standen.
§ 80. Soziale und politische Kämpfe unter König Johann (II.) dem
Outen (1350—1364).
1. König Johann (IL) war 31 Jahre alt, als er die Regierung an-
trat. Sein Ideal eines Ritters und Helden war sein Schwiegervater, der
bei Crecy gefallene Böhmenkönig Johann. Wie dieser lebte er in der
zum grofsen Teil schon entschwundenen Welt des Rittertums, ein tapferer,
ritterlicher König, verschwenderisch, selbst als sein Land aus tausend
Wunden blutete, von einer Gutmütigkeit, die ihn beim Volke beliebt
machte und der er seinen Beinamen verdankte. Ohne Sinn für die
wirtschaftliche Entwicklung des Landes, hatte er despotische Anwand-
lungen, die ihm im eigenen Lager heftige Gegner schufen. Zu diesen
gehörte König Karl der Böse von Navarra, der durch seine Mutter
Johanna, der Tochter Ludwigs X., den letzten Kapetingern näher stand
als König Johann; wohl hatten seine Eltern keine Absichten auf die
Krone kundgegeben, aber er hielt sich zu solchen Ansprüchen durchaus
berechtigt; mit dem König seit 1354 wegen der Ermordung des Conne-
tables verfeindet, stand er mit England in Verbindung. Das Ziel
Eduards III., der den Krieg im folgenden Jahre wieder begann, war
die völlige Loslösung seines südfranzösischen Besitzes von Frankreichs
Lehenshoheit. Dorthin zog nun der Prinz von Wales, oder wie er nach
seiner schwarzen Rüstung, die er zu tragen liebte, um seine schöne
Gesichtsfarbe mehr hervortreten zulassen, genannt wird, der schwarze
Prinz. Frankreichs Lage war eine trostlose. Die Stände von Languedoil
benützten die Notlage des Königs, um ihre Machtbefugnisse zu erhöhen.
Sie waren auf den 2. Dezember 1355 berufen worden, um die zur Kriegs-
führung notwendigen Mittel zu bewilligen. Wortführer der Städte war
der Tuchmacher Etienne Marcel, Vorstand der Pariser Kaufmann-
schaft, ein ebenso kühner und entschlossener als ehrgeiziger Mann, den
seine Geschäfte in vielfache Berührung zu den städtischen Körperschaften
Flanderns gebracht hatten und der von einer tiefen Bewunderung für
deren Freiheiten erfüllt war. Die Stände versprachen die nötigen Mittel,
um 30000 Mann auf ein Jahr zu besolden, bewilligten die Salz- und
x) Dicens se malle prosequi ius suum.
Soziale u. politische Kämpfe unter Johann d. Guten. Fortgang d. Krieges. 335
eine allgemeine Warensteuer, beschlossen aber, deren Verwaltung selbst
In die Hand zu nehmen, und erhoben den Anspruch, sich, auch ohne
berufen zu sein, in drei Monaten wieder zu versammeln, um die Aus-
führung ihrer Beschlüsse zu überwachen, und nach einem Jahre, um
die Rechnungen zu prüfen. Ihre Delegierten organisieren die königlichen
Truppen, halten Musterung und zahlen den Sold. Alle andern Auf-
lagen hören auf; Rechtshilfe gegen Mifsbrauch der Gewalt und Über-
griffe der Beamten ist allen gesichert, das Recht der hievon Betroffenen
mit den Waffen Widerstand zu leisten, wird anerkannt. — Indem die
Stände die Steuererhebung und Finanzkontrolle an sich rissen, waren
die wesentlichen Ansätze gegeben, um das absolute Königtum durch
ein ständisches Regiment zu beschränken. Gab der König im Drange
der Not nach, so war er doch nicht gewillt, sich solche Einschränkungen
auf die Dauer gefallen zu lassen. Die Unbeliebtheit der neuen Steuern
kam ihm zugute. In einigen Landschaften kam es zu offenem Wider-
stand; daher wurden sie durch eine allgemeine Einkommensteuer ersetzt,
deren Einhebung gleichfalls unter ständische Aufsicht gestellt wurde.
Die Kluft zwischen König Johann und Karl von Navarra hatte sich
inzwischen erweitert ; dieser stand im Verdacht, den Dauphin gewonnen
und das Volk zum Widerstand gegen die neuen Steuern aufgereizt zu
haben. Nach einer scheinbaren Versöhnung ward Karl während eines
Gastmahls gefangen genommen (1356, 5. April), seine Ratgeber, unter
ihnen Harcourt, enthauptet und er selbst von Schlofs zu Schlofs geschleppt.
Nun wandten sich alle Freunde Navarras den Engländern zu und er-
kannten Eduard III. als legitimen Herrscher von Frankreich an.
2. Das Frühlingsparlament von 1355 hatte dem englischen König
reiche Mittel zum Kriege gewährt. Drei Heere wurden ausgerüstet, aber
der Feldzug von 1355 entsprach nicht den Hoffnungen Eduards, denn
noch war es dem König Johann gelungen, den Navarresen vom eng-
lischen Bündnis abzuziehen. Auch für 1356 lagen die Dinge für Eng-
land nicht günstig. Erst die Schreckenstat vom 5. April änderte diese
Lage. 12 Tage später sandte Karls Bruder Philipp von Navarra seine
Absage an den König, bald folgte sein grofser Anhang. Eduard III.
gewährte bereitwillig die erbetene Hilfe und gab Lancaster den Auftrag,
den Kampf in der Normandie aufzunehmen. Der Prinz von Wales
hatte die Absicht, von Südfrankreich aus nordwärts zu ziehen, um sich
mit ihm zu verbinden. Er hatte den Krieg bisher mit solcher Grausam-
keit geführt, dafs er, selbst um hohe Summen, keinen Kundschafter
fand, der ihm bedeutet hätte, wo der König stünde und wie stark er
wäre. Anfang August brach er von der Dordogne gegen die Loire auf.
Am 28. überschritt er den Cher, am 7. September erreichte er bei Tours
die Loire, wenige Tage später erschien das französische Heer — es zählte
an 60000 Mann — bei Blois. Noch machte der Papst Vermittlungs-
versuche, die aber durchaus vergeblich waren. Bei der Übermacht der
Franzosen, geriet der Prinz in eine gefährliche Lage und war, um dem
Kampfe auszuweichen, zu grofsen Zugeständnissen geneigt. Aber die
Franzosen, in der Meinung, den Sieg schon in den Händen zu haben,
336 Die Schlacht bei Maupertuis.
verlangten, dafs sich der Prinz ergebe. Dieser nahm den ungleichen
Kanrpf auf.1) Seine Stellung war trefflich gewählt: er stellte sich —
arn 19. September — bei Maupertuis, zwei Meilen nördlich von
Poitiers, auf einer kleinen Anhöhe auf, wo sich nur auf schmalem, von
Hecken und Weinbergen eingefafstem Wege die Möglichkeit zum Kampfe
bot. In diesem Hohlweg liefs König Johann, bei aller Tapferkeit ein
schlechter Feldherr, den Angriff aufnehmen. Bald war der Weg von
Menschen und Pferden angefüllt, während die vordersten Reihen vor
dem dichten, aus den Hecken auf sie niedergehenden Pfeilregen zurück-
wichen. In dieser Verwirrung griff eine auf einem Hügel zur Rechten
aufgestellte Reiterschar die Franzosen in der Flanke an, während der
Prinz auf die Front losstürmte und die Pfeile der englischen Armbrust-
schützen die Verwirrung vermehrten. König Johann und sein jüngster
Sohn wurden gefangen, die Blüte des französischen Heeres erlag auf
dem Schlachtfeld oder auf der Flucht. Ungeheuer grofs war die Beute
an Gold und Silber und den Loskauf summen der Gefangenen. Der
schwarze Prinz, der den andern in der Schlacht durch Mut und Kalt-
blütigkeit vorangeleuchtet hatte, ging, selbst stark geschwächt, nach
Bordeaux. Am 24. Mai des folgenden Jahres hielt er seinen Einzug in
London, bescheiden, als wäre er selbst der Besiegte, hinter dem ge-
fangenen König reitend. Im Palaste Savoyen nahm Johann seine
Wohnung. Inzwischen kam durch die Vermittlung des Papstes ein
Waffenstillstand auf zwei Jahre zustande. Nicht minder grofs als in
Frankreich waren Englands Erfolge in Schottland. Ein Bündnis der
Iren und Schotten hatte Eduard III. gezwungen, nach England zurück-
zukehren (1355, November). Nun verzichtete Eduard Baliol (1356, Januar)
zu seinen Gunsten auf die Krone. Der Kampf dauerte indes weiter,
und erst die Nachricht von dem grofsen englischen Siege in Frankreich
bewog auch die Schotten einzulenken. Eine Stände Versammlung zu
Edinburg (1357, 26. September) bot die Hand zum Frieden. Gegen
Zahlung von 100000 Mark Silber sollte König David die Freiheit er-
halten. Damit hatte Eduard III. freie Hand gewonnen, um den Kampf
gegen Frankreich wieder aufzunehmen.
3. König Johanns Regierung hatte sich als zu schwach erwiesen,
den äufseren Feind zu besiegen, und der Adel seinen Waffenruhm ein-
gebüfst. Beide, Königtum und Adel, verspürten nun die Folgen der
Niederlage. Bürger und Bauern hielten mit ihren Aufserungen des
Hasses nicht zurück. Im Namen des Königs hatte der Dauphin2) Karl
x) Die Schlacht bei Poitiers oder Maupertuis am 19. September 1356 bei Köhler II,
417—449. Mit Karte u. Schlachtplan. Zur Sache auch Denifle I, 112. Über die Schwierig-
keiten, welche die Darstellung der Schlacht bietet, s. S. 128 u. Thompson zu Baker
de Swynbrocke, 300—314.
2) Über den Ursprung des Xamens Dauphin s. Prudhomme, BECh. LIV, 428.
Danach ist Delphinus d'abord un prenom (S. Delphinus), puis un nom patronimique,
puis un titre de dignite. II prend definitiv ement ce dernier sens dans les deux pays
(Auvergne et Dauphine) ä la fin du 13e siede vers Vannee 1282. Damals wird noch
geschrieben : Nos Humbertus Delphinus, Vienne et Albonis comes . . . 1285 spricht man
schon von einem Delphinatus.
liltienne Marcel und die Forderungen der Reichsstände. 337
die Zügel der Regierung ergriffen, doch auch er wurde von der allge-
meinen Volkserregung betroffen. Bald erhob sich neben ihm eine Ge-
walt zu aufserordentlicher Bedeutung, die Etienne Marcels1), der
sich in den Tagen der Not bewährt hatte. Am 16. Oktober 1356 traten
die Stände zusammen. Von den 800 Mitgliedern gehörte ungefähr
die Hälfte dem Bürgerstande an. Sie wurde von Marcel geführt. Ihm
stellte sich Robert le Coq zur Seite, der beredte Bischof von Laon,
früher Advokat beim Pariser Parlament, der geheime Führer der Agi-
tation gegen den König, ein Freund Karls des Bösen und seiner Pläne.
Den beiden gesellte sich Johann von Piquigny zu, der Wortführer des
Adels. Diese Männer begehrten Abschaffung bestehender Mifsbräuche
und Kontrolle der Regierung durch ständische Ausschüsse. Der Dauphin
war hierüber betroffen. Unter dem Vorwand, seinen Oheim, den Kaiser
in Metz zu besuchen, damit er sich für die Befreiung seines Vaters
einsetze, vertagte er die Reichsstände. Er hoffte, bei den Provinzial-
ständen seine Forderungen leichter durchzusetzen. Doch auch diese
traten zum Teil in die Fufsstapfen der allgemeinen Stände. Auch der
Kaiser konnte seinem Neffen keine Hilfe gewähren, und als dieser durch
strengeres Auftreten den trotzigen Sinn der Stände zu brechen unter-
nahm, wurde die Stimmung in Paris immer erregter. Marcel liefs die
Bürger unter Waffen treten. Nun wich der Dauphin zurück ; er zog
die leichte Münze, die zur Erregung der Bürger beigetragen hatte, ein,
gab die mifsliebigsten Räte preis und berief die Reichsstände.2) Die
Not des Landes war inzwischen aufs höchste gestiegen. Die Gefangenen
von Maupertuis mufsten ausgelöst werden; um das Lösegeld zusammen-
zubringen, wurden ihre Hörigen aufs äufserste gequält, überdies zogen
die bösen Gesellschaften raubend und sengend umher. Die Stände
traten am 5. Februar 1357 zusammen. In beredten Worten schilderte
le Coq das allgemeine Elend und versprach schliefslich, die geforderten
Mittel aufzubringen, falls die verlangten Reformen durchgeführt würden.
Die Forderungen der Stände umfafsten 67 Artikel, die zumeist eine
starke Einschränkung der königlichen Gewalt enthielten : vor allem
alleinige Kontrolle über Einhebung und Verwendung der neuen Steuern.
Zu dem Zwecke sollten sie sich dreimal im Jahre, auch ohne besondere
Berufung durch den König, versammeln dürfen. Alle mifsliebigen Be-
amten sollten entfernt, Mitglieder der Reichsstände in den königlichen
Rat aufgenommen, eine bessere und raschere Handhabung der Justiz
eingeführt, alle Privatfehden unterdrückt und zahlreiche Mifsbräuche
abgeschafft werden. Ein Ausschufs von 36 Mitgliedern — je zwölf aus
jedem Stande — wurde eingesetzt und erhielt die gewünschte Kontrolle.
Da in dem Ausschufs die bürgerlichen Elemente und unter diesen die
von Paris überwogen, kam die Leitung in die Hände der Pariser Depu-
tierten. Die Zustände in Paris und auf dem Lande wurden immer
trostloser; Karl von Navarra, aus der Haft entkommen, strebte offen
x) S. Luce, Pieces inedites relatives ä Etienne Marcel. BlilCh. XXI.
2) Über die Reichsstände von 1356 s. Delachenal, Journal des Etats G^näraux
reunis ä Paris en Octobre 135,6. NRH. du droit 1900.
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 22
338 »Le gouvernement par la parole.« Die Jacquerie.
nach der Krone und gewann, von Marcel und le Coq unterstützt, eine
Stellung, die der des Dauphins nichts nachgab. Beide — Karl von
Navarra und der Kronprinz — appellierten durch wiederholte Ansprachen
an das Volk1), das so förmlich zum Richter angerufen wurde. Le Coq
stellte den Satz auf, die Stände seien berechtigt, die Thronfolge zu
ändern. Während eines stürmischen, von Navarra veranlafsten Tumultes
der Pariser (1358, 22. Februar) wurden des Dauphins Ratgeber, die
Marschälle der Champagne und Normandie getötet, die übrigen Offiziere
zur Flucht gezwungen, dem Dauphin selbst die blaurote Parteimütze der
Pariser aufs Haupt gesetzt. Dieser sah sich gezwungen, das Geschehene
gutzuheifsen und Karl von Navarra Amnestie und ein Jahreseinkommen
zu bewilligen. Die Machthaber von Paris nötigten den Dauphin, um
ihn von seinem Vater unabhängiger zu machen, den Titel »Regent des
Königreiches« anzunehmen (14. März). Trotz der Mahnungen
Marcels folgten nur wenige Städte dem Beispiel von Paris. Schliefshch
gelang es dem Dauphin, von dort zu entkommen. Er sammelte seinen
Anhang, berief einzelne Provinzialstände, dann die allgemeinen Stände
nach Compiegne und erhielt gegen einige Zugeständnisse Zusiche-
rungen der Treue und Hilfe. In Paris war Marcels Macht noch gestiegen ;
schon konnte er es wagen, Münzen schlagen zu lassen und mit den
Engländern in Verbindung zu treten. Bevor aber der Kampf mit dem
Kronprinzen ausbrach, hatte sich die Gärung auch unter dem Land-
volke verbreitet, und so kam es zu jenem furchtbaren Aufstand, der unter
dem Namen der Jacquerie2) bekannt ist.
4. Ergrimmt über den feudalen Druck und die Plagen der Söldner-
banden, gegen die sie der Adel nicht schützte, erhoben sich die Bauern,
der bisher so verachtete Jacques Bonhomme3), und wandten sich,
angeregt von den Pariser Vorgängen, gegen den Adel. Zuerst wurden
in der Umgebung von Beauvais die Schlösser niedergebrannt, die Archive
mit den Verzeichnissen der feudalen Lasten vernichtet, die gefangenen
Ritter getödtet und Frauen und Kinder mifshandelt. Dann dehnte sich
der Aufstand in die Gegend von Ponthieu und Amiens, in die Champagne
und nach Isle de France aus. Hier hatten sich an die 100000 Bauern
erhoben: es war ein Bauernkrieg, der alle Leidenschaften der rohen
Menge entfesselte. Hie und da schlössen sich auch die Bürger an. In
dieser Not einigte sich der Adel zu gemeinsamem Widerstand. Aus
Hennegau, Flandern, Brabant und andern Landschaften kam Zuzug.
Den gutbewarfheten disziplinierten Ritterscharen konnten die Bauern
nicht widerstehen : zu Tausenden wurden sie niedergehauen, ihre Häuser
verbrannt, ihre Felder verwüstet. Der Adel vergalt ihnen mit doppeltem
Mafse. Zwischen der Seine und Marne allein wurden noch vor dem
x) Le gouvernement par la parole.
2) S. aufser Luce auch Flamm ennont, La Jacquerie en Beauvaisis RH. DL
3) Jakob der Tölpel. Richtiger ist wohl die Ableitung des Wortes jacque von dem
ad. seccho (byrrus), s. Denifle I, 211. Um 1360 hatten die fz. Ritter ein Kriegs-
gewand la jacque, dessen Namen sie wohl nicht von diesem so verwünschten Jacques
übernommen haben werden.
Marcels Ende. Der Sieg des Dauphins. Der Friede von Bretigny. 339
24. Juni nicht weniger als 20000 Bauern getötet. Ihrer Niederlage
folgte die der Bürger auf dem Fufse, trotzdem Etienne Marcel die Re-
volte der Bauern nicht veranlafst hatte und diese auch den Plänen
Karls von Navarra im Wege stand. Der siegreiche Adel scharte sich
um den Dauphin. Um sich zu retten, rief Marcel den König von
Navarra nach Paris und liefs ihn zum Kapitän wählen. Da sich dieser
nicht stark genug fühlte, um den Kampf gegen das legitime Königtum
aufnehmen zu können, und mit dem Dauphin in Verbindung trat, wurde
er von den Parisern abgesetzt. Marcels letzte Hoffnung beruhte, da
auch die flandrischen Städte sich seinen Hilferufen versagten, auf der
Unterstützung der verrufenen Söldnerbanden. Sein Ansehen in Paris
selbst schwand dahin; der Dauphin gewann in der Stadt selbst eine
Partei, und Marcel wurde am 31. Juli 1358 von deren Führer Jean
Maillart in einem Gefechte getötet.1) Wenige Tage nachher hielt der
Regent seinen Einzug und schlug die Reste der populären Partei vollends
zu Boden. Le Coq war mit der Hilfe Karls von Navarra entkommen
und erhielt in der Folge das Bistum Calahorra. Der König von Navarra
trat nun ganz auf Englands Seite. Die Lage Frankreichs wurde
eine noch trostlosere als früher. Am 24. März 1359 schlofs der ge-
fangene König den Präliminarfrieden von London, in welchem
er die nördlichen und westlichen Provinzen Frankreichs an England
abtrat und die Zahlung von 4 Millionen Talern verhiefs. Dieser Frieden
wurde jedoch von den Ständen als »unerträglich und unausführbar« 2)
verworfen. Daher traf Eduard III. Anstalten, den Kampf wieder auf-
zunehmen. Da schlofs der Dauphin mit Karl von Navarra Frieden.
Eduard III. landete im Oktober 1359 in Calais, zog bis vor Reims,
zwang den Herzog von Burgund, einen Waffenstillstand zu erkaufen,
und drang bis in die Nähe von Paris. Als die Not den höchsten Grad
erreichte, gelang es den päpstlichen Legaten, einen Frieden herbeizu-
führen. Er kam am 8. Mai 1360 zu Bretigny, einem Weiler bei Chartres
zustande. Die Engländer erhielten Gascogne, Guienne und Poitou mit
den dazu gehörigen Grafschaften, dann Calais und Guines als souveräne
Herrschaften und 3 Millionen Goldstücke, wogegen Eduard III. seine
Ansprüche auf ganz Frankreich aufgab.
So schmerzvoll dieser Friede auch war, er war notwendig, da sich das Elend im
ganzen Lande bis ins Unerträgliche gesteigert hatte. Um die Loskaufsumme aufzu-
bringen, mufste König Johann bei Galeazzo Visconti ein Anlehen machen, dem Sohne
Viscontis eine Tochter zur Ehe und eine Grafschaft als Lehen geben. Um den Kreuz -
zugszehent zu erhalten, nahm er das Kreuz. Wohl gab er die besten Versprechungen,
den Gewalttätigkeiten in Frankreich ein Ziel zu setzen, die Gerechtigkeit zu hand-
haben, gute Münze zu prägen: in Wirklichkeit tat er nichts, um wenigstens der ärgsten
Plage, der herrenlos gewordenen Kompagnien, die nun das eigene Land ausplünderten,
los zu werden. Wie wenig er seine Aufgaben verstand, zeigt sein Verhalten in der
burgundischen Frage. Nachdem die kapetingische Seitenlinie in Burgund, wo sie
*) Über seine Pläne Lavisse-Coville, S. 141. In seinem letzten Schreiben an die
Vlämen spricht Marcel von den *saintes ordonnances^, die er verteidigen will. Sein
Werk ist: V etablissement d'un regime de controle de la royaute par les Etats et surtout
par les bonnes villes.
2) Ni passable ni faisable.
22*
340 Karl V., der "Weise. Frankreichs Erhebung.
330 Jahre regiert hatte, erloschen war, gab er dies Land, statt es bei der Krone zu
halten und sie für die eben erlittenen Verluste einigermafsen zu entschädigen, an
seinen jüngsten Sohn Philipp (1363), den er zugleich zum ersten Pair von Frankreich
erhob. Er hatte sich nach England begeben, die Ehre seines Sohnes Ludwig herzustellen,
der die Erlaubnis Eduards KL, nach Calais zu gehen, um dort die Loskaufsumme einzu-
treiben, benützt hatte, um sich nach Frankreich zu flüchten. In London starb König
Johann am 8. April 1364.
§ 81. Frankreichs Erhebung unter Karl Y. (1364—1380).
1. Karl V. war 27 Jahre alt, als er am 19. Mai 1364 in Reims
gekrönt wurde. Die Zeit der inneren Kämpfe, während der er die
schweren Schäden der Staatsverwaltung kennen lernte , war ihm eine
treffliche Schule, und er benutzte ihre Lehren so gut, dafs ihm schon
Zeitgenossen den Beinamen des W eisen gaben. Es bedurfte keines
besonderen Ansporns, ihn zu einer Politik des Friedens zu bewegen.
Bei seiner zarten Gesundheit gingen seine Neigungen mehr auf die
Pflege der Wissenschaften und Künste als des Krieges. Von seinem
Palaste aus leitete er klug und geschickt die Gesamtinteressen des
Landes. Von einem erklärlichen Widerwillen gegen die Reichsstände
erfüllt, zog er die provinziellen Stände den allgemeinen vor, ohne diese
gänzlich zu vernachlässigen. Allerdings wurden Überschreitungen ihrer
Kompetenzen nicht geduldet. Um sich von ihnen unabhängiger zu
stellen, half er aus eigenem Antrieb vielen Übelständen ab, führte einen
sparsamen Haushalt ein, setzte den Münzverschlechterungen ein Ziel und
hielt die Beamten zu genauer Pflichterfüllung an. Den Adel, dem er
nicht durch kriegerische Eigenschaften voranleuchten konnte, gewann er
durch Freigebigkeit, die Geistlichkeit durch ausgiebige Hilfe, die dringend
not tat, denn Kirchen und Klöster hatten in den Stürmen der voran-
gegangenen Regierung ebenso gelitten als der Adel und die Bürger;
die letzteren gewann er durch seine Sorge für den Frieden. Bei seiner
Scheu vor den Reichsständen ging ein Teil der Legislative an die Par-
lamente über; bei diesen wurden Verordnungen proklamiert und ein-
getragen und an die Unterbehörden geschickt, um ihnen das Ansehen
von Gesetzen zu geben. So wurde das Gesetz, welches die Grofsjährigkeit
des Königs mit dem 15. Jahre festsetzt, nicht von den Reichsständen,
sondern vom Pariser Parlament publiziert1).
2. Es war für den König ein Glück, dafs er das Kriegswesen einem
so tüchtigen Manne überlassen konnte wie Bertrand du Guesclin,
einem bretonischen Ritter aus uraltem, allerdings verarmtem Geschlechte.
Du Guesclin wurde als der älteste von 10 Geschwistern um 1320 auf
La Motte Broon zwischen Rennes und Dinan geboren. Von schwärzlicher
Gesichtsfarbe, häfslich und unbeholfen, rang er sich anfänglich nur
mühsam durch. Die ersten Feldzüge machte er unter Karl von Blois.
Beim Regierungsantritt Johanns des Guten trat er in dessen Dienste, und
bald galt er nicht nur als der tapferste Ritter, sondern auch als geschickter
Organisator und tüchtiger Feldherr. Die Art der Kriegsführung war
*) Schlosser, Weltgesch. in zus. Erz. IV, 2, 198.
Bertrand du Guesclin. Die Tard-venus. 341
seit Eduards III. Kriegen eine andere geworden. In der Schlacht wurde
nicht mehr wie beim Turniere gekämpft, wo sich der Ritter nach
eigenem Gutdünken den ebenbürtigen Gegner heraussucht, auch geben
nicht mehr die Ritter den Ausschlag, sondern das Fufsvolk, unter dessen
Schutz geübte Bogenschützen in den Kampf eingreifen und der Ritter-
schaft vorarbeiten, die dann die Entscheidung herbeiführt. *) Statt der
Edelleute werden Mietstruppen verwendet, Söldnerkompagnien, die unter
der militärischen Zucht eines militärisch gebildeten Feldhauptmanns
stehen. Du Guesclin verstand es durch nächtliche Überfälle, über-
raschende Märsche, verstellte Flucht und andere Kriegslisten den Erfolg
an seine Fahnen zu fesseln.2) Den ersten gröfseren Kampf führte er
gegen Karl von Navarra, der, in der Hoffnung, mit Burgund belehnt zu
werden, getäuscht, den Krieg begonnen hatte und nun (1364, 16. Mai)
bei Cocherel besiegt wurde. Der berühmte Heerführer der navarresischen
Truppen, der Captal de Buch, wurde gefangen. Karl trat nun seinen Besitz
in der Normandie gegen die Herrschaft Montpellier ab. Du Guesclin
erhielt als Dank die Grafschaft Longueville. Allmählich kam auch
die Bretagne zur Ruhe. Hier kämpfte Du Guesclin im Auftrage Karls
von Blois gegen Jean Chandos, den berühmten englischen Feldherrn,
der Montforts Truppen befehligte. Bei Auray — im Departement
Morbihan — kam es zur Schlacht. Trotzdem die Ordnung der fran-
zösischen Massen eine so vorzügliche war, dafs sie dem feindlichen
Feldherrn die Aufserung entlockte, er habe nie ein besser geordnetes
Heer gesehen, erlitt Du Guesclin eine Niederlage und wurde selbst
gefangen (1364, 29. September). In Bretagne kam nun das Haus Montfort
zur Regierung.
2. Die Niederlage Guesclins hinderte den König nicht, ihn zum
Führer der grofsen Kompagnien zu ernennen, die er im Einverständnis
mit dem Papst nach Spanien sandte. War Frankreich schon seit Mau-
pertuis von Söldnerbanden überflutet3), so blieben trotz des Friedens
von Bretigny noch viele in einzelnen Provinzen zurück. Ende 1361
bildete sich in der Champagne die »grofse Kompagnie«. Sie zählte
15000 Mann. Eine Truppe, die der König wider sie aufgeboten hatte,
wurde vernichtet. Man hiefs sie Tard-venus — die Spätgekommenen,
was man wohl so gedeutet hat, dafs auch sie noch ihren Anteil an der
Beute haben wollten. Es gelang nun Karl V., sie nach Spanien abzu-
lenken, wo Engländer die Sache Pedros des Grausamen, Franzosen die
Heinrich Trastamaras verfochten (s. § 83). Guesclin selbst führte die
grofse Kompagnie nach Spanien und verhalf Trastamara zum Siege von
Montiel (1369). Indem Heinrich Kastilien gewann, verlor England eine
wichtige Stütze, die es bisher an diesem Lande besessen hatte. Im
a) Näheres bei Köhler H, 356.
2) H. Martin, Hist. de Fr. V, 243.
3) So wurden im Winter 1357 der Süden Frankreichs durch die Banden Regnaults
du Cervole, genannt der Erzpriester, weil er ein Benefizium zu Vergnes besafs, die
Mitte durch die Banden des Wallisers Rufin und die Normandie durch die Robert
Knolles heimgesucht.
342 Siegreicher Fortgang des engl. Krieges. Der Waffenstillstannd v. Brügge.
übrigen stand ein neuer Krieg zwischen Frankreich und England bevor.
Der schwarze Prinz, ein besserer Feldherr als Staatsmann, führte in
Aquitanien eine so drückende Herrschaft, dafs sich Herren, Klerus und
Städte schon 1369 an Karl V. um Hilfe wandten. Zwar hatte der
französische König im Frieden von Bretigny auf die Oberherrlichkeit
über Aquitanien verzichtet, nun erklärte er aber den Vertrag für ungültig,
da dessen Bedingungen nicht eingehalten worden seien. Er lud den
schwarzen Prinzen vor den Lehenshof; dieser erklärte, er werde kommen,
aber mit 60000 Mann. Karl V. ging mit kluger Voraussicht zu "Werke.
Indem er seinen jüngsten Bruder Philipp von Burgund mit der Erb-
tochter Ludwigs von Flandern vermählte, begründete er die Gröfse
Burgunds. Dann berief er die Reichsstände nach Paris (1369. 9. Mai;.
Stände und Königtum gingen hier Hand in Hand. Für England lagen
die Dinge höchst ungünstig. Eduard III. war alt und schwach, der
schwarze Prinz siechte an unheilbarem Leiden dahin, die Bevölkerung
im südlichen Frankreich ersehnte ihre Vereinigung mit Frankreich, und
der verbündeten kastiliseh-französischen Flotte war die englische nicht
gewachsen. Wohl bewilligte das englische Parlament die notwendigen
Mittel, der Krieg nahm aber eine den Engländern ungünstige Wendung.
Als ihr Führer Chandos gefallen war. Du Guesclin aus Spanien heim-
kehrte und Erfolg auf Erfolg errang, der schwarze Prinz sich endlich
nach England zurückzog, war Frankreichs Übergewicht in Guienne ent-
schieden. Die kastilische Flotte errang 1372 bei La Pochelle einen
Sieg über die englische, und England verlor allmählich seinen Besitz in
Frankreich bis auf Calais. Bordeaux. Bayonne und einige feste Punkte.
Im Jahre 1374 wurde unter der Vermittlung des Papstes der Waffen-
stillstand von Brügge geschlossen. Ein Jahr nach dessen Ablauf starb
der schwarze Prinz, und 1377 folgte ihm der alte König Eduard III. im
Tode nach (s. § 82). Diese günstige Lage nützte Karl V. aus. um alles
französische Land, das sich noch in englischem Besitze befand, zurück-
zugewinnen. Aber diese Absichten erfüllten sich nicht, denn sowohl
Calais als Bordeaux blieben in den Händen der Engländer, und ebenso
schlug ein Versuch, die Bretagne zu gewinnen, fehl. Ehe der Kampf
noch geendet, starb Karl V. am 16. September 1380. Der Krieg mit
England endete vorläufig ohne Friedensschlufs. In beiden Reichen
brachen schwere innere Kämpfe aus und die auswärtigen Verhältnisse
wurden darüber weniger beachtet.
§ 82. Die Weiterbildung der englischen Verfassung.
1. Wie sein Grofsvater besafs auch Eduard III. starke, selbstherrliche
Neigungen, die durch seine kriegerische Veranlagung und seine militärischen
Erfolge noch gekräftigt wurden: aber auch ihn zwang die durch die
unaufhörlichen Kriege hervorgerufene Geldnot, den Ständen gröfsere
Zugeständnisse zu machen, als sich mit seinem stolzen Wesen vertrug.
Bis dahin hatten Geistlichkeit, Barone , Pitter und Städte gesondert
beraten; aus Motiven, die in ihrem letzten Grunde nicht deutlich zu-
Die Gemeinen. Macht des Parlaments. Formen der pari. Beratung. 343
tage liegen, schlössen sich allmählich die Ritter aufs engste an die Ver-
treter der Städte an und bildeten vereint mit diesen eine einzige Gruppe,
die Gemeinen, und ein einziges Haus, das Unterhaus, wogegen
sich die Vertreter der Geistlichkeit und die Lords im Oberhause ver-
sammelten. Zu den geistlichen Lords gehören Erzbischöfe, Bischöfe und
einzelne Abte, zu den weltlichen die Besitzer der grofsen Kronlehen, die
vom König zum Parlament berufen wurden. Aus dieser Berufung ent-
sprang die Befugnis des Königs, Pairs zu ernennen 1). Die Rechte der
weltlichen Lords gingen auf ihre Erben über. Bei rein geistlichen An-
gelegenheiten traten die Prälaten zu eigenen Beratungen zusammen und
so auch die Lords, wenn sie über Standesangehörige zu Gericht safsen
oder Beschwerden von den Gemeinen an sie gelangten. Die letzteren
erhielten für ihre Tätigkeit Taggelder, die nicht aus der Staatskasse,
sondern von jenen Verbänden gezahlt wurden, von denen sie zum
Parlament entsandt wurden. 2) Da bei der stetigen Geldnot der Krone
die alljährliche Berufung des Parlaments notwendig würde, stieg dessen
politischer Einrlufs immer höher. Es ist kein Zweig der gesamten Staats-
verwaltung, der nicht von der parlamentarischen Tätigkeit berührt worden
wäre : das Parlament fungiert als oberstes Reichsgericht , als steuer-
bewilligende, gesetzgebende, die gesamte Verwaltung des Staates kontrol-
lierende Versammlung. Wenn auch der König noch das Recht hat,
Ordonnanzen zu erlassen, so dürfen diese doch nicht mit den Freiheits-
briefen in Widerspruch stehen, auch besitzen sie nicht das Gewicht,
wie die mit dem Parlament getroffenen Vereinbarungen (Statuten). Arn
nachdrücklichsten tritt die Tätigkeit des Parlaments unter Eduard III.
in den auswärtigen Angelegenheiten und im Kriege hervor; aber auch
sonst steigerte sich seine Machtfülle von Jahr zu Jahr. Schon besteht
es darauf, dafs rechtsgültige Statuten nur von ihm ausgehen dürfen.
Von mafsgebender Bedeutung war seine Stellungnahme in den kirchen-
politischen Fragen der Zeit.
2. Bei der tatkräftigen Unterstützung, welche die französische Krone
auch in politischen Fragen von der Kurie erhielt, konnte es in England
an Zusammenstöfsen zwischen Staats- und Kirchengewalt nicht fehlen.
Da die Geldsendungen Englands an die Kurie einer unmittelbaren oder
mittelbaren Unterstützung des französischen Erbfeindes gleichkamen,
wurden jene Leistungen, zu denen England verpflichtet war, wie der
Lehenszins, entweder überhaupt nicht oder doch nur höchst ungern
vollzogen und gegen andere, welche die Kurie unter verschiedenartigen
Titeln von der englischen Kirche erhob, ein Widerspruch laut, in den
nicht selten der englische Klerus selbst mit einstimmte. Wohl machte
die Kurie wiederholt den Versuch, diesen Übelständen durch Herbei-
führung eines dauerhaften Friedens zwischen England und Frankreich
ein Ende zu machen, aber die päpstliche Vermittlung führte doch meist
nur zu Waffenstillständen auf kurze Frist und selbst der Friede von
1) Winkelmann, Verf. -Gesch. S. 772.
2) Ebenda. Die Ritter erhielten 4, die Städtevertreter 2 sh.
344 Die Kirchenpolitik Englands unter Eduard III.
Bretigny hatte keiDen langen Bestand. So war fast die ganze Regierungszeit
Eduards III. mit schweren kirchenpolitischen Kämpfen angefüllt. Wenn
das Königtum anders als in Deutschland daraus als Sieger hervorging,
dankte es dies dem kraftvollen Eintreten des Parlaments, das selbst die
durch Verträge begründeten Ansprüche der Kurie anfocht. — Der Streit
zwischen der Staats- und Kirchengewalt kam zum Ausbruch, als Klemens VI.
zwei neu ernannten Kardinälen, von denen der eine sein Nepot war,
Einkünfte in der Höhe von 2000 Mark auf die Erzbistümer York und
Canterbury anwies. Das Parlament sandte (1343, 18. März) ein Schreiben
voll von Klagen an den Papst, dafs infolge der verschiedenartigen
Reservationen, Provisionen und Kollationen englische Pfründen nicht
nur an Fremdlinge, sondern selbst an Landesfeinde kämen. Die Schäden
dieses Gebahrens werden scharf betont: das Seelenheil der Gläubigen
laufe Gefahr, die Kirchen verfallen, die Armenpflege höre auf, und die
Frömmigkeit des Volkes werde verringert. Die Geschäftsträger, welche
die Kardinäle nach England sandten, um ihre Einkünfte einheben zu
lassen, wurden in den Kerker geworfen und sodann aus dem Lande
gewiesen. Das Statut Act of Provision (1344) bestimmte : Wer Bullen,
Prozesse u. dgl. von der Kurie nach England bringt, wird mit beständiger
Kerkerhaft oder Landesverweisung bestraft; alle Provisionen werden bei
Verlust der Pfründen verboten und das Recht des Königs auf die
Besetzung der Bistümer betont. Ein anderes Statut » Praemunire«. ver-
bietet Appellationen von einem königlichen Gerichtshof an die Kurie,
ja im Jahre 1354 drohten die Lords, die von ihren Vorfahren gewidmeten
Stiftungen einzuziehen, falls sie wie bisher durch Provision verliehen
würden. Allen Mahnungen des Papstes zum Trotz blieben die Beschlüsse
von 1344 in Kraft und wurden derart durchgeführt, dafs Prälaten, die
ihre Würden durch Provision erlangt hatten, nicht in den Besitz ihrer
Temporalien kamen. Die Opposition gegen die Machtansprüche des
Papsttums war äufserst scharf und hat zum Teil Berührungspunkte mit
der unter Ludwig dem Bayer, deren letzter Vertreter Occam erst in
diesen Jahren starb. Im übrigen war das Verhalten des englischen
Königs den Päpsten gegenüber kein gleichmäfsiges. Eine leichtere Auf-
gabe als Klemens VI. hatte sein Nachfolger Innozenz VI., von dem man
die Hoffnung hegte, er würde seine Vermittlerrolle nicht einseitig zu-
gunsten Frankreichs durchführen. Als Urban V. den König an seine
Lehenspflicht mahnte (1365, 6. Juni) und den seit 33 Jahren nicht mehr
gezahlten Lehenszins eintreiben wollte1), erklärte das Parlament, weder
König Johann noch irgend ein anderer habe das Recht gehabt, das
Reich ohne Zustimmung der Nation einer fremden Macht zu unter-
werfen. Sollte der Papst seine Forderung mit Gewalt durchsetzen wollen,
so würden ihm die Stände Widerstand leisten. Die Ansprüche des Papst-
tums und des englischen Königtums standen während der ganzen
*) Man pflegte bisher damit das erste Auftreten Wiclifs als Eeformator in Zu-
sammenhang zu bringen. Wie wenig dies der Fall ist, s. in meinen Studien zur eng-
lischen Kirchenpolitik und in meinem Aufsatz : The beginnings of "Wiclifs activity in
ecclesiastical politics. Engl. Hist. Key. 1896, April.
Opposition gegen die Ansprüche der Kurie. 345
Regierung Eduards III. in einem schneidenden Widerspruch : Verlangte
der Papst als Oberlehensherr das Verfügungsrecht über das englische
Kirchengut, sollte die Geistlichkeit von der Gerichtsbarkeit des Königs
eximiert sein, so behauptete dagegen die weltliche Gewalt ihr Recht,
das Kirchengut einzuziehen, falls die Geistlichkeit den Befehlen des
Königs trotze, sie betont auch dem Klerus gegenüber ihre oberste
richterliche Gewalt und ihren legitimen Einflufs auf die kirchlichen
Wahlen und ihr Recht auf Verleihung der Temporalien. Unter solchen
Umständen mufsten die gegenseitigen Beziehungen stets gespannte bleiben.
Der Streit wurde zeitweise beiseite gestellt, aber immer wieder mit
grofsem Eifer aufgenommen, namentlich dann, wenn wie beim Wieder-
ausbruch des französischen Krieges das Papsttum in den Verdacht kam,
dem französischen Königtum als Stütze zu dienen. Wortführer der
englischen Opposition gegen die Machtansprüche der Kurie wurde in
den letzten Lebensjahren Eduards III. Johannes aus Wyclif, dessen
Wirksamkeit aber erst seit dem Ausbruch des Schismas (1378) eine
wahrhaft reformatrische wird.
5. Kapitel.
Der englisch -französische Erbkrieg und die Staaten der
Pyrenäischen Halbinsel.
S 83. Kastilien und der englisch-französische Thronstreit.
Quellen. S. § 12. Dort die allg. Werke. Desgl. die Urkunden. Dazu:
Coleccion de doc. ined. public, por Joaquin Casafi y Alegre (Pactos, tractados y
avenencias que mediaron entre los reyes de Aragon, Navarra y el bastardo Enrique
de Trastamara). Madr. 1894. Daumet, Innocent VI et Blanche de Bourbon. Lettres
du pape p. d'apres les reg. du Vatican. Paris 1899. Geschichtschreiber bis
zum Ausgang d. MA. Kastilien. Emanuel Cerratensis, Chronicon Hispaniae bis
1282, bei Florez, Esp. sagr. II, 205. Crönica general de Espafia (verf. auf Anregung
Alfons' X. des Weisen, nicht von ihm selbst. D. Auszug : La estoria de los infantes
de Lara, herausg. v. Holland 1860 enthält Sage. Die andern Ausg. s. bei Potthast I, 233.
Sonst s. R. Beer, Span. Lit. Gesch., S. 107 u. 119. — Chronique des rois de
Castille (1248—1305), Fortsetz. v. Rod. v. Toledo s. § 12, ed. BECh. LIX, 325—378.
Chronica del inuy esclarecido principe y rey D. Alfonso 1252 — 1312 ; früher Fernan
Sanchez de Tovar zugeschrieben. Vall. 1554 ; s. Potthast I, 229. Castigos e documentos
del rey Don Sancho, ed. Gayangos, Escrit. ant. al s. XV, 79 ; s. hierüber Beer S. 115.
Baist in Gröbers Grundrifs II, 2, 415. Crönica del . . . Rey Fernando (el IV.). Vall. 1554.
S. dazu Potth. I, 230. Crönica del . . . rey Don Alonso el onceno 1312—1350. Col.
de las cronicas y memorias VII. Madr. 1787. (Über die historiogr. Tätigkeit unter
Alfonso XI s. Beer S. 124.) Das Poema de Alfonso XL (Madr. 1863) schildert die Schlacht
am Salado. Johannes Emanuel, Chron. Hispan. 1274 — 1329. Florez, Esp. sagrada II, 209.
(Über Juan Manuel s. Baist S. 418.) Pedro Lopez de Ayala (s. Beer S. 138—140):
Crönica del rey D. Pedro, reicht aber bis 1396, bis ins 6. Regierungsjahr Heinrichs III.
(Der richtigere Titel : Cronicas de los reyes de Castilla D. Pedro, D. Enrique H,
D. Juan I, D. Enrique HI.) Ed. Col. de las cronicas I, IL S. Schirrmacher, Gesch.
Span. V, Beil. H. Klein, Gesch. d. Dramas VIII, 678. Baist, S. 435. Alvar Garcia,
Crönica d. D. Juan II de Castilla 1420—1434. Col. de doc. ined. XCIX ; fortges. von
unbekannter Hand (1429 — 1435) u. überarbeitet von Perez de Guzman bis 1454, ergänzt
von Valera u. Carvajal, s. Baist, 436. Die Angaben bei Potth. sind unrichtig. Pörez
346 Die pyren. Staaten und der englisch-sp. Thronstreit.
de Guznian, De las generaciones y semblanzas ö obras de los excelentes reyes de
Espana D. Enrique HI e D. Juan IL Biblioth. IL, 697 — 719 . . Alphonsus a Carthagena,
Rer. Hisp. anacephalaeosis, Schott, Hisp. illustr. I, 246 = Bei. SS. rer. Hispan. LI, 611.
Diego Enriquez del Castillo, Crönica 1454 — 74. Col. de las crönicas VII. Alonso de
Palencia, Crönica 1454 — 1474. Als Ganzes noch ungedruckt. Die von Holland
(Tübingen 1850) mitgeteilten Bruchstücke sind ein geringwertiger Auszug der lat.
Dekaden, s. Baist 436. Rodericus Sancii Hist. Hispan. bis 1469. Bei. I, 290. Andreas
Bernaldez, Crönica del rey D. Fernando y Ysabel 1488 — 1513. Xoch ungedruckt, aber
schon von Prescott ausgenützt. S. Ticknor 156. Pulgar, Crönica de los reyes D. Fer-
nando y Dona Ysabel bis 1490. Vallad. 1565. Valera (s. oben), Crönica de Espana.
Sevilla 1567. Einzelne Ereignisse. Crönica de D. Alvaro de Luna, Paso honroso
(Weg der Ehre, Erzählung des Kampfes an der Brücke von Orbigo bei Leon 1434)
u. Seguro de Tordesülas (Burgfriede v. T.) in Col. de las cron. V. Diaz Gamez
Gutierre, Crönica de don Petro Niuo (1375 — 1436 , ib. LH, s. Wolf in d. Wien. Jb. LIX.
Crönica del Gran Capitan D. Gonzalvo del Cördoba v. Pulgar, ed. Martinez de la Rosa
1834. Alvaro Gomez, De rebus gestis a Fr. Ximeneo Hisp. ill. I, 927. Carlos de
Viana, Crönica de los reyes de Xavarra, reicht bis 1450, ed. Pampel. 1843. Peter
Martyr, Opus Epp. Amst. 1620. Ergänzungen s. in Gröbers Grundr. H, 2, 436 — 37.
Aragonien. Zu Jayme I b. noch §12. Desclot Bernat, Croniques ö conquestes
de Catalunya. In katal. Sprache. Schliefst mit 1285 ab. L nter dem Titel : Chronique
de Pierre LH bei Buchon, Chroniques etrangeres. Paris 1840. Chronik v. Ramon
Muntaner s. oben § 46. Dort auch die Quellen für den Kampf um Sizilien (als Kunst-
werk u. als hist. Quelle vom gröfsten Wert für die aragon. Gesch. im 1. Vieitel des
14. Jahrh. Gröbers Grundr. H, 2, 120). Crönica del Rey de Aragon Don Pedro IV el
Ceremonioso von Bernat Dezcoll, ed. Bare. 1885 (s. Pages in Romania XYLTI). La fi
del comte Urgel, crönica del segle XV. Bibl. de la Revista catalana. Anelier, Guerra
civil de Pamplona seu Histoire de la guerre de Xavarre en 1276 — 77. Coli, de doc. ined,
Paris 1856. (Augenzeuge, s. Stimming in Gröbers Gr. H, 2, 39.) Libre dels feyts de
Cathalunya von Mossen Bernat Boades. Bibl. Catal. V. — Mossen Pere Tomich, Petit
memorial de algunes histories e fets antichs (Gesch. d. Könige von Aragon bis Alfons V.)
Biblioth. Cat. V. Bracelli, De bello Hispano in Graevii Thes. ant. Ital. I. Panormita,
De dictis et factis Alfonsi libri IV, ed. Chyträus. Rostock 1590. Miquel Carbonell,
Chroniques de Espanya bis zum Tode Juans H. Bare. 1546. Marinaeus, De rebus Hisp.
memorabilibus libri XXII. Bei. IL Xebrisa reete Pulgar), Decades duae Hisp. rer. a Ferd.
rege et Isabella reg. gestarum Hisp. illustr. I, 786. M, Ritius, De regib. Hisp. libri tres,
ib. 664 — 75. Lorenzo de Carvajal, Annal. del rey Fernando. Col. de doc. ined. XVIH.
Gonzalo Fernandez de Oviedo, Las Quincuagenas de los reyes, s. Maurenbrecher, Stud.
u. Skizzen 58. Zurita, Hist. del rey Hernando el Catholico 1579. Zurita, Annales
de la Corona de Aragon 1610 (s. auch Gröbers Grundrifs 117). Einzelnes: Proceso
contra el rey de Mallorca Coli, de doc. ined. de Aragon. XXIX. Alvaro Campanes y
Fuertes, Chron. Mayoric. Palma 1892. Cyrnaeus, De rebus Corsicis. Murat. XJXIV.
Portugal s. § 12 u. Gröbers GrundriTs 210 ff., 242 ff. Dazu: Vida de S. Isabel. AA.
SS. 4. Juli. Ruy de Pina : Chronica do . . . Diniz, ed. Ferreyra. Lisb. 1729 ... de
Affonso IV. Lisb. 1653. Fernam Lopes, Chronica do Senhor D. Pedro I oitavo rey
de Port. Colleccaö de livros ined. de hist. Port. IV. 1816. Chronica do Fernando
nono rey de Portugal, ibid. Crönicas del rey D. Joham de gloriosa mem. o I deste
nome e as dos reys D. Duarte e D. Affonso o V (ergänzt von Joäo de Zurara). Lisb.
1743. Ruy de Pina, Chronica do senhor rey D. Duarte, ib. I. (Über Duarte als Schrift-
steller s. Gröber, Grundrifs H, 2, 243.) — Crönica do senhor Affonso V. Coli, de liv.
ined. I. Matthaeus de Pisano, Gesta Johannis de bello Septensi seu Livro da guerra
de Ceuta, ib. I, 7 — 57. Ruy de Pina, Chronica d'Elrei D. Joäo II (s. Azurara). Coli,
de lib. ined. H. Azurara, Chronica do descobrimento e conquista de Guine (Gesch.
d. Entdeckungsfahrten Heinrichs d. Seefahrers bis 1448), ed. Paris 1841. Chronica do
conde D. Duarte de Menezes. Coli, de liv. ined. HI. Chronica do conde Dom Pedro
de Menezes, ib. H, 205 — 635. Alvares, Chronica dos feitos, vida e morte do infante
santo Ferdinando que morreo em Fez, ed. Lisb. 1527 (s. Act. SS. 5. Juni. [Olfers]), Leben
des standhaften Prinzen. Berl. 1887.) Über die Schriften Heinrichs d. S. s. Gröber 248
Alfons X. von Kastilien. 347
Coronica do Condestabre de Portug. Nuno Alvares Pereyra 1362 — 1432. Lisb. 1848.
Cronicas dos Reis de Portugal por Christoval Rodr. Acenheiro in Coli. d. doc. ined. V,
136, s. dazu Herculano, Lendas e narratives, p. 73. Granada. Makkari : Annal. sur
l'hist. des Arabes d'Espagne par al Makkari p. p. R. Dozy, Dugat, Krehl et Wright.
Leyde 1855 — 61. Im Auszuge v. Gayangos. London 1840, s. Wüstenfeld, D. Geschicht-
schreiber der Araber 559. Ibn-el-Chatib, Geschichte d. Khalifen im Orient, Spanien
u. Afrika. Casiri II, 177 ; Gesch. d. Fürsten v. Granada bis 1364. Ebenda 246 ff.
Complexus de hist. Gran. Casiri II, 71. — Briefe u. Nachrichten, Wüstenfeld 439.
Ibn Chaldoun, Exempla proposita etc. Wüstenfeld 456. Chronique des Almohades et
des Hafcides attrib. ä Zerkechi. Trad. franc. par Fagnan. Paris 1895 (reicht von 1098
bis 1436).
Hilfsschriften. Die allgem. Werke zur Gesch. Kastiliens, Aragoniens, Portu-
gals u. Granadas s. §12. Dazu: J. Catalina Garcia, Castilla y Leon durante los
reinados de Pedro I, Enrique II, Juan I y Henrique III, t. 1—3. Mad. 1891 — 1901.
Baudon deMony, Relations politiques des comtes de Foix avec la Catalogne.
Paris 1896. Daumet, liltude sur l'alliance de la France et de la Castille aux XI Vme — XVrae
siecles. Paris 1898 (wichtig wegen der darin mitget. Urkk.). Mercier, Hist. de
l'Afrique septentrionale. Paris 1888. Lippi, Archivio communale di Cagliari. 1897
(mit Dokumenten zur Gesch. d. Insel zur Zeit der Eroberung durch Jayme IL). Zur
Literat, s. das Verzeichnis in R. Beer S. 141 ff. Einzelheiten: H. v. Zeifsberg,
Elisabeth v. Aragonien. Wiener Sitzungsber. CXXXVII, s. auch CXL (Briefe Jakobs IL
an Friedrich d. Seh.). Merimee, Hist. de Don Pedro. Paris 1848. Salazar, Casa
de Lara III. Moucheron, S. Elisabeth d'Aragon, reine de Portugal. Paris 1896.
1. Bei den grofsen Erfolgen des Kreuzes über den Halbmond in
Spanien im Zeitalter Innozenz' III. schien der gänzliche Fall von
Granada nur eine Frage der nächsten Zeit zu sein: gleichwohl hinderte
der Zwiespalt und die gegenseitige Eifersucht der christlichen Staaten
diese Entwicklung. In Kastilien war auf Ferdinand III. (s. § 12) sein
Sohn Alfons X. (1252 — 1284) gefolgt — eine der bedeutendsten Per-
sönlichkeiten seiner Zeit. Hat ihm auch die Nachwelt den Beinamen
»des Weisen« gegeben, so sprechen doch seine Erfolge in der Politik
wenig dafür ; eher könnte er wegen seiner Neigungen für Wissenschaften
und Künste »der Gelehrte« genannt werden. Ihm dankt Salamanca
seinen hohen Ruf; die astronomischen Anstalten, die dort nach dem
Muster der berühmtesten Observatorien des Orients angelegt wurden, und das
grofse astronomische, nach seinem Namen benannte Tafelwerk kosteten be-
deutende Summen. Nicht weniger war er auch um die historischen Studien
bemüht ; unter den abendländischen Fürsten war er der erste, der öffentliche
Verhandlungen, Dokumente und Gesetze nicht mehr in Latein, sondern in
der Muttersprache abfassen und selbst die Bibel ins Kastilische übersetzen
liefs. In dem Codigo de las siete partidas wurde ein einheitliches Gesetz-
buch geschaffen, bestimmt, die Sonderrechte und Gerichtsgebräuche zu
beseitigen. Nur drei Städte Kastiliens behielten ihre besonderen Fueros.
Für die Regierungsgeschäfte besafs Alfons X. geringe Begabung. Nicht
selten traten während seiner Regierung anarchische Zustände ein und
doch trieb ihn sein Ehrgeiz an, nach dem Besitz des Kaisertums zu
streben. Für die Durchführung dieser Pläne , den Aufwand für seine
gelehrten Anstalten und seine anspruchsvolle Hofhaltung reichten die
Einnahmen des Staates nicht hin, und die Verschlechterung der Münze,
die er ins Werk setzte, hatte eine schwere Schädigung des Handels und
Gewerbes zur Folge. Wegen der Ausdehnung seines Reiches nach
348 Alfons X. und das Kaisertum. Sancho TV. und Fernando IV.
Süden war er mit Portugal in Streit geraten; er legte ihn bei, indem
er Alfons III. seine Tochter Beatrix zur Gattin und Algarve als Lehen
gab; auch im Streit mit England und Navarra um den Besitz der
Gascogne und Navarras war er zur Nachgiebigkeit gezwungen, und seine
Absichten auf die Ausdehnung des kastilischen Einflusses in Afrika gab
er angesichts des Widerstrebens der Aragonesen auf. Als Sprosse des
Stauferhauses von einer Partei auf den deutschen Thron berufen, brachte
er dem Phantom der Kaiserherrschaft grofse Opfer und geriet hierüber
mit seinem Bruder Heinrich in Streit, da er die Regentschaft für die
Zeit seiner Abwesenheit aus Kastilien nicht diesem, sondern seiner Gattin
zugedacht hatte. Heinrich wurde zwar besiegt, spielte aber nebst seinem
Bruder Friedrich noch in den Kämpfen Konradins (s. oben) eine Rolle.
Während er sich (1275), um seine Absichten auf das Kaisertum durch-
zusetzen, zu einer Unterredung mit Gregor X. nach Beaucaire begab,
führte sein älterer Sohn Fernando de la Cerda, der mit Blanka,
einer Tochter Ludwigs IX., vermählt war, die Regentschaft. Eben damals
war der Beherrscher von Granada im Bunde mit Marokko, dem als Preis
für seine Hilfe Algesiras und Tarifa abgetreten wurden, in Kastilien
eingebrochen. Während des Feldzuges erkrankte Fernando und starb
mit Hinterlassung zweier Söhne Alfonso und Fernando. Nach den neuen,
aber noch nicht publizierten Gesetzen waren diese erbberechtigt, dagegen
standen sie nach altem kastilischen Erbrecht vor ihrem Oheim zurück,
und demgemäfs erkannten die Stände den zweiten Sohn des Königs,
Sancho, als Erben Kastiliens an. Die Witwe Fernandos protestierte
dagegen und wandte sich an Frankreich um Schutz. Darüber kam es
zu einem Kriege, dessen Ausgang Alfons X. nicht mehr erlebte. Mit seinem
eigenen Sohne zerfallen, starb er am 4. April 1284.
2. Sancho IV. (1284 — 1295) hatte gegen die Ansprüche seiner von
Frankreich und Aragonien unterstützten Neffen, der Infanten de la
Cerda, gegen die seines Bruders Juan, der den ihm einst von seinem
Vater zugeheifsenen Besitz von Sevilla begehrte, endlich gegen die Über-
macht der Häuser Haro und Lara einen schweren Stand. Kastilien
war mehrere Jahre hindurch der Schauplatz wüster Parteikämpfe, in die
sich die Mauren von Granada und Marokko einmischten. Auch bot die
Nachfolge seines Sohnes Fernando, der aus seiner von der Kirche nicht
anerkannten Ehe mit einer Verwandten Maria de Molina stammte, grofse
Schwierigkeiten. In der Tat erhoben sich gegen Maria, die für ihren
unmündigen Sohn Fernando IV. (1295 — 1312) die Regierung führte,
von allen Seiten Gegner: so der Infant Juan, der die Rechtmäfsigkeit
Fernandos bestritt, die Infanten de la Cerda, König Diniz von Portugal, der
die Mitgift seiner kastilischen Mutter Beatrix begehrte, Aragonien, ja selbst
der Infant Henrique, der als ältester männlicher Agnat die Regentschaft
forderte. Donna Maria behauptete sich mit Hilfe der Bürgerschaften,
denen sie durch Aufhebung drückender Lasten entgegenkam. In Kastilien
Leon, Galicien, Andalusien und Murcia gründeten die Städte Hermandades,
Brüderschaften, um die Rechte der Krone zu schützen. Durch eine
Doppelheirat ihrer Kinder mit denen Diniz' von Portugal gewann sie
Alfonso XI. Der Sieg am Salado. Pedro der Grausame. 349
dessen Hilfe und setzte auch bei der Kurie die Legitimierung ihres
Sohnes durch. Endlich wurde auch mit den Infanten de la Gerda ein
Abkommen getroffen. In Gemeinschaft mit Aragonien begann Fernando
den Kampf gegen Granada, starb aber, ehe er noch beendet war. Über
die Vormundschaft für seinen Sohn Alfonso XI. (1312 — 1350) wurden
langwierige Kämpfe geführt und nach deren Beendigung der Krieg
gegen Granada in Angriff genommen (1316); die Infanten Pedro und
Juan, die die" Regentschaft führten, verloren (1319) am Xenil Schlacht
und Leben. Als Alfonso grofsjährig geworden, zog er die Zügel der
Regierung straffer an und brachte verschleudertes Gut an die Krone zurück.
Doch hinderten Streitigkeiten mit den Infanten Manuel, Juan und den
Cerdas die ruhige Entwicklung des Landes um so mehr, als sich auch die
benachbarten Mächte einmischten. 1330 kam es zum Frieden, als
Kastilien, Aragonien und Portugal sich zum Kampfe gegen die Mauren
zusammenfanden. Der Krieg wurde, allerdings mit langen Unterbrechungen,
bis an das Ende der Regierung Alfons' XL geführt. Die inneren Zustände
Kastiliens litten vornehmlich unter den Wirren, die durch das Verhältnis
des Königs zu seiner Geliebten Leonore von Guzman hervorgerufen wurden
und die der Adel ausnützte, um seine Macht zu mehren. Erst 1337 er-
folgte die Herstellung geordneterer Verhältnisse. Und nun konnte auch
der Kampf gegen die Mauren erfolgreicher aufgenommen werden. Am
30. Oktober 1340 erlitten sie am Flüfschen Salado bei Algesir as eine
gänzliche Niederlage. Der Sieg konnte indes aus Mangel an Mitteln nicht
ausgenützt werden, und so zog sich der Kampf, für den die Mauren ansehnliche
Opfer brachten, in die Länge. Dies bewog auch die Stände von Burgos, eine
starke Steuer — Alcavala — , ein Zwanzigstel von jedem Verkauf — zu be-
willigen, die, zuerst nur für Burgos und nur für die D au er des Krieges bestimmt,
seit 1349 auf das ganze Reich ausgedehnt wurde. Schliefslich fiel Algesiras
in die Hände der Kastilier, und die Mauren sahen sich zum Abschlufs eines
zehnjährigen Waffenstillstandes gezwungen. Der sehnlichste Wunsch
des Königs war die Eroberung von Gibraltar. Unruhen, die in Marokko
ausgebrochen waren, boten ihm Anlafs zur Einmischung. Mit Hilfe der
Aragonesen schritt er zur Belagerung der Stadt, die bald in solche Not
kam, dafs ihr Fall unmittelbar zu erwarten war. Da brach im Heere
der Belagerer eine Pest aus, der auch der König zum Opfer fiel (1350).
3. Alfonso hinterliefs aus rechtmäfsiger Ehe Pedro den Grau-
samen (1350 — 1369), aus der Verbindung mit Leonore de Guzman sieben
Söhne, unter ihnen als ältesten Heinrich Grafen von Trastamara. Diese alle
samt Leonore hatten die Rache der so lange zurückgesetzten Königin- Witwe
und ihres Günstlings Albuquerque zu gewärtigen. In der Tat wurde Leonore
als Gefangene nach Sevilla geführt und ihre ältesten Söhne Heinrich und
Friedrich verhaftet. Eine schwere Krankheit, in die Pedro verfiel, rief die
Hoffnungen der Kronprätendenten Fernando von Aragon und Juan Nurlez
de Lara wach. Zunächst fiel Leonore dem Hasse ihrer Feinde zum Opfer (1351).
War Pedro an diesem Morde unbeteiligt, so trat der grausame Zug seines
Charakters hervor, als er Garci Laso und drei andere Bürger von Burgos
wegen ihrer Sympathien für das Haus Lara in der Verteidigung der
350 Die Politik Pedros. Blanka v. Bourbon u. Maria de Padilla.
alten Rechte von Burgos töten liefs. Trastamara entkam nach Asturien.
Den in Valladolid versammelten Cortes bestätigte Pedro zwar (1351) die
alten Freiheiten, nahm aber abhanden gekommene Kronrechte zurück
und bemühte sich, die Macht des Königtums auf Kosten des Adels und
der Bürger zu mehren. Um eine Stütze an Frankreich zu gewinnen,
verlobte ihn Albuquerque mit Blanka von Bourbon. Blanka hielt als
Braut ihren Einzug in Valladolid (1353), aber Pedro weigerte sich, die
Ehe einzugehen. Er hatte vor der Verlobung ein Edelfräulein Maria
de Padilla kennen gelernt und Beziehungen zu ihr angeknüpft. Wie-
wohl er sich auf Zureden Albuquerques und Mahnungen des Papstes
mit Blanka vermählte, liefs er von Maria nicht nur nicht ab, sondern
vermählte sich heimlich mit ihr. Aus Hafs gegen den ihm unbequem
gewordenen Albuquerque und auf Zureden seines Oheims Alfonso von
Portugal hatte er sich kurz zuvor mit seinen Halbbrüdern ausgesöhnt.
Nach dem Sturze Albuquerques und seiner Anhänger fielen die wichtigsten
Amter den Verwandten Marias zu. Pedro war im Begriff, den
Kampf mit den Berbern aufzunehmen, als sich des Königs Halbbrüder
Heinrich und Friedrich mit Albuquerque zur Absetzung Pedros und
Erhebung des portugiesischen Kronprinzen auf den Thron Kastiliens
verbanden. Eben hatte Maria de Padilla den Entschlufs gefafst, sich in
ein Kloster zurückzuziehen, als Pedro von einer heftigen Leidenschaft
zu Johanna de Castro, der Witwe Diegos von Haro und Schwester der unglück-
lichen Inez de Castro (§ 85) erfafst wurde. Zwei Bischöfe fanden sich,
die des Königs Ehe mit Blanka für ungültig erklärten, aber schon am
Tage, nachdem er sich mit Johanna vermählt hatte, kehrte er auf die
Kunde von der Verschwörung, an der sich auch das Haus Castro be--
teiligte, zu Maria zurück. Dies Vorgehen rief seine Gegner unter die
Waffen. Blanka hatte sich unter den Schutz der Bürger von Toledo
gestellt. Da Verhandlungen zwischen Pedro und seinen Gegnern zu
keinem Ziele führten, wurde er in Toro eingeschlossen und zum Ein-
lenken gezwungen. Dies war aber nur ein scheinbares, denn schon nach
Jahresfrist (1355) war er wieder Herr der Lage. Das schlechte Regiment
seiner Gegner führte die kommunalen Gewalten in sein Lager. Blanka
wurde in Toledo gefangen genommen, Trastamara entwich nach Frank-
reich und die Königin-Mutter nach Portugal, wo sie nicht lange nachher
starb. Des Königs Halbbrüder Friedrich und Tello wurden begnadigt.
Aragoniens zweideutiges Verhalten während des Bürgerkrieges hatten
Pedro verletzt ; da nun ein aragonesischer Flottenführer zwei genuesische
Schiffe im Hafen von Cadix wegnahm und die geforderte Genugtuung
verweigerte, kam es zu einem Kriege, der mit mehrfacher Unterbrechung
und wechselndem Glück fünf Jahre hindurch (1356 — 1361) geführt wurde.
Pedro unterstützte hiebei die Ansprüche des aragonesischen Prinzen
Fernando gegen dessen Stiefbruder Pedro IV., wogegen dieser die Hilfe
Trastamaras und anderer kastilischer Grofsen gewann. Pedro bewies
während dieser Kämpfe eine Grausamkeit, der er zumeist seinen Bei-
namen verdankte; man darf aber nicht übersehen, dafs er in einzelnen
Fällen aus Notwehr handelte. Es fielen Juan de la Cerda, Don Friedrich,
Pedro d. Grausame und Heinrich Trastarnara. 351
der aragonische Infant Juan u. a. Verschwörungen und Niederlagen
boten stets Anlafs zu Exekutionen. Um seine finanziellen Mittel zu
stärken, liefs Pedro dem Schatzmeister Samuel el Levi seine Schätze ab-
nehmen und ihn auf die Folter werfen, der er erlag. Der Frieden mit
Aragonien stellte den Status quo ante bellum wieder her. Von der
Amnestie, die Pedro erliefs, waren Trastamare, der Infant Fernando und
eine Anzahl Grofser ausgeschlossen. Auch in seinen auswärtigen Be-
ziehungen verfuhr Pedro treulos und grausam. So wurde Mohammed VI.
von Granada, der sich im Vertrauen auf den Schutz Pedros gegen seine
Widersacher nach Sevilla begeben hatte, ermordet. Die Königin Blanka
starb, erst 25 Jahre alt, von denen sie zehn in Kerkerhaft zugebracht
hatte, im Sommer 1361, wie es hiefs an Gift, das der König ihr reichen
liefs, wahrscheinlicher aber an der Pest, der nicht lange nachher auch
ihre Nebenbuhlerin Maria de Padilla erlag. Dieser wurde nach ihrem
Tode die Ehre zuteil, als rechtmäfsige Königin anerkannt zu werden,
ihre Kinder legitimiert und, als ihr einziger Sohn Alfonso (1362) starb,
Bestimmungen über die Nachfolge der Töchter getroffen.
4. In Frankreich hatte Blankas Schicksal lebhafte Teilnahme erregt.
Daher fand Trastarnara hier bereitwilliges Entgegenkommen. König
Johann sicherte ihm den Beistand der durch den Frieden von Bretigny
freigewordenen Kompagnien zu. Auch Aragonien versprach Hilfe. Da-
gegen schlofs Pedro einen Vertrag mit England (1363), und auch Navarra
fand sich zum Anschlufs willig. Unzufrieden mit dieser Lage der Dinge,
war der Infant Fernando von Aragonien, der als Enkel Fernandos IV.
selbst Ansprüche auf Kastilien geltend machte. Im Begriff, nach Frank-
reich zu gehen, wurde er bei einem von Trastarnara gemachten Versuch,
ihn gefangen zu nehmen, getötet (1363). Navarra, das vorn englisch-
kastilischen Bunde zurückgetreten war, Aragonien und Trastarnara
schlössen das Bündnis von Uncastillo. Jetzt wurden die aus Franzosen,
Bretonen und Engländern bestehenden Kompagnien in Sold genommen.
Ihr Führer war Du Guesclin. In Calahorra, der ersten kastilischen
Stadt, die man betrat, wurde Trastarnara zum König ausgerufen und
am 18. April 1366 gekrönt. Er fühlte sich so sicher, dafs er einen Teil
seiner Truppen entliefs. Pedro war mittlerweile nach Galizien entkommen.
Er eilte nach Bayonne. Am 23. September 1366 schlofs er mit dem
schwarzen Prinzen und Karl von Navarra, dem sein Bündnis mit Trasta-
rnara unbequem geworden war, den Vertrag von Libourne (bei Bordeaux),
in welchem er an England und Navarra grofse Zugeständnisse an Land
und Geld machte. Den Kräften des schwarzen Prinzen war Trastarnara
nicht gewachsen: am 3. April 1367 siegten die Engländer bei Najera.
Du Guesclin wurde gefangen, Trastarnara entfloh nach Frankreich, und
Pedro wurde wieder Herr seiner Länder. Noch auf dem Schlachtfeld
entzweite er sich mit dem Sieger, dessen Ratschläge zur Schonung
seiner Gegner er abwies. Da er überdies die Bedingungen des Ver-
trages von Libourne nicht erfüllte, trat der schwarze Prinz den Rückzug
an, Trastarnara, der mittlerweile einen stärkeren Rückhalt an Frankreich
gewonnen hatte, stand schon im September wieder auf kastilischem
352 Die Schlacht bei Montiel. Das Ende Pedros d. G.
Boden und brachte Burgos und zahlreiche andere Städte auf seine Seite.
Nur Toledo leistete hartnäckigen Widerstand. Aber erst als Frankreich
selbst den Kampf gegen England aufnahm, war Pedro verloren. Du
Guesclin, durch die Grosmut des schwarzen Prinzen aus der Gefangen-
schaft befreit, zog wieder nach Kastilien. Am 14. März 1369 kam es
bei Montiel zum Entscheidungskampf. Pedro wurde geschlagen und
im Kastell von Montiel eingeschlossen. Er machte den Versuch, Du
Guesclin auf seine Seite zu ziehen, und scheinbar ging dieser auf Ver-
handlungen ein. Als Pedro aber nächtlicherweile in Du Guesclins Zelte er-
schien, trat auch Trastamara ein. Zwischen den Brüdern entspann sich
ein Kampf, und Trastamara versetzte dem König den Todesstofs.
Pedro war erst 35 Jahre alt, ein Mann, dem es weder an Geist noch Ent-
schlossenheit fehlte und der durch seine strenge Gerechtigkeit — man hiefs ihn auch
Pedro den Richter — Ansehen hatte. Aber sein schrankenloser Eifer für den monarchi-
schen Absolutismus und die Grausamkeit, mit der er alle niedertrat, die seinen Ab-
sichten widerstrebten, endlich die Nichtbeachtung der herrschenden Sitte erweckten
eine Gegnerschaft, der er erlag. Seine Töchter Konstanze und Isabella wurden, jene
an den Herzog Johann von Lancaster, diese an den Herzog Edmund von York ver-
mählt, die nun die Verteidigung ihrer Ansprüche auf Kastilien übernahm.
5. Trotzdem Heinrich IL, der Unechte (1369—1379), in Kastilien
Anerkennung fand, war seine Stellung eine schwierige, da der Makel der
Illegitimität auf ihm haftete ; zunächst erhob Fernando IV. von Portugal
als Enkel einer kastilischen Königstochter Ansprüche und wurde von
Granada und Aragonien unterstützt; ebenso beanspruchte Johann von
Lancaster die kastilische Krone. Pedros hinterlassene Schätze boten
indes neben den reichen Bewilligungen der Stände die Mittel, Heer und
Flotte instand zu halten. Doch benützte der Sultan von Marokko die
Gunst der Verhältnisse, um sich des unverteidigten Algesiras wieder
zu bemächtigen. Fernando IV. schlofs zwar 1371 Frieden, unterstützte
aber nachher doch Lancaster, wogegen Heinrich die Allianz Frankreichs
gewann. Mit Hilfe der Kastilier schlugen die Franzosen die Engländer
unter dem Grafen von Pembroke in der Seeschlacht von Roch eile.
Heinrich rückte in Portugal ein und errang bedeutende Vorteile, bis es
unter Vermittlung des Papstes 1373 zum Frieden kam, in welchem Por-
tugal Englands Sache aufgab und dem französisch-kastirischen Bunde
beitrat. Auch Aragonien machte endlich (1374) seinen Frieden mit
KastilieD. Das französische Bündnis verwickelte Heinrich in einen Krieg
mit Navarra, den er (1379) glücklich beendigte. Zugleich gelang es ihm,
Biskava, das der Infant Tello als Lehen hatte, nach dessen Tode wieder
mit der Krone zu vereinigen.
§ 84. Aragonien und Sizilien yon Pedro III. bis Pedro IV.
(1276—1387).
über die einschlägigen sizilischen Quellen s. Capasso, Le fonti della storia delle
provincie Xapolitane. Napoli 1902. S. 120 ff.
1. König Jayme I. (Jakob) hatte sein Reich (s. § 12) dermafsen
geteilt, dafs sein älterer Sohn Pedro III. (1276 — 1285) Aragonien, Kata-
lonien und Valencia, der jüngere, Jayme, als aragonisches Lehen das
Pedro HL, der Grof«e. Der Erwerb Siziliens. Alfonso III. 353
Königreich Mallorka und die Grafschaften Roussillon, Cerdagne und
Montpellier erhielt. Pedro gab noch vor seiner Krönung die Erklärung
ab, seine Krone weder namens der römischen Kirche noch durch sie
zu besitzen. Seine erste Regierungszeit war mit Kämpfen gegen die
Mauren, gegen katalonische Grofse, die über Beeinträchtigung ihrer
alten Rechte klagten, endlich durch Streitigkeiten mit seinem Bruder,
der sich seiner Lehenspflicht entziehen wollte, ausgefüllt. Erst als die
Ruhe hergestellt war, wandte er sich der äufseren Politik zu. Im
Begriff mit Alfonso von Kastilien gegen Navarra zu ziehen, wurde er
durch die sizilischen Verhältnisse auf einen andern Schauplatz geführt.
Die Ereignisse, die der Sizilianischen Vesper folgten, brachten ihm wohl
den Besitz Siziliens, verwickelten ihn aber in einen Kampf mit dem
Papsttum, mit Frankreich und Neapel (s. oben § 46), der für ihn um so ge-
fährlicher zu werden drohte, als die Stände von Aragonien, die weder
bei Beginn noch bei der Fortsetzung des sizilischen Unternehmens um
Rat gefragt worden waren, sich zur Wahrung ihrer alten Freiheiten
verbanden, bei dem Volke überdies auch die Unzufriedenheit über die
durch den Krieg verursachten Auflagen und das vom Papste verhängte
Interdikt, in stetigem Wachsen war. Selbst die glänzendsten Erfolge
im Kriege gegen Neapel und Frankreich konnten über die inneren
Schwierigkeiten nicht täuschen. Der König sah sich daher genötigt,
den Ständen auf dem Reichstage von Saragossa (1283, 3. Oktober) ein
Generalprivilegium zu verleihen, das ihnen alle bisherigen Vorrechte
und Freiheiten bestätigte, ihn bei allen wichtigeren Fragen an den Rat
der Barone, Ritter und achtbaren, guten Männer aus den Flecken band
und zur jährlichen Berufung des Reichstages verpflichtete. Auch
den katalonischen Ständen wurden die alten Freiheiten bestätigt, dies
um so mehr, je eifriger sich die Katalonier im Kampfe um Sizilien auf
die Seite des Königs gestellt hatten. Als Pedro III. damit umging,
seinen Bruder Jayme von Mallorka wegen seiner Treulosigkeit zu strafen
und die Balearen einzuziehen, ereilte ihn am 11. November 1285 der
Tod. Er nahm den Ruhm ins Grab, der vereinten Macht der Kirche
und zweier mächtiger Königreiche Widerstand geleistet zu haben, Grund
für die Aragonesen, ihn den Grofsen zu nennen. Doch starb er ver-
söhnt mit der Kirche ; auf dem Totenbett gab er der römischen Kirche
das Königreich Sizilien zurück.
2. In Aragonien, Katalonien und Valencia folgte sein ältester Sohn
Alfonso III., der Freigebige (1285 — 1291), in Sizilien trotz der Verzicht-
leistung des Vaters der zweite Sohn Jayme. Jener vollendete die
Eroberung der Balearen. Den ständischen Gewalten in Aragonien und
Katalonien kam er noch weiter als sein Vater entgegen; der Streit mit
der Kurie und Frankreich wurde (1290) unter englischer Vermittlung
beigelegt, indem er das Zugeständnis machte, seinen Bruder Jayme nicht
zu unterstützen; allerdings bot die Sache für diesen keine gröfseren
Gefahren, da die Siege seines Feldherrn Loria seine Macht in Sizilien
noch mehr befestigten. Als Alfonso eines frühzeitigen Todes starb,
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 23
354 Jayrne II., der Gerechte. Friedlich (II.) v. Sizilien. Die Katalanen.
folgte ihm Jaynie II., der Gerechte, (1291 — 1327) in der Regierung. In
Sizilien setzte er seinen jüngeren Bruder Friedrich zürn Statthalter
ein. Die Rücksichtnahme auf seine Untertanen, vornehmlich auf die
Geistlichkeit, welcher der Papst die Anerkennung des Königs untersagte,
solange dieser im Banne sei, der Wunsch des Papstes, die christlichen
Mächte des Abendlandes zum Kampfe gegen den Islam zu einen, brachte
einen Friedensschlufs unter den bisherigen Gegnern zustande. Jayme
entsagte seinen Ansprüchen auf Sizilien; die Sizilianer mochten indes
von der Restauration des Hauses Anjou nichts wissen und hoben den
Infanten Friedrich auf den Thron (1296). Dagegen wurde nun Jayme
vom Papste mit Sardinien und Korsika belehnt (1297), zum Fahnen-
träger der Kirche und Admiral der Flotte ernannt, die diese zum Kampfe
gegen ihre Feinde ausrüsten würde. Friedrich behauptete sich aber
trotz eines Sieges, den die Katalonier über die Sizilianer errangen, viel-
leicht aber auf Geheifs ihres Königs nicht ausnützten. Überdies wurde
Jayme in die Streitigkeiten mit Kastilien über die Thronfolge Fernandos IV.
verwickelt, die erst 1305 durch den Frieden von Campillo beigelegt
wurden. Beide Reiche verbanden sich hierauf (1309) zum Kampfe gegen
Granada, ohne freilich besondere Erfolge zu erzielen. Ein wichtiger
Erwerb für die Dynastie war die Grafschaft Urgel, die nach dem Ab-
sterben des letzten Grafen von Cabrera an die Krone fiel. Mittlerweile
hatte sich König Friedrich von Sizilien seiner Gegner so glänzend er-
wehrt, dafs ihm im Frieden von Neocastro (1302) der Besitz der Insel
zugesprochen wurde (s. oben). In diesen Kämpfen hatten sich die kata-
lonisch-aragonesischen Heerscharen durch ihre ungestüme Tapferkeit
hervorgetan. Sie traten in den Dienst der Byzantiner und zogen nach
der Ermordung ihres Führers Roger de Flor plündernd durch die Halb-
insel, bis sie in die Dienste Walters von Brienne, des Herzogs von
Athen, traten. Als sich dieser ihrer entledigen wollte, setzten sie ihn
(1312) ab und erhoben Manfred, den zweiten Sohn König Friedrichs
auf den Herzogsstuhl von Athen. Aragonien und Sizilien gingen seit
dem Frieden mit Anjou und dem Papste für lange Zeit getrennte Wege.
Den Besitz von Sardinien konnte Jayme IL erst nach langwierigen
Kämpfen mit Pisa erlangen (1326), dagegen behauptete Genua seine
Herrschaft über Korsika. Um die einzelnen Reiche Aragoniens für
immer aneinander zu knüpfen, setzte der Reichstag von Taragona (1319)
fest, dafs die Königreiche Aragonien und Valencia, die Grafschaft Barce-
lona und die Lehenshoheit über Mallorka unzertrennt, ein jedes Land
im übrigen im Besitz seiner Sonderrechte und seiner Verfassung ver-
bleiben solle. Jaymes Gesetzgebung ist durch ihre humane Tendenz
ausgezeichnet: der Reichstag von Saragossa schränkte den Gebrauch
der Tortur auf vereinzelte Fälle ein : denn die Folter sei imstande, den
Schuldigen, der stark genug sei, ihre Qualen auszuhalten, als unschuldig
zu erweisen, den Unschuldigen, der schwach sei, als Schuldigen hinzu-
stellen. Jaymes ältester und gleichnamiger Sohn, der in den neugegrün-
deten, mit dem reichen Templergut ausgestatteten Orden von Montesa
eingetreten war, hatte schon 1319 auf die Nachfolge verzichtet. Darum
Alfonso IV. Pedro IV., der Zeremoniöse. 355
folgte nun der zweite Sohn, Alfonso IV., der Gütige (1327 — 1336),
dessen Kräfte zunächst durch die Kämpfe mit dem auf Aragoniens
Machtentfaltung eifersüchtigen Genua in Anspruch genommen wurden.
Als er gegen seine Verordnung von 1328, dafs binnen zehn Jahren
kein Krongut ohne die dringendsten Beweggründe veräufsert werden
dürfe, dem Sohne seiner zweiten Gemahlin Eleonore von Kastilien reichen
Länderbesitz anwies und die Stände für das Recht der Unteilbarkeit
des Reiches eintraten und ihre Forderungen durchsetzten, hatte die
Königin auf ihre Klage, dafs ihr kastilischer Bruder solches Vorgehen
als Hochverrat ahnden würde, die Antwort zu vernehmen : der König
von Kastilien gebietet über Untertanen, der von Aragonien über freie
Staatsbürger.
3. Alfonsos Sohn Pedro IV., der Zeremoniöse (1336 — 1387), wider-
rief die seiner Stiefmutter gemachten Schenkungen, worauf sie die Hilfe
Kastiliens anrief. Es kam zu einem längeren Streite, der im Hinblick
auf die mit den Sarazenen von Marokko drohenden Kämpfe durch den
Spruch eines Schiedsgerichts beigelegt wurde, wonach die Königin- Witwe
zwar ihren Besitz behielt, aber auf die Ausübung der Gerichtsbarkeit
verzichten mufste. Am Siege am Flusse Salado hatte Pedro IV. keinen
Anteil, da ihn zuerst Unruhen auf Sardinien, dann Streitigkeiten mit
seinem Vetter, dem König Jayme IL von Mallorka, der sich der Lehens-
hoheit entziehen wollte, in Anspruch nahmen. Da Jayme die Ladung
vor des Königs Gericht unbeachtet liefs, wurde ihm der Besitz aller
Lehen und Güter abgesprochen (1343) und die Balearen auf ewige Zeiten
den aragonesischen Reichen einverleibt (1344). Jayme starb während
der Versuche, seinen Besitz wieder zu gewinnen (1349); seinem gleich-
namigen Sohne blieb nichts als der Königstitel. Waren die Unruhen
auf Sardinien noch 1336 durch einen Frieden mit Genua beigelegt
worden, so brach der Kampf 1347 von neuem aus, als sich das Haus
Doria gegen die aragonische Herrschaft erhob und Genua den Augen-
blick benützen wollte, um seinen Einflufs auf die Insel zurückzugewinnen.
Pedro IV. schlofs dagegen ein Bündnis mit Venedig, und gewann be-
deutende Erfolge, aber seine Herrschaft über die Insel blieb doch eine
unsichere. Von der gröfsten Bedeutung war der lange Streit Pedros IV.
mit seinen Stiefbrüdern, denn er rief nicht nur die Einmischung Kasti-
liens hervor, sondern hatte auch grofsen Einflufs auf die Verfassung
von Aragonien. Da Pedro aus seiner Ehe mit Maria von Navarra keine
Söhne hatte, wollte er, den Gesetzen des Landes entgegen, seiner Tochter
Konstanze die Nachfolge verschaffen und bewog seinen Oheim Pedro
und einzelne Grofse ihr die Huldigung zu leisten (1347). Damit wurden
die Rechte Jaymes, des Grafen von Urgel, und der übrigen Mitglieder
vom Mannestamm des königlichen Hauses verletzt, denen nach heimischem
Recht ein näheres Recht auf die Krone zustand. Für Jayme traten
nicht blofs dessen Stiefbrüder Fernando und Juan, sondern auch die
Stände in die Schranken. Es bildete sich eine Union zur Wahrung der
verletzten Rechte, die auch in Valencia Nachahmung fand und den König
23*
356 Fortbildung der ständischen Rechte Aragoniens.
bewog, seine Anordnungen zu widerrufen. Kaum aber fühlte er sich
durch seinen Anhang in Katalonien und Valencia genügend gekräftigt.
als er dagegen protestierte. Nach Jaymes Tode trat der Infant Fernando
an die Spitze der Union ; wiewohl er als Neffe Alfons' XI. von Kastilien
dessen Unterstützung fand, endete der Kampf doch zugunsten des König-
tums, denn Pedro IV. hatte an dem tapferen Grafen Pedro von Exerica,
der sich an die Spitze einer Gegenunion stellte, eine mächtige Unter-
stützung gewonnen und besafs an dem staatsklugen Majordomus Bernardo
de Cabrera einen trefflichen Berater. Die Union der aragonischen Stände
erlitt bei Epila (1348) eine gänzliche Niederlage. Pedro stellte durch
seinen Sieg das Ansehen des Königtums wieder her, schwur aber doch
den Ständen zu, die Freiheiten, Rechte und Gewohnheiten des Landes
getreu zu beobachten und setzte fest, dafs dieser Eid auch von seinen
Nachfolgern und sämtlichen Beamten des Reiches geleistet werden solle.
Zugleich wurde dem Justitia eine Gewalt übertragen, welche die kon-
stitutionellen Freiheiten mehr sicherte, als dies durch die Union möglich
gewesen wäre : er wurde der verfassungsmäfsige Richter in allen künf-
tigen Streitigkeiten zwischen Königtum und Ständen und der Stände
untereinander. Nun wurde auch Valenzia unterworfen. Die Union
wurde bei Miglata (1348, Dezember) geschlagen. Die Schuldigen wurden
härter gestraft als in Aragonien, auch erhielt der Justitia hier geringere
Rechte. Die Ruhe wurde noch mehr befestigt, als des Königs dritte
Gemahlin, Eleonore von Sizilien, ihm einen Sohn gebar, den Infanten
Juan, denn nun waren die Ansprüche des Infanten Fernando vernichtet,
und die Partei, die zu ihm gehalten hatte, löste sich auf. Mit Pedro
dem Grausamen führte Pedro IV. einen fast ununterbrochenen Kampf;
wie jener die Ansprüche des Infanten Fernando, unterstützte dieser
Heinrich von Trastamara. Der Krieg mit Kastilien fand erst durch den
Frieden von Almazan (1374, 10. Mai) ein Ende; Pedro IV. gab seine
kastilischen Eroberungen gegen den Ersatz der Kriegskosten zurück und
vermählte seine Tochter Eleonore mit dem kastilischen Thronerben
Johann. Im Juli 1377 starb König Friedrich III. von Sizilien, ohne
einen legitimen Sohn zu hinterlassen. Als Erben des Reiches bestimmte
er seine Tochter Maria und, wenn diese ohne legitime Erben stürbe,
seinen unechten Sohn Wilhelm; falls auch dieser ohne legitime Söhne
abginge, sollte das Königreich Sizilien an seine Schwester Eleonore
fallen, die mit Pedro IV. vermählt war. Pedro erhob indes schon
jetzt, gestützt auf das Testament Friedrichs IL, auf das ganze Erbe
Anspruch und setzte ihn trotz der Gegnerschaft Urbans VI. auch
durch. Indem er sich Titel und Herrschaft über Sizilien für seine Lebens-
zeit vorbehielt, ernannte er seinen jüngeren Sohn Martin 1380 zum
Generalstatthalter von Sizilien, worauf sich auch die Herzogtümer Athen
und Neopatria der Krone Aragoniens unterwarfen. Die letzten Zeiten
seines Lebens wurden durch Streitigkeiten mit seinem älteren Sohne
Johann getrübt, die durch seine vierte Gemahlin Sibilla de Forcia hervor-
gerufen worden waren. Als Pedro IV. am 5. Januar 1387 starb, folgte
ihm in dem Besitz Aragoniens Johann I.
Portugals Fortachritte unter K. Diniz. Die Universität Coinibra. 357
§ 85. Die Entwicklung Portugals Tom letzten Viertel des 13. bis
zum letzten Viertel des 14. Jahrhunderts.
1. Seit Portugal irn Kampfe mit den Mauren seine natürlichen
Grenzen erreicht hatte, konnte es sich ungestört entwickeln. Unter der
Fürsorge weiser Könige fielen hier frühzeitig die Schranken, die die ein-
zelnen Stände voneinander schieden. Während der Friedensjahre ge-
langten die Städte zu Reichtum und Macht; im Verkehr zwischen Bürgertum
und Adel trat ein Zustand ein, der sich mit dem der italienischen Städte-
republiken vergleichen läfst. Begründer dieser Blüte war König Diniz
(1279 — 1325), den die dankbare Mitwelt el Justo (den Gerechten) oder
et Labrador (den Ackerbauer) genannt hat. Schon bei Lebzeiten seines
Vaters an der Regierung beteiligt, bestieg er mit 18 Jahren den Thron.
Drei Jahre später heiratete er Isabella, die Tochter Pedros III. von
Aragonien, eine Urenkelin Kaiser Friedrichs IL, deren hohe Tugenden
sie in den Ruf der Heiligkeit brachten. In seinem Eifer, die der Krone
entfremdeten Güter und Gerechtsame wieder zu gewinnen, kam er in
schwere Streitigkeiten mit dem Klerus. Kirchenstrafen und Interdikte
folgten, bis (1289) ein Konkordat — die erste Konkordia — den Frieden
herstellte. Doch bedurfte es noch zweier Konkordien, bis das Einver-
nehmen zwischen Staats- und Kirchengewalt gesichert war; immerhin
endete der Streit hier nicht mit einer Niederlage des Königtums. Das
von den Cortes (1291) beschlossene Amortisationsgesetz verbot die fort-
gesetzte Bereicherung des Klerus durch Verkäufe, Schenkungen und
Vermächtnisse. Das selbständige Vorgehen «der Krone der Kurie gegen-
über zeigte sich auch später noch im Templerprozefs, denn die Stiftung
des Christusordens bedeutete in Wirklichkeit nichts anderes, als die
Wiederherstellung der Templer unter anderm Namen (1319). Sie er-
hielten all ihr Gut zurück und dazu noch als Hauptsitz das stark
befestigte Castro Marim in Algarve. Die Beziehungen des Königreiches
zu den auswärtigen Mächten waren meist friedliche. Nur durch den
Infanten Alfonso, der übrigens auch das Königtum Diniz' durch haltlose
Ansprüche anfocht, wurde Portugal eine Zeitlang in die Thronstreitigkeiten
Kastiliens verwicklt. Hervorragend sind die Verdienste des Königs
Diniz um die Förderung der materiellen und geistigen Interessen des
Landes. Die gröfste Sorgfalt verwendete er auf den Anbau des Landes.
Da wurden Sümpfe entwässert, wüste Ländereien unter den Pflug ge-
nommen und eingegangene Ortschaften wiederhergestellt. Bergbau und
Handel erfuhren die Fürsorge des Königs. Schon konnte sich die por-
tugiesische Marine an gröfsere Aufgaben an der afrikanischen Küste
wagen. Für die geistigen Bedürfnisse des Volkes wurde 1290 in Lissabon
eine Universität errichtet, die 1308 nach Coimbra verlegt wurde. Die
letzten Jahre des Königs waren durch Streitigkeiten mit seinem Sohne
Alfonso getrübt, der von der Sorge beherrscht war, der Vater möchte
die Krone seinem natürlichen Sohne Alfonso Sanchez hinterlassen.
2. Alfonso IV. (1325 — 1357) behielt das Mifstrauen gegen seinen
Bruder bis zu dessen Tode bei. Einem Lieblingswunsche der Königin
358 Alfonso IV. Der Sieg am Salado. Inez de Castro.
folgend hatte der König seine Tochter Maria mit Alfonso XL von
Kastilien vermählt. Sein Sohn, der Thronerbe Pedro, vermählte sich
seinerseits mit Blanka, der Tochter des Infanten Pedro von Kastilien.
Die beiden von der Politik geschlossenen Ehen waren unglücklich. Wie
Alfonso XL von Kastilien seine Gunst Eleonoren von Guzman zuwandte,
verstiefs Pedro seine Gattin Blanka und vermählte sich mit Konstanze,
der früher von Alfonso XL zurückgewiesenen Tochter des Infanten Juan,
Herzogs von Villena. Darüber kam es zu einem Kriege zwischen Por-
tugal und Kastilien, der schliefslich durch die Vermittlung des Papstes
beigelegt wurde (1339). Beide Staaten einigten sich nunmehr zum
Kampfe gegen die Mauren, und der grofse Sieg am Salado war wesentlich
ein Verdienst Alfonso s IV. Grofsmütig verzichtete er auf die reichen
Kriegstrophäen zugunsten seines Schwiegersohnes. — In Portugal selbst
kam es wenige Jahre nachher zu tragischen Ereignissen im königlichen
Hause. Mit Konstanze war als deren Verwandte und Hoffräulein
Inez de Castro an den Hof gekommen und hatte durch Schönheit und
Anmut den Erbprinzen derart gefesselt, dafs er sich, als er Witwer ge-
worden, heimlich mit ihr vermählte. Sie gebar ihm vier Kinder. Mifs-
günstig bückten die Grofsen auf den Einflufs ihrer Brüder; die Sache
erhielt ein gefährlicheres Aussehen, als sich zahlreiche Kastilianer vor
Pedro dem Grausamen nach Portugal flüchteten. Je eifriger der Infant
sich dem Wunsche des Königs und" der Grofsen, sich wieder zu ver-
mählen, entgegensetzte, um so mehr wuchs der Verdacht, dafs er heimlich
mit Inez vermählt sei. Im Rate des Königs brach sich die Überzeugung
durch, dafs nur ihr Tod das Reich vor grofsen Gefahren zu schützen
vermöge. Während der Infant auf der Jagd weilte, wurde sie trotz ihres
Flehens um Schonung mit Wissen des Königs ermordet (1355). Aus
Schmerz und Rachsucht griff Pedro zum Schwerte; endlich gelang es
seiner Mutter, ihn friedlich zu stimmen. Die drei Hauptschuldigen be-
folgten aber den Rat, den ihnen der König selbst gab, aus dem Lande
zu fliehen. Hatten die Kämpfe Alfonsos IV. ihm den Vorwurf ein-
getragen, ein undankbarer Sohn, ein ungerechter Bruder und grausamer
Vater' gewesen zu sein : für sein Land und Volk war seine Regierung,
die er im Geiste seines Vaters führte, eine wohltätige, und wenn er gegen
Bruder und Sohn mit starrer Strenge einschritt, geschah es, weil er die
Pflichten als Regent über die des Bruders und Vaters stellte.
3. Pedro I. (1357 — 1367) nahm an zweien der Mörder, die Kastilien
ausgeliefert hatte, grausame Rache. Der dritte war nach Frankreich ent-
kommen. Vor den Grofsen erklärte er hierauf seine Ehe mit Inez als eine
rechtmäfsige und veranstaltete ihr eine glänzende Krönungs- und Toten-
feier. Gleich seinem Vater und Grofsvater auf die Hebung des Landes
bedacht, einigte sich Pedro mit den Cortes (1361) zur Abstellung ver-
schiedener Mifsbräuche. Er bestätigte den Gemeinden ihre Gerechtsame
und Freiheiten , sorgte für geordnete Verwaltung und bessere Hand-
habung der Justiz und überwachte mit unnachsichtiger Strenge die
Einhaltung seiner Anordnungen — einer Strenge, die ihm den Beinamen
des Strenggerechten, ja des Grausamen, eintrug. Nicht selten verschärfte
Blüte Portugals unter Pedro I. Verfall unter Fernando. 359
er die Urteile des Richters. Gesetz und König waren ihm dasselbe, weshalb
er in der Verletzung des Gesetzes eine solche seiner eigenen Person
erblickte. Nahm unter seiner friedlichen, durchaus geordneten Verwaltung
Portugal einen Aufschwung, dafs man am Grabe dieses Königs sagen
durfte : Solche zehn Jahre hat Portugal niemals gehabt, so verschleuderte
sein Sohn Fernando (1367 — 1383), was vier Könige gesammelt und
aufgebaut hatten. Hatten sich diese von kriegerischen Verwicklungen
fern gehalten, so erschöpfte er durch seine unbesonnenerweise unter-
nommenen Kriege gegen Heinrich Trastamara die Mittel des Landes.
Wiewohl er sich nach dem ersten Friedensschlufs (1371) mit der
kastilischen Infantin Leonore verlobt hatte, fiel er in die Schlingen der
schönen Gattin eines angesehenen Edelmannes, Leonore Teiles, entführte
sie und machte sie trotz des allgemeinen Unwillens zu seiner Gemahlin.
Sie verstand es zwar, sich durch Anmut, Leutseligkeit und Freigebigkeit
einen Anhang zu schaffen, die Masse des Volkes blieb ihr aber immer
abgeneigt. Der zweite Krieg, den Fernando im Bunde mit Lancaster
(s. oben) gegen Kastilien führte, endete (1373) unrühmlich wie der erste.
Der Hafs des Volkes gegen die Königin wuchs, als sie des Königs
Bruder Johann, der sich mit ihrer schönen und tugendhaften Schwester
Maria Teiles, der Witwe des angesehenen Edelmannes Alvaro Diaz di
Sousa, vermählt hatte, durch die Hoffnung auf die Hand ihrer Tochter
Beatrix und die Nachfolge in Portugal zur Ermordung seiner Gemahlin
verleitete, ihn aber eben dadurch um die Nachfolge brachte. Die ihm
zugesagte Prinzessin wurde mit dem Erben Kastiliens und als Fernando
sich nochmals gegen dieses mit England verband, mit dem Sohne des
Herzogs von Cambridge, hierauf nach dem unglücklich geführten Kriege
abermals mit dem kastilischen Thronerben verlobt, schliefslich mit König
Johann von Kastilien selbst, der während des Krieges Witwer geworden
war, vermählt. Für Portugal bestand demnach beim Tode Fernandos
die Gefahr, mit Kastilien vereinigt zu werden.
6. Kapitel.
Der Norden und Osten Europas und der Ausgang Karls IV.
§ 86. Die nordischen Staaten bis zum Ausgang der alten Dynastien.
Quellen s. § 13. Dazu Diplomat. Isl. II (bis 1350) und in. (bis 1415). Kop.
1893—96. Urk. Mat. auch in Styffe, Bidrag tili Skandinaviens Historia I, 1314—97,
II bis 1448. Stockh. 1859 — 64. Die Zahl der darstellenden Quellen steht zu ihrer Be-
deutung in keinem Verhältnis. S. d. Verz. bei Potthast II, 1724—27. Daraus die
Narratio litis inter Christophorum I regem Daniae et Jacobum etc. Langeb. V, 583 — 614.
MM. Germ. SS. XXIX, 214. Lit. bei Potth. II, 805. Actiones adversariae Erici regis et
Johannis archiep. Lund. coram curia 1296—1299, ib. VI, 275 — 372. Actio in Esgerum
arch. Lund. cor. pontif. Rom. a. 1317, ib. VI, 536—545. Die Hakonar-Saga and a frag-
ment of Magnus-Saga, ed. Vigfusson in Rolls Ser. 88, reicht v. 1203—1276. Hilfs-
schriften wie § 13. Dazu: D. Schäfer, Die Hansestädte und König TTaldemar
von Dänemark bis 1376. Jena 1879. D. Schäfer, Gesch. der Hanse und Lindner
wie oben. Daenell, Gesch. d. Hanse in der 2. Hälfte des 14. Jahrh. Leipz. 1897.
360 Niedergang der dänischen Königsniacht seit Waldemar II.
W. Stein, Beitr. z. Gesch. d. d. Hanse bis um d. Mitte des 15. Jahrh. Giefsen 1900.
(Dehler, Die Bez. Deutschlands zu Dänemark v. d. Köln. Konföder. bis zum Tode
Karls IV. Halle 1892. Girgensohn, Die skand Polit d. Hanse 1375—95. üpsala 1899.
De nicke, Die Hansestädte, Dänemark u. Norwegen 1369 — 76. Halle 1880. Keutgen,
Die Bez. d. Hanse zu England. Giefsen 1890. Reinhard, Valdemar Allerdag 1880.
Rosenorn, Greve Gert of Hülsten etc. Kop. 1901. Hildebrand, Sverriges Medeltid
1350-1521. Stockh. 1817. Über Quellen u. Hilfsschr. s. auch unten, § 130.
1. Seit Dänemark infolge des Verlustes seiner Vormachtstellung
im Norden Europas unter Waldemar II. die jüngeren Königssöhne nicht
mehr mit auswärtigen Ländern versorgen konnte, sondern mit dänischen
Landesteilen ausstattete, kam es zu einer Zerrüttung des Reiches, die
fast 100 Jahre andauerte. Schon unter Waidemars IL nicht unbegabtem
Sohne Erich (1241 — 1250), wegen einer den Bauern auferlegten mifs-
liebigen Steuer, der »Pflugpfennig« genannt, kam der Satz zur Geltung,
dafs der König seine Würde der Wahl der Grofsen verdanke. Sein
Bruder Abel (1250 — 1252) wurde erst gewählt, nachdem er sich von
dem Verdacht der Teilnahme an dem Morde gereinigt hatte , dem
Erich erlegen war. Ein Freund der Städte , wie denn auch zu
seinem Krönungsreichstage zum erstenmal Städtevertreter erschienen,
fand er im Kampfe gegen die Friesen, die sich weigerten, den Pflug-
pfennig zu zahlen, den Tod. Die Regierung seines Bruders Christoph
(1252 — 1259) ist durch seinen Streit mit dem Erzbischof Jakob von Lund
bemerkenswert, der, ohne den König zu fragen, das Erzbistum an sich
genommen hatte. Indem Christoph dem Klerus seinen Schutz entzog
und ihn so allen Angriffen aussetzte, wurde das Interdikt über das Land
verhängt. Der Kampf endete erst unter seinem Sohne Erich Glip-
ping (1259 — 1286) und zwar auch hier mit einer Minderung der könig-
lichen Gewalt. Wichtige Kronrechte gingen an Adel und Geistlichkeit
verloren. Während diese Zusicherungen gegen willkürliche Verhaftung
und Strafen erhielten, geriet der Bauernstand allmählich in Leibeigen-
schaft. Auf dem Reichstag von 1282 mufste Erich geloben, alljährlich
zur Fastenzeit eine Reichsversammlung zu berufen. Die Kämpfe seines
Sohnes Erich Menved (1286 — 1319) mit dem Erzbischof von Lund
und Bonifaz VIII. endeten mit einer vollständigen Niederlage des
Königs. Ebenso unglücklich war er in seinen Streitigkeiten mit Nor-
wegen und Schweden, und trotz einzelner Erfolge mifslang sein Versuch,
Transalbingien und Mecklenburg wieder an Dänemark zu bringen. Sein
Bruder Christoph IL (1320 — 1326), als Freund der Deutschen un-
beliebt, hatte vor seiner Wahl eine Kapitulation beschworen, die die
Rechte des Königtums noch mehr einengte. Solche Kapitulationen sind
bei allen späteren Königswahlen bis zur Einführung des Erbrechtes der
Krone und des absoluten Königtums (1660) in Gebrauch. Alljährlich
sollte ein Parlament zusammentreten, wegen freier Verteidigung der
Landesrechte niemand zur Verantwortung gezogen und neue Gesetze
nur mit Zustimmung der Reichsversammlung erlassen werden. Öffent-
liche Volksgerichte sollten Freiheit und Eigentum der einzelnen schirmen.
Von den Gerichten durfte an den König und zuletzt an das Parlament
appelliert werden. Verhaftungen sind nur auf Grund gerichtlicher
Drohender Zerfall Dänemurks. 361
Untersuchung gestattet. Zwar werden auch Freiheit des Handels und
des Bürgerstandes Rechte verbürgt, am meisten ist aber für Klerus und
Adel gesorgt, denen der ruhige Besitz des auf Kosten der Krone er-
worbenen Gutes gesichert ist. Bezüglich der Steuern und Abgaben ist
das Königtum an ihre Zustimmung gebunden. Stärker als früher wird
nun auch die Oberherrlichkeit des Papsttums über Dänemark betont,
indem der Papst den Ständen verbot, den König zu krönen, es sei denn
mit Zustimmung des Erzbischofs von Lund.1) Der König hatte mit
alledem versprochen, was er weder halten wollte noch konnte. Unter
dem Vorwand, die Schulden seiner Vorgänger zu bezahlen, legte er
(1323) eine starke Steuer auf Klerus und Adel als Besitzer des Kron-
gutes. Hierüber kam es zu schweren Kämpfen. Der König und sein
bereits zum Nachfolger gewählter Sohn Erich wurden zur Flucht ge-
nötigt und Graf Gerhard von Holstein als Reichsverweser eingesetzt
(1326). Während Christoph IL mit Hilfe deutscher Fürsten sein Reich
wieder zu gewinnen hoffte, wählten die Stände Gerhards Neffen und
Mündel, den zwölfjährigen Herzog Waldemar III. (1326 — 1330) zum
König. Indem sich Gerhard den Besitz von Südjütland (Schleswig)
auf immerwährende Zeiten übertragen liefs, wodurch Schleswig und
Holstein vereinigt wurden, und auch andere Grofse durch Übertragung
von Lehen zu gewinnen hofften, gewann es den Anschein, als würde
sich Dänemark in eine Anzahl voneinander unabhängiger Fürstentümer
auflösen.2) Dies und der Unmut der Dänen über die Begünstigung der
Holstein er führten Christoph IL (1330 — 1332) auf den Thron zurück.3)
Doch schon im folgenden Jahre brachen neue Kämpfe aus, und Christoph
mufste seinem Gegner Gerhard Fünen und Nordjütland pfandweise über-
lassen. Des Königs Sohn Erich war im Kampfe gefallen ; der König selbst starb
im nächsten Jahre. Wohl suchte nun sein Sohn Otto die Krone zu ge-
winnen, dem »grofsen« Grafen Gerhard war er aber nicht gewachsen;
dieser konnte daran denken, selbst die Herrschaft über Dänemark zu
gewinnen. Das holsteinische Regiment war jedoch so verhafst, dafs
sich Schonen lieber an Norwegen anschlofs, dessen König Magnus mit
dem Papste in Verhandlung trat, um ganz Dänemark zu gewinnen.4)
Dieses Reich bestand jetzt aus vier voneinander unabhängigen Ge-
bieten: Nordjütland mit Fünen und Holstein unter den holsteinischen
Grafen Gerhard und Johann, Schleswig unter dem ehemaligen König
Waldemar III. und Schonen unter Magnus. Dieses »Zwischenreich«
dauerte acht Jahre und fand erst ein Ende, als Gerhard (1340) dem
Hasse der Dänen erlegen war. Unter Kaiser Ludwigs Vermittlung kam
es zu einem Vergleich zwischen Gerhards Söhnen und Waldemar HL,
nach welchem dieser auf die Krone verzichtete und seine Schwester mit
Waldemar IV., dem Sohne Christophs IL, vermählte, der nun von
den Grofsen zum König gewählt wurde. Damit fand die traurigste
x) Rayn. ad. a. 1320.
2) Dahlmann I, 461—464.
3) Aus dieser Zeit stammt der Planchis de statu regni Daniae bei Langebeck VI, 551.
4) Dahlmann, 477.
362 Norwegen. Schweden unter den ersten Folkrmgern.
Periode der dänischen Geschichte ihren Abschlufs. Je trostloser sich
die politischen Zustände Dänemarks in dieser Zeit gestaltet hatten, um
so hilfloser stand es der Hanse gegenüber, die sich unter diesen Ver-
hältnissen zur Vormacht des Nordens erhob.
2. Auch in Norwegen geriet schon Magnus Lagabetters (§ 13)
Sohn Erich II. (1280 — 1299), wegen seines von den Bauern gegen
Klerus und Adel unterstützten Versuches, die Übermacht der Hierarchie
zu brechen, der Priesterfeind genannt, in einen aussichtslosen Kampf
mit der Hanse, die eben jetzt den ausschliefslichen Handel in Norwegen
erlangte. Sein Bruder Hakon VII. (1299—1319) stellte die guten Be-
ziehungen zur Kirchengewalt wieder her. Ein Versuch, seiner Tochter
Ingeborg die Nachfolge zu verschaffen, mifslang, doch wurde ihr Sohn
Magnus (Smek), den sie ihrem Gemahl, Erich von Schweden, geboren
hatte, nach Hakons Tode gewählt, so dafs, da Magnus (1319 — 1363)
auch in Schweden zur Regierung gelangte, beide Reiche durch Personal-
union miteinander vereinigt waren. — Wie die dänische und norwegische
ist auch die schwedische Geschichte dieses Zeitraums von inneren
Kämpfen angefüllt.
3. Für den ersten Folkunger Walde in ar I. (1251 — 1275) führte
dessen tatkräftiger Vater Birger Jarl (f 1266) lange Zeit die Regierung,
warf aber durch die Bestimmung, dafs auch seinen jüngeren Söhnen
Teile des Reiches zugewiesen würden und die Töchter das Recht erhielten,
halb soviel als die Söhne zu erben, die Fackel der Zwietracht in das
eigene Haus. Mit Hamburg und Lübeck, sowie mit England wurde ein
reger Verkehr unterhalten und Stockolm, das vielleicht schon länger be-
stand, mit Befestigungen versehen. Eine volkreiche Stadt wurde es erst
im 14. Jahrhundert.1) Waldemar verlor unter seinen Liebeshändeln das
Reich an seinen Bruder Magnus (1275 — 1290), der sich vornehmlich auf
Gerhard von Holstein und dessen deutsche Ritterschaft stützte. Seiner Sorge
für den Landfrieden und das Gut der Bauern dankt er seinen Beinamen
Laduläs(Scheunenschlofs); er war es, der das, was von den Bauern bisher will-
kürlich erprefst wurde, in eine regelmäfsige, demnach weniger drückende,
dafür aber freilich dauernde Belastung umwandelte. Indem er allen,
»die zu Rosse dienten, Abgabenfreiheit gewährte«, schuf er das erste
Privilegium des Adels. Auch die Geistlichkeit erhielt zahlreiche Ver-
günstigungen. Für seinen minderjährigen Sohn Birger (1290 — 1318)
führte . der Marschall Torkel Knutson die Regentschaft. Unter ihm wurde
Karehen unterworfen und Schwedens Herrschaft über Finnland ausge-
dehnt; bei dieser Gelegenheit erhielten die Hanseaten grofse Vorrechte.
Unter Torkels w^eiser Regentschaft wurden die alten Volksrechte aufge-
zeichnet, das >:Uplandsgesetz«, das von königlichen Lagmännern geprüft,
von allen Männern genehmigt und vom König bestätigt wurde.2) Nach-
dem Torkel dem Hasse der Brüder des Königs, Erichs und Waidemars,
zum Opfer gefallen war (1306), verlor der König selbst seine Gewalt an
*) Geijer, S. 158.
2) S. 172.
Dänemarks Wiederaufrichtung durch Waldemar IV. 363
sie und wurde von ihnen gefangen gehalten. Nur Magnus, sein Erst-
geborener, hatte sich nach Dänemark gerettet. Mit Hilfe deutscher
Ritterscharen, die der Dänenkönig geworben, wurde Birger in seine
Herrschaft wieder eingesetzt, doch mufsten seinen Brüdern Teile des
Reiches überlassen werden. Sieben Jahre später lockte Birger sie an
seinen Hof, nahm sie gefangen und liefs sie des Hungertodes sterben.
Darüber entstand ein Aufruhr. Birgers Sohn Magnus wurde gefangen
und wegen der Verbrechen, die sein Vater befohlen, er selbst aber nicht
gehindert hatte, hingerichtet. Birger selbst, der sich aus dem Lande
geflüchtet hatte, starb aus Schmerz über den schmachvollen Tod seines
Sohnes. Nun wurde der erst drei Jahre alte Sohn seines Bruders Erich,
Magnus (Smek), dem als Enkel Hakons VII. auch Norwegen zu-
fiel (1319 — 1363), von den schwedischen Ständen, zu denen nun auch
bereits Vertreter der Städte und Bauern gehörten, zum König gewählt.
Seine schwache Regierung, die er seit 1333 selbständig führte, stand im
vollen Gegensatz zu dem kraftvollen Regiment, das soeben in Dänemark
unter Waldemar IV. grofse Erfolge errang.
4. Die Absichten Waidemars IV. Atterdag (1340 — 1375) gingen
dahin, die alte Macht Dänemarks wieder herzustellen und das drückende
Übergewicht der Hanse zu brechen. Ein kluger Politiker wie sein
Zeitgenosse Karl IV., wartete er in der Politik die rechte Stunde ab,
in der ihm der Erfolg gesichert war *), und war selbst zu Zugeständnissen
an seine mächtigen Nachbarn geneigt, in der Zuversicht, sie bei besserer
Zeitlage wieder zurücknehmen zu können. Entlegene, schwer zu be-
hauptende Besitzungen gab er auf ; so die jenseits des Oresunds (Schonen,
Halland und Bleckingen), die er gegen eine Geldentschädigung an König
Magnus von Schweden überliefs. Die Söhne Gerhards von Holstein
liefs er im Besitz von Fünen, die dänischen Ansprüche auf Estland
verkaufte er an den Deutschen Orden (1346); dagegen erwarb er von
seinem Oheim, dem Grafen Johann von Holstein Seeland, das von da
an »der Pfeiler des Reiches« wurde, und gewann bereits 1348 Fünen
zurück. Im folgenden Jahre konnte nach langer Zeit wieder ein allge-
meiner Reichstag in Roeskilde abgehalten werden. Da die grofsen Ver-
luste Dänemarks eine Folge der anarchischen Zustände unter den vor-
hergegangenen Regierungen waren, führte er ein scharfes Regiment und
hielt es selbst gegen die bittere Stimmung, die im Adel und Volke
wegen des Druckes seiner Auflagen und der Verschlechterung der Münze
wider ihn herrschte, aufrecht. Doch vermied er es, allgemeine Reichs-
versammlungen einzuberufen, und verhandelte lieber mit den einzelnen
Provinzen. Die Schwäche des Königs Magnus bot ihm Gelegenheit, sich
in die Verhältnisse Schwedens, wo sich der Prinz Erich gegen seinen
Vater erhoben hatte, einzumischen. Um die Dänen hiefür zu gewinnen,
machte Waldemar auf dem Reichstag von 1360 das Zugeständnis, fortan
im Sinne der Landesfreiheiten zu regieren und die gesetzlichen Reichs-
*) Daher sein Beiname > Atterdag « nach seinem Wahlspruche : »Morgen ist auch
ein Tag.«
364 Eroberung von Wisby. Ausgang der Folkunger in Schweden
tage zu berufen. Die kräftige Unterstützung seines Volkes setzte ihn
in den Stand, die an Schweden verlorenen Provinzen zurückzugewinnen.
Dänemark hatte nun wieder den Umfang wie unter Gorm dem Alten.
Waldemar warf sein Auge nunmehr auf die schwedische Insel Gothland,
wo die Stadt Wisby, eines der mächtigsten Mitglieder der Hanse, zu
aufserordentlicher Blüte gelangt wrar, die von Waldemar mit scheelem
Auge betrachtet wurde. Den Anlafs zum Kriege boten ihm seine Be-
ziehungen zu Schweden und Norwegen, wo König Magnus angesichts
der in diesen Ländern gegen Dänemark herrschenden Stimmung das
Eheverlöbnis seines Sohnes Hakon, dem er Norwegen überlassen hatte,
mit Margareta, der Tochter Waidemars IV., aufgelöst hatte. Dieser
segelte mit einer gewaltigen Flotte nach Oland, eroberte Borgholm und
landete in der Nähe von Wisby. Statt sich auf die Verteidigung ihrer
Mauern zu beschränken, zog die Bürgerschaft dem dänischen Heere
entgegen, erlitt aber am 27. Juli 1361 eine Niederlage. Am folgenden
Tage hielt Waldemar seinen Einzug in Wisby, wo ihm reiche Schätze,
meist aus Kirchen und Klöstern, als Siegesbeute zufielen. Die
Tradition führt den späteren Verfall der Hansestadt auf diese Niederlage
zurück; sie wurde aber nicht nur nicht zerstört, sondern erhielt die
Bestätigung ihrer alten Freiheiten und Gleichstellung mit andern
dänischen Städten. Indem sie die schwedische mit der dänischen Herr-
schaft vertauschte, blieb sie im Verband der Hanse. Die Ursachen ihres
Niederganges liegen vielmehr darin, dafs sie den Wettbewerb mit den
Inländischen Städten, die den Verkehr zwischen Rufsland und dem
Westen unmittelbar aufnahmen, nicht auszuhalten vermochte. Der
Überfall durch die Dänen stellte nun allerdings auch ihre Sicherheit als
Stapelplatz in Frage. Noch ehe die Niederlage von Wisby den Hanse-
städten bekannt war, verbot ein Hansebeschlufs (1361, 1. August) den
Verkehr mit Dänemark. Die Hanse schlofs einen Bund mit Norwegen
und Schweden. Schonen sollte den Dänen wieder abgenommen werden,
und Graf Heinrich von Holstein suchte die Stellung des »grofsen«
Grafen wieder zu gewinnen. Der Erfolg des Krieges entsprach diesen
Erwartungen nicht, und so wavrde ein Waffenstillstand bis 1364 abge-
schlossen. Gothland blieb in dänischem Besitz, und auch das Bündnis
der Hanse mit den beiden nordischen Staaten wurde gelöst.
5. Die allgemeine Mifsstimmung gegen die Regierung des Königs
Magnus von Schweden führte schliefslich zu einer Umwälzung, die ihn
des Thrones beraubte und seinen Schwestersohn Albrecht von
Mecklenburg (1363 — 1389) zur Herrschaft berief. Magnus fiel in die
Hände seiner Gegner. Mit seiner Thronentsetzung endete die Herrschaft
der Folkunger in Schweden. Er erhielt erst 1371 seine Freiheit wieder.
Drei Jahre später starb er, indem er in der Nähe von Bergen im Meere
ertrank. Da Waldemar IV. auch die Hansestädte in ihren Rechten ver-
letzt hatte, drangen zuerst die preufsischen Städte auf ernste Mafsnahmen,
und als Hakon von Norwegen Waidemars Beispiele folgte, beschlofs die
Hanse auf einer von 77 Städten beschickten Tagfahrt zu Köln (1367,
November) den Krieg gegen beide Könige. Schweden, Mecklenburg, die
und der Estrithiden in Dänemark. 365
Grafen von Holstein und der Adel von Jütland hielten zur Hanse.
Schonen und Gothland sollten an Schweden zurückfallen. Am 5. Februar
1368 wurde der Krieg an Dänemark erklärt und einige Wochen später Klage
bei dem Kaiser erhoben.1) Waldemar ging, um Bundesgenossen zu
finden, nach Deutschland, aber sein Werben war umsonst. Seine Gegner
zerstörten Kopenhagen, eroberten Schonen und errangen gegen Hakon
solche Vorteile, dafs er um Frieden bat. Im folgenden Jahre fiel das
tapfer verteidigte Helsingborg. Da Waldemar noch immer im Auslande
weilte, schlofs der dänische Reichsrat mit den Hansestädten eine Über-
einkunft (1369, 30. November), die ihnen alle früheren Privilegien be-
stätigte und zwei Drittel sämtlicher Einkünfte aus den Vogteien in
Schonen auf 15 Jahre zuwies. Sollte die Krone des Reiches auf einen
andern König übergehen, so sollte das nach dem Rat der Städte ge-
schehen. Das Abkommen wurde am 30. Mai 1370 in Stralsund bestätigt.
Waldemar IV., dessen Hoffnung auf auswärtige Hilfe nicht in Erfüllung
ging, erteilte ihm am 29. Dezember 1371 seine Bestätigung, Hakon be-
stätigte der Hanse vier Jahre später alle ihr von seinen Vorfahren ge-
wahrten Freiheiten. Das Reichsgebiet Dänemarks und Norwegens blieb
ungeschmälert, da den Städten weniger an unsicherem Landerwerb
als an geordneten Zuständen in beiden Ländern gelegen war, unter
denen allein ihr Handel gedeihen konnte. Es bezeichnet die Macht-
stellung der Hanse, dafs Karl IV., als er am 20. Oktober 1375 in
Lübeck seinen Einzug hielt, die Bürgermeister der Stadt als Herren
begrüfste : Fünf Städte, Rom, Venedig, Pisa, Florenz und Lübeck seien
es, denen der Name der Herrschaft gegeben sei. — In demselben Monate
starb Waldemar Atterdag. Mit ihm erlosch der Mannsstamm des Ge-
schlechtes der Estrithiden.
§ 87. Die Blütezeit des Deutschen Ordens (1309—1382).
Quellen, s. § 29. Hilfsschr. ebenda. Dazu Sattler, Der Staat d. D. Ordens
zur Zeit seiner Blüte. HZ. XLIX. L. Weber, Preufsen vor 500 Jahren. Danzig 1878.
Woltmann, Der Hochm. Winrich. v. Knieprode u. s. nord. Polit. Diss. 1901.
1. Im Jahre 1294 starb das pommer ellische Fürstenhaus mit Herzog
Mestwin aus. Pommerellen umfafste das Gebiet an der unteren Weichsel
westwärts bis an die Netze. Auf das Erbe erhoben die Herzoge von Pommern
und Grofspolen, die Markgrafen von Brandenburg und der Fürst von
Rügen Ansprüche ; aber auch der Deutsche Orden, dem schon ein Oheim
Mestwins (1276) das Gebiet von Mewe überlassen hatte. Polens Kraft
war durch Thronstreitigkeiten gelähmt. Wenzel IL, der die Oberhand
behielt (s. § 45), begünstigte das in Pommerellen begüterte Haus der
Swenza; als König Albrecht mit Wenzel III. Frieden schlofs (1305,
5. August), wurde Pommerellen als Entschädigung Brandenburgs für die
Preisgebung seiner Meifsner Pfandschaft in Aussicht genommen. Der Tod
Wenzels III. schuf eine völlig neue Lage. Wladislaw Lokietek, der in
ganz Polen Anerkennung fand, verweigerte die Herausgabe Pommerellens,
l) Huber, Regg. R. 461.
366 Der deutsche Orden. Erwerbung Pomnierellens. Abschlufs d. Ordensstaates.
verfolgte die Swenza und trieb sie zum Anschlufs an Brandenburg. Der
deutsche Orden sah mit Besorgnis auf die steigende Macht der Branden-
burger, die sich in Danzig festsetzten, und folgte einem Hilferufe der
daselbst eingeschlossenen Polen. Kaum hatten die Ordensritter die
ihnen eingeräumte Hälfte der Burg besetzt, nötigten sie die Branden-
burger zum Abzug, bemächtigten sich der andern Hälfte, überfielen die
Stadt und nahmen sie in Besitz. Zu spät eilte Lokietek herbei; er ver-
mochte die von den Rittern für die Zurückgabe verlangte Summe nicht
zu bezahlen. Der Orden besetzte nun auch noch Dirschau und
Seh wetz und kaufte, um ein Rechtstitel auf den neuen Besitz zu
haben, Brandenburgs Ansprüche. Als Heinrich VII. diesen Vertrag be-
stätigte (1310, 27. Juli), war der Besitz Pommerellens für Preufsen im
wesentlichen gesichert; auch die Proteste des Polenkönigs und des Erz-
bischofs von Riga konnten daran nichts ändern. Als der Orden von
der Herzogin Salome von Kujavien auch noch das sogenannte Werder,
d. i. das Land zwischen Weichsel, Nogat und Haff, erwarb, war der Orden
Herr der Weichselmündung und Polen vom Meere abgeschnitten. Diesen
Verlust konnte es nimmer verwinden. Danzig, das hundert Jahre zuvor
nur wenige Deutsche beherbergte, wuchs nun mächtig empor ; diese letzten
Erwerbungen schlössen den Ordensstaat äufserlich ab.
2. Indem der Orden seine Kräfte in Preufsen konzentrierte, konnte
er seine Aufgabe auch jetzt im Sinne der alten Statuten, aber in anderer
Art als in Syrien lösen. Hiefür gab sich allerorten lebhaftes Interesse
kund. Gehörte es einst zum guten Ton, eine Kreuzfahrt nach Jerusalem
zu machen, so strömten nun die Ritterscharen nach Preussen, um an
den »Heidenfahrten« nach Litauen teilzunehmen. Das ganze 14. Jahr-
hundert ist mit diesen »Reisen« angefüllt, und oft genug stehen deutsche
Fürsten wie König Johann von Böhmen1), sein Sohn Karl (IV.), der
Graf von Holland, u. a. an ihrer Spitze. Des Ordens Ziele sind nicht
mehr wie früher allein auf die Armen- und Krankenpflege, auf fromme
Übungen und den Kampf gegen die Ungläubigen gerichtet: aus einem
einfachen Ritterorden wird nun ein Ordensstaat mit einer geordneten
Landesverwaltung, Rechtspflege, Wehrverfassung und allen Aufgaben,
die ein Staat zu lösen hat. Wohl sind die alten Amter geblieben, ihre
Bedeutung ist aber eine gröfsere, denn jedes Ordensmitglied, ob Mönch
oder Ritter, ist je nach den Umständen Soldat, Verwaltungsbeamter oder
Diplomat2), der Hochmeister, vom Kaiser mit Preufsen und dem Kulmer-
land belehnt, Fürst des Reiches und als solcher im Besitz der Landes-
hoheit. In den äufseren Angelegenheiten sind ihm die Landesbischöfe
von Samland , Kulm , Ermeland und Pomesanien unterworfen , deren
Domkapitel sich aus den Ordenspriestern ergänzen. Unter dem Hoch-
meister stehen die fünf Gebietiger, der Grofskomtur, der die Auf-
sicht über den Ordensschatz, die Vorräte und Magazine hat, der Ordens-
*) Eodem anno marchio Moraviae (Karl IV.) et comes Hollandiae ac multi alii
prineipes transiverunt Prussiam contra Litivanos. Benesch a. a. 1343. S. Johanns
Kreuzfahrten 1330, 1337, 1345.
2) Prutz I, 34.
Politik des Ordensstaates. Seine Organisation. 367
marsch all, der für das Kriegswesen, der Spittler, der für die Kranken-
pflege, der Trapier, der für das Bekleidungs- und der Trefsler, der
für das Finanzwesen zu sorgen hat. Umfangreicher Besitz wird von
einem Landmeister verwaltet. Nur bezüglich der Besetzung der fünf
obersten Stellen ist der Hochmeister an die Zustimmung des Konvents
der Hauptburg gebunden: zu den Beratungen über Verträge, Ordens-
gesetze und Statuten wird das aus den Landmeistern und obersten Ge-
bietigern bestehende Generalkapitel berufen. Hier wird die Wahl,
nach Umständen freilich auch die Absetzung, des Hochmeisters voll-
zogen. Über jeden der zwanzig Bezirke des Ordenslandes steht ein
Komtur und ihm zur Seite die Brüder des Konvents als Räte, Ver-
waltungsbeamte oder Offiziere. Entferntere oder kleinere Bezirke leitet
ein Komtur ohne Konvent. Dem Orden steht somit nicht nur ein
stehendes Heer, sondern auch ein tüchtiges Beamtentum zur Verfügung :
Einrichtungen, die den meisten Staaten dieses Zeitraumes noch fehlen.1)
Dieses Staatswesen ergänzt seinen Bedarf an Beamten und Offizieren aus
dem Überschufs der ritterrnäfsigen Klassen des deutschen Volkes, demnach
aus jenen Bestandteilen des Laientums, das die höchste Bildung, gröfste
Tatenlust und kriegerische Kraft besafs. Als geistlicher Orden verfügte
es über geeignete , diplomatisch , wirtschaftlich und politisch geschulte
Kräfte. Allerdings hätte der Orden sich gegen eine unbotmäfsige Be-
völkerung und die Feindschaft der Litauer und Polen nicht zu behaupten
vermocht, hätte nicht das Zuströmen deutscher Bürger und Bauern un-
gehemmt bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts fortgedauert. Von den
Städten, die — es sind gegen 60 — in den Jahren 1233 — 1416 in Preufsen
entstanden sind, waren nur 20 älteren Ursprungs, solche, denen der
Orden Stadtrechte verlieh ; die übrigen sind auf das ihnen im vorhinein
verliehene Stadtrecht hin von Unternehmern begründet worden. Was
das Bürgertum im Mutterlande bisher für die wirtschaftliche und geistige
Kultur geleistet, wurde sonach mit einemmal in das bisher städtelose
Preussen übertragen.2) Die Städte haben entweder Lübecker oder Magde-
burger Recht und geniefsen eine ausgedehnte Autonomie. Die Gerichts-
barkeit über die Preufsen auf dem Lande übt der Landesherr, über die
deutschen Hintersassen der Grundherr. Für die deutschen Freien auf
dem Lande sind Schöffengerichte bestimmt. Wie in den Städten die
Bürger, wurde auf dem Lande eine zahlreiche deutsche Bauernschaft
angesiedelt. Die grofse Masse der eingeborenen Bevölkerung war seit
dem letzten grofsen Aufstand in die Stellung von hörigen Bauern herab-
gedrückt worden, dagegen erhielten die Treugebliebenen mannigfache
Vergünstigungen und schlössen sich allmählich an die Deutschen
an. In den Städten gelangten Gewerbe und Handel unter starker Be-
einflussung durch die Hanse zur Blüte, wenn auch die endlosen Kämpfe
gegen Litauer und Polen ihre volle Entwicklung hinderten.
3. Diese Kämpfe nahmen einen gefährlicheren Charakter an, seit
Polen sich mit Litauen verbündete, dessen Herrscher Gedimin seine
x) Sattler, S. 233.
2) Prutz, 66. Über d. Beding., unter denen sich d. Kolonisation vollzog, s. Sattler, 239 ff.
368 Blütezeit des Deutschen Ordens unter Winrich von Knieprode.
Tochter Anna mit Lokieteks Sohn Kasimir vermählte. Dazu kam noch,
dafs der Orden in den kirchenpolitischen Kämpfen Ludwigs des Bayers
zum Kaiser hielt und zeitweise die Gunst der Kurie einbüfste. Der seit
1327 gegen Polen geführte Krieg wurde 1343 durch den Frieden von
Kaiisch beendet; jetzt erst entsagte Polen dem schmerzlich vermifsten
Pommerellen und dem Kulmerland, wogegen es allerdings die Gebiete
von Kujavien und das Dobrinerland zurückerhielt. Dem Dänenkönig
Waldemar Atterdag kaufte der Orden seine Ansprüche auf Estland ab
(1346). Die kräftige Entwicklung des Ordensstaates war neben der
stetigen Unterstützung der abendländischen Ritterschaft der Tüchtigkeit
der Hochmeister zu danken, unter deren Leitung nicht blofs die wirt-
schaftlichen und militärischen , sondern auch die geistigen Interessen
ihre Pflege fanden , wie beispielshalber unter dem Hochmeister Luther
von Brnunschweig1), den schon seine nahen Beziehungen zu Thüringen
auf die Pflege der Dichtkunst hinwiesen, die Marienburg zeitweise das
wurde, was früher die Wartburg gewesen. Die gröfste Blütezeit ist
die Winrichs von Knieprode (1351 — 1382), dessen unleugbaren
Verdienste die folgende Zeit im Hinblick auf ihre spätere schlimme Lage
zu hoch eingeschätzt hat. Aber wenn man auch davon absieht, was
Dichtung und Sage von ihm melden , bleibt noch genug übrig, um in
ihm einen Staatsmann ersten Ranges zu erblicken. Heftiger als unter
seinem Vorgänger entbrannte der Kampf gegen die Litauer, doch
führte er ihn nur, wenn er nicht zu vermeiden war. Fast Jahr für Jahr
wurden gröfsere und kleinere Heerfahrten unternommen. Den gröfsten
Sieg gewann Winrich am 17. Februar 1370 bei Rudau an Samlands
Nordküste; doch brachte der Tag keine Entscheidung. Wie die Ritter
wurden auch die Bürger zum Kriegsdienst herangezogen. Damit jene
auch für den Verwaltungsdienst befähigt seien , wurden sie in ent-
sprechender Weise herangebildet. Fortan mufste ein jedes Ordenshaus
zwei gelehrte Brüder besitzen, einen, der in der Theologie und den andern,
der im Rechte bewandert war. Die Rechte wurden in Kulm gelehrt.
Daneben gab es im Lande elementare Schulen, Pfarrschulen und städtische
Anstalten, in denen Latein gelehrt wurde. In Wormditt hatte der Bischof
von Ermeland eine Anstalt zur Ausbildung der Junker, in Hiltberg ein
Seminar für junge Geistliche. Trotz der unaufhörlichen Kämpfe war
die Verwaltung des Landes eine vorzügliche. Es war die Zeit , wo
Elbing und Thorn, Kulm, Danzig und Königsberg mächtig emporblühten,
und der Handel schwungvoll und gewinnreich nach den Niederlanden
einer-, nach Polen, Ungarn und Rufsland anderseits betrieben wurde.
Von Winrichs drei nächsten Nachfolgern wirkten der erste, Konrad
Zöllner von Rothenstein (1282 — 1290), und der letzte, Konrad
von Iungingen (1393 — 1407) nach seinem Vorbilde. Dagegen traten
unter der dazwischen liegenden Verwaltung Konrads vonWallenrod
(1391 — 1393) schon die tiefen Gegensätze zwischen den Regierenden und
Regierten hervor.
x) Eine ins einzelne eingehende Ordensgeschichte kann hier nicht gegeben
werden. Es mufs genügen, die allgemeinen Momente herauszuheben.
Polen und Ungarn im XIV. Jahrhundert. 369
§ 88. Polen und Ungarn im Zeitalter Karls IV.
Über die Quellen zur poln. Gesch. (vgl. § 45) s. Zeifsberg, Die poln.
Historiographie im MA. Leipz. 1873. Wojciechowski, 0 rocznikach polskiech X — XV.
(Über poln. Jahrbücher.) Krakau 1880. Ketrzynski, 0 roczn. polsk. ib. 1896. Über die
Bearb. polnischer Gesch. u. deren Quellen s. Finkel, Bibliogr. hist. polsk. I, II.
Lemb. 1891 — 1900. Dazu die entsprechenden Jahrg. d. JBG. bes. 1887. Das urk. Mat.
in den zahlr. Urkk.-Büchern u. Monum. medii aevi hist. res gest. Poloniae illustrantia
(s. hierüber JBG. X, 211). tom 1, 8. Cod. dipl. eccl. cathedr. Cracov. 2. Cod. ep.
saec. XV (1384—1462). 4—7. Libr. antiquissimi civ. Cracov. (1360-1506) 3, 9, 10. Cod.
dipl. Pol. Minor, bis 1386. Für die ausw. Beziehungen vor allem Theiner, Vetera Mon.
Pol. I. Die Geschichtschreiber in MM. hist. Polonica II— VI. Bd. II, ed. Bie-
lowski, die ff. die Krak. Akademie. Nicht auf alle Quellen kann hier Rücksicht
genommen werden. Auch werden der Bequemlichkeit wegen die in den MM. Germ. hist.
verzeichneten zitiert. Die Annales Sandivogii bis 1360. MMG. hist. XXIX, 425. Ephe-
merides Wladislavenses bis 1366, ebenda 687 ff. Annales Cuiaviae. MM. Pol. hist. III, 206.
Chronica Cracoviae seu Polonorum anonymi archidiaconi Gnesnensis brevior bis 1395
(v. 1370-1384 von Joh. v. Czarnkow), ib. II, 619 ff. Annales Polonici bis 1378/ed. in
Historiarum Pol. et Lithuan. Script, collectio v. Mitzier de Kolof III, 26. Annales Polo-
norum vornehml. IV. in MM. G. SS. XIX. Ann. Poloniae Cont. 13 u. 14, ib. Chron.
princ. Pol. bis 1382. SS. rer. Sil. v. Stenzel I, 38. S. auch Grünhagen, Wegweiser, wie
oben. Hilfsschriften: Roepell-Caro wie oben. Szujski, Dzieje Polskie 1 — 4.
Lemb. 1862/63. Bobrzynski, Dz. P. Warschau 1887. Balzer, Die polnische Thron-
folge I. Nach dem Tode Kasimirs d. G. Mon. Anz. Krak. Ak. 1897. Zur ung. Ge-
schichte s. Marczali, Ungarns Geschichtsquellen Berl. 1882. Kaindl, Stud. z. d.
ung. Geschichtsq. 1—16. Wien 1894—1902. Akten bei Fejer, tom. VIII, IX. Cod.
dipl. Andegav. I— VI (1301—1357). Theiner, MM. Hung. I u. H (1352—1526). MM.
Slav. meridion. II, III. Chron. Monacence bis 1329. Florianus, Hist. Hung. FF.
dorn. HI, 214—249. Chronicon pictum Vindobonense bis 1330, ib. II, 100—245. Chron.
Posoniense bis 1330, ib. IV, 1 — 44. Heinr. v. Muglen, Ung. Reiinchron. bis 1332
ed. Kovachich. Ofen 1805. Historia Jadrensis obsidionis, Schwandtner HI, 665 ff. Madius,
Hist. de gestis Rom. imp. et summ, pontificum, ed. Brunelli Progr. Zara 1878. Chron.
Zagrabiense et Varadinense, Florianus III, 250 — 261. Chron. Dubnicense bis 1355 u. 1479,
ib. III, 1 — 204. Summa hist. tabula a Cutheis de gestis civium Spalat., ed. Schwandtner.
SS. rer. Hung. III, 654 — 661. Johannes archid. de Kikullew, Historia Ludovici reg.
Hungariae 1342—1382. Schwandtner 1. c. I, 171—199. Hilf Schriften : Die allg.
Werke zur österr. Gesch., vornehmlich v. Krones u. Huber. Unkritisch ist Fefslers
Gesch. Ung. auch in der neuen Aufl. v. Klein. Fast noch unkritischer das Werk von
Csuday, Gesch. d. Magyaren. Deutsch v. Darvay. Berl. 1899. In vieler Beziehung
ist noch die ältere Darstellung von Engel vorzuziehen. Für einzelnes v. Krones,
Der Thronkampf der Prernysl. u. Anjous in Ungarn, ZÖst. Gym. 1863 — 1865. Hub er,
Ludwig I. und die ungar. Vasallenländer. AÖG. LXVI. Jirecek, Gesch. der Bulg.
Prag 1876. Klaic-Bojnicic, Gesch. Bosniens. Leipz. 1885. Ruvarac, Die Regierung
des Banus Turko (1353—1377). Wien 1896. Kallay, Gesch. der Serben, deutsch von
Seh wicker. Xenopol, Histoire des Roumains I. Paris 1896. R Osler, Rom. Studien.
Leipz. 1871. Picot etBengesco, Alexandre le Bon, prince de Moldavie. Vienne 1889.
Onciul, Zur Gesch. d. Bukowina. Czernowitz 1885. Über die Famil. Gara s. Wertner,
Szaz. XXXI. Zur Lit. für die Zeiten Ludwigs d. G. s. auch JBG. 1900, HI, 240.
1. Zu Beginn und zu Ende dieser Periode stehen Polen und Ungarn
in engster Verbindung miteinander.. Das Band, welches das Herrscher-
haus der Pfemysliden um sie geschlungen, wurde früh gelöst. In Polen
behauptete sich Wladislaw Lokietek (1306 — 1333), der alte Gegner
der böhmischen Herrschaft. Sein Königtum wurde von dem Luxem-
burger Johann, der sich als Rechtsnachfolger der alten böhmischen
Dynastie auch in Polen betrachtete und den polnischen Königstitel annahm,
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. ^4
370 Wladislaw Lokietek, König von Polen. Anschlufs von Litauen.
lange bestritten. Um das während des Thronstreites verlorene
Pommerellen zurückzugewinnen, verband sich Lokietek mit dem über das
Vorgehen des Deutschen Ordens in Livland erbitterten Erzbischof von
Riga und brachte wie dieser seinen Streit zur Entscheidung an die
Kurie. Die Aufrichtung einer starken einheitlichen Königsgewalt in
Polen bot grofse Schwierigkeiten. In Krakau, wo die deutsche Bürger-
schaft und der Bischof dem Königtum Wladislaws widerstrebten, inufste
noch 111 ein von den schlesischen Piasten unterstützter Aufstand nieder-
geworfen werden. Je mehr sich aber die Piasten Schlesiens an deutsches
Wesen anschlössen, um so eifriger trat die nationale Partei für Wladislaw
ein, und der Gedanke wurde laut, dafs Polen einer einheitlichen Spitze
bedürfe und diese mit dem Nimbus und der Weihe einer vom Papst
legitimierten Krone geschmückt sein müsse.1) Geistlichkeit, Adel, Bürger
und Burginsassen baten (1317) den Papst, dem Herzoge Wladislav die
seit den Tagen Pfemyslaws (s. oben) verwaiste Krone zu verleihen.2)
Trotz Böhmens Einsprache willfahrte der Papst (1319) der Bitte, und
trotz des Widerspruchs der Piasten von Masovien und Kujavien, die nicht
geneigt waren, der Einigung Polens Opfer zu bringen, liefs sich Wladislaw
samt seiner Gemahlin durch den Erzbischof von Gnesen krönen (1320,
21. Januar). Zugunsten Polens entschied der Papst auch den Streit
über Pommerellen, ohne freilich auf der Durchführung seiner Ent-
scheidung zu bestehen, vielmehr wurde sie auf den Einspruch des Ordens
hin wieder aufgehoben. Um die Grofsen, Geistliche und Laien, an sich
zu fesseln, wurde ihnen bei allen wichtigen Reichsangelegenheiten eine
beratende Stimme eingeräumt, und um in der äufseren Politik erfolg-
reicher auftreten zu können, ein Bündnis mit dem ungarischen König
Karl Robert geschlossen, dem Wladislaw (1320) seine Tochter Elisabeth zur
Ehe gab. Von gröfster Bedeutung wurde sein Anschlufs an Litauen, mit
dessen Unterstützung er die an den Deutschen Orden verlorenen Gebiete
zurückzugewinnen hoffte. Er vermählte seinen Sohn und Erben mit
Aldona (Anna), der Tochter Gedimins und tat so einen Schritt, wie ein
ähnlicher später (1386) zur Union beider Länder geführt hat. Für den
Augenblick hatte der Bund freilich nicht das gewünschte Ergebnis, denn
Pommerellen blieb dem Orden, und Schlesien schlofs sich (1327) für
immer dem luxemburgischen Machtbereich an. Wladislaws Sohn Kasimir
(1333 — 1370), der, ohne ein Kriegsmann zu sein, sich den Beinamen
des Grofsen verdiente, suchte das Band der Einheit um die polnischen
Länder straffer zu ziehen und durch seine Politik des Friedens den
Wohlstand des während der Kriege seines Vaters arg zerrütteten König-
reiches zu hebeD. In diesem Sinne schlofs er (1343) den Frieden von
Kaiisch (s. oben). Die Streitigkeiten mit Böhmen wurden dahin aus-
geglichen, dafs Johann auf den polnischen Königstitel, Kasimir auf die
Oberherrschaft über Schlesien verzichtete. Während Polens Macht im
Westen zurückgedrängt wurde, gelang es Kasimir, Wolhynien und den
*) Caro H, 71.
2) Die böhm. Herrschaft in Polen galt sonach als Usurpation.
Kasimir der Grofse, der Bauernkönig. Karl Robert von Ungarn. 371
gröfsten Teil des Halitscher Landes an sich zu bringen. Grofs waren
seine Leistungen auf dem Gebiete der Verwaltung und Rechtspflege, bei
denen er sich jene Einrichtungen nicht entgehen liefs, die sich in
Deutschland erprobt hatten. Um den Übelständen abzuhelfen, die durch
die Teilungen des polnischen Reiches bisher hervorgerufen worden
waren, wurde (1347) den Ständen Grofspolens zu Petrokow, denen von
Kleinpolen zu Wislitza ein Gesetzentwurf vorgelegt, der die alten Rechts-
gewohnheiten des Volkes und die Verordnungen früherer Fürsten
zusammenstellte und 1368 von einer gemeinsamen Versammlung geist-
licher und weltlicher Würdenträger zu Wislitza als allgemeines Gesetzbuch
angenommen wurde. *) Wegen der Sorge Kasimirs für den Bürger- und
Bauernstand pflegt man diesen König wohl auch den Begründer des
polnischen Bürgerstandes und den Bauernkönig zu nennen. Beides mit
Recht; wie er die Bauern gegen den Druck des Adels in Schutz nahm,
so hat er zahlreiche offene Städte mit festen Mauern umgeben und
deutsche Bürger ins Land gezogen. Für die geistige Bildung des Volkes
sorgte er, indem er (1364) den Grund zu der Universität in Krakau
legte, die allerdings erst 1400 ihre feste Begründung erhielt. Kasimir
hatte keine männlichen Leibeserben. Trotzdem die kujavische Linie
zweifellos ein näheres Recht auf die Krone hatte, bestimmte er doch
seinen Neffen, König Ludwig von Ungarn, zu seinem Nachfolger.
2. Im Kampfe gegen die Pf emysliden und vom Papsttum unterstützt,
war in Ungarn das Haus Anjou- Neapel mit Karl Robert (1307 — 1342)
zur Regierung gekommen. Eine am Rakosfelde bei Pest tagende Reichs-
versammlung erklärte (1307, 10. Oktober), »ihn mit seiner Nachkommen-
schaft, wie es die königliche Erbfolge mit sich bringt, zum König und
natürlichen Herrn anzunehmen«.2) Aber der Versuch der Kurie, Ungarn
in dieselbe Abhängigkeit wie Neapel zu bringen, wurde abgewiesen und
ihr nur das Recht zugestanden, jenen als König zu bestätigen, den die
Stände frei gewählt hätten. Es dauerte allerdings fast ein Jahrzehnt,
ehe Karl Robert — trotzdem er zweimal gekrönt wurde — die allgemeine
Anerkennung fand. Die Wirren der letzten Jahrzehnte hatten die
ungarische Königsmacht in ihren Grundfesten erschüttert, Besitzungen
und Rechte der Krone waren an die Magnaten gekommen, von denen
einige, wie die Schubitsch in Dalmatien, Kroatien und Bosnien oder
die Czaky im nordwestlichen Ungarn, eine fast königliche Macht besafsen.
Gegen einzelne mufste ein jahrelanger Kampf geführt werden, andere
wurden durch Gnadenbezeigungen und materielle Vorteile gewonnen.
Karl Robert wandte frühzeitig seine Aufmerksamkeit dem ungarischen
Städtewesen zu. Städte wie Gran, Stuhlweifsenburg, vornehmlich aber
Bartfeld und Kaschau erfuhren seine Gnade, und die deutsche Koloni-
sation machte bedeutende Fortschritte. Grofs sind die Leistungen dieses
Königs für die Hebung der Wehrkraft, die Verbesserung des Finanz-
wesens und der Rechtspflege. Seit den zwanziger Jahren befestigte sich
x) Das Statut von Wislitza, Caro, Gesch. Polens, 589.
3) Fejer VIII, 1, 221.
24
372 Serbien unter Stephan Duschan. Die Walachei. Ludwig d. G. v. Ungarn.
seine Macht so bedeutend, dafs er den Reichstag zur Seite schieben
konnte und durch einen Rat von Prälaten und hohen Beamten ersetzte.
Nun trat er auch nach aufsen hin kraftvoller auf, ohne freilich immer
die gewünschten Erfolge zu erzielen. So liefs sich Zara, das sich gegen
Venedig empört und Ungarns Herrschaft angenommen hatte, nicht nur
nicht behaupten, es gelang den Venezianern noch, Trau, Sebenico und
Spalato zu gewinnen. Der Ban von Bosnien war tatsächlich von Ungarn
unabhängig, und Serbiens Angriffe auf Südungarn mufsten mit Waffen-
gewalt zurückgewiesen werden. Dabei wurde Serbien so wenig geschwächt,
dafs es sich unter Stephan Urosch III. und Stephan Duschan
(1331 — 1355) zur ersten Macht auf der Balkanhalbinsel erhob. Vergeblich
war auch Karl Roberts Versuch (1330), die Walachei zu erobern. Dort
hatte um 1290 Radu Negru (Rudolf der Schwarze) mit rumänischen,
ihres schismatischen Glaubens wegen in Siebenbürgen bedrängten Volks-
genossen das walachische Fürstentum begründet; sein zweiter Nach-
folger Alexander (Bassarabe 1325 — 1365) konnte Karl Roberts Angriffe
um so erfolgreicher abweisen, als dieser sein Augenmerk mehr den Ver-
hältnissen des Abendlandes, vornehmlich denen Neapels, zuwandte (s. oben),
in den Kämpfen im deutschen Reiche als Vermittler auftrat und in die
Streitigkeiten Böhmens, Polens und des Deutschen Ordens kräftig eingriff.
Wie zu Wladislaw Lokietek, stand Karl Robert auch zu dessen Sohn Kasimir
in freundschaftlichen Beziehungen. Da dieser von seiner Gemahlin Anna
von Litauen keine Kinder hatte, fafste Karl Robert die Erwerbung
Polens ins Auge und setzte es bei der Freundschaft, die ihn mit dem
verwandten polnischen Königshause verband, auch durch, dafs sein älterer
Sohn als Thronerbe in Polen angenommen wurde (1339). Ludwig
(1342 — 1382) führte die Regierung im Geiste seines Vaters, doch viel
tatkräftiger und erfolgreicher weiter. Sein Ziel ging nicht blofs dahin,
die dem Reiche verloren gegangenen Besitzungen wieder zu gewinnen,
sondern auch Ungarns Ansprüche auf einzelne Nachbarländer zur Geltung
zu bringen; er wurde hierin derart vom Glück begünstigt, dafs Ungarn
unter ihm eine Ausdehnung erreichte, die es weder vor noch nach ihm
jemals besessen hat. Als er die wegen der Steuergesetze seines Vor-
gängers erregte Stimmung unter den Sachsen Siebenbürgens beschwichtigte,
fand sich der Woiwode Alexander freiwillig bei ihm ein und erkannte
Ungarns Oberhoheit über die Walachei an (1343). In den nächsten
Jahren wandte er sein Augenmerk teils den Verhältnissen Kroatiens und
Dalmatiens zu, wo er die Grofsen und die der Schutzherrschaft Venedigs
unterworfenen Küstenstädte wieder zu unterwerfen bemüht war, teils dem
Königreiche Neapel, wo er die Ermordung seines Bruders Andreas rächte
(s. oben). Ludwigs Oheim, König Kasimir von Polen, hatte im Kampfe
gegen die Litauer (1349) zwar den gröfsten Teil der ehemaligen Fürsten-
tümer Halitsch und Wladimir erobert, aber nicht behaupten können.
Ludwig zog seinem Oheim zu Hilfe (1351) und bewog die Litauer-
fürsten Kieystut und Olgierd nicht blofs zum Frieden, sondern auch
zur Annahme des Christentums, falls Kieystut vom Papste die Königs-
krone erhalte. Die Fürsten hielten sich aber wenig an ihre Zusagen;
Gröfste Ausdehnung Ungarns im Mittelalter. 373
schon im folgenden Jahre zog Ludwig im Bunde mit Kasimir gegen sie
zu Felde und trat diesem seine Ansprüche auf Rotrufsland ab, doch
unter der Bedingung, dafs dieses Land zugleich mit Polen beim kinder-
losen Abgang Kasimirs an Ungarn fallen solle.
3. In den vierziger Jahren hatten Rumänen aus der Marmarosch,
die unter den ungarischen Königen von alters her eine nationale Auto-
nomie unter eigenen Woiwoden genossen1), während eines Kriegszuges
Ludwigs gegen die Tataren, unter ihrem Führer Dragosch, die nach
dem Flusse Moldova benannte Moldau besetzt und die Grundlagen zu
dem späteren Fürstentum Moldau gelegt.2) Ludwig betrachtete es
als Gebiet der ungarischen Krone. Der Woiwode Bogdan3), der gleichfalls
aus der Marmarosch dahin gezogen war, richtete das Land als selbst-
ständiges Staatswesen ein und behauptete sich gegen die Nachkommen
des Dragosch ebenso wie gegen Ludwig. Er ist sonach der wahre
Begründer des moldauischen Fürstentums (1348). König Ludwig mufste
sich mit der Anerkennung seiner Oberhoheit und Zahlung eines Tributes
begnügen. — Auch der Ban von Bosnien erkannte (1356) Ungarns
Oberhoheit an; weniger richtete Ludwig gegen Stephan Duschan von
Serbien aus, der sich 1346 zum Zaren der Serben hatte krönen lassen
und dessen Macht von der Donau bis an die Meerbusen von Patras und
Volo und von Timok bis ans Adriatische und Jonische Meer reichte.
Als nach seinem Tode (1355) seine Söhne Urosch und Simeon mit-
einander in Streit gerieten, sammelte Ludwig ein Kreuzheer gegen die
»ketzerischen« Serben, wandte sich aber gegen die Venezianer, welche
die Herausgabe der dalmatinischen Städte verweigerten, und gewann im
folgenden Jahre Spalato und Trau, dessen Einwohner, der venezianischen
Herrschaft müde, sich an ihn anschlössen. Nach hartem Kampfe wurde
auch Zara erobert, und da die ungarischen Truppen auch in der Terra
firma Vorteile errangen, schlofs Venedig (1358) einen Frieden, in welchem
es alle Inseln und Küstenplätze zwischen dem Quarnero und Durazzo
abtrat. Zugleich verzichtete der Doge auf den Titel eines Herzogs von
Kroatien und Dalmatien. Ungarn besafs nun den lang ersehnten Zutritt
zum Meere. Erst jetzt wurde der Kampf gegen Serbien erfolgreich auf-
genommen ; die Grofsmachtstellung dieses Staates brach schon wenige
Jahre nach dem Tode ihres Begründers zusammen — freilich nicht unter
den Schlägen der Ungarn, sondern der Osmanen (s. unten). Auch König
Twartko von Bosnien, der von seinem Bruder und den Grofsen vertrieben,
in Ungarn Hilfe suchte, erkannte dessen Oberherrschaft an. Endlich
setzte sich Ludwig auch in den Besitz des zu Bulgarien gehörigen
Gebietes von Widdin und bildete aus den gewonnenen Landschaften und
einigen altungarischen Bezirken ein eigenes Banat. Seine Macht im
Süden hatte damit ihren Höhepunkt erreicht. Mit der ungarischen
Oberhoheit ging die katholische, von Franziskanern geleitete Propaganda
1) Onciul, Zur Gesch.. der Bukowina, S. 24.
2) Den Kern des Fürstentums bildet die Bukowina. Hier war die Fürstenresidenz
Suczawa, bis sie im 16. Jahrh. nach Jassy verlegt wurde.
3) Die Lilien auf Bogdans Münzen weisen auf die Lilien des Hauses Anjou hin.
374 Die Erwerbung Polens. Kämpfe in Italien.
Hand in Hand. Die ungarische Macht war aber nicht stark genug, die
Balkanstaaten unter ihrer Herrschaft zu behaupten. Schon 1365 weigerte
sich der walachische Fürst Laie (1365 — 1372) eine Zeitlang, die Zu-
stimmung Ungarns zu seiner Thronbesteigung einzuholen, und ein Krieg,
der aus unbekannten Ursachen im Herbste 1368 oder im Frühjahr 1369
ausbrach, endete für Ungarn ungünstig. Um den Woiwoden an sich
zu fesseln, überliefs Ludwig ihm das Gebiet von Fogarasch. Dem Bei-
spiel der Walachen folgten die Bulgaren; um sich der Angriffe des
Bulgarenkaisers Schischman zu erwehren, übergab Ludwig das Gebiet
von Widdin dem Bulgaren Strazimir als Vasallenfürstentum.
4. Das Zurückweichen Ungarns bot um so gröfsere Gefahren, als
eine straflere Zusammenfassung aller christlichen Kräfte auf der Balkan-
halbinsel gegen die steigende Macht der Osmanen erforderlich und nur
Ungarn imstande war, diesen mächtigen Feind, der sich 1356 bei
Gallipoli festgesetzt hatte und 1363 Adrianopel eroberte, nach Asien
zurückzuwerfen. In der Tat fafste König Ludwig 10 Jahre später auf
Bitten des griechischen Kaisers den Plan, den Kampf gegen die Osmanen
zu Wasser und zu Lande aufzunehmen, ohne ihn aber angesichts der
allgemeinen politischen Lage durchführen zu können. Und doch drangen
die Türken, nachdem sie 1371 die Serben besiegt, den König Vulkaschin
getötet und die serbischen Fürstentümer in Mazedonien teils erobert
teils tributpflichtig gemacht hatten, immer näher an Ungarns Grenzen
heran. König Twartko von Bosnien machte sich von der ungarischen
Herrschaft frei, und auch der walachische Fürst Padu IL erscheint als
völlig unabhängig. Die Oberherrschaft über das westliche Bulgarien und
das nördliche Serbien war gleichfalls nur noch eine nominelle. Einen
Ersatz für so grofse Einbufsen bot die Erwerbung Polens, zu dessen
König Ludwig am 17. November 1370 gekrönt wurde. Die Verwaltung
dieses Landes übertrug er seiner Mutter Elisabeth, die ihrer Aufgabe
freilich wenig gewachsen war und 1377 auf ihre Stellung verzichtete.
Übrigens wurde Rotrufsland (Ende 1380 oder anfangs 1381) von Polen
abgetrennt und mit Ungarn vereinigt. — Als Sprosse des Hauses Anjou
wandte Ludwig den Verhältnissen Italiens grofse Aufmerksamkeit zu,
unterstützte die Mission des Kardinals Albornoz und war Gegner der
dem Papsttum feindlichen Visconti. Daher gelangte er in Italien zu
einem Ansehen, mit dem sich das des Kaisers nicht messen konnte.
Sprach man doch 1359 von einer Ersetzung Kaiser Karls IV. durch
König Ludwig von Ungarn. Er half Franz von Carrara in dem Kampfe
gegen Venedig, der (1373) zu dessen Gunsten endete; der Krieg wurde
fünf Jahre später wieder aufgenommen; der Friede von Turin (1381)
liefs auch diesmal die territorialen Verhältnisse ungeändert, bis auf Triest,
das die Venezianer an den Patriarchen von Aquileja abtraten. Hatte
Ludwig diesen Krieg nur lau geführt, wiewohl eine ausgiebige Schwächung
Venedigs in Ungarns Interesse lag, so trugen eben auch hier wie in der
Politik gegen die Balkanstaaten die angiovinischen Hausinteressen den
Sieg über den Vorteil Ungarns davon. Ludwig dachte erst daran, Neapel
für seine älteste Tochter Katharina zu erwerben; als diese starb, ruhten
Karl von Durazzo wird König v. Neapel. Die ung.-poln. Grofsmacht. 375
seine Pläne, bis sie in anderer Gestalt 1378 wieder aufgenommen wurden.
Da die Königin Johanna beim Ausbruch des Schismas (s. unten) sich
auf Avignons Seite gestellt hatte, wurde sie von Urban VI. gebannt.
Neapels Krone sollte nun an den Sohn des 1348 enthaupteten Prinzen Karl
von Kalabrien, Karl von Durazzo, gelangen, der an Ludwigs Hof erzogen
und von ihm zum Herzog von Dalmatien und Kroatien ernannt worden
war. Zu seinen Gunsten hatte Ludwig seinen Ansprüchen auf Neapel
entsagt, wogegen Karl auf seine Rechte auf Ungarn und Polen zu-
gunsten der Töchter Ludwigs verzichtete. Ein ungarisches Heer rückte
in Italien ein; Karl wurde vom Papste mit Neapel belehnt (1381), Johanna
im Castell deh" Uovo belagert, gefangen genommen und (1382) erdrosselt.
Noch in demselben Jahre starb König Ludwig selbst. War seine Macht
nach aufsen hin eine überragende, so waren auch die Zustände im Innern
Ungarns befriedigendere als jemals zuvor. Ludwig hat im Geiste seines
Vaters die Macht des Königtums gestärkt und gehoben, und nie war die
Königsmacht in Ungarn so unumschränkt als damals. Der Reichstag
wurde nicht einberufen und die wichtigsten Angelegenheiten mit einem
dem Könige durchaus ergebenen Rate von Prälaten, Magnaten und
Würdenträgern erledigt. Bei dem guten Zustand der Finanzen konnte
Ludwig der Bewilligungen des Reichstages entraten. Um den Adel für
seine Kriege zu gewinnen, gewährte er ihm reichliche Vergabungen; die
Städte wurden zwar begünstigt, nicht selten aber doch derart mit Steuern
belastet, dafs £ie zu Aufständen geneigt waren. Ludwig hob Handel und
Gewerbe, freilich auch nur, um sie für seine Finanzen auszubeuten. Für
die höhere Bildung im Lande wurde 1367 in Fünfkirchen eine Universität
gestiftet, welcher der Papst aber die theologische Fakultät versagte.
Alles in allem erschien die ungarisch-polnische Grofsmacht nach aufsen
hin bedeutender als sie in Wirklichkeit war; das Wichtigste wurde aufser
acht gelassen, sie gegen die anwachsende Türkenmacht zu einem
unüberwindlichen Bollwerk auszugestalten.
§ 89. Die letzten Regierungsjahre Karls IT. und der Ausgang des
avignonesischen Papsttums.
Quellen wie oben. Für die Wahl Wenzels s. noch deutsche Reichstagsakten 1 .
München 1868. Zur Gesch. Gregors XI. Die Vita Gregorii prima bis quarta. Baluze, Vitae
pap. Aven,, S. 425 ff. Muratori III, 2. 645 ff. Itinerarium D. Greg. XI. incepturn XIII.
Sept. a. 1376 a Petro Aurelio Alectensi exaratum. Murat. III, 2. Zur Reise Karls IV.
nach Frankreich die Entrevue du Charles IV ... et de Charles V p. p. Godefroy. Paris 1614.
Hilfsschriften wie oben. Dazu Kirsch, Die Rückkehr der Päpste Urban V.
und Gregor XI. von Avignon nach Rom. Paderborn 1898. Scholz, Die Rückkehr
Gregors XI. von Avignon nach Rom. Progr. Hirschb. 1884. Mirot, La politique pontif.
et le retour du Saint Siege ä Rome en 1376. Paris 1899. Sylvestre, Budes et les Bretons
en Italic Bl^Ch. LVIII. Zur Wahl Wenzels s. Lindner, Gesch. d. d Reiches unter
K.Wenzel I. Henrich, De Wenceslai regni Romanorum electione 1868. Jenkner,
tTber die Wahl König Wenzels 1873. L i n d n e r , Die Wahl König Wenzels Forsch. XIV,
240 ff. Höf ler, Karls IV. Ordnung der Nachfolge im Reich. 1376. MVGDB. HI.
Wenzels von Luxemburg Wahl zum römischen König 1376. Wien. SB. LX, 649 — 674.
Weizsäcker, Rense als Wahlort. Abh. d. Berl. Ak. 1891. Schmidt, Die staats-
rechtliche Anwendung der Goldenen Bulle bis zum Tode Sigmunds. Halle 1894.
376 Karl IV« und cue Witteisbacher.
Klüpfel, Der Schw. Bund. HT. VIF., 2. Lindner, Zur Gesch. des Bchwäb.
Städtebundes. Forsch. XIX, s. auch Vi seh er. Ebenda II u. III. Vochezer, ebenda XV.
Jacob sen, Die Schlacht bei Reutlingen. 1882. Für die Bez. zu Frankr. : Gottlob und
Fournier w. o. Scholz, Die Zusammenkunft Karls IV. u. Karls V. v. Frankr. Progr. Brieg
1877. Winke lmann, Die Beziehungen Karls IV. zum Königreich Arelat. Strafsburg 1827.
Valois, Le Pro j et de manage entre Louis de France et Catherine de Hongrie et
le voyage de l'empereur Charles IV a Paris. Paris 1893. Zur Ländert : die oben
genannten Handbücher zur böhm. Gesch. Dazu Gelbe, Herzog Johann von Görlitz
XL. Mag. LIX. Schlesinger, Eine Erbteilungs- u. Erbfolgeordnung v. 21. Dez. 1376.
MVGDB. XXXI, 1.
1. Die bayrischen Herzoge hatten den Verlust Tirols lange Zeit
hindurch nicht verschmerzen können und noch 1365 Verträge mit Mein-
hard von Görz gegen Ost erreich geschlossen. Während sich die Habs-
burger, denen es seit Rudolfs IV. Tode an einer zielbewufsten Leitung
fehlte, an den Kaiser anschlössen, lehnte Bayern sich an Ungarn an,
zu dem sich Österreich in gespannten Beziehungen befand, seitdem das
Verlöbnis Elisabeths, der voraussichtlichen Erbin König Ludwigs, mit
Herzog Albrecht von Österreich aufgelöst wurde. Karl IV. hatte die
Habsburger versöhnt, indem er dem Herzog seine eigene Tochter Elisabeth
als Gattin anbot. Die Verstimmung zwischen Österreich und Ungarn
blieb bestehen. Die bayrischen Herzoge schlössen mit Ungarn einen
Vertrag, der sogar die Teilung des österreichischen Gebietes in Aussicht
nahm (1367). Aber Österreich konnte auf die Hilfe Karls IV. und der
in Osterreich begüterten geistlichen Fürsten des Reiches rechnen. Da
Ungarn sich schliefslich ruhig verhielt, hatte der Feldzug, den die
Bayern 1368 gegen Tirol unternahmen, einzelner Vorteile ungeachtet, nicht
den gewünschten Erfolg. Im Frieden von Schärding verzichteten sie
(1369, 29. September) gegen eine Geldentschädigung und einige feste
Plätze endgültig auf Tirol. So hatte sich auch dieses Mal das luxem-
burgische Haus in Gegensatz zu den Wittelsbachern gestellt. Um so
eifriger schlössen sich diese der Koalition an, die König Ludwig gegen
den Kaiser zustande gebracht hatte. Auch der Pfalzgraf war diesmal
geneigt, für die Interessen des wittelsbachischen Gesamthauses einzu-
treten. Xoch mehr war dies mit dem Markgrafen Otto von Branden-
burg der Fall. Schon 1370 fafste der Kaiser den Verdacht, dafs Otto
den mit den Luxemburgern geschlossenen Erb vertrag brechen und
Brandenburg den Söhnen seines Bruders Stephan zuwenden wolle. Um
ihm zuvorzukommen, erwarb er Fürstenberg a. d. Oder, liefs es als
Stützpunkt für einen Angriff auf Brandenburg befestigen, zog Herzog
Magnus von Braunschweig von seinem Bunde mit Otto ab, brachte
Pommern und Sachsen auf seine Seite und wufste auch diesmal die
Interessen der AVittelsbacher zu teilen. Indem er Wenzel mit Johanna,
der Tochter Herzog Albrechts von Straubing, vermählte, und dessen
gleichnamigen Sohn mit seiner Tochter Anna verlobte, erhielt er sogar
noch die Aussicht auf den Erwerb eines Teils von Xiederbayern. Otto
von Brandenburg war isoliert, denn seine Bundesgenossen waren fern.
Dahin gelangt, richtete der Kaiser an ihn die Forderung, schon jetzt der Re-
gierung zu entsagen. Otto trat dagegen in der Hoffnung auf die Hilfe
Die Luxemburger erwerben Brandenburg. Die Nachfolgefrage. 377
des Pfalzgrafen, der bayrischen Herzoge, Ungarns, Salzburgs und Meifsens
gegen den Kaiser auf, der ihm nun (1371, 22. Juni) den Krieg erklärte
und in die Mark einbrach. Eine Reihe glücklicher Ereignisse besserte
die Lage des Kaisers: die Wahl Gregors XL, der für ihn eintrat, der
Tod Kasimirs von Polen, wodurch Ungarns Kraft auf Polen gelenkt wurde,
der Tod Gerlachs von Mainz, der sich gleichfalls den Gegnern des Kaisers
zugesellt hatte, nun aber durch einen Verwandten Karls ersetzt wurde.
Es half Otto wenig, dafs Dänemark die Herzoge Pommerns zum frieden
bewog. Wohl brachen die Ungarn in Mähren ein, Karl schlofs aber
mit Ludwig einen Waffenstillstand bis 1373 und benützte die Zwischen-
zeit, den Bund seiner Gegner völlig zu sprengen. Schliefslich war Otto
von Brandenburg auf seine eigenen Kräfte angewiesen. Unter diesen
Umständen kam es am 15. August 1373 zu dem Frieden von Fürsten-
walde, in welchem Otto gegen Zahlung von 500000 Goldgulden,
die Beibehaltung des Titels und der Rechte eines Kurfürsten und den
Nutzgenufs einiger oberpfälzischer Schlösser, Brandenburg schon bei
Lebzeiten an die Luxemburger abtrat. Von den drei grofsen Erwerbungen
Kaiser Ludwigs war sonach auch die zweite für Witteisbach verloren.
Der Erwerb Brandenburgs durch den Kaiser hatte zur Folge, dafs er
nun auch den maritimen Interessen des Reichs näher trat. Doch dauerte
seine Regierung nicht mehr lange genug, um auf die Staaten des
Nordens noch einen gröfseren Einflufs zu gewinnen.
2. Die grofsen Landerwerbungen des Kaisers konnten, wie das
wittelsbachische Beispiel gelehrt hatte, nur dann als gesichert angesehen
werden, wenn es ihm gelang, seinem Hause auch die Kaiserkrone zu
verschaffen. Wenn er starb, ohne die Nachfolge im Reiche zu dessen
Gunsten geregelt zu haben, stand bei der ungeheuren Macht Böhmens
zu gewärtigen, dafs sich die Rivalen dieses Hauses gegen die Wahl eines
Luxemburgers aussprechen würden. Wiewohl nun die Goldene Bulle
die Königswahl erst nach der durch Tod erfolgten Erledigung des Thrones
in Aussicht nahm, gingen Karls Bestrebungen dahin, noch zu seinen
Lebzeiten die Krone des Reiches seinem bereits zum König Böhmens
gekrönten Sohne Wenzel zu verschaffen. Seine Bemühungen reichen
schon in das Jahr 1367 zurück. Bei der Schwierigkeit, die Kur-
fürsten schon jetzt zu gewinnen, suchte er zuerst Anschlufs an die
Reichsstädte. Seit der Erwerbung der Mark Brandenburg begannen die
Verhandlungen mit den einzelnen Kurfürsten, von denen nur einige,
wie Trier und Pfalz, schwer zu gewinnen waren. Die Preise für die
einzelnen Stimmen waren je nach der Schwierigkeit, sie zu erlangen,
verschieden, alle aber sehr bedeutend. Aufser den Kurfürsten wurden
auch die mächtigeren Fürsten des Reiches, wie Österreich, Württem-
berg u. a., bewogen, Wenzels Wahl anzuerkennen. Da dieser noch jung
an Jahren war, mufste gewartet werden, bis er das 15. Lebensjahr er-
reicht hatte und damit nach altem Rechte mündig wurde. Trotzdem
die Goldene Bulle das Approbationsrecht der Wahl durch die Kurie nicht
anerkennt, legte Karl auch auf ihre Zustimmung grofses Gewicht. Diese
verlangte Erneuerung der von Karl IV. dem Papste Klemens VI. ge-
378 Rückkehr d. päpstl. Stuhles nach Rom. Die Königswahl Wenzels.
schworenen Eide. Sie stellte sich damit auf einen Standpunkt, der mit
ihrer augenblicklichen Lage nichts gemein hatte. Auf dem päpstlichen
Stuhl safs Gregor XL (1370—1378), ein Mitglied der Familie Roger, die
seit Klemens VI. einen grofsenTeil der obersten kirchlichen Ämter und damit
den ganzen Einflufs in den Angelegenheiten der Kirche an sich gerissen
hatte. Der Mahnungen von italienischer Seite ungeachtet, behielt Gregor XL
seine Residenz in Avignon bei. Schliefslich konnten aber die Rufe aus
Italien und die der grofsen Heiligen jener Tage, der hl. Brigitta und
Katharina von Siena, nicht mehr überhört werden. Vornehmlich, waren
es freilich politische Motive, die das Papsttum an die Heimkehr mahnten.
Ganz Italien erhob sich gegen die verhafsten französischen Legaten und
deren Hochmut und unerträgliche Tyrannei. Fast überall trat ein Hafs
gegen die weltliche Macht des Papsttums und den weltlichen Besitz der
Kirche zutage. Die Visconti, Florenz , einst die eifrigste Verteidigerin
des Papsttums, die übrigen Städte Toskanas schlössen einen Bund gegen die
Legaten, »die ungerechten Pastoren der Kirche«. In Florenz wurde
das Inquisitionsgebäude niedergerissen, das Kirchengut eingezogen und
die Priesterschaft an Leib und Leben bedroht. In den Städten des
Kirchenstaates entstand ein offener Aufruhr. Im März 1376 erhob sich,
von Florenz unterstützt, Bologna. Da sprach Gregor XL den Bannfluch
über die Florentiner aus und erklärte ihr Hab und Gut als vogelfrei,
In England und Frankreich , wo sie sich als Geldwechsler aufhielten,
ward Hand darauf gelegt. Unter diesen Umständen mufste der Papst
zurückkehren, sollten nicht alle Erfolge des Kardinals Albornoz, ja der
Kirchenstaat selbst verloren gehen. Trotz der Warnungen seiner Ange-
hörigen und des Unwillens der an Frankreich hängenden Kardinäle brach
Gregor XL am 2. Oktober 1376 von Marseille auf und traf im Januar 1377
in Rom ein. Eine der wichtigsten Fragen, an die er herantrat, betraf
sein Verhältnis zum Kaiser. Schon am 20. März 1376 hatte Karl IV.
dem Papste erklärt, die Kurfürsten gedächten, am 1. Juni die Wahl
zu vollziehen und ihr unmittelbar die Krönung folgen zu lassen.
Gregor XL verlangte, dafs die Krönung wenigstens nicht vor erlangter
Approbation stattfinde. Doch auch dagegen waren die Wähler, und
Karl IV. erklärte sich schliefslich nur dazu bereit, Wahl und Krönung
um einige Tage zu verschieben, damit der Papst die Wahl noch vor der
Krönung approbieren könne. Ohne weiteres Zögern wurde nun Wenzel
am 10. Juni 1376 in Frankfurt gewählt und am 6. Juli in Aachen ge-
krönt, ehe der Papst noch in die Lage kam, die Bestätigung zu erteilen.
Wenzel war nunmehr rechtmäfsiger König und trat auch als solcher auf.
Da sich der Papst aber weigerte, Wenzels Wahl anzuerkennen, bat
Karl noch nachträglich um die Genehmigung der Wahl. Von einem
scharfen Auftreten des Papstes konnte aber keine Rede sein. Nach
allen Seiten warteten seiner die schwierigsten Aufgaben ; es galt, rebellische
Städte und Landschaften zu unterwerfen, die unterworfenen zu pazifizieren
und neue Organisationen zu schaffen. Mitten unter Plänen aller Art,
und ehe noch der Friede mit den Florentinern hergestellt war, starb
Gregor XL, dessen Wille stark, dessen Kräfte aber schwach waren, am
Der schwäbische Städtebund. Schlacht bei Reutlingen. 379
27. März 1378 — der letzte der avignonesischen Päpste. Erst nach dem
Ausbruch des Schismas erfolgte die Anerkennung des Königtums Wenzels
durch den Papst und Gegenpapst.
3. Um die Kosten der Erwerbung Brandenburgs und der Königs-
wahl Wenzels hereinzubringen, war der Kaiser genötigt, den Städten aufser-
gewöhnliche Steuern aufzubürden. Dagegen vereinigten sich am 4. Juli 1376
vierzehn schwäbische Städte zum schwäbischen Städtebunde, der bis
April 1380 dauern sollte und den Zweck verfolgte, jede Verpfändung oder
ungewöhnliche Besteuerung zu verhindern. Sie wollten »unbeschätzt, un-
versetzt, unverkauft bei ihrer gewöhnlichen Steuer« beim Reiche ver-
bleiben. Vergebens begehrte Karl IV. die Auflösung des Bundes und
erklärte die Städte in die Acht. Sein Versuch, sie mit Waffengewalt zu
bezwingen, mifslang: er mufste nach kurzer Belagerung Ulms abziehen
und überliefs die Fortsetzung des Kampfes den bayrischen Herzogen
und dem Grafen Eberhard von Württemberg. Es entstand so ein Gegen-
satz zwischen Reichsstädten und Fürsten , der über ein Jahrhundert
dauerte. Eberhards Sohn Ulrich erlitt am 14. Mai 1377 bei Reut-
lingen eine entscheidende Niederlage. Schliefslich wurde ein Land-
frieden festgesetzt, der die Städte vor Verpfändung sicherte und ihnen
das Recht gemeinsamer Verteidigung gewährte. Der schwäbische
Städtebund breitete sich rasch aus; selbst die österreichischen Herzoge
schlössen mit ihm ein Schutz- und Trutzbündnis (1378, 13. Februar).
Der Krieg gegen Württemberg wurde schliefslich durch die Vermittlung
des Kaisers zugunsten der Städte beigelegt. Die nächsten Bemühungen
des Kaisers betrafen die Herstellung eines allgemeinen Landfriedens
im Reiche.
4. Karl IV. hatte in den letzten Jahren mit qualvollen Leiden zu
kämpfen. Trotzdem unterzog er sich noch anstrengenden Reisen. Von
Tangermünde1), wo er gern verweilte, zog er im Herbst 1377 über West-
falen an die Stätten, wo er seine Jugend verlebt hatte. Um Frankreich
seinem Hause günstig zu stimmen, übertrug er dem Dauphin das Reichs-
vikariat über ganz Burgund; die Angliederung dieser Landschaften an
Frankreich machte hiedurch einen grofsen Schritt vorwärts. Über die
Teilung des von ihm beherrschten Ländergebietes hatte Karl IV. bereits
im Jahre 1376 Verfügungen getroffen. Danach erhielt Wenzel Böhmen,
Schlesien, Bautzen und den westlichen Teil der Niederlausitz, die luxem-
burgischen Besitzungen in Bayern, Franken und Sachsen und die Ober-
hoheit über sämtliche Länder der böhmischen Krone; das so mühsam
erworbene Brandenburg wurde der Führung der Kurstimme wegen, die mit
der böhmischen nicht in einer Hand vereinigt sein durfte, an den zweiten
Sohn Sigmund gegeben, der jüngste, Johann, erhielt das neugeschaffene
Herzogtum Görlitz und die Neumark.2) Im Königreiche und den beiden
*) Zahn, Karl IV. in Tangermünde. 1902.
2) Die betreffende Urkunde vom 21. Dez. 1376 (sie findet sich in einem Saazer
Formelbuch) ist in deutscher, nicht ganz korrekter Übersetzung erhalten. Siehe
Schlesinger in den MVGDB. XXXI, 5—13.
380 Charakteristik Karls IV.
andern Ländern sollte das Recht der Primogenitur festgehalten und
die Rechte der Hauptlinie bei ihrem etwaigen Erlöschen im Mannesstamm
auf die mährische Linie (s. oben) übergehen. Für Brandenburg wurde
bestimmt, dafs nach dem Erlöschen der Linie Sigmunds die Johanns
von Görlitz zu folgen habe.1) Sollte die böhmische und mährische Linie
im Mannesstamm erlöschen, dann sollte »die älteste Tochter des Ge-
schlechtes« die Nachfolge erhalten. Von einem Erbrecht Herzog Wenzels
von Luxemburg, des jüngsten Bruders Karls IV , ist in der Ordnung
keine Rede; dagegen hatte dieser auf den Wunsch Karls IV. noch am
31. Januar 1378 König Wenzel zum Erben seines Herzogtums und der
Grafschaft Chiny eingesetzt, falls er — wie zu erwarten stand — ohne
Erben stürbe.
5. Karl IV. starb mitten unter seinen Bemühungen zur Beilegung des
Schismas (s. unten) an einem schleichenden Fieber am 29. November 1378.
Sein Wirken ist schon von seinen Zeitgenossen verschiedenartig beurteilt, von
den einen ebenso übermäfsig gelobt wie von den andern getadelt worden.2)
Wenn man sein Vorgehen gegen die Witteisbacher tadelt, wird übersehen,
dafs er sich von keiner grundsätzlichen Feindschaft gegen dieses Haus
leiten liefs, wohl aber als tüchtiger Diplomat — und nach dieser Seite lag
seine ganze Stärke — sich die Schwächen seiner wittelsbachischen wie
seiner andern Gegner zunutze machte. Es ist ebenso richtig, dafs er die
Interessen seiner Erbländer mit gröfstem Erfolge wahrgenommen, als es
unrichtig ist, dafs er darüber die des übrigen Deutschland vernachlässigt
habe. Der Satz vom Erzstiefvater des deutschen Reiches ist wenig
gerecht.3) Viel von dem, was er für seine Erblande tat, kam dem ganzen
Reiche zugute. Nur wenige seiner Zeitgenossen hatten gleich ihm nicht
nur für das wirtschafthche Gedeihen, sondern auch für den geistigen
Fortschritt aller seiner Länder Sinn. Er unterstützte Gelehrte, Dichter
und Künstler. Mit Petrarca, dem bedeutendsten Dichter der Zeit, steht er
in regem Verkehr. Unter den Wissenschaften, die seine volle Gunst
geniefsen, ist es vornehmlich die Geschichte: sie erschien ihm als die
wahre Lehrerin des Lebens, und darum hat er in den Tagen, als sein
jugendlicher Sohn die Krone des Reiches erlangte, selbst zur Feder ge-
griffen, um ihm und seinen Nachfolgern zu zeigen, wie sie sich in
kritischen politischen Lagen zu verhalten haben. Höher steht ihm
freilich noch die Gottesgelehrtheit. Fast ebensogut wie sein einstiger
väterlicher Freund und Lehrer und späterer Gönner Klemens VI. ver-
stand er es, Bibelstellen zu erläutern und Homüien zu schreiben. Auch
x) Daher sollte Johann von Görlitz schon jetzt den Titel eines Markgrafen von
Brandenburg führen.
*) S. hierüber schon Palacky II, 2, 397 ff., jetzt vornehmlich Huber in der Ein-
leitung zu den Regesten und Lindner, DG. II, 93 ff.
3) Das AVort vom Vater des böhmischen und Stiefvater des deutschen Reiches,
das Maximilian I. von Karl IV. gebraucht, finde ich schon bei Ludolf von Sagan,
Tractatus de longevo schismate (AÖG. 60,517): Et talem vasollum homagialem iuratum
et subditum sibi electorem et camerarium imperii auferre volumus propter facta Karoli
seinper Augusti. Salva eins igitur in hoc reverencia magis Augustus fuisse creditur
natalis soll sui Bohemici quam imperialis et Romani.
Das Ende des avignonesischen Papsttums. 381
sonst sind es oft genug wissenschaftliche Fragen, die er erörtert. Prag
wird unter ihm eine Stadt der Gelehrten, Dichter und bildenden Künstler.
In Böhmen werden deutsche, bald auch tschechische Bibelübersetzungen
veranstaltet; hier wird das beste deutsche Prosawerk der Zeit — der
Ackermann aus Böhmen — seinem englischen Orignal nachgebildet. Der
Stil in den Briefen und Urkunden der kaiserlichen Kanzlei — noch
stark verkünstelt und schwulstig — wird für die Kanzleien fürstlicher
und städtischer Amter mafsgebend und die deutsche Kanzleisprache
seines Hofes eines der wesentlichsten Elemente, aus denen sich das Neu-
hochdeutsche entwickelt. So kann Karl IV. in gewissem Sinne schon
als Förderer der neuen humanistischen Richtung bezeichnet werden. Ist
mit dem Ende des avignonesischen Papsttums und dem Ausbruch des
grofsen Schismas der Ausgang einer grofsen Entwicklungsperiode der
mittelalterlichen Geschichte gegeben, so stellten ihn seine humanistischen
Bestrebungen bereits an den Beginn einer neuen Periode; an diese reicht
er auch in anderm Sinne heran, denn unter seiner Regierung zeigen
sich bereits die Spuren jener gewaltigen Opposition, welche die Kirche
in ihren Grundfesten erschütterte. Schon konnte ein Mann wie Milicius
von Kremsier es wagen, dem Kaiser in grofser Versammlung das bittere
Wort zuzuschleudern , er sei der grofse Antichrist, der dem Ende der
Dinge verangehe. In Böhmen mehr als sonst im deutschen Reiche
mehrten sich die Anzeichen jener kirchlichen Bewegung, der das be-
ginnende Schisma die Wege ebnete und die der politischen Oberherrschaft
der Päpste ein völliges Ende bereitete.
«» »*g»
II.
Die Zeit der grofsen Konzilien
und des Humanismus
(1378—1492).
I. Teil.
Die Zeit des Schismas und der grofsen Konzilien
l . 1378-1449.
1. Abschnitt.
Papsttum und Kaisertum im Zeitalter der grofsen
Konzilien.
1. Kapitel.
Das grofse Schisma.
§ 90. Die Kirche und die kirchlichen Oppositionsparteien beim Aus-
bruch des Schismas.
Das Quellenmaterial für die Gesch. der Katharer, Waldesier, Spiritualen
und der ihnen verwandten Gruppen s. §§ 3, 5 u. 61. Dazu: Salimbene wie oben
(für die Gesch. der Apostoliker). Die Historia fratris Dolcini, samt Additamentum,
bei Muratori IX, 427 ff., 448 ff. Prozesse gegen die Spiritualen ed. Ehrle, ALKG. d.
MA. HI, IV. Zu den Mystikern : Deutsche Mystiker des 14. Jahrh. I, II. (Bd. II enth.
Meister Eckhart.) 26 Predigten Es, herausg. v. Sievers. ZDA. XV. Tauler, ed. Ham-
burger. Frkf. 1864. Suso, ed. Diepenbrock. 3. A. 1854. Denifle, Bd. 1 u. 2. München
1876—1878. Mathilde v. Magdeburg, ed. Morel. 1869. Rusbroeke, ed. David. Gent 1860— 68.
Andere Ausg. s. in Überweg, § 36. Nikol. v. Basel, Leben u. ausg. Schriften. Wien 1866.
(S. Langenberg, Quellen u. Forschungen zur Gesch. d. d. Mystik. Bonn 1902.) Neuere
Lit. : s. oben §§ 3, 5, 61, die Werke von L e a u.a. Dazu S a c h s s e , Bernardus Guidonis
und die Apostelbrüder. 1891. Hausrath, Die Arnoldisten, wie oben. Haupt,
Waldensertum u. Inquisition \m so. Deutschi. ZGW. 1. Deutsch-böhmische Waldenser
um 1390. ZKG. Wattenbach, Über die Inquisition gegen d. Waldenser in Pommern
und Brandenburg. Ab.Berl. Ak. 1886. Haupt, Beiträge zur Gesch. der Sekten von
freiem Geist und das Beghardentum. ZKG. VII (s auch Haupt in der RE. prot
Th. H, 586, woselbst die übrige Lit. zur Gesch. der Beginen u. Begarden). Watten-
bach, Über die Sekten der Brüder vom freien Geist. SBBerl. Akad. 1887. Preger,
Gesch. d. deutschen Mystik im MA. 3 Bde. 1874—93. Böhringer, Die deutschen
Mystiker des 14. u. 15. Jahrh. Zürich 1855. Martensen, Meister Eckart. 1842. Bach,
M. Eckart, der Vater der deutschen Spekulation. Wien 1864. Lasson, ME. der
Mystiker. Berl. 1868. Denifle, M. Es. lat. Schriften u. die Grundanschauung seiner
Lehren. ALKG. H. Kramm, Meister Eckart im Lichte D.scher Funde. 1889.
Jostes, ME. u. s. Jünger. Coli. Frib. fasc. 4. 1895. Schmidt, Johannes Tauler
v. Strafsburg. Hamb. 1841. Iiltudes sur le mysticisme Allemand au 14© siecle. Paris 1847.
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 25
386 Ansprüche des Papsttums auf die Weltherrschaft.
Die Gottesfreunde im 14. Jahrh. Jena 1854. Greith, D. Deutsche Mystik im Prediger-
orden. Freib. 1861. M. Rieger, Die Gottesfreunde im MA. Heidelb. 1879. Jundt,
Les amis de Dieu au 14? siecle. Paris 1879. — Rulman Merswin et l'ami de Dieu
de l'Oberland. Paris 1890. Denifle. Die Dichtungen der Gottesfreunde im Oberl.
ZDA. XXIV. Rieder, Z. Frage d. Gottesfr. ZG. Oberrh. NF. XVII.
1. Trotz aller Einbufse, die das Papsttum an äufserer Machtstellung
und Ansehen bei den Völkern des Abendlandes im avignonesischen Zeit-
alter erlitten hatte, hielten die Päpste in der Theorie jene Rechte und
Ansprüche aufrecht, die sie aus dem Satze, dafs sie Stellvertreter Christi
auf Erden seien, gefolgert hatten. Päpstlich gesinnte Schriftsteller, wie
Augustinus Triumphus oder Alvaro Pelayo (f 1352), dehnten sie sogar
noch mafslos aus. Nach Pelayo ist die ganze Christenheit Ein Reich,
in diesem Reiche Ein Fürst, und dieser Fürst ist der Papst. Seine
Gewalt umfafst das Geistliche und Weltliche ; sie ist eine absolute ; erst
durch sie hat jede andere Gewalt ihre Berechtigung. Der Papst allein
vermag mehr als die übrige Kirche. Sein Tribunal ist das Tribunal
Christi. Wer ihn nicht als Haupt anerkennt, hat Christus nicht zum
Haupte ; ohne Gemeinschaft mit ihm gibt es kein ewiges Leben. Von
seinem Urteil ist keine Berufung gestattet, es sei denn an Gott. Ihm ist
die oberste Gerichtsbarkeit auch über Fürsten und ihre Reiche gegeben.
Als Vikarius Christi aber auch kraft der Schenkung Konstantins ist er
Herr des römischen Reiches. Zwar hat er dies an Karl den Grofsen
gegeben und gestattet, dafs die Kurfürsten die Wahl vornehmen, aber
sie haben dies Recht nur, so lange die/Kirche es zuläfst, denn sie allein
hat die Macht, Reiche zu übertragen und Fürsten ihrer Gewalt zu
entkleiden. Der Kaiser ist des Papstes Vikar, ihm leistet er den
Lehenseid.
2. Das theokratische System, das nun seit Innozenz III. auf allen
Völkern des Abendlandes lastete, war allerdings schon stark erschüttert.
Erst hatte die französische, dann die deutsche Opposition, eine immer
schärfer als die andere, die Unabhängigkeit des Königtums in allen welt-
lichen Fragen betont; schärfer als beide war die englische an der Arbeit,
die Oberherrschaft der Päpste in weltlichen Fragen niederzuringen.
Schon konnte Pedro von Aragonien dem Papste Klemens VI. erklären,
als König aufser Gott keinen Oberen anzuerkennen ; schon wurde in den
Tagen Ludwigs des Bayers gelehrt, dafs die Einheit der Kirche zwar
nicht zerrissen werden dürfe , zu deren Erhaltung die Existenz des
Papsttums aber nicht unbedingt notwendig sei, dafs sich vielmehr die
Kirche jederzeit die ihrem Wesen und ihrer Aufgabe entsprechende
Verfassung geben könne.1) Was diese Angriffe auf die Machtstellung
des Papsttums unterstützte, war der beispiellose Verfall der kirchlichen
Zucht infolge der Verweltlichung2) des Klerus. Je mehr die Abhängig-
x) Die Zitate aus Schwab, Johann Gerson, S. 24 ff. S. auch Riezler, Lit. Wider-
sacher, S. 284 ff.
2) Die englische Opposition nennt es »Verkaiserung« der Kirche und führt
alles "Übel in ihr auf die sog. konstantinische Schenkung zurück. Daher rnufs auf
Zustände zurückgelenkt werden, die vor dieser Schenkung bestanden. S. unten.
Niedergang des theokratischen Systems. Verfall des kirchlichen Lebens. 387
keit von Frankreich Machtstellung und Ansehen der Kurie untergrub,
um so mehr suchte sie ihre Verluste einerseits durch starres Festhalten
an übertriebenen Ansprüchen, so wenig sie ihrer nunmehrigen Lage ent-
sprachen, anderseits durch eine Fülle äufseren Glanzes, in dem nun
der Hof des Papstes erstrahlte, zu verdecken. Die kostspielige Hof-
haltung der Päpste, ihre Fürsorge für die Nepoten, die glänzende Aus-
stattung der Kardinäle und nicht zum wenigsten der Aufwand für die
Aufrechterhaltung des weltlichen Besitzes im fernen Italien hatte eine
stetige Steigerung der finanziellen Bedürfnisse der Kurie und demgemäfs
eine harte Bedrückung der einzelnen Landeskirchen zur Folge. Die
Annaten, Reservationen, Provisionen, Spolien, Anwartschaften, die Ge-
bühren für die Konfirmationen (s. § 61), all das reichte zur Befriedigung
dieser Bedürfnisse nicht mehr aus ; und der Druck auf die einzelner
Landeskirchen wurde um so härter empfunden, als die ungeheuren
Summen, die von den Prälaten erhoben wurden, von diesen auf die
Niederstehenden abgewälzt wurden und von ihrer Verwendung für
religiöse Zwecke schon längst keine Rede mehr war. Wohl machten
einzelne Päpste Versuche, den Übelständen zu steuern, aber Erfolge in
dieser Richtung reichten kaum über die Regierungszeit eines Papstes
hinaus. Verwandte des Papstes und der Kardinäle, Günstlinge des Hofes
wurden mit den fettesten Pfründen beteilt und Benefizien um Geld da-
hin gegeben. Schon galt der Satz, dafs am Hofe des Papstes ohne Geld
nichts zu erhalten sei.1) In der Tat wucherte in Avignon die Simonie
wie in den schlimmsten Zeiten des 11. Jahrhunderts.2) Der Kauf und
Verkauf von geistlichen Amtern hatte zur Folge, dafs oft untaugliche oder
unwürdige Personen zu hohen Kirchenämtern befördert wurden. Um
das Ziel ihres Ehrgeizes bequemer zu erreichen, vernachlässigten Bischöfe
und andere Kleriker ihre Residenzpflicht und strömten am Hofe des
Papstes zusammen. Nach dem Vorgange der Kurie gestaltete sich das
kirchliche Leben an den Höfen der übrigen Hierarchie — nur in ver-
gröberter Form, je mehr man in die Tiefe stieg. In seltenen Fällen
erfüllt diese Hierarchie ihre Pflicht, das Volk zu erziehen. Die Visitations-
akten einzelner Kirchenprovinzen bieten ein grauenhaftes Bild vom
Verfall der Kirchenzucht. Da ist kaum eine Kirche, an der ein Visi-
tator ein Leben der Geistlichkeit in Gemäfsheit der kirchlichen Vor-
schriften fände. Die stärksten Klagen betreffen den Verfall der Zucht
im Hinblick auf den Zölibat. Wohl werden in den einzelnen Sprengein
Synoden gehalten, die scharfe Verordnungen wider die im Klerus
eingewurzelten Laster erlassen; sie trugen aber geringe Frucht, weil
das an den obersten Stellen gegebene Beispiel bis in die untersten
wirkte. 3)
3. Unter solchen Umständen erstarkten die älteren, lange nieder-
gehaltenen Oppositionsparteien der Kirche, wie die Waldesier, die
*) Peter von Königsaal : Curia Romana non pascit ovem sine lana.
2) Die hl. Brigitta an Gregor XI. : In curia tua residet . , . vorago pessima horri-
bilis simoniae, iam nunc magis veneratur lupanar, quam sancta . . . ecclesia.
3) Schwab, 40.
25*
388 ^te un(i neue Oppositionsparteien.
nicht blofs in Südfrankreich, iro. nördlichen Italien, Süddeutschland und
den Rheingegenden, sondern auch im Norden bis nach Preufsen und
Polen eine kraftvolle Propaganda entfalteten. Neben ihnen erhoben sich
neue Oppositionsparteien: in Italien die Apostoliker, die, von den
Minoriten abzweigend, unter Segarelli von Parma und nach dessen
Verbrennung (1300) unter Dolcino in Oberitalien grofsen Zulauf fanden
und deren Reste nach Dolcinos Hinrichtung sich bis nach Frankreich
und Spanien verliefen. Ihr Streben ist es, nach der Lehre und dem
Beispiel der Apostel, deren Heiligkeit und Vollkommenheit durch ein
Leben evangelischer Armut zu erreichen. In Mittel- und Süditalien be-
haupten sich allen Verfolgungen der kirchlichen Behörden zum Trotz die
Fraticellen. In Deutschland treten freie Vereinigungen von Männern
und Frauen, wie sie schon im 11. Jahrhundert bestanden, hervor, in
denen das Drängen der Laienwelt nach einer selbsttätigen, der priest er-
heben Bevormundung sich entwindenden Teilnahme an der Lösung der
religiösen Grundfragen, zugleich aber auch an einer Verinnerlichung
des kirchlichen Lebens zum Durchbruch gelangt ist.1) Es sind die Be-
ginen und Begarden2), von denen jene in eigenen Häusern — den Be-
ginenhöfen — den Versuchungen dieser Welt entrückt, unter eigener
Leitung ihr Leben nach dem »Gesetze Christi« führten. Das Ideal
des älteren Beginentums war, in selbstgewählter Armut zu leben. »Wann
kommt der Tag», ruft die neunjährige Patrizierstochter Margareta Ebner
aus, »dafs ich betteln soll um Gotteswillen!» Als das Ideal schwand, suchten
die Leute vor Not und Elend in den Beginenhäusern Zuflucht : aus den
Stätten religiöser Begeisterung wurden Armenhäuser. Um 1400 hatten
selbst kleine deutsche Städte ihre Beginenhäuser. Vielfach wurden
Mendikanten mit ihrer kirchlichen Leitung betraut, und ihre Verbindung
mit den Spiritualen leitet ihren Eintritt in die kirchliche Opposition
ein. Die Beginen lebten übrigens nicht blofs in den von frommer Hand
gestifteten Versorgungshäusern, sondern in asketischer Weise auch ein-
zeln als Einsiedlerinnen und widmen sich der Krankenpflege. In den
Niederlanden gewannen die Brüder vom gemeinsamen Leben,
die sich unter der Führung Gerhard Groots aus Deventer vornehm-
lich mit Volks- und Jugendunterricht beschäftigten, grofsen Anhang.
i\.uch ihr Ziel ist, die Vollkommenheit in der Nachfolge Christi zu er-
reichen. Gerhard Groot gehört schon den Mystikern zu, wogegen
Meister Eckart (t 1327), den man wohl auch — freilich nicht mit
Recht — den Vater der deutschen Spekulation genannt hat, noch auf
dem Boden der Scholastik steht. Wiewohl auf den Lehren älterer
Theologen fufsend, suchte er mit kühner Originalität, das Alte in neuem
Geiste umgestaltend, das Christentum durch transzendenten Vernunft-
gebrauch begreif lieh zu machen. Wäre Gott, lehrte er, imstande, sich
von der Wahrheit abzuwenden, ich würde Gott verlassen und mich an
x) Haupt, Beginen u. Begarden, RE. 517.
2) Genannt nach dem Lütticher Priester Lambert le Beghe (f 1187), dessen Auf-
treten in einzelnen Zügen eine Verwandtschaft mit dem des Pierre Waldes und Franz
von Assisi hat-
Die deutsche Mystik. 389
die Wahrheit heften. Ihm folgten Johannes Tauler in Strafsburg
(f 1361), der den Pantheismus, von dem Eckard nicht ganz freizu-
sprechen ist, vermeidend, in seinen ergreifenden Predigten an die Nach-
folge Christi mahnt, dann Heinrich Seuse (Suso) aus Überlingen,
der »Minnedichter der Gottesliebe«, hierauf der Verfasser der »deutschen
Theologie«, eines Buches, das noch auf Luther tiefen Eindruck machte,
endlich Johannes Rusbroeck (f 1381) »der kontemplative Mystiker«
und wie Meister Eckart pantheistischer Lehren verdächtig.1) Während
die beiden ersten des Menschen Seele durch strengste Selbstzucht von
allem Aufserlichen abziehen, bis sie selig in Gottes Anschauung mit ihm eins
ist, suchen die andern den Weg zur Gottheit im innigsten Verkehr
mit dem Jesukind, dem leidenden Heiland und der Gottesmutter. Ihre
Erbauungsschriften schreiben die Mystiker in der Sprache des Volkes,
auch greifen Klosterfrauen, wie Margareta Ebner, zur Feder, um
ihre mystischen Anschauungen aufzuzeichnen. Diese ganze Gruppe
»gottesinniger« Menschen verabscheut äufserliche Werkheiligkeit, ersetzt
sie durch die innigste Anbetung des dreieinigen Gottes und weist statt auf
die Legenden auf die Bibel hin, die nun durch sie weiten Kreisen des
Volkes zugänglich wird.
4. Die Kirche trat diesen Oppositionsgruppen je nach ihrer Be-
deutung mit geistlichen und weltlichen Waffen entgegen. Von den
letzten Päpsten waren Urban V. und Gregor XL mit gröfstem Eifer um
die Erhaltung der herrschenden Kirchenlehren besorgt. Gregor XL er-
liefs die schärfsten Bullen gegen die Ketzereien, wo sie sich fanden :
gegen ketzerische Lehren, die in Katalonien verbreitet wurden, gegen
die Waldesier in Deutschland, besonders aber, wo sie nun kräftiger auf-
traten, im nördlichen Italien, Savoyen, im Delphinat und in Venaissin;
er kämpfte gegen jene Mystiker in Böhmen, die als Vorläufer Hussens
bekannt sind, sowie gegen einige als ketzerisch bezeichnete Sätze des
Sachsenspiegels, die Karl IV. auf seinen Wunsch hin von einer Kom-
mission ausheben und verdammen liefs. Am schärfsten schritt er aber
gegen die unter Wiclifs Führung stehende englische Opposition ein, als
diese Miene machte, aus dessen Lehren die entsprechenden Folge-
rungen zu ziehen und das englische Kirchengut für Zwecke des Staates
einzuziehen.
§ 91. Johann von Wiclif 2) und die kirchliche Opposition in England.
Quellen: Von den zahlreichen Werken Wiclifs ist noch vieles ungedruckt.
Man kannte bis ins 19. Jahrhundert den Trialogus, der, zum erstenmal 1527 in Basel,
dann 1753 zu Leipzig und Frankfurt gedruckt, nun in der Ausgabe Gotthard Lechlers
unter dem Titel Joannis Wiclif Trialogus cum supplemento Trialogi Oxoniae 1869
x) Über den Pantheismus Eckarts s. Denifle, ALKG. II, 518 ff.
2) In Deutschland wird nach Lechlers Vorgang Wiclif, in England neuestens Wyclif
geschrieben. Letztere Schreibung hat nach Matthew das meiste für sich. (Academy 1884,
Juni 7.) In Böhmen wurde im 15. Jahrh. meist Wiclef geschrieben, und so ist diese
Schreibweise dort auch heute noch verbreitet. Dafs neben Wyclif auch Wiclif be-
gründet ist, s. bei Buddensieg 92.
390 Johann von Wiclif
vorliegt. In gewissem Sinne ist der Trialogus Wielife Hauptwerk, da er im wesentlichen
eine kurze Zusammenfassung seiner grofsen 12 Bücher umfassenden Summa Theologiae
enthält. Lechler gab übrigens schon 1863 den kleinen Traktat Ws. : De Officio pastorali
heraus. Von den englischen Schriften erschien zuerst seine Predigt »Wicket«, Nürn-
berg 1546 (Oxford 1612, dann 1828 in 4° u. 8°), hierauf die Objections of Freres, ed.
by Thomas James, Oxford 1608 Two short treatises against the Orders of the begging
Mars), die Übersetzung des NT. ; New Testament, translated out of the Latin Vulgata
by John Wiclif, about 1380, ed. by John Lewis 1731. (Die späteren Ausg. bei Budden-
sieg in der Vorrede zur Ausgabe des Pol. Werks, p. II.) Drei Traktate wurden 1851
durch Todd in Dublin herausgegeben: Three Treatises by John Wyclyffe : 1. Of the
Church and her Merubers. 2. Of the Apostasie of the Church. 3. Of Antichrist and
his Meynee. Die für die Kenntnis der reformatorischen Gedanken Ws. wichtigeren
Bücher sind die lateinischen, von denen man, abgesehen vom Trialogus, einzelne nur
aus beiläufigen Zitaten seines Gegners Thomas Netter of Waiden kannte, dessen
Doctrinale Antiquitatum Fidei Ecclesiae catholicae (um 1427 geschrieben und 1572 zu
Venedig gedruckt) für die Kenntnis von Ws. Schriften nicht weniger wichtig war, als
die demselben Netter of Waiden zugeschriebenen Fasciculi zizanniorum magistri Johannis
Wiclif cum tritico, ed. by Shirley. Lond. 1858 in Rer. Brit. SS. med. aevi tom. V Einige
kleinere Schriften sind im Pseudo-Knigton u. den Werken von Lewis u. Vaughan (s. unten)
abgedruckt. Zu übersehen sind nicht die Schriften Stephans von Dolein, des mähri-
schen Hauptgegners Johannes Hufs', vornehmlich der Antiwiclif (s. Loserth, Die
lit. Widersacher des Hufs in Mähren. Z. f. G. Mährens u. Schlesiens I), der gleichfalls
Zitate aus Ws. Werken enthielt. Epochemachend wurden die Arbeiten Walter Wad-
dington Shirley s, mit dem die neuere Wiclif -Forschung beginnt. Er stellte einen
Katalog sämtlicher Werke Wiclifs zusammen : A Catalogue of the Original Works of
John Wiclif. Oxford 1865. Hier zählt er nicht weniger als 96 lateinische und 65 englische
Werke Wiclifs mit ihren Fundorten auf und gibt Kunde von verlorenen und unter-
schobenen Schriften Wiclifs. Jetzt erst war ein kritisches Studium derselben möglich
geworden. Eine Oxforder Kommission fafste den Entschlufs, eine Auswahl lateinischer
und englischer Schriften Wiclifs herauszugeben, liefs sich hiebei aber mehr von
sprachlichen und kulturgeschichtlichen als von khchenhistorischen Beweggründen
leiten. So kam es, dafs die englischen Schriften Ws. zuerst in Angriff genommen
wurden. Zuerst erschienen die »Select English Works of John Wyclif, ed. by Thomas
Arnold. 1869 — 71. 3 Bde., von denen 1 u. 2 Predigten, 3 eine Anzahl exegetischer,
didaktischer u. polemischer Traktate enthält.1) Neun Jahre später liefs F. Matthew, der
bedeutendste Wiclif-Forscher des heutigen England, seine Ausgabe The English Works
of John Wyclif, hithero unprinted, London 1880, erscheinen. Hier sind nicht weniger
als 38 kleinere Schriften Wiclifs enthalten. Mehr als in England geschah für die
Wiclif-Forschung noch vor Shirley in Deutschland. Zu beachten ist, dafs G. Lechler
seiner Geschichte Ws. reiche Auszüge aus dessen Schriften beibrachte. Vereinzelt liefs
dann R. Buddensieg eine der wichtigsten Streitschriften Ws., De Christo et adversario suo
Antichristo, Gotha 1880, erscheinen. Buddensieg hatte bereits eine vollständige Ausgabe
der lat. Streitschriften Wiclifs in Angriff genommen und beendet (Leipzig 1883), als
die Fünfhundert] ahrfeier Wiclifs (1884) den Anlafs zur Gründung einer Wiclif - Society
gab, die die Aufgabe übernahm, sämtliche bisher ungedruckte Schriften Ws. zu publi-
zieren. Bisher sind 25 Werke Ws. publiziert worden : 1. u. 2. John Wiclifs Polemical
Works in Latin, London 1883 ; enthalten 26 Traktate gegen die Bettelorden und das
Papsttum. Unter ihnen wichtige Flugschriften wie die Cruciata u. a. 3. De Civili
Dominio. 4 Bde. 1. von Reginald Lane Poole, 2. — 4. von Loserth herausgeg. London
1885 — 1904 (3. ist im Druck); wichtig, weil am Beginn der sog. reform. Periode (1376/77)
geschrieben. 4. De Compositione hominis, ed. Beer. Lond. 1884. 5. Traktatus De
Ecclesia, ed. Loserth. Lond. 1884. Dies ist äufserer Umstände wegen der wichtigste
Traktat Ws. Von Hufs exzerpiert, ist er in dieser Gestalt bisher als Hussens geistiges
Eigentum bekannt gewesen und bildete die Grundlage zu seiner Verurteilung.)
6. Dialogus sive speculum ecclesiae militantis, ed. Pollard. 1886. 7. Traetatus de Bene-
*) Über eine schon 1845 gedruckte Predigt s. Buddensieg, Pol. Werke of W. III.
und die kirchliche Opposition in England. 391
dicta Incarnatione, ed. Harris. 1886. 8. — 11. Sermones 1—4, ed. Loserth. 1897 — 1890.
Für die hussitische Lehre wichtig Viele der Predigten gingen in Böhmen unter dem
Namen des Hufs, und diese sind die aufregendsten. 12. De Officio regis, ed. Pollard
et Sayle. 1887. 13. De Apostasia, ed. Dziewicki. 1889. De Dominio Divino, ed. R. L.
Poole. 1890. Beigegeben ist Fitz-Ralph: De Pauperie Salvatoris. Man entnimmt, wie
W. von F.-R. beeinflufst war. 15. Quaestiones. De Ente Praedicamentali, ed. Beer. 1891.
16. De Eucharistia Tractatus rnaior, ed. Loserth. 1893. Von besonderer Wichtigkeit.
Er enthält die Abendmahlslehre der Taboriten (mit Ausnahme des Kelches). 17. De
Blasphemia, ed. Dziewicki. 1894. 18.— 20. Logica, ed. Dziewicki. 1895—99. 21.-24. Opus
Evangelicum (Teil 3 u. 4 führen auch den Sondertitel : De Antichristo). London 1898.
25. De Sirnonia, ed. Herzberg-Fränkel et Dziewicki. 1898. Demnächst werden erscheinen
De Veritate Sacrae Scripture, ed. Buddensieg u. de Potestate Papae, ed. Loserth. Der
letztgenannte Traktat ist von Hufs für De Ecclesia gleichfalls oft wörtlich ausgenützt.
Noch ungedruckte Werke s. in dem Katalog Shirleys. Über einige verlorene Flug-
schriften Ws. s. Loserth, HZ. 75, S. 475. — Das urk. Material bei Rymer, Foedera,
Raynald Annales, Wilkins, Concil. Magnae Brit. vol. HI. Die vatikanischen Register
— soweit sie durchforscht sind — bringen Ws. Namen erst in seiner Verbindung mit
Hus, ein Beweis, dafs man während der Wirren des Schismas seiner Sache nicht die
zu erwartende Aufmerksamkeit geschenkt hat. Zwei Urkunden f. W. teilt Twemlow
mit: Wycliffe's Preferments and university degrees in EHR. XV, 529. Acts and
Monuments by John Foxe II. Urk. -Material aus dem vatikanischen Archiv über englische
Verhältnisse jener Zeit in Loserth, Stud. zur englischen Kirchenpolitik Wien. SB. 136.
Litterae Cantuarienses. Rolls Ser. 85. DieHist. Eccl. Anglic. von Harpesfield wie oben. Ein
von Wiclif selbst für seine hist. Studien benutztes Werk ist das Polychronicon Ranulphi
Higden, ed. by C. Babington and Lumby. vol. 1 — 9. 1865 — 86. in den Rolls Series. Der
letzte Teil enthält schon einige Angaben über Wiclif selbst. Auf Wiclif feindlichem Stand-
punkt, aber wegen der Bannbullen wichtig ist Th. Walsingham, Hist. Anglic. 2. voll., ed. Riley .
London 1862/66. Die Gesta monast. St. Albani s. § 78. Chronicon Angliae 1328 — 1388 auctore
Monacho St. Albani, ed. Thompson. London 1874. Rolls Ser. 64. Gesta abbatum monasterii
St. Albani, ib. 28. Ypodigma Neustriae, ib. Vn. Eulogium Historiarum, ed. Haydon, ib. 1863.
Henri ci Knighton, Chron. ed. by Lumby, ib. London 1889 — 1895. Einzelnes zur Gesch.
Wiclifs u. der Lollarden in Capgrave, The Chronicle of England. Rolls Series 1858.
Hilfsschriften: Von älteren sind wegen der darin enthaltenen urkundlichen
Materialien noch unentbehrlich : Lewis, The History of the Life and Sufferings of
the Reverend and Learned John Wicliffe. DD. London 1720. Lowth, The Life of
William of Wykeham, Bishop of Winchester. 2 ed. London 1759. Vaughan, The
life and opinion of John de Wicliffe. 2 ed. London 1831. Hauptwerk: G. Lechler,
Johann v. Wiclif u. die Vorgeschichte der Reform. 2 Bde. Leipzig 1873. Der zweite
Band enthält eine vollst. Gesch. des Hussitismus. Dasselbe in engl. Übersetzung :
John Wycliffe and his English Precursors by Lechler, transl. by Lorimer, a new ed.
revised. London 1884. Eine Reihe biogr. Schriften erschien anläfslich der Fünfhundert-
jahrfeier. Die bedeutendste ist: Buddensieg, Joh. Wiclif u. seine Zeit. Gotha 1885.
M. Burrows, Wiclifs Place in History. Lond. 1881. Pennington, J. Wiclif, Life,
Times and Teaching. Lond. 1884. Buddensieg, John Wiclif, Patriot and Reformer. 1884.
Sergeant, John Wyclif, last of the schoolmen and first of the Engl. Reformers. 1893.
Stevenson, The truth about John Wiclif. 1885. Vattier, J. Wycliffe, sa vie, ses
oeuvres, sa doctrine. 1886. Pauli, Gesch. Engl. IV. Gotha 1855. Pauli, Aufsätze
zur engl. Gesch. 1870. Green, Gesch. d. engl. Volkes I. Einzelne Partien seiner
Gesch. behandeln: Loserth, Über Ws. erstes Auftreten als Kirchenpolitiker (Fest-
schrift v. Krones. 1885). Loserth, The beginnings of Wyclifs activity in ecclesiastisal
politic. EHR. 1896. Loserth, Stud. z. engl. Kirchenpol. wie oben. Über den Beginn
des Angriffs Ws. auf die Abendmahlslehre handelt Matthew in EHR. 1890. April.
Matthew, The Autorship of the Wycliffite Bible. EHR. 1895. Wiegand, De
Ecclesiae notione quid Wiclif docuerit. Lipsiae 1891. Delplace, Wycliffe and his
teaching concerning the primacy. The Dublin Rev. 1884. F ü r s t e n a u , J. v. Ws. Lehren
von der Einteilung der Kirche und der Stellung der weltlichen Gewalt. Berl. 1900.
Höfler, Anna v. Luxemburg, Denkschriften d. W. Ak. 1870. Heine, Ws. Lehre
392 Die Anfänge Wielife.
vom Güterbesitz 1903. Den Wiclifismus in seinem Einflufs auf Böhmen behandelt :
Loserth, Hus u. Wiclif. Prag 1884. In engl. Übersetzung : Wiclif and Hus. Lond. 1884.
Loserth, Über die Beziehungen zw. engl. u. böhm. Wiclifiten. MJÖG. XII. Poole,
On the intercourse between Engl, and Bohemian Wiclif fites. EHR. 1892. Loserth,
Die lat. Predigten Ws. und ihre Ausnützung durch Hus. ZKG. IX. Loserth, Die
Wiclifsche Abendmahlslehre und ihre Aufnahme in Böhmen. MVGDB. XXX.
Förster, W. als Bibelübersetzer. ZKG. XII. Ward, Wyclif and the beginning of
the Reformation. London 1888. Loserth, Neuere Ersch. d. Wiclif -Lit. HZ. LHI.
Trevelyan, s. § 123. Die gesamte Lit. über die Lollarden s. RE. XI, 615 — 626
(Buddensieg). Von sonstigen Werken sind trotz ihres in vielen Stücken veralteten
Standpunktes immer noch Jäger, Neander u. Böhringer (s. oben) zu nennen.
1. Johann von Wiclif entstammte einem im nordwestlichen York-
shire angesessenen angelsächsischen Adelsgeschlechte. Der Sitz der
Familie, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausstarb1), war
Wycliffe. Dort oder in dem heute verschwundenen Weiler Spreswell
wurde Wiclif zwischen 1320 — 1330 geboren.2) 1344 kam er nach Oxford,
das durch Männer wie Roger Bacon, Robert Grosseteste, Thomas Brad-
wardine, Wilhelm Occam, Richard Fitzralph u. a. berühmt geworden
war. Aus den Schriften Occams zog Wiclif reiche Belehrung.3) An
der Universität gab es scharfe politische und wissenschaftliche Reibungen.
Die aus dem Norden Englands stammenden »Borealen« folgten anti-
päpstlichen Traditionen, die Südländer hielten sich an das kuriale System.
Nicht minder heftig war der Widerstreit zwischen den Nominalisten und
Realisten. Unter diesen Kämpfen ging Wiclifs Studienzeit hin. Lebhaft
war sein Interesse für die Naturwissenschaften und Mathematik.4) Von
den Zeitgenossen haben auch seine Gegner ihn als bedeutenden Dia-
lektiker anerkannt. Am eifrigsten wandte er sich der Theologie und
dem kanonischen Rechte zu. Seine Schriften erweisen ihn als trefflichen
Kenner des römischen und heimischen Rechtes und der älteren eng-
lischen Geschichte. Mitglied des Balliol-Kollegiums, wurde er 1360 dessen
Vorstand. Schon hatte er sich durch seine logischen Untersuchungen
einen klangvollen Namen gemacht. Mit der Universität blieb er auch
dann noch in Verbindung, als er (1361) eine Pfarrstelle in Lincolnshire
erhielt; 1365 wurde er Vorstand der Canterbury-Hall in Oxford, an der
junge Männer für ihr kirchliches Amt vorgebildet wurden. Die Stelle
wurde ihm zwei Jahre später genommen und die Leitung der Halle
Mönchen anvertraut, was gegen die Absichten des Gründers dieser Halle
verstiefs, der ihre Leitung in den Händen von Weltgeistlichen wissen
wollte. 5) Wiclif appellierte nach Rom, aber ohne Erfolg. 6) Zwischen
1366 und 1372 wurde er Doktor der Theologie ; 1368 erhielt er die Rektorei
in Ludgershall und sechs Jahre später die Kronpfarre Lutterworth
*) Die Familie war streng katholisch.
8) Matthew entscheidet sich für 1324, Lechler für 1320, Buddensieg für 1330.
3) S. hierüber meinen Exkurs Wiclif u. Occam. Wiener SB. CXXXVI, 111.
4) Quanto fui iunior, collegi proprietates lucis et alias veritates mathematicas.
Gern zitiert er den Thüringer Witelo, einen Physiker des 13. Jahrh.
5) De Ecclesia, S. 371.
6) Doch ist der schwere Kampf, den er später mit den Bettelmönchen durch-
focht, nicht auf diesen Umstand zurückzuführen.
Sein Auftreten als Kirchenpolitiker. 393
in Leicestershire. Daneben besafs er eine Pfründe an der Kollegiatkirche
in Westbury, die er aber wieder aufgab, um nicht gegen seine Über-
zeugung eine Pfründe zu besitzen, ohne die Seelsorge auszuüben. Die
vornehmste Stätte seiner Wirksamkeit war Oxford, wo er seine ersten
Werke schrieb und wo er jene zündenden Predigten hielt, deren Wirkung
später in Böhmen, wo sie als solche des Hufs galten, zutage trat. Der
Beginn seiner reformatorischen Tätigkeit hängt nicht — wie man meint —
mit der von Urban V. gestellten Forderung des Lehenszinses zusammen,
sondern ist erst zehn Jahre später anzusetzen1); gleichwohl hat er die
Grundsätze, die im Parlament der Kurie gegenüber laut wurden, zu
seinen eigenen gemacht, als unter dem Druck des opferreichen Krieges
das Mifstrauen gegen das »französische« Papsttum allgemein war,
als die Gemeinen die Entfernung der Geistlichen aus den obersten
Staatsämtern durchsetzten und Stimmen laut wurden, die auf eine
Säkularisierung des englischen Kirchengutes abzielten. Der päpstliche
Kollektor Arnold Garnier, der 1372 in England erschien, um die päpst-
lichen Gefälle einzuheben, wurde erst zugelassen, nachdem er einen Eid
geschworen, nichts Feindseliges wider den König zu unternehmen. Die
päpstlichen Schreiben mufsten vor ihrer Veröffentlichung dem geheimen
Rate vorgelegt werden. Unter solchen Umständen lag der Kurie alles
an der Herstellung des Friedens, und an dem Kongrefs, der im Sommer
1374 in Brügge tagte, nahm auch Wiclif als Mitglied einer Kommission
von Rechtskundigen und Theologen Anteil, die dem Herzog Johann
von Lancaster, dem Führer der englischen Abordnung, beigegeben waren.
Damals trat Wiclif dem Herzog, seinem späteren Gönner, nahe. Die
Verhandlungen zogen sich in die Länge, ohne zum Frieden zu führen.
2. Der Mifserfolg der Regierung brachte das ganze Land in Er-
regung. Auf dem »guten« Parlament (1376, 28. April) wurden alle
Forderungen abgelehnt, falls nicht die Mifsbräuche in der Verwaltung
abgeschafft würden. Führer der Opposition — und zu ihr hielt aus
Eifersucht auf Johann von Lancaster auch der schwarze Prinz — war
Peter de la Mare, der erste grofse Parlamentsredner Englands. Die
Minister Latimer und Lyons wurden angeklagt und verurteilt und des
altersschwachen Königs Maitresse Alice Perrers vom Hofe entfernt. In
diesen kummervollen Augenblicken starb der schwarze Prinz. Die Oppo-
sition setzte gegen Lancasters Wünsche und Hoffnungen die Anerkennung-
Richards von Bordeaux, des Sohnes des schwarzen Prinzen, als Erben
des Reiches durch. Inzwischen wurden die Beschwerden gegen die
bisherige Verwaltung zusammengestellt; viel schlimmer als die Beziehungen
zu Frankreich wurde die kirchenpolitische Lage des Landes beurteilt.
In der langen — 140 Titel zählenden — Bill klangen die gegen die
Übergriffe der Kurie gerichteten Sätze am schärfsten : da sollten alle
Reservationen und Provisionen beseitigt, die Ausfuhr des Geldes ver-
:) Der grofse Irrtum aller älteren und neueren Wiclif-Forscher hatte darin seinen
Grund, weil man die Abfassungszeit des von Lewis S. 363 mitgeteilten Traktates auf
ein Jahrzehnt zu früh angesetzt hat.
394 Wiclif als Reformator. Das gute Parlament.
boten, die fremden Kollektoren aus dem Lande entfernt werden. Der
König gab auf solcbe Forderungen eine ausweichende Antwort. Das
gute Parlament war kaum entlassen, als Lancaster seinen alten Einflufs
wieder erhielt. Alice Perrers kehrte an den Hof zurück, und eine völlige
Reaktion erfolgte. Das nächste Parlament bestand zumeist aus Kreaturen
Lancasters. Die Beschlüsse des guten Parlaments wurden aufgehoben,
starke Geldforderungen gestellt und bewilligt. Die Lage des Klerus
war eine schwierige: eben jetzt gingen die schärfsten Angriffe auf ihn
und zwar von einer Seite nieder, von der sie nicht erwartet wurden.
Jetzt erst tritt Wiclif bedeutender auf. Unter Lancasters starkem Schutz
genügte ihm seine Lehrkanzel nicht mehr, um seine Lehren zu verkünden.
Er hatte seit seiner Heimkehr von Brügge begonnen, seine Ideen über
Kirche und Staat in einer Reihe von Werken niederzulegen. Schon in
seinen Schriften »von der göttlichen Herrschaft« und »von den zehn
Geboten« tritt er gegen jede weltliche Herrschaft der Kirche auf. In
weltlichen Dingen steht der König höher als der Papst ; das Einsammeln
der Annaten und Ablafsgelder sei Simonie. Erst mit seinem grofsen
Werke »von der bürgerlichen Herrschaft« griff er in die Politik des
Tages ein. Hier finden sich als Niederschlag jener Ideen, von denen
das gute Parlament beherrscht war, Lehren, die der Kirche jede welt-
liche Herrschaft absprechen. Von seinen Sätzen scheinen manche förm-
lich der langen Bill des guten Parlaments entnommen zu sein.
Da finden sich die heftigsten Klagen gegen die Bedrückung der englischen
Kirche durch die Kurie, über die früher ungewohnten Provisionen, Exernptionen,
Appellationen, die Besetzung der Bistümer mit untauglichen Personen. Der Priester
darf nicht Herr, sondern mufs Diener seiner Herde sein. Das weltliche Regiment
kommt weltlichen Herrschern zu. Die Regierung mufs in "Ühereinstimmung mit > Gottes
Gesetze, d. h. der Bibel, erfolgen, daher mufs sie der Herrscher kennen. Am besten
wäre es, würde die Welt nach ihr regiert. Ist schon die Herrschaft der Könige oft
schlecht, am schlimmsten ist die der Priester. Diese dürfen sich nicht auflehnen,
wenn Laien ihre politischen Rechte ausüben. Die Frage der Einziehung des Kirchen-
gutes wird breit erörtert : "Wenn weltliches Gut den Klerus an der Erfüllung seiner
Pflichten verhindert, mufs es ihm genommen werden ; tut es der König nicht, so übt
er Verrat an Gott. In diesem Werke finden sich achtzehn scharf markierte Thesen,
die ihre Spitze insgesamt gegen das herrschende Kirchenregiment und den weltlichen
Besitz der Kirche richten. Er hat sie im Herbst und Winter 1376 vor seinen Schülern
in Oxford verteidigt. Da heifst es, die Kirche mufs arm sein wie in den Tagen der
Apostel, der grofse Besitz bringt ihr kein Heil ; am besten wäre es, wenn der Staat
die Fürsorge für die Geistlichkeit übernimmt.
3. Wiclif s Lehren gewannen bei den Lords und im Volke rasch
Boden. In verschiedenen Kirchen Londons trat er als gefeierter Kanzel-
redner auf. Die ersten, die sich gegen seine Thesen erhoben, waren
die besitzenden Orden. Auf ihre Klage hin erteilte der Papst der Uni-
versität zu Oxford und dem Episkopat den Tadel, gegen Wiclif nicht
eingeschritten zu sein. Dieser wurde auf den 19. Februar 1377 nach
St. Paul vorgeladen. Als er dort erschien, begleiteten ihn vier Bettel-
mönche. Als Lancaster, der ihm diese als Verteidiger beigegeben, sich
selbst in die Sache mischte, entstand ein Tumult, und die Versammlung
ging resultatlos auseinander. Der Bischof von London brachte die Sache
Der Tod Eduards III. u. Gregors XI. Wiclifs letzte Phase. 395
Wiclifs, der immer schärfer für die Einziehung des Kirchengutes eintrat,
an die Kurie. Wiclif wurde vor das päpstliche Tribunal zitiert und aus
seinen Sätzen 19 als anstöfsig bezeichnet, darunter solche, die das Privat-
eigentum überhaupt in Frage stellten. Er sollte sonach auch als Revo-
lutionär in politischen Dingen erscheinen. Die Lage Englands war aber
eine solche, dafs Wiclifs Gegner gelähmt waren: Am 21. Juni 1377
starb Eduard III., dessen ruhmloses Ende einen traurigen Kontrast zu
den glänzenden Tagen von Crecy und Maupertuis bildet. Von dem
festländischen Länderbesitz war fast alles verloren und die wirtschaftliche
Lage des Landes in starkem Gegensatz zu jener in den ersten Jahr-
zehnten seiner Regierung. Sein Nachfolger Richard IL stand unter
Lancasters Einflufs, und dieser war Wiclifs Gönner. So kam es, dafs
die Bullen gegen Wiclif, wiewohl vom 22. Mai datiert, erst am 18. De-
zember zur öffentlichen Kenntnis gelangten. Im Parlament, das sich
im Oktober versammelte, kam es auch diesmal zu scharfen Kundgebungen
gegen die Kurie. Unter den Gutachten, die AViclif damals auf die
Weisung der Regierung für das Parlament ausarbeitete, spricht sich eines
mit aller Entschiedenheit gegen die Aussaugung Englands durch die
Kurie aus. Die wirtschaftlichen Schäden dieses Systems für England
und für dessen Landesverteidigung werden herausgehoben.1) Diese
Sprache schien dem König und dem Rate zu scharf. Nach der Ver-
tagung des Parlaments wurde Wiclif in Gemäfsheit der päpstlichen
Aufträge zur Verantwortung gezogen. Im März 1378 erschien er im
erzbischöflichen Palast zu Lambeth, um sich zu verteidigen. Ehe noch
die Untersuchung beendet war, versuchte eine lärmende Volksmenge,
ihn mit Gewalt zu befreien. Nur um den Schein zu wahren, wurde
ihm untersagt, über die strittigen Lehrsätze zu sprechen. Gegen die
Weisungen Roms auf freiem Fufse belassen, stellte er nun seine Ansichten
in 33 Sätzen zusammen und sandte sie dahin. Die Volksmassen, ein
Teil der Grofsen, sein alter Gönner Lancaster standen auf seiner Seite.
Ehe von Rom aus noch eine Antwort eintreffen konnte, starb Gregor XL
4. Mit dem grofsen Schisma beginnt die letzte und wichtigste Phase
in der Wirksamkeit Wiclifs. Unbehindert durch die kirchlichen Behörden,
wandte er sich predigend und lehrend an das Volk : in gelehrten Büchern,
in lateinischen und englischen Flugschriften, nicht zuletzt durch seine
Bibelübersetzung und seine Predigten, und entfaltete eine literarische
Tätigkeit, die ihrem Umfange nach kaum von einem zweiten Schrift-
steller des späteren Mittelalters übertroffen wurde. Hatte er bisher Be-
denken, den päpstlichen Primat anzugreifen, so läfst er nun alle Schranken
fallen. Dem Angriff der Hierarchie, oder wie man sagte, der Kirche,
ausgesetzt, lehrte er nunmehr: Die Hierarchie ist nicht die Kirche.
Den Unterschied zwischen dem, was Kirche ist und was die grofse
Menge unter Kirche versteht, darzulegen, ist der Zweck seines grofsen
Buches »von der Kirche«.
*) Fase, zizanniorum, 258.
396 Wiclifs Lehre von der Kirche.
»Es gibt nur eine allgemeine Kirche und aufser ihr kein Heil. Haupt dieser
Kirche ist Christus. Kein Papst darf sich anrnafsen, Haupt der Kirche zu sein. Er
weifs ja nicht einmal, ob er zur Seligkeit prädestiniert, also ein Mitglied der
Kirche sei, denn nur die von Ewigkeit her zur Seligkeit Bestimmten gehören ihr an.
Niemand brauche, um selig zu werden, dem Papste gehorchen. Schon in der Zeit,
da man vom Papsttum nichts gewufst, habe es heiligmäfsige Männer gegeben. Man
dürfe den Papst nicht als Haupt der allgemeinen, sondern höchstens der streitenden
Kirche auf Erden ansehen, aber auch nur dann, wenn seine Handlungen den Glauben
erwecken, dafs er es sei Dem Christen genügt zum Seelenheil der vollendete Glaube.
Bei päpstlichen Anordnungen mufs untersucht werden, ob sie schriftgemäfs seien, und
dies ist der Grund, weshalb jeder Christ die hl. Schrift kennen müsse. Des Menschen
Heil beruht auf der Gnade Gottes in der Vorherbestimmung, nicht auf der Verbindung
mit der amtlichen Kirche und der Vermittlung der Hierarchie.» In diesem Kirchen-
begriff Wiclifs liegt somit die Anerkennung des freien und unmittelbaren Zuganges
der Gläubigen zur Gnade Gottes, >des allgemeinen Priestertums der Gläubigen«. *) Der
Anspruch des Klerus auf irdische Herrschaft wird auch hier verworfen, dagegen die
Zivilgewalt des Königtums über ihn nachdrücklich betont: »Der König ist nicht mehr
Herr von England, wenn mehr als der vierte Teil des Landes der Toten Hand zugehört
und seiner Macht entzogen ist. Privilegien und irdische Güter sind dem Klerus be-
dingungsweise gegeben. Erfüllt er die Bedingungen nicht, so verfällt er der Strafe
der Gütereinziehung Auch die weltliche Herrschaft der römischen Kirche ist aus der
Bibel nicht zu erweisen und weder die Notwendigkeit, dafs der Kaiser aus päpstlichen
Händen die Krone empfange, noch der Anspruch der Päpste auf Weltherrschaft in ihr
begründet. Sowohl die weltliche als die geistliche Gewalt rührt unmittelbar von Gott
her, ohne dafs die eine die andere einsetzte oder autorisierte. 8) In einer Flugschrift
aus derselben Zeit, weist Wiclif noch insbesondere die Unabhängigkeit Englands in
weltlichen Dingen vom Papste nach. In dem Buch »von der Gewalt des Papstes«8)
wird selbst die geistliche Machtfülle der Priester sehr eingeschränkt. Petrus hatte
wohl einen gewissen Vorrang vor den andern Aposteln und ihn verdient durch seinen
Glauben, seine Demut und Liebe. Er wurde Christi Stellvertreter, weil er in Leben
und Lehre ihm folgte, und so kann niemand sein Nachfolger sein, der Christo nicht
nachfolgt. Keine menschliche Wahl gilt, wenn sie der Gottes nicht entspricht. Von
der Art der Wahl ist die durch das Los die sicherste. Alle Wahlgesetze sind über-
flüssig. Des Petrus Vorrang bezog sich übrigens auf keine allgemeine Jurisdiktion
über die streitende Kirche oder die andern Apostel. Paulus konnte den Petrus »in
seiner eigenen Pfarre tadeln«. Will der Papst — schon dieser Name gefällt Wiclif
nicht — Christi Stellvertreter sein, so mufs er in Armut leben. Wäre das anders, so
hätte schon Christus die Kirche dotiert. Vor der Dotation der Kirche waren die
Kaiser die obersten Priester. Die Bischöfe lebten arm und entbehrten — wie ironisch
beigefügt wird — jener Vollendung, die jetzt die Kirche durch ihren Reichtum besitzt.
Wiclif leugnet die universelle Macht des Papstes in der Kirche. Einst wurde sie
regiert durch den gemeinsamen Rat der Priester : dieser war es, der auch Petrus aus-
gesandt hat. Sein Primat bestand in keiner äufseren Herrschaft, sondern in der gröfseren
Demut. Ein gröfseres Regiment als Petrus hat Paulus besessen. Da sich Wiclif bei
seinen Ausführungen auf die Bibel beruft, spricht er von ihr als der alleinigen Norm
J) Daher fallen die Unterschiede zwischen Klerus u. Laien und kann auch ein
Laie das Abendmahl spenden. Gleichwohl drückt sich W. hierüber noch sehr vor-
sichtig aus. Die Konsequenzen daraus haben erst seine eigentlichen Schüler — die
Taboriten — gezogen.
2) In allen gröfseren Werken Wiclifs aus seinen letzten sechs Lebensjahren
finden sich diese Erörterungen. Es kann daher von einer besonderen Inhaltsangabe
aller dieser Werke abgesehen werden, und nur jene dürfen in die Darstellung ein-
bezogen werden, die später auf die Entwicklung der hussitischen Lehre bedeutungsvoll
wurden : das sind aufser De Ecclesia und De Potestate Pape vornehmlich seine Abend-
mahlslehre und seine Predigten.
3) Noch ungedruckt, Daher sind die Auszüge oben etwas ausführlicher.
Christ und Antichrist. Das Schriftprinzip. Die Bibelübersetzung. 397
des Glaubens. Die Gesetze des Papstes ihr gleichzustellen, sei eine Anmafsung ohne-
gleichen. Schon hier, schärfer noch in den späteren Streitschriften, betont er den
Gegensatz zwischen dem Leben Christi und der heutigen Päpste : Jener ist die Wahr-
heit, dieser die Lüge, jener arm, dieser reich usw. Da der Papst sonach in allem
Christo zuwider ist, ist er in Wahrheit ein Antichrist. Von allen Reformatoren vor
Luther hat Wiclif das Schriftprinzip am stärksten betont, und je mehr sich der Streit
mit seinen Gegnern verdichtete, um so mehr zog er sich auf dies erste Fundament aller
christlichen Lehrmeinung zurück. Ihm dieses Fundament unter den Füfsen hinweg-
zuziehen, war die wenig dankenswerte Arbeit seiner Gegner, und um deren Argumente,
dafs sie z. B. auch Falsches enthalte, zu widerlegen, schrieb er sein Buch >von der
Wahrheit der hl. Schrift< '). Diese reiche zur Regierung der Kirche vollkommen aus.
In den folgenden Schriften Wiclifs tritt eine sich stetig steigernde
Feindschaft gegen das bestehende Kirchenregiment zutage. Fast in allen
wird beklagt, dafs Gottes Gesetz — die Bibel — dem Volke unbekannt
sei, und gefordert, dafs sie das Gemeingut jedes Christen werde. Sie
wurde demnach zu Zwecken allgemeinen Gebrauches in die Sprache
des Volkes — seit Ulfilas zum erstenmal in eine germanische Sprache
— übersetzt. Die nationale Ehre erheischte es gleichfalls: denn schon
gab es Lords, die französische Bibeln besafsen. 2) Wiclif selbst ging ans
Werk. Zwar läfst sich der Anteil, den er an der Bibelübersetzung ge-
nommen, nicht bis ins einzelne bestimmen, sicher aber ist, dafs er per-
sönlich daran beteiligt war und die Arbeit in jeder Weise gefördert hat. 3)
Kurz nach seinem Tode war das Werk in den Händen des Volkes.
»Das Kleinod der Geistlichen«, klagt ein Zeitgenosse, »ist in ein Spielzeug
der Laien verkehrt worden.« Durch die Arbeit an der Übersetzung
des Neuen Testaments wurde seine Überzeugung »von der Allein-
genügsamkeit der Bibel zum Regiment dieser Welt« 4) noch mehr ge-
festigt : »Und wenn es hundert Päpste gäbe«, lehrt er, '»und alle Bettel-
mönche Kardinäle würden, man dürfte ihnen nur insoweit glauben, als
sie mit der hl. Schrift übereinstimmen.«
5. Wiclifs Lehren von der Verweltlichung der Kirche hätten ihn
in eine Linie mit den Bettelorden stellen müssen, wie ja noch 1377
Minoriten seine Verteidiger waren. Nannte er damals noch die Mendi-
kanten einen verehrungswürdigen Orden, dessen Liebe zur Armut »er
bis zu den Sternen erhob«,5) so gewahrt man bald die Spuren eines
Risses. Mit der Erklärung : die Sache der besitzenden Orden sei Sache
aller Orden, wandten sich nämlich die Mendikanten gegen ihn, und
nun nahm Wiclif auch gegen sie den Kampf auf: die Kirche bedürfe
x) Sie wird eben gedruckt.
2) Matthew, The English Works of Wyclif, 429.
3) Matthew, The Autorship etc. EHR. 1895. Eine Polemik gegen Gasquet, der
Ws. Autorschaft leugnete. Wiclif selbst wird die Übersetzung des NT. zugeschrieben.
Das AT. übersetzte zum gröfsten Teil sein Freund Hereford, den Best Wiclif. Über-
arbeitet und verbessert wurde das Ganze von dem zweiten Freunde Ws., John Purvey.
Dessen Arbeit war 1388 vollendet. W. wurde so der Meister der englischen Prosa, wie
zur selben Zeit Chaucer der der engl. Poesie.
*) De sufficientia legis Christi. Diesen Titel führt eine von Hufs wörtlich ab-
geschriebene Predigt Wiclifs.
5) Chron. a. Mon. St. Albani.
398 Wielife Kampf gegen d. Bettelorden u. d. Hierarchie. D. armen Priester.
keiner neuen Sekten — so nennt er nieist die Orden — keiner neuen
Religionen, ihr genüge die Religion Christi, wie sie ihr in den ersten
Jahrhunderten ihres Bestandes genügte. Damit begann eine Polemik,
die von Jahr zu Jahr leidenschaftlicher geführt wurde. Nicht weniger
als 20 Streitschriften — meist knappe Flugschriften — hat er gegen die
»Sekten« geschleudert. Aber fast heftiger noch tritt er in seinen Pre-
digten, im »Spiegel der streitenden Kirche«, im Trialog wider sie auf.
Sie seien Körperschaften, die in der Bibel keine Begründung haben,
verderblichen Lastern frönen, Kirche und Staat zur Last fallen und
samt ihren stolzen Tempelbauten vernichtet werden müssen. Diese
Predigten hatten eine unmittelbare Wirkung: In London und andern
Städten kam es zu einer lebhaften Erregung des Volkes. Schon wurden
den Mönchen die Almosen entzogen, schon wurden sie an die körper-
liche Arbeit gewiesen. Noch gröfsere Wirkungen hatten diese Angriffe
auf die Orden und ihren Besitz in Böhmen. Indem nämlich Hufs diese
Lehrsätze seines englischen Meisters wortgetreu aufnahm, die Taboriten
diesem Beispiel folgten, kam es zu jenem ungeheuren Klostersturm, dem
die herrlichen Stifte und in weiterer Folge das böhmische Kirchengut
zum Opfer fiel. Freilich fiel es nicht, wie Wiclif es wünschte, an den
Staat, sondern an die Barone des Landes. Sein Kampf schlug immer
heftigere Wogen: zuletzt sind es nicht mehr die Bettelmönche allein,
die ganze Hierarchie, voran »das Nest, das die letzte Zufluchtstätte der
Mönche bildet«, die römische Kurie wird Zielpunkt seiner Angriffe. In
umfangreichen Werken, wie seinem unvollendet gebliebenen Antichrist,
oder in kleineren Flugschriften, wendet er sich gegen das »zweigeteilte«
Papsttum, dessen Kriege besonders scharf gegeifselt werden. Aus dem-
selben Grunde, um diese Hierarchie aufs schärfste zu treffen, tritt er
der herrschenden Lehre von der Transsubstantiation entgegen, indem
er die Ansicht bekämpft, als könne der Priester Gott, ein Geschöpf
seinen Schöpfer, »machen« (conficere). Im Sakramente sehen wir den
Herrn nicht mit leiblichen Augen, sondern im Glauben, wie sich der
Mensch im Spiegel sieht, im Gleichnisse. Wir berühren und fassen
ihn nicht und nehmen ihn nicht körperlich, sondern im Geiste zu uns.
6. Indem Wiclif die bestehende Hierarchie abschaffen will, setzt
er an ihre Stelle einfache Priester (poor priests), die in Armut lebend
das Evangelium verkünden und denen jede weltliche Herrschaft unter-
sagt ist. Diese verbreiteten ihre Lehren in den breiteren Schichten des
Volkes. Im Sommer 1381 fafste Wiclif selbst seine Lehre vom Abend-
mahl in 12 kurze Sätze zusammen, und machte sich anheischig, sie
gegen jedermann zu verteidigen1). Da schritt die englische Hierarchie
wider ihn ein. Der Kanzler der Universität liefs einige von den Sätzen
als ketzerisch erklären. In Gegenwart der Kommission, die ihm dies
Urteil mitten in seinem Auditorium verkündete, erklärte er, weder der
Kanzler noch sonst jemand vermöge etwas an seiner Überzeugung zu
x) Gedruckt Fase. ziz. 105 — 6. Das Bekenntnis seiner Abendmahlslehre ebenda,
S. 115. Seine Flugschrift Wycket, d. i. die enge Pforte, s. Shirley, A Catalogue, S. 33.
Die Lollarden. Der Bauernaufstand u. dessen Rückwirkung auf Wiclif. 399
ändern, und appellierte — nicht etwa an den Papst oder an die geist-
lichen Behörden des Landes, sondern an Richard II. Sein Auftreten
wird immer kühner, sein Anhang immer gröfser. Jeder zweite Mann,
schreibt ein Zeitgenosse, ist ein Lollarde1), ein Unkrautsäer, wie man
seine Anhänger nannte. Mitten in diese grofse Bewegung fiel nun aber
(1381) der grofse Bauernaufstand (s. § 123). Wiewohl Wiclif seine Mifs-
billigung darüber aussprach und die Sympathien der Aufständischen
eher auf Seiten der Bettelmönche waren, wurde der Aufstand ihm zur
Last gelegt und die Verfolgung gegen ihn eingeleitet. Der alte Gegner
Wiclif s, William Courtenay, jetzt Erzbischof von Canterbury, berief am
17. Mai eine Notablenversammlung nach London, um über seine Lehren
zu Gericht zu sitzen. Während der Versammlung entstand ein Erd-
beben. Erschreckt baten die Teilnehmer, von weiterer Beratung abzu-
stehen. Courtenay erklärte es aber als gutes Vorzeichen : der Reinigung
des Reiches von Irrlehren. So wurden nun 24 Lehrsätze Wiclifs teils
als ketzerisch (10) teils als irrig (14) erklärt2). Courtenay suchte die
Hilfe des Staates zur Ausrottung der »armen Priester« zu gewinnen,
das Haus der Gemeinen lehnte es aber ab, darauf einzugehen. Gleich-
wohl gelang es ihm, der Lollardenbewegung in Oxford Herr zu werden.
Wiclif selbst wurde im Herbste 1382 vor eine Kommission gerufen, aber
im Hinblick auf die Stimmung im Unterhause geschont. Er zog sich
auf seine Pfarre nach Lutterworth zurück. Jetzt sandte er erst recht
Flugschriften unter die Menge: die schärfsten gegen Urban VI., als das
Kreuz gegen die dem Gegenpapst anhängenden Flandrer gepredigt wurde.
Am 28. Dezember 1384 wurde er, während er Messe las, vom Schlage
gerührt und starb drei Tage später. Übersieht man seine Tätigkeit, so
gewahrt man ein methodisches Vorgehen auf dem Wege der Reformation :
Steht er 1376 noch etwa auf dem Standpunkt der kirchlichen Opposition
unter Ludwig dem Bayer und Eduard HL, so ist er vier Jahre später
schon auf einer Stufe angelangt, auf der man erst wieder die kirchliche
Bewegung des 16. Jahrhunderts findet. Indem er die Bibel als die
alleinige Autorität für den Glauben bezeichnet, zieht er hieraus die ent-
sprechenden Folgerungen. Er kämpft gegen die bisherige Lehre von
den Sakramenten, von denen er einige wie die Firmung und letzte
Ölung ganz oder die Priesterweihe in ihrer bisherigen Bedeutung ver-
wirft. Die Ohrenbeicht nennt er eine späte Erfindung, den Zölibat
unsittlich und verderblich. Er verwirft die Schlüsselgewalt des Papstes,
die Sündenvergebung durch den Priester, den Heiligenkultus, den Bilder-
und Reliquiendienst, Wallfahrten, Totenmessen und zuletzt auch das
x) Über das Entstehen des Namens (von Lollium, der Lolch, das Unkraut) siehe
Lechler II, 4, und Buddensieg, 616. Solche aus der Pflanzenwelt stammende Namen
sind damals beliebt, s. Fasciculi zizannionim = die Unkrautbündel des Netter of Waiden
oder die Medulla tritici = das Mark des Weizens von Stephan v. Dolein. Anders die
Erklärung Buddensiegs von »löllen«, lullen, in den Schlaf singen, die für die Anfänge
zutreffen mag; die Zeitgenossen Wiclifs dachten aber zweifellos an die Ableitung von
■»lollium*.
2) Sie sind gedruckt Fase. ziz. 301 ff.
400 Das grofse Schisma.
Fegefeuer. Indem er den bisherigen Begriff der Kirche bestreitet, gibt
er die bestehende Ordnung der kirchlichen Hierarchie preis und dies
in einer Zeit, in der es das Aussehen hatte, als sollte die Kirche infolge
des unseligen Schismas ganz in Trümmer gehen.
§ 92. Das grofse Schisma. Tri) an TL und Kiemen s VII.
Quellen: Zur Krit. s. Jahr, Die Wahl Urbans VI. Was in den verschiedenen
Ländern an urk. u. brieflichem Material über das Schisma vorhanden ist, verzeichnet
Noel Yalois, La France et le Grand Schisme d'Occident. 4 Bde. Paris 1896 — 1902
in den Einleitungen zu den einzelnen Bänden. Über Frankreich hinaus wird das
Schisma hier auch in seinen Wirkungen auf die übrigen Länder besprochen. Des-
gleichen in dem sonst wenig kritischen Buche von Gay et, Le Grand Schisme d'Occident.
2 Bde. Paris 1898. (Wichtig die Pikees justificatives : Ie serie: Principales depositions.
IIe serie : Casus et attestations des cardinaux ; doch läfst auch die Ed. zu wünschen
übrig.) B u 1 a e u s , Hist. univ. Paris tom. IV u. B a 1 u z e , Vitae pap. Aven. LI. Cartular.
univ. Paris (mit dem IV. Bd. bis 1406. Paris 1897) Für Deutschland kommt die DRA.
I-VII in Betracht. Fraknöi, MM. Vatic. hist. reg. Ung. illustr. Budap. 1888. Ray-
naldi, Ann. Eccl. für Benedikt XIII. Ehrle im ALKG. Über röm. Akten s. Pastor I, 685
Für die Anfänge wichtig : Lettere di S. Caterina di Siena, ed. Tommaso. Firenze 1860.
Die Werke Jenzensteins AÖG. LV. der Liber De Consideratione noch ungedruckt (Cod.
Vat. 1112). Einzelnes auch in Simons feld, Anal. z. Papst- u. Kirch.-Gesch. Abh
Münch. Ak. 1891. Lrkk. und Darst. in Andreas v. Reg. ed. Leidinger, Münch. 1903.
Darstellende Quellen. Lebensbeschr. d. Päpste : Acta Erbani VI., ed. Pape-
broch. AA. SS. 5. Mai. 95—101. De Urbano VI., Mur. ILT, 2, 712. De creatione Urbani
et . . . Gebennensis auetore Thoma de Acerno, ib. 715 — 30. Pileus de Prata, Ep. pro
electione Erbani ad Lud. com. Flandriae, ed. d'Achery. Spicilegium IV, 301. Vita
Clementis VII auet. anon., ed. Baluze, Vitae pap. Aven. I, 485, Vita alia auet. Petro
de Herentals, ib. 539. Narratio de morte Clementis VII et electione Bened. XIII,
ib. 561. Zur Wahl Bonifaz' IX., s. Döllinger, Beitr. z. pol., kirchl. u. Kulturgesch. II, 361.
Gesta Benedicti XHI auet. anonymo (für die Zeit von 1406), ed. Murat. III, 2, 777.
Johannes XXIIL, s. unter Nyem. Flistor. Martini V, AA. SS. 5. Mai, 112, s. auch unter
Ant. Petri, Xarratio de forma et modo electionis Martini V auet. anon , Mansi, Conc.
XXVTH, 889. Die Lebensbeschr. der Heiligen dieser Zeit: Katharina v. Siena, Petrus
v. Luxemburg u. Vincentius Ferreri, s. AA. SS. 30. April, 2. Juli u. 5. April. Die reiche
Lit. zur efsteren bei Potth H, 1238. — Eigentliche Geschichtschr. des Schismas gibt
es nur wenige : Theoderici de Xyern, De Scismate, libri tres, ed. G. Erler. Leipz. 1890.
(Über Xyem, Xiem oder Xieheim s. die Literatur bei Lorenz H, 313, Vildhaut II, 498,
Potth. II, 1051—55) De Schismate reicht bis 1410. Erlers Ausg. fügt als Additamentum
Xyems Bericht über die Schlacht bei Xikopolis (aus einer Paderborner Handschr.) an.
Von andern Werken Xyems : Nenius unionis, eine 1407 — 08 veranstaltete Sammlung
von Akt. u. Korresp., bestimmt, die konziliare Partei in Deutschland zu fördern, ed.
Schard. Xürnb. 1560. De bono Romani pontificis regimine = Ep. ad Joh. XXHI ,
ed. Rattinger. HJb. V. Historia Johannis XXLTI., ed. v. d. Hardt, Mag. Conc. Const. H, 336.
Andere Werke Xyems s. § 94, 107 und vollst. Potthast u. Lorenz a. a. O. Gobelinus
Persona, Cosmodromium (d. i. der Weltenlauf) bis 1418, ed. Hansen. Münster 1900.
Lit. bei Lorenz H, 323 u. Potthast I, 532, s. auch Abels in d. Z. f. vat. Gesch. LVII.
Ludolf von Sagan, Tractatus de longevo schismate 1378 — 1422, ed. Loserth. AÖG. LX.
Dort auch Ludolf s Soliloquium de schismate. Antonius Petri, Diarium. Rom 1404 — 1417,
ed. Murat, XXIV, 973. Erwähnungen des Schismas finden sich in den meisten Städte-
chroniken der Zeit, vor allem den italienischen: Genua (Potthast, 1030), Venedig
(Murat. XV, XXLT), Montferrat (XXIII), Mailand (XVI, XIX), Padua (XVII), Vicenza
(XIIP, Florenz -Pisto ja (XVI— XX), Pisa, Siena (XV, XLX , Bologna (XVLU), Este-
Ferrara (XVI, XVHI, XXIV), Rimini (XV), Forli (XXH, Reggio (XVHI), Perugia (XIX),
Diar. Rom (XXIV), Xeapel (s. Erler, Mur. XXII, XXIII), Laur. Bonincontri (XXL) u. a.
Das grofse Schisma. 401
Streitschriften u. Schriften zur konzil. Idee. Für u. gegen Urban :
(Pastor I, 686, Valois I, 127.) Thom. de Acerno u. Pileus de Prata, s. oben. Factum
magistri Jacobi de Seva missum Universität! Parisiensi super electione Urbani.
Casus bei Bulaeus, Hist. univ. Paris. IV, 485 — 514. Johannes de Lignano, De schismate,
ein Gutachten von 1380. Rayn. Ann. Eccl. a. a. 1380. Tractatus de electione, inthronis.
et coronat. Urban VI. bei Pastor I, 684 — 85. Über die Schrift De Fletu Ecclesiae siehe
Valois I, 127. Baldus, De schismate, geschr. nach 1378, s. Savigny, Gesch. d. r. R.
im MA. VI, 206. Ein zweites Gutachten v. 1380 bei Rainald. Ann. Eccl. Bartholomaeus
de Saliceto, Cons. pro Urbano VI. Cod. Vat. 5608. Joh. de Spoleto, Dialogus de
tollendo schismate. Pastor I, 686. Nicolaus de Pitonto, Consilium sup. schismate. Cod.
Vat. 4192. Zabarella, De schismate, ed. Schard, De iurisd. imperiali. Basel 1566.
Konrad von Gelnhausen, Ep. concordiae sive Tractatus de congreg. conc. tempore
schismatis v. 1380, ed. Martene et Durand, Thes. anec. II, 1200. Inhalt auch bei
Scheuffgen, Beitt. z. Gesch. d. gr. Schismas. Freib. 1889. Heinrich Hembuche v. Langen-
stein, Epistola pacis (88 Kapp, in Form eines Dialogs : Das Schisma könne nur durch
ein Konzil beseitigt werden), ed. Helmstedt 1778 — 79 (über den Druck Kneer, S. 66). Ausf.
Auszüge bei Scheuffgen, 43. — Epistola concilii pacis (= Consilium pacis de unione etc.).
v. d. Hardt II, 3 — 60. Andere Drucke dieser u. andere Schriften Langensteins siehe
Kneer 92 ff. — Die zahlreichen grofsen Werke u. Flugschriften des Petrus de Alliaco
s. bei Tschackert: Pierre d'Ailli. Goth. 1877. S. auch Potthast II, 913 u. unten 107. —
Die beste u. vollst. Ausgabe der Werke Gersons ist die von du Pin. Antwerp. 1706.
Verz. der Werke Gersons bei Potth. I, 504. Dazu das Chartularium univ. Paris, ed.
Denifle-Chatelain III — V. Die Werke d. Nicolaus .von Clemangis in d. Ausg. v. Lydius.
Lugd. Bat. 1613.
Hilfsschriften: Aufser den allg. Werken v. Gregorovius, Pastor, Hef ele u. a.
jetzt vor allem N. Valois, wie oben. (Dort auch Ergänzungen zur Lit.) Sonst Gayet,
wie oben. Salembier, Le Grand Schisme d'Occident. Paris 1900. AI das y, Gesch.
d. g. Schismas (magyar.). Budapest 1896. S o u c h o n , Die Papstwahlen in der Zeit d.
grofsen Schismas I. Braunschw. 1898. Creighton, A history of the papacy from the
schism to the sack of Rome. N. York 1897. Siebeking, Beitr. z Gesch. d. gr. Kirchen-
spaltung. Dresden 1881. Veraltet: Maimbourg, Hist. du grand Schisme. Über den Aus-
bruch d. Seh.: Lindner, Die Wahl Urbans VI. HZ. XXVIII. (Dort u. bei Hefele-
Knöpfler, Konz. -Gesch. VI, 729 — 776 u. Souchon, Die Papstwahlen v. Bonif. VIII. bis
Urban VI., S. 81 — 109, auch eine Zusammenstellung des Quellenmaterials. S. auch
Pastor I, 98.) Valois, L'election d'Urbain VI. RQH. 1880. Jahr, wie oben. Fabisz,
Quidnam Poloni gesserint adv. schism. oeeid. synodosque Const. et. Basil. Würzb. 1879.
E u b e 1, Die avign. Obedienz d. Mendikantenorden. Paderb. 1900. — Die Provisiones prael.
währ. d. g. Seh. RQSch. IV. — Das Itinerar d. Päpste z. Z. d. g. Schismas. HJb. XVI.
Erler, Florenz, Neapel u. d. päpstl. Schisma. Leipz. 1879. Feret, La faculte de theol.
d. Paris et ses docteurs plus celebres HI, IV. Paris 1895 — 96. Valois, Le röle de
Charles V etc. Ann. Bull. etc. XXIV. — Louis Ier duc d'Anjou et le gr. schisme. RQH.
XXXVI. L'expedition et la mort de Louis Ier 1382—84. Paris 1894. Kehrmann,
Frankreichs innere Kirchenpol. v. d. Wahl Klemens' VII. bis Alexander V. 1378 — 1409.
Diss. 1890. K. Hase, Caterina v. Siena. 4. Aufl. 1892. Capecelatro, Storia di
s. Caterina da Siena e del papato del suo tempo. Fir. 1864. Chirat, Sainte Catherine
de Sienne et l'^glise au XlVe siecle. Paris et Lyon 1888, s. auch JBG. XVI, III, 223.
Durrieu, Le royaume d'Adria. Paris 1880. Sauerland, Das Itinerar d. Gegenp.
Klemens' VII. HJb. XIH. (Die übrige Lit. s. bei Potth. II, 1239, s. auch JBG. XVI,
III, 223.) Zur konz. Idee: Kneer, Die Entstehung der konz. Idee. Rom 1893. (S. auch
Hist. Viertel] . IH, 381.) Scheuffgen, wie oben. K. Wenck, Konrad v. Gelnhausen etc.
HZ. LXXVI, 661. Falk, D. mittelrh. Freundeskreis d. Heinr. v. Langenstein. HJb. XV.
Sauerland, Joh. Dominici u. s. Verhalten z. d. kirchl. Unionsbestrebungen. 1406 — 1415.
Für einzelnes: Finke, Quellen u. Forschungen z. Gesch. d. Konst. Konzils 1889.
Über Joh. v. Legnano s. Bosdari, Giovanni da L. canonista etc. in Atti et Memorie
della r. deput. di storia pat. p. 1. prov. di Romagna. 3 Ser. vol. XIX. Im Anhang sind
30 Dok. abgedr. Die beste Monographie über Ailly ist Tschackert, wie oben.
Salembier, Pet. d. Alliaco. 1886. Tschackert, P. d. A. u. die ihm zugeschriebenen
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 26
402 Die Wahl Urbans VI.
Traktate De diffic. reformat. in conc. univ. und Monita de necessitate reformationis.
Jb. d. Tbeol. XX. ZKG. I. Finke, wie oben. Die ausgezeichneteste Arbeit über
Gerson ist J.B.Schwab, Johannes Gerson. "Würzburg 1858. Masson, Jean Gerson,
sa vie, son temps, ses oeuvres. Lyon 1894. Müntz, Nicolaus de Clemanges. Strafs-
burg 1840. Schuberth, Ist N. v. Cl. Verfasser des Buches De corrupto statu
ecclesiae? Kneer, Kard. Zabarella. Münst. 1891. Köfsler, Kard. Joh. Dominici.
Freib. 1893. Sonst s. über Ailli, Gerson u. Clemanges d. RE. v. Hauck, und Wetz er
u. Weite, Kirchenlex. Kummer, Die deutschen Bischofswahlen 1378 — 1418.
Diss. 1891.
1. Von den 23 Mitgliedern des Kardinalskollegiums waren beim
Tode Gregors XI. nur 16 in Rom anwesend. Unter ihnen hatten die
Franzosen zwar das Übergewicht, waren aber in zwei Parteien gespalten :
die stärkere der Limousiner und die schwächere der Gallier. Die letztere
zählte aber bedeutende Männer wie Robert von Genf und Petrus de
Luna in ihrer Mitte. Unter gewöhnlichen Verhältnissen wäre auch jetzt
die Wahl eines Franzosen erfolgt. In ganz Italien, vorab in Rom,
herrschte aber gegen das französische Papsttum grofse Erbitterung. Um
die Neuwahl vor gewalttätiger Einflufsnahme zu sichern, hatte noch
Gregor XL (19. März) den Kardinälen die Bestimmung hinterlassen, sie
ohne Rücksicht auf ihre abwesenden Kollegen, wo und wann sie wollten,
selbst mit blofser Zweidrittelmajorität vorzunehmen. Noch ehe der Papst
die Augen geschlossen, setzten sich die Römer für die Wahl eines Italieners
und das Verbleiben der Kurie in Rom ein. Den Wünschen des Volkes
schlössen sich die Stadtbehörden und selbst italienische Prälaten an.
Bewaffnete Volkshäufen drängten (7. April) unter stürmischem Rufen
nach der Wahl eines Römers oder wenigstens eines Italieners bis vor
den Vatikan, wo sich die Kardinäle zum Konklave versammelt hatten.
Derselbe Vorgang wiederholte sich am folgenden Tage. In St. Peter
wurden wie zum Sturm die Glocken geläutet. Da sich unter den
italienischen Kardinälen keiner befand, der den andern Parteien genehm
gewesen wäre, einigten sie sich auf den Erzbischof Bartholomäus
Prignano von Bari, der als Vizekanzler der römischen Kirche hohes
Ansehen hatte, sich durch Gerechtigkeitsliebe und Sittenstrenge aus-
zeichnete, als Feind der Simonie galt und als Neapolitaner sich den Höfen
von Neapel und Frankreich empfahl. Bei seinen alten Beziehungen zu
den französischen Kardinälen durften diese in ihm ein gefügiges Werk-
zeug, unter L'mständen selbst die Zurückverlegung der Kurie nach
Avignon erwarten. So wurde er nominiert und, trotzdem einzelne
Kardinäle auf den Tumult der Strafse hinwiesen, der eine freie Beratung
unmöglich mache, auch gewählt. Als die Kardinäle zögerten, die Wahl
eines Nichtrömers zu publizieren, brach die Volksmasse, durch die rnifs-
verstandene Nachricht von der Wahl eines übelberüchtigten Nepoten1)
Gregors XL in Erregung versetzt, mit dem Rufe : v Wir wollen einen
Römer!« in den Palast. Die bestürzten Kardinäle vermochten nicht zu
entfliehen, und einer von ihnen rief: Der Kardinal (Tibaldeschi) von
St. Peter — er war bei den Römern beliebt — ■ ist Papst, Sofort wurde
*) Johannes von Baro (statt Bari).
Rechtmäfsigkeit der Wahl. Grund zum Schisma. 403
dieser mit den päpstlichen Gewändern bekleidet und auf einen Sessel
gehoben. Mittlerweile entkamen die andern. Als nun die Menge aus
Tibaldeschis Mund die Wahrheit vernahm, wurden Verwünschungen
laut. Man suchte nach dem Papst, um ihn zur Abdikation zu zwingen.
Prignano hatte sich mit Mühe in einem Winkel des Vatikans geborgen.
Am nächsten Tage berief er die Kardinäle und liefs sich inthronisieren.
Indem er den Namen Urban VI. (1378 — 1389) annahm, deutete er seine
Absicht an, in Rom zu verbleiben. Am 18. April wurde er gekrönt und
die geschehene Wahl der Christenheit mitgeteilt. Auch die in Avignon
zurückgebliebenen Kardinäle erkannten ihn an, und Robert von Genf,
der spätere Gegenpapst, meldete dem Kaiser die erfolgte Wahl. *)
2. War die Wahl Urbans VI. auch in einer etwas formlosen
Weise erfolgt, so war sie doch keineswegs ungültig. Indem sie die
Kardinäle später noch besonders bestätigten, sich an der Inthronisation
des Gewählten beteiligten, Schenkungen und Benefizien von ihm er-
baten, in seinem Konsistorium erschienen, über die Wahl an Kollegen
und Freunde berichteten, wurde sie von ihnen als rechtmäfsig an-
erkannt, und würde auch wohl niemals von ihnen angefochten worden
sein, wäre er den Kardinälen in mafs voller Weise entgegengekommen.
Nicht in dem hochfahrenden Wesen des Papstes allein, auch nicht
in der Abweisung des Wunsches der Ultramontanen2), nach Frankreich
zurückzukehren, endlich auch nicht in den bei Urbans VI. Wahl vor-
gekommenen Unregelmäfsigkeiten liegt der Grund zum folgenden Schisma :
entscheidend war der Gegensatz der Interessen der Kar-
dinäle und der absolutistischen Regierungsweise des
Papstes.3) Ohne den seit Innozenz III. und Bonifaz VIII. ein-
getretenen Wandel der Dinge zu beachten und die politische Einsicht
seiner grofsen Vorgänger zu besitzen, wollte Urban VI. sein Regiment
im Sinne der grofsen Päpste des 13. Jahrhunderts führen. Indem er
mit seinen Reformen bei der Kurie selbst den Anfang machte, das un-
kirchliche Leben der Kardinäle und Prälaten, ihren Luxus und Wucher
und ihre Simonie in offenem Konsistorium rügte, die Annahme von
Provisionen und Geschenken fremder Fürsten verbot und ihrem Wunsche,
nach Frankreich zurückzukehren, entgegentrat, bildete sich unter ihnen
eine Opposition, die sich von Tag zu Tag verschärfte und sie dazu
brachte, die Unregelmäfsigkeiten der Wahl hervorzukehren und diese
als eine ungültige hinzustellen. Schon nach Monatsfrist wurde an
Deutschland, Frankreich, Kastilien und Portugal das Ansinnen gestellt,
die Wahl nicht anzuerkennen. Als der Papst hierauf drohte, so viele
Italiener zu Kardinälen zu machen, dafs ihre Zahl die der Ultramon-
tanen übersteigen würde, kam es dahin, dafs sie selbst entweder ihren
Erkorenen stürzen oder sich ihrer Macht begeben mufsten. Den Kar-
dinälen kam der Umstand zustatten, dafs einer von ihnen, Orsini, gegen
*) Littera Gebennensis bei Pastor I, 686—688.
2) D. i. der französisch-gesinnten Kardinäle.
s) Souchon I, 5.
26*
404 Gegensatz zwischen Kardinalat und Papsttum. Wahl Kleruens' VII.
die Rechtsgültigkeit der Wahl Verwahrung eingelegt hatte. Unter dem
Vorwand, dafs die Luft in Rom ungesund sei, begaben sich erst drei,
dann die übrigen Ultramontanen, teils mit teils ohne Erlaubnis des
Papstes, nach Anagni. Nur die Italiener blieben bei ihm. Entscheidend
war das Eingreifen Frankreichs. Karl V. hatte das gröfste Interesse
daran, die Kurie nach Avignon zurückzuführen; daher unterstützte er
die ultramontanen Kardinäle durch Geld und bewog auch die Königin
Ton Neapel, ihnen Schutz zu gewähren. Ein Versuch des Papstes, sich
mit seinen Gegnern um den Preis der Anerkennung aller vom Kardinalat
seit einem Jahrhundert erlangten Rechte zu versöhnen, nüfslang. Die
Kardinäle gewannen einen bretonischen Heerhauien, suchten den An-
schlufs der italienischen Kollegen, schilderten (9. August) in einem
Manifest die Vorgänge bei der Wahl, kündigten dem Papste den Gehorsam
auf und forderten, dafs sich die Christenheit von ihm lossage. Das
Verlangen der italienischen Kardinäle, die Entscheidung auf einem
Konzil zu suchen, war ebenso vergebens wie die Versuche, den Papst
zum Rücktritt zu bewegen. Da schritten die Ultramontanen am 20. Sep-
tember zu Fondi, im Beisein aber ohne Mitwirkung der Italiener, zur
Neuwahl und erhoben den Angesehensten aus ihrer Mitte, Robert von
Genf, zum Papste. Schon sein Name — Klemens VII. (1378 — 1394) —
wies auf die politische Richtung hin1), die er einschlagen würde. Am
31. Oktober wurde er gekrönt. Damit war das Schisma vollzogen.
3. Noch ehe die Ultramontanen den entscheidenden Schritt getan,
ernannte Urban VI. (am 18. September) 29 Kardinäle, so dafs das Kol-
legium nunmehr 54 Mitglieder zählte. Damit meinte er, denn noch er-
wartete er die Rückkehr der Ultramontanen, sich eine verläfsliche
Majorität unter den Kardinälen geschaffen zu haben. Aber eben dieser
Schritt entfremdete ihm seine Gegner noch mehr, da sie bisher in der
beschränkten Anzahl von Kollegen eines ihrer wesentlichsten Privilegien
erblickt hatten. Indem Urban VI. das System, Kardinäle in grofser
Zahl zu ernennen, beibehielt, büfste das Kollegium auch nach aufsen hin
an Wertschätzung ein. 2) Das Wichtigste war die Haltung der weltlichen
Mächte. Die engsten Beziehungen knüpfte Klemens VII. zu Frankreich
an. Als wTollte er seine Abstammung von den Königen Frankreichs3)
und sein Bündnis mit Frankreich aller Welt vor Augen führen, nahm
er die französischen Lilien in sein Papstsiegel auf. Der königliche Rat
sprach sich für seine Anerkennung aus, und nur die Universität Paris
hielt anfangs zu Urban VI. Karl V. bemühte sich, auch die andern
Mächte für den Gegenpapst zu gewinnen. Diese Bemühungen hatten
nur dort Erfolg, wo die politischen Interessen mit denen Frankreichs
Hand in Hand gingen. Dagegen begrüfste der Kaiser die Loslösung des
Papsttums vom Einflüsse Frankreichs und erkannte Urban VI. als recht-
mäfsigen Papst an. Er tat dies trotz des hochmütigen Verfahrens, das
x) Vgl. die Politik der Päpste Klemens IV — VI.
- Einzelnheiten darüber bei Souchon, S. 25.
s) Valois I, 109.
Haltung Urbans VI. und der weltlichen Mächte. 405
Urban gegen seine Gesandten eingeschlagen hatte, als sie von ihm die
endliche Approbation Wenzels begehrten. Nach eingetretenem Schisma
wurde seine Stellung zum Kaisertum allerdings eine andere. Hielt er
bisher an seinem Anspruch fest, Könige ein- und abzusetzen, so erklärte
er nun, sich fortan nur mit kirchlichen Angelegenheiten zu beschäftigen
und Beschwerden der deutschen Kirche nach des Kaisers Rat erledigen
zu wollen. Karl IV. trat denn auch mit seiner ganzen Autorität für ihn
ein, und Wenzel schritt auf diesen Wegen fort. Der Reichstag vom
Februar 1379 beschlofs, dafs nach dem etwaigen Tode Wenzels niemand
gewählt werden dürfe , der sich nicht zur Obedienz Urbans VI. ver-
pflichte; der Legat, Kardinal Pileus de Prata, befestigte den König in
dieser Gesinnung. Erst später gelang es französischen Einflüssen, in
einem Teil des Reiches Anhang zu finden : die Stellungnahme Deutsch-
lands zog Ungarn, Polen und die nordischen Staaten auf Urbans Seite.
In England war der Kampf gegen Klemens VII. ohnedies mit einem
Kampfe gegen Frankreich gleichbedeutend. Der Abgesandte des Gegen-
papstes durfte nicht wagen, englischen Boden zu betreten; dagegen trat
Schottland auf seine Seite. Während Portugal zu Urban VI. hielt,
blieben Kastilien und Aragonien neutral, bis sie sich aus politischen
Rücksichten an Klemens VII. anschlössen, für den sich auch Navarra
erklärte. Von den Signorien und andern Staaten Italiens hielt die
Mehrzahl zu Urban VI. Für ihn erklärten sich auch der Kirchen-
staat und die Romagna, zumal seit seine Truppen bei Marino einen
Sieg über die Gegner errangen (1379, 29. April) und die Engelsburg,
die bisher in deren Besitz gewesen, kapitulierte. Von den Universitäten
war Bologna für Urban VI. tätig. Seine Rechtmäfsigkeit wurde hier von
den berühmten Rechtsgelehrten Johannes von Lignano, Baldus von
Perugia, Bartolomeo von Saliceto und Thomas von Acerno verfochten.
Besonders eifrig wirkte die hl. Katharina von Siena, die Jeanne
d'Arc des Papsttums, für Urban VI., indem sie in diesem Sinne Briefe
an die Kardinäle und die Königin Johanna von Neapel richtete. Diese
hatte anfangs die Wahl eines Neapolitaners zum Papste mit Freuden
begrüfst. Als sich Urban VI. aber weigerte, ihren vierten Gemahl Otto
von Braunschweig-Tarent zum König von Neapel zu krönen, und Gerüchte
von seinen Absichten sprachen, Neapel seinem eigenen Neffen, Fran-
cesco Prignano, zu verschaffen, als ihr rücksichtslose Aufserungen des
Papstes über ihren Lebenswandel zugetragen wurden, trat sie zu Klemens VII.
über. Schon war sie aber ihrer eigenen Herrschaft nicht mehr sicher.
König Ludwig von Ungarn, der seiner älteren Tochter Maria die Nach-
folge in Ungarn und Polen sichern wollte, hatte den Thron von Neapel
Karl von Durazzo als Entschädigung zugedacht (§ 88), wozu L^rban VI.
die Hand bot. Dagegen wollte Klemens VII. aus dem gröfseren Teile
des Kirchenstaates ein neues Lehensreich Adria1) gründen und es Ludwig
von Anjou, dem Bruder Karls V. von Frankreich, übergeben. Die
Schlacht von Marino zerstörte diesen Plan. Klemens floh von Fondi
*) Über das Reich Adria s. Valois I, 167.
406 Das Schisma. Seine Aufnahme und seine Wirkungen.
nach Neapel; dort von dem urbanistisch gesinnten Volke am Leben
bedroht, eilte er nach Frankreich und schlug in Avignon seinen Sitz auf.
4. Die Christenheit hatte nunmehr einen Papst in Rom, einen
zweiten in Avignon. Die älteren Spaltungen in der Kirche waren meist
von der weltlichen Gewalt ausgegangen und trugen daher von vornherein
den Charakter der Gewalttat an sich. Das jetzige Schisma aber nahm
von den obersten Würdenträgern der Kirche selbst seinen Ausgang; es
mufste in der ganzen christlichen Welt den tiefsten Eindruck machen,
als sich die eigenen Wähler des Papstes von ihm lossagten. Da die
Wahl unter eigentümlichen Umständen erfolgt war, hielt es nicht schwer,
den Sachverhalt zu entstellen und die Wahrheit ganz zu verhüllen.
Daher wurden selbst geistesstarke Männer unsicher. Wie schwer es war
zu erkennen, wer der rechte, wer der falsche Papst sei, sieht man daraus,
dafs auf beiden Seiten heiligmäfsige Männer standen : die hl. Katharina
von Siena stritt für Urban VI., Vinzentius Ferrerus und Petrus von
Luxemburg für Klemens VII. Nicht wenige Männer erklärten denn
auch ganz offen, nicht zu wissen, welcher Papst der rechtmäfsige sei.1)
Die ganze Christenheit geriet in die gröfste Not; man hatte ja nicht nur
zwei Päpste mit ihren Kardinälen, die mit weltlichen und geistlichen
Waffen widereinander stritten : in manchen Diözesen gab es Bischöfe
der einen und andern Obedienz, man stritt um Abteien und Pfarren,
und so wurde der Kampf bis in die untersten Kreise getragen. Das
Papsttum erlitt »in diesem grofsen Elend der Welt« die gröfste Einbufse
an seiner bisherigen Macht. Schon durch die Tatsache, dafs es zwei-
geteilt war, an seiner Autorität arg geschädigt, wurde es nunmehr auch
von der weltlichen Macht wieder abhängiger, als es seit Jahrhunderten
der Fall war; indem beide Päpste um die Anerkennung der weltlichen
Mächte warben, mufsten diesen grofse Zugeständnisse gemacht werden,
und wurden auf Kosten der Kirche die landesherrlichen Rechte bedeutend
erweitert.2) Diese Zustände wurden immer ärger, je mehr sie einwurzelten,
der finanzielle Druck zweier Kurien allmählich unerträglich und die
Übelstände in der kirchlichen Verwaltung jedem Auge sichtbar. Schon
konnte man Stimmen vernehmen, wie die der englischen Opposition,
welche die Notwendigkeit des Papsttums überhaupt in Frage stellten.
§ 93. Der Kampf der Gegenpäpste bis zum Tode Urbans VI.
Bonifaz IX.
Zu den oben angemerkten Hilfsschriften s. Eisenhardt, Die Eroberung des
Königreichs Xeapel d. Karl v. Durazzo. Halle 1896.
1. Bereits am 29. November 1378 hatte Urban VI. wider seine
Gegner und dessen Anhänger den Bann verhängt, das Kreuz gepredigt
und im folgenden Jahre den Kreuzzug aufs neue ausgeschrieben; die
Königin Johanna wurde ihres Reiches verlustig erklärt (1380, 21. April),
Karl von Durazzo mit Neapel belehnt, zum König gekrönt (1381, 2. Juni)
.
*) Eine gute Zusammenstellung des einschlägigen Materials bei Pastor I, 117.
2) Pastor, S. 120, Note 5. Dort die übrige Literatur.
Karl von Durazzo. Verschwörung der Kardinäle gegen Urban VI. 407
und zum Senator von Rom ernannt. Dafür versprach er, den Nepoten
des Papstes, Francesco Prignano, mit Capua, Amaln und andern
süditalischen Grafschaften zu belehnen. Die Königin Johanna machte
dagegen Ludwig von Anjou zum Erben ihres Besitzes, und Klemens VII.,
der nun auch seinerseits Manifeste gegen Urban VI. erliefs, gab hiezu
seine Zustimmung. Da Karl V. von Frankreich im September 1380
gestorben war, blieb Ludwig als Vormund des minderjährigen Königs
Karl VI. in Frankreich zurück. Karl von Durazzo besetzte Neapel,
schlug Otto von Braunschweig, nahm ihn gefangen und liefs die Königin
Johanna erdrosseln.1) Erst im Frühling 1382 brach Ludwig auf, um
seine Ansprüche durchzusetzen. Am 30'. Mai in Avignon zum König
von Jerusalem und Sizilien gekrönt, rückte er, ohne Rom zu berühren,
bis vor Neapel. Statt seine Übermacht und die günstige Stimmung des
Volkes rasch auszunützen, zog er den Krieg in die Länge; als er am
20. September 1384 starb, zerstreuten sich die Reste seines von Hunger
und Seuchen arg mitgenommenen Heeres, und auch die Hilfstruppen,
die bereits im Anmarsch waren, kehrten über die Alpen zurück.
2. Mittlerweile hatten sich die Beziehungen Urbans VI. zu König
Karl und den Kardinälen getrübt. Um dem Kriegsschauplatz näher zu
sein und den König an seine Zusagen zu mahnen, hatte Urban VI. den
Plan gefafst, sich samt der Kurie nach Neapel zu begeben. Trotz des
Widerstrebens der Kardinäle machte er sich auf den Weg, wurde in
Aversa von Karl empfangen , bald aber als Gefangener nach Neapel
geführt. Erst nachdem er seine Forderungen herabgemindert hatte,
kam es zu einem Vergleich : dem Nepoten wurde Nocera gegeben und
eine Geldentschädigung zugesagt, bis es nach dem Abzug Ludwigs von
Anjou möglich sein werde, ihn ganz zu befriedigen. Nach dessen Tode
steigerte sich aber die Mifsstimmung zwischen Papst und König. Unter
den Kardinälen selbst kam es zu einem Komplott. Dem Papste sollte
ein Kuratorium zur Seite gestellt werden, an dessen Zustimmung er in
allen wichtigen Fragen gebunden sein sollte; eine förmliche Gefangen-
nahme und Überwachung des Papstes war die notwendige Voraussetzung
dazu. Für die Ausführung des Anschlages war der 20. Januar 1385
bestimmt. Es durfte erwartet werden, dafs die durch die Verlegung der
Kurie nach Nocera und einen abermaligen Kardinalsschub erbitterten
Kardinäle sich anschliefsen würden. Das Komplott wurde indes ver-
raten, sechs Teilnehmer in den Kerker geworfen und mit unmenschlicher
Härte behandelt. Unter der Folter gestanden sie , was man wollte.2)
Vor einem Konsistorium von fünf Kardinälen wurden die Unglücklichen
ihrer Amter entsetzt, König Karl als Mitschuldiger vor den Richterstuhl
des Papstes zitiert und, da er nicht erschien, in den Bann gelegt und
seines Reiches verlustig erklärt. Karl sandte nunmehr ein Belagerungs-
heer nach Nocera, das der Papst fünf Monate lang verteidigte, bis es von
1) Die verschiedenen Angaben über ihr Ende sind von Erler, Nyem, De scisrnate
S. 48 zusammengestellt.
2) Ebenda S. 78, 91 ff. Erat enim — sagt der Augenzeuge Nyem — cor eius (des
Papstes), qaoad miserandum ipsis, Deucalionis lapidibus atque silice durius.
408 Tötung der gefangenen Kardinäle. Tod Karls von Durazzo u. Urbans VI.
bretonischen Söldnern entsetzt wurde (1385, 7. Juli). Urban VI. begab sich
nach Genua. Die gefangenen Kardinäle wurden hinter ihm mitgeschleppt.
Den Bischof von Aquila, der Miene machte, zu entfliehen, liefs er unter-
wegs hinrichten. Die in Neapel zurückgebliebenen Kardinäle hatten
ihm mittlerweile wegen seines Willkürregiments ihre Obedienz entzogen
und verlangten die Entscheidung über das , was zu geschehen habe,
durch ein Konzil. Von den gefangenen Kardinälen wurde auf Betreiben
Englands einer entlassen1), die andern fünf im Kerker getötet.2) Von
Genua zog Urban nach Lucca , um in das Königreich Neapel zurück-
zukehren.
3. Mittlerweile war König Ludwig von Ungarn gestorben. Eine
mächtige Adelspartei wünschte die Erhebung König Karls von Neapel,
des nächsten männlichen Verwandten des verstorbenen Königs. Karl
folgte dem Rufe, fand aber in Ungarn einen frühzeitigen Tod (s. § 96).
Nun eilte Otto von Braunschweig aus Avignon, wohin er entkommen
war, herbei, um Neapel für den Sohn Ludwigs von Anjou zu gewinnen.
Karls Witwe Margareta knüpfte dagegen mit Urban Verbindungen an.
um es für ihren Sohn Ladislaus zu behaupten ; der Papst selbst wünschte
es für seinen Nepoten zu erwerben. Herzog Otto besetzte Neapel (1387, Juli)
und hielt es trotz des Bannspruches Urbans VI. fest; Margareta entfloh
mit ihrem Sohne in das feste Gaeta. Urban VI. hatte sich von Lucca
nach Perugia begeben, um von da gegen Neapel zu ziehen, Mangel an
Geld nötigten ihn aber zur Umkehr. Erst jetzt ging er nach Rom,
geriet jedoch hier mit den Bürgern in Zwist. Um seinem Geldmangel ab-
zuhelfen, versprach er das Jubelfest statt im Jahre 1400 schon 1390 zu
feiern. Er starb aber bereits am 15. Oktober 1389, wie man sagte, an
Gift, das ihm die Römer eingaben.
Mit ihni stieg einer der gewalttätigsten Männer ins Grab, die je auf dem Stuhle
Petri gesessen. Bei seiner Erhebung von den besten Absichten geleitet, voll von Eifer
und Pflichtgefühl, hatte er nicht das mindeste Verständnis für die Entwicklung des
Papsttums seit dem letzten Jahrhundert. "Wenn er das Schisma auch nicht hervorrief,
so fällt die Schuld, dafs es sich einwurzeln konnte, vornehmlich ihm zu, und hätte es
nicht schon seit 1378 bestanden, so wäre es zweifellos 1385) während seines Auf-
enthaltes in Xocera ausgebrochen.3) Seine Überhebung und unmenschliche Grausam-
keit gegen die Kardinäle befestigte in diesen die Überzeugung, dafs ihnen ein recht-
licher Anspruch auf die Eegierung der Kirche zustehe.4) Bei seinem tyrannischen
Vorgehen mufsten die von weltlicher und geistlicher Seite unternommenen Versuche,
dem Schisma ein Ende zu machen, ebenso ergebnislos verlaufen wie die Kriegszüge,
zu denen er die Christenheit gegen Klemens VII. und die mit diesem verbündeten
Mächte aufrief.
4. Nach dem Tode Urbans VI. hoffte Klemens VII. auf den An-
schlufs der italienischen Kardinäle, aber diese wählten nach langen Ver-
handlungen den Kardinal Tomacelli als Bonifaz IX. (1389 — 1404) zum
Papste, der, seines Vorgängers Fehler vermeidend, den Ansprüchen des
Kardinalkollegiums willig entgegenkam, die Kardinäle reichlich aus-
l) Aston.
- Die verschiedenen Berichte über ihren grauenhaften Tod bei Xyem, 110.
3) Hefele-Knöpfler VI, 801.
* Souchon, S. 40 ff.
Bonifaz IX. Die ersten Unionsversuche und die Universität Paris. 409
stattete und ihnen den früheren Einflufs auf die Verwaltung der Kirche
wieder zurückgab. Sein Charakter bot aber arge Blöfsen. Die Zeit-
genossen tadelten seine Habsucht und Simonie. Die Erträgnisse der
Jubeljahre von 1390 und 1400 füllten seine Kassen; in allen Ländern
der römischen Obedienz wurden Bullen um Geld feilgeboten. Bei alledem
reichten diese Erträgnisse zur Erhaltung eines Heeres und den Ver-
waltungskosten nicht aus , daher wurden die einzelnen Länder durch
drückende Auflagen beschwert. Ämter und Würden der Kirche teilte
der Papst unter seine zahlreichen Verwandten aus. Die Geldnot zwang
ihn, päpstliche Gebiete wie Ferrara, Urbino, Rimini, Bologna u. a. an
städtische Magistrate oder Signoren als päpstliche Vikare zu übergeben.
Dadurch gewann er die Mittel, die päpstliche Macht im Kirchenstaate
auf eine festere Grundlage zu stellen. Das wichtigste war, dafs er die
volle Herrschaft über Rom erhielt. Mit dem Hause Durazzo machte
er Frieden. Ein Legat krönte im Mai 1390 den jungen Ladislaus zum
König, wofür dieser die Angriffe Ludwigs IL von Anjou und des Gegen-
papstes siegreich abwies. Den Kampf gegen Klemens VII. führte
Bonifaz IX. mit geistlichen und diplomatischen Mitteln. So bereit er
war, die Einheit der Kirche herzustellen, wollte er dies doch nur um
den Preis der vollständigen Vernichtung seines Gegners. Schon mehrten
sich indes die Stimmen, die gebieterisch die Beseitigung des Schismas
forderten.
§ 94. Die ersten Unionsversuche und die konziliare Theorie.
Die kirchliche Reformpartei in Frankreich.
1. Der Gedanke, das Schisma durch ein allgemeines Konzil zur
Lösung zu bringen, war schon bei dessen Ausbruch aufgetaucht. Den
italienischen Kardinälen lag er nahe. Auch Urban VI. dachte daran.
In diesem Falle hätte es freilich unter seiner Leitung stehen und in
seinem Sinne entscheiden müssen. Von gröfster Wichtigkeit in der Frage
des Schismas war die Stellungnahme der Universität Paris, deren durch
die kirchenpolitischen Kämpfe unter Philipp dem Schönen gesteigertes
Ansehen jetzt auf dem Höhepunkt stand. Anfangs nahm sie eine zu-
wartende Stellung ein ; erst auf das Drängen der Krone erklärten sich
die juristische und medizinische, später auch die theologische Fakultät
für Klemens VII. Die Artistenfakultät, ihrer Zahl nach gröfser als die
drei andern, umfafste die normannische, französische, pikardische und
englische Nation. Zur pikardischen gehörten Vlämen, zur englischen
auch Schotten, Iren, Dänen, Schweden, Böhmen, Polen, Ungarn und
vornehmlich auch Deutsche. Bei allen war die Haltung des Heimat-
landes mafsgebend. Während sich die normannische und französische
Nation an Klemens VII. hielten, standen die pikardische und die Mehr-
heit der englischen Nation zur römischen Obedienz. War auch die
Majorität der Universität auf der Seite Klemens' VII. , so blieben doch
Urbans Anhänger unbehelligt. In den Kreisen der Universität erscholl
nun gleichfalls der Ruf, die Streitfrage durch ein Konzil erledigen zu
410 Konrad von Gelnhausen und Heinrich von Langenstein.
lassen. Karl V. gab einem Professor an der Universität, Konrad von
Geinhansen, im Mai 1380 den Auftrag, seine Gedanken über die Be-
seitigung des Schismas durch ein allgemeines Konzil darzulegen. So
entstand die Epistola concordiae, die mit Entschiedenheit auf die Berufung
eines Konzils hindrängt. In gewöhnlichen Zeitläufen, wird dort gelehrt,
werde ein Konzil vom Papste berufen, in aufsergewöhnlichen versammle
sich die Kirche auch ohne päpstliche Autorität als allgemeines Konzil,
und könne selbst über den Papst zu Gericht sitzen. Nicht auf diesem,
sondern auf der Gesamtheit der beim Konzil versammelten Gläubigen
beruhe die Fülle aller kirchlichen Gewalt. Entschiedener als Karl V.
trat Prinz Ludwig von Anjou für den Gegenpapst ein, der nun mit
dessen Hilfe die französische Kirche schonungslos brandschatzte. Immer
lauter wurde daher der Ruf, ihrem Notstand auf konziliarem Wege ein
Ende zu machen. Indem die Universität einen Beschlufs in diesem
Sinne fafste, Ludwig von Anjou der Konzilsberufung widerstrebte, ver-
liefs eine Anzahl angesehener Lehrer die Universität und die konziliaren
Theorien Konrads von Gelnhausen wurden nun auch aufserhalb Frank-
reichs verbreitet. Noch vor Konrad von Gelnhausen trat Heinrich
Hembuche aus Langenstein bei Marburg in Hessen in seiner Epistola
pacis für die gleichen Ideen ein. Noch entschiedener stellte er sich zwei
Jahre später (1381) in seinem »Friedenskonzil« (Epistola concilii pacis)
auf diesen Standpunkt. In den wichtigsten Teilen dieser Schrift steht
Langenstein auf den Schultern Gelnhausens; 1383 an die Wiener Uni-
versität berufen, verteidigte er in Schreiben an den Kaiser und andere
Fürsten den Gedanken an die konziliare Lösung der kirchlichen Krise.
In seinem Friedensgedicht (carmen pro pace) erklärt er die Konzils-
berufung als Aufgabe des Kaisers. Aber schon tritt ein neuer Gedanke
ein, der der Zession: Beide Päpste verzichten auf ihre Würde, und
ein neuer Papst wird gewählt. Davon wollten weder Klemens VII. noch
Bonifaz IX. etwas wissen. Der letztere nannte diesen Weg zur Be-
seitigung des Schismas einen verwegenen Eingriff in Gottes Ordnung.
Die Universität Paris empfahl schliefslich (1394) einen dreifachen Weg
zur Herstellung der kirchlichen Einheit: den des Kompromisses1),
des allgemeinen Konzils und der freiwilligen Zession beider Päpste.
Der letzte war es, an den sich zunächst die Mehrheit der abendländischen
Christenheit klammerte.
2. Mit diesen Fragen befafsten sich in nächsten Jahren die ge-
feiertesten Lehrer an der Pariser Hochschule ; sie opponierten zugleich
auch gegen die bestehenden Zustände in der Kirche und verlangten
deren Reform an Haupt und Gliedern. Diese Opposition ist im Gegen-
satz zur englischen oder später zur böhmischen eine friedliche. Die
Schriften der Führer unterscheiden sich kaum wesentlich von denen
einzelner Kirchenväter der früheren Zeit. Ihre Reformgedanken sind auf
die Reinheit der Kirche und daher auf die Abschaffung der zahlreichen
*) D. h. die Schlichtung des Streites sollte einer von beiden Päpsten gewählten
Kommission übertragen werden.
Pierre d'Ailli. Gerson. Nikolaus von Clemangis. 411
Mifsbräuche gerichtet, die nun in der Kirche eingerissen waren. Von
den älteren Kirchenlehrern scheidet sie höchstens das Moment, dafs sie
bereits Anknüpfungspunkte an die humanistischen Bestrebungen be-
sitzen. Ihre grofsen Vertreter sind Pierre d'Ailli, Johannes von
Gerson und Nikolaus von Clemangis. Pierre (1350 geboren) hatte
seine Studien im Kollegium von Navarra zu Paris gemacht, wo er als
Stipendiat von einer Unterstützung des Hofes lebte. Seine Vorlesungen
über Philosophie erregten Aufsehen. Er vertiefte sich in das Studium
Occams und wurde einer der bedeutendsten Vertreter des Nominalismus.
In seineD Kanzelreden tadelte er das üppige Leben der Geistlichkeit
und ihren unchristlichen Wandel in kräftiger Akzenten. Schon früh
tritt bei ihm ein konservativer Zug an den Tag, der sich allmählich
verstärkte und ihn zu einem mutigen Verteidiger der kirchlichen Dogmen
machte. Wie mächtig das Schisma auf ihn einwirkte, sieht man aus
seinen Schriften, von denen mehrere die Lehre von der Kirche behandeln.
Im Hinblick auf den Wankelmut des Apostelfürsten und die jetzigen
streitenden Päpste dürfe niemand zweifeln, dafs Christus allein der
Fels sei, auf dem die Kirche ruhe , im geistigen Sinne die hl. Schrift,
beziehungsweise die in ihr enthaltene Wahrheit. Finden sich sonach
in seinen Schriften Sätze, die an Wiclifs Schreibweise mahnen, so hat
er freilich die Folgerungen aus dem Satze, dafs die Schrift das Fundament
sei, auf dem die Kirche ruhe , nicht gezogen. Während er lehrt, dafs
auch ein Papst im Glauben irren könne, scheut er sich, die Unfehl-
barkeit der Konzilien anzuerkennen, und war daher schon in jungen
Jahren ein Mann, der zwischen den Parteien stand. 1386 ging er als
Abgesandter der Universität an die römische Kurie. 1389 wurde er
Kanzler der Universität. An deren Versuchen, das Schisma beizulegen,
nahm er noch Anteil; als sie sich aber an Klemens VII. anschlofs (1382),
mufste er sich beugen, und es vergingen nahezu 25 Jahre, bis er wieder
auf die Einberufung eines allgemeinen Konzils drang. Um so mehr
eiferte er für die Reform der Kirche. Nachdem er das Bistum Laon
abgelehnt hatte, weil ihn der König in seiner Nähe behalten wollte,
wurde ihm 1385 das Bistum Puy und schon zwei Jahre später das Erz-
bistum Cambray zuteil. Seine hervorragendste Tätigkeit entfaltete er in
den ersten Jahren des 15. Jahrhunderts. So auch Gerson. Dieser — sein
eigentlicher Name lautet Jean Charlier — wurde am 14. Dezember 1363
zu Gerson in der Diözese Reims als ältestes der zwölf Kinder einer wohl-
habenden Bauernfamilie geboren. Die ganze Familie hatte eine mönchische
Gesinnung; drei seiner Brüder wurden Mönche, und vier von seinen
Schwestern lebten wie Nonnen im Hause ihrer Eltern. Auch Gerson kam in
das Kollegium Navarra. Mit Eifer, in anderrn Sinne freilich als die Huma-
nisten, trieb er klassische Studien : sie boten ihm Gelegenheit, die Sprache
zu lernen, in der die Heiligen ihre gedankenreichen Schriften geschrieben.
Die philosophischen Studien trieb er unter Aillis Leitung im Sinne der
nominalistischen Scholastik. Am innigsten wandte er sich der Mystik
zu, ohne ihre Ausschreitungen zu teilen. Sie ist ihm die wahre Theologie.
Ihre Aufgabe ist, zur Bufse und zum Glauben zu führen. 1375 Nach-
412 Die Reformgedanken der französischen Opposition.
folger Aillis in der Kanzlerwürde, bekleidete er diese Stellung bis an sein
Lebensende. Die Not der Kirche ging ihm tief zu Herzen. Schon in
einer Rede, die er bei der Erlangung des theologischen Doktorgrades
hielt, führt er den Gedanken aus, der Inhaber eines geistlichen Amtes,
und sei es selbst der Papst, sei verpflichtet, sein Amt niederzulegen,
sobald er wahrnehme , dafs er durch dessen Fortführung der Kirche
Schaden zufüge. Daran knüpfen alle seine späteren Erörterungen an,
die auf die Beilegung des Schismas so grofsen EinfluTs hatten.1) Den
Heifsspornen freilich, die Urban IV. bekämpften, trat er scharf entgegen :
Bei der Meinungsverschiedenheit der Gelehrten über die Gültigkeit der
Wahlen Urbans und Klemens' dürfe man keinen Schismatiker nennen,
es genüge, Christus als Haupt der Kirche anzuerkennen. Sei doch die
Kirche auch bei Erledigung des päpstlichen Stuhles ohne sichtbares
Haupt. Dabei war er wie Ailli weit von dem Radikalismus entfernt, der
in England und bald auch in Böhmen um sich griff. Er will von einer
Bibelübersetzung nichts wissen : in Laienhänden könne sie eine Quelle
von Irrtümern sein. Auslegen dürfe sie nur. wer von der Kirche berufen
sei, und selbst dazu bedürfe es eigener Normen. Im Sinne seiner mystisch-
praktischen Richtung mahnt er die Geistlichkeit streng an die Pflicht, das
Volk durch Lehre und Predigt zu erbauen. Sein Ansehen war ein un-
bestrittenes, als er im Gefolge seines Lehrers in die grofsen Fragen der
Kirchenpolitik eintrat. — Sein jüngerer Zeitgenosse war Nikolaus
Poillevillain aus Clemangis, einer kleinen Ortschaft in der Cham-
pagne. Um 1367 geboren, trat er gleichfalls in das Kollegium Navarra
und erwarb dort als Gersons Schüler jene Beredsamkeit, die von den
Zeitgenossen als >tulhanische« angestaunt wurde. Seine Tätigkeit war
durchaus auf das Praktische gerichtet. Das Schisma betrachtet er als
die Folge der Verderbnis der Kirche ; wohl werde der Glaube nicht ge-
fährdet werden , denn dieser ruhe auf fester Grundlage , wohl aber die
äufsere Macht der Kirche. Besser als andere Zeitgenossen erkannte er
diese Verderbnis, zugleich aber auch die Schwierigkeit des Läuterungs-
prozesses. 1393 wurde er Rektor der Pariser Universität und griff nun
auch wie Ailh und Gerson lebhaft in die Unionsfrage ein.
§ 95. Das Schisma vom Tode Kleinens VII. bis zum Pisaner Konzil
(1394—1409).
Quellen. Zu den obigen : Vita Innocentii VII., Murat. III, 2, 832 ff., 844 ff.
Antonii Petri Diarium Rom. Mur. XXIV. Aufser den schon oben genannten Hilfs-
schriften: G oller, K. Sigismunds Kirchenpolitik 1404 — 1413. 1902. Sauerland,
Gregor Xu. von seiner Wahl bis zum Vertrag von Marseille. HZ. XXXIV, 74 — 120.
(Dort auch eine Übers, über die einschl. Quellen.) E h r 1 e , Xeue Materialien z. Gesch.
Peters v. Luna. ALKG. VI, 139 ff. Haupt, Das Schisma des ausg. 14. Jahrh.
ZGOberrh. XF. V.
1. In einer längeren Denkschrift beleuchtete Clemangis die Vor-
schläge der Universität zur Herstellung der kirchlichen Einheit. Ihre
Wirkung ging aber durch den Tod Klemens' VII. (1394, 16. September)
*) Schwab, S. 89 ff.
Benedikt XIII. Zession und Obedienzentziehimg. 413
verloren. Statt wie der französische Hof und die Universität es wünschten,
eine Neuwahl zu unterlassen, wählten die ultramontanen Kardinäle ihren
Kollegen Petrus von Luna, der sich Benedikt XIII. (1394 — 1417)
nannte, einen Mann von grofsen Talenten, Beredsamkeit und muster-
haftem Lebenswandel, der unter andern Umständen eine Zierde des
päpstlichen Stuhles gewesen wäre. Die Kardinäle hatten sich vor der
Wahl eidlich verpflichtet, falls einer von ihnen gewählt würde, abzu-
danken, wenn dies von ihnen gefordert würde. Diesen Eid wiederholte
Benedikt und bat um die Hilfe des französischen Hofes zur Beilegung
des Schismas. Schliefslich verwarf er aber den Weg der Zession und
empfahl eine Zusammenkunft mit Bonifaz IX. Die Folge davon war,
dafs ihm die Mehrheit seiner Kardinäle entgegentrat. Da die weltlichen
Mächte sich für die Zession einsetzten, traten die beiden Gegner (1396)
miteinander in Verbindung. Der deutsche Reichstag, der im Mai 1397
tagte und bei welchem sich Gesandte von England und Frankreich ein-
fanden, schickte eine Gesandtschaft an Bonifaz mit der Forderung,
Mittel und Wege zur Herstellung der kirchlichen Einheit ausfindig zu
machen. Bonifaz IX. verstand es aber, die Gesandten auf seine Seite
zu ziehen. Zum Zwecke der Herstellung der kirchlichen Einheit unter-
nahm König Wenzel eine Reise nach Frankreich (1398) ; er selbst ver-
pflichtete sich, Bonifaz IX. zur Abdankung zu bringen; dagegen sollte
Karl VI. den Gegenpast fallen lassen. Dieser lehnte die Abdikation ab,
und Bonifaz IX. erklärte sich nur in dem Falle dazu bereit, dafs sein
Gegner das gleiche tue. Der Weg der Zession war somit ungang-
bar geworden.
2. Am 22. Mai 1398 berief Karl VI. abermals eine Versammlung,
die den Ausspruch fällte, dafs Benedikt XIII. als hartnäckigem Ver-
teidiger des Schismas die Obedienz zu entziehen sei (via subtractionis).
Die Subtraktion wurde in der Tat publiziert und Benedikt XIII. mitge-
teilt. Sofort kündigten ihm achtzehn Kardinäle den Gehorsam auf,
nahmen Söldner in den Dienst und belagerten den Papst in seinem
Palaste zu Avignon. Dem Beispiele Frankreichs folgten Kastilien,
Navarra, die Provence und mehrere Städte Flanderns. Nur König
Martin von Aragonien blieb Benedikt treu, und durch seine Vermitt-
lung kam ein Vertrag zustande, nach welchem die Belagerung aufge-
hoben wurde. Wiewohl nun Benedikt zu resignieren versprach, falls
sein Gegner dasselbe täte oder mit Tod abgehe, blieb er doch in Ge-
fangenschaft, die vier Jahre dauerte, ohne dafs die Unionsfrage gelöst
worden wäre. Bonifaz IX. verhielt sich ihr gegenüber ablehnend;
freilich waren auch seine Versuche, Wenzel unter dem Versprechen der
Kaiserkrone an sich zu stehen, vergebens, und die Absetzung Wenzels,
dem seine Gegner unter andern Beschuldigungen (s. unten) den Vor-
wurf machten, der Kirche nicht zum Frieden geholfen zu haben und
die Wahl Ruprechts, der schon als Pfalzgraf für Bonifaz IX. tätig ge-
wesen, änderte an diesen Verhältnissen nichts. Bonifaz IX. starb am
1. Oktober 1404. Wäre nun Benedikt XIII. seinem Eide entsprechend
von seiner Würde zurückgetreten, so hätte das Schisma seine natürliche
414 Innozenz VII. Die Frage der Konzilsberufung.
Lösung gefunden. Seine Gesandten weilten in Unionsangelegenheiten
in Rom, als der Tod des Papstes erfolgte; da sie für die neue Lage der
Dinge aber keine Vollmachten hatten und an der Neigung Benedikts
abzudanken zweifelten, so traten die römischen Kardinäle am 14. Oktober
zum Konklave zusammen. Wiederum verpflichteten sie den, der aus
ihrer Mitte gewählt würde, mit allen Mitteln, auch um den Preis des
Verzichtes auf die eigene Würde, für die Beendigung des Schismas zu
wirken. Gewählt wurde der Neapolitaner Cosimo dei Migliorati, ein
leutseliger, friedliebender, in Verwaltungssachen erfahrener Mann, der
nun als Innozenz VII. (1404 — 1406) den päpstlichen Stuhl innehatte.
Stellte er eine Reihe von Mifsbräuchen ab und zog er bei der Auswahl
der Kardinäle mehr als seine Vorgänger Verdienst und Würdigkeit in
Betracht, so nahm er doch unter dem Einflufs des Königs Ladislaus
von Neapel allmählich eine geänderte Haltung an und setzte den Unions-
bestrebungen der Kardinäle Widerstand entgegen.1)
3. Zu Ende 1403 hatte Franz von Zabarella, Rechtslehrer in
Padua, ein Gutachten verfafst, das von dem Satze ausgeht, dafs der
Streit nur von einem allgemeinen Konzil entschieden und dieses nur
von dem Kardinalskollegium, weil ihm das Recht der Papstwahl zustehe,
berufen werden könne. Zwei Jahre später arbeitete auch der Rechtsgelehrte
Peter von Ancarano aus Bologna auf Wunsch des Kardinals Cossa ein
Gutachten aus, das zu dem Schlüsse führt : Einer von den beiden Päpsten,
am besten beide, müfsten zum Rücktritt bewogen, bezw. gezwungen
werden, nicht aus Rechtsgründen, sondern im Interesse der Kirchen-
einheit. Hier handelt es sich also nicht mehr um die Frage, ob einer
der beiden Päpste ein gröfseres Recht auf den Stuhl Petri besitze, son-
dern darum, dafs beide entfernt und auf einem von den beiderseitigen
Kardinälen zu berufenden Konzil ein neuer Papst gewählt werde.2) Am
6. November 1406 starb Innozenz VII. Unter den Kardinälen herrschte
Geneigtheit, die Neuwahl zu verschieben und sich mit dem französischen
König, der soeben ein französisches Generalkonzil berufen hatte, in
Verbindung zu setzen. Aber sie befürchteten Unruhen in Rom und
waren in Sorge über die Haltung des Königs Ladislaus, endlich war es
nicht sicher, ob sich Benedikt XIII. zur Abdankung entschliefsen würde.
So schritten sie zur Wahl; auch diesmal schwuren sie, falls einer von
ihnen gewählt würde, abzudanken, sobald es das Unionswerk erheische.
Zugleich wurden genauere Bestimmungen über die Art des Vorganges
getroffen. Die Kardinäle wünschten einen Träger der Tiara, selbstlos
genug, um mit ihrer Hilfe auf die Union hinzuarbeiten. Als solcher
empfahl sich der hochbetagte Kardinal Angelo Correr, ein Venezianer,
dessen Gelehrsamkeit und Sittenreinheit ebenso bekannt waren wie sein
Eifer für die Einheit der Kirche. Er wurde am 30. November gewählt
und nahm den Namen Gregor XII. (1406 — 1415) an. Er erklärte sich
*) Souchon, S. 81. Finke, Zum Konzilsprojekt Innozenz' VII. RQSchr. Chr.
A. IV. 1893.
2) S. auch Reichstagsakten VI, 521.
Gregor XII. und Benedikt XIII. 415
auch nach der Wahl bereit, irn Falle der Abdikation des Gegners ab-
zudanken, damit beide Kardinalskollegien gemeinsam zur Papst wähl
schreiten könnten, und richtete Schreiben dieses Inhalts an Prälaten,
Fürsten und Universitäten. Die gleiche Gesinnung bekundete Benedikt XIII.
Gesandte beider setzten Savona als Zusammenkunftsort für die Unter-
handlungen fest. Da vollzog sich 1407 in Gregor XII. eine Wand-
lung. Seine Verwandten, die ihn beherrschten und die er mit Amter
und Würden überschüttete, wollten von einer Abdikation des Papstes
ebensowenig wissen, als König Ladislaus, der die Wahl eines französi-
schen Interessen dienenden Papstes befürchtete. Plötzlich fand Gregor,
dafs Savona keine genügende Bürgschaft für seine Sicherheit gewähre.
Die dringendsten Mahnungen einer französischen Gesandtschaft, die zur
Ausforschung der Gesinnung beider Päpste abgeschickt wurde und bei
der sich Ailli und Gerson befanden, fanden bei ihm so wenig Gehör wie
die des Gegenpapstes. Dieser erschien zur bestimmten Zeit in Savona.
Gregor XII. wich der Zusammenkunft aus und geriet in ein gespanntes
Verhältnis zu seinen Kardinälen, ja als König Ladislaus Rom besetzte x),
wurde behauptet, dafs sich Gregor XII. darüber freue.
4. Um gegen die älteren, ihm weniger ergebenen Kardinäle ein
Gegengewicht zu erhalten, ernannte er vier neue; noch war aber deren
Präkonisation nicht vollzogen, als ihn jene verliefsen und nach Pisa
gingen. Von hier aus erliefsen sie zwei Denkschriften : die eine an
Gregor XII., in der sie an den besser zu unterrichtenden Papst, an
Christus, an ein allgemeines Konzil und den künftigen Papst appellieren,
die zweite an die christlichen Fürsten, in der sie an die von Gregor XII.
eingegangenen Verpflichtungen erinnern und um Unterstützung ihrer
Unionsbestrebungen bitten. Noch erkannten sie ihn als rechtmäfsigen
Papst an. Gregor selbst erliefs eine Erklärung mit heftigen Anschuldi-
gungen gegen sie. Endlich brach sich die allgemeine Überzeugung
Bahn, dafs es keinem der Päpste mit dem Unionswerke Ernst sei. In
Frankreich hatte Benedikt XIII. an dem Herzog von Orleans, der am
23. November 1407 ermordet wurde, seine Stütze verloren. Der König
verfügte, wenn sich die Gegner nicht bis zum nächsten Himmelfahrts-
feste verglichen hätten, würde sich Frankreich neutral erklären. Als
Benedikt darauf in heftiger Weise antwortete, erklärte ihn die Universität
als hartnäckigen Schismatiker und Häretiker seiner Würden verlustig.
Es sollte ihm der Gehorsam entzogen und gegen seine Anhänger nach
den Gesetzen eingeschritten werden. Der König bestätigte alles. Viele
Verdächtige, unter ihnen Clemangis, wurden verhaftet und von den
Vorgängen die Kardinäle beider Obedienzen mit der Bitte in Kenntnis
gesetzt, dem Schisma ein Ende zu machen. Benedikt XIII. begab sich
seiner Sicherheit wegen nach Perpignan. Dorthin schrieb er ein Konzil
auf Allerheiligen 1408 aus'2) und schob das Scheitern der Union auf
Gregor XII. Dieser behauptete seine Unschuld, schrieb gleichfalls ein
*) Gregorovius a. a. 0.
2) S. Ehrle, Aus den Akten des Afterkonzils von 1408. ALKG. V, 387.
416 Die Neutralität in Frankreich und anderen Staaten.
Konzil aus, das zu Pfingsten entweder in Ravenna oder im Patriarchate
Aquileja tagen sollte, und begab sieh in den Schutz der Malatesta nach
Rimini. Mittlerweile hatte Frankreich die Fürsten des Abendlandes von der
Neutralitätserklärung verständigt und zu gleichem Vorgehen eingeladen.
Böhmen, Ungarn und Navarra schlössen sich an. In Frankreich traf
eine Synode die nötigen Vorkehrungen für die Zeit der Neutralität, Die
beiderseitigen Kardinäle waren inzwischen in Livorno zusammengetreten
und hatten am 29. Juni 1408 eine feierliche Urkunde unterzeichnet, in
der sie erklärten , wegen der Nachlässigkeit beider Prätendenten ein
Generalkonzil beider Parteien zu berufen, um den Frieden in der Kirche
herzustellen. Die Kardinäle Gregors forderten dessen Anhänger auf,
ihm gleichfalls die Obedienz zu versagen. Beide Päpste und die fürst-
lichen Höfe wurden eingeladen, auf dem Konzil zu erscheinen, das auf
den 25. März 1409 nach Pisa ausgeschrieben wurde. Die Kardinäle
Gregors führten gegen diesen eine schärfere Sprache, als die der anderen
Obedienz gegen Benedikt, gegen den auch nicht so viele Schmähschriften
verbreitet wurden. Allerdings hatte Gregor seine Wähler und die
katholische Welt durch sein Vorgehen mehr enttäuscht als Benedikt.
Die Schlichtung des Streites bot ja auch die gröfsten Schwierigkeiten;
im früheren Mittelalter war es die Kaisergewalt, an welche die öffent-
liche Meinung in letzter Linie appellierte ; diese war jetzt aber zum
leeren Schatten geworden und bot ein ähnliches Bild dar wie das
Papsttum selbst.
&'
2. Kapitel.
Das Schisma und das deutsche Reich unter Wenzel von Böhmen
und Euprecht you der Pfalz.
§ 96. Die ersten Regierungsjahre Wenzels. Der Zusammenbruch der
ungarisch-polnischen Grofsinacht und die Erwerbung Ungarns durch
die Luxemburger.
Quellen. Urkk. : Deutsche Reichstagsakten unter König Wenzel, herausg. von
Weizsäcker. Bd. I, 1376—1387, n, 1388—1397, EI, 1397— 1400. München 1867— 1878.
(S. auch oben 3. Abschn. § 69.) Urk. s. in Pelzel, Lebensgesch. des römischen
u. böhmischen Königs Wenzeslaus. Prag 1788 — 90. Die Acta in curia Romana (I, 125 — 126
sind auch in Pubitschka, Chronol. Gesch. Böhmens, abgedruckt. Einzelnes in den
Acta imperii selecta und inedita wie oben. Das Itinerarium Wenzels von 1379 — 1387
in Lindner, Gesch. d. d. Reiches unter König Wenzel I, 427 — 436. Dort § 13 auch
einzelne Urkk. Über das Urkundenwesen s. Lindner wie oben.
Erzählende Quellen ruit Ausschlufs der zur huss. Bewegung gehörigen ; über
diese s. unten § 106): Gobelinus Persona wie § 92. Herrrnann Korner, Chronica
novella, ed. Schwalm. Göttingen 1895. Lit. bei Potth. I, 356.) Dietrich Engelhus,
Chronicon bis 1420. Leibnitz, SS. rer. Brunsw. LI, 978. Von bes. Wichtigkeit ist Ludolf
von Sagan, s. oben. Doch sieht er in Wenzel nichts als den Gönner der Hussiten.
Limburger Chronik bis 1398 bezw. 1402 (Verfasser Tileman Elhen von Wolfhagen in
Niederhessen), ed. Wyfs in MM. Germ. Deutsche Chroniken IV. (Lit. Potth. I, 305 .
Dynter, Libellus de imperatoribus bis Friedrich III., 1442, in Dynteri Chronica ducum
Lotharingiae I, 1, 9 — 111. Chronica des Landes Österreich bis 1398, ed. Pez. SS. rer.
Das deutsche Reich unter König Wenzel. 417
Austr. I, 1043 — 1158, unter dem Titel: Matthaei cuiusdam vel Gregorii Hageni. Germ.
Austr. Chron. (Lit. Potth. I, 232.) Ebendorfer de Haselbach, Chronica regum Roma-
norum (Ldber augustalis bis 1458), ed. Pfibram. MJÖG., Erg.-Bd. III. Innsbr. 1890. (Lit.
Potth. I, 388.) Die kleine Chronik von Klosterneuburg bis 1428. AÖG. VII, 227. Chro-
nicon Moguntinum bis 1406 (1478) (Verfasser : Johannes Kungstein, s. Scheffer-Boichorst
in MJÖG. X1H, 152), ed. Hegel, Chr. d. d. Städte XVIH. Auszüge zur Reichsgesch.
unter Wenzel u. Ruprecht (1381—1403) v. Pauli, FDG. XVH. Theoderich v. Nyem,
wie oben. Justinger, Berner Chronik bis 1421, ed. Studer. Bern 1870. (Lit. Potth. I, 692.)
Acta de exauctoratione Wenceslai imp. et Ruperti imp electione a. 1400. Martene Ampi.
Coli. IV, 7 — 140. — Zur Erwerbung Ungarns Urkk. in Fejer, Cod. dipl. Hung. IX, X. MM.
Hung., Acta extera TU, MM. Slav. merid. IV. Altmann, Regg. Sigismunds. Innsbruck
1896 — 1900. Darstellende Werke : Laurentius de Monacis, Carmen de casu illustrium
reginarum et de lugubri exitu Caroli Parvi im App. ad Chron. Venetum. Ven. 1788.
Forma relationis facta per L. d. M. MM. Hung., Acta extera III, 623. Joh. de Thurocz,
Chron Hung., ed. Schwandtner I, 39 — 291 (reicht bis 1464). Paulus de Paulo, Me-
moriale 1371 — 1407, ib. IH, 723 — 754. Raphainus de Caresinis, Contin. Andreae Danduli
bis 1388, Murat, XII, 13 ff. Windecke, Denkwürdigkeiten zur Gesch. des Zeitalters
Kaiser Sigismunds, ed. Altmann. Berl. 1893.
Hilfsschriften. Hauptwerk: Th. Lindner, Gesch. des deutschen Reiches
unter König Wenzel. 2 Bde. Braunschweig 1875 — 80. Lindner, Deutsche Gesch. unter
den Habsburgern u. Luxemburgern IL Stuttg. 1893. Lind n er, in d. A. D. Biogr. XLI.
Pelzel, wie oben. Zur kirchl. Frage aufser den schon genannten : Eschbach, Die
kirchliche Frage auf den d. Reichstagen 1378 — 1380. Göttingen 1887. Voifs, König
Wenzel u. die röm. Kurie. 1876. Ch. Mayer, Das Schisma unter König Wenzel und
die d. Städte. FDG. XVI, 353. Zanutto, II cardinale Pileo di Prata e sua prima
legazione in Germania (1378 — 82). Udine 1901. Kneebusch, Die Politik König
Wenzels etc. Progr. Dortmund 1889. Vahlen, Der deutsche Reichstag unter König
Wenzel. Leipzig 1892. Valois, Une ambassade Allemande ä Paris en 1381.
BECh. LIII. Haupt, Das Schisma des ausgehenden 14. Jahrh. in seiner Einwirkung
auf die Landschaften d. Oberrheins. ZG Oberrh. XLV. H. Haupt, Markgr. Bernh.
V.Baden, Kirchl. Pol. während d. gr. Schismas 1378 — 1415. Ebenda XLV. Friedens-
burg, Landgr. Hermann H. v. Hessen u. Erzb. Adolf v. Mainz (1373—1393). ZV hess. G.
NF. XL Schatz, Stellung Leopolds! von Österreich zum Schisma. StMBCOXIH.
Höfler, Anna von Luxemburg. DWienAk. 1870. Zur Erwerbung Ungarns aufser
den Handbüchern zur öst. Geschichte v. Krön es, Huber, Mayer u. denen
zur böhmischen Geschichte von Bachmann, Palacky, Pubitschka s. Huber,
Die Gefangennahme der Königinnen Elisabeth u. Maria und die Kämpfe Sigismunds
gegen die neapol. Partei 1386 — 1395, AÖG. LXVI. Fefsler-Klein, Gesch. Ungarns n,
Szälay, Gesch. Ung. II, Csudayl, Klaic-Bojnicic, Gesch. v. Bosnien, 184 ff.
Aschbach, Gesch. K. Sigismunds I. Arndt, Die Bez. Sigismunds zu Polen bis zum
Ofener Schiedssprüche 1412. Halle 1897.
1. König Wenzel hatte beim Tode seines Vaters das 18. Lebensjahr
noch nicht vollendet. Er war körperlich und geistig anders geartet als
dieser. Von starkem Körperbau — Petrarca nennt ihn einen robusten
Jäger — auch geistig nicht ohne Begabung, fehlten ihm die staats-
männische Veranlagung seines Vaters und dessen Ernst und unermüdliche
Tätigkeit in den Geschäften. Wiewohl er eine gute Erziehung erhalten
hatte1), trat auch das Interesse an literarischen und künstlerischen
Schöpfungen bei ihm weniger hervor als bei Karl IV. Man rühmte
sein freundliches Wesen und seine Redegewandtheit; es fehlte ihm
anfangs nicht an Eifer und Einsicht in der Wahl seiner Mittel; ein
*) Erat bene literatus, congrue loquens latine, Dinter. Dort findet sich auch die
bekannte Anekdote : Wenceslaus, alter Nero, Si non fui, adhuc ero.
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 27
418 Charakteristik Wenzels. Seine Kirchenpolitik.
Freund strenger Gerechtigkeit, verstand er es auch, mit seinen finanziellen
Mitteln besser hauszuhalten als seine Brüder, aber man gewahrte doch
auch schon in jüngeren Jahren die dunklen Seiten seines Charakters:
seine ungezügelte Freude am Weidwerk und lustigen Gelagen, seinen
Hang zum Trunk und sein jähzorniges Wesen. Allerdings sind manche
Geschichten über seine unmenschliche Grausamkeit und seine würdelose
Lebensführung nichts als ein haltloses Gespinst von Fabeln und Anekdoten,
die aus diesem König einen zweiten Nero und ein vollständiges Zerrbild
gemacht haben. Schon Zeitgenossen zeichnen sein Bild grau in grau,
schelten ihn als Gönner jener Ketzerei, die den Deutschen um so ver-
abscheuungswürdiger war, als ihr Grundzug der tschechische Nationalhafs
gegen das deutsche Wesen war1); daher wird Wenzel schliefslich selbst
als Deutschenfeind hingestellt.2) Im Anfang erschien seine Politik als
eine Fortführung der seines Vaters ; auch standen ihm noch dessen
bewährte Ratgeber zur Seite. Er hielt nicht blofs an Urban VI. fest,
der ihm den Empfang der Kaiserkrone in Aussicht stellte, sondern suchte
ihm auch die Anerkennung der übrigen Mächte zu gewinnen. Gleich
der erste Reichstag (1379, Februar — März) war vornehmlich der kirch-
lichen Frage gewidmet. Der Erfolg war freilich kein vollständiger, denn
nur die rheinischen Kurfürsten schlössen sich Wenzels Erklärung für
Urban VI. an3); ihrem Beispiele folgten zunächst nur wenige Reichs-
stände, ja einzelne wie Herzog Leopold III. von Österreich knüpften Ver-
bindungen mit Avignon an (s. oben).
Auch der zweite Eeiehstag (September) fafste keinen allgemeinen BeschluTs in
Sachen des Schismas, doch dehnte sich der schon am 27. Februar zugunsten Urbans
geschlossene Bund immer weiter aus. Köln, Trier und Pfalz schlössen hierauf am
11. Januar 1380 zu Oberwesel einen Bund gegen jedermann, der sich an den Gegen-
papst halte : eine Drohung gegen die Anhänger Klemens', zugleich aber auch eine
Stellungnahme gegen den König, der in dieser Frage Eücksicht auf Frankreich und
Österreich zu nehmen hatte und daher auch in der lärchlichen Frage eine friedliche
Politik verfolgte. Schon jetzt wurden Klagen gegen den König laut, der seine Pflichten
vernachlässige, und schon taucht der Gedanke auf, auf den die Kurfürsten bis zu
seiner Absetzung immer zurückkommen, ihm für den Fall, dafs er nicht im Reiche
erscheine, einen Reichsverweser zu setzen, der seinen Aufenthalt daselbst nehme.
Auf dem nächsten Reichstage (1380, 15. April" trat abermals eine Anzahl von Ständen
auf die Seite Urbans VI , im nächsten Jahre auch Adolf von Mainz, der, in seinem
Erzbistum von Ludwig von Meifsen angefochten, zum Gegenpapst gehalten hatte. Die
allgemeine Lage gestaltete sich so, dafs fast die gesamte Geistlichkeit des Reiches,
bis auf die in jenen Gegenden, in denen Frankreichs Einflufs oder der Leopolds von
Österreich vorherrschte, auf der Seite Urbans stand. Allerdings gab es fast überall
Unterströmungen. Selbst in den Ländern Wenzels und in seiner eigenen Familie
fand der Gegenpapst Anhänger. Die Bemühungen Wenzels zugunsten Urbans wirkten
nun auch auf seine äufsere Politik ein.
2. Die traditionelle Politik des luxemburgischen Hauses gebot den
Anschlufs an Frankreich. Noch Karl IV. hatte zuletzt die alten Bande
x) Wie gehässig sich schon Zeitgenossen über ihn aussprachen, sieht man fast
aus jeder Zeile Ludolfs v. Sagan.
8) Hostis Teutunicorum . . . Verbum Dei in lingua Teutunica Präge in ecclesiis
predicari prohibens usw.
8) DRA. I, 233.
Das deutsch-englische Bündnis. Die ungarische Nachfolgefrage. 419
erneuert. Auch Wenzel war nicht gewillt, sie zu lösen. Im August 1380
wurde das Bündnis erneuert, ja die Franzosen hofften, Wenzel auch in
der Kirchenfrage auf ihre Seite zu ziehen. Sie setzten ihre Hoffnungen
auf die Vermählung ihres Königs Karl VI. mit Wenzels Schwester, Anna.
Diesen Absichten arbeitete Urbans Legat Pileus de Prata entgegen, indem
er die Werbung König Richards II. von England um Annas Hand
unterstützte. Eine stattliche Gesandtschaft, der sich auch Pileus an-
schlofs, begab sich nach London. Dort wurde (1381, 2. Mai) aufser dem
Heiratsvertrag zwischen Richard und Anna auch ein Bündnis zwischen
England und dem deutschen Reiche geschlossen, das seine Spitze gegen
Klemens VII. kehrte. Aber die Hoffnung Englands und Urbans VI.,
dafs die Verbindung der beiden Regentenhäuser einen Umschwung in
Wenzels französischer Politik herbeiführen würde, ging doch nicht in
Erfüllung. Wenzel liefs sich weder zu einem offensiven Vorgehen gegen
Frankreich bewegen, noch hinderte er es, dafs deutsche Fürsten Sold-
verträge mit ihm abschlössen. Als sich Ludwig von Anjou aufmachte,
um seinen Gegner Karl von Durazzo aus Neapel zu vertreiben, suchte
Urban VI. den König Wenzel zur Romfahrt zu bewegen. Auch England
liefs es nicht an Mahnungen fehlen : der bedeutendste englische Kon-
dottiere, John Hawkwood, erhielt den Auftrag, die Sache des Papstes zu
fördern. Auf Wenzel waren auch die Hoffnungen der italienischen
Patrioten aus Petrarcas Schule gerichtet; er hatte die Absicht, im
April 1383 nach Italien zu ziehen, um die Kaiserkrone zu empfangen,
und diese Politik hätte die deutsche Opposition gegen ihn im Keime
erstickt und Urban zum völligen Siege verholfen. Da trat ein Ereignis
ein, das seiner Politik eine Wendung gab.
3. Am 11. September 1382 starb König Ludwig von Ungarn und
Polen. Von seinen Töchtern war die ältere, Maria, mit Wenzels Bruder,
Sigmund, die jüngere, Hedwig, mit Wilhelm, dem ältesten Sohn Leopolds III.
von Osterreich, verlobt. Beide Reiche sollten an Maria kommen, Hedwig
war eine Geldentschädigung zugedacht. Noch im Juli 1382 hatte Ludwig
die polnischen Kronbeamten bewogen, Maria als Königin anzuerkennen
und ihrem Verlobten die Huldigung zu leisten. Wenige Tage nach
Ludwigs Tode wurde Maria in Stuhlweifsenburg gekrönt. Aber Polen
wollte von der Fortdauer der Union nichts wissen. Ein Teil der Grofsen
wünschte die Erhebung eines Piasten, des Herzogs Ziemowit von Masovien.
Eine Versammlung des grofspolnischen Adels erklärte (1382, November),
nur jene Tochter Ludwigs als Königin anzuerkennen, die ihre Residenz
in Polen aufschlagen würde. Die Königin- Witwe Elisabeth, die auch ihrer
zweiten Tochter ein Königreich hinterlassen wollte, kam den Wünschen
der Polen entgegen und entband sie (1383, Februar) ihrer Verpflichtungen
gegen Maria und Sigmund. Hedwig sollte zu Pfingsten in Krakau
gekrönt werden. Das bedeutete eine Schädigung des luxemburgischen
Hauses, und diesen Interessen opferte Wenzel nunmehr die der Kirche.
Indem er Jobst von Mähren zum Reichsvikar in Italien ernannte, war
seine Romfahrt vertagt — zur Freude der Franzosen, die eben noch
eine Gesandtschaft abgeordnet hatten, um ihn von der Bekämpfung
27*
420 Lösung der Union zwischen Ungarn und Polen. Der ungar. Thronstreit.
Ludwigs von Anjou abzuhalten. Dazu war Wenzel bereit; denn Ludwig
allein war imstande, Karl von Durazzo, den bedeutendsten Mitbewerber
Sigmunds um die ungarische Krone, in Italien festzuhalten. König
Wenzel zwang die Königinwitwe Elisabeth, auf die Durchführung ihrer
Pläne für den Augenblick zu verzichten. Hedwigs Krönung wurde auf
den Herbst vertagt, und Sigmund ging an der Spitze einer ungarischen
Heeresmacht nach Polen, mufste sich aber bald von der Aussichtslosigkeit
seiner Nachfolge überzeugen. Als die polnischen Grofsen drohten, mit
der Wahl eines arideren Königs vorzugehen, wurde Hedwig endlich nach
Polen gesandt und am 15. Oktober 1384 zur Königin gekrönt. Damit
war Polen für Sigmund, von dem man eine Begünstigung des deutschen
Bürgertums befürchtete, verloren. Dieselbe Besorgnis hegten die Polen
aber auch gegen Hedwigs Verlobten, Wilhelm. Sie luden daher den
litauischen Grofsfürsten Jagiello ein, sich um Hedwigs Hand zu
bewerben. Am 18. Januar 1385 erschien eine litauische Gesandtschaft
in Krakau und versprach nicht blofs die Christianisierung von Litauen,
sondern auch dessen Union mit Polen. Herzog Leopold sollte die Geld-
summe erhalten, die ihm versprochen war, falls die Ehe seines Sohnes
mit Hedwig nicht zustande käme. Die jugendliche Königin, deren Herz
dem Österreicher gehörte, wies die Gesandten an ihre Mutter. Als
Leopold diese an die Einhaltung des Versprechens mahnte, erklärte sie
sich dazu bereit, und Hedwig lud ihren Verlobten ein, nach Krakau zu
kommen. Dort wurde er aber nicht eingelassen. Die beiden Verlobten
hielten im Franziskanerkloster ihre Zusammenkünfte.1) Die Ankunft
Wilhelms durchkreuzte die Pläne der Polen, die sich mit Jagiello bereits
geeinigt hatten. Von der Aussicht auf den Gewinn Litauens geblendet,
zwangen sie Hedwig, dem Grofsfürsten die Hand zu reichen. Am
15. Februar 1386 empfing er die Taufe, drei Tage später wurde die
Vermählung gefeiert, am 4. März wurde er zum König gekrönt. Die
Union mit Ungarn war zerrissen.
4. Auch in LTngarn fand Sigmund Gegner, unter denen sich zeit-
weise selbst die Königinwitwe befand. Gegen den Einflufs, den sie dem
Palatin Nikolaus von Gara gewährte, erregte die Familie der Horwäthi
einen Aufstand im südlichen Ungarn und beschlofs die Erhebung König
Karls von Neapel, des nächsten männlichen Verwandten Ludwigs, auf
den ungarischen Thron. Statt sich nunmehr an das luxemburgische
Haus zu halten, ging Elisabeth mit dem Plan um, das Verlöbnis ihrer
Tochter mit Sigmund zu lösen und sie mit Ludwig von Orleans, dem
Bruder Karls VI., zu vermählen. Sigmund, nicht gewillt, Braut und
Reich leichten Kaufes zu opfern, rückte, vom König Wenzel und seinem
Vetter Jobst unterstützt, in LTngarn ein (1385, August). Karl von Neapel
hatte gegen den Willen seiner Gemahlin dem an ihn gerichteten Rufe
Folge geleistet. Man kennt die Motive nicht, die ihn bewogen, die
Tochter seines Wohltäters ihrer Krone zu berauben. Das Wahrscheinliche
ist, dafs er durch den Besitz Ungarns sich auch in dem von Neapel zu
*) Über den Vollzug ihrer Ehe mit Wilhelm s. Caro, Gesch. Polens H, 506.
Karl von Neapel und Sigmund von Luxemburg. 421
befestigen hoffte. Indem er seinen Sohn Ladislaus in Neapel zurückliefs,
ging er nach Ungarn. Am 12. Dezember 1385 erschien er in Zengg.
Jetzt gab Elisabeth ihre französischen Pläne auf, und reichte Maria ihrem
Verlobten die Hand. Aber die Mehrheit der Grofsen wollte von ihm
nichts wissen. Die Verpfändung eines Teiles vom nordwestlichen Ungarn
an seine mährischen Vettern hatte ihn allgemein verhafst gemacht.
Während er nach Böhmen zurückkehrte, rückte Karl, dessen Anhang
immer gröfser wurde, bis Ofen, nahm den Titel Gubernator an und
wurde von den Ständen zum König proklamiert und am 31. Dezember 1385
in Stuhlweifsenburg gekrönt. Die Königinnen, denen das Schicksal
Johannas von Neapel drohte, ergaben sich scheinbar in ihr Geschick
und wohnten selbst der Krönung bei. Aber Elisabeth wartete nur auf
den Augenblick der Rache. Nachdem sie mit ihren Getreuen den Plan
festgesetzt hatte, liefs sie am Abend des 7. Februar 1386 den König zu
einer Unterredung in ihre Gemächer einladen; dort wurde er mit einer
Streitaxt an Stirn und Auge, dem Anscheine nach tödlich, verwundet,
nach Wischegrad geschleppt — und, als seine Wunden zu heilen begannen,
am 24. Februar erdrosselt. 1) Elisabeth und Maria nahmen die Regierung
wieder an sich, und das luxemburgische Haus beeilte sich, den Zwischenfall
zu seinem Vorteil auszunützen. König Wenzel selbst erschien in Ungarn.
Unter seiner Vermittlung wurde ein Vertrag vereinbart, der Sigmund
zwar von der Regierung ausschlofs, ihm aber reiche Einkünfte und seinem
Vetter für die verpfändeten Gebiete eine Geldentschädigung gewährte.
Dieser Vertrag befriedigte keinen der beiden Teile. Als Sigmund, um
neue Truppen heranzuziehen, nach Böhmen zog, gewannen die Partei-
gänger des Hauses Neapel im südlichen Ungarn immer mehr Boden.
Als sich die beiden Königinnen (am 25. Juli) von Diakovar nach Gara
begeben wollten, wurden sie von Horwäthi und einer Schar Bewaffneter
angegriffen, ihrer Schätze beraubt, Gara, sein Vetter Johann und Nikolaus
Forgach vor dem Angesicht der Königinnen enthauptet und sie selbst
gefangen gesetzt. Man hegte die Absicht, sie an die Witwe Karls aus-
zuliefern. Auf die Nachricht hie von eilte Sigmund nach Ungarn, als
dessen »Hauptmann« er nunmehr von Marias Anhängern anerkannt
wurde. Zu Anfang 1387 unternahm er einen Zug nach Kroatien, um
Gattin und Schwiegermutter aus den Händen ihrer Gegner zu befreien.
Um auf ihre Gegner in terroristischem Sinne einzuwirken, liefsen die
Horwäthi die Königin- Witwe vor den Augen ihrer Tochter erdrosseln; in
der Tat zog sich Sigmund, um nicht ein ähnliches Geschick über seine
Gemahlin heraufzubeschwören, zurück und überliefs das ganze südliche
Ungarn seinem Schicksal. Auch sonst wurde Ungarn von allen Seiten
bedrängt, und so stürzte die von Ludwig dem Grofsen gewonnene Macht-
stellang zusammen. Im Norden nahm Hedwig Rotrufsland weg, als dessen
Erbin sie sich betrachtete ; im Süden überfiel der serbische Fürst Lazar,
der Verbündete der Horwäthi das Macsoer Banat; Twartko von Bosnien
bedrängte Dalmatien, und der Woiwode Mircea von der Walachei schlofs
x) Neuere Lit. s. JBG. 1897, III, 316.
422 König Sigmund behauptet Ungarn. König Wenzel und der Landfrieden.
gegen Ungarn ein Bündnis mit Polen. Und schon drängten auch die
Türken gegen Ungarns Grenzen. Die Horwäthi waren inzwischen mit
König Ladislaus von Neapel in Verbindung getreten und suchten den
Kampf kräftig zu Ende zu führen. Da gewann Sigmund die Hilfe
Venedigs, dessen Seeherrschaft auf der Adria gefährdet war, falls Ungarn
und seine stattlichen Küstengebiete mit Neapel vereinigt würden. Der
Unterstützung Venedigs dankte es Sigmund, dafs ihn Marias Anhänger
zum König wählten. Am 31. März 1387 wurde er in Stuhlweifsenburg
gekrönt. Nun galt es, die Königin zu befreien; während ungarische
Truppen Novigrad auf der Landseite einschlössen, wurde es auf der See-
seite von den Venezianern belagert. An diese lieferten die Belagerten
gegen die Zusicherung freien Abzugs die Königin aus. In Agram ver-
einigte sie sich am 4. Juli 1387 mit ihrem Gemahl.
§ 97. König Wenzel und der Landfrieden in Deutschland.
Quellen wie § 96. Zu den Akten : Janssen, Frankfurts Reichskorrespondenz I,
S. 1 — 64. Zur Gesch. der Regierungszeit König Wenzels. S. auch S. 487 ff. Hilfs-
schriften aufser den bereits genannten vor allem das Buch von Lindner. W. Vischer,
Gesch. des schwäbischen Städtebundes 1376—1389. FDG. II. — Zur Gesch. d. schw.
Städteb., ib. HI. Lindner, Zur Gesch. d. schw. Städteb., ib. XIX, 31 ff. Vochezer,
Zur Gesch. d. schw. Städteb. der Jahre 1376—1389, ib. XV, 1-18. Klüpfel, Der
schwäbische Bund. HT. VI. F. 2. 93 — 135. Quid de, Der rheinische Städtebund von
1381. Westd. Z. IL — Der schw.-rhein. Städtebund irn Jahre 1384 bis zum Abschlufs
der Heidelberger Stallung. Stuttg. 1884. E b r a r d , Der erste Annäherungsversuch Wenzels
an den schwäb.-rhein. Städtebund 1384 — 85. Strafsb. 1877. Wutke, Beitr. z. Gesch. des
groüsen Städtebundkrieges 1387 — 88. M. Salzb. Landesk. XXVIH. Über einen älteren
Bund s. Seeliger, Der Bund der Sechsstädte in der Ob.-Lausitz 1346 — 1437. X. Laus.
Mag. LXXH. Schindelwick, Die Politik der Reichsstädte des früheren schwäb.
Städtebundes 1389—1401. Breslau 1888. Hinneschiedt, Die Politik K. Wenzels
zwischen Fürsten und Städten im Südw. des Reiches. Progr. Darmst. 1892. Derselbe,
K. Wenzel, Ruprecht I. u. der Ständekampf in Südwestdeutschland 1387—89. ZGORh. XHI.
Landau, Die Rittergesellschaften in Hessen während des 14. u. 15. Jahrh. Z. hess.
Gesch. Suppl. I.
1. Wie in der kirchlichen Frage knüpfte Wenzel auch bei seinen Be-
mühungen um die Aufrechthaltung des Landfriedens an die Politik
Karls IV. an und hat zu diesem Zwecke in seinen ersten Regierungs-
jahren eine reiche gesetzgeberische Tätigkeit entfaltet. Aber seine Macht
reichte nicht aus, die allgemeinen Gesetze gegen die Willkür der parti-
kularen Gewalten zur Anerkennung zu bringen. Die Reichsstädte wider-
strebten in der Besorgnis, gegen die mit dem Königtum verbündete
Fürstenmacht ihre Unabhängigkeit zu verlieren, den Bemühungen des
Königtums um die Herstellung eines allgemeinen Landfriedens, und da
auch die Fürsten der Aufrichtung einer starken Zentralgewalt entgegen-
traten, so erhielt Wenzels Politik ein schwankendes Aussehen. Es ist
charakteristisch, dafs ihm ein Zeitgenosse den Wunsch auf die Lippen
legt: es möchten sowohl Herren als Städte zunichte werden.1) Die
gröfste Bedeutung beanspruchte der schwäbische Städtebund, der beim
Tode Karls IV. nicht weniger als 89 Mitglieder zählte und auf dem
x) DRA. XCVI.
Der schwäbische und rheinische Städtebund und die Bitterbündnisse. 423
Reichstage von 1379 (Februar-März) Anerkennung durch den König ver-
langte. Seine kraftvolle Entwicklung1) wurde vom niederen Adel mit
scheelem Auge betrachtet, der, von der Fürstengewalt eingeengt, sich
nunmehr auch von den Städten bedroht sah, vdie durch ihre treffliche
Organisation und die neuen Kriegsmittel — das Geschützwesen — im-
stande waren, nicht blofs Übergriffe der Ritter zu ahnden, sondern sich
auch selbst solche zu gestatten. In ihrer Vereinzelung Fürsten und
Städten gegenüber machtlos, traten sie nun ebenfalls zu gegenseitigem
Schutze zusammen. So entstanden 1379 in Hessen und an der oberen
Lahn der Bund der Hörner, in Westfalen die Falkner, unter dem
fränkischen Adel die Georgsgesellschaft, in Süddeutschland die
Gesellschaft von St. Wilhelm, namentlich aber die vom »brimmenden
Löwen«, genannt vom Wappen, das die Ritter in Gold, die Knappen
in Silber auf ihrer Rüstung trugen. Der Löwenbund, im Oktober 1379
von rheinischen und wetterauischen Herren und Grafen auf drei Jahre
geschlossen, gewann schon im folgenden Jahre eine starke Verbreitung.
Ulrich von Württemberg, die mächtigsten Herren von Schwaben, die
Bischöfe von Augsburg und Strafsburg, ja selbst die Stadt Basel, traten
ihm bei. So gab es eine starke Vereinigung, die sich unmittelbar gegen
den Bund der Städte richtete. Ursprünglich nur zur Verteidigung be-
stimmt, wurde ihre Richtung bald eine aggressive und die blofse Existenz
dieser Bündnisse eine Gefahr für den öffentlichen Frieden. Ihre Grün-
dung hatte zunächst den Erfolg, dafs die Städte sich noch enger an-
einander schlössen und ihren Bund erweiterten. Um ihre Unabhängig-
keit besorgt, die durch den Herzog Leopold III. von Österreich gefährdet
schien, verbündeten sich Hagenau, Kolmar, Mülhausen u. a. auf fünf
Jahre, »um beim Reiche zu bleiben, und nicht versetzt oder verpfändet
zu werden« (1379). Ein erfolgreicher Angriff des Löwenbundes (1380) auf
Frankfurt legte es auch den rheinischen Städten nahe, sich zu einem
Bündnisse zu vereinigen. So kam am 20. März 1381 der rheinische
Städtebund zustande, dem Frankfurt, Mainz, Speyer, Worms, Strafs-
burg, Hagenau und Weifsenburg angehörten und der bis Weihnachten
1384 dauern sollte. Hatte der schwäbische Städtebund eine grosfe
politische Bedeutung, indem er es als seine wichtigste Aufgabe erkannte,
die Reichsfreiheit der Städte zu wahren, so ging der rheinische aus
dem augenblicklichen Bedürfnisse wirksamen Schutzes gegen die Ritter-
bündnisse und die mit ihnen verbündeten Fürsten hervor ; daher traten
ihm von den elsässischen Städten nur solche bei, die, wie Hagenau und
Weifsenburg, unmittelbar bedroht waren. Dagegen schlössen die Mit-
glieder des schwäbischen Städtebundes in der Überzeugung, dafs die
Ritterbündnisse vornehmlich wider sie gerichtet seien, am 17. Juni 1381
ein Schutzbündnis mit dem rheinischen Bund auf drei Jahre. Im übrigen
behielten beide Teile ihre gesonderte Existenz. Keiner sollte in Sachen
des Bundes ohne Wissen des andern Frieden schliefsen, kein Mitglied
ohne gegenseitiges Einverständnis aufgenommen werden usw. Würde
!) Bezeichnend hiefür bes. DKA. I, S. 251, Nr. 141.
424 Bund der Fürsten. Der Landfrieden v. Wesel und d. Vertrag v. Ehingen.
es jemand versuchen, die Städte von dem Bunde zu trennen, so sollte
gegen ihn — und wäre es auch der König selbst — - mit allen Mitteln
eingeschritten werden. Wie im Norden Deutschlands die Hanse, gab
es nun auch im Süden , einen Bund von Städten von grofser Stärke,
wenn auch nicht mit der trefflichen Organisation der Hanse.
2. Die Vereinigung der beiden Städtebündnisse im Süden des
Reiches, deren Gründung den Bestimmungen der Goldenen Bulle wider-
sprach, erregte die Besorgnis des Königs und der Fürsten.1) Auch diese
suchten sich nun enger aneinander zu schliefsen. Am 21. Juni 1381
einigten sich zunächst die rheinischen Kurfürsten zu gemeinsamem
Handeln : sie verpflichteten sich, innerhalb der nächsten sechs Jahre in
keinen Städte- oder andern Gesellschaftsbund einzutreten, sondern sie
für ihre Länder zu verbieten, endlich sich gegenseitig zu unterstützen,
falls einer von ihnen angegriffen werden sollte. Auf dem Frankfurter
Reichstage (1381 September) legte Wenzel den Entwurf eines allgemeinen
Landfriedens vor, der sich gegen die Städtebündnisse kehrte. Indem
darin das ganze Reich in mehrere Distrikte geteilt und die einzelnen
städtischen Gruppen gröfseren landesfürstlichen Territorien zugewiesen
wurden, sollte der Zusammenhang der Städte unterbrochen werden.
Diese wollten ihre Bündnisse nicht preisgeben und wehrten sich nicht blofs
gegen den Entwurf des Königs, sondern legten einen Gegenentwurf vor2),
der von einer Einteilung des Reiches in Kreise nichts enthielt und Zu-
lassung des Städtebundes im Rahmen des Landfriedens begehrte. Da
bot Herzog Leopold von Osterreich, dessen Absichten auf Oberitalien
gerichtet waren, und der deshalb nicht in den Kampf der Städte ein-
bezogen werden wollte, seine Vermittlung an. Kurze Zeit nachdem die
vier rheinischen Kurfürsten sich in dem sog. Landfrieden von
Wesel (1382, 9. März) gegen alle Gesellschaften ihrer Ländergebiete
gewandt hatten, wurde unter Leopolds Vermittlung der Vertrag von
Ehingen abgeschlossen (9. April), der den Frieden zwischen dem
schwäbischen Bunde einer- und den Rittergesellschaften und den mit
ihnen verbündeten Fürsten anderseits bis Anfang 1384 festsetzte. Nach-
dem die Rittergesellschaften die Macht der verbündeten Städte erprobt
hatten, lösten sie sich bis auf die von St. Georg allmählich auf. Der
Umstand, dafs Verträge, wie der von Ehingen, zwischen Städten, Ritter-
schaften und Fürsten ohne Zuziehung des Reichsoberhauptes geschlossen
wurden, mufste dessen Ansehen in hohem Grade schädigen. Seine Be-
mühungen gingen fortan dahin, alle eigenmächtigen Bündnisse der Reichs-
stände untereinander aufzulösen und einen Landfrieden aufzurichten,
dessen Haupt er selbst sein sollte. Gegen derartige Pläne erneuerten
die Städte ihre Bündnisse: die rheinischen bis 1392, die schwäbischen
bis 1395, beide ihren Bund bis 1391. Für die Landfriedensbestrebungen
Wenzels lagen sonach die Verhältnisse ungünstig. Zwar verkündigte er
auf dem Reichstag von Nürnberg am 11. März 1383 einen Landfrieden
1 DRA. I, S. 314.
2) DRA. I, Xr. 181. S. namentlich Punkt 15, S. 324.
Die Heidelberger Stallung vom Jahre 1384. 425
über das ganze in vier Kreise eingeteilte Reich auf zwölf Jahre1) und
gebot drei Tage nachher den geistlichen und weltlichen Fürsten, Grafen,
Herren, Rittern und Knechten, sich ihm anzuschliefsen, aber die Städte
lehnten mit Ausnahme von Basel den Beitritt ab, weil ihnen der Verzicht
auf ihre Sonderbündnisse zugemutet wurde. Es war daher lediglich ein
Herrenbund, der auf dem Nürnberger Reichstage aufgerichtet wurde. Da
die Städte hievon nichts wissen wollten, suchte Wenzel wenigstens einen
Anschlufs der beiden grofsen Städtebündnisse an den Landfrieden zuwege
zu bringen, und erreichte seine Absichten auf dem Heidelberger
Stallungstage am 26. Juli 1384, auf welchem der rheinische und
schwäbische Städtebund dem Nürnberger Landfrieden beitraten; jene
erhielten damit eine tatsächliche, wenn auch nicht rechtliche Anerkennung.2)
§ 98. Die Schweizer Eidgenossenschaft und Leopold III. von Österreich.
Der süddeutsche Städtekrieg.
S. Wyfs, Gesch. der Historiographie in der Schweiz, wie § 59. Über die Quellen
zur Sempacher Schlacht s. Th. v. Liebenau, Die Schlacht bei Senipach. 1886. Dazu
Kleifsner, Die Quellen zur Schlacht von Sempach und die Winkelriedsage. Gott. 1873.
Das urk. Material bei Liebenau. ASchwG. XVII. Darstellende Quellen : Das Luzerner
Bürgerbuch, s. Lorenz. DGQ. I, 122. Twinger von Königshofen, Strafsb. Chronik,
ed. Hegel. ChrDSt. VIII. Justinger, Berner Chronik bis 1421, ed. Studer. Bern 1871.
Gregor Hagen (Johann Sefner), wie oben. Konstanzer Weltchronik, herausg. v. Kern.
Freib. 1869. Die Klingenberger Chron., ed. Henne von Sargans. Gotha 1861. (Lorenz,
DGQ. 74, 75.) Müllner, Jb. v. Zürich, fortges. bis 1386, ed. Ettmüller. Zürich 1844. Alle
diese Quellen wissen von Winkelrieds Tat nichts. Erst Bullinger u. Tschudi melden
200 Jahre nach den Ereignissen, dafs WTinkelrieds Eingreifen die Wendung für die
Eidgenossen herbeiführte. Wichtig sind die alten Lieder, s. Lilienkron, Die histor.
Volkslieder der D. I. Dazu Lorenz, wie unten.
Neuere Darstellungen : Dändliker, Gesch. d. Schweiz I, 621. Di er au e r I, 325.
Liebenau, Die Schlacht bei Senipach, wie oben. Liebenau, Arnold v. Winkelried,
seine Zeit u. seine Tat. Aarau 1862. Lorenz, Leopold HI. und die Schweizer Bünde.
(Mit. d. Beil. die Sempacher Schlachtlieder.) In Drei Bücher Gesch. u. Politik. Berl. 1 876.
Tobler, Die Bez. d. Schweiz. Eidgen. zu den d. Reichsstädten. Diss. 1879. Gehrig,
Die Winkelriedfrage. Burgdorf 1883. 0. Hartmann, Die Schlacht bei Sempach.
Frauenb. 1886 — 87. ßauchenstein, Winkelrieds Tat bei Sempach ist keine Fabel. 1886.
Bernouilli, Winkelrieds Tat bei Sempach. 1886. Öchsli, Zur Sempacher Schlacht-
feier. Zürich 1886. Bürkli, Der wahre Winkelried, ib. 1886. S türler, Die Fackel zum
Sempacher Streit. Anz. Schw. G. 1881. Daguet, La question de W. 1883. S. auch
Vaucher, RH. XXXII. Die Lit. über Näfels von B 1 u m n e r HJb. v. Glarus. S. aufser
Dändliker (der an der Überlieferung von Ws. Heldentod festhält) u. Dierauer (der sie nicht
für genügend beglaubigt hält), Lindner, Stalin, Huber H, wie oben. Über die milit.
Seite s. Köhler n, 614, wie oben. Zöfsmair, Pol. Gesch. v. Vorarlberg Pr. Gym.
Feldkirch 1877—79.
1. Die Heidelberger Einigung erfüllte die auf sie gesetzten Hoff-
nungen nicht. Zuerst geriet Herzog Leopold III. in einen scharfen
x) Gedruckt RA. I, Nr. 205. Die vier > Parteien« sind: 1. Die Länder der böhm.
Krone. Dazu Brandenburg, Sachsen u. Lüneburg. 2. Trier, Köln, Pfalz, Hessen, Baden.
3. Österreich, Bayern, Lothringen, die Bischöfe von Strafsburg, Augsburg, Regensburg
und die Grafen von Württemberg und 4. die Bischöfe von Bamberg, Würzburg und
Eichstätt, die Mark- und Landgrafen von Meifsen u. Thüringen, Pfalzgraf Ruprecht
der Jüngste und der Burggraf Friedrich von Nürnberg. Die übrigen Fürsten, Herren,
Ritter und Städte sollten den zunächst gelegenen »Parteien« beigegeben werden.
2) Die »Heidelberger Stauung« gedr. RA. I, Nr. 246.
426 Leopold III. von Österreich und die Eidgenossen. Der Pfaffenbrief.
Gegensatz zum schwäbischen Bund. In dem Vertrag von Neuberg (in
Steiermark) war ihm von seinem Bruder Albrecht III. das ganze später
sog. Innerösterreich1), dann Feltre und Belluno, Tirol und Vorder-
österreich überlassen worden (1379). Im folgenden Jahre boten ihm die
von Ungarn und Genua bedrohten Venezianer Treviso an und zwei
Jahre später erwarb er Triest. Seine Absichten gingen dahin, eine un-
mittelbare Verbindung seines schwäbischen Besitzes mit dem übrigen
Österreich herzustellen. Nachdem er 1375 die Grafschaft Feldkirch er-
worben hatte, erhielt er sechs Jahre später den Besitz des Grafen Rudolf
von Hohenberg am oberen Neckar. Mit Hilfe Wenzels, mit dem er trotz
seiner Haltung in der Schismafrage in gutem Einvernehmen stand, hoffte
er in Schwaben ein abgerundetes Fürstentum zu begründen. König
Wenzel hatte ihm in der Tat (1379) die Vogtei in Ober- und Nieder-
schwaben pfandweise überlassen. All das erregte den Widerspruch des
schwäbischen Städtebundes und der benachbarten Fürsten. Daher er-
hielt er die Landvogteien erst 1382 und zwar nicht als Pfand, das wohl
nicht mehr ausgelöst worden wäre, sondern als Amt, das ihm jederzeit
entzogen werden konnte. Schon 1384 schien es zu einem Kriege zu
kommen, als sich das von Österreich ' bedrohte Basel an den schwäbi-
schen Städtebund anschlofs. Dieser suchte seine Bundesgenossen an
den Schweizern, die trotz des Regensburger Friedens (s. oben) in so
gespannten Beziehungen zu Österreich standen, dafs oft genug der
Ausbruch eines neuen Krieges befürchtet wurde. So hatten die vier
Waldstätte schon 1365 die Befugnis erlangt, unbeschadet der sonstigen
Rechte Österreichs, in Zug einen Ammann einzusetzen, und dies Recht
im sog. Torbergischen Frieden (1368) auch behauptet, Zwei Jahre
später schlössen Zürich, Luzern, Zug, Uri, Schwyz und Unterwaiden
»zur Wahrung ihres heimischen Gerichtsstandes und des Landfriedens«
den sogen. Pfaffenbrief, der seine Spitze gleichfalls gegen Österreich
richtete.2) Tritt hier das Bestreben hervor, den Übergriffen geistlicher
Gerichtsbarkeit entgegenzutreten, so ist das wichtigere Moment doch in
der Tatsache zu suchen, dafs zum erstenmal Grundsätze über Polizei-
verwaltung und innere Politik für die sechs Orte aufgestellt werden.
Man findet hierin die Keime eines Gemeinwesens, dessen Mitglieder ihr
Territorium zum erstenmal als »Unsere Eidgenossenschaft« be-
zeichnen.3) Der Torberger Friede wurde 1376 auf elf Jahre verlängert,
aber die zweideutige Haltung Leopolds III. im Kiburger Kriege,
der die Macht dieses Hauses brach, hatte zur Folge, dafs sich die
freundlichen Beziehungen zwischen den Schweizern und Österreich
wieder lockerten.
x) Steiermark, Kärnten, Krain, die Windische Mark u. Isterreich.
2) »Wer innerhalb der eidgen. Städte oder Länder wohnen will und den Herzogen
von Österreich durch einen Eid verpflichtet ist, der soll auch schwören, den Nutzen
und die Ehre der eidgen. Städte und Länder zu fördern. Kein Geistlicher, der in der
Eidgenossenschaft wohnt, mag er auch ein Fremder sein, darf ein fremdes — geist-
liches oder weltliches — Gericht anrufen« etc.
3) Dierauer, S. 282 ff. Dort die einschl. Literatur.
Das Konstanzer Bündnis. Die Schlacht bei Sempach. 427
2. Unter den Eidgenossen fühlten sich Luzern und Bern, an deren
Mauern Österreichs Macht heranreichte, von Leopolds Plänen am meisten
bedroht. Nachdem rheinische und schwäbische Städte schon zu Anfang
1384 mit den Eidgenossen in Verbindung getreten waren, wurde (am
21. Februar 1385) zwischen dem rheinischen und schwäbischen Städte-
bund einerseits, Zürich, Luzern, Zug, Bern und der mit Bern ver-
bündeten Reichsstadt Solothurn anderseits das Konstanzer Bündnis
auf 9 Jahre geschlossen. Es war unmittelbar gegen Osterreich gerichtet.
Leopolds Lage hatte sich verschlimmert, seit Österreich und die Luxem-
burger wegen der polnischen Frage in Zwist geraten waren und Wenzel
dem Herzoge die Vogtei in Schwaben entzogen hatte. Österreich suchte
solange als möglich dem Kampfe auszuweichen, aber eine Reihe von
Übergriffen der Schweizer hatten ihn unvermeidlich gemacht. Zwar war
ein Handstreich der Züricher auf die österreichische Stadt Rapperswyl
mifsglückt, dagegen gelang der Anschlag der Luzerner auf das Städtchen
Rotenburg (1385, 28. Dezember). Die schwäbischen Reichsstädte be-
schlossen nun auf die Hilferufe der Eidgenossen hin den Krieg. Da
Nürnberg, das den Krieg als einen ungerechten betrachtete, die rheini-
schen Städte, denen diese Streitigkeiten ferne lagen, und selbst einzelne
schwäbische Orte aus Sorge vor der Feindschaft der Fürsten zum Frieden
drängten, Leopold III. überdies Abhilfe der Beschwerden versprach, kam es
zunächst zu einem Waffenstillstand, der bis zum 2. Juli dauern sollte. Als
sich die Eidgenossen aber weigerten, die eroberten Plätze herauszugeben,
begann der Kampf. Auf Österreichs Seite stand der benachbarte, durch das
Anwachsen demokratischer Tendenzen beunruhigte Adel, schwäbische und
burgundische Edle, aber auch viele Bürger aus den Vorlanden. Leopold
sammelte sein Herr in Brugg, wandte sich aber nicht, wie seine
Gegner erwarteten, gegen Zürich, sondern gegen Luzern, Die Führung
hatte der österreichische Amtmann Johann von Ochsenstein. Die Eid-
genossen stellten sich — 1500 Mann stark — beiSempach auf. Dort
trafen die Österreicher auf sie ; in der hügeligen, von Hohlwegen und
Wasserläufen durchschnittenen Gegend , in der die Reiterei sich nicht
entfalten konnte, kam es am Morgen des 9. Juli zur Schlacht. Von
den österreichischen Rittern — sie waren in drei Treffen geteilt, von denen
der Herzog das zweite führte — safs ein bedeutender Teil ab und
kämpfte zu Fufs. Die Schweizer bildeten einen Keil, um in den öster-
reichischen Heerhaufen einzudringen. Ihre Kraft brach sich an den
langen Speeren, welche die Österreicher vorstreckten; sie selbst kämpften
mit kurzen Waffen: Streitäxten, Hellebarden und Morgensternen. Erst
in der Mittagsstunde trat eine Wendung ein. Die heifse Julisonne er-
schwerte den Rittern den Kampf. Viele erstickten, andere sanken aus
Erschöpfung zu Boden. Vielleicht war auch die Leitung keine einheit-
liche. Die Schweizer brachen in die österreichischen Heerhaufen ein.
Der Herzog eilte wohl herzu, konnte die Sache aber nicht mehr wenden.
Er erlag nach tapferem Kampfe. Sein Tod gab das Signal zu regelloser
Flucht. Auch der Feldhauptmann fiel. Der Sieg der Eidgenossen
machte berechtigtes Aufsehen. Die wirklichen Vorgänge der Schlacht
428 Die Schlacht bei Xäfels. Die Mergentheimer Stallung.
wurden allmählich verdunkelt, und die Tradition von der heldenmütigen
Selbstaufopferung Arnolds von Winkelried gewann allmählich Glauben.
An Stelle der Söhne des gefallenen Herzogs übernahm Albrecht III.
die Regierung. Auch die Glarner und Berner traten nun in den Kampf
ein. Den schwäbischen Städten kam dessen Fortsetzung nicht gelegen,
da ihnen selbst ein Kampf mit dem Herzog Stephan von Bayern drohte.
Sie vermittelten daher einen Waffenstillstand, der am 12. Oktober 1386
auf Grund des Status quo abgeschlossen wurde und bis zum 2. Februar 1387
dauern sollte, dann aber um ein ganzes Jahr verlängert wurde. Da
Albrecht III. nicht geneigt war, auf die verlorenen Besitzungen seines
Hauses zu verzichten, begann der Krieg 1388 von neuem. Jetzt war es
Glarus, gegen das sich Österreich wandte. Schon während des Sem-
pacher Krieges hatten die Glarner ihre lange unterbrochenen Beziehungen
zu den Eidgenossen wieder angeknüpft, dann die zu Österreich gelöst.
Dieses führte den Kampf anfangs mit Glück : Wesen, der Schlüssel zum
Kanton Glarus, wurde erobert. Schliefslich erlitten die Österreicher aber
am 9. April 1388 bei dem Dorfe Näfels durch die Bauernhaufen der
Glarner eine völlige Niederlage. Der weitere Verlauf des Krieges war
den Eidgenossen weniger günstig. Ihre Kraft brach sich an den
Mauern des gut verteidigten Rapperswyl. Für den Ausgang des
Krieges waren indes jene Ereignisse mafsgebend, die sich soeben in
Süddeutschland abspielten.
3. Der Fall Leopolds III. hatte den König nicht veranlassen
können, seine schwankende Politik aufzugeben. Herrschte schon 1384
bei einzelnen Reichsfürsten die Absicht vor, ihm einen Stellvertreter an
die Seite zu setzen, weil er sich zu wenig um das Reich kümmere, in
Wirklichkeit, weil die luxemburgische Macht in zu starkem Aufnehmen
begriffen war. so kamen sie 1387, als er ihnen nicht die erwartete Hilfe
gegen die Städte leistete, auf ihre Absichten zurück. Dies bewog ihn,
den Städten näher zu treten: am 21. März machte er dem schwäbischen
Bunde die Zusage, ihn nicht aufzulösen, die städtischen Rechte und Frei-
heiten wider jedermann zu schützen, wogegen sie sich verpflichteten,
ihm beizustehen, wenn ihn jemand »vom Königreich drängen wollte.«
Die Seele der wider ihn gerichteten Bewegung war Erzbischof Adolf
von Mainz, doch auch von den übrigen Fürsten waren ihm nur wenige er-
geben, und selbst auf die Städte durfte er nicht viel bauen. Die rheini-
schen Städte gingen überhaupt ihre eigenen Wege, die rheinischen Kur-
fürsten aber verpflichteten sich (23. April), gemeinsam zu handeln, wenn
Wenzel etwa »das Reich an einen andern bringen wollte.« Trotz dieser
unsicheren Lage der Dinge kam es zwischen Fürsten und Städten noch
zu Verhandlungen; am 5. Xovember 1387 wurde die M ergentheimer
Stallung mit dem schwäbischen Städtebund geschlossen, die im wesent-
lichen eine Erneuerung der früheren war, freilich ebensowenig Erfolg
hatte als diese. Der Friede wurde durch die bayrischen Herzoge
Stephan, Friedrich und Johann gestört, die den Verbündeten der schwäbi-
schen Städte, Erzbischof Piligrim von Salzburg, nach Raitenhaslach
lockten und gefangen nahmen. Auf das hin kündigten der schwäbische
Niederlagen der Städte bei Döffingcn u. Worms. Der Reichstag von Eger. 429
und rheinische Städtebund den Herzogen den Krieg an; auch Wenzel
sandte ihnen seine Absage, zog sich aber bald wieder vom Kampfe zu-
rück und überliefs es den Städten, ihren Streit mit den Fürsten auszu-
fechten. Unter diesen war Graf Eberhard von Württemberg der rührigste.
Voll Begier, die im letzten Kriege erlittenen Demütigungen zu rächen,
bedrängte er Efslingen und Reutlingen und griff die Bundesstädte bei
Döffingen an. Hier kam es am 23. August 1388 zur Schlacht. Der
Anfang des Kampfes war den Städtern günstig : Eberhards Sohn Ulrich
und zahlreiche Herren und Ritter fielen. Im kritischen Augenblick er-
schienen jedoch befreundete Streitkräfte, deren Eingreifen Eberhard den
Sieg verdankte. Es war die bedeutendste Schlacht, die dazumal in
Deutschland geschlagen wurde, obwohl auf beiden Seiten kaum mehr
als 4000 Mann kämpften. Der Krieg löste sich von nun an in eine
Reihe von Einzelkämpfen auf; die rheinischen Städte erlitten bei
Worms durch den Pfalzgrafen Ruprecht schwere Verluste (6. November),
dagegen errangen die Regensburger vor ihren Mauern einen glänzenden
Erfolg über die Ritterschaft Herzog Albrechts von Bayern. Das allge-
meine Elend machte den Wunsch nach Beendigung des Krieges rege.
Diese erfolgte zuerst in der Schweiz. Hatten die Niederlagen des
schwäbischen und rheinischen Städtebundes auch auf die Eidgenossen
Eindruck gemacht, so war Österreichs Macht doch stark geschwächt
und beide zum Frieden geneigt, der am 23. April 1389 auf sieben Jahre ge-
schlossen wurde. Luzern, Zug und Glarus waren für Osterreich ver-
loren. Der Friede wurde am 16. Juli 1394 auf zwanzig Jahre verlängert.
Die Unabhängigkeit der acht Orte wurde von Osterreich anerkannt.
Nachdem bereits 1388 mehrfache Versuche, den Krieg auch in Süd-
deutschland beizulegen, gemacht worden waren, wurde auf den 28. März
1389 ein Tag für die Verhandlungen nach Bamberg angesetzt. Fürsten
und Städte hofften den König zum persönlichen Erscheinen zu bestimmen,
waren aber entschlossen, auch ohne ihn zu tagen. Um sich die Initiative
nicht aus den Händen winden zu lassen, berief er schliefslich selbst
und zwar für dieselbe Zeit einen Reichstag nach Eger. Da aber
die Bamberger Zusammenkunft doch stattfand, verschob er den Termin
auf den 21. April. Auch in Eger setzte er seine schwankende Politik
fort. Nachdem er den Städten die besten Zusicherungen gemacht hatte,
forderte er von den Parteien die Auflösung ihrer Bündnisse ; beide
Parteien sollten sich mit ihm zu einem Landfrieden vereinigen. Dies
konnten die Fürsten, nicht aber die Städte zugestehen. Doch gelang es
dem König, die Einigkeit der städtischen Bündnisse zu lösen. Am
2. Mai 1389 erschien die Aufforderung an sie, ihre Bünde aufzugeben
und dem Landfrieden beizutreten1), der drei Tage nachher verkündigt
wurde. Er galt für den Rhein, Bayern, Schwaben, Franken, Hessen,
Thüringen und Meifsen. In jedem dieser Kreise wählten die Fürsten
und Städte je vier Bevollmächtigte, denen der König als neunten den
Obmann setzte. Sie traten zu bestimmten Zeiten und Orten alljährlich
zusammen, um über die Landfriedensangelegenheiten zu beraten. Der
l) DKA. Nr. 76.
430 König Wenzel und die Wirren in Böhmen.
Landfriede sollte sechs Jahre dauern. Nürnberg, Regensburg und
Weifsenburg erklärten schon in Eger ihren Beitritt. Die übrigen Städte
kamen in eine üble Lage : entweder mufsten sie diesem Beispiele folgen
oder mit geschwächten Kräften den Kampf mit der gestärkten Fürsten-
macht wieder aufnehmen. Der rheinische Städtebund war geneigt, den
Widerstand fortzusetzen, die schwäbischen Städte wollten sich auf einem
Tage zu Nürnberg am 13. Juni entscheiden. Inzwischen schlössen sich
aber Efslingen, Nördlingen, Schweinfurt. Windsheim und Weinsberg dem
Landfrieden an, und auch die rheinischen und wetterauischen Städte
folgten diesem Beispiel. Der schwäbische Städtebund erklärte nun auf
dem Nürnberger Tage seine Auflösung und den Eintritt der Städte in
den Landfrieden.
Kleinere Vereinigungen von Städten blieben allerdings auch weiterhin noch
bestehen ; so traten die sieben Bodenseestädte, deren Mittelpunkt Konstanz war, und
die schon innerhalb des grofsen Bundes eine gewisse Selbständigkeit bewahrt hatten,
dem Landfrieden nicht bei und hielten an ihrem Bunde fest, ja, im Februar 1390
wurde Ulm wieder Vorort eines aus 12 Städten bestehenden Bundes : aber diese Bünd-
nisse hatten bei weitem nicht mehr die Bedeutung der früheren. Von ihren Zielen
hatten die Reichsstädte das Wichtigste durchgesetzt : nicht mehr verpfändet zu werden,
das andere, dem Fürstentum gegenüber selbst eine geschlossene Macht zu bilden,
erreichten sie nicht, dazu waren ihre Interessen zu ungleichartig, die Verfassung ihres
Bundes zu mangelhaft.1)
§ 99. König Wenzel und die Wirren in Böhmen.
Quellen: Frk.-Material in tschech. Sprache s. im Archiv cesky. Über Jenzen-
steins Werke s. § 92 u. 96. Dazu : Vita Joannis de Jenzenstein. Prag 1793. Relatio
Joh. d. J. de se ipso. Epistola apologetica ad . . . H. de Rosenberg. FFRA. VI, 12 — 17.
Die Quellen zur Gesch. Johanns v. Xepomuk bei Frind, Der hl. J. v. X. Prag 1879.
S. auch AÖG. LVTI u. LX. Ebendorfer wie oben.
Hilfsschriften: Die Werke zur böhm. Gesch. s. oben. Dazu: Grünhagen,
K. Wenzel u. d. Pfaffenstreit zu Breslau. AÖG. XXXVEI. Die Beschwerde des Bresl.
Rates an den Papst. ZGASchles. XIX. Die ältere Lit. über Johann von Xepomuk
bei Reimann, wie unten. 0. Abel, Die Legende vom hl. Joh. v. Xepomuk. Berl. 1863.
(Der Kultus des hl. J. ist von den Jesuiten eingeschmuggelt worden, um den Hufs-
kultus zu verdrängen^ Dagegen Frind, wie oben. E. Reim an n, J. v. X. nach
Sage u. Gesch. HZ. XX VII. Tomek, Gesch. v. Prag HI tschechisch). Lindner,
Gesch. d. d. R. unter Wenzel u. D. G. Frind, Kirchengesch. von Böhmen LH.
Hub er II, wie oben.
1 . Auch in Böhmen hielt Wenzel während der ersten Zeit an der Politik
seines Vaters fest. Den niederen Ständen gewogener als dem hohen
Adel, war er ein eifriger Förderer des Städtewesens und seiner wirtschaft-
lichen Entfaltung. Im Anfange noch von Staatsmännern aus der Schule
und Umgebung Karls IV. beraten, umgab er sich nach deren Tod am
liebsten mit Leuten vom niederen Adel oder vom Bürgerstande, die sich ihm
durch unbedingte Fügsamkeit und rücksichtsloses Verfahren empfahlen :
Männer, die, wie Georg von Roztok, Sigmund Huler, Hynek Pluh von
Rabstein u. a., mafsgebenden Einflufs gewannen und ihn bei der Tüch-
tigkeit, die sie in den ihnen anvertrauten Zweigen der Verwaltung be-
kundeten, auch zu behaupten vermochten. Trotz seiner Verstimmung
J) Lindner II, 160.
König Wenzel und die Geistlichkeit. Johann von Jenzenstein. 431
wagte der hohe Adel keinen Widerstand. Eine besondere Schärfe kehrte
der König unter dem Einflufs seiner Günstlinge gegen die Geistlichkeit
hervor, mit der er in bedenkliche Konflikte geriet. Schon im Breslauer
»Pfaffenkrieg« von 1381, zu welchem die Verletzung des sog. Meilenrechtes x)
der Stadt durch die Geistlichkeit den Anlafs bot, wurde es deutlich, dafs
Wenzel die Unterordnung der geistlichen unter die weltliche Gewalt in einer
Weise anstrebte, wie es keiner seiner Vorgänger getan. Er erklärte :
Er wolle Herr im Reiche sein. Bei den kirchlichen Verhältnissen dieser
Zeit kamen die Breslauer Domherren in die Lage, Wenzels Gnade an-
rufen zu müssen. Bedeutender war der Konflikt mit seinem früheren
Günstling, dem Erzbischof von Prag, Johann von Jenzenstein,
dessen asketische Neigungen ihm wenig zusagten und der die Strenge,
die er gegen sich selbst ausübte, auch von anderen verlangte. Bei seiner
streitsüchtigen Natur mit aller Welt zerfallen, verlor Jenzenstein, trotz-
dem er die Sache Urbans VI. mit Eifer verfochten hatte, auch noch die Gunst
des Papstes. Da er mit Eifer für die Erhaltung der Rechte seiner Kirche
besorgt war, konnten Reibungen mit Wenzels Günstlingen, welche die
Immunitäten des Erzbistums nicht immer schonten, nicht ausbleiben;
schon 1384 legte er aus Anlafs eines Streites mit einem Günstling des
Königs sein Kanzleramt nieder. Heftige Kämpfe hatte er mit dem
Unterkämmerer Huler, der sich der besonderen Gunst Wenzels erfreute,
zu bestehen. Es kam so weit, dafs Jenzenstein den Bann über Huler
aussprach. Schon drohte der König, den Erzbischof und seine Vikare
zu ertränken. Die Gelegenheit, die Drohung wenigstens zum Teil wahr
zu machen, bot ihm die Frage über die Errichtung eines neuen Bistums.
Der König hatte den Wunsch, ein solches im südwestlichen Böhmen zu gründen
und an einen seiner Günstlinge zu verleihen. Es sollte mit den Gütern des reichen
Benediktinerstiftes Kladrau ausgestattet werden. Man wartete nur den Tod des alten
Abtes ab, um die Sache durchzuführen. Kaum war dieser gestorben, so vollzogen die
Mönche die Neuwahl, und der Generalvikar des Erzbischofs beeilte sich, sie zu be-
stätigen. Es war dies Johann von Pomuk (oder Nepomuk), der Sohn Wölfeis, eines
deutschen Bürgers dieser Stadt, der bisher an den Streitigkeiten des Erzbischofs als
dessen Sekretär, dann als Vikar teilgenommen hatte und gegen den Wenzel seine
Drohungen vornehmlich gerichtet hatte. Über die Vereitlung seines Wunsches war
der König in hohem Grade erbittert. In rauhem Tone begehrte er vom Erzbischof
die Herausgabe des bischöflichen Gutes als Kammergutes des Königs. 2) Die Eäte
Wenzels bemühten sich um einen Ausgleich. Als der Erzbischof aber am 20. März
1393 mit seinem Gefolge bei Hofe erschien, wurde Wenzel derart vom Zorn übermannt,
dafs er unter heftigen Schmähungen nicht nur den Vertrag zerrifs, sondern auch den
Offizial Nikolaus Puchnik, Johann von Pomuk, den Meifsner Propst Wenzel und den
Erzbischof selbst verhaften und ins Kapitelhaus abführen liefs. Jenzenstein konnte,
von seinen Waffenträgern geschützt, in den erzbischöflichen Palast gelangen und ent-
floh nach kurzem Verweilen aus Prag. Des Königs Absicht, ihn ohne viel Geschrei
aufheben zu lassen, war vereitelt. An dem Verhör der Gefangenen nahm Wenzel
selbst Anteil und die Einzelheiten, die nun zur Sprache kamen, steigerten seine Wut.
x) Meilenrecht, wonach kein Handwerk, Krug oder Markt innerhalb einer Meile
von der Stadt geduldet wurde. Es sollte in obigem Falle kein Schweidnitzer Bier in
Breslau verbraucht werden. S. Tschoppe u. Stenzel, Urk.-Samml., S. 252 — 53.
2) Et si, fügte er bei — der Brief war übrigens in vulgari Teutonico verfafst :
aliquid contra me attentabis vel meos, volo te submergere Utesque sedare, Pragam veni.
Cap. XXVI der Acta in Curia Rom.
432 Johann von Xepomuk.
Dem hochbetagten Domdechanten Bohmlaw schlug er mit dem Knauf seines Schwertes
blutige Kopfwunden. Puchnik, Pomuk, der Propst Wenzel und der Hofmeister des
Erzbischofs wurden zur Folterung aufs Rathaus geschleppt. Abends erschien der
König selbst und begehrte von den Gefangenen nicht nur Stillschweigen über das
Geschehene, sondern auch Stellungnahme gegen Jenzenstein. Der Propst, der Hof-
meister und Puchnik, dieser, nachdem er die Qualen der Folter gekostet, waren dazu
bereit, nur Johann von Pomuk blieb allen Martern gegenüber, bei denen der König
selbst Hand anlegte1 , standhaft: er wurde freilich in derartiger Weise mifshandelt, dafs
er unter keinen Umständen mit dem Leben davon gekommen wäre. Der König be-
fahl nun, ihn in che Fluten der Moldau zu werfen. Die Hände auf dem Rücken, die
Füfse an den Kopf gebunden, ein Stück Holz im Munde, wurde Johann auf die Prager
Brücke geschleppt und von dort um 9 Uhr abends in die Moldau gestürzt.2' Jenzen-
stein war inzwischen in seine feste Burg Geiersberg an der sächsischen Grenze ent-
kommen. Von Reue über sein Vorgehen erfai'st. Buchte Wenzel die Versöhnung mit
ihm nach. Da die Verhandlungen hierüber zu keinem Ziele führten, ging Jenzenstein
nach Rom (1393 April) und reichte eine Anklageschrift gegen den König ein, erreichte
aber keine Genugtuung ; denn es war Wenzel gelungen, die Kurie auf seine Seite zu
ziehen.
2. Ob das grausame Verfahren Wenzels gegen die obersten Würden-
träger der böhmischen Kirche darin seinen Grund hatte, dafs er schon
damals von einer gegen ihn gerichteten Verschwörung Kunde hatte, ist
unsicher. Gewifs ist, dafs sein Vorgehen den übelsten Eindruck machte.
Bemüht, jenen Einflufs auf die Leitung der Staatsgeschäfte zurückzu-
gewinnen, den er vor, zum Teil noch unter Karl IV. besessen hatte,
nützte der Adel diese Vorgänge für seine auf den Sturz der Günstlings-
herrschaft gerichteten Pläne aus. Der böhmische unter der Führung-
Heinrichs von Rosenberg stehende Herrenbund wäre dem König freilich
kaum gefährlich geworden, wären nicht arge Zerwürfnisse im königlichen
Hause selbst hinzugekommen. Erst jetzt kamen die Schäden der Länder-
teilung Karls IV. an den Tag. Die mährische Linie verfolgte ihre
eigenen Pläne. Markgraf Jost , dem Wenzel (1383) das Herzogtum
Luxemburg pfandweise übertragen und der für die dem Könige Sig-
mund in L ngarn geleisteten Dienste die Mark Brandenburg erhalten
hatte (1388), strebte offen nach der Krone, auf die ihm Wenzel selbst
— wohl in anaufrichtiger Weise — Hoffnung gemacht hatte. Auch an
Sigmund fand Wenzel, trotz der für ihn gebrachten Opfer, keine Stütze.
Bei einem Streite zwischen Jost und Prokop stellte Wenzel sich auf die
Seite des letzteren. Josts Absichten gingen dahin. Wenzels Stellung in
Böhmen zu erschüttern. Er gewann den Beistand Wilhelms von Meifsen
und Albrechts III. von Osterreich, denen auch Sigmund beitrat, und
verband sich am 5. Mai 1394 mit dem Herrenbund zur Herstellung der
alten böhmischen Landesverfassung; drei Tage später wurde Wenzel,
1 Ipseque solus manum et ignem ad latera vicarii et officialis apposuit.
2) Davon, dafs er getötet wurde, weil er sich weigerte, zu bekennen, was die
Königin gebeichtet, wissen die gleichzeitigen und alle näherstehenden Quellen nichts.
Die älteste Nachricht über Xepomuk bringt aufser Jenzenstein Ludolf von Sagan
(ed. Loserth;, der als Augustiner ausgezeichnete Verbindungen mit dem Augustiner-
kloster Raudnitz hatte. Über che Verletzung des Beichtgeheimnisses berichtet erst zwei
Menschenalter später Ebendorfer : Confessorem etlam uxoris sue was J. nicht war)
Johannem . . . ut fertur, quia sigillum ronfessionis detraxit. ipsum in Mol da via suffo-
cari praeeepit.
Gefangennahme Wenzels. Stimmung im Reiche. 433
als er von seinem Jagdschlosse Bettlern nach Prag zurückkehrte, von
den Verschworenen überfallen, nach Prag gebracht und gezwungen, .Tost
zum Verweser des Königreiches zu ernennen. Die Nachricht hievon
rief eine tiefe Bewegung im Lande hervor, denn weder der niedere Adel
noch die Bürger wünschten eine Änderung des Regiments. Die Prager
traten für Wenzel unter die Waffen, aber die Barone wufsten sie zu
überreden, dafs Josts Ernennung mit Wenzels freiem Willen ge-
schehen sei. Wenzels Bruder, Johann von Görlitz, rief die Getreuen des
Königs unter die Waffen, rückte, von Prokop und Swantibor III. von
Pommern unterstützt, gegen Prag vor, worauf die Barone den König
nach dem südlichen Böhmen (22. Juni) und von dort nach Wildberg
bei Linz, auf ein Schlofs, entführten, das den Herren von Starhemberg
gehörte. In Böhmen wurde nun Johann von Görlitz »als rechter Herr
und Verweser der Krone« für die Zeit der Gefangenschaft Wenzels an-
erkannt. Die Kunde von diesen Ereignissen erregte im deutschen Reiche
grofses Aufsehen. Ohne Sympathien für Wenzel zu bekunden, empfand
man seine Gefangennahme als eine dem Reiche zugefügte Schmach ; ein
Reichstag, den Pfalzgraf Ruprecht nach Frankfurt berief, forderte ent-
schiedenen Tones seine Freilassung. Am 2. August wurde denn auch
Wenzel in Krumau in Freiheit gesetzt. Die Aufständischen erhielten
Amnestie, die Verweserschaft Josts wurde beseitigt; im übrigen sollten
aber auch die Herren bei ihren Rechten verbleiben. Über die künftige
Regierung wollte sich Wenzel dem Ausspruch eines Schiedsgerichts
fügen. Hatten die Landherren auch ihre Absichten nicht erreicht, so
hatte Wenzels Ansehen doch einen schweren Stofs erlitten. An allen
Orten war man nur zu geneigt, die Anklagen der Barone als berechtigt
anzuerkennen. In Deutschland begann man die Frage eines Thron-
wechsels ernst zu erwägen, und in Böhmen kam es zu neuen Unruhen,
da Wenzel seine Günstlinge in Amtern und Würden liefs. Um sich in
seiner Stellung zu befestigen, forderte er von Klöstern und Städten in
Böhmen, selbst von deutschen Reichsstädten, Unterstützung, schlofs mit
treugebliebenen Baronen Verträge, erneuerte alte Bündnisse mit aus-
wärtigen Mächten, wie mit Frankreich und Polen, und knüpfte mit Herzog
Stephan von Xiederbayern Verbindungen an. Um sich an Osterreich
zu rächen, unterstützte er die in Albrechts Ungnade gefallenen Herren
von Liechtenstein-Nikolsburg, wogegen Albrecht mit Jost und den un-
zufriedenen böhmischen Herren einen neuen Bund auf sieben Jahre
schlofs (1394, 17. Dezember). Die böhmischen Herren erneuerten hierauf
(1395, 10. Januar) zu Wittingau ihren Bund. Dieser Koalition war Wenzel
nicht gewachsen, er knüpfte mit seinen Gegnern Verhandlungen an, die
aber ein jähes Ende fanden, als er Jost treuloserweise gefangen nahm
und an Prokop die Botschaft sandte, sich ganz Mährens zu bemächtigen.
Jost mufste allerdings bald wieder freigelassen werden, denn Wenzel
hatte die Rache seiner Landherren zu befürchten, in deren Geleite
Jost gekommen war. Im Bunde mit den böhmischen Baronen und
Albrecht III., der das Reichsvikariat in Deutschland zu erreichen hoffte,
begann Jost den Kampf von neuem. Auch der Tod Albrechts besserte
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 28
434 Die Kurfürsten und König Wenzel.
die Verhältnisse nicht, denn die Unbeständigkeit Wenzels führte nun
auch Johann von Görlitz, den mutmafslichen Erben der Krone, in das
Lager seiner Gegner. Da Johann am 1. März 1396, ohne männliche
Erben zu hinterlassen, starb, zog der König seine Besitzungen ein. Die
Neumark kam an Sigmund. Um eine Stütze gegen den Herrenstand
zu gewinnen, sicherte Wenzel Sigmund die Nachfolge in Böhmen zu,
ernannte ihn zum Reichs vikar und übertrug ihm das Schiedsrichteramt
in seinem Streite mit Jost und den Baronen. Der oberste Regierungsrat
wurde danach mit Mitgliedern des Herrenbundes besetzt. Jost ging leer
aus. Daher begann er nach Sigmunds Abzüge den Streit von neuem.
Wenzel sah sich in seiner Not gezwangen, nachzugeben. Jost erhielt
nunmehr die Ober- und Niederlausitz und die Belehnung mit Branden-
burg (1397 Februar). Die Aussöhnung Wenzels mit seinem Vetter, die
auf Kosten Sigmunds erfolgte, war auch diesmal keine aufrichtige;
denn als einige Monate nachher vier Günstlinge des Königs ermordet
wurden und Jost, auf den, wie es scheint, der Verdacht ruhte, mit den
Mördern im Einverständnis gewesen zu sein, nach Prag eilte, um die
Lage der Dinge auszunützen, befahl ihm Wenzel, die Stadt zu verlassen,
und entzog ihm die Lausitz. Der Kampf begann unter diesen Umständen
von neuem. Wenzels Lage wurde durch die Ereignisse erschwert, die
sich in Deutschland verbreiteten und zu seinem Sturze führten.
§ 100. Die Absetzung König Wenzels.
Quellen wie oben § 96 u. 97. S. auch Zabarella, Consilia. M.JÖG. XI. Hilfs-
schriften zu den § 96 genannten : Mau, K. Wenzel u. die rheinischen Kurfürsten. 1887.
Höhl bäum, Der Fürsten- u. Städtetag zu Frankfurt im Mai 1397. Mitt. St. Arch.
Köln. XFH. AVenck, Die Wettiner im 1-4. Jahrh., insb. Markgraf Wilhelm u. König
Wenzel. Leipz. 1897. Gerits, Zur Geschichte desErzb. Johann IL von Mainz. Halle 1882.
Wegele, Fürstb. Gerhard und der Städtekrieg im Hochstift Würzburg. Xördl. 1861.
Erler, Das Gutachten des Pfalzgr. Ruprecht über die zwischen K. Wenzel v. B.
und K. Karl VI von Frankreich geplante Zusammenkunft in Reims. ZGOb. Rh.
XLIX, 1 — 28. Romano, Gian Galeazzo Visconti e gli eredi di Bernabö. Milano 1891.
Si gier schmidt, De Wenceslao rege Romanorum etc. depositione 1876. Löher,
Das Rechtsverfahren bei K. Wenzels Absetzung. Münch. HJb. 1865. Harnack, Hat
eine rechtliche Befugnis zur Absetzung des K. W. im d. R. bestanden? FDG. XXVI.
Lindner, Über die bei der Absetzung K. Ws. verlesenen Artikel. MJÖG. VII.
Weizsäcker, Der Pfalzgraf als Richter über den König. A. kgl. Ges. d. W. Göttingen XXHI.
Weizsäcker, Zur Absetzung K. Ws. DZ. f. Gesch. HI. — Die Vorgeschichte der
Thronrevolution v. 1100 in offiziöser Darstellung ebenda VII, 142.
1. Statt zu den Waffen zu greifen, um die Gefangennahme des
Königs zu rächen, begnügten sich die deutschen Fürsten mit politischen
Demonstrationen. Seit sieben Jahren war Wenzel aller Aufforderungen
ungeachtet nicht mehr ins Reich gekommen. Schon 1395 forderte eine
Botschaft der rheinischen Kurfürsten in drohender Weise sein Erscheinen,
i widrigenfalls sie daran denken wollten, was zu tun wäre«. Durch
Sigmunds Ernennung zum Reichsvikar (1396) war wenig geholfen,
denn ihn nahmen Ungarns Angelegenheiten vollauf in Anspruch. So
rückte allmählich die Frage der Ersetzung Wenzels durch einen andern
König in den Vordergrund. Entscheidend wurde die enge Verbindung
der Kürfürsten von der Pfalz und von Mainz. Schon am 23. Oktober
Beschwerden der Kurfürsten. Letzter Erfolg Wenzels. 435
1396 schlofs Graf Johann von Nassau, damals noch Domherr von Mainz,
mit den Pfälzern einen Bund, »ihnen zu allen Ehren zu helfen, nach
denen sie streben wollten«. Indem Wenzel der Kandidatur Johanns für
das Mainzer Erzbistum in den Weg trat, erhielt er an ihm einen Gegner,
und da die Kurie dessen Wahl bestätigte, stellte sie sich gleichfalls auf
die Seite der Gegner Wenzels. Dieser lud nun allerdings Fürsten und
Reichsstädte zum Reichstag nach Nürnberg (1397, 29. April), doch weder
er selbst noch die Stände erschienen. Dagegen beriefen die rheinischen
Kurfürsten1) die Reichsstände auf den 13. Mai nach Frankfurt. Wohl
war Wenzel geladen, doch sollte die Versammlung auch ohne ihn tagen.
Ohne auf Sigmund Rücksicht zu nehmen, beschlofs sie, Wenzel um
die Einsetzung eines Reichsvikars zu ersuchen. Ein Fürsten- und Städte-
tag am 25. Juli verlief wegen mangelhaften Besuches resultatlos. Um
nicht auch die Reichsstädte in das Lager der frondierenden Fürsten zu
treiben, erschien Wenzel im Herbste auf dem Reichstag zu Nürnberg;
hier kam ein Landfrieden zustande, der ihm den Dank der Städte
sicherte ; eine Anzahl von Raubburgen wurde gebrochen, im Würzburgi-
schen das städtische Element gegen den Bischof geschützt. Indem er
aber die Städte daselbst zu Reichsstädten erklärte, erregte er den Un-
willen der Fürsten, die hierin eine Parteinahme des Reichsoberhauptes
für rebellische Untertanen erblickten. Um seine Stellung zu verbessern,
hielt er im Dezember 1397 und Januar 1398 einen Reichstag in Frank-
furt ab. Hier überreichten die Kurfürsten ihm eine Beschwerdeschrift2),
die neue Klagen enthielt: über seine Untätigkeit in der Frage des
Schismas, die Verschleuderung von Rechten und Besitzungen des Reiches
in Deutschland und Italien und sein gewalttätiges Vorgehen gegen geist-
liche und weltliche Personen in Böhmen. In Italien hatte er 1395 an
Gian Galeazzo Visconti Titel und Rang eines Herzogs und seinem Hause
die bis dahin usurpierte fürstliche Würde verliehen ; nun wurde geklagt,
dafs er hiedurch die Florentiner, Galeazzos Feinde, in die Arme Frank-
reichs getrieben und dieses sich Genuas bemächtigt habe. Die übrigen
nur zum Teil berechtigten Klagen betrafen Verluste des Reiches in
Savoyen, Brabant usw. Nachdem Wenzel eine Landfriedensordnung auf
zehn Jahre erlassen und einen Streit zwischen rheinischen und schwäbischen
Städten geschlichtet hatte, ging er, um nicht dem Vorwurf der Untätigkeit in
der Kirchenfrage zu begegnen, nach Frankreich und unterhandelte mit
Karl VI. in Reims über die Beilegung des Schismas im Sinne der
Zession. Wiewohl sich die Kurfürsten früher selbst in dieser Richtung
gehalten hatten, wollten sie, und vor allem Ruprecht III. von der Pfalz,
von einer Preisgebung Bonifaz' IX. nichts wissen. Im übrigen ging
Wenzel seine eigenen Wege und bekräftigte das Bündnis mit Frankreich
durch die Verlobung seiner Nichte Elisabeth von Görlitz mit Ludwig,
dem Sohne des Herzogs von Orleans. Der Frankfurter Reichstag war
der letzte, den er abhielt. Es war ihm für den Augenblick gelungen,
die Opposition der Kurfürsten einzudämmen.
*) Ohne den Mainzer, der noch nicht aus Rom heinigekehrt war.
2) Gedr. RA. HI, 22. Dazu Lindner, Beil. XVIII.
28*
436 Die Frage der Absetzung Wenzels.
2. Als er im August 1398 nach Böhmen zurückgekehrt war, brachen
unter den Luxemburgern neue Mifshelligkeiten aus : Jost suchte sich der
Lausitz zu bemächtigen und knüpfte mit den böhmischen Landherren
an, denen die gemachten Zusagen nicht eingehalten worden waren;
er fand eine Stütze an Sigmund, der sich von dem Markgrafen Prokop
in seinem eigenen Lande bedroht sah. Diese Zerwürfnisse wurden von
den Kurfürsten benützt, um ihrer Opposition eine schärfere Richtung
zu geben; sie fanden den nächsten Anlafs in den Zollvergünstigungen,
die Wenzel einzelnen Fürsten und Herren gewährte. Auf der Versamm-
lung in Boppard, die von Mainz, Köln und der Pfalz beschickt ward
(1399, 11. April), sollte über den Landfrieden und Zollangelegenheiten
beraten werden, insgeheim aber verpflichteten sich die Kurfürsten, in
Sachen des Reiches, der Kirche und der Kur gemeinsam zu handeln
und jedem Versuch einer Verkleinerung des Reiches entgegenzutreten.
Eine zweite Versammlung fand wenige Monate später in Marburg statt.
Während Wenzel meinte, es handle sich einzig und allein um die Ein-
setzung eines Reichsverwesers, und die Berufung eines neuen Reichstages
ins Auge fafste, traten die Kurfürsten bis auf jene, die dem Hause
Luxemburg angehörten, und andere Fürsten und Herren im September
1399 in Mainz zusammen. Hier drang die Ansicht durch, clafs unver-
züglich ein anderer römischer König gewählt werden müsse.
Wiewohl noch von fünf Häusern gesprochen wird, die für die Königs-
wahl in Betracht kämen, galt doch bereits Ruprecht III. von der Pfalz
als der geeignete Kandidat. Auf dem nächsten Tage — er wurde im
Xovember in Frankfurt abgehalten — fanden sich auch Vertreter der
Städte ein. Wenzel war hiezu so wenig wie zu dem früheren eingeladen
worden. Zu einem Zuge ins Reich, der ihn noch retten konnte, war er
nicht zu bewegen. Seine letzte Hoffnung waren die Reichsstädte. Sie
wurden nun an ihr Versprechen gemahnt, ihm beizustehen, wenn ihn
jemand »vom Königreich dringen wollte. Noch auf dem Städtetage
zu Efslingen, wo sich auch Vertreter von Schweizer Städten einfanden,
wurde erklärt, zum König zu stehen; er müsse vor allem aber selbst
handeln. Das war aber seine Sache nicht. LTm so eifriger waren seine
Gegner. Am 1. Februar 1400 einigten sich fünf Kurfürsten und sieben
Fürsten dahin, einen andern römischen König zu wählen,
»um dengrofsen und schweren Irrungen und Gebrechen zu widerstehen.«1)
Der Papst, von dem Vorhaben verständigt, gab eine ausweichende Antwort.
Auf dem nächsten Fürsten- und Städtetage in Frankfurt (Mai-Juni)
wurden noch mehr Fürsten für den Anschlufs gewonnen. Ein Verbot
Wenzels, in seiner Abwesenheit über Reich und Kirche Beschlüsse zu
fassen, fand keine Beachtung, denn schon war seine Absetzung eine be-
schlossene Sache ; wandten sich auch Sachsen und Braunschweig von
dem Bunde ab, so liefsen sich die übrigen Fürsten in ihrem Vorgehen
nicht stören und beschlossen, am 11. August in Oberlahnstein zu-
sammenzutreten, »und wenn der König auch nicht erscheinen sollte,
1 RA. III, Nr. 106-7. Lindner, Beil. XXVI.
Seine Absetzung. Rechtsgrundlage des kurfürstlichen Verfahrens. 437
das Reich zu bestellen«. Auch der Kurfürst von Sachsen und Jost von
Mähren waren geladen. Würden sie nicht erscheinen, würde man ohne
sie vorgehen. Noch hätte ein fester Entschlufs den König, den Frank-
furt von dem Vorhaben der Fürsten verständigt hatte, retten können.
Aber er zögerte. So nahmen die Ereignisse ihren Lauf. Am 10. August
traten die vier rheinischen Fürsten in Oberlahnstein zusammen. Dafs
Wenzel nicht erschien, wurde dahin gedeutet, dafs er sich des Reiches
nicht weiter annehmen wolle. Die Absetzung des Königs wurde sonach
beschlossen. Über den Nachfolger hatte man sich längst geeinigt. Nur
um der Form zu genügen, wurde Ruprecht um seine Zustimmung gefragt.
Er gelobte, die Rechte der Kurfürsten zu bestätigen, die seit 30 Jahren
am Rhein errichteten Zölle zu widerrufen, Mailand und die übrigen dem
Reiche entfremdeten Länder zurückzubringen und für das Wohl der Kirche
zu sorgen. Am 20. August erklärte der Mainzer den König Wenzel als
einen unnützen, trägen, unachtsamen Entgliederer und unwürdigen In-
haber des Reiches für abgesetzt. Alle Reichsangehörigen wurden ihrer
Pflichten gegen ihn losgesprochen und an den künftigen König gewiesen.1)
Die dem König zum Vorwurf gemachten Vergehen sind grofsenteils schon in
den Frankfurter Klagepunkten des Jahres 1397 enthalten. Es war eine starke Über-
treibung des Sachverhalts ; an vielen Gebrechen waren die Kurfürsten ebenso schuldig
als der König. Das Verfahren wider ihn entbehrte jeder rechtlichen Grundlage. Zudem
war der Zeitpunkt der Absetzung schlecht gewählt und die Frage, ob der neue Herrscher
sich gegen den alten behaupten würde, nicht leicht zu bejahen. Gewifs rechneten
die Kurfürsten auf die sprichwörtliche Untätigkeit Wenzels. Wohl rief dieser aus :
»Ich will das rächen oder tot sein«, und Jost fügte bei : »Wir wollen das rächen, oder
ich will kein Haar in meinem Barte behalten« 2), aber diese Drohungen waren leerer
Schall. In Wirklichkeit tat Wenzel keinen ernsthaften Schritt, ihnen den nötigen
Nachdruck zu verleihen, und bei dem Eigennutz, den che Luxemburger selbst in dieser
äufsersten Notlage Wenzels an den Tag legten, ward ihm ein tatkräftiges Vorgehen,
auch wenn er es beabsichtigt hätte, unmöglich gemacht.
§ 101. Die Wahl König Rup rechts. Der böhmische Krieg.
Der Römerzug Ruprechts.
Quellen. Urkk. : Chmel, Regesta Ruperti. Frankf. 1834. (Lindner, Das XJrk.-
Wesen, wie oben.) Köln u. König Ruprecht : Briefe, herausg. v. Höhlbaum. Mitt.
aus d. Stadtarch. von Köln XIV. G. Seeliger, Aus Ruprechts Registern. NA. XIX.
DRA. unter König Ruprecht, ed. Weizsäcker. Gotha 1882 — 88. (S. auch Stern, König
Ruprecht v. d. Pf. in s. Beziehungen zu den Juden. Kiel 1898.) Janssen, Frankfurts
Reichskorrespondenz I. Freib. 1863—72. S. 65—153 und 526—807. Geschicht-
schreiber: s. oben § 96. Dazu: Andreas de Gataris, Chronic. Patavinum.
Murat. XVH, 7—944 (s. aber Lindner, MJÖG. XHI, 377). Cronaca di Buonaccorso Pitti,
ed. Firenze 1720. Die Verhandl. mit Ruprecht bei Janssen a. a. O. I, 641. DRA. IV,
361. Sercambi, Croniche bis 1409, ed. Fonti per la stör. d'Italia XIV. XV. 1892—93.
Sozomenus, Historiae seu Chronicon univ. bis 1455. Murat. XVI. Piero Minerbetti,
Crom Fiorentina, ed. Tartini. RItSS. II, 79—628. Hilfsschriften: Höfler,
Ruprecht v. d. Pfalz, genannt Klein, röm. König. Freib 1861. Th orbecke, Ruprecht.
D. K. ADB. XXIX. Häusser, Gesch. d. rh. Pfalz I. Heidelb. 1861. Lindner, D. G.,
wie oben. Weizsäcker, Die Urkunden der Approbation K. Ruprechts. A. Berl. Ak. 1889.
x) Die Absetzungsurkunde in RA. in, Nr. 204 (deutsche) u. 205 (lat. Fassung).
Eine treffliche Zusammenstellung älterer u. neuerer Ansichten über Wenzels Absetzung
und deren Rechtsgrundlage s. bei Lindner II, 430 — 440.
2) RA. ICE, S. 299.
438 Die Wahl König Ruprechts.
Frey, Verh. mit d. Kurie über d. Approbat. Diss. 1886. Helmolt, K. Ruprecht 1401.
HJb. XV. E. Bergmann, Zur Gesch. d. Romzuges R. v. d. Pf. Braunschw. 1891.
Winkelmann, Der Romzug Ruprechts v. d. Pf. Innsbr. 1892. Helmolt, K. Rs.
Zug nach Italien. Leipz. 1892. Donemiller, Der Römerzug Rs. und dessen Verh.
zu Österreich, bes. zu Herzog Leopold. Rudolf swerth 1881. Th. Lindn.er, Die Schlacht
bei Brescia. MJÖG. XIII. Piva, Yenezia, Scaligeri e Carraresi. Rovigo 1899. Romano,
Gian Galeazzo Visconti e gli eredi di Bernabö. Milano 1891. Schmitz, Konrad von
Soltau. 1891. Sommerlad, Matthäus v. Krakau. Halle 1891. Schindelwick, wie
oben. Liebisch, Beitr. z. Gesch. Ruprechts. Xeutitschein 1900. S. auch Sehe 11-
hafs, Das Königslager vor Aachen u. vor Frankfurt. Berl. 1887. Palacky, wie oben.
Aschbach, Gesch. K. Sigmunds, I. Hamb. 1838.
1. Der Absetzung Wenzels folgte die Wahl Ruprechts auf dem
Fufse nach. Der Sohn des tatkräftigen Kurfürsten Ruprecht IL war er
von diesem und seinem gleichnamigen Grofsoheim in die Staatsgeschäfte
eingeführt worden. Da er selbst einen Sohn namens Ruprecht hatte,
gab es bis 1390 in der kurfürstlichen Familie gleichzeitig vier Träger
dieses Namens. Man unterschied sie durch Beinamen. So hiefs Rup-
recht III. Klem, ein Name, dessen Bedeutung nicht sicher zu erklären
ist.1) Er hatte sich seit 1370 in Fragen der deutschen Politik und im
Felde hervorgetan. Seit 1398 Kurfürst, ging sein Streben auf die Macht-
vergröfserung seines Kurhauses. Er lieh den revolutionären, auf Wenzels
Sturz gerichteten Absichten der geistlichen Kurfürsten seine Unter-
stützung, weil sie seinen Hausinteressen entsprachen. In der Kirchen-
politik hielt er unwandelbar zur römischen Obedienz. Ein milder und
gerechter Fürst. Freund der Wissenschaften und ihrer Jünger, liefs er
sich die Förderung der Universität Heidelberg angelegen sein. Zu seinen
Freunden gehörte der in den Kreisen der sog. Vorreformatoren gefeierte
Bischof von Worms. Matthäus v o n K r a k a u. — Am 21 . August, dem
Tage nach Wenzels Absetzung, setzten die Kurfürsten nach Rense über
und wählten dort Ruprecht (1400 — 1410) zum König.2) Drei Tage
später meldeten sie Wenzels Absetzung und Ruprechts Wahl dem Papste
und baten um seine Approbation. Bonifaz IX. mochte erwarten, dafs
Ruprecht tatkräftiger als Wenzel in der Kirchenfrage zu Roms Gunsten
einschreiten würde. Gegen das Versprechen, sich in der Schismafrage
ganz an seine Politik anzuschliefsen, erbot er sich zur sorgsamen Prüfung
der Wahlvorgänge. Offenbar wollte er zuwarten, bis Ruprecht in Deutsch-
land allgemein anerkannt sei.3) Für die grofsen Fragen, deren Lösung
der König übernommen hatte, fehlte diesem weniger der gute Wille als
die entsprechenden Mittel. Erst am 26. Oktober 1400, nachdem er
6 Wochen und 3 Tage vor den Mauern gelagert — öffnete ihm Frankfurt
die Tore und leistete die Huldigung. Solange hatte es noch auf einen
Umschwung zu Wenzels Gunsten gewartet. Aachen verweigerte ihm
vollends den Eintritt. Daher wurde seine Krönung erst am 6. Januar 1401
in Köln vollzogen. Leicht gewann er die übrigen rheinischen Städte,
schwerer die schwäbischen; am längsten standen der Xorden und Osten
1 Die Zeitgenossen sahen darin eine Verkürzung von Klemens. RA. IV, Xr.259, S.303.
a) Es wählten die drei geistlichen Kurfürsten aber mit vier Stimmen, weil dann,
wenn ein Kurfürst gewählt wird, seine Zustimmung als Stimme gilt.
3) RA. IV, 17.
Der böhmische Krieg. Galeazzo Visconti von Mailand. 439
des Reiches abseits. Auch die meisten Fürsten zögerten mit dem An-
schlufs. Ruprecht mufste seinen Gegner entweder mit Gewalt bezwingen
oder durch friedliche Mittel zum Verzicht auf die Krone bewegen oder
ihm endlich durch den Empfang der Kaiserkrone seine Anhänger ab-
wendig machen. Er betrat alle drei Wege nacheinander, aber alle mit
halben Mitteln und darum auch mit unbefriedigenden Ergebnissen. Den
Krieg gegen Böhmen begannen die bayrischen Herzoge in der Oberpfalz.
Im Norden Böhmens errang der Markgraf von Meifsen einige Erfolge.
Erst nach dem Übertritt Nürnbergs nahm Ruprecht den Kampf nach-
drücklicher auf, wogegen Wenzel Böhmens Grenzen im Norden und
Westen nach altem Brauch durch Verhaue und Grenzbefestigungen in
Verteidigungszustand setzte. 1) Darauf bedacht, mit Wenzel einen an-
nehmbaren Frieden zu schliefsen, um sich der Lösung der italienischen
Frage zuzuwenden, verlangte er von diesem Verzicht auf die Krone und
Huldigung, wogegen er ihn gegen jedermann, der ihm die Krone streitig
mache — gemeint war Sigmund — verteidigen würde. 2) Da Wenzel
darauf nur eingehen wollte, wenn ihm Titel und Würde eines römischen
Kaisers verblieben, zerschlugen sich die Verhandlungen. Während Ruprechts
Sohn Ludwig mit Erfolg im Westen Böhmens, »im Lande vor dem Walde«,
operierte, drangen die Meifsner und die Truppen des böhmischen Herren-
bundes, der sich wie auch die Markgrafen Jost und Prokop an Ruprecht
angeschlossen hatte, bis in die Nähe von Prag ; kaum hatte der Herren-
bund aber seine nächsten Ziele — die Einsetzung eines Regentschaftsrates —
erreicht, schlofs er mit Wenzel Frieden, und den Markgrafen blieb nichts
übrig, als diesem Beispiel zu folgen. Die Meifsner mufsten die eroberten
Gebiete räumen. So endete der unter guten Auspizien begonnene Feldzug
ohne Ergebnis. 3) Die Schuld daran trug Ruprecht, der, in seine italieni-
schen Pläne vertieft, es verabsäumt hatte, seine volle Kraft einzusetzen.
2. In Italien hatte Ruprechts Wahl bei allen Gegnern Galeazzo
Viscontis Anklang gefunden. Galeazzo hatte 1385 seinen Oheim Barnabö
und dessen Söhne verdrängt. Er hatte bisher eine friedliche Rolle
gespielt. Seit er aber die Herrschaft seines Oheims mit seiner eigenen
vereinigt hatte, trat er als Eroberer auf, und Mailand bildete nun eine
ständige Gefahr für die benachbarten Signorien, die freilich durch ihre
Zwietracht sein Aufwärtssteigen beförderten. Mit Francesco di Carrara
stürzte er die Scaliger in Verona und Vicenza (1387), verbündete sich
dann (1388) mit Venedig gegen Carrara und erhielt aus deren Besitz
Padua, Belluno, Feltre und Valsugana, während das Gebiet von Treviso
an Venedig kam. Doch gewann der jüngere Francesco von Carrara
Padua 1389 zurück. Da Galeazzo bei weiterem Vordringen nach Osten
mit Venedig in Streit geraten mufste, wandte er seinen Blick auf das in
kleine Staaten zersplitterte Toskana, kämpfte im Bunde mit den Häusern
Gonzaga und Este 1390 gegen das von Florenz unterstützte Bologna und
sicherte im Frieden von 1392 seine Eroberungen. Nachdem er von
*) S. meinen Aufsatz »Der Grenzwald. Böhmens« in MVGDB. XX, 77.
2) Diese und die übrigen Bedingungen RA. Nr. 340.
3) Ludolf v. Sagan, S. 431. Andere Belegstellen bei Höfler, S. 222.
440 Die Romfahrt Ruprechts and ihr Ausgang.
Wenzel (1395) die Herzogswürde erhalten (s. oben), fafste er den Erwerb
von Genua ins Auge, geriet darüber aber mit Frankreich in Streit, das
nun mit Florenz und Bologna, dem Markgrafen von Ferrara und den
Herren von Padua ein Bündnis sehlofs und sich in den Be>itz von Genua
setzte. Galeazzo führte den Krieg nicht ohne Erfolg; der Anschlufs
Venedigs an seine Gegner zwang ihn aber zu einem Waffenstillstand auf
zehn Jahre. Nun richtete er seine Pläne wieder auf Toskana. Pisa und
Siena kamen in seine Gewalt (1399 1: im Januar 1400 erkannte auch
Perugia seine Herrschaft an. Sein nächstes < >pfer sollte Florenz sein;
und die Florentiner waren es nun. die sich, wie Venedig und Franz von
Carrara, an Ruprecht wandten und ihm reiche Geldsummen zur Ver-
fügung stellten, wenn er noch 1401 zu Felde zöge. Da auch von andern
Seiten Aufforderungen an ihn gelangten, welche die Herstellung der
Kaisermacht zum Ziele hatten1), so kam die Frage des Römerzuges auf
dem nächsten Reichstage zur Sprache, und Ruprecht suchte nach allen
Seiten Anknüpfungspunkte : in der Schweiz, in England. Aragonien und
selbst in Frankreich.-) Von besonderer Wichtigkeit war es. dafs er die
Unterstützung Österreichs gewann, wiewohl dieses noch ein Jahr zuvor
ein Bündnis mit Galeazzo abgeschlossen hatte. Mitte September 1401
setzte sich das Heer von Augsburg aus in Bewegung. Es zählte ur-
sprünglich 15000 Berittene. Da die Mittel zu seiner Unterhaltung
fehlten und die Florentiner erklärten. Hilfsgelder erst zu leisten, wenn
das Heer den Boden Italiens betreten hätte, wäre es vorteilhafter gewesen,
den Feldzug aufzugeben ; aber Ruprecht wollte die bereits aufgewendeten
Mittel nicht verlieren; er entliefs ein Drittel und zog in langsamen
Märschen nach Süden, indes Galeazzo die ihm hiedurch gegönnte Frist
ausnützte und ein Heer zusammenbrachte, das, besser gerüstet als das
deutsche, auch in seiner Treue zuverlässiger war. Von Trient zog
Ruprecht bis vor Brescia; hier erlitten die Deutschen am 24. Oktober durch
eine im Hinterhalt liegende Reiterschar der Mailänder grofse Verluste.
Eine eigentliche Schlacht fand aber nicht statt. Da Brescia nicht, wie
man hoffte, durch Verrat fiel, weil Galeazzo eine Verschwörung daselbst
noch im Keime erstickte, die Stadt auch zu stark war, als dafs sie im
Sturm genommen werden konnte, der König sich übrigens in keine
lange Belagerung einlassen wollte, fafsten die deutschen Fürsten den
Entschlufs, nach Hause zu ziehen. Der König brach das Lager ab und
zog sich nach Trient zurück. So war der Römerzug schon in seinen
Anfängen gescheitert. Ruprecht entliefs den gröfsten Teil seines Heeres ;
mit dem Reste zog er durch das Pustertal nach Friaul und Padua, wo
er den Winter zubrachte. Er machte den Versuch, neue Bundesgenossen
zu werben, aber die Venetianer hielten sich zurück. Ihr Bestreben war
es, einen allgemeinen Frieden in Italien herzustellen. Da schliefslich auch
der Papst für die Anerkennung Ruprechts zu schwere Bedingungen
stellte, kehrte der König, einem Besiegten gleich, >;ohne Heer und ohne
Geld, ohne Krone und ohne Ehre« in die Heimat zurück.
1 RA. IX, Nr. 261.
2j Nr. 258—263.
Die zweite Gefangennahme Wenzels und die Pläne Sigmunds. 441
§ 10*2. Ruprecht und die Luxemburger von 1401—1406.
Der Maribacher Bund.
Hilfsschriften s. oben. Dazu: Pelzel, Dipl. Beweise, dai's K. Wenzel nicht drei-
mal, sondern nur zweimal gefangen wurde. Abh. einer Privat-G es. in Böhmen IV, 18—50.
Zum Maibacher Bund findet sich das urk. Material in RA. V, VI. S. auch Schmitz,
Der Fürstentag zu Frankfurt 1409. H.Tb. XVI. Friedländer, Zur Gesch.. des Marb.
Bundes. Giefsen 1893. Gerits, Z. G. d. Erzb. Job. III. von Mainz. Diss. Halle 1882.
Fester, Markgr. Bernhard I. v. Baden. Karlsruhe 189(3.
1. Der unglückliche Ausgang der Romfahrt wirkte auf Ruprechts
Stellung in Deutschland nachteilig ein. Der Reichsverweser Pfalzgraf
Ludwig war aus Mangel an Erfahrung und Mitteln aufserstande, die
Ordnung aufrecht zu erhalten. Nach langem Zwiste fanden sich die
Luxemburger in dem Bestreben zusammen, ihre alte Machtstellung wieder
zu erwerben. Bereits im November 1401 hatte Galeazzo Wenzel zur
Romfahrt aufgefordert und ihm seine Heeresmacht zur Verfügung gestellt.
Jetzt schlofs sich Wenzel eng an Sigmund an, verlieh ihm aufs neue
das Reich svikariat (1402, 4. Februar) und ernannte ihn zum Verweser
in Böhmen. Wenn sich Wenzel auch die königliche Würde im Reiche
und in Böhmen vorbehielt, so sollte er doch in allen Dingen an den
Rat seines Bruders gebunden sein. Dieser wurde sonach der wahre
Beherrscher Böhmens. x) Schon teilt er Galeazzo seine Absicht mit, ver-
eint mit Wenzel in Italien zu erscheinen. 2) Die Grenze gegen Bayern
sollte durch den Markgrafen Prokop gesichert werden. Aber die guten
Beziehungen zwischen Wenzel und Sigmund hatten keinen Bestand.
Ein heftigerer Zwist als der frühere brach aus. Im Einverständnis -mit
den hervorragendsten Landesbaronen liefs Sigmund den König verhaften
und nach dem Hradschin abführen (1402, 6. März). Auch diesmal standen
der niedere Adel und das Bürgertum zu Wenzel. Dagegen suchte Sig-
mund seine Beziehungen zu auswärtigen Mächten enger zu knüpfen,
drückte die gegnerische Bewegung in Böhmen nieder, nahm Prokop
gefangen und führte Wenzel nach der oberösterreichischen Burg Schauen-
burg. Er hatte, woran man mit Unrecht zweifelt, die Absicht, ihn zur
Kaiserkrönung nach Italien zu führen. Um die Habsburger zu gewinnen,
erneuerte, er die alten Erbverträge mit ihnen, versprach, im Falle er ohne
männliche Erben stürbe, Ungarn einem der drei Herzoge, Wilhelm,
Albrecht IV. oder Ernst zu vermachen, entzog seinem Vetter Jost, der
sich in Verhandlungen mit Ruprecht eingelassen hatte , die ihm den
Besitz Böhmens verschaffen sollten, die Nachfolge in Ungarn, bestimmte
auf dem Prefsburger Reichstage (1402, 24. September) Herzog Albrecht
zu seinem Nachfolger und verschaffte ihm die Zustimmung der ungarischen
Stände. Wenzel war mittlerweile an die Herzoge von Österreich aus-
geliefert worden und wurde zu Wien in einer leichten Haft gehalten.
*) So icollen wir . . . unser m bruder genzlich gehorsam sein u. unsere sacken nach
seinem rat . . . volfürn, beide, in dem hl. reich u. dem kunigreich zu Behem, doch in
sulcher weis u. masse, dafs wir herre und bey unsern ivürden bleiben. So auch Sig-
mund an Galeazzo. KA. Y, 189. Über Wenzels Absichten auf die Kaiserkrone ebenda S. 196.
2) RA. V, 189 ff.
442 Zerwürfnisse unter den Luxemburgern.
Wenn es Sigmund mit Wenzels Kaiserkrönung auch ernst war : sein
Plan konnte nicht mehr ausgeführt werden, da Galeazzo bereits am
3. September 1402 starb. In Böhmen erzielte Sigmund grofse Erfolge.
Mit den durch die Verpfändung der Neumark an den Deutschen Orden
gewonnenen Mitteln warb er ein Heer, unterwarf Kuttenberg und
bemächtigte sich der dort aufgehäuften Schätze Wenzels. Aber mitten
unter solchen Erfolgen in Böhmen gewann es den Anschein, als sollte
ihm Ungarn verloren gehen. Im Süden dieses Landes hatte sich die
angiovinische Partei erhoben und Ladislaus am 5. August 1403 in Zara
zum König von Ungarn gekrönt. Über die Parteinahme Bonifaz' IX.
für Ruprecht und Ladislaus erbittert, entzog Sigmund dem Papste alle
Einkünfte in Böhmen und warf hierauf den ungarischen Aufstand nieder.
Inzwischen war aber Wenzel seiner Haft entkommen. In Böhmen
freudig empfangen, versöhnte er sich mit den mährischen Vettern und
entzog Sigmund die Regierung. Dieser erklärte an die österreichischen
Herzoge, denen er die Schuld an Wenzels Entkommen beimafs, den
Krieg, liefs sich aber durch das Versprechen, ihm gegen Wenzel Hilfe
zu leisten, wieder beschwichtigen (1404, April). Die Verbündeten
begannen den Kampf mit einem Angriff auf Mähren ; als aber Albrecht IV.
starb (14. September), schlössen seine Brüder einen Waffenstillstand und
schliefslich einen Frieden und ein förmliches Bündnis (1405, Februar)
mit Wenzel, der sich überdies auch noch durch ein Bündnis mit Polen
gegen Sigmunds Angriffe schützte. Der ungarische König mischte sich
nun fast ein halbes Jahrzehnt hindurch weder in die böhmischen noch
auch in die deutschen Angelegenheiten, wozu ihn die Drohung Wenzels,
ihm die Nachfolge zu entziehen oder Teile Böhmens zu veräufsern,
bewogen haben mag. Der Tod Prokops förderte die Herstellung der
Ruhe in Böhmen, denn indem Wenzel dessen Besitz Jost übertrug, er-
hielt er auch von dieser Seite die Versicherung kräftiger Unterstützung
und konnte nun daran denken , den Kampf gegen Ruprecht nach-
drücklich aufzunehmen.
2. Ruprecht, der das Scheitern des Römerzuges der kühlen Haltung
des Papstes und der geringen Unterstützung seiner italienischen Bundes-
genossen beimafs, berief noch von Italien aus einen Kurfürstentag nach
Mainz, um die Reichsangelegenheiten zu besprechen. Statt aber die
grofsen Zeitfragen in Beratung zu ziehen, wurde nur ein Münzedikt er-
lassen (1402, 23. Juni) und eine Landfriedensordnung für Franken fest-
gesetzt. Die Vermählung seines Sohnes Ludwig mit der englischen
Prinzessin Blanka führte keine Änderung in der bisherigen Politik her-
bei, dagegen legte die Haltung des Papstes ilim den Anschlufs an die
französische Kirchenpolitik nahe. Dadurch konnte er wenigstens eine
Stütze gegen Mailand erhalten, über dessen Fortschritte seine italienischen
Freunde Klage führten.1) Um der Schuldenlast, die er sich durch die
Romfahrt aufgeladen hatte, los zu werden, begehrte er nicht nur von
den Reichsstädten ausserordentliche Beiträge, sondern nahm auch die
l) RA. V, 285, 325.
Der Marbacher Bund. König Ruprechts Krönung. 443
Mitgift seiner Schwiegertochter in Anspruch, wofür er seinem Sohne
Reichsgüter verpfändete. Die Annäherung an Frankreich hatte jedoch
ein frühzeitiges Ende, und schon im Frühjahr 1403 kehrte er zur
römischen Obedienz zurück. Italienische Einladungen zu einer neuen
Romfahrt blieben zunächst im Hinblick auf sein Verhältnis zu den
Luxemburgern vergeblich ; dann aber zeigten sich schon die Ansätze der
Opposition jener Fürsten, denen er seine Wahl verdankte. Sie traten
mit Ludwig von Orleans, dem Verlobten von Wenzels Nichte Elisabeth,
in Beziehungen. Selbst Erzbischof Johann von Mainz findet sich unter
Ruprechts Gegnern; nur die rasche Entschlossenheit, mit der Ruprecht
den Markgrafen Bernhard von Baden demütigte, vereitelte ihre Pläne.
So nahm er den Gedanken an einen zweiten Römerzug wieder auf, wozu
ihm der Papst, der ihm endlich auch die Approbation gewährt hatte
(1403, 1. Oktober) den zehnten Teil aller geistlichen Einkünfte in Deutsch-
land bewilligte.1) Das italienische Unternehmen schien diesmal um so
aussichtsvoller zu sein, als mit Galeazzos Tode dessen Macht zusammen-
gebrochen war. Aber zuerst trat ihm der Streit mit Franz von Carrara
über den Besitz Veronas, dann die deutsche Opposition hindernd in den
Weg. Eine Anzahl von Fürsten, durch seine Hauspolitik in ihren
Interessen verletzt, schlofs am 14. September 1405 in Marbach einen
Bund auf fünf Jahre zu dem Zwecke, um alle Eingriffe des Königs in die
Rechte einzelner Bundesglieder abzuwehren.2) Als solche Eingriffe
wurden nun schon die Versuche des Königs, seine Macht zu festigen,
angesehen. In dem Briefe, der ihm den Abschlufs des Bundes meldet,
versichern sie ihn ihrer freundlichen Gesinnung, »so lange man sie bei
ihren fürstlichen Freiheiten und Rechten lasse«. Dem Reichstage zu Mainz
(20. Oktober), auf dem über ihre Beschwerden verhandelt werden sollte,
blieben sie fern ; den nächsten (6. Januar) wollten sie nur dann beschicken,
wenn sie der König »nur mit der Güte« ansprechen wolle. Die gegen-
seitige Aussprache führte aber nur zu gröfserer Verbitterung. Erst nach
langen Verhandlungen wurde ein Friede zwischen dem König und dem
Erzbischof Johann vereinbart (1407, Februar), wonach weder Ruprecht
noch der Erzbischof ohne Wissen der andern Bündnisse eingehen, der
Marbacher Bund nicht über die bestimmte Zeit hinaus verlängert, auch
keine neuen Bundesmitglieder aufgenommen werden sollten. Da Ruprecht
die geforderte Auflösung des Bundes nicht erreichte, bedeutete der
Friedensschlufs eine Niederlage des Königtums. Der Marbacher Bund
und das bisher bestrittene Bündnisrecht der Reichsstände hatte jetzt,
soweit Fürsten in Betracht kamen, in gewissem Sinne Anerkennung
gefunden.3) Die Lage des Königs wurde übrigens jetzt eine bessere.
Nachdem sich der Herzog von Geldern zu seiner Anerkennung bequemt
hatte, gab auch Aachen den Widerstand auf. Jetzt erst — am
14. November 1407 — wurde Ruprecht daselbst gekrönt. Wenzels
Versuche, Ruprechts Zerwürfnis mit dem Marbacher Bund zu seinen
*) S. 547.
2) Die Bundesurk. ebenda S. 750—61.
s) KA. VI, 103.
444 König Ruprecht und das Schisma.
Gunsten auszunützen, schlugen fehl, und die Stadt Rotenburg, die. von
Ruprecht in die Reichsacht erklärt, in ihrem Kampfe wider den Burg-
grafen von Nürnberg1) seine Hilfe nachgesucht hatte, mufste sich (1408,
Juli) unterwerfen. Dagegen gelang es Ruprecht nicht, Brabant ans Reich
zurückzubringen, wozu er sich bei seiner Thronbesteigung verpflichtet
hatte. Xach dem Tode Herzog Wenzels von Luxemburg hatte dessen
Witwe Johanna ihren Neffen Anton, den zweiten Sohn Philipps von
Burgund . an Sohnes Statt angenommen und als Erben von Brabant
huldigen lassen. Als solcher folgte er ihr trotz Ruprechts Einsprache
(1406) nach. Um den Herzog auf seine Seite zu ziehen, gab ihm König
Wenzel (1408) seine Nichte Elisabeth von Görlitz zur Ehe, verschallte
ihm das Herzogtum Luxemburg als Pfandbesitz und schlofs mit Burgund
und Brabant ein Bündnis gegen Ruprecht. 2) Noch einmal hatte Wenzel
Aussicht, den Sieg über seinen Gegner davonzutragen. Diesem galten
Bonifaz IX.. Innozenz VII. und Gregor XII. als die rechtmäfsigen Päpste.
In dieser Überzeugung wurde er durch die Gelehrten seiner Umgebung
und die Heidelberger Professoren bestärkt, die das Vorgehen der konziliaren
Partei für ein verwerfliches hielten. Ruprecht war demnach aus-
gesprochener Gegner der Kardinäle, die das Konzil nach Pisa aus-
geschrieben und den Kardinal Landulf von Bari in Konzilssachen nach
Deutschland gesandt hatten. Es gelang diesem nicht, den König zu
gewinnen. Dies Verhalten brachte Ruprecht in einen Gegensatz zur
Mehrheit der deutschen Fürsten, die, wie Mainz und Köln, den konziliaren
Ideen huldigten. Um so gröfseren Erfolg hatte Landulf in Böhmen.
Wenzel verbot, Gregor XII. als rechtmäfsigen Papst anzuerkennen und
versprach, sich den Konzilsbeschlüssen zu fügen. Dagegen gelobte
Landulf namens der Kardinäle, dafs er vom Konzil als römischer König
anerkannt würde. Ruprecht blieb trotzdem seiner Haltung treu : er
forderte Fürsten und Städte auf, sich an Gregor XII. zu halten, und erhob
Einspruch gegen die von den Kardinälen berufene Versammlung (s. § 103).
Das Konzil erkannte dagegen Wenzel als römischen König an und gab
seinen Gesandten den Vortritt vor den andern. Ruprechts Vorgehen
mufste ihm im Reiche zu den alten noch neue Gegner schaffen, da sich
die Mehrheit der Fürsten für die Haltung des Konzils entschied. Wieder
regten sich seine alten Feinde, und es drohte zu einem Kriege und
diesmal auch zur Einmischung Frankreichs zu kommen. Da starb
Ruprecht am 18. Mai 1410 auf seinem Schlosse Landskron bei Oppenheim.
§ 103. Das Konzil von Pisa (1409).
Quellen. Über Quellensauiuilungen s. Hefele-Knöpf ler VI, 992. RE2. Potth. Iy 338.
Sie sind in vier von Anhängern der Konzilspartei und Ohrenzeugen veranstalteten
Sammlungen enthalten. Concilium Pisanum universale in Harduin YHI, 5 ff., Mansi
XXYI, 1136 ff., Labbe XV, 1127—1152. Fomia servata in celebratione concilii etc.
Harduin 46 ff., Mansi 1184, Labbe 1176. Acta concilii Pisani ex MS. Vindob. Mansi
XXVn, 115, Labbe XV, 136, v. d. Haardt II, 90. Mansi XXVII, 358 ff. Martene et
1 Die Materialien hierüber ebenda 8. 174. Urkk. S. 208 ff.
2) Ebenda S. 342.
Versuche der Kardinäle zur Beilegung des Schismas. Äilli's Thesen. 445
Durand. Vet. Scr. ampl. Coli. VII u. Conciliuni Pisanum super electione unici summi
pontificis celebratum ex Historia Karoli VI regia Francorum a naonacho Sandiönysiano.
Mansi XXVII, 1—10, Harduin 115-120, Labbe 1248. Von kl. Quellen: Bonifatius
Ferrers Traktat, ed. Martene et Durand. Thes. II, 1436 mit Aillis Gegenschrift : Apologia
concilii Pisani, ed. Tschackert, Append. 31. Die von Mansi XXVJULi gesammelten örkk.
und Notizen. Rayn. Ann. Eccl. DKA. VI. Geschichtschreiber wie oben § 96.
Hilf s schrif te n : Maimbourg, Hist. du grand Schisme d'Occident. Lenfant,
Histoire du Concile de Pise. 2 Bde. Amsterd. 1724 — 1727. Hefele, Christophe,
wie oben. Wessenberg, Die grofsen Kirchenversammluhgen des 15. u. 16. Jahrh.
2. Bd. Konst. 1840. Räumer, Die Kirchenversammlungen von Pisa, Kostnitz u. Basel.
HT. NF. X. Sauerland, Gregor XII. v. s. Wahl bis zum Vertrag von Marseille. HZ.
XXXII. — Kard. Joh. Dominiei u. s. Verhalten zu den kirchl. Unionsbestrebungen
1406 — 1415. ZKG. IX, X. Hof ler, Ruprecht v. d. Pf., wie oben. Kötzschke,
Ruprecht v. d. Pfalz und das Konzil zu Pisa. Jena 1889. Erler, Florenz, Neapel und
das päpstl. Schisma. HT. 1889. — Z. G. d. pis. Konz. Progr. Leipz. 1884. Schmitz, Zur
Gesch. d. Konz. v. Pisa 1409. RQSchr. IX, 1895. Stuhr, Die Organisation und Ge-
schäftsordnung des Pisaner u. Konst. Konzils. Schwerin 1891. Rofsbach, Das Leben
Carvajals und das schism. concil. Pisanum. Diss. 1892. Befs, Gerson u. d. kirchenpol.
Parteien Frankreichs vor d. Konz. zu Pisa. Diss. 1890. Meister, Das Konzil von
Cividale. HJb. XHI. Schmitz, Die Quellen z. Gesch. d. Konz. v. Cividale. RQSch. VIEL
Zimmermann, Die kirchl. Verfassungskämpfe im 15. Jahrh. 1882. Die allg. Werke
wie oben.
1. Während die Kardinäle beider Obedienzen von Pisa aus neue
Einladungsschreiben aussandten, versuchten sie es noch einmal, freilich
vergebens, beide Päpste zur Zession zu bewegen. Dafs Kardinäle gegen
den Papst ein allgemeines Konzil ansagten, die Verfassung der Kirche
demnach nicht eine streng monarchische, sondern eine repräsentative
sein sollte, fand keineswegs überall Billigung1), aber die Mehrheit der
Gläubigen sah in dem Drange nach Beendigung des Schismas über
kanonistische Bedenken hinweg, von den" Universitäten vornehmlich
Bologna und Paris, von den Gelehrten Ailli und Gerson. Bologna gab
ein Gutachten in diesem Sinne ab , und mit ihrem stimmte das Urteil
der französischen Theologen überein. Auf der Provinzialsynode von Aix
(1409, 1. Januar) und etwas später zu Taraskon stellte Ailli eine Reihe
antipäpstlicher Thesen auf.2) Im gleichen Sinne schrieb er seine Schrift
„über das Konzil." Den 29. Januar begann Gerson seinen Traktat y>von
*) Hefele VI, 920.
2) Die wichtigsten sind: Haupt der Kirche ist Christus. In der Einheit mit ihm,
nicht notwendig in der Einheit mit dem Papste, besteht die Einheit der universalen
Kirche. Auch ohne Papst bleibt sie Eine: denn wo immer sich zwei oder drei in
Christi Namen versammeln, ist er unter ihnen. Auch nach natürlichem Rechte. Da jeder
Körper der Trennung widerstrebt, hat die Kirche diese Gewalt und hat. sie geübt und
Konzilien abgehalten, ohne dafs der Papst den Vorsitz führte. Wenn dies Recht
später beschränkt wurde, ist es deswegen nicht aufgehoben. Daher kann die Kirche
auch jetzt in gewissen Fällen ein allgemeines Konzil berufen, 1. bei Sedisvakanz,
2. wenn der Papst dem Wahnsinn oder der Ketzerei verfällt oder sonst untauglich wird,
3. wenn er die verlangte Berufung beharrlich verweigert und -4. wenn mehrere Präten-
denten um das Papsttum streiten. Ailli fafste aber nicht die sofortige Absetzung der
beiden Päpste ins Auge. Sie sollen gehalten sein, ihre Zession selbst anzubieten, und
erst wenn sie diese verweigern, darf das Konzil zur Neuwahl schreiten. Diese empfiehlt
sich nur dann, wenn es sicher ist, dafs die ganze Christenheit oder ihr gröfster Teil
ihr beistimmt und die Obedienz der beiden Prätendenten aufhebt, denn sonst würde
zum alten ein neues Schisma kommen.
446 Gersons Traktat v. d. Einheit der Kirche. Das Pisaner Konzil.
der Einheit der Kirche«.1) Er widerlegt die Bedenken gegen die Zession
und die Versammlung eines Konzils ohne Autorisation des Papstes.
Falls viele Anhänger des einen oder des andern Papstes eine Neuwahl
nicht anerkennen würden, sei sie zu unterlassen und Anstalt zu treffen,
dafs nach dem Tode des einen der Prätendenten keine Neuwahl statt-
finde, denn es sei besser, den Frieden später als gar nicht zu erhalten.
Gerson empfiehlt übrigens die Union mit einer Reformation der Sitten
in allen Gliedern der Kirche einzuleiten. Die Winke der beiden bezüg-
lich der Neuwahl wurden vom Konzil weniger berücksichtigt als die von
ihnen aufgestellten Prinzipien. Gersons Haltung war wie die Aillis eine
versöhnliche.2) Ob das Konzil den heifs ersehnten Frieden bringen
werde, war zweifelhaft, denn noch gab es Mächte, die, wie Florenz,
Venedig, Siena, Karl Malatesta von Rimini, König Sigmund, für eine
Vergleichung der streitenden Parteien stimmten. Aber ihre Pläne fanden
nicht die Zustimmung der Kardinäle, die das Erscheinen der Päpste
vor dem Konzil und Verzicht auf ihre Würde verlangten. Andere
Kreise arbeiteten dahin, immer mehr Anhänger für die Obedienzent-
ziehung zu gewinnen und so beide zur Nachgiebigkeit zu zwingen. Diese
selbst waren bemüht, die öffentliche Meinung gegen die Kardinäle auf-
zuregen. Die letzteren wünschten die Unterstützung des römischen
Königs, damit er, wie Otto I. die kirchliche Ordnung herstelle. Hein-
rich IV. von England mahnte Ruprecht an seine Pflicht, als Vogt der
Kirche für die Herstellung der kirchlichen Einheit zu wirken. Wiewohl
Ruprecht bei seiner Wahl hierüber Versprechungen gemacht hatte, hielt
er an Gregor NIL fest; von dem Verhalten der Kardinäle erwartete er
höchstens eine Verschärfung des Schismas. Mittlerweile hatte Gregor XII.
den von ihm abgefallenen Kardinälen Verzeihung verheifsen, falls sie binnen
30 Tagen zu ihm zurückkehren würden. Als dies nicht geschah, wurden
.sie in den Bann gelegt und mit Verlust ihrer Würden bestraft. Kurz
zuvor hatte auch Benedikt XIII. mit seinen Kardinälen endgültig gebrochen,
nicht ohne sie gewarnt zu haben, eine neue Papstwahl vorzunehmen.
2. Am Feste Maria Verkündigung (25. März) wurde das Konzi] im
Langschiffe des Domes zu Pisa eröffnet, Die Kardinäle beider Obedienzen
waren nahezu vollzählig anwesend. Man zählte zur Zeit der höchsten
Frequenz 24 Kardinäle, 4 Patriarchen, 12 Erzbischöfe, 80 Bischöfe, 87 Äbte,
die zahlreichen Vertreter der abwesenden Bischöfe und Abte, Prioren
und Generale der einzelnen Orden, Vertreter der Universitäten, von
mehr als 100 Domkapiteln, 300 Doktoren der Theologie und Gesandte
fast aller Staaten des Abendlandes. In der ersten Sitzung predigte der
Kardinal von Mailand »über die Schuld der beiden Päpste und die Not-
wendigkeit eines allgemeinen Konzils«. Da beide Päpste weder selbst er-
schienen waren noch Vertreter gesandt hatten, wurden sie (dritte Sitzung)
für hartnäckig erkannt und die Kardinäle, die noch auf ihrer Seite
1 Analyse bei Schwab, 223 ff.
a) Dieselben Grundgedanken kehren in seiner Schrift »von der Absetzbarkeit des
Papstes« (de auferibilitate papa) wieder, die er während des Konzils geschrieben hat.
Vorladung der Päpste. Ihre Absetzung. 447
standen, vorgeladen. Arn 10. April erschien Karl Malatesta, der Schützer
Gregors ; Gesandte Ruprechts hatten zuvor noch mit diesem verhandelt ;
er weigerte sich, in Pisa zu erscheinen, weil die Florentiner seine Gegner
seien, und verlangte Verlegung des Konzils an einen andern Ort. In der
vierten Sitzung brachten die deutschen Gesandten 24 Bedenken J) gegen
das Vorgehen der Kardinäle vor, verlangten Verlegung des Konzils an
einen andern Ort, wo Gregor XII, erscheinen müfste, widrigenfalls ihm
der König die Obedienz entziehen würde. Darauf ging das Konzil nicht
ein, und die Gesandten verliefsen Pisa (21. April), nachdem sie gegen
das Vorgehen der Pisaner Berufung eingelegt hatten. Die Kardinäle
machten wiederholte Versuche, Malatesta auf ihre Seite zu bringen, er
sollte den Papst bestimmen, nach Pisa zu gehen und seinem Versprechen
nach zu resignieren. Dieser erklärte aber bestimmt, sich an keinen Ort
des Florentiner Gebiets zu begeben. In der fünften Sitzung wurde eine
Denkschrift über die Entstehung und den Fortgang des Schismas vor-
gelegt, in den folgenden drei Sitzungen der Standpunkt des Konzils
verteidigt und in der neunten bis zur fünfzehnten der Prozefs gegen die beiden
Päpste verhandelt. Während der Verhandlungen wurde (29. Mai) durch
den Pariser Magister Pierre Plaoul die Erklärung abgegeben, dafs d i e
Kirche über dem Papste stehe. Der Urteilsspruch gegen beide
Päpste erfolgte in der fünfzehnten Sitzung (5. Juni) : Petrus de Luna
und Angelo Correr wurden als notorische Schismatiker und Häretiker
ihrer Würde entsetzt, die römische Kirche als vakant und alle von
beiden gegen die Kardinäle geschleuderten Sentenzen, auch ihre jüngsten
Kardinalsernennungen für null und nichtig erklärt. Am 10. und 13. Juni
geschahen die Vorbereitungen zur Neuwahl. Einstimmig erklärten die
Kardinäle, falls einer von ihnen gewählt würde, das Konzil nicht aufzu-
lösen, ehe die notwendige Reform an Haupt und Gliedern erfolgt
sei. Würde ein anderer gewählt, so würde von ihm vor Verkün-
digung der Wahl das gleiche Versprechen verlangt werden. Nur ein
solcher solle Papst werden, den beide Kollegien entweder einstimmig
*) S. auch RA., VI., 334, 497, die Bedenken im Einzelnen bei Hefele-Knöpfler
VI., 999. Ihre Einwendungen bezogen sich hauptsächlich auf die Frage, ob die Kar-
dinäle, nachdem sie den Papst als rechtmäfsigen Inhaber des päpstlichen Stuhles
anerkannt hatten, ihm den Gehorsam entziehen konnten, ob sie ein allgemeines Konzil
berufen dürfen, da sie keine Autorität dazu haben, oder wie sich zwei Kollegien, von
denen das eine das wahre und legitime, das andere das falsche und illegitime sei, zu
einem einzigen vereinigen und das eine dem andern Recht und Macht geben könne,
einen Papst zu wählen. Die Widerlegung dieser Einwendung hatte der Rechtsgelehrte
Pietro d'Anchorano ausgearbeitet und in der 7. Sitzung vorgetragen. Seine scharf-
sinnigen Erörterungen vermochten doch nicht alle Bedenken zu zerstreuen. Das Konzil
antwortete, dafs man bei einem solchen Schisma den Gehorsam nicht blofs versagen
könne, sondern müsse, zumal Gregor XII. seiner Handlungsweise nach nicht nur als
Schismatiker, sondern auch als Ketzer betrachtet werden müsse. Wenn ein allgemeines
Konzil berufen werden mufs und der Papst es nicht berufen kann oder will, ist es
Pflicht der Kardinäle, es zu berufen. Die Mitglieder beider Kollegien könnten sich
mit Recht zu einem einzigen vereinigen, um die Einheit der Kirche herzustellen. In
diesem Falle dürfe man selbst mit Exkommunizierten und Schismatikern in Verbin-
dung treten.
448 Die Wahl Alexanders V. Ergebnisse des Konzils.
oder mit Zweidrittelmehrheit wählen. Zugleich wurden die Kardinäle
zur Vornahme der Wahl legitimiert. Am 15. Juni traten sie zum Kon-
klave zusammen. Tags zuvor waren Gesandte Benedikts XIII. und
Aragoniens erschienen, wagten aber bei der Stimmung des Volkes nicht,
ihre Aufträge zu vollziehen. Unter den Kardinälen genofs der Erzbischof
von Mailand, Peter Philarghi, grofses Ansehen. Von Geburt kandioti-
scher Grieche, vereinigte er die Stimmen der Wähler zum guten Teil auch
aus dem Grunde auf sich, weil man von ihm die Vereinigung der grie-
chischen und lateinischen Kirche erwartete. Er nannte sich Alexander V.
(1409 — 1410). Er versprach im gesäumte Durchführung der Reformation-
und verlangte die Wahl eines Ausschusses der gelehrtesten und tüch-
tigsten Männer aller Xationen, um mit den Kardinälen die Sache zu
beraten, erklärte aber bereits in der 23. Sitzung (7. August), die Refor-
mation wegen der Abreise vieler Prälaten nicht durchführen zu können ;
daher verschob er sie mit Zustimmung der Versammlung auf das nächste
Konzil. So schlofs die Synode ; die abendländische Kirche hatte drei
Päpste aber keine Reform. Xur einige Anträge, die eine Milderung der
schweren kirchlichen Auflagen und eine Erweiterung der durch die
Päpste beschränkten bischöflichen Jurisdiktionsrechte betrafen, fanden
Berücksichtigung. Im Augenblick konnte wohl auch nicht mehr ge-
schehen, denn die Reform bedurfte grofser Vorbereitungen; um diese
ins Werk zu setzen, wurde schon jetzt der Befehl erteilt, dafs alle Diö-
zesen , Kirchenprovinzen und Orden , entsprechende Gutachten ein-
reichen sollten.
3. Kapitel.
König Sigmund und das Konzil yon Konstanz.
§ 104. Die Wahl Sigmunds. Die Belehnung der Hokenzollerii mit
Brandenburg'.
Vrkk. u. Korresp. : Altinann, Regesta imp. XI. Die Lrkk. Kaiser Sigmunds.
2 Bde. Iimsbr. 1896 — 1900. Die ungar. Urkk. in Fejer Cod. dipL Hungariae. Für Polen:
Cod. epist. Yitoldi, ed. Prohazka, Krakau 1882, und der Liber cancell. Stanisl. Ciolek,
ed. Caro, Arch. f. öst. Gesch., XLV und LH. J. Caro, Aus der Kanzlei Sigmunds.
AÖG. LIX. Brefslau, Regg. Sigismunds. Forschung. XYffl. Bd. DRA. unter K. Sig-
mund, ed. Kerler, Herre und Beckmann. München 1878—1901. RA. Bd. VII— Xu/
Janssen, Frankfurts Reichskorresp. I, S. 154 — 269, wie oben. Weiteres s. unten § 107,.
112 und 115.
E r z ä h 1 e n d e Q u e 1 1 e n : Städtechroniken wie oben. Dazu : Eberhart Windeckes
Denkwürdigkeiten zur Gesch. des Zeitalters K. Sigmunds. Herausgeg. von Altmann.
Berlin 1893. Lit. bei Potthast I, 1118 u. Lorenz LT, 294. Andreas v. Regensburg,
Chronic, pontiff. et imp. Romanor/ Conc. Const. und Diarium sexennale 1422 — 1427,
herausg. v. Leidinger, München 1903. Engelbert Wusterwitz, Märkische Chronik nach
Angelus und Hafftitz, herausgeg. v. Heidemann. Berl. 1878. Reicht von 1388 — 1425.
Lorenz II, 125. Dort die übrigen markischen Quellen.
Hilfsschriften: Aschbach, Gesch. Kaiser Sigmunds. 4 Bde. Hamburg
1838 — 1845. Lindner, Deutsehe Gesch. unter den Habsburgern u. Luxemburgern II.
St. 1893. Li n dn er, Kaiser Sigmund. A DB. XXXIV. Droysen, Gesch. d. preufs. Pol.
I. Bd. v. Bezold, König Sigmund u. che Reichskriege gegen die Husiten enth. auch
Reichsgesch. . Münch. 1872. Hub er, Gesch. Österr. II, Pala cky , Gesch. Böhmens LH.
Die politischen Parteien in Deutschland beim Tode Köni^- Ruprechts. 449
Fefsler-Klein, Gesch. v. Ungarn II. Csuday, Gesch. v. Ungarn I. S. auch noch
Hormayer, Ost. Plutarch. XVII. Einzelschriften: Sehr oll er, Die Wahl Sigmunds
zum röm. König. Breslau 1875. Kaufmann, Die Wahl etc. MVGDB. XVII. Quid de,
Konig Sigmund und d. d. Reich 1410—1419. 1. Abt. Die Wahl Sigmunds. Gott. 1881.
Schrohe, Die Wahl Sigmunds zum röm. König. MJÖG. XIX. Schwerdfeger,
Papst Johann XIII. u. die Wahl Sigismunds. Wien 1898. Finke, König Sigmunds
reichsstädtische Politik 1410—1418. Tüb. 1880. Dietz, Die pol. Stellung der deutschen
Städte. Giefsen 1889. B retholz, Zur Biographie Jodoks. ZGMährens III. Heuer,
Städtebundsbestrebungen unter Sigmund. Berl. 1887. T u m b ü 1 1 , Schwäbische Einigungs-
bestrebungen. MJÖG. X. Ch. Mayer, Der bayr.-österr. Krieg 1410 und die schwäb.
Städte. Forsch. XV, 131. W e i g e 1 , Die Landfriedensverhandlungen unter K. S. Halle 1884.
Wendt, Der deutsche Reichstag unter König Sigmund. Breslau 1 889. Kagelmacher,
Filippo Maria Visconti u. König Sigmund 1413—1431. S. dazu DZG. VH, 323. Zur Er-
werbung der Mark Brandenburg durch die Hohenzollern : Schwalbe, Die Übertragung
des Kurf. Brandenburg an Friedlich I. v. H. Progr. 1869. Heidemann, Die Mark
Brandenburg unter Jobst v. Mähren. Berlin 1881. Pr u tz, Preufs. Geschichte I. Stuttg 1900.
Priebatsch, Die Hohenzollern und der Adel der Mark HZ. 88, 193. Götze, Die Erwerb,
d. Mark durch d. Hohenzollern. Mark. Forsch. XV. Brandenburg, König Sigmund
und Kurfürst Friedrich I. V.Brandenburg 1409 — 1428. Berl. Diss. 1891. 0. Franklin,
Die deutsche Politik Friedrichs I. v. Brandenburg. Berl. 1851. v. Kl öden, Die Quitzows
und ihre Zeit. 3. Aufl. Berlin 1890. Riedel, Zehn Jahre aus der Gesch. der Ahnherren
des preufs. Königshauses. Berlin 1851. J. Voigt, Die Erwerbung der Neumark 1402 — 1457.
Berl. 1863. Ranke, Zwölf Bücher preufsischer Gesch. I (Werke XXV). Eberhard,
Ludwig III., Kurfürst von der Pfalz und das Reich.
1. Schroffer als bei der Wahl Ruprechts standen die Parteien in
Deutschland bei dessen Tod einander gegenüber. Zum politischen war
noch der kirchliche Gegensatz hinzu gekommen. Während Pfalz und
Trier auf Seiten Gregors XII. standen, waren Mainz und Köln Anhänger
des Konzilpapstes. Für Brandenburg und Sachsen galt Wenzel, dessen
Anhang durch die jüngsten Ereignisse gestiegen war, als rechtmäfsiger
König. Nachdem Heinrich IV. von England eine Thronbewerbung ab-
gelehnt hatte, wandte sich die mainz-kölnische Partei an den ihr von
Johann XXIII. (§ 105) empfohlenen König von Ungarn. Sigmund empfahl
sich als Mitglied des luxemburgischen Hauses, dem zwei Kurstimmen ge-
hörten und der schon seit 1396 den Titel eines Reichsvikars führte. Von
den ihm gestellten Bedingungen sagte ihm die am wenigsten zu, welche
die Ernennung des Reichsvikars von der Zustimmung der deutschen
Fürsten abhängig machte. Er lehnte sie daher ab (1410, 25. Juli). Nun
wandten sich Mainz und Köln an Jost. Dieser, ein habgieriger, gewissenloser
Fürst, »der grofse Lügner«, wie ihn Windecke nennt, im übrigen im
Besitz einer starken Hausmacht und reicher Geldmittel, ging ohne Zögern
auf die von Sigmund zurückgewiesenen Bedingungen ein und trat, um
die Mehrheit der Stimmen zu gewinnen, mit König Wenzel und Sachsen
in Unterhandlungen. Noch waren diese nicht abgeschlossen, als der
Wahltag erschien. Mittlerweile hatten sich auch Pfalz und Trier durch
den Burggrafen Friedrich von Nürnberg, der 1409 aus Ruprechts
Diensten in die Ungarns getreten war, an Sigmund gewandt. Indem
dieser Ruprechts Regierungshandlungen anerkannte und in der Kirchen-
frage eine tolerante Haltung einnahm, sicherten beide Kurfürsten ihm
(5. — 6. August) ihre Stimmen zu. Als die vier rheinischen Wähler am
1. September zur Wahl erschienen, waren die Verhandlungen der beiden
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 29
450 J°st von Mähren u. K. Sigmund v. Ungarn. Die "Wahl Sigmunds.
andern Kurfürsten mit Jost noch nicht abgeschlossen. Mainz und Köln,
noch immer geneigt, für Sigmund zu stimmen, verlangten nur den
Beitritt der Pfalz und Triers zur Pisaner Obedienz. Hier aber
fanden sie hartnäckigen Widerstand. Diese beiden drängten auf die
Vornahme der Wahl am 20. September. Um sie zu verhüten, belegte
der Mainzer das Wahllokal — die Bartholomäuskirche — mit dem
Interdikt. Da traten Pfalz und Trier hinter dem Hochaltar der Kirche
auf dem Kirchhofe zusammen, erkannten den Burggrafen von Nürnberg
als Bevollmächtigten des zur Kur berechtigten Markgrafen von Branden-
burg an und wählten Sigmund zum römischen König. Mainz und Köln
warteten auf die Boten Josts und Wenzels. Diese erschienen am
28. September. Da Wenzel erklärte , im Interesse der Einigkeit auf die
Krone zu verzichten, und seine Boten beauftragte, mit Mainz und Köln
zu stimmen, wurde Markgraf Jost von Mähren mit den Stimmen von
Mainz, Köln und Böhmen zum König gewählt (1. Oktober). Es war
sonach die kirchliche Frage, welche die zwiespältige Wahl hervorge-
rufen hatte. Beiden Wahlen fehlten die Vorbedingungen, sie zu einer
rechtsgültigen zu machen.1) Weder der eine noch der andere der Ge-
wählten machte einen Versuch, vom Reiche Besitz zu ergreifen. Erst als
Sigmund erwarten durfte, sich durch ein Übereinkommen mit Jost be-
haupten zu können, erklärte er, die Wahl anzunehmen.2) Für den
8. Januar ward eine Zusammenkunft beider in Ofen festgesetzt, sie fand
aber nicht statt, und Jost starb bereits zehn Tage später in Brunn. Nun
gingen auf die Mahnung Johanns XXIII. auch Mainz und Köln zu
Sigmund über und brachten auch Wenzel und mit diesem Rudolf von
Sachsen auf seine Seite. Am 9. Juli 1411 traf Sigmund ein Überein-
kommen mit Wenzel, nach welchem diesem die Kaiserkrone bestimmt
war; Sigmund sollte sich mit der Würde eines römischen Königs be-
gnügen, die Einnahmen aus dem Reiche unter beide geteilt und eine
Neuwahl zwar vorgenommen werden, doch so, dafs Sigmund König
bleibe. Die Neuwahl, gegen die sich Sigmund eine Zeitlang sträubte,
fand am 21. Juli 1411 statt, Er hielt sich übrigens an das ihm durch
die erste Wahl gegebene Recht und rechnete nach ihr die Jahre seiner
Regierung.
Sigmund war jetzt 44 Jahre alt, eine männlich schöne Erscheinung, >ein hübscher
Herre«, von ritterlichem, gewinnendem Wesen. Ohne literarische Neigungen, besafs
er eine ausgezeichnete Bildung, die Gabe eindrucksvoller Rede und sprach nicht
weniger als sieben Sprachen. Voll Ehrgeiz und Unternehmungslust, zeigte er in den
Geschäften unermüdliche Ausdauer. In den Kämpfen gegen die Türken hatte er
militärischen Ruf erlangt. Für politische und wirtschaftliche Fragen bekundete er
Interesse, und dem kirchlichen Notstand der Zeit kam er mit einem Eifer entgegen,
der die Bewunderung der Zeitgenossen erregte. Diesen blieben freilich auch die
schlechten Seiten seines Charakters nicht verborgen : in Ungarn klagte man über
seine Verschwendung und Grausamkeit, in Böhmen über seine Gewalttätigkeiten,
überall über seinen unmoralischen Lebenswandel, worin ihn übrigens seine zweite
Gemahlin, Barbara von Cilli, noch übertraf. Wiewohl er sich um die deutsche Krone
x) Schrohe, S. 481.
2) RA. Nr. 36, 37.
Charakteristik Sigmunds. Die Hohenzollern in Brandenburg. 451
lebhaft bemüht hatte, beschränkte sich seine Politik nicht auf Deutschland allein, viel-
mehr stellte er die Interessen Ungarns und in der Folge auch die Böhmens denen
Deutschlands voran. Gab er doch ein Land auf, auf welchem im Grunde seine in
Deutschland errungene Machtstellung beruhte, die Mark Brandenburg, deren Verlust
seine hussitischen Untertanen nimmermehr verschmerzt haben. x) Es ist aber doch
nicht zu übersehen, dafs er seine Stellung im Reiche in einer Weise auffafste, die
an die alten deutschen Kaiser erinnert. Er liebte es, als Haupt der Christenheit und
Schirmherr der Kirche zu erscheinen. Für die unleugbar grofse Idee der Herstellung
der kirchlichen Einheit hat er die schwersten Opfer gebracht und die beschwerlichsten
Fahrten unternommen.
2. Im Besitz jener Länder, die einen grofsen Teil des heutigen
Osterreich bilden, sah Sigmund in ihrer Vereinigung ein Gebot der
Notwendigkeit, um den Kampf gegen die Türken mit Erfolg aufnehmen
zu können. Nachdem er oft genug auf die Zusammengehörigkeit dieser
Länder hingewiesen, hat er auch auf ihre Vereinigung hingearbeitet.
Von diesem höheren Gesichtspunkt aus wird man die Entäufserung der
von seinem übrigen Ländergebiet weit entlegenen Mark Brandenburg zu be-
trachten haben. Sigmund und Jost fanden die Anarchie in diesem
Lande bereits in voller Blüte.2) Seit jener in die polnisch-ungarischen
Thronstreitigkeiten verwickelt wurde, hatte Brandenburg für ihn nur
noch als steuerzahlende Provinz und Pfand ob jekt bei der Aufnahme
von Darlehen eine Bedeutung. Noch ärger wurde es unter Jost; selbst
Mähren, das er 1375 von seinem Vater in blühendem Zustande über-
nommen hatte, bot bald ein Bild allgemeiner Gesetzlosigkeit dar. Nach
Josts Tode hatte Sigmund Brandenburg zurückerhalten. Eine Abord-
nung von Märkern schilderte ihm in Ofen die Lage der Mark, worauf
er ihnen eröffnete, dafs er den Burggrafen Friedrich VI. von Nürnberg
mit der Herstellung der Ordnung betraut habe. Am 8. Juli 1411 be-
stellte er ihn zum Verweser und obersten Hauptmann mit allen Rechten,
das Kurrecht ausgenommen, und verschrieb ihm als Beitrag für die Her-
stellung geordneter Zustände die Summe von 100000 ungarischen Gulden.3)
Hiedurch sollte Friedrich für seine baren Auslagen entschädigt und für
seine persönlichen Bemühungen entlohnt werden. Da zu erwarten stand,
dafs der stets geldbedürftige König diese Summe 4) niemals bezahlen würde,
war es aufser Zweifel, dafs der Burggraf schon jetzt begründete Aussicht
auf den dauernden Besitz des Kurlandes besafs. Der Chronist der Mark
begrüfst sein Erscheinen in der Mark mit den Worten: »Gott hat ihn
also von der Höhe hergesandt«.
Damit beginnt die welthistorische Mission des Hohenzollernschen Hauses. Die
Burggrafen von Nürnberg entstammen einem alten schwäbischen Geschlechte, das
nach seiner am Zollerberge 6), am westlichen Abhang der schwäbischen Alb, erbauten
1) Höfler, Gesch. d. hussit. Bew. I, 472. S. die V erteidigung dieser Mafsregel durch
Ludolf von Sagan, p. 516.
2) S. aufser Heidemann auch Droysen, Gesch. d. pr. Pol. I, 19 ff.
3) Regg. Nr. 58.
4) Die im folgenden Monat aus Anlafs der Verlobung Johanns, des ältesten
Sohnes des Burggrafen, mit einer Tochter Rudolfs von Sachsen noch erhöht wurde.
5) Engelbert Wusterwitz, S. 84.
6) Wahrscheinlich von Söller, die Höhe.
29*
452 Ältere Geschichte der Hohenzollern. Friedrich VI. (I.)
Stammburg benannt ist. Der Stammvater der Hohenzollern, Graf Burchard, starb 1061.
Sein Urenkel Friedlich I., mit der Gräfin Sophie von Raabs, der Erbtochter des Burg-
grafen Konrad II. von Nürnberg, vermählt, erhielt die Stammgüter dieses Hauses in
Österreich und Franken und wurde 1191 mit der Burggrafschaft Nürnberg belehnt.
Die Burggrafen hatten ihren Sitz in der kaiserlichen Pfalz daselbst ; die Stadt hatte
sich zwar schon früh von ihren Verpflichtungen gegen sie frei gemacht, aber die
Stellung der Burggrafen war auch ohne das bedeutend genug. Sie führten die Auf-
sicht über die zahlreichen Reichs- und die Erbgüter des staufischen Hauses und hatten
den Heer- und Gerichtsbann. Für sich selbst erhielten sie zunächst nur die Nutzniefsung
von einer Anzahl von Gütern und Einkünften, aber sie erwarben durch Kauf, Pfand-
und Erbschaft und nicht zuletzt auch durch Geschenke der Kaiser reichen Eigenbesitz.
Nach dem Tode des Meraniers Otto H. (1248), fiel ein Teil des meranischen Besitzes
an Ottos Schwestern, von denen eine mit dem Burggrafen Friedlich DU. vermählt war.
Als meranisches Erbe erhielten die Zollern Bayreuth und die Lehenshoheit über das
Land Regnitz mit der Stadt Hof. Seit 1227 waren sie in die zwei heute noch blühen-
den Linien geteilt. Ihr Ansehen, im raschen Aufschwung begriffen, war zwar kein
solches, dafs sie nach dem Ausgang der Staufer selbst die Hand nach der Krone
hätten ausstrecken dürfen, aber bei der zentralen Lage ihres Besitzes und ihren mannig-
fachen dynastischen Verbindungen vermochten sie doch immer bei deutschen Königs-
wahlen grofsen Einflufs auszuüben. So erwarb sich schon Friedlich DU. erst um die
Wahl Rudolfs von Habsburg, dann um die Begründung der Machtstellung des habs-
burgischen Hauses grofse Verdienste. Hielten die Zollern treu zum Reiche, so doch
nicht immer zu dem Geschlechte, das sich in dem Besitz des Reiches zu behaupten
suchte. Friedlich IV. stand auf der Seite Ludwigs des Bayers. Er erwarb durch
Kauf Ansbach. Die Macht seines Sohnes stieg durch den Anfall der Herrschaft
Plassenberg mit der Stadt Kulmbach. Er ist der erste Hohenzoller, der in nahe Be-
rührung zur Mark Brandenburg kam, wo er 1345 als Stellvertreter des Markgrafen
Ludwig das Amt eines Hauptmanns erhielt. Karl IV. bestätigte den Burggrafen (1363)
die fürstliche Würde und erteilte ihnen fürstliche Rechte ; allgemein wird den Burg-
grafen aber erst seit 1385 der Fürstentitel gegeben. v) Friedrich V. teilte 1398 seinen
Besitz derart, dafs Johann III. Bayreuth, Friedrich Ansbach erhielt. Die burggräflichen
Rechte und die Besitzungen in Österreich blieben gemeinsam. Stand jener auch nach
dem Umschwung der Dinge im Reiche im Jahre 1400 auf seiten Wenzels, so hielt
dieser zu König Ruprecht. Die Rotenburger Fehde s. oben) brachte ihn in grofse
Geldnot, was ihn bewog, in die Dienste König Sigmunds zu treten.
Friedrich VI. hatte nach seinem Erscheinen in der Mark (1412)
einen hartnäckigen, zwei Jahre währenden Kampf gegen den unbot-
mäfsigen märkischen Adel zu bestehen, der bisher unter der Führung
der Quitzow, Rochow und anderer jeder landesherrlichen Autorität
Trotz geboten hatte.2) Am 30. April 1415 verlieh Sigmund dem Burg-
grafen für seine erfolgreiche Teilnahme an den grofsen Angelegenheiten
der Kirche und des Reiches die Mark Brandenburg samt der Kur-
würde. Zwar wurde auch jetzt noch, um den König Wenzel zu beruhigen,
der Rückfall des Landes an das Haus Luxemburg vorbehalten, indem
aber daran die Bedingung geknüpft wurde, dafs in diesem Falle die
Schuldforderungen Friedrichs in der Höhe von 400000 Gulden beglichen
werden mufsten, war zu erwarten, dafs die Verleihung eine dauernde
sein würde. Die Belehnung erfolgte in feierlicher Weise in Konstanz
am 18. April 1417.
a) Ficker, Vom Reichsfürstenstand, S. 211.
- Dafs die landläufige Geschichtsschreibung das Bild von diesen Kämpfen
einigermafsen verschoben hat, s. bei Priebatsch, S. 205.
Das Papsttum, nach dem Konzil von Pisa. 453
§ 105. Das Schisma unter Alexander V. und Johann XXIII.
Das römische Konzil 1412 — 1413.
Quellen, s. oben. Schmitz, Die Quellen zur Gesch. d. Konz. v. Cividale.
RQSchrChrA. IV. Neues Aktenmaterial für die Jahre 1410 — 1414 findet sich in
der trefflichen Publikation Finkes, Acta concilii Constantiensis. 1. Bd. Akten zur Vor-
gesch. des Konst. Konzils 1410 — 1414. Münster 1896. Ebenso in dessen Forschungen
und Quellen zur Gesch. des Konstanzer Konzils. Paderborn 1889. Zum Konzil von 1413
s. d. Diarium des Antonius Petri bei Muratori XXIV, 1029. Palacky, Doc. mag. Joan.
Hus u. Loserth, Beiträge z. Gesch. d. hus. Bew. V. De Joanne XXIII., Murat. III, 12, 846.
Niem, Hist. de vita Johannis XXIII pont. Rom. v. d. Hardt II, p. 15, 365 — 410. Lib.
pontii"., ed. Duchesne IL Einzelne Dokumente zur Gesch. Johanns XXIII. s. in dem
Buch von Gozzadini (s. unten).
Hilfsschriften: Schwerdfeger u. Kage Imacher wieoben. Sauerbrei,
Die ital. Polit. K. Sigmunds 1410 — 1415. Diss. 1893. Gozzadini, Xanne Gozzadini e
Baldassare Cossa poi Giovanni XXIII. Bologna 1880. Hunger, Zur Gesch. Papst
Joh. XXIII. Bonn 1876. E. Göller, König Sigismunds Kirchenpolitik vom Tode
Bonifaz' IX. bis zur Berufung des Konst. Konzils. Freib. 1902. Souchon und Kötzschke
wieoben. Blumenthal, Johann XIII, seine Wahl u. seine Persönlichkeit, ZKG. XXL
1. Das Pisaner Konzil hatte der Kirche die ersehnte Einheit nicht ge-
bracht. Gregor XII. und Benedikt XIII. legten, jener auf der Synode
zu Cividale gegen Alexander V., den >: Schismatiker« Petrus von Candia,
Einsprache ein. Wie Gregor in Neapel und andern Teilen Italiens, bei
König Ruprecht und einzelnen deutschen Reichsfürsten, fand Benedikt
in Spanien, Portugal und Schottland Anerkennung. Indem die übrigen
Länder der Obedienz Alexanders V. zugehörten, war, wie die Zeitgenossen
klagten, aus der »verruchten« Zweiheit eine »verfluchte« Dreiheit ge-
worden.1) Während in Deutschland früher weder Klemens VII. noch
Benedikt XIII. dauernden Anhang gefunden hatten, zerrifs die Pisaner
Neuwahl Deutschland in Gegensätze, die meist mit inneren Streitigkeiten
verquickt waren. Entschieden sich einzelne Bischöfe für den einen
Papst, so traten nicht selten Abte und niedere Geistliche desselben
Sprengeis für den andern ein. Erkannten z. B. in der Kirchenprovinz Mainz
der Erzbischof, dann die Bischöfe von Strafsburg, Halberstadt und
Hildesheim den Konzilspapst an, so hielten sich die Bischöfe von Worms,
Speyer, Eichstätt, Würzburg an Gregor XII., und Paderborn und einige
andere waren unsicher. Gregor XII. wollte zwar seine Würde nieder-
legen, falls dies auch die andern Päpste täten, aber die Pisaner Partei
konnte nicht gestatten, dafs der Konzilspapst ebenso behandelt werde,
wie seine Gegner, sondern suchte ihm die Obedienz der ganzen Christen-
heit zu verschaffen. Gregor XII., der sich in Cividale nicht sicher fühlte,
begab sich zum König Ladislaus, der für seinen Schützling den Kirchen-
staat besetzt hatte. Alexander V. legte ihn daher in den Bann, erklärte
ihn des Thrones verlustig und gewann im Bunde mit Ludwig IL von
Anjou und den Florentinern den ganzen Kirchenstaat. Das Haupt-
verdienst hiebei hatte der Kardinal Cossa, der die Liga zustande ge-
bracht hatte. Unter diesen Umständen kam die vom Konzil beschlossene
Vorbereitung einer Reform der Kirche an Haupt und Gliedern nicht
l) Finke, Forschungen S. 281 u. 1.
454 Tod Alexanders V. AYahl und Charakter Johanns XXIII.
einmal über die Anfänge hinaus. Alexander V. stand ganz unter Cossas
EinfTufs; dieser bewog ihn, die Kurie nach Bologna zu verlegen, wo
Cossa selbst schon durch sieben Jahre ein eisernes Regiment geführt
hatte und Papst und Kurie noch mehr in seine Abhängigkeit ge-
rieten. Hier erkrankte der Papst und starb in der Xacht vom 3. auf
den 4. Mai 1410. Es verbreitete sich das Gerücht, dafs Cossa ihn habe
vergiften lassen.
2. Malatesta suchte die rasche Vornahme einer Neuwahl zu ver-
hindern, aber schon hielt Cossa den Augenblick für gekommen, selbst
den Thron zu besteigen, den er schon zu Lebzeiten Alexanders beherrscht
hatte. So wenig Sympathien er auch unter den Kardinälen hatte : die
Rücksicht auf seine militärische Macht und auf Ludwig IL von Anjou,
der von ihm eine kräftige Unterstützung seines Kampfes gegen Ladis-
laus erwartete, bewog sie, ihre Stimmen auf ihn zu vereinigen (1410,
17. Mai). Er bestieg als Johann XXIII. (1410 — 1415) den päpstlichen
Stuhl. Sein Leumund war schon vor seiner Wahl der schlechteste, und
es hält schwer, aus den verschiedenartigsten Gerüchten über ihn Wahres
und Falsches zu scheiden : man wufste von ihm zu erzählen, dafs er
Leute mit eigener Hand getötet, unschuldiges Blut vergossen, die Zeit,
bis er Papst geworden, nicht gebeichtet habe, dafs er an kein Jenseits
glaube usw. Viele Anschuldigungen sind sicher falsch oder übertrieben ;
was aber noch übrig bleibt, ist für ihn belastend genug. Balthasar Cossa
entstammte einer vornehmen aber verarmten Familie Neapels, deren
Gewerbe der Kriegsdienst zur See war, und so soll auch Balthasar sich
in seiner Jugend an den Raubzügen beteiligt haben, zu denen der
Kampf der Gegenkönige Xeapels Anlafs bot. Sein Emporkommen dankte
er Bonifaz IX., mit dem er wahrscheinlich verwandt war. Das geistliche
Wesen lag ihm freilich fern, hatte er doch vor seiner Wahl noch nicht
einmal die Priesterweihe erhalten. 1396 Archidiakon von Bologna, wurde
er 1402 Kardinal. 1403 erhielt er die Aufgabe, den Legationsbezirk von
Bologna dem hl. Stuhl zurückzuerobern. Hiebei erwies er sich als grau-
sam und habgierig. Die mit Gregor XII. entzweiten Kardinäle ver-
pflichtete er sich durch Geldunterstützung und seine diplomatischen Ver-
bindungen. Von ihm erwarteten seine Wähler, dafs er .das Krumme
gerade machen; würde.1) Von den im Unionskampf bewährten Männern
zog er Ailli und Zabarella ins Kardinalskollegium. Den Kardinälen liefs er
zwar einen wesentlichen Anteil an den Geschäften, doch schufen ihm
sein Nepotismus, sein ausgedehnter Amterhandel, seine Erpressungen
und die Laster, deren er offen beschuldigt wurde, heftige Gegner.
3. Zunächst unterstützte er Ludwig von Anjou mit allem Nach-
druck. Ladislaus wurde (1411, 19. Mai) bei Rocca sicca geschlagen,
stand aber bald wieder kampfgerüstet da und zwang Ludwig, sich in
die Provence zurückzuziehen. Es war umsonst, dafs Johann XXIII.
Ladislaus vor seinen Richterstuhl zitierte und das Kreuz wider ihn pre-
digen liefs. In Böhmen hatte dies eine heftige Erregung zur Folge
r ilndirecta dirigere<
Das römische Konzil von 1412. 455
(s. § 106). Als Ladislaus den mächtigen Kondottiere Sforza, der den
Ruhm seines Hauses begründete, für sich gewann, sah sich Johann XXIII.
zu einem Vertrage genötigt (1412, Juni), der Ladislaus in seinem Be-
sitze bestätigte. Jetzt gab dieser die Obedienz Gregors XII. preis. Nun
war Malatesta fast noch der einzige, der dieses Papstes Sache verfocht.
Für Johann XXIII. hatte mittlerweile auch Ruprechts Tod günstige
Aussichten eröffnet, denn Sigmund war ein Feind Ladislaus' und somit
auch Gregors. Johann XXIII. rühmte sich später noch seiner Verdienste
um Sigmunds Wahl. Von den drei Päpsten suchte ein jeder in seiner
Art das Schisma beizulegen : Johann war bemüht, den Gegenpäpsten ihre
Obedienz abwendig zu machen, diese unterhandelten miteinander, ohne
dafs die Verhandlungen zum Ziele führten. Alle Hoffnungen beruhten
auf Sigmund, der seinerseits nur von einem allseitig anerkannten Kirchen-
oberhaupt die Kaiserkrone empfangen wollte.1) Seine Absichten waren
daher auf das Zustandekommen eines Konzils gerichtet, dessen Fort-
setzung schon in Pisa beschlossen war. Diesem Beschlüsse nachzu-
kommen, berief Johann auf den April 1412 eine Kirchenversammlung
nach Rom. In Frankreich wurden grofse Vorbereitungen dazu getroffen.
Ailli und die Universität von Paris entwarfen Reform vorschlage. Eine
Gesandtschaft ging an die Kurie, um Frankreichs Wünsche vorzubringen.
Soweit sie die Interessen des Königs betrafen, kam ihnen der Papst
entgegen ; den allgemeinen Reformations vorschlagen gegenüber bekundete
er aber nur geringes Entgegenkommen. Aus andern Ländern erschienen
wenig Teilnehmer, und die Verhandlungen betrafen fast ausschliefslich
die kirchlichen Zustände Böhmens. Dort aber spottete man über die
hierüber gefafsten Beschlüsse nicht weniger als über die geringe Zahl
der auf diesem »Winkelkonvent« Erschienenen.2) Die kirchlichen
Zustände Böhmens erheischten aber ebenso sehr eine ernsthafte konziliare
Behandlung wie die Frage der endlichen Beilegung des Schismas.
§ 106. Die Ausbreitung des Wicliflsmus in Böhmen und die Anfänge
des Hassitentums.
Quellen: Einzelnes auch § 112. Die Ausgabe von Hussens Werken : Joannis Hus
et Hieronymi Pragensis historia et monumenta. 2 t. Norimb. 1558 u. 1. vol. Frankf. 1715
ist unzulänglich. Das gilt auch von seinen Schriften in tschechischer Sprache, ed. Erben,
Prag 1865 — 68. In beiden ist nicht geschieden, was Hufs' und Wiclifs geistiges Eigen-
tum ist. Daher sind hier jene Werke Wiclifs anzuführen, die Hufs mehr oder minder
wortgetreu ausgeschrieben hat (s. oben § 91). Briefe u. Dokumente (s. auch MM. Vati-
cana, tom. V. ed. Krofta. Prag 1903). Palacky, Documenta magistri Joannis Hus.
Prag 1869. (Nachträge von Nedoma, Boleslavsky kodex z doby husitske, d. h. Bunz-
lauer Kod. aus der Hussitenzeit.) Briefe des Hufs nach dem böhm. Urtext, deutsch von
Mikowec. Leipz 1849. (Maresch, Comenium I, 1, s. Xovotny, Hus, Listy. Poznämky
kriticke a chronologicke\ Prag 1898 [Yestnik 1895]. Mistra Jana Husi sebrane spisy.
*) Finke, Q. u. F. S. 7.
2) Es ist nicht ohne Interesse, zu sehen, wie gering die böhmische Bewegung
damals noch von so reformfreundlichen Männern wie Glemangis eingeschätzt wurde.
Er spricht von Verhandlungen auf dem römischen Konzil: In rebus supervacuis,
nichil ad utilitatem ecclesiae pertinentibus.
456 Ausbreitung des Wiclifisinus in Böhmen.
Spisy latinske, ed. Flajshans. Prag 1903. Opera Omnia, tom. I. fasc. 1. Expositio Decalogi.
Hufs' Predigten übers, v. Novotny. Görlitz 1855. v. d. Hardt, wie oben. Dazu jetzt: Finke,
Forschungen etc., und Acta concilii Con«t., wie oben. Von grofser Wichtigkeit
sind trotz der beispiellosen Mängel in Bezug auf die Ausgabe als solche (s. hierüber
Palacky, Hussitentum und Prof. Höfler. 2. A. 1868^ die Geschichtschreiber d. hussiti-
schen Bewegung, herausg. v. C. Höfler, 1 — 3 Fontes rer. Austr. SS. 2, 6, 7 . Wien
1856 — 66. Von den wichtigeren Werken finden sich im Bd. 1 die Historien des Lorenz
von Bfezova nicht Brezina) und Peter von Mladenowitz (hier besser zu benützen als
in den Documenta, ed. Palacky , im Bd. 2 die grofse Taboritenchronik des Johann
von Lukawetz u. Nikolaus von Pelhiimow, im Bd. 3 eine Verdeutschung der tschechi-
schen Annalen der Hussitenzeit, die als Bd. 3 in den SS. rer. Bohemic. von Pelzel,
Dobrowsky u. Palacky Prag, 1829 herausgegeben sind. Viele Materialien zur Vor-
geschichte des Hussitentums s. in Höfler, Concilia Pragensia. Eine korrektere Ausgabe
der wichtigeren Chroniken aus der Hussitenzeit enthält der 5. Bd. der Fontes rer. Bohem.
Prag 1893. Hier die Chronik des Bfezova, das chronicon universitatis Prag und die
Chronik des Bartossek v. Drahonic in der Ausg. v. Jar. Goll. Loserth, Beitr. z. Gesch.
d. huss. Bewegung, 1 — 5. AÖG. 55, 57, 60, 75, 82. 1. enthält den Cod. epist. des Prager
Erzb. Joh. v. Jenzenstein ; 2. das Leben und die Schriften des Magisters Adalbertus Ranconis
de Ericini o : 3. den Traktat Ludolfs von Sagan nie longevo schismate« ; 4. Streit-
schriften und Lnionsverhandlungen zwischen Katholiken und Hussiten 1412 — 1413 und
5. gleichz. Berichte u. Aktenstücke zur Ausbreitung des Wiclifismus in Böhmen und
Mähren 1410 — 1419. (Beachtung verdient unter den Beilagen Nr. 1, gleichz. Bericht
über das Ende des Hufs." Wichtig ist auch jetzt noch die von streng katholischem
Standpunkt aus verfafste Historia Hussitarum des Cochläus, s. dazu Loserth, Die Denk-
schrift des Breslauer Dornherrn Nikolaus Tempelfeld von Brieg über die Wahl Georgs
von Podiebrad. Ein Beitrag zur Krit. der Hussitengesch. des Cochläus. AÖG. 61.
Quellen z. d. Hussitenkriegen s. unten. Zu Hieronymus : Processus iudiciarius contra
Jeronimum de Praga habitus Viennae 1410 — 1412, ed. Klicman. Prag 1898.
Hilfsschriften: Die älteren Arbeiten bis auf Palacky, selbst Helferts
Hufs u. Hieronymus, Prag 1853, sind ganz veraltet. Von der Gesch. Böhmens von
Palacky ist der gröfsere Teil, nämlich III, 1 — 3, IV, 1 — 2 u. V, 1 u. 2 der Gesch.
des Hussitentums gewidmet. Dazu gehören noch die beiden Arbeiten Palacky s,
Über die Beziehungen und das Verhältnis der Waldenser zu den ehemaligen Sekten
in Böhmen u. die Vorläufer des Hussitentums in Böhmen. NA. Prag 1869. Höfler,
Magister Johannes Hufs u. der Abzug der deutschen Studenten und Professoren aus
Prag. 1864. Berger, Johannes Hufs u. König Sigismund. Augsb. 1871. Lechler,
Johann v. Wiclif, wie oben. Der zweite Band behandelt das Hussitentum, aber noch
stark im Geiste Palacky-Neanders. Kritischer ist sein Johannes Hufs. Ein Lebensbild
aus d. Vorgesch. d. Reformation. Halle 1890. E. Denis, Hufs et la guerre des Hussites.
Paris 1878 eine blofse Paraphrase der Arbeiten Palackys ohne eigenes Quellenstudium ).
Die Frage des Geleitsbriefes für Hufs behandeln: Uhlmann, K. Sigmunds Geleit für
Hufs u. das Geleit im MA., Halle 1894, und Müller, K. Sigmunds Geleit für Hufs.
HVSchr. 1898, 1. Die Genesis der huss. aus der Lehre Wiclifs im einzelnen er-
wiesen in Loserth, Hufs u. Wiclif, Prag 1884 engl. Wiclif and Hufs. Lond. 1884' und
in Loserths Einleitungen zu seiner Ausgabe v. Wiclifs De Ecclesia, Sennones, De
Eucharistia u. Opus Ev., dann in seinen Aufsätzen : Über die Beziehungen zwischen
englischen u. böhm. Wiclifiten, MJÖG. XII, und Der Kirchen- und Klostersturm der
Hussiten und sein Ursprung. Z. Gesch. u. Pol. V. In mehreren kleineren Schriften
Loserths, so namentlich in der Einleitung zu seiner Ausgabe von Wiclifs De Eucha-
ristia wird, was meist übersehen wird, scharf betont, dafs die Taboriten die eigentlichen
Schüler Wiclifs sind. Ihren mehr oder minder waldensischen Zusatz betonen: Preger,
Über das Verhältnis der Taboriten zu den Waldensern des 14. Jahrh. Abh. MA. 28, 1
s. dagegen Loserth, GGA. 1889 Nr. 12, 1891 Nr. 4 und richtiger, weil modifiziert)
Haupt, Waldensertum u. Inquisition im so. Deutschland. Freiburg i. B. 1890. Krum-
meis, Gesch. der böhm. Ref., Gotha 1866 und Utraquisten u. Taboriten, Gotha 1871,
standen schon beim Erscheinen auf einem antiquierten Standpunkt. Von den Werken
der lit. Widersacher des Hufs ist noch das wenigste gedruckt. Sehr beachtenswert sind
Die sogen. Vorläufer der huss. Bewegung. Der Magister Hüls. 457
die Schriften des Karthäuserpriors Stephan von Dolein (St. Josaphat bei Olmütz), gedr.
im IV. Bd. von Pez, Thes. anecd., s. hierüber Loserth, Die lit. Widersacher des Hufs
in Mähren. ZV. f. Gesch. Mährens u. Schlesiens I, 4. Zusammenfassend: Loserth,
Die kirchl. Reformbewegung in England im 14. Jahrb. u. ihre Aufnahme u. Durch-
führung in Böhmen. Antrittsvorlesung. Leipz. 1893.
1. Trotz der Blüte Böhmens im karolinischen Zeitalter machte
sich auch dort der Verfall der kirchlichen Zucht geltend, und die Klagen
über die Verkommenheit des Klerus ertönten dort ebenso laut als in
den übrigen Staaten des Abendlandes. Um so reicheren Beifall fanden
jene Männer, die voll reformatorischen Eifers gegen die Übelstände in
der Kirche ankämpften und im Geiste der Mystik durch Unterricht und
Predigt auf die Volksmassen einwirkten. Gegen die Mifsbräuche in den
Bettelorden und die übertriebene Bilder- und Reliquienverehrung zog
der Augustinermönch Konrad von Waldhausen, Prediger an der
Teynkirche in Prag, zu Felde. Nach ihm wirkten Militsch von
Kre msier, dessen scharfes Wort selbst des Kaisers nicht schonte,
und Matthias von Janow in gleichem Sinne. Man pflegt diese
Männer irrigerweise Vorläufer des Hussitentums zu nennen ; sie alle blieben
in Wort und Schrift auf dem Boden der herrschenden Kirche. Selbst
die Abendmahlsstreitigkeiten ihrer Zeit hatten nur die Frage des oft-
maligen oder täglichen Empfangs des Abendmahls zum Gegenstand.
Am Bestand des Dogmas und der hierarchischen Gestaltung der Kirche
ward erst gerüttelt, seit der Wiclifismus seinen Einzug in Böhmen hielt.
Sein Wortführer war der Magister Johannes Hufs.
Hufs1) stammte aus dem im südlichen Böhmen gelegenen Markt-
flecken Hussinetz (Husinec), nach dem er sich anfangs Johannes de
Hussynecz nannte und schrieb. Wie viele seiner Zeitgenossen wurde er
nach seinem Geburtsorte genannt, und dieser Name lautet abgekürzt
Hufs, wie sich der Magister selbst zu . schreiben pflegte. — Tag und
Jahr seiner Geburt sind unbekannt.2) In ärmlicher Weise, wie später
Luther, mufste es sich durchbringen ; als Sängerknabe und Ministrant.
Zum geistlichen Stand trieb ihn kein innerer Drang, sondern die Aus-
sicht auf das bequeme Leben der Geistlichkeit. Seit der Mitte der acht-
ziger Jahre weilte er in Prag, wo er seine höheren Studien machte. Er
war kein hervorragender Student. Wohl prunkt er in seinen Schriften
mit gelehrten Zitaten, aber diese sind ausnahmslos aus Wiclif genommen.
Leidenschaftlichkeit und Anmafsung bildeten den Grundzug seines Wesens.
Von seiner Spitzfindigkeit werden Beispiele genug erzählt. Er selbst
tadelte an sich in späteren Jahren, dafs er an den Eitelkeiten der Welt,
schönen Kleidern u. dergl. Gefallen gefunden. Die Doktorwürde hat er
niemals erlangt; übrigens gewann er an der Universität rasch Geltung:
*) Wiewohl heute die tschechische Schreibweise Hus (u. demnach auch husitisch
und Husite) gebräuchlich ist, entspricht der deutschen Aussprache doch die Schreibung
Hufs u. Hussite, wie auch die deutsch oder lateinisch schreibenden Zeitgenossen richtig
die iHussen«. u. Hussitae schrieben.
2) Man nennt als seinen Geburtstag den 6. Juli, aber das ist sein Sterbetag, den
die Hussiten festlich begingen; s. Loserth, Hufs u. Wiclif.
458 Übertragung des "Wiclifismiis nach Böhmen.
1401 Dekan der philosophischen Fakultät, wurde er schon im folgenden
Jahre Rektor. An der Universität trat er mit Männern wie Andreas
von Brod, Stephan von Palecz u. a. in der warmen Liebe für die Inter-
essen des tschechischen Volkes zusammen. Zwei Jahre, nachdem er
Priester geworden (1400), erhielt er das Amt eines Predigers an der
Bethlehemskirche in Prag. Als solcher hatte er an Sonn- und Feier-
tagen das Wort Gottes in tschechischer Sprache zu verkündigen.
2. Seit sich Wenzels Schwester Anna mit Richard IL von England
vermählte und zahlreiche Böhmen an ihren Hof zog, wurden Wiclifs
Schriften in Böhmen bekannt. Hufs selbst war schon als Student mit
ihnen vertraut. Den Traktat De veris universalibus hat er mit eigener Hand
(1398) abgeschrieben. Lange bevor er noch von Wiclifs Reformgedanken
erfüllt war, hat er sich dessen philosophische Ideen angeeignet. Seine
Neigung zu kirchlichen Reformen wurde erst geweckt, seit er auch die
theologischen Schriften Wiclifs kennen lernte. Noch 1393 ist er von
tiefster Ergebenheit gegen die Gnadenschätze der römischen Kirche er-
füllt: er opfert seine letzten vier Groschen, um des Jubiläumsablasses
teilhaftig zu werden. Gleichzeitige und spätere Quellen melden überein-
stimmend, dafs es Wiclifs Bücher waren, »die ihm die Augen öffneten«,
während er sie las und wieder las«. Der sog. Hussitismus ist in den
ersten anderthalb Jahrzehnten seines Bestandes eben nichts anderes als
der auf böhmischen Boden verpflanzte Wiclifismus. Als solcher galt er
in Böhmen bis zum Tode des Hufs, um dann abgeschwächt in den Utra-
quismus und folgerichtig fortgeführt in das Taboritentum überzugehen.
Die theologischen Schriften Wiclifs wirkten in Böhmen wie ein Feuer-
brand. Die ersten von ihnen sind 1401 und 1402 durch Hieronymus
von Prag dahin gebracht worden. Gegen ihre Verbreitung erhob sich
die Universität, welche (1403) die Disputation über 45 Sätze untersagte,,
die Wiclif teils wirklich angehörten, teils ihm nur zugeschrieben wurden,
ein Verbot, das 1408 mit der Beschränkung erneuert wurde, dafs diese
Sätze nicht in irrigem oder ketzerischem Sinne vorgetragen würden.
Unter dem Erzbischof Sbinko von Hasenburg (seit 1403) genofs Hufs
anfangs grofses Ansehen : 1405 war er als Synodalredner tätig, wobei er
die Fehler des böhmischen Klerus aufs schärfste rügte. Sein gutes Ein-
vernehmen mit dem Erzbischof tritt namentlich in der Wilsnacker An-
gelegenheit zutage, wo Sbinko, von Hufs auf die groben Täuschungen
bei der Reliquie des hl. Blutes Christi daselbst aufmerksam gemacht,,
die Pilgerfahrten dahin verbot. Damals schrieb Hufs, um sein Vor-
gehen zu rechtfertigen, seine Abhandlung De omni sanguine Christi glori-
ficato, >dafs alles Blut Christi verklärt sei:: ein Christ habe nicht nötig,.
Zeichen und Wunder zu suchen, er möge sich an die hl. Schrift halten.
Bald trübte sich das Einvernehmen zwischen dem Erzbischof und Hufs,,
denn dessen Predigten gegen die Habsucht und das unordentliche Leben
der Geistlichkeit erregten Anstofs. Die Geistlichkeit überreichte (1408)
eine Klageschrift, und Hufs wurde seiner Stelle als Synodalprediger ent-
hoben. Es ist wahrscheinlich, dafs er jetzt den Traktat De arguendo
clero pro concione verfafst hat, auch diesmal, um sein Verhalten zu recht-
Hufs als tschechischer Patriot und Wiclifit. 459
fertigen. Für die Entwicklung der Verhältnisse an der Prager Univer-
sität wurde die Frage der Neutralität irn Schisma von entscheidender
Wichtigkeit. König Wenzel, der die Zügel der Regierung im Reiche
wieder zu ergreifen gedachte, dessen Pläne aber von Gregor XII. keine
Förderung erwarten durften, sagte sich von ihm los (s. oben) und befahl
seinen Prälaten Neutralität den beiden Päpsten gegenüber. Ein Gleiches
erwartete er von der Universität. Aber der Erzbischof blieb Gregor XII.
treu, und an der Universität erklärte sich nur die böhmische Nation
unter Hufs dafür. Hierüber erbittert, erliefs Wenzel am 19. Januar
ein Dekret, wonach der böhmischen Nation bei allen Universitätsange-
legenheiten drei, den auswärtigen (deutschen) Nationen nur eine
Stimme eingeräumt wurde. Laut pries Hufs von der Kanzel herab die
Liebe des Königs zu seinem Volke. Da es den Deutschen nicht gelang,
das Dekret, welches das an der Universität bestehende Recht umstiefs,
rückgängig zu machen, verliefsen Tausende deutscher Doktoren, Magister
und Studenten im Laufe des Sommers 1409 die Stadt. Die nächste
Folge der Auswanderung war die Gründung des Universität Leipzig.
Prag sank von seiner universellen Bedeutung auf die Stufe einer national-
tschechischen Hochschule herab ; die Auswanderer aber verbreiteten den
Ruf von den böhmischen Ketzereien in alle Länder. Der Erzbischof
war isoliert, Hufs auf der Höhe seines Ansehens. Er wurde der erste Rektor
der tschechisch gewordenen Universität (Oktober 1410) und genofs die
Gunst des Hofes ; namentlich war ihm die Königin Sophie sehr gewogen.
Inzwischen überfluteten die Wiclif sehen Lehren Stadt und Land.
So lange Sbinko in der Obedienz Gregors XII. verharrte, blieb alles
Einschreiten dagegen erfolglos, ja einige Anhänger des Hufs konnten
es unternehmen, den Erzbischof bei Alexander V. zu verklagen. Als
sich aber Sbinko diesem unterwarf, änderte sich die Lage ; der Erz-
bischof gewann bei der Kurie ein geneigtes Ohr, als er dem Papste vor-
stellte, alles Unheil in Böhmen rühre von den Wiclifiten her. Eine
Bulle ermächtigte den Erzbischof, gegen den Wiclifismus vorzugehen:
alle wielifi tischen Bücher sollten abgeliefert, wielifitische Lehren wider-
rufen und die Predigt an andern als den herkömmlichen Orten unter-
sagt werden. Die Bulle wurde am 9. März 1410 veröffentlicht. Hufs,
überzeugt, dafs Alexander V. falsch berichtet worden, appellierte an den
besser zu unterrichtenden Papst. Der Erzbischof liefs sich indes nicht
beirren : er befahl, alle Schriften Wiclifs zum Zwecke ihrer Prüfung ein-
zuliefern und liefs die eingelieferten Bücher (über 200) im Hofe des
erzbischöflichen Palastes in Gegenwart des Domkapitels und einer grofsen
Menge von Priestern verbrennen. Dies Vorgehen rief eine unbeschreib-
liche Erregung hervor, um so mehr, als Sbinko zwei Tage später den
Bann über Hufs und seine Anhänger aussprach. An einzelnen Orten
kam es zu stürmischen Auftritten. Der Erzbischof wurde in Spottliedern
verhöhnt und der Gottesdienst gestört. Wer es wagte, den Bann wider
Hufs zu verkünden, wurde am Leben bedroht. Die Regierung verbot
zwar das Singen von Spottliedern, verurteilte aber den Erzbischof, die-
in ihrem Eigentum geschädigten Eigentümer der verbrannten Bücher zu
460 Der Ablafsstreit in Prag.
entschädigen, und verfügte auf seine Weigerung die Teniporaliensperre
gegen ihn. Hufs und seine Anhänger liefsen sich so wenig einschüchtern,
dafs sie den erzbischöflichen Geboten zum Trotz einzelne Werke Wiclifs
in öffentlichen Disputationen verteidigten. Die Macht seiner Anhänger
wuchs von Tag zu Tag, und der Ruf von den Erfolgen des böhmischen
Wiclifismus brachte auch dessen Anhänger in England in freudige Er-
regung. »Das ganze böhmische Volk«, schreibt Hufs dahin, »lechzt
nach der Wahrheit, es will nichts wissen als das Evangelium, und wo
in irgend einer Stadt oder in einem Dorfe oder Schlosse ein Prediger der
hl. Wahrheit erscheint, strömt das Volk zu ganzen Haufen zusammen.
Unser König, sein ganzer Hof, die Barone und das gemeine Volk sind
für das Wort Christi.« Nach wie vor hielt Hufs seine Predigten in der
Bethlehemskapelle; sein Ton wurde immer kühner. Zwar wurde am
15. März 1411 der Bann gegen ihn verkündet und auf den Gemeinde-
rat ausgedehnt, endlich das Interdikt über Prag verhängt, aber alle diese
Mafsregeln blieben ohne Erfolg, und Sbinko sah sich genötigt, einen
Ausgleich zu versuchen. Während dieser Wirren starb er am 28. Sep-
tember 1411. Mit seinem Tode tritt die kirchliche Bewegung in Böhmen
in eine neue Phase. Ein wichtiges Moment darin bildet der Ablafs-
streit, der im Jahre 1412 in Prag ausbrach, denn er bot den Anlafs,
dafs sich die bisher befreundeten Parteien unter den Neuerern schieden.
3. Im Herbste 1411 erliefs Johann XXin. seine Kreuzzugsbulle
gegen Ladislaus von Neapel (s. oben). Auch in Prag wurde das Kreuz
gepredigt und das Volk von Ablafspredigern unter Trommelschlag in die
Kirchen gewiesen, wo die Opferkästen aufgestellt waren. Es entwickelte
sich ein förmliches Ablafsgeschäf t : der Ablafs wurde für Diakonate und
Pfarren an Unterhändler verkauft. 29 Jahre waren vergangen, seit
Urban VI. unter ähnlichen Umständen den Kreuzzug gegen Flandern
gepredigt hatte. Damals erhob Wiclif in seinen Predigten Protest und
schrieb seine berühmte Cruciata. Dies Beispiel ahmte Hufs nach ; auf
Katheder und Kanzel erhob er seine Stimme; er meinte, die ganze
Universität mitreifsen zu können. Hier war aber der Punkt, wo ihn
seine Freunde verliefsen, die ihm so lange zur Seite gestanden. Die
theologische Fakultät trat für den Papst in die Schranken. Am 7. Juni 1412
hielt Hufs im grofsen Saale des Karolinums einen Vortrag über die Frage,
ob es nach der Bibel erlaubt sei, diese Kreuzzugsbullen zu befürworten. Hufs
erhebt dagegen eine Reihe von Einwänden, die wörtlich Wiclifs Buch
»von der Kirchen und seiner Flugschrift »von der Lösung von Schuld und
Strafe« entnommen sind : Kein Papst ist befugt, namens der Kirche das
Schwert zu ergreifen. Vergebung erlangt der Mensch durch wirkliche
Reue und Bufse, nicht um Geld. Wer nicht prädestiniert ist (s. oben § 91),
dem kann kein Ablafs helfen, und ob jemand prädestiniert ist, kann auch
der Papst nicht wissen. Wenn dessen Bullen gegen die hl. Schrift sind,
mufs man ihnen Widerstand leisten. Wenige Tage später verbrannte
ein Volkshaufe , geführt von dem auch in englischen Wiclifitenkreisen
bekannten Wok von Waldstein die päpstlichen Bullen , ein Ereignis,
Verbannung des Hüls aus Prag. Ausgleichsversuche. 46 1
dessen Begründung man auch bei Wiclif fand.1) Jetzt erst liefs der König
jede Schmähung des Papstes und den Widerstand gegen die Bullen
ahnden, und so wurden drei Leute aus den niederen Ständen, die den
Geistlichen während der Predigt offen widersprochen und den Ablafs
einen Betrug genannt hatten, enthauptet. Es waren die ersten Märtyrer
der hussitischen Kirche.2) Der Schrecken über diese Vorgänge hielt nicht
lange an, daher griff die Fakultät zu schärferen Mitteln; sie verdammte
nicht blofs die 45 Artikel aufs neue, sondern fügte noch einige bei, die
von Hufs herrührten. Der König verbot nun, die Artikel zu lehren.
Doch weder Hufs noch die Universität stimmten einer solchen summarischen
Verurteilung zu, sondern verlangten, dafs zuerst die Schriftwidrigkeit der
Artikel erwiesen werde.3) Die Prager Tumulte hatten in ganz Böhmen
unliebsames Aufsehen gemacht. Die päpstlichen Legaten und der Erz-
bischof von Prag suchten Hufs zu bewegen, den Widerstand gegen die
Bullen aufzugeben, und der König machte einen freilich erfolglosen
Versuch , die katholische und hussitische Partei einander zu nähern.
Mittlerweile hatte sich die Prager Pfarrgeistlichkeit mit ihren Klagen an
den Papst gewendet, und nun wurde über Hufs der grofse Kirchenbann
verhängt. Die verschärften Mafsregeln wider ihn und seine Anhänger
vermehrten aber nur die Aufregung im Volke. Hufs sah sich schliefslich
genötigt, einem Wunsche des Königs entsprechend, sich aus Prag zu ent-
fernen. Seine Abwesenheit hatte aber nicht die erwartete Wirkung. Die
Aufregung dauerte fort und wurde durch seine Sendschreiben an seine
Anhänger noch vermehrt.
4. Der Verruf, in den Böhmen der Ketzerei wegen gekommen,
ging dem König nahe. Er nahm nun selbst die Ausgleichung der
Gegensätze in die Hand und berief für den 2. Februar 1413 eine Synode
nach Böhmisch-Brod. Sie trat aber nicht dort, wo Hufs hätte erscheinen
dürfen, sondern im erzbischöflichen Palaste (6. Februar) zusammen. Die
Parteiführer fehlten. Doch wurden von beiden Seiten Vorschläge zur
Herstellung des kirchlichen Friedens erstattet. Hufs verlangte, dafs
Böhmen in kirchlicher Beziehung dieselben Freiheiten habe wie andere
Länder: Approbationen und Exkommunikationen demnach nur mit Zu-
stimmung der Staatsgewalt verkündigt werden dürfen.4) Zu einer Einigung
kam es nicht. Trotzdem gab der König die Hoffnung auf eine friedliche
Lösung nicht auf : eine Kommission sollte an dem Einigungswerke weiter-
arbeiten. Als die Gegner des Hufs den Unionsversuchen des Königs
Schwierigkeiten bereiteten, wurden sie ebenfalls aus Prag verwiesen.
Beide Parteien suchten ihre Lehrsätze nunmehr ausführlich zu begründen.
So entstanden die Streitschriften eines Andreas von Brod, Stanislaus von
Znaim, Stephan Palecz5) u. a. Von allen diesen ist das Buch des Hufs
1) Op. Ev. II, c. 37.
2) Beitr. zur Gesch. d. huss. Bew. V, 334—350.
3) Hufs schrieb seine Defensio quorundum articidorum Joannis Wiclif. Seine
Motive stammen auch hier ganz aus Wiclif.
4) Ganz der Standpunkt Wiclif s. Serm. II T, 519.
5) Loserth, Beitr. z. Gesch. d. huss. Bew. IV, 315.
462 Hussens Buch von der Kirche. Höhepunkt seiner Wirksamkeit.
von der Kirche« von jeher am meisten zitiert und je nach dem
Standpunkt der Leser bewundert oder getadelt worden. Und doch ist
es nichts als ein matter Auszug aus dem gleichnamigen Werke Wiclifs
und in den letzten Kapiteln aus dessen (noch ungedrucktem) Buche : Von
der Gewalt des Papstes. Wie einstens Wiclif wollte auch Hufs der Welt
den Unterschied zwischen dem, was die Kirche ist und was man
.sich gewöhnlich unter ihr vorstellt, zeigen. Mit Wiclifs Worten erklärte
er, was die Kirche ist. Nachdem nun auch die Gegner des Hufs
aus Prag gewiesen waren , gewann sein Anhang den ganzen Boden für
sich. Eine seltene Gabe der Überredung stand ihm zu Gebote ; in Stadt
und Land fiel ihm alles zu. Er war jetzt der Führer seines Volkes.
Einen heftigen Schlag erlitten seine Gegner, als König Wenzel den
Deutschen im Altstädter Rate das Heft aus der Hand nahm und ver-
fügte, dafs in Zukunft neben 9 Deutschen auch 9 Tschechen als Rats-
herren fungieren sollen. Mittlerweile war Hufs teils mit der Abfassung
seiner Streitschriften teils mit Predigten an das Volk in der Umgebung
der einem seiner Gönner gehörigen Burg Koz'i hradek bei Austie be-
schäftigt. Daher hat sich eben dort die Erinnerung an seine von ihm
besonders hochgehaltene pastorale Tätigkeit lange lebendig erhalten und
ist dort wenige Jahre später die Stadt Tabor entstanden. Schon ver-
suchte der böhmische Wiclifismus , dem aufser dem böhmischen der
gröfsere Teil des mährischen Herrenstandes zufiel, auch in Polen, ja
selbst in Ungarn, Kroatien und Ost erreich festen Fufs zu fassen. Wohl
griff nun die Kurie ein (s. oben § 105); aber ihre Kraft war durch das
Schisma gelähmt. Wirksame Mafsregeln gegen den böhmischen Wiclifismus
waren erst von einem allgemeinen Konzil zu erwarten.
§ 107. Das Konzil von Konstanz. Vorbereitungen und Anfänge.
Zu den Quellen im allgemeinen: Finke, Zur Beurteilung der Akten d. K. K.
Forschungen XXIII, 503—20. Finke, Kl. Quellenstudien zur Gesch. d. K. K. HJb.VDL
Derselbe, Forschungen u. Quellen z. G. d. K. K. Paderb. 1889. S. 62—68. Befs, Quellen-
studien z. G. d. K. K. ZKG. XILI. Sammlungen von Akten, Streitschriften,
Geschichtschreibern usw. : Schelstrate, Compendium chronolog. rer. ad decr. Const.
pertinentia. Rom. 1686. Hauptwerk noch heute: H. v. d Hardt, Magnum oec. Constant.
Concilium. VI tomi. Frankf. u. Leipz*. 1700. Akten u. Dekrete im 4. Bd Bourgeois
du Chastenet, Nouv. bist, du Concil de Constance. Paris 1718. Mansi, Concil. Coli,
tom. XXVII. u. XXVIII. Döllinger, Beitr. z. G. d. 15. u. 16. Jahrh. II. Manch. 1863.
S. 269 ff. Raynaldus. Ann. Eccl. Finke, Forschungen u. Quellen, wie oben. Akten zur
Vorgesch. des Konstanzer Konzils in seiner Ausgabe der Acta Concilii Consta nciensis.
1. Bd. Münster 1896. Briefe der Kölner Universitätsgesandten in Martene u. Durand.
Thes. novus II, Petrus de Pulka, Abges. der Wiener Universität, Briefe her. v. Firnhaber.
AÖG. XV. 1 — 70: der Frankfurter in Frankfurts Reichskorrespondenz v. Janssen, wie oben;
der Deutschen Ordensgesandsch. v. Befs. ZKG. XVI. Einzelnes bei Altmann, Regg.
K. Sigmunds. Tagebücher: Finke, Zwei Tagebücher über das Konstanzer Konzil.
RQSchrChA. I. Knöpfler, Ein Tagebuchfragment über das Konst. Konz. HJb, XI.
= Acta et actitata in Conc. Const. Fillastre, Diarium concilii Constantiensis 1414 — 1418,
ed. Finke in Forschungen u. Quellen, 163 — 242 Andreas v. Regensb., Concil. Const.
ed. Leidinger. Jacob, de Cerretanis, Regestum omnium gestorum tarn ante . . . quam in
ipso gen. concilio Const. 1413—1417 Ausz. aus den oftiz. Konzilsakten . Finke, For-
Bchungen u. Quellen, 243—266. < >rigo conc. Constanc. 1414. Alansi XXVII, 532 — 534.
Das Konzil von Konstanz. 463
Darstellungen: Richenthal, Chronik des Konst. Konzils, herausgeg. von ßuck.
BlYStuttg. CLVIII. Vrie, Historia concilii Constantiensis libri octo, ed. v. d. Hardt I,
p. I, 2-221 (s. Finke, FQ. 38-51). Gebhard Dacher, Hist. Magnatum in Constanc.
Concilio. Mansi XXVIII, 625—654. (Aufzähl, der Teilnehmer am Konzil.) Von zeit-
genöss. Gesch. s. Gobelinus Persona, Cosmodromium, wie oben. Theodericus de Nyem,
Historia de vita Johannis XXIII. pontificis Romani, ed. ' v. d. Hardt II, 389. Von
kirchenpolitischen Schriften mögen nur die wichtigsten genannt sein ; s. zunächst die
anonymen Schriften über die Zustände beim Klerus und dessen Reformbedürftigkeit
bei Walch, Monimenta medii aevi. Göttingen 1757—64. vol. I. Fas. II — IV. Besonders
aufgezählt bei Potthast unter dem Schlagwort Auctoris anonymi etc. I, 124 — 25. Andreas
de Randuf, De modis uniendi ac reformandi ecclesiam in concilio generali v. d. Hardt I, 5,
p. 68 — 142. Lit. bei Potth. I, 504, wurde von Hardt Gerson, v. Lenz Nyem (auch von
Finke, Z.vat.G. LV, 261) zugeschrieben. Für Randuf treten Schwab u. Sägmüller ein.
Theodericus de Xyem, De difficultate reformationis ecclesiae in universali concil. ib. I, 6,
225—89. v. d. Hardt irrig Ailli zugeschrieben. — De necessitate reformationis ecclesiae
in capite et membris = Monita de necessitate ref. ... in principio concil. Const.
ib I, 7, 277—309. v. d. H. hat es fälschlich Ailli zugeschrieben Der Schlufs nach
einer röm. Handschr. in Finke , Forsch, etc., 268—278. Lit. bei Potthast. Petrus
de Alliaco, Capita agendorum sive Tractatus agendorum in concilio generali Const.
(früher Zabarella zugeschrieben), v. d. Hardt I, 9, 506 ff. Lit. Potth. II, 914 (s. dazu
Steinhausen, Analect. ad hist. Conc. Const. Berl. 1862). Canones reformationis in conc.
Const. in Gerson Opp., ed. Dupin II, 903. Die übrigen Reformationsschriften Aillis
s. bei Tschackert, wie oben. Gerson, De auct. eccles. concilii iuris papae et cardinalium.
Ebenda II, 926—960. — Tractatus de potestate ecclesiastica et de orig. iuris et legum
in concil. Const. editus, v. d. Hardt VI, 78 — 137. Die übrigen Werke Gersons s. Pott-
hast I, 504 ff. Zabarella, De schismatibus auctoritate imperatoris tollendis, ed. Schard,
De iurisd. imp. 1566. (Andere Drucke s. Potth. I, 1124.) Traktat u. Gegentraktat über
die päpstl. u. kaiserl. Gewalt bei Finke, Forschungen z. Gesch. des Konst. Konzils 278 — 283.
Tractatus de annatis, ebenda 283 — 287. Impugnatio cathedrae sedis Rom. ecclesiae in
conc. Const., ebenda 288 — 297. Nikolaus de Clemangis, Selectae epistolae I, 2, 1 — 70.
De corrupto ecclesiae statu ib. I, 3, 1 — 52. Entw. im Arch. stör. Ital. Ser. IV, XIII.
Bezüglich der sonstigen zahlreichen Reformationsschriften mufs auf v. d. Hardt ver-
wiesen werden. Concordata Anglicanae nationis et Martini V papae, v. d. Hardt I, 25 p.
1079—1084. Hübler 207—215. Concordata Germ, nationis, ib. I, 24, 1055—1069. Auch
Ludew. Reliq. mss. FX und Hübler S. 164—193. Das rom. Konkordat, v. d. Hardt IV, 1567 ff.
Hübler S. 194—206.
Hilfsschriften: Lenfant, Hist. du Conc. de Const. 2 Bde. Amst. 1714 — 27.
Bourgeois de Chastenet, wie oben. R o y k o , Gesch. d. allg. Kirchenversamm-
lung v. Kostnitz. Wien u. Prag 1782. Wessenberg, Die grofsen Kirchenversamm-
lungen des 15. u. 16. Jahrh. II, 1840. Tosti, Gesch. des Konziliums von Konstanz,
aus dem Ital. v. Arnold. Schaffhausen 1860. H e f e 1 e , Konziliengeschichte. VII. Bd. 1867.
Marmor, Gesch. d. K. v. K. 1860. F. v. Raumer, Die Kirchenvers, von Pisa,
Kostnitz u. Basel. HT. NF. XL W y 1 i e , The Council of Constance to the Death of
John Hus. London 1900. (Enthält 6 Vorlesungen : Sigmund — Constance — The
Council — Deposition — John Hus-Trial — John Hus-Death, ohne Neues zu bieten.)
K e p p 1 e r , Die Polit. d. Kard.-Koll. in Konstanz von Januar — März 1415. Heiligenst. 1899.
L. Lenz, Apologie snemu Kostnickeho (Apologie d. K. K. in bezug auf die Ver-
urteilung der 45 Artikel Wiclifs). Prag 1896. S t u h r , Die Organisation und Geschäfts-
ordnung des Pis. u. Konst. Konz. Berl. Diss. 1891. Siebeking, Die Organ, u. Gesch.
d. K. K. Leipz. 1872. Müller, Der Kampf um die Auktorität auf dem Konst. Konzil.
Jber. d. Gewerbsch. Berl. 1860. Stein hausen, wie oben. Blumenthal, Die Vor-
gesch. d. K. K. bis zur Berufung. Halle 1897. Hübler, Die Konst. Reformation und
die Konkordate von 1418. Leipz. 1867. (Mit reichhaltigem Quellenregister.) Chroust,
Zu den K. Konkord. DZG. I. Finke, Der Strafsburger Eklektenprozefs vor dem K. K.
Strafsb. Studien VI. Goeller, K. Sigmunds Kirchenpolitik vom Tode Bonifaz' IX.
bis zur Berufung des Konstanzer Konzils. Freib. i. B. 1902. Zöfsmaier, Herzog Fried-
richs Flucht von Konstanz nach Tirol. Pr. Innsbruck 1894. Finke, Gregor XII. und
464 Verdienste Sigmunds um das Zustandekommen des Konzils.
König Sigmund. RQSchr. I. Feret, wie oben. Schmitz, Die franz. Politik u. die
Unionsverhandlungen d. K. v. K. Düren 1879. Lenz, K. Sigmund u. Heinrich V. von
England. Berlin 1879. Lenz, Drei Traktate aus dem Handschriftenzvklus d. K. K.
Marb. 1S7G. J. Caro, Das Bündnis v. Canterbury. Gotha 1861. G i e r t h , Vermittlungs-
versuche Sigmunds zw. Frankr. u. Engl. 1410. Halle 1896. Befs, Das Bündnis von
Canterbury. MJÖG. XXII: Fromme, Die span. Xation u. das K. Konzil. Münster 1894,
und erweitert 1896. Bern h a r d t , Der Einflufs des Karchnalkollegs auf die Verhand-
lungen d. K. K. 1880. Befs, Zur Gesch. d. K. K. Marb. 1891. Befs, Johann Falken-
berg u. der preufsisch-polnische Streit vor dem Konstanzer K. ZKG. XVI. Trutt-
mann, Das Konklave zu Konst. Strafsb. 1899. Teigmann, Das Konklave in
Konstanz 1417. Strafsb. 1900. Fromme, Die Wahl Martins V. RQSchr. 1896. —
Der erste Prioritätsstreit. RQSchChA. X. Heydenreich, Das K. K., Beil.
Allg. Z. 1896. Höfler, Der Streit der Polen u. Deutschen vor dem K. K. 1879.
Simonsfeld, Analekten zur Papst- u. Konziliengesch. Abh. bayr. Akad. III. Kl. XX.
Funck, Martin V. u. d. K. v. Konst. Kirchengesch. Abh. I. Befs, Die Annatendebatte.
ZKG. XXII. Aschbach, Gesch. K. Sigmunds, wie oben. S. auch § 106 u. 112.
1. Hatten hervorragende Gelehrte wie Zabarella schon vor dem
Pisaner Konzil dem Kaisertum die Aufgabe vindiziert, in kirchlichen
Dingen Ordnung zu scharfen, so erwarteten bald alle abendländischen
Zeitgenossen von ihm allein Hilfe gegen die allgemeine Not. Und dies
um so mehr, als die Staaten des Südens und Westens von schweren
Kämpfen und Parteiungen heimgesucht waren. Wenn es daran auch
in den Reichen Sigmunds nicht fehlte, wandte er sich doch voll Eifer
dieser wichtigen Aufgabe zu und suchte Fürsten, Kommunen und gelehrte
Korporationen hiefür zu begeistern. 1) Der von Johann XXIII. für die
Fortsetzung des römischen Konzils in Aussicht genommene Termin
konnte nicht eingehalten werden; am 8. Juni 1413 wurde nämlich Rom
von König Ladislaus, der unter nichtigen Vorwänden seine Verträge
gebrochen hatte, erobert und der Papst zur Flucht genötigt. Sigmund
war der einzige Herrscher, der Rom für den Papst zurückgewinnen
konnte, um so gefügiger mufste sich dieser den Absichten des Königs
erweisen. Wünschte der Papst als Ort des Konzils Bologna oder Rom,
so trat Sigmund für einen Ort ein, der dem Einflufs jedes der drei
Päpste so weit als möglich entrückt war. 2) Als Sigmund im Oktober 1413
in Oberitalien erschien, um Filippo Maria Visconti zu unterwerfen,
wurden auch die Konzilspläne kräftig gefördert und bei seiner Zu-
sammenkunft mit dem Papste in Lodi festgesetzt, dafs das Konzil zu
Allerheiligen 1414 in Konstanz zusammentreten solle. B) Wohl gab es
noch eine Zeit, in der die Konzilspläne Sigmunds zu scheitern schienen,
als der Papst nach Ladislaus' Tode (1414, 6. August) die Wieder-
gewinnung des Kirchenstaates in Angriff zu nehmen beabsichtigte; um so
eifriger setzten sich die Kardinäle dafür ein, und einige von ihnen be-
*) Seine Verdienste bei Ludolf v. Sagan, Kap. 51. Andere Belege bei Schwab, S. 497.
■ Finke, Acta I, 171.
3) Näheres hierüber in der Copia instnonenti super concilio celebrando bei Palacky,
Documenta S. 5(57 : Ipse rex nominavit eisdem pro loco concilii civitatem C onst an-
tiensem ... locum idoneum, tutum et con v en i entern omnibus nacionibus ad
concilium venturis. Auch Zabarella wurde das Verdienst zuerkannt, auf Konstanz
hingewiesen zu haben, v. d. Hardt J, IX, 540: Fuit imprimis auctor huius loci statuendi.
Programmentwürfe und Reform vorschlüge. 465
schäftigten sich schon jetzt mit der Zusammenstellung von Programm-
entwürfen und Reform vorschlagen, womit sich auch weitere Kreise eifrig
bemühten.
Aillis Programm — er hat es in der Schrift »von der kirchlichen Gewalt«, die
am 1. Oktober 1416 in der Paulslärche zu Konstanz öffentlich verlesen wurde, nieder-
gelegt — war ein durchaus gemäfsigtes. An der bestehenden Hierarchie soll nicht
gerüttelt, die Kirche nicht auf den Stand der apostolischen Zeit zurückgeführt, das
Papsttum dagegen mit einer Reihe von Schranken umgeben werden. Für die Ver-
waltung der kirchlichen Einkünfte und zur Verhütung von Mifsbräuchen wird ein
aus allen Kirchenprovinzen gewählter Ausschufs dem Papst als Regierungskollegium
zur Seite stehen. x) Trotz seines konservativen Standpunktes verlangt Ailli, dafs der
Papst, wiewohl Träger der Kirchengewalt, doch dem allgemeinen Konzil unterworfen
sei. Unfehlbarkeit, so lehrt er in seiner Schrift »vom allgemeinen Konzil«, hat nur
die allgemeine Kirche und, wie man glauben darf, auch das allgemeine Konzil, wenn
es sich auf die hl. Schrift stützt. Die wichtigsten Reformideen Aillis finden sich in
seinen Tractatus agendorum und Canones reformationis. Um die Kirchenverbesserung an
Haupt und Gliedern durchführen zu können, sollen alle zehn Jahre General- und von
drei zu drei Jahren Provinzialkonzilien gehalten werden. Jene beschlief sen über die
allgemeinen Reformen in der Kirche, die Vereinigung der morgen- und abendländischen
Kirche und den Kampf wider den Islam. Er empfiehlt die Abschaffung einer Reihe
von Mifsbräuchen, Erleichterung in den kirchlichen Abgaben, Verminderung der Zahl
der Kardinäle und Einschränkung der Exkommunikation. Eine durchgreifende Reform
ist dem Prälatenstand und dem Mönchtum zugedacht. Gersons Programm findet
sich in seiner Schrift > Von der Kirchengewalt und dem Ursprung des Rechtes.*2)
Die englische Opposition leugnete wie einst schon Marsiglio die göttliche Einsetzung
des Primats und führt ihn auf kaiserlichen Ursprung zurück. Von solchem Stand-
punkt sind Ailli und Gerson weit entfernt. Gerson bezeichnet die Leugnung der Not-
wendigkeit und des göttlichen Rechtes des Primats geradezu als Häresie. Gegenüber
der Lehre der meisten französischen Theologen, nach welcher die Kirche die Gemein-
schaft von Gleichberechtigten ist, welche die Befugnis besitzt, sich die ihren Bedürf-
nissen entsprechende Verfassung zu geben, wonach diese also eine repräsentative ist,
lehrt Gerson : »Die kirchliche Gewalt, übernatürlichen Ursprungs und unveränderlich,
hat ihren Schwer- und Schlufspunkt im Primat, der unmittelbar von Christus im
Interesse der kirchlichen Einheit geschaffen ist«. Wiewohl diese Lehre mit der obigen
unverträglich ist, hat man sie doch miteinander in Einklang zu bringen versucht.
Gerson scheidet nämlich zwischen »Gewalt an sich« und »Gewalt in ihren Trägern«.
Während jene, als von Gott herrührend, unwandelbar ist, ist es diese nicht. Den Primat
hat Gott geschaffen, der Papst ist durch die Kirche gesetzt. Der Primat ist von dieser
unzertrennbar, vom Papst kann sich die Kirche scheiden, so oft es in ihrem Interesse
liegt. Die Gewalt des Primats kann als die höchste von niemanden, auch von der
Kirche nicht, gerichtet werden, die des Papstes unterliegt dem Richterstuhl der Kirche,
die sie auf dem allgemeinen Konzil einschränken, suspendieren oder an sich ziehen
kann. Primat und Papst verhalten sich wie Göttliches und Menschliches zueinander.
Die Fülle der kirchlichen Gewalt ruht demnach in der Kirche, wird aber zufolge
göttlicher Anordnung vom Papste geübt ; doch hat sie vermöge ihrer Unfehlbarkeit
stets die Regulierung dieser Gewalt mifsbräuchlicher Übung gegenüber in den Händen.
So ist der Papst zwar der Höchste in der Kirche, steht aber ebensowenig über der
Kirche wie der Teil über dem Ganzen. Diese Ansichten hat Gerson in Konstanz
eifrig vertreten und darum die entgegengesetzten Lehren des Wiclifisinus schonungslos
verurteilt, trotzdem selbst einzelne Mitglieder des Konzils die Behauptung, dafs der
Papst zum Kirchenregiment notwendig sei, als eine irrige angriffen. Da eine Stellung,
wie sie Gerson dem Papste zuweist, weder mit dem Begriff des Primats noch mit
x) Ein solches Verlangen hatte schon Johannes von Paris gestellt. S. oben.
2) Das Folgende zum Teil nach Schwab, 722 ff. Eine ausgezeichnete Analyse
findet sich auch bei Hübler, 385—388.
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 30
466 Beginn des Konzils. Haltung Johanns XXIII.
dem der kirchlichen Gewalt als einer unmittelbar von Christus gegebenen im Einklang
steht, konnte es an Gegnern seiner Auffassung nicht fehlen, welche wie Turrecremata
die schwachen Seiten solcher Theorien angriffen ; ebenso konnten die Päpste fortan
auf der göttlichen Grundlage ihres Rechtes fassend ihre Anspräche bis zu Mifsbräuchen
steigern und jeden Angriff auf diese als einen Angriff auf das göttliche Recht des
Primats verdächtigen. Diese Grundlehren Gereons halfen dem Papsttum, den früheren
Einflufs auf die Gestaltung des kirchlichen Lebens zurückzugewinnen.
Anders Randuf. Seine Schrift -»Von der Art, die Kirche zu einigen und zu
reformieren,* zeigt eine Ähnlichkeit mit den Lehren der englischen Opposition, ja geht
in einzelnem über alles hinaus, was von dieser gelehrt wurde. Auch hier ist zwischen
der allgemeinen Kirche, deren Haupt Christus, und der partikularen geschieden, als
deren Haupt man den Papst anzusehen pflegt. Die Gewalt der römischen Kirche ist
eine beschränkte und ihr von der allgemeinen Kirche, die alle Christen umfafst, ge-
geben. Nur diese allein hat das Recht zu binden und zu Lösen, sie wird durch das
allgemeine Konzil repräsentiert, das unbedingt über dem Papste steht und die Befugnis
hat, dessen Gewalten einzuschränken, aufzuheben und ihn abzusetzen. Von diesem
Konzil gibt es keine Appellation. Seine Beschlüsse sind den Evangelien 'gleichzuhalten,
wie von diesen gibt es auch von den Beschlüssen des Konzils keine Dispens. Zur
Aufrechthaltung der Gewalten der allgemeinen Kirche sind alle Mittel erlaubt Der
Zweck der Einheit heiligt jedes Mittel, denn alle Ordnung ist um der Gesamtheit
willen da, und der einzelne mufs der Allgemeinheit weichen. — Mit einem Programm
war auch der jetzige Wortführer des Wiclifismus — Johannes Hufs — in Konstanz
erschienen, aber nicht dazu gekommen, die Lehren seines englischen Meisters daselbst
zu verkünden.
2. Mit schweren Sorgen trat Johann XXIII. am 1. Oktober 1414
die Reise nach Konstanz an. Schon, dafs auch seine Gegner geladen
waren, wies darauf hin. dafs ein Richterspruch des Konzils bestimmt
sei, das Schisma zu enden. Daher sah er sich nach stärkerem Schutze
um, als ihm der Geleitsbrief Sigmunds geben konnte : er schlofs mit
Friedrich von Österreich einen Vertrag, der diesen zum Schutze des
Papstes verpflichtete, und gewann den Markgrafen von Baden durch
reiche Geschenke. Am 28. Oktober hielt er seinen Einzug in Konstanz.
Am 5. Xovember fand die Eröffnung, am 16. die erste Sitzung des
Konzils statt. So grofsartig sich die Versammlung im folgenden Jahre
gestaltete, im Anfange war sie spärlich besucht. Von den Versammelten
scheuten sich die einen, die Unionsfrage in Angriff zu nehmen, die
andern wünschten sie erst nach der Ankunft der Franzosen und Eng-
länder zu erledigen. Daher wurde anfangs nur über vorbereitende
Dinge verhandelt. Schon jetzt platzten die Gegensätze aufeinander.
Am 17. Xovember war Ailli eingetroffen; am folgenden Tage beantragten
die vom Papst Johann abhängigen Italiener in einer Sondersitzung, über
die Anerkennung des Pisaner Konzils und die Ausführung der dort ge-
fafsten Beschlüsse zu beraten. Dagegen erhob Ailli Einsprache : > Zuerst
müfsten die Boten Gregors XII. und Benedikts XIII. gehört werden,
sonst sei es nicht möglich, mit ihnen zu verhandeln und die Union auf
friedlichem Wege zu erreichen. : Johann XXIII. gab sich hierauf der
Hoffnung hin. die Tätigkeit des Konzils auf die Behandlung der Glaubens-
angelegenheit ablenken zu können. Es wurde denn auch mit der Er-
örterung der wielif-hussitischen Frage begonnen (s. unten). Trotzdem ging
die Mehrheit des Konzils ihren eigenen Weg. Am 19. Xovember erschienen
Gesandte Gregors XII. unter der Führung des Kardinals Dominici
Gleichuiäfsige Behandlung der Päpste. Geschäftsordnung des Konzils. 467
und erhielten im Augustinerkonvent eine Wohnung angewiesen. Als
sie dort das päpstliche Wappen Gregors XII. angebracht hatten, wurde
es in der Nacht, wahrscheinlich auf Befehl Johanns XXIII. , wieder ent-
fernt. Eine Versammlung von Kardinälen und Prälaten entschied am
nächsten Tage, dafs man dies Wappen nur dulden könne, wenn Gregor XII.
selbst anwesend sei, ein Zugeständnis an diesen, das mit den Beschlüssen
von Pisa nicht im Einklang stand ; als die Italiener beantragten,
Johann XXIII. Vollmacht zu geben, in Gemäfsheit der Bestimmungen
von Pisa wider seine beiden Gegner vorzugehen, falls er es nicht für
besser erachte, sich mit ihnen in Frieden zu einigen, erklärte Ailli, dafs
die Beschlüsse von Pisa nicht binden könnten, und empfahl, mit
Gregor XII. und Benedikt XIII. in Unterhandlungen einzutreten.
Darüber verzögerte sich die Abhaltung der zweiten Sitzung bis zum
2. März 1415. Inzwischen war Sigmund am 24. Dezember eingetroffen.
Von Ailli unterstützt, setzte er es durch, dafs die Gesandten Gregors
und Benedikts als päpstliche Legaten empfangen werden sollten. Die
Boten Benedikts erklärten seine Bereitwilligkeit, mit Sigmund in Nizza
zusammenzutreffen. Einige Tage später boten die Gesandten Gregors
dessen Resignation an, falls auch die beiden andern Päpste zurück-
treten würden. Allseitig war der Wunsch vorhanden, die Union zum
Abschlufs zu bringen. Es war Wilhelm Fillastre, Kardinal von San
Marco, der den Gedanken aussprach, dafs alle drei Päpste J gleich be-
handelt werden sollten. Danach sollte auch Johann XXIII. abdanken,
dazu sei er verpflichtet, wenn er wirklich der gute Hirte sein wolle.
Das Wort rifs die meisten mit. Noch hoffte Johann XXIII. die Mehr-
heit zu erlangen, falls nach Köpfen abgestimmt würde, denn die Italiener
waren am stärksten vertreten, viele arme Bischöfe von ihm abhängig
und noch in der letzten Zeit nicht weniger als 50 Kurialisten zu Haus-
prälaten ernannt worden. Um ihm diese Mehrheit zu entziehen, wurde
beschlossen, nicht nach Köpfen, sondern nach Nationen abzustimmen.
Die Prälaten wurden sonach in vier Nationen, die italienische,
französische, englische und deutsche geteilt. Zu der letzten gehörten
auch die Böhmen, Ungarn, Polen, Schotten, Dänen und Skandinavier.
Jede Nation wählte aus ihrer Mitte eine Anzahl Deputierter, die unter
einem allmonatlich wechselnden Präsidium standen. Diese vier Depu-
tationen berieten gesondert und setzten sich sodann mit den andern in
Verbindung. Waren sie in einer Sache einig, so wurde sie vor die
Vollversammlung gebracht, in der jeder der vier Nationen eine Stimme
eingeräumt war. Aufserdem wurde aber schliefslich noch den Kardi-
nälen eine fünfte Stimme zugewiesen. Der in der Vollversammlung
gefafste Beschlufs wurde sodann in der feierlichen Sitzung als Konzils-
beschlufs verkündigt. Erst jetzt nahmen die Verhandlungen einen
rascheren Gang und wurden die Hauptaufgaben des Konzils ihrer Er-
ledigung zugeführt. Solche waren die Herstellung der kirchlichen Union
(causa unionis), die Sicherung des katholischen Glaubens gegen Irrlehren
(causa fidel) und die Durchführung der allgemeinen Reformation an
Haupt und Gliedern (causa reformationis) .
30*
468 Die Flucht Johanns XXIH.
§ 108. Die Beilegung des Schismas.
1. Wäre Johann XXIII. eine unbemakelte Persönlichkeit gewesen
und dem Verlangen nach einer durchgreifenden Reformation der Kirche
entgegengekommen, so hätte er seine beiden Gegner leicht besiegen und
entscheidenden Einflufs auf die Verhandlungen gewinnen können. Aber
schon zu Anfang 1415 wurden heftige Klagen über seine Lebensführung
laut. Bald kam es hierüber zu lebhaften Anschuldigungen, deren
öffentliche Erörterung dem Papste peinlich, dem Ansehen des Papsttums
und der Kirche abträglich sein mufste. Man benützte diese Lage, ihn
zur Abdankung zu bewegen. Und in der Tat gab er in der zweiten
öffentlichen Sitzung das eidliche Versprechen ab, abzudanken, falls
seine Gegner dasselbe täten. Es handelte sich nur noch darum,
Benedikt XIII. für die Zession zu gewinnen. Sigmund selbst erklärte
sich bereit, mit Ferdinand von Aragonien über Benedikts Abdankung
zu verhandeln. Johann XXIII. bereute aber bald seine Nachgiebigkeit.
Er rechnete darauf, jene Mitglieder des Konzils auf seine Seite zu
ziehen, die von allzu schroffen Mafsregeln gegen ihn nichts wissen
wollten; daher weigerte er sich, Sigmund Vollmacht für die Verhand-
lungen mit Benedikt zu geben, in seinem Namen die Abdankung aus-
zusprechen, erklärte sich dagegen bereit, mit Benedikt in Nizza selbst
zu verhandeln. Schon fürchtete man, er werde seine Reise benützen,
um das Konzil zu sprengen. Bald waren denn auch Gerüchte über
seine Flucht in Umlauf. Trotz sorgsamer Bewachung der Stadttore
gelang es ihm mit Unterstützung Herzog Friedrichs von Tirol, während
eines Turniers in der Kleidung eines Stallknechts in die österreichische
Stadt Schaff hausen zu entkommen (20. März). Von hier schickte er Briefe
an Sigmund und die Kardinäle und gab seine Absicht kund, von seinem
Zessionsversprechen nicht zurückzutreten. Die Flucht des Papstes
erzeugte in Konstanz allgemeine Aufregung. Viele folgten ihm. Der
Papst selbst rief seine Kurialen zu sich und erhob Beschwerde wider
jene Partei, die alle Macht an sich gerissen, durch gewaltsame Mafs-
regeln den Abschlufs des Friedens bedroht und ihm kein anderes Mittel
als die Flucht übrig gelassen habe. Aber seine Hoffnung, die Auflösung
des Konzils zu erreichen, täuschte ihn. Mitglieder der französischen,
englischen und deutschen Nation wirkten mit Sigmund einträchtig zu-
sammen, und Gerson, jetzt schon die Seele des Konzils genannt, trat
in einer feurigen Rede für dessen Erhaltung ein (23. März). Vielen
Mitgliedern erschienen seine scharfen, gegen das Papsttum gerichteten
Sätze anstöfsig. Noch entflohen einzelne Kardinäle und Kurialen nach
Schaffhausen, die übrigen beschlossen dagegen (dritte Sitzung)1), dafs
niemand das Konzilium auflösen, verlegen oder verlassen dürfe, ehe
nicht die Kirchenspaltung beseitigt und die Kirchenverbesserung zustande
gebracht sei. 2) Friedrich von Tirol wurde von Sigmund zur Verant-
wortung vorgeladen und, da er nicht erschien, in die Reichsacht erklärt
1 Der von den Kardinälen aufser Ailli nur Zabarella beiwohnte.
8 Quousque ecclesia sit reformata in fiele et morlbns, in eapite et membHs.
Die Superiorität der Konzilien. Der Prozefs gegen Johann XXIII. 469
(30. März). Nun entwich der Papst nach Laufenburg ; seine Lage ver-
schlechterte sich mit jedem Tage; war es bisher noch den Kardinälen
gelungen, die Verkündigung von Beschlüssen zu verhindern, die der
päpstlichen Autorität abträglich waren, so wurden nunmehr (fünfte
Sitzung, 6. April) vier Dekrete verlesen, von denen die beiden ersten
die Superiorität des Konzils über den Papst aussprachen, die
beiden andern ihre Spitze gegen Johann XXIII. richteten : das Konzil
repräsentiere die ganze streitende Kirche; seine Gewalt rühre unmittelbar
von Christus her, und ein jeder sei ihm in Sachen des Glaubens, der
Beilegung des Schismas und der Reformation der Kirche unterworfen.
Johann dürfe die Kurialen vom Sitz des Konzils nur mit dessen Zu-
stimmung abberufen, die von ihm seit seiner Entfernung verfügten
Strafen seien kraftlos.
2. Der Papst war nunmehr auch von den letzten Kardinälen,
die noch bei ihm geweilt hatten, verlassen, sein Sturz nur noch eine
Frage der Zeit. Von seinen Anhängern entwichen die einen in ihre
Heimat, die andern begaben sich zum Konzil zurück. Mittlerweile
begann Sigmund den Kampf gegen Herzog Friedrich. Von allen Seiten
erhielt dieser Fehdebriefe. Am rührigsten waren die Eidgenossen, und
die vorderösterreichischen Gebiete fielen grösstenteils in ihre Hände.
Johann XXIII. hatte sich nach Freiburg und von dort, um dem be-
freundeten Burgund näher zu sein, nach Breisach geflüchtet. Die Wider-
standskraft Friedrichs war bald gebrochen. Schon am 7. Mai unterwarf
er sich, gelobte, den Papst in acht Tagen in des Königs Gewalt nach
Konstanz einzuliefern, und bis dies geschehen, selbst als Geisel daselbst
zu bleiben.1) In allen Ländern Friedrichs sollte dem König gehuldigt
werden. Nicht alle taten es ; vornehmlich konnte Tirol nicht zur Unter-
werfung unter den König gebracht werden. Daher blieb Friedrich in
Haft. Mittlerweile unterhandelten Gesandte des Konzils mit dem Papst
über die Abdankung. Ohne eine endgültige Antwort zu geben, ging
er nach Neuenburg, in der Absicht, über Burgund nach Avignon
zu fliehen. Daran gehindert, kehrte er nach Freiburg zurück und
erklärte sich jetzt zur Zession selbst für den Fall bereit, clafs die beiden
andern Päpste nicht zurücktreten würden. Aber schon hatte beim
Konzil eine Stimmung gegen ihn die Überhand gewonnen, die auf seine
Verurteilung und Absetzung abzielte. In dem wider ihn (2. Mai)
eröffneten Prozefs wurde er der Häresie, Förderung des Schismas, der
Simonie und anderer Verbrechen beschuldigt. Nun wurde auch den
Kardinälen das Stimmrecht entzogen und gefordert, dafs sie sich hin-
fort ihren Nationen anzuschliefsen hätten, der Papst hierauf sus-
pendiert und die ungeheuerlichsten Anklagen gegen ihn vorgebracht :
dafs er ein unreines, unverbesserliches Leben führe, seinen Vorgänger
vergiftet, ketzerischen Lehren gehuldigt habe usw. Das wenigste von
diesen Anklagen 2) war gerechtfertigt ; es ist ist aber immerhin bemerkens-
*) S. Zöfsmaier, S. 10.
2) Die 72 Anklagepunkte bei Hefele VIT, 125.
470 Absetzung Johanns XXIII., Abdankung Gregors XII.
wert, dafs man den Papst solcher Verbrechen beschuldigen durfte. Er
hatte allen Mut verloren. Man hatte ihn nach Radolfszell geführt und
in einen festen Turm gelegt. Jetzt erklärte er, sich allen Beschlüssen
zu fügen, man möge nur seine Ehre, seinen Stand und seine Person im
Auge behalten. In der zwölften Sitzung (29. Mai) wurde seine Ab-
setzung ausgesprochen und die Christen des Gehorsams gegen ihn ent-
bunden, jede Neuwahl ohne des Konzils Genehmigung untersagt und
verboten, einen der drei Päpste aufs neue zu wählen. Mit dem Wunsche,
er möchte niemals Papst geworden sein, nahm er den Ausspruch ent-
gegen und empfahl sich der Gnade des Konzils. Er wurde in der
Burg Rheinhausen (später Eichelsheim genannt) bei Mannheim gefangen
gehalten. Erst nach drei Jahren erhielt er auf Verwendung Martins V.
die Freiheit und trat dann als erster Kardinal wieder in die Reihe der
Kirchenfürsten ein. Das Urteil wider ihn ward in den Ländern seiner
Obedienz verkündet und zumeist anerkannt.
3. Nun legte auch Gregor XII., nachdem er das Konzil auch in
seinem Namen berufen, durch seinen Bevollmächtigten Karl Malatesta
seine Würde nieder (4. Juli), wurde zum Kardinalbischof von Porto und
lebenslänglichen Legaten von Ancona ernannt. Auch seine Obedienz
löste sich auf. Zur völligen Herstellung der Union fehlte nur noch der
Verzicht Benedikts XIII. Trotzdem er aufgefordert worden war, seiner
Würde zu entsagen, um nicht als Schismatiker und Häretiker behandelt
zu werden, wurden Verhandlungen mit ihm angeknüpft. Die Flucht
Johanns hatte Sigmund gehindert, nach Nizza zu gehen. Dann wurde
Perpignan als Ort der Zusammenkunft ausersehen. Auch diese kam
nicht zustande. Sigmund trat nun, von den Segenswünschen des
Konzils begleitet, am 18. Juli die Reise an, um mit Benedikt persönlich
zu verhandeln. Die Verhandlungen, die in Narbonne, dann in Per-
pignan gepflogen wurden, führten aber zu keinem Ziele. Benedikt be-
gehrte Verwerfung des Pisaner, Auflösung des Konstanzer und Berufung
eines neuen Konzils, seine Anerkennung als Papst und nach seiner
Zession eine hervorragende Stellung. Sigmund konnte darauf nicht
eingehen und kehrte nach Narbonne zurück. Nachdem auch die Ver-
suche der spanischen Fürsten, Benedikt zum Rücktritt zu bewegen, ge-
scheitert waren, schlofs Sigmund einen Vertrag mit den Gesandten
Frankreichs, Aragoniens, Kastiliens, Navarras und Schottlands, wonach
das Konzil die Obedienz Benedikts XIII. einlud, in Konstanz zu er-
scheinen. Nun entzogen die Staaten, die zu seiner Obedienz gehört
hatten, ihm den Gehorsam. Sigmund, bemüht, auch sonst die Auf-
gaben des Konzils zu fördern, die durch den Kampf zwischen England
und Frankreich (s. unten) gefährdet waren, nahm auf Wunsch Frank-
reichs die Friedensvermittlung zwischen beiden in die Hand und begab
sich nach Paris und London, ohne freilich seine Absicht zu erreichen.
Erst Ende Januar 1417 kehrte er nach Konstanz zurück. Dort hatten
sich mittlerweile am 15. September 1416 die Aragonier eingefunden.
Als die letzten erschienen — im Frühling 1417 — die Kastilier. Die
Spanier bildeten nunmehr die fünfte Nation. Inzwischen war auch
Absetzung Benedikts XIII. Der Prozefs gegen Hufs. 47 \
(1416, 5. November) das Verfahren gegen Benedikt XIII. eingeleitet
worden. 27 Klagepunkte, die sich insgesamt auf die Verweigerung der
Zession bezogen — denn sein Privatleben war unbemakelt — wurden
gegen ihn eingereicht und am 26. Juli 1417 das Urteil gegen ihn als
Schismatiker und Häretiker ausgesprochen. Er hielt an seiner Würde
fest und zog sich nach Peniscola bei Valencia, einem seiner eigenen
Familie gehörigen Schlosse zurück. Dort, nicht in Konstanz, liefs er
sich vernehmen, sei die Kirche. Dort ist er im November 1424 gestorben.
§ 109. Der Prozefs des Hufs und Hieronymus von Prag.
1. Dem Könige Sigmund lag als Erben der böhmischen Krone
daran, den Makel der Häresie von Böhmen zu nehmen. Auch Hufs
wünschte , dem wüsten Geschrei ein Ende zu machen , und war gern
bereit, der Aufforderung Sigmunds, nach Konstanz zu gehen, Folge zu
leisten. Dort hoffte er Grofses zu erzielen : aus den dahin mit-
genommenen Predigten entnimmt man seine Absicht, die
versammelten Väter zu seinen, d. h. zu Wiclifs Haupt-
lehren zu bekehren. Sigmund stellte ihm einen Geleitsbrief aus,
der allerdings nicht viel mehr als ein Reisepafs war, bestimmt, ihm Er-
leichterungen auf der Fahrt zu gewähren. Drei Herren vom böhmischen
Adel hatten den Auftrag, für seine Sicherheit auf der Reise und während
des Konzils zu sorgen.
Nachdem er sich in Prag mit Zeugnissen über seine Rechtgläubigkeit
versehen und wie in der Ahnung, dafs er in den Tod gehe, sein Haus
bestellt hatte, machte er sich auf den Weg. Den Absichten Sigmunds
entsprechend, hätte er die Reise in dessen Begleitung machen sollen,
und das wäre für seine Sache auch besser gewesen. Am 11. Oktober
brach er auf. Mit Freuden meldete er nach Hause, die Deutschen kämen
ihm — er hatte das zweifellos nicht erwartet — freundlich entgegen. Er sollte
es bald in der Tat erfahren, dafs seine ärgsten Feinde unter den eigenen
Landsleuten ständen. Diese hatten sich schon gerüstet: am 3. November
langte Hufs in Konstanz an, und schon am folgenden Tage konnte man
an den Kirchentüren lesen, dafs Michael von Deutschbrod gegen den
Ketzer Hufs auftreten werde. Dieser befand sich anfangs auf freiem
Fufse. Aber schon nach wenigen Wochen gelang es seinen Widersachern,
ihn auf das Gerücht hin , dafs er zu fliehen beabsichtige, gefangen zu
setzen (28. November). Zwar brauste Sigmund auf, als er hörte, dafs
man seinen Geleitsbrief mifsachte , und liefs die Prälaten seinen Zorn
fühlen, als diese aber auf die Drohung des Königs, das Konzil zu ver-
lassen, antworteten, dafs es damit eben aufgelöst wäre, schickte er sich
in die Tatsache. So war Hussens Schicksal besiegelt. Bereits am
4. Dezember hatte der Papst einen Ausschufs mit der Voruntersuchung
gegen ihn betraut. Die Belastungszeugen wurden vernommen, ohne dafs
ihm ein Anwalt, um den er gebeten hatte und der ihm anfangs auch
verheifsen ward, gegeben wurde. Auf die Nachricht, dafs Jakob von Mies
in Prag begonnen habe, das Abendmahl unter beiden Gestalten zu spenden,
472 Die Verhöre des Hufs.
kam zu den ihm zur Last gelegten (42) Irrtümern noch der Laienkelch
als Anklagepunkt hinzu.
Hussens Lage verschlechterte sich, seit Johann aus Konstanz
entwichen war. Bisher Gefangener des Papstes und in stetem Verkehr
mit seinen Freunden, wurde er nun der Hut des Bischofs von Konstanz
übergeben und in dessen Burg Gottlieben am Rhein gebracht. Hier
weilte er, bei Tag gefesselt, des Nachts mit den Händen an die Wand
gekettet, schlecht genährt und von Krankheit gepeinigt. Da durch die
Flucht Johanns XXIII. die Vollmacht der mit seiner Sache betrauten
Kommission erloschen war, wurde sie nun an vier andere Prälaten über-
geben, unter denen sich auch der Kardinal d'Ailli befand. Dieser Aus-
schult hatte auch die Berichterstattung über Wiclifs Lehre übernommen,
da das Konzil in richtiger Erwägung beide Angelegenheiten als untrennbar
ansah. Als nun am 4. Mai das Verdammungsurteil über Wiclif gefällt
wurde, war dies für Hufs von übelster Vorbedeutung.
Am 5. Juni wurde er zum erstenmal verhört und zu dem Zwecke
in das Franziskanerkloster gebracht, wo er die letzten Wochen seines
Lebens zubrachte. Nachdem er sich bereit erklärt hatte, zu widerrufen,
falls man ihm etwas Irriges nachweise , wurden ihm die aus seinen
Schriften gezogenen Sätze nebst den Zeugenaussagen vorgelesen;
wie er jedoch auf einzelne Punkte antworten wollte, schrien viele zu-
gleich auf ihn ein ; schwieg er aber, so erklärte man es als Beweis seines
Irrtums. Unmutig brach er in die Worte aus : Ich hatte gedacht, mehr
Anstand und Güte und bessere Zucht beim Konzil zu finden. Das
Verhör wurde am 7. Juni fortgesetzt. Sigmund war selbst anwesend;
es nahm daher auch einen würdigeren Gang. Ein Engländer meinte
den leibhaftigen Wiclif vor sich zu haben , als er Hussens Antworten
hörte. Es kam denn auch sein Verhältnis zu jenem zur Sprache; seine
tiefe Verehrung Wiclifs gab er zu, dagegen bestritt er, die Wiclifsche
Abendmahlslehre oder die 45 Artikel verteidigt zu haben : er sei nur
gegen deren Verurteilung in Bausch und Bogen aufgetreten. Noch
mahnte ihn der König, sich der Gnade des Konzils zu überlassen; er
wolle keinen Ketzer in Schutz nehmen. Hufs antwortete demütig, er sei
nicht gekommen, etwas hartnäckig zu behaupten, sondern lasse sich eines
Besseren belehren, falls man ihm einen Irrtum nachweise.
Beim letzten Verhör (am 8. Juni) wurden ihm 39 seiner Lehrsätze
vorgelesen. Hufs lehnte einige ab , andere versuchte er zu erläutern.
Dem König hatte man das Gemeingefährliche einiger Lehren für den
Bestand der weltlichen Herrschaft nahegelegt, um ihn wider Hufs zu er-
bittern. Ailli mahnte diesen schliefslich, sich zu fügen, dann werde man
seiner schonen. Hufs erklärte, bereit zu sein, sich eines Besseren zu
belehren. Nur bitte er um Gehör, um seine Ansichten besser zu be-
gründen. Sowohl jetzt als auch nach dem Verhör bis zu Ende des
Monats wurden Versuche gemacht, ihn zum Widerruf zu bewegen. Er
hat sie alle abgelehnt, Am 18. Juni wurden die Artikel formuliert, wie
sie die Grundlage seiner Verurteilung bilden sollten. Zu 25 von
ihnen machte er teils erklärende, teils einschränkende Bemerkungen.
Seine Verurteilung und Verbrennung. 473
Arn 24. wurden seine Bücher zum Feuer verurteilt. Acht Tage später
überreichte er dem Konzil eine Erklärung, durch die er sich dem
gegnerischen Standpunkt so weit näherte, als es ihm möglich war. Zu
einer Verständigung ist es nicht mehr gekommen. Für das Verhalten
König Sigmunds waren politische Erwägungen mafsgebend. Er hielt zur
Meinung jener, die Hussens Rückkehr fürchteten: /Dann würde das
Feuer erst recht auflodern. Am besten sei es, hier die Wurzel
abzugraben, dort die Aste zu vernichten; der Schrecken würde seine
Wirkung tun.« Hufs selbst gab sich keiner Täuschung hin. Das
Martyrium entsprach seinem eigenen Wunsche. Für ihn war es kein
Zweifel, dafs Sigmund ihm das Wort gebrochen. Setzt euer Vertrauen,
schreibt er, nicht auf die Fürsten. — Am 6. Juli — es war ein Sonn-
abend — erfolgte in feierlicher Volksversammlung im Dom seine Ver-
urteilung und hierauf seine Verbrennung.
Der Bischof von Lodi hielt eine Bede über die Pflicht, die Ketzerei auszurotten ;
dann wurden einzelne der von Hufs und Wiclif aufgestellten Sätze und so auch ein
Bericht über seinen Prozefs verlesen. Hufs machte mehrmals den Versuch, Einsprache
zu erheben. Nochmals betonte er : Frei bin ich, versehen mit dem Geleitsbrief des
Königs, der hier sitzt, hieher gekommen, meine Unschuld zu erweisen und von
meinem Glauben Rechenschaft zu geben. Es ist eine alte Sage, dafs er bei diesen
Worten fest auf den König blickte und dieser errötete. Ein italienischer Prälat ver-
kündigte den Richterspruch : Hufs sei ein Ketzer und als solcher zu behandeln. Auch
jetzt widersprach Hufs, fiel auf die Knie und bat um Verzeihung für seine Feinde.
Dann erfolgte seine Degradation ; schliefslich wurde die Sentenz verkündigt, dafs ihm
alle seine kirchlichen Rechte genommen und er dem weltlichen Arm übergeben werde.
Eine ellenhohe Papiermütze wurde ihm aufgesetzt, welche die Umschrift : Haeresiarcha
trug. Auf des Königs Befehl übernahm der Pfalzgraf Ludwig den Verurteilten, mit
ihm zu tun, »als mit einem Ketzer«. So wurde Hufs, während das Konzil weiter
tagte, unter einem starken Geleite von Bewaffneten abgeführt. Er ging festen Schrittes,
singend und betend zur Richtstätte, dem »Brühl« zwischen Stadtmauer und Graben.
Dort kniete er nieder, breitete die Hände aus und betete laut. Von den Anwesenden
meinten einige, man solle ihm einen Beichtvater geben ; dagegen eiferte ein Geist-
licher: einem Ketzer dürfe weder Gehör noch ein Beichtvater gegeben werden. Die
Henker banden seine Hände rückwärts mit Stricken und seinen Hals mit einer Kette
an einen Pfahl, um den Holz mit Stroh aufgeschichtet wurde, so dafs es ihm bis an
den Hals reichte. Noch im letzten Augenblicke mahnte ihn der Reichsmarschall von
Pappenheim, sein Leben durch einen Widerruf zu retten. Er lehnte dies ab. Da
wurde der Scheiterhaufen angezündet. Mit erhobener Stimme sang er : Christus, du
Sohn des lebendigen Gottes, erbarme dich meiner. Als er zum drittenmal anhob und
fortfuhr: der du geboren bist aus Maria der Jungfrau, schlug ihm der Wind die
Flamme ins Gesicht ; noch bewegte er die Lippen und das Haupt, dann erstickte er
lautlos. Sein Todeskampf dauerte so lange, als man schnell zwei, aufs höchste drei
Vaterunser betet. Seine Kleider wurden in das brennende Feuer geworfen, seine
Asche gesammelt und in den nahen Rhein geschüttet.
Die berühmtesten Theologen beim Konzil hielten seine Verdammung für durch-
aus gerechtfertigt. Seine von Wiclif übernommene Lehre von der Kirche als der Ge-
meinschaft aller zur Seligkeit vorherbestimmten, verletzte die bestehende Kirchen-
verfassung. Ailli hätte selbst den Purpur ablegen müssen, hätte er Hufs anerkannt. l)
Noch schärfer urteilte Gerson : doch verdient immerhin seine Äufserung erwähnt zu
werden : Man habe Hufs als Häretiker erklärt und verdammt. Hätte man ihm einen
Advokaten gewährt : niemals wäre er überwiesen worden. 2)
») Tschackert, S. 275.
£) 388.
474 ( Charakteristik des Hufs. Sein Verhältnis zu Wiclif.
Hatte der gröfste Teil des tschechischen Volkes schon bisher an ihm wie an
einem Apostel gehangen, so wurde er jetzt als Märtyrer und Heiliger verehrt ; auf
Wegen und Strafsen ertönten Klagelieder. Sein Fest wurde mit vorgeschriebenem
Zeremoniell am 6. Juli gefeiert. Einen Lobspruch, der freilich zu überschwänglich
ist, als dafs er ganz wahr sein könnte, hat ihm die Prager Universität in einem an
»verschiedene Königreiche und Länder« ausgegangenen Ausschreiben (vom 23. Mai
1416) gewidmet. Sie nennt ihn die Tugend selbst und einen Lehrer ohnegleichen.
Hufs besafs ja zweifellos hohe Tugenden. In den Kämpfen an der Prager Universität
und mit seinen kirchlichen Gegnern kehrte er aber doch nicht selten die rauheste
Seite hervor; er greift zum Schmäh- und Scheltwort. Er war ein viel zu leidenschaft-
licher Kämpfer für die nationalen Interessen seiner Nation — der geheiligten — , als
dafs er den Deutschen gerecht werden konnte ; denn daran ist kein Zweifel : von Hafs
gegen die Deutschen kann er nicht freigesprochen werden. Auch was seine Gelehr-
samkeit betrifft, müssen starke Einschränkungen gemacht werden : denn wo er über
Wiclif hinausgeht, wird er unsicher, schwerfällig oder weitschweifig. Was an refor-
matorischen Schriften aus seiner Feder vorliegt, ist nicht viel ; im wesentlichen sind
es seine Streitschriften gegen Stanislaus und Palecz und sein Buch von der Kirche,
und auch hier ruht alles auf Wiclif. Dafs ihm alle Werke Wiclifs bekannt waren,
darf man bezweifeln. Man weifs, dafs er Wiclifs Trialogns übersetzt und dem Mark-
grafen Jodok von Mähren und andern vornehmen Männern, auch Laien und selbst
Frauen übersendet hat. Daneben kannte er Wiclifs Werke vom Leibe des Herrn,
von der Kirche, von der Gewalt des Papstes und namentlich die Predigten sehr genau.
Wiclifs Buch von der Kirche hat er sich ganz zu eigen gemacht. Dieses und das
Buch De potestate papae enthalten das Wesentliche seiner Lehre. Was er in seinen
Predigten über die Verderbtheit der Kirche sagt, über die grofsen Schäden des Besitzes
der Toten Hand für die Besitzer und für ganze Länder und Reiche, über die Pflicht
der Obrigkeit, die Kirche zu reinigen : all das stammt meist wortgetreu aus Wiclifs
Predigten. Es ist wohl das bezeichnendste Moment, dafs jene drei grofsen Reden,
durch die er das ganze Konzil hinreifsen wollte, wortgetreu Predigten Wiclifs sind *),
und dafs sie in Böhmen als Predigten des Hufs gegolten haben, wie ja Hufs auch
sonst in seinen kleineren Arbeiten an den Stellen, wo Wiclif von Anglia spricht, ein-
fach Boemia substituiert. Es ist im allgemeinen richtig, dafs er die Angriffe Wiclifs
auf die sakralen Einrichtungen der Kirche nur in geringem Ausrnafs übernommen hat,
aber anderseits weifs man darüber doch nichts Endgültiges zu sagen, da er seine Lehre
eben nicht wie Wiclif in grofsen Werken oder in knapper Verkürzung zusammen-
fassend vorgetragen hat. Es steht trotz seiner Behauptung, die Wiclifsche Lehre vom.
Abendmahl nicht gelehrt zu haben, nicht ganz fest, dafs dem so ist. Gerade für
diese Lehre war in Böhmen der Boden wohl vorbereitet Man hatte dort in der
zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts lebhaft gestritten, ob man das Abendmahl nur
einmal oder oft oder selbst täglich nehmen solle. Jetzt stiefs man auf eine Lehre,
die den Wert des Abendmahls, in der bisherigen Weise genommen, nur gering an-
schlug und die bisherigen Ansichten über Transsubstantiation über den Haufen zu
werfen drohte. Nach einer freilich nicht über jeden Zweifel erhabenen Angabe wurde
Wiclifs A.bendmahlslehre schon 1399 in Prag verbreitet. Seit 1403, wo sie verboten
ward, gewann sie erst recht an Boden. Hufs mag sie ja vielleicht nur »in scholastischer
Weise« vorgetragen haben, in jener, welche die Gründe für und gegen erörtert, ohne
selbst Partei zu ergreifen. Nur so läfst sich der Widerspruch zwischen den Anschul-
digungen seiner Gegner und seiner Abwehr erklären. Wenn er ihr aber auch eine
Zeit zuneigte, festgehalten hat er an ihr nicht, Dagegen wurde sie von der radikalen
Partei — den Taboriten — lebhaft aufgegriffen und der Mittelpunkt ihres ganzen
Systems.
Die grofsen Erfolge des Hufs in seiner Heimat sind nur aus seiner geradezu
unvergleichlichen pastoralen Tätigkeit, die jene der alten berühmten Prediger Böhmens
weit hinter sich liefs und deren Ruf noch in späten Tagen lebendig war, zu erklären.
*) Es sind die Predigten : De sufßcientia legis Christi. De fidei suae elueidatione
und De pace.
Hieronymus von Prag and seine Propaganda für Wiclif. 475
Aber auch hier ist er nur der gelehrige Schüler des Engländers gewesen. Wie Wicht*
in seinen letzten Lebensjahren eine umfassende Tätigkeit entwickelt, seine Predigten
sammelt, seine t einfachen Priester < aussendet und Belehrungen gibt, wer, was und
wie man dem Volke zu predigen habe: so ersehnt auch Hufs, in die enge Kerkerzelle
eingeschlossen, seine Befreiung nur, um dem Volke durch seine Predigt zu nützen,
und wie er selbst von der höchsten Wertschätzung der Predigt durchdrungen war, so
verstand er es auch, die Massen für sie zu begeistern. Er hat in der Bethlehems-
kapelle eine ans Demagogische streifende Tätigkeit entfaltet; als er 1413 und 1414
im Exil weilte, predigte er in Dörfern, auf freiein Felde, selbst im Walde. Seine
Predigten waren oft durch ihren Inhalt aufreizend ; er zieht seine Streitsachen mit
den geistlichen Vorgesetzten herein, gibt sein Urteil über einzelne Ereignisse aus der
Geschichte dieser Tage ab oder ruft endlich seine Gemeinde zum Zeugen oder zum
Richter auf. Eben dies demagogische Wesen schuf ihm seinen grofsen Anhang, und
so wurde er, ohne selbst Theoretiker in theologischen Fragen zu sein, der rechte
Apostel seines englischen Meisters. Er hatte Genossen, die ihn an Wissen und an
Beredsamkeit überragten, in der Kunst der Beherrschung der Menge war er unübertroffen.
2. Sein Schicksal teilte Hieronymus von Prag. Er entstammte
einem Prager Geschlechte. Es ist ein alter, auf eine Verwechslung mit
Nikolaus Faulfisch zurückreichender Irrtum , wenn man als seinen
Familiennamen Faulfisch nennt. Nachdem er seine ersten Studien in
Prag gemacht und Baccalaureus geworden — den priest er liehen Stand
strebte er nicht an — zog er nach Oxford. Dort lernte er Wiclif s
Schriften, vornehmlich den Dialogus und Trialogus, kennen und brachte
sie — spätestens 1402 — nach Prag. Hier duldete es ihn nicht lange:
er ging auf Reisen, die ihn, wie man meint, selbst nach Jerusalem
führten. In Paris befand er sich im Besitz AViclif seh er Schriften (1404);
er schreibt an die Prager Freunde, er werde ihnen Bücher senden, über
die sie eine grofse Freude haben würden. In Paris wurde er Magister.
Dann ging er nach Heidelberg, wo er 1406 wegen Verteidigung realistischer
Lehrsätze aus der artistischen Fakultät ausgeschlossen wurde. Für die
Philosophie Wiclifs war er auch in Köln, tätig. 1407 weilte er wieder
in Prag. Am Stimmenstreit nahm er lebhaften Anteil, mehr aber noch
an den Kämpfen um die Lehren Wiclifs: diesen pries er ganz offen als
heiligen Mann, »dessen Doktrinen man gröfseren Glauben beimessen
dürfe als selbst dem hl. Augustinus <. Seit 1410 datieren seine Yev-
suche, den Wiclifismus in Ungarn, Kroatien, Österreich und Polen aus-
zubreiten. Am 20. März 1410 hielt er in Ofen vor König Sigmund eine
Rede, voll von Angriffen gegen den verweltlichten Klerus. Bis hieher
verfolgten ihn die Klagen des Prager Erzbischofs, und auf dessen Betreiben
liefs ihn Sigmund in Haft nehmen. Bald aber — es ist nicht
ganz sicher, ob er nicht inzwischen nach Prag geführt wurde — traf er
in Wien ein. Hier kam er wegen seiner Propaganda für Wiclif vor das
bischöfliche Gericht, wo ihm aufser den 45 Artikeln auch noch das ganze
bisherige Verhalten in Heidelberg, Prag, Ofen usw. vorgehalten wurde.
Hieronymus erklärte die meisten Anschuldigungen für Klatsch. Er gelobte,
die Stadt nicht zu verlassen, bis er sich von dem Verdacht der Ketzerei
befreit habe. Er sah indes diese Zusage als eine erzwungene an und
entwich nach Vöttau in Mähren. Er verfiel nun auch hier der Ex-
kommunikation. Mit aufserordentlicher Lebhaftigkeit beteiligte er sich
an dem Ablafsstreit in Prag (1412), wo er durch die Kraft seiner Rede
476 I)er Prozefs des Hufs. Seine Verurteilung und sein Ende.
selbst Hufs überragte. Im folgenden Jahre war er für seine Ideen in
Krakau tätig und ging im Gefolge des Grofsfürsten Witold nach Litauen
und Rufsland, um dort die Angehörigen der griechischen Kirche für
seine Lehre zu gewinnen. Als Hufs im Begriffe war, nach Konstanz zu
gehen, sprach ihm Hieronymus zu, sich gegen die wider ihn vorgebrachten
Anschuldigungen zu verteidigen, er werde ihm im Falle der Not zu
Hilfe eilen. Das führte er, ohne auf Hussens Warnungen zu achten,
aus und traf am 4. April 1415 in Konstanz ein. Die Bemühungen der
böhmischen Barone, ihn zum Wegzug zu bewegen, hatten den Erfolg,
dafs er aus Konstanz flüchtete und von Überlingen aus den Versuch
machte, freies Geleit vorn König und Gehör beim Konzil zu erhalten.
Als ihm das nicht in der gewünschten Weise zuteil wurde, machte er
sich auf die Heimreise. Schon hatte er fast die heimatliche Grenze er-
reicht, als er am 15. April, in Hirschau erkannt, gefesselt und auf Befehl
des Konzils nach Konstanz zurückgeführt wurde. Noch am Tage seiner
Ankunft (23. Mai) wurde er einem Verhör unterzogen, dann ruhte seine
Angelegenheit, bis Hussens Prozefs entschieden war. Er kam in eine
harte Haft, die dem kräftigen Mann ans Leben griff und seine Willens-
kraft beugte. Am 19. Juli wurde er wieder verhört: es handelte sich
um den Stützpunkt der Wiclifschen Lehre : das Abendmahl. Man gab
sich Mühe, ihn zum Widerruf zu bewegen, um so mehr, als der Tod des
Hufs die erwartete Wirkung in Böhmen nicht gezeitigt hatte. In der
Tat erklärte er sich am 10. September hiezu bereit, leistete ihn nicht
blofs tags darauf, sondern wiederholte ihn auch in einer vom Konzil
festgesetzten Fassung, die alle Reservationen ausschlofs. Und doch er-
langte er seine Freiheit nicht. Das Konzil begehrte seine Mitwirkung
zur Beruhigung der Gemüter in Böhmen: er sollte im Sinne seines
Widerrufs an König Wenzel, an die Königin, die Universität, an Adelige
und das Volk Schreiben richten, er schrieb nur an Latzko von Krawar;
von weiteren Schreiben wollte er nichts mehr wissen. Sein Gewissen
war erwacht. Über das fernere Verfahren wider ihn war man nicht
einig: eine gemäfsigte Partei verlangte seine Freilassung; an der Spitze
der andern standen wieder seine eigenen Landsleute ; ihnen schlofs sich
Gerson an, und auf ihr Betreiben wurde der Prozefs gegen ihn wieder
aufgenommen. Da er keine Schriften wie Hufs veröffentlicht hatte,
mufste man sich auf Zeugenaussagen beschränken. Am 23. Mai, dem
Jahrestag seiner Konstanzer Haft, wurde ihm ein öffentliches Verhör
bewilligt und am 26. Mai fortgesetzt. Nicht nur der Italiener Poggio
Bracciolini, sondern mancher andere war von der Kraft seiner Rede aufs
tiefste ergriffen; in beredten Worten führte er aus, dafs die wider ihn
vorgebrachten Klagen falsch seien, seine Rede ging aber nicht in einen
Widerruf aus, sondern in eine Verherrlichung des Hufs: den habe er
von Jugend an als reinen und heiligmäfsigen Mann und getreuen Prediger
gekannt. Seine gröfste Sünde sei, ihn verleugnet zu haben. Damit hatte
sich Hieronymus sein L^rteil gesprochen. Die Versuche, ihn umzustimmen,
schlugen fehl, und so wurde er am 30. Mai 1416 als rückfälliger Ketzer
verurteilt. Mit heiterem Antlitz ging er zum Tode. Ein Zeitgenosse
Die Konstanzer Reformation. 477
hörte ihn sagen: Ihr verdammt mich, wiewohl ich unschuldig bin. Ich
aber werde euch einen Stachel zurücklassen. Ich rufe euch auf, mir
binnen 100 Jahren vor dem allmächtigen Gott Rede zu stehen. Als man
den Holzstofs anzündete, stimmte er das Osterlied an : Salve festa dies,
den Umstehenden beteuerte er seine Unschuld. Seine letzten (in
tschechischer Sprache gesprochenen) Worte waren : Gott Vater, vergib
mir meine Sünden ! Rauch und Qualm erstickten seine Stimme. Fast
eine Viertelstunde bewegte er noch die Lippen.
§ 110. Die Konstanzer Reformation und die Wahl Martins Y.
Hilfsschriften s. oben. Dazu Fromme, Die Wahl Papst Martins V. RQSchrChA . X .
1. Schon Johann XXIII. hatte (1414, Dezember) den Entwurf
einer Reformation der Kirche eingebracht, sich dabei aber lediglich auf
eine Revision der päpstlichen Hausordnung beschränkt. Als die Fragen
des Schismas und des Glaubens zu einem vorläufigen Abschlufs gelangt
waren, wurde ein Reformationsausschufs gewählt (1415, Juli), der aus
drei Kardinälen und je acht Deputierten der vier Nationen bestand. Auch
jetzt wurde zunächst nur die Reform der Kurie in Angriff genommen,
bald aber umfafste das Programm des Ausschusses alle Fragen der
Kirchenreform, und da von allen Seiten Reformvorschläge erstattet und
an den Aussufs geleitet wurden, ging die Arbeit rasch vorwärts. Die
Ergebnisse liegen im ersten Reform atorium vor.1) Dann geriet die
Arbeit ins Stocken, und im Herbste trat ein förmlicher Stillstand
ein. Nur über einzelnes war eine Übereinkunft erzielt und die Frage
der Reformation der Kirche an ihrem Haupte durchberaten worden.
Danach sollten öfter als bisher allgemeine Konzilien gehalten, durch
genauere Bestimmungen Spaltungen verhütet werden usw. Erst 1417
wurden die Arbeiten wieder in Angriff genommen, erfuhren aber neue
Hemmnisse. Wünschten Sigmund und die Reformationspartei, nach
Benedikts XIII. Absetzung zuerst die Reformfrage zu erledigen, so ver-
langte die kuriale Partei erst Vornahme der Papstwahl, um dann in
Gemeinschaft mit dem Papste die Reform zu vollziehen. Nach langem
Streite wurde ein Kompromifs geschlossen, wonach zunächst die Reform
der capita ecclesiae erfolgen, die der übrigen Glieder nach geschehener
Papstwahl vorgenommen werden sollte. Nun wurde ein neuer, aus
25 Mitgliedern bestehender Reformausschufs gewählt, dessen Arbeiten
— das zweite Reformator ium2) — sich auf die Reform des oberen
Klerus beschränkten. Das Werk wurde auch diesmal nicht zu Ende
geführt, da die kuriale Partei immer lebhafter auf die Vornahme der
Papstwahl drängte. Schon sannen die Kardinäle und ihr Anhang auf
die Flucht. Auf ihrer Seite standen die Spanier und der gröfsere Teil
der Italiener und Franzosen ; als endlich auch noch die Engländer aus
politischen Motiven zu ihnen übertraten, standen die Deutschen allein,
und selbst von ihnen schwenkte noch ein Teil zu jenen ab. Im letzten
*) v. d. Hardt I, 583—644.
2) 650—653.
478 Zurückstellung der Reformation. Wahl Martins V.
Augenblick führte der Oheirn Heinrichs V. von England, der einflufsreiche
Bischof Heinrich von Winchester, einen Kompromifs herbei, wonach
die bereits fertig gestellten Reformdekrete publiziert, im übrigen aber der
Papstwahl der Vorrang gelassen wurde. Doch sollte die Reformation
durch Konzilsbeschlufs sichergestellt werden. Die Kardinäle hatten ge-
siegt. Die Causa reformationis wurde zurückgestellt, trotzdem das Pisaner
Konzil zeigte, wie wenig auf die Durchführung der Reformation nach
vollzogener Papstwahl gerechnet werden konnte.1) Entscheidend war der
Abfall der Franzosen, bisher der eifrigsten Vorkämpfer der Reform.2)
Es wurden sonach am 9. Oktober 1417 fünf Reformdekrete publiziert,
die im Anschlufs an die beiden Reformatorien Bestimmungen über den
Zeitpunkt künftiger Konzilien 3) und Vorsichtsmafsregeln gegen die
Wied erkehr eines Schismas enthielten, die Unversetzbarkeit des höheren
Klerus festsetzten und dem Papst die bisherigen Gebühren für Visi-
tationen und die Hinterlassenschaft verstorbener Prälaten (Spolien) ent-
zogen. Dann wurde die Verpflichtung des Papstes zur Reform der
Kirche und der Modus bei der jetzigen Papstwahl verhandelt. Am
30. Oktober wurde das Kautions- und Wahlgesetz publiziert : danach
erfolgt die Ausführung der Reformation im Wege der Vereinbarung
zwischen Papst und Konzil, und wird der Umfang der Reformation
auf den Papst und die römische Kurie beschränkt, die Reformatio in
membris tritt zurück; die einzelnen Punkte des dem Papste auferlegten
Reformwerkes — im ganzen 18 4) — handeln von der Zahl, den Quali-
täten und der Nationalität der Kardinäle, den päpstlichen Reservationen,
den Annaten und andern Abgaben, der Verleihung von Benefizien usw.
Es war demnach nur ein kleiner Teil der bisherigen Arbeiten bestimmt,
erledigt zu werden, und selbst dieser erfuhr nachher noch eine wesent-
liche Verkürzung. Das Wahlgesetz bestimmte, dafs diesmal aufser den
(23) Kardinälen je sechs Deputierte der fünf Nationen an der Wahl
teilnehmen und der Papst von mindestens zwei Dritteln der Wähler
gewählt werden solle. Aus der Wahl ging der Kardinal Otto Colonna
hervor, der, weil er am Tage des hl. Martin gewählt wurde (11. November),
den Namen Martin V. (1417—1431) annahm. Die Hoffnung auf eine
umfassende Reform schwand bald; schon der erste Regierungsakt des
Papstes, der Erlafs seiner Kanzleiregeln, nahm auf das Kautionsgesetz
keine Rücksicht, denn die Kanzleiregeln5) enthalten die meisten Über-
griffe, über die bisher geklagt wurde. Wohl wurde ein neuer — der
dritte — Reformationsausschufs eingesetzt und seinen Beratungen teils
die früheren Arbeiten teils neue Entwürfe zugrunde gelegt, — die Arbeit
rückte aber bei den Sonderinteressen der Teilnehmer nicht vor. Am
wenigsten konnte in der Kollations- und Annatenfrage eine Einigung
erzielt werden. Französische und deutsche Prälaten standen gegen die
*) Hübler, S. 30. Dort die Gründe des Verhaltens der romanischen Nationen.
2) Über eine der wichtigsten Ursachen dazu s. § 111.
3) Das nächste soll in 5, das folgende in 7, die späteren von 10 zu 10 Jahren
gehalten werden.
4) Deutsch bei Hefele, S. 324. Lat. bei Hübler, 39.
6) Gedr. v. d. Hardt I, 965.
Verzicht auf die allgemeine Reformation. Die Konkordate. 479
spanischen und italienischen; die zugleich mit den französischen Uni-
versitäten die Provisionsrechte des Papstes verteidigten; die Engländer,
durch ihre Landesgesetzgebung (s. oben) gegen Eingriffe der Kurie ge-
schützt, hielten den Staues quo für erwünscht. Auf eine allgemeine, ein-
heitliche und gleichförmige Kirchenverbesserung mufste sonach verzichtet
werden. Mochte eine jede Nation zusehen, wie sie am besten fuhr.
Zuerst (1418, Januar) reichte die deutsche Nation ein Verzeichnis ihrer
Wünsche1) ein, dann folgten nicht ohne Rüge Sigmunds, an den sie
sich gewandt hatten,2) die Franzosen und die andern. Martin V. über-
reichte ihnen eine Reformakte, die zwar einzelne Wünsche befriedigte, aber
wegen ihrer Uniformität auf Widerspruch stiefs. Die Schuld, dafs keine all-
gemeine Vereinbarung zustande kam, trifft somit mehr die Nationen als den
Papst. Schliefslich wurden (am 2 1 . März) jene Punkte, über die alle schon bisher
übereingekommen waren, als Reformbeschlüsse verkündigt. Es waren ihrer
sieben, sie betrafen aber meifst nur Fragen des päpstlichen Finanzwesens.3)
2. Mit den sieben Dekreten erlangte die Reformation am Haupte der
Kirche einen gewissen Abschlufs. Die Reformatio in membris erhielt ihre
Erledigung in den Konkordaten, die Martin V. mit den einzelnen Nationen
abschlofs. Jene waren vom Plenum, diese von den Nationen genehmigt.
Es handelte sich vornehmlich um die Annaten, über deren Last Fran-
zosen4) und Deutsche5) vor allem klagten. Da die französische Nation
in dem Prioritätsstreit über die Papstwahl sich an die beiden andern
romanischen Nationen angeschlossen hatte , gingen diese nun auch
beim Abschlufs der Konkordate gemeinsam vor, und so wurden nun
Übereinkommen mit der deutschen , englischen und den kon-
föderierten romanischen Nationen geschlossen.6) Die Dauer des
deutschen und romanischen Konkordates wurde auf fünf Jahre, d. h.
bis zum nächsten allgemeinen Konzil, bestimmt; im englischen blieb
sie unbestimmt. Die Zahl der Kardinäle wird auf 24 festgesetzt;
sie werden, um dem Übergewicht einer einzelnen Nation vorzu-
x) Avisamenta nat. Germ. etc. ib. 999.
2) Sie hatten sich an ihn gewandt : ut papam ad ecclesiae reformationem digna-
retur informare. Er wies sie bitter ab : Dum nos, ut reformatio fieret, priusquam ad
electionem s. pontificis procederetur, instäbamus, vos papam. priusquam fieret reformatio.
habere voluistis. Et ecce, Papam habetis . . . illum adite.
3) 1. Die seit 1378 erteilten Exemptionen sind ungültig. Ohne triftigen Grund
dürfen keine mehr erteilt werden. 2. Verbot der Häufung von Pfründen. 3. Verzicht
des Papstes auf vakante Benefizien. 4. Ungültigkeit simonistischer Wahlen. 5. Recht-
zeitige Weihe des Benefiziaten. 6. Beschränkung der Auflegung eines Kirchenzehents
durch den Papst. 7. Gesetz über die Lebensweise der Kleriker.
4) Nationis Gallicae . . . declaratio de annatis non solvendis; v. d. Hardtl, 761 — 791:
a praelatorum benefieiis et praelaturarum v vacantibus et quoties racabant, etiamsi ter aut
pluries vacassent in anno, pro qualibet mutatione tituli voluerunt (sc. papa et curia)
habere et exigere fruetus primi anni . . .
5) Niem, De scismate II, 7. Die engl. Nation hatte schon 1352 ihre Statut of
provisors, das alle Personen, welche die päpstliche Verleihung einer Pfründe annahmen,
mit Gefängnisstrafe u. Konfiskation der Einkünfte bestraft. Gueist, EVG. 403. Die Strafen
in einzelnen Städten Italiens s. v. d. Hardt I, 782.
6) Das deutsche bei Hübler 164—193, das romanische 194 — 206, das englische
207—215.
480 ^ie Frage vom Tyrannenmord. Schlnfs und Ergebnisse des Konzils.
beugen, aus allen Nationen genommen. Den Bettelorden soll nur je
einer angehören. Sie sollten, mit Ausnahme jener, die aus fürstlichen
Häusern stammen, Doktoren der Theologie oder der Rechte sein und
unter dem Beirat der übrigen Kardinäle erwählt werden. Die übrigen
Bestimmungen beziehen sich auf die Vergebung der Benefizien, Besetzung
kirchlicher Würden usw. — So war nun auch die dritte Aufgabe des
Konzils gelöst, freilich in einer Weise, die nicht überall auf Beifall
rechnen konnte. Das Konzil hatte daneben noch zahlreiche andere Auf-
gaben zu lösen ; viel Zeit verbrauchte es mit der Prüfung der Theorien
des Pariser Magisters Jean Petit (Johannes Parvi). Während der
Wirren unter Karl VI. war Herzog Ludwig von Orleans auf Anstiften
Johanns von Burgund (1407, 23. November) getötet worden (s. § 126).
In Paris sah man darin die Erlösung vom Joch eines Tyrannen, und die
Universität ging in ihren Sympathien für Burgund so weit, dafs einer ihrer
Professoren, Jean Petit, den Satz aufstellen durfte, dafs es nach natür-
lichem, moralischem und göttlichem Gesetz nicht blofs erlaubt, sondern
geboten sei, einen Tyrannen zu töten, zumal wenn er so mächtig ist, dafs
der Arm der Gerechtigkeit ihn nicht erreichen kann. Diese Lehre
erregte an vielen Orten Entsetzen und wurde für Gerson, der sonst dem
Hause Burgund verpflichtet war und darum längere Zeit schwieg,
schliefslich aber als christlicher Lehrer sie öffentlich mifsbilhgte, eine
Quelle vieler Leiden. Nachdem sie der Bischof von Paris schon 1414
verdammt hatte, wurde sie auf Gersons Betreiben auf die Tagesordnung
des Konzils gesetzt und verurteilt. So grofs war freilich die Furcht vor
der Macht des Burgunders, dafs die versammelten Väter nicht wagten,
Petits Namen zu nennen. Da sich Gerson mit der schwächlichen Ent-
scheidung des Konzils nicht beruhigte, sondern immer wieder an diese
Frage, die für ihn zu einer persönlichen wurde, herantrat, verlor er
schliefslich allen Einflufs. Die Rache Burgunds fürchtend, lebte er
später längere Zeit in der Fremde, und erst des Herzogs Tod (1419)
bahnte ihm den Weg in die Heimat. Am 19. April 1418 wurde Pavia
als Ort des nächsten Konzils bestimmt, womit die Nationen mit Aus-
nahme der französischen zufrieden waren. Die 45. und letzte Sitzung
fand am 22. April statt. Sowohl der Papst als der König blieben aber,
noch längere Zeit in Konstanz, um einzelne Geschäfte zu erledigen.
Erst am 16. Mai verliefs Martin V. die Stadt und wurde von Sigmund
bis Gottlieben begleitet. Von den Hauptaufgaben des Konzils war nur
eine: die Herstellung der kirchlichen Einheit gelöst, die trau-
rigen Folgen der Lösung der zweiten — die Zurückstauung des
Wiclifismus in Böhmen und Mähren — wurden in beiden Ländern
bereits sichtbar und die dritte — die Durchführung der Reformation —
blieb in den Anfängen stecken. Gegen die vom Konzil beschlossene
Lehre von der Superiorität der allgemeinen Konzilien über den Papst,
hatte Martin V. schon am 10. März 1418 eine Bulle des Inhalts er-
lassen, dafs es in keinem Falle gestattet sei, vom Papste an ein Konzil
zu appellieren. Damit waren die bedeutsamen Dekrete der vierten und
fünften Sitzung tatsächlich annulliert.
König Sigmund in Ungarn. Beziehungen zu den Nachbarstaaten. 4SI
§ 111. König* Sigmund und das Reich in der Zeit des Konzils
von Konstanz.
Quellen u. Hil f s s c h r i f t e n wie oben. Dazu L enz, König Sigismund und
BeinrichV. v. England. Berl. 1874. Gierth, wie unten § 125. Caro, Gesch. Polens III.
Kurz, Österr. unter Albrecht II. Stein wenter, Gesch. der Leopoldiner. AÜG. LVIII.
Xenopol, Histoire des Roumains I. Paris 1896. Kai n dl, Gesch. der Bukowina IL
Czernowitz 1896. Eberhard, Ludwig III., Kurf. v. d. Pfalz u. das Reich 1410—1427.
Diss. Giefsen 1896. Verci, Storia della Marca Trevigiana XIX.
1. Die Verwicklungen, in die Sigmund als König von Ungarn mit
dessen Nachbarstaaten geriet , brachten es mit sich , dafs er erst drei
Jahre nach seiner Wahl zum Empfang der Krone in Deutschland er-
schien. Ungarns Macht war im Süden von Venedig bedroht, das 1409
von König Ladislaus Zara erkauft hatte und sich in den Besitz von ganz
Dalmatien setzen wollte, im Norden von Polen, das die ungarischen
Vasallenfürstentümer im Nordosten und Osten der Karpathen tribut-
pflichtig gemacht oder ganz unterworfen hatte und dem Deutschen Orden
bei Tannenberg (s. unten) eine zermalmende Niederlage beibrachte.
Im April 1411 trug König Wladislaw den Venezianern ein Bündnis an,
bald darauf verband er sich gegen Sigmund mit dem walachischen
Woiwoden Mircea. Ebenso feindlich verhielt sich Herzog Ernst von
Österreich, weil Sigmund den Herzog Albrecht V., den er mit seiner
Tochter Elisabeth verlobte (1411, Oktober), aus seiner bisherigen Vor-
mundschaft frei machte. Daraufhin vermählte sich Ernst mit Cimburgis
von Masovien, einer Nichte des polnischen Königs, und schlofs mit Polen
und Litauen ein Bündnis.1) Da es aber der bejahrte Polenkönig auf
keinen Krieg ankommen lassen, Ungarn des Deutschen Ordens wegen
nicht zu den Waffen greifen wollte, wurde 1411 ein Waffenstillstand und
im folgenden Jahre der Friede von Lublau geschlossen, der Polen im
Besitz seiner Erwerbungen liefs. Der Krieg gegen Venedig und Mailand
wurde seit 1411 ohne Entscheidung geführt, bis Sigmund, im Begriff,
den kirchlichen Fragen näher zu treten, mit den Venezianern auf Grund
des Status quo zu Triest einen Waffenstillstand schlofs (1413, 17. April).
Seine nächsten Bemühungen waren der Beseitigung des Schismas und
dem Versuche gewidmet, Kaiser und Reich in Oberitalien wieder zur
Geltung zu bringen. Er hatte die Absicht, bis zur Konzilseröffnung in
Italien zu verweilen , aber der Wunsch , sich die deutsche Krone aufs
Haupt zu setzen, um dann mit gröfserem Ansehen auf dem Konzil auf-
treten zu können und die Überzeugung , nur durch sein persönliches
Erscheinen die Reichsstände für seine italienischen Pläne gewinnen zu
können, bewog ihn schliefslich, über Piemont nach Deutschland zu ziehen.
Im Juli 1414 hielt er in Speyer einen Reichstag, um die Fehden im
Reiche beizulegen und Hilfe gegen Mailand zu erhalten. Statt nun die
Fahrt nach Aachen zu machen, zwang ihn die feindselige Haltung der
Herzoge von Berg, Brabant und Burgund, nach Koblenz zu gehen. Der
Herzog von Berg war nämlich erbittert, dafs Sigmund gegen seinen von
l) S. bes. RA. VII, Nr. 125.
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 31
482 Krönung in Aachen. Die pol. Reformvorschläge Sigmunds
einer Minderheit znrn Erzbischof von Köln gewählten Bruder den von
der Mehrheit gewählten Propst Dietrich von Mors anerkannte, die beiden
andern, weil er Brabant für das Reich und Luxemburg für die böhmische
Krone wieder zurückforderte (s. oben). Erst als die ihm von der berg-
brabantischen Koalition drohenden Gefahren durch den Übertritt Rainalds
von Geldern auf seine Seite beseitigt waren, zog er nach Aachen und
wurde am 8. November 1414 zugleich mit seiner Gemahlin Barbara
gekrönt.
2. Von Aachen ausging Sigmund nach Süddeutschland. In Konstanz
wartete seiner die schwere Aufgabe, die Arbeiten des Konzils zu einem
glücklichen Ende leiten zu helfen. Seine weiteren Wünsche gingen dahin
alle politischen Zwistigkeiten in der Christenheit beizulegen, damit sie
ihr ersehntes Ziel, die Befreiung des hl. Grabes, endlich erreiche. Aber
bei dem Widerstreben der Partei des Grafen von Armagnac vermochte er
nicht einmal den Frieden zwischen England und Frankreich zustande
zu bringen. Daher schlofs er am 15. August 1416 zu Canterbury ein
Schutz- und Trutzbündnis mit Heinrich V. von England1), forderte alles,
was dem römischen Reiche von den Franzosen geraubt worden, wieder
zurück, versprach, Englands Ansprüche auf Frankreich zu unterstützen,
und bemühte sich , die Kurfürsten für seine antifranzösische Politik zu
gewinnen. Nach Konstanz zurückgekehrt, betrieb er die Rüstungen
gegen Frankreich mit allem Eifer ; trotz der Unterstützung der deutschen
Fürsten unterblieb jedoch der auf den Sommer 1417 angesetzte Feldzug.
Die Folge der englischen Bündnisse war die Feindschaft der französischen
Nation beim Konzil, die nicht zögerte , sich auf die Seite der andern
romanischen Nationen zu stellen. Da die Kämpfe über die Priorität
der Papstwahl vor der Kirchenreforrn in diese Zeit fielen, blieb Sigmund
in Konstanz. Es ist übrigens die Frage, ob das Reich militärisch in der
Lage gewesen wäre, den Krieg gegen Frankreich aufzunehmen. Seine
Unzulänglichkeit erwies sich nicht lange nachher im Kriege gegen die
Hussiten. Ein Erfolg Sigmunds war es noch, als er am 24. Januar 1418
die Approbation des Papstes und die Zusicherung der Kaiserkrone erhielt,
War sein Ansehen in Italien ein geringes, so vermochte er seine Autorität
nicht einmal in Deutschland zur Geltung zu bringen. Bald nach seiner
Ankunft hatte er einen Landfrieden für Franken festgesetzt (1414,
30. September) und auf dem Konstanzer Reichstag im Februar 1415 den
Versuch gemacht, die Städte für den Plan der Aufrechthaltung des ge-
meinen Friedens zu gewinnen. Der Neuaufrichtung eines starken Städte-
bundes unter seinem Protektorat geneigt, hätte er mit dessen Unter-
stützung der königlichen Gewalt die erwünschte Kräftigung verschafft;
aber selbst die Städte widerstrebten einer strafferen Lmterordnung unter
die Autorität des Königs. Da dieser Plan nicht durchgeführt werden
konnte , sollte das Reich zur Aufrechthaltung des Landfriedens in vier
Kreise geteilt und an die Spitze eines jeden ein Hauptmann, über das
Ganze ein vom König ernannter Oberhauptmann gesetzt werden. Dieser
l) Gedr. RA. VII, 332 ff.
und ihre Ablehnung durch die Reichsstände. 483
wäre der Sache, wenn auch nicht dem Namen nach Reichsvikar gewesen
und damit ein Amt geschaffen worden, dessen Errichtung von einzelnen
Stünden schon lange gewünscht wurde. Die Städte nahmen auch diesen
Plan mit Mifstrauen auf, und als der König im März 1417 nochmals
auf seine städtefreundlichen Absichten zurückkam, einigten sich die
Kurfürsten zu gemeinsamem Vorgehen gegen seine Forderungen. So
scheiterten seine Vorschläge zu einer besseren Ausgestaltung der deutschen
Verfassung und der Aufrechthaltung des Landfriedens ebensosehr an der
Engherzigkeit der Städte als an der Selbstsucht der Fürsten. Im übrigen
liefsen diese Reformversuche doch ihre Spuren zurück : In den Tagen
Albrechts IL und Friedrichs III. wurde an diese Bestrebungen wieder
angeknüpft. Den grofsen Forderungen der Städte kam Sigmund insoweit
entgegen, dafs er sie, soweit es in seinen Kräften stand, gegen den Druck
der Fürsten und des Adels in Schutz nahm, ihnen neue Privilegien ver-
lieh und die Zusicherung gab, dafs sie nicht verpfändet werden sollten.
Solche Zusicherungen hatten freilich nur geringen Wert, und Verpfändungen
sind auch in der Folgezeit häufig genug vorgenommen worden. Als
Sigmund nach siebenjähriger Abwesenheit nach Ungarn zurückkehrte,
um für dessen Schutz gegen Türken und Venezianer Fürsorge zu
treffen, ernannte er (1418, 2. Oktober) für die Zeit seiner Entfernung
aus Deutschland den Kurfürsten Friedrich von Brandenburg zum »Statt-
halter und Verweser«.
4. Kapitel.
Die Hussitenkriege.
§ 112. Die kirchliche Bewegung in Böhmen vom Tode des Hufs bis
zum Ausbruch des Krieges.
Quellen. S. oben § 106, 107. Urkunden: D. Archiv cesky, Casopis historicky
und die MYGDB enthalten zahlreiche urkundliche Materialien. Eine methodisch an-
gelegte Sammlung von Urkk. u. Briefen ist die von Palacky : Urk. Beiträge zur Gesch.
des Hussitenkrieges. 2 Bde. Prag 1873. Für die Nachbarländer : Beck-Loserth, Urk. Bei-
trage. Z. f. Gesch. Mährens u. Schlesiens 1896. Für die Jahre 1415—1419 s. noch Palacky,
Documenta mag. Joann. Hus, wie oben, und Loserth, Beiträge zur Gesch. der huss.
Beweg. Y. Grünhagen, Geschichtsquellen der Hussitenkriege. SS. rer. Sil. VI. Breslau 1871.
Cod. dipl. Lusatiae super. II, enthaltend die Urkk. des Oberlausitzer Hussitenkrieges,
hcrausg. von Je cht. Bd. 1 u. 2. Görlitz 1896 — 1900. Cod. epistolaris Vitoldi magni
ducis Poloniae (MM. med. aevi bist. res. gest. Pol. illustrantia, t. VI), ed. Prochaska.
Crac. 1882, reicht bis 1430.
Geschichtschreiber u. Chroniken: Eine gute Übersicht bei F. v. Bezold,
K. Sigmund u. die Reichskriege gegen die Hussiten. München 1872, und Lorenz I, 317.
In Betracht kommen : Annales patrio sermone scripti. SS. rer. Boh. III, Prag 1829.
Deutsch bei Höfler, Gesch. der huss. Beweg, in (dazu die kleineren Chroniken, ebenda
Bd. 1 u. 2, und Dobner, MM. Boh. hist. LTI, IV, VI, auf die hier nicht näher ein-
gegangen wird). Chronicon univ. Pragensis 1348 — 1420. Höfler I, 13—17. Jetzt besser
von Goll. FF. rer. Boh. V (dazu Rustler, das sog. Cbron. univ. Prag. Leipz. 1886, und
Goll in den SB. d. kgl. böhm. Ges. d. W. 1884). Chron. Treboniense 1419—1439.
Höfler I, 50—65. Chron. veteris collegiati 1419—1441. S. 78—101. Bartosek v. Drahonic,
Chronicon 1419—1443, und Addit. 1394—1428, ed. Goll. FF. rer. Boh. V. Am wichtigsten
31*
484 Dic kirchl. Bewegung in Böhmen nach dem Tode des Hufs.
sind : Bfezova u. Mladenowitz, s. oben. Von Bfezova ist auch ein Gedicht auf den Sieg
von Taus vorhanden: Höfler I, 596—620, Groll, 545 — 563. Die von Höfler an Mladeno-
witz angehängte Predigt des Hus gehört Wiclif an. Die Taboritenchronik, Ludolf von
Sagan und die Denkschrift des Nikolaus Tempelfeld v. Brieg, s. oben. Chronicon
Procopii notarii bis 1419. Höfler I, 67 — 76. Die in tschechischen Reimen abgefafste
Darstellung der Ereignisse v. 1413 — 1474 in Pelzel u. Dobrowsky. SS. rer. Boh. IH, 470.
Über einzelne Ereignisse : Die Historien des Magisters Johannes Leonis, ed. Schlesinger.
Prag 1877 s. dazu Tupetz. MYGDB. XX u. Loserth., ebenda XXXI . Anonymus de orig.
Taboritarum et de morte Wenceslai, Höfler I, 528 — 534. Kleinere, unbedeutende Quellen :
Höfler III, 260. Auswärtige Quellen: Andreas von Regensburg ausf. Würdigung
in Bezold, S. 15 fiV : Diarium septennale 1422 — 1427, 1433. Chronica Hussitarum etc.
herausg. von Leidinger wie oben. Eberhard Windecke, wie oben. Thomas Ebendorfer,
Chronica regum Romanorum, ed. Pribram. MJÖG. Erg. -Bd. III. S chle si s c li c G e -
s c h i c h t s c h reiber, s. Grünbagene < *< }. d. Hussitenkrieg. Die Lausitze r in
Jecht, wie oben. Aufzeichnungen aus der Hussitenzeit Wenzels v. Iglau,ed. Loserth.
MYGDB. XIX. Dort IL, 184 das Lied von der Schlacht bei Aussig und XXII das
Lied über die Schlacht bei Wischehrad. Cochläus, Hist. Hussitarum, Burkhard Zink,
die Magdeb. Schöppenchronik und Hermann Corner, wie oben. Enea Silvio, Hist.
Boh. Ausg. bei Potth. I, 22. Bei der Bedeutung Pilsens in der letzten Zeit des
Krieges ist auch Tanner, Hist. urb. Pilsnae descriptio zu nennen. Progr. des < >. Gymn.
v. Pilsen 1862-1864, 1880, 1890, 1896.
Hilfsschriften: Palacky und die übrigen Geschichten Böhmens wie oben.
Wichtig ist Tomek, Gesch. v. Prag IV tschechisch . Lenfant, Hist. de la guerre
des Hussites et du concile de Basle. Amst. 1731. Theo bald, Hussitenkrieg. Witten-
berg 1609 s. Krejcik in MYGDB. XXXIX, 63, dort che Lit. über Theobald . Krummel ,
Gesch. d. böhm. Ref., wie oben. — Utraquisten u. Taboriten, wie oben. Lechler,
wie oben. Bernhardt, Die Inanspruchnahme d. Reiches durch die Hussitenkriege.
Diss. Halle 1901. Tomek, Dejiny välek Husitskych 1419—1436 Gesch. d. Hussiten-
kriege). Prag 1S98. F. v. Bezold, K. Sigismund u. che Reichskriege gegen che Hussiten.
3 Bde. München 1872. Zur Gesch. des Hussitentums. München 1874. W. W. Tomek,
Johann Zizka. Ebers, von Prochazka. Prag 1882. Nachträge z. Lit. über Zizka s. JBG.
XVI, III, 316. Loserth, Die kirchliche Reformbewegung in England im 14. Jahrh.,
wie oben. Frind, Kirchengesch. von Böhmen, 3 — 4. Grünhagen, Die Hussiten-
kämpfe der Schlesier. Breslau 1S72. Gr. Kroker, Sachsen und die Hussitenkriege.
NA. f. sachs. Gesch. XXI. Friefs, Herzog Albrecht Y. v. Osten*, u. che Hussiten. 1872.
Br et holz, Die Übergabe Mährens an Herzog Albrecht Y. im Jahre 1423. AÖG. LXXX.
Erben, Das Aufgebot Albrechts V. MJÖG. XXIIL K u r z , Österreich unter Albrecht II.
2 Bde. Wien 1835. Enth. Urkk. zur Gesch. d. Hussitenkriege. Ja ritsch, Der dritte
Kreuzzug gegen die Hussiten 1427. Wien 1900. Bielohlawek, Ursachen ül. Verlauf
der Kriegsereignisse in Böhmen 1434. Braunau 1894. Koller, Worin äufserte sich
das Wesen des Hussitismus ? Progr. Olmütz 1883 — 84. Zöllner, Zur Yorgesch. des
Bauernkrieges. Progr. Dresden 1872. Loserth, Der Kirchen- und Klostersturm der
Hussiten, wie oben. Goll, König Sigmund und che Polen 1420—1436. MJÖG. XY.
Lewicki, Ein Blick in die Politik König Sigmunds in Bezug auf che Hussitenkriege.
AÖG. LXHI. Höfler, Die Schlacht am Zizkaberge. Wiener SB. XCV. Wulf, Die
huss. Wagenburg. Berl. 1889. Pr. Jb. LXYIII. — Die" Zahlen der huss. Heere. MYGDB.
XXXI, 92. Wie de mann, Dasselbe. Ebenda S. 297. Görlitzer, Der huss. Einfall
in die Mark. Berl. 1891. S. Binder, Die Hegemonie der Prager im Hussitenkrieg.
Prag 1901, s. dazu .1. Goll, Zur Gesch. des Hussitenkrieges. SB. d. böhm. Gesch.
d. W. 1901. Klee an da, Polen u. Böhmen z. Z. des Hussitenkrieges. 1895. Die Schriften
von Brandenburg u. Eberhard s. § 111.
1. Schon die Verhaftung des Hufs hatte in Böhmen und Mähren
peinliches Aufsehen erregt. Als nun gar die Nachricht von seinem Tode
anlangte, brachen heftige Bewegungen gegen die katholische Geistlichkeit
aus. In Prag wurden die Wohnungen jener Priester, die man als Hussens
Widersacher kannte, gestürmt und geplündert. Selbst der Erzbischof
Der hussitische Herreübund. Die Haltung Wenzels. 485
konnte sich nur mit Mühe vor der Wut des Volkes retten. Nicht besser
lagen die Dinge auf dem Lande. Überall empfand man das Verfahren
gegen Hufs als dem Lande zugefügte Schmach und seine Verbrennung
als Justizmord. Wenzel liefs aus Groll gegen Sigmund den Dingen
freien Lauf, und seine Gemahlin begünstigte offen Hussens Freunde. An
der Spitze der Regierung standen erklärte Hussiten. Um das Volk vor
grösseren Ausschreitungen abzuhalten, wurde ein Landtag nach Prag
einberufen, der auch aus Mähren stark besucht war. Am 2. September
legten der Herren- und Ritterstand einen feierlichen Protest gegen die
Verbrennung des Hufs und die Gefangenschaft des Hieronymus ein und
erklärten jene für Lügner, die Böhmen in den Ruf der Ketzerei brächten.
Drei Tage später trat in Form eines Landtagsschlusses der hussitische
Herrenbund zusammen und verpflichtete sich, die freie Predigt des
Evangeliums auf allen seinen Gütern und Besitzungen zu schirmen und
der bischöflichen Gewalt nur da Folge zu leisten, wo dies den biblischen
Anforderungen entspricht. In strittigen Fällen sollte man sich an die
Entscheidung der Universität halten. Der Bund wurde auf sechs Jahre
festgesetzt. Ihm trat der ganze hussitische Adel des Landes bei, und so
erhielt das an das Konzil gesandte Schreiben nicht weniger als 452 Siegel.
Dieser Herrenbund erhob somit seine Fahne für das Schriftprinzip.
Wäre der König dem Bunde beigetreten, so wären seine Beschlüsse
gesetzeskräftig geworden; er verweigerte es und näherte sich dem katho-
lischen Herrenbunde, der sich nun gleichfalls gebildet hatte und sich
verpflichtete, an dem König, der römischen Kirche und dem Konzil
festzuhalten. Stand somit der Ausbruch eines Bürgerkrieges in Sicht,
so kamen noch die Verfügungen des Konzils hinzu, die nicht geeignet
waren, die Gemüter zu beruhigen. Einen Sturm des Unwillens erregte
es, als der eifrigste Gegner des Hufs, Bischof Johann von Leitomischl,
genannt der Eiserne, als apostolischer Legat nach Böhmen abgesendet
wurde. Während der Erzbischof von Prag und der Bischof Wenzel von
Olmütz eine zuwartende Stellung einnahmen, trat das Prager Domkapitel
mit aller Schärfe gegen die Neuerer auf und verhängte endlich das
Interdikt über Prag. Diese Mafsregel half nicht viel, denn schon be-
fanden sich die besten Pfarreien in Prag in den Händen hussitischer
Priester, und die Beschlüsse des Konzils gegen die hussitischen Barone
fanden keine Beachtung.
Martin V., der schon als Kardinal gegen Hufs eingeschritten war,
nahm nach Beendigung des Konzils den Kampf wider den Hussitismus
energisch auf. Die hussitische Lehre sollte vollständig ausgerottet
werden. König Wenzel ergriff nun Mafsregeln im römischen Sinne.
Hussitisch gesinnte Staatsmänner und Heerführer mufsten vom Hofe
weichen, katholische Geistliche wurden in ihre Pfründen wieder ein-
gesetzt usw. Darüber entstand eine allgemeine Aufregung; als einige
neu eingesetzte antihussitische Ratsherren vom Rathause aus eine hussi-
tische Prozession verhöhnten, stürmte die Menge das Rathaus und warf
sieben Ratsherren zu den Fenstern hinaus. Den König Wenzel brachte
die Kunde hievon in so heftige Aufwallung, dafs er vom Schlage gerührt
486 Der Prager Fenstersturz und der Tod Wenzels. Untraquisten und Taboriten.
wurde. Er starb am 16. August 1419 auf seinem Schlosse Wenzelstein
bei Kundratitz. Sein Erbe war König Sigmund.
2. Iq den letzten vier Jahren hatte sich der Hussitismus organi-
siert. Von Anfang an finden wir zwei Parteien: während die nächsten
Anhänger Hussens auf der von ihm gezeichneten Linie stehen blieben,
ja manche sich wieder der alten Lehre zuwandten und also die
ganze hierarchische und gottesdienstliche Ordnung der Kirche unan-
getastet liefsen, drängte die radikale Partei zu einem vollständigen
Anschlufs und zur Durchführung der Doktrinen Wiclifs, desses Predigten
nun erst in Böhmen ihre volle Wirkung taten. Man weifs, dafs diese
Predigten von leidenschaftlichem Hafs gegen die Klostergeistlichkeit,
vorab gegen die Bettelmönche, durchweht sind und dafs sie energisch
die Zurückführung der Kirche auf den Stand in der Zeit der Apostel,
demnach die Beseitigung der bestehenden Hierarchie und die Säkulari-
sierung des Kirchengutes fordern. Diese Theorien suchen die Radikalen
unter den Hussiten in die Wirklichkeit umzusetzen : sie predigen die
sufficientia legis Christi: nur das göttliche Gesetz, d. i. die Bibel, ist R.egel
und Richtschnur für den Menschen, und dies nicht nur in kirchlichen,
sondern auch in politischen und bürgerlichen Sachen. Selbst die sozia-
listische und kommunistische Richtung, die zeitweise bei ihnen platz-
griff, geht auf die Bibel zurück und fand schon in Wiclifs Predigten
einen beredten Ausdruck. Sie verwarfen all das, was nicht in der Bibel
begründet ist: den Heiligenkultus, den Bilderdienst, die Fasten, die über-
flüssigen Feiertage, die Segnungen und Weihen jeglicher Art. den Eid,
die Fürbitten für die Toten, die Ohrenbeichte, die Ablässe, die Sakra-
mente der Firmung und der letzten Ölung, liefsen die Laien, auch
Frauen, zum Predigtamt zu, wählten ihre Priester selbst und spendeten
Taufe und Abendmahl in den einfachsten Formen, waren Feinde der
stolzen Kirchenbauten und des Prunkes beim Gottesdienst und nahmen
von Kirchen und Altären und priesterlichen Gewändern Umgang. Im
Sinne der Wiclif sehen Lehre von der Gemein Schädlichkeit der geistlichen
Orden begannen sie ihre Opposition gegen diese, was seit 1419 zu den
vandalischen Verwüstungen der böhmischen Klöster führte. Vor allem
aber hielten sie sich an die Wiclif sehe Abendmahlslehre, und eben diese
ist es, durch die sie sich am meisten von den Gemäfsigten unter den
Hussiten unterschieden.
Das Programm der Gemäfsigten ist in den vier Prager Artikeln
enthalten, die im Juli 1420 vereinbart und in lateinischer, tschechischer
und deutscher Sprache verbreitet wurden. Sie lauten :
1. Gottes Wort soll in Böhmen frei und ungehindert gepredigt
werden. 2. Das Sakrament des Leibes und Blutes Christi soll allen ge-
treuen Christen gemäfs der Einsetzung Christi unter beiderlei Gestalten
gereicht werden. 3. Die weltliche Herrschaft und das irdische Gut, das
der Klerus gegen Christi Gebot zum Abbruch seines geistlichen Amtes
und zum Schaden des weltlichen Armes besitzt, soll ihm genommen und
die Priester zum Wandel Christi und der Apostel zurückgeführt werden.
4. Alle Todsünden und besonders die öffentlichen, dem göttlichen Gesetz
Der Kirchen- und Klostersturm der Hussiten. 4 87
zuwiderlaufenden Unordnungen sollen von den zuständigen Obrigkeiten
abgetan werden.
Die Ansiebten der Gernäfsigten fanden ihre volle Vertretung an
der Universität, im höheren Adel und vornehmlich in Kreisen der
Prager Bürger: daher nannte man die ganze Partei anfangs nicht anders
als die Prager; da sie unter den vier Artikeln das gröfste Gewicht
auf den zweiten legten und der Kelch das Wahrzeichen wurde, unter
dem sie kämpften, hiefsen sie auch die Kalixtiner oder Utraquisten.
Die Radikalen hatten ihren Mittelpunkt in dem Städtchen Austie
an der Luschnitz, südlich von Prag. Da dieses nicht fest genug war,
gründeten sie auf einem benachbarten Hügel eine Stadt, die sie Tabor
nannten, weshalb die radikal Gesinnten Taboriten genannt wurden.
Sie bildeten das treibende Element und fafsten die eigentliche Kraft des
Hussitismus in sich ; denn sie sind es, die im Sinne des alten Testa-
mentes mit dem Schwerte in der Hand die Feinde des Gesetzes Gottes
(der Bibel) austilgen und das Reich Gottes ausbreiten und für den
ersten Zweck blutige Kriege führen, für den zwTeiten durch eine ebenso
strenge und blutige Strafrechtspflege sorgen, indem sie nicht blofs auf
schwere Verbrechen, wie Mord, Todschlag und Unzucht, sondern auch
auf Sünden wie Meineid und Wucher die schwersten Strafen setzen und
endlich auch die in dem Gesetze Gottes geforderten Zustände auf die ge-
sellschaftlichen Verhältnisse der Welt zur Anwendung bringen. Freilich
hatten auch sie von Anfang an von Sekten zu leiden : chiliastische und
andere Strömungen machten sich geltend, und auch gegen die kriege-
rische Richtung entstand eine scharfe Opposition.
§ 113. Der Krieg gegen die Hussiten bis zum Kurverein von Bingen
(1419—1424).
»
1. Nach Wenzels Tod lösten sich in Prag und andern Landes-
teilen alle Bande der Ordnung auf; die in hussitischen Kreisen gegen
den Klerus und vornehmlich gegen die Mönche herrschende Erbitterung
machte sich in dem furchtbaren Kirchen- und Klostersturm Luft, dem
nicht blofs Heiligenbilder, Altäre und- Kirchengegenstände, sondern auch
zahlreiche Klöster zum Opfer fielen und der in wenig Jahren fast das
gesamte Mönchtum aus dem Lande hinwegfegte. Ein Schrei der Ent-
rüstung ging durch die abendländische Welt. Das Treiben der Massen
erfüllte die gernäfsigten Elemente mit Schrecken. Erbe der Krone war
Sigmund, der letzte vom Mannesstamm der Luxemburger. Für ihn
traten aber nur die Katholiken : Prälaten, der kleinere Teil des Adels
und die deutschen Landesbewohner entschieden ein. Seine Gegner
waren die Taboriten, Feinde des Königtums, die nun die Wahl eines Bischofs
ins Auge fafsten, der sich von Rom losreifsen sollte. Zu den Männern,
die, ohne die Abschaffung des Königtums anzustreben, schon jetzt die
Notwendigkeit eines Kampfes zur Verteidigung des Glaubens einsahen,
gehörte Johann Zizka1) von Trotznow. Er stammte aus einer
x) Z ist wie im ital. gi zu lesen.
488 Zizka v. Trotznow. Sigmund und die Parteien in Böhmen.
niederen Adelsfamilie und wurde zu Trotznow1), einem Meierhofe bei
Budweis, in den letzten Lebensjahren Karls IV. geboren. An der Wende
des Jahrhunderts verwaltete er für sich und seine Geschwister das
Familiengut. Als Kämmerer — wie man meint — der Königin Sophie
trat er in den Hof dienst. Dafs er an der Tannenberger Schlacht teil-
genommen, ist leere Vermutung. Dagegen war er an späteren Fehden
Wenzels, bei denen er ein Auge einbüfste, beteiligt und erwarb sich
jene Kenntnis des Landes und Übung in der Kriegskunst, als deren
Meister er sich später erwies. Er eiferte für das Gesetz Christin, das
er als fleifsiger Besucher der Bethlehemskapelle kennen gelernt hatte;
von tiefem Schmerz über Hussens Ende erfüllt, teilte er den Hafs seiner
Partei gegen die Mönche und wurde daher in der Zeit seiner Macht
ihr unerbittlichster Verfolger.2)
2. Die Kalixtiner hatten nicht die Absicht, Sigmunds Rechte an-
zutasten, falls er auf ihre Forderungen einging. Diese wurden auf dem
Landtage von den utraquistischen Ständen formuliert: die Geistlichkeit
darf keine weltliche Herrschaft besitzen, keine päpstliche Bulle im Lande
publiziert, kein Landesbewohner vor ein geistliches oder weltliches Ge-
richt aufser Land zitiert werden und kein Ausländer in ein Amt ein-
gesetzt werden ; in den königlichen Städten, wo sich Tschechen auf-
halten, werden tschechische Magistrate eingesetzt und die Gerichte in
tschechischer Sprache erledigt. Sigmund wünschte keine fremde Ein-
mischung, um die Gegensätze nicht noch zu verschärfen. Indem er
erklärte, im Sinne Karls IV. regieren und die ständischen Forderungen
in Erwägung ziehen zu wollen, suchte er Zeit zu gewinnen, bis er Un-
garn gesichert und sich durch Reichstruppen verstärkt hätte. Die von
der verwitweten Königin mühsam zustande gebrachte Einigung zwischen
Kalixünern und Katholiken zerschellte an den Bestrebungen der radi-
kalen Parteien, denen die von ihren Geistlichen fanatisierten Bauern-
massen zuströmten. Sigmund hatte die Regierung zunächst der Königin-
Witwe und einigen Mitgliedern des Herrenstandes übergeben, unter denen
der Oberstburggraf Tschenek von Wartenberg der mächtigste war. Als
Utraquist den Katholiken verhafst, war er den Radikalen zu gemäfsigt,
und eben diese erhielten durch Volksversammlungen, die unter freiem
Himmel tagten, stets neue Verstärkung und veranlafsten wiederholte
Plünderungen von Kirchen und Klöstern. Sie suchten auch Prag zu
gewinnen und beriefen eine Volksversammlung auf den 10. November
dahin. Hiebei kam es auf der Kleinseite zu Strafsenkämpfen, die Zizka
zuerst bei den breiteren Volksmassen bekannt machten. Die Königin
flüchtete nach Wenzelstein. Schliefslich ward ein Waffenstillstand bis
zum 23. April 1420 vereinbart. Die Regentschaft verhiefs Freiheit der
Religion und der Kommunnion unter beiden Gestalten. Die Radikalen
l) Tschechisch: Trocnov. In den letzten Lebensjahren nannte er sich aber nach
der ihm gehörigen Burg Kaiich Kelchberg) bei Leitmeritz »vom Kelche«.
2 Ludolf v. Sagan 494; trägt etwas stark auf, aber was er Tatsächliches bringt,
ist auch aus andern Quellen erwiesen. Tomeks sonst verdienstliche Monographie
nimmt Zizka zu sehr in Schutz.
Ilafs der Tschechen gegen die Deutschen. 489
verzichteten auf weitere Angriffe und versprachen den Wischehrad,
dessen sie sich bemächtigt hatten, zurückzustellen. Zizka zog mit den
Seinen nach Pilsen und machte erst dieses und, als er es nicht zu halten
vermochte, Tabor zum Mittelpunkt seiner Unternehmungen. Mitte De-
zember erhielt Sigmund in Brunn die Huldigung der mährischen Stände.
Statt nach Böhmen ging er nach Breslau und entschied in der polnisch-
preufsischen Streitsache zugunsten des Ordens, was ihm den Hafs des
Grofsfürsten Witold zuzog. Seine bisherige Politik der Mäfsigung hatte
ihm grofse Vorteile verschafft; viel zu früh ging er zum Angriff über.
Fest entschlossen, keine kirchlichen Neuerungen zu dulden, befahl er
den Hussiten, »der Wiclifie zu entweichen ; (1420, 10. Februar), veranlafste
Martin V. zur Kreuzpredigt, liefs den Pragern zum warnenden Beispiel
23 Breslauer, die sich zwei Jahre zuvor an einem Aufstand wider ihren
Magistrat beteiligt hatten, enthaupten und einen Prager Bürger, der sich in
Breslau in hussitischem Sinne geäufsert, verbrennen; von den schle-
sischen Fürsten und Städten und der Lausitz wurde Unterstützung ge-
fordert. Daher traf ihn der Hafs jener Elemente, die unter Johann von
Selau, einem ehemaligen Mönch, den Beschlufs fafsten, die Kommunion
unter beiden Gestalten mit Gut und Blut zu verteidigen. Ein Manifest der
Prager forcierte die Städte Böhmens zum Anschlufs auf und gofs die
leidenschaftlichsten Beschuldigungen auf die Deutschen als »die natürlichen
Feinde des tschechischen Volkes« aus. Um den Hafs gegen Sigmund
in alle Volksschichten zu tragen, wurde das Gerücht verbreitet, er be-
absichtige, das tschechische Volk auszutilgen und das Land mit Deut-
schen zu bevölkern. In Wirklichkeit waren die Deutschen an Leben
und Gut gefährdet und die deutschen Familien — die reichsten der
Stadt — zur Flacht aus Prag gedrängt.1) Ihr Besitz wurde eingezogen
und an Hussiten entweder umsonst oder zu billigen Preisen überlassen.
So ging es fortan in den Städten, wo der tschechische Wiclifismus zum
Siege gelangte : der Charakter des Kampfes war eben von Anfang an
auch ein nationaler. Der radikalen Strömung konnten sich die Utra-
quisten nicht entziehen. Tschenek fiel von Sigmund ab und schlofs mit
Prag einen Bund. Ein Aufruf an alle Böhmen und Mähr er sprach dem
König jedes Recht auf die Herrschaft ab.2) Die Angriffe auf Kirchen
und Klöster begannen aufs neue. Mittlerweile hatte sich Zizka ein
schlagfertiges Heer gebildet. An Leuten, die zu jedem Opfer für ihren
Glauben bereit Avaren, fehlte es nicht, wenn auch die Zahlen über die
hussitischen Heere wie über die ihrer Gegner in den Quellen meist
übertrieben werden. Zwar konnte Zizka seine Massen nicht nach dem
Muster damaliger Heere einrichten — dazu reichten seine Mittel nicht
l). Bfezova, S. 354, 8. dazu Lippert, die Tschecliisierung der böhmischen Städte
im 15. Jahrhundert. MVGDB. V, 181. Xach der gewöhnlichen Überlieferung sollen in
der Altstadt allein 720 Häuser verlassen worden sein — seit Jahrhunderten deutscher
Besitz, der jetzt an fremde Ankömmlinge verteilt wurde. Typisch für das Vorgehen
ist das von Palacky III, 2, 216 erzählte Beispiel von Jaromierz — einst Germer ge-
nannt — wozu aber noch Ludolf von Sagan, S. 493, heranzuziehen ist,
2) Das Aktenst. im Arch. Cesky III, 210. Eine gleichzeitige Widerlegung aller
dem König zum Vorwurf gemachten Vergehen bei Ludolf von Sagan, 511 ff.
490 Bildung und Ausrüstung des Hussitenheeres. Beginn des Krieges.
aus — er rüstete es aber so aus und verschaffte ihm eine derartige Manövrier-
fähigkeit, dafs es einem jeden Ritterheer überlegen war. Wie bei den
Schweizern bestand es zumeist ans Fufsvolk; ein beträchtlicher Teil
konnte nicht ständig verwendet werden. Die meisten Taboriten —
Handwerker und Bauern — stiefsen nur im Falle des Bedürfnisses zum
Heer und wurden mit Waffen versehen, mit deren Gebrauch sie von
Jugend an vertraut waren : Lanzen, Streitkolben, Armbrüsten, nament-
lich aber mit Dreschflegeln, die. um die Wucht des Schlags zu erhöhen,
mit Eisen beschlagen waren. Weiber, die mit ins Feld rückten, sorgten
für die Bedürfnisse der Männer, und selbst halbwüchsige Burschen,
fanden als Schleuderer Verwendung. Um sein Fufsvolk gegen die Angriffe
eines Reiterheeres zu sichern, bediente Zizka sich der Wagen, deren
Führung seinen Bauernhaufen keine Schwierigkeit bot und die auch
sonst schon für Kriegszwecke — zu Verschanzungen — Anwendung
gefunden hatten. Seine Neuerung bestand in der Benützung dieser
Wagen auch für den Angriff, auf dem Marsch, im Lager und bei dem
in Schlachtordnung aufgestellten Heere.1) Es wurden jetzt förmliche
Wagenburgen errichtet, d. h. die WTagen in mehrfacher Reihe so auf-
gestellt und durch herabhängende Bretter derart geschützt, dafs sie jeden
Augenblick aus dem Zusammenhang gelöst und mitten in die Feinde
geführt werden konnten. Innerhalb der Wagenreihe waren die Fufs-
truppen vor unerwarteten Angriffen gesichert.
3. Anfangs Mai 1420 rückte Sigmund über Glatz und Xachod in
Böhmen ein. Tschenek überlieferte gegen Zusage der Amnestie und
Gewährung des Kelches die Prager Burg an Bevollmächtigte des Königs,
und als dieser bis nach Kuttenberg vorrückte, boten auch die Prager
die gleichen Bedingungen an. Der König forderte aber bedingungslose
Unterwerfung und begann, durch Kreuzfahrer und Truppen deutscher
Fürsten verstärkt, die Belagerung von Prag (30. Juni), dem Zizka zu
Hilfe geeilt war. Am 14. Juli versuchten die Meifsner einen Angriff
auf den Witkow- (seither Zizka-)Berg, den die Hussiten besetzt hatten,
um die Verbindung mit der Stadt zum Zwecke ihrer Verproviantierung
aufrecht zu erhalten. Den Verteidigern kamen so viele Hussiten aus
Prag zu Hilfe, dafs der Angriff aufgegeben werden mufste. Die Deutschen
legten dem Gefecht keine Bedeutung bei, für die Belagerten war es aber
von Wichtigkeit, dafs die Verbindung mit dem Osten ungestört blieb.2)
Sigmund hoffte immer noch, durch Verhandlungen, zu denen er von
böhmischen Grofsen aufgefordert wurde, auf friedlichem Wege in den
Besitz des Reiches zu kommen. Die deutschen Fürsten, die eine Zeit-
lang untätig vor Prag lagen, beschlossen abzuziehen. Nachdem sich
1 Tomek, S. 35. Dazu MVGDB. V, XXXI, 297.
- Zu der tendenziösen, allein auf dem nicht korrekten Text Brezovas auf-
gebauten Darstellung von Zizkas grofsem Sieg ist auf Höfler, Die Schlacht am Zizka-
berg, (einen Aufsatz, der auf einem von dem Markgrafen von Meifsen an den Herzog
von Bayern gerichteten Brief fufst , und auf den bisher zu wenig beachteten Ludolf
zu verweisen, der das Treffen kaum bemerkt. Dessen geringe Bedeutung auch bei
v. Bezold I, 41.
Der Landtag v. Czaslau. Absetzung Sigmunds. Erfolge der Hussiten. 491
Sigmund am 31. Juli1) auf dem Hradschin hatte krönen lassen, um
seinen Gegnern den Vorwand, dafs er nicht gekrönt sei, zu nehmen,
hob er die Belagerung auf. Die Grofsen zogen aus seiner bedrängten
Lage den gröfsten Nutzen, indem sie ihn zu jener massenhaften Ver-
pfändung von Kirchengut zwangen, die ihm so sehr verdacht wurde,
und doch gewann er an ihnen keine feste Stütze. Als er, um den von
den Pragern belagerten Wischehrad zu retten, vor Prag zog, erlitt er
(1420, 1. November) eine Niederlage, die den Verlust des Wischehrad
zur Folge hatte. Vom Adel traten nun die meisten auf die Seite der
Hussiten. Die Städte, geschreckt durch die Rache, welche sie an den
eroberten deutschen Plätzen nahmen, unterwarfen sich freiwillig und so
auch der Erzbischof von Prag, der sich (21. April) zur Annahme der
vier Artikel erklärte. Selbst in Mähren, wo nun der König weilte,
wandte der Adel sich dem Utraquismus zu. Um nicht alles zu verlieren,
gewährte Sigmund — freilich nur provisorisch — Duldung. Im Juni 1421
trat ein allgemeiner Landtag in Czaslau zusammen. Hier wurde Sigmund
»als Feind der böhmischen Nation« des Thrones verlustig erklärt und
eine provisorische Regierung eingesetzt.2) Die rheinischen Kurfürsten
hatten sich mittlerweile über die dem König zu leistende Hilfe geeinigt
(April); zahlreiche Stände traten dieser Einigung bei, so dafs im Laufe
des Sommers ein starker antihussitischer Bund zustande kam. Aber die
kriegerischen Vorbereitungen waren weder umfassend noch gründlich
genug; Sigmund, von Ungarns Angelegenheiten in Anspruch genommen,
sah mifstrauisch auf das selbständige Vorgehen der Kurfürsten, von
denen sein früherer Freund, Friedrich I. von Brandenburg sich gegen
des Königs Willen in ein Bündnis mit Polen einliefs.3) Erst Ende August
sammelte sich das deutsche Heer bei Eger. Sigmund sollte von Mähren,
die Schlesier von Nordosten und die Meifsner von Norden her in Böhmen
einbrechen. Nur Friedrich von Meifsen, »die Geifsel der Hussiten«,
hatte einen Erfolg, indem er am 5. August den Pragern, die Brüx
belagerten, eine Niederlage beibrachte. Sigmund griff nur zögernd in den
Kampf ein, und das deutsche Heer, das bis vor Saaz gelangte, lief vor
den Scharen Zizkas auseinander (2. Oktober). Wohl hatte sich der König
mit Herzog Albrecht V. von Österreich verbündet, aber es fehlte auch
jetzt an dem notwendigen Zusammenwirken. Während Albrecht in
Mähren einbrach und nach der Eroberung von Jaispitz wieder den Heim-
weg antrat, rückte Sigmund über Iglau in Böhmen ein, nahm Kutten-
berg weg, schlofs das böhmische Heer unter Zizka auf den Höhen von
Kang ein, hatte aber nicht die Absicht, sich mit ihm in einen Kampf
einzulassen, sondern es auszuhungern. Doch gelang es Zizka, durch-
zubrechen. Durch bewaffnete Bauernscharen verstärkt, griff er (1422,
6. Januar) die Königlichen bei Nebowid so unvermutet an, dafs sie
Kuttenberg preisgaben und in der Richtung nach Deutschbrod flohen.
*) Über das Datum Lenz, König Sigismund und Heinrich V, S. 208.
2) Alle Stände traten zugleich (7. Juni) den 4 Artikeln bei. Arch. Cenkf IH, 226.
3) Brandenburg, König Sigmund, S. 108 ff.
492 Zizkas Siege. Korybut in Böhmen.
Zizka holte sie bei Habern ein. schlug einen Teil des Heeres, das sieh
ihm bei Deutschbrod entgegenstellte (8. Januar), nützte aber seinen
Sieg nicht aus.
4. Zur Aufrichtung einer bleibenden Ordnung war Zizka wenig
befähigt, Dies wurde nun von anderer Seite versucht. Schon im
April 1420 hatten hussitische Adelige Wladislaw von Polen und, als
dieser ablehnte, Witold von Litauen die Krone angetragen, der sich
(1421, Juni), in der Hoffnung auf einen Ausgleich mit der Kirche, zu
ihrer Annahme bereit zeigte. Eine böhmische Gesandtschaft an ihn
wurde (1421, September) auf dem Gebiet des Herzogs Johann von Troppau
gefangen. Dies rief in Polen gröfsere Aufregung hervor als in Böhmen.
Sigmund Korybut. Witolds Xeffe, machte sich auf,, um im Verein mit
den Pragern den Herzog zu bekämpfen. In Prag selbst war es inzwischen
zu grofsen Zerwürfnissen gekommen. Als Johann von Selau seine
Macht gegen die Gemäfsigten zur Geltung brachte, wandten sich die
vornehmsten Barone Sigmund zu, und auch Polen trat mit ihm in neue
Verhandlungen ein, aber Sigmunds Niederlage bei Deutschbrod änderte
die Sachlage. Nach dem Sturze Johanns von Selau (1422, 5. Februar)
nahm Witold seine Pläne wieder auf. Indem er dem Papste die Wieder-
gewinnung der Böhmen in Aussicht . stellte und um Suspension des
Bannes und der Kreuzpredigt bat. sandte er ein Hilfsheer unter Korybut
nach Böhmen. Dieser trat selbst zum Kelche über, übernahm für Witold
die Regierung, brachte die konservativen Elemente wieder zur Geltung
und suchte den Kämpfen taboritischer Heerhaufen gegen einzelne Städte
oder Adelige ein Ende zu machen. Seine Stellung wurde von Zizka in
förmlicher Weise anerkannt. Das schimpfliche Ergebnis der Kriegs-
führung der Verbündeten, mehr noch die Berichte von dem grausamen
Wüten der Hussiten erregten inzwischen im deutschen Reiche allgemeine
Entrüstung. Schon begehrten einzelne Stimmen Sigmunds Ersetzung
durch einen andern König. Um Böhmen nicht in Korvbuts Händen
zu lassen, trat er jetzt mit gröfserern Eifer auf und wurde vorn Papste
und den Reichsfürsten, die ein Übergreifen hussitischer Tendenzen in
ihre Länder befürchteten, unterstützt. Der Reichstag zu Nürnberg
beschlofs zu Ende August 1422 eine doppelte Kriegsrüstung: ein Heer
sollte für den »täglichen Krieg1), ein anderes zu dem Zwecke auf-
geboten werden, um rasch in Böhmen einzudringen und den von den
Hussiten belagerten Karlsstein zu entsetzen. 2) Das deutsche Heer unter
dem Kurfürsten von Brandenburg drang bis Tachau vor, gewann aber
ebensowenig Vorteile als der Markgraf von Meifsen. der mit einer Heeres-
abteilung am Südabhang des Erzgebirges stand. Zur besseren Fürsorge
für das Reich hatte Sigmund den Erzbischof Konrad von Mainz zum
Statthalter für Deutschland ernannt3), wogegen Ludwig von der Pfalz
Einsprache erhob, weil das Vikariat im Reiche der Pfalz zustehe. Eben-
*) »Täglicher Krieg . Es war die Aufstellung eines Heeres bezweckt, das bis zur
Niederwerfung der Hussiten im Felde bleiben sollte. DRA. VIU, Nr. 145.
2 Ebenda Nr. 148, 15t).
3; Ebenda Nr. 164 ff.
Der Kurverein von Bingen. 493
sowenig befriedigte die Verleihung der erledigten sächsischen Kur an
Friedrich von Meifsen den Kurfürsten Friedrich I. von Brandenburg,
der sie für seinen Sohn Johann in Anspruch nahm. Bei der ungenügenden
Unterstützung des Kreuzheeres durch Sigmund zog es sich im Dezember
1422 wieder aus Böhmen zurück. Sigmunds Verhandlungen mit Polen
und Litauen führten dazu, dafs nicht nur Korvbut aus Böhmen ab-
berufen, sondern auch Hilfe gegen die Ketzer zugesagt wurde (1423,
30. März). Auch das deutsche Reich sollte sich am Kampfe beteiligen.
Aber mit Ausnahme Österreichs unternahm keiner der Fürsten einen
ernsthaften Angriff auf Böhmen. Die Schuld wurde auf die zweideutige
Haltung Polens geschoben. Die Hussiten gingen selbst zur Offensive
über, drangen unter Zizka in Mähren und Ungarn ein und gelangten
bis Tyrnau, traten aber dann, als die Ungarn immer weiter zurückwichen,
den Rückzug an. Sigmund überliefs seinem Schwiegersohn Albrecht V.
schon jetzt ganz Mähren als böhmisches Lehen und erklärte ihn, falls
der luxemburgische Mannesstamm ausstürbe , zu seinem Thronerben
(1423, 4. Oktober).
§ 114. Der Kurverein von Bingen und der Hussitenkrieg bis zum
Konzil Ton Basel (1424—1481).
Hilfsschriften: Droysen, v. B e z o 1 d , Wendt, Lindner, Branden-
burg, wie oben. Schuster, Der Konflikt zwischen Sigismund und den Kurfürsten
1424—26. Jena 1885. Lindner, Der Binger Kurverein. M.TÖG. XIV. DZG. IX.
Heuer, Der Binger Kurverein 1424. DZG. YIII. Brandenburg, Der Binger Kur-
verein in seiner verfassungsgesch. Bedeutung. Ebenda XI. Lindner und Heuer,
ebenda IX, 119. Herre, Die Hussitenverhandlungen auf dem Strafsb. Reichstag 1429.
Q. u. Forsch, aus it. Arch. IL
1. Der unglückliche Fortgang des Krieges und der Ruf, dafs
Sigmund ihn nicht ernsthaft betreibe, gab den Kurfürsten, von denen
Pfalz und Brandenburg in gespannten Beziehungen zum König standen,
Gelegenheit, unter dem Schein der Fürsorge für das Reich mafsgebenden
Einflufs auf die Reichsregierung zu gewinnen. Dies geschah durch den
Kurverein von Bingen (1424, 17. Januar), einer folgerichtigen Fort-
bildung der kurfürstlichen Politik der letzten sieben Jahre. Sie nahm
den Ausgangspunkt von dem Vertrag vom 7. März 1417 (s. oben § 111).
Zwei Jahre später erteilten die Kurfürsten dem König ungefragt Rat-
schläge1) über seine auswärtige Politik. Je mehr er deren Schwer-
gewicht nach Osten verlegte, um so lebhafter wurde die Erinnerung an
die Zustände, die der Absetzung Wenzels vorhergingen. Im folgenden
Jahre trugen sie sich bereits mit Absetzungsplänen; 1422 beriefen sie
einen Reichstag und nötigten den widerstrebenden König, zu erscheinen.
Das Jahr darauf brachten sie es dahin, dafs der von ihm ernannte
Reichsverweser, Erzbischof Konrad von Mainz, seine Stelle niederlegte.
Jetzt traten sie in Bingen zu einer Einigung zusammen, die sich
unmittelbar gegen den König kehrte, indem sie sich »zur Erfüllung
x) Die Bundesurk. DRA. VIH, Nr. 294, 295. Brandenburg, S. 70 ff.
494 Sprengung des Karfürstenbundes. Kampfe der huss. Parteien.
ihrer ihnen von Gott gesetzten Aufgaben als eine dauernd tätige
Körperschaft konstituierten und für den Fall eines Angriffs auf
einen von ihnen und zur Beschlufsfassung über alle das Reich, die
Kirche und die Kurfürsten betreffenden Angelegenheiten zusammen-
traten«. Sollte der König das Reich schmälern, was hinsichtlich des
Ordensstaates Preufsen befürchtet wurde, oder ohne ihre Zustimmung
einen Reichsvikar ernennen, so dürfen sie seinen Anordnungen ent-
gegentreten. Auf dem Kurfürstentage im Juli 1424 verlangten sie ein
Aufsichtsrecht über seine Amtsführung und das Recht der Gehorsams-
aufkündigung. Was die Kurfürsten in Bingen festsetzten, schlofs eine
Verfassungsänderung in sich. »Waren bisher König und Reichstag
alleinige Faktoren der Reichsregierung, so versuchte nun das Kur-
kollegium sich zwischen beide zu schieben.« Ihr Programm kam freilich
nicht vollständig zur Ausführung. Zunächst wurde der Text des Bundes-
vertrags1) gemildert, dann hätte die Einigkeit unter ihnen nicht lange
Bestand. Sigmund war über ihr Vorgehen auf das höchste erbittert.
Unmutig erklärte er, dafs er und Ungarn bisher die Hauptlast des
Krieges getragen. Immerhin war noch der Reichstag, den er im
Januar 1425 nach Wien berief, von den Kurfürsten nicht beschickt,
und als Sigmund den Versuch machte, Städte und Reichsritter gegen
sie zu gewinnen, tauchten neue Absetzungspläne auf. Das Entscheidende
war, dafs der neue Kurfürst von Sachsen, der als Xachbar Böhmens
Sigmunds Hilfe nicht entbehren konnte, sich von den übrigen Kurfürsten
trennte. In Weizen schlofs er am 25. Juli 1425 ein Schutz- und Trutz -
bündnis mit Sigmund und verpflichtete sich, dessen Schwiegersohn nicht
nur zur Krone Böhmens, sondern auch zur deutschen Königswürde
behilflich zu sein. Dafür erhielt er nunmehr (1. August) die Belehnung
mit Sachsen. Als sich schliefslich auch der Kurfürst von Brandenburg,
dessen weitausgreifende Pläne bei den andern Verbündeten keine Unter-
stützung fanden, mit Sigmund verständigte, war die Vereinigung von
Bingen vorläufig gesprengt.
2. Während die Angriffe der Kreuzheere auf Böhmen zum grofsen
Leidwresen der Kurie aufhörten, wurde dieses selbst der Tummelplatz
wüsten Parteikampfes, der dem grofsen Führer der Taboriten nochmals
Gelegenheit bot, im Kampfe gegen die Utraquisten bei Maleschau sein
überlegenes Feldherrntalent zu beweisen (1424, 7. Juni). Nur im
Pilsner Kreise behauptete sich die königliche Partei. Inzwischen hatte
Korybut mitten unter den polnischen Kriegsrüstungen gegen die Hussiten
gegen den Wunsch seiner Oheime, einem Rufe der Prager folgend, die
Leitung der Dinge daselbst in die Hand genommen. Gegen ihn wandte
sich Zizka, der nun die Absicht hatte, Prag zu erobern und eine neue
Ordnung der Verhältnisse zu begründen. Da gelang es dem Magister
Johann von Rokytzan, der durch Beredsamkeit und nationalen Eifer
hervorragte, einen Waffenstillstand zustande zu bringen, worauf sich die
vereinigte Macht der Hussiten gegen Mähren wandte. Im Lager von
») Lindner, MJÖG. XIII, 410—413.
Zizkas Tod. Die Waisen. Siege Prokops des Kahlen. 495
Pfibislau erkrankte Zizka an der Pest und starb am 11. Oktober 1424.
Der Zug nach Mähren wurde trotzdem fortgesetzt und führte zu einer
Erstarkung der utraquistischen Partei, die hier freilich auch jetzt kein
entscheidendes Übergewicht erlangte. In Böhmen kam es zu neuem
Bürgerkriege. Korybut stellte sich auf die Seite der Prager gegen die
Taboriten und die Anhänger Zizkas, die aus Trauer über den Verlust
ihres Feldherrn sich »Waisen« nannten und in kirchlichen Fragen wie
einst Zizka einen gemäfsigteren Standpunkt einnahmen als die Taboriten.
In ihren Reihen befanden sich hervorragende Krieger aus Zizkas Schule.
Der bedeutendste Prokop der Kahle oder der Grofse, seinem
Meister zwar nicht in der Kunst der Kriegführung, wohl aber an diplo-
matischem Talent überlegen. Von Zizka unterschied er sich auch
darin, dafs er Friedensverhandlungen nicht aus dem Wege ging. Während
aber Zizka strenge Manneszucht hielt, änderte sich nun der Charakter
der Taboriten- und Waisenheere, die ein Gemisch beutegieriger Elemente
wurden und dem eigenen Land zur Last fielen.1) Noch gab Sigmund
die Hoffnung nicht auf, die Hussiten niederzuwerfen ; aber der Reichstag
von Wien (1426, Februar) verlief resultatlos, und als der König am
Reichstag zu Nürnberg 30000 Mann begehrte, gingen die Stände darauf
nicht ein. Während noch beraten wurde, rückten die Hussiten unter
Prokop und Korybut vor Aussig, das die Sachsen besetzt hielten, und
schlugen (1426, 16. Juni) ein sächsisches Entsatzheer, das zwar dem
Gegner überlegen war, aber einen grofsen Mangel an Disziplin bekundete,
in die Flucht. 2) Haufenweise lagen die Toten »wie die Garben auf
dem Feld;. Die Hussiten nützten ihren Sieg nicht aus, sondern be-
gannen ihre inneren Kämpfe von neuem. Aber auch in Deutschland
hinderte die allgemeine Zerfahrenheit jeden nationalen Aufschwung.
Fürsten und Städte waren in endlose Fehden verwickelt, Sigmund durch
die Türken und Venezianer in Anspruch genommen. Im Kleinen
wurde der Grenzkrieg nicht ohne Glück geführt ; Albrecht V. machte
einige anerkennenswerte Anstrengungen und begann im August die
später Belagerung von Lundenburg, sah sich aber schon zwei Monate
zum Abzug genötigt. Nun griffen die Hussiten Osterreich selbst an und
brachten dem österreichischen Aufgebot eine Niederlage bei.
3. Die blutigste Periode des Hussitenkrieges begann erst 1427 :
In Böhmen wurde die gemäfsigte Richtung zurückgedrängt, Korybut
gefangen und seine Anhänger aus Prag vertrieben. Mit Prokop dem
Kahlen kam die Partei ans Ruder, die im Angriffskrieg den gröfseren
Vorteil erblickte. Von nun an wurden die Nachbarländer von Raub-
und Plünderungszügen heimgesucht. Albrechts Scharen erlitten vor
Zwettl eine Niederlage. Der Reichstag, der im Frühling 1427 in Frank-
furt tagte, beschlofs endlich einen allgemeinen Kriegszug gegen die
Hussiten. Diesmal sollte Böhmen von vier Seiten angegriffen werden :
Das Hauptheer sollte von Nürnberg aus in Böhmen eindringen, der
*) Tomek, S. 231.
2) Lied von der Schlacht. Deutsch: MVGDB. II, 184 ff.
496 Schlacht bei Mies. Raubzüge der Hussiten.
Herzog von Sachsen im Xorden, die Schlesier vom Osten und die
Österreicher vom Süden in Böhmen einbrechen. Für die deutschen
Heere war die Lage auch insofern günstig, als sich viele Utraquisten,
erbittert über den Sieg der Radikalen, mit dem Markgrafen von Branden-
burg in Verbindung gesetzt hatten. Das Hauptheer, das übrigens nicht,
wie hussitische Quellen wollen, 80000 Reiter und ebensoviel Fufsvolk,
sondern kaum den zehnten Teil davon zählte, unter der Führung des
Erzbischofs von Trier und des Markgrafen von Brandenburg, der indes
vor der Entscheidung erkrankte, rückte vor Mies, das den Herbst
zuvor in die Hände der Taboriten gefallen war. und begann gegen den
AVillen des Brandenburgers die Belagerung der Stadt. Sie wurde zwar,
als sich die Nachricht von der Ankunft des hussitischen Heeres ver-
breitete (2. August) aufgehoben und ein in der Xähe befindlicher Berg-
besetzt, hiebei kam es aber zu einer Panik des gemeinen Volkes«, von
der schliefslich auch die deutschen Reiter- und das Fufsvolk mitgerissen
wurden, so dafs sie in regelloser Flucht gegen Tachau eilten und ein
Teil selbst über die Grenze floh. Wie viele niedergemacht wurden, ist
nicht überliefert. Gewifs war der Verlust an Wägen und Gepäck sehr
bedeutend. Tachau wurde am 11. August erobert und die Einwohner
getötet, Auf die Kunde hievon zogen sich auch die Schlesier nach
eiuem glücklichen Gefecht bei Xachod über die Grenze zurück. Die
schmähliche Flucht vor Mies, so abträglich sie dem Ansehen der Deutschen
war, hatte noch immer nicht die Wirkung, dafs Fürsten, Herren und
Städte sich zur Herstellung ihres militärischen Ansehens zusammen-
gefunden hätten. König Sigmund, mit andern, zum Teil weitaussehenden
Projekten, selbst mit der Wiedereroberung des hl. Landes beschäftigt.
hielt sich abseits. Der Kardinal Heinrich Winchester unternahm es,
die deutschen Kräfte zu gemeinsamem Widerstand zu organisieren.
Auf dem Frankfurter Reichstag wurde endlich (1427, 2. Dezember i ein
Reichskriegssteuergesetz beschlossen, das jeden nach seinem Vermögen
zur Zahlung eines »Hussengeldes« verpflichtete. Aber der Ertrag war
nur gering, die Zurüstungen zum Kriege selbst ungenügend. Zudem
starb der Kurfürst von Sachsen, der kräftigste und wohl auch der
glücklichste Widersacher der Hussiten am 5. Januar 142S. Gegen
Friedrich von Brandenburg, dem die Hauptmannschaft übertragen
wurde, regte sich das alte Mifstrauen Sigmunds. Mittlerweile unter-
nahmen die Hussiten ihre Mord- und Raubzüge in die Nachbarländer ;
schon begann eine Anzahl von Fürsten und Städten ihre Schonung
von den Hussiten um Geld zu erkaufen und Verträge mit ihnen zu
schliefsen; schon dachten diese daran, sich dauernd in Schlesien fest-
zusetzen, und nur in einzelnen Landschaften, wie in der Lausitz, war
die Gegenwehr so stark, dafs der hussitische Angriff siegreich zurück-
gewiesen wurde. Allmählich rang sich aber nicht nur unter den
Katholiken, sondern selbst unter den Taboriten der Gedanke an einen
friedlichen Ausgleich durch. Am 4. April 1429 ritt Prokop der Kahle
in Prefsburg ein, um mit Sigmund, dem seiner Römerfahrt wegen die
Regelung seiner Beziehungen zu den Hussiten dringend erwünscht war.
Die ersten Friedensverhandlungen und ihr Scheitern. 497
zu verhandeln. Indem dieser aber ihre unbedingte Rückkehr in den
Schofs der Kirche, jener Gehör vor einem allgemeinen auch von
Griechen und Armeniern beschickten Konzil und schlicfslich von Sig-
mund als Preis für seine Anerkennung als König auch noch Annahme
des hussitischen Glaubens verlangte, diese Bedingungen auch noch vom
böhmischen Landtag verschärft wurden, mufsten die Verhandlungen
scheitern. Sigmund entwarf Pläne für die Wiederaufnahme des Kampfes
im Sommer; die Taboriten unternahmen dagegen im Herbst einen
Feldzug in die Ober- und Niederlausitz, im Dezember nach Meifsen und
Sachsen und drangen unter grauenvollen Verheerungen bis in die Nähe
von Magdeburg. Zwei gegen sie im nördlichen Deutschland aufgestellte
Heere wagten keinen Widerstand. Von Sachsen zogen sie nach dem
östlichen Franken in die Oberpfalz. Der Kurfürst Friedrich von Branden-
burg bewog sie gegen Zahlung bedeutender Summen zum Abzug. Auch
jetzt waren die Hussiten bei allen ihren Erfolgen bemüht, sich den Weg
zu einer friedlichen Vereinbarung zu bahnen. Der Kurfürst und andere
Fürsten mufsten ihnen freies Geleite zu einem »gütlichen Tag« in Nürn-
berg versprechen. Dort sollte über die vier Artikel disputiert und ein
Weg der Verständigung gesucht werden. Damit war zum erstenmal
auf jene Grundlage hingewiesen, aus der in der Folge die Kompaktaten
erwachsen sind. Trotzdem die abendländische Welt mit solchem Eifer
nach einem friedenbringenden Konzil begehrte, dafs scharfe Plakate
dieses Inhalts selbst an den Toren des Vatikans angeschlagen wurden,
verhielt sich die Kurie ablehnend und verbot alle Erörterungen über
Glaubenssachen mit den Hussiten. Bald wurden König und Kurfürsten
als Ketzerfreunde gescholten. Sigmund wünschte übrigens die Verhand-
lungen mit den Hussiten als seinen Untertanen selbst in der Hand zu
behalten. So scheiterte dieser Annäherungsversuch, und Taboriten und
Waisen setzten ihre Plünderungszüge in die benachbarten Länder fort.
Die Kurie hatte lange auf Polen und Litauen ihre Hoffnung gesetzt;
indem aber Grofsfürst Witold mit Sigmunds Hilfe die Königskrone zu
erhalten und das Band zwischen Polen und Litauen zu zerreifsen
suchte, neigte Polen in so bedenklicher Weise den Hussiten zu, dafs
im Frühling 1431 ein Kolloquium zwischen Hussiten und polnischen
Magistern stattfinden konnte, welches freilich keine besseren Ergebnisse
hatte als der Anknüpfungsversuch von Prefsburg.
4. Mittlerweile war die Konzilsangelegenheit in ein entscheidendes
Stadium gekommen (s. unten). Kardinal Cesarini war als Vertreter des
Papstes in Deutschland erschienen, um die Leitung des Konzils zu
übernehmen. Ganz begeistert für einen Waffengang gegen die Ketzer
traf er auf dem Nürnberger Reichstage ein, der sich im Februar 1431
versammelte. Hier bildete neben dem Landfrieden der Hussitenkrieg
den wichtigsten Verhandlungsgegenstand. So lebhaften Anteil Cesarini
nahm: Sigmund versprach sich mehr von Verhandlungen. Die Stände
waren diesmal zu gröfseren Opfern bereit. . Cesarini selbst zog, das Kreuz
predigend, in den Rheingegenden umher. Er hatte durch die katholischen
Böhmen die Überzeugung gewonnen, die Hussiten könnten nur durch
Loser th, Geschichte des späteren Mittelalters. 32
498 Die Niederlage des Kreuzheeres bei Taus.
die Gewalt der Waffen bekehrt werden. Das Kreuzheer, von dem
Markgrafen Friedrich von Brandenburg geführt und von Cesarini be-
gleitet, setzte sich Anfang Juli — an lOOOOO Mann stark — in Be-
wegung. Auch diesmal sollte Böhmen von allen Seiten angegriffen
werden, aber nur die Schlesier und Österreicher waren aufser dem
Hauptheere gerüstet. Dieses rückte am 1. August bei Tachau über die
Grenze und kam bis Taus (14. August), lief aber auf die Nachricht
vom Anrücken Prokops des Grofsen »in ehrloser Flucht aus Böhmen«.1)
Wie bei den früheren Zügen lagen eben auch diesmal die Ursachen der
Niederlage ebenso sehr in der elenden Einrichtung als in der schlechten
Führung des Heeres. Es war der letzte grofse Angriff, der seitens des
Reiches auf die Hussiten gemacht wurde.
§ 115. Das Pontifikat Martins V. Eugen IV. und die Anfänge des
Konzils von Basel.
Quellen. Urkk. u. Korrespondenzen. Eine methodisch angelegte Samm-
lung bisher nicht publizierter Quellen zur Gesch. des Basler Konzils hat neuestens
J. Hall er in Angriff genommen: Concilium Basiliense. Studien u. Dokumente zur
Gesch. der Jahre 1431—1436. 2 Bde., bis 1433 reichend. Basel 1896/97. Sonst sind die
Akten bei Mansi, Concil. Coli. XXIX— XXXI, Harduin VIII— IX, Martene u. Durand,
Yet. SS. et MIM. ampl. Coli. YI1I, D'Achery, Spicil. III zu finden. Repertorium Ger-
manicum. Regg. a. d. päpstl. Archiven z. Gesch. d. d. Reiches u. seiner Territorien im
14. u. 15. Jahrh. Pontifikat Eugens IV. (1431—1447) I. Herausg. v. Arnold. Berl. 1897.
Einzelnes im Arch. cesky III ff. u. im 2. Bd. der Urk. Beiträge z. Gesch. d. Hussiten-
krieges v. Palacky. Dazu Haller in seinen Beiträgen zur Gesch. d. Basler Konzils 4.
ZGORh. 1901. E. v. Muralt, Urkk. z. Gesch. d. Kirchenversamml. zu Basel u. Lausanne.
Anz. für Schw. Gesch. 1881. Andreas Gattaro, Tageb. d. Venet. Gesandten beim Konz.
zu Basel 1433 — 35. Herausg. v. Wackernagel. Deutsch v. Zehntner. Basler Jahrb. 1885.
Acta Nicolai Grands, Urkk. u. Akt., betreffend die Bez. Schlesiens zum Basler Konzil.
Cod. dipl. Sil. XV. Von Gesandtschaftsberichten ist einzelnes in Bulaeus,
Hist. un. Paris., in Bianco, Die alte Univ. Köln u. den Berr. des Vertreters von Kloster-
neuburg im VIII. Bd. der WSB. zu finden. Jetzt kommen vor allem die Berichte des
Abtes Ulrich Stöckel von Tegernsee, Haller I, 60 — 106, u. Doc. I, 163—464 in Betracht.
Von Protokollen liegt das Handregister des Notars Petrus Bruneti vor. Ebenda II
(s. dazu Beer im 124. Bd. der WSB. Palacky, ebenda XI und Haller in HZ. LXXIV).
Von Briefen sind einzelne noch aus der reichen Korrespondenz des Enea Silvio zu
nennen. S. darüber Haller I, 12. G. Voigt, Die Briefe des Aeneas Silvius vor seiner
Erhebung auf d. päpstl. Stuhl. AÖG. XVI, 323—424 u. Weifs, Aeneas Sylvius Picco-
lomini als Papst Pius II. mit 149 bisher ungedr. Briefen. Ausg. der Briefe der Enea
s. in Potthast I, 20. Eine krit. Gesamtausgabe wird vorbereitet. Für die Bez. zum
Hussitentum s. Palacky, wie oben.
Geschichtschreiber: Des gröfsten Ruhmes hatte sich bisher (s. darüber
Haller I, 12) Enea Silvio zu erfreuen. (Birk, Aeneas Silvius de Piccolomini als Geschicht-
schreiber des Basler Konzils. Theol. QSchr. LXXVI, 577.) Unter seinen Arbeiten sind
vornehmlich zu nennen : Commentarii de concil. Basiliensi = Historia concilii Basi-
liensis libri III (das mittlere Buch, die Absetzung Eugens IV. enthaltend, ist verloren).
Ausg. bei Potth. I, 23. Wichtiger : De rebus Basileae gestis stante vel dissoluto concilio
(versch. v. dem vorigen) ; beginnt mit dem Konst. Konzil, ed. Fea : Pius II a columniis
vindicatus Rom. 1823, s. Haller, 23. Desgleichen bieten viel Material seine Historia Boh.
und Historia Friderici IH (Ausg. u. Lit. bei Potthast). — Eine breit angelegte, aber
x) Oswald v. Wolkenstein ist ganz mutlos : Got muss für uns vechten — suln die
Hussen vergan — Von herren, rittern und von knechten — Ist es ungetan. Hist. Ver.
Ob.-Pfalz LI, 89.
Das Konzil von Basel. 499
unvollendet gebliebene Geschichte des Basler Konzils lieferte Johannes v. Ragusa :
Initium et prosecutio Basiliensis concilii 1417 — 1431, ed. Palacky in MM. Concil. der
W. Ak. I, 131. — Tractatus, quomodo Bohemi reducti sunt ad unitatem ecclesie,
ib. 133 — 286, s. dazu Haller, S. 18. — De modo, quo Greci fuerant reducendi ad eccle-
siam per concil. Basil. in Haller I, 331 — 364 (s. auch die Oratio ad artic. primum de
comm. sub utraque bei Canisius Lectiones antiq. et Basnage IV, 467). Der bedeutendste
Geschichtschreiber des Konzils ist Johannes de Segovia (über ihn : Zimmermann, Juan
de Seg. Diss. Bresl. 1882 u. jetzt vornehmlich Haller I, 20 ff. Derselbe : Zu dem Leben
und den Schriften des Johann v. Segovia in d. Z. f. Gesch. d. Ob. -Rh. NF. XVI.) Sein
Hauptwerk ist : Historia gestorum generalis synodi Basil. lib. XV, ediderunt Birk et
Beer. MM. Conc. II et IH. Aus seiner Feder stammen noch : De auctoritate ecclesie,
s. Haller, 27. De trib. veritatibus fidei, ebenda 28. De neutralitate, ebenda 30. Justi-
ficatio sententiae latae contra Gabrielern, ebenda 36. De magna auctoritate episcoporum
in concil. generali, ebenda 40. Die Haupt quelle für sein Werk waren aufser eigenen
Aufzeichnungen che Protokolle der Notare. Aegidius Carlerius, Liber de legationibus
concilii Basiliensis pro reductione Bohemorum, ed. Birk. MMC. I, 359 — 700 (andere
Schriften bei Potth. I, 188). Johannes de Turonis, Regestrum autorum in legationibus
a sacro concilio in Boemiam 1433 — 1437, ed. Birk. MMC. I, 785 — 867. Petri Zatecensis,
Liber diurnus de gestis Boh. in concil. Basil., ed. Palacky. Ebenda I, 287 — 357. Eben-
dorfer, Diarium gestorum per legatos concil. Basil. pro reduccione Bohem., ib. I, 701 — 783.
NA. IV. — Zum Teil gehören auch noch die Quellen von § 112, wie Bartoschek u. a.,
hierher. Von den Lausitzern : Johannes v. Guben in SS. rer. Lus. I. Aus den deutschen
Städtechron. vornehmlich die Nürnberger. Zur Gesch. d. Päpste: Vita Martini V
pontific. Romani auctore Jordano, ed. Papebroch in Propylaeo ad AA. SS. Mai. H, 61.
De Martino V, Lib. pontif., ed. Duchesue. App. II, p. 555 f. Muratori III, 2, 857—868 =
Duchesne 515 — 523. Vita Eugenii IV papae Script, a coaetaneo. Murat. III, 2, 868 — 878.
Lib. pontif. IL App. II, 536. Carta foederis inter Eugenium et Philippum Mariam etc.
Mur. IH, 2, 899—902. Vespasianus, vitae Eugenii IV et Nicolai V. Muratori XXV, 253 ff.
Aeneas Silvius, Oratio de morte Eugenii creationeque et coronatione Nicolai V., 1447.
Mur. 1. c. 878 — 898. Obitus Eugenii IV papae. AA. SS. 5. Mai. Epistola de morte
Eugenii IV. Mur. III, 2, 902 — 904. Vita Juliani Cesarini auctore Vespasiano ap. Ughelli,
Italia sacra ni, 671. Handschriftl. Nachträge aus röm. Biblioth. s. bei Pastor I. Gegen
das Papsttum : Confutatio primatus papae, angeblich v. Heimburg, in Wirkl. v. Matthias
Döring. Ausg. bei Potth. I, 431. Dort auch die betr. Lit.
Hilfsschriften: Lenfant, Histoire de la guerre des Hussites et du concile
de Basle. Amst. 1731. Wessenberg, wie oben Bd. IL Harzheim, Conc. Germ. V.
Binterim, Deutsche Konz. VII. Richter, Hist. concil. gen. H. Hefele, Konzilien-
gesch. VII. Creighton. A history of the Papacj' n. The Council of Basel. London. NA.
Richter, Organisation u. Geschäftsordnung des Basler Konzils. Leipz. 1877. Thommen,
Basel u. d. B. Konzil. Basl. Jb. 1895. S. auch Anz. Schw. Gesch. XXVI. G. Voigt,
Enea Silvio de Piccolomini als Papst Pius H. u. sein Zeitalter. 3 Bde. Berl. 1856 — 62.
A. Weifs-, L. Pastor, Gregorovius u. a., wie oben. Guiraud, L'Etat pontifical
apres le grand schisme. Paris 1898. Abert, Papst Eugen IV. Mainz 1884. Raumer,
Die Kirchenversammlungen v. Pisa, Kostnitz u. Basel, s. oben. S. auch Herre u. Beck-
mann in der Einleitung zu den DRA. X. Brefsler, Die Stellung der deutschen Uni-
versitäten zum Basler Konzil. Leipz. 1885. Zimmermann, Die kirchl. Verfassungs-
kämpfe, wie oben. Puckert, Die kurfürstliche Neutralität während des Basler Konzils.
Leipz. 1858. Bachmann, Die deutschen Könige u. die kurf. Neutralität. AÖG. 1888.
Kluckhohn, Herzog Wilhelm III., Protektor des Basler Konzils. Forsch. IL Geb-
hardt, Die Gravamina der d. Nation gegen den röm. Hof. Bresl. 1886. 2. A. 1896.
Aschbach, G. K. Sig. Bd. IV wie oben. Gebhardt, Die Confut. primatus papae.
NA. IL Albert, Matthias Döring. München 1889. Für die böhm. Frage s. oben § 113.
Zur kirchl. Union mit den Griechen findet sich die Literatur bei Krumbacher,
S. 1091 — 92. S. auch Pichler, Gesch. der kirchl. Trennung zw. dem Orient u. Okzi-
dent. 2 Bde. München 1864 — 65 u. Zhischmann, Die Unionsverhandlungen etc.
seit dem Anfang des 15. Jahrh. bis zum Konzil v. Ferrara. Wien 1858. Zu Nikolaus
v. Cusa, s. unten.
32*
500 Das Pontifikat Martins V.
1. Gegen die Wünsche der Deutschen und Franzosen, von denen
jene deutsche Orte, diese Avignon in Vorschlag gebracht hatten, schlug
Martin V. seine Residenz in Rom auf. Allerdings dauerte es zwei Jahre,
bis er dahin gelangte. Über Mantua [ging er nach Florenz, wo er an-
gesichts der trostlosen Lage des Kirchenstaates zwei Jahre blieb. Erst
Verhandlungen mit Johanna IL von Neapel, die Rom und Benevent
besetzt hielt, und dem Kondottiere Braccio di Montone, der einen grofsen
Teil Mittelitaliens beherrschte, machten ihm die Bahn frei. Doch mufsten
dem Kondottiere Perugia, Assisi, Todi und Jesi gelassen werden; er
mochte hoffen, sich hier eine selbständige Herrschaft zu gründen. Im
Juli 1420 unterwarf sich Bologna dem Papste , der zwei Monate später
seinen Einzug in die ewige Stadt hielt. Diese bot nach dem Ausspruch
eines Zeitgenossen nicht einmal das Aussehen einer Stadt dar : in den
schmutzigen, von Schutt angefüllten Gassen trieben Räuber ungescheut
ihr Handwerk. Denkmäler der Antike waren noch während der jüngsten
Wirren zugrunde gegangen. Ebenso trostlos sah es in den Provinzen
aus, die im übrigen nur lose mit Rom zusammenhingen. Überall war
Neues zu schaffen. Martin V. widmete sich dieser Aufgabe mit grofsem
Eifer und Geschick. Sein Regiment täuschte jene, die an ihm einen
milden Herrscher zu finden meinten. Bei seiner an Geiz grenzenden
Sparsamkeit gelang es ihm, die ärgsten Übelstände zu beseitigen und eine
neue Ordnung zu begründen. Wenn Rom seine politische Unabhängigkeit
verlor, behielt es doch das Recht kommunaler Selbstverwaltung. Nach
Braccios Tode (1424) kehrten auch die von ihm beherrschten Städte unter
die unmittelbare Herrschaft des Papstes zurück. Dagegen blieben die
meisten Übelstände , über die in Konstanz Klage geführt worden war,
bestehen : die Gelderpressungen , Bestechungen und der Nepotismus.
Seit jener Zeit werden die Nepoten auf Kosten Neapels oder des Kirchen-
staates mit Fürstentümern versorgt. Zunächst stieg das Haus Colonna
zu ungeheurer Macht empor; ja der Papst hegte den Plan, seinem Hause
den Thron von Neapel zu verschaffen. Die Reste des Schismas wurden
beseitigt, als der letzte Gegenpapst Ägidius Muiloz , den die Kardinäle
Benedikts XIII. nach dessen Tode (1424) als Klemens VIEL gewählt
hatten1), abdankte (1429). Hiebei hatte sich Alfonso de Borja, Rat des
Königs von Aragonien, grofse Verdienste erworben und zum Dank das
Bistum Valencia erhalten. Es ist der Borgia, der dieses Hauses Ansehen
begründete.
2. Die gröfsten Sorgen bereitete dem Papst der Kampf gegen die
konziliaren Ideen. Der Streit über die Superiorität der Konzilien hatte
ihn mit solchem Hafs gegen diese erfüllt, dafs er selbst die Erinnerung
an sie verabscheute.2) Nichtsdestoweniger mufste er in Gemäfsheit der
Konstanzer Beschlüsse ein Konzil nach Pavia berufen (1423). Eine
Pest, die dort ausbrach, bot ihm den Anlafs, es nach Siena zu verlegen;
als es in die Bahnen der Konstanzer Versammlung einlenkte, wurde es
r Nicht ohne auch seinerseits einen Gegenpapst in Benedikt XIV. zu erhalten.
2) Pastor H, 197.
Die Frage der Kirchenreforni. Eugen IV. 501
auf sieben Jahre verschoben. Dann wurde bestimmt, dafs es in Basel
zusammentreten solle. Diese lange Zeit blieb für die beabsichtigte Re-
formation der Kirche völlig unbenutzt, nur dafs der Papst eine Reihe
reformfreundlicher Männer, wie Julian Cesarini, in das Kardinalskollegium
aufnahm. Und doch wäre eine gründliche Kirchenreformation das ge-
eigneteste Gegenmittel gegen das »hussitische Gift« gewesen, das bereits
über die böhmischen Grenzen hinausdrang und auch schwere politisch-
soziale Gefahren heraufzubeschwören schien. Dem Papste schien es
genug, mit den Waffen gegen die Hussiten vorzugehen, aber diese ver-
sagten, und der Ruf nach einem Konzil wurde immer lauter und pochte
endlich selbst an die Tore des Vatikans. Martin V. ernannte nun allerdings
noch den Präsidenten für das Konzil — Julian Cesarini — starb aber,
bevor es eröffnet wurde, am 20. Februar 1431. Nahm er den Ruhm
mit ins Grab, Wiederhersteller der weltlichen Macht des Papsttums ge-
wesen zu sein , so war doch die Erbschaft für seinen Nachfolger eine
bittere. Der Ruf nach der Kirchenreform liefs sich nicht mehr über-
hören. Anderseits wollten sich aber auch die Kardinäle, die Martin V.
in demselben Grade zurückgesetzt, wie er seine Verwandten begünstigt
hatte, vor der Wiederkehr solcher Zustände schützen. Nach der Wahl-
kapitulation, die sie entwarfen, sollte der künftige Papst seinen Hof an
Haupt und Gliedern reformieren, ihn nicht ohne ihre Zustimmung an
einen andern Ort verlegen, bei Kardinalsernennungen die in Konstanz
begründete Ordnung einhalten, gegen ihre Person und ihr Vermögen nichts
Feindseliges vornehmen, ihnen die Hälfte des Einkommens der Kurie
zuweisen und ohne ihre Einwilligung keine wichtigere den Kirchenstaat
betreffende Regierungshandlung vornehmen. Es war die Frage, ob der
Papst mit solchen Einschränkungen seiner Gewalten auszukommen ver-
möchte. Auch wenn die Wahl nicht auf einen Mann von dem Charakter
Urbans VI. fiel, waren schwere Kämpfe zu gewärtigen.1)
3. In den Tagen Gregors XII. war dessen Neffe Gabriele Con-
dulmaro in die Höhe gekommen. Aus einer venezianischen Adels-
familie stammend, hatte er seine Habe an die Armen gegeben und war
in ein Augustinerkloster getreten. Noch unter Gregor XII. war er
Bischof von Siena, dann (1408) Kardinal geworden. Auf ihn fiel nun
die Wahl der Kardinäle. Er nannte sich Eugen IV. (1431 — 1447). Ein
Mann von ehrfurchtgebietendem Aufsern, von einfacher Lebensweise und
so freigebig, dafs er stets in Schulden steckte, weniger gebildet, als von
einem Papste der humanistischen Zeit erwartet ward, ohne nepotische
Anwandlungen, von mönchischen Neigungen, geringer Welterfahrung
und Selbständigkeit wurde er bei seinem Hang zu gewaltsamem Vor-
gehen in Konflikte getrieben, die ihn für seine Kämpfe seiner natürlichen
Stützen beraubten. So demütigte er wohl die Nepoten seines Vorgängers,
aber nicht ohne sich neue Gegner zu schaffen. Er bestätigte die Ver-
legung des Konzils nach Basel und erneuerte Cesarinis Vollmachten.
Dieser hatte das Konzil zu eröffnen, sobald eine genügende Zahl von
J) Pastor I, 232.
502 Eröffnung und Geschäftsordnung des Konzils. Sigmunds Romfahrt.
Mitgliedern eingetroffen war. Da Cesarini beim Heere gegen die Hussiten
verweilte, eröffneten es seine Vertreter Johann von Palomar und Johann
von Ragusa (1431, 23. Juli). Die Kunde vom kläglichen Ausgang
der letzten Kreuzfahrt erfüllte die versammelten Väter mit Angst und
Trauer, fachte den Eifer für die Reform aufs höchste an und schob die
hussitische Frage um so mehr in den Vordergrund, als nun die Über-
zeugung von der alleinigen Möglichkeit ihrer Lösung auf dem Konzil
eine allgemeine wurde. Cesarini, vordem Verteidiger des Ketzerkrieges,
wurde nun Anwalt des Friedens. Dabei bewahrte die hussitische Gefahr
das Konzil vor einem vorzeitigen Ende. Seit Cesarinis Einzug (9. September)
erschienen die Mitglieder in grofser Zahl, erfüllt vom Glauben an ihre
Mission für die Verbesserung der Kirche. Mittlerweile beschlofs Sigmund,
seine Romfahrt zu unternehmen, um als Kaiser mit gröfserer Autorität
beim Konzil aufzutreten , wohl auch in der Hoffnung , den Papst ent-
weder selbst zum Erscheinen zu bewegen oder doch für eine wahre
Reform zu gewinnen. Nachdem er den Herzog Wilhelm von Bayern
zum Protektor des Konzils ernannnt hatte, zog er, von wenigen begleitet,
über den Lukmanier nach Italien und erhielt am 25. November in Mailand
die lombardische Krone. Aber die erwartete Hilfe des Herzogs Philippo
Maria von Mailand blieb aus. Stärkere Hemmnisse seiner Fahrt türmten
sich auf, seit Eugen IV. mit dem Konzil in Konflikt geraten war. Dieses
hatte am 26. September eine Geschäftsordnung beschlossen, die nicht
blofs die Freiheit der Abstimmung sicherte, sondern auch die Gliederung
nach Nationen vermied, die sich in Konstanz nicht bewährt hatte, zudem
auch mit dem allgemeinen Charakter der Kirche in Widerspruch stand.
Statt der Nationen wurden vier Konvente , »heilige Deputationen« , ge-
bildet und zwar nach' den ihnen zugewiesenen Gegenständen : über
Glaubenssachen und Ketzereien,' über Angelegenheiten des Friedens,
über die kirchliche Reform und über allgemeine Sachen, die zu be-
handeln und zur Beschlufsfassung vorzubereiten waren.
Die Deputationen berieten getrennt, jede unter einem eigenen Präsidenten, der
wie die Unterbeamten allmonatlich neu gewählt wurde. Überdies wurde eine jede
der vier Sektionen nach je vier Monaten neu gebildet. Ein Ausschufs von vier Per-
sonen verteilte allmonatlich die neuangekommenen unter die Deputationen. Zwölf
Männer, aus jeder Deputation drei, von denen monatlich 8 ausschieden, verteilten
die Beratungsgegenstände unter die Deputationen. Über die Reihenfolge in der Be-
handlung verfügte der Präsident. In den Deputationen ward nach Köpfen, in der
Generalversammlung nach Deputationen abgestimmt. Bei dieser Verhandlungsmethode
überwog der Einflufs der geringeren Würdenträger, die zugleich die zahlreicheren
waren. Es wurde verhindert, dafs sich Parteigruppierungen nach Nationen bildeten
oder dafs eine einzelne Persönlichkeit eine überragende Stellung gewann. Die Be-
schlüsse einer Deputation wurden den drei andern mitgeteilt, und erst wenn sie von
drei Deputationen gebilligt waren, an die Vollversammlung des Konzils gebracht. Zur
Bestreitung der Kosten wurden von den einzelnen Kirchen der zwanzigste Teil ihres
Einkommens genommen. Das Konzil wies eine Reihe glänzender Talente auf: durch
ihre Kühnheit taten sich die Juristen und einzelne Vertreter der Mönchsorden und
des Prälatenstandes, vor allem des französischen, hervor. Schon traten in der glänzen-
den Beredsamkeit einzelner die Früchte humanistischer Schulung zutage.
Der Eifer der Väter für die Sache der Reform erregten den Arg-
wohn der Kurie. Am 14. Dezember hatte die erste feierliche Sitzung
Eugen IV. und das Konzil. 503
stattgefunden. Kurze Zeit nachher versuchte der Papst auf Grund ver-
schiedener, grofsenteils irriger Nachrichten, die ihm von Basel zugegangen
waren, unter dem Vorwand, dafs die Zahl der Erschienenen zu gering,
die Reise nach Basel zur Winterszeit ungünstig, der Aufenthalt daselbst
wegen der Hussitengefahr unsicher und die Ankunft der Griechen für
die Unionsverhandlungen nicht zu erwarten sei, das Konzil aufzulösen
und es nach anderthalb Jahren unter seiner persönlichen Teilnahme in
Bologna wieder zu versammeln. Cesarini und die übrigen Väter mifs-
billigten dies Vorgehen. Die letzteren sprachen in einem Rundschreiben
ihre Absicht aus, beim Konzil zu verbleiben. Die zweite Sitzung (1432,
15. Februar) wiederholte das Konstanzer Dekret, dafs jeder Christ, somit
auch der Papst, in Sachen des Glaubens usw. (s. oben) einem allgemeinen
Konzil gehorchen müsse, und dafs ein rechtmäfsig versammeltes
Konzil ohne eigene Zustimmung von niemand aufgelöst werden dürfe.
Noch bemühte sich Cesarini, den Papst zur Zurückziehung der Auf-
lösungsbulle zu bewegen, hatte aber keinen Erfolg. In der dritten
Sitzung wurde der Papst unter scharfen Drohungen gemahnt, die
Auflösung des Konzils zu widerrufen und, als diese Mahnung erfolg-
los blieb , des Ungehorsams angeklagt (6. September). Das Verhalten
des Konzils war zweifellos ein revolutionäres, da es, unzufrieden mit
der gesetzgebenden Gewalt, in die Exekutive des Papstes eingriff. Gleich-
wohl wurde sein Verhalten von einem der bedeutendsten Publizisten,
Nikolaus von Cues, in seiner berühmten Schrift »De concordantia
catholica« verteidigt. Nach allen Seiten wurden Gesandte geschickt, das
Recht des Konzils in Schutz zu nehmen, und von allen Seiten kamen
zustimmende Erklärungen. England und Frankreich stellten sich auf
seine Seite, der deutsche König hörte nicht auf, es in seiner Haltung
zu bestärken. Hatten jene Mächte nur ein einziges Interesse, das an
der Reform der Kirche, so kam bei Sigmund noch die besondere Rück-
sicht auf das Interesse seines Hauses hinzu. Kam nämlich die ersehnte
Einigung zwischen den Böhmen und dem Konzil zustande, so sicherte
dies auch die luxemburgische Herrschaft in Böhmen. Anderseits
konnte freilich auch Sigmund durch das Konzil einen ständigen Druck
auf den Papst ausüben und ihn zwingen, ihm die Kaiserkrone auf-
zusetzen.1)
§ 116. Die Kaiserkrönung Sigmunds. Die Kompaktaten.
1. Die Hoffnung Sigmunds, den Papst zur Zurücknahme der Auf-
lösungsbulle zu bewegen erfüllte sich ebensowenig wie die Erwartung des
Papstes, den König durch Gewährung einer Sondersynode für die deutschen
und böhmischen Angelegenheiten vom Konzil zu trennen. Dieses erklärte
(18. Dezember), jedes andere Konzil, das der Papst etwa berufen würde,
von vorherein als ein schismatisches. Am 19. Februar 1433 wurde
Eugen IV. aufs neue der Ungehorsams angeklagt und eine Proklamation
*) Voigt I, 58.
504 Kaiserkrönung Sigmunds. Die Bulle Dudum sacrum.
hierüber an die Türen des Münsters geheftet, Indem sich das Konzil
immer enger an Sigmund anschlofs, ward Eugen IV., der zugleich von
einer Partei der Kardinäle bedrängt wurde, gezwungen, einzulenken.
Aber seine Erklärung, ein Konzil in Basel abhalten zu lassen, fand
keine Aufnahme, ebensowenig als sein Begehren, dafs seine Legaten
das Recht der Entscheidung hätten. Die elfte Sitzung beschlofs, dafs
der Papst gleich den übrigen Gliedern der Kirche verpflichtet sei, auf
dem Konzil zu erscheinen oder sich durch Gesandte vertreten zu lassen.
Sonst würde ein Konzil sich auch ohne Berufung durch den Papst
konstituieren, und sollte er ihm Hindernisse bereiten, ihn suspendieren,
ja selbst absetzen. Ein allgemeines Konzil dürfe überhaupt nur unter
Zustimmung von zwei Dritteln seiner Mitglieder aufgelöst werden.
Wären solche Beschlüsse allgemein anerkannt worden, so hätte die
Kirche ihre monarchische Gestaltung durch eine republikanische ersetzt.
In der Tat war der Papst schon von der Absetzung bedroht. Da griff
Sigmund ein. Indem Eugen die Vermittlung zwischen dem König einer-
seits und Venedig und Florenz anderseits in die Hände nahm, legten
Sigmunds Gesandte vor dem Papste aufser dem gewöhnlichen (s. oben)
noch den besonderen Eid ab, dafs er Eugen IV. für den rechtmäfsigen
Papst halte und seine Rechte schützen werde. Darauf empfing er zu
Pfingsten (1433. 31. Mai) aus seinen Händen die Kaiserkrone.1)
2. Sigmund war indes keinesfalls gewillt, das Konzil fallen zu
lassen. Um die Schwierigkeiten zwischen Papst und Konzil aus dem
"Wege zu räumen, erschien er am 11. Oktober 1433 in Basel. Wieder
stand er, wie einst in Konstanz, mitten in der Bewegung, die so mächtig
in die Geschicke der Kirche eingriff. Zunächst bewirkte er eine Ver-
längerung der dem Papste gesetzten Termine. Nun wurden wichtige
Reformbeschlüsse gefafst, dafs in jeder Diözese jährlich zwei Provinzial-
konzile abgehalten, der Klerus zu einem frommen Leben gemahnt, das
Volk an Sonn- und Feiertagen unterwiesen, die Synodalstatuten zur
Verlesung gebracht und der Lebenswandel des Klerus überwacht werde
(6. Dezember). Inzwischen war der Papst in grofse Bedrängnis geraten:
der Kondottiere Fortebraccio drang, von Mailand aufgereizt, in die Nähe
Roms, und Francesco Sforza, der in Mailands Dienste getreten war,
besetzte die Marken und das römische Tuscien. In dieser Not unterwarf
sich Eugen IV. und zog seine Bullen zurück. Die Bulle Dudum
sacrum, betreffend die Approbation des Konzils und den Widerruf des
Papstes, — sie kam am 5. Februar 1434 zur Verlesung — bezeich-
net den Höhepunkt des Konzils. Allseitig anerkannt, war es in
diesem Augenblick die oberste Macht in der Christenheit. Auch die
böhmische Frage ging nun ihrer Lösung zu. Schon drangen die
politischen Tendenzen des radikalen Hussitismus in breite Schichten des
deutschen Volkes ein; es war die höchste Zeit, eine neue Bahn zu
betreten ; unter den Hussiten aber gewann die friedliche Stimmung an
Boden, waren doch trotz aller Siege nach 13 jährigem Kampfe Böhmens
1 Seit jener Zeit führte er auf seinen Siegeln den doppelten Reichsadler.
Sieg der konziliaren Ideen. Die Hussiten und das Konzil. 505
Nebenländer noch grofsenteils im katholischen Lager, bedeutende Orte
Böhmens noch unbesiegt und das Land von der Kriegsfurie völlig zer-
fleischt. Die Einladung des Konzils an die Hussiten (1431, 15. Oktober),
Gesandte nach Basel zu schicken, fand um so bessere Aufnahme, als von
bedingungsloser Unterwerfung nicht mehr die Rede war. Kalixtiner
und Waisen waren bereit, dem Rufe zu folgen; nur die Taboriten hatten
sich eben noch in einem Manifest an das deutsche Volk aufs heftigste
gegen den Papst und die Hierarchie ausgesprochen. In Eger begannen
die ersten Verhandlungen (1432, Mai): Böhmische Gesandte sollten in
Basel freies Gehör finden, die Kreuzzugsbullen aufser Kraft gesetzt und
die Gesandten in der Ausübung ihres Gottesdienstes nicht gehindert
sein. Zur Grundlage der Erörterung über die vier Artikel sollte die
Bibel und der Zustand der Kirche in der apostolischen Zeit nebst
den Konzilien und Kirchenlehren, die sich auf jene stützen, ge-
nommen werden. Den Abschlufs eines Waffenstillstandes schlugen die
Hussiten ab.
3. Am 4. Januar 1433 erschien die aus 15 Mitgliedern bestehende
Gesandtschaft aller hussitischen Parteien in Basel. Die bedeutendsten
Mitglieder waren Prokop der Grofse, der Taboritenbischof und Verfasser
der grofsen Taboritenchronik, Nikolaus von Pilgram, Johann Rokytzana,
Haupt der Utraquisten, und Peter Payne, ein englischer Wiclifit, seines
Glaubens wegen aus England verjagt und seit fast drei Dezennien für
die Ausbreitung des Wiclifismus in Böhmen tätig. Hier disputierten
die Böhmen drei Monate gegen die Theologen des Konzils. Am meisten
wurde Payne gefürchtet, der sich, »einer schlüpfrigen Schlange gleich«,
aus den schwierigsten Lagen herauszuwinden wufste. Das einzige Re-
sultat der Verhandlungen war , dafs die Beziehungen zwischen dem
Konzil und den Hussiten nicht abgebrochen wurden. Schon trat zu-
tage, dafs der Hussitismus, selbst in gemäfsigter Form nicht allgemeine
Kirchenlehre werden könne, sondern ihm höchstens Duldung gewährt
würde. Die Verhandlungen wurden in Prag fortgesetzt. Die Konzils-
gesandtschaft gewann bei den unter den Utraquisten bestehenden Gegen-
sätzen Einflufs auf den Adel, der den politischen Radikalismus des
Taboritentums nicht minder verabscheute als den kirchlichen und jetzt
die reichen Früchte der hussitischen Revolution für sich in Sicherheit
bringen wollte : die ungeheure Masse böhmischen Kirchen- und Kron-
gutes. Noch mufsten freilich neue Gesandtschaften gewechselt werden,
bis man die Formel fand, die das Konzil befriedigte, ohne die Mehr-
heit der Utraquisten zu verletzen. Erst am 30. November 1433 wurden
auf einem von Böhmen und Mähren beschickten Landtage die sog.
Prager Kompaktaten, in denen nach Analogie der vier Prager
Artikel die Vorschläge des Konzils enthalten waren, festgesetzt: 1. Das
Abendmahl wird in Böhmen und Mähren dem, der danach verlangt,
unter beiden Gestalten gereicht, doch haben die Priester zu erklären,
dafs Christus unter jeder der beiden Gestalten gegenwärtig sei. 2. Die
Bestrafung der Sünden hat in Gemäfsheit der Bibel und der Anord-
nungen der hl. Väter, doch nicht von Privatpersonen, sondern von
506 Die Kompaktaten. Niederlage der Taboriten bei Lipan.
dem zuständigen Richter zu erfolgen. 3. Gottes Wort soll frei, aber
nur durch die von den Vorgesetzten bestellten Prediger verkündet
werden. 4. Geistliche, die nicht Mönche seien, und so auch die Kirchen,
dürfen Güter besitzen, die von Geistlichen als Verweser treu verwaltet
werden. Niemand dürfe, ohne Kirchenraub zu begehen, sich Kirchen-
gut aneignen. Priester aller Parteien, vom Adel bestürmt, gelobten,
diese Vorschläge anzunehmen. Doch stellten sie unverzüglich neue
Forderungen. Die einen verlangten Freiheit der Kommunion für alle,
die danach verlangen, auch für die Kinder, die andern, dafs alle Be-
wohner Böhmens verhalten sein sollten, das Abendmahl unter beiden
Gestalten zu nehmen. Es sollte sonach die utraquistische Glaubens-
einheit zwangsweise in Böhmen eingeführt werden. Anderseits be-
gehrten aber auch die Gesandten, dafs zwischen Katholiken und Hussiten
wenn nicht Friede, doch ein Waffenstillstand hergestellt werde. Die
Hussiten sollten danach ihr Heer von den seit dem Sommer belagerten
Pilsen hinwegführen. Diese waren unter der Bedingung dazu bereit,
dafs alle Bürger von Pilsen Utraquisten würden ; da dies abgelehnt wurde,
wurde die Belagerung fortgesetzt. Die Gesandten verliefsen Prag, ohne
die Gewähr des Friedens mit sich zu nehmen. Noch versuchte ein
Abgesandter aller Utraquisten — Martin Lupacz — , das Konzil für
die von ihnen gewünschten Abänderungen zu gewinnen; es wollte aber
von weiteren Zugeständnissen nichts mehr wissen, und so schien es,
als sollte es noch einmal zu einem allgemeinen Kampfe kommen. Das
Konzil bewilligte neue Kreuzzugssteuern. Da wurde die Sache von den
Parteien Böhmens selbst zum Austrag gebracht.
4. Da die böhmischen Friedensparteien den Frieden nicht mit
den Taboriten und Waisen erreichen konnten, mufste er im Kampfe
gegen sie erzwungen werden. Der utraquistische Adel sammelte ein Heer
zum Entsatz von Pilsen und schlofs, von der Prager Altstadt gegen die
Neustadt zu Hilfe gerufen, mit jener einen Bund, der die Herstellung
eines allgemeinen Friedens zum Ziele hatte. Da die Neustädter ihren
Beitritt verweigerten, wurde ihre Stadt erstürmt. Jetzt sahen sich die
Taboriten gezwungen, von Pilsen abzulassen. Von beiden Seiten wurde
zum Entscheidungskampfe gerüstet. Auf Seiten der Herren standen die
Prager, Pilsen und Melnik; die grofse Zahl der königlichen Städte da-
gegen hielt zu den Taboriten. Diese wurden, 18000 Mann1) stark, von
Prokop dem Grofsen, der zu ihrem Schaden in den letzten Monaten in
den Hintergrund gedrängt worden war, jene, 25000 Mann zählend, von
Boresch von Miletin geführt. Bei Lipan, östlich von Prag, kam es
am 30. Mai 1434 zum Kampfe. Taboriten und Waisen, anfangs im
Vorteil, liefsen sich durch eine verstellte Flucht der Gegner aus ihrer
Wagenburg locken, wurden in der Flanke überfallen, und erlagen von
zwei Seiten angegriffen, nach furchtbarem Kampfe. 13000 deckten die
Walstatt, unter ihnen Prokop der Grofse. Die Übermacht der radikalen
Elemente war für immer gebrochen. Das Konzil täuschte sich aber in der
*) So Johann v. Segovia. S. Köhler III, 394.
Verkündigung der Kompaktaten. Die nationale Tendenz des Hussitismus. 507
Annahme, keinen weiteren Widerstand zu finden. Direkte Verhand-
lungen zwischen Sigmund und den Böhmen in Regensburg (16. bis
22. August) blieben ohne Ergebnis, da die Utraquisten auf der kirch-
lichen Einheit des Landes bestanden. Die Verhandlungen zu Brunn
im nächsten Sommer führten zu keiner Einigung. Neue Irrungen ent-
standen, als das Konzil die Anerkennung des auf Veranlassung des
Landtages zum Erzbischof gewählten Rokytzana hinausschob. Endlich
wurden die Hauptschwierigkeiten »mehr vertuscht als gelöst.«1) Der
Schlufsakt fand am 5. Juli 1436 auf dem Landtage in Iglau statt. In
Anwesenheit des Kaisers und einer Konzilsgesandschaft wurden die
Kompaktaten verkündigt. Jetzt erst wurde Sigmund als König von
Böhmen anerkannt. Doch mufste er sich auch für seine Nachfolger ver-
pflichten, die Kompaktaten aufrecht zu halten, einen Rat von Einge-
borenen anzunehmen, niemanden zum Wiederaufbau zerstörter Burgen,
Klöster und Kirchen zu zwingen, die von ihm während des Krieges
ausgestellten Güterverschreibungen keiner Überprüfung zu unterziehen,
keinen Ausländern Amter zu verleihen und eine allgemeine Amnestie
zu gewähren. Zwei Tage später wurde verfügt, dafs die Städte nicht
zur Wiederaufnahme der während des Krieges geflohenen Laien und
Geistlichen gezwungen werden sollten. Die Regelung der Zurückgabe
des Kirchengutes wurde vertagt, die Besitzer erhielten aber die besten
Hoffnungen. Die gegen das deutsche Wesen gerichtete Tendenz des
Hussitismus gelangt sonach noch in den letzten Stadien zur Geltung.
Diese Tendenz war auch der Grund, weswegen die Deutschen im Lande
bis auf verschwindende Bruchteile die Annahme der hussitischen Lehre
verweigerten und das, was im Hussitentum reformatorisch war, zurück-
wiesen. Die Aufrichtung eines tschechischen Nationalstaates, der aufser
Böhmen auch dessen Nachbarländer umfafst hätte, war ebensowenig er-
reicht, als Hussens Hoffnung in Erfüllung ging, von Böhmen aus die abend-
ländische Kirche zu reformieren. Dagegen war in den Machtverhält-
nissen der böhmischen Stände eine starke Verschiebung eingetreten.
Das Königtum war bis zur völligen Machtlosigkeit geschwächt und der
Klerus, nun ohne Besitz, politisch bedeutungslos geworden. Der Herrenstand
war der eigentliche Sieger und besafs als solcher alle politische Macht:
Das deutsche Wesen in den böhmischen Städten war vernichtet und der
Bauernstand in einer Lage, die der Leibeigenschaft glich.
§ 117. Die letzten Regierungsjahre Sigmunds. Reformrersuche und
Reformsckriftcn.
Hilf s Schriften : Schar p ff, Der Kardinal u. Bischof Nikolaus von Cusa.
Tübingen 1871. Düx, Der deutsche Kardinal Nikolaus v. Cusa u. die Kirche seiner Zeit.
Regensb. 1847. Übinger, Zur Lebensgesch. des Nik. Cusa. HJb. XIV. Stumpf, Die
politischen Ideen d. N. C. Köln 1865. Jäger, Der Streit des Kardinals Nikolaus v. C.
mit dem Herzog Sigismund v. Österr. Innsbr. 1861. Birk, Nik. v. C. auf dem Konz. zu B.
HJb. XIII. Übinger, Kardinal N. C. in Deutschi. 1451-52. Ebenda VIII. Grube,
Die Legationsreise des Kard. N. C. 1451. Ebenda. Köhne, Die sogen. Reform. Kaiser
J) Palacky, IV, 211.
508 Die letzten Jahre Sigmunds. Der luxemburgische Erbstreit.
Sigismunds, NA. XXIII, und Könne, Studie zur sog. Reform Kaiser Sigismunds. Z. f.
Sozial- u. Wirtschaftegesch. VI. Werner, Üb. d. Verf. u. d. Geist d. sogen. Reform d. K.
Sigmund. H. Viert elj. -Sehr. V, 467 's. auch DGB11. IV. Zöllner, Zur Vorgesch. der Bauern-
kriege. 1. Das soziale Element der hussitischen Bewegung. 2. Die soziale Bewegung im süd-
lichen Deutschland." Progr. Dresden 1872. F. v. B e z o 1 d , Der rh. Bauernaufstand v. 1-431. Z.
G. d. Oberrh. XXA'II. Zur Luxemb. Frage s. Werveke, Die Erwerbung d. Lux. Land. d.
Anton v. Burgund. Progr. 1890. Richter, Der Luxemb. Erbfolgestreit 1438—43. Diss. 1889.
Beckmann, Der Kampf Sigmunds geg. d. werdende Weltmacht d. Osmanen. Gotha 1902.
1. Als Bundesgenosse Mailands war Sigmund nach Italien gezogen,
als dessen Gegner kehrte er zurück, bemüht, den mit den Venezianern
abgeschlossenen Waffenstillstand in ein Offensivbündnis gegen Mailand
umzuwandeln. Dieses kam in der Tat am 31. August 1435 in Tvrnau
zustande. Den Gewinn davon hatte Venedig, dem nicht blofs seine
Eroberungen von Reichsgut in der Lombardei und Friaul sichergestellt
wurden, sondern das nun auch seine Stellung in Dalmatien behauptete.
Für Florenz und den Papst wurde der Beitritt zur Koalition offen-
gehalten. Die Forderung des Konzils, eine Handelssperre gegen die
Ungläubigen durchzuführen, wiesen die Venezianer ebenso ab wie den
Wunsch des Kaisers, das Bündnis auch gegen die Türken auszudehnen.
Grofse Sorgen verursachte ihm das auf Kosten des deutschen Reiches
erfolgte Anwachsen der burgundischen Macht. Philipp von Burgund
hatte Landschaften an sich gerissen, auf die er keinen Anspruch hatte 1),
und selbst für die ihm durch Erbschaft zugefallenen Reichslehen die
Huldigung verweigert. Dies führte zu einem Bündnis zwischen Sigmund
und Karl VII. von Frankreich, dem Gegner Philipps. Die Reichsstände
wurden gemahnt, sich jeder L^nterstützung Burgunds zu enthalten;
schliefslich wurde der Reichskrieg gegen Burgund proklamiert.2) Da
das französische Bündnis im Widerspruch zu dem von Canterbury stand
und der Kaiser die Arbeiten des Konzils nicht stören wollte, beschlofs
er. für dessen Dauer Frieden zu halten. In Wirklichkeit bewog ihn die
laue Haltung der Reichsstände zur Nachgiebigkeit.
2. Seit seiner Rückkehr aus Italien widmete er sich vornehmlich
der Aufrechthaltung des Landfriedens in Schwaben und am Oberrhein,
dann der Reform des Gerichtswesens, wobei es sich um strittige Kom-
petenzen zwischen weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit, zwischen
territorialen und kaiserlichen Machtbefugnissen handelte.3) Die Verhand-
lungen hierüber führten zu keinem Ergebnis. Auch zu einer Reform
des Finanzwesens ist es nicht gekommen, wenn man von dem Versuch
absieht, die dem Reiche abhanden gekommenen Lehen und Pfandschaften
in der Schweiz wiederzugewinnen, sowie eine Re Vindikation aller Reichs-
nutzungen und Einziehung aller rückständigen Gefälle in Angriff zu
nehmen. Die finanzielle Lage des Königtums war stets eine mifsliche.
Da es kein Eigengut hatte, die Verpflichtung, den Hof bei seinem vorüber-
x) RA. XI, Xr. 215 und die ausführlichen Erörterungen dazu S. 368 ff. dort auch
die entsprechende Literatur .
s Ebenda Xr. 286—296.
3; Näheres in dem Bande für Verf. -Gesch. S. einstweilen RA. XI, XXLX und
Lindner II, 378.
Versuche politischer und wirtschaftlicher Reformen. 509
gehenden Aufenthalt zu erhalten, nicht mehr bestand und kein Ersatz
in Form einer allgemeinen Steuer an ihre Stelle getreten war, konnte
ein Herrscher, der über kein bedeutendes Hausgut verfügte, oder dessen
Besitz aufserhalb des Reiches lag, in diesem auf die Dauer nicht Hof
halten.1) Mit den besten unter den Zeitgenossen im Reiche teilte Sig-
mund die Überzeugung, dafs die Reichsverfassung auf das dringendste
einer Reform bedürfe. Am 27. September 1434 liefs er den Ständen
16 Artikel zukommen, über die sie auf einer gemeinsamen Konferenz
beraten und auf dem nächsten Reichstage beschliefsen sollten. Ein all-
gemeiner Friede sollte hergestellt, unbotmäfsige Vasallen unterworfen,
die Kirchenfrage geordnet und über die Beseitigung offenkundiger
Übelstände in Bezug auf den Landfrieden und die Gerichtsverfassung
und wirtschaftliche Angelegenheiten verhandelt werden. Die Konferenz
tagte wohl in Frankfurt (1434, 6. Dezember), aber die ganze Aktion
scheiterte an der Lauheit der Stände. Die nächsten Reichstage waren
so schwach besucht, dafs eine Beratung der kaiserlichen Vorlage unmöglich
war. Trotzdem wurde das Bedürfnis nach politischen und wirtschaftlichen
Reformen immer fühlbarer.
Schon die Schrift des Nikolaus von dies »die katholische Konkordanz*, die
1433 dem Konzil vorgelegt wurde, nimmt eine gründliche Umgestaltung der deutschen
Eeichsverfassung in Aussicht. Verlangt wird die Zerlegung des Reiches in 12 Kreise,
für jeden ein kaiserlicher Gerichtshof mit drei vom Reiche besoldeten Richtern, einem
Geistlichen, Adeligen und Gemeinen. Alle Richter versammeln sich alljährlich mit
den Kurfürsten und den Abgeordneten der gröfseren Städte in Frankfurt zu einem
Reichstage, auf dem über alle Reichssachen beraten wird. Ein Reichsheer soll ge-
schaffen und aus den Erträgnissen der Zölle und den Beiträgen der laufenden Steuern
erhalten, ein gemeines deutsches Recht hergestellt, alle Fehden verboten werden u. dgl.
Von noch gröfserer Bedeutung ist eine Flugschrift, die als Reformation K. Sigmunds
bekannt ist und nicht nur Heilung der politischen, sondern auch der sozialen Schäden
des Reiches verlangt. 3) Als sozialpolitische Forderungen werden hingestellt : Aufhebung
der Herrschaftsrechte, des Landbesitzes und der Grundzinsen der Prälaten und Klöster,
Beseitigung der Hörigkeit und Leibeigenschaft, der Bann- und Geleitsrechte, Gleichheit
des Einkommens für Genossen desselben Berufes, Freizügigkeit im ganzen Reiche.
Zölle sollen erhoben werden, um Brücken, Wege und Strafsen instand zu setzen.
Was sonst als Zoll genommen wird, ist »Wuchergut«. Münzen tragen auf einer Seite
das Wappen des Reiches, auf der andern des Herrn, der sie schlagen läfst, damit Ur-
heber der Münzverschlechterung um so leichter erkannt werden. Ebenso scharf tritt die
Flugschrift gegen die Verteuerung der Waren durch den Zwischenhandel ein. Handeln
mit gewöhnlichen Nahrungsmitteln gilt als Sünde. Da helfe nur Festsetzung einer
Taxe durch die Obrigkeit. Kein Mann soll mehrere Gewerbe treiben. Die Erwerbung
des Bürgerrechtes soll erleichtert, der Zunftzwang und die Zünfte selbst abgeschafft
werden. Weltliches und Geistliches ist bei Gericht zu scheiden und die beiderseitige
Kompetenz auseinander zu halten. An den Fehden der Herren dürfen sich die Unter-
tanen nicht beteiligen. Vier Reichsvikare sollen, ein jeder in seinem Gebiet, ent-
standene Streitigkeiten auf dem Rechtswege beilegen. Diese Schrift ist den Kur-
fürsten in hohem Grade gehässig: sie seien es, »die das Reich krank und schwach
J) Quidde in d. RA. XI, XLTII.
2) Für das Folgende s. Koehne , Studien z. sog. Reformation Kaiser Sigmunds
im 6. Bd. d. Z. f. Soz.- u. Wirtschaftsgesch., 369 ff. Dafs Reiser Verf. der Reformation ist,
wie Böhm will, ist nach Bernhards u. Köhnes Ausführungen nicht aufrecht zu erhalten.
S. auch Gebhard, Handb. d. d. Gesch. I, 648. S. gegen Koehne aber Werner, der in
dem Verf. einen Laien sieht.
510 Der Tod Sigmunds. Ausgang des luxemburgischen Kaiserhauses.
gemacht«. Solche Ansichten waren in Sigmunds letzten Jahren um so verbreiteter,
je weiter und tiefer die Zerrüttung im Eeiche um sich griff. Denn hier war zu den
alten Parteigegensätzen zwischen Fürsten und Rittern, zwischen beiden und den Reichs-
städten, den ehemals bischöflichen Städten und den ihre Autonomie bedrohenden
geistlichen Fürstentümern, endlich zwischen der bürgerlichen Demokratie und den
patrizischen Geschlechtern noch eine starke Propagande der älteren Sekten gekommen,
vornehmlich der Waldesier, die sich fast in allen Teilen Deutschlands ausbreiteten,
dann der Hussiten, deren soziale Tendenzen viel eifriger angenommen wurden als ihre
kirchlichen Neuerungen.
Der Kaiser liefs es bei seinen Versuchen, wenigstens nach einigen
Seiten hin Wandel zu schaffen, bewenden. Die Vorgänge beim Konzil,
dessen scharfe Beschlüsse gegen die Kurie (s. unten) den Streit mit dem
Papste aufs neue entfacht hatten, bewogen ihn, einen Reichstag nach
Eger zu berufen. Dort wurde nicht blofs über die Kirchenfrage, sondern
auch über die Reichsreform verhandelt, die Beschlufsfassung aber auf
den nächsten Reichstag, der in Nürnberg tagen sollte, verschoben. Der
Kaiser kehrte nach Prag zurück. Seit dem Friedensschlufs von Iglau
hatte er seine Haupttätigkeit den böhmischen Verhältnissen zugewendet,
ohne Erfolge zu erzielen. Indem er die Katholiken begünstigte, kam
es zu neuen Unruhen. Der Sieger von Lipan, Boresch von Miletin, gab
der Unzufriedenheit der Utraquisten auf dem Prager Landtage (1437,
30. September) lauten Ausdruck. Zahlreiche Adelige sandten dem Kaiser
ihre Absagebriefe. Gegen seine Absicht, seinem Schwiegersohne Albrecht V.
jetzt schon die Verwaltung Böhmens zu übergeben, erhob sich eine
Opposition, der auch die Kaiserin, um sich noch über Sigmunds Tod
hinaus einen Einflufs auf die Regierung zu wahren, nicht fremd war.
Vielleicht war dies auch der Grund, weshalb sich der Kaiser unvermutet
von Prag entfernte. Er gelangte bis Znaim, wohin ihm Tochter und
Schwiegersohn entgegengekommen waren. Als er sein Ende herannahen
fühlte, empfahl er den anwesenden ungarischen und böhmischen Grofsen
die Wahl Albrechts und starb am 9. Dezember 1437. Mit ihm erlosch
der Mannsstamm des luxemburgischen Kaiserhauses.
5. Kapitel.
Das Konzil yoii Basel vom Tode Sigmunds bis zu seiner Auflösung.
§ 118. Albrecht II. (1438—14:30).
Quellen: TTrkk. s. auch § 115. Lichnowsky, Gesch. des Hauses Habsburg Y
Frankfurts Reichskorrespondenz. Herausg. v. Janssen I. S. 422 — 486. Würdtwein, Sub-
sidia diplom. VII. — Geschichtschreiber: "Windecke, wie oben. Coronatio Adalberti
regis Eornanorum, ed. Wächter. SS. rer. Siles. XII. Historia de morte . . . Alberti. Pez,
SS. rer. Aust. II, 675 Die obengenannten Schriften des Enea Silvio. Dazu: De viris
illustribus BLY. I (s. Krones, BKStG. VIII;. De statu Europae in Freher, SS. rer. Germ II.
Von den österr. Annalen die Klosterneuburger u. Melker 's. oben\ Thomas Ebendorfer,
Chron Austriae libri V, Pez II (Lit. bei v. Krones, Lorenz u. Potth./. Chronica regum
Romanorum, ed. Pribram. MJÖG. Erg. -Bd. IH. Die tschechischen Annalisten in SS rer.
Bohemic. III, wie oben. Werner Rolewink, Faseic. temporum bis 1474. Ausg. bei
Potth. II, 982. Konrad v. Weinsberg, Einnahmen- und Ausgaben-Register 1437 — 38.
Die Wahl Albrechts IL 511
BLV. XVIII. Nauclerus, Chron. universale. Ausg. Potth. II, 806. Hartmann Schedel,
Chronicon mundi bis 1492, ib. 1001. Kottaner, Helene, Denkwürdigkeiten aus den
Jahren 1439—1440, ed. Endlicher. Leipz. 1846.
Hilfsschriften: S. die allg. Werke über deutsche, österr., böhm., ungar. und
polnische Gesch. Dazu V. v. Kraus, Deutsche Gesch. am Ausg. d. MA. 1. Bd. Geb-
nardt, wie oben II. Kurz, Österr. unter Albrecht II. 2 Bde. Wien 1835. Chmel,
Zur Kritik d. österr. Gesch. Denkschr. W. Ak. I, 219. , Chmel, Kleinere Mitt. z. Gesch.
Albrechts II. AÖG. III. Altmann, Die Wahl Albrechts II. zum r. König. Berl. 1886.
Voigt, Enea Silvio, wie oben. Droysen], Gesch. d. preufs. Pol. IL Puckert,
Die kurfürstl. Neutralität während des Baseler Konzils. Leipz. 1858. Bachmann, Die
deutschen Könige und die kurf. Neutralität 1438 — 1447. AÖG. 75.
1. Nach Sigmunds Tode war dessen einzige, seit 1422 mit Herzog
Albrecht V. von Osterreich vermählte Tochter Elisabeth rechtmäfsige
Erbin von Böhmen, wo nach dem Absterben des Mannesstammes die
weibliche Erbfolge galt, und von Ungarn, das bis dahin gleichfalls als
Erbreich angesehen wurde.1) In Ungarn wurde den früher gemachten
Zusagen der Stände gemäfs ihr Gemahl Albrecht, nachdem er sich vor
den Ränken der Witwe Sigmunds sichergestellt hatte, am 18. Dezember
1437 als König anerkannt und am 1. Januar 1438 in Stuhlweifsenburg
gekrönt, nicht ohne zuvor den Ständen das Versprechen gegeben zu
haben, die deutsche Krone nur mit ihrer Zustimmung anzunehmen.
Schwieriger gestalteten sich die Dinge in Böhmen. Hier erkoren die
radikalen Parteien den polnischen Prinzen Kasimir zum König; von den
Katholiken und Utraquisten, denen er Bestätigung der Kompaktaten zu-
sagte, wurde Albrecht als König anerkannt und gekrönt (29. Juni).
Besorgt über das Wachstum der habsburgischen Macht, gewährte Polen
Albrechts Gegnern reichliche Unterstützung, wogegen dieser die Hilfe
jener Reichsfürsten gewann, die wie Sachsen, Bayern und Brandenburg
in der Machtvergröfserung Polens eine Bedrohung des Reiches erblickten
und daher dem König zu Hilfe eilten. Mittlerweile war auch in
Frankfurt über die Nachfolge im Reich entschieden worden. Hier
besafsen die Brandenburger grofsen Anhang: Friedrich L, zweifellos einer
der bedeutendsten Reichsfürsten, trat für sich oder einen seiner Söhne
als Bewerber auf. Aber seine Macht war doch zu schwach, um der
grofsen Schwierigkeiten im Innern des Reiches Herr zu werden und
dieses gegen seine Feinde im. Osten und Westen zu verteidigen. Daher
traten die Kurfürsten schliefslich für Albrecht ein, obwohl sich dieser
im Hinblick auf die in Ungarn herrschende Strömung nicht um die
Krone bewarb. Ihn empfahl die Machtstellung seines Hauses, von der
sich die Fürsten des Reiches, so grofs sie war, unter den jetzigen Ver-
hältnissen nicht mehr bedroht fühlten ; für ihn sprach aber auch noch
der Ruf eines trefflichen Herrschers und eines gewiegten Heerführers,
den er im Hussitenkriege gewonnen hatte. Die Kurfürsten einigten sich
über ein Programm, dessen Durchführung sie dem zu wählenden König
empfahlen und das eine Reihe längst als notwendig erkannter Reformen
enthielt; sie verpflichteten sich zur Einhaltung unbedingter Neutralität
Papst und Konzil gegenüber (s. unten) und wählten sodann (am 18. März)
J) Huber III, 4.
512 Der Türkenkrieg. Tod Albrechts IL
Albrecht zum König; nach einigem Zögern und nachdem auch die
Ungarn ihre Opposition dagegen aufgegeben hatten, nahm er die Wahl
an (29. April). Bereitwillig ging er auf die von den Kurfürsten gestellten
Wünsche ein, soweit sie nicht eine abermalige Schmälerung der könig-
lichen Macht bedeuteten. In diesem Sinne lehnte er die Forderung ab,
dafs die Privilegien, vornehmlich die der Städte, nur mit Zustimmung
der Kurfürsten bestätigt werden sollten. Auf den beiden nächsten Reichs-
tagen, die im Juli und Oktober in Nürnberg abgehalten wurden, wurde
nebst der Landfriedensfrage auch über die notwendigen Reformen ver-
handelt, aber der Zwiespalt der Stände vereitelte derlei Versuche. Da-
gegen erhielt nun der König die Mittel, seine tschechisch-polnischen
Gegner in Böhmen und Schlesien zurückzudrängen. Unter der Ver-
mittlung von Papst und Konzil kam es 1438 zu einem Waffenstillstand,
der anfangs bis 24. Juni 1439 festgesetzt, im Hinblick auf den Türkenkrieg
aber noch weiter verlängert wurde.
2. Die Türken hatten schon 1438 einen verheerenden Einfall nach
Siebenbürgen unternommen und belagerten nunmehr die Festung
Semendria in Serbien, den wichtigsten Platz für ihre weiteren Angriffe
auf Ungarn. Fürst Georg und sein Sohn Lazar hatten sich an Albrecht
um Hilfe gewandt. Aber die ungarischen Stände, mehr auf die Sicher-
stellung ihrer Sonderrechte und die Fernhaltung des deutschen Elementes
als auf die Sicherung ihres Reiches bedacht, stellten dem König nur
ungenügende Hilfsmittel zur Verfügung und lehnten seine Vorschläge,
die Hilfe deutscher Fürsten anzurufen, ab. Unter diesen Umständen fiel
Semendria mit dem gröfsten Teil Serbiens in die Gewalt der Türken.
Das durch ansteckende Krankheiten stark mitgenommene ungarische
Heer lief grofsenteils auseinander. Erst jetzt waren die Grofsen zu
Opfern bereit und versprachen die Aufstellung eines gröfseren Söldner-
heeres für den nächsten Frühling. Inzwischen ward der König selbst
von der Ruhr ergriffen und starb auf der Reise nach Wien, wo er seine
Gesundheit wieder zu rinden hoffte, zu Xesmely (zwischen Gran und
Raab) am 27. Oktober 1439 im Alter von 42 Jahren, viel beklagt von
»Edlen und Unedlen«.1) Selbst in Böhmen, wo er ebenso wie in Ungarn
wenig populär war , weil er das Tschechische ebensowenig wie das
Ungarische verstand, fand seine Tüchtigkeit Anerkennung : Er war, sagt
ein tschechischer Chronist, gut, kühn und mitleidig, trotzdem er ein
Deutscher war.2)
§ 119. Die Baseler Iteforinbescklüsse und die Union mit den Griechen.
Zur Union s. aufser Binteriin, Haller, Hefele, Pichler u. Zhischrnann, wie oben.
Warschauer, Die Quellen z. Gesch. des Flor. Konzils. Bresl. 1881. Dort weitere
Literaturvermerke. Cecconi, Studi storici sul conc. di Firenze 1869. Kalogeras, Die
Verhandlungen zwischen der orthodox-katholischen Kirche und dem Konzil von Basel
über die Wiedervereinigung der Kirchen. K. internat. de theol. I, 39. Hefele, Die
temporäre Wiedervereinigung der griechischen u. lat. Kirche. ThQSchr. XXIX, XXX.
1 Windecke, S. 455.
a FF. rer. Boh. V, 623.
Eugen IV. und der Kirchenstaat. Die Unionsfrage. Konzilsbeschlüsse. 513
Draesecke, Zum Kircheneinigungsversuch 1439. ßyz. Z.V. Frornmann, Krit. Beitr.
zur Gesch. d. Flor. Kircheneinigung. Halle 1872. Karge, Die Reise der russischen
Konzilsgesandten durch die Ordenslande. Altpr. Monatsschrift XXXII. (Hinneigung des
russ. Metropoliten zum lat. Ritus.) Sonst reiche Lit.-Angaben in Krumbacher, Gesch.
der byz. Lit. 2 A. 1091 f.
1. Um sich seiner zahlreichen Gegner im Kirchenstaate zu ent-
ledigen, schlofs Eugen IV. mit Sforza (1434, März) einen Vertrag; indem
er ihm das Vikariat der Mark Ankona übertrug, wurde er der Begründer
der Macht "dieses Hauses. Der Krieg dauerte übrigens fort ; die schweren
Leiden trieben die Römer zur Empörung, und als der Papst den von
ihnen geforderten Verzicht auf die weltliche Herrschaft zurückwies, zur
Aufrichtung der Republik (1434, 29. Mai). Mit Mühe gelang es dem
Papste, nach Florenz zu entkommen ; wo er nun seine Residenz aufschlug.
Das republikanische Regiment in Rom stürzte übrigens schon nach
kurzem Bestände zusammen; seine letzten Spuren wurden von dem
Legaten Vitelleschi mit kraftvoller Hand beseitigt. Diese Erfolge
kräftigten die Stellung des Papstes dem Konzil gegenüber. Noch am
24. April 1434 hatten seine Legaten die Aufrechthaltung der Konzils-
beschlüsse, darunter auch den von der Superiorität der Konzilien,
beschworen. Nun wurde auch die griechische Unionsangelegenheit in
Angriff genommen. Griechische Gesandte gingen nach Basel (August),
Gesandte des Konzils nach Konstantinopel. Beiderseits wurde vereinbart,
dafs das Unionskonzil an einem Orte stattfinden solle, der dem Papste
ebenso bequem sei wie den Griechen. In Basel wurden in den nächsten
Sitzungen neue Reformdekrete erlassen, die eine starke Schmälerung der
päpstlichen Vorrechte bezweckten. Mit der Wiederherstellung der
ordnungsmäfsigen Amterverleihung wurden Annaten, Palliengelder und
Taxen bei Verleihung oder Bestätigung geistlicher Würden abgeschafft
und jede künftige Verleihung gegen diese Anordnung als Simonie
bezeichnet, die vor das Forum des Konzils gebracht werden müsse. Die
Legaten erklärten sich bereit, auf diese ergiebige Einnahmsquelle zu
verzichten, wofern das Konzil für die Bedürfnisse des hl. Stuhles Ersatz
schaffe. Ein solcher wurde wohl verheifsen, aber niemals festgesetzt.
Jeder neugewählte Papst sollte auf die Beschlüsse von Konstanz und
Basel vereidigt werden. Die Anzahl der Kardinäle wird auf 24 fest-
gesetzt, dabei dürfe keine Nation mehr als ein Drittel der Stellen besitzen
(23. Sitzung). Falls sich der Papst nicht an den Rat der Kardinäle hält,
erfolgt die Anzeige bei dem nächsten Konzil. Die kirchlichen Wahlen
müssen unbedingt frei sein. Damit entfallen die Anwartschaften, An-
weisungen und Zurückbehaltungen von Benefizien. Derselben Richtung
gehört das Verbot der Ämterhäufung und das Gebot der Residenzpflicht
der Geistlichen an. Zahlreiche Rechtsfälle werden dem päpstlichen Forum
entzogen und dem ordentlichen einheimischen Gericht zugewiesen. Das
Konstanzer Edikt über Exkommunikationen wird wieder hergestellt
und ein neues erlassen, das die Verhängung des Interdiktes wesentlich
einschränkt (20. Sitzung.1) Diese Beschlüsse ordnungsmäfsig durch-
*) Zu dem Obigen Puckert, S. 43 u. 45.
Löserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 33
514 Bruch zwischen Papst und Konzil. Basel und Ferrara.
geführt, hätten zweifellos das kirchliche Leben besser gestaltet. Indem
sich aber die meisten Reformen mit einseitiger und unnützer Schärfe
gegen die Kurie wandten und ihr die wichtigsten Einnahmsquellen in
einem Augenblick entzogen wurden, da sie ihrer am meisten bedurfte,
erhob sie einen lebhaften Widerspruch. Schliefslich bot die Unionsfrage
Anlafs zu völligem Bruch zwischen Papst und Konzil. Während nämlich
die päpstliche Partei als Ort des Unionskonzils eine italienische Stadt
wünschte, sprach sich die Majorität unter Führung des leidenschaftlichen
Kardinals und Erzbischofs Louis d'Allemand dagegen aus und setzte den
Beschlufs durch, das Unionskonzil in Avignon abzuhalten. Die Minorität,
die sich das Siegel des Konzils zu verschaffen wufste, erliefs (25. Sitzung)
ein Dekret, wonach das Konzil in Florenz tagen sollte. Bei dem Wider-
stand der Mehrheit war ein neues Schisma bevorstehend und die Kirchen-
reform aufs neue in Frage gestellt. Cesarini legte das Präsidium nieder.
Nunmehr wurden (26. Sitzung) Papst und Kardinäle vorgeladen, sich
binnen 60 Tagen zur Verantwortung zu stellen. Eugen antwortete mit
dem Befehl, nach 31 Tagen die konziliare Tätigkeit einzustellen und sich
innerhalb dieser Zeit mit der böhmischen Frage zu beschäftigen. Nach
Ablauf der 60 Tage wurde das Verfahren gegen den Papst begonnen.
Kaiser Sigmund und andere Fürsten äufserten sich laut dagegen. Weil
das Konzil wegen der zwischen Florenz und Mailand bestehenden Feind-
schaft in Florenz nicht abgehalten werden konnte, verlegte es der Papst
nach Ferrara. Die Baseler erklärten hingegen die Verlegung für null
und nichtig. Bei Strafe der Exkommunikation und des Benefizien-
verlustes wurde jedem Kleriker verboten, von Basel hinweg und nach
Ferrara zu gehen. Trotzdem verliefs Cesarini nach einem mifsgiückten
Versuche, einen Ausgleich anzubahnen, die Stadt.
2. Das Konzil zu Ferrara wurde am 8. Januar 1438 von Cesarini
eröffnet. Schon jetzt gab Nikolaus von Cues die Sache der Baseler preis.
Diese sprachen ihrerseits die Suspension des Papstes aus (24. Januar)
und zogen die Verwaltung der weltlichen und geistlichen Angelegenheiten
des Papsttums an sich. Die Beschlüsse des Konzils erhielten nun von
Sitzung zu Sitzung eine immer schärfere Spitze gegen den Papst. Die
Synode von Ferrara wurde verdammt und ihre Beschlüsse für ungültig
erklärt (24. März), dann die Superiorität des Konzils über den Papst
und dafs es ohne eigene Zustimmung weder verlegt noch aufgehoben
werden könne, als Glaubenswahrheit erklärt, endlich (1439, 2b. Juni)
Eugen IV. als Schismatiker und Ketzer in förmlicher Weise abgesetzt.
Je schärfer die Beschlüsse lauteten, desto mehr Prälaten zogen sich von
Basel zurück, wurden aber gleichwohl durch ihre Stellvertreter, meist Geist-
liche niederen Ranges, ersetzt. Wohl hielten die Staaten des Abendlandes
zu Basel, es konnte aber doch nicht verhindert werden, dafs das Papsttum
eben damals einen höchst bedeutenden, wenngleich kurzlebigen Erfolg
erzielte: die Union der morgen- und abendländischen Kirche.
Die Griechen, an ihrer Spitze der Kaiser Manuel Paläologos und der
Patriarch von Konstantinopel, waren in Ferrara erschienen. Dort fanden
(bis 8. Dezember) 15 Konzilssitzungen statt. Dann wurde das Konzil
D. kirchliche Union. D. Florentiner Konzil. D. pragmatische Sanktion. 515
nachP^lorenz verlegt (1439, Januar), wo noch acht Sitzungen abgehalten
wurden. Nach mühevollen Verhandlungen und stetigem Zurückweisen
der Griechen wurde der Primat des Papstes anerkannt, doch »ohne
Beeinträchtigung der Rechte und Privilegien der orientalischen Patriarchen«,
und am 5. Juli das Unionsdekret unterfertigt. Den Teilnehmern
an den Verhandlungen wurde es unmittelbar klar, dafs das griechische
Volk von der Union nichts wissen wolle. Gleich nach ihrer Abreise
von Florenz sangen die Griechen beim Hochamt in Venedig ihr Sym-
bol um ohne das Filioqiie und unterliefsen das Gedächtnis des Papstes.
In ihrer Heimat erregte die Kunde von der Union einen Sturm der
Entrüstung, und schon vier Jahre später verdammten die Patriarchen
von Alexandrien, Antiochien und Jerusalem und der Metropolit von
Cäsarea die »Räubersynode« von Florenz. In Italien stand Eugen IV.
als Sieger da. Zwar wurde Vitelleschi 1440 gestürzt, aber sein strenges
Regiment blieb im Kirchenstaate aufrecht.
3. Auf die grofsen Staaten des Abendlandes machten diese Erfolge
Eugens IV. nur geringen Eindruck. Vor allem gingen Deutschland und
Frankreich im Streit zwischen Papst und Konzil ihre eigenen Wege.
Ohne das Vorgehen der Baseler gegen den Papst zu billigen, suchten sie
sich in den Besitz jener Vorteile zu setzen, die ihnen die Annahme der
Baseler Reformdekrete bot. Wie 1408 wurde auch jetzt die Neutralität
das Schlagwort, dem sie folgten. Die Kurfürsten sprachen sich schon
am Tage vor der Königswahl Albrechts II. dafür aus. Einer der scharf-
sinnigsten Juristen, Gregor Heimburg, brachte auf dem Frankfurter
Fürstentage die Neutralitätsurkunde zur Verlesung. Danach verpflichteten
sich die Kurfürsten, von keinem der streitenden Teile Befehle und
Beschlüsse anzunehmen, bis sie sich mit dem neuen Reichsoberhaupt
verständigt hätten, mit wem sie es halten wollten.1) Weiter gingen die
Franzosen. Die Baseler hatten ihnen die Reformdekrete mit der Bitte
gesandt, sie in Frankreich durchzuführen. Karl VII. berief eine Ver-
sammlung geistlicher und weltlicher Würdenträger nach Bourges, die
dort vorn 1. Mai bis 7. Juni 1438 tagte. Hier wurde jenes Reichsgesetz
geschaffen, das als »die pragmatische Sanktion« bekannt ist.
Neben kirchlichen sind auch politische Motive für sie mafsgebend
gewesen: es sollten hinfort keine Prälaturen und andere Pfründen an
Fremde gegeben werden. Von ihren 23 Kapiteln regeln die einen
Frankreichs Beziehungen zum hl. Stuhle, indem sie die Bedingungen
festsetzen, unter denen Appellationen nach Rom erlaubt seien und päpst-
liche Einkünfte in Frankreich erhoben werden könnten , die andern
sichern die Freiheit der Kirchenwahlen vor auswärtigen Einflüssen. Um
*) Die wichtigste Stelle (des aus einer vatikanischen Handschrift von Binterim
VII, 166 mitgeteilten Textes) lautet: Edicimus et protestamur, . . . quod in praemissa
discordia . . . null am partem ad versus alter am... fovereproponimus,
quin immo, si qua mandata . . . tarn a papa quam a concilio ad nos emanare con-
tingent, . . . nos animos nostros suspensos retinebimus. ne ulli parti adversus alt er am
favere videamur. Zu übersetzen ist doch nur : Wir werden mit unserer Gesinnung
zurückhalten. S. Joachimson, S. 53.
33*
516 Die Neutralität Annahme der Eeformdekrete in Deutschland.
ihr ein gröfseres Ansehen zu geben, wurde sie mit einer vermeintlichen
ähnlichen Verordnung Ludwigs IX. (s. oben) in Zusammenhang gebracht.
Im übrigen verlangte Karl VII., dafs das Konzil nicht weiter gegen den
Papst einschreite. Das Vorgehen der Franzosen wirkte auf die Deutschen
ein.1) Albrecht II. trat der Neutralität bei, und diese wurde auf den
nächsten Reichstagen verlängert. Vielleicht war es auch das Drängen
Frankreichs, das die Reichsstände auf dem Mainzer Reichstag bewog,
die Baseler Dekrete mit gewissen Einschränkungen und unter Ablehnung
der gegen Eugen IV. getroffenen Verfügungen anzunehmen (1439, 26. März).
Allerdings war zwischen dem Vorgehen Frankreichs und jenem des
deutschen Reiches ein grofser Unterschied: Während dort die Beschlüsse
sofort auch ausgeführt werden sollten, handelte es sich hier blofs um
die Erklärung, sie anzunehmen. Für den Wegfall der Annaten wurde
dem Papste eine Entschädigung zugesprochen und zwar sollte ihm von
Erzbischöfen, Bischöfen und Abten exempter Klöster der vierte Teil der
bisherigen Taxe in Form einer Liebesgabe, von den Inhabern der geist-
lichen Stellen, deren .Jahreserträgnis 4 Mark überschreitet, der zehnte
Teil des Jahreseinkommens zugewendet werden. Albrecht IL war der
Mainzer »Akzeptatiou« beigetreten. Der nächste Kurfürstentag (August)
sprach sich abermals für die Neutralität aus, und auf dem Reichstage von
Frankfurt (1. November) wurde die »Einigung« unter den Kurfürsten
erneuert und die Neutralität insofern weiter ausgebildet, als sie auf alle
kirchlichen Streitsachen ausgedehnt und an die Stelle der Autorität des
Papstes und Konzils die der Metropoliten trat, an welche die Streitsachen
gelangten. Die Neutralität hatte noch mehr als sieben Jahre Bestand.
Sie erfüllte im übrigen die auf sie gesetzten Erwartungen nicht und
wurde unter Umständen selbst von den Kurfürsten nicht beachtet.
§ 120. Die IVakl Friedrichs III. Seine Beziehungen zu Böhmen
und Ungarn.
Quellen (s. auch § 147\ Urkk. u. Briefe: Chinel, Kegesten K. Friedrichs III.
Wien 1840. Chinel, Materialien zur öst. Gesch. 2 Bde. Wien 1837—38. Chrnel, in den Beilagen
zur Gesch. Friedrichs III. s. unten). Chinel, Österr. Geschichtsf. 2 Bde. Bachmann,
I'rkk. u. Aktenstücke zur öst. Gesch. im Zeitalter Friedrichs III. und K. Georgs von
Böhmen 1440—1471. FF. rer. Aust. XLII. S. auch FF. XL VI u. LIT. Janssen, Frank-
furts Reichskorrespondenz. 2. Bd. Aus der Zeit Kaiser Friedrichs III. bis zum Tode
Maximilians 1. 1440 — 1519. Freib. 1872. Von älteren Sammlungen : J. J. Müller, . . . Reichs-
tagstheatrum . . . unter K. Friedrich V. von 1440—1493. Jena 1713. Dazu Grofsmann,
Forschungen XI.) Briefe u. histor. Aufzeichnungen in Birk, Beiträge zur Gesch. der
K. Elisabeth von Ungarn und ihres Sohnes Ladislaus 1440 — 1417 in Q. u. Forsch, zur
vat. Gesch. Wien 1849. Epistolae aliquot et eiusdem Friderici) formula praecationis
ad Deum pro imperii incolumitate 1440. Freher SS. rer. Germ. Die Briefe des Enea
Silvio wie oben. Friedrichs ffl. Reformation in Müller, Reichstagsth. p. 57. Altmann,
Ausgew. L'rkk. zur Erläuterung d. d. Yerfassungsgesch. Berl. 1891. Lechner, Ein Re-
gister Friedrichs in, MJÜG. XX.
Geschichtschreiber: Enea Silvio, De vita et rebus gestis Friderici ITI,
siv. hist. Austriaca bis 1452 bzw. 1458 mit der Forts, des Joh. Hinderbach. Ausg.
1 Joachimson, 55.
s Ebenda, 65.
Die Wahl Friedrichs III. 517
bei Potth. I, 20. Übers, v. Ilgen, Gesch. d. d. V. 85, 87 (s. Lorenz II, 310, Bayer, Die
Hist. Frid. Prag 1872 und Krones, B. K. Steierrn. GQ. VIII). — Historia Bohemica, wie
oben. Commentarii rer. memorab. quae temporibus suis contigerunt 1405 — 1463. Libri XII.
Ausg. bei Potth. I, 19 De vüis illustribus, BLVStuttg. 1842. In Europam, Freher II, 37.
Pentalogus de rebus ecclesiae et imperii, ed. Pez, Thes. anecd. IV. Im Ausz. bei Chmel,
Gesch. Friedrichs IL, 768 ff. Excerpta ex diario Frid. III bei Chmel, Gesch. Friedr. III.
I, 576 ff. Thomas Ebendorfer, wie oben. J. Grünbeck, Hist. Frid. III. et Maximiliani I.
ed. Chmel, Österr. Geschichtet I, 1838. Übers. Ilgen, G. d. d. V. 90. Chronica
der edlen Grafen von Cilli 1359 — 1458, ed. v. Krones in »die Freien von Saneck und
ihre Chronik als Grafen v. Cilli«. Graz 1883, s. Lorenz I, 283. Jacobi Unresti, Chron.
Austr. 1464—1500, ed. Hahn, Coli. mon. I, 537—803, s. Krones, AÖG. XLVHI. Veit
Arnpeck, Chron. Austr. bis 1488. Pez, SS. rer. Austr. I, 1165. Anonym. Mellic. chron.
Austriac. 1438 — 1464. Pez, SS. II, 461. Helene Kottanerin und Rolewinck, wie oben.
Hartmann Schedel, Liber chronicorum bis 1492. Nürnb. 1493 bei Koburger. Joh. Nau-
clerus, Memorabilium omnis aetatis . . . Commentarii bis 1500. Ausg. Potth. H, 806.
Joh. Trithemius, Ann. Hirsaugiensium, tomi 2. Ausg. u. Lit. bei Potth. II, 1071. Doch
fehlt dort Wolff, Joh. Trithemius u. die älteste Gesch. d. Klosters Hirschau. Würt. Jb.
f. Statist, u. Landesk. 1863 u. Silbernagl, Joh. Trith. 2. A. 1885. Schamdochner, Brev.
chron. rer. quarundam sub Frid. III. gestarum 1440 — 1470. Oefele, Rer. Boic. SS. 1,316 ff.
Wilwolt von Schaumburg, Memoiren 1468 — 1505. BLArStuttg. 1859. Einzelnes in den Chro-
niken d. d. Städte. Über die Quellen zur Gesch. der Schlacht bei Varna s. Zeifsberg
in Z. f. d. Ost. Gymn. 1871 (dazu JBG. VIII, II, 290) u. Köhler, Die Schlachten v. Nicop.
u. Varna. Breslau 1882.
Hilfsschriften: Chmel, Gesch. Friedrichs u. seines Sohnes Maximilian I.
2 Bde. 1840 — 1843. A. Bach mann, Deutsche Reichsgesch. im Zeitalter Friedrichs IH.
und Maximilians I. 2. Bde. 1 884— 1 893. Kurz, Österr. unter K . Friedrich IV. Wien 1812.
Droysen, Gesch. d. preufs. Politik IL Krones H u. Huber H, Palacky IV, 1,
Fefsler-Klein HI, Caro V, wie oben. Voigt, Enea Silvio, Puckert u. Bach-
mann, Über die kurf. Neutralität, wie oben. Keussen, Die polit. Stellung der*
Reichsstädte mit bes. Berücksichtigung ihrer Reichsstandschaft unter Friedrich IH.
Bonn 1885. Brandsch, Kaiser Friedrichs III. Beziehungen zu Ungarn 1440—53.
Hermannst. 1883. H u b e r , Die Kriege zw. Ungarn u. den Türken. 1440—43. AÖG. LXVIIL
Hoffmann, K. Friedrichs III. Beziehungen zu Ungarn 1458 — 1464. Progr. Glogau 1901.
Richter, K. Friedrich III. Berl. 1901. Voigt, K. Georg der Hussitenkönig. HZ. V.
Schwartz, Zur Gesch. des Friedensschlusses von Szegedin. Ung. R. 1894. Einzelnes
siehe in den folgenden Paragraphen.
1. Da sich seit der Wahl Albrechts II. die politischen Verhältnisse
in Deutschland nicht geändert hatten, war auch diesmal die Wahl eines
Habsburgers zu gewärtigen. Haupt des Hauses war Friedrich V., Sohn
des Herzogs oder, wie er sich seit 1414 nannte, Erzherzogs Ernst des
Eisernen und Enkel des bei Sempach gefallenen Leopold III. Seine
Hausniacht umfafste Innerösterreich, d. h. Steiermerk, Kärnten,
Krain und Görz; dazu hatte er die Vormundschaft über Sigmund von
Tirol und Vorderösterreich und für den Fall der Geburt eines männlichen
Sprossen nach Albrecht II. auch über diesen. Der Wahltag war auf den
28. Januar 1440 festgesetzt. Da der böhmische Thron erledigt war,
führte als Vertreter Böhmens Burggraf Heinrich von Meifsen die
böhmische Stimme. Brandenburg und Meifsen traten für den an-
gesehenen Landgrafen Ludwig von Hessen ein, der indes nicht gewillt
war, seinen Hausbesitz an die Erwerbung und Erhaltung der deutschen
Krone zu wenden1). Trotzdem schon jetzt das schwächliche, allzu
x) Maluitque parvo imperio a parentibus sibi relicto utiliter praeesse quam magnum
accipiens dissipare.
518 Charakteristik Friedrichs III. Ladislaus Posthumus und
bedächtige Wesen Friedrichs mehrfach getadelt wurde, ward er am
2. Februar 1440 zum König gewählt. Als solcher nannte er sich selbst
Friedrich III.1) Seine Wahl wurde von den Reichsstädten freudig be-
grüfst, weniger wegen seiner Friedens- und Gerechtigkeitsliebe, von der
man aufserhalb der Grenzen Innerösterreichs wenig wufste, als weil er
überhaupt ein Habsburger war, wie der seines frühen Todes wegen betrauerte
Albrecht IL2) Und doch war er ganz anders geartet als dieser und
zur Beherrschung der Verhältnisse im deutschen Reiche und selbst in
seinem Hause wenig geeignet. Ein Mann von einfachen Lebensgewohn-
heiten, dürftig im Auftreten, geizig, ohne gelehrte oder künstlerische
Neigungen, besafs er im Gegensatz zu seinem tapferen Vater und zu seinem
ehrgeizigen Bruder Albrecht eine phlegmatische Natur, die selbst durch
schwere Kränkungen nicht aus dem Gleichgewicht gebracht werden
konnte. Fragen der Politik liefsen ihn kühl ; lieber beschäftigte er sich
mit der Hauswirtschaft, mit Garten- und Obstzucht und mit dem Sammeln
und Ordnen von Kleinodien. Von seines Hauses steigender Gröfse über-
zeugt, hätte er von seiuen Rechten nicht das Mindeste preisgegeben.
War er doch noch in späten Jahren schwer zu bewegen, den eigenen
Sohn zum Nachfolger wählen zu lassen, und räumte ihm auch später
keinen Anteil an der Reichsregierung ein. Jetzt entsprach es seinem
phlegmatischen Wesen mehr als politischen Erwägungen, dafs er erst
nach mehrwöchentlichem Zögern sich zur Annahme der Krone bereit
erklärte. Den Beitritt zur kurfürstlichen Neutralität lehnte er ab.
2. Auch in die böhmischen und ungarischen Wirren griff er nicht
mit jener Entschiedenheit ein, die Habsburgs Weltmachtstellung dauernd
gesichert hätte. Indem Albrecht IL seine Gemahlin Elisabeth und
Friedrich III. als Senior des Hauses Habsburg zu Vormündern für den
Fall ernannte, wenn ihm ein Sohn geboren würde , und ihnen einen
Ständerat von neun Mitgliedern zur Seite stellte, schien für alle drei Länder-
gruppen eine einheitliche Regierung geschaffen zu sein. Doch nur die
österreichischen Stände erkannten Friedrich als Vormund an , Böhmen
und Ungarn wünschten eine enge Verbindung mit Polen , jenes aus
nationalen Gesichtspunkten, dieses, um dem Ansturm der Türken um so
leichter zu begegnen. Daher fand in Ungarn die Kandidatur des Polen-
königs Wladislaw Anklang, der sich mit der Königin-Witwe vermählen
sollte. Ihr und Albrechts Kind, falls es ein Sohn wäre, sollte Böhmen
und Osterreich, ein Sohn zweiter Ehe Ungarn erhalten. Nach langem
Sträuben und nicht bedingungslos ging Elisabeth darauf ein , nahm
aber nach der Geburt ihres Sohnes Ladislaus Posthumus (1440,
22. Februar) ihre Zustimmung zurück, fest entschlossen, ihm den Besitz
aller drei Ländergruppen zu wahren. Da sich Friedrich in der Ver-
teidigung der Rechte seines Mündels lässig zeigte, übertrug sie die Vor-
mundschaft an Herzog Albrecht und liefs Ladislaus zu Pfingsten (15. Mai)
*) Friedrich IV. wird er von einzelnen österr. Historikern wie Chrnel genannt,
die Friedrich den Schönen als den Dritten zählen.
J) Keussen, 10.
die Wirren in Österreich, Böhmen und Ungarn. Georg v. Podiebrad. 519
in Stuhlweifsenburg krönen. Diesem Beispiel folgte (17. Juli) Wladislaw,
der mittlerweile Ungarns Krone angenommen hatte und mit einem Heere
in Ungarn eingerückt war. Elisabeth setzte notgedrungen Friedrich wieder
in seine vormundschaftlichen Rechte ein und vertraute ihm ihren Sohn
und die Krone des Reiches an. Es kam zu einem längeren Bürgerkrieg,
bis es dem Kardinal Cesarini gelang, Friedensverhandlungen einzuleiten.
Noch waren sie nicht abgeschlossen, als Elisabeth starb (1442, 19. Dezember).
Ein Teil ihrer Anhänger trat zu Wladislaw über, die Mächtigeren hielten
an Ladislaus fest und traten mit König Friedrich in Verbindung. Schliefslich
brachte Cesarini auf Grund des Status quo einen Waffenstillstand zustande.
Für das Haus Habsburg war damit der gröfsere Teil Ungarns verloren.
3. In Böhmen liefs die radikale Partei den Prinzen Kasimir in
dem Augenblick fallen, als mit Albrechts II. Tode die hauptsächlichsten
Schwierigkeiten seiner Erhebung beseitigt waren. Das Erbrecht Ladislaus'
fand nur in Schlesien , der Lausitz und einem Teil von Mähren An-
erkennung. Der böhmische Wahllandtag setzte sich über Habsburgs
Rechte hinweg. Die radikale Partei und der kalixtinische Adel wünschten
die Erhebung eines Königs, der imstande wäre, der Anarchie ein Ende
zu machen, die Kompaktaten zur Durchführung zu bringen und die An-
erkennung Rokytzanas als Erzbischof durchzusetzen. Nachdem mehrere
Kandidaturen aufgestellt und wieder beseitigt waren, wählten die Stände
Herzog Albrecht von Bayern-München , der aber im Hinblick auf die
ihm zugemutete Einverleibung Bayerns in Böhmen und die dem Hause
Habsburg zustehenden Erbrechte die Krone ablehnte. Auch Friedrich III.
schlug sie unter dem Hinweis auf ihren rechtmäfsigen Besitzer aus, und
als die Stände bereit waren, Ladislaus anzuerkennen, wofern er ihn nach
Prag brächte und dort als Vormund die Regentschaft übernähme, lehnte
er auch dies ab. So kam zwar Habsburg nicht zu seinem Rechte, doch
wurde auch kein auswärtiger Fürst auf den Thron berufen. Die
Führung des utraquistischen Herrenbundes gelangte in die Hände
Georgs von Podiebrad. Am 24. April 1420 als Sohn Viktorin
Botscheks von Kunstatt zu Podiebrad geboren, erwarb sich Georg in
den letzten Jahren des Hussitenkrieges und im Kampf gegen Albrecht IL
einen bedeutenden Namen. 1440 Hauptmann des Bunzlauer Kreises,
trat er nach dem Tode Ptatscheks von Pirkstein, des Führers des Herren-
bundes , an die Spitze der vier östlichen Kreise von Böhmen. Seine
Politik, deren Endziele jetzt noch nicht deutlich zutage traten, war
auf die Begründung eines hussitischen Königtums gerichtet. Enea Silvio
bezeichnet ihn als einen Mann von kurzem Wuchs, massivem Körperbau,
weifser Gesichtsfarbe , leuchtenden Augen und gefälligem Wesen, zwar
angesteckt vom Hussitismus, sonst aber rechtschaffen und edel. Seine
kirchlichen Überzeugungen waren freilich nicht sonderlich fest.1) Enea
lobt seine Erfahrung in Staats- und Kriegsangelegenheiten, seinen sicheren
Blick in plötzlichen Gefahren, seine unermüdliche Tätigkeit und seinen
:) Daher sagt Enea : Quem cum nos longo sermone de communione calicis tentavis-
semus, magis deceptum quam pertinacem invenimus.
520 Das Haus Hunyady. Der Türkenkrieg.
Unternehmungsgeist. Mit List und Gewalt führte er den Kampf gegen
die katholische Adelspartei. Durch die Überrumpelung Prags im Jahre 1448
(s. unten) warf er die katholische Reaktion vollends nieder. Wer nicht
die Kompaktaten und Rokytzana anerkennen wollte, mufste die Haupt-
stadt verlassen. Das Domkapitel wanderte nach Pilsen, und die deutschen
Magister und Studenten, die sich allmählich wieder an der Prager Hoch-
schule niedergelassen hatten, zogen ab. Fortan sollte niemand in Prag
die Kommunion unter einer Gestalt reichen.
4. Inzwischen hatte Wladislaw den Kampf gegen die Türken be-
gonnen, die sich nach der Eroberung von Semendria ganz Serbiens be-
mächtigt hatten, im folgenden Jahre aber von dem sechs Monate erfolg-
los belagerten Belgrad wieder abziehen mufsten. Die Verteidigung des
Südens übertrug er an Johannes Hunyady und Xiklas Ujlaky zum Dank
für einen Sieg, den sie im Herbste 1440 über die Anhänger Elisabeths
davongetragen hatten. Es ist das erste Auftreten der Hunyady in der
Geschichte. Sie sind geringer Herkunft.1) Johanns Vater Woyk, ein
Walache, hatte im Dienste Sigmunds die Ritterwürde und die Burg
Hunyady in Siebenbürgen erhalten. Johannes gewann durch militärische
Tüchtigkeit in den Hussitenkämpfen Ruhm und Gewinn. Er wurde nun
die Seele der gegen die Türken gerichteten Angriffe. 1441 brachte er ihnen
bei Belgrad und 1442 in Siebenbürgen solche Niederlagen bei, dafs der
walachische Woiwode Drakul von ihnen abfiel und sich an Ungarn an-
schlofs. Als sie Miene machten , wieder in Siebenbürgen einzufallen,
brachte er ihnen, noch ehe sie die Karpathenpässe überschritten hatten,
eine neue Niederlage bei. Diese ersten wider sie errungenen Erfolge
weckten die Hoffnuiig, den Erbfeind der Christen doch noch aus Europa
verjagen zu können. Die Ungarn rüsteten 1443 ein Heer aus, aber die
Hilfe des Abendlandes blieb aus. Am wenigsten mochte Friedrich III.
zum Siege seines Gegners beitragen. Trotzdem nahm der Krieg anfangs
einen günstigen Verlauf. Wladislaw selbst drang von Belgrad aus nach dem
Süden. In der Nähe von Nissa gewann Hunyady am 3. November einen
Sieg, dessen Bedeutung darin liegt, dafs sich nun zahlreiche Scharen
aus den unterdrückten Völkerschaften an die Ungarn anschlössen.
Wladislaw, der bis an den Balkan gelangte, sah sich bei den starken
Verteidigungsmitteln der Gegner und dem Mangel an Lebensmitteln zum
Rückzug nach Ungarn genötigt. Auch hier brachten die Christen den
Türken noch (24. Dezember) eine Niederlage bei. Diese machten nun
günstige Friedensanträge, die auf dem Szegediner Reichstag zu einem
zehnjährigen Waffenstillstand führten. Danach wurde Serbien frei und
die Oberherrschaft LTngarns über die Walachei wieder anerkannt; damit
waren aber auch Cesarinis Hoffnungen, die Türken aus Europa zu treiben,
zerronnen. Er spornte daher den König zur Wiederaufnahme des Kampfes
an und löste ihn von dem eben geschworenen Eide.2) Im Sommer 1444
wurde der Krieg wieder aufgenommen. Aber von Polen, selbst von
*) Die Lit. über die Abstammung der Hunyady s. JBG. 1900, III, 241.
*) S. aber Prochazka in Finkeis JBG. 1900* IU, 351.
Die Schlacht bei Varna. Die Krönung Friedrichs III. 521
Serbien kam keine Unterstützung; auch die Ungarn beteiligten sich
schwach an dem Unternehmen. Das ungarische Heer, unterstützt von
einer walachischen Abteilung, drang bis Varna vor. Um den Pässen
auszuweichen, wollte es das Gebirge umgehen und längs der Meeresküste
gegen Konstantinopel ziehen. Am 10. November 1444 kam es zur
Schlacht, die nach anfänglichen Erfolgen von den Christen verloren
ward. Wladislaw wurde getötet, und Hunyady trat den Rückzug an.
Auch Cesarini hatte den Tod gefunden. In Ungarn wandte sich jetzt die
Stimmung dem legitimen Herrscher zu. Der Reichstag vom 7. Mai 1445
erkannte Ladislaus Posthumus unter der Bedingung als König an,
dafs er samt der Reichskrone von Friedrich 111. an die Ungarn aus-
geliefert würde.
§ 121. Die Krönung Friedrichs III. in Aachen. Der Krieg gegen
die Eidgenossen.
Quellen, s. die §§ 59, 98 u. 1 20. Dazu : Die Aachener Krönungsreise Friedrichs III.
Von einem Augenzeugen. Herausgeg. v. Seemüller. MJÖG. XVII, 589 — 665. Bericht
Johann Burns von Mohausen über die Krönung Fs., her. v. Hansen. Z.Aach. GV. IX, 213 ff.
S. dazu Potth. I, 471 Wülker, Urkk. u. Schreiben, betreffend den Zug der Armagnaken
1439 — 1444. Xeujahrsbl. Ver. Gesch. u. Alt. zu Frankfurt 1873. Zu den Schweizer Quellen
aufser Wyfs, Historiographie. S. 105 — 134 u. bes.. 116 ff., auch Dierauer II, 72 ff.
Dierauer I, II, und Dändliker II, wie oben. Plattner, Die Entstehung des
Freistaates der drei Bünde und sein Verhältnis zur alten Eidgenossensch. Davos 1894.
v. Kraus, Deutsche Geschichte am Ausg d. MA. Stuttg. 1894. 'Witte, Die armen
Gecken oder Schinder und ihr Einfall im Elsafs. Strafsb. 1889. G. du Fresne de
Beaucourt, Histoire de Charles VII. tom. IV. Eine Anzahl von Einzelschriften
s. bei Dändliker II, 749. Brüning, Die Aachener Krönungsfahrt Friedrichs III.
Aus Aachens Vorzeit XI, 81.
1. Gleich den übrigen deutschen Fürstenhäusern hatte Habsburg
seinen Besitz durch Teilungen zersplittert, den Zusammenhang der Erb-
lande hiedurch gelockert und die Macht des Gesamthauses geschwächt.
Nach der Teilung von 1379 in eine Albrechtinische und Leopoldmische
Linie, von denen jene Österreich ob und unter der Enns, die andere
alles übrige erhielt, folgte 1411 die Zersplitterung der letzteren in einen
steirischen und einen tirolischen Zweig, und die Versuche Friedrichs III.,
wenigstens innerhalb der Leopoldmischen Linie eine gewisse Einheit
herzustellen und sich die oberste Regierungsgewalt zu sichern, führten
zu Streitigkeiten mit seinem Bruder Albrecht VI, die mit kurzen Unter-
brechungen bis zu dessen Tode (1363) andauerten. x) Diese AVirren und
die schwierige Stellung seines Hauses in Ungarn und Böhmen hinderten
ihn, dem Reiche seine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Und doch hegte
man dort von ihm grofse Hoffnungen. Aber die ersten Reichstage
fanden statt, ohne dafs er erschien. Erst im Hinblick auf die Krönung,
vielleicht auch auf seine Pläne gegen die Eidgenossen, verliefs er die
Steiermark. Am 17. Juni 1442 empfing er zu Aachen die Krone. Der
l) Zu den Teilungen s. Huber -Dopsch RG. 44. Bezüglich der Einzelheiten des
Streites zwischen Friedrich III. und Albrecht VI. s. Huber in, 44 ff., 151 ff.
522 Friedrich HE. und die Eidgenossen.
Reichst agsbeschlufs vom 14. August enthielt wohl eine Reihe wichtiger
Anordnungen über den Landfrieden und die Reichsgerichtsbarkeit, es
fehlte dem Könige aber an den zu ihrer Durchführung nötigen Mitteln.
2. Von Frankfurt zog Friedrich III. nach dem Elsafs und von
dort in die Schweiz. Es galt einen Versuch, wenigstens einen Teil der
Verluste hereinzubringen, die Habsburg hier in den letzten Jahrzehnten
erlitten hatte. Der Bund der acht Kantone war seit Sempach und
Näfels rasch vorgeschritten. Zunächst schlössen die Glarner eine Allianz
mit jenen Bünden, die sich wie der Gotteshausbund und die Eid-
genossenschaft des oberen Bundes, zum Teil ebenfalls im
AViderspruch mit den Interessen des Hauses Habsburg gebildet hatten.
Auch unter den Gemeinden von Wallis griffen im 14. Jahrhundert
demokratische Tendenzen um sich. Die Bischöfe von Sitten, von
Savoyen und vom einheimischen Adel bedrängt, hatten ihnen umfassende
Privilegien gewährt und Karl IV. sie 1354 bestätigt. Schon damals
standen die Walliser in nahen Beziehungen zu den Eidgenossen. Als
hierauf ein Streit zwischen dem Bistum und den alten adeligen Ge-
schlechtern ausbrach, ergriff das Volk für jenes Partei, während der Adel
von Savoyen Hilfe bekam. Endlich schlössen der Bischof von Sitten
und die Landleute von Wallis am 3. Juni 1403 mit Uri, Unterwaiden
und Luzern ein ewiges Burg- und Landrecht, so dafs sich fortan die
Macht der drei Orte über einen Teil von Wallis erstreckte. In demselben
Jahre drangen die Urner und Unterwaldner, gereizt durch eine ihren
Landsleuten von Bewohnern des mailändischen Varese zugefügte Unbill,
gegen die sie kein Recht gefunden hatten, auf der Südseite des Gott-
hard vor und nötigten die Bewohner des Livinentales, sich in ihre
Gewalt zu begeben. Von hier aus konnte die Erwerbung des ganzen
Tessingebietes bis an die Seen in Angriff genommen werden. Bedeutsamer
wurde der Anschlufs des der Abtei St. Gallen gehörigen Appenzeller
Landes, wo seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts die demo-
kratische Richtung gleichfalls zum Siege gelangte und die einzelnen Ge-
meinden sich allmählich der Herrschaft der Abtei entzogen. Im
Jahre 1377 schlofs sich Appenzell dem schwäbischen Bunde an, und
zwei Jahre später erscheint »Appenzell das Land« als eine geschlossene,
rechtliche und politische Gemeinschaft.1) Im Kampfe gegen St. Gallen,
das seine Wiederunterwerfung versuchte, und gegen dessen Bundes-
genossen, Friedrich IV. von Österreich und den oberdeutschen Adel, errang
es im Appenzeller Krieg (1405 — 1408) seine Freiheit.2) Um sie auch
für die Zukunft zu behaupten, liefsen sich die Appenzeller, die bereits
während des Kampfes einen Bund mit Schwyz geschlossen hatten,
von den sieben östlichen Orten in ein Burg- und Landrecht aufnehmen
(1411). Auch St. Gallen schlofs sich nunmehr an die Eidgenossen an
(1412), die jetzt nord- und westwärts bis an ihre natürlichen Grenzen,
den Bodensee und den Jura, vorzurücken suchten; bald hatten sie Ge-
x) Dierauer I, 394.
s) S. 406 ff.
Das Wachstum des eidg. Bundes. Parteikämpfe zwischen einzelnen Orten. 523
legenheit, über den Aargau hinweg bis an den Rhein zu gelangen. Sie
benützten nämlich die über Friedrich von Tirol ausgesprochene Reichs-
acht (s. § 108), um sich trotz des fünfzigjährigen, kurz zuvor mit Öster-
reich abgeschlossenen Friedens der altösterreichischen Stammlande zu
bemächtigen. Ein Schlofs nach dem andern, die Habsburg nicht aus-
genommen, fiel in ihre Hände. Trotz Friedrichs Unterwerfung und
der Zurückforderung der von den Eidgenossen gemachten Eroberungen
durch König Sigmund behielten sie, zunächst als Pfand, den ganzen
Aargau, der zum Teil unter die zunächst gelegenen Orte Bern, Zürich
und Luzern aufgeteilt wurde, zum Teil Gemeingut blieb. Die hochherzige
Politik, ihn unzerrissen als neuen Ort in die Eidgenossenschaft auf-
zunehmen, war jener Zeit fremd. Die neue Erwerbung schlofs die Lücke,
die zwischen Bern und Zürich bestanden hatte. Friedrich IV. verzichtete
in aller Form für sich und seine Erben auf die Wieder erwerbung des
Aargaus.
3. Das rasche Wachstum des Bundes erfolgte aber nicht ohne
heftige Kollisionen, die sich aus den Gegensätzen zwischen Stadt und
Land, zwischen älteren demokratischen und jüngeren aristokratischen
Orten ergaben. Das Schwergewicht der eidgenössischen Politik lag jetzt
in den Städten, und die Länder, die Gründer der Eidgenossenschaft,
sahen mit Eifersucht auf die privilegierten Städte, die das grofse Wort
führten. J) Dieser Gegensatz spitzte sich zu in der Rivalität zwischen
Zürich und Schwyz, von denen jenes unter den Städten, dieses unter
den Ländern die Führung hatte. Als 1436 das Dynastenhaus Toggen-
burg ausstarb, dessen Besitz sowohl für Schwyz als für Zürich von
höchstem Werte war, kam es (1439) zwischen Schwyz, das durch den
tatkräftigen Landammann Jtal Reding d. A., und Zürich, das durch den
ebenso energischen als leidenschaftlichen Rudolf Stüfsi geleitet wurde,
zu einem hartnäckigen Kampfe (dem alten Zürichkrieg), der mit dem
Sieg der Schwyzer endete. Zürich erhielt aus dem Toggenburger Erbe
nicht nur nichts, sondern verlor auch das Gebiet der oberen Höfe und
seinen Besitz im Oberland. In ihrer erbitterten Stimmung suchten die
Züricher Anschlufs an Habsburg, das mit Zürichs Hilfe den Aargau
zurückzugewinnen hoffte. So schlofs Friedrich drei Tage vor seiner
Königskrönung ein Schutz- und Trutzbündnis mit Zürich, liefs sich am
23. September von den Zürichern aufser dem Reichseid noch den Eid
auf den Bund mit Österreich leisten und versagte den übrigen Orten
mit Ausnahme Uris, das an der Eroberung des Aargaues nicht teil-
genommen, die Bestätigung ihrer Privilegien. Da Zürich am Bunde mit
Osterreich festhielt, erklärten die Waldstätte an beide den Krieg
(1443, Mai). Die Züricher wurden in mehreren Treffen geschlagen.
Bei der Verteidigung der Sihlbrücke fiel Rudolf Stüfsi. Zürich selbst
wurde belagert. Die Erbitterung der Eidgenossen gegen die mit dem
alten Gegner verbündete Stadt machte sich in dem Blutbad von
Greifensee Luft, dessen Besatzung Mann für Mann bis auf Kinder und
J) Dändliker II, 69.
524 Krieg gegen die Eidgenossen. Die Armagnaken.
Greise enthauptet wurde. Inzwischen hatte sich Friedrich um die Gunst
Frankreichs beworben; Karl VII. fand darin ein gutes Mittel, jener
furchtbaren Söldnerscharen los zu werden, die nach einem ihrer früheren
Führer die Armagnaken (»arme Gecken«) genannt wurden und deren
Hilfe das französische Königtum nach seinen grofsen inneren und aus-
wärtigen Erfolgen nicht mehr bedurfte. Karl sandte einen Teil gegen
Metz, den gröfseren führte der Dauphin gegen die Eidgenossen, die
Zürich und die Farnsburg belagerten , um diese zu entsetzen , zunächst
aber, um Basel zu erobern. Ein Teil des Farnsburger Belagerungs-
heeres warf sich auf die Vorhut der Franzosen und trieb sie zurück.
Indem die Schweizer in dieser die ganze Stärke der Gegner vermuteten
und sie zu hitzig verfolgten, wurden sie von der gegnerischen Haupt-
macht beim Siechenhause von St. Jakob an derBirs angegriffen
und aufs Haupt geschlagen (1444, 26. August). Die Belagerung von
Farnsburg und Zürich mufste nun aufgegeben werden. Aber auch der
Dauphin hatte schwere Verluste erlitten; da seine Ziele übrigens nach
anderer Richtung gingen, wandte er sich nach dem Elsafs, begierig den
Rhein als Grenze Frankreichs zu gewinnen. Nur das entschiedene Vor-
gehen der Elsässer und Lothringer gegen die französischen »Würger«
vereitelte die Durchführung dieses Planes. Die Armagnaken konnten
übrigens erst im folgenden Jahre durch eine Reihe von Verträgen aus
dem Lande entfernt werden. In der Schweiz wurde nun der Krieg
weitergeführt. Erst im Juli 1450 entsagte Zürich der Kampfgenossen-
schaft mit Österreich und trat dem eidgenössischen Bunde wieder bei.
Osterreich mufste, ohne dafs es zu einem förmlichen Frieden kam, seine
Ansprüche auf den Aargau aufgeben.
§ 122. Friedrich III. und das Baseler Konzil.
Quellen wie oben. Die Drucke des Wiener Konkordats s. bei Voigt I, 418,
Chmel IT, 436 und Pastor n, 318. Zu den oben vermerkten Hilfsschriften s. noch
Brockhaus, Gregor v. Heimburg. Leipz. 1861. Joachimsohn, Gregor Heimburg.
Bamb. 1891. Manger, Die Wahl Amadeos v Savoyen z. Papste. Diss. Marb. 1901.
Schölten, Eugen IV. u. das Clevesche Landesbistum Cleve 1884. Birk, Der Köln.
Erzb. Dietrich Graf v. Mors u. P. Eugen IV. Bonn 1889. "Cbinger, Kardinallegat
Nikolaus Cusanus in Deutschland 1451 — 52. HJb. VIII, 629.
1. Die Absetzung Eugens IV. (s. § 119, 2) bedeutete den Beginn
eines neuen Schismas. Das Baseler Konzil räumte zunächst die Hinder-
nisse für die Wahl eines neuen Oberhauptes aus dem Wege. Ein aus
32 Mitgliedern bestehender Ausschufs unter dem Vorsitz des Kardinals
von Arles bildete d,as Konklave. Die Wahl fiel auf den Herzog
Amadeus von Savoyen (1439, 5. November). Er war der erste Fürst
gewesen, der das Konzil anerkannt hatte; nun lebte er, seiner Herrschaft
entsagend, einem Mönche gleich zu Ripaille am Genfer See. Er nannte
sich Felix V. Da seine Einkünfte nicht hinreichten, um einen Hofstaat
zu erhalten, mufste das Konzil ihm gegen seine eigenen Beschlüsse
einen Zehent von allen Benefizien auf fünf Jahre bewilligen. Übrigens
Eugen IV. und Felix V. Friedrich III. und das Konzil. 525
hielten die meisten Fürsten zu Eugen IV. Hatte sich Albrecht IL der
kurfürstlichen Neutralität angeschlossen, so gaben sich nun Eugen IV.
einerseits, das Konzil anderseits Mühe, Friedrich III. für sich zu ge-
winnen. Die Neutralität selbst fand weder bei Fürsten noch beim Volke
Anklang. Lehnten sich die Universitäten von kirchlichen Gesichtspunkten
aus dagegen auf, so kamen bei andern politische Erwägungen hinzu.
Die Kurfürsten hatten die Neutralität zur Erweiterung ihrer Gerichtsbar-
keit benützt, dadurch aber den Widerspruch kleinerer Reichsstände und
des niederen Klerus wachgerufen. Während einzelne Fürsten Eugen IV.
als Papst anerkannten, hatte das Konzil selbst in den Ländern des Königs
Anhänger; schliefslich gaben die Kurfürsten die Neutralität preis, wenn
es ihnen gut schien : all das bewog den König, zwar keinem der beiden
Päpste seine Obedienz zu erweisen, aber auch jede Erklärung im Sinne
der kurfürstlichen Neutralität zu vermeiden. Am Reichstage zu Mainz
(1441, 2. Februar) trat er für die Einberufung eines Konzils an drittem
Orte ein, ein Vorschlag, der nur gemacht war, um die Entscheidung
hinauszuschieben. Wiewohl der Reichstag für den Fall, als sich die
Parteien nicht auf einen Konzilsort einigen könnten, die Entscheidung
dem König überliefs und die Eröffnung des neuen Konzils schon für
den 1. August 1442 in Aussicht genommen war, eine Gesandtschaft des
Reichstages den König auch für die rasche Durchführung dieser Be-
schlüsse gewinnen wollte, schob er die Entscheidung doch dem nächsten
Reichstage zu; aber auch hier kam die Sache um keinen Schritt vor-
wärts. Dies bewog die Kurfürsten, einen Versuch zu machen, auch ohne
Mitwirkung des Königs zu einer Einigung mit Eugen IV. zu gelangen.
Sie sandten den Rechtsgelehrten Gregor Heimburg nach Florenz
(1441, Dezember) und verlangten als Preis ihrer Obedienz: Anerkennung
der höheren Gewalt der Konzilien, Berufung eines neuen Konzils, per-
sönliches Erscheinen des Papstes daselbst, Verzicht auf Reservationen
und Expektanzen, Freiheit der Bischofswahlen und Abschlufs einer prag-
matischen Sanktion. Der Papst gab eine ausweichende Antwort. In der
Kirchenpolitik Friedrichs trat auch nach seiner Krönung kein Wandel
ein. Schien er auch Anschlufs an Basel zu suchen und trat er mit
Felix V. in Unterhandlungen (1442, November), so schlugen doch dessen
Versuche, ihn ganz auf seine Seite zu ziehen, fehl. Die Franzosen und
Engländer blieben Eugen treu; wenn anderseits die Kurfürsten geneigt
waren, ihre Neutralität zugunsten des Konzilspapstes aufzugeben, so
wurde Friedrich III. durch Kaspar Schlick, dem jetzt die Leitung
der deutschen Geschäfte zugewiesen wurde, und Enea Silvio, den früheren
Sekretär Felix' V., der nun in die Dienste der deutschen Reichskanzlei
eintrat, immer mehr auf die Seite Eugens IV. gedrängt, für den am
österreichischen Hofe auch noch Cesarini und der Nuntius Carvajal
tätig waren. Ein Kongrefs, der zugleich mit dem Reichstage auf den
11. November 1443 einberufen ward, wurde nicht einmal von den deut-
schen Fürsten in eigener Person, geschweige denn von auswärtigen be-
sucht, und auch die Versuche, auf den nächsten Reichstagen eine Einigung
in der Kirchenfrage zu erzielen, blieben ergebnislos.
526 Fortschritte Eugens IV. Die Kirchenpolitik Friedlich III.
2. Felix V. hatte mittlerweile seine Residenz nach Lausanne ver-
legt (1442, Dezember). Die Abwesenheit des Papstes, die Kämpfe in der
Nähe des Konzilsortes, das Begehren des Kaisers, ein neues Konzil zu
berufen, all das bewog die Baseler, vorläufig ihre Tätigkeit einzustellen.
Im Mai 1443 wurde beschlossen, das nächste allgemeine Konzil in Lyon
abzuhalten, wo es als Fortsetzung des Baseler in drei Jahren zu-
sammentreten sollte. Bis dahin sollte es allerdings noch in Basel ver-
bleiben und nur im Falle der Unsicherheit nach Lausanne verlegt werden.
Wichtige Angelegenheiten gelangten in Basel nicht mehr zur Verhand-
lung, wie auch öffentliche Sitzungen nicht mehr stattfanden. Inzwischen
breitete sich Eugens Obedienz stetig aus. Von Wichtigkeit war der
Anschlufs König Alfonsos von Aragonien und Neapel, der bisher aus
politischen Motiven zum Konzil gehalten hatte. Nach einer fast zehn-
jährigen Abwesenheit kehrte Eugen IV. am 28. September 1443 wieder
nach Rom zurück und begann hier das schwierige Werk der Restauration.
Auch Schottland und Mailand wandten sich ihm zu, dagegen nahmen
Florenz und Venedig seinen Frieden mit König Alfonso zum Anlafs
ihrer Gegnerschaft und unterstützten Francesco Sforza, der mit dem
Papste abermals in Streit geraten war. Nachdem auch der Nürnberger
Reichstag von 1444 im wesentlichen ohne Ergebnis geendet hatte und
Vermittlungsversuche, die in den nächsten Monaten gemacht wurden,
gescheitert waren, erkannte Friedrich, dafs trotz der Stellungnahme der
Kurfürsten die Neutralität nicht mehr zu halten sei. Er bedurfte zudem
der Unterstützung Eugens IV., um die Rechte seines Mündels Ladislaus
auf Ungarn durchzusetzen. Daher sandte er (1444, Dezember) Enea
Silvio nach Italien, um die Verhandlungen wegen des Übertrittes zur
Obedienz Eugens einzuleiten. Zwar wies der Papst das Verlangen, inner-
halb einer bestimmten Frist ein neues Konzil zu berufen, ab, nahm aber
des Königs Anerbieten, gegen entsprechende Zugeständnisse zu seiner
Obedienz zu treten, gern entgegen. Die Verhandlungen wurden in Wien
durch Carvajal fortgeführt und im September 1445 abgeschlossen. Für
die Obedienz der österreichischen Länder verlangte und erhielt der König
zur Stärkung seiner territorialen Macht das Recht der Nomination bei
Erledigung der Bischofssitze von Gurk, Triest, Piben (in Istrien), Chur,
Trient and Brixen, die Vergebung von 100 Kirchenpfründen und das
Vorschlagsrecht für die Visitatoren österreichischer Klöster, für die
Obedienzleistung namens des Reiches die Zusage der Kaiserkrone und
einen Beitrag zu den Kosten der Krönungsfahrt. Für seine Kirchen-
politik hoffte Friedrich auch die Kurfürsten zu gewinnen. Sicher war
er aber nur Brandenburgs, denn Sachsen wollte sich von den rheinischen
Kurfürsten nicht trennen. Der Obedienz des Königs versichert, konnte
Eugen auch gegen jene geistlichen Kurfürsten, die wie Trier und Köln
zu seinen ausgesprochenen Gegnern gehörten, rücksichtsloser auftreten.
Eine Bulle vom 24. Januar 1446 beraubte beide ihrer erzbischöflichen
Sitze, aber dies Vorgehen — ein unerhörtes, Kurfürsten gegenüber —
hatte nicht die gehoffte Wirkung. Der Papst überschätzte die Macht
des Königs. Erzbischof Jakob von Trier schritt gegen alle ein, die des
Eugen IV. u. d. Kurfürsten v. Köln u. Trier. Obedienzerklärung d. d. Reiches. 527
Papstes Bulle publizierten. Köln und Trier fanden an den in ihren
Standesrechten verletzten Mitkurfürsten starken Rückhalt. Nachdem
sich die rheinischen Kurfürsten bereits im Januar gegen das gewalttätige
Einschreiten Roms wie gegen das eigenmächtige Verfahren des Königs
geeinigt hatten, schlössen sie einen Bund zur Verteidigung ihrer Rechte,
Würden und Besitzungen. Überdies begehrten sie vom Papste für ihre
Obedienz Anerkennung der Konstanzer und Baseler Beschlüsse über die
Obergewalt der Konzilien, Berufung des Konzils in eine deutsche Stadt
zur Entscheidung des Kirchenzwistes, die Anerkennung der Baseler Re-
formdekrete von 1439 und im Zusammenhang damit auch die Abschaffung
aller im Widerspruch mit der Neutralität stehenden Neuerungen. Drei
Gesandte — unter ihnen Gregor Heimburg — gingen im Namen der
Kurfürsten, Enea Silvio als der des Königs nach Rom. Heimburg ent-
ledigte sich seines Auftrages mit Würde ; Enea riet wenigstens zu schein-
barer Nachgiebigkeit; aber der Papst hielt an der Absetzung der beiden
Kirchenfürsten fest und verlangte überdies ein Einvernehmen zwischen
König und Kurfürsten in der Kirchenfrage. Der Reichstag trat im
September 1446 zusammen. In der Zwischenzeit hatte Friedrich 111.
eine Anzahl von Fürsten für seine Kirchenpolitik gewonnen, anderseits
aber auch den Papst bewogen, sein Verfahren gegen Köln und Trier
aufzugeben. Trotzdem nun Heimburg sich in öffentlicher Versammlung
in lebhaften Klagen über den Mangel an Friedensliebe bei der Kurie er-
ging, gelang es dem gewandten Auftreten Enea Silvios und der Legaten
Carvajal und Nikolaus von Cusa, die Verhandlungen auf dem Reichstage
in das gewünschte Geleise zu bringen und den Kurfürstenbund zu
sprengen. Am 22. September brachten die königlichen Gesandten, die
Kurfürsten von Mainz und Brandenburg und andere Fürsten eine ge-
heime Erklärung zustande, in der sie die Zugeständnisse des Papstes
als genügend anerkannten, um zum Kirchenfrieden zu gelangen. Wohl
gaben die felizianisch gesinnten Kirchenfürsten ihren Widerspruch nicht
auf. Da trat wieder die Vermittlung des Königs ein : Zuerst sollte dem
Papste die Obedienz geleistet werden, dieser in der bezeichneten Frist
ein Konzil berufen, die deutschen Beschwerden im Sinne der Mainzer
Akzeptation beseitigen und die abgesetzten Kurfürsten, falls sie sich für
den Papst erklären, wieder in ihre Würden einsetzen. Die Mehrheit
der Kurfürsten war damit einverstanden, trotzdem der Kardinal von
Arles und die Erzbischöfe von Köln und Trier nochmals ihren Stand-
punkt dargelegt hatten. Nach längeren Verhandlungen erklärte eine
deutsche Gesandtschaft am 7. Februar 1447 dem Papste, der bereits auf
dem Sterbebette lag, ihre Obedienz. Wiewohl diese nur von einem Teil
der Deutschen geleistet ward, entstand in Rom ein Jubel, als hätte sich
das ganze Reich unterworfen. In den vier Bullen, die den deutschen
Gesandten gegeben wurden, verhiefs der Papst, die beiden Erzbischöfe,
sobald sie ihm Gehorsam geleistet hätten, wieder in ihre früheren Würden
einzusetzen, ein Konzil zu berufen, die Beschlüsse von Konstanz, das
Dekret über die Abhaltung von Konzilien und all das anzunehmen, was
die deutsche Nation von den Baseler Dekreten akzeptiert habe. Wegen
528 Tod Eugens IV. Nikolaus V. Das Wiener Konkordat.
der dem Papste für seine Verluste gebührenden Entschädigung soll noch
weiter verhandelt, die von dem Konzil vorgenommene Verleihung von
Pfründen anerkannt und die über die Neutralen verhängten Strafen auf-
gehoben werden.1)
3. Es war dem Papste schwer geworden, diese von den Deutschen
gering geschätzten Zugeständnisse zu machen. Noch auf dem Sterbe-
bette erlief s er eine Bulle, die sie zurücknimmt, falls sie der Lehre der
Väter und den Rechten des apostolischen Stuhles widersprächen. Wenige
Tage später (23. Febr.) starb er. Seine letzten Worte waren: »0, Gabriel,
wieviel nützlicher für dein Seelenheil wäre es gewesen, wärest du nie
Kardinal und Papst geworden!«2) Zehn Tage später wurde der Kardinal
und Bischof von Bologna, Thomas Parentucelli, als Nikolaus V.
(1447 — 1455) zum Papste gewählt. Ein ausgezeichneter Kenner der
deutschen Verhältnisse, beeilte er sich, die von seinem Vorgänger ge-
troffenen Vereinbarungen zu bestätigen. Während die Baseler alles auf-
boten, um ihre Partei zum Siege zu führen, machte Karl VII. noch den
Versuch, zwischen den Parteien zu vermitteln ; ihm schlössen sich Köln,
Trier, Pfalz und Sachsen an ; auch einige aufserdeutsche Mächte wie
England waren damit einverstanden. Eine Versammlung, die im Juni
1447 in Bourges tagte und später nach Lyon verlegt wurde, beschlofs,
dafs Felix V. auf seine Würde verzichten, Nikolaus V. aber den Baselern
in wichtigen Punkten nachgeben solle ; aber weder dieser noch jener
gingen darauf ein. Fast zu derselben Zeit tagte eine Fürstenversamm-
lung, die Friedrich III. nach Aschaffenburg berufen hatte und die den
römischen Vereinbarungen beitrat. Köln, Sachsen, die Pfalz und endlich
auch Trier gingen daran, sich mit Rom zu vergleichen. Am 21. August
erschien ein königliches Edikt, das der deutschen Nation die Aner-
kennung Nikolaus' V. befahl. Nun wurden auch die Erzbischöfe von
Köln und Trier, die zum Schlüsse noch die Vermittlung Karls VII. in
Anspruch genommen hatten, in ihre Würden wieder eingesetzt. Auch
viele der deutschen Fürsten, die bisher der Anerkennung Nikolaus" V.
widerstrebt hatten, schlössen sich jetzt schon den Aschaffenburger Be-
schlüssen an. In den hierüber vereinbarten Sonderverträgen wufsten
sie sich eine Reihe von Vergünstigungen zu verschaffen. Im Spätherbste
erschien Carvajal in AVien, um die Verhandlungen wegen der Entschädi-
gung des päpstlichen Stuhles zu Ende zu führen. Das Wiener Kon-
kordat, das am 17. Februar 1448 abgeschlossen und am 19. März von
Nikolaus V. bestätigt wurde, hat seine Grundlage in den Aschaffenburger
Vereinbarungen. Es bedeutete einen A^ollständigen Sieg des Papsttums
über die konziliaren Ideen und enthielt an tatsächlichen Zugeständnissen
weniger, als Eugen IV. bewilligt hatte.
Das Recht des Papstes, Pfründen zu verleihen, das ihm beim Konzil auf fünf Jahre
bewilligt ward, wird ihm hier, wenn sie unter den vom kanonischen Rechte festge-
setzten Bedingungen zur Erledigung gelangen, auf immer zugestanden ; bei Metropolitan-
und Kathedralkirchen und den dem apostolischen Stuhle unmittelbar untergebenen
a) Die Einzelheiten bei Hefele, VII, 840.
S. oben § 115 unter den Quellen, che Berichte über seinen Tod.
Verlegung des Konzils nach Lausanne. Seine Auflösung. 529
Klöstern sollen die Wahlen frei sein und, wenn sie in Gemäfsheit der kanonischen
Gesetze vollzogen würden, vom Papste bestätigt werden. Ihm steht die Besetzung
erledigter Kanonikate und Benefizien zu, die in den sechs ungeraden Monaten erledigt
werden. Bei den Kathedralkirchen und Mannsklöstern ist der erste Jahresertrag in
zwei Jahresraten, bei andern kirchlichen Ämtern mit einem 24 Gulden übersteigenden
Erträgnis die Hälfte des Jahresertrages an die Kurie zu bezahlen.
Da man den Versuch nicht wagen wollte, das Übereinkommen
einem allgemeinen Reichstage zur Genehmigung zu unterbreiten, trat
man mit den einzelnen Fürsten in Unterhandlungen, die es gegen mehr
oder minder erhebliche Zugeständnisse annahmen. Den gröfsten Wider-
stand leistete Strafsburg, das dem Konkordat erst 1476 beitrat. Die
allgemeine Kirchenversammlung, welche nach bestimmten Zeiträumen
zusammentreten sollte, ist nicht mehr zustande gekommen. Das Ende
des Baseler Konzils war jetzt nur noch eine Frage der Zeit. Nachdem
Friedrich III. schon im September 1447 den Befehl zur Auflösung der
Versammlung gegeben hatte, und Anfang des nächsten Jahres ein noch
schärferes Edikt erschienen war, beschlofs es am 25. Juni 1448 seine
Verlegung nach Lausanne. Schliefslich gelang es den Bemühungen Frank-
reichs, Englands, Siziliens und mehrerer deutscher Fürsten, Felix V. zur
Abdankung zu bewegen (1449, 7. April). Das Konzil erklärte nunmehr
den päpstlichen Stuhl für erledigt, wählte, um seinerseits wenigstens den
Schein der Autorität zu wahren, Nikolaus V. zum Papste und beschlofs
am 25. April 1449 seine eigene Auflösung.
Das war der Ausgang einer Kirchen Versammlung, deren Zusammentritt vom
ganzen Abendland mit den gröfsten Hoffnungen begrüfst worden war, die ihre Auf-
gabe — eine allgemeine Kirchenreformation — aber nicht zustande gebracht hatte.
So grofs ihr eigenes Verschulden daran war, die Hauptursache des Scheiterns des
Konzils lag doch in dem Mangel einer starken einheitlichen Reichsgewalt War das
Königtum grofsenteils durch seine aufserdeutschen Interessen in Anspruch genommen,
so verfolgten die Fürsten ihre Sonderinteressen, und die Städte zeigten sich grofsenteils
apathisch : gleichwohl blieb in den breiten Schichten des Volkes die antipäpstliche
Opposition lebendig wie früher. In den gebildeten Kreisen waren es meist die Lehrer
an den Hochschulen, die den konziliaren Ideen treu blieben. Es war nach den Worten
Enea Silvio's ein Waffenstillstand — kein Friede erreicht worden. Den Hauptgewinn
aus dem langen Streite zog das Fürstentum, auf das nun zahlreiche Rechte, die früher
die Kirche besessen hatte, übertragen wurden.
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 34
2. Abschnitt.
Die übrige Staatenwelt des Abend- und Morgen-
landes im Zeitalter der grofsen Konzilien.
1. Kapitel.
Der hundertjährige Krieg zwischen England und Frankreich.
(Zweiter Teil.)
§ 1*23. Richard II. von England. Der Bauernaufstand von 1381.
Quellen s. oben § 91. TJrkundensaininlungen, Korresp. u. pol. Traktate in
Rymer, Bd. III, 3. ed. stud. G. Holinii, Hagae Com. 1740 (v. 1346—1401). Blif s, wie § 78.
In Betracht kommen hier die Petitions to the Pope 1342—1419. 1. vol. Morris,
Calendar of the Patent Rolls, Richard II, 1377—92. 4 Bde. Lond. 1895—1902. AVilkins, m.,
wie oben. Rotuli parliamentorum (Rolls of Parliaments) III. Raynald u. Deutsche Reichs-
tagsakten, wie oben. S. auch Liebermann, DZG. III, IV, VIII, Pauli IV, 734. Für
Irland: Roll of the proeeedings of the kings Council in Ireland . . . 1392 — 93, ed.
Graves, Rolls Ser. 69. Lit. Cantuar. Rolls Ser. 85. tom III. Für die sozialen Verhält-
nisse Englands in der Zeit des Bauernaufstandes findet sich Material in den bäuer-
lichen Dichtungen, die zum Teil allerdings schon einer früheren Zeit angehören. Für
che Zeit Eduards HL bis Richard III : Political poerns and songs relating to English
history froni the accession of Edward III to that of Richard DU, ed. Thomas Wright.
Rolls Series 2 vol. Lond. 1859 — 61. (Grofs Bibl. So. 2756. William Langland, The vision
of William concerning Piers the Plowman Gesicht Peters des Pflügers , ed. W.W. Skeat.
2 voll. Oxford 1886 s. Ernst Günther, Englisches Leben im 14. Jahrh., dargestellt
nach The vision of Piers the Plowman. Leipz. 1889. Jusserand, Les Anglais au
Moyen-Age, l'Epopee Mystique de William Langland. Paris 1893 . S. Grofs a. a. O., S.471.
Einzelnes auch in den Gedichten Chaucers u. Gowers s. ebenda S. 470 — 71), dagegen
findet sich fast nicht ein Satz bei Wiclif, der hieher gezählt zu werden verdiente, Mas
bei dem Umstand, als man ihn so oft u. lange für die Revolution von 1381 verant-
wortlich gemacht hat, gewifs bezeichnend ist. Von eigentlichen Geschichtschreibern
sind die bedeutendsten die Annales Ricard! seeundi et Henrici IV regum Angliae
1392 — 1402 , ed. Riley. Rolls Series 1866. Voll Sympathien mit dem Hause Lancaster.
Thomas Walsingham, das Chronicon Angliae, das Eulogium Historiarum, Knighton,
wie oben § 91. Auch Walsingham u. Knighton stehen ganz auf dem Standpunkt des
Hauses Lancaster. Für den Aufstand von 1381 von bes Wert: Anominalle cronicle
belonginge to the abbey of St. Maries in Yorke, ed. G. M. Trevelyan. EHR. XHI. Lond. 1898
An aecount of the rising of 1381, written in French in north England. Historia vitae
et regni Ricarcü II (1377 — 1402 a monacho quodam de Evesham consignata, ed. Thom.
Hearne. Oxford 1729. Von 1390 an selbständig. Gegen Richard II feindselig. Le Bean,
Chronique de Richard II 1377 — 99;, ed. Buehon, Collection des Chroniqu.es FrancaisesXXIV.
Paris 1826. Otterbourne, Chronica regum Angliae bis 1420, ed. Hearne. Oxford 1732.
Chronicon Adae de Usk 1377—1404, ed. Thompson. Lond. 1876. Wichtig für 1397-1399
Chronique du religieux de Saint Denys 1380 — 1422, ed. Bellaguet. Paris 1839 — 52.
Wichtig für die Beziehungen Englands zu Frankreich. Creton, Poeme sur la deposition
de Richard II, ed. Buehon, Collect., wie oben XXIV. Chronique de la trai'son et mort
de Richard II (1397—1400;, ed. Williams.- Lond. 1846. Steht auf Richards Seite. Froissart,
Chroniques, ed. S. Luce et G. Raynaud Paris 1869 — 97 s. zu Froissart Pauli IV, 731;.
Capgrave, The Chronicle of England, ed. Hingeston. Rolls Ser. 1858.
England unter Richard II. 531
Hilfsschriften: (Die Lit. bis zum Jahre 1870 in Höfler, Anna von Luxem-
burg Denkschr. d. W. Ak. XX, 1871.) Pauli, Gesch. Englands IV. Green, Gesch.
d. engl. Volkes I. Wal Ion, Richard IL 2 Bde. Paris 1864. Taswell-Langmead,
The reign of Richard II. Oxf. 1866. Ziepel, The reign of Richard II and comments
upon an alliterative poem on the deposition of that monarch. Berl. 1874. Trevelyan,
England in the age of Wycüffe. London 1899. (Dazu das Werk : Trevelyan and
Powell, The peasants'rising and the Lollards. Lond. 1899.) Bergen rot h, Der Volks-
aufstand in England im Jahre 1381. HZ. II, 51 — 86. Hol ton, Richard the Redeless.
RHSoc. NS. X. 1896. Petit-D utai 11 is, Les predications populaires, les Lollards
et le soulevement de travailleurs anglais en 1381. Etudes d'Hist. du Moyen-Age, dediees
ä Gabriel Monod. Paris 1896. Powell, The rising in East Anglia in 1381. Cambr. 1896.
Am wichtigsten ist: Reville, Le soulevement de travailleurs d'Angleterre en 1381:
Etudes et documents publies etc. par Petit-D utaillis. Soc. de l'Ecole des Chartes.
Mein, et Doc. IL Paris 1898. Kriehn, Studies in the sources of the social revolt
in 1381. Amer. Hist. Rev. VII, 3. April. Petrushevsky, Vozstanie Uota Tailera
War. Tylers Aufstand). Moskau 1901. Walker, Die Kirchenpolitik unter Richard IL
Diss. 1898. Strickland, Miss, Lives of the queens of England I. Wylie, History
of England under Henry IV. 4 voll. Lond. 1884 — 98 (s. unter Heinrich IV. und V.).
Stubbs, Gneist, Lee hier u. Bnddensieg, wie oben. Für Einzelheiten s. auch
Liebermann in d. DZG. VIII, 150.
1. Der äufsere Glanz bei der Krönung Richards IL (1377, 17. Juli)
verhüllte nur schlecht die gefahrvolle Lage des durch den Krieg gegen
Frankreich aufs tiefste zerrütteten Reiches, das nun den Kampf wieder
aufnehmen sollte. Noch gröfsere Gefahren türmten sich im Innern auf. Auf
einem der drei Oheime des Königs ruhte der Verdacht, selbst nach der
Krone zu streben. Es war Johann von Gaunt, der drittgeborene Sohn
Eduards III. , durch seine erste Gemahlin Herzog von Lancaster und
und Erbe des Hauses Leicester, durch die zweite Schwiegersohn König
Pedros von Kastilien. An staatsmännischer Begabung, militärischer Er-
fahrung, Reichtum und persönlichem Ansehen überragte er seine jün-
geren Brüder Edmund und Thomas. Sie alle waren Königssöhne, was
der junge König nicht war. Von den übrigen Verwandten konnte die
Nachkommenschaft Edmunds von March im Falle von Richards kinder-
losem Tode ein näheres Recht auf die Krone beanspruchen als Johann
von Gaunt, da sie von Lionel von Clarence, dem zweiten Sohne Eduards III.,
abstammte. Dem Ehrgeiz dieser Prinzen gegenüber die Unabhängigkeit
der Krone zu bewahren, hätte es für ihren Träger gereifter Erfahrung
bedurft. Zu diesen Schwierigkeiten kam noch das Streben der Stände nach
Erweiterung ihrer Rechte, die kirchliche um Wiclifs Fahnen gescharte
Opposition hinzu und der Sturm, der von den untersten Volksschichten
im Anzüge war. Die Franzosen eroberten die letzten festen Plätze um
Bordeaux und Bayonne, und unternahmen Verwüstungszüge auf eng-
lisches Gebiet. Wohl bewilligte das Parlament die nötigen Mittel zur
Verteidigung Englands und setzte eine aus 17 Mitgliedern bestehende
Regentschaft ein, von denen acht von den Gemeinen bestimmt wurden.
Zwei Bürger erhielten die Aufsicht über die Verwendung der bewilligten
Mittel. Kaum war aber das Parlament entlassen, so gewann Lancaster
den Einnufs zurück, den ihm das »gute« Parlament aus den Händen
gewunden. Unter seinem Schutze entfaltete Wiclif seine Pläne, die auf
nichts Geringeres als auf die Säkularisierung des englischen Kirchengutes
34*
532 Der grofse Bauernauf. stand von 1381.
abzielten und zuerst den Widerspruch der Kurie und das Einschreiten
gegen ihn wachriefen (§ 91). Der Ausbruch des Schismas leistete ihm
grofsen Vorschub. Erst der grofse Bauernaufstand von 1381 schob der
weiteren Ausbreitung der kirchlichen Bewegung einen Riegel vor; denn
nun wurde Wiclif auch für die soziale Bewegung verantwortlich gemacht,
wiewohl ihr Ursprung viel weiter zurückreicht. Schon unter Eduard III.
befanden sich die niederen Volksschichten wiederholt in gefährlicher
Erregung, die durch die fortwährenden Kriege und den damit ver-
bundenen harten Steuerdruck, durch Epidemien, Mifsernten und ver-
schiedene Mifsgriffe in der Verwaltung, vor allem aber durch die bei
dem Niedergang der Naturalwirtschaft1) sich von Jahr zu Jahr ver-
schlechternde wirtschaftliche Lage des niederen Volkes, stets neue Nahrung
und durch die Jacquerie in Frankreich und die demagogische Bewegung
in Flandern Anregung erhielt.
Schon') in alter Zeit hatten sich freie Bauern gegen bestimmte Dienstleistungen
in den Schutz eines Herrn begeben. Diese — die Hofbauern (villani) der normanni-
schen Zeit — hatten ihre Freiheit aufgegeben ; an die Scholle gebunden, hatten sie
immerhin ihren Besitz und einen Teil ihrer Eechte bewahrt und standen höher als
die landlosen Leute : Knechte und Taglöhner. Wohl suchte die Gesetzgebung des
Hauses Anjou, sie alle zu einer einzigen Klasse von Leibeigenen zu verschmelzen, es
gelang aber nicht. Die Dienstleistungen beider waren auch später noch verschieden:
jene hatten dem Herrn zur Zeit der Aussaat und Ernte zu helfen, die übrigen : Häusler
(Cottar), Gesinde (Bordar) und Taglöhner (Labourer) das ganze Jahr hindurch auf
dem Herrenhofe zu arbeiten. Die Dienstleistungen aller waren in der Gerichtsrolle
des Hofes eingetragen, von der der Hofbauer (daher CopyhoJder) eine Abschrift behielt.
Als die Herren es bequemer fanden, das Gut gegen einen Zins zu verpachten, ent-
wickelte sich der Stand der Pächter (Farmer *)), eine Mittelklasse zwischen Herrn und
gemeinem Lehensmann. Das alte Band zwischen Gutsherrn und Untertanen wurde
zerrissen. Indem schliefslich noch die verschiedenen Fronden durch Geld abgelöst
und an Leibeigene die Freiheit verkauft wurde, wurden diese von ihrer Zugehörigkeit
vom Boden gelöst und waren freie Arbeiter. So war die Lage des englischen Guts-
herren in der Mitte des 14. Jahrhunderts von der von heute wenig verschieden ;
denn er hatte sein Land an Pächter für Geld vermietet, und diese waren für die Be-
stellung des Bodens auf gemietete Arbeiter angewiesen. Dies Verhältnis änderte sich
fast mit einem Schlage. Die grofse Seuche von 1348 raffte einen grofsen Teil der
Bevölkerung Englands hinweg. Ein allgemeiner Arbeitermangel trat ein ; die Löhne
stiegen ins I'ngemessene, damit auch die Preise der Lebensmittel. Dabei wurde das
Land von Scharen landloser Leute heimgesucht, die unter dem Yorwand, Arbeit zu
rinden, umherzogen. Parlament und Krone schritten endlich ein : Das Statute of
Labourers von 1350 setzte die Arbeitslöhne auf die alte Höhe von 1347, was freilich
der Preissteigerung der Lebensmittel nicht entsprach. Und doch ging die reaktionäre
Strömung noch weiter: sie suchte den Arbeiter wieder an die Scholle zu fesseln; es
wurde ihm untersagt, seinen Wohnort zu verlassen, um anderswo Arbeit zu finden.
Das Beherbergen leibeigener Leute in den Städten wurde strenge gestraft. Das Werk
der Emanzipation wurde nicht nur gehemmt, sondern auch ältere Freilassungen und
Befreiungen von Lasten wegen angeblicher Formfehler zurückgenommen.
2. Die Mafsregeln gegen die unteren Volksschichten riefen in Stadt
und Land eine Gärung hervor : dort kam es zu Arbeitseinstellungen und
l) Ausführlicheres hierüber wird ein anderer Teil des Handbuches enthalten.
S. vorläufig die Ausführungen in Greens Gesch. des engl. Volkes I, 291 — 303.
s) Das Folgende nach Green, S. 292 ff.
3) Feorm vom lat. Firma.
Ziele der Rewegting. Mutige Haltung des Königs. 533
und geheimen Verbindungen, hier zu Zusammenrottungen flüchtiger
Leibeigener , die nicht selten an den Bauern Verbündete fanden, da
auch diese sich durch die Reaktion bedroht sahen, indem ihre Befreiung
von Fronden in Frage gestellt wurde. Die allgemeine Erbitterung
wurde von Bauernführern und fanatischen Priestern, wie John Ball,
genährt, der schon seit langer Zeit seine Lehren von allgemeiner Gleich-
heit und Gütergemeinschaft predigte. In den volkstümlichen Reimen :
> Als Adam grub und Eva spann — wer war da der Edelmann« erkennt
man das Programm der Demagogen. Das allgemeine Elend wurde durch
den unglücklich geführten Krieg noch vermehrt; denn die vom Parla-
ment bewilligte Kopfsteuer belastete auch solche, die bisher von Abgaben
frei waren, wie Taglöhner, Schmiede und Ziegelbrenner. Die Erpres-
sungen brachten das Volk in Aufruhr. Wie ein Lauffeuer breitete er
sich über das Land aus. In Kent, wo ein Tyler (Ziegelbrenner) einen
Steuereinnehmer wegen Beschimpfung seiner Tochter erschlagen hatte,
kam es zuerst zu Tätlichkeiten. Die Aufständischen rückten in Canter-
bury ein, plünderten den Palast des Erzbischofs und befreiten John Ball,
der dort gefangen lag. Schon hatten sich die Bauern in den östlichen
Grafschaften erhoben ; von hier aus drang der Aufstand im Norden vor :
die Besitzungen der Edelleute wurden geplündert, die Besitzurkunden
der Edelhöfe vernichtet, Beamte und Richter getötet. Alle schwuren
den Treueid für Richard IL und die Gemeinen. Nie solle Lancaster1)
über sie herrschen. Sehr mutvoll benahm sich der jugendliche König.
An die 60000 Bauern, geführt von Walter dem Ziegler (Tyler), John
Ball und Jakob Straw, bemächtigten sich der Hauptstadt, plünderten
Lancasters Palast, nahmen den Tower und töteten den Erzbischof Simon
Sudbury, dessen Haupt auf dem Londoner Brückenturm festgenagelt
wurde. Allmählich ermannten sich die besitzenden Klassen. Als
Richard IL, der nach dem Westminster geritten war, um dort seine
Andacht zu verrichten, zurückkehrte, stiefs er auf Tyler, der auf ihn
zuritt, mit seinem Messer spielend, drohenden Tones Forderungen stellte
und Hand an den königlichen Zügel legte. Da trat der Lord-Mayor
von London dazwischen und stach Wat Tyler nieder. Laut aufschreiend
verlangte die Menge nach Rache. Da sprengte der König vor und be-
ruhigte sie : die Leibeigenschaft solle abgeschafft, freier Marktverkehr
und feste Landpacht statt der Fronden gestattet werden. Das Zaudern
der Massen gab dem Mayor von London Zeit, die Bürger unter die
Waffen zu rufen. Die Aufständischen wurden von Sir Robert Knowles
zu Paaren getrieben. Auch in den übrigen Landschaften wurde, freilich
nicht ohne Anwendung grausamer Mittel, die Ruhe wieder hergestellt.
Es zeugt von des Königs hoher Gesinnung, dafs er selbst sich weigerte,
den Aufstand im Blute der Meuterer zu ersticken ; er war auch geneigt,
die den Aufständischen gemachten Zusagen einzuhalten. Wohl hatte er
die ihnen gegebenen Freiheitsbriefe auf das Drängen seiner Räte zurück-
gezogen: als sich aber das Parlament am 5. November 1381 in West-
J) Der Schützer Wiclifs.
534 Die Selbstregierung Richards II.
minster versammelt hatte, erklärte er, falls das Parlament die Hörigen
freilassen wolle, werde er anf diese Bitte eingehen. Das Reich stand
vor einer grofsen Entscheidung. Das Parlament sprach sich aber gegen
die Wünsche des Königs aus , nicht blofs die Lords, sondern auch die
Gemeinen: Niemals würden sie in die Befreiung der Hörigen einwilligen.
Alle den Aufständischen gemachten Zusagen wurden zurückgenommen.
Ja man ging noch viel weiter : es wurde den Kindern der Leibeigenen
der Besuch der Schulen untersagt und zugleich gegen die Lollarden
eingeschritten. Man verfolgte sie nicht so sehr aus kirchlichen als aus
politischen Motiven: man sah in den jüngsten Ereignissen die Frucht
ihrer Opposition gegen Lehren und Einrichtungen der Kirche, das Er-
gebnis des Wirkens der von Wiclif ausgesandten Reiseprediger. Da
wurde er selbst in den Prozels hineingezogen. Seine Stellung im Lande
war aber immerhin noch eine so angesehene, dafs er bis an sein Lebens-
ende (1384) auf seiner Pfarre Lutter worth in reformatorischem Sinne
wirken durfte und die entscheidenden Schläge gegen den Wiclifismus
erst fielen, als eine neue Dynastie an der Regierung war.
§ 124. Die Selbstregierung Richards II. Seine absolutistischen
Tendenzen und sein Sturz.
1. Richard II. war erst 13 Jahre alt, als ihm der Bauernaufstand
Gelegenheit gab, zum erstenmal selbständig aufzutreten. Ein zartge-
wachsener Jüngling von mittlerem Wüchse, blondem Haar, rundem, fast
mädchenhaftem Gesicht, prachtliebend und selbstbewufst, im Besitz von
Eigenschaften, die nur recht geleitet werden durften, um wohltätig zu
wirken, hatte er eben noch hohen Mut und seltene Geistesgegenwart
bewiesen. Seine Vermählung mit Anna von Luxemburg, der Schwester
König Wenzels, hing mit dem Wechsel in der politischen Gruppierung
der Mächte zusammen (s. oben). Das Schutz- und Trutzbündnis mit
Wenzel hatte für den Krieg gegen Frankreich allerdings keine Be-
deutung. Ein Versuch des Prinzen Edmund, der sich wie sein Bruder
Johann von Lancaster mit einer Tochter Pedros von Kastilien vermählt
hatte, im Bunde mit Portugal Lancasters Ansprüchen auf Kastilien zur
Anerkennung zu verhelfen, blieb ohne den gehofften Erfolg. Schwer
wurde England getroffen, als die demokratischen Parteien in Flandern,
die Anschlufs an England suchten, unter Philipp von Artevelde dem
Angriff der französischen Ritterschaft erlagen (1382, s. unten) und
ein Feldzug, den der Bischof von Norwich (1383) wider die zum Gegen-
papst haltenden Städte Flanderns unternahm, ein ruhmloses Ende
fand. Die englische Reformpartei begleitete diesen Ausgang mit ätzen-
dem Hohne. Auch gegen Schottland wurden keine Erfolge errungen.
Allmählich traten die schlimmen Eigenschaften Richards IL, sein Eigen-
sinn und sein Hang, fremden Einflüssen nachzugeben, hervor. Zum
Kummer Lancasters, gegen den er von tiefem Mifstrauen erfüllt war, und
zum Verdrufs des Parlaments begünstigte er zwei Männer, die mit dem
englischen Herrenhaus keine Verbindung hatten, Robert de Vere und
Robert de Vere und Michael de la Pole. Thomas von Glocester. 535
den Kanzler Michael de la Pole, von denen er jenen zum Marquis von
Dublin und bald nachher zum Herzog von Irland, diesen zum Grafen
von Suffolk erhob. Den Verdächtigungen zu entgehen, zog Lancaster
mit englischen Streitkräften, die besser auf die Verteidigung Englands
verwendet worden wären, unterstützt von Urban VI., was seinem Unter-
nehmen den Charakter eines Kreuzzuges gab, nach Spanien ; aber der
Angriff auf Kastilien mifslang, da seuchenartige Krankheiten sein Heer
aufrieben (1387). Lancaster liefs sich zwei Jahre später zu einem
Vergleich mit dem Hause Trastamara bereit finden, der ihm reiche
finanzielle Entschädigung bot.
2. Inzwischen hatten die Beziehungen zwischen Königtum und
Parlament eine ernste Wendung genommen. Während England (1386)
von einer Landung der Franzosen bedroht war, die mehr durch Wetter-
stürme als die Kraft der englischen Gegenwehr abgewandt wurde,
brachte die schlechte Kriegsführung, das Sparen an unrechtem
Orte, wodurch Gent den Franzosen preisgegeben wurde , die Ver-
schwendung des Hofes und endlich des Königs Absicht, sich der Ab-
hängigkeit vom Parlament zu entziehen, eine starke Opposition
hervor, die die Entlassung des Kanzlers begehrte. Wohl drohte
Richard, sich mit Frankreich auszusöhnen und mit dessen Hilfe die
monarchische Gewalt in England auf festere Grundlagen zu stellen,
sah sich aber im Angesicht der finanziellen Not und der Haltung seiner
Verwandten genötigt, dem Parlament, das ihn an Eduard IL mahnte,
nachzugeben und Kanzler und Schatzmeister zu opfern (1386). Ein
Regierungsausschufs von elf Personen wurde auf die Dauer eines Jahres
bestellt. Fast alle Mitglieder waren Gegner des Königs, ihr Haupt
dessen Oheim, Herzog Thomas von Glocester. Sie hatten alle seit
dem Tode Eduards III. erflossenen Regierungsmafsregeln einer Prüf-
ung zu unterziehen und je nach dem Sachverhalt zu kassieren, Mifs-
bräuche in der Verwaltung abzustellen und für den Fall eines
Widerstandes die Erhebung der Steuern zu untersagen. Die ganze
Macht lag in den Händen Glocesters. Kaum war das Parlament ent-
lassen, so suchte sich Richard aus seiner abhängigen Stellung zu be-
freien. Sein Eifer wurde durch den Grafen Suffolk, den er der Haft
entlassen, und den Herzog von Irland angestachelt; er selbst suchte den
Landadel und die Bürger für sich zu gewinnen. Nachdem eine Anzahl
von Richtern die Frage des Königs, ob das Statut, nach welchem der
Regierungsausschufs eingesetzt war, ein rechtmäfsiges sei, verneint hatte,
ging er daran, die Vorrechte der Krone, d. h. die absulute Königsmacht
herzustellen. Der Plan wurde indes verraten. Beim Herannahen der
Kriegsscharen Glocesters entfiel den Bürgern von London der Mut.
Suffolk entfloh nach Frankreich, und auch die wallisischen Streitkräfte,
die der Herzog von Irland gesammelt hatte, stoben auseinander. Schon
jetzt dachte Glocester an die Absetzung seines Neffen, nur der Wider-
spruch der Grafen von Derby und Nottingham rettete diesen. Doch
harrte der Schuldigen ein schreckliches Strafgericht. Das Parlament —
es tagte vom 3. Februar bis zum Juni 1388 und heilst mit Recht das
536 Das unbarmherzige Parlament. Yerantwortlichkeitsprinzip.
unbarmherzige, denn es übte keine Gnade — konstituierte sich als
oberster Gerichtshof. Die fünf Hauptschuldigen, mit Ausnahme des
Erzbischofs von York, wurden verurteilt, zu Tode geschleift und aufge-
hängt zu werden, und an zweien, die in die Hände der Barone gefallen,
dem Oberrichter Tresilian und dem Ritter Brambre, das Urteil voll-
zogen. Die andern, der Erzbischof, Robert de Vere und Graf Suffolk,
starben in der Fremde. Von den Richtern, auf deren Ausspruch
Richard gehandelt hatte, wurden zwei enthauptet, die übrigen auf Für-
sprache der Bischöfe nach Irland verbannt. Die gleiche Strafe traf den
Beichtvater Richards, den Bischof von Chichester. Dagegen fielen noch
die Häupter einiger Ritter ; unter ihnen war Burley, der schon Eduard III.
gedient und König Richard erzogen hatte. Vergebens bat dieser
und bat die Königin Glocester um Gnade für den alten Mann. Wolle
Richard König bleiben, lautete die Antwort, so müsse Burley sterben.
Solchergestalt wurde das Prinzip, die Räte der Krone für die Exe-
kutive verantwortlich zu machen, in die Verfassung Englands eingeführt.
Mittlerweile ging der Krieg gegen Frankreich und Schottland weiter.
Während dieser Kämpfe fiel auf sehen der Schotten der tapfere Graf
Jakob von Douglas, hingegen wurde Heinrich Percy, genannt der Heifs-
sporn, von diesen gefangen.
3. Richard trug seine Abhängigkeit von Glocester schwer; im
übrigen verstand es dieser nicht, sich Sympathien zu schaffen, denn als
der König im Mai 1389 — er war nun 22 Jahre alt — seinen Räten
erklärte, die Regierung selbst in die Hände zu nehmen, fand er keinen
Widerspruch. Er nahm dem Erzbischof von York, Thomas von Arundel,
das Staatssiegel ab und gab es an William Wykeham. In einer Prokla-
mation verhiefs er, die vom Parlament getroffenen Verordnungen auf-
recht zu erhalten. Klugerweise hütete er sich, Glocester aus seinem
Rate zu entfernen. Die schweren Erfahrungen hatten ihres Eindrucks
auf ihn nicht verfehlt; er drückte sein Rachegefühl nieder und be-
gnügte sich damit, die Leiden der Verbannten zu mildern. Um freiere
Hand zu gewinnen, schlofs er mit Frankreich und Schottland einen
Waffenstillstand, der dem Lande die ersehnte Ruhe gab. Einen Streit
mit der Kurie beendete er erfolgreich, da diese ihren Anspruch, Aus-
länder auf englische Pfründen zu setzen, nicht aufrecht zu erhalten ver-
mochte. Ein Feldzug gegen Irland hatte den Zweck, die Insel fester
an das Mutterland zu ketten : nicht weniger als 75 Häuptlinge leisteten
die Huldigung. Indem er nach dem Tode seiner Gemahlin (1394) um
die Hand Isabellas, der achtjährigen Tochter Karls VI. von Frankreich
warb, durfte er hoffen, zu einem dauernden Frieden mit Frankreich zu
gelangen. Da Glocester, ein Gegner des französischen Bündnisses, ver-
dächtigt wurde, geheime Verabredungen über die Entthronung des Königs
getroffen zu haben, schlofs dieser sich an seine älteren Oheime Lancaster
und York an, erhob Lancaster zum Herzog von Aquitanien und legiti-
mierte seine Verbindung mit Katharina Swinford. Yorks Sohn Rutland
war sein Vertrauter. Richards Stellung wurde in der nächsten Zeit eine
so starke, dafs Gerüchte im Umlauf waren, er würde an Stelle Wenzels
Sturz Glocesters. Absolutistische Richtung Richards. 537
römischer König werden. Jetzt hielt er sich auch stark genug, für die
Katastrophe von 1388 Rache zu nehmen.
4. Nachdem er den Waffenstillstand mit Frankreich auf 28 Jahre
verlängert hatte, ging er an die Durchführung seiner Pläne. Glocester
und die Grafen Arundel und Warwick wurden als Hochverräter ver-
haftet; ein Parlament, in welchem die Anhänger des Königs die Mehr-
heit besafsen, erklärte den Regentschaftsrat für gesetzwidrig und dessen
Urheber als Hochverräter. Graf Arundel starb auf dem Schaffot,
Glocester im Gefängnis zu Calais, eben als er zum Verhör nach West-
minster geführt werden sollte. Der Verdacht lag nahe, dafs der König
aus Scheu, ihn vor das Parlament zu stellen, seine Ermordung befohlen
habe. Im übrigen wurde er auch nach seinem Tod als Verräter ver-
urteilt und seine Habe eingezogen. Der Erzbischof von Canterbury,
Arundels Bruder, und andere Grofse, gingen in die Verbannung. Die
Absichten Richards eine absolute Herrschaft aufzurichten,
traten immer deutlicher hervor: die Beschlüsse von 1388 wurden als
ungültig erklärt und die des gegenwärtigen Parlaments gegen künftige
Umsturzversuche sichergestellt. Das Parlament bewilligte ihm eine
Steuer auf Wolle und Leder für seine Lebenszeit; hiedurch wurde er
der Notwendigkeit enthoben, Parlamente zu berufen. Für alle Fälle liefs
er einen Ausschufs von zwölf Baronen und sechs Gemeinen mit der
Vollmacht ausstatten, auch nach Auflösung des Parlaments die Reichs-
angelegenheiten zu erledigen. Die Berufung des Parlaments wurde hie-
durch überflüssig. Jeder Lehensträger der Krone hatte die Gültigkeit
aller Handlungen dieses Ausschusses eidlich anzuerkennen. Die Bufs-
gelder der Anhänger Glocesters verstärkten seine finanziellen Mittel. In-
zwischen hatte Richards Verhalten das Zutrauen seiner Untertanen voll-
kommen erschüttert: den Adel hatte er durch seine Friedenspolitik und
seine Stellungnahme im Bauernaufstand, die Bürger durch seine Er-
pressungen, den Klerus durch seine laue Haltung gegen die Lollarden
verletzt. Aber erst sein durch Eifersucht hervorgerufenes Vorgehen
gegen Heinrich, Herzog von Herford, den Sohn Lancasters, rief dessen
Gegnerschaft hervor, die dem König Krone und Leben kostete. Einen
Streit zwischen Heinrich von Herford und dem Herzog von Norfolk be-
nützend, verbannte er beide aus seinem Reiche. Johann von Lancaster
starb aus Kummer über die Verbannung seines einzigen Sohnes; dem
Erben untersagte Richard trotz früherer Zusagen, die Hinterlassenschaft
anzutreten, und bemächtigte sich selbst der Güter des Verstorbenen.
Eben war Roger Mortimer, Graf von March, der präsumptive Thron-
folger Englands, in einer Fehde gefallen; Richard selbst zog ein zweites
Mal nach Irland, um die Eroberung der Insel zu vollenden. Die Ab-
wesenheit des Königs benützten seine Gegner. Auf Antrieb des Erz-
bischofs Arundel kehrte Heinrich zurück und landete mit einer kleinen
Schar an der Küste von Yorkshire; sofort fielen ihm die Grafen von
Northumberland und Westmoreland zu; bald stand er an der Spitze von
30000 Bewaffneten. Der Herzog von York, den Richard als Stellver-
treter in England gelassen, trat zu ihm über, und als Richard, dessen
538 Erhebung Heinrichs von Lancaster. Gefangennahme, Absetzung und
Abfahrt aus Irland durch widrige Winde verzögert ward, in Wales
landete, war sein Königreich schon verloren. Sein Heer zerstreute sich,
und eine zweite Streitmacht, die der Earl von Salisbury zusammenge-
bracht hatte, löste sich ebenfalls auf; er selbst wurde unter dem Vor-
wand von Unterhandlungen aus dem festen Conway gelockt und ge-
fangen genommen. Beim Zusammentreffen mit dem König deutete
Lancaster an, er wolle ihm nach seiner 20jährigen Mifsregierung helfen,
besser zu regieren; aber zweifellos gingen seine Absichten weiter. Im
Triumphe hielt Heinrich in London Einzug. Schon tags darauf bezog
Richard den Tower (29. September). In seinem Namen rief Heinrich
das Parlament zusammen. Vor der Eröffnung begehrte eine Deputation
vom König Verzicht auf die Krone. Er selbst unterzeichnete — wohl
kaum freiwillig und »lächelnd« — das Dokument und entband alle
Untertanen des Treueides. Dafs er selbst auf Lancaster als auf den
künftigen König gewiesen, ist eine Ausstreuung der Lancasterpartei.
Durch seinen Verzicht hoffte er, sein Leben zu retten, aber die einfache
Verzichtleistung genügte dem Parlament nicht. In 32 Klageartikeln
wurden Richards Vergehen zusammengestellt und seine Absetzung be-
schlossen (30. September). Nach den Regeln der Erbfolge hätte die
Krone an Edmund Mortimer fallen müssen; diese strenge Regel war
aber in England in Bezug auf die Krone niemals anerkannt worden. So-
fort nach Richards Absetzung erhob sich Heinrich, bekreuzigte sich und
nahm als rechter Nachkomme König Heinrichs III. das Reich, »das auf
dem Punkte war, aus Mangel an guter Regierung und Mifsachtung der
Gesetze zugrunde zu gehen«, für sich in Anspruch. Das Parlament
stimmte zu. Von dem Ereignis wurde Richard am folgenden Tag ver-
ständigt. Die Hoffnung, dafs ihm sein Vetter ein gnädiger Herr sein
werde, erfüllte sich nicht. So lange er lebte, war er für diesen eine
beständige Gefahr. In der Tat kam es schon Mitte Dezember 1399 zu
einer Verschwörung, die den Zweck verfolgte, Richard wieder auf den
Thron zu heben; durch die Unvorsichtigkeit eines Mitverschworenen
verraten, beschleunigte sie Richards Ende. Zu lebenslänglicher
Gefangenschaft verurteilt, wurde er nach dem Schlosse Pomfret ab-
geführt. Gegen Ende Januar 1400 verbreitete sich die Nachricht von
seinem Tode.
Über die Art seines Todes konnten schon die Zeitgenossen nichts Sicheres
erfahren. Die meisten drücken sich mit Vorsicht aus x) Nach einem Bericht hätte er
aus Kleinmut oder Verzweiflung über das verunglückte Unternehmen seiner Freunde
sich der Nahrung enthalten und sei so gestorben, eine Annahme, die die meiste "Wahr-
scheinlichkeit hat. Ein anderer meldet, dafs ihm auf Befehl des Königs die Nahrung
entzogen wurde ; nach einer dritten Version, die indes schon durch die Ähnlichkeit
mit den Berichten über das Ende Thomas von Canterbury etwas verdächtig ist, wurde
er durch den Ritter Pearce Exton, der eine Andeutung des Königs, um dessen Dank
zu verdienen, als Befehl nahm, mit der Axt erschlagen. Sein Leichnam wurde drei
Tage lang in der Paulskirche ausgestellt und dann zuerst in Langley und hierauf in
AVestminster beigesetzt. Aber trotz dieser öffentlichen Schaustellung gab es Leute
x) TJt fertur, ut dicebatur, as some man say, secundum communem famam. S. auch
das Zeugenverhör über Richards Ende in Wylie I, cap. VI.
Tod Richards II. Das Hans Lancäster. Heinrich IV. 539
genug, die an Richards Tod nicht glaubten und das Märchen verbreiteten, nicht er,
sondern ein Teilnehmer an der Verschwörung, der dem Konig ähnlich sah, sei an
seiner Statt beigesetzt worden.
§ 125. Die Anfänge des Hauses Lancäster. Heinrich IV. und
Heinrich V. (1399-1422).
Quellen: Die Akten wie § 123, s. auch Liebermann, DZG-. VIII, 169. Royal
and historical letters during the reign of Henry the IVth, ed. Hingeston. Lond. 1860.
Documents illustrative of academical life and studies at Oxford I. Rolls Series 1868.
Litt. Cant. Rolls Ser. 85. Die meisten darst. Quellen, wie die Annales Richardi, stammen
noch aus der Zeit Richards II, s. § 123. Dazu : Capegrave, The chronicle of England
bis 1417, ed. Hingeston. Rolls Series. Lond. 1858. Liber de illustribus Henricis, ib. 1858.
S. 98—139, s. die Kge.„ Heinrich IV— VI. (Kurze Charakteristik bei Grofs, S. 271—72.)
Enguerrand de Monstrelet, La chronique de . . . 1400 — 1444, ed. Louis Douet d'Arcq.
Soc. de l'Histoire de France. 6 voll. 1857 — 62. Für Heinrich V. kommt noch hinzu :
Titi Livii Foro-Juliensis Vita Henrici V, regis Angliae , ed. Hearne. Oxford 1716 (ge-
schrieben nach 1437 ; Verf. aus Friaul geb., war Mitglied des Kgl. Rates unter Hein-
rich VI). Henrici V Angliae regis gesta, ed. Williams. Ed. Hist. Soc. Lond. 1850 (bis 1416;
die wichtigste Quelle für die ersten vier Jahre von Heinrichs V. Reg.). Thomas de
Elmham, Liber metricus de Henrico V, ed. Cole. Rolls Ser. London 1858. — (Eiusdem)
Vita et gesta Henrici V (prosaice), ed. Hearne. Oxf. 1727. (Die Prosadarstellung ist die
wichtigere.) Versus rhythmici de Henrico V, ed. Cole. London 1858. Historia Henrici V,
Roberto Redmanno auetore, ed. Cole. London 1858. Page, Poem on the siege of Rouen,
ed. Gairdner, Camd. Soc. 1876. Journal d'un bourgeois de Paris 1405 — 49, ed. Alex.
Tuetey. Soc. de l'Hist. de France. Paris 1881. (Andere Ausg. Potth. I, 686.) Le Fevre,
Chronique 1408—35, ed. Morand. Soc. de l'Hist. de France. Paris 1876—81 (wichtig
für Azincourt). Andere Ausg. Potth. I, 715. Antonio Morosini, Chronique, ed. Lefevre-
Pontalis 1899. Wawrin, s. § 128. Juvenal des Ursins, Jean, Histoire de Charles VI,
1380—1422, ed. Buchon, Choix de Chroniques. Paris 1848.
Hilfsschriften: S. darüber auch Liebermann, DZG. III, 183. Für Heinrich IV
Wylie, wie oben. Die Appendices zum 4. Bande enthalten Quellenmaterialien. Für Hein-
rich V: Goodwin, History of the reign of H. V. London 1704 (noch zu brauchen).
Tyler, Henry of Monmouth or the life of Henry V. Lond. 1838. Ewald, Stories
from the State papers. Lond. 1832. Pauli, Aufs. z. engl. Gesch 2 A. 1883. Solly-Flood,
The story of Prince Henry etc Lond. 1886 (R. Hist. Soc. III). Towle, The history of
Henry V, N. York 1866. Kingsford, Henry V. Lond. 1902. Drayton, The Bataille
of Agincourt. Lond. 1893. Für die ganze Lancasterzeit : Brougham, History of Eng-
land under the house of Lancäster. Lond. 1861 (wichtig für Heinr. V. u. VI.) Denton,
England in the 15*h Century. Lond. 1888. Ramsay, Lancäster and York. 2 Bde. Ox-
ford 1892. Pauli V, wie oben. Stubbs, Gneist und Liebermann, wie oben. Gierth-
Die Vermittlungsversuche K. Sigmunds z. Fr. u. Engl. 1416. Halle 1896.
1. Wenige Tage nach seiner Thronbesteigung (6. Oktober) schrieb
Heinrich IV. ein Parlament aus , das eine Anzahl von Verfügungen
Richards II. widerrief und Heinrichs ältesten Sohn zum Thronfolger er-
nannte. Die Bedeutung des Parlamentes wuchs. Da der König mit seiner
Hilfe die Krone errungen hatte und die Anerkennung des Parlaments
sein kräftigster Rechtstitel war , erkannte er auch seine Macht bereit-
willig an, gestattete Freiheit der Wahlen und der Rede, gewährte die
Kontrolle über die Verwendung der bewilligten Gelder, die Aufsicht über
den Hof halt des Königs, über die genaue Beobachtung der Landesgesetze
und Bräuche durch seine Beamten. Fand Heinrich IV. die werk-
tätige Unterstützung der Hierarchie , so wurde nun auch die Stel-
lung des Königtums zur reformatorischen Bewegung in England eine
540 Die Kirchenpolitik des Hauses Lancaster. Verfolgung der Lollarden.
geänderte. War diese während der Zeit der kirchenpolitischen Kämpfe
der Zeiten Eduards III. und Richards II. durch die offene oder versteckte
Gunst der Regierung erstarkt, so stellte die neue Dynastie der Kirche
ihr Schwert zur Verfolgung der Lollarden willig zur Verfügung. So wurde
schon im ersten Regierungsjahre des Königs das berüchtigte Gesetz
de haeretico comburendo erlassen, das die Auslieferung ketzerischer Schriften
zur Pflicht macht und offenkundige Ketzer dem Flammentode preisgibt,
— das erste Gesetz in der englischen Gesetzgebung, das wegen Ketzerei
die Todesstrafe verfügt. Schon im folgenden Jahre fand es seine blutige
Anwendung. Von da an hatte die Inquisition, die man, wie Wiclif
rühmte, bisher in England nicht kannte, auch in diesem Lande Arbeit.
Doch hielt es trotz der vereinten Kraft von Staat und Kirche, die gegen
die Lollarden gebraucht wurde, schwer, die Glaubenseinheit herzustellen.
Zuerst wurden gegen die Reiseprediger, hieraufgegen die Universität Oxford,
wo noch die YViclifsehen Traditionen herrschten , Mafsregeln getroffen,
dann (1408) die Konstitutionen erlassen, von denen der siebente Ar-
tikel die Übersetzung biblischer Texte und Bücher ins
Englische untersagte; endlich schritt man wider die Gönner der
Lollarden im Herrenstande ein, dessen bedeutendster Vertreter Sir John
Oldcastle-Lord Cobham — freilich erst 1417 — verbrannt wurde.
Der Wiclifismus überdauerte auch diese Zeit der Verfolgung, die in der
Zeit der Hussitenkriege eine stärkere wurde; seit dem 16. Jahrhundert
trieb er sogar noch neue Zweige, bis er mit der gröfseren von Deutsch-
land ausgegangenen Bewegung zusammentraf.
2. Trotz der Anerkennung des Parlaments und der Unterstützung
der Hierarchie hatte das Königtum Heinrichs starke Stöfse zu ertragen
und die Krone, an der Blut haftete, gegen unaufhörliche Empörungen
zu verteidigen; es ist indes der stärkste Beweis für Heinrichs Tüchtigkeit,
dafs er ihnen zum Trotz seine Macht behauptete. Zuerst erhoben sich
diePercy; noch 1402 hatte Heinrich, der »Heifssporn«, die Schotten,
die es verschmähten, dem König die Huldigung zu leisten und daher
von diesem bekriegt wurden, aufs Haupt geschlagen (14. September).
Nun wandte er sich selbst gegen den König, als dieser sich weigerte,
den von den Wallisern gefangenen Grafen von March, Percys Schwager,
auszulösen. Im Bunde mit Wallisern und Schotten trat er dem König
entgegen, verlor aber nach tapferem Kampfe bei Shrewsbury Schlacht und
Leben (1403, 21. Juli). Percys Vater, der Graf von Northumberland, wurde
(1404) begnadigt; doch schon im nächsten Jahre brach ein Aufstand zu-
gunsten der Grafen von March aus, an dem aufser Northumberland auch
derErzbischof von York, Richard Scrope, teilnahm. Auch diesmal wurde
der Aufstand unterdrückt; ohne Rücksicht auf seinen geistlichen Stand
ward Scrope enthauptet. Nur Xorthumberland entkam. Die inneren
Kämpfe Englands wurden von den Wallisern, die im englischen Parlament
keine Vertretung besafsen und durch Zwingburgen im Zaume gehalten
wurden, benützt, um ihre Freiheit wieder zu erringen. An ihre Spitze
stellte sich ein Mann guter Herkunft, der Sohn Griffith Vychans
(Vaughans), Owen Lord of Glyndwfrdwy (Glendower); erst die
Aufstünde in England. Kampf gegen die Waliser u. Schotten. Heinrich V. 541
Geschichtschreiber im folgenden Jahrhundert nennen den Namen seiner
Mutter Helene aus dem Geschlecht Llewelins, des letzten Fürsten von
Wales. Er verstand es, die Walliser zum Kampfe gegen England an-
zufeuern und zum Siege zu führen. Heinrich IV. unternahm vier erfolg-
lose Feldzüge gegen Wales ; Glendower zog sich in die unzugänglichen
Bergschluchten seiner Heimat zurück und trieb die Gegner, wenn sie
von Märschen, Wetter und Hunger erschöpft waren, unter schweren Ver-
lusten zurück, und auch die Erfolge des Kronprinzen in offenem Felde
blieben ohne Ergebnis, da die Walliser die Anerkennung Frankreichs
und des Papstes fanden. Erst als sich die Beziehungen zu Frankreich
änderten, wo (1407) Burgund, Englands Bundesgenosse, zu Einflufs ge-
langte, Jakob, der- Erbe des schottischen Reiches, in die Hände der
Engländer gefallen war und Northumberland und seine Gefährten in
einem neuen Aufstand ihr Ende gefunden hatten, gelang es dem Prinzen
von Wales , nach einigen beschwerlichen Feldzügen, des wallisischen
Landes bis zu den Bergschluchten des Snowdon wieder Herr zu werden.
Dort aber hielt sich Glendower bis zu seinem Tode. Seit 1410 war
Heinrichs IV. Macht nicht blofs in England unbestritten, er gewann
auch auf die Partei Verhältnisse in Frankreich und auf Schottland grofsen
Einflufs. Dem Parlamente gegenüber wurde seine Stellung allmählich
eine freiere, und er zögerte nicht, von ihr Gebrauch zu machen. Doch
ging er nicht so weit, dafs er mit dem Parlament in einen offenen
Kampf gekommen wäre. Schwere Sorgen wegen der Zukunft der
Dynastie und der Lebensweise seines Sohnes , dessen staatsmännische
Veranlagung später als die militärische an den Tag kam und dessen
lockeren Streiche, die der grofse englische Dichter verewigte, nicht ganz
in das Bereich dichterischer Erfindung zu verweisen sind, Krankheiten
und Gewissensbisse wegen seines Vorgehens gegen Richard IL machten den
König vor der Zeit alt und hinfällig. Erst 47 Jahre alt, starb er am
20. März 1413. Sein Sohn Heinrich V. (1413—1422) zerstreute gleich
bei Beginn seiner Regierung alle Befürchtungen, die sein bisheriger
Lebenswandel wachgerufen ; sein Regierungsantritt erfolgte , ohne dafs
jemand des besseren Rechtes der Grafen von March an die Krone ge-
dachte. Der Krönung folgte eine Amnestie, die alle politischen Ver-
brecher in sich schlofs. Den Grafen Edmund von March entliefs er der
Haft, den Sohn des Heifssporns half er aus der Gefangenschaft der
Schotten lösen und gab ihm den Titel eines Grafen von Northumberland
zurück. In hochherziger Weise liefs er die Gebeine Richards IL in
Westminster beisetzen. Nur gegen die Lollarden trat er viel schärfer
noch als sein Vater auf. Am wichtigsten schien ihm und der Mehr-
zahl der englischen Edelleute die Wiederaufnahme des Kampfes gegen
Frankreich.
§ 126. Frankreich unter Karl VI. Die Zeit der Regentschaft.
Quellen: Übersichten in Monod, Bibliogr. 220, Lavisse et Eambaud,
Hist. gen. III, 156 — 69, Lavisse-Coville, Hist. de France IV, 1, Pirenne, Biblio-
graphie de l'histoire de Belgique. Bruxell. 1900. — Urkk. : Recueil des Ordonnances
542 Frankreich unter Karl VI.
des rois de France VI et Xu. 1741 — 1777. Douet d'Arcq., Choix de pieces inedites
relatives au regne de Charles VI. Paris 1863 — 64. Denifle, Chartul. univ. Paris. IHetlV.
Paris 1894 — 97. Rymer, Foedera u. Cosneau, wie oben. Stevenson, Letters and
papers illustrative of the wars of the English in France, 1861 — 1864. 3 voll. — Dar-
stellende Quellen: Chronique du religieux de S. Denys 1380 — 1422, ed. Bellaguet.
Coli. d. Doc. med. 6 voll. Paris 1839 — 52. (Xach Moranville ist als Verf. Pierre le
Fruitier, genannt Salmon, anzunehmen.) Übersetzt und vervollständigt von dem Erzb.
von Reims: Juvenal des Lrsins, Hist. de Charles VI 1380—1422, ed. Buchon, Choix
de chroniques IV. Chronique des quatre premiers Valois, ed. Luce. Paris 1862
(bis 1393). Nicolaus de Baye, greffier du Parlem. d. Paris 1400—1417 : Journal ed.
Tuetay. 2 Bde. Paris 1885 — 88. Chronographia reg. Francorum 1270 — 1405. tom III, s oben.
Froissart, wie oben. Enguerrand de Monstrelet, Chronique 1400 — 1440, ed. Douet d'Arcq.
Paris 1857 — 72. (Andere Ausg. bei Potth. I, 792.) Journal d'un bourgeois de Paris
1405—1449, ed. Tuetay. Paris 1881 (s. Potth. I, 686). Chronique du bon duc Loys de
Bourbon 1337 — 1410, ed. Chazaud. Paris 1876. Le Fevre (Lefebure) de S. Remy, Chron.
ou Histoire de Charles VI 1407 — 1435, ed. Morand. Par. 1876. Pierre de Fenin, Memoires
comprenant le recit des evenements . . . sous Charles XI et VII 1407— L422. Wichtig
für die drei letzten Dezennien Karls VI. (rührt nicht v. P. d. F. her), ed. Dupont.
Paris 1837. Memoires ou livre des faits du marechal de Boucicaut (f 1421) 1370 — 1415,
ed. Michaud et Poujoulat. (And. Ausg. Potth. I, 168.) Chronique normande de Pierre
Cochon 1108-1430, ed. Beaurepaire 1870. La chronique du Mont S. Michel 1343—1468,
ed. Luce. Paris 1879—83. Cousinot, Geste des nobles 1380—1429, ed. Vallet de Viri-
ville 1859. Salmon, Memoires, Buchon, Coli. XXV. Wawrin s. § 128.
Hilfsschriften: Aufser den veralteten von L e Laboureur, Histoire de
Charles VI, 1663, Choisy, Hist d Ch. VI, 1695 u. Lussan,H. d. Ch. VI. Paris 1749.
Duval-Pineu, Hist de Frauce sous le regne de Charles VI. Paris 1842. 2 Bde. und
den älteren Gesch. v. Frankreich, wie Schmidt u. a., am besten jetzt Lavisse,
Hist. de France IV, 1. Les premiers Valois et la Guerre de Cent ans (1328 — 1422 par
A. Coville. Paris 1902. (Dort reiche Literaturausgaben, die hier nicht alle vermerkt
werden können Spezialschriften : De Loray, Les freres de Charles V. RQH. XXV.
Mirot, Le duc d'Anjou, Mel. d. histoire 1897. Jarry, La Vie politique de Louis de
France, duc d' Orleans (1372—1408) Par. 1889. V. de Viriville, Assassinat du duc
d'Orleans 1859. Isabeau de Baviere. Paris 1859. Beaucourt, Le Meurtre de Mon-
tereau. Paris 1868. Huillard-Breholles, La rancon du duc de Bourbon, Jean I. Par. 1869.
Kervyn de Lettenhove, Jean sans Peur. Bruxelles 1861. Moranville, Conferences
entre la France et l'Angleterre 1388—1393. BECh. 1889. Mirot, Les Erneutes pari-
siennes de 1380 — 1383. Mem. Soc. H. Par. XXVIII. Portal, Les insurrections des
Tuchins dans les pays de Languedoc. Ann. du Midi IV. Boudet, La Jacquerie des
Tuchins 1895. Pirenne, Gesch. v. Belgien IL Kervyn de Lettenhove, Hist.
de Flandre III. Ashley, James and Philip van Artevelde. 1883. Wrong, The
Crusade of 1383. 1892. Skalweit, Der Kreuzzug des Bischofs von Xorwich gegen
Flandern 1383. Königsb. 1898. (Für diesen Kreuzzug bieten Wiclifs Sermones und
Streitschriften viel Material.) S. auch Circourt in RQH. 1889. E. Meyer, Charles H
roy de Navarre. Paris 1898. F a u c o n , Le mariage de Louis d'Orleans et de Valentine
Visconti. 1882. Cf. BECh. LXI1, dort die Bibliographie über die ital. Arbeiten.) Jarry,
Les Commencements de la domination francaise ä Genes 1897. Coville, Les Cabochiens
et l'Ordonnance de 1413. P. 1888. Heilot, Recit du siege d'Harfleur en 1415. 1881.
Nicolas, History of the battle of Azincourt. Lond. 1833. Köhler, Die Schlacht von
Azincourt, Entstehung d. Kriegsw. II. Dort eine Zusammenstellung der Quellen S. 749.
S auch Gross, The sources etc. p. 501 f. Belleval, Azincourt 1865. Loisne,
La Bat. d' Azincourt. Paris 1898. Lenz, K. Sigismund u. Heinrich V. Berlin 1874.
C ar o , Das Bündnis von Canterbury 1880. Die Bez. zum Orient in Delaville le Roulx 1,159.
Die Bücher zum Schisma s. oben.
1. Den Gefahren der Regierung eines minderjährigen Königs zu
begegnen, hatte Karl V. 1374, als er sich dem Tode nahe glaubte, An-
ordnungen über die Regentschaft hinterlassen. Als ihm nun sein Sohn
Streit um die Regentschaft. Demokr. Bewegung in Flandern u. Frankreich. 543
Karl VI. (1380—1422), der noch nicht 12 Jahre zählte, in der Regierung
folgte, hätte Herzog Ludwig von Anjou als ältester Bruder des Ver-
storbenen die Regentschaft, die Herzoge von Burgund und Bourbon die
Vormundschaft übernehmen sollen. Damit war keiner der Beteiligten
zufrieden, und so kam es zu Streitigkeiten, die noch vor der Krönung
des Königs (4. November) dahin beigelegt wurden, dafs Ludwig die
Regentschaft, die Herzoge von Burgund und Bourbon aufser der Vor-
mundschaft einen ihrer Stellung entsprechenden Einflufs auf die Ver-
waltung und der Herzog von Berry die Würde eines Statthalters in
Languedoc und Guienne erhalten sollte. Trotzdem Karl V. noch auf
dem Sterbelager Erleichterung des Steuerdruckes und Abschaffung ver-
balster Abgaben verheifsen hatte, liefs der Regent, den die Königin
Johanna von Neapel eben zum Nachfolger ernannt hatte, nicht nur die
Steuern in alter Weise forterheben, sondern verwendete sie gleich dem
von Karl V. zurückgelegten Schatze zur Durchführung seiner italienischen
Pläne. So kam es in derselben Zeit, da sich in Flandern und England
die unteren Volksschichten regten, auch in einzelnen Gegenden, vor-
nehmlich im Süden Frankreichs x) und in Paris zu Unruhen ; die Regent-
schaft sah sich gezwungen, die Abschaffung einzelner Auflagen zuzusagen.
Der Volkshafs wandte sich gegen die von Karl V. begünstigten Juden,
deren Häuser zerstört und deren Schuldbriefe vernichtet wurden. Zum
Glück für Frankreich konnte England, das sich in ähnlicher Lage befand,
diese Wirren nicht ausnützen, um so leichter aber ein Waffenstillstand
zwischen beiden Ländern hergestellt werden. Gefährlicher für Frankreich
wurde die demokratische Bewegung in Flandern. Die Bürgerschaften
von Gent und anderen Städten hatten sich gegen die neuen Geld-
forderungen des französisch gesinnten Grafen Ludwig erhoben und die
Genter sich unter die Führung Philipps von Artevelde gestellt, der dem
Grafen vor Brügge eine Niederlage beibrachte (1382, 3. Mai), die Stadt
eroberte und sich als Ruwart von Flandern einen fürstlichen Hof ein-
richtete. Auch in den unteren Schichten Frankreichs wurde die Stimmung
eine erregte. In Paris und Rouen entstanden auf das Gerücht von der
Wiedereinführung der aufgehobenen Steuern unruhige Bewegungen, die
im Februar und März 1382 zum Aufstand der Maillot ins2) führten.
In Rouen wurde die Bewegung leicht unterdrückt, nicht so in Paris.
Da die Unruhen auch im südlichen Frankreich fortdauerten, sah sich
die Regentschaft genötigt, von der Wiedereinführung der Steuern L"m-
gang zu nehmen und eine Amnestie zu erlassen. Nach dem Abzug-
Herzog Ludwigs nach Italien (s. § 93) erlangte Philipp von Burgund,
der Schwiegersohn Ludwigs von Flandern, grofsen Einflufs auf Karl VI.,
den er bewog, dem Grafen von Flandern Hilfe gegen die Genter zu
leisten. Karl VI., angefeuert durch das Beispiel Richards IL, und die
französische Ritterschaft gingen eifrig ans Werk, eine Bewegung nieder-
') Im Süden Frankreichs waren noch in der letzten Zeit Karls V. Marodeurs,
die sog. Tuchins aufgetreten, die sich in der Weise der Kompagnien der früheren
Zeit organisierten.
2) D. h. der »Hammermänner«.
544 Niederlage der Flandrer bei Roosebeke und ihre Folgen.
zudrücken, die ihre Existenz gefährdete, denn schon warteten die Pariser
und andere städtische Körperschaften auf den Sieg der Genter, um selbst
loszuschlagen. Das französische Ritterheer war anfangs November von
Arras aus in Flandern eingebrochen. Bei Roosebeke stellte sich
Artevelde ihm gegenüber. Die Bürgerschaften waren von der Bedeutung
des Augenblicks erfüllt: »Siegen wir morgen, sagte Artevelde, so gebt
nur dem König Gnade, denn er ist noch ein Kind. Die anderen aber
schlagt tot — Herzoge. Grafen und Ritter. Die Gemeinden Frankreichs
sind froh, wenn keiner wiederkehrt!: Am 27. November 1382 kam es
zur Schlacht , die mit einem vollständigen Siege der französisch-
flandrischen Ritterschaft endete. Gegen 26000 Flandrer deckten das
Schlachtfeld. Unter den Erschlagenen war Artevelde. Einzelne Haufen
retteten sich nach Gent, um den Kampf dort fortzusetzen. Die meisten
Städte Flanderns unterwarfen sich. Für die englische Regierung hatte
Gents Niederlage schwere Folgen (s. oben); wohl beeilten sich die Eng-
länder, Hilfe zu senden, und zwar angeblich gegen die Anhänger des
Gegenpapstes, in Wirklichkeit aber zur Herstellung des englischen An-
sehens. Der Krieg dauerte fort, aber der flandrische Kreuzzug des
Bischofs von Xorwich endete kläglich. Der Schlag von Roosebeke wurde
von den Gentern schwer verwunden. Schon das Jahr darauf schlössen sie
mit dem Grafen Frieden. Nach dessen Tode (1384) fiel Flandern an den
Herzog Philipp von Burgund (s. unten), und wenn sich die Genter auch
weigerten, ihm zu huldigen, so war doch ihr Widerstand kein nach-
haltiger. Sie erkannten Philipp als Herrscher an, als dieser ihnen nicht
blofs Amnestie, sondern auch Bestätigung ihrer Freiheiten gewährte
(1385, 18. Dezember). Der Schlag von Roosebeke hatte auch die Pariser
getroffen. König und Adel nutzten ihren Sieg aus, um der demo-
kratischen Bewegung auch in Frankreich Herr zu werden. Als die
Bürgerschaft von Paris, sie hatte 20000 Bewaffnete aufgestellt, dem
König entgegenging, um ihn in die Stadt zu geleiten (1383, 8. Januar),
wurde sie schroff zurückgewiesen. Man hiefs sie auseinandergehen.
Die Tore der Stadt wurden niedergerissen ; dagegen der Bau der Bastille
vollendet und beim Louvre ein Turm gebaut. Die Waffen wurden aus-
geliefert, zahlreiche Verhaftungen angesehener Bürger vorgenommen und
mehr als hundert Personen hingerichtet, unter ihnen der angesehene
siebzigjährige Generaladvokat Jean des Mares, der bisher eine vermittelnde
Tätigkeit zwischen Volk und Königtum eingenommen hatte. Die
städtischen Freiheiten, die Zünfte, die selbstgewähken Behörden, die
Bürgerwehr wurden aufgehoben und die alten Auflagen aufs neue ein-
geführt. Die Verhafteten mufsten ihre Freiheit um Summen erkaufen,
die nicht selten ihren ganzen Wohlstand ausmachten. In ähnlicher Art
wurden die übrigen von der demokratischen Bewegung ergriffenen Städte
behandelt. Schon dachte man daran, die unbeschränkte Besteuerung als
ein Recht des Königs in Anspruch zu nehmen; von einer Berufung der
Reichsstände wurde für lange Zeit Umgang genommen.
2. Unter dem Einflüsse Philipps von Burgund wurde das französische
Königtum in alle Unternehmungen Burgunds verwickelt. Nachdem
Die Marmousets. Wahnsinn des Königs. Parteikämpfe.1 545
Philipp das reiche flandrische Erbe angetreten, stand auch die Erwerbung
Brabants in Aussicht, da die Herzogin, seine Tante, für seine Nachfolge
eintrat. Zur Unterstützung des Herzogs liefs Karl VI. starke Rüstungen
gegen dessen Nebenbuhler, den Herzog von Geldern, vornehmen. Und
so war auch die Vermählung Karls VI. mit Isabella, der Tochter des
Herzogs von Bayern-Hennegau wesentlich erfolgt, um Burgunds Interesse
zu stärken. Erst als Karl von einem erfolglosen Zug gegen Geldern
heimkehrte und die allgemeine Stimmung in Volk und Heer sich gegen
die Herzoge von Burgund und Berry wandte, erklärte der König in
Reims, er sei nun 20 Jahre und könne selbst regieren. Burgund und
Berry wurden entlassen und Männer, die schon seinem Vater erfolgreich
gedient hatten, wie der Connetable Clisson, Montagu, Le Mercier, Bureau
de la Riviere — die grofsen Herren nannten sie ironisch Marmousets —
Fratzen — in die obersten Stellen eingeführt. Sie erfüllten die Regierung
ganz mit ihrem Geiste der Arbeit und Reform, stellten drückende Auf-
lagen ab und nahmen Verbesserungen in der Rechtspflege und Verwaltung
vor. Karl VI. besafs freilich nicht das hohe Pflichtgefühl seines Vaters :
all sein Trachten ging auf Lustbarkeiten und Schaugepränge. Das zügel-
lose Leben untergrub seine Gesundheit; im Jahre 1392 fiel er während
eines Zuges in die Bretagne in Wahnsinn. Die Macht kam wieder in
die Hände der Herzoge von Burgund und Berry, von denen jener bei
Berrys geringer Befähigung die ganze Leitung der Dinge erhielt. ' Die
tüchtigen Räte verloren ihre Stellung und retteten nur mit Mühe ihr
Leben. Der König genas nach einigen Monaten. Da brach — es ist
unsicher, ob durch Zufall oder infolge einer Anstiftung des Herzogs von
Orleans — während eines Maskenfestes, an dem Karl VI. teilnahm, ein
Brand aus; einige Personen starben infolge ihrer Brandwunden, und der
König selbst schwebte in Lebensgefahr (1393, Januar). Dies Ereignis
machte auf ihn einen derartigen Eindruck, dafs er bald wieder in seine
Krankheit verfiel, die nun fast dreiisig Jahre dauerte. Da der König indes
von Zeit zu Zeit helle Augenblicke hatte, wurde keine dauernde Stell-
vertretung geschaffen. Dies hatte zur Folge, dafs die Parteien sich um
die höchste Gewalt im Staate aufs heftigste stritten. — Zum Glück hatte
wenigstens der Krieg mit England ein Ende gefunden; denn der 1388
abgeschlossene und hierauf immer wieder erneuerte Waffenstillstand
wurde 1396 auf 20 Jahre verlängert. Die Waffenruhe England gegen-
über bewog die französische Ritterschaft auf die Bitten der Genuesen
hin, die Seeräuber von Tunis zu züchtigen (1390), Indem sich Genua
dem König von Frankreich unterwarf (1396), gewann er eine mächtige
Stellung in Oberitalien, die um so stärker war, als sich des Königs
Bruder, Herzog Ludwig von Orleans, mit Valentine, der Tochter Galeazzo
Viscontis, vermählt hatte. Der Sturz Richards IL und die Haltung des
Herzogs von Orleans England gegenüber, liefs es freilich zu keinem
dauernden Friedensstand kommen.
3. Nach der zweiten Erkrankung des Königs hatte eine von Burgund
einberufene Versammlung von Prälaten, Herren und Städte Vertretern die
Verwaltung des Reiches mit LTmgehung Ludwigs von Orleans den Her-
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. ob
540 Johann von Burgund und Ludwig von Orleans. Ermordung Ludwigs.
zogen von Burgund und Berry übertragen. Nun verlangte Orleans
Anteil am Regiment. Schon 1401 stieg die Eifersucht zwischen ihm
und Burgund auf einen bedenklichen Grad. In politischen und kirch-
lichen Fragen waren beide erbitterte Gegner: suchte Burgund Flanderns
wegen Anschlufs an England, so trat ihm Orleans entgegen; war die
burgundische Politik auf die Zession der beiden Päpste gerichtet, so
hielt sich dieser an Benedikt XIII. Schlimmer wurden die Dinge, als
Philipps Sohn, Johann, den seine Waffengefährten im Kampfe gegen
die Ungläubigen den »Unerschrockenen« nannten, Haupt des burgun-
dischen Hauses wurde '(1404) und nicht blofs über das Ländergebiet
seines Vaters, sondern auch das seiner Mutter gebot und zudem noch
zu den benachbarten Dynastenhäusern von Brabant und Hennegau,
Limburg und Holland in verwandtschaftlichen Beziehungen stand, die
einen Anfall dieser Länder erwarten liefsen. Es war eine königliche
Macht, die sich hier zwischen Frankreich und Deutschland bildete. Seine
weitausgedehnten Verbindungen boten ihm die Mittel, seine Politik in
kraftvoller Weise durchzuführen. Konnte sich mit der äufseren Macht
Burgunds die Ludwigs von Orleans nicht messen, so war doch auch sie
bedeutend genug, da ihm der König, sein Bruder, hohe Amter und
Besitzungen, vor allem das Herzogtum Orleans (1391) übertragen und er
selbst aus dem Brautschatz seiner Gemahlin, der reichen und schönen
Valentine Visconti, die Grafschaft Blois erkauft hatte. Beide Neben-
buhler bildeten auch sonst nach Erscheinung und Charakterbildung einen
völligen Gegensatz : vor dem Herzog von Orleans, einer ritterlichen
Gestalt von gewinnendem Wesen, gewandtem Auftreten, einem Freund
der Dichter und Sänger, trat der Burgunder in den Hintergrund, ein
Mann von kleinem Wüchse, schwerfälliger Haltung, unbeholfener Rede
und mürrischem Wesen. Verprafste jener die dem Volke abgedrückten
Steuern bei Festen und Gelagen, trat er dem aufstrebenden Bürgertum
entgegen, so war dieser überhaupt mehr Flamänder als Franzose, ein
Freund der Bürger, und stemmte sich gegen die neue unter dem Vor-
wand der englischen Gefahr geforderte Besteuerung. Die Königin und
der Herzog von Orleans verliefsen, um einem Ausbruch der allgemeinen
Mifsstimmung zu entgehen, Paris, wogegen Johann den Staatsrat ver-
sammelte und in seinem und seiner Brüder Namen eine Anklage gegen
die bisherige Verwaltung des Reiches verlesen liefs. Schon rüsteten sich
die Rivalen zum Kampfe, und wenn sie sich auch angesichts des eng-
lischen Krieges noch einmal einigten, so brach doch der Gegensatz
noch während des Krieges wieder hervor und brachte den Herzog Johann
zu dem Entschlufs, seinen Gegner zu ermorden. Der Mord wurde am
23. November 1407 vollzogen. Die Bevölkerung von Paris nahm die
Nachricht mit Gleichgültigkeit, ja selbst mit Freude auf. Herzog Johann
entfloh nach Flandern, und die Witwe des Ermordeten bemühte sich
umsonst, Bestrafung des Mordes, dessen Urheberschaft nicht lange ver-
borgen blieb, zu erlangen. Es gelang dem Burgunder, sich des Bei-
standes der flandrischen Städte zu versichern. Als er nach Paris
zurückkehrte, wurde er mit Jubel begrüfst, und die Universität stellte
Petita Lehre vom Tyrannen mord. Bernhard v. Armagnac. I). Cabochiens. 547
sich so nachdrücklich auf seine Seite, dafs Jean Petit (s. § 120) seine
Lehre vom Tyrannenmord in einer Notablen Versammlung vortragen,
durfte. Während Johann die Verzeihung des Königs erhielt, entflohen
die Königin und der Dauphin nach Melun, und erst als sich Johann
gegen die Lütticher wandte, die ihren Bischof vertrieben hatten, ermannte
sich die Gegenpartei, und die Königin kehrte mit ihrem Anhang nach
Paris zurück. Eine zweite Notablenversammlung erklärte nunmehr Petits
Lehre als ketzerisch, und Herzog Johann wurde verhalten, dem Hause
Orleans Genugtuung zu geben. Nachdem aber jener die Lütticher
besiegt hatte, entsank seinen Gegnern am Hofe der Mut. Der König
begab sich nach Tours, und Herzog Johann hielt einen glänzenden
Einzug in Paris. Valentine von Orleans starb eines frühen Todes (1408) ;
ihr ältester Sohn zählte erst 18 Jahre, und die übrigen Prinzen wagten
nicht, für seine Sache offen einzutreten. Unter der Vermittlung des
Grafen von Hennegau kam es zu einem Vergleich : Johann bat wegen
des »für das Wohl des Reiches und Königs« begangenen Mordes um
Verzeihung, und die Söhne des Ermordeten schwuren, ihren Unwillen
gegen Johann aufzugeben.
4. Die Vorteile des Ausgleiches lagen ganz auf Burgunds Seite.
Indem er einzelne Mifsbräuche in der Verwaltung beseitigte, den Parisern
die 1383 verlorenen Rechte zurückgab, gewann er die Bürger für sich,
und als sich noch Karl III. von Navarra (1387 — 1425) mit ihm ver-
bündete und ihm die Erziehung des Dauphins überlassen wurde, waren
seine Machtbefugnisse aufserordentlich gesteigert, und er säumte nicht,
sie auszunützen. Daher schlössen die Herzoge von Berry, Bourbon und
für eine Zeit auch Bretagne mit Orleans den Bund von Gien (1410, April);
die Seele des Bundes war Graf Bernhard von Armagnac, der seine
Herkunft von den aquitanischen Herzogen der Merowingerzeit ableitete
und dessen Kriegsscharen — die Armagnacs — aus den abgehärteten
Gebirgsbewohnern des baskischen Landes genommen wurden. In dem
Kriege, der nunmehr ausbrach, traten nicht nur die Gegensätze zwischen
Süd und Nord, sondern auch die zwischen Ritter- und Bürgertum in
die Erscheinung. Im Süden hatten die Armagnacs, im Norden die
Bourguignons, dort, wo das feudale Wesen in alter Kraft bestand, das
Rittertum, hier, wo sich das Bürgertum kräftig entwickelte, die Kom-
munen das Übergewicht. Der Bürgerkrieg begann mit allen Schrecken
eines solchen. Wohl führte die allgemeine Not dazu, dafs auf den Vor-
schlag der Pariser Universität zu Bicetre (1410, 2. November) ein
Vergleich geschlossen wurde, doch brach der Kampf schon im folgenden
Jahre wieder aus. Die Pariser Zünfte, vor allem die Fleischer, stellten
sich auf die Seite Burgnnds, dessen Anhänger als Kennzeichen die rote
Binde mit dem weifsen burgundischen Andreaskreuz trugen. Unter
Führung des Fleischers Legoix, des Tierabhäuters Caboche, nach
Avelchem die ganze Partei Cabochiens genannt wurde, und des volks-
tümlichen Redners Johanns von Troyes, eines Chirurgen, rissen die
Handwerker das Regiment an sich und verfolgten, mordeten oder
plünderten die Armagnacs und die vermögenden Bürger, die nicht
35*
548 Armagnac u. England. D. Stände von 1413. D. Regiment der Cabochiens.
geneigt waren, sich einer Partei anzuschliefsen. Im Herbst 1411 stand
Burgund an der Spitze eines mächtigen Heeres ; als er aber zu einem
entscheidenden Schlage wider die Gegner ausholen wollte, war die Dienst-
zeit seines flandrischen Bürgerheeres abgelaufen und Johann gezwungen,
die Umgebung von Paris preiszugeben, die nun von den Armagnacs
verwüstet wurde. Um so freudiger begrüfsten die Pariser den Herzog,
als er im Oktober seinen Einzug in die Stadt hielt. Nun erhielten sie
den Rest ihrer 1383 verlorenen Freiheiten wieder.
5. Um sich gegen die burgundische Partei zu behaupten, schlössen
die Orleanisten mit Heinrich IV. von England das Bündnis von Bourges
(1412, 18. Mai) und sicherten ihm gegen das Versprechen, ihnen wider
Burgund beizustehen, die Wiedererwerbung Aquitaniens zu. Ein Sturm
der Entrüstung erhob sich auf die Kunde von der Verbindung fran-
zösischer Grofsen mit dem Reichsfeinde. Den Landesverrätern wurde
ihr Besitz abgesprochen, der König selbst stellte sich an die Spitze eines
Heeres und belagerte Bourges, den Stützpunkt der Armagnacs. Die Be-
lagerung zog sich in die Länge, indes die Engländer auf der Halbinsel
Cotentin landeten und von Calais aus in das französische Gebiet ein-
fielen. Schliefslich führte Geldmangel und Erschöpfung auf beiden Seiten
zu dem V ertrag von Auxerre (22. August), der freilich so wenig wie die
früheren Verträge den gegenseitigen Hafs der Parteien beseitigte. Die
allgemeine Not brachte den Staatsrat dazu, die Reichsstände zu berufen.
Sie traten nach 30 jähriger Unterbrechung am 30. Januar 1413 in Paris
zusammen. Lebhafte Klagen ertönten über den Steuerdruck und die
Mifsbräuche in der Verwaltung. Am lautesten liefs sich die Universität
vernehmen. Eine Untersuchungskommission wurde mit der Aufgabe
betraut, die Mifsbräuche abzuschaffen. Von den Finanzbeamten wurden
einzelne verhaftet und ihr Gut mit Beschlag belegt. Andere entzogen
sich der Bestrafung durch die Flucht. Der Herzog von Burgund war
mit diesen Mafsregeln einverstanden. Um so höher stieg er in der Volks-
gunst. Seine Macht zu brechen und die Gewalt in die eigenen Hände
zu nehmen, knüpfte der Dauphin Verbindungen mit dem Herzog von
Orleans und andern Gegnern Burgunds an, und es gelang ihm, die
Bastille zu besetzen. Da erhoben sich die Cabochiens für Burgund,
setzten sich in den Besitz der Bastille und begannen ihr blutiges
Regiment. Der Dauphin wurde gezwungen, die »Verräter«, die ihn zu
einem ungezügelten Leben verführen, auszuliefern, das flandrische Ab-
zeichen zu tragen und eine Reformordonnanz für die ganze Staats-
verwaltung zu erlassen. Alle Anhänger des Hauses Orleans schwebten
in Lebensgefahr. Gerson rettete sich mit Mühe. Aber bald lehnten sich
die angeseheneren Bürger gegen den Terrorismus auf, scharten sich um
den Dauphin und traten unter die Waffen, um sie gegen die Feinde des
Friedens zu wenden. Die Universität zerrifs ihr Bündnis mit dem Volke,
und die Armagnacs nahmen eine drohende Haltung ein. Die Cabochiens
waren jedoch nicht geneigt einzulenken. Zum Glück fand der König
im kritischen Augenblick seine Gesundheit wieder, und so kam es trotz
der drohenden Haltung der Cabochiens am 28. Juli 1413 zu Pontoise
Zurückdrängung Burgunds. Der Vertrag v. Anas. Die Pläne Heinrichs V. 549
zu einem Vertrag, welcher ihrer bisherigen Herrschaft ein Ende machte.
Die Verhafteten wurden in Freiheit gesetzt, die Parteinamen Armagnac
und Bourgitignon untersagt und den Parisern verboten, sich ohne Geheifs
der Befehlshaber der Bürgermiliz zu versammeln. Die Abzeichen des
Hauses Burgund verschwanden, der Herzog selbst verliefs die Stadt, und
acht Tage später hielten seine Gegner ihren Einzug. An die Stelle des
roten trat der weifse Schrecken. Die meisten Cabochiens entkamen in
die burgundischen Lande ; über die Zurückgebliebenen wurde blutiges
Gericht gehalten und die Reformordonnanz zurückgezogen. Johann von
Burgund zog, um den Dauphin aus der Gewalt der Armagnacs zu be-
freien,, vor Paris; aber die Tore blieben geschlossen. Die Bürgerschaft
wagte keine Erhebung, ja der König und der Dauphin begannen nun
selbst den Krieg gegen Burgund ; um aber dessen Gegner nicht allzusehr
erstarken zu lassen, gewährten sie ihm im Vertrag von Arras Verzeihung
(1414, 4. September). Zu wahrhafter Versöhnung kam es aber auch diesmal
nicht. Beide Parteien standen in Erbitterung einander gegenüber, des
Augenblicks gewärtig, wo sie wieder zu den Waffen greifen könnten.
§ 127. Der Erol>erungszug Heinrichs V. von England.
1. Wachsamen Auges folgte Heinrich V. den Vorgängen in Frank-
reich. Während Karl VI. an ihm einen Retter zu finden vermeinte und
Heinrich in der Tat nicht nur den Waffenstillstand von einer Frist zur
andern verlängerte, sondern auch die Absicht kundgab , sich mit Karls
jüngster Tochter Katharina zu vermählen und so dessen Erwartung zu
unterstützen schien, war er fest entschlossen, seine Ansprüche auf die
französische Krone geltend zu machen. Kriegerische Erfolge sollten die
Usurpation des englischen Thrones durch das Haus Lancaster vergessen
machen. Die Verhältnisse lagen für England günstiger als je , denn
Herzog Johann, aus seiner herrschenden Stellung gedrängt, war geneigt,
sich, wie vordem die Armagnacs, auf Englands Seite zu schlagen. Am
23. Mai 1414 wurde ein Schutz- und Trutzbündnis zwischen England und
Burgund abgeschlossen. Nun erst trat Heinrich mit seinen Plänen
hervor. Nachdem seine erste Forderung, ihm ganz Frankreich ab-
zutreten, ebenso wie die zweite, ihm die Souveränität über Bretagne und
Flandern, dann die im Vertrag von Bretigny abgetretenen Provinzen
zu überlassen, zurückgewiesen worden war, und Frankreich — auch ein
Zeichen seiner Schwäche — sich nur zur Herausgabe eines Teiles von
Aquitanien und zur Zahlung einer Mitgift von 850000 Franken bereit
erklärt hatte, begann Heinrich seine Rüstungen. Ganz England war für
das Unternehmen, der Klerus wegen der ketzerfeindlichen Haltung des
Hauses Lancaster und Adel und Bürgerschaften in der Erinnerung an
die glänzenden Zeiten Eduards III. zu Opfern bereit. Im übrigen
entbehrten Heinrichs Ansprüche der rechtlichen Grundlage, da sich
höchstens Mortimer auf das. Erbfolgegesetz, das für Eduard III. mass-
gebend war, berufen konnte. Die Rechtsfrage trat denn auch in den
Hintergrund. Ein Heer, wie es England seit 50 Jahren nicht mehr
gesehen, wurde ausgerüstet: 30000 Reiter, darunter 6000 Ritter. Am
550 Eroberung Harfleurs. Sehlacht bei Azincourt.
11. August 1415 lief die Flotte von Southarnpton aus und gelangte nach
dreitägiger Fahrt in die Nähe von Harfleur, dem damaligen Hafen von
Paris. Die Eroberung Harfleurs (22. September) war die erste Waffen-
tat Heinrichs in diesem Kriege. Da sein Heer durch Krankheiten fast
die Hälfte eingebüfst hatte, hielt der Kriegsrat die Rückkehr für geboten,
aber Heinrich beschlofs , mit seiner durch die Zurücklassung einer
Besatzung in Harfleur noch geschwächten Kriegsmacht einen Zug durch
feindliches Gebiet bis Calais zu unternehmen.
2. Erst als der Verlust Harfleurs schon entschieden war , hatte
Karl VI. das Aufgebot des Adels erlassen. Der Dauphin Ludwig war
zum Generalkapitän des gesamten Kriegswesens ernannt und die Herzoge
von Orleans und Burgund aufgefordert worden , ihre Leute zu stellen,
ohne selbst zu erscheinen. Jener fand sich jedoch persönlich mit seiner
ganzen Macht ein, Burgund verbot dagegen seinen Vasallen, ohne seinen
Befehl zum Heere zu stofsen , konnte aber nicht hindern, dafs ein Teil
seiner Truppen, selbst seine Brüder, unter französischer Fahne fochten.
Die Städte hatten Geschütze und Wurfmaschinen zu liefern. Der innere
Zwist kam selbst in der Stunde der Gefahr nicht zum Schweigen. Das
Anerbieten von Paris, 6000 Schwerbewaffnete zu stellen, wurde wohl im
Hinblick auf seine burgundischen Sympathien abgewiesen. Das fran-
zösische Heer, das sich in der Stärke von 100000 Mann bei Rouen
sammelte, marschierte an die Somme, um den Engländern den Über-
gang streitig zu machen. Diese waren am 8. Oktober von Harfleur auf-
gebrochen, hatten mit Mühe — denn die Übergänge waren meist stark
besetzt — unterhalb Harn die Somme übersetzt und waren dann un-
belästigt bis Maisoncelle gelangt. Das Heer der Franzosen, dessen
Führung dem Dauphin nicht überlassen wurde , wuchs immer stärker
an. Am 24. Oktober erreichte es Azincourt. Bei der Übermacht, die
es hatte, machte Heinrich auf Grund des Besitzstandes vor dem Kriege
Friedensanerbietungen, wurde aber abgewiesen. So kam es am Morgen
des 25. Oktober bei Azincourt zur Schlacht1), die nach dreistündigem
harten Ringen durch die trefflichen Vorkehrungen Heinrichs V. und die
tapfere Haltung der englischen Bogenschützen gewonnen wurde. Der
Verlust der Engländer war aufs er ordentlich gering ; bei den Franzosen
belief sich allein die Zahl der getöteten Adeligen auf mehr als 5000.
Unter den Gefangenen befanden sich die Herzoge von Orleans und
Bourbon. Im allgemeinen war der Sieg der Engländer bei Azincourt
ein gröfserer als bei Crecy, weil die Ungleichheit der Heere eine gröfsere
war, das unmittelbare Ergebnis aber ein geringeres, weil den Engländern
die Kräfte fehlten, ihren Sieg auszunützen. Heinrich V. kehrte nach
England zurück und hielt am 23. November einen glänzenden Einzug
in London.
3. Selbst die Schmach von Azincourt vermochte den Parteihafs der
Franzosen nicht auszurotten. Die Bourgui'gnons freuten sich der Nieder-
lage der Armagnacs, und mit Herzog Johann kehrten auch die Cabochiens
l) Die Einzelheiten s. bei Köhler, S. 760.
Armagnac in Paris. Friedensvermittlung Sigmunds. Bündnis v. Canterbiiry. 551
wieder nach Paris zurück. Noch aussichtsvoller gestalteten sich die Aus-
sichten des Burgunders nach dem Tode des Dauphins , dessen Bruder,
der nunmehrige Dauphin Johann, selbst zu seinen Anhängern zählte.
Der Graf von Armagnac hatte inzwischen die Trümmer seiner Partei
gesammelt, Paris und die festen Plätze an der Seine besetzt, liefs sich
die Würde eines Connetable, des Generalgouverneurs der Finanzen und
Generalkapitäns aller Festungen übertragen und befestigte seine Macht
so, dafs Herzog Johann zur Rückehr nach Flandern genötigt wurde
(1416, Januar), wodurch er seine Anhänger in Paris preisgab. Armagnac
richtete ein förmliches Schreckensregiment auf. Die Pariser mufsten
ihre Waffen abliefern, zahlreiche Personen wurden verhaftet oder ver-
bannt. Vergebens bemühte sich König Sigmund auf seiner Fahrt zu
Benedikt XIII. und dem König von Aragonien, einen Frieden zwischen
England und Frankreich zu vermitteln. Wohl schickte dieses Gesandte
nach England , verwarf aber die Friedensbedingungen Heinrichs : den
Besitzstand des Friedens von Bretigny und die Abtretung Harfleurs. Die
Zerrüttung in Frankreich stieg immer höher. Da Herzog Johann von
Burgund des Dauphins sicher war, zögerte er, sich an England anzu-
sehliefsen; als aber der Dauphin starb und seine Rechte auf Karl von
Touraine , den jüngsten Sohn Karls VI., übergingen, der ganz unter
Armagnacs Einflufs stand, wurde die Lage eine andere. Zunächst begann
der Krieg von neuem, aber die von Armagnac versuchte Wiedereroberung
von Harfleur mifslang, nachdem die genuesische, im Dienste Frankreichs
stehende Flotte von der englischen unter Bedford bei Honfleur besiegt
worden war (1416, 15. August). Erbittert über das Scheitern der Friedens-
verhandlungen, schlofs Sigmund am Tage von Honfleur mit Heinrich V.
das Bündnis von Canterbury, das freilich an den bestehenden Ver-
hältnissen ebensowenig änderte, wie der Kongrefs von Calais, wo noch-
mals Friedensversuche gemacht wurden. Die Franzosen lohnten Sig-
munds Mühe mit der Zumutung, »die englische Ländergier durch Ab-
tretung eines Teiles vom deutschen Reichsland zu sättigen«. Burgund
trat nun ganz auf Englands Seite. Heinrich V., der am 1. August 1417 in
Harfleur gelandet war, errang einen Erfolg nach dem andern. Die Bretagne
ging zu ihm über, Anjou und Maine erklärten sich neutral; im Früh-
jahre 1419 befand sich die niedere Normandie, deren Bewohner durch
Steuernachlässe und milde Behandlung für die neue Herrschaft gewonnen
wurden, in englischem Besitz. Ausgleichsversuche unter den französischen
Parteien scheiterten an Armagnacs Leidenschaftlichkeit, worauf sich
auch die Mittelklasse in Paris an Burgund anschlofs. Paris wurde
den burgundischen Truppen geöffnet (1418, 29. Mai) und der Schauplatz
einer wilden Pöbelherrschaft, der Armagnac selbst zum Opfer fiel. Ver-
geblich suchte nun Johann von Burgund den Dauphin zum Frieden zu
bewegen. Es gab jetzt zwei Regierungen : die eine unter der mit ihrem
Sohn entzweiten Königin und dem Herzog Johann zu Paris, die andere
unter dem Dauphin zu Bourges. Die Engländer eroberten Cherbourg,
dann nach sechsmonatlicher Belagerung das heldenmütig verteidigte
Rouen (1419, 19. Januar), das nun nach 215 jähriger Unterbrechung
552 Fortschritte d. Engländer. Ermordung Johanns v. Burgund. Philipp d. Gute.
wieder in ihre Hände kam. Da Heinrich V. als Preis des Friedens zu
den Bedingungen von Bretigny noch Maine, Touraine, Anjou und die
Lehenshoheit über Bretagne begehrte — Forderungen, die keine fran-
zösiche Partei zugestehen konnte — , blieb die Zusammenkunft, die er
am 30. Mai 1419 bei Pontoise mit der Königin Isabeau hatte, ohne das
gewünschte Ergebnis; aber Heinrich V. stiefs durch seine Mafslosigkeit
den Herzog Johann ab, der es nun vorzog, sich mit dem Dauphin aus-
zugleichen. Eine erste Zusammenkunft bei Melun (7. Juli) blieb aller-
dings erfolglos. Besser gelang es bei einer zweiten vier Tage später.
Beide versprachen , zur Vertreibung der Engländer zusammenzuwirken.
Am 19. Juli bestätigte Karl VI. den Vertrag. Am 10. September 1419
fand eine abermalige Zusammenkunft an der Yonnebrücke zu Montereau
statt. Hier hatte der Burgunder heftige Worte wegen Verhandlungen zu
hören , die er in der Zwischenzeit mit den Engländern geführt hatte.
Im Streite, der sich hierüber entspann, fiel Herzog Johann von mehreren
Schwertstichen getroffen; das Ereignis vollzog sich so rasch, dafs keiner
der Anwesenden den näheren Vorgang zu schildern vermochte. Die
Burgunder beschuldigten den Dauphin der Hinterlist; aber dessen Ab-
sicht, den Herzog zu töten , ist nicht wahrscheinlich. Der Vorgang er-
innert an den Mord von 1407. Damals begann der Bürgerkrieg, jetzt
wurde Burgund ganz auf die Seite Englands gedrängt.
4. Der Sohn des Ermordeten, Philipp der Gute, erkannte nun-
mehr im Vertrag von Arras Heinrich V. als König von Frankreich an.
Die Prinzessin Katharina sollte mit Heinrich vermählt werden, und dieser
nach Karls VI. Tode auch in Frankreich nachfolgen. Im Mai 1420
wurde zu Troyes die Verlobung, im Juni die Hochzeit gefeiert. In jedem
der beiden Reiche sollten die alten Gesetze in Geltung bleiben. Ein
grofser Teil der Franzosen war damit einverstanden. Nicht wenige be-
ruhigten sich bei dem Gedanken, dafs nun auch die abgetrennten Teile
Frankreichs mit diesem — wenn auch unter einer anderen Dynastie —
wieder verbunden und, wie in England, auch in Frankreich das stän-
dische Leben gefördert würde. Nach dem Hochzeitsfeste setzte Heinrich V.
seinen Eroberungszug fort. An der Seite Karls VI. hielt er seinen Ein-
zug in Paris (1420, Dezember). Die Reichsstände traten der Verein-
barung von Troyes bei. Der Dauphin wurde der Mitschuld an der Er-
mordung Herzog Johanns angeklagt und, da er nicht zur Verantwortung
erschien, der Nachfolge verlustig erklärt. Aber diese Vorgänge hatten
das Nationalgefühl der Franzosen mächtig erregt; es gelang dem Dauphin,
im Süden einige Vorteile zu erringen. Eine Niederlage des Herzogs von
Clarence bewog Heinrich V. , abermals ins Feld zu rücken, und wieder
errang er grofse Erfolge. Ganz Frankreich nordwärts von der Loire
gehorchte seinen Befehlen. Sein Glück schien vollständig, als ihm seine
Gemahlin am 6. Dezember 1421 einen Sohn gebar. Schon waren aber
die Tage des Königs gezählt. Nachdem er die Erziehung seines Sohnes
seinem Oheim Warwik und dem Grafen von Huntington anvertraut, die
Regentschaft in Frankreich und der Normandie seinem Bruder Bedford,
die von England dem zweiten Bruder Glocester übergeben hatte, starb
Höhepunkt d. Macht Heinrichs V. Sein Tod. Das Ende Karls VI. 553
er — erst 35 Jahre alt — am 31. August 1422. Heinrich V. hatte wie
kaum ein zweiter König Englands die Würde seines Königtums zu
wahren verstanden. Er besafs weder Günstlinge, noch liefs er sich eine
Ungerechtigkeit zu Schulden kommen. Streng gegen die Grofsen, leut-
selig gegen die Niedrigen, war er einer der letzten Könige Europas, die
noch im Ernst an einen Kreuzzug dachten. Eine Chronik von Jerusalem
und die Geschichte Gottfrieds von Bouillon gehörten zu seinen Lieblings-
büchern. Wenige Monatenach Heinrich V. starb Karl VI. Kein französischer
Prinz wohnte seinem Leichenbegängnis bei. Ein Herold rief aus : Gott
schenke ein langes Leben Heinrich (VI.), dem König von Frankreich
und England!
§ 128. Karl YIL, „König von Bourges".
Quellen: S. die Einleitung zu Du Fresne de Beaucourt, Hist. de Charles VII.
Lavisse-Petit-Dutaillis IV, 2. Potthast II, 1707. Urkk. und Ordonnanzen, Ver-
träge etc., wie oben. S. die Einleitung zur Chronique du Mont S. Michel, ed. S. Luce.
Paris 1879. Stevenson, Letters and papers, illustrative of the wars of the English in
France. 1861 — 64. Guerin, Documents concernant le Poitou. 1896 — 98. Soyer, Actes
de Charles VII. 1898. De Beaucourt, Lettres of Richemont, R. Hist. Xobil. 1892.
Charles VII, Lettres sur la reduction de la ville de Troyes ap. Camusat Mel. hist.
S. auch Thomas, Les Etats provinciaux de France centrale. 1879. Tuetay, s unten.
Documents sur 1'administration financiere en France de Charles VII ä Francois I
(1443 — 1523), p. p. G. Jacqueton. Zu den Kriegen Karls VII. gegen Engl, s, noch Grofs,
The sources and literature of English history p. 370 Nr. 2115, 2116, 2118, 2120
und 2121. Ergänz, s. in Lavisse IV, 2 zu den einzelnen Kapp. Darstellende
Werke: S. § 126: Monstrelet, La Fevre, Cochon, Journal d'un bourgeois. Dazu:
Basin, Hist. de rebus a Carolo VII et Ludov. XI, gestis, Paris 1854 — 59. Leseur,
Chronique franc., Paris 1893. Chroniques d'Esquerrier et Miegeville. 1895. Morosini,
tom. H, III, ed. Dorez et Lefevre-Pontalis. Chroniques de Guillaume I Cousinot et de
Cousinot II, dans Vallet de Viriville, Chron. de la Pucelle, 1859 (s. Potth. I, 310).
Guillaume Gruel, Chronique d' Arthur de Richemont 1393 — 1458, ed. Le Vavasseur 1890.
Berry, Les Croniques du feu roi Charles VII. Par. 1528. Le recouvrement de Normendie
1449 — 50 in Stevensons Xarratives, s. unten. Chartier, Hist. ou Chronique de Ch. VII.
Par. 1858—59. Ecouchy, Hist. d'une partie du regne de Charles VII, ed. Beaucourt 1863.
Taverne, Journal de la paix d'Arras, ed. Collart. Par. 1651. Olivier de laMarchei Memoires
1435 — 1492 (wichtig für die Gesch. Burgunds), Buchon, Choix de chron. VII. Jean
de Bueil, Le Jouvencel (Quelle ersten Ranges f. d. Kriegsgesch. unter Karl VH, siehe
Molinier, DZG. III, 154), ed. Favre et Lecestre. Par. 1887 — 89. Chastelain, Chronique des
ducs de Bourgogne 1419 — 74, ed. Kervyn de Lettenhove. Bruxelles 1863 — 66. Jehan
de Wawrin, Anchiennes cronicques d'Engleterre (bis 1471), ed. Dupont. Par. 1858 — 59.
Unter dem Titel Rec. des cronicques et anchiennes istories v. Hardy in den Rolls Ser.
5 Bde. Lond. 1868 ff. Xarratives of the expulsion of the English from Xormandie, ed.
Stevenson. R. S. XXXII. Martial d'Auvergne, Les Vigiles du feu roy Charles VII.
Par. 1724. Humbertus de Montmoret, Bellorum Brit. a Carolo VH gest. I pars Paris 1512.
Memoires sur Jacques Coeur et actes de son proces. Buchon Coli. XL. Saint-Gelais,
Le Vergier d'honneur. Paris 1526. Memoires de Florent, MichaudetPoujoulat, Xouv.coll.in.
Hilfsschriften: S. Luce, La France pendant etc , wie oben. Hauptwerk:
G. du Fresne de Beaucourt, Hist. de Charles VH. 6 Bde. Paris 1881—91.
Vallet de Viriville, H. d. Ch. VII. Paris 1862. (S. Ch. Pe ti t-D u taillis, Hist.
politique de la France au XlVe et au XVe siecle. 1902.) Longnon, Etendue de la
domination anglaise ä l'epoque de Jeanne d'Arc. RQH. XVIII (s. Lavisse IV, 2, 3).
Denifle, wie oben. Beaurepaire, Les Etats de Xormandie sous la domination
554 John Bedford und Karl VII.
anglaise. 1859. Cosneau, Le connetable de Richeniont. 1886. Flourac, Jean Ier
comte de Foix. 1884. De Beaucourt, Le caractere de Charles VLT. RQH. IX. Vallet
de Yiriville, Recherches sur Agnes Sorel. BECh. 1850 und Agnes Sorel, Etüde
morale et politique sur le XVe siede. Paris 1855. Perrens, La Democratie en France
au moyen-age. 1876. Neuville, Le Parlement royal ä Poitiers 1418 — 1439. RH. VI.
Picot, Hist. des Etats generaux. 1889. Tuetay, Les Iilcorcheurs sous Charles VII,
wie oben. Ramsay, Lancaster and York. 1892. Clement, Jacques Coeur et
Charles VII. Par. 1865. (Die restl. Lit. s. in Lavisse IV, 2.) Thomas, Les Etats
provinciaux de la France sous Charles VII. RH. X, XL Jarry, Les origines de la
domination franc. ä Genes. Par. 1896.
1. Mit kräftiger Hand führte John von Bedford für Hein-
rich VI. die Regentschaft in Frankreich. Er hatte alle Talente seines
königlichen Bruders : kraftvolle Initiative , Ausdauer , politische und
militärische Veranlagung, dazu noch, was diesem gefehlt hatte: milden
Sinn und feines Auftreten. Es gelang ihm denn auch, seinem Neffen
in einem grofsen Teil von Frankreich Anerkennung zu verschaffen. In
England machte Glocester den Versuch, an die Spitze der Verwaltung
zu gelangen ; das Parlament stiefs Heinrichs letztwillige Verfügung um :
es ernannte Glocester zum Protektor, doch nur für die Zeit, als Bed-
ford in Frankreich verweilte. Dort hielt die Mehrheit des Volkes zu
Karl VII. (1422 — 1461), der sich, da Reims in den Händen der
Feinde war, in Poitiers zum König krönen liefs. Seinen Sitz nahm
er in Bourges, weshalb Spottsucht ihn »König von Bourges« nannte.
Ein Mann, dessen gute Seiten erst in späteren Jahren zur Geltung
kamen, war er Bedford weder an Talent noch an Charakter gewachsen.
Nach einer leichtfertig verlebten Jugend besafs er nicht wie Heinrich V.
die Kraft, sich aus dem Sumpfe zu erheben. Nicht ohne Begabung,
fehlte es ihm an Tiefe und Ausdauer, namentlich auch an der Fähig-
keit, die Talente anderer neidlos anzuerkennen. Von Günstlingen um-
geben, die das Volk halste, war er das Schattenbild eines Monarchen,
unfähig, das Königtum aus eigener Kraft wieder aufzurichten. Für ihn
sprach aber das Blut, das in seinen Adern rollte, das französische
Nationalgefühl, das sich allenthalben regte, und die Sympathien des
durch Englands Herrschaft in seiner Machtstellung bedrohten franzö-
sischen Adels, der mit Mifsgunst auf die Förderung blickte, die das
englische Königtum dem Bürgerstande gewährte. Für ihn wirkte end-
lich die Idee des legitimen Königtums, der sich auf die Dauer kein
Franzose entzog und die sich in Volksbewegungen und Adelserhebungen
kundgab. Von auswärtigen Mächten durfte er nur auf Schottland
rechnen, dessen König Jakob I. sich aber in englischer Gefangenschaft
befand. Schottische Grofse wie Graf Donglas liefsen ihr Blut auf Frank-
reichs Boden. Der Kampf Frankreichs gegen England nahm seinen
Fortgang. Anfangs gewann es das Aussehen , als würde Frankreich in
zwei voneinander getrennte Staaten zerfallen.
2. Um gegen Schottland gesichert zu sein, gab Bedford dem schot-
tischen König die Freiheit zurück und begünstigte seine Verbindung
mit Johanna Beaufort, einer Enkelin Johanns von Gaunt. Nachdem die
Sieg der Engländer bei Verneuil. Die Engländer vor Orleans. 555
Franzosen 1423 vor den Mauern der burgundischen Feste Cravant
eine Schlappe erlitten, wurden sie am 17. August 1424 bei Verneuil
aufs Haupt geschlagen. Maine und die festen Plätze der Pikardie gingen
verloren, und Bedford schien nun in Frankreich noch fester zu stehen
als Heinrich V. Doch wurde sein Siegeszug bald gehemmt. Zwar hatte
Glocester den Grafen Edmund von March — den rechtmäfsigen Erben
der Krone — durch die Ernennung zum Statthalter von Irland, wo er
ohne männliche Erben schon 1424 starb, beiseite geschoben; er selbst
sah sich aber überall durch seinen Oheim, den Kardinal und Bischof
von Winchester, beengt. Zum Überflufs rüttelte er noch an dem eng-
lisch-burgundischen Bündnis, indem er sich mit der von ihrem Gemahl,
Herzog Johann von Brabant, geschiedenen Gräfin Jakobäa von Henne-
gau und Holland vermählte, um in den Besitz ihres reichen Erbes
zu kommen, auf das Philipp von Burgund bei der Kinderlosigkeit des
Brabanters sich selbst Hoffnung gemacht hatte. Die ehrgeizigen Be-
strebungen Glocesters niederzuhalten und den Bischof von Winchester
gegen ihn zu schützen, war Bedford nach England gegangen. So ruhte
der grofse Krieg von 1425 bis 1427. Glocesters Ehe wurde übrigens
von Martin V. für ungültig erklärt, und Jakobäa schlofs nach dem Tode
des Herzogs von Brabant einen Vertrag mit Burgund, in welchem sie
diesem ihren Länderbesitz vermachte (1428). Karl VII. verstand es nicht,
das Zerwürfnifs zwischen Engländern und Burgundern auszunützen und
Burgund, auf dessen Hilfe Englands Erfolge beruhten, auf seine Seite
zu ziehen. Das hätte Karl VII. durch den Sturz seiner Ratgeber erreichen
können, die an der Ermordung Herzog Johanns Schuld trugen. Die
Sache wäre um so aussichtsvoller gewesen, als sich auch die Bretagne
von England abwandte. Aber Karl VII. weigerte sich, seine Günstlinge
zu entlassen, und als Bedford mit neuen Truppen erschien, war es zu
spät. Bretagne trat zu England zurück, und Herzog Philipp, seiner Sorge
um die holländische Erbschaft ledig, schlofs sich wieder eng an dieses an.
Jetzt sollte Karls Macht auch im südlichen Frankreich gebrochen werden.
Graf Salisbury, einer der tüchtigsten englischen Herrführer, wurde beauf-
tragt, Orleans anzugreifen. Man meint, dafs der kluge Herzog von Bedford
von dem Unternehmen abgeraten, aber dem stürmischen Drängen der
übrigen Heerführer nachgegeben habe. Die Engländer erschienen am
12. Oktober 1428 vor der Stadt. Bürgerschaft und Besatzung waren zum
äufsersten Widerstand entschlossen, die Stadt selbst trefflich befestigt
und mit Nahrungsmitteln versehen; schliefslich stieg aber die Not derart,
dafs die Bürger zu dem Anerbieten bereit waren, die Stadt als neutralen
Ort an die Burgunder auszuliefern. Bedford wies dies zurück. Karl VII.,
der in Chinon Hof hielt, verlor allen Mut. Man hatte ihm geraten, die
Hälfte seines Reiches zu opfern und sich in die Dauphine, ja nach
Kastilien zurückzuziehen, während er selbst an Schottland dachte, und
Vorbereitungen zu seiner Einschiffuno- traf. In dieser tiefsten Not
wurde ein einfaches Landmädchen die Retterin Frankreichs und seines
Königtums.
556 Jeanne d'Arc. Ihre Herkunft.
§ 129. Die Jungfrau von Orleans. Frankreichs Wiedererhebung-
Quellen: S. Karl v. Hase, Werke Y, 2. La nerv d'Arc, Bibliographie des
ouvrages relatifs ä Jeanne d'Arc. Catalogue des principales etudes historiques et litte-
raires consacrees ä la Pucelle d'Orleans jusqu'ä nos jours. Paris 1888, enth. 2120 Xumniern,
trotzdem aber schon veraltet Einzelne Nachträge s. in Potth. I, 643 — 45. Liebermann,
DZG. m u. Lavisse, Hist. de France IY, 2, an der Spitze der einzelnen Kap. Die Akten
(Prozesse, Briefe etc.) bei Quicherat, Proces de condaranation et de rehabilitation
de Jeanne d'Arc dite la Pucelle, publ. pour la premiere fois d' apres les manuscr.
Par. 1841 — 49. 5 Bde. (s. dazu Beaurepaire, Recherches sur le proces etc. Rouen 1869).
Proces de Jeanne la Pucelle. Manuscrit. inedit, legue par Benoit XIY ä la biblioth.
de l'univ. de Bologna, p. p. A. du Bois de la Villerabel. S. Brieuc 1890. Chronique de
la Pucelle 1422 — 1429 bei Quicherat , wie oben, IY, 204 — 53. Memoires concernant
Jeanne d'Arc 1422 — 29, ed. Michaud et Poujoulat 1854. Livre de la Pucelle in Hist.
de Xorniandie. Rouen 1610. Lanery d'Arc, Memoires et consultations en faveur de
Jeanne d'Arc. Par. 1889. Zur Belag, v. Orleans : Journal du siege d'Orleans et de Pucelle
Jeanne 1428. Paris 1631. Histoire et discours du siege . . . d'Orleans. Tageb. über die
Belag, vom 12. X. 1428 bis 8. Y. 1429 bei Quicherat IV, wie oben. Xeue Ausg. von
Charpentier et Ouissart. Paris 1896. Im Hinblick auf Lanery d'Arc u. Potth. I, 643,
können nur die wichtigeren Hilfsschriften zur Gesch. d. J. v. Orl. angeführt
werden. Hauptwerk: Wallon, Jeanne d'Arc. 3 ed. Par. 1875 ; deutsch. Münster 1869.
Michel et, J. d'Arc 1873. Sepet, Jeanne d'Arc, Tours 1868, nouv. ed. 1896.
Lowell, Joan of Are. Boston 1896. Dunant, Hist. de J. d'Arc. 1895. — Histoire
complete de Jeanne d'Arc, du proces, qui la condamne et de sa rehabilitation. 3. Bde.
Par. 1899. Deutsche Werke: Pauli, Bilder aus Altengland, wie oben. Sickel, Jeanne
d'Arc. HZ. IY, 273. Hase, wie oben. Beckmann, Forschungen über die Quellen z.
Gesch. d. Jungf. v. Orl. Paderb. 1872. Eysell, Johanna d'Arc. Regensb. 1864. Görres,
Die Jungfr. v. Orleans. Regensb. 1834. Mahrenholz, Jeanne Darc in Gesch ,
Legende, Dichtung etc. Leipz. 1890. Einzelnes: Lef e vre -Pontali s, La panique
anglaise en Mai 1429. Le Moyenäge YH. Dort weitere Lit. Quicherat, Apercus
nouveaux sur l'histoire de Jeanne d'Arc. Par. 1850. Ayroles, La vraie Jeanne d'Arc.
La Pucelle devant l'Eglise de son temps. Par. 1890. A. Sorel, La prise de Jeanne d'Arc
devant Compiegne 1889. S. Luce, Jeanne d'Arc ä Domremy. 1886. Denifle
et Chatelain, Le proces de Jeanne d'Arc et l'L'niversite de Paris 1879. Beau-
repaire, wie oben. Sarrazin, Jeanne d'Arc et la Xorniandie au XVe siecle 1896. —
Pierre Cauchon 1901. Lefevre-Pontalis, La fausse Jeanne d'Arc, Le Moyen äge 1895 .
Longnon w. §128. Hellis, La prison de Jeanne d'Arc ä Rouen. 1866. Precis d.
trav. de l'Acad . . . ä Rouen. R a a b e , Jeanne Darc en Angleterre 2. ed. Paris 1892. Marin,
Jeanne d'Arc tacticien et strategiste. Paris 1891. Belon et Balme, Jean Brehal,
grand inquisiteur de France et la rehabilitation de Jeanne d'Arc. 1893. ZurBelager. v.
Orleans s. auch Anatole France, Le siege d'Orleans Rev. de Paris 1902. Die Lit.
über die Ecorcheurs s. Lavisse IY, 1, 87. Dort auch die Lit. über die allmähliche Ver-
drängung der Englander aus Frankreich. Denifle, La desolation, wie oben.
1. Jeanne d'Arc wurde um 1412 in dem französischen, an den
Grenzen von Lothringen und Bar gelegenen Dörfchen Domremy, mitten
unter einer Bevölkerung geboren, die sich stets durch unverbrüchliche
Königstreue auszeichnete. Ihre Eltern hatten drei Söhne und aufser
Jeanne noch eine Tochter. Was ihr an Kenntnissen abging — denn
sie konnte weder lesen noch schreiben — ersetzten ihre glänzenden
Xaturgaben : Schärfe des Verstandes, gesundes Urteilsvermögen, starkes
Gedächtnis und seltene Willensstärke. Schön von Gestalt, für ihr Ge-
schlecht ziemlich grofs, besafs sie eine seltene Körperstärke und Aus-
dauer; ihr Gesicht war frisch und voll, ihre Stimme freundlich. In
Momenten stärkerer Erregung verklärten sich ihre Züge. Für gewöhn-
Ihre Visionen und ihre Sendung. Ankunft und Aufnahme bei Hof 557
lieh wortkarg, wurde sie gewandt im Ausdruck, sobald es galt, von ihrer
göttlichen Sendung zu zeugen. Sie half den Eltern bei der Feldarbeit,
trieb das Vieh auf die Weide oder war im Hauswesen tätig. In ihrer
Umgebung hatte sie den Ruf »eines guten, verständigen Mädchens von
schlichter Einfalt und unsträflichem Lebenswandel.« Nach der Aussage
des Ortsgeistlichen kam ihr niemand an Frömmigkeit und Tiefinnigkeit
des Glaubens gleich. Dem Aberglauben ihrer Ortsgenossen war sie ab-
hold. Nie hat sie von Anmieten und ähnlichen Dingen etwas gehalten.
Die kriegerischen Ereignisse machten sich schliefslich auch in ihrer
Heimat bemerkbar: kriegerische Scharen drangen auch in die Maas-
gegenden ein. Jeanne mochte 13 Jahre zählen, als sie eines Sonntags
im Garten ihres Vaters eine helltönende Stimme vernahm, die sie zum
Guten mahnte, ihr die Not des Landes schilderte und sie aufforderte,
ihrem König zu helfen. Die Stimme liefs sich ein zweites und drittes
Mal hören ; sie sah den Erzengel Michael, der zu ihr sprach. Im festen
Glauben an ihre Mission tat sie das Gelübde der Ehelosigkeit; ihr Ge-
heimnis blieb nicht völlig verborgen und erregten den Unwillen ihres
Vaters, der den freilich aussichtslosen Versuch machte, sie zu vermählen.
Der Krieg ging inzwischen weiter. Burgundische Kriegsscharen er-
schienen in Jeannes Heimat and zwangen die Ihrigen, sich zeitweise
aus Domremy zu flüchten. Jetzt erst vertraute sie sich ihrem Oheim
Laxart an, der sie zu dem königlichen Hauptmann Baudricourt nach
Vaucouleurs führte. Dieser wies ihr Ansinnen, sie an den Hof zu
bringen, ab, und so kehrte sie in ihre Heimat zurück. Als sie in der
Fastenzeit 1429 zum zweitenmal in Vaucouleurs erschien, erregte sie
unter den Bewohnern Aufsehen; auch jetzt liefs Baudricourt sie unbe-
achtet, schliefslich aber gab er nach. Sie legte nun Reitertracht an.
Ein Kriegsmann geleitete sie mitten durch feindliches Land bis nach
Chinon, wo sie am 23. Februar eintraf.
2. Karl zögerte lange, sie zu empfangen. Er fürchtete Betrug oder
Arglist, vielleicht auch den Spott der Welt. Man erzählt, dafs sie den
König unter der Menge viel reicher gekleideter Höflinge erkannt habe.
Sie enthüllte ihm die Geheimnis seiner Gedanken, das ihn lange gequält
hatte : sie löste ihm die Zweifel über die Rechtmäfsigkeit seiner Geburt.
Noch waren aber nicht alle Vorurteile gegen das Mädchen besiegt. Eine
Kommission, die in Poitiers zusammentrat, unterzog es einem strengen
Verhör: Jeanne ward als rechtgläubige Christin und reine Jungfrau
befunden. Ihre Antworten zeugten von gesundem Menschenverstand
und festem Gottvertrauen. Als ein Limousiner sie in seinem Dialekt
fragte, in welcher Sprache die Heiligen zu ihr gesprochen, sagte sie:
»Wahrlich in einer besseren als es die deinige ist«, und als man ihr ent-
gegenhielt, dafs Gott, wenn er wolle, das Land auch ohne gewaffnete
Kriegsscharen befreien könne, erwiderte sie: »die Soldaten werden
kämpfen, Gott wird den Sieg geben«. König werde sie den Dauphin
erst nennen, sobald er in Reims gesalbt sei. Nach bestandener
Prüfung erhielt sie militärische Ausrüstung und Gefolge. Der Zug ging
zunächst nach Blois. Schon strömten bewaffnete Franzosen zusammen :
558 Entsatz von Orleans. Zug; nach Reims. Krönung Karls VII.
eine nationale Armee wird geschaffen. Alles unterordnet sich einem
Ziele. Die Jungfrau bringt es zuwege, dafs Orleans mit N ahrungsmitteln
versehen wird. Sie selbst bringt sie auf Schiffen in die Stadt (1429,
29. April). Ihr Versuch, durch Verhandlungen die Engländer zum Ab-
zug zu bewegen, mifslingt, man hält sie auf englischer Seite schon jetzt
für eine Betrügerin. Ihre Anwesenheit feuert alles zum Kampfe an : am
4. Mai nimmt sie das Fort St, Loup, am 6. die starke Stellung der
Feinde am linken Ufer der Loire und tags darauf das stärkste Kastell
Les Tourelles. Am 8. räumten die Engländer die Befestigungen auf
der Nordseite. Orleans war befreit. Gegen den Zweifel der Menge,
denn der Zug ging durch ein Land, dessen Städte sich noch in Feindes-
hand befanden, bestand die Jungfrau darauf, den König nach Reims
zur Krönung zu führen. Zunächst säuberte sie die Übergänge über die
Loire, wobei Talbot, in der letzten Zeit der Hauptführer der Engländer,
gefangen wurde, dann legte sie die Streitigkeiten im französischen Lager
bei. Den Führern gegenüber sprach sie bescheiden über ihre Mission,
den gemeinen Mann feuerte sie an ; in der Herberge sanft und
schüchtern, war sie im Rate und auf dem Schlachtfeld fest und ent-
schieden. Allen flöfste sie Ehrfurcht ein, die sie vor Zudringlichkeit
schützte ; die gröfsten Beschwerden trug sie mit Leichtigkeit, und auf die
Führer, wie auf den Bastard von Orleans (Dunois) und den tatkräftigen
La Hire, gewann sie Einflufs. Streng wurde auf Zucht und Ordnung
gesehen : das ganze Wesen des französischen Heeres wurde binnen
kurzem ein anderes. Ohne selbst etwas zu tun, was den Aberglauben
förderte, konnte es nicht fehlen, dafs die grofse Menge in ihr die gott-
gesandte Retterin erblickte, von der längst alte Weissagungen berichtet
hatten. So setzte sie, dem Widerspruch zum Trotz, ihre Forderungen
durch, den König nach Reims zu führen. Die meisten Städte, die der
Zug berührte, ergaben sich freiwillig, und am 17. Juli wurde Karl VII.
in Reims gesalbt und gekrönt. Im kriegerischen Schmuck wohnte Jeanne
der Feier bei.
3. Ihr Ansehen war nun in ganz Frankreich ein unbestrittenes.
Der alte Gerson hatte noch ihre göttliche Sendung anerkannt; schon
wird sie in Streitfragen zu Rate gezogen. Sie selbst macht den Ver-
such, den Burgunder für die Auflösung des englischen Bundes zu ge-
winnen. Aber noch war ihre Aufgabe nicht gelöst ; wenn sie auch
einen Strafzug gegen die Hussiten oder eine Unternehmung gegen die
Türken ins Auge fafste, ihre nächsten Absichten waren doch auf die
Eroberung von Paris und die gänzliche Verjagung der Engländer aus
Frankreich gerichtet. Mit ihren Absichten fand sie aber bei den Hof-
leuten, einem Teil des oberen Klerus und nicht zuletzt bei dem klein-
mütigen König selbst Widerspruch, um so mehr als der Herzog von Bed-
l'ord mit einem vom Kardinal von Winchester gegen die Hussiten ge-
sammelten Heere heranzog. Wohl fafste sich Karl VII. das Herz, ihm
bei Senlis entgegenzutreten, zog sich aber wieder bis Crespy zurück, be-
müht, Burgund auf seine Seite zu ziehen. Der günstige Moment, Paris
zu erobern, war dahin . denn als Karl nach dem Abzug Bedfords, der
Gefangennahme der Jungfrau. Auslieferung an die Engländer. 559
die Normandie gegen den Connetable zu schützen hatte, vor Paris zog.
hatte die burgundische Partei schon wieder die Oberhand und setzte
sich zu verzweifelter Gegenwehr. Der König befahl den Rückzug, und
Jeanne mufste den Hof nach Bourges begleiten. Trotzdem Karl sie und
die Ihrigen in den Adelstand erhob, geriet nun ihr Einflufs in Abnahme;
schon tauchten in einzelnen Landesteilen Inspirierte auf, die es ihr gleich
machen wollten und von ihren Gegenern benützt wurden, ihr Ansehen
zu untergraben. Sie hörte von neuen Erfolgen der Engländer, die
Compiegne bedrängten, und entwich (1430, März) nach Norden; damit
war ihre Stellung verschoben : Bisher das kriegerische Haupt der Nation,
ist sie jetzt nur noch Führerin einer Freischar; auch fehlt ihr der Rat
so tüchtiger Kriegsleute wie Dunois u. a., die ihr bisher zur Seite standen.
Noch errang sie einen Erfolg bei Lagny und drang mitten durch das
feindliche Lager in Compiegne ein, wo sie durch Wort und Beispiel
Bürgerschaft und Besatzung zum Kampfe begeistert. Als sie bei einem
von den Engländern abgewiesenen Ausfall den Rückzug der Ihrigen
deckte, wurde ihr von einer feindlichen Schar der Weg verlegt. An
ihrem Samtrock vom Pferde gerissen, wird sie gefangen und an einen
Dienstmann Philipps von Burgund ausgeliefert. Da sie schon bisher in
amtlichen Schreiben der Engländer als ein Geschöpf des Teufels be-
zeichnet worden war, war ihr Geschick im voraus bestimmt.
4. Um dem durch die Krönung Karls VII. in Reims bewirkten
Aufschwung in Frankreich entgegenzuwirken, war auch Heinrich VI. in
Westminster gekrönt worden (1429, 6. November). Seine Oheime ver-
loren damit ihre Titel als Protektor und Defensor, blieben aber die vor-
nehmsten Mitglieder des geheimen Rates; dann wurde der königliche
Knabe nach Frankreich gebracht, um in Reims gekrönt zu werden.
Bedford erhielt in Rouen die Nachricht von der Gefangennahme
Johannas. Sie sollte nun unverzüglich gerichtet werden. Der von der
Universität unterstützte Inquisitor von Paris, der Bischof von Beauvais,
in dessen Diözese sie gefangen worden, und Bedford verlangten ihre
Auslieferung. Sie erfolgte um den Preis von 10000 Franken. Jeanne
wurde von Beaulieu, wo sie einen Fluchtversuch gemacht hatte, nach
Beaurevoir und von dort nach Rouen geführt. Grofs war die Trauer
der Franzosen, die in einigen Städten Bittprozessionen für ihre Rettung
abhielten, gröfser aber der Hafs der Engländer. Bedford überlieferte
sie an das geistliche unter Pierre Cauchon , Bischof von Beauvais,
stehende Gericht, wahrte sich aber das Recht, sie in seiner Gewalt zu
behalten, falls sie nicht schuldig befunden würde. Sie sollte sonach
unter allen Umständen unschädlich gemacht werden. Karl VII. tat
nichts für ihre Befreiung, ebensowenig Cauchons Vorgesetzter, der Erz-
bischof von Reims. Von allen verlassen, trat sie am 21. Februar vor
das aus 60 Mitgliedern des geistlichen und Advokatenstandes gebildete
Gericht. Während des ganzen Prozesses zeigte sie sich in ihrer ganzen
Erhabenheit, Reinheit und Natürlichkeit.1) Alle Mittel wurden unter-
*) Sickel, S. 326.
560 Prozefs der Jungfrau. Ihre Verbrennung und Rehabilitation.
Bommen, sie der Zauberei und Ketzerei zu überführen, denn nur so war
der Bann zu brechen, der den Arm der Engländer lähmte. Darum
fanden Versuche, sie zu vergiften oder zu erstechen, den heftigsten
Tadel Bedfords. Nach dem üblichen Verfahren des Inquisitions-
prozesses ward ihr kein Anwalt gegeben, es bedurfte keiner Belastungs-
zeugen und Beweismittel, falls ein Eingeständnis vorlag.1) Dafs sich die
Jungfrau zu ihren Handlungen bekannte und auf ihre göttliche Sendung
hinwies, genügte, sie zur Ketzerin zu stempeln. Aus ihren Aussagen,
die in beispielloser Weise verdreht wurden, wurden schliefslich zwölf Artikel
ausgehoben, an gelehrte Männer verschiedener Körperschaften zur
Prüfung übergeben2) und von diesen als ketzerisch verdammt. Die
meisten ihrer Richter waren ihre Feinde; andere meinten, wenn sie der
Ketzerei überführt wäre, sie den Händen der Engländer entreifsen zu
können, und gaben sich Mühe, sie zum Widerruf zu bewogen. In der
Tat liefs sie sich überreden. Da wurde sie verurteilt, den Rest ihrer
Tage im Gefängnis zuzubringen. Das Urteil erregte das tiefste Mifs-
f allen der Engländer, die ihren Tod als Ketzerin wüd sehten und den
Bischof Cauchon einen Verräter schalten. Sie hatte den Schwur geleistet,
nie wieder Männerkleider zu tragen. Das war die Schlinge, in der sie ge-
fangen wurde. In die Notwendigkeit versetzt, sich der Männerkleidung
zu bedienen, wurde sie als rückfällige Ketzerin, die schliefslich auch den
Widerruf bereute und zurücknahm, zum Feuertode verurteilt und am
30. Mai 1431 auf dem Marktplatz zu Rouen verbrannt. Jeanne starb
mit dem Heldenmut, den sie auf dem Schlachtfeld bewährt hatte, und
noch aus den Flammen heraus hörte man ihr Bekenntnis zu dem
Glauben an ihre göttliche Sendung.3) Der Eindruck, den ihr Tod auf
die Franzosen hervorrief, war ein ganz anderer, als ihn Bedford erwartet
hatte. Konnten schon unter den Anwesenden selbst die Gegner mit
ihrem Mitleid nicht zurückhalten, so sprach sich trotz aller Send-
schreiben Bedfords an die Monarchen der Christenheit und die Bewohner
Frankreichs die öffentliche Meinung dahin aus, dafs eine Heilige dem
Gerichtsverfahren zum Opfer gefallen sei. Spät genug, erst 1450, nach-
dem er in Rouen eingezogen war, gab Karl VII., der seine Schuld an
dem Tode der Jungfrau bitter bereuen mochte, die Anregung zur Wieder-
aufnahme des Prozesses; noch lebte die alte Mutter der Getöteten:
sie und ihre Brüder wurden klagbar; eine neue Untersuchung, die
Kalixtus III. (1455) anordnete, hatte das Ergebnis, dafs die 12 Artikel
als trügerisch, falsch und den Geständnissen nicht entsprechend erklärt
und vernichtet, sonach der ganze Prozefs als null und nichtig, die
Jungfrau selbst als rein und frei von jedem Verbrechen proklamiert
wurde (1456, 7. Juli).
5. Inzwischen hatte der Krieg seinen Fortgang. Zwar mifslang
ein Versuch der Franzosen, Rouen zu gewinnen, da jedoch die Cham-
pagne behauptet wurde, verzichteten die Engländer darauf, ihren König
l) Sickel a. a. O.
- Sie finden sich auch bei Hase, S. 72— TG, abgedruckt.
3) Sickel, S. 329.
Krönung Heinrich VI. in Paris. Agnes Sorel. Friede zw. Burgund u. Frankreich. 561
in Reims gekrönt zu sehen. Bei seiner Krönung in Paris (1431,
17. Dezember) erschien weder ein französischer noch auch ein burgundischer
Grofser; das fremde bei der Krönung angewandte Ritual verletzte auch
die Pariser. Paris selbst war auf die Dauer nicht zu halten ; schon seit
längerer Zeit war Rouen der Sitz der englischen Regierung in Frank-
reich; bei dem Mifstrauen gegen die Sorbomne wurde in Caen eine
Rechtsschule gegründet. Bald gestaltete die allgemeine Lage sich den
Franzosen günstig. In England, wo Glocester mit dem Kardinal von
Winchester um den obersten Einflufs rang, lähmte die Unmöglichkeit,
vom Lande neue Steuern zu erhalten, den Fortgang des Krieges. Das
Bündnis mit Burgund wurde gelockert, als Anna ven Bedford, eine
Schwester Herzog Johanns gestorben war, und Bedford sich zum Ver-
drufs Philipps mit Jaquette, einer Tochter des Grafen St. Pole aus dem
Hause Luxemburg, vermählte. Die persönliche Entfremdung traf mit den
politischen Angelegenheiten zusammen , welche die Lösung des Bünd-
nisses und den Übergang Philipps auf die Seite Karls VII. herbeiführten1);
Eugen IV., weniger als sein Vorgänger auf die Erhaltung der englischen
Machtstellung bedacht, drang auf Herstellung des Friedens. Der nächste
Folge war ein Waffenstillstand zwischen Frankreich und Burgund.
Die Österreicher und nicht minder Kaiser Sigmund blickten mit Mifs-
gunst auf die steigende Macht des Hauses Burgund in Holland und
Lothringen; das wichtigste war, dafs die Schranken fielen, die Burgund
noch von Frankreich trennten; war schon die Erinnerung an Johanns
Ermordung verblafst, so war der Friedensschlufs zwischen Karl VII. und
Philipp seit dem Sturze des königlichen Günstlings La Tremouille nur
noch eine Frage der Zeit. Der König, durch bessere Ratgeber, vor-
nehmlich durch seine Geliebte, Agnes Sorel, deren Einflufs mitunter
freilich überschätzt wird, geleitet, fand endlich die Kraft, die vollständige
Befreiung des französischen Bodens von der Fremdherrschaft in Angriff
zu nehmen. Bei einer Zusammenkunft in Nevers gewannen der Conne-
table Richemont, der Bruder des Herzogs von Bretagne, und der Herzog
von Bourbon den Herzog Philipp für den Frieden; auf Betreiben des
Papstes und der Kirchenversammlung von Basel trat im August 1435
ein Kongrefs in Ar ras zusammen; aber der Friede zwischen England
und Frankreich scheiterte an den gegenseitigen Ansprüchen. Während
der Herzog von Burgund noch unschlüfsig war, ob er sein Bündnis mit
England lösen solle, traf die Nachricht von Bedfords Tode ein; es war
der härteste Schlag, der England treffen konnte ; jetzt schwanden Philipps
Bedenken. Am 21. September wurde der Friede zwischen ihm und
Karl VII. geschlossen. Der König brachte schwere Opfer, das schwerste,
indem er die Gebiete von Mäcon und Auxerre, das Gebiet an der
Somme und Ponthieu an den Burgunder abtrat und den Herzog für
seine Person aller Lehenspflicht entband. So grofs der Jubel in Frank-
reich, so grofs war die Erbitterung in England. Wohl bewilligte das
Parlament reiche Mittel; indem sich England aber zunächst gegen Bur-
gund wandte, war Philipp genötigt, ganz auf Frankreichs Seite zu treten.
*) Pauli V, 230.
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 36
562 Niedergang u. Ende der englischen Herrschaft in Frankreich.
Bald fiel unter Mitwirkung seiner Einwohner Paris in die Hände der
Franzosen (1436, 13. April), und Englands Herrschaft wurde allmählich
auf die Normandie und einige Festungen in Maine und der Pikardie
beschränkt. Sowohl England als auch Frankreich und Burgund waren
in der nächsten Zeit von unsäglicher Not heimgesucht; in Frankreich,
wo die meisten Landschaften schon vom Feinde auf das härteste mit-
genommen worden waren und Mifswachs und Hunger das allgemeine
Elend steigerten, zogen verwilderte Söldnerhaufen, die Schinder (ecorcheurs)
durch das Land und nötigten den König, seine Waffen gegen sie zu
kehren. Zu derselben Zeit wurden Frankreich und England von Seuchen
heimgesucht, so dafs dies kaum noch imstande war, die Mittel für den
Krieg aufzubringen; unter diesen Umständen wurden zwischen beiden
Ländern Friedensverhandlungen angeknüpft (1439), die aber auch jetzt
zu keinem Ziele führten, da der eine Teil die Früchte der bisherigen
Anstrengungen nicht verlieren , der andere die Fremdherrschaft nicht
dulden wollte. Erst 1444 kam es zu einem Waffenstillstand von Tours,
der auf zwei Jahre abgeschlossen wurde. Als sich dann Heinrich VI.
mit Margareta, einer Nichte der Königin von Frankreich und Tochter
des Herzogs Rene von Bar, der sich König von Jerusalem und Sizilien
nannnte, vermählte, schien dies den endlichen Frieden einzuleiten. Der
Waffenstillstand wurde in der Tat wiederholt verlängert, und die
Franzosen benützten die Zeit der Ruhe, ihre Finanzen und ihr Heer-
wesen in besseren Zustand zu setzen (s. unten). Als der Krieg dann
von neuem begann (1448), waren die Franzosen allenthalben Sieger.
Selbst so tüchtige Feldherren, wie Talbot, vermochten mit ihren unge-
nügend ausgerüsteten Heeren gegen die wohlorganisierte Macht Frank-
reichs nichts mehr auszurichten. Zunächst gelangte der gröfste Teil der
Normandie in den Besitz der Franzosen, deren König am 10. No-
vember 1449 in Rouen einzog. Die Einwohner selbst hatten die Besatzung
zur Übergabe gedrängt. Die Niederlage der Engländer bei Formigny hatte
den Verlust der ganzen Provinz zur Folge. Cherbourg wurde im August
1450 von den Franzosen besetzt. Auch in Guienne verlor England
einen Platz nach dem andern. 1451 mufsten sich Bordeaux, das mit
seinen Sympathien auf englischer Seite stand, und Bayonne ergeben.
Den Engländern blieb von dem französischen Besitz nichts als
Calais und die Grafschaft Guines. und als sich die Gascogne, der man
das Recht der Selbstbesteuerung wohl versprochen, dann aber verküm-
mert hatte, sich wider die neue Herrschaft erhob, und der achtzigjährige
Talbot in der Gironde landete und in Bordeaux seinen Einzug hielt,
war dies ein vorübergehender Erfolg. Talbot erlag schon 1453 mit
seinem ganzen Heere bei Chastillon. Die letzten festen Plätze des Südens
fielen den Franzosen zu. So endete der hundertjährige Kampf zwischen
England und Frankreich damit, dafs nicht nur alle von Eduard III. ge-
machten Eroberungen, sondern auch Guienne, das seit der Vermählung
Eleonorens von Poitou mit Heinrich IL in englischen Händen gewesen,
verloren ging. England behielt von dem ganzen festländischen Besitz
nur noch Calais.
Die skandinavischen Reiche. 563
2. Kapitel.
Die Staaten im Norden und Nordosten Europas in der Zeit
der grofsen Konzilien.
§ 130. Die skandinavischen Reiche in der Zeit der Kalmarer Union.
Quellen. S. die Bemerk, zu § 86. Vgl. Potth. I, XII, XXXI u. II, 1725—27.
Urkk. und Korresp. : Dänemark: Regg. diplom. hist. Danicae a. a. 822 — 1536.
Hauniae 1847. (Dort S. XXXV die Lit. bis 1847.) Ser. sec. I, 1, ib. 1889 v. 789—1447.
Pars post. 1438 — 1536, ib. 1889. Erslev, Christense, Hude, Repert. diplomat. regni
Dan. mediaev. II, III, 1 — 1437r Kobenh. 1898—99. Aktstykker vedrerende Erik af Pommerns
Afsaettelse som Konge af Danmark udg. ved Anna Hude. 1897. Das Diplom. Isl. s. § 86.
Urk.-Mat. auch in Langebeck III, IV, VI — VIII. Christianus rex I, Epistolae 1454 — 1468.
Langebeck, VIH, 360 — 446. Norwegen: Diplom. Norweg. s. oben § 47 und 86.
Schweden: Sverges Traktater med främmande magter. Herausg. v. 0. S. Rydberg I — m.
Stockh. 1877 — 1895. Diplomat. Suecanum wie § 13. Für die Zeit der Union wichtig :
Svenskt diplomatarium frän och med är 1401. 2 Teile bis 1414. Herausg. v. Silverstolpe.
Stockholm 1875 — 87, s. oben § 13. Styffe, Förhandl. med Tyskland och Sveriges inre
tillständ under Unionstiden 1395—1448. Stockh. 1864 (bildet den 2. Bd. s. Beitr. Der 3.
reicht von 1448—70. Stockh. 1870.) Urk.-Mat. finden sich in den betreff. Urkk.-Büchern
v. Lübeck u. a., d. Hanserezessanen etc. Darstellende Werke: Im Hinblick auf das
§86 Gesagte und Potth. S. 1725 wird nur eine Auswahl geboten. Dänemark: Chronic.
Daniae 1241—1410. Langeb. V, 528—34. Anon. Chron. Dan. 1274—1497. ib. 624-28.
Thomas Gheysmer, Comp, bis 1431, II, 287—400. Chron. Rastedense bis 1463. ib. III,
166 — 209. — Nicolaus Johannis, Chron. rer. Dan. bis 1468. Ludewig, Reliq. man. IX,
166—175. Annales fratrum Min. Wisby. bis 1479. Langeb. I, 251—266. Niels, Den
Danske Riimkrönike bis 1478. Kopenh. 1873. Kranz, Chron. regn. aquil. bis 1502.
Strafsb. 1546, s. Potth. I, 700. Paulus Eliae, Chron. Skibyense sive Ann. rer. Danic.
Langeb. H, 554 — 602. Acta processus inter Ericum reg. Daniae et ducem Slesvicensem
1424, ib. VII, 263 seqq. Norwegen u. Island: Islandske Annaler indtil 1578, ed.
Storm, Christian. 1888; für diese Periode nur: Annalbrudstyke fra Skälholt 1328 — 1372.
Lögmanns-annall bis 1430, Gottskalks Annaler bis 1578, Flatobogens Annaler bis 1394
und Oddveria Annal bis 1427. Catal. regum Norvegiae, ed. Storm. MM. hist. Norw.
183—86, reicht bis 1387. Ser. archiep. ib. 189—192. Bis 1538. Schweden: S. den
Anhang zur G. v. d. Ropp, Zur Deutsch-Skandinavischen Geschichte des 15. Jahrh.
Leipz. 1876. Berättelse, Omständelig, huru the Svenske af Tyskarne blefno i Stock-
holm förrädhne oc brande ähr 1389. Fant I, 212. Om konung Albrecht, Svenska medel-
tidens rimkrönikor, in Samlingar utg. af Svenska Fornskrift Sällskapet (Stockholm
1865—68) I, 207. Detmarchronik (Ausg. bei Potth. I, 374), Narrat. de occ. Gotland 1398.
Fant III, Chronol. Suec. bis 1412, I, 39, Chron. vetusta bis 1430, ib. Chron. rer. Suec.
bis 1440. Langebeck V, 495. Eriks Krönikan Forts. = Eriks Karlschronik, s. unten.
Die Karlschronik (nach v. d. Ropp === Engelbrechtschronik 1389 — 1436, Karlschronik I,
1436—1440, Karlschronik H, 1440—52). Herstellung der Erich-Karlschronik 1452—57,
Sturechronik I— III, 1452—70, 1470—87, 1488—96, Kl. Reimchronik 1450, Reimchronik
von 1520, Gedicht auf Christian IL bei Klemming, Rimkrönikor. Vetus chronic, prosaic. I.
Fant I, 239—250 (Wert : v. d. Ropp 165). Ericus Olai, Chronic, regni Goth. bis 1464.
Fant II, 1—165. Registrum Upsaliense, Svenskt Dipl. IL Diarium Wadstenense 1344
bis 1545. Fant I, 99 — 223. Diarium fratrum Minorum Stockholmiensium bis 1502. Fant I,
67. Diarium fratr. Min. Wisby ensium und die schwedischen Chronologien des 15. Jahrh.
s. bei v. d. Ropp. S. 182. Chron. Holsat. MM. G. SS. XXXI.
Hilfsschriften: Die Werke von Suhm, Dahlmann, Geijer, Waitz, Hilde-
brand s. oben. Styffe, Skandinavien under unionstiden. 2. A. Stockh. 1880. Bidrag
tili Skand. hist. 1395—1448, ib. 1864. G. v. d. Ropp, Zur D.-Sk. Gesch., wie oben.
Jahn, Danmarks hist. under Union skonigerne. Erslev, Dronning Margrethe og
36*
564 Margareta und die Kalmarer Union.
Kalmarunionens Grundlaegelse. Kop.1883. — Studier tili Dronning Margrethes Historie 1888.
G. v. d. Kopp, K. Erich der Pommer. Leipz. 1875. Er sie v, Erik af Pommern.
Kop. 1902. S c h ä f e r wie § 29 und 86. Sars, Udsigt over den Xorske Hist. Christ. 1888 (JBG.
m, 183) Daae, K. Christiern den Forstes Norske Hist. 1448—1458. Kop. 1879. Ackerblom,
Sveriges förhällande tili Xorge under Medeltidsunionen. Lund 1888. Stein, Beitr. z.
Gesch. der Hanse. Diss. 1900. Girgensohn, Die Skand. Politik d. Hanse 1375 — 95.
Ups. 1898. Dänell, Die Kölner Konföderation. Hans. -dänische Gesch. 1367 — 1385.
Diss. 1894. Die Hansestädte und der Krieg um Schleswig. Z. G. Schl.-Holst. XXII. —
Gesch. der Hanse in der zweiten Hälfte des 14. Jahrh. 1897.
1. Weniger als durch kirchenpolitische wurden die Staaten des
Nordens im Zeitalter des grofsen Schismas durch dynastische Fragen in
Bewegung gesetzt. König Albrecht von Schweden (s. § 86), als
Deutscher im Lande verhafst, hatte seine Herrschaft gegen König
Hakon VIII. von Norwegen, den Sohn seines Vorgängers Magnus, zu
verteidigen. In Dänemark war Waldemar IV. der letzte vom Mannes-
stamm der Estrithiden. Er hatte den Sohn seiner ältesten Tochter
Ingeborg, Albrecht von Mecklenburg, als Thronfolger bezeichnet. Aber
seine jüngere Tochter Margareta, die an Hakon VIII. von Norwegen
vermählt war und aus dieser Ehe einen Sohn namens Olaf hatte, setzte
dessen Wahl zum dänischen Könige durch. Nach dem Tode Hakons VIII.
(1380) wurde Olaf auch König von Norwegen. Als letzter vom Mannes-
stamm der Folkunger nannte er sich auch den »rechten Erben Schwedens«,
starb aber (1387), ehe er noch seine Ansprüche auf dieses Land geltend
gemacht hatte. Nun wurde seine Mutter Margareta zuerst von den
dänischen, dann von den norwegischen Ständen, von den letzteren unter
der Bedingung zur Königin gewählt, dafs ihrer Schwestertochter Sohn
Erich von Pommern ihr nachfolge. Inzwischen war die Opposition
gegen Albrecht von Schweden erstarkt. Ein Teil des schwedischen Adels
sagte sich von ihm los und wählte Margareta zur Königin. Albrechts
Kriegsvolk wurde von dem Marschall Erich Kjelson WTasa besiegt (1389),
er selbst gefangen und sechs Jahre auf Schonen in Haft gehalten.
Erst nach seiner Freilassung gelangte Margareta in den Besitz des von
den mecklenburgischen Fürsten und der Kriegsgenossenschaft der Vita-
liner1) verteidigten Stockholm, und nun erst war sie in Wahrheit Königin
aller drei Reiche (1395 — 1412). Sie führte das Regiment mit kräftiger
Hand und brachte in Dänemark und Schweden einen Teil der an den
Adel gekommenen Königsgüter an die Krone zurück. Ihrem Grofs-
neflen Erich verschaffte sie auch die Nachfolge in Dänemark und
Schweden, so dai's die Union der drei Länder auch nach ihrem Tode
aufrecht blieb. Um sie zu einer dauernden zu machen, berief sie die
Reichsräte aller drei Länder nach Kalmar. Hier wurde Erich von den
Erzbischöfen von Lund und Upsala gekrönt, dann jener vom 20. Juli2)
1397 datierte Vertrag geschlossen, der als Kalmarer Union bekannt
ist. Fortan sollten die drei Reiche nicht wieder getrennt und nach
Erichs Tod der König aus seinem Stamm nach dem Rechte der Erst-
*) Sie hatten sich in "Wismar und Rostock gebildet und wurden so genannt,
weil ihr nächster Zweck die Versorgung der Hauptstadt mit Yiktualien war.
') Dem Margaretentag.
Erich von Pommern und die Kämpfe um Schleswig. 565
geburt gewählt werden. Die Reiche behalten ihre eigenen Rechte und
Gesetze. Auswärtige Bündnisse, die der König, vom Rate aller drei
Länder unterstützt, abschliefst, sollten für alle gültig sein. Die Ansprüche
König Albrechts von Schweden, der hiegegen Einsprache erhob, wurden
um Geld abgekauft. Die Politik dieser ebenso klugen als herrschsüch-
tigen1) Königin war vor allem auf den Wiedererwerb Schleswigs ge-
richtet.2)
2. Die Union war für keines der drei Völker ein Glück, denn sie
waren viel zu verschieden geartet, als dafs die so künstlich hergestellte
Einheit Bestand gehabt hätte. Schon gegen Erich (1412 — 1439) erhob
sich in allen drei Ländern eine Opposition, weil er nach den im deut-
schen Reiche üblichen Regierungsgrundsätzen herrschen zu können ver-
meinte, wobei es nicht ohne Verletzung der Rechtsgewohnheiten der
drei Völker abging, und weil er sich vom Kaiser Sigmund das Recht
erteilen liefs, in seinen Reichen auf dem Wege des Briefadels Standes-
unterschiede zu schaffen, trotzdem weder Schweden noch Norwegen die
Oberhoheit des Kaisertums jemals anerkannt hatten. Gleich seiner Vor-
gängerin eifrig darauf bedacht, Schleswig an Dänemark zu bringen, sah
er sich nach opfervollen Kämpfen wider die holsteinischen Grafen Hein-
rich und Adolf, die von der über die Begünstigung der Niederländer
erbitterten Hanse unterstützt wurden, genötigt, Schleswig dem Grafen
Adolf zu überlassen. Holstein und Schleswig schlössen sich während
dieser Kämpfe eng aneinander an, und so wurde unter der Regierung
Erichs 'der Grund zu der Verbindung der beiden Länder gelegt. Die
schweren Lasten des unglücklichen Krieges erregten in den unierten
Ländern tiefe Mifsstimmung. Am längsten hielten noch die Norweger
zur Fahne des Königs. In Schweden erhoben sich die Dalekarlen (1434)
unter der Führung Engelbrechts, der sich am Landtage von Arboga (1435,
Januar) zum Reichshauptmann ernennen liefs und die gesamte Staats-
verwaltung in die alten von Erich mifsachteten Formen zurückführen
wollte. Erich mufste das Zugeständnis machen, die Stelle eines Drosten
und Marschalls stets mit Einheimischen zu besetzen ; da sich der König
an seine Zusicherungen nicht hielt, ernannte eine Anzahl von Reichs-
räten Knuts on Bonde zum Reichsverweser und Engelbrecht zu
dessen Mitregenten. Nach des letzteren Tode3) (1436, 27. April) kam es
zwischen dem König und den Ständen zu einem Vergleich (1436, Juli),
der aber keinen Bestand hatte. Der Reichstag von Söderköping er-
nannte Knutson zum Reichsverweser (1438). Inj Seeland führte der auf
den Bauern lastende schwere Druck zu einer Erhebung, die sich bald
über ganz Dänemark ausbreitete, ihre Spitze freilich nicht so sehr gegen
den König als den Adel richtete. Unter diesen Umständen erklärte so-
1) Beides ist durch das Wort ihres eigenen Vaters gezeichnet : Die Natur habe
sich in ihr geirrt. Sie hätte ein Mann und nicht ein Weib sein müssen.
2) S. Daenell, S. 273 ff.
3) Er wurde meuchlings getötet; das Volk hielt sein Andenken als das eines
Vorkämpfers der Freiheit des Landes gegen die Fremdherschaft in hohen Ehren.
566 Christoph v. Bayern und Christian I. Sten Sture.
wohl der schwedische als auch der dänische Reichstag Erich seines
Thrones für verlustig und berief seinen Schwestersohn Christoph von
Bayern (1439 — 1448) zur Regierung. Knutson suchte die Erneuerung
der Union zu verhindern, doch erhielt Christoph schliefslich (1441,
September) auch die Huldigung Schwedens ; zuletzt (1442) wurde er auch
in Norwegen anerkannt. In Schweden hatte Christoph bei Knutsons
Stellung einen äufserst schwierigen Stand, doch wufste er sich durch
seine mafs- und doch kraftvolle Politik zu behaupten. Er starb, als er
eben daran ging, die Fesseln zu brechen, in welche die Hanseaten den
skandinavischen Norden geschlagen hatten.
3. Die kalmarische Union war schon nach Christophs Tode dem
Zerfalle nahe. In Dänemark hatte nämlich Herzog Adolf von Schleswig
die Krone, die ihm der Reichstag anbot, um Schleswig wieder mit Däne-
mark zu vereinigen, abgelehnt; auf seine Empfehlung wurde sein Schwester-
sohn Christian I. von Oldenburg (1448 — 1481) gewählt, der sich, um
seine Stellung zu befestigen, mit seines Vorgängers Witwe vermählte.
Eine Handfeste . setzte das Recht der freien Königswahl nach
Christians Tode fest, untersagte die Besetzung der Amter mit Ausländern
und bestimmte, dafs ohne Zustimmung des Reichsrates kein Krieg ge-
führt und keine Steuern ausgeschrieben werden sollen. In Schweden
setzte eine Partei die Wahl Knutsons durch; die Norweger waren
unsicher, ob sie sich an König Erich halten oder Sigurd Jonson, einen
Sprossen des alten Königshauses, wählen sollten. Auch Christian und
Knutson liefsen es an Bemühungen nicht fehlen; schliefslich wurde
Christian auch in Norwegen als König anerkannt. Ein Vertrag (1450,
29. August) bestimmte, dafs Dänemark und Norwegen beständig unter
einem einzigen König geeinigt, übrigens jedes der beiden Reiche im
Besitz seiner alten Gesetze bleiben solle. In Schweden machte Knutson
deD Versuch, sich von der Adelsmacht zu emanzipieren, zog aber hiebei
den kürzeren : Klerus und Adel erklärten sich für Christian, und Knutson
entfloh nach Danzig. Am 29. Juni 1457 wurde Christian in Upsala ge-
krönt und damit die Union der drei Reiche nochmals hergestellt und
zugleich auch für die Zukunft gesichert, indem des Königs dreijähriger
Sohn Johann, dem in Dänemark schon 1456 die Nachfolge zuerkannt
worden war, nun auch in Schweden und Norwegen als Nachfolger pro-
klamiert wurde. Der Bestand der Union wurde freilich auch dadurch
kein festerer, und der Umstand, dafs Christian I. nach dem Tode seines
Oheims Adolf VIII. zum Herzog von Schleswig und Grafen von Holstein
gewählt wurde (1460), trug zu dieser Festigung wenig bei, denn zunächst
wurde die Selbständigkeit Schleswigs und Holsteins und ihre untrenn-
bare Vereinigung1) auch jetzt vollkommen gewahrt, dann machte Knutson
bis an sein Ende (1470) Versuche, Schwedens Herrschaft zurückzu-
gewinnen; nach Knutsons Tode erhob sich dessen Schwestersohn Sten
Sture gegen den König und brachte ihm am Brunkeberge im Angesicht
von Stockholm am 10. Oktober 1471 eine Niederlage bei. Christians
2) Die beiden Lande >sollen ewig bliben toosamen ungedeeltc
Johann und die Wiederaufrichtung der Union. 567
Versuche, mit Hilfe des Papstes und anderer Mächte seine Herrschaft
in Schweden wieder aufzurichten, blieben ohne Erfolg. Seine Macht war
immerhin eine hohe und wurde von den Hanseaten sorgenvoll beobachtet.
Der Gunst des Kaisers dankte er die Belehnung mit den Grafschaften
Holstein und Stormarn, zu denen auch die Diethmarschen gehörten,
die sich aber die dänische Herrschaft anzuerkennen weigerten, der
Gunst des Papstes die Errichtung einer Universität in Kopenhagen
(1479). In Schweden hatte einige Jahre zuvor (1476) Sten Sture, der
nicht nur ein bedeutender Staatsmann, sondern auch ein Freund der
Wissenschaften war, die Universität in Upsala gegründet.
4. Ebensowenig, wie Christian I. gelangte sein Sohn Johann (1481
bis 1512) sofort zur unbestrittenen Herrschaft in allen drei Staaten.
Wohl wurde seine frühere Wahl in Dänemark bestätigt (1482), dagegen
machten die Norweger, die sich lieber an Sten Sture angeschlossen
hätten, Schwierigkeiten und erklärten sich erst für ihn, nachdem er
ihren Beschwerden abzuhelfen gelobt hatte (1483). In Schweden trat
ihm Sten Sture, dessen Macht im Bauernstande wurzelte, kräftig ent-
gegen. Erst nachdem dieser von dem deutschen Söldnerheere des Dänen-
königs am Brunkeberg geschlagen worden war (1497, 28. Oktober),
gab er den Widerstand auf, und so wurde die Union — 100 Jahre nach
ihrer Gründung — wieder erneuert. Im übrigen behielt Sten Sture seine
einflufsreiche Stellung, da König Johann in der nächsten Zeit vom Kampfe
gegen die ihre Freiheit wider die benachbarten Fürsten verteidigenden
Diethmarschen in Anspruch genommen wurde. Das Heer der Dänen
erlitt bei Hemmingstedt (1500, 13. Februar) eine entscheidende Nieder-
lage; auf die Kunde hievon kam es sowohl in Schweden als auch in
Norwegen zu Unruhen. Sten Sture wurde wieder Reichsverweser und
als er (1503) starb, trat sein Freund Svante Sture an seine Stelle. Der
Versuch, auch im Norden ein kräftiges königliches Regiment aufzurichten,
wie dies im Zeitalter des Humanismus in den Staaten des westlichen
und südlichen Europa gelungen war, wurde unter andern Verhältnissen
erst von Christian IL (1512 — 1523) unternommen, führte aber zur Auf-
lösung der Union.
§ 131. Preufsen und Polen. Der Fall des Deutschen Ordensstaates
und die Erhebung der jagellonischen Monarchie.
Quellen, a. § 29. Dazu : Akten der Ständetage Preufsens unter der Herrschaft
des D. Ordens. Her. v. Toppen. Leipz. 1878 — 81. Das Elbinger Kriegsbuch, bearb. von
Toppen. Altpr. Monatschr. XXXVI, 223 von 1383 an. Das Marienb. Trefslerbuch, herausg.
von Joachim. Kgsberg. 1896. Theiner, Vetera Monum. Poloniae et Litthuaniae. 4 t.
Rom 1860 — 64. Witoldus magn. dux Litthuaniae, Cod. epist. 1376—1430, ed. Prochaska.
Krak. 1882. Cod. ep. sec. XV, ed. Levicki 1876—91. Index act. sec. XV. Krak. 1888
(dort reichhaltige Lit.-Ang. für die poln. Gesch. dieses Zeitraumes). Callimachus,
experiens. Epp. XXII, ed. Zeifsberg. AÖG. LV. Dar st. Quellen: Cron. conflictus
Wladislai r. Pol. cum Cruciferis a. 1410. SS. rer. Pruss. IH, 434. Franciscani Thorunensis
Ann. bis 1410 und die Fortsetz, von Johann v. Posilges Chron. d. Landes Preussen,
ib. 57 — 464. Annales expeditialis Prussici, ib. III, 5—12. Die Fortsetz, von Pet. Duis-
burgs Chron. v. Konr. Bitschin, ebenda 478. Johannes de Marienwerder, Ann. capit.
568 Niedergang des deutschen Ordens.
Pomesaniensis 1391 — 93, ib. V, 431. Die Hochrueisterchron. s. § 29. Die jüngere
SS. rer. Pruss. V, 43 — 148. Ann. Pruss. terrae bis 1450, ib. DU, 468. Geschichten von
wegen eines Bundes von Landen u. Städten wider den Orden zu Preufsen, ib. IV, 75.
Aeneas Silvius, De situ et orig. Pruthen. ib. 218. Blumenau, Laurentius, Hist. de ord.
Crucif. Teut. ib IV, 44. Epistolae, ebenda. Die Danziger Chroniken, ib. IV, 299. Historia
brevis ord. Teut., ib. IV, 258. Poles Preussische Chronik, ib. V, 173 ff. Für Polen
s. § 88. Dazu Ann. S. Crucis Pol. bis 1410. MM. Germ. SS. XIX, 177. De magna
strage 1410. MM. Pol. IV, 45. Cron. conflictus, wie oben. Registrum damnorum a Cruci-
feris in Mazovia factoruro, ib. V, 926. Henrici Sbignei de Gora tractatulus contra Crucif.,
ib. IV, 143. Oratio contra Cruciferos 1464, ib. 195. Annales Cuiavienses bis 1477,
ib. V, 886. Dlugosch, Hist. Pol. libri XII, ed. Przezdziecki. 5 Bde. Krak. 1873-78
(s. Zeifsb., Die poln. Geschichtschr. des MA. Leipz. 1873 u. Potth. I, 380). Miechovius,
Chron. Polon. bis 1506. Krak. 1521. NIcol. de Crac, Chron. monast. Claratumbens.
bis 1505. MM. Pol. VI. — Historia rer. gestarum in Hung. et contra Turcas per Vlad. reg.
MM. Pol. VI. Johannes de Koniorovo, Tractatus, ed. Zeifsberg. AÖG. XLIX, 314.
Hilfsschriften: Die allg. Werke s. oben § 29, 88. Dazu: F. Thunert,
Der gr. Krieg zw. Polen u. d. D. Orden. Regensb. 1886. Lampe, Beitr. zur Gesch.
Heinr. v. Plauen, 1889 und ZWestpr. Gesch. XXV. Simson, Danzig im 13 jähr.
Kriege 1454 — 66. Berl. 1891. Brüning, Die Stellung des Bist. Ermeland zum D.
Orden etc. Altpr. Mon. Sehr. XXIX. Lohmeier, Über den Abfall d. Preuss. Bundes
v. Orden. Progr. 1871. Röhrich, Das Bündnis d. ermel. Domkap. mit d. pr. Bunde vom
14. Febr. 1454. ZG.Ermel. X. Röhrich, Ermeland im 13jähr. Städtekriege. ZG.
Ermel. XL Toppen. Der d. Ritterorden u. die Stände Preufsens. HZ. XL VI. Fröh-
lich, Das Bistum Kulm u. d. Deutsche Orden. ZWestpr. G. XXVII. Krumbholz,
Die Finanzen des Ordens unter dem Einflufs der poln. Politik d. Hochmeisters Küch-
meister 1414 — 22. DZG. VIII. — Für Polen aufser den schon gen. Werken v. Caro IV, V
und Schiemann : Bobrzynski, Dzieje Polski w zarysie (Gesch. Polens im Überblick).
2. A. 1880—81. S. HZ. 45, 562 u. 49, 565. Szujski,* Historyi Polskiej. Warsch. 1880.
Von älteren: Lengnich, Gesch. Polens. Leipz. 1741. Hüppe, Verfassung d. Rep.
Pol. Berl. 1867. Daenell, Polen u. die Hanse um die Wende des 14. Jahrh. DZG.
NF. II, 317. Zur Historiogr, im allgemeinen s. Zeifsberg, wie oben.
1. Die Blüte, die das Deutsche Ordensland im 14. Jahrhundert er-
reicht hatte, liefs sich nur aufrecht halten, wenn die Interessen des
Ordens mit denen seiner Untertanen in Einklang gebracht wurden, das
Zuströmen deutschen Volkstums andauerte und die Ordenspolitik die
beiden gröfseren Nachbarstaaten Polen und Litauen »teilend zu be-
herrschen« vermochte. Von diesen Voraussetzungen traf zu Ende des
XIV. Jahrhunderts keine einzige mehr vollständig zu; vielmehr blieb
der Gegensatz zwischen den herrschenden und beherrschten Elementen
bestehen ; es fehlte die organische Entwicklung der Einrichtungen, von
denen viele in den Tagen der Eroberung nur zufällig getroffen worden
waren und in die Gegenwart nicht mehr pafsten. Seither war in
Preufsen ein Geschlecht erwachsen, dem nicht Vaterlandsliebe, wohl aber
berechtigte Einflufsnahme auf die Regierung des Landes fehlte. Die
Ordensherren — in besseren Zeiten an 1000, ihrer Herkunft nach
Fremde — denn Einheimische wurden nur in geringer Zahl aufgenommen
und zu untergeordneten Diensten verwendet — und der Adel des Landes
standen sich fremd gegenüber. Der Bürgerschaft war in den öffentlichen
Angelegenheiten nur eine bescheidene Rolle zugewiesen. Die gröfseren
meist zur Hanse gehörigen Städte, betrachteten mit Mifsgunst die Handels-
geschäfte des Ordens, und auf den gemeinen Mann war in einer Zeit,
da sich allerorten die niederen Volksschichten erhoben, nur wenig Verlafs.
Wladislaw II. und der deutsche Orden. 569
Auch den preufsischen Ständen gegenüber, die erst seit 1410 einige
Bedeutung gewannen, war der Orden »anspruchsvoll und autokratisch«.
Der Zuzug aus der Fremde wurde schwächer, die neuen Elemente un-
tüchtiger; jene Deutschen, die noch das Ordensgelübde auf sich nahmen,
wollten nicht kämpfen, sondern geniefsen. Daher mufsten bereits Söldner
in den Dienst genommen werden. Die alte strenge Zucht hatte aufge-
hört, die Ritter schwelgten in Üppigkeit und erregten durch Sittenlosig-
keit und Gewalttaten oft genug Ärgernis. Gefährlicher für den Bestand
des Ordensstaates war der Übertritt der Litauer zum Christentum :
damit war des Ordens Mission beendet, und wenn sich nun die östlichen
Nachbarn zusammenschlössen, stand er einer überlegenen Kriegsmacht
gegenüber.
2. Dieser Fall trat ein, als der Grofsherzog Jagello das Christen-
tum annahm und als Wladislaw II. (1386—1434) mit der Hand der
Königin Hedwig Polen gewann (s. § 96). Das Ordensgebiet war nun
von drei Seiten von Ländern umschlossen, deren Bevölkerung ihm bis
in die unteren Schichten herab feindselig war. Im Widerspruch zu dem
den Polen geleisteten Eid liefs Wladislaw den Litauern eine ziemliche
Selbständigkeit unter ihren Grofsfürsten, die zwar unter Polens Lehens-
hoheit standen, sich aber von ihren eigenen Interessen leiten liefsen.
Im übrigen waren freilich auch die Landschaften Polens nur lose mit-
einander verknüpft: noch stand Masovien unter eigenen Fürsten und
hatte Wladislaw von Oppeln einzelne polnische Städte in seinem Besitz.
Den gröfsten Gewinn aus der Union zog aufser dem Prälatenstand der
Adel, der sich seine dem König geleisteten Dienste reichlich bezahlen
liefs. Zum Kriegsdienst nur innerhalb ihrer Landesgrenzen verpflichtet,
erhielten die Magnaten Steuerfreiheit und eigene Gerichtsbarkeit,
und so wurde die polnische Herrschaft schon jetzt eine oligarchische.
Der Kampf wider den Orden war schon dem Ausbruch nahe, als Wla-
dislaw von Oppeln das ihm vom König Ludwig überlassene Herzogtum
Dobrzin dem deutschen Orden zu verpfänden beabsichtigte, wurde aber
durch die vermittelnde Tätigkeit der Königin Hedwig noch hinausgezogen.
Nach ihrem Tode (1399) vermählte sich Wladislaw, um seine Stellung
in Polen zu kräftigen, mit Anna von Cilli, einer Enkelin Kasimirs des
Grofsen. Der drohende Krieg gegen Polen-Litauen hinderte den Orden,
Wisby zu behalten, das der Hochmeister Konrad von Jungingen
1398 den Vitalinern entrissen hatte. 1407 wurde es gegen Ersatz der
aufgewendeten Kosten an die Unionskönigin Margareta abgetreten.
Dieser Ausgang des in Preufsen populären Unternehmens schädigte das
Ansehen des Ordens im eigenen Lande. Schon gärte es in einzelnen
Kreisen des Volkes. Unter dem Landadel bildete sich der »Eidechsen-
bund«, der eine polenfreundliche Richtung verfolgte. Abermals schien
der Krieg auszubrechen , als König Sigmund die Neumark an den
Orden verpfändete, für den sie wegen der Verbindung mit dem Reiche
von besonderer Wichtigkeit war. Der Krieg wurde diesmal durch die
versöhnliche Haltung des Hochmeisters Konrad von Jungingen verhindert.
Nun wurde gegen seine eigene Warnung, denn er kannte den wage-
570 Die Schlacht bei Tannenberg. Heinrich v. Plauen. Der preufs. Landesrat.
mutigen Sinn seines Bruders, Ulrich von Jungingen (1407 — 1410)
zum Hochmeister gewählt. Als Grofsfürst Witold von Litauen einen
Aufstand der Samaiten unterstützte und Wladislaw für seinen Vetter
Partei nahm, erklärte Ulrich (1409, 6. August) an Polen den Krieg und
nahm das Dobrziner Land in Besitz. Noch waren die Gegner nicht ge-
nügend gerüstet, daher kam es zunächst zu einem neunmonatlichen
Waffenstillstand; während dieser Zeit sollte König Wenzel als Vermittler
den Schiedsspruch fällen; dieser wurde von Polen, das sich mittlerweile
stark gerüstet hatte, verworfen. Das polnische Heer, durch Samaiten,
Russen und Tataren verstärkt, brach in Preufsen ein und brachte dem
Ordensheere am 15. Juli 1410 zwischen dem Grünenwalde und Tannen-
berg eine vollständige Niederlage bei. Unter den Gefallenen befand
sich der Hochmeister. Nach den geringsten Angaben fielen auf Seiten
des Ordens 203 Ordensbrüder und 12000 »edle und unedle Christen-
leute«; die Verluste auf polnischer Seite wurden auf 18000 Mann ver-
anschlagt. x) Die Blüte der Deutschen Ordensritterschaft war erschlagen.
Der Klerus, der Landadel und die Städte eilten, des Siegers Gnade zu
gewinnen; die Städte hielten es an der Zeit, ihre Freiheit zu erringen.
Zum Glück für den Orden nützte der Sieger seinen Erfolg nicht aus.
Erst nach 10 Tagen langte er vor der Marienburg an, die der Komtur
Heinrich Reufs von Plauen erst im letzten Augenblick in wehrhaften
Zustand versetzt hatte. Der König lagerte 8 Wochen vor der Festung,
bis Mangel und Krankheiten ihn zum Abzug nötigten. Witold, der ihn
nicht zu mächtig werden lassen wollte, drängte zum Frieden. Die ver-
lorenen Burgen und Städte wurden zurückgewonnen und die Reorgani-
sation des Ordens in Angriff genommen. Sein Retter, Heinrich von
Plauen (1410 — 1413) erhielt die Hochmeisterwürde. Ava 1. Februar 1411
wurde der Friede von Thorn geschlossen, der das Dobrziner Land
dauernd, Samaiten für die Lebenszeit Wladislaws II. und Witolds an
Polen auslieferte. Das Lösegeld der Gefangenen — 100000 Schock
böhmische Groschen — war nur durch schwere Opfer zu beschaffen:
eine allgemeine Landessteuer wurde verordnet, Strafen über abgefallene
Ritter und Städte verhängt, das Mittel der Münzverschlechterung in
Anwendung gebracht. All das, vor allem die scharfe Art des Hoch-
meisters und das gewalttätige Vorgehen seines Bruders, des Komturs
von Danzig führten zu einer Verschwörung, die zwar noch rechtzeitig
verraten und bestraft wurde, allein Polen liefs den Orden nicht mehr
zur Ruhe kommen. Um in dieser Xot die Unterstützung des Volkes
zu gewinnen, gewährte ihm der Hochmeister einen Anteil am Regiment.
Fortan sollten 20 Vertreter des Adels und 27 der Städte alljährlich in
Elbing als Landesrat zusammentreten. Das wurde dem Hochmeister
als Verletzung der Ordensgesetze angerechnet. Am 14. Oktober 1413
wurde er auf dem Ordenskapitel zu Marienburg seines Amtes entsetzt
und sein Ankläger Michael Küchmeister von Sternberg (1413 bis
1422) an seine Stelle gesetzt. Damit war das Schicksal des Ordens, der
l) S. Köhler, Die Schlacht bei Tannenberg am 15. Juli 1410.
Gegnerschaft zw. d. deutsch. Orden u. den preufs. Ständen. Wladislaw III. 571
von einer Regenerierung nichts wissen wollte, besiegelt. Der unsichere
Zustand gegen Polen, wo die hussitische Revolution mit ihren gegen
das deutsche Wesen gerichteten Mafsnahmen in den breiten Volksschriften
Anklang fand, dauerte fort. Unter dem nächsten Hochmeister Paul
von Rufsdorf (1422 — 1441) begannen Wladislaw und Witold den Kampf
von neuem. Von den Ständen gedrängt, während die vom Reiche er-
wartete Hilfe viel zu zögernd heranzog, mufste der Hochmeister im
Frieden am Melno See den Polen neue Landabtretungen machen und
neue Rechte einräumen. Schon setzte eine Friedensbestimmung fest,
dafs die Stände unter Umständen das Recht besitzen, vom Orden abzu-
fallen. Der Gegensatz zwischen der Ritterschaft und dem ständischen
Wesen trat immer schärfer hervor. Schon 1430 sah sich der Hochmeister
genötigt, auf den Landesrat Plauens wieder zurückzukommen ; nur sollte
er jetzt aus je sechs Ordensrittern, Prälaten, Adeligen und Vertretern
der Städte bestehen. Die politische Lage schien sich zu bessern, als
Witold, von dem Wunsche beseelt, für Litauen die Königskrone zu ge-
winnen und das Lehensband mit Polen zu lösen, sich an den Orden
anschlofs. Nach seinem Tode (1430) kam es um den Besitz Litauens
zu Kämpfen, in die der Orden in einer Zeit verflochten wurde, da die
westlichen Ordensgebiete von den Hussiten heimgesucht wurden.
3. Wladislaw IL hatte erst von seiner vierten Gemahlin Sophie
männliche Nachkommen: Wladislaw und Kasimir. Diesen, die weder
väterlicher- noch mütterlicherseits Thronansprüche hatten, die Nachfolge
zu sichern, gab er auf dem Reichstage zu Jedlno (1430) dem polnischen
Adel eine neue Bestätigung und Vermehrung seiner Rechte und Privi-
legien; dafür wurde Wladislaw III. (1434 — 1444) als Nachfolger anerkannt.
Bei dessen Jugend konnte sich die Adelsherrschaft in Polen weiter ent-
wickeln. Um nach Westen gesichert zu sein, schlofs der König mit
dem Orden den sog. Ewigen Frieden zuBrzesc (1435), der Samogitien
und Sudauen bei Polen, Pommerellen, das Kulmer und Michelauer Land
beim Orden beliefs. Die polnische Politik wandte sich nun dem Osten
zu, wo Zerwürfnisse im moldauischen Fürstenhause Anlafs gaben, die
Moldau in Abhängigkeit von Polen zu bringen. Ging die Hoffnung der
Jagellonen, nach Sigmunds Tode auch Böhmen zu erhalten, nicht in
Erfüllung, so wurde Wladislaw doch nach dem Tode Albrechts IL zum
König von Ungarn gewählt. Nach seinem Falle bei Varna (s. oben) boten
die polnischen Grofsen die Krone dem Bruder des gefallenen Königs,
Kasimir, an, den die Litauer nach der Ermordung ihres Grofsfürsten
Siegmund zu dessen Nachfolger gewählt hatten. Kasimir zögerte, sie anzu-
nehmen, und die Polen verhandelten hierauf zuerst mit dem Kurfürsten
Friedrich IL von Brandenburg, dann mit Herzog Boleslaw von Warschau.
Erst nach langen Verhandlungen nahm Kasimir IL (1447 — 1492)
die Krone an, behielt aber auch sein Grofsfürstentum Litauen. Das
dreijährige Interregnum hatte nicht wenig zu der Ansicht beigetragen,
dafs Polen ein Wahlreich sei. Die Vorliebe für Litauen, sein Versuch,
es zum Stützpunkt der jagelionischen Politik zu machen, innerlich zu
kräftigen und nach aufsenhin zu vergröfsern, verwickelte Kasimir in
572 Kasimir II. Der zweite Friede von Thorn. Der Fall des Ordensstaates.
mannigfache Streitigkeiten mit den polnischen Ständen, so dafs er erst
1453 auf dem Reichstage von Petrokow die Reichsgesetze beschwor.
Seine auswärtige Politik war gänzlich auf die Erhöhung der Jagelionen
gerichtet : nachhaltige Erfolge erzielte er aber nur dem deutschen Ordens-
staat gegenüber.
4. Hier führte der Gegensatz zwischen Ordensrittern und den
Ständen dazu, dafs Städte und Adel des Kulmerlandes, eines Teiles von
Pommerellen, der Gebiete Osterode, Christburg und Elbing und der Bis-
tümer Riesenburg und Ermeland am 13. März 1440 in Marienwerder
den preufsischen Bund zu gemeinsamem Schutz der Landesfreiheiten
miteinander abschlössen: »Wenn Klagen bei dem Hochmeister und vor
dem Landgericht erfolglos bleiben, dann soll die Tagsatzung der Ritter-
schaft und Städte entscheiden.« Der Hochmeister bestätigte den Bund,
wohl in der Hoffnung, an ihm eine Stütze gegen die Opposition im
Orden selbst zu finden. Um so heftiger wurden die Anklagen gegen
den Meister. Als Rufsdorf starb, nur kurze Zeit, nachdem er sein Amt
niedergelegt hatte, war alles im Lande in Zerwürfnis. l) Der Hochmeister
Konrad von Erlichshausen (1441 — 1449) vermochte bei aller Tüchtig-
keit die Ordnung im Lande nicht mehr herzustellen. Wider seinen
Rat wurde nach seinem Tode sein Vetter Ludwig von Erlichs-
hausen (1450 — 1467) zum Hochmeister gewählt. Die Dinge standen
so, dafs entweder der Bund oder das Ordensland geopfert werden mufste;
schon verweigerten die Bundesmitglieder den Ordensbeamten den Ge-
horsam und traten vereinzelt mit Polen in Verbindung, als König Fried-
rich III. in Übereinstimmung mit dem Legaten des Papstes die Auf-
lösung des Bundes verlangte (1453), wogegen dieser, gewillt, sich an
Polen anzuschliefsen, Protest erhob. Während sich die Aufständischen
der Ordensburgen bemächtigten und der Hochmeister sich ratlos an
Fürsten und Adel der benachbarten Länder und an die Hansestädte um
Hilfe wandte, erschien eine Gesandtschaft des Bundes in Krakau (1454,
Februar) und bot dem Könige den Besitz Preufsens an. Der Orden
trat in seiner Notlage die Neumark gegen das Recht des Wiederkaufes
an Brandenburg ab, Polen aber erklärte dem Orden den Krieg, nahm
Preufsens Untertanen als die seinigen an und ernannte den Führer des
preufsischen Bundes, Hans von Baisen, zum Gouverneur. Im Mai 1454
nahm er in Thorn die Huldigung der Stände entgegen. Der Krieg
dauerte 13 Jahre und nur im Westen, wo die polnischen Sympathien
und die Organisation zu gemeinsamem Widerstand fehlten, konnte sich
der Orden behaupten. Vom Kampfe erschöpft, ward er zum Frieden
gezwungen, der unter der Vermittlung des päpstlichen Legaten Rudolf
von Lavant am 19. Oktober 1466 in Thorn zustande kam. Westpreufsen
mit Marienburg, Thorn, Kulm, Danzig und Elbing fielen den Polen zu ;
für Ostpreufsen, das, vom Mutterlande getrennt, dem Orden verblieb,
mufste der polnischen Krone der Lehenseid geleistet werden. Damit
war der Ruin des Ordensstaates besiegelt. Noch überwog in den Städten,
x) Voigt VIII, 1.
Die jagellonische Hauspolitik. 573
die nun unter fremde Herrschaft gerieten, der Hafs gegen den Orden
die Schmach, die an diesem Friedensschlufs haftet. In dem über jede
Beschreibung verwüsteten Lande war das sittliche Bewufstsein nieder-
getreten, wie die Acker und Siedlungen, die nur langsam zu neuem
Leben erstanden. 2) Unermefslich dagegen* war der Jubel in Polen. Für
dieses war der neue Erwerb von der gröfsten Wichtigkeit: er brachte
dem Staate ein neues Element an städtischen Gemeinwesen hinzu, das
nun freilich — mit Ausnahme der Städte Danzig, Thorn und Elbing —
seine frühere Bedeutung verlor.
5. Die Politik Kasimirs als jagellonische Hauspolitik tritt am deut-
lichsten in seinen Beziehungen zu Böhmen und Ungarn an den Tag,
in denen er eine Sekundo- und Tertiogenitur seines Hauses zu be-
gründen bemüht war. Als sich die österreichisch - böhmisch - unga-
rische Union nach dem Tode des jungen Königs Ladislaus Posthumus
(1457) auflöste, erhob er als dessen Schwager Ansprüche auf beide
Länder, doch fehlte es ihm bei der Haltung des Deutschen Ordens zu-
nächst an den Machtmitteln, sie durchzusetzen, und so erkannte er die
nationalen Königsherrschaften, die in den beiden Ländern entstanden
waren, nicht nur willig an, sondern trat auch mit Georg Podiebrad in
freundschaftliche Beziehungen, die er auch dann nicht auflöste, als der
Papst die polnische Macht gegen das hussitische Königtum auszuspielen
gedachte (s. unten). Erst nach Georgs Tode (1471) gestattete er seinem
ältesten Sohne Wladislaw, die auf ihn gefallene Wahl zum König von
Böhmen anzunehmen. Dagegen mifslang die Erhebung seines zweiten
Sohnes Kasimir auf den ungarischen Königsthron, die durch die Gegner
des Königs Matthias Corvinus versucht wurde; und als Kasimir diesen
Plan sechs Jahre später von neuem aufgriff, gefährdete Matthias durch
seine Verbindung mit dem Deutschen Orden die grofsen Errungenschaften
Polens in Preufsen. Erst 1479 kam es zur Herstellung eines allgemeinen
Friedens zwischen Böhmen, Polen und Ungarn, der auch den Orden
zum Einlenken zwang. Gegen die Türken, zum Teil auch gegen die
Ungarn gewann Kasimir einen trefflichen Bundesgenossen an dem Mol-
dauerfürsten Stephan dem Grofsen (1457 — 1504), der den Türken
— sie zählten 120000 Mann — mit seinen 40000 Moldauern bei Eacova
am Flusse Berlat eine blutige Niederlage beibrachte (1475, 10. Januar).
Stephans Sieg, für jene Zeit ein Ereignis ohnegleichen, war seit lange
der erste grofse Erfolg gegen die Türken in offenem Felde.2) Während
er nunmehr eine starke Unterstützung gegen sie von Ungarn und Polen
begehrte, wTar jede der beiden Mächte bemüht, der andern die Ober-
herrschaft über die Moldau abzuringen, und Stephan spielte gegen beide
ein Doppelspiel, das freilich mit der Grund zu der Niederlage war, die
er gegen die fünfzehnfache Übermacht der Türken im Albatale im
Distrikte von Njamtz erlitt. Um ausgiebige Hilfe gegen diese zu er-
*) Schiemann, 1, 580.
2) Xenopol I, 276, wo auch die Quellen für die Kämpfe gegen die Türken ver-
zeichnet sind.
574 Die jagelionische Grofsinacht. Oligarchische Verfassung Polens.
halten, leistete er Kasimir die Huldigung (1584, 15. September). Nach
dem Tode des Königs Matthias suchte Kasimir Ungarns Krone für
seinen dritten Sohn Johann Albrecht zu erringen. Die ungarischen
Magnaten proklamierten dagegen den böhmischen König Wladislaus als
König, so dafs nun zwei Söhne Kasimirs in Ungarn als Gegner einander
gegenübertreten, von denen schliefslich Wladislaw das Feld behauptete.
Das jagellonische Königshaus gebot somit über den weitaus gröfsten
Teil von Osteuropa. Die Bemühungen, auch im Westen Erfolge zu er-
ringen, liefsen den König die Interessen Polens im Osten den Russen
und Türken gegenüber vernachlässigen. Die Tataren von Perekop unter-
warfen sich der türkischen Macht, und die wichtigen Moldauhäfen Kilia
und Bialygrod gingen an sie verloren. Trotzdem Kasimir ein starkes
Gefühl seiner Macht und Würde besafs und von dem Wunsche beseelt
war, die Übermacht des polnischen Adels zu brechen, hat sie unter
seiner Regierung gröfsere Fortschritte gemacht als jemals früher. Eben
um sich dem Einflufs der Magnaten zu entziehen, weilte er mit Vorliebe
in Litauen ; dafs man zu seiner Zeit von dem Bedürfnis umfassender
politischer Reformen in Polen durchdrungen war, davon zeugt die Schrift
Johann Ostrorogs, die sich bereits mit Gedanken trägt, die auf den
modernen Staat hinzielen.1) Aber zu wirklichen Reformen in der Rechts-
pflege, der Verwaltung und im Kriegswesen ist es nicht gekommen.
Das wichtigste war, dafs die Macht des kleinen Adels unter ihm die
bedeutsamsten Fortschritte machte. Um die gewünschten Steuerbewilli-
gungen leichter zu erhalten, von denen er erwarten mochte, dafs sie
von dem unter dem Einflufs der Magnaten stehenden Reichstagen nicht
bewilligt würden, liefs der König vom Adel Bevollmächtigte wählen, die
als Landboten an die vom König bestimmten Orte geschickt wurden.
Hier konnten übrigens auch freiwillig Mitglieder des Adels erscheinen,
um im Verein mit dem König über neue Abgaben zu beraten. Hatten
die hier gefafsten Beschlüsse nur für die durch die Versammlung ver-
tretene Landschaft Geltung, so ging Kasimir schon 1468 einen Schritt
weiter, indem er diese Landboten nach Piotrkow berief und verordnete,
dafs von jeder Woiwodschaft zwei Verordnete hingesandt werden sollten.
So entstand die »Landbotenstube«, die im Verein mit dem aus den
höchsten Würdenträgern des Reiches bestehenden Rat des Königs —
dem Senat — den polnischen Reichstag bildete. Die Landbotenstube
hatte fortan den wesentlichen Einflufs.2) Sie bildete die eigentliche
Kationairepräsentation Polens, da der Adel allein die Nation ausmachte.
Die Boten, die von zwei zu zwei Jahren berufen wurden, wurden jedes-
mal neu gewählt. Bei der geringen Anzahl und der Bedeutungslosigkeit
der Städte konnte ein dritter Stand nicht aufkommen. Xur ausnahms-
weise wurden einzelne Verordnete der Bürgerschaft zu den Reichstagen
berufen, ohne dafs sie aber ein Recht der Mitberatung erhielten. Die
Leitung des Staatswesens geriet von nun an ganz in die Hände der
Schlachta.
x) Monumentum pro comitiis regalibus. S. hierüber Schieinann I, 591.
2^ Ebenda 593.
si
fa
w
Rufsland, Litauen, die Goldene Horde. 575
§ 132. Rufsland, Litauen und die Goldene Horde.
Quellen: S. Bestushew-Rjumin, Quellen und Literatur zur russischen
Geschichte im ersten Band seiner Gesch. Rufslands. Deutsch v. Th. Schiemann.
Mitau 1877. Dort S. 61 das Verzeichnis der Urkundensammlungen, von Briefen (S. 46),
von Chroniken (S. 1 die reichhaltige Literatur über Chroniken), »Sonderberichten« (S. 15)
und Heiligenleben. Über die russischen Jahrbücher s. die Übersicht in Potth. H, 1729
(dazu JBG. 1900, III, 185 ff.) u. Aufzählung u. Beschreibung I, 721—22. S. auch Popov,
Übersicht über die russ. Chronographen. 2 Bde. Petersb. 1866 (russisch). Die Livl.
Reimchr. bis 1291. Her. v. Meyer. Paderb. 1876. Barthol. Hoenecke, Livl. Reimchr.
Her. v. Höhlbaum. Leipz. 1872. Chronicon Suzdaliense bis 1419 als Anhang zu Nestor
und in d. Ausg. der Petersb. Ak. 1872. Chronik d. Grofsf. v. Litauen, zugleich mit den
Russici Lithuanici, ed. Popov. Petersb. 1854 und Altpreufs. Monatschr. NF. XIV. Die
Byzantiner s. § 133. Arab. Berichte s. Bestushew-Schiemann, S. 122 ff .
Hilfsschriften: Über wissensch. Bearbeitungen der russ. Gesch. s. Bestu-
shew-Schiemann, S. 152 ff. Aufser den allg. Werken von Karamsin (über ihn
Bestushew, S. 162), Solowjew, Kostomarow, Ustrialow, Bjelow (JBG. 1897),
dann Strahl-Herrmann, Rambaud, Brückner, Gesch. v. Rufsland. Gotha 1896
und vor allem Th. Schiemann, Rufsland, Polen und Livland bis ins 17. Jahrh.
Berl. 1886. Ilowaiski, Gesch. Rufslands (russisch) Mosk. 1880. Von Einzelschriften:
Poleschajew, Das Fürstentum Moskau in der ersten Hälfte des 14. Jahrh. Pet. 1878.
Petro w, Gesch. der russ. Adelsgeschlechter, ib. 1886 Antonowitsch, Gesch. d. Grofsf.
Litauen. Kiew 1887 (russisch). Gennadius Karpow, G. d. Kampfes zw. dem mosk.
u. poln.-lit. Reich 1462—1568. Moskau 1867. Eksemplj arskij , Die Grofs- u. Teil-
fürsten d. n. Rufsland in d. Epoche des Mongolenjoches 1238 — 1505 (russ.) Petersb. 1889-
Daschkewicz, Gesch. Daniels v. Halitsch. Kiew 1873. Hammer, Gesch. d. Gold.
Horde in Kiptschak. Pest 1840. Radioff, Jarlyki Toktamischa i Temir Kutlug, Arch.
Obc. Pokotilov, Hist. des Mogols orientaux de 1368—1634. Petersb. 1893. Weitere
Literaturang. s. bei Bestushew (S. 214 ff.) u. Schiemann. Die Arbeiten zur kirchlichen
Union s. unten.
1. Als Batu (s. § 24) seinen Eroberungszug nach dem Westen
unternahm, liefs er einen Teil seiner Streitmacht im Wolgagebiete zurück.
Von dort aus hielt er die Herrschaft über Rufsland fest. Nach der
Rückkehr schlug er sein »goldenes« Zelt am linken Achtubaufer, einem
Arm der Wolga, auf. Um dies Zelt herum entstand allmählich eine
ansehnliche Stadt, die Residenz der Khane, Sarai. Die Residenz heifst
Orda, d. h. das Lager, daher »die Goldene Horde«. Vom Grofs-
khan abhängig, war der Khan in inneren Angelegenheiten unumschränkt.
Auch die Abhängigkeit von »dem Gesetze« der Jasa hörte auf, seit er
sich dem Islam zuwandte (bald nach 1256). Bei der Thronbesteigung
and die Huldigung statt. Knieend, mit gelöstem Gürtel und barhaupt
urde dem Khan der Treueid geleistet, der Leben und Eigentum der
Untertanen in seine Hände gab.1) Dem Khan von Sarai war Rufsland
Untertan, seit Jaroslaw IL von Wladimir (1243) die Oberherrschaft
Batus anerkannt hatte. »Sei du der Alteste unter den russischen Fürsten!«
soll ihm dieser gesagt haben. Sein Sohn Konstantin ging nach Kora-
korum; als dies nicht genügte, zog er selbst dahin, dem Grofskhan zu
huldigen. Auch die übrigen Teilfürsten erkannten die Oberherrschaft
des Mongolen an. Die eigenartige Entwicklung Rufslands erfuhr durch
*) Schiemann, S. 174, 179. Dort die Schilderung des Khanats der Gold. Horde
und seiner Organisation.
576 Mongolische Einflüsse auf Kufsland. Alexander Newski.
diese Fremdherrschaft eine Unterbrechung, die nahezu 250 Jahre dauerte.
Zwar blieb die Dynastie Ruriks bestehen, auch konnten sich Sitten und
Gebräuche und Grundsätze des öffentlichen Rechtes, die noch in die
Xorrnannenzeit reichen, behaupten, so namentlich das Teilfürstentum,
aber die tatarische Herrschaft machte sich in drückender Weise geltend l) :
die Unterworfenen leisten Heeresfolge, die finanziellen Quellen des rus-
sischen Reiches werden aufs äufserste ausgenützt, ein drückendes Steuer-
system, »ein Raubsystem wird eingeführt, dem jede volkswirtschaftliche
Einsicht fehlte«. Boten des Khans ziehen durch das Land, um die
Steuereinhebung zu beaufsichtigen. Die Steuern sind zumeist an Kauf-
leute aus Chiwa verpachtet. Wer sie nicht bezahlen kann, verfällt der
Sklaverei. Boten des Khans wachen über den Gehorsam des Volkes
und der Fürsten. Nach Jaroslaws II. Tode bestieg Swätoslaw III. (1246
bis 1249) den grofsfürstlichen Stuhl zu Wladimir. Von Jaroslaws Söhnen
hatte der ältere, Alexander (1236[1246] — 1263), Nowgorod und Kiew,
ein jüngerer, Andrej, Wladimir erhalten. Schon arbeitete Andrej im
Bunde mit dem Fürsten Daniel von Halitsch dahin, das Joch der Mon-
golen abzuwerfen, da wurde Alexander, der sich durch die letztwillige
Verordnung des Vaters zurückgesetzt glaubte, sein Ankläger. Andrej
entfloh zu den Schweden. Dieser Streit war der Beweggrund, dafs Now-
gorod die Tatarenherrschaft willig anerkannte, was um so beachtens-
werter ist, als Alexander eine kriegerische Veranlagung hatte. Den
Schweden, die unter Jarl Birger am Finnischen Busen Fufs fassen wollten,
brachte er an den Ufern der Newa — daher wird er, aber erst von
jüngeren Quellen, Newasieger genannt — eine Niederlage bei (1240,
15. Juli). Ein Heer des Deutschen Ordens, das sich westlich von Now-
gorod festzusetzen beabsichtigte, wurde auf dem Eise des Peipussees ge-
schlagen. Aber eben dieser russische Nationalheld und Heilige wandte
sich in seiner Politik ganz den Tataren zu und täuschte die Erwartungen
Innozenz' IV., der Rufsland für die abendländische Kirche gewinnen
wollte. Dagegen machte Daniel von Halitsch, der von diesem
Papste (s. oben § 30) die Königskrone erhielt, den Versuch, das Tataren-
joch abzuwerfen, wurde aber (1259) gezwungen, >; die Befestigungen seiner
Städte niederzulegen«. Als sein Haus (1337) ausstarb, fiel sein Besitz
erst an Litauen, dann (1349) an Polen.
2. Auch im Südwesten wurde die russische Macht am Ende des
13. Jahrhunderts stark eingeengt. Am Ausgang des 13. Jahrhunderts
erhob sich der den Slawen zunächst stehende indogermanische Volks-
stamm der Litauer zu politischem Leben. Zuerst machte Mindowe,
Ringolds Sohn, den Versuch, unter Beseitigung der Teilfürstentümer
eine einheitliche Fürstenmacht zu begründen. Er trat zum Christentum
über, setzte sich mit dem Deutschen Orden in Verbindung und erhielt
vom Papste (1253) die Königskrone. Neun Jahre später sagte er sich
von der Oberherrschaft des Deutschen Ordens und vom Christentum
los und trat mit Alexander Newski in ein Bündnis gegen Livland. Er
l) Über ihren Einflufs auf Rufsland, s. Bestushew S. 209 ff., Brückner 452 ff.
Litauen unter Witen und Gedimin. Das Aufstreben Moskaus. 577
erlag einer Verschwörung litauischer und russischer Fürsten, ehe er
noch sein Ziel, eine einheitliche Macht in Litauen zu begründen, er-
reicht hatte. Nach seinem Tode kam es zu einer heidnischen Reaktion,
bis Witen (1293—1316) und Gedimin (1316—1341) Mindowes Pläne
durchführten. Sie brachten die Eroberungen des' Deutschen Ordens zum
Stillstand und sind Begründer jenes starken Reiches, das fortan in den
Verwicklungen Osteuropas seine Rolle spielt und unter Einwirkung des
Deutschen Ordens eine starke Militärmacht wurde. Russische Land-
schaften : Kriwitschen, Polozk, Wladimir, Luzk, Wolhynien, Kiew u. a,
kamen im 14. Jahrhundert durch Krieg oder Erbschaft an Litauen,
das schon unter Gedimin seine erste für den Deutschen Orden verhäng-
nisvolle Verbindung mit Polen schlofs.
3. Inzwischen drückte die Herrschaft der Goldenen Horde mit aller
Wucht auf Alexanders schwache Brüder1) und Söhne2). Unter den
Teilfürstentümern hob sich Moskau, das erst mit Michael, einem
Bruder Alexanders, einen eigenen Fürsten erhalten hatte, unter Danilo,
dem vierten Sohn3) Alexanders, mächtig empor. Sein Sohn Juri lag
mit dem Grofsfürsten Michael IL von Twer (1304 — 1319) in fort-
währendem Kampfe. Beide buhlten um die Gunst des Oberherrn, bis
Juri als Sieger hervorging und die grofsfürstliche Würde in Wladimir
und ganz Rufsland erlangte. Damit war die Moskauer Linie ans
Regiment gelangt. Juris Versuch, Twer zu erobern, endete mit
seiner Niederlage. Indem beide Gegner die Entscheidung des Oberherrn
anriefen, wurde Michael wegen angeblicher Ermordung der tatarischen
Gemahlin Juris' hingerichtet (1319) und Juri allgemein als Grofsfürst an-
erkannt. Aber Michaels Söhne, Dmitri und Alexander, sannen auf Rache.
Während Juri seine Kräfte im Kampfe gegen die Schweden erschöpfte,
gewann Dmitri die Gunst des Khans und die grofsfürstliche Würde in
Wladimir und entledigte sich vor dessen Augen seines Gegners durch
Mord (1325). Allerdings mufste er die Tat mit dem Tode büfsen, doch
blieb die grofsfürstliche Würde seinem Bruder Alexander IL (1327
bis 1328), und erst als dieser sich an der Spitze der Einwohner Twers
an den tatarischen Steuereinhebern vergriffen hatte, kam das Grofsfürsten-
tum für immer an Moskau. Juris Bruder Iwan I. (1328 — 1340) erhielt
nun die Herrschaft und den Besitz von Wladimir und Nowgorod. Wohl
nicht so sehr wegen seiner Freigebigkeit gegen die Armen, als weil er
es verstand, Geld einzusammeln, Kaiita, der Beutel genannt, nicht
kriegerisch, aber ein kraftvoller Politiker und tüchtiger Finanzmann,
gewann ihm seine unbedingte Fügsamkeit das Vertrauen des Khans,
dessen er sich zur Vernichtung seines Gegners Alexander von Twer
bediente. Seine Herrschaft befestigte er, indem er sich eng an den
Metropoliten anschlofs, der schon 1325 seinen Sitz von Wladimir nach
Moskau verlegt hatte. Moskau wurde nun der politische und kirch-
') Jaroslaw III (1263—1272), Wassili I. (1272—1276).
2) Dmitri I. (1276—1294) und Andrej III (1294—1304).
3) S. Schiemann, S. 246.
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 37
578 Moskau, der pol. u. kirchl. Mittelpunkt Rufslands. Olgerd u. Kestuit.
liehe Mittelpunkt Rufslands.1) Selbst Nowgorod geriet in eine gewisse
Abhängigkeit von ihm. Indem Iwan seinen Sohn Simeon mit einer
Tochter Gedimins vermählte, gewann er auch an diesem eine Stütze.
Seine Erfolge sind um so höher einzuschätzen, weil sie unter Usbeks
(1313 — 1341) Augen errungen wurden, der unter allen Khanen seit Batu
zweifellos der bedeutendste war. Im Geiste Iwans wirkte dessen ältester
Sohn Simeon (1341 — 1353); er wurde noch von Usbek im Grofsfürsten-
tum Wladimir anerkannt, ja der Khan »gab die russischen Fürsten in
seine Hand«. Seine Brüder erkannten ihn in einem Vertrage, in welchem
er Grofs fürst von ganz Rufsland genannt wird, als Herrn an.
Um von der Plage tatarischer Steuereinheber befreit zu sein, nahm er die
Steuererhebung selbst auf sich, was zur Folge hatte, dafs sich zahlreiche
Einwohner jener Fürstentümer, in denen das alte System der Steuer-
einhebung fortbestand, in Moskau niederliefsen. Nowgorod, das sich
gegen seine Vorherrschaft auflehnte, wurde unterworfen, behielt im
übrigen aber seine eigene Ordnung. Einer Verbindung Litauens mit der
Horde arbeitete er erfolgreich entgegen.
4. Litauen entbehrte nach Gedimins Tode fünf Jahre hindurch
eines allgemein anerkannten Oberhauptes, bis es dem Fürsten Olgerd
(1341 — 1377) gelang, im Verein mit seinem Bruder Kestuit (Kynstuttei
die grofsherzogliche Würde herzustellen. Wohl mufsten diesem die rein
litauischen Lande, von denen aus er einen unaufhörlichen Krieg gegen
den Deutschen Orden führte, gelassen werden ; Olgerd selbst erhielt mit
der oberherrlichen Gewalt die russischen Landesteile und erblickte seine
Aufgabe in der Einschränkung der moskowitischen Macht. Einer der be-
deutendsten Staatsmänner seiner Zeit, stand er mit seinen Neigungen
übrigens mehr auf Seiten der Russen, wie denn auch seine zweite Ge-
mahlin eine Russin war und von seinen zwölf Söhnen zehn die Taufe
nach russischem Ritus erhielten. W7ar es für Kestuit ein Zeugnis aufser-
ordentlicher Tüchtigkeit, dafs er sich gegen die Ordensmacht unter
Winrich behauptete, so gewann Olgerd gegen Smolensk an Einflufs, und
nach Simeons Tode nützte er die schwache Regierung Iwans IL (1353
bis 1359) aus, um seine Macht auch im südlichen Rufsland auszubreiten.
Zum Glück für das Grofsfürstentum Moskau war die Macht der Goldenen
Horde seit Usbeks Tode in fortwährendem Abnehmen begriffen. Die
Genüsse des Hofes und Harems entnervten die Herrscher, und Palast-
intrigen durchbrachen die Ordnung der Thronfolge ; in den 36 Jahren
von 1342 — 1378 zählte man nicht weniger als 26 Khane; zuletzt bildeten
sieh innerhalb der Horde selbst zwei Khanate aus. von denen das eine
in Sarai verblieb, das andere zwischen Wolga und Don lag.2) Ein
kräftiger Herrscher in Moskau würde schon jetzt den grofsen Entschei-
dungskampf gewagt haben, aber Iwans Söhne waren minderjährig.
Unter diesen Umständen gelang es dem Fürsten von Susdal Dmitri III.
x) Übrigens hatte sich schon früher der Fürst von Twer, Michael Jaroslawitsch,
den Titel >Fürst von ganz Rufsland < beigelegt. 8. JBG. 1889, m, 169.
- Schiemann, S. 267.
Dmitri Donskoi und Wassili II. Niedergang der Goldenen Horde. 579
Konstantinowitch (1359 — 1362), die Anerkennung des Grofsherrn als
Grofsfürst zu erhalten. Damit waren die Bojaren von Moskau unzu-
frieden. Sie setzten es durch, dafs ihr Fürst, Dmitri IV. Iwano-
witsch (1362 — 1389), die Grofsfürsten würde und im Kampfe wider seinen
Gegner die Oberhand erhielt. Mit Hilfe des Metropoliten stellte
Dmitri IV. den vollen Einflufs Moskaus auf die übrigen Fürstentümer
wieder her. Sie alle, bis auf Twer, erkannten seine Vormachtstellung
an, und auch dieses wurde schliefslich hiezu gezwungen. Nun trat
allerdings der Khan Mamai selbst gegen Moskau auf, aber die Tataren
erlitten nach anfänglichen Erfolgen im Sommer 1378 durch Dmitri bei
Perejaslawl Rjäsanski ^eine schwere Niederlage; es war der erste Sieg,
den die Russen seit 155 Jahren wider die Tataren in offenem Felde
erfochten. Noch gröfser war die Niederlage, die Mamai selbst in den
Gefilden von Kulikow erlitt (1380, 8. September). Das dankbare Volk
gab dem Grofsfürsten den Ehrennamen Donskoi.1) Mamai kam auf dem
Rückzuge um; nun erschien sein Nachfolger Toktamisch, den Timur
selbst eingesetzt hatte, vor Moskau. Die durch seine Friedensbeteue-
rungen getäuschten Bewohner öffneten ihre Tore ; noch einmal wurde
Rufsland von den Tataren geknechtet. Aber Dmitri behielt doch seine
Grofsfürstenstellung, die er übrigens schärfer als einer seiner Vorgänger
zur Geltung brachte. Er starb, ohne seinen heifsesten Wunsch, die
Tatarenherrschaft abzuschütteln, erfüllt zu sehen. Ihm folgte sein ältester
Sohn Wassili IL (1389 — 1425), wiewohl erst 16 Jahre alt, unbestritten
in der Regierung; sie wurde auch von Toktamisch anerkannt. Ein
kühl abwägender Politiker, in welchem sich bereits jener Zug der Grau-
samkeit zeigt, den man bei den folgenden Grofsfürsten wahrnimmt,
suchte er gegen die Eroberungsgelüste Jagiellos sich durch ein Bündnis
mit Witold von Litauen, dessen Tochter Sophie er zur Ehe nahm, zu
schützen. In Nowgorod behauptete er seinen Einflufs. Der Khan
schätzte ihn »wie keinen der früheren Fürsten« und überliefs ihm den
wichtigen Handelsplatz Nischni-Nowgorod, auf den Wassili nicht den
mindesten Anspruch hatte. Toktamisch hoffte hiedurch den Grofs-
fürsten in seinem Kampfe gegen Timur um so fester auf seine Seite zu
ziehen. Nachdem dieser den Khan in zwei Schlachten besiegt hatte,
zog er gegen Rufsland. Schon hatte er die Don- und Dnjeper-
gegenden verheert, Moskau zitterte vor dem Anmarsch des blutigen
Eroberers, da nahmen die Mongolen plötzlich den Rückmarsch. Frommer
Glaube schrieb die Rettung dem wundertätigen Muttergottesbild zu, das
— es war nach der Legende von dem Evangelisten Lukas gemalt2) —
vom Grofsfürsten nach Moskau übertragen worden war. Toktamisch hatte
sich vor Timur zu Witold nach Litauen geflüchtet, wo er gegen die von
Timur eingesetzten Herrscher von Sarai Hilfe suchte; aber AVitold selbst
erlitt gegen die Tataren an der Worskla eine furchtbare Niederlage
(1399, 5. August) und nur die in der Horde eingetretene Zerrüttung
x) S. Bestushew, S. 305 u. Köhler III, 457 (enthält eine Darstellung des russi-
schen Heerwesens).
2) Die Abbildung bei Schiemann, S. 289.
37*
580 Wassili in. und Iwan III., der Grofse. Grofs-Nowgorods Untergang.
schützte ihn vor schwereren Verlusten. Schon konnte der Grofsfürst
von Moskau einen — allerdings noch verfrühten — Versuch wagen, der
Horde den Tribut zu versagen. Zum Glück für Moskau sah sich der
Khan, der seinen Feldherrn Jedigei mit starker Heeresmacht gegen
Moskau entsandt hatte, durch einen Nebenbuhler in Sarai selbst ge-
fährdet und rief seine Kriegsmacht ab (1408). Wassilis Sohn Wassili III.
(1425 — 1462) war erst zehn Jahre alt, als er zur Regierung gelangte.
Ihm machten zuerst sein Oheim Juri, dann dessen Sohn Wassili, ge-
nannt »der Schieler«, den Thron streitig, was dieser schwer büfsen
mufste, denn er wurde auf Befehl des Grofsfürsten geblendet, ein Ge-
schick, das Wassili III. später selbst traf, denn als er im Kampfe mit
Ulu Mohammed, der aus Sarai vertrieben, sich ein neues Tatarenreich in
Kasan gegründet hatte, besiegt und gefangen und hierauf um ein schweres
Lösegeld ausgelöst wurde, erhob sich »des Schielers« Bruder Dmitri
Schemj äka gegen ihn, nahm ihn gefangen und liefs ihn blenden (1446).
Eine starke Bewegung zu seinen Gunsten führte ihn aber wieder auf
den Thron zurück. Schemj äka war der letzte Teilfürst, der einem Grofs-
fürsten von Moskau den Thron bestritt.1) Von jetzt ab beginnt das
unumschränkte Regiment des moskauischen Grofsfürstentums. Wassilis
Regierung ist auch dadurch bemerkenswert, dafs die unter Mitwirkung
des russischen Metropoliten Isidor in Ferrara beschlossene Union der
morgen- und abendländischen Kirche in Moskau in aller Form abge-
lehnt wurde.
5. Wassili III. hatte noch bei seinen Lebzeiten seinen ältesten Sohn
Iwan III. Was sil je witsch (1462 — 1505) zum Mitregenten angenommen.
Als dieser seine alleinige Herrschaft antrat, gab es noch vier wichtigere
Teilfürstentümer; zudem hatte ihn das Testament seines Vaters ver-
pflichtet, seinen Brüdern bedeutende Gebiete zu überlassen und sie förm-
lich unter den Schutz des russischen Erbfeindes Polen-Litauen gestellt.
Iwan nahm den Teilfürsten auf friedlichen! Wege, und wo dies nicht
möglich war, durch gewaltsame Mittel ihre politische Bedeutung und
wufste in schwerer dreißigjähriger Arbeit sein Ziel zu erreichen : Rufs-
land einem einzigen Willen unterzuordnen. Gegen Litauen errang er
bedeutende Erfolge, den gröfsten, als er im Jahre 1479 Grofs-Nowgorod
unterjochte, das noch einen Teil seiner alten Freiheit und seine Handels-
verbindungen mit der Hanse aufrecht erhalten hatte. Die ungeheuren
Schätze des Erzbischofs fielen an den Grofsfürsten ; eine Anzahl ange-
sehener Bürger wurde hingerichtet oder verbannt und endlich fast die ganze
alte, wohlhabende Bevölkerung zerstreut oder getötet. Die letzte Weg-
führung fand 1488 statt. Niemand blieb in Nowgorod, in dem noch
eine Erinnerung an die alte Gröfse der Stadt gelebt hätte. Sechs Jahre
später wurden die letzten deutschen Kaufleute treuloserweise ergriffen
und ihrer Habe beraubt. Mit den Tataren Kasans und der Horde hielt
er Frieden, bis die Gunst der Verhältnisse ihm den Sieg zuwandte.
Schon 1469 mufste Kasan einen demütigenden Frieden eingehen. Nicht
J) Schieraann S. 299.
Eroberungen Iwans. Das Ende d. Gold. Horde. Rufslands Ansprüche auf Byzanz. 581
lange hernach begannen die Kämpfe mit der Goldenen Horde, die sich
mit Kasimir von Polen verbündet hatte. An dem Khan der Krim
fand Iwan einen Bundesgenossen; aber noch dauerte es einige Jahre,
ehe hier die Entscheidung fiel. Dazwischen lagen die Eroberung der
Krim durch die Türken und der Kampf um Nowgorod. Iwan erneuerte
(1480) sein Bündnis mit dem Khan der Krim, der sich seines Landes
wieder bemächtigt hatte und nun durch einen Einfall in Litauen Kasimir
von einem Angriff auf Moskau fernhielt, während eine andere Heeres-
abteilung in Sarai einfiel. Iwan zog den Krieg in die Länge, bis die
Tataren unter den Wirkungen des russischen Winters sich zur Heim-
kehr wandten; mittlerweile fiel Sarai in die Hände der Schibanschen
und Nogaischen Horde". Ohne dafs die Russen eine Schlacht geschlagen,
vollzog sich das Ende der Herrschaft der Goldenen Horde. Die Früchte
fremder Siege fielen dem Grofsfürsten zu; von den Tatarenkhanen hat
keiner mehr die Oberherrschaft über Rufsland beansprucht. 1487 machte
Iwan der Selbständigkeit Kasans ein Ende. Er war der erste russische
Grofsfürst, der dauernde Beziehungen zu dem Westen anknüpfte. Mit
Papst Paul IL stand er in Verbindung, und dieser war es, der ihn auf
die Prinzessin Sophie, Tochter des Despoten von Morea, Thomas Paläo-
logos, eines Bruders des letzten byzantinischen Herrschers, die 1461
nach Rom gekommen war, aufmerksam machte. Sie reichte dem Grofs-
fürsten die Hand. In ihrer Hoffnung, dafs nun auch die Union der
beiden Kirchen in Moskau Eingang finden würde, erlebte die Kurie
eine Enttäuschung. Iwan III. gewann durch diese Heirat die Ansprüche,
die Sophie auf Byzanz geltend machen konnte. Die letzten grofsen
Erfolge errang er gegen Litauen. Er starb am 27. Oktober 1505. Seine
Regierung bedeutet in jedem Sinne den Übergang vom Mittelalter zur
Neuzeit in Rufsland.
2. Kapitel.
Byzantiner, Osmanen und Mongolen seit dem Fall des lateini-
schen Kaisertums.
§ 133. Der Niedergang des byzantinischen Reiches, die Gründung des
osmanischen Kriegerstaates und Grofsserbien.
Quellen. 1. Griechische: s. Krumbacher, Gesch. d. byz. Lit. 2 A. 1897.
Potthast II, 1731. Schlumberger, Sigillographie de l'Empire Byz. Paris 1884. Urkunden:
An einer method. Sammlung fehlt es. Ein Regestenwerk ist in Vorbereitung. Miklosich
und Müller, Acta et diplomata graeca med. aevi. 6 Bde. "Wien 1860 — 90 (enthält Er-
lasse d. Kaiser, Verträge, Korrespondenzen etc.). Tafel u. Thomas, Urkk. z. Gesch.
d. veneto-byz. Beziehungen etc. FF. rer. Austr. 2, XII — XIV (s. Neumann in Byz. Z. I, 366).
Theiner et Miklosich, MM. spectant. ad union. ecclesiarum. Vind. 1872 (d. auf die
kirchl. Union bez. Akten 1124 — 1582). Sathas, Mv^uela 'EkXrjvixiJG ioroot'ag. Documenta
inöd. rel. ä l'hist. de la Grece au moyen-äge. 1. Ser. 9 Bde. Paris 1880 — 90 (lat. und
it. auf d. lat. Herrsch, im Or. bez. Urkk.). 1. Abt. Doc. ined. relat. ä l'histoire de la Grece
au moyen-äge 1400 — 1500. Venise. 1880. K. Hopf, Chroniques Greco-Romanes
ined. Berl. 1873 (enth. unter anderm gen. Tafeln der lat. Geschl. d. Orients). Urkk.
582 Der Niedergang der Byzantiner.
z. Gesch. der Beziehungen Venedigs zum Oriente im allgem. u. zu einzelnen Inseln
u. Landschaften s. in d. "Werken von Mas Latrie, Xoiret (Doc. ined. p. serv. ä l'hist.
de la dorn, venet. en Crete 1380 — 1485. Paris 1892.) Thomas (Diplomat. Yen.
Levant. Ven. 1880) u. a. s. in Krumbacher 219 — 224, 902. Nouvelles preuves de
l'histoire de Chypre sous le regne des princes de la maison de Lusignan. 2 voll.
Paris 1873—74 (BECh. XXXIH— XXXV) S. auch Ljubic, MM. spect. hist. Slav. merid.
tom. V. Agram 1875. Ungar. Urkk. in Katona XTTT u. a. \v. o.
Geschichtschreiber f. d. Zeit v. 1261 — 1453. Georgios Pachymeres, De
Michaele et Andronico Palaeologis libri XJH (v. 1261—1308) ed. Bekker. Bonn 1835
(s. Krumbacher S. 288 . Xikephoros Gregoras, 'Iorooia 'Ptouaixr 1204 — 1359, ib. 1855
(Krumb. 293). Georgios Phrantzes, Chronicon 1258—1476, ib. 1838 Krumb. 307).
Johannes VI. Kantakuzenos, De rebus ab Andronico Palaeologo iun. nee non a se
gestis, libri IV. 1320—1356, ib. 1828—32 (Krumb. 299). (Johannes Komnenos, Vit. Joh.
Cantacuzeni, ed. Papadopulos Kerameus in Js/.riov tjJs Igt. xai tfrio/.oy. etc. 1885.)
Laonicos Chalkondyles, Historiarum de orig. atque reb. gest. Turcorum et imperii
Grecorum interitu libr. X (1298—1462;, ib. 1843 (Krumb. 302 Ducas, Hist. Byzant.
(1341 — 1462), ed. Bonn. 1834 (Krumb. 305). Kritobulos aus Imbros, Biog rov McoäusS
(1451—1467), ed. Müller FHGr. V. 40—161 (Krumb. 309). 0tfvos nsoi Tauvoldyyor, ed.
Wagner, Carm. graec. med. aevi. Lips. 1874 (Krumb. 838). — Vt'oaf, Jia t^v xojv Tovqxuiv
ßaoi/.tiai-, ed. Sathas. Mao. ßtßliod: I, 243 (s. Krumb. 311), erz. in 734 Versen die letzten
Schicksale des byz. Reiches, 'letdwrjg 6 Kavavog, Jirjyr;Gts nsoi rov iv KcovoTavTivovTio/.tt
yeyoroTOS nolt'fiov etc., ed. Bonnae 1838 (Krumb. 300). 'icodvvrjs 6 'ArayvcüoTT-g, Jir/y^atg
Titol rrjs xsXevraias dXcoaeoyg rrtg GsGoaÄopixTJg ovvied'eiGa etc., ib. 1838. Zotikos, Ged.
über die Schlacht bei Varna, ed. Legrand, Coli, de mon. XS. V, 51 — 84. Krumb. 838.
"A'huMug K . . nöleae, ed. Ellissen, Analekt. d. mittel- u. neugr. Lit. III. Leipz. 1857.
Krumb. 839. (Enthält zugleich auch eine Aufforderung an die Mächte Europas, Konst.
zurückzuerobern). *Avaadar\va rrjg K . . no'/.rjg (schildert die Greuel der Eroberung), ed.
Legrand, Coli. d. mon. XS. vol V. Krumb. 840. Matthäos Kamariotes, De
Cpli. capta narr, lament., ed. Migne Patrol. SG. CLX, 1060 ff. (Krumb. 498). Mazaris'
Fahrt in die Unterwelt, enth. Details zur Gesch. der byz. Politik (Krumb. 492), ed.
Boissonade Anecd. gr. LH, 112. Bessarion, Opp., ed. Migne SGr. CLXI (wichtig
die Briefe). Historia politica et patriarchica Con . . poleos (1390 — 1578), ed. Bekker,
Bonn 1849 (Krumb. 394). Die sog. Epirotica , ib. (Krumb. 394) Kodinos Opp.
und zwar 1. die Patria, Gesch. und Top. v. Konst., 2. Das Werk über die Hofämter
und 3. Die sog. Chronik, s. Krumb. 426. — Für Trapezunt u. Cypern: Michael Pana-
retos, Ileoi to>v rijg Toane^ovinog ßaaü.dojv rcöv Meyalcov Ko/uirjcov, oTicog xai noxe xai
nooov exaarcs eßaav'/.evaev (1204 — 1426), ed. Fallmerayer. A. Münch. Ak. 1844 (Krumb. 394).
Machaeras, Xoonxbv Kvtioov 1359 — 1432, ed. Sathas wie oben, LT, 1873. Bustrone
Georg (richtiger T^oor^rjg IIoiGroovg), Xoonxbv Kvtvoov (1456 — 1501), ib. H, 413 — 543.
S. Krumb. 902. Ileoi rrjg ahbaecog etc. Klagelied auf den Fall Athens, ed. Destunis.
Pet. 1881.
Die türkischen Quellen. (Ein Verz. bei J. v. Hammer, Gesch. d. osm. Reiches I
2 A. Pest 1834. S. 17—29.) Die abendländischen bei Potthast H, 1729. S. auch
Lavisse et Rambaud, Hist. gener. tom. LH, p. 866) Ah me d-b en- Y a h i a - ben-Soliman-
ben-Achir-pascha, Tarikh-i-ali-Othman, etud. p. Hammer, Journ. asiat. IV, p. 34. Saad-
ed-Din Khodja-Effendi), engl, von Seaman, The reign of Sultan Orchan.
Lond. 1652. — Tarick ul Eulia Muntechabati tchelebi, Konst. 1846. (S. darüber
aber Mordtmann S. 111.) Saad-ed-Din, Relation de la prise de C. par Mahomed H.
trad. du turc par Garcin de Tassy. Paris 1826; Michaud, Bibl. des croisades LH,
s. Krause wie unten. Feridoun, Coli. d. papiers d'Etat. 2 voll. Const. Leun-
clavius, Historiae musulmanae Turcorum libri XVLLT, Francof. 1591. Das von Hammer
bereits benutzte : Tadj-uttevarikh (die Chronik d. Chroniken), Gesch. d. osm. R. von
Sa'-adeddin Efendi I, gedr. Konst. 1862 (türk). S. HZ. XH, 241. Brattuti, Chronica
dell' origine e progressi della casa Ottomana, composta da Saidino Turco, parte prima,
Vienna 1649, parte seconda Madrid 1652.
Slaw. Quellen. Provest o Tsarigrad, ed. Srednewski. Pet. 1854 (Krumb. 312).
Memoires d'un janissaire polonais, temoin ocul. et act. du siege et de la prise d. C,
Byzantiner und Osmanen. 583
ecrits vers 1498. ed. et trad. Th. d. Oksza. Über die auf die Gesch. der Südslawen
bezüglichen Nachrichten d. byz. Historiker s. Kacanovskij, D. byz. Chroniken als Quelle
für die Gesch. der Südslawen in der Zeit des Verfalls ihrer Selbständigkeit. Journ.
d. Minist, f. Volksaul'klarung. B. 198. Ab e ndl. Quellen. Ramon Muntaner s.
oben. Boucicaut, Memoires ou le livre des faits du marechal de Boucicaut (f 1421)
1370 — 1415, ap. Buchon, Choix de chroniques III. — Reisen des Johannes Schiltberger
aus München in Eur., As. u. Afr 1394 — 1427, her. v. Neuinann München 1859. Philippe
de Mezieres, Epistre lamentable sur le fait de la desconfiture lacrimable du noble roy
de Honguerie devant la ville de Nicopoli p. p. Kervyn de Lettenhove in Oeuvres de
Froissart XVI. Von d. ital. Quellen kann nur eine Auswahl gegeben werden : Bar-
tholomäus de Jano, Epistola de crudelitate Turcarum, Migne SL. LXXX. 1866. Villani,
wie oben. Giustiniani, Castigatis^'ni annali . . . di Genova. Gen. 1537. Malipiero,
Annali Veneti 1457—1500. Fir. 1853. Barbaro, Giornale dell' assedio di Constant.,
ed Cornet , Vind 1856 Leonardus Chiensis, De urbis C. iactura etc. Basel 1556.
And. Ausg. Potth. I, 720. Isidori Thessalonicensis, card. Ruth., lamentatio, ed. Migne,
SL. CLFX. Aeneae Sylvii Piccolomini tractatus de captione urb. C. a. 1453. Martene
et Durand, Ampi. Coli. V. Laurus Quirinus, Ep. ad Nicol. V., ed. Agostini. Yenet. 1752
(s. Krumb. 506, Anm. 2). Adam v. Montaldo, De C. excidio (nicht ed., Krumb. 311).
Philippi Ariminensis, excidium Const., ed. Dethier in MM. Hung. hist. XXII (dort
noch mehrere Berichte, s. Krumb. S. 311). Zacharias, Ep. de excidio Const. ed. S. de
Sacy. Paris 1827. Historia anonymi, que inscribitur Const. civitatis expugnatio, con-
scripta 1459, ed. Thomas. SB. Münchn. Ak. 1868. Johannes Marus Philelphus, Epos
über Mohammed II., ed. Hopf et Dethier, wie oben. Barletius, Historia de vita,
moribus ac rebus praecipue adversus Turcas gestis Scanderbegi principis. Frkf. 1578. —
Chronicon Turcarum, ib. 1578. De obsidione Scodrensi. Vened. 1504. — Zu den
Mongolen s. Moran ville, Mem. sur Tamerlan. BECh. LV. Ibn Chaldoun s. oben.
Ibn Arabschäh, fz. Übers. : L'Histoire du Grand Tamerlan . . . trad. en Franc, de l'Arabe . . .
p. Vattier. Paris 1658 (lat. v. Manger. Frkf. 1767). Über Ibn Arabschäh s. Wüsten-
feld Nr. 488. — Cheref-ed-Din, Zafir Namen, trad. en franc. p. Petis de la Croix.
4 Bde. Paris 1722. — Clavijo, Hist. de Clavijo le hizo por mandado del . . . don
Henrico HI de Cast. Madr. 1783. Abu Mohammed Mustapha . . . el Gannäbi, Mare
exundans (Hist. Gannabii). D. Verf. übersetzte sein Werk ins Türkische u. machte
daraus einen Auszug : Mustaphae filii Hussein Algenabii de gestis Timurlenkii opusc.
Türe. -Arab.-Pers. -Lat, redd. a. JB. Podesta. Wien 1680. Vergl. die Quellenangabe
v. Cahun in Lavisse-Rambaud III, 970. Spätere Bearbeitungen der byz.
Gesch. 1. Allgemeines. Die Werke von du Fresne (du Cange), Le Beau,
Gibbon, Finlay, Brunet de Presle, K. Hopf, Hertzberg, Rambaud (in
Lavisse et Rambaud, Hist. generale), Geizer, Norden u. a. s. oben §37. Dazu: Fin-
lay, Greece under Othoman and Venetian Domination 1856. 2. S p ezial werke (in russ.
Sprache): Palauzov, Der Südosten Europas im 14. Jahrh. Journ. Min. für Auf kl.
Bd 94, 96. Florinskij, Politischer u. kultureller Kampf im griechischen Osten in
d. ersten Hälfte d. 14. Jahrh. Kiew 1883. Kalligas, MaXa'rai Bv^avrivrjs iozooiag
dito rr;g 7rocorr;g /xäxgi rrjg reXsvraiae dlcoaecos (1204 — 1453). Athen 1894. Mendelssohn-
Barthold y, Gesch. Griechenlands von der Eroberung Konstantinopels 1453 bis auf
unsere Tage. 2 Bde. Leipz. 1870 — 74. 3. Für einzelne Landesteile: Athen.
s. Gregorovius w.o., Konstantinides, UorooCa xeov Ad"r\vcäv. Athen 1894. L. de
Labor de, Athenes aux XVe, XVIe et XVTIe siecles. Paris 1855 Kampuroglus-.
'loroQi'a xtov ^A&rjvaicor Inl TovQxoxoarias. 2 Bde. Ath. 1889 — 1892. Peloponnes;
Fallmerayer, w. oben. Epirus: Romanos, Ilaoi xov JeaTtordrov rrjg ^Hnaioov.
Korfu 1893. Rhodos: C. Torr, Rhodes in modern times. Cambrigde 1887. Trape-
zunt: Fallmerayer, wie oben, Fischer, Trapezunt u. seine Bedeutung in
der Geschichte. Z. f. allg. Gesch. III. Minder bedeutende Werke u. Studien über die
Geschichte von Thessalien, Kerkyra, Kephallenia, Kythnos, Kreta, Cypern, dann Ar-
beiten über die griechische Kloster- u. Heiligengesch. s. in Krumbacher S. 1071 ff.
4. Monographien für die Gesch. einzelner Ereignisse: Florinskij,
Andronikos d. J. u. Joh. Kantakuzenos. Journ. Min. f. Auf kl. Bd. 204, 205 u. 208.
Berger de Xivrey, La vie et les ouvrages de l'empereur Manuel Paleologue. Mem.
584 Byzantiner und Osmanen.
de l'Ac. d. Insc. XIX. Vast, Le card. Bessarion (1403—1472). Par. 1878. Parisot,
Cantacuzene, homme d'Etat et Historien. Paris 1845. Paganel, Histoire de Scanderbeg,
Paris 1855. J. Pisco, Scanderbeg. Wien 1894. Beckmann, D. Kampf K. Sigmunds
geg. d. Osmanen 1392 — 1437. Gotha 1902. Brauner, Die Schlacht bei Xicopolis.
Breslau 1876. G. Köhler, Die Schlachten von Nicopölis u. Varna. Breslau 1882.
5. Über die Bei agerungundEroberung von Konstantinopel. Pogodin,
Übers, d. Quellen z. Gesch. d. Belag, u. Einnahme v. Byz. Journ. Min. Bd. 264
russisch). Mordtmann, Belagerung u. Erob. v. Konst. durch die Türken im
Jahre 1453. Stuttg. 1858 (s. HZ. HI, 16—48). Krause, Die Eroberungen von Kon-
stantinopel im 13. u. 15. Jahrh. Halle 1870. Vast, Le siege et la prise de Cple.
EH. XIII. Vlasto, La prise de Cple. par les Turcs. Ann. de l'assoc. etc. XV. — Lee
derniers jours de Cple. Paris 1883. Paspates, ITo/.iooxia xai a/.cooi- rrjs KsioXecog.
Ath. 1890 (BZ. II, 331). Die übrigen Schriften hierüber s. b. Krumb. 1077. 6. Be-
ziehungen zwischen Byzanz und den griechischen Nachbarstaaten, dem Abendland und
dem Orient. Venedig: Luntzis, IJeoi jt= jtoXtrixrje xaraataoems Tfjs 'Enrav^oov en\
'Evercuv. Athen 1856. Hopf, Veneto-byzant. Analekten. Sitz. B. Wien. Akad. 1859.
Musatti, Venezia e le sue conquiste nel medio evo. Verona 1881. Foresti, St.
d. isole Jon. sotto iL dorn. Ven. Ven. 1859. Diehl, La colonie venitienne ä C. ä
la fin du XIVe siecle. Melanges d'archeol. et d'hist. de l'ecole franc. de Rome IH.
E omanin, Storia documentata di Venezia. 10 Bde. Ven. 1853 — 1861. Gerland,
Kreta als ven. Kol. HJb. XX. Genua: Pagano, Delle imprese e del dominio dei
Genovesi nella Grecia. Gen. 1846. Frankreich: Delaville le Eoulx, La
France en Orient au XIVe siecle. 2 voll. Paris 1886. Orientalen: G. Weil, Gesch.
der islamitischen Völker. Stuttgart 1866. Armenien s. den Bericht v. Geizer in der
Eealenzyklop f. pr. Theol. 3 Aufl. Leipz. 1896. Slawen (s. dazu Krumb. 1080): Hilferding,
Gesch. d. Serben u. Bulgaren. Aus dem Eussischen von Schmaler. Bautzen 1856
bis 1864. Kacanowski, Die Balkanslawen in der Epoche ihrer Unterwerfung unter
die Türken. Journ. Min. f. Aufkl. 189. Jirecek, Gesch. der Bulgaren. Prag 1876.
Klaic-Bo j nicic, Geschichte Bosniens. Leipzig 1885. B. v Kallay, Gesch. der
Serben von den ältesten Zeiten bis 1815. Aus dem Ungar, v. Seh wicker. Leipzig 1878.
Engel, Gesch. der Serben . 1801. Grigorovitsch, Über Serbien in seinen Be-
ziehungen zu den Nachbarstaaten, besonders im 14. u. 15. Jahrh. Kasan 1859 (russisch).
Die russischen Gesch. s. oben. Ungarn u. Kumänien. Die Geschichten von
Fefsler-Klein. Csuday, die österr. Gesch. von Krones, Huber u. a. s. oben, Hasdeu,
La Valachie jusqu'ä 1400. Bukarest 1878. Hasdeu, Istoria critica Romanilor.
2 Bde. Bukarest 1880. Xenopol, Histoire des Roumains. 2 Bde. Paris 1896.
Lateinische Herrschaften in der Levante. Konstantinopel: H. Mo-
ranville, Les projets de Charles de Valois sur l'empire de C. Bull, de l'ecole
des Chartes 51. S chl umb erger, Expeditions des Almugavares ou routiers catalans
en Orient de Tan 1302—1311. Paris 1902. Belin, Histoire de la Latinite de C. 2 A.
Paris 1894. L. de Mas La tri e, Patriarches latins de C. Eev. de l'Or. lat. III.
Gregorovius, wie oben. Miltenberger, Zur Gesch. d. lat. Kirche im Or. im
15. Jahrh. Eöm. Quartalschr. VIH. Fr. de Moncada, Espedicion de los Catalanes
y Aragoneses contra Turcos y Griegos. Barcel. 1623 (deutsch v. Spazier. Braunschw.
1828). Achaia u. Morea: Beving, La prineipaute d'Achaie et de Moree (1204
bis 1430). Brüssel 1879. Kephallenia u. Zante: Romanos, roanavos Zojp'Zt:.
ald-bvxr^ AsvxäSos etc. Korfu 1870. K. Hopf, Geschichtl. Überblick über die Schick-
sale von Karystos auf Euböa. Sitz.-Ber. Wien. Akad. XL Hopf, Gesch. der Insel
Andros u. ihrer Beherrscher im Zeitraum v. 1207 — 1566. Sitz.-Ber. Wien. Ak. XVI, XXI.
Andere Schriften bei Krumbacher 1082. Einzelne Familien. Hopf über die
Giustiniani in Ersch u. Gruber. Ital. im Giorn. Ligustico VH — VLTI. Anderes s. bei
Krumbacher 1083. Innere Geschichte: Krause, Die Byzantiner d. MA. Halle 1869
(dazu die Bemerkungen von Krumbacher S. 1083). Schlumberger, s. oben. Schriften
über die Kirchengeschichte, Verfassung und Verwaltung, Steuer-, Post- und Verpflegs-
wesen, über Staats- und Gemeindeämter, Kaiserkult, Heer u. Flotte s. bei Krumbacher
S. 1084—1087. Desgleichen die Werke über Chronologie, internationale Kulturbez.,
Ethnographie, Geographie, Topographie u. Kunstgesch., Numismatik, Sigillographie,
Literaturgesch. u. Sprache s. ebenda S. 1087 — 1144.
Michael Paläologos und seine Politik. 585
Bearbeitungen der türkischen Geschichte: H. Vambery, Das Türkenvolk in
seinen ethnologischen u. ethnographischen Beziehungen geschildert. Leipzig 1885.
Karabacek, Erstes urk. Auftreten v. Türken. Mitt. a. d. Sammlung d. Pap. Erzh.
Kainer, Bd. 1. E. H. Parker, The origin of the Turks. EHR. XL D. Cantemir,
LIist. de l'empire Othoman I. Paris 1743. Hammer, Gesch. des osm. Reiches L
Pest 1827 — 1834. Zinkeisen, Gesch. d. osmanischen Reiches in Europa. Bd. I u. IL
Hamburg 1840. Hertzberg, Gesch. der Byzantiner und des osmanischen Reiches
bis gegen Ende des 16. Jahrh. Berl. 1885. A. Müller, Der Islam im Morgen- und
Abendland. IL Bd. Berl. 1887. Th. Lavallee, Histoire de la Turquie. 2. ed. t. 1
und 2. Leipzig 1859. Ranke, Osmanen, W. XXXV. Das Werk v. Lane Poole,
Gib u. Gilman, The story of Turkey geht über Hammer nicht hinaus. Djildi khamis
ez tarikhi djeydet efendi (Ahmed Djevdet Efendi, Osm. Gesch.) Konstantinopel
(türkisch). Lit. s. in den JBG. 1888. Zur Gesch. der Mongolen: J. v. Hammer,
Gesch. d. Ilehane. Darmstadt 1842. Weil, Gesch. d. Abbassidenkalifates Ägypten.
D'Ohsson, wie oben §24. Hayton, Hist. des Tartaros dans Backer, L'Extreme au
moyen-äge Paris 1877. Howorth, History of the Mongols w. oben. Der dritte
Teil enthält die Geschichte der Mongolen in Persien. Jusserand, La Vie
nomade etc. RH. XIX, XX. Remusat, M£m. sur les relations pol. des princes
chretiens avec les empereurs Mongols. tom. VI, VII d. Mem. de l'Acad. des
Inscript. 1822/4. Sacy, Mem. sur une corresp. ined. de Tamerlan avec Charles VI.,
ib. VH, VII. Goldsmith, Timur, Encyklop. Britt. XXIII, 399. Von älteren Werken:
Deguignes, Allg. Gesch. der Hunnen u. Türken, der Mongolen u. anderer okzid.
Tartaren. A. d. Fz. v. Dähnert.
1. So bedeutend die militärischen und diplomatischen Talente des
ersten Paläologenkaisers Michael VIII. (1261 — 1282) auch waren, sie
reichten für die schwere Aufgabe, die ihm gestellt war, nicht aus. Hier
handelte es sich weniger um eine einfache Restauration früherer Zu-
stände als um eine völlige Neuordnung des Staatswesens, um Weckung
und Belebung der schlummernden Kräfte des Volkes, das sich nach
Aufsaugung so vieler stammfremder, meist slawischer Elemente während
des grofsen Kampfes gegen die Abendländer in Sprache, Sitten und
Interessengemeinschaft immer mehr als eine Einheit fühlen gelernt hatte,
endlich um die Beseitigung der Schäden der früheren Verwaltung und
um neue Organisationen. Von all diesen Aufgaben wurde keine in An-
griff genommen. Von fremden Einrichtungen blieben die verhafsten,
wie der abendländische Feudalismus, bestehen. Indem der Adel seine
eigenen Ziele verfolgte, suchte der Kaiser seine Stütze am Klerus, der
durch seinen kraftvollen Widerstand gegen die Lateiner zwar die
grofse Wendung verbreitet hatte, aber nicht auf jener Höhe stand, von
der aus er seine Aufgabe erfüllen konnte. Im Volke war der Hang zur
Grausamkeit und der Aberglauben mächtiger als früher und das Interesse
an der Erörterung kirchlicher Fragen durch den Streit um die Union
wieder ein allgemeineres geworden. Den Provinzen gegenüber wurde
die Metropole in einseitiger Weise begünstigt und die verfügbaren Mittel
nicht zur Stärkung der Wehrkraft, sondern zur Erneuerung der Pracht
der Hauptstadt verwendet. Nach aufsen hin nahm Michael den Kampf
gegen Epirus und die lateinische Herrschaft in Morea auf. Michael II.
von Epirus sah sich (1265) zur Huldigung genötigt; glücklicher war der
Kaiser noch gegen die Bulgaren, dagegen scheiterte seine Absicht, sich
von Genua unabhängig zu machen und Anschlufs an Venedig zu suchen,
an der Scheu des venezianischen Dogen, sich mit einem Kaiser zu ver-
586 Niedergang des byz. Reiches. Die Katalanen. Die Türken.
bünden, dessen Macht ihm nicht fest genug schien. Schwieriger wurde
die Lage Michaels VIII., als sich Karl von Anjou, der die alten Pläne
der Normannen gegen die Griechen wieder aufgriff, unter Vermittlung
Klemens1 IV. mit dem Titularkaiser Balduin II. verband (1267) und von
diesem die Lehenshoheit über Achaja erhielt. Nun lehnte er sich wieder
enger an Genua an. Die Fortschritte der Angiovinen im Westen des
griechischen Reiches und ihre Verbindung mit Serbien, wo Helena, die
Gemahlin Stephan Urosch' L, eine Tochter Balduins IL, ihren Einflufs
gegen die Paläologen geltend machte, bewog den Kaiser, sich an den
Papst anzuschliefsen (1274), fand hiebei aber bei den eigenen Untertanen
einen erbitterten Widerstand. Während die Kämpfe mit den Staaten im
Süden der Halbinsel fortgingen, verschlimmerte sich die auswärtige Lage
des Reiches, als mit Martin IV. ein angiovinisch gesinnter Papst gewählt
wurde und Rom, Neapel und Venedig sich zum Sturze des Paläologen
verbanden (1281); aber dessen kluge Politik, durch die er alle dem Hause
Anjou feindlichen Mächte an sich zog und zum Sturze seiner Herrschaft
auf Sizilien wesentlich beitrug, rettete ihn aus diesen Gefahren. Zum
Glück für die Griechen trat schon drei Jahre nach Michaels Tode auch
Karl von Anjou (1285) vom Schauplatze ab. Michael VIII. war der erste
und letzte bedeutende Herrscher unter den Paläologen. Sein Sohn
Andronikos IL (1282 — 1328) hatte von ihm alle schlechten Eigen-
schaften und Schwächen, nicht aber seine staatsmännischen Talente
geerbt. Mochte es immer zweckdienlich erscheinen, mit der in Griechen-
land gründlich verhafsten Kirchenpolitik seines Vaters gänzlich zu
brechen und jene zu strafen, die sich zur Union bekannt hatten, so war
es der verhängnisvollste Fehler, in einer Zeit, wo in Europa die Serben,
in Asien die Osmanen sich daran machten, das griechische Reich zu
vernichten, die Wehrkraft des Staates verfallen zu lassen. Es geschah
dies ebenso sehr im Sinne einer falsch angewendeten Sparsamkeit als im
Vertrauen auf die schlagfertige Hilfe der Genuesen, deren Machtstellung
am Goldenen Hörn nun ihren Höhepunkt erreichte. Die griechische
Seemacht, noch unter Michael VIII. eine bedeutende, war kaum mehr
imstande, die Küsten des Reiches vor den Angriffen der Korsaren zu
schützen; fast schlimmer noch war es mit dem Landheer bestellt und
das Reich auf die Hilfe fremder Söldner angewiesen, unter denen die Kata-
lanen, Söldner nordspanischer Herkunft, meist Söhne armer Hidalgos,
die sich im Verlauf des sizilianischen Krieges in trefflicher Weise
geschult hatten, die bedeutendsten waren. Sie wurden nunmehr ver-
wendet, um die ersten Angriffe der Osmanen zurückzuweisen.
2. Die Türken traten bereits im Zeitalter Justinians I. mit dem
griechischen Reiche und zwar zu gemeinsamem Kampfe gegen die Avaren
in Verbindung. El-Mansür, der Erbauer Bagdads, war der erste Kalif,
der einen Türken in seine Dienste nahm. Nach kaum drei Dezennien
hielten die Kalifen eine stattliche Sklavengarde von Türken. Diese
begannen »als Helfer des Reiches« ihr Zersetzungswerk im Kalifat. In
vielen Provinzen wurden die wichtigsten Staatsämter mit ihnen besetzt.
Im 10. Jahrhundert gewinnt der türkische Stamm der Seldschuken, wie
Erstes Auftreten der Türken. Ertoghrul und Osman. 587
sie nach Seldschuk, einem aus dem Kirgisenlande stammenden Türken-
häuptling genannt wurden, grofse Bedeutung. Schon 1055 wurde der
Name des Seldschuken Toghrulbeg in Bagdad im Freitagsgebet
genannt. Als Söldner in fremden Diensten begründeten die Seldschuken
eine eigene militärische Macht und dehnten ihr Gebiet derart aus, dafs
sie zu Anfang des 12. Jahrhunderts einen grofsen Teil des alten Kalifen-
landes in Asien besafsen und ihre Gebiete an Ägypten und Byzanz
reichten. Ein türkischer Fürst, Suleiman, hatte sich vor den Mongolen
aus Chorasan nach Armenien geflüchtet und bei seinen seldschukischen
Volksgenossen Zuflucht gesucht. Nach Dschingiskhans Tod trat er den
Heimweg an, fand aber seinen Tod im Euphrat. Von den Seinen setzte
der gröfsere Teil die Reise fort, der kleinere zog unter Suleimans Sohne
Ertoghrul westwärts und trat in die Dienste des seldschukischen Sultans
Alaeddin von Ikonium, der ihm nicht weit vom alten Doryläum einen
Landstrich als Lehen anwies. Von dort aus erweiterte er durch glück-
liche Kämpfe gegen die Byzantiner seinen Besitz, gewann Sogud, das
alte Thebasion, und beherrschte das ganze südliche Gebirgsland von
Tumanidsch und Ermeni-Tagh bis in die Gegend von Kutahie. Dort
wurde Osman, der älteste seiner Söhne, nach welchem das ganze Volk
benannt ist, geboren (1258), und dort starb Ertoghrul (1288). Noch heute
sind die Reste seines Grabes Gegenstand frommer Verehrung. Bei seines
Vaters Tode stand Osman schon mitten in kriegerischer Tätigkeit. So-
eben hatte er den Griechen Melangeia entrissen, das ihm Alaeddin III.
als Lehen überliefs und das jetzt der Mittelpunkt seiner Herrschaft wurde
(1289). Das Glück seiner Waffen führte zahlreiche Seldschukenbaufen
unter seine Fahnen, und als Alaeddins Reich im Kampfe gegen die
persischen Mongolen gefallen war, konnte er unbedenklich sein Erbe
übernehmen (1307). Sein Name wird nun in den Moscheen beim Gebet
genannt und auf Münzen geprägt. Die Residenz wurde nach Jenischehr
verlegt. Der Grund des raschen Wachstums des jungen Staates liegt
weniger im Heldensinn Osmans und der Tapferkeit seiner Heere, als in
der Sorglosigkeit der Paläologen, die zugunsten der neugewonnenen
Residenz Bithynien stark vernachlässigten und nur in gröfseren Städten,
wie Brussa, Nikäa und Nikomedien, stärkere Besatzungen hielten; nicht
einmal der Katalanen, die vereinzelte Erfolge gegen die Osmanen er-
rangen, wufsten sie sich in vorteilhafter Weise zu bedienen. Schon wird
ganz Bithynien von den Osmanen verwüstet, werden die bedeutendsten
Städte durch die in ihrer Nähe errichten festen Waffenplätze blokiert,
schon dringen osmanische Freibeuter bis ans Meer, machen Chios zum
Stützpunkt ihrer Angriffe und suchen die griechische Bevölkerung mit
Mord und Plünderung heim, während der Kaiser im Streite mit seiner
Gemahlin und seinem Enkel, dem jüngeren Andronikos, des Reiches
Kräfte verbraucht. Osmans kräftiger Sohn Urchan, dem der Vater
bisher den Kampf gegen die persischen Mongolen überlassen hatte,
zwang die Griechen, Brussa zu räumen (1326). Noch auf dem Todten-
bette vernahm Osman die frohe Botschaft. Brussa wurde Hauptstadt
des neuen Reiches. Nach zwei Jahren unterwarf Urchan (1326 — 1359)
588 Urchan. Griechen und Serben. Stephan Dusehan und Johannes V.
Nikomedien. Jetzt erst dachte Andronikos III. (1328 — 1341), der
seinen Grofsvater entthront hatte (1328), daran, wenigstens Nikäa zu
retten, verlor aber die Schlacht von Philokrene (1329), worauf auch
Nikäa in die Hände der Osmanen kam (1330). Ganz Bithynien, Mysien
und Ionien fiel ihnen zu, somit auch die kleinen mohammedanischen
Fürstentümer, die auf den Trümmern des Seldschukenreiches entstanden
waren. Nur in Trapezunt hielt sich unter der starken Regierung Alexios' II.
(1297 — 1330) das alte Kaiserhaus der Komnenen. Schon wandte Urchan
seine Blicke nach dem europäischen Festland und seit 1337 werden die
Osmanen der Schrecken Europas. Ein türkisches Geschwader landet
bereits in der Nähe von Rhegium, nicht weit von Konstantinopel.
3. Die Tätigkeit des Kaisers, dessen persönliche Tüchtigkeit an-
erkannt war, wurde nicht blofs durch die Kämpfe gegen die Osmanen,
sondern auch durch die mit den Serben, Bulgaren, Albanesen und
Genuesen in Anspruch genommen. Zunächst gewann es den Anschein,
als sollte den Serben das Erbe des griechischen Kaisertums zufallen.
Der sechste Herrscher aus der serbischen Dynastie der Nemanjiden,
Stephan VI. Duschan (1331 — 1355), verfolgte von allem Anfang das
Ziel, die Herrschaft der Romäer und Franken in Mazedonien und an
der Adria einzuschränken. Er gewann Bosnien, wurde als Herrscher
in Ragusa aufgenommen und von den Albanesen anerkannt; über Epirus,
einen Teil von Thessalien, das romäische Gebiet am Wardar und an
der Maritza bis nach Bulgarien dehnte er seine Herrschaft aus ; in ihrem
Besitz, nahm er den Titel Kaiser der Romäer und König von
Serbien an; seine Herrschaft ist nach abendländischem Muster geordnet
und von besonderer Wohltat für die arme Bevölkerung gewesen. Er
sorgte für Gewerbe und Handel und für die Sicherheit auf den Strafsen.
Zu den Moldauerfürsten stand er in verwandtschaftlichen Beziehungen.
Während Stephan im Norden der Balkanhalbinsel bedeutende Fort-
schritte machte, die Macht der Osmanen sich durch die Tätigkeit Alaeddins,
eines jüngeren Bruders Urchans, im Innern konsolidierte (s. unten), war
die griechische Herrschaft durch die Parteikämpfe am Hof der ärgsten
Erschütterung ausgesetzt. Andronikos III. hatte sterbend die Sorge für
seinen erst neunjährigen Sohn und Nachfolger Johannes V. Paläo-
logos (1341 — 1391) seinem Freunde, dem ehrgeizigen Grofsdomestikus
Kantakuzenos, einem tüchtigen Staatsmann und tapferen Krieger, über-
geben. Seine Neider beschuldigten ihn der Untreue. Der Grofsadmiral
Apokaukos verband sich mit der verwitweten Kaiserin und dem Patri-
archen zu seinem Sturze. In seiner Abwesenheit als Hochverräter
geächtet, seiner Güter beraubt, wurde ihm nicht einmal das Anerbieten
bewilligt, sich in ein Kloster zurückziehen zu dürfen. Da griff er selbst
nach dem Purpur und liefs sich in seiner thrakischen Stadt Demotika
(1341) als Johannes VI. zum Kaiser ausrufen und krönen. Da Kanta-
kuzenos seinen Gegnern im offenen Felde nicht gewachsen war, verband
er sich mit Stephan Duschan und, von diesem zurückgewiesen, mit den
Osmanen. während der Hof die Hilfe der Bulgaren und Venezianer
gewann. Bald war das ganze Reich in zwei Parteilager gespalten.
Kantakuzenos. Die Türken besetzen Kallipolis. 589
Türkische Hilfe verschaffte Kantakuzenos das Übergewicht und die
Alleinregierung auf zehn Jahre (1347 — 1357), dann sollte der junge
Kaiser, den er mit seiner Tochter vermählt hatte, die Herrschaft über-
nehmen. Die Tat des Kantakuzenos versetzte dem byzantinischen Reiche
einen Stofs, von dem es sich niemals wieder erholte. Indem nun die
Osmanen als Bundesgenossen der Griechen bald gegen Serben, bald gegen
Bulgaren, bald gegen innere Feinde erschienen, bereiteten sie ihre Herr-
schaft auf europäischem Boden vor. Während dieser Kämpfe gingen
grofse Teile des Reiches an Serben, Bulgaren und Genuesen verloren.
Zu allem Elend wurde auch Griechenland wie die Länder des Westens
1348 vom schwarzen Tode heimgesucht. Die Lage des Reiches wurde
immer bedenklicher und der Kaiser schliefslich von der Sorge ergriffen,
dafs Kantakuzenos das Reich an seine eigene Familie bringen möchte;
daher knüpfte er selbst Verbindungen mit den Türken an. Der Zwist
unter den Griechen bahnte so den Osmanen den WTeg nach Europa.
Der junge Kaiser verliefs die Hauptstadt und wandte sich nach Aenos
im Gebiet der Maritza (1351). Mit Hilfe der Venezianer, des Zaren
Duschan und der mifsvergnügten Elemente im Reiche begann er den
Kampf gegen Kantakuzenos, der nun aufs neue die Hilfe der Osmanen
in Anspruch nahm und den jungen Kaiser nötigte, auf Tenedos eine
Zufluchtstätte zu suchen ; Kantakuzenos liefs nun seinen Sohn Matthäos
zum Mitregenten ausrufen (1353). Der Sieg dieses Hauses schien voll-
ständig. Aber die reichsverräterische Verbindung mit den Osmanen
wurde ihm gleichfalls verhängnisvoll. Die Reize des griechischen Landes
und die Schwäche der griechischen Regierung weckten in Urchans
Sohne Suleiman das Verlangen, sich eines festen Punktes in Europa
zu bemächtigen. Mitten im Frieden und trotz des zwischen beiden
Staaten bestehenden Bundes besetzte er durch einen Handstreich das
Küstenschlofs Tzympe am Hellespont (1353), und als kurze Zeit nachher
ein Erdbeben die Mauern von Kallipolis zerstörte, auch diese Stadt
(1354), die nun ihr erster fester Besitz in Europa wurde. Weder Bitten
noch Anerbietungen des Kantakuzenos waren imstande, die Osmanen
von hier zu entfernen. Während sich diese im griechischen Reiche
festsetzten, gelang es Johann V., Kantakuzenos zu stürzen (1354) und
in ein Kloster zu verweisen, wo er sich historischen Studien zuwandte.
Er starb erst 1383.
§ 134. Die Eroberungszüge Murads I. und Bajesids.
1. Suleiman dehnte die osmanische Herrschaft über den thrakischen
Chersonnes bis gegen Rodosto und die untere Maritza aus. Schon wurden
türkische Ansiedler nach Europa geführt und Griechen zum Abzug nach
Kleinasien gezwungen. Eine bessere Zeit für die Griechen schien an-
zubrechen , als ihr grofser Gegner Stephan Duschan noch im besten
Mannesalter starb (1355. 26. Dezember) und auch Suleiman mitten unter
seinen Erfolgen durch einen Sturz vom Pferde vom Tode hinweggerafft
wurde (1358). Duschans Tod war aber schliefslich für die Griechen selbst
ein schwerer Verlust; denn wenn irgend ein Herrscher, wäre er im-
590 Die Eroberungszüge Murads.
stände gewesen, der osmanischen Invasion Halt zu gebieten. Sein Sohn
Stephan VII. (1355 — 1365) hatte weder seine Begabung noch auch sein
Ansehen; die strenge Ordnung im Reiche lockerte sich, einzelne Teile
machten sich selbständig, und neben der Königsfamilie streben andere
Häuser, wie das der Brankowitsch, mächtig empor. Im Nordwesten
machte sich Bosnien frei , das unter Stephan Kotromanowitsch und
seinem Brudersohn Twartko selbst einzelne Gebiete jenseits der Drina
und die Herzogewina gewann. Ebenso gerieten Epirus und Albanien
in Bewegung. Für Byzanz bedeutete demnach die allgemeine Zersetzung
im serbischen Reiche nur eine augenblickliche Erleichterung; dazukam, dafs
auch Bulgarien durch schwere Parteikämpfe zerrüttet war. Unter diesen
Umständen begannen die Osmanen ihre Verheerungszüge aufs neue. Bald
nach Suleiman starb auch Urchan: Ihm folgte Murad I. (1359 — 1389),
einer der gröfsten Kriegshelden der Osmanen. Nachdem er die osmanische
Herrschaft in Kleinasien auf feste Grundlagen gestellt hatte, setzte
er nach Kallipolis über. Treffliche Heerführer standen ihm zur Seite; die
besten Gaben besafs er selbst, denn er war nicht nur ein glücklicher Eroberer,
sondern auch jener treffliche Organisator, dem das osmanische Staats-
wesen die straffe Ausgestaltung des militärischen Lehenswesens und damit
ein schlagfertiges Heer verdankte. Trotz seiner ungenügenden Aus-
bildung hatte er für die Künste Interesse und liebte den Verkehr mit
Gelehrten. Seine Politik überragte die seiner Gegner durch die Klarheit
ihrer Ziele, durch ihre Kraft und Folgerichtigkeit und nicht zuletzt
durch ihre Redlichkeit und Zuverlässigkeit.1) So begann er seinen Sieges-
zug durch die Balkanländer. Im Jahre 1360 setzte er über den Helles-
pont. Schon 1361 fiel Demotika. im folgenden Jahre Adrianopel. Die Er-
oberung Philippopels (1363) entschied die Vormachtstellung der Osmanen
auf der Halbinsel; bald strömten Osmanen mit Weib und Kind nach
Europa , um die durch die langen Kämpfe verödeten Landschaften in
Besitz zu nehmen. Nun waren alle Völker der Balkanhalbinsel in gleicher
Weise von den Türken bedroht. 1365 schlug Murad seine Residenz in
Adrianopel auf ; schon schliefst er einen Handelsvertrag mit Ragusa. Im
Jahre 1366 wird der Bulgarenzar Schischman III. genötigt. Heeresfolge
zu leisten. Drei Jahre später unternimmt Johannes Paläologos eine
Fahrt nach Italien, um die Hüte des Papstes und Frankreichs anzurufen.
Aufserstande, die aufgelaufenen Kosten zu bezahlen, wird er in Venedig
festgehalten und dankt den Bemühungen seines zweiten Sohnes — der
erste hielt sich zurück — seine Befreiung. Der Serbenfürst Wukaschin,
der im Bunde mit Bosniern, Magyaren und Rumänen gegen die Türken
zu Felde zog, erlitt vor Adrianopel auf dem Platz »des Verderbens der
Serben« eine Niederlage (1371). Nun wurden die serbischen Fürsten im
oberen Mazedonien unterworfen. Als der Kaiser Johannes, erzürnt über
das Benehmen des Thronfolgers Andronikos, ihn von der Nachfolge
ausschlofs, schlofs dieser ein Bündnis mit dem ebenfalls mit seinem Vater,
dem Sultan Murad, zerfallenen Prinzen Sandschi. Es gelang dem Sultan.
») Hertzberg, S. 492.
Schlacht am Anise1 fold. Bajesid. 591
die Empörung zu unterdrücken. Sandschi wurde geblendet und ent-
hauptet und auch Andronikos auf Drängen des Sultans seines Augen-
lichtes beraubt, was diesen aber nicht hinderte, sich mit den auf Venedig
eifersüchtigen Genuesen in ein Bündnis gegen Johannes einzulassen,
der nun entthront wurde. Indem Andronikos IV. den Genuesen
neue Zugeständnisse machte, kam es zu einem langwierigen Kriege unter
den Seemächten, der den Osmanen Gelegenheit bot, gegen die christ-
lichen Staaten neue Fortschritte zu machen. Mit Hilfe des Sultans ge-
wann der alte Kaiser (1379) den Thron zurück und nahm nach dem
Tode des Andronikos (1385) mit Beiseiteschiebung seines Enkels Johannes
seinen trefflichen jüngeren Sohn Manuel zum Mitregenten an. Trotz
dieser Wirren im griechischen Reiche war Murads Macht doch noch
keine derartige, dafs er sie zur Eroberung von Konstantinopel hätte be-
nutzen können. Mit um so gröfserem Eifer bekämpfte er die Südslawen.
1382 fiel Triaditza, das alte Sardica und spätere Sofia. Endlich legte
die gemeinsame Gefahr den christlichen Slawenstaaten den Gedanken
gemeinsamer Abwehr nahe. Die Türken hatten in Kleinasien an dem
Emir von Karaman einen kräftigen Gegner gefunden , den Murad nur
mit Aufbietung aller Kräfte bei Konia (1386) besiegte. Während er in
Asien beschäftigt war, hielten Serben und Bosnier die Zeit für gekommen,
loszuschlagen. Die Niederlage, die Lazar den Türken (1387) bei Plotschnik
beibrachte, belebte die Hoffnungen der Christen. Nun schlössen sich auch
die Bulgaren an, aber Twartko, von dem Gedanken an die Gründung eines
grofsbosnischen Reiches zwischen Adria, Drau und Donau beherrscht,
trat nur mit einem Teil seiner Truppen in den Kampf. Murad unter-
warf zuerst die Bulgaren und wandte sich dann gegen die Serben. Die
Entscheidung fiel am 15. Juni 1389 auf dem Am sei fei d. Es war eine
der blutigsten Schlachten des Jahrhunderts. Die Osmanen waren den
Christen nicht an Zahl, wohl aber an militärischer Ausbildung und in
der Führung der Truppen überlegen. Nichtsdestoweniger blieb die
Schlacht lange schwankend; erst der ungestüme Angriff Bajesids auf den
linken Flügel der Gegner führte die Entscheidung herbei. Der Sieg
gehörte dem Halbmond. Lazar lag erschlagen auf der Walstatt, aber
auch Murad fand nach der Schlacht durch das Schwert des serbischen
Ritters Milosch Obilitsch den Tod.
2. Noch auf dem Amselfelde empfing Bajesid (1389 — 1403) die
Huldigung seiner Vasallen. Gleich seinem Vater vor allem Kriegsmann,
war er viel ungestümer als dieser, was ihm schon unter den Zeitgenossen
den Beinamen Ildirim »der Blitz« verschaffte, und mehr darauf be-
dacht, seine Herrschaft zu erweitern als zu befestigen. Im Anfang mochte
es scheinen, als sei für die Christen durch Murads Tod auf dem Schlacht-
feld eine Erleichterung eingetreten: die Schlacht auf dem Amselfelde
schien, zumal da sich Bajesid vom Schlachtfeld hinweg nach Adrianopel
begab, als Sieg der Christen betrachtet zu werden, und so kündigte sich
auch König Twartko von Bosnien den Florentinern als Sieger an; aber die
Enttäuschung folgte auf dem Fufse nach. Das neue Regiment trat nicht
blofs gegen die Christen, auch gegen die Einheimischen despotischer auf.
592 Eroberungen Bajesids. Kaiser Manuel.
Seinen tapferen Bruder Jakub , der am Amselfelde den linken Flügel
kommandiert hatte, liefs Bajesid töten und eröffnete mit diesem Bruder-
mord die Reihe jener Sultane , die bis auf die neueste Zeit herab sich
beim Regierungsantritt ihrer Brüder entledigen, um vor jeder Neben-
buhlerschaft aus dem Kreise der Familie sicher zu sein. Dann ging er
an die Ausnützung des grofsen Sieges : Südslawen. Rumänen, Byzantiner
und Franken fühlten den Wechsel der Herrschaft; Lazars Sohn Stephan
wurde zur Huldigung gezwungen (1390). Bosnien durch Verheerungen
heimgesucht, der walachische Fürst Mircea geschlagen und zum Vasallen
gemacht. Das Jahr darauf kam es schon zu Kämpfen mit den Magyaren,
und 1393 folgte der Entscheidungskampf gegen Bulgarien. Er endete
mit der Vernichtung des Reiches. Die angesehensten und reichsten Ge-
schlechter des Landes wurden zur Auswanderung nach Kleinasien gezwungen
und die Selbständigkeit der bulgarischen Nationalkirche vernichtet; fortan
stand sie wieder unter der Hoheit des Patriarchen von Konstantinopel.
Der Ausgang des letzten Bulgarenfürsten ist in Dunkel gehüllt. Maze-
donien und Thessalien wurden erobert, und die kleineren Herrschaften
in Hellas gerieten in die Abhängigkeit von den Türken. AVährend
© Do «
Bajesids Sohn Tschelebi bedeutende Erfolge in Europa errang, vernichtete
er selbst das karamanische Reich in Kleinasien. Diese Ereignisse , vor
allem das Ende der Bulgarenmacht, erregten in Konstantinopel tiefe
Bestürzung. Gleich beim Antritt seiner Regierung hatte Bajesid sein
Übergewicht gegen die Griechen in brutalster Weise geltend gemacht.
Nicht blofs, dafs er Philadelphia, ihren letzten Besitz im Innern Kleinasiens,
wegnahm, er nötigte den jungen Kaiser Manuel, ihm seine Kräfte zur
Unterjochung der Stadt zu leihen. Unter den Griechen hob selbst bei
dieser verzweifelten Lage der Dinge noch das Parteiwesen sein Haupt.
Des Andronikos Sohn Johannes unternahm den Versuch, seinen Grofs-
vater Johannes V. zu stürzen, und behauptete sich durch fünf Monate,
bis es nach dem Tode des alten Kaisers dessen Sohn Manuel gelang,
sich das Reich zu sichern (1391 — 1425). Ein tüchtiger Herrscher, per-
sönlich tapfer, mit reichen Talenten ausgestattet, war er gleichwohl aufser-
stande, dem weiteren Vordringender Osmanen Halt zu gebieten. Wie einstens
wurden auch jetzt die noch übrig gebliebenen Plätze der griechischen
Herrschaft blockiert ; ihr Fall war bei der Uneinigkeit der griechisch-
lateinischen Herrschaften in Mittelgriechenland, dem Peloponnes und den
Inseln des Archipels nur eine Frage der Zeit. Die Unterjochung der
Bulgaren brachte Ungarn in Gefahr. Sigmunds Gesandte, die gegen
die Einverleibung Bulgariens Einsprache erhoben, wurden in den Kerker
geworfen. Auf Sigmunds Bitten liefs Bonifaz IX. das Kreuz predigen.
Sigmund selbst rief die Fürsten des Abendlandes zum Kampfe auf.
Die Teilnahme war eine allgemeine. In Deutschland und Frankreich
gab sich grofse Begeisterung kund. Die französische Flotte sollte ge-
meinsam mit der venezianischen vorgehen. Das Kreuzheer, bei dem
sich Deutsche, Franzosen. Engländer und Polen befanden, sammelte sich
Mitte Juni 1396 in Ofen. Die ungarischen Truppen zogen voran. Der
Marsch ging durch Siebenbürgen und die Walachei, deren Fürst. Mircea
Die Schlacht von Nikopolis. Die Mongolen. 593
der Grofse, sich mit Sigmund verbündet hatte. Oberhalb Widdin wurde
die Donau überschritten , diese Stadt erobert und Rahova genommen.
Am 12. September langte das Heer vor Nikopolis an, das zunächst
eingeschlossen wurde. Wenige Tage später rückte Bajesid an. Sein
Heer zählte ungefähr 100000 Mann.
Am 28. September kam es zum Kampfe. Vergebens bat Sigmund, seinen mit
der Kampfweise der Feinde vertrauten Ungarn den ersten Angriff zu überlassen. Das
christliche Heer war durch seine Zusammensetzung aus ganz verschiedenartigen
Elementen in seiner Leistungsfähigkeit behindert; während die Osmanen nach einem
bestimmten Plane vorgingen, war davon bei den Christen keine Rede. Eigenmächtig
begannen die Franzosen den Kampf mit einem siegreichen Vorstofs, so dafs Bajesid
schon zum Rückzug geneigt war. Als sie aber von der Höhe, die sie genommen, die
zahllosen Reitermassen der Gregner erblickten, bemächtigte sich ihrer eine Panik. Der
Schrecken wurde ins ungarische Heer getragen, von dem ein grofser Teil entwich.
Sigmund hielt sich mit dem Rest der Seinen, mit deutschen und den andern Kon-
tingenten auf das tapferste, und der Kampf blieb lange schwankend, bis er durch den
Serbenfürsten Stephan, den Sohn Lazars, zugunsten der Türken entschieden wurde.
Sigmund rettete sich auf ein Schiff, das ihn nach Konstantinopel und von dort in die
Heimat führte. Die Verluste waren auch auf seiten des Siegers ungeheure und Bajesid
hierüber derart erbittert, dafs er die Gefangenen mit Ausnahme der Reichen, von
denen er ein Lösegeld zu erpressen hoffte, niedermetzeln liefs. Ein Bayer, namens
Schiltberger, der uns den wichtigsten Schlachtbericht hinterlassen, wurde wegen
seiner Jugend geschont.1)
War der Eindruck der grofsen Niederlage auf die gesamte Christen-
heit ein gewaltiger, so hatten doch nur die Balkanstaaten die nächsten
Folgen zu verspüren. Noch vor Beginn des Kampfes hatte der Sultan
eine Botschaft Manuels an Sigmund wegen Abschlusses eines Bündnisses
aufgefangen. Während er nun seine Herrschaft im Norden und Nord-
westen befestigte, und die griechischen und fränkischen Staaten die Wucht
des Siegers ertrugen, forderte er drohend die Übergabe von Konstan-
tinopel, um die letzten Hindernisse aus dem Wege zu räumen, die noch
die einheitliche Ausgestaltung seines Reiches verhinderten. Manuel ver-
weigerte sie und schlofs mit seinem Neffen und Gegner Johannes VII.
einen Bund , wonach er diesem das Regiment am Bosporus liefs und
selbst nach dem Westen zog (1399), um Hilfe daselbst zu erflehen.
Er erhielt wohl Zusagen, aber keine wirkliche Unterstützung.2) In seiner Ab-
wesenheit wies Johannes VII. die erneute Forderung der Übergabe ab.
Die Eroberung Konstantinopels wäre indes zweifellos schon jetzt erfolgt,
hätte nicht der Mongolensturm den Sultan genötigt, seine ganzen Kräfte
nach Asien zu führen, wo der Bestand des osmanischen Reiches selbst
in Frage gestellt war.
§ 135. Timur und Bajesid.
1. Nach den glänzenden Erfolgen der Mongolen im 13. Jahrhundert
waren ihre Staatenbildungen : das Grofskhanat, die Goldene
Horde, das Reich der Ilchane in Persien und Tschag gatai in
*) Delaville le Roulx widmet Nikopolis ein eigenes Buch ; S. 211 ff. Dort (und
bei Köhler II, 625) ein Verzeichnis der Quellen. (Uiber d. Zahlen s. Huber II, 356.)
*) Über die Expedition Boucicauts ebenda S. 359.
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. ^o
594 Die Ilchane. Tschaggatai. Charakteristik Tiruurs.
raschem Niedergang begriffen. Von den Ilchanen tritt nur einer,
Gas an (1295 — 1304), als Krieger und Staatsmann bedeutend hervor.
Indem er es unterliefs, die bisher übliche Einführung in seine Stelle
vom Grofskhan in Peking zu holen, kam die tatsächlich bestehende Un-
abhängigkeit seines Reiches auch formell zum Ausdruck. Wie die
Goldene Horde traten auch die Ilchane zum Islam über, und so wurde
allmählich ein Ausgleich zwischen Siegern und Besiegten hergestellt.
Suchte Gasan die seinem Reiche durch die vorhergegangenen Raubzüge
zugefügten Schäden durch eine weise Politik des Aufbaues und der
Reform zu beseitigen, so war seine Regierung doch zu kurz, als dafs
sich seine Einrichtungen hätten einleben können. Seine Nachfolger,
eifrig dem Schiitismus zugetan, hatten gegen die aufstrebende Macht
einzelner Emire und Statthalter zu kämpfen, und so war das Reich,
trotzdem es nach aufsen seinen Besitzstand wahrte, schon ein Menschen-
alter nach Gasans Tode so geschwächt, dafs es einem Eroberer keinen
AViderstand zu leisten vermochte. Nicht viel anders lagen die Dinge
in Tschaggatai, wo sich die Mongolen übrigens unvermischter er-
halten hatten und ihrer Lebensweise als Nomaden treu geblieben waren.
Auch hier wandten sich die Häuptlinge der einzelnen Stämme dem
Islam zu. Bei diesen trat in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts
Timur auf, unter dessen Führung die Mongolen eine zweite Invasion
Asiens begannen, die, nicht minder schrecklich als die erste, alle Staaten
von China bis an die osmanische Grenze über den Haufen warf.
Timur — der Name bedeutet Eisen — wurde am 8. April 1336 in
Kesch, südlich von Samarkand geboren. Sein Vater, Taragäi, war
Stammfürst der Barlas, die zu den reinen Mongolen gerechnet werden,
wie auch die Abstammung Timurs auf einen der nächsten Vertrauten
Dschingiskhans oder auf eine Tochter von dessen Sohn Tschaggatai zu-
rückgeführt wird.
Seine äufsere Erscheinung entsprach freilich in keiner Weise dem mongolischen
Typus. Seine arabischer Biograph nennt ihn schlank und grofs, wie ein Sprosse alter
Riesen; von starkem Haupt und Stirn, war er gewaltig an Kraft jund Leibesstärke, von
Hautfarbe welfs mit rot gemischt, ohne dunkleren Ton, starkgliedrig und breitschultrig, von
ebenmäfsigem Körperbau, doch rechts an Arm und Fufs lahm, langbärtig, mit Augen von
dunklem Feuer, laut von Stimme. Todesfurcht kannte er nicht. Schon den Achtzigern
nahe *), behielt er geistig volle Selbstgewifsheit, körperliche Festigkeit und Straffheit.
An Gedrungenheit und Widerstandsfähigkeit glich er einem massiven Felsen. Spott
und Lüge liebte er nicht. Für Scherz und Spiel war er unzugänglich, dagegen wollte
er stets die Wahrheit hören, auch wenn sie ihm peinlich war. Niemals bekümmerte
ihn ein Fehlschlag, niemals machte ein Erfolg ihn fröhlich.« In dieser Zeichnung mag
manches übertrieben sein, im allgemeinen scheint sie der Wirklichkeit zu entsprechen.
Sicher ist, dafs er an einem Fufse lahm war; daher sein Name: Timur lenk, Timur,
der Lahme.
Wiederholt hatte einer und der andere der Stammesfürsten von
Tschaggatai den Versuch gemacht, eine einheitliche Macht zu begründen.
Vor einem dieser Fürsten, Togluk-Timur. hatte sich Taragais Bruder
und Nachfolger in Kesch geflüchtet; Timur unterwarf sich willig und
*) S. dazu die Bemerkungen Müller, Islam II, 272, woher das obige Zitat entlehnt ist.
Die Eroberungen Timurs und ihr Charakter. 595
erhielt das Fürstentum, was freilich nicht hinderte, dafs er bald wieder
vertrieben wurde und lange Zeit das Leben eines Abenteurers führte.
Im Bunde mit dem Emir Hussein gewann er eine führende Stellung in
Transoxanien und wurde nach Husseins Beseitigung Herr des Landes.
Noch ist freilich seine Stellung nur die eines Majordomus. Noch wird auf
einem Kuriltai ' ein Nachkomme Tschaggatais zum Grpfskhan gewählt,
Timur selbst führt nur den Titel Timur-Beg oder Emir Timur.
Auch seine Nachfolger, wiewohl sie davon abgingen, einen Grofskhan
zu wählen , haben sich mit dem Titel Beg oder Schah begnügt.
Noch eines ganzen Jahrzehnts angestrengter Arbeit bedurfte es (1369
bis 1379), bis das Reich Tschaggatai in seinem alten Umfang wieder
hergestellt war, denn es war schwer, die des Gehorsams entwöhnten
Begs in Untertänigkeit zu erhalten, und so rachgierig Timur sonst war,
gegen sie schritt er doch nur ein, wenn es not tat, und dann mit
einer Milde, die ihre Rachgier bezähmte. Die Macht Timurs wurde mit
jedem Erfolge bedeutender; immer mehr schwollen die Schären seines
Heeres an, seine Aufgaben wurden immer gröfser. Seine Leistungen
lassen die eines Dschingiskhan weit hinter sich, denn während dieser
seine Feldzüge durch seine Feldherren vollführen liefs, hat Timur die
seinigen selbst unternommen und mit Feinden gekämpft, denen die
Kampfweise der Mongolen völlig bekannt war. Nachdem er seine Herr-
schaft gesichert, wurden Iva schgar und Chowaresmien angegriffen,
dieses dem Reiche Timurs einverleibt und jenes zum Tribut gezwungen.
Schon greift er in die Verhältnisse der Goldenen Horde ein und hilft
Toktamisch zur Herrschaft (s. oben), wogegen dieser die Oberherrschaft
Timurs anerkennt. Dann wird die Eroberung der westlichen und süd-
lichen Länder begonnen. 1381 fällt Herat.
Mit unsäglicher Grausamkeit wird bei den Eroberungen verfahren : in Ssebsewar
werden 2000 Gefangene als Baumaterial zu Türmen verwendet, indem sie reihenweise
lebendig zwischen Schichten von Stein und Mörtel gelegt und festgemauert werden (1383).
Bei der Eroberung von Serendsch, der Hauptstadt von Ssedschestän, werden sämt-
liche Einwohner »bis auf das Kind in der Wiege« abgeschlachtet. Kabul und Kandahar
und alles Land bis an den Indus und nordwärts gegen Kaschgar hin wird erobert.
Aus den eroberten Städten werden Schätze und Kunstwerke nach Samarkand geschleppt,
aber auch Künstler und Handwerker angesiedelt. Dann folgt die Eroberung des west-
lichen Iran, der Kaukasusländer, Mesopotamiens und Armeniens. Nach der Eroberung
von Wan wurden Weiber und Kinder in die Knechtschaft geschleppt, die Männer,
Gläubige und Ungläubige, von den auf hohen Felsen erbauten Zinnen der Burg in
die Gräben gestürzt. Noch grausamer verfuhr Timur gegen Ispahan, als sich der neue
Emir weigerte, vor Timur zu erscheinen. Die Stadt war ohne Schwertstreich übergeben
worden, als aber während eines Tumultes die kleine Besatzung Timurs niedergemacht
worden war, gab er Befehl, dafs jede Heeresabteilung eine bestimmte Anzahl von
Köpfen der Feinde abliefere. Es waren 70000. Sie wurden nach mongolischer Gewohn-
heit in verschiedenen Stadtteilen zu Türmen aufgemauert. Selbst Timurs Krieger be-
kamen damals das Morden satt. Nur das Viertel der Gelehrten wurde verschont
Alle Fürsten der persischen Landschaften unterwarfen sich, bis
auf den Mosaffariden Manssur, der sich noch eine Zeit in Chusistan
hielt, da Timur sowohl von Toktamisch als von den Dschetas bedroht
wurde. Timur wandte sich zuerst gegen Chowaresmien, dessen Häupt-
linge mit seinen Gegnern in Verbindung getreten waren. Toktamisch
38*
596 Zug gegen Toktamisch. Eroberung Bagdads. Zug nach Indien.
flüchtete bis an die Wolga, verfolgt von den Gegnern. Erst bei Kan-
durtscha machte er Halt, um Sarai zu decken; am 19. Juni 1391 kam
es zur Schlacht, die Toktamisch verlor. Sein ganzes Lager, seine Schätze,
sein Harem fielen in die Hände der Sieger, Ende 1391 kehrten diese
nach Samarkand zurück. Der Zug gegen Toktamisch war Timurs
glänzendste Leistung. x) Die Eroberung Vorderasiens ging langsamer
von statten. Nachdem er inzwischen noch die Dscheta besiegt, wandte
er sich gegen Manssur, der nach tapferem Widerstand im Handgemenge
gegen Timur selbst sein Ende fand. Die Mosaff ariden, die noch Herr-
schaften innehatten, wurden insgesamt ausgerottet. Dann zog Timur
gegen Bagdad; da es dem Sultan nicht gelang, ein friedliches Ab-
kommen zu erzielen, entfloh er samt seinen Schätzen nach Ägypten.
Bagdad fiel in Timurs Hände, und im Verlauf von zwei Jahren wurde
ganz Irak und Mesopotamien erobert. Nochmals mufste Timur sich
gegen Toktamisch wenden, der in der Nähe des heutigen Jekaterinograd
eine Niederlage erlitt (1395), von der er sich nicht mehr erholte. Timur
setzte in der Horde einen neuen Khan ein. Nochdem er einen Feld-
zug in die Kaukasusländer und einen nochmaligen Zug bis zur Wolga
unternommen, seine Herrschaft in Mesopotamien gesichert und seinen
vier Söhnen einzelne Teile des Reiches zur Verwaltung übergeben hatte,
unternahm er (1398) einen Zug nach Indien, dessen Reichtümer einen
mächtigen Anreiz boten, während seit der Mitte des 14. Jahrhunderts
die Sultane zu Delhi ihre frühere Macht eingebüfst hatten und Thron-
streitigkeiten und Aufstände der Grofsen zu einem Eroberungszuge ein-
luden. Timur drang bis nach Multan und Delhi und hauste auch hier
in grauenvoller Weise. Delhi, das an äufserem Glänze mit Bagdad wett-
eiferte, wurde, nachdem Sultan Machmud eine Schlacht vor den Toren
der Stadt verloren und sich selbst mit Mühe gerettet hatte, erobert und'
die Bevölkerung niedergemacht (1398, 18. Dezember). Mit Schätzen
reich beladen, trat er den Rückzug an : »wie ein Heuschreckenschwarm
waren die Mongolen gekommen, und so verliefsen sie das Land, nachdem
sie es kahl gefressen — auch hier eitel Tod und Zerstörung, ohne den
geringsten Versuch, etwas Neues zu schaffen.«2) Während des indischen
Feldzuges waren Unruhen in Westiran ausgebrochen ; erheblicher
war, dafs nach den grofsen Erfolgen Bajesids die osmanische Grofs-
macht unmittelbarer Grenznachbar des mongolischen Reiches wurde.
Ein Zusammenstofs der beiden Grofsmächte war nicht mehr zu ver-
meiden.
2. Der Streit zwischen Bajesid und Timur brach aus, als jener
auf Bitte der Einwohner von Ssiwas das ganze Land bis Ersinghän in
Besitz nahm und hiemit in das Herrschaftsbereich Timurs eingriff, der
Ersinghän schon früher unter seinen Schutz gestellt hatte. Dazu kam,
dafs Bajesid den Ilchan Achmed Ibn Oweis von Bagdad und den
Fürsten von Diarbekr, Kara Jüssuf, welche die Wiedereroberung ihrer
1) Müller, S. 296.
2) Ebenda S. 301.
Bajesid und Tiniur. Schlacht bei Angora. Bajesids Ende. 597
Länder versucht hatten, in Schutz nahm, während die von Bajesid ge-
stürzten Emire Kleinasiens bei Timm* Hilfe suchten. Der Kampf bot
unter allen, die Timur bisher geführt hatte, die gröfsten Schwierigkeiten :
an den Türken fand er kriegstüchtige und sieggewohnte Gegner, deren
militärische Kräfte durch die der unterjochten Balkanchristen verstärkt
wurden. Eine Niederlage hatte für ihn bei der erbitterten Stimmung der
unterjochten Völker Kleinasiens die gröfsten Gefahren. Daher traf er
seine Vorkehrungen mit gröfster Umsicht, während Bajesid im Ver-
trauen auf seine bisherigen Erfolge es unterliefs, besondere Vorbereitungen
zu treffen und daher die Belagerung /Konstantinopels noch fortsetzte, als
Timur bereits gegen Ssiwas — das alte Sebaste — anrückte. Die Stadt
fiel nach achtzehntägiger Belagerung. Unter den Gefangenen befand sich
angeblich auch ein Sohn Bajezids, auch er wurde hingeschlachtet wie
die meisten Bewohner der Stadt. Bajesid mufste jetzt von der Be-
lagerung Konstantinopels abstehen ; der Fall des byzantinischen Reiches
wurde noch um ein halbes Jahrhundert verzögert. — Timur wandte
sich zuerst gegen den Mameluckensultan. Bei Haleb erlitt das ägyptisch-
syrische Heer eine furchtbare Niederlage (1400, Oktober); in rascher
Folge fielen die bedeutendsten Städte, und zu Ende des Jahres stand
der Eroberer vor Damaskus. Trotzdem sich die Stadt freiwillig ergab,
hatte sie kein besseres Schicksal als die andern, die in Timurs Gewalt
fielen : sie wurde verbrannt und ihre Bewohner herdenweise gemordet.
In Syrien und Ägypten verstummte jeder Widerstand. Auch von hier
wurden Gelehrte, Künstler und Handwerker nach Samarkand geschleppt.
Die Kunst der Stahlarbeiten, die in Damaskus gepflegt wurde, gelangte
nach Persien und Chorasan. Dann zogen die Mongolen an den Euphrat
zurück, um Mesopotamien und Bagdad aufs neue zu bekriegen. Jenes
wurde leicht unterworfen; Bagdad fiel aber erst nach heldenmütiger
Verteidigung am heiligsten Tage des muslimitischen Kirchenjahres (1401,
22. Juli). Timur hatte geschworen, nicht Schafe, sondern Menschen zu
opfern. 90000 Feinde wurden getötet und aus ihren Köpfen ein
Siegesdenkmal errichtet. Der Zug wälzte sich sodann nach Georgien.
Nun sammelte er ein Heer gegen die Osmanen, zögerte aber, in den
Entscheidungskampf zu ziehen, zu welchem er von Konstantinopel so-
wohl als vom Abendlande mehrfache Aufforderungen erhielt. Um Zeit
zu gewinnen, verhandelte er mit Bajesid, der indes zu keinem Entgegen-
kommen bereit war. Die beiderseitigen Heere traten einander (1402,
20. Juli) bei Angora gegenüber. Die Schlacht dauerte vom frühen
Morgen bis in die Nacht und endete mit einer vollständigen Niederlage
der Türken. Bajesid selbst wurde gefangen, ehrenvoll aufgenommen
und erst als er einen Fluchtversuch machte, in strenger Haft gehalten. Er
vermochte sein Unglück nicht zu ertragen : nach achtmonatlicher Ge-
fangenschaft starb der Sieger von Nikopolis am 9. März 1403. Bajesids
Sohn Suleiman, der sich nach Rumelien gerettet hatte, bat um Frieden,
und Timur trat den Heimweg an : Blut und Trümmer bezeichneten
») Köhler III, 470.
598 Zug gegen China. Tiniurs Ende. Suleiman.
seine Spuren. Im Juli 1404 traf er in Sainarkand ein. Doch nicht, um
auszuruhen. In dem ganzen gewaltigen Reiche ward nun gerüstet: es
sollte gegen China gehen, wo die Dynastie Dschingiskhans 1368 durch
die der Ming gestürzt worden war. Mit einem ungeheuren Heer trat
er den Zug an. Er kam jedoch nicht weit. In Oträr befiel ihn ein
hitziges Fieber, dem er am 18. Februar 1405 erlag. Er war der letzte
grofse Herrscher und das gröfste militärische Talent, das der Islam her-
vorgebracht hatte. Weitaus geringer war seine staatsmännische Veran-
lagung ; er verstand es wohl, ein Reich zu schaffen, das von der Wolga
und dem Archipelagus bis zum Persischen Meerbusen und dem Ganges
reichte, aber nicht Einrichtungen zu treffen, die seiner Schöpfung Aus-
sicht auf Dauer gewährten. Die Gröfse seines Reiches endete mit seinem
Leben.
Timur selbst scheint die Absicht gehabt zu haben, die direkte Erbfolge in seinem
Reiche einzuführen. In diesem Sinne ernannte er Pir Mohammed, den Sohn seines
vor ihm gestorbenen ältesten Sohnes Dschehän-gir, zu seinem Nachfolger. Indem aber
die übrigen Söhne Timurs als Statthalter bedeutende Teile des Reiches innehatten,
konnte die Macht des Herrschers nicht wie unter Timur aufrecht erhalten werden.
Pir Mohammed verlor sie an Khalil Ssultan, einen andern Enkel Timurs, und mufste
sich mit Afghanistan begnügen, ward aber bald hernach ermordet. Khalil, der seine
Zeit mit einer schönen Perserin, Schädi-i-Mulk, vertändelte und die Einnahmen des
Staates an sie vergeudete, wurde von dem vierten Sohne Timurs, Schah-Roch, gestürzt,
der seine Residenz nach Herat verlegte und während seiner langen Regierung (1405
bis 1446) sein Reich in trefflicher Weise verwaltete. Fern vom Ehrgeiz seines Vaters,
begnügte er sich damit, das Eroberte zu erhalten. Sein Sohn Ülug-Beg (1446 — 1449)
hatte dagegen mit unaufhörlichen Aufständen der Timuriden zu kämpfen. Sein eigener
Sohn Abd el-Latif nahm ihn gefangen und liefe ihn hinrichten, ward aber selbst sechs
Monate später von seinen Truppen erschlagen und ein anderer Enkel Schah-Rochs,
Abdallah, auf den Thron gehoben. Die Auflösung des Mongolenreiches machte nun-
mehr reifsende Fortschritte, da ein jeder der zahlreichen Xachkommen Timurs die
Herrschaft für sich beanspruchte. Es entstanden allmählich mehrere unabhängige Staaten,
die ihre Selbständigkeit an die Türken verloren. Von allen Timuriden hat nur Babur IL
in Hindostan ein starkes Reich — das der Grofsmoguls — begründet (1526).
§ 136. Die Erneuerung der türkischen Macht durch Mohammed L
Die Kriegszüge Murads II.
1. Mit unleugbarem Geschick behauptete Suleiman (1402 — 1410)
nach dem Zusammenbruch von Angora die Trümmer der türkischen
Herrschaft: zugute kam ihm, dafs das Abendland keinen Versuch machte,
die unvergleichliche Gelegenheit, die Türkenherrschaft für immer abzu-
schütteln, auszunützen. Man hielt dafür, dafs die Türkenmacht nunmehr
ungefährlich geworden sei. Die Christen der Balkanhalbinsel, durch die
vorhergegangenen Kämpfe geschwächt, waren zufrieden, einen Teil ihrer
Länder und Rechte zurückzugewinnen. Suleiman schlofs mit Manuel
ein Bündnis, zu dessen Bekräftigung er nicht blofs Geiseln aus seiner
Familie stellte, sondern auch eine Nichte des Kaisers zur Frau nahm.
Die Griechen, von der bisherigen Tributpflicht befreit, erhielten Thessa-
lonich samt dem dazu gehörigen Gebiet und einen gröfseren Land-
streifen nördlich von Konstantinopel und schliefslich auch einige Inseln
Die Wiederherstellung der türkischen Macht. Mohammed I. u. Murad II. 599
zurück. Serbien und Naxos wurden tributfrei, den Venezianern und
Genuesen einzelne Vorteile gewährt. Inzwischen hatte sich Suleimans
tatkräftiger Bruder Mohammed in den Besitz von Tokat und Amasia
gesetzt und nach Timurs Tod seine Herrschaft ausgedehnt, während sein
älterer Bruder Isa sich in Brussa festsetzte. So gab es drei osmanische
Reiche, von denen die asiatischen miteinander in Streit gerieten. Isa
floh nach Konstantinopel; Mohammed hielt seinen Einzug in Brussa und
behauptete sich gegen Isa und dessen Bundesgenossen, worauf sich
Suleimann gegen Mohammed wandte und ihn nach der Eroberung
Brussas nach dem Osten zurückdrängte. Dagegen entsandte Mohammed
seinen Bruder Musa nach Europa, der im Bund mit dem Woiwoden
Mircea einzelne Vorteile errang. Suleiman erlag schliefslich einer Ver-
schwörung der über seine Genufssucht erbitterten Generale. Nun stritten
Musa und Mohammed um die Herrschaft. Dieser errang in der Schlacht
bei Tschamorlu (1413, 10. Juli) den Sieg. Musa wurde auf der Flucht
gefangen und erdrosselt. Mohammed (1413 — 1421) bedurfte des Friedens,
um die durch die Mongolenkatastrophe und den Bruderkrieg gestörte
Ordnung herzustellen. Er griff nur zu den Waffen, als die Fürsten von
Karamanien und Jonien sich selbständig zu machen versuchten , nützte
übrigens seine Siege mit Milde aus. Gegen die Venezianer unter Pietro
Loredano verlor er die Seeschlacht bei Kallipolis (1416, 26. Mai) und
mufste ihnen einen vorteilhaften Frieden gewähren. Auch gegen die
Walachei und Ungarn hatte er keine Erfolge, gröfsere gegen den Emir
von Karamanien und gegen die kommunistischen Tendenzen huldigende
Sekte der Stylarier in Asien. Gefährlicher war der Aufstand eines Aben-
teurers, der sich für Mustafa, den angeblich bei Angora gefallenen Sohn
Bajesids ausgab. Indem einige Führer der Aufständischen bei den
Griechen Schutz fanden, hatte das freundliche Verhältnis ein Ende, das
bisher zwischen Mohammed und den Griechen bestanden hatte und diesen
wesentlich zugute gekommen war.
2. Dieses Verhältnis wurde von Mohammeds Sohn Murad IL
(1421 — 1451) überhaupt anders aufgefafst. Er weigerte sich, dem Kaiser
Manuel als dem von Mohammed bestimmten Vormund seine jüngeren
Brüder Jussuf und Mohammed zu übergeben, wogegen Manuel Mustafa
nicht blofs in Freiheit setzte, sondern auch als rechtmäfsigen Sultan in
Europa anerkannte. Mustafa errang über Murads Truppen einen Sieg,
weigerte sich aber, das den Griechen gemachte Versprechen der Zurück-
gabe von Kallipolis zu erfüllen. Manuel wandte sich nun von Mustafa
ab, ohne hiedurch aber die Freundschaft Murads IL zu gewinnen. Viel-
mehr zog dieser sofort nach Mustafas Unterwerfung gegen Konstantinopel,
um das Werk Bajesids zu vollenden. Noch reichten aber seine Mittel
nicht aus, um die Weltstadt zu erobern. Ein Sturm ward glücklich ab-
geschlagen. Infolge eines Bürgerkrieges, der unter den Türken in Klein-
asien ausbrach, erhielten die Griechen einen billigen Frieden. Manuel
trat in ein Kloster und überliefs die Regierung seinem Sohn Johann VIII.
(1423 — 1448). Das griechische Reich war jetzt auf die Halbinsel vom
Bosporus bis Selymbria und Derkon, auf wenige Punkte am Schwarzen Meere,
600 Die Kriegszüge Murads II. Skanderbeg.
auf Thessalonich, ein Stück der Phthyotis, einige Inseln und Mysithra im
Peloponnes beschränkt. Noch eine kurze Frist war diesem altersschwachen,
kleingewordenen Staate zugemessen. Murad wandte sich gegen die Vene-
zianer, die 1423 Thessalonich erworben hatten. Nach sieben Jahren
fiel die Stadt in die Hände der Türken und gewann durch die Weg-
führung der alten und Ansiedlung orientalischer Bevölkerung mit ihrem
neuen Namen Salonik bald auch ein ganz osmanisches Aussehen. Gegen
Zahlung eines Tributs wurde den Venezianern das Recht ihres Besitzes
verbürgt, Ebenso erfolgreich war Murads Politik gegen den Despoten
Carlo Tocco, der von seinem Joannina, einen Teil von Epirus und
Akarnanien umfassenden Besitz den gröfseren Teil abtrat und als türkischer
Vasall den Rest behielt. Von den griechisch-lateinischen Herrschaften
konnten sich nur noch Athen und Arta behaupten. Der fränkischen
Herrschaft im Peloponnes machten übrigens die beiden Paläologen
Thomas und Konstantin ein Ende (1430). Es war der letzte Erfolg
der Roma er. Im Norden hatten die Ungarn seit 1425 den Kampf
gegen die Türken wieder aufgenommen; als aber Murad IL 1427 mit
einem Heere heranzog, schlofs Sigmund einen Waffenstillstand auf drei
Jahre und nötigte hiedurch auch die Serben zum Anschlufs an die
Türken. Erst 1438 begannen diese den Kampf aufs neue, eroberten
(1439) Semendria, Serbien und brachten Bosnien in gröfsere Abhängigkeit.
Als Murad hierauf (1440) Belgrad, das ihm den Weg nach Ungarn ver-
sperrte, angriff, erlitt er während der sechsmonathchen Belagerung schwere
Verluste. Im folgenden Jahre brachte Hunyady den Türken vor Belgrad
und 1442 in der Nähe von Weifsenburg in Siebenbürgen Niederlagen
bei, so dafs sich der walachische Woiwode wieder an Ungarn anschlofs.
Ein zweites türkisches Heer, das hierauf in Siebenbürgen einrücken wollte,
wurde , ehe es noch die Karpathen überschritten hatte , geschlagen.
Hunyadys Erfolge erweckten im Abendland grofse Begeisterung, sein
glänzender Sieg bei Nissa (1443, 3. November) hob den Mut der Balkan-
christen. Noch auf dem Rückzug, den die Ungarn angesichts der starken
Verteidigungsmittel ihrer Gegner antraten, brachten sie diesen am Weih-
nachtsabend eine blutige Niederlage bei.
3. Murad war nun um so mehr zum Frieden geneigt, als sich in
Kleinasien der Emir von Karamanien wieder erhob und auch die christ-
lichen Albanesenstämme unter ihrem tapferen Führer Georg Kastriota
in Bewegung gerieten. Einem Fürstengeschlechte Albaniens entsprossen,
war Georg in seiner Kindheit als Geisel nach Adrianopel gekommen,
Dort erhielt er den Namen Iskender, woher sein späterer Name Skan-
derbeg stammt. Im AVaffenhandwerk aufgezogen, entwich er unter dem
Eindruck von Hunyadys Siegen, setzte sich in Kroja fest, das einst seiner
Familie gehört hatte, und begann, zum Christentum zurückgekehrt, den
Kampf gegen die Osmanen. Er schlofs mit zahlreichen albanesischen
Machthabern ein Bündnis und trat mit Ungarn in Verbindung. Da
auch der Paläologe Konstantin im Peloponnes seine Stellung verstärkte,
schlofs Murad mit Ungarn zu Szegedin auf 10 Jahre Frieden (s. oben
§ 120) und wandte sich dann gegen Karamanien. Den Kampf gegen die
Die Schlachten bei Varna und am Amselfeld. 601
Albanesen überliefs er seinem Feldherrn Ali Pascha, der ihn unglücklich
führte. Inzwischen hatte der Sultan, unzufrieden mit dem Gang der
Dinge, die Regierung seinem "jugendlichen Sohne Mohammed übertragen,
sie aber wieder in die eigenen Hände genommen, als Ungarn den
Frieden brach. Die gewaltige Niederlage des Christenheeres bei Varna
(1444, 10. November) versetzte das ganze Abendland in Bestürzung und
Trauer (s. oben) : es Avurde immer deutlicher , dafs es nimmer gelingen
werde, die Osmanen aus Europa zu verdrängen. War Johann VIII. vor-
dem geneigt ; sich an Murads Gegner anzuschliefsen , so eilte er jetzt,
ihn zu versöhnen, und auch die Venezianer erhielten für sich und Naxos
gegen Zahlung eines Tributes Frieden. Noch einmal zog Murad sich
von der Regierung zurück; jetzt zwang ihn aber ein Janitscharenauf-
stand (1445), sie wiederum an sich zu nehmen. Nun galt es, die Macht
der peloponnesischen Paläologen zu brechen, die mit Sicherheit nur auf
Skanderbegs Beistand rechnen durften. Dieser hatte soeben noch die
Angriffe der Türken siegreich abgeschlagen; nun hinderte ihn ein Streit
mit Venedig, den Paläologen Hilfe zu leisten, und so wurden sie trotz
aller Tapferkeit zur Zahlung der Kopfsteuer gezwungen (1447). Skanderbeg
gewann auch gegen die Venezianer Vorteile und schlug die Türken bei
Oroschi entscheidend (1448, 1. Oktober); der türkische Anführer selbst
wrurde gefangen. Nun schlössen die Venezianer mit Skanderbeg Frieden
und gaben ihm den Ehrentitel eines Oberbefehlshabers der Republik
in Epirus und Albanien. — Glücklicher waren die Türken gegen Ungarn.
Der ungarische Reichstag hatte (1448, Mai) reiche Mittel bewilligt. Hunyady
rückte an der Spitze von 24000 Mann zu Fufs und 4000 Reitern in
Serbien ein, das wegen des Verhaltens seines Fürsten im Jahre 1444
als Feindesland betrachtet wurde, und gelangte bis zum Amselfeld. Hier
Ilagerte Murad mit bedeutender Übermacht, und hier, wo einstens Lazar er-
legen war, kam es am 18. und 19. Oktober 1448 zum Entscheid ungskampf, der
für die Christen vornehmlich deswegen verloren ging, weil am zweiten
Schlachttage 8000 Walachen zum Feinde übergingen. Mit Mühe rettete
sich Hunyady nach Serbien. Dort wurde er gefangen und erlangte erst
durch die Vermittlung des ungarischen Reichstages seine Freiheit wieder.
I Murad, der nun freie Hand gegen Skanderbeg hatte , rückte im Früh-
jahre 1449 mit 155 000 Mann in Albanien ein. Skanderbeg war indes
der Lage vollständig gewachsen und brachte den Türken wiederholt
schwere Verluste bei. Die glänzende Verteidigung Krojas durch den
Conte Urana (1450) erregte die Bewunderung des Abendlandes. Nicht
weniger erfolgreich hielt sich Skanderbeg in den folgenden Jahren.
Inzwischen erlag Murad am 5. Februar 1451 zu Adrianopel einem
Schlaganfall.
§ 137. Die Eroberung von Koiistantinopel.
1. Erleichtert atmete die abendländische Welt auf die Kunde von
Murads IL Tode auf. Dafs er veranlafst gewesen, zweimal das Regiment
wieder an sich zu nehmen, schien ein günstiges Zeichen : man durfte
von seinem Nachfolger Mohammed IL (1451 — 1481) eine friedlichere
602 Mohammed II. und Konstantin XI.
Regierung erwarten; selbst an der Pforte glaubte niemand, dafs er
kriegerische Pläne verfolge. Und doch erwies sich dieser dem Anscheine
nach unreife Jüngling binnen kurzem als ein tatkräftiger Eroberer und
Staatsmann wie nur irgend einer seiner Vorgänger, nur noch gewalt-
tätiger und grausamer als diese. Sein zweimaliger unfreiwilliger Rücktritt
von der Herrschaft, deren Reize er nur kosten durfte, hat, wie es scheint,
das verschlossene Wesen in ihm gezeitigt, vor dem selbst seine nächsten
Ratgeber zitterten. In der inneren und auswärtigen Politik Meister, tat
er keinen Schritt, über dessen Tragweite er sich nicht versichert hätte.
Nach aufsen hin setzte er die Politik seines Vaters fort und versprach
Vasallen und Nachbarn Frieden und Freundschaft. Strenger verfuhr er
gegen die eigene Familie ; den einzigen Bruder Achmed liefs er erdrosseln.
— In Konstantinopel hatte nach längerem Streite mit seinen Brüdern
Konstantin XL (1449 — 1453), der sich bereits im Peloponnes einen
ruhmvollen Namen erworben, die Krone erlangt; ein tatkräftiger Fürst,
der den Fall seines Reiches freilich nicht mehr aufhalten konnte. Nach-
dem Mohammed den Emir von Karamanien, der den Thronwechsel in
Adrianopel zur Erweiterung seiner Herrschaft benutzen wollte, besiegt
hatte, wandte er sich dem griechischen Kaisertum zu, dessen Herrscher
durch einige während seiner Bedrängnis gestellte Forderungen seinen
Zorn erregt hatte. Im März 1452 baute er eine starke Zitadelle am
Bosporus, die Konstantinopel und dessen Seeverkehr bedrohte und den
Kaiser zu Gegenmafsregeln zwang : die Befestigungswerke wurden instand
gesetzt und Boten an seine Brüder und die Fürsten des Abendlandes
mit der Bitte um Hilfe gesandt. Der Sultan legte in das neue Fort eine
starke Besatzung und erprefste von den Schiffen, die den Georgssund
passierten, schwere Zölle. Weder Venedig noch Genua taten etwas, um
der Katastrophe vorzubeugen. Dagegen liefs Mohammed schon jetzt die
Befestigungswerke seines Gegners aufs genaueste auskundschaften, nahm
den ungarischen, von Konstantin hoher Forderungen wegen abgewiesenen
Stückgiefser Orban in seinen Dienst und liefs den Peloponnes verwüsten,
um des Kaisers Brüder zu hindern, ihm Hilfe zu leisten. Die Fürsten
des Abendlandes sandten leere Vertröstungen oder begnügten sich wie
Friedrich III., Abmahnungsschreiben an den Sultan zu senden. Kon-
stantin bot Städte und Inseln aus, um die Hauptstadt zu retten. Die
Kurie verlangte als Preis ihrer Hilfe Durchführung der Union ; als sie
der Kaiser unter dem Drucke der Verhältnisse gewährte, zog er sich
den Hafs des von dem Mönche Gennadios aufgeregten Klerus zu, der
die türkische Knechtschaft dem lateinischen Ritus vorzog. Konstantin XI.
war sonach auf sich selbst gestellt. Nur die venezianische Kolonie in
der Hauptstadt und die Genuesen auf Chios, deren Interessen zunächst
bedroht waren, leisteten Hilfe. Unter den Genuesen leuchtete durch
Tapferkeit und Umsicht Giovanni Longo aus dem Hause Giustiniani
hervor. Ihm hatte der Kaiser für den Fall des Sieges den Besitz von
Lemnos zugedacht. Freilich stand nicht nur der Klerus nur mit halbem
Herzen bei der Sache des Vaterlandes; schon war ein Teil der griechischen
Bevölkerung orientalisiert, von den vornehmen Familien einzelne mit
Die Eroberung Konstantinopels. Der Ausgang des griechichen Reiches. 603
Osmanen verschwägert und viele geneigt, die türkische Herrschaft an-
zunehmen, die wenigstens Sicherheit bot. Das türkische Element war
dem griechischen politisch und moralisch überlegen, und es ehrt den
Kaiser, dafs er in schwerer Stunde Mohammeds IL Anerbietungen, ihm
für Konstantinopel den gesicherten Besitz Moreas zu lassen, ablehnte
und den Fall der Hauptstadt nicht überleben wollte.
2. Im Frühling 1453 umzingelten die türkischen Belagerungs-
massen die Stadt von der Landseite; es waren an 300000 Mann, denen
die Christen kaum den dreifsigsten Teil entgegenzustellen vermochten.
Das Heer der Türken wurde zudem durch eine starke Flotte unterstützt ;
die Griechen hatten nur an der Festigkeit ihrer Mauern einen Ersatz ;
ihre Verteidigung wurde in trefflicher Weise geleitet; der Hafen war
durch eine eiserne Kette gesperrt. Am gefährlichsten wurde die Riesen-
kanone Orbans; wo ihre Kugel einschlug, gab es Risse, wie nach einem
Erdbeben. Während zu Lande gekämpft ward, lieferten vier genuesische
und ein griechisches Schiff der Türkenflotte ein siegreiches Treffen.
Unter den Osmanen gab es eine Partei, den Grofswesir an der Spitze,
die einen Frieden befürwortete. Der Sultan war schliefslich genötigt,
die Stadt auch von der Seeseite anzugreifen. Da aber jeder Angriff auf
die Sperrkette von vornherein aussichtslos war, wurde ein Teil der
türkischen Flotte mittels einer Rutschbahn in die innere Rhede von
Konstantinopel gebracht und die Verteidiger gezwungen, ihre Kräfte
zu teilen. Ihre Arbeit, die entstandenen Breschen mit Steinen und
Rasenstücken zu füllen, wurde immer schwieriger, der durch Derwische
angefachte Fanatismus der Belagerer immer kräftiger, der Minenkrieg
immer gefährlicher. Schliefslich konnte der Sultan am 29. Mai zum
Sturmangriff schreiten. Es war der Todestag des romäischen Reiches.
Der erste und zweite Angriff wurde glücklich zurückgewiesen, auch beim
dritten Angriff erlitten die Janitscharen grofse Verluste. Zum Unglück
für die Griechen wurde Giustiniani verwundet und eilte auf sein Schiff,
sich verbinden zu lassen. Es entstand eine Verwirrung, bei der es den
Türken gelang, in die Stadt zu dringen und dem Kaiser in den Rücken
zu fallen. Tapfer kämpfend, verlor er unter den Streichen der Janitscharen
sein Leben; er hätte sich ein Ende von christlicher Hand gewünscht.
Mit ihm fielen drei andere Paläologen. Von der Bevölkerung — eine
grofse Menge hatte sich in die Sophienkirche geflüchtet und erwartete
dort durch ein Wunder ihre Rettung — wurden Tausende erschlagen,
die übrigen als Sklaven unter die Soldaten verteilt, Hab und Gut der
Bewohner geplündert. Erst am dritten Tage gebot der Sultan, der
Konstantinopel — jetzt mit einer Verballhornung des Namens Istambul —
nicht zerstört, sondern als künftige Residenz erhalten wissen wollte, dem
Morden und Plündern Einhalt. Am Morgen des 30. Mai hielt er seinen
Einzug. Sein erster Weg war in die Sophienkirche, die er bewundernd
betrachtete. Am Altare verrichtete er sein Gebet. An Stelle des
Kreuzes wurde der Halbmond aufgerichtet. Die Leiche des Kaisers
' war an den Schuhen erkannt worden. Der Kopf wurde, auf dafs sich
jeder vom Untergang des Kaisertums überzeuge, öffentlich ausgestellt,
604 Die Eroberungen Mohammeds II. Hunyady und Capistrano.
der Rumpf in Ehren bestattet. In der Nähe der Wefa-Moschee unter
dem Schatten eines Weidenbaumes ist das Grab des Helden. Noch jetzt
wird darüber jeden Abend eine Lampe entzündet. Hatte es anfangs
den Ansehein, als würde der Sultan seinen Sieg durch Milde und Grofs-
mut erhöhen, so kehrte er schon am nächsten Tage seine Tigernatur
hervor, indem er eine Menge vornehmer Griechen enthaupten liefs.
Die Flotte der Abendländer landete zwei Tage nach dem Fall der Haupt-
stadt vor Negroponte. Im Abendlande entstand unsagbarer Jammer
über den Sturz eines Reiches, das, aller Verirrungen der byzantinischen
Politik ungeachtet, doch ein starkes Bollwerk für die abendländische
Zivilisation gewesen war.
§ 138. Die Eroberungen Mohammeds II.
Zu den früher genannten Hilfsschriften s. G. Voigt, Joh. v. Capistrano. HZ.X, 19.
Dort weitere Quellen u. Lit. -Vermerke. Huber m. Kupelwieser, Die Kämpfe Ungarns
mit den Osmanen bis zur Schlacht bei Mohäcs. Wien 1895.
1. Ehe Mohammed nach Adrianopel zurückkehrte, traf er jene
Anordnungen, die das Verhältnis der Griechen zu den Türken regelten.
Indem er ihre Sitten und Bräuche, Religion und Sprache unangetastet
liefs, kehrte die Mehrzahl der Geflüchteten wieder zurück. Den Hafs
des griechischen Klerus gegen die Lateiner nützte er trefflich aus.
Patriarch wurde ihr unversöhnlicher Gegner Gennadios, und die grie-
chische Kirche auf den Stand vor der Florentiner Synode gebracht.
Ja die Befugnisse der Patriarchen wurden noch erweitert, da sich die
Türken in die inneren Verhältnisse der griechischen Kirche nicht ein-
mischten. Ihr Sitz wurde von der islamitisch gewordenen Sophienkirche
nach der Apostel-, dann (1455) nach der Klosterkirche der heiligsten
Jungfrau, endlich (seit 1581) nach dem nördlichen Teil des Fanars
verlegt. Jede Verfolgung der Christen ward untersagt, was freilich nicht
hinderte, dafs christliche Kirchen in Moscheen verwandelt und verlassene
Klöster mit Derwischen besetzt wurden. Schon 1454 begann Mohammed
mit dem Bau seiner Residenz und andern Bauten, durch die Stambul
ein ganz orientalisches Gepräge erhielt. Die christlichen Vasallen be-
eilten sich, dem Sultan ihre Ergebenheit zu bekunden. Die Tribute der
kleinen lateinischen Staaten wurden erhöht, Trapezunt unterwarf sich
der Gnade des Siegers, und die Paläologen im Peloponnes blieben vor-
läufig in ihrem Besitz. So bedrückt auch die Staaten des Westens über
die Fortschritte des Halbmonds waren, sie verhielten sich ruhig, ja
Venedig schlofs schon 1454 einen Vertrag mit den Türken, so dafs die
einzige Hoffnung des Abendlandes auf Hunyady ruhte. Um sich gegen
Ungarn zu sichern, sandte Mohammed (1454) an den Fürsten Georg
Brankowitsch von Serbien die Aufforderung, ihm gegen eine ander-
weitige Entschädigung Serbien abzutreten, drang in Serbien ein und
nötigte ihn zur Flucht nach Ungarn. Im Jahre 1456 wurde Belgrad,
der Schlüssel von Ungarn, zur Wasser- und Landseite eingeschlossen.
Doch gelang es Hunyady, dem der feurige Kreuzprediger Capistrano
zur Seite stand, die Stadt zu entsetzen (22. Juli). Aber der glänzende
Einziehung Athens, Serbiens und des Peloponneses. 605
Sieg wurde nicht ausgenützt. Bald nachher starben Hunyady und Ca-
pistrano. Der einzige Gegner der Osmanen, der noch standhielt, war
Kastriota. Nicht entmutigt durch die Schlappe, die er 1455 bei Sfetia
erlitt, brachte er den Türken im August 1457 bei Tomornitza eine
schwere Niederlage bei und errang auch in den folgenden Jahren solche
Erfolge, dafs Mohammed 1461 auf einen zehnjährigen Waffenstillstand
auf Grund des Status quo einging.
2. Schlimmer stand es um die christliche Sache in den übrigen
Balkanländern. Zuerst fielen die letzten fränkisch-griechischen Herr-
schaften in Mittelgriechenland und dem Pelöponnes. Ein Thronstreit
zwischen Franko Acciajuoli, dessen Haus seit 1386 in Athen regierte,
und der Witwe des letzten Herzogs Nerio IL, die das Land an ihren
zweiten Gatten bringen wollte, bot dem Sultan den Anlafs, das Herzog-
tum einzuziehen (1456). Als Mohammed (1458) Athen besuchte, war er
entzückt von der Pracht der antiken Gebäude und des Piräus mit seinen
Hafenanlagen. Da die letzten Beherrscher ebenso wie die Gebräuche der
katholischen Kirche im Lande verhafst waren, wurde der Wechsel der
Herrschaft mit Freude begrüfst. Eine Bewegung, die 1460 zugunsten
Frankos entstand, endete damit, dafs er getötet und seine Söhne unter
die Janitscharen gesteckt wurden. Jetzt erst wurde der Parthenon in
eine Moschee verwandelt. Auch in Serbien bot ein Thronstreit nach
dem Tode des Fürsten Lazar (1458) Anlafs, das Fürstentum einzuziehen.
Als sich Lazars Witwe, die ihre älteste Tochter an den Sohn König
Stephans von Bosnien vermählt hatte, unter den Schutz des Papstes
stellte, erregte dies Entzweiung im Lande, die den Türken die Eroberung
wesentlich erleichterte. Im Pelöponnes lagen die Brüder des letzten
griechischen Kaisers, Thomas von Patras und Demetrios in Mysithra,
miteinander im Kampfe. Als sie unter dem Eindruck der letzten tür-
kischen Niederlage gegen Hunyady mit der Zahlung des Tributes
säumten, rückte Mohammed im Pelöponnes ein und vereinigte dessen
nördlichen Teil mit dem Paschalik Thessalonich, und als Thomas im
Hinblick auf die starke, durch Pias IL (s. unten) veranlafste Kreuzzugs-
bewegung darauf ausging, seine alte Stellung wieder zu erringen, sich
zugleich aber auch gegen seinen Bruder wandte, machte Mohammed
diesen Resten griechischer Herrschaft (1460) ein völliges Ende. Demetrios
starb 1470 als Mönch zu Adrianopel. Thomas fand Unterstützung beim
Papste und starb 1465 mit Hinterlassung zweier Söhne Manuel und
Andreas, von denen jener seinen Frieden mit den Türken machte, der
andere bei seinem kinderlosen Tode seine Ansprüche an Ferdinand den
Katholischen und Isabella vererbte. Seine jüngere Schwester Zoe (Sophie)
heiratete (1502) Iwan III. Wasiljewitsch. Ihre Ansprüche gingen sodann
auf ihre Tochter Helena über.
3. Dem Sturz der Paläologen folgte jener der letzten freien Griechen-
staaten. Auf die Griechen von Trapezunt hatte der Fall von Byzanz
geringen Eindruck gemacht; weniger darauf bedacht, ihre nationale Un-
abhängigkeit zu wahren, als politische Intrigen zu verfolgen oder kauf-
männischem Gewinn nachzugehen, waren die Fürsten sittlich verkommen,
(306 Der Sturz des Kaiserreiches Trapezunt. Der Fall Bosniens.
der Klerus habsüchtig und so unverträglich, dafs der gemeine Mann die
osnianische Herrschaft als das kleinere Übel betrachtete. Mit der den
Griechen eigenen Überschätzung der eigenen und Unterschätzung der
feindlichen Kräfte hatte noch der Kaiser Johannes (1446 — 1458) den
Plan gefafst, nach dem Tode Murads II. im Bunde mit benachbarten
christlichen und islamitischen Fürsten der Türkenherrschaft in Kleiuasien
ein Ende zu machen. Mohammed IL hatte davon Kunde erhalten.
Sofort nach der Eroberung von Konstantinopel entsandte er den Statt-
halter von Amasia gegen Trapezunt und zwang es zum Tribut, ent-
schlossen, das Kaisertum nur so lange zu dulden, bis seine Aufgaben
im Westen gelöst seien. Johannes suchte sich durch Bündnisse mit
Sinope, Karamanien und den christlichen Fürsten von Georgien und
Armenien zu schützen, starb aber schon 1458. Sein vierjähriger Sohn
wurde von dessen Oheim David beiseite geschoben, der nun die
Pläne seines Bruders weiter verfolgte. Als aber Mohammed nach der
Unterwerfung Moreas heranzog und Davids Verbündete unterwarf, ent-
sank diesem selbst der Mut. Um Leben und Schätze zu retten, ver-
zichtete er auf Trapezunt und übersiedelte nach Stambul. In Trapezunt
ward der Wechsel der Herrschaft anfangs freudig begrüfst; bald traten
jedoch die Folgen zutage: nur ein Drittel der christlichen Bevölkerung,
und zwar aus den niederen Klassen, durfte in der Heimat verbleiben,
die Reichen und der unabhängige Adel wurden gezwungen, ihren Besitz
ohne Anspruch auf Entschädigung aufzugeben und nach Konstantinopel
zu ziehen, die kriegstüchtige Jugend unter die Janitscharen eingereiht
und der Besitz der Christen an Moslemen verteilt, der entthronte Kaiser
auf den Verdacht einer Konspiration hin ergriffen und, da er sich weigerte,
zum Islam überzutreten, samt seinen sieben Söhnen und seinem Neffen
Alexios hingerichtet. So endete das Kaiserhaus der Komnenen. — Von
den Inselstaaten im Agäischen Meere behaupteten sich nur jene, die im
Besitz venezianischer Dynasten waren oder den Johannitern auf Rhodus
gehörten. Lesbos, wo das Haus Gattilusio in der letzten Zeit der
Paläologen unter byzantinischer Hoheit zur Macht gekommen war, wurde
1462 erobert, Xiccolö Gattilusio nach Stambul geführt und trotz seines
Übertritts zum Islam erdrosselt, die Insel übrigens ebenso grauenhaft
behandelt wie Trapezunt.
4. Hunyadys Sieg bei Belgrad entfachte den Eifer der Kurie aufs
neue. Schon im folgenden Jahre trat Kalixtus III. lebhaft für einen Kreuz-
zug ein : in Venedig, Dalmatien, Bosnien und Serbien wurde das Kreuz
gepredigt. Aber der Wechsel auf dem angarischen Thron und die Gleich-
gültigkeit der Abendländer hinderten das Zustandekommen des Unter-
nehmens. Bald folgte der Fall des Königreiches Bosniens, damit war
die Umklammerung Ungarns auf der ganzen Südseite vollendet. Schon
1458 wandte sich König Stephan Thomas an Venedig und Pius IL, der
einen Kongrefs nach Mantua berief. Im folgenden Jahre drang Moham-
med IL in Serbien ein und eroberte Smederovo. Der König von Bosnien
fand im Kampfe gegen die eigenen Grofsen den Tod (1461). Bosnien
kam in den Besitz Stephans Thomasewitsch, der sein Reich durch die
Behandlung Serbiens. Unterwerfung d. Walachei. Krieg gegen Venedig. 607
Verfolgung der Patarener schwächte, die nun scharenweise aus dem Lande
getrieben wurden und in den türkischen Provinzen Schutz fanden. Im
Vertrauen auf sein Bündnis mit Ungarn verweigerte er den Türken den
Tribut. Mohammed war eben in der Walachei beschäftigt. Erst 1463
rückte er in Bosnien ein und eroberte das Land. Wiewohl Stephan,
in der Hoffnung, sein Leben zu retten, ihm hiebei half, wurde er ge-
tötet. Die Grofsen des Landes, ja die Mitglieder der königlichen Familie
selbst, sahen die Rettung in der Annahme des Islams. Grofse Massen
der bosnischen Bevölkerung wanderten aus. Um nicht das ganze Land
von Einwohnern zu entblöfsen, gewährte ihnen Mohammed freie Aus-
übung ihrer Religion; nur von den Amtern des Staates und vom Kriegs-
dienst blieben sie ausgeschlossen. In der Herzegowina konnten sich
sogar einige christliche Oberhäupter unter Duldung des Grofsherrn be-
haupten. In Serbien kam dagegen das türkische Eroberungsrecht mit
aller Strenge zur Durchführung. Hier konnte sich keine Art von Selb-
ständigkeit erhalten. Das Land ward an Spahis ausgeteilt, denen die
Einwohner zu persönlichen und sachlichen Diensten verpflichtet waren;
die Serben durften keine Waffen tragen, keine Pferde besitzen, alle fünf
Jahre wurde der Knabenzins eingefordert, der die Blüte und Hoffnung der
Nation dem Grofsherrn zur Verfügung stellte und ihre Kräfte gegen
sie selbst kehrte.1) Inzwischen kam auch die Walachei , wo seit 1456
Wlad Drakul — wegen seiner Grausamkeit von den Türken »Pfahl-
woiwode« genannt — regierte, unter türkische Herrschaft. Die Eroberung
Bosniens durch die Türken hatte die Selbständigkeit Ungarns in hohem
Grade gefährdet. Daher schlofs Matthias Corvinus mit Friedrich III.,
gegen den er eben noch im Felde gelegen, Frieden (1463), rückte an
der Spitze eines starken Heeres in Bosnien ein und eroberte einen grofsen
Teil des Landes. Der Krieg dauerte auch noch im folgenden Jahre
weiter, ohne dafs es zu einem entscheidenden Ergebnisse kam, denn
sowohl Matthias (s. unten) als Mohammed IL waren nach andern Seiten
hin in Anspruch genommen.
5. Nachdem die kleineren fränkischen und griechisch-fränkischen
Lehensstaaten in den Besitz der Pforte gekommen und diese die un-
mittelbare Nachbarin Venedigs geworden war, war ein Krieg zwischen
beiden Mächten nur eine Frage der Zeit. Er brach aus geringfügigem
Anlafs schon 1462 aus. Venedig suchte sich durch Bündnisse mit
Ungarn und Albanien zu stärken, und Pius IL hatte den Ehrgeiz, einen
allgemeinen Kreuzzug zustande zu bringen. War bei der Eifersucht der
Genuesen und Florentiner auf die Macht Venedigs ein geeinigtes Vor-
gehen nicht zu gewärtigen, so hegte man um so gröfsere Hoffnungen
von Skanderbeg, der nun den mit den Türken geschlossenen Waffen-
stillstand brach. Der Papst forderte nicht nur Fürsten und Völker zum
Kreuzzuge auf (1463, 22. Oktober), sondern nahm selbst das Kreuz,
bereit, »mit seinen grauen Haaren und zitternden Gliedern; gegen den
Erbfeind zu ziehen. Als er aber am 18. Juli 1464 in Ancona erschien,
*) Rankes Werke XXIII, 21.
608 Eroberung Albaniens. Matthias Corvinus und Fürst Stephan der Grofse.
von wo aus die Abfahrt erfolgen sollte, und dort weder Schiffe noch
Mannschaften fand, schwanden seine Hoffnungen, und dies gab seinen
Kräften den Rest. Er starb am 13. August 1464. Die Venezianer hatten
mittlerweile den Kampf in Morea erfolgreich geführt (1463), sahen sich
aber bei der Teilnahmslosigkeit des Abendlandes auf die Defensive ange-
wiesen. Nur Paul II., selbst ein Venezianer, Neapel und Albanien hielten
zu ihnen, und von Karamanien, wo sich Mohammed II. in einen Thron-
streit mischte, war Hilfe zu gewärtigen. Der Sultan zog an der Spitze
eines mächtigen Heeres vor das von Albanesen und Venezianern ver-
teidigte Kroja (1466), erlitt aber bei einem Sturme auf die Stadt so starke
Verluste, dafs er die weitere Führung des Krieges seinem tüchtigsten
General, dem Renegaten Balaban, überliefs. Dieser fand bei einem Aus-
fall der Krojaner seinen Tod. Im folgenden Jahre führte Mohammed
den Krieg gegen Karamanien zu Ende. Aber auch die Kraft der Alba-
nesen versagte allmählich. Skanderbeg war wiederholt, zuletzt noch 1466,
nach Italien gegangen, um ausgiebigere Hilfe zu erlangen. Als er zurück-
kehrte, wurde er von einem hitzigen Fieber ergriffen, dem er am 17. Januar
1467 erlag. Skanderbegs Sohn, Johann Kastriota, hielt sich mühevoll
noch elf Jahre. Erst 1478 fielen Alessio und Kroja, 1479 Skutari, wor-
auf ganz Albanien eine Beute der Türken wurde. Die Hauptlast des
Krieges hatte nun Venedig zu tragen. Im Jahre 1470 eroberten die
Türken Euböa, in den folgenden Jahren kämpften sie gegen Karamanien,
das nun für immer unterjocht wurde. Damit war das Geschick Klein-
asiens für die Zukunft entschieden. Mit um so gröfserer Wucht drückte
Mohammed IL nun auf seine Gegner in Europa. Leider verstanden
es die Venezianer nicht, ihre Interessen mit denen Ungarns in Einklang
zu bringen.
6. Matthias Corvinus sah sich durch seine Kämpfe gegen die
Moldau, Böhmen and Polen gehindert, gegen die Türken zu ziehen,
trotzdem diese seit 1467 Jahr für Jahr ihre Plünderungszüge auch in
die benachbarten ungarischen Gebiete unternahmen. Aber mehr als die
Türken scheute Matthias die Venezianer; noch 1469 erklärte er, nur
gegen die Abtretung Dalmatlens die Waffen gegen die Türken zu er-
greifen. Als er freilich seinen Waffenstillstand mit Böhmen und Polen
geschlossen (s. unten), traf er (1474) seine Vorbereitungen zum Kriege
gegen die Türken, dessen Aussichten jetzt viel günstiger waren. Der
Woiwode der Moldau, Stephan der Grofse (1457 — 1504), der seine Un-
abhängigkeit bisher wacker verteidigt hatte, brachte ihnen in den ersten
Januartagen 1475 bei Racova eine schwere Niederlage bei; allerdings
mufste er, um sich gegen die Türken zu behaupten, dem ungarischen
König die Huldigung leisten. Mohanimed IL selbst rückte das Jahr
darauf in die Moldau ein. Stephans Lage wurde schwierig; der
15 fachen Übermacht der Türken nicht gewachsen, zog er sich in die
Waldungen von Njamtz zurück. Auch Mohammed IL war infolge von
Krankheiten und Mangel an Lebensmitteln zu einem verlustvollen Rück-
zug gezwungen. Die ungarisch-siebenbürgischen Truppen rückten nun
in die Walachei vor und schlugen das türkisch-walachische Heer. Trotz
Eroberung von Kaffa. ArigHfE auf Italien. Der Tod Mohammeds II. 609
solcher Erfolge hielt Matthias sich vom ferneren Kampfe zurück und
sah, von den österreichischen und böhmischen Verhältnissen in An-
spruch genommen, den osmanischen Einfällen in Ungarns Nachbar-
länder zu. Schon war Venedig aufs äufserte bedroht. Vom 17 jährigen
Kampfe erschöpft, von den Westmächten im Stiche gelassen, schlofs es
am 26. Januar 1479 zu Konstantinopel Frieden. Kroja und Skutari,
Lemnos, Euböa und das Bergland von Maina mufsten geopfert werden,
aber es rettete seinen levantinischen Handel, indem es gegen eine
Jahreszahlung von 10000 Dukaten die zollfreie Ein- und Ausfuhr
seiner Waren zugesichert erhielt. Die Venezianer waren die einzigen,
die in Konstantin opel die Zivilgerichtsbarkeit über alle, ihre Untertanen
ausüben durften. In gewissem Sinne treten sie auch das Erbe Genuas
im Schwarzen Meere an. Ein Streit der Genuesen in Kaffa gegen einen
angesehenen Tataren bot den Türken Anlafs, Kaffa zu erobern und die
Südküste der Krim zu besetzen. Genua verlor damit die Reste seines
Besitzes in der Levante. Venedig hielt nun Frieden mit den Türken,
ja es sah ruhig zu, wie sich diese der Besitzungen Leonardos von Tocco :
Santa Maura, Kephallenia und Zante, bemächtigten (1479), dann Italien
angriffen und sich anschickten, die Johanniter aus Rhodus zu vertreiben.
Im Frühlinge 1480 landete ein türkisches Heer in Apulien und er-
oberte Otranto, das bestimmt war, den weiteren Unternehmungen der
Türken zum Stützpunkt zu dienen. Gleichzeitig lief eine Flotte gegen
Rhodus aus, allerdings scheiterten die Versuche der Türken, die Festung
zu erobern, an der heldenmütigen Tapferkeit der Ritter. Mohammed IL
starb, mitten in seinen grofsen Unternehmungen, erst 52 Jahre alt, am
3. Mai 1481, wTorauf die Türken Otranto wieder räumten. Die türkische
Macht hatte unter Mohammed IL, dem ersten der osmanischen Herrscher,
der den Titel Sultan führte *), eine Machtstellung erreicht, die der ganzen
abendländischen Kultur in hohem Grade gefährlich wurde. Wenn er
auch als Gesetzgeber Bedeutendes leistete, als Freund der Wissenschaften
und Künste gepriesen wird : dem Abendland galt er als blutdürstiger
Eroberer, der nach den allerdings übertriebenen Worten eines abend-
ländischen Schriftstellers sich rühmte, zwei Kaiserreiche, 14 Königreiche
und 200 Städte zerstört zu haben. Mit seinem Tode trat an der Schwelle
der Neuzeit ein Wechsel in der 'äufseren Politik der Türken ein. An
die Stelle eines Eroberers trat ein friedliebender Sultan, Bajesid IL
(1481—1512), der dem Abendland Zeit liefs, sich zu neuem Kampfe zu
sammeln.
§ 139. Die Organisation des osmanischen Reiches.
Die grofsen Erfolge der Osmanen beruhen auf der eigentümlichen
Organisation, die sie ihrem Reiche gegeben haben. Ihr Staat war ein
Militär staat, wie ja der Türke noch heute fast ausschliefslich nur für
politische und militärische Dinge Sinn und Neigung bekundet. Wie das
*) Seit 1473, seit der Niederwerfung Karamaniens. Bis dahin führten sie den
Titel Emire.
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. oJ
610 Organisation des türkischen Militärstaates. Die Satzungen Alaeddins.
türkische Volk eine starke kriegerische Veranlagung besitzt, waren auch
seine Herrscher bis auf den letzten — Bajesid IL, und selbst dieser
kann nicht als unkriegerischer Fürst bezeichnet werden — tatkräftig
und kriegerisch gesinnt. Die meisten waren hochbegabte Männer, ein-
zelne, wie Murad IL, ideal veranlagt oder, wie Bajesid IL, mild gesinnt,
andere blutdürstig, wie Bajesid I. und Mohammed IL, alle aber von
dem gröfsten Eifer für den Islam erfüllt. Die Grundzüge der staatlichen
Ordnung bei den Osmanen wurden noch von Alaeddin, dem Bruder
Urehans — um 1330 — geschaffen. Man sagt, dafs er sich in die Ein-
samkeit zurückzog, um über zweckmäfsige Einrichtungen für das junge
Staatswesen nachzudenken. Seine Anordnungen — sie werden mit dem
griechischen Namen Kanun bezeichnet — fafsten zunächst nur die Auf-
richtung einer eigenen Münze, um die souveräne Stellung der Fürsten
nach aufsenhin anzuzeigen, die Einführung einer eigenen Kleiderordnung
zum Zwecke der äufserlichen Scheidung der Stände und der einheitlichen
Bekleidung des Heeres, vor allem aber die militärische Organisation
ins Auge. Weder die bisherige Reiterei, die höchstens zu Plünderungs-
zügen, nicht aber für den Belagerungskrieg tauglich war, noch das un-
geordnete Fufsvolk, von denen jene durch ihre Lehenspflicht, beide
durch die Lust an Kriegsbeute zusammengehalten wurden, erwiesen
sich für den Kriegsdienst geeignet. Ein Versuch, aus jungen Leuten
türkischer Herkunft ein auserlesenes Korps von gleichmäfsig bewaffneten,
gut besoldeten und nach griechischem Muster geordneten Fufstruppen
zu bilden, mifslang. Schliefslich fand man, dafs die Osmanen als Fufs-
truppe überhaupt schlecht zu gebrauchen seien, und ging daher zu
einem neuen System über, das dem Machthaber eine ausgezeichnete
stets schlagfertige Reitertruppe und ein tüchtiges Fufsvolk zur Verfügung
stellte. Ein jedes neueroberte Land wurde sofort »nach Fahnen und
Säbeln« in eine Menge von Lehen ausgeteilt; die gröfseren sind die
Siamet, die kleineren Timar, diese mit einem Jahresertrag von höchstens
20000 Aspern (ungefähr 1000 Mark); es wurde auf solche Weise eine
kriegerische Aristokratie geschaffen, denn die Lehensträger waren ver-
pflichtet, von dem Einkommen von je 3000 Aspern einen Reiter und
von je 5000 mehr einen zweiten stets schlagfertig zu halten. Ein gröfseres
Lehen konnte 15, ein kleineres zwei Reiter stellen. In der Blütezeit der
osmanischen Monarchie konnte man aus Europa 80000, aus Xatolien
50000 Reiter — Sipahi, Spahi — aufbringen; es bedurfte dann nur
eines Befehls an die beiden Beglerbegs des Reiches, die an der Spitze
aller Provinzen in Europa und Asien standen, und die ihn an die Sand-
schakbegs, die Vorsteher einzelner Provinzen, und durch diese an die
Obersten der Scharen — Alaibegs — bis herab zu jedem Inhaber eines
Siamet oder Timar weitergaben, um binnen kürzester Zeit die gesamte
Reitermacht schlagfertig vorzufinden. Ein Erbadel konnte sich aus
diesem System nicht entwickeln, da die Inhaber ihre Lehen nur für
ihre eigene Person erhielten. Die minderjährigen Söhne, selbst eines
Sandschakbegs mit einem Einkommen von 700 OuO Aspern, erhielten
nichts als ein Timar von 5000 Aspern, auf dem die Verpflichtung lastete,
Der Knabensold. Janitscharen und Spahis. Die Thronfolge. 611
einen Reiter zu erhalten. Nur wenn der Spahi im Felde gefallen, erhielt
der Sohn ein gröfseres Timar, aber noch immer kein Siamet. Ein Timar
konnte nur erhalten, wer Sohn eines Timarli war; jeder mufste von
unten beginnen und konnte sich nur durch kriegerische Tugenden empor-
arbeiten.1) Daneben gab es ein noch eigentümlicheres Institut: die
Erziehung geraubter Knaben zu Kriegsleuten oder Staatsmännern im
Dienste des Reiches. Von fünf zu fünf Jahren wurden aus den Knaben
der Christen die schönsten und kräftigsten ausgehoben und vom siebenten
Lebensjahr an für ihre spätere Bestimmung erzogen. Daneben wurde
den besiegten Völkern der »Knabensold« auferlegt; die eingelieferten
Knaben wurden entweder nach Natolien gesandt, wo sie bei Bauern
Dienste leisteten und im Islam erzogen wurden, oder im Serai behalten,
wo sie Sklavendienste verrichteten. Die begabtesten kamen in die Serais,
von denen sich zwei in Konstantinopel und je eines in Adrianopel und
Galata befanden. Hier wurden sie im Lesen und Schreiben unterwiesen.
Aus jenen, die zu den härteren Arbeiten verwendet wurden, wurde das
Fufsvolk, die Jeni-Tscheri, d. h. die neue Truppe, gebildet, aus denen,
die im Serai erzogen wurden, entweder Spahis gemacht, die aber nicht
belehnt sondern besoldet wurden, oder Beamte, die von den untersten
bis zu den obersten Würden im Staate emporstiegen. Sie bildeten mit
den eigentlichen Türken die herrschende Klasse im Staate. Dem osmani-
schen Volke wurden sonach stets neue Kräfte zugeführt. Bei der Er-
ziehung wurde auf die vollständigste Unterwürfigkeit gesehen : Der Janit-
schar mufs lernen, seinen eigenen AVillen ganz aufzugeben. Besafsen
die Osmanen sonach ein ausgezeichnetes Reiterheer und eine in jener
Zeit unübertroffene Infanterie, so richteten sie schon früh auch eine
tüchtige Pioniertruppe ein und schufen ebenso eine treffliche Artillerie.
Die Ordnung des gesamten Staates war eine streng militärische. An
der Spitze steht mit absoluter Machtfülle der Sultan ; ihm standen die
»Säulen des Reiches« zur Seite: der Grofswesir als des Sultans Stell-
vertreter in weltlichen Dingen und Vorsteher aller Zweige der Staats-
verwaltung, dann der Kadiasker, der Heeresrichter (seit Mohammed IL
zwei), die Defterdars, die obersten Rechnungsbeamten (erst zwei, seit
Mohammed IL vier), endlich die Nischandschis, die Vorstände des Staats-
sekretariats. Die Thronfolge war ursprünglich nach dem Seniorat ge-
regelt, bis sich allmählich die Tendenz zur Primogenitur Bahn brach :
ps geschah dies anfangs durch freiwilligen Verzicht der Brüder des Sul-
tans zugunsten seines ältesten Sohnes. Bajesid I. war der erste, der
seinen Bruder erdrosseln liefs, um seinen Söhnen die Nachfolge zu
sichern. Fortan wurden bei einem Thronwechsel die Verwandten des
Sultans mit Ausnahme seiner eigenen Söhne getötet. Dies System dauerte
fort, bis im 19. Jahrhundert das rechtlich niemals aufgehobene Seniorat
wieder in Kraft trat. Die Christen, soweit sie nicht für den Militär-
dienst ausgehoben wurden, bildeten die Rajah, die dienenden Glieder des
osmanischen Staatskörpers, die aufser dem Knabenzins alle andern
*) Kanke, Osmanen, SW. XXXV, 5.
39
612 Die Eajah.
Lasten, die Kopfsteuer, den Zehent usw. zu tragen hatten, hiebei aber
stets den Bedrückungen der Machthaber ausgesetzt waren. Ihre einzigen
Vorteile bestanden darin, dai's sie weder auf kirchlichem noch sprach-
lichem Gebiet Bedrückungen ausgesetzt waren. Bedeutende Volksteile
der Christen traten übrigens zum Islam über, so die Albanesen und der
bosnische Adel. Verhältnismäfsig selbständig behauptete sich nur das
Gebiet von Tschernagora, wo Johannes (1465 — 1490), ein Schwestersohn
Skanderbegs, dessen Erinnerungen lebendig erhielt,
IL Teil.
Das Zeitalter des Humanismus und der Ausbildung
moderner Staaten.
1 . Abschnitt.
Der Humanismus.
1. Kapitel.
Die Wiedererweckung des klassischen Altertums.
§ 140. Das Fortleben des antiken Geistes im Mittelalter.
Der erste Humanist.
Quellen. Allgemeines. Ein Verzeichnis des einschlägigen QuellenmateriaLs
und der wichtigeren Hilfsschriften findet sich in G. Voigt, Die Wiederbelebung des
klassischen Altertums oder das erste Jahrhundert des Humanismus. H. Bd. S. 511 — 525,
L. Geiger, Renaissance und Humanismus in Italien und Deutschland. S. 564 — 580,
Geiger, Neuere Schriften zur Geschichte des Humanismus. HZ. XXXIH, 49 — 125,
in den Exkursen zu Jakob Burckhardt, Kultur der Renaissance, 1. u. 2. Bd., teil-
weise auch in den Anmerkungen zu Brandi, Die Renaissance in Florenz u. Rom,
s. die Hilfsschriften, sowie die Lit. -Notiz in Reumont, Lorenzo di Medici H, 593.
Spezialschriften zu einzelnen Humanisten: Über die Quellen zur Gesch.
Petrarcas handelt Körting, Petrarcas Leben u. Werke, S. 1 — 40, Geiger, R u. H.,
S. 566. Voigt, Wiederbelebung I, 20. Potth. II, 909. Am wichtigsten sind Petrarcas
eigene Briefe (über 600). Notizen zu seiner Gesch. finden sich auch in andern seiner
Werke. An einer kritischen Gesamtausg. fehlt es. Die erste Ausgabe der Opera er-
schien 1494. Am häufigsten werden die Baseler Ausg. v. 1554 od. 1581 zitiert (s. darüber
A. H o r t i s , Scritti inediti di F. P. Triest 1874). Die Briefe zuletzt von F r a c a s s e 1 1 i
übersetzt u. herausg. (s. HZ. XXXHI, 50). Wichtig ist die Epistola ad posteros.
Die (67) poet. Episteln in den Poemata minora Fr. P., quae extant omnia, ed. Rossetti.
Mail. 1819 — 24. Sonst ist einzelnes anläfslich der Fünfhundertjahrfeier seines Todes
publiziert worden : De viris illustribus, ed. Razzolini, Africa, ed. Corradini ; die Rime
sind schon 1470 zu Venedig publiziert worden. (Neuere Veröffentl. s. in L. Geiger,
Ital. Schriften zur Petrarcafeier. Augsb. AZ. 1875, Nr. 38, 57, 58.) Neue Ausgabe von
Carducci, Rime di F. P. sopra argomenti storici, morali e diversi. Livorno 1876.
Deutsche Übersetzungen s. bei Geiger, S. 566; eine Würdigung einzelner Schriften bei
E. Feuerlein, Petrarca und Boccaccio. HZ. XXXVHI. Die älteste Biographie Ps.
stammt aus dem 14. Jahrh. Gedr. bei Tommasini, Petrarca redivivus. Spätere Bio-
graphien s. unten. Zu Boccaccio: Bibliogr. s. bei Schuck, Bs. lat. Schriften hist.
Inhalts NJ. f. Philol. u. Päd. 1874. Hortis, Studj sulle opere lat. di B. Triest 1879.
614 Der Humanismus in Florenz, Rom, Siena, Venedig, Padua
Zambrini, Bibliografia Boccacesca. Bologna 1876. Ausgaben: Die Opera volgari
von Moutier. 17 Bde. Florenz 1827 — 3-4. Le lettere edite et inedite n. Corazzini.
Florenz 1877 s. Voigt II, 514).
Der Humanismus in Italien. Florenz. Zu Coluccio : Linus Colucius Pierius,
Epp. ed. Rigaccio I, H. Flor. 1741 — 42. Epistolario di Coluccio, Salutati a cura di,
F. Xovati. Roma 1891. Sonstige Ausg. Voigt H, 522. Xovati, La giovinezza di
Coluccio Salutati. Tor. 1888.) Traversari, Epp. Ambrogii Traversarii ed. Canneto-Mehus,
Flor. 1759. Beati Ambrosii Hodoeporicon. Flor. 1680 Marsili, Comento a una canzone
di F. Petrarca. Bologna 1863. Giovanni da Prato, II Paradiso degli Alberti, a cura di
A. Wesselofsky I — III. Bologna 1867. Franco Sacehetti, Werke, Ausg. v. Gigli. 3 Bde.
Florenz 1857 — 61. Die Geschichtschreiber: Chroniche di Giovanni, Matteo e Filippo
Villani. Trieste 1857 — 58. (And. Ausg. bei Potthast.) Brunus, Lionardus Aretinus, Rerum
in Italia suo tempore gestarum commentarius seu Libellus de temporibus suis 1378 — 1440.
Muratori XIX, 913 — 942. Historia Fiorentina seu Historia del popolo Fiorentino.
Argentor. 1610. Epistolarum libri VHI, ed. Mehus. Flor. 1741. (Anderes bei Voigt II, 514.
Poggius, Fr. Bracciolini, Historia Florentina ab origine urbis usque ad 1455, libri VIII.
Alurat. XX. Epistolae, ed. Thomas de Tonellis, vol. 1—3. Flor. 1832—1861 (s. Voigt H, 521 .
Gino Capponi, Monumenta hist. de rebus Florentinorum ab anno 1378 — 1419. Murat. XVIII.
Neri Capponi, Commentarj di cose . . . dal 1419—1456. Murat. XVIII. G. Cavalcanti,
Istorie Fiorentine 1420 — 1452, ed. Polidori, vol. 1 — 2. Fir. 1839. — Della carcere di Cosmo
de Medici. Flor. 1821. Bernardus Gricellarius Rucellai), De bello Italico Caroli VHI.
Comm ed. Lond. 1733. Macchiavelli, Istorie Fiorentine, libri VIH, 1215 — 1492. Die versch.
Ausgaben bei Potthast, I. 754 — 755. II principe. Ausg. ebenda. Politianus, Opera. Basel 1553.
Pactianae coniurationis comment, Bas. 1553. (And. Schriften bei Geiger, S. 570, Lit. bei
Potth. 934.) Zu Cosimo v. Medici: G. M. Philelphus die Ausgabe der Briefe u. Reden
s. bei Voigt II, 520'' : Cosmiades s. de laudibus Cosmi Med. libri duo. Francesco Filelfo :
Commentationum Florentinarum libri tres ad Vitalianum Borrhomaeum. A. Corsini, de
vita C. M. patris patriae. N. Valori, Vita di Lorenzo. Flor. 1568. Vespasiano da Bisticci :
Vite di uomini illustri del secolo XV stamp. da Angelo Mai e nuovamente da Adolfo Bartoli.
Firenze 1859. — Commentario della vita di Messer Gianozzo Manetti. Torino 1862.
Xaldi, Vita G. M. bei Muratori XX. Bessarionis Opera, Migne Ser. Gr. 161. Marsilii
Ficini, Opp. Basel 1561. Lorenzode' Medici, Opp. 4 Bde. Flor. 1825. Poesie ed. Carducci.
Flor. 1859. Joh. Pici Mirandulensis, Opp. Ven. 1498, Basel 1572. Ergänzungen zu den
Flor. Hist. s. Potthast H, 1711.
Rom: Vespasianus, Vitae Eugenii IV et Xicolai V. Murat. XXV, 253—290.
Manetti, Vita Xicolai V, libri IV. Murat. IH, 2, 907—960. Piatina, Vita Calixti HI.
Mur. III, 2, 961—966. Campanus, Vita Pii pontificis. Mur. III, 2, 967—992. Vita Pauli H,
auctore Gaspare Veronensi, Mur. HI, 2, 1025 — 1050, auctore Michaele Cannesio de
Viterbio, ib. 933—1022. Vita Sixti IV, auct. anon. ib. 1053—1068. Diarium Rom. urbis
ab. anno 1481 — 1492, auct. anonym. Mur. IH, 2, 1071 — 1108. Enea Silvio, Opp., s. oben.
Zur röm. Historiogr. s. Piatina, Opp. Köln 1529 (Ranke, S. 97). Campanus, Opp. Ven. 1502.
Jacobus Volaterranus, Diarium Rom. de Xisti IV pontificatu 1472 — 1484. Murat. XXIH.
Stephanus Infessura, Diarium urbis Romae ab anno 1294—1494, ed. Mur. HI, 2, 1109
bis 1252. Burchardi, Diarium curiae Rom. s. commentarius rerum urbanarum 1483 — 92,
sub Innocentio VIH. et ab a. 1492 — 1506, sub Alexandro VI, ed. Eccard, Corp. hist. II,
p. 2017. (S. Piper, Die Originale d. D. Burchardi. RQSchChAlt, IV). Paris de Crassis,
Diarium Alex. VI. Mabillon, Mus. It. H. Petri de Godis Vicentini, Dialogon de con-
juratione Porcaria, ed. Perlbach 1879. Alberti, Opere volgari, ed. Bonucci. 5 Bde.
Flor. 1844. Lebensbeschr. Murat. XXV, 295. Laurentii Vallae, Opp., ed. Basel 1540.
Opuscula tria, ed. Vahlen, S. Wien. Ak. 61, 62. Vegius Mapheus, Opusc. sacra. Max.
Bibl. patr. XV. Blondus Flavius, Opp. Basel 1559. Andere Ausgaben s. bei Potthast.
Hieronymi Aliotti Aretinus, Epp et opuscula, ed. Scarmclli, Arezzo 1779. Die übrige
Historiogr. s. Potth. H, 1714.
Für Siena: Enea Silvio, wie oben. Venedig und Padua: Malipiero, Annali
Veneti 1457—1500. Arch. Stör. It. VII. — Chron. Venet. == Sanutus). Mur. XXIV.
Bembus, Hist Venet. 1486-1513. Ven. 1551. Vita Caroli Zeni 1334-1418, auct. Jac.
Zeno, ib. XIX (Voigt I, 416). Justinianus, Orationes et epistolae. Ven. 1492. Francesco
und den übrigen Staaten Italiens, Frankreichs und Deutschlands. (>15
Barbaro, Epistolae, Brixiae 1743. — Centotrenta lettere, ed. Sabbadini. Sal. 1884. De
re uxoria libelli duo. Paris 1513. Vergerius, Ilist. Carrar. prineipum. Mur. XVI. Brief
d. Verg. in MM. stör. publ. dalla R. Dep. Ven. di storia patria. Ven. 1887. Genua:
Stella, Georgiüs et Johannes, Annal. Genuenses. Mur. XVII. Bracelli, De hello His-
pano 1422 — 44. Ausg. bei Potthast I, 168. De claris Genuensibus ap. Sehott. Ital.
illustr. 641 — 648. Liguriae descriptio, ib. 637. (Vollst. Verz. der Hist. Venedigs, Paduas
und Genuas bei Potth. II, 1711—1715.)
Die übrigen Staaten Italiens: Antonii Panormitae, De dictis et factis
Alfonsi regis Aragonum libr. IV, ed. Chytraeus. Witeberg. 1585. Die andern Schriften
Beccadellis s. b. Voigt II, 513. Trist. Caraeciolo, De Fernando . . . eiusque posteris
Mur. XXII. Congiura de' baroni del regno di Napoli contra il re Ferdinando I.
Neap. 1859. Regis Ferdinandi primi instruetionum liber 1486 — 1487. Neapel 1861.
Pontanus, Opera. Bas. 1538. — Corio, Historia di Milano 558 — 1500, ed. E. de Magri.
Mil. 1855 — 1858. Decembrio, Vita Philippi Mariae Vicecomitis. Murat. XX, 985
bis 1020. — Vita Francisci Sfortiae, ib 1023—1046. Simonetta, Rerum gestarum
Francisci Sfortiae Med. ducis libri 31. Murat. XXI, 167—782. Leodrisius Cribellus,
De vita rebusque gestis Sfortiae ducis et initiis filii eius Francisci Sf., Murat. XIX,
627 — 732. Filelfo, s. oben. Ant. de Luschis, Carrnina quae supersunt. Patav. 1858.
Barzizius, Gasparinus et Guinifortus filius, Opp., Rom. 1723. Auszüge aus Ant. Ran-
densis, De Lactantii erratis. Dialogi tres bei Beck, Dissert. inauguralis de Orosii
fontibus etc. Marburg 1832.
Bembus, Liber de Guid. Ubaldo Feretio deque Elisabetha Gonzaga Urbini dueibus.
Ven. 1530 (s. auch Bernbi Opp. Basel 1556\ Annales Estenses. Mur. XX. Diarium
Ferrariense ab a. 1409 — 1502. Mur. XXIV, 173 - 408. Epistolae prineipum et illustrium
virorum, ed. Donzelino. Ven. 1574.
Die Staaten jenseits der Alpen. Die Quellen zur politischen Geschichte
von Deutschland, England, Frankreich, Portugal u. Spanien s. §§ 147 — 160.
Zum Humanismus in Frankreich. Die Schriften Aillis, Gersons und
Clemangis' s. oben. Johannis de Monsterolio, Epistolae selectae ap. Martene et
Durand, Vet. Script, et Mon. ampl. collectio. Paris 1724. (Acht neue Briefe in
A. Thomas, De Joannis de Monsterolio vita et operibus. Paris 1883.) Für England
(s. Voigt II, 248 — 261): Richardus de Bury, Philobiblion in De bibliothecis nova aeeepio.
Helmstadt 1703 und Thomas, London 1888. (Über Chaucers Beziehungen zum ital.
Humanismus s. W. Hertzberg, Chaucers Canterbury Gesch S. 42 — 45 und Kifsner,
Chaucer in s. Beziehungen zur ital. Literatur. Marburg 1867.) Für Poggios Aufenthalt
in England s. s. Briefe. — Der deutsche Humanismus kommt vorwiegend erst mit
dem Beginn der Neuzeit zur Geltung und wird daher in anderem Zusammenhang
eingehender zu behandeln sein. Die Beziehungen Karls zu Petrarca s. in d. Summa
cancellariae (Cancellaria Caroli IV), ed. Tadra. Prag 1895. Johannis Noviforensis,
Cancellaria, ed. Tadra. Arch. f. ö. G. 63. Die übrigen Formulare dieser Zeit s. bei
Dahlmann-Waitz-Steindorff Nr. 2926 ff. P. P. Vergerio, s. oben Cyriacus Anconitanus,
Itinerarium, ed. Mehus. Flor. 1742. (Ciriaco v. A. war der Führer Sigmunds in Rom.)
Aeneas Sylvius, s oben. Gregor Heimburgs Schriften: Scripta nervosa iustitiaeque
plena (ed. Goldast). Frankfurt 1608. Urkunden zur Gesch. G. Hs., Reden und Briefe
Hs. bei Joachimsohn, Gregor Heimburg. Bamberg 1891. Über die Schriften Georg
Peuerbachs s. Aschbach, Gesch. der Wiener Univ. S. 486 ff., über die von Johannes
Müller aus Königsberg in Franken ebenda S. 537 ff. Johannis Rabensteinensis, Dialogus,
ed. Bachmann. AÖG. 54 (dazu Bachmann, Bemerkungen zu Johanns v. Rabenstein
Dialogus. Prog. d. RGymn. Prag 1877). Briefe des Ariginus in Wattenbach, Peter Luder
S. 58 ff. Matthias v. Kemnat, Chronik, herausg. v. C. Hoff mann. Quellen und Er-
örterungen zur bayrischen u. deutschen Gesch. II, III. Briefe Peter Luders bei
Wattenbach, Peter Luder, der erste hum. Lehrer in Heidelberg, Erfurt, Leipzig und
Basel. Z. f. Gesch. d. Oberrh XXII. Schriften Samuel Karochs von Lichtenberg bei
Wattenbach. Ebenda XXVIII. Sigmunds Gossenbrot, ebenda XXV. Briefe des
Laurentius Blumenau bei G. Voigt in den Preufs. Provinzialbl. 3. F. Bd. IV, 242 und
SS. rer. Prussic. IV. Hartmann Schedel, Chronicon mundi bis 1492. Nürnb. 1492.
616 Der Humanismus in Deutschland, Ungarn, Polen und Böhmen
Hist. rer. memorab. 1439 — 1460 in Oefele SS. rer. Boic. I, 392. Historia de illustribus
principibus Bavariae bis 1477, ed. Freher 1602. Andere Schriften bei Potthast Watten -
bach, H. Seh. als Humanist. Forsch, z. d. G. XI, S. 351). Felix Heinmerlin, Opuscula,
ed. Seb. Brant 1496. Xikolaus von Cues, De concord. cath. libri tres. Bas. 1566.
Andere Werke s. bei Scharff unten. Rudolfus Agricola, Opera. Köln 1539. Die
weitere Lit gehört schon dem Zeitalter K. Maximilians an. — Briefe des Johannes
Yitez bei Schwandtner, SS. rer. Hung. II und Pray, Ann. reg. Hung, Joannis Yitez
de Zredna episcopi Yaradiensis in Hungaria Orationes in causa expeditionis contra
Turcas habitae, item Aeneae Sylvii Epistolae ad eundem exaratae 1453 — 1457, ed.
Fraknöi. Budap. 1878. Janus Pannonius, Poemata p. I. Opusculorum P. H. Trajecti
ad Rhenum 1784. Analecta ad historiam renascentium in Hungaria literarum speetantia,
ed. E. Abel. Budap. 1880. Cod. epistol. saec. XY, ed. Sokolowski et Szujski MM.
medii aevi historica res gestas Poloniae illustrantia. t. II). Crac. 1876. Dlugosz,
Hist. Polon w. oben.
Hilf s schrift e n. 'Allgemeines. Xoch ist das Buch von Jakob Burck-
hard, Die Kultur der Renaissance in Italien, 2 Bde. 5 Aufl., bes. v. L. Geiger,
Leipzig 1896, unübertroffen. Es greift über die hier zur Behandlung kommenden
Partien weit hinaus. (Italienische Übersetzung von Yalbusa mit Zusätzen von Zippel.
Florenz 1899." Nicht weniger erfolgreich war das Buch von Georg Yoigt, Die
Wiederbelebung des klassischen Altertums oder das erste Jahrhundert des Humanismus
in Italien u. Deutschland. 2 Bde. 3. A. Berlin 1893. Ältere Werke: Erhard,
Geschichte des Wiederaufblühens wissenschaftlicher Bildung vornehmlich in Deutsch-
land bis zur Reformation. Bd. 1 — 3. Magdeb. 1827 — 1832. Meiners, Lebens-
beschreibungen berühmter Männer aus den Zeiten der Wiederherstellung der Wissen-
schaften 1—3. Zürich 1795—1797. 8. auch Yoigt II, S. 511 — 525. Eine gute Dar-
stellung des ital. und deutschen Humanismus s. in L. Geiger, Renaissance und
Humanismus in Italien u. Deutschland. Berlin 1882 , dort S. 564 ff. ein Abrifs über
die Literatur. K. Brandi, Die Renaissance in Florenz und Rom. Leipzig 1900.
2 A. 1903. Symonds, Renaissance in Italy. 5 Bde. London 1875 — 1881. Courajod,
Los veritables origines de la Renaissance. Paris 1888. E. Gebhart, Les origines
de la Renaissance en Italic Paris 1879. E. Müntz, Les precurseurs de la Renaissance,
Paris 1882. Burckhardt, Der Cicerone, 6. Aufl. v. W. Bode. Leipz. 1893. P.Yillari,
Xiccolö Macchiavelli e i suoi tempi. 2. Aufl. Milano 1895. Übersetzt von Mangoldv
Hettner, Ital. Studien, Zur Gesch. der Renaissance. Braunschw. 1869. Janitschek,
Die Gesellschaft der Renaissance und die Kunst. Yier Yorträge. Stuttg. 1879.
G. Invernizzi, Storia letteraria d'Italia. II risorgimento P. I. II secolo XV.
Mailand 1878. Tiraboschi, Storia della letteratura it Y, YI. Milano 1823. Settern-
brini, Lezioni di letteratura it. 2. ed. 3 Bde. Xeap. 1869. Gaspary, Gesch. d. ital.
Lit. I, H. Berl. 1885—1888. Cloetta, Beit. z. Lit.-Gesch. d. MA. u. d. Renaissance I, IL
Halle 1890—92. Schuck, Zur Charakteristik der ital. Humanisten des 14. u. 15. Jahrh.
Bresl. 1857. Zur Einführung: Xovati, L'influsso del pensiero Latino sopra la civilta
italiana del medio evo. 2. ed. Mil. 1899 geht nur bis ins 13. Jahrh. Die Zeit
Friedrichs H. ist ihm das Zeitalter der ersten Renaissance). Fritz Schultze, Gesch.
der Philosophie d. Renaissance. Kornelius Gurlitt, Gesch. der Kunst. IL Bd
Die ersten Humanisten: Yossler, Dante u. die Renaissance. XHeid. Jb. XL
Körting, Petrarcas Leben u. Werke s. oben. Blanc, Petrarca in Ersch u. Gruber,
Real-Enzykl. IH. Ser. Bd. 19. Me ziere s, Petrarque. 2. ed Paris 1878. Geiger}
Petrarca. Leipz. 1874. X olha c , Petrarque et l'humanisine. Paris 1892. F. X. Kraus,
Francesco Petrarca u. s. Briefwechsel. Berl. 1896. Feuerlein, Petrarca u. Boccaccio.
HZ. XXXYIII, 193 ff Alt. Sehr.: Baldelli, Del Petrarca e delle sue opere libri
quattro. Firenzi 1797. De Sa de, Memoires sur la vie de P. 3 vol. Amst. 1764 — 67.
Rossetti, Petrarca, Giul. Celso e Boccaccio. Trieste 1828. Die übrige Lit. s. bei
Geiger S. 566. — Körting, Boccaccios Leben u. Werke Gesch. d. Lit. Italiens H, III).
M. Landau, G. Boccaccio, sein Leben u. seine Werke. Stuttg. 1877. Hortis,
Accenni alle scienze naturali nelle opere di G. B. Trieste 1877. — Cenni di G. B.
intorno a Tito Livio. ib. — M. T. Cicerone nelle opere del Petrarca e del Boccaccio,
ib. 1878 — Studj sulle opere lat. del B. Trieste 1879. S. noch: Baldelli, Yita di
Die ersten Humanisten u. der Humanismus diesseits u. jenseits d. Alpen. (>17
(i. B. Firenze 1806. Bartoli, I precursori del rinascimento. Flor. 1877. Fioretto,
Gli umanisti e lo studio del latino e del greco nel secol. XIV in Italia. Verona 1881.
Florenz u. die übrigen Republiken italiens. Zur Geschichtschreibung
von Florenz s. Moreni, Bibliografia della Toscana. Fir. 1805. Gervinus, Hist.
Schriften. Frankf. 1833. L. v. Ranke, Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber.
C.Hegel, Über die Anfänge der Flor. Geschichtschr. HZ. 35,32. S. auch Lorenz II,
283 ff. Polit. Gesch.: Cipolla, Storia delle Signorie italiane dal 1313 al 1530.
Mil. 1881. Perrens, Histoire de Florence depuis la domination des Medici jusqu'ä
la chute de la republique (1434 — 1531). Paris 1888. Gino Capponi, Storia della
republica die Firenze. 2 Bde. Flor. 1875. Davidsohn, Gesch. v. Florenz I. Berl. 1896
(reicht bis ins 13. Jahrh.) Dazu : Leo, Gesch. v. It. HI. u. IV. Bd. Ranke, Hist. Biogr. Stud.
Werke. 40., 41. Bd. Sismondi, Hist. des republiques ital. Bd. IL C astein au,
Les Medicis. 2 Bde. Paris 1879 Fabroni, Magni Cosmi Medicei vita. Pisa 1789.
Knapp, Piero Cosimo. Halle 1899. Fabroni, Laur. Med. magnifici vita. Pisa 1784.
Roscoe, Life of Lorenzo de M. 10 A. Lond. 1851. Roscoe, Illustrations historical
and critical of the life of L. d. M. 1822. A. v. Reumont, Lorenzo d. M. il Magnifico.
2 Bde. 2 Aufl. Leipz. 1883. Buser, Lorenzo d. M. als Staatsmann. Leipzig 1879.
Buser, Die Bez. der Mediceer zu Frankreich 1434 — 1494. Leipz. 1879. (S. auch
Schnitzer in der RQSchr. XVI, 152.) Lebey, Essay sur Laurent d. Medici.
Paris 1900. Heyck, Flor. u. d. Mediceer. 1902. Pöhlmann, Die Wirtschaftspol.
der Flor. Renaiss. Leipz. 1878. Prezziner, Storia del publ. studio di Firenze.
Flor. 1788. Sieveking, Gesch. d. plat. Akad. Göttingen 1817. Über die medic.
Bibl. s. Burckhardt in den Exkursen I, 313 ff. (zugleich auch für die andern Biblio-
theken). Galeotti, Saggio intorno alla vita ed agli scritti di Marsiglio Ficino. Arch.
stör. ital. IX, X. Shepherd, Life of Poggio, it. v. Tonello. Flor. 1825. Vast, Le
cardinal Bessarion 1403 — 1472. Paris 1878. W. v. Goethe, Studien über das Leben
und die Zeit des Kardinals Bessarion 1395 — 1472. Weimar 1871. Die Schriften zur
TJnionsvers. zwisch. der morgen- u. abendl. Kirche s. oben. Zur Geschichtschreib.
Venedigs s. Lorenz II, 280 ff . Von neueren Arbeiten : Battistella, La repubblica di
Venezia d. sue origini alla sua caduta, conferenze. Bologna 1897. Musatti, La storia
pol. di Venezia w. oben.
Die monarchischen Staaten: Aufser Leo und Gregorovius, VII. Gui-
raud, L'Eglise et les origines de la Renaissance. Paris 1902. Steinmann, Rom
in d. Ren. Leipz. 1899. A. Graf, Roma nella memoria e nelle imaginazioni del medio
evo. 2 Bde. Turin 1883. Pastor, Gesch. d. Päpste I, IL G. Sforza, Nikol. V.,
übers, v. Horak. Innsbr. 1887. G. Voigt, Enea Silvio wie oben. E. Müntz, Les
arts ä la cour des papes. 2 Bde. Paris 1878 — 79. Friedländer, Die vatikanischen
Schaumünzen des 15. Jahrh. Berlin 1881—2. A. Heifs, Les medailleurs de la
Renaissance. Paris 1881 — 83. Gabotto, Lo stato Sabaudo da Amadeo VIII ad
Emanuele Filiberto Torino 1892. Hall er, Die Belehnung Renes v. Anjou mit
Neapel. Rom 1901. Zumpt, Leben u. Verdienste des Lorenzo Valla in Schmidts
Z. f. Gesch. IV. Schwalm, Lorenzo Valla Diss. Rost. 1896. Indagini storiche, artistiche
e bibl. sulla libraria Viscontea, Sforzesca del Castello di Pavia. Mailand 1875.
Rosmini, Vita e disciplina di Guarino Veronese. 3 Bde. Brescia 1805 — 6. Ros-
mini, Vita di Fr. Filelfo. 3 Bde. Mail. 1808. G. da Schio, Sulla vita e sugli scritti
di Antonio Loschi. Padova 1858. Dennistoun, Historv of the Dukes of Urbin.
3 Bde. Lond. 1853 — 54. • Ugolino, Storia dei conti e duchi di Urbino. Flor. 1859.
Yriarte, Rimini. Paris 1882. Einz. s. im Anhang unter Nachträge.
Die Staaten Jens. d. Alpen: Egger, L'Hellenisme en France. Par. 1869.
Müntz, Nie. de Clemanges. Strafsb. 1846. Die Biogr. v. Ailli u. Gerson s. oben.
Lübke, Gesch d. Ren. in Frankr. Stuttg. 1885. Deutschi.: Die Lit. über Karl IV.,
Enea Silvio, Heimburg u. a. s. oben. Vgl. Joachim söhn, D. hum. Geschichtschreib,
in Deutschi. Bonn 1895. Frühhumanismus in Schwaben, Württ. Viertel] . NF. V. Das
meiste gehört d. späteren Humanismus an. Einzelheiten bei Geiger, Humanismus.
S. 574—80 u. die reiche Lit. in Janssen, G. d. D. V. I. Nippold in d. PKZ. 1887, Nr. 50.
Für die ältere Zeit: Hartfelder, Z. Gel. Gesch. Heidelbergs am Ende d. MA.
ZGOberrh. XLV. Hermann, Reception d. Hum. in Nürnberg. Berl. 1898.
(318 Fortleben der lat Ideenwelt im MA. Aufnahme der Antike.
Priebatsch, Geist. Leb. in d. Mark Brandenb. Forsch. Brand. -Preufs. G. XII.
Knepper, National. Gedanke u. Kaiseridee bei d. Eis. Human. Freib. 1898. Meister
D. hum. Anfänge d. Xik. Cues. Ann. Hist. V. Niederrh. LXIII, 21. Kopp, P. Yer-
gerius. HJb. XVIII. Hurbin, Peter v. Andlau. Abel, D. Biblioth. d. Matth. Corv.
Lit. Ber. Ung. IL Marki, Matth. Corv. u. d. Ren. Öst.Ung. Rev. XXV. Fraknöi,
D. Gran. Erzb. Joh. Vitez. Budap. 1879. Zeifsberg, D. pol. Geschichtschr. d. MA.
Leipz. 1873. Truhlaf, Pocatky hum. v. Cechäch. Prag 1892.
1. Der Niedergang der päpstlichen Macht in der avignonesischen
Zeit und ihr völliger Sturz seit dem Ausbruch des Schismas war für
das ganze Abendland von folgenschwerer Bedeutung. In dem von den
Päpsten verlassenen, durch Parteikämpfe zerrütteten Italien entstand im
14. Jahrhundert eine Bewegung, deren Ziel es war, das versunkene
Altertum der Hellenen und Römer der christlichen Welt wieder zuzu-
führen, seine Wissenschaft aufs neue zur Geltung zu bringen, seine
Kunst mit der des christlichen romantischen Lebens in Einklang zu
bringen und die Formenwelt und sinnliche Schönheit der Antike mit
dem Geist der Romantik zu vereinigen.1) Der Sieg dieser Bewegung
bedeutete einen Bruch mit der mittelalterlichen Welt und eine geistige
Umwälzung, jener vergleichbar, die einst der Hellenismus auf den Orient
und die Kultur Italiens hervorgebracht hatte ! — Die Erinnerung an die
Zeit der Antike war in Italien niemals verloschen. Wie einstens Theo-
derich seine Goten aufforderte, der Barbarei zu entsagen und altrömische
Gesittung anzunehmen2), so knüpfen die grofsen Kaiser des Mittel-
alters an römische Überlieferung an, und auch die Bannerträger der
Demokratie, ein Arnold von Brescia und Cola di Rienzo, berücken die
Volksmassen Roms durch den Zauber der Erinnerung an seine glän-
zende Vergangenheit. Noch sind Institutionen und Bräuche vorhanden,
die in die alte Zeit zurückreichen, oder es wird in bewufster Weise An-
lehnung an diese gesucht. In den Tagen Barbarossas gewinnen alt-
römische Vorstellungen vom Staat auf die Anschauungen der Zeit-
genossen mächtigen Einflufs ; mitunter nimmt die Kirche, so sehr ihre
Ideen der Antike widerstreben, die alte Bildung in Schutz3): sie bringt,
was das wichtigste ist, Roms Sprache zu allgemeiner Geltung. Spuren
antiken Geistes begegnet man an Fürstenhöfen und Bischofssitzen und
vornehmlich in Klöstern. Altrömische Rechtsbücher stehen im Ansehen,
das Bild, das Einhard von Karl dem Grofsen entwirft, ist in Suetons
Farben gehalten, Widukind von Corvey und Adam von Bremen sprechen
zu uns in den Worten Sallusts. Wird hier Ciceros Prosa und dort
Ovids Kunst nachgeahmt und geniefst Virgil, in welchem das Mittel-
alter einen Propheten des Christentums sah, eine Verehrung ohne-
gleichen, so ist diese Nachahmung bis ins 14. Jahrhundert freilich nur
eine äufserliche ; erst jetzt wird der Zweck, dem die alten Klassiker
dienen, ein anderer als etwa der, neuen Inhalt in alte Formen zu giefsen,
Beispiele für die Regeln der Grammatik aus ihnen zu suchen oder mit
ihrer Hülfe Lücken bestehender philosophischer oder theologischer
*) Voigt, S. 2.
2) Cassiod. Yariae, ed. Mommsen, lib. III, ep. XVII.
a) Greg , Opp. IY, Kap. 49, § 13,
Auflehnung gegen die Bevormundung durch die Kirche. Dante. 619
Systeme auszufüllen, ungefähr so, wie man bisher Reste antiker Tempel
und Paläste für neue Bauten verwendete. Die ganze Lebensanschauung
der Antike wird jetzt übernommen, die Hingebung an sie ringt sich
durch und ihre Ideale werden ins Leben der Gegenwart eingeführt.
Diese Bewegung umfafst nicht blofs das römische, sondern auch das
bisher vernachlässigte griechische Altertum. Die Welt sagt sich von der
Anschauung los, der die alten Klassiker als Feinde des Christentums
gelten. Die neue Richtung lehnt sich gegen die Bevormundung durch
die Kirche im allgemeinen ebenso auf wie im besondern gegen die der
Theologie. Neben dieser und ihr zum Trotz kommen auch die
anderen Wissenschaften zu voller Entfaltung, und der Grundsatz freier
unbehinderter Forschung bricht sich Bahn. Die Träger der neuen
Richtung gehören nicht mehr dem Klerus allein an; die Gelehrten
nehmen nach den von der Antike gegebenen Lehren die Bildung des
Menschen in die Hand, freilich nicht ohne Überschätzung der neuen
Ideale, die sich oft genug in Geringschätzung vaterländischen Wesens
kundgibt. Die neue Richtung ging von Italien aus, wo das Zusammen-
wirken von Adel und Bürgerschaft eine Gesellschaft herangezogen hatte,
die sich bildungsfähig fühlte, Mufse und Mittel dazu hatte und wo sich
auch jene Kräfte fanden, die mit Eifer und Leidenschaft der neuen
Strömung folgten.
2. Von den grofsen Dichtern Italiens im Mittelalter steht Dante
noch auf dem Boden der Scholastik. Wiewohl von Ehrfurcht vor Roms
Gröfse erfüllt, geht er noch an dessen Denkmälern achtlos vorüber,
die antiken Statuen erscheinen ihm als Götzenbilder, und wenn ihn
Virgil »sein Meister und Vorbild« durch die Hölle führt, ist er ihm
doch nur wie ein Lehrer der Kirche. Indes schon an Dante sind Seiten
der neuen Richtung erkennbar : schon laufen in seinem grofsen Gedichte
antike und christliche Stoffe nebeneinander, die Sprache seiner Dich-
tung ist vor allem nicht die der Kirche, seine Sehnsucht ist der dichte-
rische Nachruhm, jenes dem antiken Leben abgelauschte, dem christ-
lichen Ideal völlig fremde Moment. Noch näher an die Antike treten
die Geschichtschreiber und die Dichter Italiens in der Zeit Heinrichs VII.
heran, ein Albertino Mussato, Ferreto von Vicenza u.a. Der
erste wirkliche Humanist ist Francesco Petrarca. Am 20. Juli 1304
zu Arezzo geboren, gehörte er zum niederen Adel von Florenz. xAus
demselben Grund und an demselben Tag wie Dante zog Petrarcas Vater
in die Verbannung. Als Kind kam er nach Incisa auf ein seiner
Familie gehöriges Landgut, dann (1312) nach Pisa. Das Jahr darauf
übersiedelte der Vater nach Avignon, das als Residenz der Päpste er-
werbslustige Italiener anzog. So kam Petrarca in die Heimat des Trou-
badours. Von Avignon, das ihm verhafst war, weniger wegen seiner engen
schmutzigen, von üblen Gerüchen erfüllten Gassen, als weil es Roms
Nebenbuhlerin war, sandte ihn sein Vater nach dem freundlich gele-
genen Carpentras. Hier wird ein Italiener, Convenevole da Prato, sein
Lehrer in der Grammatik und Rhetorik. Bei einem Ausflug nach Vau-
cluse zur Quelle der Sorgue ist er von der Schönheit der Landschaft
520 Petrarca, der erste Humanist.
derart ergriffen, dafs er gelobte, einstens daselbst seine Wohnstätte auf-
zuschlagen. Zum Juristen bestimmt, ging er (1319) nach Montpellier,
dann (1323) nach Bologna ; aber schon wandte sich seine ganze Liebe der
Antike und Poesie zu. Der Tod des Vaters rief ihn nach Frankreich
zurück, die Xot des Lebens trieb ihn zum geistlichen Stande. In Avignon
fand er mächtige Gönner : Giacomo Colonna. dessen Bruder, den Kar-
dinal; ihre Unterstützung enthob ihn drückender Sorge, in ihrer Um-
gebung, unter politisch und literarisch bedeutenden Männern, fand er
Anregung und bald auch begeisterte Anerkennung. Freilich war sein
Geist nicht zu ruhigem Verweilen an einem Orte geschaffen : häufiger
Wechsel des Aufenthalts ist ihm Bedürfnis und das wirksame Motiv
dazu die Hoffnung, unbekannte Handschriften alter Klassiker aufzu-
finden. Er ist nicht der erste gewesen, der antike Münzen und Me-
daillen sammelt , wohl aber der erste , der in ihnen mehr als blofse
Raritäten erblickt. Er besucht Paris, die Niederlande, das nordwestliche
Deutschland. Der Gunst der Kurie dankt er (1335) ein Kanonikat in
Lombes, das ihm gestattet, der Dichtkunst und seinen antiquarischen
Studien zu leben. In jene Zeit fällt seine epochemachende Tat: die
Besteigung des Ventoux. Die Freude an der Schönheit der Erde, die
Empfänglichkeit für landschaftliche Reize, das tiefe malerische Natur-
gefühl ist eine Empfindung, die dem Mittelalter fremd war und wohl auch
dem Griechen und Römertum fremd gewesen ist. Kein Mensch hat im
frühen Mittelalter einen Berg bestiegen, um sich an einer malerischen
Fernsicht zu erfreuen. Indem Petrarca den Gipfel des Ventoux ersteigt,
erscheint er als Apostel einer neuen Zeit.1) Vom Ventoux uns — unter
seinen Füfsen schwebten die Wolken — sah er die schneebedeckten
Häupter der Alpen in den geliebten Fluren Italiens emporragen, ihm
unereichbar fern und doch so nahe scheinend, als könnte er sie berühren.
Bald steht er mit seiner Begeisterung für die Natur nicht allein: nur
wenige Jahrzehnte, da verlegen flandrische Maler die heiligen Vorgänge
in die Umgebung einer frühlingsfrischen Natur.2) Wenn Enea Silvio
die Reize italienischer Landschaften begeistert schildert, so ist es Pe-
trarcas Beispiel, das nachwirkt. Petrarca kam erst 1336 wieder nach
Italien. Die ewige Stadt betrachtet er mit dem Enthusiasmus des
Humanisten, nicht mit der Begeisterung des frommen Christen. Mit
Giovanni Colonna besteigt er die riesigen Gewölbe der Diokletiansthermen
und durchwandert die Ruinenfelder der Stadt. Heimgekehrt, empfindet
er Ekel am Treiben Avignons. Er ersteht ein Gütchen in der Vau-
cluse. Dort hat er mit Unterbrechungen sechszehn Jahre geweilt und
seine bedeutendsten Werke geschaffen. Schon besitzt er einen Homer,
freilich ohne ihn lesen zu können; darum wendet er sich dem Studium
des Griechischen zu. Sein Dichterruhm wächst : die wenigen Bruchstücke
seiner »Africa«, welche die Heldentaten des >: Sternen Jünglings« Scipio
Africanus schildert, werden von der begeisterten Mitwelt der Aneis
x) Körting, 104 ff.
2 Lübke,~ Kunstgeseh. I, 282.
Sein Wirken und seine Bedeutung. Boccaccio. 621
Virgils an die Seite gestellt. Die Grofsen der Welt .finden sich bei
ihm ein: an einem und demselben Tage bieten ihm der römische Senat
und die Universität Paris den Lorbeer als Dichter. Die Anfänge der
Dichterkrönungen im Mittelalter verlieren sich im Dunkel. Zu einem
festen Ritual ist es nicht gekommen. Petrarca hatte eifrig um die hohe
Ehre geworben. Er entschied sich für Rom. Kein geringerer als König-
Robert von Neapel hat an ihm die Krönung vollzogen (1341, Ostern).
Auch mit Kaiser Karl IV. verkehrte Petrarca. Seine Bestrebungen
sein Stil und seine ganze Denkweise findet am Kaiserhof Anklang. Die
Ideen des Humanismus, deren Träger im karolinischen Zeitalter Petrarca
ist, gewinnen immer mehr Boden. Ihm gilt nichts, was nicht unmittel-
bar auf den Menschen Bezug hat. Er verachtet das handwerksmäfsige
Treiben der Scholastiker, welche die Wissenschaft als Mittel zum Geld-
erwerb betrachten. Die Universitäten gelten ihm als Nester dünkel-
haften Hochmutes. Der wahre Gelehrte ist der strebende Mensch. Er
bekennt sich zu einer Kunst: Tugend und Wahrheit.1) In Wirklichkeit
nimmt er es freilich weder mit der Tugend noch mit der Wahrheit
genau, und als Pf runden Jäger stellte er immer seinen Mann. Zu Lebzeiten
als »Wunder der Schöpfung« angestaunt, kennt ihn die Nachwelt als
grofsen italienischen Dichter, aber die Mitwelt schätzte ihn als lateinischen
Poeten, denn noch hatte sich das Italienische nicht zu seiner vollen
Bedeutung durchgerungen. An seinen lateinischen Dichtungen hatte er
selbst weitaus gröfseres Wohlgefallen als an seinen Sonetten und Kan-
zonen. Seine Hauptaufgabe erblickte er in der Auffindung unbe-
kannter Schriften klassischer Autoren, und diese Richtung hat er bis zu
seinem Tode, der ihn zu Arquä bei Padua am 18. Juli 1374 ereilte,
festgehalten.
§ 141. Die humanistischen Wanderlehrer. Die grofsen literarischen
k Entdeckungen und ihre Folgen.
1. In den humanistischen Bestrebungen trat Giovanni Boccaccio
freilich mehr als ergebener Schüler denn als gleichberechtigter Dichter
Petrarca zur Seite. Neun Jahre jünger als dieser, liefsen ihn die
(Dichtungen Dantes und mehr noch der Ruhm Petrarcas nicht ruhen,
dessen Freundschaft er als unverdiente Gnade betrachtet, für den er
Klassiker abschreibt und mit dem er die Liebe fürs klassische Altertum
teilt. Noch Petrarka hatte bedauert, dafs Dante in italienischer Sprache
dichtete : Boccaccio sieht es schon als ehrenvolle Aufgabe an, den grofsen
Dichter zu erklären, sein Andenken lebendig zu erhalten. Wie Petrarka
machte auch Boccaccio den Versuch, das Griechische zu erlernen. Damit
beginnen die griechischen Studien in Florenz. Von seinem berühmten
Decamerone hat Boccaccio wenig gehalten, es ist ja nur »tuscisch«
geschrieben. Seinen Nachruhm erwartet Boccaccio von seinen lateinischen
Schriften. Die Nachwelt hat anders geurteilt: jenes Werk, das so sehr
an Chaucer gemahnt, bildet heute den ganzen Ruhm des Dichters. An
i) Voigt I, 69.
622 Coluccio Salutato. Die Wanderlehrer. Manuel Chrysoloras. Poggio.
die klassischen Studien Petrarcas und Boccaccios knüpft Coluccio
Salutato an, der flor entmische Kanzler (f 1406), der in seiner Un-
eigennützigkeit und männlichen Stärke den Zeitgenossen wie ein stoischer
Held aus dem Altertum erschien.1) Ein Mann, der ganz in der antiken
Philosophie aufging und wohl nur deshalb als Feind der Kirche und
ihrer Dogmen galt, hat er den Stil Senecas und die Staatsschriften ein-
geführt. Seine Briefe wurden für die Kanzleien der italischen Staaten,
was früher die Formelbücher gewesen. Im Gesandtenverkehr wird neben
dem eleganten Stil florentinische Höflichkeit Mode.
2. Noch Petrarca sah einen jungen Mann, den er als Schreiber
verwendet hatte, Giovanni di Conversino, als Wanderlehrer hinaus-
ziehen; auf die Männer der Wiedererweckung folgt die Generation der
herumziehenden Lehrer, der wandernden Schulen 2) : Grammatiker und
Rhetoren ziehen von Ort zu Ort und tragen die Begeisterung für das
Altertum in weite Kreise, und wie die Lehrer von einem Katheder zum
andern zogen, reisten auch die Schüler umher, um hier den feinen Stil,
dort die Auslegung eines Autors, hier antike Moral, dort die Elemente
des Griechischen zu lernen. Wie Conversino treibt es Giovanni Mal-
paghini, dessen Persönlichkeit oft genug mit der Conversinos ver-
wechselt wird. Auf Coluccios Betreiben wurde er 1397 nach Florenz
berufen, um hier die neuen Wissenschaften zu lehren. Noch aber
schöpfen die Bahnbrecher der neuen Richtung aus zweiter Hand : die
wahren Quellen des Schönen bot erst das Griechische. Schon ziehen
Jünglinge und Männer nach Konstantinopel und erscheinen die ersten
Lehrer des Griechischen in Italien. Als Manuel Chrysoloras als
Lehrer des Griechischen nach Florenz berufen wurde, war der Andrang
von Schülern ein mächtiger. Unter diesen waren schon Männer von
Ruf. Bald werden die Kosmographie des Ptolomäus, einzelne Schriften
des Aristoteles übersetzt. Von Florenz zieht Chrysoloras nach Pavia,
wo er Piatons Republik ins Lateinische übersetzte. Nach mannigfachen
Reisen erlag er während des Konstanzer Konzils einem Fieber. Seine
Anregungen waren aufserordentlich erfolgreich ; bald galt es in gelehrten
Kreisen als Schande, nicht Griechisch zu können. In der glänzenden
Versammlung von Kirchenfürsten und Gelehrten zu Konstanz gehörten
schon viele der humanistischen Richtung an, und nicht wenige nahmen
die Anregung zu gleichem Streben mit in die Heimat. Die literarischen
Entdeckungen, die damals in Deutschland gemacht wurden, nachdem
Italien bereits durchforscht war, sind höchst bedeutend. Die Seele der
literarischen Forschung war Poggio Bracciolini. Das Sammeln
wurde überhaupt mit gröfster Leidenschaft betrieben. Nicht selten sind
hohe geistliche Würdenträger literarische Emissäre. Zahlreiche Hand-
schriften mit antiken AVerken werden nun in deutschen Klöstern ent-
deckt und entlehnt. Nicht alle fanden den Weg wieder zurück. Allerdings
waren diese Klosterbibliotheken — Käfige, ergastula, nennt sie Poggio —
*) Voigt I, 195.
2) S. 212.
Lit. Entdeckungen. Anlage von Bibliotheken. 623
in grauenhafter Weise verwahrlost und für die alten Schätze Gefahr
vorhanden, noch in letzter Stunde zugrunde zu gehen. Da wurde vieles
gefunden, wonach man in Italien vergebens gesucht hatte: die Institutionen
Quintilians, ein Teil der Argonautica des Valerius Flaccus, die Kom-
mentare des Asconius Pedianus zu fünf Reden Ciceros, ein Kommentar
zu einem Teil der Verrinen, des Manilius Buch über die Sternkunde,
des Statius Wälder usw.1) Um 1430 war man ungefähr zu dem Bestand
lateinischer Klassiker gelangt, wie man sie heute kennt. Erst jetzt konnte
man die römische Literatur als Ganzes übersehen. Jetzt begann die
mühevolle Arbeit der Textverbesserung. Auch die kirchliche Literatur
kam nicht zu kurz ; besonders eifrig wurde nach den literarischen Resten
der Griechenwelt geforscht. Bis zur Ankunft des Chrysoloras kannte
man einige Exemplare des Homer, vereinzelte Schriften von Plato und
Aristoteles, jetzt lernte man Thukydides, Plutarch und Xenophon kennen.
Der eifrigste Sammler war Aurispa, der auf seinen Reisen in Griechen-
land zahlreiche altklassische und kirchliche Bücher erwarb und wohl
auch von Manuel mit solchen beschenkt wurde. Als er 1423 in
Venedig erschien, brachte er 238 Bände mit sich, die fast insgesamt
heidnische Klassiker enthielten. Er besafs fast alle Reden des Demosthenes,
die Werke Piatos und Xenophons, Diodors, Strabos u. a. und manche
Schrift doppelt und dreifach; ihm eiferte Francesco Filelfo nach.
Je näher die Türkengefahr heranrückte, um so eifriger wurde gesammelt
und gerettet.2) Jetzt erst erhielten auch andere Reliquien aus klassischer
Zeit ihre Wertschätzung: Ruinen und Statuen, Inschriften, Gemmen,
Medaillen und Münzen. Auch hier war Poggio Bahnbrecher. Ihm
folgte Ciriaco vonAncona, der »den Kaufmannsberuf in den Dienst
der Wissenschaft stellte und nicht jene Agenturen übernahm, die am
meisten Geld eintrugen , sondern bei denen er seine antiquarischen
Forschungen am meisten befriedigen konnte«.3) Er war Kaiser Sigmunds
Cicerone in Rom und meldete klagend, dafs die Römer Marmorhäuser,
Säulen und Statuen zu Gips brannten, so dafs die Nachwelt bald keine
Spur der alten Zeit mehr finden würde.
3. Fürsten und Private wetteiferten im Streben nach dem Erwerb
alter Handschriften. Päpste, wie Nikolaus V., bekannten sich offen zu
den beiden grofsen Leidenschaften der Renaissance: Büchern und Bauten.
Kopisten schrieben, Späher durchsuchten für ihn die halbe Welt. Dem
Humanisten Filelfo bot er 10000 Goldgulden für eine würdige Über-
setzung Homers, und als er 1455 starb, bedauerte er nichts so sehr, als
die Vollendung dieses Werkes nicht erlebt zu haben. Nun wurde mit
der systematischen Anlage von Bibliotheken begonnen. Schon gab
es an den Universitäten das Institut der Stationarii, die den Verkauf
akademischer Handbücher, Summen und Glossen besorgten. Das reichte
für die Bedürfnisse des klassischen Studiums nicht aus. Die meisten
x) Einzelheiten ebenda 240 ff.
2) Voigt I, 262 ff.
3) S. 269 ff.
(324 Die Mar'eiana in Florenz. Die Kritiker. Lorenzo Valla.
Humanisten mufsten die Klassiker mit eigener Hand kopieren, auch
wurden nicht einem jeden wertvolle Handschriften geliehen. Der erste
Buchhändler im modernen Sinne, selbst ein Humanist, Vespasiano da
Bisticci, beschäftigte gelegentlich wohl 45 Kopisten auf einmal. Die
Bücher waren teuer. Eine Sammlung von 19 Reden Ciceros kam auf
14 Dukaten. Der Dichter Beccadelli verkaufte ein Landgütchen, um
sich in den Besitz eines Livius zu setzen. Es war demnach etwas
Aufserordentliches, wenn ein Mann wie der Florentiner Niccolö de' Niccoli
eine Sammlung von 800 Bänden zusammenbrachte. Am Abend seines
Lebens verarmt, hätte er sich nicht zum Verkauf seiner Bücher ent-
schlossen. Er galt als einer der besten Kenner antiker Schriften, seine
Briefe als die »Literaturzeitung der Humanisten«. Er war es, der den
von Petrarca ausgesprochenen Gedanken einer öffentlichen Bibliothek
entschieden betonte. Seine reiche Büchersammlung kam durch Cosimo
von Medici an das Kloster San Marco. So entstand die erste öffent-
liche Bibliothek, die Marciana in Florenz. Tommaso Parentu-
celli, der spätere Papst Nikolaus V., ward beauftragt, einen Kanon zu
entwerfen, wie eine solche Bibliothek einzurichten sei. Er ist in der
Folge selbst der Begründer der vatikanischen Bibliothek geworden.
Neben den florentinischen Klosterbibliotheken war die mediceische Haus-
und Privatbibliothek von grofser Bedeutung. Aus der Hinterlassenschaft
von Staatsmännern und Gelehrten wurden seltene Schätze erworben.
Wie Cosimo begründeten auch andere Florentiner Büchersammlungen,
und ihrem Beispiel folgten Siena, Venedig, Mailand u. a.
4. Der Zeit des Sarnmelns antiker Schriften folgte die der kriti-
schen Verarbeitung des Gefundenen. Hierin war Lorenzo Valla der
Bedeutendsten einer. Kein gebürtiger Römer, denn er wurde 1407 zu
Piacenza geboren, hat er sich doch mit Vorliebe einen solchen genannt,
wie er denn auch in Rom zuerst zur Geltung kam. 1442 trat er in die
Dienste König Alfonsos von Neapel. Er hat zuerst auf die groben
Mängel der Vulgata dem griechischen Urtexte gegenüber aufmerksam
gemacht und, vielleicht angeregt durch die Bedenken des Nikolaus von
Cusa, als der Erste die konstantinische Schenkung als Fabel hingestellt.
Mit dem Hasse des Römers gegen die Priesterherrschaft erklärt er die
Fürsten für berechtigt, den Papst aus seinem weltlichen Besitz zu
ATertreiben. Trotz solcher Angriffe zog ihn Nikolaus V. nach Rom, wo
er seine Vorlesungen abhielt. — Aufser den klassischen, gewannen nun
auch die orientalistischen Studien Boden. Hatte schon Dante das
Hebräische geschätzt, wenn auch schwerlich verstanden, so suchten sich
nun die Gelehrten dessen gründliche Kenntnis anzueignen.1) Poggio
nahm während des Konstanzer Konzils bei einem getauften Juden
Unterricht. Der Florentiner Manetti übersetzte die Psalmen aus dem
hebräischen Urtext. Das Hebräische trat allmählich in den Dienst der
Kirche , hebräische Handschriften wurden gesammelt und seit 1475
hebräische Bücher gedruckt. 1488 wurde ein Lehrstuhl des Hebräischen
x) Burckhardt I, 222 ff.
Vernichtung d. Astrologie als Wissenschaft. Die bild. Künste. < iiotto u. Pisano. {'^)
in Bologna und 1514 in Rom errichtet. Von christlichen Gelehrten, die
sich schon im 15. Jahrhundert mit dem Hebräischen abgaben, war Pico
della Mirandola der bedeutendste; bedeutend übrigens auch deswegen,
weil er zuerst gegen das einseitige Hervorheben des klassischen Altertums
auftrat und die Wissenschaft und Wahrheit aller Zeiten verfochten hat.
Er war auch der erste, der die Astrologie, die seit Friedrichs IL Tagen
immer mehr in Aufnahme kam, als Wissenschaft vernichtete, den Stern-
glauben als Wurzel aller Gottlosigkeit nachwies und eine positive christ-
liche Theorie über Weltregierung und Willensfreiheit vortrug, die auf
die Gebildeten Italiens grofsen Eindruck machte.1) Er war der erste,
der das Gefundene zu allgemeinen Resultaten verwertete. Geschah dies
zunächst auf theoretischem Wege, so sollte doch auch das Praktische
nicht zu kurz kommen.
§ 142. Die Erweckung des Altertums und ihr Einflufs auf die
Künste in der Zeit der Frührenaissance.
1. Die Teilnahme der gebildeten Kreise Italiens an den Bestrebungen
der Humanisten führte zunächst zur Nachahmung klassischer Dichter :
Antike Mythen werden weitergeführt und neue ersonnen; eine neue
bukolische Dichtung erwächst, schliefslich kommen biblische und selbst
zeitgenössische Stoffe, eine Sfortias, Borgias usw. und didaktische Werke
an die Reihe. In antiken Odenformen werden christliche Heilige gefeiert,
der elegischen Form wird von der eigentlichen Elegie bis zum Epigramm
herab ein grofser Platz eingeräumt. Die eigentliche Pflegestätte des Epi-
gramms, zumal des satirischen , ist Rom.2) Ja die Architektur und
Ornamentik wird geradezu zur Aufnahme von Inschriften eingerichtet.
Der allgemeine Umschwung mufste am meisten in den bildenden Künsten
sichtbar werden. Spät genug weckten die alten Baudenkmäler den Sinn
der Künstler für die Antike. Es bedurfte erst der Bestrebungen Petrarcas
und seiner Schüler. Die Ruinen aus klassischer Zeit weckten zuerst nur
den Eifer der Archäologen und gaben höchstens noch zu sentimentalen
Stimmungen Anlafs. Zudem wurden die grofsen Werke antiker Skulptur,
wie der Laokoon usw., erst am Beginn der Neuzeit gefunden. Erst im
16. Jahrhundert gelangte unter dem Einflufs des Humanismus und der
Einwirkung der antiken Denkmäler die Kunst der Renaissance zu voller
Entfaltung. Um 1420 beginnt sie noch in engem Anschlufs an die
mittelalterlichen Formen und Elemente der Konstruktion ihren Ent-
wicklungsgang. In der Malerei ist Giottos Weise noch im 15. Jahrhundert
mafsgebend. Aber Giotto (f 1337) selbst ist, wie in der Bildhauerkunst
Niccolö Pisano (f 1280), schon von der Antike angeregt. An den antiken
Werken lernte Pisano die Darstellung des menschlichen Körpers, die
umhüllende nicht versteckende Behandlung des Gewandes, die Be-
ziehungen einer vordem nur als Einzelheit aufgefafsten Gestalt zu
andern, die Bedingtheit der Bewegungen nach den Gesetzen einer plan-
*) Adversus astrologos libri XII, S. Burckhardt II, 265 ff.
2) S. 299.
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. ^
526 Brunelleschi u. Donatello. Ghiberti. Klaus Slüters. Die Eyck. Alberti.
mäfsigen Linienführung kennen. So hielt sich auch schon Giotto mehr
an die Natur, an die Antike, als an überlieferte Formen. Der Falten-
wurf ist einfacher, der Gesichtsausdruck bedeutender, die Bewegung
sachlicher, der Hintergrund durch die Landschaft oder grofse Bau-
denkmäler belebt. Noch findet er allerdings nicht das rechte Verhältnis
vom Menschen zur Umgebung, die Regeln der Verkürzung in der Form
sind ihm nicht geläufig, doch sucht er schon ein Neben- und Hinter-
einander zu zeichnen. Das aber ist noch das Geringere : der gewaltige
Einflufs, der von ihm ausgeht, liegt in der inneren Beseelung, in der
Unmittelbarkeit des Empfindens.1)
2. Die Humanisten-Dichter und -Gelehrten hatten die antiken Mo-
numente mit den Augen der Dichter oder als Archäologen betrachtet.
Jetzt zogen Philippo Brunelleschi (1377 — 1446) und Donato di Betto
Bardi, genannt Donatello (1386 — 1466), nach Rom und zeichneten und
mafsen an den alten Monumenten, jener der Schöpfer der ersten frei-
gewölbten Spitzkuppel, grofs in seinen Kirchenbauten, gewaltiger noch
in seinen Schlofsbauten, dieser neben Ghiberti (1378 — 1455) und mit
ihm einer der gröfsten Plastiker aller Zeiten. Fand Brunelleschi die
Regeln alter Formgebung, so fügte Donatello noch die Erkenntnis hinzu,
dafs die Natur die Vorbedingung echter Kunst sei.2)
3. Zu diesen Ergebnissen waren unabhängig von den italienischen
Künstlern auch schon Franzosen, Niederländer und Deutsche gelangt.
Wie die italienischen Fürstenhöfe, so waren auch die niederländisch-
französischen Fürstenhäuser, vor allen andern Burgund, Pflanzstätten der
Kunst, an denen aufser der Malerei und Bildnerei, das Kunsthand-
werk, die Bildweberei, der Bronzegufs u. a. zu früher Entfaltung ge-
langten. Die Statuen Klaus Slüters (j 1404) am Mosesbrunnen der
Kartause zu Dijon sind in Haltung und Ausdruck von einer Wahrheit,
wie sie die Welt seit einem Jahrtausend nicht gesehen hatte. Mit diesem
Brunnen, hat man wohl gemeint, beginnt die moderne, auf Ergründung
des Menschentums sich aufbauende Kunst,3) Die niederländischen
Maler Hubert und Jan van Eyck schufen die vollendetesten
Schöpfungen ihrer Art im Mittelalter. In ihren religiösen Empfindungen
sind die Eyck noch innerlicher als Slüter. Sie rieben die Farben, um
sie tieftöniger, leuchtender und wärmer zu machen, mit Ol an. Ge-
waltig ist der Fortschritt in der Perspektive. Die Kunst der Ölmalerei
wurde noch in der Mitte des 15. Jahrhunderts in Italien bekannt. Dort
waren mittlerweile förmliche Lehrbücher der bildenden Künste erschienen.
Im Jahre 1435 widmete Leone Battista Alberti sein Büchlein della
pittura dem Filippo Brunelleschi. Dort findet sich der Satz: »Jener
Narzissus, der sein Ebenbild im Wasser sah und vor der Schönheit
seines Bildes erbebte, war der erste Erfinder der Malerei.- Das ist der
neue Geist, der die Künstler belebt : Studium, Beobachtung, Darstellung
der Dinge um ihrer selbst willen. Die Schönheit ist dieser Zeit die
*) Nach Kornelius Gurlitt, Gesch. der Kunst I, 576 — 582.
8) Ebenda II, 36.
3) H, 24/25.
Die Lehre v. d. Perspektive. Masaccio. Die Gesellschaft in Italien. 627
charakteristische Wirklichkeit. Das Eigenartigste und Schönste bleibt
der Menschheit stets der Mensch.1) Alberti gibt einen Abrifs der Lehre
von der Perspektive und den Farben. Er legt dem Künstler die Ana-
tomie der Körper ans Herz. Die Architektur ist ihm die wahrhaft
soziale Kunst, denn sie einigt die Menschen, führt sie zusammen, erfreut
und erhebt sie. Was Alberti über die Malerei lehrte, hatte Masaccio
(1401 — 1428) bereits in die Wirklichkiet umgesetzt; denn er gab den Szenen
und Figuren zuerst die rechte Tiefe. Er beherrschte die Perspektive der
Linien und der Luft, und in das neue Medium setzte er zuerst ganz körper-
hafte Gestalten. Die folgenden Generationen von Künstlern bis auf Michel
Angelo pilgerten zu seinen Werken, um zu lernen.2) Der Anschlufs an
das Leben und die Wirklichkeit tritt immer kräftiger hervor. Bei den
Werken eines Ghirlandajo (1449 — 1494) denkt man weniger an das
in ihnen Dargestellte aus dem Leben des hl. Johannes oder der Gottes-
mutter als an das Florentiner Leben im 15. Jahrhundert. Immer steht
die Darstellung des Menschen, wie er lebt, im Vordergrund. An
Verrocchio (1435 — 1488), dem die wunderbare Reiterstatue des Col-
leone in Venedig zugeschrieben wird und dessen Art zahlreiche Künstler
beeinflufste, knüpfen schon Perugino und Lionardo da Vinci an,
deren Wirksamkeit wie die der gesamten Renaissance, die hier nur in
ihrem Zusammenhang mit den Bestrebungen um die Erweckung des
klassischen Altertums gestreift werden kann, in anderem Zusammenhang
geschildert werden mufs.
§ 143. Die Gesellschaft in Italien im Zeitalter des Humanismus.
1. Für die Aufnahme der humanistischen Ideen war der Boden
nirgends besser vorbereitet als in Italien. Alle Staaten, Republiken und
Signorien, erwiesen sich als ihre eifrigen Förderer. Zudem war Italien
von den anarchischen Zuständen und den Religionskämpfen des deutschen
Reiches im 14. und 15. Jahrhundert ebenso verschont geblieben, wie
von den schweren auswärtigen Kriegen, in die Frankreich, England und
Kastilien verwickelt waren : gegen diese hatten die italienischen Kämpfe
nur geringe Bedeutung. Vom Kaisertum tatsächlich unabhängig, konnten
sich die Staaten Italiens in ihrer eigenartigen Weise weiter entwickeln. In
zahlreichen Städten Ober- und Mittelitaliens fand sich eine betriebsame
Bürgerschaft, die, reich durch Gewerbe und Handel, auch an den
literarischen und künstlerischen Bestrebungen der Zeit lebhaften Anteil
nahm. An den Höfen der Signoren entsteht ein neues Leben, in dessen
Mittelpunkt neben dem Fürsten die bedeutendsten Vertreter des
Humanismus stehen. Das Ideal eines solchen Fürsten hat Petrarca ge-
zeichnet3): er soll nicht Herr seiner Bürger sondern Vater des Vater-
landes sein und jene wie seine Kinder lieben, ihnen nicht Furcht sondern
Liebe einflöfsen, sie nicht mit Waffengewalt beherrschen sondern mit
Wohlwollen regieren. Petrarca verlangt, dafs er für alles und jedes
1) Brandi, S. 78.
2) Brandi, S. 86.
3) Für das Folgende s. Burckhardt I, S. 15 ff.
40 •
628 Fürstenideal u. Wirklichkeit. Schwinden der Kastenunterschiede.
sorge, selbständig, dabei bescheiden und einfach regiere, die Kirchen
und die öffentlichen Gebäude herstelle und erhalte, strenge Gerechtig-
keit übe, die Steuern so ausschreibe und verteile, dafs das Volk ihre
Notwendigkeit begreife, die Armen und Kranken unterstütze, den
tüchtigsten Gelehrten Schutz und Umgang widme , wofür diese für
seinen Nachruhm sorgen. Nur wenige der italischen Gewaltherrscher
des 14. und 15. Jahrhunderts entsprachen freilich diesem Ideal. Ist
ihre Macht eine kleine, so wird sie beständig von der des stärkeren
Nachbars bedroht: sie werden gezwungen, die Mittel des Tyrannen aus-
findig zu machen, um sich zu behaupten, doch sind sie keinen Augenblick,
nicht einmal vor ihren eigenen Angehörigen, sicher. Ihr pomphaftes Auf-
treten erregt den Neid. Einzelne gebärden sich gleich den schrecklichsten
unter den römischen Imperatoren. Meist sind es kraftvolle Naturen, mit-
unter gute Feldherren und Staatsmänner. Mit der politischen Illegitimität
der meisten italienischen Fürstenhäuser hängt es zusammen, dafs legitime
Geburt als etwas Gleichgültiges betrachtet, zwischen legitimen und illegi-
timen Kindern kein wesentlicher Unterschied besteht. Als PiusII. zum Kon-
grefs von Mantua reiste, ritten ihm in Ferrara acht Bastarde des Hauses Este
entgegen. Die Zweckmäfsigkeit, die Geltung des Individuums und seines
Talentes, sind mächtiger als Gesetze und Bräuche. Es ist die Zeit, da die
Söhne der Päpste und die Kondottieren ihre Fürstentümer gründeten.
Gegen diese neu erstandene Fürstenmacht schien jeder Widerstand ver-
geblich. Der Adel, auch wo er noch Besitz hat, hat keine politische Macht,
und die alten Parteinamen verlieren ihre Bedeutung. Wenn sich nun aber
die Fürsten auf das Beispiel der alten Imperatoren berufen, so halten
sich auch ihre Gegner das Beispiel der Tyrannenmörder des Altertums
vor Augen. Einen Radikalismus in den Massen gab es aber nicht,
ein jeder suchte, so gut als es ging, mit den neuen Gewalten auszu-
kommen.
2. Unter solchen Verhältnissen erhielt das gesellschaftliche Leben
in Italien ein anderes Aussehen. Die alten Kastenunterschiede schwin-
den. Für die höhere Geselligkeit gibt es einen gebildeten Stand im
modernen Sinne; auf ihn haben Geburt und Herkunft nur noch Ein-
flufs, wenn sie mit ererbtem Reichtum und mit gesicherter Mufse ver-
bunden sind.1) Das Zusammenwohnen der Adeligen und Bürgerlichen
in den Sädten seit dem 12. Jahrhundert, in denen zumeist auch die
Bischöfe ihren festen Sitz hatten, bahnte eine Annäherung beider an;
die Zeit der absoluten Tyrannenmacht förderte sie, bis es als förmlicher
Grundsatz galt, dafs nur persönliches Verdienst, nicht Abstammung
über den Wert des Menschen entscheide. Das französische und englische
Ritterleben auf dem Lande oder gar das deutsche Raubrittertum
wird hier als etwas Unadeliges betrachtet. Der italienische Adel ver-
kehrt mit den Bürgern auf dem Fufse der Gleichheit, und wenn für die
Hofstellungen in den Fürstenhäusern adelige Herkunft verlangt wird,
geschieht es, um dem Vorurteil der Menge entgegenzukommen, nicht
J) Burckhardt II, 87.
Schriftsprache. Anteil der Frauen. Verfall von Religion u. Sitte. (>29
weil ein Nichtadeliger nicht denselben Wert hätte. Das Auftreten der
Menschen in den Städten Italiens, ihre Erscheinung und Wohnung, ihre
Tracht und ihr Verkehr mit andern, ihre ganze Lebensart ist feiner
als in den anderen Ländern des Westens. Die Sprache, die. seit dem
13. Jahrhundert an den Höfen und bei den Dichtern gebräuchlich ist
und deren Grundlage das Toskanische bildet, wird zur Schriftsprache
und als solche allgemein verstanden. In den Kreisen des Hofes, bald
auch in denen der Bürger, kommt die höhere Form der Geselligkeit in
Aufnahme, die nicht zuletzt durch die Rolle gekennzeichnet ist, welche
die Frau einnimmt. An den Bestrebungen des Mannes hat auch sie
ihren Anteil: auch sie mufs nach einer in jeder Hinsicht vollendeten
Persönlichkeit streben/ Das Ruhmvollste, das von den Bedeutendsten
von ihnen gesagt wird, ist, dafs sie einen männlichen Geist und ein
männliches Gemüt hätten.1) Das Hauswesen wird mit der gröfsten
Sorgfalt, fast als Kunstwerk aufgebaut2), die Liebe zum Landleben tritt
auch unter den Städtern stark hervor, daneben aber auch die Freude an
festlichen Aufzügen jeder Art. Die Einwirkungen der Antike machten sich
schliefslich und vornehmlich auch in Religion und Sitte bemerkbar.
Gewifs hat sie an der grofsen Demoralisation, die man zu Ende des
15. Jahrhunderts in Italien wahrnimmt, bedeutenden Anteil. Indem
zunächst an die Stelle des mittelalterlichen Lebensideals, der Heiligkeit,
das der Antike : historische Gröfse tritt, ist alles geneigt, historische
Gröfsen auch in Fehlern und Verbrechen nachzuahmen3); die Fehler,
an denen die italienische Gesellschaft krankt, werden vergröbert:
Selbstsucht, Spiel- und Rachsucht und Verletzung der Heiligkeit der
Ehe nehmen überhand, und der Frevelsinn wird ein allgemeiner und
tritt am stärksten an den Höfen der Fürsten und selbst der Päpste in
die Erscheinung:4) In den oberen Kreisen des Volkes herrscht der Un-
glaube, in den mittleren und niederen der Aberglaube ; die Geistlichkeit
ist ihrer Laster wegen verachtet, das Mönch tum wird von den Novel-
listen mit dem schärfsten Hohn behandelt, und die Inquisition hat bei
der allgemeinen Strömung ihre alte Macht verloren. Die das Laster des
Klerus am schärfsten geifseln, sind zumeist selbst Geistliche. In dieser
Umgebung erhebt sich am Ausgang des Mittelalters die grofse Gestalt
Savonarolas : andererseits wendet sich die historische Kritik jener Zeit
selbst auch schon den Urkunden des christlichen Glaubens zu, der Zweifel
wird allgemein, selbst der an die Unsterblichkeit der Seele, und richtet
sich so naturgemäfs gegen die Dogmen der christlichen Kirche.
x) Burckhardt, S. 124.
3) Näheres ebenda S. 128 ff.
3) S. 75.
4) Die Zusammenfassung des it. Charakters jener Zeit, ebenda S. 198.
630 Florenz im XV. Jahrhundert. Die Medici. Cosimo.
2. Kapitel.
Der Humanismus in den einzelnen Staaten.
§ 144. Der Humanismus in den Republiken Italiens.
1. Reicher als irgend eine andere Stadt Italiens, denn hier befan-
den sich die stärksten Geldmächte des 14. und 15. Jahrhunderts, war
Florenz, auch die Heimat der politischen Doktrinen und Theorien
jener Zeiten.1) Die Parteikämpfe, deren Heftigkeit und Wechsel schon
Dante beklagte, dauerten ungeschwächt fort. Noch unter dem Eindruck
der Erhebung Karls IV. ward (1347) das Gesetz erlassen, dafs kein Ghi-
belline in Florenz ein Amt erlangen dürfe, und wiewohl die Furcht vor
der Wiederkehr eines Kaisers ghibellinischer Richtung unbegründet war,
wurde diesem Gesetz (1357) noch die Einrichtung des »Ammonierens«
angefügt, bei dessen Handhabung im Interesse der herrschenden Partei
niemand im Staate seines Lebens und Eigentums sicher war. An der
Spitze einer Verschwörung, die sich (1360) dagegen bildete, stand Bar-
tolomeo de' Medici. Sein Geschlecht war kein altes; zuerst hatte Ardingo
dei Medici das Amt einer Gonfaloniere bekleidet (1296). Bartolomeo
wurde durch seinen Bruder gerettet. Achtzehn Jahre später erhoben
sich die niederen Klassen, die Ciompi, 2) gegen die welflsche Aristokratie,
aus der die Albizzi die Herrschaft an sich reifsen wollten. Unter den
Vorkämpfern für die Sache des Volkes steht jetzt das Haus Medici.
Den Grund zu der späteren Macht dieses Hauses legte Giovanni de'
Medici. Durch Handel reich geworden, ein Freund des Volkes, ohne
dessen Schmeichler zu sein, war er bereits der mächtigste Mann des
Staates. Als er 1429 starb, hinterliefs er seinen Söhnen Cosimo und
Lorenzo nebst ungeheuren Reichtümern die Lehre, den Palast der Sig-
norie nicht als ihr Haus zu betrachten. Cosimo, ein tüchtiger Geschäfts-
mann, blieb auch in den Tagen des höchsten Ruhmes seiner Stellung
als Kaufmann eingedenk. Wohl hatte er 1433 unter dem Einflufs der
Albizzi in die Verbannung ziehen müssen, wurde aber schon 1434 zurück-
berufen und erhielt (1435) das Amt eines Gonfaloniere. Seine Gegner
wurden nun nach Florentiner Art gleichfalls rücksichtslos verfolgt. Die
Aufrichtung seiner Herrschaft geschah aber doch so vorsichtig, dafs sie
den Neid nicht weckte : die Signorie und die andern wichtigen Amter
wurden mit treuen Anhängern besetzt; da er sich wohl trefflich auf die
äufsere Politik und die innere Verwaltung, weniger auf das Kriegshand-
werk verstand, zog er den Meister der damaligen Kriegskunst, den Kon-
dottiere Francesco Sforza, auf seine Seite. Das Ziel seiner Politik war
die Sicherung der Hegemonie von Florenz in Toskana und die Macht-
vergröfserung der Stadt, so dafs sie imstande war, zwischen Mailand und
*) Burckhardt I, 75.
2) Verächtlicher Ausdruck aus Compäre, d. h. Gevatter, Schwager.
Machtstellung Cosimos. Seine Liebe zu Wissenschaft und Kunst. 631
Venedig im Norden, Rom und Neapel im Süden das Gleichgewicht auf-
recht zu halten. Die benachbarten Territorien sollten durch freiwilligen
Anschlufs oder durch Unterwerfung in die Abhängigkeit von Florenz
gebracht werden. Dies Ziel wurde nicht vollständig erreicht, da Lucca
bei Mailand Hilfe fand (1438). Dagegen setzten Cosimos Reichtümer
ihn in die Lage, Ortschaften und ganze Landstriche durch Pfandschaft
oder Kauf zu erwerben und so das Gebiet der Republik abzurunden.
Die Versuche der Verbannten, wie der Familie Albizzi (1444) oder der
gegnerischen Parteien in der Stadt selbst, Cosimo zu stürzen, führten
nur zur Befestigung seines Regiments, indem eine Anzahl von Familien
von den Stadtämtern ausgeschlossen und die Ernennung zu den Venner-
und Priorenstellen von wenigen abhängig gemacht wurde. Trotzdem
alle Formen der Republik bestehen blieben, war Cosimos Stellung eine
monarchische ; sein Ansehen kam selbst in grofsen europäischen Fragen
zur Geltung. Er hinderte die Ausdehnung der mailändischen Macht
über "Bologna und trat Neapel entgegen, als es nach Mittelitalien über-
greifen wollte. Als mit Neri di Gino Capponis Tod (1455) die letzte
Opposition gegen ihn schwand, konnten die zu seinen Gunsten getroffenen
Mafsregeln wieder aufgehoben werden. Wer es aus den Reihen des
Florentiner Adels noch versuchte, auf eigene Faust Politik zu treiben,
sah sich nicht blofs von den Staatsämtern ausgeschlossen, sondern auch
in seinem Besitz bedroht. Als Cosimo, von Alter und Krankheit be-
drückt, sich von den Geschäften zurückzog, gewann sein Anhänger Luigi
Pitti eine gröfsere Machtstellung. Die ganze Zeit seines Wirkens
wandte Cosimo seine volle Liebe den Wissenschaften und Künsten zu.
Mit fürstlicher Freigebigkeit wurden Kirchen und Klöster bedacht und
Bauten aufgeführt: alles zur Zierde der Stadt, und doch ein wichtiges
Mittel für die Erweiterung der Macht seines Hauses.
Seine offene Hand und der Glanz, den er über die Stadt ausgofs, liefs ver-
gessen, dafs er Herr und die Republik als solche ein Schatten geworden. Indem er
Gelehrte und Künstler unterstützte, dem Talente Stellung und Sold anwies, verlangte
er für sich keine Anerkennung, nahm aber den Weihrauch, der ihm gestreut wurde,
willig entgegen.1) In dem Literatenkreis, dessen Mittelpunkt er war, sieht man aufser
Niccoli, den Staatskanzler Lionardo Bruni, nach seiner Heimat Aretino genannt, be-
kannt durch seine Übersetzung griechischer Autoren, mehr noch durch seine Floren-
tiner Geschichten, den Kanzler Marsuppini, den gelehrten Camaldulenser Traversari,
dessen Kloster ein Sammelpunkt von Freunden klassischer Bildung war, Mannetti,
Poggio u. a. Gering ist der Anteil der Hochschule an den humanistischen Studien,
doch wirkte immerhin Filelfo daselbst, bis er sich wegen seiner Beteiligung an der
gegen Cosimo gerichteten Bewegung von 1433 ins Exil begeben mufste. Während des
Florentiner Konzils fanden sich griechische Gelehrte, der Jünger Piatos, Gemisthos
Plethon, der sich in seinen kirchlichen Anschauungen ganz dem Heidentum zuwandte,
und der Kardinal Bessarion ein. Auf des Ersteren Anregung ward die platonische
Akademie gestiftet. Cosimo starb über 65 Jahre alt am 1. August 1464.
2. Sein Erbe war sein Sohn Pietro (1464—1469). Seine Talente
waren geringer als die seines grofsen Vaters oder die seines grösseren
Sohnes. Gleichwohl kannte ihn nach Macchiavellis Worten die Welt
*) Voigt I, 295.
(332 Pietro Medici. Lorenzo der Prächtige und seine Politik.
zu wenig: »erst verdunkelte ihn sein Vater, dann seine Krankheit«.
Ein Versuch der von den Mediceern zurückgedrängten Familien, ihn im
Bunde mit einzelnen ihrer bisherigen Anhänger zu stürzen, nahm ein
klägliches Ende. Nach Pietros Tode wurde Lorenzo (1469 — 1492)
Haupt der Familie und mit seinem Bruder Giuli an o Herr des Staates.
Noch Pietro hatte dessen Gebiet durch den Kauf von Sarzana abge-
rundet. Grofsen Einflufs gewann Tommaso Soderini, eine starke
Stütze der beiden Brüder, deren Herrschaft freilich nicht unangefochten
blieb. Die Verbannten, an ihrer Spitze Bernardo Nardi, suchten sich
von Prato aus den Weg in die Heimat zu bahnen (1470). Dieser Auf-
stand ward ebenso leicht unterdrückt wie jener von Volterra, das sich
die Einmischung der Florentiner in ihre Angelegenheiten nicht gefallen
lassen wollte (1472). Gefährlicher war der Aufstand der reichen Floren-
tiner Familie Pazzi (1478), die unter Cosimo zu dessen eifrigsten An-
hängern gehörten und aus denen sich Guilelmo mit einer Tochter Pietros
vermählt hatte. Allmählich erkalteten die Beziehungen beider Häuser;
schliefslich kam es zu offener Feindschaft, die für das Haus Medici ge-
fährlich war, weil einer der Pazzi, Francesco, Hofbankier des Papstes
Sixtus IV. war und dieser selbst den Mediceern grollte, als sie seinen
Plänen, die unmittelbare Herrschaft über den Kirchenstaat zu erhalten,
in den Weg traten. In Rom und in Neapel wurde am Sturz der Medi-
ceer gearbeitet. Weil dies bei ihrem starken Anhang in Florenz auf
gesetzlichem Wege nicht möglich war, kam es zu einer Verschwörung.
Lorenzo und Giuliano sollten bei einem Gastmahl, und als dies wegen
des Nichterscheinens Giulianos vereitelt wurde, in der Kirche getötet
werden. Es gelang aber nur, Giuliano zu morden; Lorenzo entkam
(1478, 2. Mai), und nun wurde ein schreckliches Strafgericht über die
Verschwörer gehalten. Wohl liefsen der Papst und Neapel ihre Truppen
in Toskana einrücken, aber der Krieg endete, ohne dafs Florenz eine
Einbufse erlitt. Die Verfassungsänderung, durch welche die Florentiner
dies Verdienst Lorenzos belohnten, befestigte vollends die mediceische
Herrschaft. Eine Ratsversammlung von 70 Bürgern, Anhängern Lorenzos,
erhielt die Entscheidung in allen öffentlichen Angelegenheiten, verfügte
über Amter und die Gelder des Staates, die später in einem Moment,
als das Haus Medici vor dem finanziellen Zusammenbruch stand, zu
dessen Rettung verwendet wurden. Die Politik Lorenzos war eine fried-
liche. Seine Klugheit verschaffte ihm die Führerrolle in Mittelitalien.
Den gröfsten Ruhm erwarb er durch die Unterstützung von Gelehrten
und Künstlern. In seiner Umgebung weilen Dichter und Maler. Ge-
lehrte und Künstler verehrten in ihm, der selbst Dichter war, ihren
Meister. Nach Florenz zog nun, wer auf feine Bildung Anspruch erhob,
und von allen Seiten wandte man sich dahin, um Gelehrte und Künstler
zu gewinnen. Das bezeichnendste ist , dafs es Florentiner Gelehrte
waren, die zu dem grofsen Unternehmen des Kolumbus beitrugen. Ein
halbes Jahr nach dem Tode Lorenzos (1492, 8. April) erfolgte die Ent-
deckung Amerikas. — Geringfügig waren die Einwirkungen des Huma-
nismus auf Siena, die Vaterstadt des grofsen Humanisten Enea Silvio.
Die Glanzzeit Venedigs. (533
Der unablässige Kampf der Parteien einerseits, die Furcht um die poli-
tische Selbständigkeit des republikanischen Gemeinwesens andererseits,
stand hier dem Gedeihen dos Humanismus im Wege.
3. Trotz des unbestrittenen Ansehens der Republik Florenz seit
dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts ist doch die politische Bedeu-
tung Venedigs höher einzuschätzen. Unter schweren Kämpfen be-
gründeten die Venezianer ihre Seeherrschaft im Adriatischen Meer und
überwanden die Versuche Francesco Carraras von Padua, sein Gebiet
von Venedigs Handelsherrschaft zu befreien. Die Glanzzeit Venedigs
beginnt nach dem glorreichen Krieg von Chioggia (1378 — 1381) gegen
Genua und die mit diesem verbündeten Mächte: Ungarn, Padua und
Aquileja. Wichtige Erwerbungen werden auf friedlichem Wege gemacht.
Als Corfu sich von Neapel lossagte, schlofs es sich freiwillig an Venedig
an (1387). Argos und Nauplia wurden gewonnen, indem es die Be-
sitzerin gegen eine Jahresrente abtrat. Auf dem norditalischen Fest-
land tritt Venedig das Erbe der de la Scala und Carrara an, freilich
nicht ohne blutige Kämpfe und schwere Gewalttat gegen das Haus Car-
rara, dessen letzter Herrscher mit zwei seiner Söhne in einem veneziani-
schen Kerker erdrosselt wurde (1406). So gewann Venedig Verona und
Vicenza, Padua, Bafsano, Feltre und Belluno, wozu in den Kämpfen
gegen Ungarn reicher ErwTerb in Friaul und Dalmatien hinzukam, so
dafs es schliefslich alle Küsten des Adriatischen Meeres von den Mün-
dungen des Po über Venetien, Friaul, Istrien, Dalmatien bis Albanien
in den Händen hatte. Negroponte und der Osten Moreas gehörten zu
seinem Besitzstand. Im Kampfe gegen Mailand wurden Brescia und
Bergamo (1428) und in der Mitte des Jahrhunderts auch Ravenna er-
worben. Im Hinblick auf diese Kämpfe konnte Venedig an eine wirk-
same Verteidigung seiner levantinischen Interessen nicht denken. Im
Inneren wurde die oligarchische Verfassung immer schärfer ausgebildet.
Die humanistischen Studien fanden in der Stadt, der Petrarca und ein
Jahrhundert später auch Bessarion ihre Büchersammlungen schenkten,
geringe Förderung. Verglichen die Zeitgenossen Florenz mit dem peri-
kleischen Athen, so war man geneigt, in Venedig ein zweites Sparta zu
sehen, dessen Bürger keinen andern Ehrgeiz kennen als die Gröfse ihrer
Republik, die ihrerseits auf der Sicherheit ihrer Stapelplätze und der
Fülle der Arsenale beruhte. Daher hatten hier humanistische Ideale
keine Heimat. x) Die Republik brauchte politische und militärische, nicht
schöngeistige Talente, und es verschlägt nichts, ob diese ihr Können durch
das Studium oder durch die Praxis erworben haben. Die Hochschule
hatte man in Padua, das schon unter dem Hause Carrara eine grofse
Anziehungskraft namentlich auch auf die deutsche Jugend ausübte. Nicht
so günstig lagen die Dinge in Verona, wo die venezianische Regierung
gleichfalls eine Art von Hochschule einrichtete. Noch weniger als in
Venedig konnte für Wissenschaften und Künste in Genua eine Pflege-
stätte geschaffen werden, da dessen Wettkampf mit Venedig damit endete,
*) Voigt I, 412 ff.
634 Genua. Der Humanismus in Rom. Xikolaus V. und Kalixtus III.
dafs es sich erst den Franzosen (1396), dann den Mailändern in die
Arme warf (1436), sich auf kurze Zeit selbständig behauptete und schon
1458 wieder unter französische Schutzherrschaft trat.
§ 145. Der Humanismus in Korn, Neapel und Mailand.
1. Martin V. und Eugen IV. hatten die Aufgabe, den Kirchen-
staat wieder aufzurichten, glücklich gelöst. Für die Förderung huma-
nistischer Studien bekundeten sie wenig Sinn, doch gab es an der Kurie
Männer genug, die als Freunde und Gönner des Humanismus galten :
Flavio Biondo widmete Eugen IV. seine Roma instaurata, eine
Vergleichung des alten mit dem neuen Rom, Nikolaus V. die Italia
(Uustrata, eine Beschreibung des alten Italien, und Pius II. die
Borna triumplians, »das erste Handbuch der römischen Staats- und Privat-
altertümer«.1) Dafs die Versuche Lorenzo Vallas, am päpstlichen Hofe
Fufs zu fassen, lange vergebliche sein muisten, ist nach seiner früheren
Haltung der Kurie gegenüber begreiflich. Und doch kam auch für ihn
die Zeit, da er willkommen geheifsen wurde; das war, als Thomas
Parentucelli, ein Gelehrter, vor allem ein Redner ersten Ranges, als
Nikolaus V. (1447 — 1455) den päpstlichen Stuhl bestieg. Er erhielt
die oberste Würde der Christenheit in der Zeit, als das Schisma erlosch,
die Resignation des Konzilspapstes Felix V. und schliefslich die Auf-
lösung des Konzils von Lausanne erfolgte. Die Befestigung des Kirchen-
staates machte nunmehr bedeutende Fortschritte; das Jubeljahr (1450)
brachte reichen Gewinn ; zwei Jahre später krönte er — die JetzteKaiser-
krönung in Rom — Friedrich III. zum Kaiser. Die letzten Jahre wurden
dem Papst durch eine Verschwörung in Rom, namentlich aber durch
die schwierige Lage des griechischen Kaisertums, verbittert. Er bot
alles auf, um den Türken eine vereinte christliche Macht entgegen-
zustellen, aber die Fürsten blieben untätig. Um so eifriger ging er seinen
humanistischen Idealen nach. Bücher wurden gesammelt, Bauten auf-
geführt und aufs reichste ausgestattet. Rom wurde allmählich die Haupt-
stätte der Renaissance. Nikolaus V. ist der Gründer der vatikanischen
Bibliothek.
2. Auf Nikolaus V. folgte der erste Borgia, Kalixtus III. (1455
bis 1458). Die Familie Borja (italienisch Borgia) ist spanischer Herkunft.
Ihre Mitglieder gewannen als Konquistadoren in Italien Ansehen. Alfonso
Borgia wurde 1378 zu Xativa bei Valencia geboren und diente dem
König Alfonso als Geheimschreiber. Mit ihm kam er nach Neapel.
1444 wurde er Kardinal. Als solcher war er ein eifriger Gegner des
Baseler Konzils. Als Papst begünstigte er seine Familie in ausserordent-
licher Weise. Sein Neffe Rodrigo, der spätere Papst Alexander VI., er-
hielt schon 1456 den Purpur. Im übrigen verwaltete er das oberste
Hirtenamt gewissenhaft und war noch mehr als sein Vorgänger auf die
1) Brandi, S. 137.
2) S. H. de l'Epinois in RQH. XXXI, 160 ff. Zur Türkennot s. Kayser im
IY. Bd. der HJb., 208.
Pius II. Stellung zum Humanismus. Kongrefs von Mantua. 635
Abwehr der Türken bedacht. Von dessen literarischen Neigungen hatte er
freilich nichts an sich. Um so höher schwellten die Segel aller humanisti-
schen Kreise, als mit Pius IL (1458 — 1464) ein Mann aus ihrer Mitte
Papst wurde — der Kardinal Enea Silvio de' Piccolomini, der bisher als
Dichter und Redner, als Erklärer des Altertums, als Jurist und Politiker
eine Rolle gespielt hatte und auch als Geschichtschreiber und Geograph
nicht unrühmliche Leistungen aufwies. Seine Erhebung wrurde von den
Humanisten mit Jubel begrüfst. Man erwartete, dafs er einen Musenhof
um sich sammeln, Gelehrte und Dichter mit Ämtern und Würden, zum
mindesten aber mit Pensionen und Geschenken überhäufen werde.1)
Aber wie er einst als Politiker seinen Tag von Damaskus erlebt hat,
so sah er auch jetzt die Sache des Humanismus mit kühleren Blicken
an. Zunächst war sein Hauptaugenmerk wie das seines Vorgängers der
Türkennot zugewendet. Er berief die Fürsten der Christenheit nach
Mantua, um Mafsregeln für einen Kreuzzug zu treffen (s. oben); seine
Wünsche blieben jedoch unerfüllt. Wohl wurde der Kreuzzug verkündigt,
die Bullen aber wenig beachtet. Die Tatenlosigkeit der abendländischen
Fürsten brachte ihn auf den Gedanken, den Sultan Mohammed selbst
durch schriftliche Belehrung für das Christentum zu gewinnen. Die
Antwort war die Eroberung von Lesbos und Bosnien. Interessant sind
seine Beziehungen zu dem Hussitenkönig Georg von Podiebrad; eine
böhmische Gesandtschaft fand sich 1462 in Rom ein; ihr Führer —
allerdings ein Katholik — huldigte dem Papste, wrofür er den scharfen
Tadel Georgs vernahm. Während Pius einstens die Baseler Beschlüsse
eifrig verteidigt hatte, nahm er seine früheren Grundsätze in förmlicher
Weise in der Bulle Retractationum zurück : Verwerfet, sagt er, den Aeneas
Silvius und nehmt Pius IL an ! Er ging noch viel weiter : Als die fran-
zösischen Gesandten, von denen er die Zurücknahme der pragmatischen
Sanktion von Bourges forderte, mit der Berufung an ein allgemeines
Konzil drohten, erliefs er die Bulle Execrabilis, durch die eine jede
Appellation an ein Konzil als Ketzerei und Majestätsverbrechen bestraft
werden sollte. Aus dem Verteidiger der Konzilien war er ihr Gegner
geworden. Noch seine letzten Anstrengungen waren dem Türkenkrieg
gewidmet (s. oben). Wenn er nicht alle Hoffnungen der Humanisten er-
füllte, so hatte er doch auch als Papst Sinn für Literatur und Kunst.
Auch jetzt wurden griechische und lateinische Handschriften aufgesucht
und kopiert; an seinem Hofe versammelten sich Architekten, Bildhauer
und Maler, schliefslich erinnern die Kosmographie und die Denkwürdig-
keiten seines Lebens — sie reichen bis 1463 — , die er als Papst schrieb,
noch immer daran, dafs sie aus der Feder eines Humanisten stammen.
3. Sein Nachfolger Pietro Barbo, ein Neffe Eugens IV., als Papst
Paul IL (1464 — 1471) war vor seiner Wahl eine Kapitulation ein-
gegangen, die ihn verpflichtete, den Türkenkrieg fortzuführen, die Kurie
zu reformieren, binnen drei Jahren ein Konzil zu berufen, keinen zum
Kardinal zu machen, der nicht mindestens 30 Jahre alt sei, die Zahl
x) Voigt n, 234.
636 Paul II., Sixtus IV. und Innozenz VIII.
von 24 Kardinälen nicht zu überschreiten und nur einem Nepoten den
Purpur zu geben: es lag also hier ein neuer Versuch vor, an die Stelle
der monarchischen Verfassung des Papsttums eine Oligarchie zu setzen.
Als Papst kümmerte sich Paul nicht weiter um die Kapitulation; im
übrigen war er streng, aber gerecht; nur selten unterschrieb er ein
Todesurteil, selbst Fraticellen kamen mit blofser Verbannung davon.
Sein Hof war üppig, er selbst Ausschweifungen in solchem Mafse er-
geben, dafs er nach den Worten eines Zeitgenossen den Stuhl Petri zu
einer Kloake machte. Schon sagte man, dafs man in keiner religiösen
Körperschaft einen wirklich religiösen Menschen finde. Der Nepotismus
nimmt zu: es gilt, für Nepoten Fürstentümer zu schaffen, natürhche
Söhne und Töchter reich zu machen.
Für Eom und den ganzen Kirchenstaat geschah bei alledem manches Gute.
Paul II. sorgte für die einzelnen Landschaften, liefs Roms Statuten revidieren und
stellte die Ordnung in der Stadt einigermafsen wieder her. Trotzdem er nicht aufhörte,
zur Bekämpfung der Türken zu mahnen, leistete er doch durch sein Verfahren gegen
die Hussiten der Uneinigkeit der östlichen Mächte Europas Vorschub und hinderte
sie an einem geeinigten Vorgehen. Friedrich HL, der zu Weihnachten 1468 eine Reise
nach Rom unternahm, um den Papst zu kräftigem Vorgehen gegen die Türken zu
bewegen, wurde zwar glänzend empfangen, erreichte aber seinen Zweck nicht. Den
Humanisten war er nicht gewogen, wenn man ihn auch nicht für einen grundsätz-
lichen Gegner der klassischen Studien und ergrimmten Feind der römischen Akademie
ansehen darf, wie ihn sein Biograph P 1 a t i n a schildert. Wenn der Papst gegen Mit-
glieder der > literarischen Sodalität« einschnitt, so geschah es wegen ihrer Hinneigung
zu republikanischem und heidnischem Wesen. In seiner Jugend für den Kaufmanns-
stand bestimmt, behielt er seine Leidenschaft für Münzen und Gemmen bei. Mit Eifer
sammelte er antike Kameen, Statuen, Medaillen und Bronzen. Von Paul H. rührt der
grofsartige Palazzo Venezia her, wo er auch seine Sammlungen aufstellen liefs.
4. Galt dieser Papst in den Augen der Humanisten als Barbar, so
lenkte sein Nachfolger Sixtus IV. (1471 — 1484) — er stammte aus
der armen Familie der Rovere in Savona — wieder ganz in die Fufs-
stapfen des Papstes Nikolaus V. ein, trotzdem er selbst kein Gelehrter
war. Für die von diesem gegründete Bibliothek wies er prächtige
Räume an. Auf einem Freskogemälde von Melozzo da Forli ist er ab-
gebildet, wie er Piatina zum Bibliothekar der Vatikana ernennt. Die
grofsen Bauten des Papstes sichern ihm bei der Nachwelt einen grofsen
Namen: das Hospital von S. Spirito, die vielen Kirchen, vor allem die
Herstellung der Sixtinischen Kapelle, bei deren Ausschmückung die
gröfsten Maler, Florentiner und Umbrier, Boticelli, Rosselli, Ghirlandajo,
Perugino und Pinturicchio beschäftigt waren. Der Papst folgte hierin
dem Zuge der Zeit. Auch sein Hof unterschied sich wenig von den
gröfseren Fürstenhöfen Italiens, von deren Prunk und politischen
Bestrebungen. Sein vornehmstes Ziel war die Erhöhung seiner Ver-
wandten : Besitz, Amter und Ehren, welche die Kirche verleiht, werden
in verschwenderischer Fülle über sie ausgeschüttet, die wichtigsten
Stellen ohne Rücksicht auf Talent und Verdienst an sie ausgeteilt. Von
jetzt bis in die Zeit der Reformpäpste des 16. Jahrhunderts
wird der Nepotismus zum System des römischen Staates.
Er ersetzte die ihm fehlende Erblichkeit, schuf für den Papst eine Re-
Der Nepotismus System des römischen Staates. Johanna II. v. Neapel. 637
gierungspartei und sicherte ihn gegen eine etwaige Opposition des Kar-
dinalats. Unter den Sorgen für die Nepoten wurden die dringendsten
Angelegenheiten der Kirche vernachlässigt, das Papsttum verweltlicht
und dem heidnischen Wesen, das je länger je mehr um sich griff, Vor-
schub geleistet. Wie in den Tagen des alten Rom spielten die Partes
et Circenses eine Rolle. Die allgemeine Angst vor den Türken gab den
Vorwand zum Gelderwerb : die wahren Türken waren nach der Mei-
nung der Zeitgenossen die Neffen des Papstes. Kaum hatte der Tod
Mohammeds IL das Abendland von der ärgsten Gefahr befreit, setzte der
Ferrarische Krieg von 1482 ganz Italien in Flammen. In Rom brach
die alte Feindschaft zwischen den Colonna und Orsini wieder aus.
Der Römer Infessura nennt den Tag (12. August), an dem Sixtus IV starb,
den glückseligsten. Dessen Politik fand später ihre Fortsetzung durch
Alexander VI. und Cäsar Borgia. Nicht geringer war freilich die Ne-
potenwirtschaft unter Innozenz VIII. (1484 — 1492), aus der genue-
sischen Familie der Cibö, die Anarchie in Rom eine ärgere als jemals
früher, und es bedurfte erst eines Pontifikats, wie es das Alexan-
ders VI. (1492 — 1503) war, um den Niedergang des Papsttums der ganzen
Welt deutlich zu machen.
5. Früher als an andern Fürstenhöfen Italiens waren der neuen
Bildung in Neapel die Wege geebnet worden, denn schon König Robert
zog Gelehrte und Dichter an sich. Ihm galt seinen eigenen Worten
zufolge die Wissenschaft mehr als sein Reich. Auch Johanna I. war
eine Freundin der Wissenschaften und Künste. Die furchtbaren Greuel
an ihrem Hofe und die blutigen Kämpfe der Häuser Durazzo und
Anjou hinderten die ruhige Entwicklung des Landes. Auf Ladislaus
(s. oben) war seine Schwester Johanna IL (1414 — 1435) gefolgt. Die
Wirren an ihrem Hofe waren nicht geringer als früher. Bald brach auch
neuer Thronstreit aus. Papst Martin V. erklärte (1420) Ludwig III. von
Anjou, falls Johanna ohne Leibeserben stürbe, zum Erben des Reiches.
Dieser ernannte unverzüglich den Kondottiere Sforza zu seinem Statt-
halter und liefs Neapel bedrängen; Johanna nahm dagegen Alfonso
von Aragonien an Sohnes Statt an, der die Hilfe des Kondottiere Braccio
gewann und im Juli 1421 seinen Einzug in Neapel hielt. Sein selb-
ständiges Auftreten und sein Verfahren gegen Carracioli, den Günstling
Johannas, erregte deren Zorn, daher übertrug sie die Ansprüche auf
Neapel an Ludwig III. ; hierüber kam es unter den Prätendenten zu
langwierigen Kämpfen, die auch nach dem Tode Ludwigs und Johannas
kein Ende fanden, weil diese in ihrem Testamente Rene, den Bruder
Ludwigs, zum Erben Neapels eingesetzt hatte. Schliefslich behauptete
Alfonso I. (1435 — 1458) das Feld. Damit begann für Neapel eme glück-
liche Zeit. Denn wiewohl Alfonso, der (1443) auch vom Papste aner-
kannt wurde, an den politischen Verwicklungen auf der Halbinsel leb-
haften Anteil nahm, genofs doch das Land selbst eines langen Friedens.
Trotz seiner spanischen Herkunft erschien er durchaus als italienischer
1) Gregorovius VII, 276.
638 Alfonso I. und Ferrante I. Mailand unter dem Hause Visconti.
Fürst, an dessen Hof Wissenschaft und Künste eifrige Pflege fanden.
Er selbst liebte es, über philosophische und theologische Gegenstände
zu disputieren und hegte vor allem, was dem Altertum entstammte, eine
fast religiöse Verehrung.1) Männer, wie Lorenzo Valla, Antonio Becca-
delli u. a., fanden hier eine Heimstätte. Ihm folgte sein natürlicher
aber als rechtmäfsig anerkannter Sohn Ferrante I. (1458 — 1494), ein
Schüler Vallas und Beccadellis, und als solcher ein eifriger Freund der
Humanisten. Seine Krone hatte er gegen Verwandte seines eigenen
Hauses wie gegen Renes Sohn, den Herzog Johann von Kalabrien, zu
verteidigen ; ihm gelang dies, aber schon sein Nachfolger Alfonso IL und
dessen Sohn Ferrante IL erlagen den Angriffen des französischen
Königtums, auf das die Ansprüche der Nachkommen Renes über-
gegangen waren.
6. Das Haus Visconti hatte von Anfang an den Bestrebungen Petrarcas
gehuldigt. Gian Galeazzo, Mailands erster Herzog, dessen Pläne auf
die Errichtung eines starken italienischen Königtums abzielten (s. oben),
war ein warmer Freund des Humanismus. Mitten unter seinen schweren
Kämpfen ward an der Certosa bei Pavia und am Mailänder Dom ge-
baut.2) Ausgezeichnete Männer, Italiener und Griechen, zog er in seinen
Rat. Er stiftete eine Akademie der Baukunst und Malerei, gründete
eine Bibliothek, liefs das alte Recht Mailands revidieren, erneuerte die
Universität von Piacenza und half jedem ausgezeichneten Streben vor-
wärts.3) Für die Befestigung der Macht seines Hauses starb er freilich
viel zu früh (1402). Sein Gebiet ward unter seine drei Söhne geteilt.
Der älteste Gian Maria erhielt Mailand und den Herzogtitel. Der zweite
Filippo Maria als Graf Pavia und der jüngste, unechte, aber legitimierte
Sohn, Gabriele, Pisa. Eine Regentschaft, an deren Spitze die Herzogin
stand und der die bedeutendsten Feldhauptleute angehörten, führte die
Regierung. Doch kam es sofort zu Parteikämpfen, bei denen sich
einzelne Orte unter eigenen Signoren selbständig machten, andere, wie
Pisa, an die Florentiner verkauft oder, wie Verona, Vicenza u. a. an
Venedig abgetreten werden mufsten (1406). Unter solchen Parteikämpfen
wuchs Gian Maria (1402 — 1412) zu einem vollendeten Tyrannen heran:
von dem Kondottiere Cane Facino beherrscht, befand er sich in der Ge-
sellschaft von Henkern am wohlsten und pflegte die Leute, die er dem Tode
geweiht hatte, von Bracken, die mit Menschenfleisch aufgefüttert wurden,
zerreifsen zu lassen. Schliefslich fiel er einer Verschwörung zum Opfer,
an der sich Angehörige aus den vornehmsten Familien beteiligten.
Sein Bruder Filippo Maria (1412 — 1447), durch die Bemühungen
des Erzbischofs gerettet, erhielt mit der Hand von Canes Witwe Beatrice
dessen Reichtümer und Heerhaufen, sicherte sich zuerst seine Stellung
in Pavia und gewann auch Mailand, das ihm von den beiden von König
Sigmund unterstützten Visconti, Estorre und Gian Carlo, eine Zeitlang
l) Voigt I, 459.
*; Ebenda, S. 500.
3) Leo in, 344.
Filippo Maria, der letzte Visconti in Mailand. Franzesco Sforza. 039
streitig gemacht wurde. Sigmund bestätigte schliefslich Filippo gegen
Zahlung von 20000 Goldgulden als Herzog, ohne der Verbindung mit
Gian Carlo zu entsagen, weshalb die Beziehungen zwischen ihm und
dem Herzog gespannte blieben. Filippo stellte mit Hilfe seiner treff-
lichen Feldherren, vor allem Carmagnolas, das Herzogtum Mailand in
dem Umfang wieder her, den es unter seinem Vater gehabt hatte. Nach-
dem er die Eidgenossen aus Bellinzona und Domodossola zurückgedrängt
hatte, nahm er die alte Politik seines Vaters gegen Toskana wieder auf.
Der Herr von Forli hatte ihn letztwillig zum Vormund seines Sohnes
gesetzt, die Witwe aber, aus Mifstrauen auf Mailands Macht und
unterstützt von ihrem Vater, dem Herrn von Imola, die Regentschaft
an sich gerissen. Ein mailändisches Heer besetzte Forli , schlug die
Florentiner, die der Witwe zu Hilfe gezogen waren, und nahm Imola,
worauf sich auch der Herr von Faenza an Mailand anschlofs. Für die
Florentiner wurde diese Lage immer unerquicklicher; ein zweites Heer,
das sie unter Carlo Malatesta gegen die Mailänder schickten, erlitt eben-
falls eine Niederlage ; Malatesta selbst wurde gefangen ; auch der fernere
Verlauf des Krieges war für Florenz ein unglücklicher. Da wurde es
durch die Eifersucht Filippos auf Carmagnola gerettet. Dieser trat näm-
lich, erbittert über seine Zurücksetzung am Mailänder Hofe, in die
Dienste Venedigs und brachte einen Bund zwischen Florenz, Venedig
und Savoyen zustande. Doch gelang es Filippo, Savoyen an sich zu
ziehen, indem er sich mit der Tochter des Herzogs Amadeus vermählte
und ihm Vercelli abtrat. Für Carmagnola gewannn er übrigens einen
trefflichen Ersatz an dem berühmtesten Kondottiere seiner Zeit, Francesco
Sforza, der ihm so treffliche Dienste leistete, dafs er ihm, freilich erst
nach langem Hinhalten und nachdem Sforza wieder in andern Diensten
gestanden, seine natürliche Tochter Blanka zur Frau gab (1441). Filippo
war ein Tyrann wie sein Bruder und vielleicht noch schlimmer als
dieser, wie er denn nach seinen grofsen Erfolgen in der Lombardei seine
Gemahlin Beatrice, die Gründerin seines Glücks, auf die Anschuldigung
der Untreue hin verhaften, foltern und hinrichten liefs. Da ihn die
Furcht vor seinen Feldherren peinigte, stachelte er die Rivalität unter
ihnen aufs äufserste an ; vor allem hafste er Sforza, und schon war dieser
im Begriffe, sich von ihm abzuwenden, als der Herzog am 13. August
1447 starb. Wenn Filippo auch, trotz seiner tyrannischen Natur, poetische
Anwandlungen hatte, blieben ihm die humanistischen Bestrebungen doch
fremd. Er war der letzte Viskonti in Mailand. Viele dachten an die
Herstellung der Republik, andere an die Berufung Alfons' von Neapel
oder Amadeus' von Savoyen. Nach einem republikanischen Zwischen-
regiment (1447 — 1450), das fast zu einer Auflösung des mailändischen
Staatswesens führte, wurde der grofse Rat vom Volke gezwungen, die
Herrschaft über Mailand an Francesco Sforza (1450 — 1466) zu übergeben.
Damit hatte dieser erreicht, wozu ihm sein tüchtiger Vater Jacopo vor-
gearbeitet und was er selbst von Jugend an angestrebt hatte : eine grofse
selbständige Herrschaft. Er entging den Gefahren der Kondottieren, die
nach erfochtenen Siegen der Eifersucht ihrer Gebieter, nach erlittenen
640 Das Haus Sforza in Mailand.
Niederlagen dem Hasse der Massen und der Regenten erlagen. Er war
auch der letzte, dem es gelang, ein Fürstentum aufzurichten. Dies liefs
fortan die Eifersucht der vier italischen Hauptmächte : des Kirchen-
staates, Mailands, Venedigs und Neapels nicht mehr zu. Sforza über-
nahm die Regierung, ohne Kaiser und Reich zu befragen. Es ist be-
zeichnend, dafs es einer der berühmtesten Humanisten, Filelfo, war,
der, nachdem er die Prioren an die Beispiele eines Kodros und Horatius
Codes erinnert, dem neuen Gewaltherrn in einer Rede das Herzogtum
Mailand zu Füfsen legte. Auch Francesco Sforza war ein Gönner des
Humanismus, ein Freund der Künste und Wissenschaften, »ohne von
dem Vergnügen und der Bildung, die sie bringen, eine Ahnung zu
haben«.1) Zu klug, um durch neue Kriegstaten den mühsam erworbenen
Ruhm aufs Spiel zu setzen, führte er eine friedliche Regierang. Zum
Schlufs empfing er noch die Huldigung Genuas. Von seinen fünf Söhnen
erhielt Galeazzo Maria (1466 — 1476) die Herrschaft, die er in der Art
der letzten Visconti führte. Einige Jünglinge aus vornehmer Familie,
vom Herzog beleidigt und von ihrem Lehrer an die berühmten Tyrannen-
mörder des klassischen Altertums gemahnt, überfielen ihn in der Kirche
und töteten ihn (1476, 26. Dezember). Der Mut des Staatssekretärs
Simonetta rettete seinem Sohne Gian Galeazzo (1476 — 1480) die Herr-
schaft, die in seinem Namen seine Mutter Bona führte, bis. es dem
Oheim des Herzogs, Ludovico, der von seiner dunklen Gesichtsfarbe den
Beinamen Moro führte, gelang, die Regentschaft an sich zu reissen
(1480—1494). Wie an den grofsen fand der Humanismus an den kleinen
Fürstenhöfen Italiens warme Freunde bei den Gonzaga in Mantua,
wo Gian Francesco IL durch Vittorino da Feltre (f 1446) das erste
moderne Gymnasium errichtete2), bei den Este zu Ferrara, deren
Glanzzeit allerdings erst in das 16. Jahrhundert fällt, bei dem Herzog
Federigo di Montefeltro von Urbino, dessen Bibliothek die kostbarsten
Schätze aus alter und neuer Zeit enthielt und den Malatesta von
Rimini und Pesaro.
§ 146. Der Humanismus jenseits der Alpen.
1. Standen schon Karl IV. und seine Hofkreise mit Petrarca in
nahen Beziehungen, so gehört doch die humanistische Propaganda, die
sich auch jenseits der Alpen Geltung verschafft, erst dem 15. Jahrhundert
an. Von wesentlicher Bedeutung war es, dafs der Humanismus am
Sitze des Papsttums selbst Anerkennung und Pflege fand. Dadurch,
dafs seine Kunstsprache das Lateinische, sein Vaterland das klassische
Altertum war, lag in ihm wie in der Kirche selbst, deren völker-
verbindende Aufgabe er im 15. Jahrhundert übernahm, ein weltbürgerliches
Element. Italien wurde jetzt nochmals die Lehrmeisterin der Völker.3)
*) Voigt I, 520.
») Ebenda, S. 352.
») Ebenda II, 244/45.
Der Humanismus in Frankreich, England und Deutschland. 641
Die von der Kurie ausgesandten Legaten, ihre Staatsschriften und Briefe
atmen den neuen Geist und fordern zur Nachahmung auf. Am ehesten
schlössen sich die Völker romanischer Zunge : Franzosen, Spanier und
Portugiesen an, etwas später folgten die Deutschen, zuletzt und mit
besonderem Eifer Ungarn und Polen. In Frankreich waren noch alte
Überlieferungen lebendig. Wohl ging der Bücherluxus der Könige, der
im übrigen nicht reinem wissenschaftlichen Streben, sondern dem Hang
nach Glanz und Prunk entsprang, nicht gerade auf den Besitz alter
Klassiker, aber auch diese wurden gesucht, und Übersetzungen fanden
lebhaften Anklang. Mächtig waren die Einwirkungen der Universität
Paris. Hier wurden in den Kollegien schon am Ende des 14. Jahr-
hunderts die Schüler mit den alten Autoren bekannt; Nikolaus von
Clemangis trug die Rhetorik in Ciceros Weise vor. So wenig ein Ailli
und Gerson, die nicht in den klassischen Studien, sondern in der Theologie
die Krone aller Wissenschaft sahen, mit den humanistischen Tendenzen
übereinstimmten: im Kampfe gegen die Scholastik gingen sie gemeinsam
vor. Unter den französischen Humanisten ragt vor allen neben
Clemangis Jean de Montreuil (f 1418), Kanzler Karls VI., ein
Freund Lionardo Brunis, hervor, »der erste, der Päpste und Fürsten
im klassischen Singular anzureden wagte, der dem Papste Beispiele der
alten Geschichte zur Nachahmung vorhält und ihn aus Cicero und
Seneca belehrt«.1) Der Einflufs Italiens auf Frankreich, sehr stark schon
in den Tagen Ludwigs XL, der griechische Gelehrte dahin berief, die
Universität von Paris reorganisierte und die Bibliothek vermehrte, wurde
ein bedeutenderer durch die Unternehmungen Karls VIII. und Ludwigs XII.
nach Italien.
2. Spröder als die Franzosen verhielten sich die Engländer, die,
stolz auf ihre berühmten Hochschulen, den literarischen Verkehr mit
Italien nicht suchten; doch ist schon Chaucer in den Klassikern
belesen, kennt die Werke Petrarcas und benutzt die Boccaccios. Erst
auf den grofsen Konzilien traten die italienischen Humanisten auch unter
Engländern werbend auf: man findet Poggio eine Zeit hindurch in
England, junge Engländer erscheinen in Italien, um die neue Methode
zu erlernen; die inneren Kämpfe Englands in der zweiten Hälfte des
15. Jahrhunderts waren diesen Bestrebungen wenig günstig. Anders in
Deutschland, dessen Verkehr — auch der literarische mit Italien — ja das
ganze Mittelalter hindurch ungleich bedeutender war. Das Beispiel
Karls IV. fand auch am mährischen Hof eifrige Nachahmung. Gönner
der Humanisten war vornehmlich Karls jüngerer Sohn Sigmund. Pietro
Paolo Vergerio ist der erste italienische Humanist, der in fremde Dienste
tritt und von Sigmund als Sekretär verwendet wird. Pflicht und Neigung
hielten Sigmund lange in Italien fest, wo es an Berührungen mit
humanistischen Kreisen nicht fehlte. So wenig Sinn Friedrich III. für
neue Richtungen bekundete: an seinem Hofe ist doch eigentlich die Saat
für den deutschen Humanismus ausgestreut worden, und dessen Apostel
*) Voigt II, 347.
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 41
642 Neue Wege des Humanismus. Gelehrte Gesellschaften.
war hier Enea Silvio de' Piccolomini. Von seinen deutschen Gegnern
ist vor allem der bedeutende Jurist Gregor Heimburg zu nennen,
lange, wie Nikolaus von Cusa, Anhänger der humanistischen Richtung,
bis er sich in den letzten Jahren seines Lebens gegen ihre Auswüchse,
ihre »Geschwätzigkeit und Wortmacherei«, wendete. An den Höfen zu
Wien und Prag, an Bischofssitzen wie Olmütz fand Piccolomini Nach-
ahmung. An der Wiener Universität war Georg Peuerb ach der erste,
der es unternahm, antike Dichter zu erklären. Sein Schüler Johann
Müller von Königsberg hielt über Virgil und Terenz Vorträge. In
Prag wandelt Johann von Rabstein, in Mähren der Bischof Pro-
tasius von Czernahora in Piccolominis Bahnen. Der Hof des
Pfalzgrafen Friedrich konnte als ein Musenhof im italienischen Sinne
bezeichnet werden, und so wurden auch an der Hochschule zu Heidel-
berg die Studien der Antike betrieben. Der erste Repräsentant der
neuen Richtung ist Peter Luder, ein Wanderpoet, wie sie der
Humanismus häufig gezeitigt hat, die aber in Deutschland noch in weit
höherem Grade als in Italien den Stempel des Vagantentums an sich
tragen. Nachdem einzelne die Wege geebnet hatten, treten in Deutsch-
land gefeierte Schulen, wie die von Schlettstadt, hervor. Die Italiener
liebten es, im Gefühl ihrer Überlegenheit verächtlich auf die humanistischen
Bestrebungen der Deutschen herabzusehen. Aber gerade in Deutschland
bahnt sich der Humanismus neue Wege. Ihm fehlt hier die Richtung
zur Sinnlichkeit und zum Heidentum, die sich in Italien breit machte.
Von den bedeutenderen Humanisten wenden sich einzelne wie Rudolf
Agricola dem eifrigen Studium der Theologie zu. Huldigen die meisten
auch der auf die Alleinherrschaft des klassischen Latein gerichteten
Tendenz der italienischen Genossen, die so weit geht, dafs selbst Werke
wie Brants Narrenschiff erst dann als vollwertig gelten, wenn sie in
gutem Latein vorliegen, so wird doch stets der Inhalt über die Form
gestellt. Aufserdem kommen der einseitigen Pflege der Altertumskunde
gegenüber die übrigen Wissensgebiete kräftiger zur Geltung. Männer,
wie Nikolaus von Cusa, Georg von Peuerbach, Johannes Müller sind die
Vorgänger der grofsen Astronomen des folgenden Jahrhunderts. Das
Studium der vaterländischen Geschichte wird in methodischer Weise
in Angriff genommen, und gerade die deutsche Erfindung der Buch-
druckerkunst war es, welche die grofsen Entdeckungen der Humanisten
vor neuerlichem Untergang sicherstellte. Sich in den Besitz einer Bibliothek
zu setzen, war nun die Sache eines mäfsigen Aufwandes, nicht mehr die
Arbeit eines ganzen Menschenlebens.1) Literarische Gesellschaften, wie
die Donaugesellschaft in Wien und die Rheinische und
andere Gesellschaften entstehen, in denen Männer wie Konrad Celtis,
Trithemius von Sponheim, Jakob Wimpheling, Konrad Peutinger,
Willibald Pirkheimer u. a. die Führung erhalten. Die Zahl der gelehrten
Schulen, vor allem der Universitäten, ist in stetigem Wachsen, und nicht
zuletzt bricht für die Kunst und ihre Jünger auch in Deutschland eine
') Voigt n, 314.
Der Humanismus in Ungarn und Polen. 643
Glanzperiode an. Den Höhepunkt erreicht diese Entwicklung freilich
erst in den beiden ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts mit den
berühmtesten Vertretern des deutschen Humanismus Johannes Reuchlin,
Desiderius Erasmus und Ulrich von Hütten, die in anderm Zu-
sammenhange geschildert werden mufs.
3. In Ungarn feierte die neue Richtung unter den Corvinen ihre
Triumphe. Schon Johann Hunyady ist ihr Gönner, sein Sekretär, der
spätere Kanzler des Königs Matthias, Johann Vitez von Zredna, der
Begründer der klassischen Studien in Ungarn. Er war es, der den König
zu jenen Unternehmungen anregte, die ihm den Ruf eines Maecenaten
eintrugen. Unter den Jüngern spielt des Kanzlers Neffe, Janus Pannonius,
eine hervorragende Rolle. Beide Männer gaben die Anregung zur
Gründung einer Hochschule in Ungarn. Doch zog die Jugend lieber
an die Stätten des Wissens in Italien. Nach italienischem Muster wurde
in Ofen eine grofse öffentliche Bibliothek — die Corvina — angelegt,
für die eine Menge kostbarer Handschriften gekauft oder kopiert wurden.
In Polen war der Kardinal und Bischof von Krakau, Sbignew
Olesnicky, der erste Gönner der Humanisten. Sein Sekretär ist
Johannes Dlugosch, der erste auch schon vom Geiste des Humanismus
erfüllte Geschichtschreiber Polens. Als Dichter im Sinne der Alten
wirkte Gregor von Sanok, der spätere Erzbischof von Lemberg.
Geringer sind die Einwirkungen des Humanismus auf die Staaten des
Nordens.
2. Abschnitt.
Die Ausbildung moderner Staaten.
1. Kapitel.
Das deutsche Keich im Zeitalter Friedrichs III.
§ 147. Das Kaisertum und die territorialen Gewalten in der Mitte
des 15. Jahrhunderts.
Quellen, s. oben § 120. Das kais. Buch des Markgr. Albrecht Achilles 1440
bis 1470, herausg. v. Höfler 1850; 1470—1486, herausg. v. Minutoli. Berl. 1850. Die
übrige Literatur unten § 148. Zur Soester Fehde s. das Kriegstagebuch des Barthol.
v. d. Lake. Q. z. westf. Gesch. II und Chroniken d. d. St. XXI, s. dazu Hausberg,
Die Soester Fehde. Westd. Z. 1882. Hansen, ebenda 3, Ergänzungsheft, und H a n s e n ,
AVestfalen u. Rheinland im 15. Jahrh. Leipz. 1888.
1. Die konziliaren Kämpfe hatten in Deutschland zu einer Er-
starkung des Landesfürstentums geführt, das nach des Königs Beispiel
seine Sonderinteressen denen der Gesamtheit vorzog und auch in grofsen
politischen Fragen seine eigenen Wege ging. In ihren Territorien
begründen die Landesfürsten ein einheitliches Regiment. Je seltener der
41*
644 Kaisertum und territoriale Gewalten.
König im Reiche erscheint, desto mehr entgleiten ihm die Zügel der
Regierung. Theoretisch ist seine Macht immer noch eine sehr grofse:
Er ist der Schützer der abendländischen Christenheit; den Deutschen
gilt er als der Monarch, dem die andern Untertan sind, er ist oberster
Lehens- und Gerichtsherr. Aber diese Machtansprüche sind nur ideelle.
Das grofse Reich hat kein gemeinsames Heer, keine gemeinsamen
Finanzen, kaum noch einen eigenen Namen, denn schon gilt es als
Beleidigung, den Träger der Krone König von Deutschland, statt König
der Römer zu nennen. Von einer einheitlichen Verwaltung ist keine
Rede; die Kräfte des Königs reichen gerade so weit, als seine Haus-
macht, und nicht einmal in dieser findet der jetzige König eine kräftige
Unterlage für seine Stellung. Das Reich bietet das Bild einer bis ins
kleinste gehenden Zersplitterung. Mafsgebend sind vor allem die Kur-
fürsten; sind sie es doch, die allem christlichen Volk das weltliche
Oberhaupt, den künftigen Kaiser, küren; darum ist ihre Macht eine
gröfsere als die der übrigen Reichsfürsten oder etwa der Grofsen in
anderen Ländern, z. B. in Frankreich. Bei der Schwäche der Zentral-
gewalt hat das Reich die schwersten Verluste zu erleiden : im Westen
nehmen Frankreich und Burgund ein Stück deutschen Landes nach dem
andern an sich, im Norden geht Holstein an Dänemark, im Osten West-
preufsen an Polen verloren, und bald wird sich die ungarische Macht
über Mähren, Schlesien und die Lausitz verbreiten. Mit Sorgen sieht
man der Invasion der Türken entgegen. Im Reiche ist die Macht des
Papsttums trotz aller Einbufsen, die es durch die Konzilien erlitten,
immer noch die überragende; der Papst darf es wagen, Kurfürsten ab-
zusetzen (s. oben); er bezieht, wie Maximilian klagte, in der Form von
Annaten, Pallien und andern Gefällen vom Reiche ein hundertmal
gröfseres Einkommen als der Kaiser und findet bei der Verbindung
geistlicher und weltlicher Fürstentümer fortwährend Anlafs, sich in die
Reichsangelegenheiten zu mischen. So kann es geschehen, dafs ein
Kurfürst, dessen Gewalt der Kaiser nicht anerkennt, sich mit Hilfe des
Papstes behauptet (s. unten), oder dafs dieser etwa die Acht kassiert, die
der königliche Hofrichter über den Rat von Lübeck ausgesprochen. Die
Notwendigkeit von Reformen zur Schaffung einer starken Zentralgewalt,
einer einheitlichen Verwaltung und Rechtspflege und einer neuen Heeres-
verfassung lag auf der Hand. Ob sie erfolgen würde, lag freilich mehr
an den territorialen Gewalten als an dem ohnmächtigen Kaisertum.
— Allerdings ist auch die Macht der Territorialherren durch ihre Land-
stände eingeschränkt, an deren Beirat und Zustimmung sie in allen
wichtigen Fragen, wie denen der Gesetzgebung und Steuerbewilligung,
gebunden sind.1) Im Verein mit seinen Landständen besitzt der Landes-
herr in seinen Territorien eine nahezu unbeschränkte Regierungsgewalt,
x) Wie unbequem die Landstände den Landesherren wurden, entnimmt man den
Worten, die Friedrich III. in sein geheimes Tagebuch eintrug : >Ein jeder Fürst, der
da regieren will, gewaltiglich u. zu seinem Xutz u. Frommen, hüte sich vor Versamm-
lung der Landschaft u Nobilium.< Über die Entwicklung der Landeshoheit s. vorläufig
Schröder, Rechtsg. 579.
Die deutschen Fürstenhäuser. 645
die durch keine starken Verpflichtungen Kaiser und Reich gegenüber
beeinträchtigt wird.
2. Unter den deutschen Fürstenhäusern war das österreichische, das durch den
Anfall der ungarischen und böhmischen Krone eine europäische Grofsmachtstellung
erlangt hatte, bei weitem das erste. Es ist das einzige, von dem man erwartet, dafs
es den Anprall der üsmanen abwehrt. Darum fällt ihm die deutsche Kaiserwürde von
selbst in den Schofs. Im Nordosten hatte Markgraf Friedrich I. von Brandenburg
seine hervorragende Stellung bis zu seinem Tode behauptet. Während er seine Sorge
vornehmlich den fränkischen Landen zuwandte, schuf sein ältester Sohn Fried-
rich II (1440 — 1470) in Brandenburg Ordnung. Die Zwillingsstädte Berlin-Köln, die eine
fast unabhängige Stellung besafsen und sich oft genug gegen die 1. f. Autorität auf-
gelehnt hatten, verloren ihre eigene Gerichtsbarkeit und Selbstverwaltung und wurden,
als sie sich dagegen erhoben — der Berliner Unwillen (1447) — vollends gedemütigt.
Berlin-Köln wurde Residenz des Markgrafen und damit der Grund zur späteren Gröfse
der Stadt gelegt. In gleicher Weise wurden Geistlichkeit und Adel in ihre Schranken
gewiesen. Von Wichtigkeit war es, dafs der Markgraf einzelne Teile der Lausitz erwarb,
noch wichtiger der Erwerb der Neumark (1454), zunächst nur als Pfand, das aber
allmählich in wirklichen Besitz überging. Friedrichs Bruder Albrecht (1471 — 1486)
gewann schon als Fürst von Ansbach unter den Fürsten des Reiches ein hervor-
ragendes Ansehen. Eine glänzende ritterliche Erscheinung, von einer Tapferkeit, die
ihm den Beinamen des deutschen Achilles eintrug, war er ein ebenso tüchtiger Feld-
herr wie kluger Diplomat und tüchtiger Finanzmann, im übrigen gleich seinem Bruder
ein Feind der politischen Freiheiten, wie er denn mit grofsem Verdrufs auf Nürnbergs
steigende Macht blickte. Dem Kaiser war er in unwandelbarer Treue ergeben. Seinen
weiten politischen Blick bekundet sein Hausgesetz vom 24. Februar 1473, nach
welchem die Kurwürde stets ungeteilt dem Erstgeborenen zufallen und auch in den
fränkischen Ländern nie mehr als zwei regierende Fürsten sein sollen : zu Ansbach
und Bayreuth; auch diese Gebiete sollten ungeteilt bleiben und jüngere Glieder des
Hauses durch Geld abgefunden werden. Dem Hohenzollernhause blieben so die
schweren Kämpfe erspart, von denen die meisten deutschen Fürstenhäuser durch die
unaufhörlichen Länderteilungen heimgesucht waren. Das einzige Haus, das ihnen die
führende Stellung im nördlichen Deutschland streitig zu machen vermag, ist das der
Wettiner, seit ihm König Sigmund nach dem Aussterben des wittenbergischen
Zweiges der Askanier deren Land mit der Kurwürde übergab (1423). Die Macht der
Wettiner reichte südlich bis ans Erzgebirge und den Thüringer Wald, westwärts an
die Werra und Leine, im Norden an den Harz und östlich von der Elbe an die lausitzi-
schen Nebenländer der böhmischen Krone und an die Mark Brandenburg. Dies grofse
Gebiet schlofs die mächtigen Reichsstädte Mülhausen und Nordhausen, das kur-
mainzische Eichsfeld mit Erfurt ein, Gebiete der Bischöfe von Naumburg, Meifsen und
Merseburg und die zahlreicher Grafen und Herren. Standen die Reichsstädte, so auch
Erfurt, in einem Schutzverhältnis zu den Wettinern, so besafsen diese auch die Vogtei
über die drei Stifter und führten mit den Grafen und Herren, von denen einzelne vom
Reiche, andere von ihnen selbst, von Magdeburg und Braunschweig zu Lehen gingen,
einen erbitterten Kampf um die Landeshoheit.1) Weniger einig als die Hohenzollern
stritten Friedrich IL (1428 — 1464) und Wilhelm HI. um die Hinterlassenschaft ihres Vetters,
des Landgrafen Friedrich des Friedfertigen von Thüringen, bis sie sich im Naumburger
Vertrage verglichen (1451). Der Gegensatz zwischen Hohenzollern und Wettinern tritt
schon jetzt deutlich hervor: Übernimmt Albrecht Achilles die Verteidigung des Kaisers,
so steht der Wettiner an der Spitze der reichsständischen Opposition. Von allen kur-
fürstlichen Ländern hatte die Pfalz unter den Folgen der noch von König Ruprecht
unter seine vier Söhne vorgenommenen Landesteilung am meisten zu leiden. Die Kur-
würde war an seinen Sohn Ludwig IH. (1410 — 1436), dann an seinen Enkel
Ludwig IV. (1436 — 1449) gekommen. Dessen Bruder Friedrich I. der Siegreiche (1449 — 1476),
der nicht Regent und Vormund für seinen Neffen Philipp bleiben wollte, sondern die
x) Brandenburg, Moritz v. Sachsen I, 2.
646 ^Veltl. u. geistl. Fürsten. D. Herrenstand. Reichsritterschaft u. Reichsstädte.
Regierung in seinem eigenen Namen führte, wobei ihm die Anerkennung des Papstes
über die vom Kaiser bereiteten Schwierigkeiten hinweghalf, ein tüchtiger Feldherr
und Staatsmann und eifriger Mehrer des kurfürstlichen Besitzes, blieb die ganze Zeit
Gegner des Kaisers Noch gröfser war die Zersplitterung des Besitzes in der bayrischen
Linie des Hauses Witteisbach, in welcher die Landesteilung von 1392 zu der be-
stehenden Holland-Straubinger Linie, die von Bayem-Ingolstadt, -Landshut und -München
hinzugefügt hatte. Nach dem Erlöschen der Straubinger Linie wurde deren Besitz (1429)
unter die übrigen geteilt. Bedeutungsvoll wurde der Erwerb des Ingolstädter Landes
durch Bayern-Landshut (1447), um so mehr, als es auch den Herzogen von Bayern-
München gelang, die Einheit aufrecht zu erhalten. Erst am Ausgang dieser ganzen
Periode erfolgte mit dem Aussterben der Linie Bayern-Landshut die Vereinigung aller
bayrischen Lande (1504). Wie in den anderen deutschen Territorien vollzieht sich auch
in Bayern im 15. Jahrhundert der schon früher begonnene Übergang vom Lehens-
zum modernen Beamtenstaat.1) In Württemberg verschmolz die Menge der getrennten
Besitztümer allmählich zu einer einzigen Landschaft. Hessen gelangte durch den Anfall
von Ziegenhain, Nidda und Katzenellnbogen zu einem Zuwachs, der seinen bisherigen
Besitzstand verdoppelte. Der allgemeinen Tendenz der Teilung des landesfürstlichen
Besitzes folgte schliefslich auch das welnsche Haus in Braunschweig -Lüneburg, nach-
dem schon die Söhne Herzog Ottos des Kindes, Albrecht und Johann, den Gesamt-
besitz derart geteilt hatten (1267), dafs jener Wolfenbüttel, Göttingen und dieser Lüne-
burg, Celle und Hannover erhielt und Braunschweig gemeinsam blieb. So entstanden
die altbraunschweigische und altlüneburgische Linie, die in der Folge sich noch weiter
verzweigten. Ähnlich war der Verlauf der Dinge in den übrigen Fürstentümern. Noch
ist auch der Prozefs der Neubildung von Fürstentümern nicht abgeschlossen : noch
bilden sich neue Territorialgewalten aus, wie das Haus Cirksena in Ostfriesland. Von
Bedeutung ist es, dafs Mitglieder deutscher Fürstenfamilien, wie Christian I. von Olden-
burg, auf auswärtige Throne berufen werden, was zur Festigung des Ansehens der
Landesfürsten wesentlich beitrug.
3. Höher an Rang und Zahl als die weltlichen, stehen die geist-
lichen Fürstentümer. Schon gilt es als Herkommen, Bistümer an Mit-
glieder fürstlicher Häuser, obere Stellen im Bistum an Herren des hohen
und niederen Adels zu verleihen. Der Herrenstand wird, soweit er nicht
selbst zum Fürstenstand gehört, durch das gewaltsame Umsichgreifen
der Landesfürsten in seiner Existenz bedroht. Mehr noch die Reichs-
ritterschaft und die Reichsstädte. Die letzteren gerieten bei der Tendenz
der Fürsten, ihren Besitz abzurunden und zu einem organischen Ganzen
zu gestalten, in mannigfache Konflikte mit ihnen. Verlangen die Städte
als ein ihnen zukommendes Recht die volle Reichsstandschaft, d. h. Sitz
und Stimme auf den Reichstagen und werden diese Ansprüche unbeachtet
gelassen, hängt ihre Berufung zu den Reichstagen, ihre Zuziehung zu
den Beratungen und zur Abstimmung sowie ihre Beteiligung an den
Ausschüssen von der Willkür des Königs und der ihn beeinflussenden
Fürsten ab2), so ziehen sie sich, ohne sich um den Zusammenhang mit
dem Ganzen zu kümmern, auf die Wahrung ihrer Sonderinteressen
zurück und bereiten die grofse wirtschaftliche Blüte vor, die sie am
Ausgang des Mittelalters besitzen. Der während der Hussitennot nieder-
gehaltene Gegensatz zwischen ihnen und den Fürsten brach nun allerorten
wieder hervor, und die Kämpfe wurden noch durch die Eifersucht der
einzelnen Fürstengewalten aufeinander verschärft.
x) Riezler III, 629.
2) Keussen, S. 35.
Fehden im deutschen Reich um 1450. (347
Der Fehde zwischen Herzog Otto von Lüneburg mit der Stadt Hannover über
den Schiffahrtsverkehr an der Aller und Leine (1440) folgten die Kämpfe zwischen
dem Bischof von Osnabrück und seinem Domkapitel und zwischen den sächsischen
AYettinern und den Hohenzollern um das Bistum Würzburg. Da zugleich im Südwesten
und Osten des Reiches heftige Fehden geführt wurden, herrschten im Reiche chaotische
Zustände. Ein allgemeineres Interesse nahm der Kampf der Hansestadt Soest um die
Erhaltung ihrer Privilegien und im Anschlüsse daran der Versuch der Stadt, sich der
Hoheit von Köln zu entziehen, in Anspruch ; Soest leistete dem Herzog von Cleve,
der ihm Erhaltung seiner Privilegien zusicherte, die Huldigung. Da der Erzbischof zu
Felix V. hielt, fand Cleve die Unterstützung Eugens IV. und erhielt von diesem
solche Vorrechte, dafs bald der Satz galt: der Herzog von Cleve ist Papst in seinen
Landen. AVährend des Kampfes trat Philipp von Burgund auf Cleves Seite und sicherte
sich den Besitz von Luxemburg. In Bayern-Ingolstadt kämpfte seit 1489 Ludwig der
Ältere mit seinem gleichnamigen Sohn, weil dieser sich gegen des Vaters AVillen mit
Margare ta, der Tochter Friedrichs I. von Brandenburg, vermählt hatte, wogegen jener
seinen natürlichen Sohn Wieland mit Gütern und Schätzen ausstattete. Der alte
Herzog geriet (1443) in Gefangenschaft. Nach seinem Tode (1447) fiel das Ingolstädter
Erbe an Bayern - Landshut (s oben). Da auch Schwaben und Franken von wilden
Fehden der Raubritter heimgesucht waren, wurde 1440 ein Landfriedensbund geschlossen,
der nach sechs Jahren schon 31 Städte umfafste. Der unter Nürnbergs Führung
stehenden Macht der fränkischen Städte stellte sich Albrecht Achilles entgegen, dessen
Sinn auf den Erwerb der angrenzenden reichsstädtischen Gebiete gerichtet war. Ihm
schlössen sich Kurmainz, Würzburg und andere Fürsten an. 1449 kam es aus un-
bedeutendem Anlafs zum Kampfe wider Nürnberg, der sich bis 1453 hinauszog, während
Kurmainz gegen Hall, Württemberg gegen Efslingen und Albrecht VI. von Österreich
gegen Rottweil, Schaffhausen und andere Städte kämpfte. Von allgemeinerer Bedeu-
tung waren aber doch nur die Kämpfe im Osten.
§ 148. Die Kaiserkrönung Friedrichs III. Seine Beziehungen zu
Böhmen, Ungarn und Österreich.
Quellen wie §120. Dazu für die österr. Verhältnisse : AVolfgangus de Styra,
Itinerarium 1414 — 1463, 1484. Pez II, 446 — 456. Vitus Arnpeck, Chron. Austriae bis
1488, ib. I, 1165—1295. — Chronic. Baioariae bis 1495. Pez, Thes. an. III, 2, 19—472.
Anonymi Viennensis breve chron. Austr. bis 1443. Pez II, 547 — 550. Copey-Buch
gemainer stat Wienn 1454 — 1464. FF. r. Austr. 2, Vn. Anonymi Mellicensis breve
chron. Austriae 1438—1464. Pez H, 461—6. Cont. Mellicens. bis 1564. MM. Germ.
SS. IX, 501 — 535. Chronic. Austriae breve anon. Tegernseensis 1359 — 1496. Pez II,
469 f. Behaim Michel, Buch v. d. Wienern, ed. Karajan. Wien 1843. 2 A. 1867.
Zehn Gedichte z. Gesch. Österr. u. Ungerns in Q. u. F. zur vaterl. Gesch. AVien 1849.
Anon. Chron. Austriae. 1454 — 1467, ed. Rauch. AVien 1794. Chron. Alberti ducis
Austriae 1273—1519. Pez II, 370—383. Kleine Chron. v. Öster. 1368-1458. AÖG. IX,
355—368. Paltramus, Anonymi cont. 1310—1455. Pez I, 707 ff. MM. G. SS. IX, 699.
Cont, Claustron. V, 1307—1455, ib. 735—742. Addit. ad chron. Zwetlense 1349—1457.
Pez I, 542 — 6. Chronica d. L. Österr. Appendix, ib. 1159 — 1166. Excerpta hist. ex
diario Friderici HL Chmel, Gesch. Fried. III. I, 576—593. Kai. Zwetlense. MM G.
SS. IX, 689—698. Chronica der edlen Grafen v. Cilli 1359—1458, ed. Krones »Die
Freien von Saneck«. Graz 1881. Chron. Salisb. 1403—1494. Duellius, Miscell. H, 129
bis 168. Chronicon Stamsensis monast. 1273—1496. Pez II, 457—60. Tichtel, Tage-
buch 1477 — 1495. FF. rer. Aust. I, 3 — 60. Langmann de Valkenstein, Historia despons.,
bened. et coronationis. Fr. 1451, Pez II, 572 — 606. Manetti, Oratio gratulat., Freher-
Struve IH, 9. Thaddaei Quirini, Orat. grat., ib. II, 42. Allgemeines : Andreas Ratisb.,
Chron. pont. et imp reicht nur bis 1438. Chron. Elwangense. Freher I, 673 ff.
Matth. Doering, Cont. Engelhus. bis 1464. Menken III. Steinhöwel, Chronik bis 1473.
Frankf. 1531. Anonym. Rotensis, Chron. bis 1485, bei Pez I, 467. Städtechroniken
w. oben. Bez. zu Böhmen : Palacky : TJrk.-Beitr zur Gesch. Böhmens u. seiner Nach-
barländer im Zeitalter Georgs v. Podiebrad. FF. rer. Austr. 2. XX. Bachmann, Urkk. u.
Aktenstücke z. österr. Gesch. im Zeitalter K. Friedrichs III. u. K. Georgs v. Böhmen.
648 Friedrich III.
FF. r. Aust. 2. XLH, XLIV u. XLVI. Wien 1879—1892. Markgraf, Pol. Korresp. Breslaus
im Zeitalter Georgs v. P. SS. rer. Sil. VIH, IX. Einzelnes auch Bd. XIII, XIV sowie
im Archiv cesky. Gregr, Xejedli prameny k synodäm strany Prazske a Taborske
1-441—44. Prag 1900. Darstellende Quellen: Johannes Rabensteinensis, Dialogus, ed.
Bachmann AÖG. LIV. (Dazu Bachmann im 5. Jahresber. d. RealG. in Prag 1877.) Peter
Eschenloer, Hist. Vratislav. SS. rer. Sil. VII Deutsche Bearb. v. Kunisch 1827. Jahrb.
des Zittauer Ratschreibers Johann v. Guben. SS. rer. Lus. I. Loserth, Die Denk-
schrift des Breslauer Domherrn Nikolaus Tempelfeld v. Brieg über die Wahl Georgs
v. Podiebr. AÖG. LXI. Wien 1880. Cochläus, Hist. Hussitarum s. oben. De Georgio
Boh. rege, Höfler, Gesch. d. husit. Bew. III, 211 — 225. Stari letipisove, ed. Pal. SS. rer.
Boh. III. Annales Glogov. SS. rer. Sil. X. Dlugosch, Hist. Pol. w. oben. Zu Ungarn :
Urkk. und Korresp. bei Teleki X, Fejer X, Theiner, MM. eccl. Hung. H. Matthias
Corvinus, Epistolae, ed. Fraknöi. Budap. 1893—95, 1. Bd. 1458—1479, 2. Bd. 1480—1490.
Akt. u. Korr. zur Gesch. d. K. Matthias v. 1458—1490 in MM. Hung. hist., 4. Abt.
Dipl. Denkm., herausg. d. d. ung. Akad. von Nagy u. Xyari. 3 Bde. Daselbst die Be-
richte Christoph Bollas d. mail. Gesandten am Grazer Hofe u. spez. über die Baum-
kircher Fehde. S. auch Joachimsohn-Krones in den Beitr. z. K. steierm. GQ. XXXH.
Urkk. zur Gesch. des Triestiner Krieges in Kandier, Cod. diplom. Istriano. Triest 1864.
Darstellende Werke : Thurocz, w. oben. Bonfinius, Rerum Hungaricarum decades etc.,
ed. Bei. Lips. 1771. Ranzanus, Epit. rer. Hung., ed. Schwandtner w. oben.
Hilf s Schriften. Aufser den allg. Werken zur österr., böhm., ung. Geschichte
von Chmel, Lichnowsky, Krones, Huber, Kurz, Palacky, Katona, Szalay, Horwath,
Fefsler-Klein, Engel, Csuday : Zeifsberg, Der österr. Erbfolgekrieg nach dem Tode
des Königs Ladisl. Posth AÖG. LVHL Bachmann, Ein Jahr böhm. Gesch., ib. LIV.
— Böhmen u. seine Nachbarländer unter Georg v. Podiebrad. Prag 1878. — Neues
über die Wahl K. Georgs v. Böhmen. MVGDB. XXXIII, 1—16. Jordan, Das
Königtum Georgs v. Podiebrad. Leipzig 1861. Voigt, Georg der Hussitenkönig.
HZ. V. Bachmann, G. v. P. ADB. 1879. Voigt, Enea Silvio wie oben. Martens,
D. letzte Kaiserkrönung in Rom. Leipz. 1900. Markgraf, Über d. Verhältnis d. K. G.
v. Böhmen zu P. Pius IL Breslau 1867. S. auch Forschungen IX, 217. Markgraf,
Die Bildung der kath. Liga gegen K. G. HZ. XXXIII. Pazout, K. Georg v. Böhmen
und die Konzilsfrage 1467. AÖG. XL. Grünhagen, Gesch. Schlesiens I. Riezler,
G. Bayerns IH. Joachim. söhn, Gregor v. Heimb. wie oben. F r i n d , Kirchengesch.
v. Böhmen IV. Ermisch, Stud. zu d. sächs.-böhm. Beziehungen. Dresd. 1881.
Richter, G. v. Ps. Bestrebungen zur Erlangung d. d. Kaiserkrone. Wien und
Leipzig 1863. Menzel, Diether v. Isenburg, Erlangen 1868. Schädel, Z. Kampf
Adolfs v. Nassau mit Diether v. I. Z. Niederrhein. Gesch. Mainz HI. Kluckhohn,
Ludw. d. Reiche. Nördlingen 1868. Feeser, Friedrich d. Siegreiche, Kurf. v. d.
Pfalz 1449—1476. Progr. Neuburg a.d.D. 1880. Bachmann, Die ersten Versuche
einer röm. Königswahl unter Friedrich III. Forsch. XVII, 275. Für Matth. Corvinus und
die Baumkircher Fehde s. jetzt Krones: Beitr. z. Gesch. der Baumkircher Fehde 1469
bis 1472 u. ihre Nachwehen. AÖG. LXXXIX u. d. 2. Exkurs seiner Beitr. zur Gesch.
der Steierm. 1462—1471 in MHV. Steierm. XI (in beiden sind Urkk. u. weitere Lit,
angaben). Benussi, Nel Medio Evo, pagine di storia Istriana. Parenzo 1897.
Kandier, Storia del consiglio dei patrizi di Trieste 1858. Hoffmann, Kaiser
Friedrichs HI. Beziehungen zu Ungarn 1458 — 64. Diss. Bresl. 1887. — Friedrichs HI.
Beziehungen zu L^ngarn 1464—1470 u. 1470—1474. Progr. Glogau 1899—1901. Karge,
Friedrichs IH. u. Maximilians I. ungarische Politik u. ihre Beziehungen zu Moskau.
DZG. LX, 259—287. Wendt, Die Stände des Fürstent. Breslau im Kampf mit
K. Matthias. ZVG. Schles. XXXII, 157. — Schlesien im Kampf d. K. Matthias mit
Friedrich HI. 1482. Ebenda XXXI. Priebatsch,D. Glog. Erbfolgestreit. Ebenda XXXIH.
Fraknöi, Matthias Corvinus, K. v. Ungarn, 1458—1490. Freib. i. B. 1891. Mayer_,
Die Abdankung d. Erzb. Bernhard v. Salzburg und der Ausbruch des dritten Krieges
zwischen Friedlich u. K. Matthias 1477— 1481. AÖG. LIV. Segesser, D.Beziehungen
der Schweizer zu Matthias Corv. Schober, Die Eroberung Niederösterreichs durch
Matth. C. 1482—1490. Wien 1879. Sonstige Lit.-Angaben bei Krones, Handbuch II, 454.
Csanki, Ung. hist. Geographie im Zeitalter der Hunyady. Budap. 1894.
Friedrich III. und seine Beziehungen zu Ungarn und Böhmen. 549
1. Die Versuche Friedrichs III., die landesfürstliche Gewalt in
Österreich auf festere Grundlagen zu stellen (s. § 120), verwickelten ihn
in Streitigkeiten mit seinem Bruder Albrecht VI., seinem Vetter Sig-
mund von Tirol und den von seinen Mafsnahmen betroffenen Land-
schaften. Als Vormund Ladislaus' Posthumus kam er in Kämpfe mit
den ständischen Gewalten von Ungarn, Böhmen und Osterreich. Die
Ungarn, die nach der Schlacht bei Varna Ladislaus' Rechte anerkannt
hatten (1445), forderten dessen Auslieferung, die von ihm verweigert
wurde. Da er zudem die Wahl seines Mündels, als dessen Erbrecht
widerstreitend, für überflüssig erklärte, sohien es in Ungarn zu einer
Neuwahl zu kommen. Dem widerstrebte die Eifersucht der Grofsen, und
so wurde Ladislaus zwar als König anerkannt (1446), für die Zeit seiner
Abwesenheit aber Johann Hunyady als Reichsverweser eingesetzt. Ein
Versuch der Ungarn, den König in ihre Gewalt zu bekommen, führte
zu einem Streite mit Friedrich und endete (1447) mit einem zweijährigen
Waffenstillstand. Mehr lag Hunyady die türkische Frage am Herzen,
aber sein Feldzug gegen die Türken endete mit seiner Niederlage auf
dem Amselfeld. 1451 kam es zu einem dreijährigen Waffenstill-
stand (s. oben § 137). In der Zwischenzeit hatte der Reichsverweser
schwere Kämpfe mit den Magnaten und mit Giskra von Brandeis, dem
Führer hussitischer Söldner, zu bestehen, der sich »als oberster Feld-
hauptmann des Königs Ladislaus« in Oberungarn behauptete. Unter
solchen Umständen wurde zwischen Hunyady und Friedrich III. der
Prefsburger Vertrag (1450, 22. Oktober) geschlossen, der dem König die
Vormundschaft über Ladislaus, dem Reichsverweser den Besitz seiner
Stellung sicherte. Ahnlich war der Verlauf der Dinge in Böhmen ; auch
Podiebrad bemühte sich, Ladislaus in seine Gewalt zu bekommen, be-
gnügte sich aber schliefslich damit, dafs ihm Friedrich die Verwaltung
Böhmens übertrug. Am 27. April 1452 wählten die böhmischen Stände
Georg zum Reichsverweser. Hatte sich Friedrich mit den Gubernatoren
von Ungarn und Böhmen verständigt, so kam es in Österreich zu tief-
gehenden Bewegungen.
Hier hatten die Kosten der Grofsmachtstellung Albrechts II und seine Kriege
die Finanzen erschöpft : der 1. f. Besitz war verpfändet, viele Söldnerführer nicht
gezahlt worden, und doch mufsten zur Behauptung Ungarns und Böhmens neue Mittel
aufgebracht werden. Die Söldnerführer griffen zur Selbsthilfe und plünderten Städte
und Dörfer. Für alle diese Mifsstände wurde Friedrich IQ., dessen bedächtiges Wesen
und seine Vorliebe für steirische Günstlinge und die steirische Hauptstadt ihm wenig
Freunde schufen, verantwortlich gemacht. Schliefslich begehrten auch die niederöster-
reichischen Stände (1447), dafs ihnen Ladislaus ausgeliefert würde. Ulrich Eizinger
von Eizing, ein Adeliger bayrischer Herkunft, der unter König Albrecht zur Stellung
eines Hubmeisters (Finanzministers) gelangt war, eben so kühn als verschlagen und
beredt, hoffte in Österreich eine Stellung zu erreichen wie die Gubernatoren in Ungarn
und Böhmen. Anlafs zu seinen Umtrieben bot ihm Friedrichs Absicht, demnächst
seine Brautfahrt und im Zusammenhang damit seinen Römerzug anzutreten, auf dem
ihn Ladislaus begleiten sollte. Gerüchte kamen in Umlauf, dafs der König sein Mündel
dem Verderben durch das ungewohnte Klima Italiens aussetzen wolle. Im Oktober 1451
schlofs Eizinger mit einer grofsen Anzahl Adeliger einen Bund : Ladislaus sollte nach
Österreich gebracht und ein Regentschaftsrat eingesetzt werden. Als Friedrich sich
650 Wirren in Österreich. Die Romfahrt Friedrichs III. Ladislaus Fosthurnus.
weigerte, den ständischen Forderungen nachzugeben, wurde ihm der Gehorsam auf-
gekündigt und ein Regentschaftsrat eingesetzt, an dessen Spitze Eizinger stand.
Trotz seiner unsicheren Lage trat Friedrich seine Romfahrt an
(1451, 21. Dezember) und liefs sich darin auch trotz der Absagebriefe
des österreichischen Adels nicht beirren. Über Treviso, Padua, Ferrara
und Bologna kam er nach Florenz (1452, 30. Januar). In Siena traf er
mit seiner Braut, der Infantin Eleonore, Schwester Alfonsos V. von
Portugal zusammen, am 9. März fand der Einzug in Rom statt, am
16. wurde er zum lombardischen König gekrönt, an demselben Tage
segnete Nikolaus V. seine Ehe ein1), und drei Tage später wurde die
Kaiserkrönung vollzogen. Dann ging die Fahrt nach Neapel an den
Hof des Oheims Eleonorens. Hier riefen ihn Nachrichten über die
Fortschritte seiner Gegner in die Heimat zurück. Diese hatten sogar
den allerdings erfolglosen Versuch gemacht, den Papst auf ihre Seite
zu ziehen. Als Friedrich in W. Neustadt erschien (20. Juni), hätte er
sie leicht zu Paaren treiben können , beschränkte sich aber auf
Abmahnungsschreiben; um so eifriger waren seine Widersacher.
Vom Heerbann der vereinigten österreichischen , böhmischen und
ungarischen Stände in Neustadt belagert, lieferte er Ladislaus bis zum
Spruche des zu diesem Zwecke eingesetzten Schiedsgericht an den
Grafen Ulrich von Cilli aus. Ladislaus wurde nun tatsächlich als grofs-
j ährig angesehen.
2. Bei der grofsen Jugend des Königs bot es die gröfsten Schwierig-
keiten, seine Autorität in seinen Ländern zur Geltung zu bringen. In
Ungarn behielt schlief slich Hunyady die Verwaltung, und in Böhmen
ward Podiebrad auf weitere sechs Jahre als Gubernator anerkannt (1453,
2. Mai). In Ost erreich kam des Königs Oheim, Ulrich von Cilli, mit dem
in seinen Hoffnungen getäuschten Eizinger in Konflikt. Am Kor-
neuburger Landtag (1453, September) forderten die Stände Ulrichs Ent-
lassung, die mit Eizinger verbündeten Wiener trieben ihn aus der Stadt,
und die Regierungsgewalt kam an einen ständischen Ausschufs. Auch
in Böhmen war Ladislaus' Einflufs kein gröfserer. Zwar wurde er, nach-
dem er das Versprechen geleistet, die Kompaktaten anzuerkennen und
Rokytzanas Wahl zum Erzbischof zu befürworten, zum König gekrönt
(1453, 28. Oktober), das Regiment führte aber Podiebrad in einer Weise
weiter, die ihm auch die Anerkennung vieler Gegner gewann. Schwierig war
die Lage der Dinge in Ungarn, und in Ost erreich entlud sich bald der ganze
Hafs des Adels auf Eizingers Haupt. Ulrich von Cilli wurde, kaum
dafs Ladislaus nach Wien zurückgekehrt (1455, Februar) war, in seine
alte Stellung wieder eingesetzt. Mit ihm traten Hunyadys Feinde, Ladis-
laus Gara und Niklas Ujlaky, in Verbindung. Es ist kein Zweifel, dafs
er auch in Ungarn die oberste Regierungsgewalt anstrebte. Angesichts
der drohenden Türkengefahr einigten sich aber die Gegner. Hunyadys
Sieg bei Belgrad (s. oben) war die letzte WarTentat des Helden. Er
1 Hierüber s. v. Krones, Leonor v. Portugal, Gemahlin Friedrichs III. ,1436 — 1467).
MHYSteierm. XLIX.
Ermord. Ulrichs v. Cilli. Hinricht. Ladisl. Hunj^adys. I). Ende Lad. Posthumus'. (}51
erlag am 11. August 1456 der Pest. Mittlerweile waren noch zahlreiche
Kreuzfahrer nach Ungarn gezogen, und auch der König machte sich
dahin auf. Auf dem Tage von Futak ernannte er -Ulrich zum »obersten
Hauptmann«. Hunyadys älterer Sohn Ladislaus mochte fürchten, ganz
in den Hintergrund gedrängt zu werden; das war wohl der Grund,
weshalb der Cillier, als er in des Königs Begleitung nach Belgrad zog,
von Hunyadys Anhänger erschlagen wurde (9. November). Da sich der
König selbst in ihrer Gewalt befand, mufste er das Geschehene gut-
heifsen. Nun wurde die Kreuzfahrt aufgegeben. Es gewann den An-
schein, als würde der ältere Hunyady in die Stellung seines Vaters ein-
rücken. Der König ernannte ihn unter dem Zwange der Verhältnisse
nicht blofs zum Generalkapitän, sondern erklärte auch, die Ermordung
des Cilliers, seines Verwandten, nicht rächen zu wollen. Willig folgten
Ladislaus und Matthias Hunyady dem König nach Ofen. Aber schon
war dieser entschlossen, sich aus seiner Abhängigkeit zu befreien und
die Gegner Hunyadys boten hiezu die Hand. Mit ihrer Hilfe wurden
die beiden Hunyady und andere Teilnehmer an Ulrichs Ermordung ge-
fangen gesetzt und Ladislaus Hunyady unter dem Vorwand einer Ver-
schwörung gegen den König enthauptet (1457, 16. März). Der König
fühlte sich glücklich, dafs es niemanden mehr gebe, der ihn beherrsche.
Aber die Hinrichtung Hunyadys, dessen Vater in ganz Ungarn als
Nationalheld gefeiert wurde, erregte eine Gärung im Lande. Der König
verliefs es, um es nicht wieder zu betreten. Doch führte er Matthias
Hunyady mit sich nach Wien. Seine Lage verschlimmerte sich übrigens
durch den Cillier Erbstreit, in den er mit Friedrich III. geriet. Nichts-
destoweniger suchte er sich auf den Rat Konrad Hölzlers, des früheren
Bürgermeisters von Wien und nunmehrigen Hubmeisters von Österreich,
auch von der Abhängigkeit von Eizinger und Georg von Podiebrad zu
befreien. Beide vereinigten sich jedoch zu gemeinsamem Vorgehen
gegen Hölzler : vor den König geladen, weigerten sie sich, Wien zu
betreten, und Georg von Podiebrad, der mit bewaffneter Macht erschienen
war, setzte es im Bunde mit Eizinger durch, dafs des Königs Hochzeit
mit Magdalena, der Tochter Karls VII. von Frankreich, nicht in Wien, wo
Hölzler allen Einflufs besafs, sondern in Prag gefeiert werde ; hier befand
sich der König in den Händen Podiebrads. Als Hölzler die für die Aus-
rüstung einer glänzenden Gesandtschaft nach Frankreich erforderlichen
Summen nicht aufzubringen vermochte, wurde er in Prag gefangen ge-
setzt. Podiebrads Einflufs war jetzt grofser als früher und der König
gezwungen, einen Vergleich mit Friedrich III. über die Cillier Erbschaft
einzugehen; Eizinger gewann seinen alten Einflufs in Österreich wieder.
Inzwischen war die Gesandtschaft nach Frankreich abgegangen und alle
Vorbereitungen zur Hochzeit des Königs getroffen. Da erkrankte dieser
am 20. November 1457, wie es scheint, am Beulentyphus, der durch
Kreuzfahrer, die an dem letzten Türkenkrieg teilgenommen hatten, nach
andern Ländern verbreitet worden war. Drei Tage später verschied
er, noch nicht achtzehn Jahre alt. Böse Gerüchte, von nationalen und
kirchlichen Gegnern des böhmischen Gubernators weiter verbreitet, be-
652 Auflösung der österr. -böhmisch-ungarischen- Union.
schuldigten diesen des Mordes und fanden in allen Nachbarländern,
namentlich in Schlesien, Verbreitung.1)
§ 149. Die Auflösung der Union zwischen Österreich, Böhmen und
Ungarn und der Plan einer neuen Königswahl in Deutschland.
1. Mit Ladislaus Posthumus war der Mannsstamm der Albertinischen
Linie des Hauses Habsburg erloschen; die Rechtsfrage über die Nach-
folge lag in den von ihm beherrschten Ländern verschieden. Sicher
war die Nachfolge der Leopoldinischen Linie nur in Österreich. Aber
selbst hier stritt man, ob alle Mitglieder oder nur das Haupt des Hauses
zur Nachfolge berufen sei, bis ein Vertrag dem König Friedrich III.
Nieder-, seinem Bruder Albrecht Oberösterreich, und Sigmund von Tirol
ein Drittel der Einkünfte beider Länder zuwies (1458, 27. Juni). Die
Sucht zu teilen ging so weit, dafs selbst die Hofburg in drei Teile ge-
teilt wurde. Während dieses Streites verlor Habsburg Böhmen und
Ungarn, deren Erwerb so grofse Opfer gekostet hatte; auch in der böh-
mischen Frage waren die Habsburger nicht einig : Der Kaiser erklärte
Böhmen als heimgefallenes Reichslehen, Albrecht VI. und Sigmund
stützten sich dagegen auf die habsburg-luxem burgische Erb Verbrüderung
von 1364. Aber noch war der luxemburgische Stamm nicht ganz er-
loschen. Die ältere Schwester Ladislaus' war an Wilhelm, den Bruder
des Kurfürsten von Sachsen, die jüngere an König Kasimir von Polen
vermählt. Beide machten ihre Ansprüche geltend. Das Erbrecht hatte
jedoch während der Hussitenkriege seine Kraft eingebüfst, und Ladislaus
war nur als Wahlkönig anerkannt worden. Auch jetzt herrschte die
Tendenz, das Wahlrecht zur Geltung zu bringen; auf dessen Grund be-
warben sich Karl, der jüngere Sohn Karls VII. von Frankreich, die
Brandenburger Friedrich und sein Bruder Albrecht und Ludwig von
Bayern-Landshut um die erledigte Krone. Alle überragte Georg von
Podiebrad, der als Gubernator die Mittel besafs, seine Wahl durchzu-
setzen, und für den die utraquistische Partei unter Rokytzanas Führung,
sowie der kleine meist utraquistische Adel eintrat. Selbst in den katholi-
schen Städten Böhmens hatte er Anhänger. Dagegen wollten die Ka-
tholiken in den Nebenländern von der Wahl eines »Ketzers« nichts
wissen, ja selbst in Böhmen war die Opposition gegen Georg nicht un-
bedeutend. Am Landtag, der am 22. Februar 1458 in Prag zusammen-
trat, sollten nur Mafsregeln zur Sicherheit des Landes getroffen werden.
Gleichwohl erfolgte unter dem Drucke der von der utraquistischen
Priesterschaft aufgereizten Massen, die einen »Tschechen und niemand
andern« zum König begehrten, am 2. März die Wahl Georgs. Die
katholische Partei hatte die Zusicherung völliger Gleichberechtigung er-
halten; Geld und reiche Versprechungen hatten nachgeholfen. Die
Krönung wurde in Ermanglung eines katholischen Bischofs in Böhmen
x) Von Wichtigkeit hierüber ist auch heute noch Palackys Abhandlung : Zeugen-
verhör über den Tod König Ladislaus' von Ungarn und Böhmen im Jahre 1457. Abh.
d. böhm. Gesch. d. W. 5. F. 9. Bd. Dazu Bachmann in den FF. rer. Austr. 2 42, 204.
Der Hussitenkönig Georg. Matthias Corvinus, König v. Ungarn. 653
durch die ungarischen Bischöfe von Waitzen und Raab vorgenommen
(7. Mai). Mit der Krönung war aber die Preisgebung der Kompaktaten
verbunden, denn Georg hatte zuvor die Ketzerei abschwören und vor
Zeugen geloben müssen, der römischen Kirche Gehorsam zu erweisen
und sein Volk zur Einheit der Kirche zurückzuführen. Jetzt erst wurde
er in den Nebenländern, wo zwar die Idee der Legitimität tiefere Wurzeln
hatte, aber kein gemeinsamer Gegenkandidat vorhanden war, anerkannt;
vor allem in Mähren, wo nur das von Osterreich unterstützte Iglau
längeren Widerstand leistete. Ein Abkommen mit Friedrich III. (1458,
2. Oktober) stellte ihm die Belehnung mit Böhmen und der Kurfürsten-
würde in Aussicht. Die Ansprüche Sachsens wurden auf dem Tage
von Eger (1459, 25. April) aus dem Wege geräumt. Nun erhielt Georg
auch in Schlesien und der Lausitz die Anerkennung.
2. Auch auf die Nachfolge in Ungarn erhoben die Schwäger des letzten
Königs Ansprüche, und auch Friedrich III. fand hier in jenen Kreisen
Anhänger, die seit Jahren das Haus Hunyady bekämpft hatten, aber sie
waren unter sich weder einig noch der Partei Hunyadys gewachsen.
Diese kämpfte für die Erhebung Matthias', der als Gefangener in Prag
weilte. Arn tätigsten war sein Oheim Michael Szilägyi, der eine Ver-
söhnung mit dem Palatin Ladislaus Gara zuwege brachte. Matthias
sollte dessen Tochter heiraten. Aber schon am Tag nach dem Tode
Ladislaus' Posthumus hatte Podiebrad den Corvinen, um ihn an sein
Haus zu fesseln, der Haft entlassen und kurz nachher mit seiner Tochter
Katharina verlobt. Matthias gelobte, an Georg 60000 Goldgulden zu
zahlen , wogegen dieser für seine Wahl einzutreten versprach. Zwar
schlofs sich nun Gara den Gegnern des Hauses Hunyady an; da
Matthias aber die Versicherung gab, weder die Hinrichtung seines
Bruders zu rächen noch die Freiheit der Wahl zu gefährden, so be-
schlossen diese, an dem Wahlakte teilzunehmen. Auch hier vollzog sich
die Wahl nicht in ruhiger Weise. Den Ausschlag gaben die auf dem
Eise der Donau aufgestellten Truppen, die nach langem Warten, vor
Kälte erstarrt, in die Rufe ausbrachen: »Es lebe König Matthias«, ein
Ruf, der von den Volksmassen zum Sitzungssaale des Reichstages fort-
getragen wurde und hier die Entscheidung brachte. Auch die Partei
Garas und Ujlakys schlofs sich an, und Matthias wurde zum König aus-
gerufen (1458, 24. Januar). Bei seinem jugendlichen Alter — er zählte
erst 15 Jahre — wurde ihm sein Oheim Michael Szilägyi auf fünf Jahre
als Reichsverweser beigegeben. Georg von Podiebrad überbrachte dem
Gewählten die freudige Botschaft, liefs ihn an die mährisch-ungarische
Grenze geleiten und schlofs mit ihm in Straschnitz Verträge (8. — 9. Fe-
bruar), die ihn noch fester an Böhmen knüpften. Aber Matthias fühlte
sich hiedurch nicht weniger beengt, als durch seine Abhängigkeit von
Szilägyi. Ein frühreifer Jüngling von trefflichen Anlagen, durchdringen-
dem Verstand und unbeugsamem Willen, den die Schule des Lebens
früh gestählt hatte, von starkem monarchischen Bewufstsein, rücksichtslos,
wenn es sein mufste selbst gegen Verwandte und Freunde, fühlte er
sich stark genug, die Regierung in die eigenen Hände zu nehmen. Mit
654 -Matthias u. Friedrich III. Der deutsche Königsplan Georgs.
rascher Tat schob er den ehrgeizigen Oheim zur Seite, sandte ihn zur
Verteidigung des Reiches gegen die Türken nach Süden und liefs ihn,
wie es scheint, wegen hochverräterischer Verbindung mit dem Palatin
Gara und dem siebenbürgischen Woiwoden Ujlaky verhaften. Nur der
Fürsprache Carvajals dankte Szilägyi sein Leben. Das Palatin at und
die Siebenbürger Woiwodschaft wurden in andere Hände gegeben. Dar-
über entstand ein Bündnis gegen Matthias, an dem aufser Ujlaky und
Gara eine Anzahl mächtiger Magnaten teilnahm. Sie traten mit dem
Kaiser in Verbindung und wählten ihn mit seiner Zustimmung am
17. Februar 1459 zum König.
3. Matthias versammelte inzwischen die treu gebliebenen Stände
und liefs sich aufs Neue den Eid der Treue schwören. Zwar wurden
seine Truppen bei Könnend (7. April) geschlagen, aber der Kaiser ver-
säumte es, den Sieg auszunützen, auch riet die Kurie, besorgt wegen
eines türkischen Angriffs, dringend zum Frieden, und Matthias verstand
es, durch rechtzeitige Milde Friedrichs Anhänger auf seine Seite zu
ziehen. Schon hatte aber dieser das Mittel in der Hand, das ihm die
Unterstützung des Königs Georg sicherte. Die Untätigkeit des Kaisers
in der Frage der Reichsreform, seine schwächliche Haltung gegen die
Kurie und die Parteinahme für die Hohenzollern in ihren Kämpfen
mit den Witteisbachern hatten in vielen Kreisen die Idee gezeitigt, den
Kaiser abzusetzen oder ihm wenigstens in der Person eines römischen
Königs gleichsam einen Koadjutor an die Seite zu stellen. Urheber
dieses Projekts war der pfälzische Rat Martin Mair, ein Gesinnungs-
genosse Heimburgs; als Kandidat für die römische Königs würde war
zuerst der Herzog Philipp von Burgund, dann, um den Kaiser zu ge-
winnen, dessen Bruder Albrecht VI., hierauf der Pfalzgraf in Aussicht
genommen. Auf dem Egerer Tage (s. oben) trat Martin Mair mit seinem
Plan an König Georg heran und erfüllte sein Herz mit stolzen Hoff-
nungen. Hatte Georg zuvor (Januar) einen Antrag des Kaisers, mit
ihm einen Bund gegen Ungarn zu schliefsen, zurückgewiesen, so fand
er jetzt im Hinblick auf den römischen Königsplan Gelegenheit, sich
den Kaiser tief zu verpflichten, um, wenn auch um den Preis der Un-
treue gegen König Matthias, den Verlobten seiner Tochter, die römische
Königskrone zu erwerben. Jetzt erteilte Friedrich III. am Tage zu
Brunn (1459, 31. Juli) dem König Georg die Belehnung mit Böhmen;
am 2. August schlössen beide einen Bund zu wechselseitigem Schutz
gegen auswärtige Feinde und Verschwörungen in den eigenen Ländern,
dem sich unmittelbar ein zweiter anschlofs, bestimmt, den Kaiser in
den Besitz von Ungarn zu setzen. Reiche Entschädigung winkte dem
Böhmen, vor allem Einflufs auf die Regierung im Reiche und den
Ländern des Kaisers. Die ganze Politik Georgs in den nächsten
Zeiten (1459 — 1461) hat seine Wahl zum römischen König zum Ziel,
und dieses sucht er erst in Übereinstimmung mit dem Kaiser und, als
ihm schliefslich dessen Zustimmung fehlt, mit Hilfe deutscher Fürsten, zuletzt
mit Unterstützung des Papstes zu erreichen. Das ist der Grund, weshalb
er eine Zeitlang der Frage der Reichsreform näher tritt und die Frei-
Scheitern d. Pläne Georgs. Krönung Matthias'. Friedrich III. u. Albrecht VI. ('>"),")
heiten der deutschen Kirche betont, an denen ihm freilich weit weniger
gelegen war als an der Erreichung seiner persönlichen Entwürfe. Im
letzten Stadium war seine Politik nicht nur zu den äufsersten Zugeständ-
nissen an den Papst geneigt, wie zu der Überlassung des Rechtes der
Besetzung des deutschen Thrones, sondern auch dazu, dem Sonder-
dasein der hussitischen Kirche ein Ende zu machen. Schon wird eine
Reihe reaktionärer Mafsregeln ins Werk gesetzt, da stürmt die Oppo-
sition der von Rokytzana geführten Utraquisten mit aller Macht auf ihn
ein und macht diesen seinen Entwürfen und Hoffnungen für immer ein
Ende. Nun lehnte Georg es ab, dem Kaiser zum Besitz von Ungarn
zu verhelfen; vielmehr näherte er sich schon zu Ende 1460 dem König
Matthias und erneuerte die Verlobung seiner Tochter mit ihm. Ohne
Böhmens Hilfe vermochte der Kaiser in Ungarn nichts auszurichten.
Matthias versöhnte zudem durch sein Entgegenkommen die ein-
heimischen Gegner, befreite sein Reich von den hussitischen Söldner-
scharen und begann schliefslich im Hinblick auf die drohende Türken-
gefahr Verhandlungen mit dem Kaiser, die zum Frieden von Wiener
Neustadt führten (1463, 24. Juli). Danach gab Friedrich III. gegen eine
Zahlung von 80000 Dukaten die ungarische Krone und das ihm ver-
pfändete Ödenburg zurück, behielt dagegen den Titel eines Königs von
Ungarn und einzelne ungarische Grenzorte. Würde Matthias ohne legi-
time männliche Nachkommenschaft sterben, so sollte ihm der Kaiser
oder einer seiner Söhne auf dem ungarischen Throne folgen. Erst jetzt
war Matthias in den ruhigen Besitz seines Reiches gelangt. In feier-
licher Weise wurde er am 29. März 1464 in Stuhlweifsenburg gekrönt.
Auch Friedrich III. hatte allen Grund, mit einem Vertrag zufrieden zu
sein, der ihm statt unsicherer Ansprüche eine bedeutende Geldent-
schädigung, territorialen Besitz und die Aussicht gewährte, seinem
Hause ganz Ungarn zurückzugewinnen.
§ 150. Friedrich III. und Albrecht IY. von Österreich. Die kirchen-
politischen Kämpfe in Tirol und Böhmen.
1. Das schwächliche Verhalten Friedrichs III. in der ungarischen
Frage war grofsenteils durch die niederösterreichischen Wirren hervor-
gerufen worden. Der Mifswachs des Jahres 1459 hatte eine Hungers-
not im Gefolge, die sich in dem durch die Verwüstungen des vorher-
gegangenen Krieges ausgesaugten Lande doppelt fühlbar machte. Als
der Kaiser nach dem Beispiel benachbarter Fürsten, die ihr Münzrecht
als ergiebige Einnahmquelle betrachteten, das Land mit minderwertigen
Münzen, den Schinderlingen, überschwemmte, die Preise der Lebens-
mittel und die Arbeitslöhne hiedurch in die Höhe schnellten und zu
alledem neue Auflagen auf Salz, Wein, Getreide u. a. erfolgten, indes
der Kaiser nicht einmal den Landfrieden zu schützen vermochte, kam
es zu lebhaften Beschwerden der Stände, die sich schliefslich an die
oberösterreichischen Stände, an die Herzoge Albrecht und Sigmund, ja
selbst an König Georg wandten (1460) und um Vermittlung zwischen
656 Krieg im Hause Habsburg. Sigmund von Tirol u. Nikolaus Cusa.
ihnen und dem Kaiser baten. Da Friedrich III. die deutschen Pläne
Georgs mifs billigte, brachte dieser eine Einigung mit Ungarn zustande
und schlofs (1461) ein Bündnis mit Albrecht VI., der nun seinerseits den
Wünschen der Stände entgegenkam, sich mit Erzherzog Sigmund, den
Grafen von Görz und dem König Matthias einigte und an seinen Bruder,
den Kaiser, den Krieg erklärte. Fast der ganze Adel hielt zu ihm. In
den ersten Augusttagen stand er vor Wien. Gleichzeitig machten sich
seine Bundesgenossen schlagfertig, und im Reiche wurden des Kaisers
Freunde von ihren Gegnern hart bedrängt. Aus der Gefahr, Osterreich
zu verlieren, befreite den Kaiser König Georg, dem es seine Be-
ziehungen zur Kurie nahelegten, mit ihm nicht völlig zu brechen.
Durch seine Vermittlung wurde ein Waffenstillstand geschlossen, dem
der Friede von Korneuburg folgte (1462, 2. Dezember). Danach über-
liefs der Kaiser die Regierung in Osterreich mit allen Rechten und
Einkünften für die nächsten acht Jahre gegen eine Jahresrente von
4000 Dukaten an Albrecht VI. Als dieser die Friedensbedingungen
verletzte, begann der Krieg von neuem. Erst der Tod Albrechts (1463,
2. Dezember) führte ein völlige Wendung herbei. Jetzt erst erkannten
die österreichischen Stände Friedrich als Herrn an, und Sigmund gab
seine Ansprüche auf Oberösterreich um so bereitwilliger auf, als er selbst
in schwere Streitigkeiten verwickelt war.
2. Im Jahre 1450 hatte der Kardinal Nikolaus von Cusa, einst ein
streitbarer Vorkämpfer, später ein eifriger Gegner der konziliaren Ideen,
gegen die Bestimmungen des Wiener Konkordats mit Umgehung des
Wahlrechtes der Domherren von Nikolaus V. das Bistum Brixen erhalten.
Sowohl das Domkapitel als der Herzog erhoben dagegen Protest. War
sonach das Verhältnis zwischen Herzog und Bischof schon an sich ein
gespanntes, so verschlechterten sich die Beziehungen, als Cusa dem
Herzog alte Patronatsrechte bestritt. Ebenso entfremdete er sich das
Volk durch Eingriffe in alle Gebräuche und verletzte den Adel durch
die Zurücklösung der an ihn verpfändeten Güter. Sein Vorgehen führte
schliefslich zu einem Streit, in welchem er gefangen und zum Verzicht
auf seine Ansprüche gezwungen wurde, die er gegen den Herzog er-
hoben hatte. Frei geworden, entfloh er nach Italien und erklärte alle
Zugeständnisse, als erzwungen, für ungültig; der Papst zog den Herzog
vor seinen Richterstuhl, und als an dessen Stelle ein gelehrter Anwalt
erschien, sprach Pius II. über Sigmund den Bann aus und verhängte
über seine Länder das Interdikt, Sigmund gewann die Unterstützung
Gregor Heimburgs, des Hauptvertreters der kirchlichen Reformpartei im
Reiche. Der Streit wurde mit grofser Heftigkeit geführt und erst nach
dem Tode des Cusaners (1464) beigelegt. Die Kosten hatte freilich das
Haus Habsburg zu tragen. Schon 1458 hatten sich die Eidgenossen
mitten im Frieden der Stadt Rapperswvl bemächtigt. Während des
Kirchenstreites stellten sie sich auf die Seite des Papstes und er-
oberten den Rest des Sarganser Landes und den ganzen Thurgau, Er-
oberungen, die ihnen im Frieden von 1461 gelassen wurden. Da sich
Freiburg im Öchtland schon 1452 von Österreich losgerissen hatte, waren
König Georg, die Kurie und König Matthias. 657
die letzten österreichischen Besitzungen links vom Rhein und südlich
vom Bodensee mit Ausnahme von Winterthur an die Eidgenossen ver-
loren, und auch dieses wurde 1467 an Zürich verpfändet.
3. Mit der Kurie hatte König Georg schwere Kämpfe zu be-
stehen, weil er, aufserstande, die vor der Krönung gemachten Zusagen
zu erfüllen, auch die Utraquisten in ihren Rechten zu schützen ver-
sprach. Während er gegen die Anerkennung der Kompaktaten bereit
war, dem Papste Obedienz zu leisten, verlangte dieser gänzliche Unter-
werfung und erklärte am 31. März 1462 den Laienkelch für verboten, die
Kompaktaten als aufgehoben. Dagegen erneuerte Georg am 12. August
seine Zusage des Schutzes der Kompaktaten und liefs den Legaten
Fantinus, der utraquistische Priester suspendierte und dem König, falls
er bei den Kompaktaten verharre, Meineid vorwarf, gefangen nehmen.
Aber Georgs Plan, auch seine katholischen Untertanen zur Verteidigung
der Kompaktaten zu verpflichten, mifslang und ebenso der Versuch,
einen Fürstenbund zur Vertreibung der Türken zustande zu bringen und
sich in diesem eine führende Rolle zu sichern. Wäre dieser Versuch
gelungen, so wäre die Gegnerschaft des Papstes gegenstandslos geworden.
Noch übernahm Friedrich III. aus Dank für die Hilfe, die ihm Georg
soeben geleistet hatte (s. oben), die Vermittlung, so dafs Pius IL die
kirchlichen Strafen gegen den Böhmenkönig suspendierte. Aber Georg
wollte nur Zeit gewinnen, um die dem utraquistischen Königtum ab-
geneigten Breslauer zu isolieren. Daher begann Pius IL den Prozefs
von neuem (1464). Sein Nachfolger Paul IL erklärte den König seiner
Würden und seines Besitzes verlustig, entband seine Untertanen ihrer
Eide und liefs in Deutschland und andern Ländern das Kreuz gegen
ihn predigen. Ein Teil des katholischen Herrenstandes in Böhmen stellte
sich zur Verfügung des Papstes, bald folgten Schlesien, die Lausitz und
die Städte Mährens, die sich in den Schutz des Kaisers begaben. Aber
alle diese Gegner waren dem Böhmenkönig nicht gewachsen. Da gelang
es der Kurie, nachdem sie Georgs Krone vergebens dem König Kasimir
von Polen, dann dem Kurfürsten Friedrich von Brandenburg angeboten
hatte, den König Matthias von Ungarn für den Kampf gegen den
Hussitenkönig zu gewinnen. Als Verbündeter des Kaisers und der
böhmischen Katholiken erklärte Matthias an Georg den Krieg (1468,
31. März), eroberte den gröfsten Teil von Mähren, Schlesien und der
Lausitz und liefs sich nach dem erfolglosen Verlauf der von Georg an-
geknüpften Friedensverhandlungen zum König von Böhmen wählen
(1469, 3. Mai) und huldigen. Die Pläne des ungarischen Königs gingen
noch weiter. Mit päpstlicher und kaiserlicher Hilfe gedachte er die
römische Königskrone zu gewinnen. Georg schlofs sich dagegen aufs
engste an Polen an, begünstigte mit Übergebung seiner eigenen Söhne
die Wahl des polnischen Prinzen Wladislaw zum König von Böhmen,
knüpfte Verbindungen mit Burgund an und wufste sich die Freundschaft
einzelner deutscher Fürsten zu erwerben, vor allem fand er bei dem
niederen Adel und den Städten Böhmens selbst so kräftige Unterstützung,
dafs er im Felde Meister blieb, und König Matthias bei der geringen
Loserth, Geschichte de? späteren Mittelalters. 42
ß58 K. Wladislaw II. u. d. Zersetzung der staatlichen Grundlagen in Böhmen.
Neigung des Kaisers für Ungarns Sache und dem allgemeinen Friedens-
bedürfnis gezwungen war, Verhandlungen einzuleiten. Mitten in seinen
Erfolgen starb Georg am 22. März 1471. Die Böhmen wählten nunmehr
in der Hoffnung auf kräftige Unterstützung Polens Wladislaw zum König.
Ein polnischer Bischof vollzog am 22. August die Krönung des Gewählten,
nachdem dieser die Aufrechthaltung der Kompaktaten gelobt hatte.
Mittlerweile hatte die Politik des Königs Matthias, der seine ganze Kraft
statt gegen die Türken gegen Böhmen verbrauchte, heftiges Mifs ver-
gnügen in Ungarn erregt. Die Partei der Unzufriedenen bot Kasimir,
dem zweiten Sohne des polnischen Königs, die Krone Ungarns an; zwar
wandte Matthias durch sein rasches und mannhaftes Auftreten die
drohendste Gefahr von sich ab, da er aber für seine böhmischen Pläne
bei den Ungarn und den Katholiken in den Ländern der böhmischen
Krone keine genügende Unterstützung erhielt, schlofs er 1472 einen
Waffenstillstand, dem 1479 der Frieden von Olmütz folgte. Danach
behielt Matthias aufser dem Titel eines Königs von Böhmen die
böhmischen Nebenländer Mähren, Schlesien und die Lausitz. Erst
nach seinem Tode sollten sie von Wladislaw oder dessen Nachfolger
gegen Zahlung von 400000 Dukaten eingelöst werden oder ohne Löse-
geld an Böhmen fallen, falls nach Wladislaws Tode Matthias oder einer
seiner Erben und Nachfolger König von Böhmen würde. Der Zweck,
den die päpstliche Kurie bei ihrem Unternehmen wider den Hussiten-
könig verfolgt hatte, Böhmen in den Schofs der katholischen Kirche
zurückzuführen, war nicht erreicht worden, dagegen war es gelungen,
das böhmische Staatswesen auseinanderzureifsen, denn es war durchaus
unwahrscheinlich, dafs ein böhmischer König je in die Lage kam, die
ungeheure Summe zur Auslösung der verlorenen Provinzen zu bezahlen.
Für die Entwicklung Böhmens hatte der Tod des Hussitenkönigs, der, so aus-
schweifend seine politischen Pläne auch waren, das Regiment mit fester Hand geführt
und die Selbständigkeit des Landes gerettet hatte, auch sonst bedeutsame Folgen ;
denn mit der Regierung seines schwachen Nachfolgers beginnt eine förmliche Zer-
setzung der alten staatlichen Grundlagen Böhmens, die Steigerung der feudalen
Adelsmacht auf Kosten der Monarchie, der endlose Kampf der Stände untereinander
und die kirchlichen Wirren, bei denen der von Schülern Peters von Cheltschitz (t nach
1456) gegründeten Sekte der böhmischen Brüder, die im Gegensatz zu den Utraquisten
die Lehren Wiclifs, des evangelischen Meisters, treu bewahrten, eine grofse Rolle zu-
fällt. Wladislaw selbst, von schwacher Willenskraft — der »König Gut« — war eifriger
Katholik, dessen katholische Reaktionsversuche im Jahre 1483 einen Aufstand der
Utraquisten in Prag hervorriefen. Auf das hin kam es auf dem Landtage von 1485 zu
einem Ausgleich zwischen Katholiken und Utraquisten, der 31 Jahre lang gelten sollte
und Utraquisten und Katholiken als völlig gleichberechtigt erklärte. Der kirchliche
Friede wurde fortan nicht mehr gestört, dagegen wirkten der katholische und utra-
quistische Adel zusammen, die Macht des Bürgertums zu schwächen und dem Bauern-
stand die Fesseln der Leibeigenschaft anzulegen.
§ 151. Friedrich III. und Matthias Corvinus. — Die Erwerbung
Burgunds.
Quellen und Hilf s s chrif t e n zum 1. Teil s. oben. Aktenst. zum 2. Teil i.
Chmels, Regg. Österr. Geschichtsf orscher I ; Materialien u. MM. Habsburg. Lichnowsky VII,
Janssen, Reichskorr. I. Müller, Reichstheatr. V. Briefe: Maximilians vertraul. Brief-
Friedrich III. und die Wirren in Österreich. 659
Wechsel mit Sigm. Prüschenk, herausg. v. Kraus, lnnsbr. 1874. Pol. Korr. Breslaus im
Zeitalter d. K. Matth. Corvinus. SS. rer Sil. XIII, XIV. Geschichtschreiber wie
oben. Dazu Baseler Chroniken II, in. Leipz. 1880. (Knebels Diarium, her. v. Vischer
u. Boos.) Bonstetten, Beschr. d. Burgunderkr. Arch. Schw. Gesch. XDI. Schilling,
Berner Chron. Abh.hist. Ver. Bern X HI. Hufs, Eidg. Chron. Bern 1834. S. auch d. Ber.
v. Augenzeugen im Anz f. Kunde d. d. Vorz. 1864. Commines, s. unten. Hilfsschriften:
Die allg. Werke v. Chmel, Droysen, Huber, Bachmann u. a. s. oben. Löher, Jakobäa
v. Bayern u. ihre Zeit. 2 Bde. Nördl. 1862. Barante, Hist. des ducs de Bourgogne
1364 — 1477. Paris 1824 — 26. Werveke, Die Erwerb, d. Luxemb. Landes d. Burgund.
Progr. Luxemb. 1886—91. Foster Kirk, Hist. of Charles the Bold. Lond. 1863—68.
Keussen, Z. G. Karls d. K. KB1WZ. XIII. Rodt, Die Feldz. Karls des Kühnen.
Schaffh. 1843. Dändliker, Ursachen u. Vorspiel d. Burg. -Krieges. Zur. 1876. Del-
brück, Die Perserkriege u. die Burgunderkriege. Berl. 1887. Mandrot, Relat. de
Charles VH et de Louis XI avec les cant. Suisses. A. Schw. G. VI. Witte, Zur Ent-
stehung d. Burg.-Krieges. 1885 (s. auch Dahlm.-Waitz-Steind. 3391). Krause, Bez. zw.
Habsb. u. Burg, bis 1473. Diss. Gott. 1876. Lindner, Die Zusammenkunft Friedr. III.
mit Karl v. B. 1473. Diss. Greifsw. 1876. (S. Dahlm.-Waitz-Steind. Nr. 3394 u. 3395.)
Lynker, Die Belag, v. Neufs. Z. hess. Gesch. NF. VI. Schmitz, Der Neusser Krieg.
Rhein. G. Bll. IL Diemar, Die Entstehung d. Reichskrieges gegen Karl d. Kühnen. 1896.
Nerlinger, Pierre de Hagenbach. Nancy 1871. Faber, P. v. Hagenbach. Progr. 1885.
Fraknöi, D. Verb. Matth. Corv. mit Karl d. Kühnen. Szazadok XXHI. v. d. Ropp,
Die Hanse u. d. Reichskr. gegen Burg. Hans. G. Bll. 1898. Chabloz, La bat. de
Grandson. Laus. 1897. Wattelet, Die Schlacht bei Murten. Freib. G. Bll. I. Schoeber,
Die Schlacht bei Nancy. Erl. 1891. Lause, Über d. Schlacht bei Nancy. 1895. Bernouilli,
Basels Ant. am B.-KÜ II, III. 1899. Rausch, Die bürg. Heirat Maximil. Wien 1880.
Klaje, Die Schlacht bei Guinegate. Diss. 1890. Schober, Die Erob. Niederösterr.
d. Matth. Corvinus. Wien 1879. Mayer, Die Abdankung Erzb. Bernhards v. Salzb.
AÖG. LV. Einzelne Erg. s. in Dahlm.-Waitz-Steindorff.
1. In Osterreich brachen die Wirren, die mit Albrechts VI. Tode ab-
geschlossen schienen, begünstigt von den böhmisch- ungarischen Kämpfen,
bald wieder aus. Ein Aufstand der antiösterreichischen Partei in Triest
bot dem Kaiser (1467) Gelegenheit, seine landesfürstliche Macht da-
selbst zu verstärken. Auch Steiermark, das Stammland des Kaisers,
wurde von der Bewegung ergriffen. Andreas Baumkircher, der bisher
als Söldnerführer dem Kaiser Dienste geleistet hatte, aber durch seinen
ungarischen Besitz auch Vasall der ungarischen Krone war, trat, weil
er sich nicht hinlänglich belohnt meinte oder seine Forderungen an den
Kaiser nicht beglichen waren, an die Spitze einer Verschwörung, die
zum Ausbruch kam, als Friedrich auf einer Wallfahrt nach Rom begriffen
war (1468 — 69); auf einem Generallandtag der innerösterreichischen Länder
mufste Friedrich die wesentlichen Forderungen der Aufständischen bewilligen
(1470, 30. Juni). Als Baumkircher hierauf unter Zusicherung freien
Geleites in Graz erschien, wurde er samt seinem Begleiter, dem Ritter
Greissenecker, verhaftet (1471, 23. April) und noch an demselben Abend
enthauptet. Ihre Schuld liegt nicht klar zutage. Im übrigen hatte
Friedrich durch den Tod der beiden wenig gewonnen, da Baumkirchers
Söhne den Kampf fortführten. — Schon bei diesen Irrungen hatte
König Matthias die Hand im Spiele. Eine Zusammenkunft beider
Monarchen in Wien (1470, Februar) verschlimmerte nur die gegenseitigen
Beziehungen. Diese wurden noch gespannter, als Friedrich III. Wladislaw
als böhmischen König anerkannte und sich mit ihm gegen Matthias und
dessen Anhänger verbündete (1474, März). Nachdem der Kaiser den
42*
5(30 Friedrich III. u. K. Matthias. Das Wachstum Burgunds.
Jagellonen, der ihm gegen seine rebellischen Untertanen beistand, mit
Böhmen belehnt hatte (1477, 10. Juni), besetzte Matthias einen grofsen
Teil von Österreich, schlofs aber auf die Kunde von einem Einfall der
Türken in Kroatien Frieden. Die Not der Zeit, der geringe Schutz vor
den Türken, den die Bevölkerung trotz drückender Steuerauflagen er-
hielt, rief 1478 im südlichen Kärnten einen Bauernaufstand hervor, der
sich bis Obersteiermark ausbreitete, während zugleich die Türken im
Lande einbrachen. Bald kamen noch neue Kämpfe dazu. Friedrich III.
wollte dem Graner Erzbischof Beckenslaher, der sich 1476 vor Matthias
zu ihm geflüchtet hatte, das Erzstift Salzburg verschaffen und bewog
den Erzbischof Bernhard von Rohr zum Rücktritt. Dieser zog jedoch
seine Abdankung zurück und schlofs ein Bündnis mit Ungarn. Matthias
nahm den Kampf erst auf, als er sich vor den Türken Ruhe verschafft
hatte, eroberte (1482) Henburg und rückte vor Wien. Der Kaiser zog
sich nach Graz zurück. Ein grofser Teil von Niederösterreich fiel an
Ungarn; am 1. Juni 1485 hielt Matthias seinen Einzug in Wien und
liefs sich von den Ständen huldigen. Selbst einzelne Teile von Steier-
mark, Kärnten und Oberösterreich kamen in ungarischen Besitz. Matthias
schlug seine Residenz in Wien auf, während der Kaiser hilfesuchend
ins Reich zog und von Städten und Klöstern seinen Unterhalt bestreiten
liefs. Ungarns Macht stand jetzt auf ihrem Höhepunkt, und Habsburg
war tief gedemütigt; und doch legte es eben jetzt durch seine grofsen
Erwerbungen im Westen den Grund zu seiner europäischen Grofs-
macht Stellung.
2. Von den Vasallenländern der französischen Krone liefs sich an
äufserer Macht und Ansehen keines mit dem Herzogtum Burgund
vergleichen (s. § 126), das sich, seit es Johann der Gute seinem jüngsten
Sohne Philipp (1363 — 1404) übergeben, in kurzer Zeit zu einem grofsen
Reiche entwickelte. Zu dem Länderbesitz, den Philipp erhalten hatte,
kamen durch seine Gemahlin Margareta, die Tochter Ludwigs von
Flandern, (1384) die Grafschaften Flandern und Artois, die zum
deutschen Reiche gehörige Freigrafschaft und die Grafschaften
Nevers und Ret hei hinzu; er selbst kaufte die Grafschaft Charolais.
Seine Nachfolger, Johann der Unerschrockene (1404 — 1419) und
Philipp der Gute (1419 — 1467), nützten die günstige Lage im englisch-
französischen Kriege und ihre eigenartige Stellung zu Deutschland und
Frankreich zur Vergröfserung ihrer Macht aus. Philipp der Gute erwarb
(1429) die Grafschaft Namur, erhielt nach dem Tode seiner beiden
Vettern aus der Brabanter Linie auch Brabant und Limburg (1430),
von der Gräfin Jakobäa Holland und Hennegau (1436) und durch
einen Vertrag mit Elisabeth von Görlitz, der Enkelin Karls IV., auch
deren luxemburgisches Erbland. Aufserdem waren ihm im englisch-
französischen Kriege noch die Grafschaften Mäcon und Auxerre
sowie der gröfsere Teil der Pikardie zugefallen. Burgund umfafste
somit die reichsten und blühendsten Länder zwischen der Nordsee und
dem Jura. Schon Philipp der Gute hatte den Plan, ein lothringisches
Königreich aufzurichten, vielleicht auch die Kaiserkrone zu erwerben.
Die Pläne Karls d. Kühnen. Unterhandlungen mit Friedrich III. 661
Seine Unterhandlungen mit Friedrich III. zerschlugen sich (1448), da
seine Angebote seinen Forderungen gegenüber zu geringfügig waren
und Friedrich III. seine Pflicht betonte, als Augustus das Reich nicht
zu verkleinern, sondern zu vergröfsern. Der Königsplan des Burgunders
tauchte später (1462) wieder auf, und auch das Projekt einer Vermählung
von Philipps Enkelin Maria mit Maximilian wurde erwogen.
3. Ungestümer als sein Vater betrieb Karl der Kühne (1467 — 1477)
die Ausgestaltung der burgundischen Macht. Als Sigmund von Tirol
im Drange der Not den Sundgau, die Grafschaft Pfirt, die Rheinstädte
Rheinfelden, Säckingen, Laufenburg, Waldshut mit Breisach und dem
österreichischen Schwarzwald an ihn verpfändete (1469), hatte Karl auch
auf dem rechten Rheinufer festen Fufs gefafst; nachdem er das Bistum
Lüttich in Abhängigkeit gebracht (1467), Geldern und die Grafschaft
Zütphen (1473) erworben hatte, ging seine Politik dahin, auch Lothringen,
das seine südlichen Besitzungen von den viel ausgedehnteren im Norden
schied und auf das er nach dem Tode des Herzogs Nicolas (1473) An-
sprüche erhob, zu erlangen. Dieses burgundische Reich hätte fortan
nicht nur auf Frankreich, sondern mit ungleich stärkerer Wucht noch
auf die Schweizer gedrückt, die sich denn auch nunmehr in ihrer
Unabhängigkeit bedroht sahen. Auch die Absichten auf die Königs-
krone traten wieder in den Vordergrund. Schon 1470 hatte Sigmund
von Tirol dem Kaiser den Plan der Vermählung Marias, der reichen
Erbin Burgunds, und Maximilians empfohlen und Karl der Kühne seine
Geneigtheit hiezu kundgegeben, falls ihm die römische Königswürde zu-
gesichert würde. Hierauf ging Friedrich III., um nicht in den Hinter-
grund gedrängt zu werden, nicht ein, erbot sich aber, eines der Länder
Karls zum Königreich zu erheben und die übrigen Reichslehen als solche
damit zu verbinden, was Karl ablehnte. Die Verhandlungen wurden von
dem allseitig bedrängten Kaiser schon 1472 wieder aufgenommen. Karl
blieb auf seinen Forderungen bestehen; doch war es fraglich, ob die
Kurfürsten der Wahl des gewalttätigen Herzogs geneigt gewesen wären.
Um ihn zur Ermäfsigung seiner Bedingungen zu bewegen, ging Friedrich
mit ihm auf eine Zusammenkunft in Trier ein. Obwohl beide Fürsten
acht Wochen (1473, Oktober und November) daselbst verweilten, kam
es aus vielen Gründen und wohl auch deswegen zu keiner Einigung,
weil die Kurfürsten für die Pläne des Burgunders, dessen Gebiete der-
einst an Habsburg fallen mufsten, wohl kaum zu gewinnen waren. Der
Kaiser verliefs die Stadt, ohne sich von dem Herzog verabschiedet zu
haben. Mit um so gröfserem Eifer ging nun dieser daran, seinen Einflufs
am Rhein auszudehnen. Er verband sich mit allen dem Kaiser feind-
lichen Kräften, dem Pfalzgrafen und dessen Bruder, dem Erzbischof von
Köln, der mit seinem Kapitel im Streite lag. Karl zog vor Neufs, wohin
sich der vom Kapitel gewählte Administrator des Hochstiftes zurück-
gezogen hatte, vermochte es aber trotz einer zehnmonatlichen Belagerung
nicht zu gewinnen. Mittlerweile hatten das Reich und die übrigen
Gegner Burgunds sich zur Abwehr gegen seine gewalttätigen Übergriffe
geeinigt. Schon zu Anfang 1473 hatten Strafsburg, Basel, Kolmar und
562 Angriffe auf Burgund. Krieg Karls gegen Lothringen u. d. Schweiz.
Schlettstadt, dann die Bischöfe von Strafsburg und Basel einen Bund
zur Aufrechthaltung ihrer Freiheiten geschlossen, die Schweizer ihren
Frieden mit Osterreich gemacht (die ewige Richtung, 1474, 30. März1),
die Städte dem Herzog Sigmund das Geld geliehen, um seinen ver-
pfändeten Besitz wieder auslösen zu können und ihm samt den Schweizern
Hilfe versprochen, wenn Karl die Auslösung verweigerte. Als dies nun
in der Tat geschah, erhoben sich die Bewohner der verpfändeten Gebiete,
nahmen seinen Statthalter Peter von Hagenbach gefangen und liefsen
ihn hinrichten (1474, 9. Mai). Die Schweizer und ihre Verbündeten
griffen die Franche-Comte an, schlugen ein burgundisches Heer, er-
oberten Hericourt und wiederholten im Frühjahr 1475 ihren Angriff,
worauf auch Ludwig XI. einen Vertrag mit den Eidgenossen abschlofs
und sich mit dem Kaiser in Verbindung setzte, wogegen Karl Hilfe von
Eduard IV. von England erhielt. Da sich inzwischen auch das vom
Augsburger Reichstag bewilligte Heer unter Albrecht von Brandenburg
in Bewegung gesetzt hatte, sah sich Karl einer Koalition gegenüber, der
er nicht gewachsen war. Aus seiner schwierigen Lage wurde er durch
die Vermittlung des Papstes gerettet, der die christlichen Waffen gegen
den Halbmond einigen wollte. Am 28. Mai 1475 wurde der Präliminar-
friede zwischen Kaiser und Herzog geschlossen und hierauf die Belagerung
von Neufs aufgehoben. Karl verzichtete auf die Unterstützung des
Erzbischofs, wogegen ihm wohl freie Hand gelassen wurde, seine Pläne
gegen Lothringen und die Schweiz durchzuführen. Auf die Eroberung
Lothringens bedacht, unterliefs er es, seinem Verbündeten, Eduard IV.
von England, Hilfe zu leisten, als dieser mit Heeresmacht an Frankreichs
Grenzen erschien, um »seine Herzogtümer« Guienne und Norrnandie
wieder in Besitz zu nehmen. Unter diesen Umständen kam es schon
im August 1475 zum Abschlufs eines Waffenstillstandes auf sieben Jahre,
der dem englischen König eine Geldentschädigung sicherte, ohne dafs
er deswegen auf seine Ansprüche verzichtete. Nun gab auch Ludwig XL
in einem Vertrag mit Karl Lothringen und die Schweizer preis, indem
er versprach, ihnen keine Hilfe zu leisten (1475, 13. September). Mit
starker Heeresmacht brach Karl in Lothringen ein, eroberte es und liefs
sich zum Herzog des Landes ausrufen. Jetzt wurde der definitive Friede
zwischen Kaiser und Herzog geschlossen. Der letztere versprach, seine
Tochter mit dem Erzherzog Maximilian zu verloben. Mitten im Winter
brach Karl sodann gegen die Schweizer auf, die sich noch ihrer deutschen
Zugehörigkeit erinnerten und die Reichsstädte um Hilfe baten. Sie
wollten Grandson, von dessen Erhaltung die Sicherheit Berns und
Freiburgs abhing, behaupten. Mit einem starken Heere — es zählte
50000 Mann — erschien er am 19. Februar 1476 vor dem Städtchen,
erlitt aber hier durch die nur 18000 Mann starke Heeresmacht der
Schweizer am 2. März eine völlige Niederlage. Doch waren die Eid-
genossen zu sehr von Beutegier ergriffen, als dafs sie die Verfolgung
x) Hiedurch wurde die Unabhängigkeit d. Eidgenossen von der habsb. Territorial-
gewalt in völkerrechtlicher Form ausgesprochen. S. Dierauer II, 184.
Niederlagen u. Tod Karls d. K. Das Ringen Frankreichs u. Habsburgs. 663
des Feindes ernstlich betrieben hätten. Bald trat Karl wieder seinen
Gegnern gegenüber, begierig an der Spitze seines glänzenden Reiter-
heeres die Scharte von Grandson auszuwetzen. Bei Murten am gleich-
namigen See kam es am 22. Juni zur Schlacht. Auch jetzt gewann die
Tapferkeit und Gewandtheit der Eidgenossen einen zwar blutigen, aber
glänzenden Sieg. An die 12000 Burgunder wurden erschlagen, während
die Schweizer selbst nur 400 — 500 Mann verloren. Aufser dem Papste
und dem Kaiser bemühte sich auch König Matthias, einen Frieden
zwischen Burgund und den Schweizern zustande zu bringen. Diese
zogen dem Herzog Renatus von Lothringen, dessen Hauptstadt Nancy
seit dem 2G. Oktober 1476 von den Burgundern belagert wurde, zu
Hilfe. Am 5. Januar 1477 wurde vor den Mauern der Stadt die Schlacht
geschlagen. Sie endete auch diesmal mit einer gänzlichen Niederlage
der Burgunder. Karl selbst fiel im Kampfe. Sein Leichnam wurde
erst zwei Tage später südwestlich vor Nancy völlig entblöfst und ent-
stellt aufgefunden. Der Ruf des schweizerischen Heeres war durch diese
Siege für immer begründet. Wie Ludwig XI. von Frankreich, so warben
bald auch andere Mächte um schweizerische Truppen.
4. Nach Karls Tode begann das weltgeschichtliche Ringen zwischen
Frankreich und Habsburg. Vom Erbe des Herzogs suchte Ludwig XL
soviel als möglich zu erhalten. Am liebsten wäre es ihm gewesen, mit der
Hand der Erbin Maria für seinen siebenjährigen Sohn Karl das Ganze zu
gewinnen. Er liefs auch kein Mittel hiezu unversucht. Das burgundische
Erbe umfafste französische und deutsche Länder. Unter jenen waren
Apanagen, aber auch Erbgüter, und selbst von diesen hatten einzelne
schon früher zu Frankreich gehört. Daher machte Ludwig in den ver-
schiedenen burgundischen Landschaften seine Ansprüche in verschiedener
Weise geltend. Im Herzogtum Burgund und den dazu gehörigen Graf-
schaften von Mäcon, Auxerre und Charolais liefs er sich als Lehensherrn
huldigen. Auch die Freigrafschaft, wiewohl deutsches Reichsland, folgte
diesem Beispiel. Ludwig XL erschien selbst in Dijon und schwur, die
Freiheiten des Landes aufrecht zu erhalten. Die Städte an der Somme
fielen ihm zu. In der Pikardie und in Artois machten seine Warfen
Fortschritte. Er drang in Hennegau ein. Die Hilfe, die Maria von
ihrem Oheim, Eduard IV. von England, erwartete, blieb aus. Mit dem
König Ludwig brach sie erst, als die Räte ihres Vaters Hugonet und
d'Himbercourt, denen die Niederländer wegen der Unterdrückung ihrer
städtischen Rechte und Freiheiten grollten, und die zu retten Ludwdg
unterlassen hatte, der Rache des Volkes zum Opfer fielen. Mit seiner
Hoffnung, das ganze burgundische Erbe zu gewinnen, war es vorbei.
Selbst in den Landschaften, welche die französische Herrschaft anerkannt
hatten, erfolgte ein Umschwung in der Gesinnung; von der gröfsten
Bedeutung aber war es, dafs sich Maria mit dem Erzherzog Maximilian
vermählte (1477, 19. August). Als Friedrich III. mit dem ganzen Ansehen,
das dem Kaisertum noch innewohnte, für Maria eintrat und von Frank-
reich die Räumung der Reichslande Hennegau und Franche-Comte
begehrte, Erzherzog Maximilian selbst in den Niederlanden erschien und
664 Die Schlacht von Guinegate. Friede von Anas. Xeue Irrungen.
die Schweizer völlig auf die Seite Österreichs neigten, schlofs Ludwig XL
am 18. September 1477 einen Waffenstillstand, ohne freilich von seinen
Ansprüchen das mindeste aufzugeben. Die Feindseligkeiten begannen
schon im folgenden Jahre von neuem. Maximilian schlug die von
Schweizer Reisläufern unterstützten Franzosen am 7. August 1479 in
der Schlacht von Guinegate bei Therouenne, war aber nicht imstande,
seinen Sieg auszunützen. Der Krieg schleppte sich mühsam fort, und
nach Marias Tode (1482) hatte Maximilian noch mit Schwierigkeiten
zu kämpfen, die ihm von'burgundischer Seite bereitet wurden. Drohend
verlangten die Stände von Brabant und Flandern nach Frieden, und da
auch der alternde König Ludwig einem solchen geneigt war, wurden am
23. Dezember 1482 die Vereinbarungen von Ar ras getroffen: Danach
wurde Maximilians Tochter Margareta mit dem Dauphin verlobt und
sollte als Mitgift Artois, die Freigrafschaft und andere auf französischem
Boden gelegene Besitzungen des Hauses Burgund erhalten. Würde die
Ehe kinderlos bleiben, so sollten sie an Philipp, den Sohn Marias und
Maximilians, fallen; würde dieser mit Tod abgehen, ohne direkte Erben
zu hinterlassen, so sollte Margareta den ganzen burgundischen Besitz
erhalten. Damit endete der burgundisch französische Krieg. Die fran-
zösischen Wühlereien dauerten freilich auch nach dem Tode Ludwigs XL
fort. Die Schwester Karls VIII., Anna von Beaujeu, nahm die Flandrer
in Schutz, die Maximilian nicht als Regenten anerkannten. Wohl gelang
es ihm nach längeren Kämpfen, die flandrischen Städte zur Anerkennung
seiner Regentschaft und zu der bisher verweigerten Auslieferung seines
Sohnes zu zwingen (1485), als er sich aber, um an seiner Gegnerin Rache
zu nehmen, in die inneren Kämpfe Frankreichs einmischte, erhoben
sich die Flandrer von neuem, und Maximilian geriet am 1. Februar 1488
in die Gefangenschaft der Bürger von Brügge und wurde erst frei, als
der betagte Kaiser selbst mit dem von Albrecht von Sachsen geführten
Reichsheer vor Brügge zog. Der Tod des Herzogs Franz von Bretagne
(1488, 9. Sej^tember) führte endlich eine Wendung herbei. Die Tochter
des Herzogs, Anna, sollte sich vertragsmäfsig nur mit Zustimmung des
Königs von Frankreich vermählen. In mehreren Festungen der Bretagne
lagen französische Truppen. Da die benachbarten Mächte den Franzosen
den Erwerb dieses wichtigen Landes mifsgönnten und einen Bund gegen
Karl VIII. schlössen, war dieser zum Frieden mit Maximilian geneigt.
Der Frankfurter Vertrag vom 22. Juli 1489 bestimmte, dafs Karl die
Flandrer zur Unterwerfung bewegen sollte, worauf sich diese im Oktober
unterwarfen, die Regentschaft Maximilians anerkannten und eine
bedeutende Summe zahlten. Um die Streitigkeiten zwischen Frankreich
und England über ihren Einflufs auf die Bretagne zu beseitigen, ver-
mählte sich Maximilian durch Prokuration mit der Herzogin Anna.
Karl VIII. liefs dagegen Truppen in der Bretagne einrücken und brachte
den gröfsten Teil des Landes in seine Hände. Da Maximilian durch
die Verwicklungen seines Vaters mit Ungarn im Osten festgehalten
wurde, die Niederländer seine Sache nicht unterstützten, so war Anna
genötigt, ihrem Gegner die Hauptstadt Rennes zu übergeben. Schliefslich
Friede von Senlis. 665
reichte sie, nachdem sie die Dispens des Papstes von ihrer Ehe mit
Maximilian erhalten hatte, Karl VIII. die Hand. Maximilian war hierüber
in hohem Grade entrüstet und begann den Krieg wider Frankreich, den
er mit bedeutenden Erfolgen führte. Die Vermittlung der Eidgenossen
führte schliefslich zum Frieden von Senlis (1493, 23. Mai). Danach
wurde Maximilians Tochter Margareta samt der ihr zugesprochenen
Mitgift an Maximilian zurückgegeben ; die von den Franzosen in Artois
.noch besetzten Orte sollten in ihrem Besitz bleiben , bis Erzherzog
Philipp dem König für die von ihm abhängigen Gebiete den Lehenseid
geleistet hätte und über die strittige Zugehörigkeit einzelner Landschaften
auf dem Rechtsweg entschieden sein würde. Im wesentlichen war somit
der Anfall der meisten Länder Karls des Kühnen an das Haus Habs-
burg gesichert.
§ 152. Die Königswahl Maximilians I. Die Versuche einer Reichsreform.
Der Wiedergewinn von Österreich und der Heinifall von Tirol.
Quellen: S. oben § 120 u. 148. Dazu : Electio Maximiliani in regem Rom.
anno 1486. Freher- Struve. SS. rer. Germ. HI, 123. Büchlin etc., s. Potth. I, 175, auch
unter Codicillus, ebenda u. S. 325 u. unter Boke, S. 163. Coronatio Maxim. 1486. Freher-
Struve m, 30 — 41, ist eine Übersetzung von Büchlin, s. Potth. I, 175. Krönung, die . . .
Maximilians etc. 1486. Cornelius Aurelius Batavus, Diadema imperatorium de coro-
natione Maximiliani ap. Reusner. Orat. de bello Türe. I, 355. Eyb, Ber. über . . .
Maximilians Krönung zu Aachen 1486. Ann. HVNied. - Rhein XV. Barbarus Her-
molaus, Ad Fridericum imp. et Max. oratio gratul. 1486. Freher H, 185. Klüpfel,
Urkk. z. Gesch. d. schw. Bundes. Bibl. d. Lit. Ver. S. auch die Pol. Korr. d. Kurf.
Albrecht Achilles, herausg. v. Priebatsch. 1 — 3. Leipz. 1894 — 98.
Hilfsschriften. Aufser den bereits oben genannten Arbeiten : U 1 -
mann, König Maximiliani. 1884 und Huber DU : Ulmann, Die Wahl Maximilians I.
Forsch. XX, 131 ff. Bachmann, Zur d. Königswahl Ms. AÖG. 76. Ulmann, Kaiser
Friedrich gegenüber der Frage der Königswahl in den Jahren 1481 — 1486. Bach-
mann, Nochmals die Wahl Maximilians I. HVSch. IV, 493. Priebatsch, Die Reise
Friedrichs IH. ins Reich 1485 und die Wahl Ms. MJÖG. XIX. Stoewer, Herzog
Albrecht als Reichsfeldherr gegen die Ungarn 1487. Greif sw. 1882. Wiedeman, Die
Reichspolitik der Grafen Haug von Werdenberg 1466 — 1486. Ebenda 1883. v. Kraus,
Maximilians Beziehungen zu Sigmund von Tirol. 1879. Kirchlechner, Aus den Tagen
H. Sigmunds des Münzreichen. Innsbr. 1884. Schober, Eroberung Niederösterr. durch
Matth. Corvinus. Wien 1879. Striedinger, Der Kampf um Regensburg 1486 — 1492.
München 1890. Schweizer, Vorgesch. und Gründung des schwäb. Bundes. 1876.
Osann, Gesch. d. schw. Bundes 1861. Klüpfel, Der schw. Bund, HT. 6. F. 2 u. 3.
F. Wagner, Der schwäb. Bund u. die fränkischen Hohenzollern. Forsch. XXH, 259 ff.
Stalin, Gesch. Württemb. I. Keussen, wie oben. Dewitz, Reichstage u. Reichs-
verfassung unter Friedrich HI. 1880. Becker, Teilnahme d. Städte an d. Reichsvers.
unter Friedrich III. Bonn 1891. Brühlke, Die Entwicklung der Reichsstandschaft der
Städte. 1881. Franklin, Das Reichshofgericht im MA. 2 Bde. Derselbe, Das kgl.
Kammergericht von 1495. Berl. 1871. Tomaschek, Die höchste Gerichtsbarkeit des
d. Königs u. Reiches im 15. Jahrh. WienSB. XLIX. Seeliger, Das deutsche Hof-
meisteramt im späteren MA. Schönherr, Johannes Corvinus 1473 — 1504. Budap. 1899.
1. Bei der schwerfälligen Art des Kaisers war in den politischen
Kreisen des deutschen Reiches schon seit den fünfziger Jahren der
Plan erwogen worden, ihm einen Koadjutor zur Seite zu stellen. Unter
den hierüber auftauchenden Kandidaturen war die des Hussitenkönigs
666 Königswahl Maximilians.
Georg zweifellos die interessanteste. Diese Pläne scheiterten an der
Uneinigkeit der Kurfürsten nicht weniger als an dem Widerstreben des
Kaisers, von den ohnedies so stark geschmälerten Machtbefugnissen des
Reichsoberhauptes auch nur das mindeste preiszugeben. Daher wies
er jeden Gedanken an eine Teilung der obersten Gewalt zurück, selbst
wenn diese seinem Sohne Maximilian zugute kommen mufste. Würde,
liefs er sich vernehmen, jemand gewählt werden, der ihn in seiner
kaiserlichen Würde behindern würde, so würde dem Reiche nicht ge-.
holfen, sondern »entholfen«. Wiewohl Maximilians Wahl keinen Wider-
spruch gewärtigt hätte, wollte der Kaiser daher die längste Zeit hievon
nichts wissen, und nur die äufserste Not vermochte ihn, seine Haltung
aufzugeben. Trotzdem schon 1484 in fürstlichen Kreisen diese Wahl
erwogen wurde und die kaiserlichen Räte ihr 1485 schon deswegen zu-
neigten, weil sie die burgundischen Mittel für die Kämpfe im Südosten
des Reiches zu gewinnen hofften, trotzdem endlich Maximilian selbst
bereits seit 1481 für seine Sache tätig gewesen, war der Kaiser nicht
geneigt, darauf einzugehen, ihm selbst aber trauten sie weder die Fähig-
keit noch den Willen zu, die Südostmarken des Reiches den Ungarn
zu entwinden. Dessenungeachtet machte er Versuche, ohne auf die
Wünsche der Fürstenmehrheit Rücksicht zu nehmen und ohne einen
Reichstag zu berufen, eine stattliche Reichshilfe zu erlangen, und erst
als sie scheiterten, berief er für den 8. Dezember 1485 einen Reichstag
nach Würzburg, der dann verschoben und nach Frankfurt verlegt wurde.
Auch jetzt hatte er noch Bedenken gegen die Wahl Maximilians, von
der er eine Beeinträchtigung seiner Macht befürchtete und besorgte,
dafs die Mittel des Reiches den burgundischen Interessen geopfert wer-
den könnten. Erst als ihm Maximilian das Versprechen, Osterreich
retten zu helfen, gegeben hatte, liefs er seine Opposition fallen. Die
Kurfürsten, die sich mit Ausnahme Böhmens1) in Frankfurt eingefunden
hatten, wählten (am 16. Februar 1486) einhellig Maximilian zum König.
Doch durfte dieser bei Lebzeiten des Kaisers keinen Anteil an der Re-
gierung erhalten.
2. Noch schwieriger gestaltete sich die Frage der Reichsreform, die
schon in der Zeit Sigmunds dringend gewünscht ward und jetzt mehr
als je notwendig wurde. Während sich das Königtum in den Ländern
des Westens konsolidiert und auf festere Grundlagen gestellt hatte, zog
der aus seinen Erblanden verjagte Kaiser wie ein Flüchtling im Reiche
umher, nahm seine Mahlzeiten in Klöstern und bestritt seine Ausgaben
aus den unbedeutenden Einkünften seiner Kanzlei. In Deutschland
konnte bei dieser Lage der Dinge die Reichsreform nicht von dem
Träger der obersten Gewalt, sondern mufste von den Ständen ausgehen.
Hier rief alles nach Aufrichtung eines Landfriedens und einer festen
Organisation der kaiserlichen Gerichte ; Reichsheer und Reichssteuer
1 Das nicht geladen war, weil sich "Wladislaw im Einverständnis mit König
Matthias befand. Entschuldigend meinten später die Kurfürsten, die Wahl sei erst in
Frankfurt festgesetzt worden und der Notdurft des Reiches wegen kein Aufschub
möglich gewesen.
Die Reichsreform. (367
waren die Forderungen jener, denen Ehre und Ansehen des Kaisers,
Friede des Volkes und Wiederherstellung der Macht des Reiches fremden
Nationen gegenüber am Herzen lag. x) Schon 1485 hatte der Mainzer
Erzbischof ßerthold von Henneberg den Plan einer Reichsreform ent-
wickelt, die freilich eine starke Einschränkung der königlichen Gewalt
zugunsten der Reichsstände und deren Mitwirkung am Reichsregiment
in Aussicht nahm. Seit langer Zeit fanden es die Städte unerträglich,
dafs über ihre Hilfskräfte ohne ihre Zustimmung verfügt werde, und
wünschten zu einer gesicherten Stellung innerhalb der deutschen Reichs-
verfassung zu kommen, Sitz und Stimme auf den Reichstagen zu er-
halten. Indem nun die Reichsstände den Forderungen des Kaisers in
Frankfurt willig entgegenkamen, geschah dies nicht ohne Gegenforde-
rungen. Sie verlangten aufser der Einführung einer einheitlichen Münze
vornehmlich Aufrichtung eines allgemeinen Landfriedens und die Um-
gestaltung des kaiserlichen Gerichtshofes. Der Kaiser verkündigte ohne
Bedenken den Landfrieden auf weitere zehn Jahre. Bei den Beratungen
hierüber und über die Türkenhilfe erklärten aber die Fürsten, dafs hiezu
zu die Einwilligung der Städte notwendig sei. Diese nahmen selbst die
Wahrung ihrer Interessen in die Hand. Auf dem Städtetag zu Speyer
(1487, 2. Februar) erklärten sie, dafs in Zukunft keine Stadt etwas be-
willigen und alle für einander einstehen sollten; am Tage von Heilbronn
(März 1487) begehrten sie das Recht auf allen Reichstagen, geladen oder
ungeladen, zu erscheinen, und wiewohl der Kaiser zum nächsten Reichs-
tag nach Nürnberg nur acht der vornehmsten Reichsstädte berufen
hatte, erschienen sie in grofser Zahl und erhielten nun einen Anteil an
den Beratungen. Es wurden Ausschüsse gebildet, denen auch städtische
Vertreter zugezogen wurden. So gehörten nunmehr dem Ausschufs
über den Landfrieden neben 6 kurfürstlichen und zehn fürstlichen drei
städtische Mitglieder an. Die Städte hatten nunmehr Sitz und Stimme
auf den Reichstagen. Von Bedeutung war der Frankfurter Reichstag
von 1489: Hier trennten sich alle Mitglieder nach der Verlesung der
kaiserlichen Proposition2) in drei Kollegien: das kurfürstliche,
fürstliche und städtische. Die Antwort auf die Proposition wird
von dem ersteren entworfen und den beiden andern zur Annahme vor-
gelegt. Diese Art der Beratung ist in der Folge die regelmäfsige.
Schwieriger als diese Fragen gestaltete sich die der Umgestaltung des
Kammergerichtes, das seit Kaiser Sigmund an die Stelle des kaiserlichen
Hofgerichtes getreten war. Am Frankfurter Reichstage von 1486 ver-
langten die Stände, dafs der Kaiser in Gemeinschaft mit ihnen eine
oberste Gerichtsbarkeit aufrichte, demnach Anteilnahme an der Reichs-
gerichtsbarkeit. Das oberste Gericht sollte dem Kaiser gegenüber eine
unabhängige Stellung erhalten und von allen Eingriffen der kaiserlichen
Macht frei sein. Der Kaiser ging darauf nicht ein. Er wollte auch
x) Janssen I, 460.
2) Sie ist in gewissem Sinne der Thronrede von heutzutage entsprechend, ent-
hält aber schon die Forderungen der Regierung.
668 Tod d. Königs Matthias. Wiedergewinn Österreichs.
hier nicht das mindeste von seinen bisherigen Machtbefugnissen preis-
geben. Der Gedanke an eine durchgreifende Reichsreform hatte sonach
bei Lebzeiten dieses Kaisers keine Aussicht auf Verwirklichung.
3. Trotz seines Versprechens, Österreichs Befreiung von der Herr-
schaft Ungarns unverzüglich in Angriff zu nehmen, wandte sich Maxi-
milian, dem die Austragung der burgundischen Irrungen wichtiger schien
als die der österreichisch-ungarischen, zuerst gegen Frankreich. Die
vom Kaiser begehrte Reichshilfe gegen Ungarn kam sonach erst sehr
spät — im Juni 1487 — und so spärlich zusammen, dafs der Reichs-
hauptmann Herzog Albrecht von Sachsen mit seinen 5000 Mann, die
er zudem aus eigenen Mitteln erhielt, gegen Matthias nicht nur keine
Erfolge erzielte, sondern auch das schon seit zwei Jahren belagerte
Wiener Neustadt nicht zu retten vermochte und auf Unterhandlungen
mit seinem Gegner einging, die zu einem Waffenstillstand auf Grund
des Status quo führten. Dieser wurde wiederholt verlängert. Friedens-
verhandlungen, die inzwischen gepflogen wurden, führten zu keinem
Resultat. Da starb König Matthias am 6. April 1490. Die politische
Lage war damit vollständig geändert. Um die ungarische Krone be-
warben sich aufser Johannes Corvinus, dem unehelichen Sohne des ver-
storbenen Königs, die beiden Brüder Wladislaw von Böhmen und Johann
Albrecht von Polen (s. § 131, 4), aber Maximilian forderte auf Grund
des Vertrages von 1463 die ungarische Krone für sich. Je strenger das
Regiment war, das Matthias in Ungarn geführt hatte, und je weniger
die ungarischen Stände eine noch gröfsere Erstarkung des Königtums
wünschten, um so mehr betonten sie die Freiheit ihrer Wahl. Nach
längeren Verhandlungen zwischen der böhmischen und der Partei des
Johannes Corvinus behaupteten die Anhänger Wladislaws das Feld und
wählten den Böhmenkönig, der sich mit einer starken Einschränkung
der königlichen Machtbefugnisse einverstanden erklärt hatte. Am
18. September 1490 wurde er zu Stuhlweifsenburg gekrönt und Johannes
Corvinus mit der Stellung eines Herzogs von Slawonien und Bans von
Kroatien abgefunden. Nun begannen die beiden andern Prätendenten
den Kampf. Johann Albrecht rückte in Oberungarn ein. Verhandlungen
der beiden Brüder führten erst im Februar 1491 dazu, dafs Johann
Albrecht gegen den Besitz der schlesischen Herzogtümer1) auf Ungarn
verzichtete. Inzwischen war Maximilian von Steiermark aus in Xieder-
österreich eingerückt und wmrde überall als Befreier begrüfst. Wien
öffnete am 17. August 1490 die Tore, und bald fand sich das Land bis
auf wenige Punkte in seinem Besitz. Im Oktober rückte er in Ungarn
ein und drang bis Veszprim vor. Schon traten einzelne Grofse zu ihm
über. Am 17. November wurde Stuhlweifsenburg genommen. Maximilian
konnte jedoch seine Söldner nicht befriedigen und wTar daher gezwungen,
den Rückzug anzutreten. Vom Kaiser gedrängt, der sein Leben in
Ruhe beschliefsen wollte, schlofs er am 7. November 1491 den Frieden
1 Glogau-Sagan, Tost u. Kosel mit Leobschütz, der Städte Jägerndorf u. Beuthen
und der Anwartschaft auf Öls-TVohlau u. Troppau.
Der Heinifall Tirols. Der neue schwäbische Bund. 569
von Prefsburg auf Grundlage von Bedingungen, die im wesentlichen
mit denen von 1463 übereinstimmen. Falls Wladislaw ohne Söhne oder
diese ohne männliche Nachkommen stürben, sollte Ungarn an Maximilian
oder dessen unmittelbare Leibeserben gelangen. Die ungarischen Stände
traten den Bestimmungen bei.
4. In demselben Jahre, in welchem Maximilian die an Ungarn
verloren gegangenen Besitzungen wiedergewann, erfolgte der Anfall
Tirols, nachdem das Haus Habsburg eben noch in Gefahr geschwebt
hatte, es an Witteisbach zu verlieren. Sigmund, ein Freund ritterlicher
Künste, kunstsinniger und schöngeistiger Bestrebungen, war durch seine
Verschwendung wiederholt in arge Geldnot gekommen, die von den
Herzogen von Bayern-München und Bayern-Landshut benützt wurde,
um Tirol an sich zu bringen. Sie liefsen sich nicht blofs für die ihm
geliehenen Gelder Ländergebiete verpfänden oder abtreten, sondern er-
füllten ihn mit der Idee, dafs seine nächsten Verwandten, der Kaiser
und dessen Sohn, ihn um sein Land, vielleicht sogar um sein Leben
bringen wollen. Ohne dafs ein wichtiges Interesse Tirols im Spiele war,
begann er 1487 den venezianischen Krieg und liefs sich von Bayern die
hiezu nötigen Geldsummen vorstrecken. Nachdem er 1486 an den
Herzog Georg die Markgrafschaft Burgau um 52000 Gulden verkauft,
verpfändete er den Herzogen Albrecht und Georg die Vorlande um
50000 Gulden, und dies mit solchen Klauseln, dafs eine Wiedereinlösung
kaum mehr möglich war. Gegen des Kaisers Willen vermählte er dessen
in Innsbruck weilende Tochter Kunigunde an Herzog Albrecht und gab
ihr aus Eigenem eine Beisteuer von 40000 Golclgulden. Endlich ver-
schrieb er Albrecht eine Million Goldgulden auf Tirol und die Vorlande.
Bei alledem nahm der venezianische Krieg einen unglücklichen Verlauf,
was den allgemeinen Unwillen der Tiroler erregte. Spät genug raffte
sich der Kaiser auf, um den drohenden Verlust des Erblandes abzu-
wenden. Zuerst erzwang die österreichische Partei in Tirol die Ein-
berufung eines Landtages und die Entlassung der bisherigen Räte, wor-
auf der Kaiser die Friedensvermittlung mit Venedig in die Hand nahm.
Im November 1487 ward Tirol und Vorderösterreich auf die Anerkennung
der Erbfolge Friedrichs und Maximilians in Eid und Pflicht genommen
und Sigmund bewogen, die an Albrecht gemachte Verschreib ung zu
widerrufen. Der Kaiser fand bei seinem Vorgehen Bundesgenossen an
den schwäbischen Reichsstädten. Auch diese sahen sich durch die
bayrische Politik bedroht, denn erst 1486 hatte Bayern das durch innere
Wirren zerrüttete Regensburg besetzt. Jetzt wurde ein neuer schwäbi-
scher Bund geschlossen, dem der Kaiser beitrat, vielleicht weil er
hiedurch dem dringenden Bedürfnis nach Reformen entgegenkommen
wollte. Auf einer Versammlung der schwäbischen Reichsstände, die er
nach Efslingen berufen hatte, legte sein Kommissär, Graf Haug von
Werdenberg, den Plan eines Bundes aller schwäbischen Stände zur Wah-
rung des Frankfurter Landfriedens vor. Der Bund wuchs durch den
Beitritt zahlreicher Städte, Fürsten und Prälaten. Auch Erzherzog Sig-
mund mufste sich anschliefsen und Bayern, um einem Kriege zu ent-
ß70 Tod Friedrichs III. Frankreich unter Karl VII.
gehen, Burggau gegen Rückgabe der Kaufsumme herausgeben (1489),
auf die Vorlande und drei Jahre später auch auf Regensburg und die
vom Sigmund verschriebene Geldsummen verzichten. Inzwischen war
auch in Tirol die Entscheidung gefallen. Da dem Erzherzog Sigmund
die Lage der Dinge unbequem, sein Widerwille gegen die ihm beige-
gebenen Räte und das Mistrauen dieser gegen den Fürsten immer gröfser
wurde, erklärte er (am 16. März 1490), zugunsten Maximilians gegen
eine Jahresrente auf seine Länder zu verzichten. Er starb ohne weiter-
hin Einflufs auf die Regierung zu gewinnen am 4. März 1496. Drei
Jahre früher, am 19. August 1493, starb der Kaiser im 79. Lebensjahre
(S. Charakterist. s. oben § 120, 1).
2. Kapitel.
Die Neugestaltung Frankreichs und Englands im Zeitalter der
Burgunder- und Kosenkriege,
§ 153. Die Neugestaltung Frankreichs unter Karl VII.
Die Quellen zur Geschichte Karls ATI. s. § 128.
1. Zeitgenössische Quellen geben dem Könige Karl VII. den Bei-
namen des Siegreichen. Da er seine Erfolge aber den Verdiensten
Jeanne d'Arcs und des Connetable Richemont dankt, ist es richtiger,
wenn er in den Quellen bien servi genannt wird. Die Herstellung der
inneren Ordnung machte unter dem Einflufs trefflicher Ratgeber rasche
Fortschritte. Am leichtesten vollzog sich die Regelung der kirchlichen
Verhältnisse. Auf der Versammlung von Bourges, an der aufser einer
Anzahl weltlicher Personen 5 Erzbischöfe, 25 Bischöfe und zahlreiche
Geistliche niederen Ranges teilnahmen, wurde (1438, Juli) nach einer
Beratung über die Baseler Reformdekrete 23 Artikel sanktioniert, in denen
die Beziehungen der französichen Kirche zum Papsttum geregelt und
die Freiheit kirchlicher Wahlen festgesetzt wird. Sie sind als die prag-
matische Sanktion von Bourges bekannt (s. oben § 119). Da diese
nicht nur der päpstlichen, sondern auch der königlichen Gewalt ent-
schiedenen Abbruch tat. denn auch dem Königtum wurde nur ein
geringer Einflufs auf die Besetzung der obersten Kirchenstellen gelassen,
waren Karls VII. Nachfolger nur zu leicht geneigt, ihren wesentlichen
Inhalt gegen sonstige Vorteile der Kurie zu opfern. Das Empfindlichste
für diese war. dafs kirchliche Anordnungen auch ohne päpstliche Zustim-
mung getroffen werden konnten. Bei diesen kirchlichen Reformen fand
das Königtum die unbedingte Unterstützung des Parlaments als des
starken Armes seiner Gerechtigkeit, und man würdigt die Klage Pius' IL,
dafs der römische Bischof, trotzdem seine Pfarre die Welt ist, in
Frankreich nicht mehr Gerichtsbarkeit hat, als ihm das Parlament
bewilligt.1)
*) Eanke, Fr. Gesch. I, 46.
Neugestaltung Frankreichs. Reform des Militär- u. Finanzwesens. (371
2. Gröfsere Aufmerksamkeit widmete Karl VII. der Reform des
Militärwesens, mit der die Ordnung des französischen Finanzwesens
auf das innigste verknüpft ist. Bisher war er fast ausschliefslich auf
den durch Verschleuderung stark geschmälerten Ertrag der könig-
lichen Domänen angewiesen. Von indirekten Auflagen mufste vieles
fallen gelassen werden, um nicht hinter Burgund und England, die mit
dem Beispiel vorangegangen waren, zurückstehen zu müssen. Aus dem
Geldmangel der Krone1) erklärt sich das grofse Elend, das die Kriegs-
banden — die Würger oder Schinder, Ecorcheurs — über das Land
brachten. Sie konnten eben nicht besoldet werden und machten sich
durch Raub und Plünderung bezahlt. Schliefslich hatte ihnen Karl VII.,
um den Plünderungen ein Ziel zu setzen, bestimmte Einkünfte in jenen
Bezirken, die sie gerade innehatten, anweisen lassen. Eine Neuord-
nung wurde erst auf der Stände Versammlung zu Orleans getroffen. Die
berühmte Ordonnanz vom 2. November 1439 machte das französische
Königtum von den feudalen Gewalten unabhängig. Indem die Grofsen
darauf verzichten, ohne Erlaubnis des Königs Truppen zu halten,
sprechen sie ihm das alleinige Recht zu, Kapitäne zu ernennen, die
nun für einen jeden von ihren Kompagnien verübten Unfug verant-
wortlich gemacht werden konnten. Nur der König durfte fortan Truppen
halten, diese mufsten aber regelrecht besoldet werden. So tritt nun an
die Stelle des alten feudalen Aufgebotes das stehende Heer. 1445
findet man 15 Ordonnanz - Kompagnien, die insgesamt 10000 Mann
zählten. Jede Kompagnie hatte 100 adelige »gens d'armes« mit ent-
sprechender Bedienungsmannschaft und stand unter einem Hauptmann.
Man besafs damit eine tüchtige Reitertruppe, und drei Jahre später
(1448) wurden ihr die Francs-archers — freie Bogenschützen — hinzu-
gefügt. Je eine von den 16000 Pfarren des Landes hatte einen Bogen-
schützen zu bewaffnen und zu unterhalten. Man hatte damit die erste
nationale Infanterie Frankreichs. Sie bewährte sich freilich so wenig,
dafs es Ludwig XL vorzog, an ihrer Statt schottische oder schweizerische
Söldner einzustellen. Die Artillerie, von Anfang an unter unmittelbarer
Verfügung des Königtums, wurde gleichfalls organisiert. Frankreich
gelangte demnach in der Mitte des 15. Jahrhunderts in den Besitz eines
schlagfertigen Heeres ; es war nicht mehr zu erwarten, dafs sein Er-
scheinen im Felde zugleich auch den Ruin des Landes bezeichnen
werde. Die Stände von 1439 setzten auch die Grundzüge für die Be-
soldung dieser bewaffneten Macht fest. Es wurde nämlich eine »ständige«
Auflage (taille perpetuelle) von jährlich 1200000 Livres ausdrücklich
für die Erhaltung des Heeres bestimmt. Die neue Steuer wurde durch
königliche Beamte, und zwar nicht blofs auf dem unmittelbaren Kron-
gebiet, sondern im ganzen Reiche erhoben. Die grofsen Vasallen ver-
zichteten demnach — allerdings nicht ohne Entschädigung, die ihnen
wahrscheinlich in einem Anteil der Taille geboten wurde, — zugunsten
der königlichen Gewalt auf einen wichtigen Teil ihrer bisherigen Rechte.
x) Noch 1443 versetzte die Königin ihre Bibel um 343 Livres.
672 Feudale Opposition. Die Praguerie. Sieg des Königtums.
Von der Taille waren der Adel und die Geistlichkeit, der Bürgerstand in den
autonomen Städten und die Inhaber einiger Ämter, auch die Francs-archers
befreit. Die älteren Verbrauchssteuern auf Getränke und Handelswaren
(aides), das Salzmonopol (gdbelle) und die Auslandszölle blieben bestehen.
3. Der König ging bei der Durchführung dieser Mafsnahmen ohne
Gewaltätigkeiten vor. Man findet, dafs er sich in der Languedoc mit
der Leistung eines Äquivalents für die neue Steuer begnügte, wie er
ihr auch ein eigenes Parlament in Toulouse (1443) bewilligte. In der
Folge erhielten auch die neuen Provinzen ihre Obergerichtshöfe, so in
Grenoble, Bordeaux usw. Das Parlament von Paris behauptete unter
den übrigen doch immer einen gewissen Vorrang. Dagegen hatte das
Ansehen der Universität Paris bedeutend abgenommen : hatte ihm
schon seine englandsfreundliche Gesinnung die Sympathien vieler geraubt,
so taten die humanistischen Ideen, die eben in Frankreich ihren sieg-
reichen Einzug hielten, das Ihrige hinzu. Auch die allgemeinen Stände
büfsten ihre frühere Machtstellung ein: sie hatten es nicht verstanden,
dem Willen der Nation im Kampfe mit dem Landesfeind kräftigen Aus-
druck zu geben, und das Königtum in seiner schwierigen Lage nur lau
unterstützt, zuletzt aber noch mit den Bewilligungen von 1439 den
stärksten Hebel ihrer Macht aus den Händen gegeben. Nun wurden
sie während der übrigen Regierungszeit Karls VII. nicht mehr berufen.
Häufiger traten die Provinzialstände zu Beratungen zusammen, aber die
ihnen gestellten Aufgaben waren keine legislativen; es handelte sich
in der Regel nur um die Aufteilung der von der Regierung geforderten
Steuern. Solchergestalt wandelte sich die alte Feudalmonarchie in ein
modernes Staatswesen um. Während sich die bürgerlichen Kreise dergrofsen
Reformen erfreuten und hiefür manchen Mifsbrauch der königlichen All-
gewalt mit in den Kauf nahmen, waren den französischen Grofsen Neuer-
ungen verhafst, die ihnen das Verfügungsrecht über Gut und Blut ihrer
Untertanen wegnahmen und sie selbst unter die Oberaufsicht der könig-
lichen Beamten stellten. So kam es schon 1440 zu einer Verschwörung,
der sich Mitglieder des höchsten Adels, ja selbst der königlichen Familie
anschlössen : vor allem der Dauphin Ludwig, der den grofsen Einflufs der
Agnes Sorel und mehr noch den der bürgerlichen Ratgeber des Königs
hafste. Die Verschworenen hegten den Plan, den Connetable zu ent-
fernen, dem Dauphin einen starken Einflufs auf die Regierung zu ver-
schaffen und die Grofsen in ihre alten Rechte wieder einzusetzen.. Das
Volk hat verächtlicherweise das Komplott in Erinnerung an das Ver-
halten der böhmischen Ketzer die » Praguerie« genannt. Der Aufstand
mifslang vollständig; denn von den feudalen Grundherren fanden es
doch schon manche geratener, auf einen Teil ihrer alten Gerechtsame
Verzicht zu leisten, als den unaufhörlichen Bedrückungen der Ecorcheurs
ausgesetzt zu sein. Im Verein mit dem Bürgertum stellen sie sich auf
die Seite des Königtums. Der durch keinen Racheakt entweihte Sieg
gab dem König die Kraft, im Verlauf der beiden nächsten Jahrzehnte
den schweren Aufgaben der äufseren Politik dem deutschen Reiche,
England und andern Ländern gegenüber gerecht zu werden. Mit der
Sturz u. Prozefs Jacques Coeurs. Das Ende Karls VII. 673
Rehabilitation der Jungfrau von Orleans hatte das Königtum Karls VII.
den Höhepunkt seines Ansehens erreicht. In schreiendem Widerspruch
dazu steht der Sturz des grofsen Bürgers Jacques Coeur, in dem
die französischen Zeitgenossen allerdings eine Zeitlang den eigentlichen
Regenten Frankreichs erblickten und der, ohne dals das Königtum die
Hand zu seinem Schutze erhob, dem Hafs und Neid seiner Gegner er-
lag (1453). Die letzten Jahre Karls VII. waren durch das schlimme
Verhältnis getrübt, in welchem er zum Dauphin Ludwig stand. Dieser
hatte an der Praguerie teilgenommen, aber wie die übrigen Verschwörer
um die Gnade des Königs nachsuchen müssen. Das Verhältnis zwischen
den beiden blieb ein gespanntes. Im Jahre 1446 begab er sich in seine
Apanage — die Dauphine — und hielt sich dort wie ein unabhängiger
Souverain. Gegen den Willen seines Vaters vermählte er sich (1451)
mit Charlotte, der Tochter des Herzogs Amadeus von Savoyen, wies
die Aufforderung des Königs an den Hof zu kommen, schroff ab und
flüchtete, als ihn der König mit Waffengewalt dorthin führen wollte,
an den Hof Philipps von Burgund , wo er zwar gastlich aufge-
nommen wurde, ohne aber die gehoffte Unterstützung gegen seinen
Vater zu gewinnen. Die Dauphine wurde infolgedessen von Karl VII.
eingezogen (1457) Dieser erkannte wohl die hohe geistige Begabung
seines Sohnes an, kannte aber auch seine Hinterlist.1) Er dachte eine
Zeitlang daran, ihn zu enterben und die Krone seinem jüngeren Sohne
Karl zu übertragen. Er fühlte sich von allen Seiten verraten, er rnufste
erfahren, dafs sein Sohn Verbindungen mit dem Hofe unterhalte, und
sah sich von dessen Plänen gefährdet. In der Angst, vergiftet zu
werden, enthielt er sich von Speise und Trank und starb an Ent-
kräftung (1461, 22. Juli).
§ 154. Der Ausgang der feudalen Fürstengewalten unter Ludwig XI.
und Karl VIII.
Quellen: S. Monod, p. 220. Lavisse, Hist. d Fr. IV, 2, V, 1. Potth. H, 1707.
DZG. HI, V. Ordonn., t. XV— XIX. Lettres de Louis XI, ed. Charavay et Vaesen,
t. 1—6. Paris 1883. Lettres de Charles VIH, p. p. Pelicier, t. I, IL Paris 1898—1901.
Jacqueton, wie oben. De la Tremouille, Archives d'un serviteur de Louis XL Doc. et
lettres (1451 — 1481"). Paris 1889. Correspondance de Charles VIII et de ses conseillers
avec Louis de Tremouille. Paris 1875. Le Journal des I^tats de 1484, ed. Masselin (1835).
Coli. d. doc. ined. De Gingins-la-Sarraz, Depeches des ambassadeurs milan. sur les
campagnes de Charles le Hardi de 1474 — 77. Paris 1858. Charles duc de Bourg., Lettres.
Paris 1729. Doc. sur les regnes de Charles VIII. etc. ed. Michaud et Pajoulat V.
Darstellende Geschichtswerke: S. oben § 128 d. Werke v. Monstrelet,
Oliv, de la Marche, Chastelain, Escouchy, S. Gelais, Basin u. Martial d'Auvergne. Dazu :
Duclercq, Memoires (1448— 1467) , ed. Reiffenberg. 4 Bde. 1823. (Potth. I, 385). Molinet
Chroniques 1476 — 1506, öd. Buchon. Par. 1827 — 29. Jean de Roye, Les chro-
niques du Loys de Valois (1460 — 1483), bekannt als Chron. scandaleuse od. Mem. de
Jean d. Tr. (über den Aut. Potth. I, 641), ed. B. de Mandrot. 1894. Memoires de Messire
Philippe deComines, ed. Godefroy 1747. Pierre de Blaru, Opus de hello Nanceiano. 1892. —
*) Mein Vetter, sagte er, der Herzog von Burgund, zieht einen Fuchs auf, der
ihm seine Hühner auffressen wird.
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. . 43
674 Die Anfänge Ludwigs XI.
Discussion de differends, ed. Leibnitz, Mantissa, p. 63. Adr. de Veteribusco, Chronicon
Leodiense bis 1483, ed. Martene. Ampi. Coli. IV. Vigne, La louange de rois de France.
Paris 1507. Cabinet de Louis XI, ib. 1661. Poeme sur la bat. de Liege en 1468 Buchon
Coli. XIV. Gilles, Les annales etc. Ausg. s. Potth. I, 526. Jean Maupoint, Journal, ed.
Fagniez. Paris 1877. Fragm. d'une Chron. du regne de Louis XI, ed. Coulon 1895.
Le Roux de Lincy, Chants histor. 1857. Für Karl YJLLI. ist das Quellenmat. zum Teil
dasselbe. Dazu : Charles VIII, Correspondance avec le Parlement etc. 1487 — 88. Xotices
et doc. p. p. la Soc. de l'hist. de France 1884 . . . avec ses conseillers 1488, ed. L. de
la Tremouille. Paris 1875. Guillaume de Jaligny, Histoire ... du regne de Charles VIII,
ap. Godefroy, Hist. de Charles VIII. Par. 1617. Journal des Etats generaux etc., p. p.
Bernier. Paris 1835. Procesverbaux, p. p. Bernier. Paris 1836. Cattanee, Extrait d'une
hist. abrege des roys de France, ap. Godefroy, Hist. de Charles Yffl. Champier, Extrait
ib. Xr. 10. Die übrigen Werke s. Potth. I, 214.) Extraits des differens ouvrages, ib. Xr. 12.
Traites de paix, ib. Xr. 13. Extrait des registres du parlement etc. Paris 1652. Bouchard,
Les grandes chroniques de Bretagne bis 1488. Par. 1514 and. Ausg. s. bei Potth. I, 168 .
Bouchet, Chron. de la Tremouille 1483—1525. Buchon VII (s. Potth. I, 168). Ligue
faite etc. en 1491, ap. Godefroy, p. 616. Bernardus Oricellarius, De bello Italico Caroli VILT,
commentarius 1483. Lond. 1724. Für die ital. Verh. s den nächsten Teil d. Handbuches.
Hilfsschriften: Die "Werke von Matthieu u. Duclos s. veraltet. Auch
das neuere Buch von U. Legeay, Hist. de Louis XI, 2 Bde., 1874, ist nicht kritisch
(s. Petit-Dutaillis in Lavisse VI, 2, 321). Michelet, Hist. de France, t. VI. Lavisse,
Hist. d. Fr., wie oben. Lavisse-Rambaud, Hist. generale, tom. HI. Desjardins,
Louis XI, sa politique exterieure, ses rapports avec lTtalie. Paris 1874. See, Louis XI.
et les villes. Par. 1891. Mandrot, Relations de Charles VH et de Louis XI avec les
cantons suisses. Par. 1881. Huillard-Breholles, Louis XI protecteur de la con-
federation italienne. R. des Soc. Sav. 1881. Zeller et Luchaire, Louis XI et la
maison de Bourgogne. Par. 1887 De Cherrier, Hist. de Charles VIII. t. I. 1868.
Zell er, Charles VTH 1485—91. Par. 1889. Rott, Hist, de la Representation diplom.
de la France aupres de cantons suisses. Berne 1900. Pelicier, Essay sur le gou-
vernement de la dame de Beaujeu 1883. De Barante, Hist. des ducs de Bourgogne
1364—1477. Par. 1824—26. De Labor de, Les ducs du Bourgogne. 2 voll. 1849—57.
Henreard, L'Appreciation du regne de Charles le Temeraire. 1875. Toutey, Ch. 1. T.
et la Ligue de Constance. 1902. — Les campagnes de Ch. 1. T. contre les Liegeois.
Bruxelles 1868. La Chauvelays, Les armees de Ch. 1. T. dans les deux Bour-
gognes. 1879. Die Burgunderkriege s. §151. Rossignol, Hist. de la Bourgogne sous
Charles YLTI. 1857. D u p u y , Hist. de la reunion de la Bretagne ä la France. 2 voll. 1881.
Lecoy de la Marche, Le roi Rene. 2 voll. 1875. A'alois, Le conseil du roi . . .
pend. la lere armee du regne de Charles VIII. BECh. 1883. Chasseriaud, La Prag-
matique Sanction sous le regne de Louis XL 1897 Rey, Louis XI et les etats ponti-
ficaux de France. 1899. Picot, Hist. des Etats generaux I, H. Pirenne, Hist. de
Belgique n. Einzelnes s. § 140 u. in den entsprechenden Abschnitten v. Lavisse IV, 2.
1. Mit Freuden, doch nicht ganz ohne Besorgnis, vernahm der
Dauphin die Kunde vom Tode seines Vaters. Noch hegte er Furcht,
dafs ihm der Thron von seinem jüngeren Bruder, dem Prinzen Karl,
streitig gemacht werden könnte. In dieser Besorgnis wandte er sich an
seine treuen Städte und bei aller Eifersucht auf die Übermacht
Burgunds an Herzog Philipp. Die Krönungsfeier in Reims verlief indes
ohne Zwischenfall. Der Herzog von Burgund selbst schlug ihn zum
Ritter und setzte ihm die Krone aufs Haupt. Ludwig XI. war jetzt
38 Jahre alt. Die Schule des Lebens hatte ihn früh gereift. Er hatte
das Weiberregiment und die Günstlingswirtschaft am Hofe seines Vaters
gesehen ; die Erfahrungen seiner Jugend hatten ihm tiefes Mifs-
trauen gegen jede Abhängigkeit von fremden Einflüssen eingeflöfst und
zur Entwicklung jener Selbständigkeit beigetragen, die ihm das Über-
Charakter und Politik Ludwigs XL 675
gewicht über seine Feinde gab. Er hatte Personen und Verhältnisse
nicht nur in Frankreich, sondern auch in der Fremde kennen und früh-
zeitig für seine Zwecke ausnützen gelernt. Bei seiner unermüdlichen
Tätigkeit, in der er von niemanden übertroffen ward, verstand er die
Kunst der Verstellung ; er wufste seine Gegner zu trennen, zu verfeinden
und einzeln zu besiegen. Sein Regiment war ein ganz persönliches.
Seine Ratgeber hatten nur seinen Willen zu vollziehen und wurden unter
Umständen unbarmherzig geopfert. Sein Vertrauen schenkte er nur
wenigen, meist Leuten geringer Herkunft, die ihm alles verdankten und
auf deren Treue er unbedingt zählen durfte. Da er einstens Mitglied
der Praguerie gewesen, stand zu erwarten, dafs seine Herrschaft den
Sturz aller Neuerungen und Reformen Karls VII. bedeuten würde, und
in der Tat: die Anfänge seines Regiments entsprachen diesen Erwar-
tungen. Zunächst wurde eine Anzahl der den Grofsen und ihm selbst
verhafsten Werkzeuge seines Vaters entfernt und die Opfer der Politik
Karls VII. restituiert, des Königs Bruder erhielt Berry als Apanage,
andere Grofse wichtige Amter und Ehrenstellen; und doch erwies sich
all das nur als Heuchelei und Berechnung, um die Grofsen zu gewinnen,
deren Feindschaft ihm jetzt gefährlich werden konnte. Wider ihre Er-
wartung waren nämlich die Städte schärfer als früher zu den Steuer-
leistungen herangezogen worden, weshalb sich einzelne von ihnen offen
empörten. Die Erhebung konnte nun leicht niedergeschlagen werden,
weil ihr die Hilfe der Grofsen fehlte. Um den Papst zu gewinnen und
die Krone Neapels für das Haus Anjou zu erhalten, hob er (1461)
die pragmatische Sanktion auf. Da Pius II. aber nicht geneigt war, die
Ansprüche des Hauses Anjou zu unterstützen, benützte er den Wider-
stand des Parlaments und des französischen Klerus gegen die Aufhebung
der nach schweren Kämpfen erworbenen Rechte, um sie, soweit als
sie seinem eigenen Vorteil nicht widersprachen, in Kraft zu lassen.
Die französische Kirche geriet hiedurch allerdings gegen ihre Wünsche
in die Abhängigkeit von der Krone. In der äufseren Politik verfolgte
er dieselben Ziele wie sein Vater, in der Wahl seiner Mittel aber war
er skrupelloser als dieser. Für die Unterstützung, die er Juan IL
von Aragonien gegen die Katalonier gewährte, erwarb er für Frankreich
die Grafschaften Roussillon und Cerdaigne.1) Dagegen mischte er sich
nicht weiter in die Angelegenheiten Neapels, denn bei der Hilfe, die das
aragonische Königshaus beim Papste und Mailand fand, bot eine Partei-
nahme für Anjou keine Aussicht. Die Kämpfe der Rosen in England
hatten für Frankreich das Gute, dafs die Gefahr eines Angriffs von dieser
Seite her völlig verschwand. Die Königin Margareta, die Gemahlin
Heinrichs VI., die in Frankreich Schutz suchte, mufste sich mit einer
unbedeutenden Unterstützung begnügen, für die sie dem König Aussichten
auf den Erwerb von Calais machte. Im übrigen schlofs Ludwig schon
1464 einen Waffenstillstand mit Eduard IV. Mit Savoyen und Mailand
knüpfte er freundschaftliche Beziehungen an. Dem Erben Savoyens ver-
J) Lit. bei Lavisse IV, 2, 390.
43*
ß76 Feudale Mächte in Frankreich.. Einheits- oder Föderativstaat.
mahlte er seine Schwester Jolante und dem Herzog Francesco Sforza
überliefs er Frankreichs Ansprüche auf Genua. Die Beziehungen zu
dem Osten waren durch sein Verhältnis zu Burgund gegeben.
2. Karl VII. hatte durch seine Kriege und seine Reformen die
Einheit des französischen Staatswesens neu begründet. Vollzog sich der
Wandel der Dinge auch nicht auf gewaltsame Weise, so empfanden
die Vasallen den Verlust alter Rechte bitter genug und waren be-
müht, sie bei günstiger Gelegenheit wieder an sich zu ziehen. Ihre
Machtfülle war noch immer eine aufserordentliche und stand nicht weit
hinter jener der deutschen Reichsfürsten zurück. Der französischen
Krone zunächst stand der Herzog von Orleans. Ihm gehörten die
Herzogtümer Orleans und Valois, die Grafschaft Blois und ein Teil der
Grafschaft Soissons. Diese Linie des königlichen Hauses führte auf
Ludwig, den Bruder Karls VI., zurück. Sie hielt in Blois, »der vor-
nehmsten Stätte ritterlicher Kultur«, glänzenden Hof. Nicht weniger
glänzend und glänzender noch durch seine hohen Ansprüche war das
jüngere Haus Anjou, das auf Ludwig, den zweiten Sohn Johanns des
Guten, zurückführt. Ihm gehörten die Herzogtümer Adjou und Maine und
die Grafschaft Provence; seine Ansprüche umfafsten aufser Lothringen,
Bar und Majorka auch die Königreiche Neapel, Ungarn und Jerusalem.
Haupt des Hauses war Rene, der »gute« König, ein Freund der Dichter
und Künstler, im übrigen dem Träger der Krone durchaus ergeben.
Das Haus Alencon hatte die Grafschaften Alencon und Perche inne,
die im Jahre 1268 an Pierre, den fünften Sohn Ludwigs IX., gekommen
waren. Das jetzige Haupt des Hauses, Herzog Johann IL, war mit Karl VII.
verfeindet gewesen. Ludwig XL zog ihn aus dem Gefängnis ; bald aber
findet er sich unter dessen Gegnern. Die Linie Bourbon, die auf
Robert von Clermont, Sohn Ludwigs IX., zurückgeht, war mit all ihren
Zweigen im Besitz der Herzogtümer Bourbon und Dauphine d'Auvergne,
der Grafschaften La Marche, Le Forez und Vendöme, eines grofsen
zusammenhängenden Ländergebietes in der Mitte von Frankreich. Das
herzogliche Haus von Bretagne hängt durch Pierre Mauclerc, einen
Urenkel Ludwigs VI., mit der Dynastie der Kapetinger zusammen. Wohl
hatte schon Mauclerc Philipp IL August (1213) den Eid der Treue ge-
leistet, seine Nachfolger behaupteten indes einen höheren Grad von
Selbständigkeit als die übrigen Herrenhäuser in Frankreich ; sie
nennen sich Herzoge von Gottes Gnaden und weigern sich , die
pragmatische Sanktion anzuerkennen. Südwärts von der Garonne findet
man die grofsen Grafengeschlechter von Foix, Armagnac und Albret,
von denen das mittlere seine Herrschaft von Gottes Gnaden stark
betont und das Haus d'Albret noch 1456 die Unteilbarkeit seiner Herr-
schaft festsetzt. Aber alle diese Vasallenhäuser überragte Burgund
(s. oben § 151, 2), dessen Herzoge sich ihrer Machtfülle durchaus be-
wufst waren. Der burgundische Hof war der glänzendste seiner Zeit.
Mit Stolz zeigte man den Fremden im Schatze »100000 Zentner ge-
schlagenen Goldes und unaussprechlich viel überköstliche Kleinodien«.
Noch ward hier, in der Zeit des zur Rüste gehenden Rittertums, der
Burgund unter Philipp dein Guten und Karl dem Kühnen. 577
gesuchteste Ritterorden vom Goldenen Vlies gestiftet (1431); fester als
an andern Höfen wurde hier an ritterlichem Wesen gehalten; von
Philipp dem Guten erwartete man, dafs er sich an die Spitze einer
grofsen Heerfahrt wider die Türken stellen würde. Am burgundischen
Hofe fanden nicht zuletzt auch die Wissenschaften und Künste ihre
Heimstätte. Hier lebten die Meister in der Kunst historischer Erzählung
und die grofsen bildenden Künstler, die mit den Quatrocentisten Italiens
um die Palme rangen. Noch 1420 war für die Bedürfnisse der Nieder-
lande die Universität Löwen, drei Jahre später für Burgund die von
Dole gegründet worden. Zwischen einem Vasallen, .wie dem Burgunder,
und einem machtvoll aufstrebenden Königtum war kein dauernder Friede
möglich. Zum Glück für die Krone waren die Beziehungen Philipps
zu seinem Erben, dem Grafen Karl von Charolais, nicht viel bessere
als einst zwischen Karl VII. und dem Dauphin. Es gab eine Zeit, wo
der burgundische Erbprinz daran dachte, sich eine Zufluchtsstätte am
französischen Hofe zu suchen. Ludwig vermittelte den Frieden zwischen
Vater und Sohn. Jetzt aber war er bedacht, seine innigen Beziehungen
zu Burgund zu lockern. Die alten Sympathien der Pariser Bürgerschaft
für Burgund konnten ihn in dieser Absicht nur bestärken. Es wurde
sein unverrückbares Ziel, die feudalen Gewalten zu schwächen oder ganz
zu vernichten. Indem er die Zwistigkeiten im burgundischen Hause
für seine Zwecke ausnützte, gelang es ihm zunächst, so wichtige Städte
wie Peronne, Amiens u. a., die der Friede von Arras gegen Versiche-
rung des Rückkaufes an Burgund überlassen und dieses damit zum
Herrn der Pikardie gemacht hatte, zurückzugewinnen. Gegen den Herzog
Franz von Bretagne erhob er die Beschwerde, dafs er sich souveränen
Herrn und von Gottes Gnaden nenne, und nahm die Regalien über die
bretonischen Bistümer für sich in Anspruch. Derartige Forderungen
enthüllten die letzten Ziele des Königs. Karl von Charolais schlofs mit
Bretagne, das seinerseits Verbindungen mit England angeknüpft hatte,
ein Bündnis (1463). Ein Vorfall, der sich bald nachher ereignete, warf
auf die Mittel Ludwigs XL, sich seiner Gegner zu entledigen, ein be-
denkliches Licht. Es handelte sich darum, sich der Person Karls, ja
selbst des alten Herzogs von Burgund, zu bemächtigen. Wohl stellte er
seinen Plan in Abrede, konnte aber Philipps Vertrauen nicht wieder ge-
winnen. Durch das Bündnis, das Ludwig mit Sforza von Mailand ge-
schlossen hatte, fand sich der Herzog Karl von Orleans beleidigt, der
durch seine Mutter Valentine Visconti die Herrschaft über Mailand be-
anspruchte , während ihm die Anjou seinen Bund mit Aragonien
nicht verziehen. Auf einer Versammlung der Grofsen, die Ludwig XI.
im Dezember 1465 nach Tours berief, verlangte er, dafs der Bretone
seinen angemafsten Ansprüchen entsage, und forderte Hilfe von ihnen,
aber schon waren sie insgesamt von feindlicher Gesinnung gegen den
König erfüllt und von dem Gedanken beherrscht, ihre Selbständigkeit
selbst mit Waffengewalt zu verteidigen. Zwei entgegengesetzte Prin-
zipien: der alte Feudalismus und das erstarkte Königtum gerieten hart
aneinander. Man hörte von Äufserungen des Königs, er werde zwei
678 Die Ligue du Bien public. Montlhery und St. Maur.
oder drei der Grofsen in Knechtschaft bringen, und sollte er hiezu die
Hilfe Englands anrufen müssen. So entstand die Ligue du Bien public1),
der nicht blofs Franz von Bretagne und Karl von Charolais, sondern
auch der Graf von St. Pol, die Herzoge von Lothringen, Bourbon und
Alencon, Dunois der Bastard von Orleans, Johann von Anjou, der Herzog
von Nemours, der Graf von Armagnac und der Herr von Albret bei-
traten. Ihr nominelles Oberhaupt wurde der Herzog von Berry. Der
Bund suchte Anknüpfungen mit deutschen Fürsten. Auch Ludwig war
nicht müfsig geblieben. Schon 1463 hatte er mit den Schweizern und
Mailand, 1464 mit dem Hussitenkönig Georg Bündnisse geschlossen.
Manifeste beider Parteien führten Beschwerde gegeneinander. Durch
einen Zug Ludwigs nach Berry bemächtigte er sich dieses Landes und
nötigte den Herzog von Bourbon und dessen Verbündete zu dem Waffen-
stillstand von Riom. Mittlerweile war Karl von Burgund an der Spitze
eines starken Heeres durch Artois und die Pikardie nach Isle de
France gezogen. Bei Montlhery kam es am 16. Juli 1465 zur Schlacht,
in welcher die Burgunder das Schlachtfeld behaupteten. Karl hielt sich
fortan trotz der von ihm während des Kampfes gemachten Fehler für
einen grofsen Feldherrn. Nun vereinigten sich die ligistischen Heeres-
abteilungen und zogen vor Paris, dessen Bürgerschaft allen Lockungen
gegenüber der Sache des Königs treu blieb. Ludwig XL hatte inzwischen
Verstärkungen aus der Normandie an sich gezogen. Es kam zu einer
Reihe von Kämpfen; da aber die Lage des Königs mit jedem Tage schwie-
riger wurde, trat er auf den Rat Sforzas mit seinen Gegnern in Unter-
handlungen; schliefslich sah er sich genötigt, ihnen die gröfsten Zuge-
ständnisse zu machen. Es galt eben zunächst nur, die Bundesgenossen
zu trennen. So kam es nach längeren Verhandlungen in Conflans zum
Frieden von St. Maur (29. Oktober). Der König bewilligte alle Forde-
rungen der Ligisten. Karl erhielt statt Berry die Normandie und die Lehens-
hoheit über Bretagne, Alencon und Eu, Karl von Burgund die Städte an der
Somme, aufserdem die Grafschaften Guines, Boulogne und andere Terri-
torien, der Herzog von Bretagne die ihm streitig gemachten Rechte, dazu
die Grafschaften Monfort und Etampes, und so wurden auch die übrigen
Mitglieder der Ligue, das Volk sprach nunmehr von einer Ligue du mal
public, mit Rechten und Besitzungen der Krone ausgestattet. Die Nieder-
lage des Königtums war eine vollständige. Mufste der König doch die
Einsetzung einer Kommission genehmigen, die, aus 36 Mitgliedern be-
stehend, die Abstellung aller Unordnungen und Mängel in der Kirche und
im Gerichtswesen und aller Erpressungen und Bedrückungen des Volkes
verfügen sollte. Eine Amnestie sollte erlassen und die Grofsen nicht
verhalten werden, persönlich bei Hof zu erscheinen, sondern ihre Lehens-
pflichten nur dann zu erfüllen, wenn es sich um das Wohl des Vater-
landes und dessen Verteidigung handle. Aus dem Einheitsstaate, den
Karl VII. begründet hatte, war ein Föderativstaat geworden, die Grofsen
des Reiches hatten eine nahezu unabhängige Stellung erlangt, vor allem
war Burgund mächtiger als zuvor.
l) Lit. s. Lavisse IV, 2, 343.
Ludwig XI. und Karl d. Kühne. 679
3. Ludwig XI. war keinen Augenblick gesonnen, die schweren
Bedingungen des Friedens zu halten. Man warf ihm, wenn auch un-
gerechterweise, vor, dafs er gegen dessen Bestimmungen eine Ver-
wahrung beim Pariser Parlamente eingelegt habe. Er gab sich den
Anschein, als wolle er seine ganze Regierungsweise, entsprechend den
Vorgängen der letzten Zeit, ändern ; er wechselte aber nur die Personen
in seinem Pate. Seine Politik blieb dieselbe. Einen Teil seiner Gegner
gewann er durch kluges Entgegenkommen, die Bürger durch herab-
lassendes Wesen, die Beamten durch Sicherung ihrer Stellungen ; selbst
die Kommission der 36 »Reformatoren« rief er zusammen, ja er benützte
sie als eines der Mittel zur Erhaltung der Rechte der Krone. Kaum
fühlte er sich einigermafsen sicher, als er zu seinem ersten Schlage
ausholte. Ein Streit zwischen Karl von Berry und dem Herzog der
Bretagne. bot ihm die Gelegenheit, die Normandie wieder mit der Krone
und diesmal für immer zu vereinigen (1466). Von den früheren Bundes-
genossen Karls von Berry rührte sich keiner, um dessen Rechte zu
wahren. Burgund, das zunächst hievon betroffen war, lag eben in einem
schweren Streit mit Lüttich und Dinant, die, wiewohl mit Ludwig XI.
verbündet, in den Frieden von St. Maur nicht eingeschlossen waren.
Beide wurden nun von den Burgundern unterworfen. Nicht lange
nachher (1467) starb Philipp der Gute. Sein reiches Erbe fiel nun an
Karl den Kühnen (1467 — 1477). In den niederländischen Städten
regte sich der alte Freiheitssinn; in Gent kam es am Tage des Einzugs
des neuen Herzogs zu einem Auflauf, den er nur durch die Herstellung
der alten Rechte und Privilegien zu beschwören vermochte. Gents Bei-
spiel befolgten Mecheln und Antwerpen. Die Lütticher, die sich im Ver-
trauen auf Ludwigs Hilfe erhoben hatten, büfsten ihr Unterfangen
mit dem Verlust ihrer Rechte. Nun beugten sich auch die übrigen
Städte vor dem neuen Herrscher, dessen Gewalt einen absoluteren
Charakter erhielt. Als Karl der Kühne im Juli 1468 vMargareta, die
Schwester des englischen Königs Eduard IV., als Gattin heimführte,
schien seine Stellung fast eine unangreifbare zu sein. Für Frankreich
wuchs die Gefahr schon, als des Königs Bruder im Bunde mit Bretagne und
dem Herzog von Alencon und unterstützt von England daran ging, die
Normandie zurückzugewinnen. Ludwig XL berief auf das hin die all-
gemeinen Stände nach Tours (1468, April) und liefs dort erklären, dafs
die Normandie niemals von der Krone getrennt werden dürfe. Durch
sein Versprechen, die Steuern herabzusetzen und für eine geordnete Ver-
waltung zu sorgen, bewog er die Nation zu bedeutenden Opfern, die
ihn in den Stand setzten, ein starkes Heer zu sammeln. Der Herzog
von Bretagne sah sich zum Frieden genötigt, und der Bruder des Königs
wrurde für seine Ansprüche durch eine Geldsumme abgefunden, Karl
von Burgund drohte dagegen, eine jede Verletzung des Vertrags von
St. Maur mit dem Schwerte zu rächen. Statt nun dem Rate seiner Feld-
herren zu folgen und den Krieg gegen Karl zu beginnen, schlug Ludwig,
in der Hoffnung, den Burgunder durch die Macht seiner Überredung zu
gewinnen, den Weg zu Verhandlungen ein. Am 9. Oktober 1468 kamen
580 Ludwig XI. in Peronne. Neue Ligue gegen Ludwig. Sieg des Königs.
die beiden Fürsten in Peronne zusammen. Zwei Tage wurde ver-
handelt; die Verhandlungen hatten einen guten Fortgang. Da erhielt
Karl die Nachricht, dafs Lüttich, von Franzosen aufgestachelt, sich aufs
neue erhoben habe. Im ersten Zorne mochte der Herzog geneigt sein,
den König, der in seiner Gewalt war, gefangen zu halten. Es war der-
selbe Ort, wo einstens Karl der Einfältige durch den Grafen von Ver-
mandois festgenommen wurde. Ludwigs Bruder, Karl von Berry, hätte
demnach den Thron von Frankreich besteigen sollen. Karl der Kühne
begnügte sich jedoch mit der Versicherung des Königs, die alten Ver-
träge zu halten, die Gerichtsbarkeit des Pariser Parlaments nicht über
Flandern und die Pikardie auszudehnen und seinem Bruder die Graf-
schaften Champagne und Brie als Apanage anzuweisen. Er mufste das
burgundische Andreaskreuz aufstecken und der Exekution gegen Lüttich
beiwohnen. Der Herzog von Burgund stand jetzt auf der Höhe seiner
Macht und seines Ruhmes. Abermals war Ludwig der Besiegte. Doch
entzog er sich der schwersten Bestimmung des neuen Vertrags, indem
er seinem Bruder statt der an Burgund angrenzenden Champagne die
Guienne zuwies. Ludwig XL säumte nicht, dem Burgunder allerorten
Gegner zu erwecken : in dem Kampfe der beiden Rosen ergriff er die
Partei des Hauses Lancaster, da Burgund durch verwandschaftliche
Bande und sein eigenes Interesse an York geknüpft war. Nach dem
Sturze Eduards IV. war er entschlossen, den Kampf gegen Burgund auf-
zunehmen. Die Notablen erklärten ihn (1470) der Verpflichtungen von
Peronne ledig, weil sich Burgund mit dein Reichsfeind verbündet habe.
Ludwig gewann St. Quentin und Amiens und schlofs mit Karl dem
Kühnen, der für seine Rüstungen Zeit brauchte, einen Waffenstillstand
(1471, April). Aber der Sieg des Hauses York in England hob die
Sache Burgunds. Der Bruder Ludwigs XL warb nun um die Hand der
Tochter Karls des Kühnen. Wieder erhoben sich die alten Gegner
Ludwigs. Es gewann das Ansehen, als sollte es zu einer Zerstückelung
Frankreichs kommen. Da starb im rechten Moment Prinz Karl (1472),
und sein Land ward mit dem übrigen Kronland verbunden. Offen be-
schuldigte Karl von Burgund den König des Giftmordes. Er drang in
die Pikardie ein, aber die Greuelszenen, die er bei der Eroberung von
Nesle aufführen liefs, bewogen die Einwohner, sich nur um so fester
an das legitime Königtum anzuschliefsen ; in Beauvais griffen selbst die
Frauen zu den Waffen. Da der Herzog von Bretagne den Kampf aufgab,
beendete der Waffenstillstand von Senlis (1472) einen Krieg, in welchem
zum erstenmal alle Vorteile auf Seiten Ludwigs XL waren.
4. Noch während des Kampfes gegen die Übermacht Burgunds
und um das burgundische Erbe (§ 151) hatte Ludwig den Vernichtungs-
kampf gegen die grofsen feudalen Gewalten begonnen. Herzog Johann IL
von Alencon, der sich fast an allen Verbindungen gegen den König
beteiligt und noch zuletzt mit England konspiriert hatte, wurde (1474)
zu lebenslänglicher Haft verurteilt, in der er starb. Sein Sohn Rene
hatte sich in die Bretagne geflüchtet; 1481 gefangen, erhielt er erst
unter Karl VIII. seine Freiheit wieder. Schlimmer erging es dem
Vernichtung der feudalen Übermacht. Stärke des Königtums. 581
Grafenhause Armagnac. Wie Alencon mit England, trat Armagnac
mit Aragonien in Verbindung. Johann V. von Armagnac hatte nicht
blofs an der ligue du Bien public teilgenommen, sondern sich auch später
noch in Verschwörungen eingelassen. Das Parlament erklärte ihn
deshalb seines Besitzes verlustig. Zwar gewann er ihn mit Hilfe
des Herzogs von Guienne zurück. Nach dessen Tode liefs der
König aber ein Heer in der Grafschaft einrücken und Johann V. in
seiner Feste Lectoure belagern ; hier ergab er sich am 15. Juni 1472.
Nach dem Abzug des königlichen Heeres begann er den Kampf von
neuen; Lectoure mufste kapitulieren. Gegen die Kapitulationsbedin-
gungen wurde der Graf niedergemacht. (1473.) In seinen Sturz wurde sein
Bruder Graf Karl von Fezensac verwickelt. Ins Gefängnis geworfen,
erhielt auch er erst durch Karl VIII. die Freiheit zurück (1484). Der
Herzog von Nemours, das Haupt der jüngeren Linie Armagnac, wurde
des Hochverrates angeklagt und enthauptet (1477). Der Connetable
Graf St. Pol, der während der burgundischen Kämpfe eine zweideutige
Rolle gespielt hatte, büfste sein Vergehen mit dem Tode (1475). Während
dieser Kämpfe war Rene von Anjou, Titularkönig von Sizilien, gestorben
(1480). Sein Erbe, Karl von Maine, verzichtete zugunsten der Krone
auf die Nachfolge. Das Königtum erbte damit nicht nur Anjou, Maine
und die Provence, sondern auch die alten Ansprüche auf Neapel. Erst
jetzt wurde Marseille ein französischer Hafen; daran, dafs die Provence
Lehen des deutschen Reiches sei, hat niemand mehr gedacht. Unter
den feudalen Gewalten regte sich kein Widerstand mehr ; auch Bourbon
und Orleans fanden es angemessen, sich an das Königtum anzu-
schliefsen, indem Peter von Beaujeu aus dem Hause Bourbon die ältere,
Ludwig von Orleans die jüngere Tochter des Königs heiratete. Auf der
engen Verbindung der von Ludwig XL gewonnenen Provinzen mit dem
übrigen Frankreich beruhte fortan die Stärke seines Königtums. Auch
der Anfall der Bretagne war beim Ableben des Herzogs Franz, der
keine männlichen Erben hatte, zu gewärtigen. Der König dankte seine
grofsen Erfolge der Unterstützung der ganzen Nation, in der sich ein
Gemeingefühl entwickelt hatte, vor dem jede provinzielle Unabhängig-
keit zurücktrat. Und doch liefs der König die Rechte und Gewohn-
heiten der Provinzen nicht nur unangetastet, sondern förderte die Provinz-
verfassungen, sofern sie seinen Prärogativen keinen Eintrag taten. Wohl
hatten sie starke Bewilligungen zu leisten , dafür war er bemüht, ihren
Beschwerden abzuhelfen. Weniger liebte er die allgemeinen Reichs-
versammlungen; statt einen Vertrag ihnen zu unterbreiten, liefs er ihn
lieber von den 47 provinzialständischen Versammlungen ratifizieren. In
diesem Sinne wurden auch in den neuerworbenen Provinzen oberste
Gerichtshöfe geschaffen. Ein eifriger Förderer des bürgerlichen Wesens,
bestätigte er alte und gab den Städten neue Privilegien, gestattete
volle Freiheit der Magistratswahlen und Versammlungen des Volkes.
Paris besafs seine volle Zuneigung, und mehr als ein anderer König
Frankreichs hat er für seine Hauptstadt getan. Auch für die allge-
meine Volksbildung trug er Sorge. Schon fanden in Frankreich
682 Die Regentschaft Anna Beaujeus. Erwerbung der Bretagne.
humanistische Tendenzen Anklang. Bei Ludwigs Tode war das König-
tum schon stark genug, um eine Minderjährigkeit des Trägers der Krone
mit ihren Gefahren und inneren Kämpfen zu tragen.
5. Nach dem Tode Ludwigs XL erhoben sich die von diesem zu-
rückgedrängten feudalen Mächte und forderten mit Ungestüm die Wieder-
herstellung der alten Zustände. Ihnen schlössen sich die Parlamente,
die Bürgerschaften und niederen Klassen des Volkes an, von denen
jene die Herstellung der von Ludwig XL vielfach verletzten legalen
Justizformen, diese die Minderung des Steuerdruckes verlangten. Der
Nachfolger Ludwigs XL war sein erst vierzehnjähriger Sohn Karl VIII.
(1483 — 1498). Die Sache des Königtums schwebte in grofser Gefahr;
zum Glück bot ihnen Ludwigs hochbegabte Tochter Anna von
Beaujeu, nach den Worten eines Zeitgenossen das wahre Abbild
ihres Vaters, kühn die Stirn. Sie berief die allgemeinen Stände nach
Tours (1484). Nicht blofs der Adel und Klerus sowie die Bürger-
schaften, sondern auch die Vertreter der freien Bauernschaften fanden
hier Zutritt, Unter den Wortführern fanden sich manche, die schon
vom Geiste des klassischen Altertums und den grofsen Erinnerungen
der römischen Republik ergriffen waren. Man forderte das Steuer-
bewilligungsrecht und regelmässige Berufung der Stände. Damit wäre
das Schwergewicht im Staate in die Ständeversammlungen verlegt worden.
Die Mehrheit begnügte sich mit der Abschaffung der ärgsten Mifsbräuche
und. der Zurückführung der Verwaltungsnormen auf die Verhältnisse
Karls VII. Gefährlicher wurde die Opposition der Herzoge von Orleans
und Bretagne, von denen jener die Regentschaft an sich reifsen wollte
und den Herzog Franz IL von Bretagne auf seine Seite zog. Sie erhoben
noch einmal die Waffen gegen die Krone. Nun gewann Anna selbst Ein-
nufs in der Bretagne ; sie brachte Rene von Lothringen und die mit
Maximilians Regentschaft unzufriedenen Städte Gent, Brügge und Ypern
auf ihre Seite. Eine neue Ligue bildete sich, welcher der König von
England, Maximilian von Österreich u. a. beitraten. Es bedurfte der
ganzen Tatkraft der Regentin, um dieser Schwierigkeiten Herr zu werden.
Auch sie nahm Schweizer in Sold, und so halfen die Republikaner,
die französische Monarchie begründen. Am 27. Juni 1488 wurden die
Kriegsscharen der beiden Herzoge, die durch englische Bogenschützen
und deutsche Landsknechte unterstützt waren, von den Königlichen bei
St. Aubin geschlagen. Rasch und demütig bat Franz IL um Frieden.
Unter den Bedingungen des mit ihm abgeschlossenen Vertrages von
Sable, der ihm das Herzogtum zurückgab, war eine wichtig, dafs er
seine beiden Töchter nicht ohne Zustimmung des französischen Königs
vermählen dürfe. Dieser heiratete Anna, die ältere von beiden, selbst
(1491) und wurde damit auch der Herr der Bretagne. Der Krieg mit
den übrigen Gegnern zog sich in die Länge und ward erst durch die
Friedensschlüsse der Jahre 1492 und 1493 unter Verhältnissen, deren
Erörterung schon der Neuzeit angehört, erneuert. Für die Ausbildung
der französischen Grofsmachtstellung war der Erwerb der Bretragne
von gröfster Bedeutung. Freilich vollzog er sich nicht ohne bedeutende
Vollendung der Grofsrn achtstell ung Frankreichs. 683
Opfer. Der jugendliche König Karl VIII. war mit Margareta, der
Tochter Maximilians und Marias von Burgund verlobt gewesen. Nun
mufste Margareta an den Hof ihres Vaters zurückkehren, dafür mufste
Karl freilich die Aussteuer seiner einstigen Verlobton, Artois und Flan-
dern, herausgeben, wie dies der Friede von Senlis (1493) bestimmte.
Jetzt erst, seit die Bretagne an Frankreich gekommen und vollends
seit der Herzog von Orleans selbst als Ludwig XII. den Thron be-
stieg, konnte die staatliche Umbildung Frankreichs als abgeschlossen
angesehen werden und der König den Rufen folgen, die aus Italien
an ihn gelangten.
§ 155. Heinrich VI. und der Beginn des Kampfes zwischen der
roten und weifsen Rose.
Quellen u. Hilf s Schriften s. Pauli V, 685 — 710. Grofs S. 257. Urkunden
und Briefe. Im allgem. Rymer, Foedera w. oben. — Proceedings and ordinances
of the privy Council of England, ed. N. Harris Nicolas. Lond. 1834 — 37. Rotuli par-
liamentorum. 6 voll. S. Grofs 2010 Statutes of the realm. IL Bd. Ib. 2025. — The Statutes
revis., ed. Lond. 1888—99. Patent Rolls, Henry VI. 1422—27. Lond, 1901. Calendar
of the Patent Rolls, preserved in the public Record Office, Edward IV., Henry VI.,
1461 — 1485. London 1900 — 01. Original letters written during the reigns of Henry VI.,
Edward IV., Richard HI. and Henry VII., ed. John Fenn. 5 voll. Lond. 1787—1823.
New edition by James Gairdner: The Paston letters 1422—1509. 3 voll. Lond. 1896.
Letters and papers illustrative of the wars of the English in France during the reign
of Henry VI., ed. Stevenson. Roll Ser. 2 voll. Lond. 1861 — 64. Conferences between
the ambassadors of France and England in den Narratives etc., ed. Stevenson. Rolls
Ser. 32. Letters and papers illustr. of the reigns of Richard III. and Henry VH., ed.
James Gairdner. Roll Ser. 2 Bde. Lond. 1861 — 63. Letters of the Kings of England,
ed Halliwell. 2 Bde. Lond. 1848. Litt. Cantuar. Rolls Ser. 85. Official correspondence
of Thomas Bekynton secretary to Henry VI., ed. George Williams. Rolls Ser. 2 voll.
Lond. 1872. Original letters illustr. of English history, ed. Ellis. 3 Voll. Lond. 1825
bis 1846. Materials for a History of the reign of Henry VH , ed. Campbell. Lond. 1873 bis
1877. S. auch Grofs Nr. 1933, 1937, 1942, 1947, 1993, 2000, 2006 u. a. Darstellende
Geschichtswerke. S. § 125 — 129. Dazu ; Annales monasterii S. Albani a Johanne
Amundesham, ed. Riley. Rolls Ser. 1871 (bis 1440). Account of the first battle of
Albans (1455), ed. Bayley. London 1824. Berry Herolt du Roy = Gilles le Bouvier, dit
Berry s. §128. Blakman, De virtutibus et miraculis Henrici VI., ed. Th. Hearne.
Oxf. 1732. Blondel, De reductione Normanniae, ed. Stevenson. Roll Ser. Lond. 1863.
Capgrave s. §125. Cronicullys of Englonde, ed. Gairdner, Three 15th Century
Chronicles Camd. Soc. Lond. 1880. Chronicle of the reigns of Richard II. — Henry VI.
(1377 — 1461), ed. by Davies. Cambd. 1856. Fortsetz, von Caxton, William s. Grofs
Nr. 1733. Gregory, William: Chronicle of London 1189 — 1467, ed. by Gairdner, Camd.
Soc. 1876. Historiae Croylandensis contin., ed. Fulman. Oxf. 1684 (Translated by
Riley, Ingulfs Chronicle of the abbey of Croyland. Lond. 1854). Journal d'un
bourgeois und Monstrelet s. § 126. Notes of occurrences under Henry VI. and
Edward IV. (1422—62), ed. Gairdner, Cambd. Soc. 1880 (s. Thre 15th Cent. Chronicl.).
Wawrin, Recueil des chroniques et anchiennes istories de la Grand Bretagne (to 1471),
ed. W. and. P. Hardy. vol. H. Roll Ser. Lond. 1864 (§ 128). Whethamstede, Registrum
abbatiae Johannis Wh. Roberto Blakeney cappellano qnondam adscript. (1451 — 61),
ed. Riley. Rolls Ser. 2 Bde. London 1872 — 73. Worcester William, Annales rer.
Anglic. 1324 — 1468, ed. Stevenson. Rolls Ser. 1864. Chronicle of the rebellion in
Lincolnshire 1470, ed. J. G. Nichols, Camd. Soc. I. London 1847. Chronicle 1429
bis 1471, ed. Gairdner. Three 15th Cent. Chron. p. 168—185 Camd. Soc. 1880 Die
Werke Commines' s. § 154. Fragm. of a Chronicle 1459 — 70, ed. Hearne. Oxf. 1719.
Historie of the arrivall of Edward IV. in England and the finall recoverye of his
684 England unter Heinrich VI.
kingdomes from Henry YI. a. d. 1471, ed. Bruce, Camd. Soc. Lond. 1838; auch in:
Chronicles of the white rose of York, ed. Giles. Lond. 1845. Warkworth, A chronicle
of the first thirteen years of the reign of Edward IV. (1461 — 74). ed. Halliwell. Camd.
Soc. 1879, auch in chronicles of the white rose . . . The new chronicles of England
and France (from Brutus to 1485 by Robert Fabyan (the Concordance of histories ,
ed. Ellis. Lond 1811. Hall's Chronicle 1399—1547;, ed. Ellis. Lond. 1809. More,
Sir Thomas, History of King Richard m., ed. Lumby. Cambr. 1883. Rofs, Hist.
regum Angliae to 1485), ed. Hearne. Oxf. 1716. Yergil Polyd., Angliae hist. libri XXVH
(to 1538 Leiden 1651. (Busch, S. 399.) Relacion or true account of England under
Henry YLT. (s. Pauli V, 698*, Cronicle of Calais in the reigns of Henry YII. and
Henry VHI. 1485 — 1540, ed. by Nichols. Lond. 1846. ^Camden Soc. Bernhard Andre,
De vita atque gestis Henrici VH. und Annales Henrici YII., ed. Gairdner in Memorials
of Henry V3L s. zu Andre Busch, S. 399) Richard Arnold, Chronicle Wriothesley.
A Chronicle of England, ed. Hamilton. Camd. Soc. NS XI. Chronicle of the Grey
Friars of London, ed. Gough Nichols. Camd. Soc. LIH.
Hilfsschriften. Pauli Y, Stubbs Constitutional hist. HI. Greene,
wie oben. Brougham, Hist. of Engl, under the house of Lancaster. Lond. 1861.
Ramsav, Lancaster and York 1399 — 1485. 2 voll. Lond. 1892. Rogers, the strife
of the roses and days of the Tudors in the west 1890. Kriehn, The English rising
in 1450. Strafsburg 1892. Gairdner, The houses of L. and Y. 1886. Habington,
The historie of Edward IV. Lond. 1646. Bü ding er, König Richard HI. v. England.
AVien 1858. Hauptwerk ist: Gairdner, Life and reign of Richard LH. Cambridge
1898. Halsted, Richard LH. 2 Bde. Lond. 1844 unkritisch. Jesse, Memoires
of Richard LH. Lond. 1862 X.-York 1894. Legge, The unpopulär king : life of
Richard LH. 2 vol. Lond. 1895. Pauli, Aufs. z. engl. Gesch. Leipz. 1869 Rieh. LH.,
S. 24—47). Bück, the life and reigne of Richard LH. Lond. 1646. Bensemann^
Richard Xevil, der Königmacher 1428—1471. Strafsburg 1898. Oman, Warwick the
kingmaker, Lond. 1891. Hookham, The life and times of Margaret of Anjou.
2 vol. London 1872. Hall, An episode of medieval nihilism, Antiquary XH. Lond 1885.
Denton, England in 15th Century. London 1888. Busch, König Heinrich ATI.
(1485—1509.; Stuttgart 1892, dort Anhang H: Zur Kritik der Quellen. Bacon,
History of Henry YH, ed by Spelling. Gairdner, Henry the seventh. Lond. 1889.
Die sonstige neuere Lit. zu Heinrich VI., Eduard IV., Richard LTI. und Heinrich YH.
s. auch bei Liebermann. DZG. IV, 193, YLH, E. 177.
1. Der allgemeine Unwille über den unrühmlichen Kampf gegen
Frankreich entlud sich auf dem Haupte des Herzogs von Suffolk, eines
Günstlings der Königin Margarete, dem das Volk die schweren Verluste
zuschrieb. Vom Hause der Gemeinen angeklagt, im Interesse Frankreichs
gewirkt und für die Thronerhebung seines eigenen Sohnes gearbeitet zu
haben, wurde er vom König auf fünf Jahre verbannt. Als er über den
Kanal fuhr, wurde sein kleines Fahrzeug von einem grofsen englischen
Schiffe genommen und der Herzog von den Schiffern getötet (1450).
Die Unzufriedenheit rief in Kent, dem bedeutendsten Fabriksbezirk Eng-
lands in jener Zeit, einen Aufstand hervor, den ersten seit den Tagen
Wat Tylers. Doch handelte es sich diesmal nicht um soziale Fragen,
denn die Leibeigenschaft war seit 1381 fast erloschen, sondern um
politische. Als sich der königliche Rat weigerte, die Klageschrift der
Aufständischen entgegenzunehmen, lieferten sie unter der Führung John
Cades, der sich für Mortimer, einen natürlichen Sohn des letzten
Grafen von der March und Vetter des Herzogs von York, ausgab, den
königlichen Truppen bei Sevenoaks ein Treffen, schlugen sie aufs Haupt,
rückten in London ein, liefsen den Schatzmeister Lord Say und dessen
Schwiegersohn hinrichten und eine Anzahl von Personen verhaften.
Der Aufstand Cades. Die weifse u. rote Rose. Yorks Ansprüche. 685
Jetzt erst fand die Klageschrift Aufnahme; nachdem eine Amnestie ver-
kündigt worden war, zerstreuten sich die Aufständischen. Als sich Cade
neuen Anhang suchte, ward er erschlagen. Die in der Klageschrift
enthaltenen Beschwerden blieben gänzlich unberücksichtigt. Von Cades
Anhängern starben einige auf dem Schafott. Vor ihrem Tode sollen sie
ihre Absicht geoffenbart haben, den Herzog von York auf den Thron
zu erheben. Angesichts der schlechten Regierung Heinrichs VI. ver-
blafste der Ruhm der glorreichen Taten Heinrichs V. ; der Gedanke an
einen Thronwechsel tauchte auf und brachte Rechte in Erinnerung, die
durch die Thronbesteigung des Hauses Lancaster verletzt worden waren;
Stimmen wurden wieder laut, die man seit der blutigen Unterdrückung
der Lollarden längst verklungen wähnte. Der Hafs des Volkes traf
Somerset, den Vorsitzenden im königlichen Rate, der, wiewohl ein illegi-
timer Sprosse des Hauses Lancaster, sich Hoffnung auf den Thron
machte. Ihm trat der Herzog von York kräftig entgegen; das ganze
Land war bald von leidenschaftlichen Streitigkeiten erfüllt, schon werden
zwischen den vornehmsten Familien förmliche Treffen geliefert, wie
das zwischen den Häusern Salisbury und Egrernont, mit dem nach der
Meinung der Zeitgenossen der grofse Krieg begann, der ganz England
durch mehr als dreifsig Jahre mit Verwüstungen heimsuchte. Auf das
Haus York waren die Ansprüche der zweiten Linie des königlichen
Hauses Plantagenet übergegangen, seit sich Richard von Cambridge aus
dem Hause York mit Anna Mortimer, der Urenkelin Lionels von
Clarence, des zweiten Sohnes Eduards III., vermählt hatte,, während das
Haus Lancaster dem dritten Sohne entsprofste. Richards gleich-
namiger Sohn war nun Erbe dieses Rechtes. Bei der Kinderlosigkeit
des Königs mufste ihm einstens die Krone von selbst zufallen. Daher
hielt er sich lange zurück. Erst als dem König 1453 ein Sohn geboren
wurde, trat er mit seinen Ansprüchen hervor und wollte die Echtheit
des jungen Prinzen Eduard nicht anerkennen. Bald nachher fiel
Heinrich VI. in eine Geisteskrankheit. Nun wurde Richard von York
Protektor des Königreichs, Somerset dagegen in den Tower zur Haft
gebracht. Als indes am Ende des Jahres Heinrich seine Gesundheit
wieder erhielt, wurde Somerset in seine frühere Stelle wieder eingesetzt.
So lagen die Häuser Lancaster und York, die rote und weifse Rose, wie
sie nach ihren Feldzeichen benannt wurden, im Kampfe miteinander.
Von entscheidender Bedeutung war es, dafs Richard von York die
Unterstützung des mächtigen Hauses Nevil fand. Träger des Hauses
war Richard von Salisbury. Weitaus bedeutender wurde die Macht seines
gleichnamigen Sohnes, der die Erbin der Beauchamps geheiratet und
durch die Erwerbung der Grafschaft Warwick, seinen Reichtum und
Einflufs verdoppelt hatte. Die spätere Zeit hat ihn, weil er Könige ein-
setzen und stürzen half, den Königsmacher genannt. Richard von York
war mit Cäcilia, Salisburys Schwester, vermählt. Das Schwert der
Nevil fiel so in die Wagschale des Hauses York. Auf dessen Seite
standen die grofsen handeltreibenden Städte, wie London. Lancasters
Rechte wurden dagegen in Wales und in den nördlichen und Südwest-
686 Krieg zwischen der weifsen und roten Rose.
liehen Grafschaften Englands verteidigt. Die Schlacht von N o r t -
hampton (1460, 10. Juli) endete zugunsten Yorks. Die Führer ihrer
Scharen, der Graf von March an der Spitze, hatten den Befehl gegeben,
weder an den König noch an den gemeinen Mann, sondern nur an
Lords und Edelleute Hand anzulegen. Die Königin und ihr sieben-
jähriger Sohn entkamen, der König wurde gefangen. Man durfte er-
warten, dafs sich die Ereignisse von 1399 wiederholen. Richard von
York überlief s die Entscheidung über sein Recht dem Parlament. Dieses
scheute aber vor der Absetzung des Königs zurück, erklärte dagegen
York zum Thronerben und stattete ihn mit fürstlichem Einkommen aus.
Von dem Rechte Eduards, des bisherigen Prinzen von Wales, war keine
Rede. Aber noch lebte Margareta, der »Mann« ihrer Partei. Ihr fiel
der ganze Norden zu. Bald stand sie an der Spitze einer Armee von
20000 Mann. Mit nur 5000 Mann zog ihr York, allen Warnungen zum
Trotz, um Weihnachten 1460 entgegen. Bei Wakefield kam es am
30. Dezember zur Schlacht, die mit einer gänzlichen Niederlage der
weifsen Rose endete. Richard von York selbst wurde gefangen. Seine
Feinde setzten ihn zum Spott auf einen Ameisenhaufen, flochten Gras
um sein Haupt und machten ihm unter wildem Hohn Verehrungen.
Dann ward ihm das Haupt heruntergeschlagen und auf den Zinnen der
Stadt York aufgesteckt. Auch der Graf von Salisbury, Richards Schwager,
wurde enthauptet. Yorks jüngerem Sohn, Lord Rutland, ward ein töd-
licher Stich ins Herz versetzt. An die Stelle Richards von York traten
dessen überlebende Söhne. Der älteste, Eduard von March, eilte aus
dem Westen herbei, schlug eine Heeresabteilung seiner Gegner bei
Mortimer Crofs, wandte sich dann trotz der Niederlage Warwicks
bei St. Albans nach London und hielt hier, vom Volke mit Jubel
begrüfst, seinen Einzug. Von einer Verständigung zwischen den feind-
lichen Häusern war keine Rede mehr. Es war der Bürgerstand, der
jetzt schon auf die Herstellung geordneter Zustände drängte. Eine aus
Anhängern des Hauses York bestehende Versammlung erklärte, dafs
Heinrich von Lancaster die Krone verwirkt habe (1461, 1. März). Am
folgenden Tage empfing Eduard, der durch seine Leutseligkeit alle
Bürgerherzen bestrickte, im AVestminster die Huldigung. Ohne sich
mit den Krönungsfeierlichkeiten aufzuhalten, zog er gegen seine Gegner.
Bei Towton trafen die Seinen mit dem Heere des Hauses Lancaster
zusammen (29. März). Seit den Tagen Wilhelms des Eroberers waren in
England nicht mehr so bedeutende Kräfte einander gegenübergetreten. Die
beiden Armeen zählten gegen 120000 Mann. Es wurde mit solcher
Erbitterung gekämpft, dafs kein Pardon gegeben wurde und von beiden
Seiten mehr als 40000 Leichen das Schlachtfeld bedeckten. Das Schlachten-
glück entschied zugunsten Eduards. Die hervorragendsten Anhänger
des Hauses Lancaster waren gefallen oder wurden gefangen und getötet.
Jetzt erst wurden die Häupter Richards und Rutlands von den Stadt-
zinnen Yorks herabgenommen und die der getöteten Gegner an ihrer
Stelle aufgesteckt. Margareta und ihr Gemahl entflohen über die
schottische Grenze.
Das Haus York. Eduard VI. 687
§ 156. Eduard IV. (1461-1488) und Richard III. (1483-1485). Die
Gründung der neuen monarchischen Gewalt in England.
Der Sieg Eduards IV. wurde von den Bewohnern Londons mit
ungemischter Freude begrüfst. Der jugendliche König erinnerte in
manchem an die unvergefsliche Gestalt Heinrichs V. Von seinen Eltern
sorgsam erzogen, hatte er sich früh in der Politik zu schaffen gemacht
und den Ruf eines guten Heerführers gewonnen. Eine wahrhaft glän-
zende Erscheinung — er galt als der schönste Fürst seiner Zeit — hatte
er eine sorglose Gemütsart; ein Freund der Musik und der Freuden der
Tafel, ging er in diesen Genüssen nicht auf; in schweren Lagen des
Lebens verstand er, sich rasch zurecht zu finden. Bei den Londonern
stand in gutem Gedächtnis, dafs Richard IL ein Freund des Volkes
gewesen. Und an diesen knüpft seine Regierung an. Nachdem er am
29. Juni die Krone empfangen und hierauf den Krieg in Wales zu Ende
geführt hatte, versammelte er das Parlament. Die vorhergehenden Re-
gierungen wurden als Usurpationen betrachtet, Heinrich VI., Margareta
und der Prinz von Wales als Hochverräter erklärt, ihre Anhänger ge-
ächtet, die Güter der Geächteten eingezogen und des Königs Brüder
Georg zum Herzog von Clarence, Richard zum Herzog von Glocester
erhoben. Margareta gewann einige schottische Lords und fand Hilfe
bei Frankreich; als sie aber 1464 in England einfiel, errang Montagu,
Warwicks Bruder, einen Sieg. Von ihren Anhängern wurden die be-
deutendsten, wie der Herzog von Somerset, hingerichtet. Heinrich VI.
hatte sich eine Zeit lang im Norden verborgen gehalten, bis er durch
einen Mönch verraten wurde. Graf Warwick liefs ihn auf ein Pferd
setzen, mit gebundenen Füfsen um den Galgen herumführen, worauf er
in den Tower geworfen wurde (1465). Seine grofsen Erfolge dankte
Eduard IV. neben seiner eigenen Tapferkeit der kräftigen Hilfe des
Hauses Warwick, dem der König selbst durch seine Mutter angehörte.
Da warf seine Sinnlichkeit die Brandfackel der Zwietracht in das eigene
Lager. Bei einem Besuche der Herzogin von Bedford hatte er deren
ebenso schöne als anmutige Tochter aus zweiter Ehe, eine junge Witwe
nach dem Ritter Grey, der für das Haus Lancaster gefallen war, und
die nun seine Gnade für ihre Kinder anrief, kennen gelernt: Elisabeth
Wydeville. Von ihrem Liebreiz bestrickt, vermählte er sich heimlicher-
weise mit ihr und beleidigte Warwick, der eben noch um die Hand
Bonas von Savoyen, einer Schwester des Königs von Frankreich, für
ihn geworben hatte. Als der König zu alledem seine Verehelichung
allgemein bekannt machte und das Haus seiner Gemahlin mit Amtern und
Ehren überhäufte, begann Warwick um seinen Einflufs zu fürchten, und
als der König vollends, während Warwick in Frankreich weilte, um die
Verbindung Margaretas, der Schwester des Königs, mit einem französi-
schen Prinzen zustande zu bringen, diese mit dem Herzog Karl von
Burgund vermählte, kam es zum Bruche. Nun fesselte Warwick Eduards
Bruder, den Herzog Georg von Clarence, an sich und gab ihm seine
ältere Tochter Isabella zur Gemahlin. Ein Aufstand in Yorkshire brachte
688 Eduard IV. u. Heinrich VI. Barnet u. Tewksbury. D. Politik Eduards IV.
den König in die Gewalt Warwicks ; noch kam es aber zur einer Ver-
einbarung. Wenige Monate später brach eine neue Empörung in Lin-
colnshire aus. Warwick und Georg von Clarence, als Verräter geächtet,
entflohen nach Frankreich, traten mit Margareta in Verbindung und er-
hielten von Ludwig XL Hilfe. Warwick verpflichtete sich, dem könig-
lichen Gefangenen im Tower die Krone wieder zu verschaffen, wogegen
der Erbe Heinrichs VI. mit Warwicks jüngerer Tochter vermählt werden
sollte. Während Eduard durch einen Aufstand in Anspruch genommen
war, erschien Warwick in England. Eduard entfloh nach Burgund.
Heinrich VI. wurde nun restituiert. Für ihn regierte Warwick, und so
fest schien Lancasters Sache zu stehen, dafs Eduard, als er, von Karl
dem Kühnen mit Geld und Mannschaft reich unterstützt, wieder im
Lande erschien, die Krone nicht für sich begehrte, sondern sich mit
dem Titel und dem Besitz eines Herzogs von York begnügte. Als er
aber merkte, dafs die Stimmung des Volkes für ihn sei, ging er weiter.
Vom Jubel der Bürger begrüfst, hielt er am Ostersonntag 1471 seinen
Einzug in London. Heinrich VI. ward neuerdings in den Tower ge-
worfen. Bei Barnet verlor der »Königsmacher« Schlacht und Leben
(14. April), und als Margareta, die zu spät gelandet war, als dafs sie
ihrem Parteigänger hätte Hilfe leisten können, mit Heeresmacht heran-
zog, erlag sie bei Tewksbury (5. Mai) der Kriegskunst ihres Gegners
und nicht zuletzt dem unwiderstehlichen Ansturm des Herzogs von Glo-
cester. Margareta und ihr Sohn wurden gefangen. Dem Jünglinge, der
im Angesicht Eduards IV. sein Thronrecht mannhaft verteidigte, warf
dieser den eisernen Handschuh ins Antlitz, worauf ihn einige Diener
niederhieben. x) Mit ihm endeten die Hoffnungen des Hauses Lancaster.
Den Tag, ehe Eduard IV. als Sieger in London einzog, wurde Heinrich VI.
im Tower getötet, doch nicht, wie die Überlieferung will, von Richard
von Glocester. Margareta wurde fünf Jahre später von Ludwig XI.
ausgelöst. Eduards Macht wäre nun fest begründet gewesen, wären ihm
nicht im eigenen Hause Widersacher erstanden. Gewalttätiger als früher,
gestattete er den Verwandten seiner Gemahlin Einflufs auf die Re-
gierung. Diese trägt denn auch einen andern Charakter als die seiner
Vorgänger. Von auswärtigen Lmternehmungen ist kaum die Rede. Auch
in England macht sich wie in Frankreich das Bedürfnis geltend, die
Macht des Königtums zu erhöhen; diese Arbeit wird von Eduard IV.
begonnen und von dem ersten Tudor Heinrichs VII. erfolgreich beendet.
So verschieden die Anlagen und der Charakter Eduards IV. von denen
seines französischen Gegners Ludwig XL und jenen Ferdinands von
Aragonien (s. unten) waren, seine Regierung bekundete die gleichen
Bestrebungen und hatte ähnliche Erfolge. England hatte bisher die
Greuelszenen eines zwanzigjährigen Kampfes gesehen, dieser war aber
doch nur auf die obersten Klassen, die Lords und ihr Gefolge, beschränkt ;
nur in seltenen Fällen greifen die bürgerlichen Kreise zur Wehr, und
der Franzose Philipp von Commines spricht seine Verwunderung aus,
x) Erst ein Schriftsteller aus den vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts beschuldigt
Eduards IV. Brüder Clarence und Glocester des Mordes.
Charakteristik d. Rosenkriege. Niederg. d. Parlamentes. System Eduards IV. 689
dafs dem rohen Kampfe zum Trotz keine Gebäude zerstört werden und
das Elend auf jene zurückfällt, die es hervorrufen. Der englische Acker-
bau bleibt ungeschädigt, Gewerbe und Handel nehmen sogar einen
mächtigen Aufschwung, die Ordnung und Ruhe in den bürgerlichen
Kreisen bleibt aufrecht, der Gang der Gerichte ungestört. *) Aber die
grofse Macht des Parlamentes, gesteigert durch die fortwährenden Be-
dürfnisse der Regierung Eduards III., durch den siegreichen Kampf
gegen die absolutistischen Gelüste Richards IL, vor allem aber durch
das Haus Lancaster, dessen Gewalten auf der Anerkennung des Parla-
ments beruhten, ist, im Sinken begriffen. Dieser König, der infolge
seines einnehmenden Wesens und der zur Schau getragenen Bürger-
freundlichkeit eine Popularität besafs, die edleren Herrschern versagt
war, legte die Grundlagen zu einem absoluten Regiment.2) Die gesetz-
geberische Tätigkeit des Parlaments ist im Erlöschen. Durch die Kon-
fiskationen des Bürgerkrieges gelangt ein Fünftel des englischen Grund-
besitzes in die Hände des Königs, der mit erbarmungsloser Strenge eine
persönliche Regierung wieder herstellt. 3) Dabei werden ihm die Zölle
auf Lebenszeit verliehen, Subsidien für Kriege, die nicht geführt werden,
verstärken seine Machtmittel, der Kriegsvorwand gestattet, von den Reichen
unter dem Titel freiwilliger Gaben — der Benevolenzen, vom Volke
ironisch auch Malevolenzen genannt — grofse Summen zu erpressen und
dadurch das Steuerbewilligungsrecht zu umgehen. Zu den direkten
kommen die indirekten Abgaben, das Tonnen- und Pfundgeld, das schon
seit Heinrich VI. dem König gleichfalls auf Lebenszeit bewilligt wurde.
Jeder Widerstand gegen das System der Erpressung wäre vergeblich
gewesen. Das Königtum wird von den Bewilligungen des Parlaments
nahezu unabhängig; es entfällt dann das vornehmste Motiv zu seiner
Berufung. Das Schreckensregiment hält die Gegner durch rücksichtslose
Handhabung aufserordentlicher Gerichts- und Polizeigewalten unter
stetiger Überwachung. So ist der Zustand des Reiches : dem Namen
nach eine vom Parlament anerkannte Regierung, in Wirklichkeit ein
Kriegszustand.4) Ein umfassendes Spioniersvstem wird eingeführt, die
Folter kommt in Aufnahme, und die Einmischung des Königs in das
ordentliche Gerichtsverfahren wird immer häufiger. Gegen die Über-
macht der Familie der Königin regte sich der Widerstand der obersten
Lords. Georg von Clarence liefs sich, in seiner Werbung um die Hand
Marias von Burgund zurückgesetzt, einzelner Güter beraubt, in Kon-
spirationen ein, die seine Hinrichtung in der geheimnisvollen Stille des
Towers zur Folge hatten (1478, 8. Februar) und seinen reichen Besitz
an die Verwandten der Königin brachten. Die auswärtige Politik war
keine ruhmvolle, doch hafte noch zuletzt Richard von Glocester einen
siegreichen Kampf gegen Schottland geführt und die Grenzfeste Berwick
zurückerobert. Eduard IV. starb, erst 42 Jahre alt. Er hinterliefs zwei
*) Green, S. 345.
8) S. 349.
3) Gneist, S. 422.
4) Green, S. 350.
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters. 44
690 Eduard V. Richard III. und Heinrich v. Richmond.
Söhne, von denen Eduard V., der ältere, der berechtigte Thronerbe,
freilich erst im 13. Jahre stand. Nun fragte es sich, ob sich die Nation
das vormundschaftliche Regiment einer Frau, die nicht einmal aus den
obersten Kreisen stammte, gefallen lassen würde. Da taucht die Ge-
stalt Richards von Glocester auf. Der jüngste Bruder Eduards IV.,
hatte er in dessen Kämpfen treu zu ihm gehalten und als kühner und
glücklicher Heerführer seine Schlachten gewinnen helfen. Eine kühle,
schweigsame Natur, war er von unermefslichem Ehrgeiz beseelt. Was
spätere Chronisten und Dichter von seiner häfslichen Erscheinung be-
richten, ist nichts als Fabel. Seine Gestalt, klein zwar und zart, barg
einen kräftigen Geist. Die grofsen Erfolge dankte Eduard IV. nicht
zum wenigsten dem entschlossenen Vorgehen Richards. Freilich hielt
man ihn schon damals für fähig, den Mord an Heinrich VI. verübt zu
haben. Jetzt griff er, ohne zu zaudern zu, bemächtigte sich Eduards V.
und wurde als Protektor des Reiches anerkannt. Das war nur die erste
Stufe zum Throne. Nachdem er sich der treuesten Anhänger des jugend-
lichen Königs entledigt hatte, liefs er sich durch eine Petition auffordern,
die Krone an sich zu nehmen, da die Söhne Eduards IV. einer unrecht-
mäfsigen Ehe entsprossen, die Nachkommenschaft Clarences als die eines
Hochverräters zur Nachfolge unfähig sei. Nachdem Glocester zuerst
noch den zweiten königlichen Prinzen in seine Gewalt gebracht hatte,
nahm er die ihm angebotene Krone an (25. Juni). Eduards V. Regie-
rung hatte nicht ganz drei Monate gedauert. Eine Mifsstimmung, die
in den breiten Schichten des Volkes in den südlichen Provinzen ent-
stand, bot Richard III. den Anlafs, sich seiner beiden im Tower ge-
fangenen Neffen zu entledigen. Die Einzelheiten des Mordes sind un-
bekannt. Die Leichname der beiden wurden im Tower verscharrt, wo
sie 1674 gefunden und in Westminster beigesetzt wurden. Um sein
Regiment zu festigen, gab Richard III., der nun auch wieder das Parla-
ment berief, einige der verhafstesten Mafsregeln Eduards IV., wie die
Benevolenzen, preis, kam freilich bald wieder auf sie zurück. Er sorgte
für eine gute Justiz und erwarb sich namentlich in den nördlichen Graf-
schaften eine grofse Anhänglichkeit. Vor allem aber bewies er durch
mehrfache Verfügungen sein lebhaftes Interesse für das Gedeihen des
britischen Handels. Nach aufsenhin war sein Regiment kraftvoller als
das Eduards IV., und doch suchte er wie sein Vorgänger den Frieden
und die Freundschaft der grofsen Mächte. Am liebsten hätte er die
Freundschaft Frankreichs erworben, das seinen Gegnern Hilfe gewährte.
Diese wurden durch den an den beiden Königssöhnen verübten Mord
eng aneinander geschlossen, und Buckingham, durch seine Mutter, eine
Urenkelin Johanns von Lancaster, selbst ein Glied dieses Hauses,
bisher ein treuer Genosse des Königs, stellte sich an die Spitze der
Empörung.' Er griff den Plan auf, Eduards IV. Tochter Elisabeth mit
Heinrich von Richmond, dessen Familie zum Hause Lancaster gehörte,
zu vermählen. Die Empörung scheiterte, und Buckingham fiel von
Henkershand ; seine Anhänger wurden geächtet und ihrer Güter beraubt.
Sie sammelten sich um Heinrich in der Bretagne; gegen das Versprechen,
Sieg Heinrichs. Das Haus Tudor. Ende der Rosen kriege. 691
die Erbin des Hauses York zu heiraten, leisteten sie ihm den Lehenseid.
Heinrich von Richrnond war demnach für sie der rechte Thronerbe.
Sein Grofsvater Oven Tudor, ein Walliser, hatte sich mit Katharina,
der Witwe Heinrichs V., vermählt. Damit hatte er wohl eine angesehene
Stellung, aber noch kein Recht auf die Krone erhalten. Dagegen hatte
sich sein Sohn Edmund Tudor mit Lady Margareta Beaufort, dem letzten
Spröfsling des Hauses Somerset, vermählt, die ihrerseits aus illegitimer
Ehe von Johann von Gaunt, dem dritten Sohne Eduards III. abstammte.
Heinrich von Richrnond erhielt die Unterstützung Frankreichs, das stets
die rote Rose des Hauses Lancaster unterstützte. Mit 3000 Mann landete
er zu Milford in Wales. Richard III. war bis zum letzten Augenblick
siegesgewifs. Heinrichs Scharen wuchsen im weitern Vorrücken an;
doch wäre er immerhin verloren gewesen, wäre nicht im entscheidenden
Augenblick aus Richards Reihen dessen vornehmster Heerhaufe, Lord
Stanley mit seiner Mannschaft, bei Bosworth zu dem Prätendenten über-
getreten. Unter den Rufen: Verrat, Verrat! stürzte Richard III. in das
dichteste Gedränge, hieb den Bannerträger Heinrichs nieder, fiel aber
wenige Augenblicke später unter den Streichen eines Stanley — als
letzter gekrönter York und Plantagenet (1485, 22. August). Noch im Tode
fand er unter dem Volke viele Sympathien, wie denn bei diesem die
kraftvolle Verwaltung des Hauses York und seine Fürsorge für das
Bürgertum in guter Erinnerung blieb.
§ 157. Die Vollendung der neuen Monarchie durch Heinrich TU.
(U85— 1509).
Noch behauptete sich die Partei des Hauses York in den nörd-
lichen Grafschaften, selbst als Heinrich VII. sich mit Elisabeth von York
vermählt hatte. Im übrigen erkannte der König das bessere Recht
seiner Gemahlin — das ihn auf die Stellung eines Prinz-Gemahls ge-
schoben hätte — nicht an. Die päpstliche Bulle, die ihn als König
anerkennt, nennt als Gründe seiner Nachfolge : das Recht des Krieges,
das bessere Recht der Sukzession und die Anerkennung des Parlamentes.
Erst als sein Recht anerkannt war, vollzog er die Vermählung. Die
päpstliche Bulle erklärte übrigens die Krone auch für den Fall in Hein-
richs Stamme erblich, wenn seine Nachkommen nicht aus der Ehe mit
Elisabeth entsprängen. Elisabeths Mutter liefs sich denn auch vernehmen,
ihre Tophter sei durch die Vermählung mehr zurückgedrängt als gehoben
worden. Die ganze Yorksche Partei geriet in Aufregung. Lord Lovel
und die Brüder Humphrey und Thomas Stafford erhoben sich gegen
den König. Der Aufruhr mifslang zwar und endete mit der Bestrafung
der Teilnehmer, soweit man ihrer habhaft wurde; das hinderte aber
keineswegs, dafs einige Abenteurer wie Lambert Simnel und Perkin
Warbeck sich, jener als Graf von Warwick, Clarences Sohn, dieser als
Herzog von York ausgeben und bedeutenden Anhang finden konnten.
Simnel wurde in offener Feldschlacht besiegt (1487), Warbeck fand eine
Zeit lang Hilfe im Ausland, bis er infolge diplomatischer Verhandlungen
44*
692 Ausgestaltung der engl. Monarchie. Die Sternkammer.
ausgeliefert und gehängt wurde. Im übrigen knüpfte der König
weniger an die Regierungen des Hauses Lancaster an, wie er auch die
Eduards IV. als eine legitime anerkannte, als vielmehr an die britische
Urzeit, weshalb er auch seinen Erstgeborenen, gleichsam im
Gegensatz zu den bisherigen angelsächsischen und normannischen Re-
gierungen, nach seinem angeblichen Anherrn Artur benannte. Nun
schwindet die Sitte des englischen Adels, die Leichen der Angehörigen
in die Familiengrüfte der Normandie zu überführen, was ja um so er-
klärlicher ist, als der gröfste Teil des englischen Adels in den Kämpfen
der Rosen zugrunde gegangen war. Da diese Kämpfe ihren Anlafs in
den Streitigkeiten zweier Häuser gefunden hatten, wurde dem Adel das
Recht der Privatgefolgschaft genommen und mit schweren Strafen bedroht,
wer es fürderhin wage, die Einwohner seiner Güter unter seiner Farbe
und Fahne zu versammeln. Mit Bewilligung des Parlamentes schuf
Heinrich die Sternkammer, einen besonderen Gerichtshof, der nach
seinem Sitzungslokal benannt wurde, und der, aus sieben Personen be-
stehend, unabhängig von allen andern Gerichten, Personen wegen Auf-
ruhrs, ungesetzlicher Versammlungen, Parteiverbindungen mit besonderen
Trachten und Abzeichen zur Untersuchung ziehen und bestrafen durfte.
Es ist zweifellos, dafs dem König hiebei nur der Gedanke verschwebte,
gründliche Ordnung für immer zu machen, indem die vornehmen Edel-
leute vor sein Tribunal geladen wurden; sein Nachfolger hat aber schon
die Sternkammer zu einem bereitwilligen Werkzeug seiner Tyrannei
gemacht. Unter Heinrich VII. erfüllte sie alle auf sie gesetzten Hoff-
nungen : England gelangte allmählich zu innerer Ruhe. Auf die
Benevolenzen hätte Heinrich VII. ebensowenig verzichten wollen wie
Eduard IV. und Richard III. Ja er hat sich noch eine Anzahl aufser-
gewöhnlicher Einnahmequellen zu verschaffen gewufst. So konnte er
seinem Sohne einen Schatz von zwei Millionen hinterlassen; was ihm
aber das wichtigste war, er hatte unter diesen Umständen nicht Not,
Parlamente einzuberufen. Durch die letzten 17 Jahre seiner Regierung
wurde es nur zweimal versammelt, so dafs es den Anschein gewann, als
sei England ein absoluter Staat geworden. Allmählich gewöhnte sich
Adel und Volk an diese Art der Regierung, an der es selbst kaum noch
einen Anteil hatte. In der äufseren Politik scheute er Verbindungen
mit dem Festland. Wichtig freilich sind seine Familienverbindungen
mit auswärtigen Häusern. Seinen ältesten Sohn wollte er mit Katharina,
der Tochter Ferdinands des Katholischen und Isabellas, vermählen; er
verfolgte dabei im wesentlichen politische Zwecke : Spaniens Hilfe gegen
den französischen Erbfeind zu gewinnen. Noch aher war ein Erbe aus
dem Hause York vorhanden, der Graf Eduard Warwick, der Sohn Georgs
von Clarence. Seine Person hatte wiederholt den Anlafs zu Unruhen
geboten. Nun wird erzählt, König Ferdinand hätte nicht eher seine
Einwilligung zu der Heirat gegeben, bis Warwick aus der Welt geschafft
war. So fiel das Haupt dieses unschuldigen Prinzen von der Hand des
Henkers (1499). Die Hochzeit des Prinzen von Wales mit Katharina
wurde zwei Jahre später mit grofsem Pompe gefeiert; aber der Tod
Der Aufschwung Portugals. 693
löste das Band nach wenigen Wochen; es waren Katharinens Eltern,
auf deren Betreiben der verhängnisvolle Ehebund zwischen ihr und
Heinrich, dem nunmehrigen Thronerben (1503), zustande kam. Wichtiger
war eine Familienverbindung, die mittlerweile mit Schottland abgeschlossen
wurde, indem sich Jakob IV. von Schottland (1499) mit Margareta, der
Tochter Heinrichs VII., vermählte. Es war diesem Könige, der in seiner
äufseren Erscheinung mehr an einen Geistlichen als an einen Herrscher
erinnerte, gelungen, den Frieden in England herzustellen und das König-
tum auf neue Grundlagen zu stellen. So sind denn mit seiner Regierung
auch für England die Zeiten des Mittelalters vorüber.
3. Kapitel.
Der Aufschwung der iberischen Staaten im XV. Jahrhundert.
§ 158. Die Grofsmachtstellung Portugals im Zeitalter Heinrichs
des Seefahrers.
Quellen: s. §83. Dazu : Diego Gomez, de prima inventione Guineae, ed. Schmeller,
Abh. bayr. Ak. 1845. Hilfsschriften s. §83. Zu den letzteren: Schäfer II,
Major, The Conquest and Conversion of the Canarians by J. de Bethencourt 1872.
Major, The life of Prince Henry of Portugal. London 1868. P e s c h e 1 , Gesch. d. Zeitalt.
d. Entdeckungen. Stuttgart 1858. Gesch. d. Erdkunde. München 1885. Sophus Rüge,
Gesch. d. Zeitalters d. Entdeckungen. Berl. 1881. G. de Veer, Prinz Heinrich d. See-
fahrer u. s. Zeit. Danzig 1864. Beazley, Prince Henry the Navigator. New York 1895.
Kunstmann, Die Handelsverbindungen der Portugiesen mit Timbuktu im 15. Jahrh.
Abh. bayr. Ak. VI, 1.
1. König Fernando war 1383, ohne männliche Nachkommen zu
hinterlassen, gestorben. Auch seine legitime, an König Juan I. von
Kastilien vermählte Tochter Beatrix war noch kinderlos. Die zunächst
berechtigten Thronerben, die Brüder des verstorbenen Königs, Joao und
Diniz weilten, durch die Ränke der Königin Leonore vertrieben, in
Kastilien. Kaum hatte der kastilische König Fernandos Tod vernommen,
so liefs er beide verhaften und nahm Portugal in seinem und dem
Namen seiner Gemahlin in Anspruch. Gegen diese von der Königin-
Witwe und Reichsverweserin Leonore unterstützte Forderung des kasti-
lischen Königs erhob sich in Portugal lebhafte Opposition. Ihr Führer
wurde der Grofsmeister J o ä o , ein Halbbruder des verstorbenen Königs.
Der Volkshafs machte sich durch die Ermordung des Grafen von Ourem,
eines Günstlings der Königin, und des Bischofs Martin von Lissabon,
eines Kastilianers, Luft, und während die Regentin aus der Hauptstadt
abzog, um kastilische Hilfe herbeizurufen, rief das Volk den Grofsmeister,
der eben im Begriffe war, nach England abzureisen, zum Defensor und
Regenten des Reiches aus (1383, 16_ Dezember). Die Königin- Witwe, die
schon bisher die Ansprüche Kastiliens verteidigt hatte, entsagte, als der
König und die Königin von Kastilien mit Heeresmacht in Portuga1 ein-
rückten, der Regentschaft. Dessenungeachtet wurde sie unter dem Vor-
wand, einen Anschlag auf das Leben des Königs unterstützt zu haben,
694 Joäo I. Sieg bei Aljubarotta. Lissabon ständige Residenz.
— in Wirklichkeit suchte sie sich unwürdiger Behandlung zu entziehen —
gefangen nach Tordesillas abgeführt. Ihre Anhänger traten nun in das
Lager dss Defensors. Coimbra verschlofs dem kastilischen König die
Tore, und Lissabon wurde durch den Kriegshauptrnann Nuno Alvarez
Pereira vier Monate hindurch (1384, Mai — September) aufs tapferste ver-
teidigt. Eine pestartige Krankheit nötigte schliefslich den König zum
Rückzug nach Kastilien. Auf der Cortesversammlung zu Coimbra führte
der Rechtsgelehrte Joäo das Regras den Nachweis, dafs weder die kasti-
lische Königin noch die in der Fremde weilenden Infanten ein Recht
auf die Krone besäfsen und das Volk berechtigt sei. zu einer Königs-
wahl zu schreiten. Trotz der von ihm selbst erhobenen Bedenken wurde
nun der Defensor zum König erhoben (1385, 6. April). Zum Dank für
ihre Haltung erhielten Lissabon, Porto und andere Städte bedeutende
Freiheiten, die Cortes das Recht, dafs hinfort über Krieg und Frieden
nur mit ihrer Zustimmung entschieden wrerden dürfe. Um sich vor
Kastilien zu schützen, erkannte König Joäo (1385 — 1433) Lancasters An-
sprüche auf dieses Land (s. oben) an, aber erst der glänzende Sieg,
den er bei Aljubarotta (1385, 14. August) über die gesamte von
ihrem König geführte Kriegsmacht der Kastilianer errang, sicherte ihm
den Thron und dem Lande die Freiheit. Nun schlofs er mit Lancaster
ein förmliches Bündnis und vermählte sich mit Lancasters Tochter
Philippa. Schon war Portugal in der Lage, offensiv gegen Kastilien
vorzugehen, und Juan I. genötigt, einen Waffenstillstand nachzusuchen
(1389), der allerdings von Kastilien wiederholt gebrochen und wieder er-
neuert wurde. Noch machte Kastilien (1393) den Versuch, den Infanten
Diniz als König auszurufen; die Stellung Joäos war aber bereits eine so
starke, dafs derlei Versuche erfolglos blieben. Erst 1411 kam ein end-
gültiger Friede zwischen beiden Staaten zustande. Da Joäo I. seine
Erhebung vornehmlich der Gunst der bürgerlichen Klassen verdankte,
blieb er ihnen durchaus geneigt; er selbst erfreute sich beim Volke
steigender Beliebtheit, an die sein später Nachruhm (de gloriosa memoria)
erinnert. Lissabon wurde nunmehr ständige Residenz und (1394) Sitz
des Erzbischofs von Portugal. Liefsen die inneren Kämpfe während
der ersten Hälfte seiner Regierung, die auswärtigen während der zweiten,
es zu einer durchgreifenden gesetzgeberischen Tätigkeit nicht kommen,
so fafste der König doch die Abfassung einer allgemeinen Gesetzes-
sammlung ins Auge und traf eine Reihe von Verfügungen, die augen-
blickliche Bedürfnisse befriedigten oder, wie die Beilegung der Jahrhunderte
hindurch vorgekommenen Zerwürfnisse über die Rechte und Grenzen
der Staats- und Kirchengewalt durch die Concor 'dia vom 30. August 1427,
auf die Dauer berechnet waren. Der Kanzler Joäo das Regras, der so
viel zur Erhebung des neuen Königtums gewirkt hatte, veranstaltete eine
Sammlung der einheimischen Gesetze, sowie eine Übersetzung des
justinianeischen Kodex und der Glossen des Accursius und Bartolo,
und legte den Grund zu dem portugiesischen Gesetzbuch, ver-
schaffte allerdings aber auch dem römischen Rechte im Lande einen
grofsen Einnufs. Auf allen Gebieten bürgerlicher Tätigkeit, entwickelte
Heinrich der Seefahrer. Entdeckungen u. Eroberungen. Du arte. 695
sich ein reges Leben. Mit auswärtigen Staaten wurden Handelsverbin-
dungen angeknüpft, von denen die zu den Staaten Italiens den Tendenzen
des Humanismus auch in Portugal die Wege bereiteten. Viel mehr als
diese lag dem König der Kampf gegen die Ungläubigen, der seinem
Volke eine stete Schule des Krieges sein sollte, am Herzen. Hier wurde
schon früh einer von seinen Söhnen die Seele aller Unternehmungen —
Prinz Heinrich, dem die Nachwelt, trotzdem er selbst nicht oft zur
See gewesen, den Beinamen der Seefahrer gegeben hat. Als einer der
jüngeren Söhne des Königs am 4. März 1394 zu Porto geboren und nach
seinem Oheim von mütterlicher Seite, dem König von England, genannt,
wuchs er in Porto auf, dessen lebhafter Seehandel auf ihn grofsen
Eindruck machte. Ein Freund der Wissenschaften, vor allem der
Mathematik, Astronomie und Geschichte, war er zugleich der eifrigste
Förderer der afrikanischen Unternehmungen, bei denen es ihm gewifs
zunächst um die Ausbreitung des Christentums, aber doch auch schon
darum zu tun war, die lästigen Zölle, die zu Ceuta von den vorbei-
fahrenden Schiffen erhoben wurden, zu beseitigen. An dem Kampfe
seines Vaters um Ceuta, damals einer der wichtigsten Stapelplätze für
die Waren Indiens und Europas und bisher die ständige Ausfallspforte
gegen die Pyrenäische Halbinsel, nahm er den eifrigsten Anteil. Die
Stadt wurde 1415 erobert. Nun fafste er den Entschlufs , weiter
südwärts in die sagenhaften Länder vorzudringen, aus denen bisher
unsichere Kunde nach dem Norden gedrungen war. Die Landstriche
jenseits des Kaps Bojador hatte noch niemand besucht, und es mufste
den Portugiesen daran liegen, unter den Europäern allein Handels-
verbindungen mit den Völkerstämmen Guineas anzuknüpfen. 1420 verliefs
ein Fahrzeug des Infanten den Hafen von Lagos. Vom Sturm ver-
schlagen, entdeckten die Führer Porto Santo und noch in demselben
Jahre Madeira. 1424 wurde eine Expedition nach Gran Canarien unter-
nommen und 1431 die ersten Azoren entdeckt. Am Vorgebirge von
Sagres in Algarve, dessen Gouverneur Prinz Heinrich war, hatte er sein
astronomisches Observatorium, bei dem er die wissenschaftlichen Kräfte
seines Landes vereinigte und wo er junge Leute für seine Zwecke heran-
bildete. Die Mittel zu den Unternehmungen gewährten ihm die reichen
Einkünfte des Christusordens, die ihm als Grofsmeister zur Verfügung
standen. Von Wichtigkeit war es, dafs es gelang, das Kap Bojador zu
umschiffen und damit die eingebildeten Gefahren des »Dunkelmeeres«
wie die des angeblich versengenden Sonnenbrandes zu besiegen. 1434
war das Wagnis gelungen. Das Jahr zuvor war König Joao I. gestorben.
Sein Freund und Berater Pereira war ihm schon 1431 im Tode voran-
gegangen; da Pereiras Tochter Beatrix mit Affonso, Grafen von Bar-
cellos und erstem Herzog von Braganza, einem natürlichen Sohn des
Königs, vermählt war, ist er der Ahnherr des königlichen Hauses
Braganza geworden. Mit Widerstreben führte Du arte (1433 — 1438) den
Kampf gegen die Mauren fort, auch die Cortes hegten Bedenken; eifrig
für die Sache war aufser dem Infanten Heinrich auch Fernando, der
in Geschichte und Dichtung als der »standhafte Prinz« bekannt ist und
696 Der standhafte Prinz. Affonso V., der Afrikaner.
der seinen ganzen Ruhm in der Ausbreitung des Christentums suchte.
Mit ungenügenden Kräften rückten die Portugiesen (1437) vor Tanger,
gerieten daselbst aber aus Mangel an Lebensmitteln in so grofse Not,
dafs sie einen Vertrag abschliefsen mufsten, in welchem sie Ceuta zu
räumen versprachen. Als Geisel für die Ausführung des Vertrags wurde
Fernando an den Herrn von Tanger ausgeliefert. Die Cortes weigerten
sich, Ceuta aufzugeben, und beschlossen, den Prinzen auf jede andere
Weise zu befreien; aber die Versuche dazu waren vergebens, und der
Prinz erlag nach sechsjähriger Gefangenschaft einer ruhrartigen Krankheit.
Inzwischen war auch Duarte gestorben. Während der Minderjährigkeit
seines Sohnes Affonso V. (1438 — 1481) kam es zwischen der als
Kastilianerin im Lande verhafsten Königin- Witwe und den Brüdern des
verstorbenen Königs zu Zwistigkeiten über die Regentschaft, die von
den Cortes benützt wurden, um ihre Machtbefugnisse zu erweitern. Dem
Einflufs des Prinzen Heinrich gelang es, eine Übereinkunft zustande zu
bringen, nach welcher der Infant Pedro wohl zum Defensor des Reiches
bestimmt, die Regierung aber von den Cortes abhängig wurde. Das
Übereinkommen fand nach keiner Seite Beifall. Während die Königin-
Witwe sich auf den Adel stützte, brachten es die bürgerlichen Kreise
dahin, dafs der im Sinne seines Vaters und Bruders wirkende Infant
Pedro allein die Regentschaft übernahm (1439). Die Parteikämpfe
dauerten auch dann noch fort, als Affonso V. (1446) die selbständige
Regierung übernahm. Das Verdienst des Infanten Pedro war es, dafs
das Verlangen der Cortes nach einer allgemeinen Gesetzessammlung er-
füllt wurde. Im Jahre 1446 wurden die Ordenacoens Affonsos V. ver-
öffentlicht1), die in der Folge freilich durch die berühmtere Gesetz-
gebung Emanuels verdrängt wurden. Die Wirren während der Minder-
jährigkeit Affonsos verzögerten die Ausführung der Entdeckungspläne
des Infanten Heinrich, der allerdings hiebei nicht das volle Verständnis
des Volkes fand; immerhin aber waren die Eroberungen Affonsos V. in
Afrika so bedeutend, dafs sie ihm den Beinamen des Afrikaners ein-
trugen. Afrika war überhaupt das Ziel seiner Wünsche; die für den
vom Papste geforderten Kreuzzug gegen die Türken gesammelten Mittel
wurden zum Kampfe in Afrika verwendet undAlcasser (1458), endlich nach
manchen fruchtlosen Versuchen auch Tanger (1471) erobert. Weniger
glücklich war Affonso in seinem Versuch, sich durch eine Vermählung
mit der kastilischen Erbtochter Juanna die Nachfolge nach Heinrich IV.
in Kastilien zu sichern. Dort behauptete Heinrichs Schwester Isabella
das Feld. Die Stärkung der Königsgewalt, die im Laufe der zweiten
Hälfte des 15. Jahrhunderts in allen Staaten des Westens erfolgte, wurde
in Portugal erst von dem Sohne und Nachfolger Affonsos Joao IL
(1481 — 1495) in Angriff genommen. Hier gab es ein Haus, das durch
seine Herkunft und seinen Reichtum mit dem des Königs rivalisierte,
das Haus Braganza. Indem der König die der Krone abhanden
gekommenen, von seinen Vorfahren verschleuderten Güter und Rechte,
x) Näheres bei Schäfer n, 461,
Jofio IL Stärkung der kgl. Macht. 697
auch die in den Städten, zurückforderte, was nur durch gewaltsame
Mittel möglich war, reizte er Adel und Klerus zur Gegenwehr. Dessen
Führung übernahm der Herzog von Braganza, der schon gegen die bei
der Huldigung gebrauchte Eidesformel als eine zu strenge seinen Vor-
behalt gemacht hatte. Dagegen fand der König die Unterstützung der
Bürger, die von ihm Beseitigung der Mifsbräuche bei der Gerichtsbarkeit
des Adels begehrten. Da der Herzog von Braganza geheime Verbindungen
mit Kastilien unterhielt, wurde er verhaftet, sein Besitz eingezogen, ein
ordentliches Gerichtsverfahren gegen ihn eingeleitet und die Todesstrafe
gegen ihn ausgesprochen. Am 20. Juli 1488 wurde er öffentlich ent-
hauptet. Eine zweite Verschwörung unternahm auf Anstiften des Bischofs
von Evora, des Königs Schwager, Herzog von Viseu, der schon an den
Machenschaften Braganzas beteiligt gewesen war. In diesem Falle wollte
der König aus Furcht, die königliche Autorität könnte leiden, es auf
keinen ordentlichen Prozefs ankommen lassen : er schlug ein Verfahren
ein. das in Italien längst geübt wurde : bei einer Zusammenkunft erstach
er den Herzog mit eigener Hand (1484, 22. August). Dann bemächtigte
er sich der übrigen Verschwörer. Das rasche Verfahren verfehlte seine
Wirkung nicht; denn wer durfte noch Gnade hoffen, wenn der König
selbst des ihm zunächst Stehenden nicht schonte. Die Güter des
Getöteten fielen an dessen Bruder Manuel, aber statt des Titels »Herzog
von Viseu« erhielt er den eines »Herzogs von Beja«. Schon wurde ihm
angekündigt, dafs der König gesonnen sei, im Falle sein Sohn stürbe
und er keinen rechtmäfsigen mehr erhielt, ihn als Sohn und Erben aller
seiner Reiche anzuerkennen. Es ist Emanuel der Glückliche, der in der
Tat sein Nachfolger wurde. Die grofsen Taten Joäos, welche die Pläne
des Infanten Heinrich zur Vollendung brachten, wie die seines Nachfolgers
Emanuel gehören bereits der Neuzeit an.
§ 159. Kastilien und Aragonien.
Die Quellen u. Hilfsschriften s. oben § 12 u. 83. Dazu: Calmette, Documents
relat. ä Don Carlos de Viane 1460 — 61. Rome 1901. Cerone, La politique Orientale
d'Alfonse d' Aragon. Arch. stör, per le prov. Nap. XXII.
1. Wie Heinrich Trastamara hatte auch sein Sohn Juan I.
(1379 — 1390) seine Herrschaft gegen den mit Portugal verbündeten Herzog
von Lancaster (s. § 83) zu verteidigen. In dem Frieden, der hierauf
zwischen Kastilien und Portugal abgeschlossen wurde, war die Vermählung
der portugiesischen Erbtochter Beatrix mit dem kastilischen Infanten
Fernando in Aussicht genommen. Als aber bald nachher des Königs
Gemahlin starb, vermählte er sich selbst mit Beatrix. Seinen Hoff-
nungen, nach dem Tode König Fernandos von Portugal dieses Königreich
zu gewinnen, machte der Tag von Aljubarotta ein Ende (1385). Die
Portugiesen verbanden sich nun aufs neue mit Lancaster, aber die
kräftige Unterstützung seines Volkes setzte Juan in die Lage, Lan-
casters Ansprüche siegreich abzuwehren. Der 1388 zwischen England
und Kastilien abgeschlossene Friedensvertrag bestimmte, dafs sich der
698 Heinrich III. u. Juan II. Aragonien unter Juan I., Martin u. Fernando I.
Erbinfant Heinrich mit Katharina (Catalina), der Tochter Lancasters
und Enkelin Pedros des Grausamen, vermähle. Bei dieser Gelegenheit
erhielt der Erbinfant den Titel eines Prinzen von Asturien, der fortan
den kastilischen Thronfolgern verblieben ist. Mit Portugal wurde ein
Waffenstillstand auf sechs Jahre geschlossen. Für Juans minder-
jährigen Sohn Heinrich III. (1390 — 1406) trat eine ständische Regent-
schaft ein, über deren Zusammensetzung ein langwieriger Streit entstand,
der anarchische Zustände im Gefolge hatte. Mündig geworden, steuerte
Heinrich mit kräftiger Hand der Unordnung, nahm verschleuderte Güter
an die Krone zurück und trat den Anmafsungen des Adels erfolgreich
entgegen. Trotz seiner militärischen Machtstellung war er kein
kriegerischer König. Dennoch kam es 1406 zu einem Streit mit Granada.
Schon jetzt wäre menschlicher Voraussicht nach das maurische Reich
gefallen, wie denn auch das kastilische Königtum schon jetzt auf festere
Grundlagen gestellt worden wäre, hätte den König nicht ein frühzeitiger
Tod hinweggerafTt. Da sein Sohn Juan IL (1406 — 1454) erst 14 Monate
alt war, übertrugen die Stände die Regentschaft dem Bruder des ver-
storbenen Königs, Fernando, der sie, unterstützt von der Königin-
Witwe, in trefflicher Weise führte, bis ihn der Tod König Martins
von Aragonien, dessen Schwestersohn er war, auf den Thron dieses
Landes berief.
2. In Aragonien war auf Pedro IV. dessen Sohn Juan I.
(1387 — 1395) gefolgt, ein prachtliebender Herrscher, dessen glänzende
Hofhaltung selbst die der französischen Könige übertraf, bis ihn die
Opposition der Stände zum Einlenken nötigte. Nach seinem Tode fiel
die Krone an seinen Bruder, den sizilischen König Martin (1395 — 1410),
der die Regierung Siziliens seinem gleichnamigen Sohne übergab und
über Avignon, wo er einen Versuch zur Beilegung des Schismas machte,
nach Aragonien ging. Hier machte ihm der Gatte der älteren Tochter
Juans L, Graf Mathieu von Foix, den Thron streitig und wurde
hierin von Frankreich unterstützt, sah sich aber schliefslich zu einem
Verzicht auf seine Ansprüche gezwungen. In Sizilien half Martin seinem
Sohne, seine Herrschaft aufrecht zu halten; da dieser indes schon 1409
starb, wurde Sizilien mit Aragonien wieder vereinigt. Im folgenden Jahre
starb Martin selbst — der letzte vom Mannesstamm des Grafen von
Barcelona. Nach längerem Streite unter den Seitenverwandten des ver-
storbenen Königs wählten die Parlamente von Aragonien, Katalonien
und Valencia den kastilischen Infanten Fernando I. , den Enkel
Pedros IV., zum König (1412 — 1416); auch Mallorka, Sizilien und Sar-
dinien erkannten ihn an; doch hatte er seine Krone gegen die Ansprüche
des Grafen von Urgel, eines Urenkels Jaymes IL zu verteidigen. Da
Fernando zugleich Vormund seines Neffen Juan IL , von Kastilien
war, verfügte er über eine Machtstellung, wie sie seit Jahrhunderten
kein christlicher Herrscher auf der Halbinsel besessen hatte. In der
Regierung folgte ihm sein Sohn Alfonso V., der Weise (1416 — 1458).
3. Nach Catalinas Tode (1418) gewannen die aragonischen Prinzen
Juan und Heinrich, die Brüder Alfonsos V., die in Kastilien bedeutenden
Kastilien unter Juan II. Alvaro de Lima. Heinrich IV. 699
Besitz hatten, Einflufs auf Juan IL, mufsten ihn aber seit seiner Grofs-
jährigkeit an Alvaro de Luna, einen Neffen des Gegenpapstes
Benedikt XIII., abgeben. Von gewinnendem Aufsern, klug und geschickt,
verfocht Alvaro Kastiliens Selbständigkeit gegen aragonische Anmafsung
und wies die übermächtigen Grofsen in ihre Schranken zurück, wodurch
er ebenso sehr die Eifersucht der Prinzen als den Groll des Adels erregte.
Darüber kam es zu langwierigen inneren Kämpfen. Zwar gelang es den
Infanten, von denen sich Juan (1420) mit Donna Blanka von Navarra
vermählt und mit ihr (1425) Navarra erhalten hatte, den verhafsten
Günstling zu stürzen (1427). Doch schon nach wenigen Monaten rief
ihn der König zurück, und neue Versuche der Infanten, ihn zu stürzen,
selbst ein Krieg gegen Navarra und Aragonien, der hierüber ausbrach,
blieben erfolglos; ein siegreicher Kampf gegen Granada (1431 — 1433)
erhöhte nur Lunas Ruhm. Erst 1439 konnten die Infanten Alvaros
Entfernung vom Hofe durchsetzen, aber der Zwiespalt, der nun unter
den Siegern ausbrach, führte den Wiederausbruch des inneren Kampfes
herbei, den der König durch seinen Sieg von Olmedo (1445) glücklich
beendete. Der Infant Heinrich starb an den in der Schlacht erhaltenen
Wunden. Alvaro de Luna beherrschte den König nun vollständiger als
früher. Wiewohl sich dem Hafs der obersten Adelskreise gegen den
Günstling auch noch die Opposition des Bürgerstandes zugesellte, gelang
es doch erst 1453, unter Mithilfe der zweiten Gemahlin des Königs,
Isabella von Portugal, den gewaltigen Machthaber zu stürzen. Trotz
der förmlichen Zusicherungen, die er für sein Leben und seine Güter
erhalten, fiel sein Haupt am 2. Juni 1453 zu Valladolid durch die Hand
des Henkers. Einen Mann, dem hohe Ziele vorschwebten, nannte ihn
Pius IL Sein Tod vermehrte die allgemeine Verwirrung. Das Günstlings-
regiment dauerte übrigens unter Juans noch viel unfähigerem Sohne
Heinrich IV. (1454 — 1474) fort. Juan Pacheco, Marquis von Villena,
und seine Sippe beherrschte den König. Die Kommunen klagten über
dessen Verschwendungssucht und die am Hofe herrschende Sitten-
losigkeit, über den Druck des Adels und der Prälaten, die allgemeine
Gesetzlosigkeit und die verlustvollen Kämpfe gegen die Mauren. Nach-
dem sich Heinrich von seiner ersten Gemahlin Blanka, die ihm in zwölf-
jähriger Ehe keine Kinder geboren hatte, hatte scheiden lassen, vermählte
er sich 1455 mit Juanna von Portugal, die ihre Gunst dem Ritter
Beitran de la Cueva in so hohem Grade zuwandte, dafs Lästerzungen
ihre Tochter »La Beltraneja« nannten. Der König setzte es durch, dafs
die Cortes ihr als Thronerbin huldigten. Dagegen verlangten die vor-
nehmsten Granden die Nachfolge Alfonsos, des Stiefbruders des Königs,
und vereinigten sich, als ihre Wünsche unerhört blieben, auf der Ebene
von Avila (1465, 5. Juni) zur Absetzung des Königs. Alfonso erhielt die
Huldigung der Versammlung. Es kam zu einem Bürgerkriege, der auch
nach Alfonsos Tode (1468) fortdauerte. Die Unzufriedenen hielten sich
nun an Isabella, die Schwester des Königs. Sie trug indes Bedenken,
die Krone zu tragen, solange ihr Bruder lebe; dagegen wurde (1468,
5. September) ein Vertrag geschlossen, der sie zur Thronerbin einsetzte.
700 Vermählung Isabellas v. Kastilien mit Fernando v. Aragonien.
Wider den Willen des Königs reichte sie dem aragonesischen Thronerben
Fernando (1469) ihre Hand und tat so den Schritt, der zur Vereinigung
Kastiliens und Aragoniens führte.
4. Auch Aragonien blieb im 15. Jahrhundert weder von inneren
Bewegungen noch von auswärtigen Kriegen verschont. Alfonso V. wandte
seine ganze Aufmerksamkeit den Verhältnissen Italiens zu, sicherte seinen
Besitz auf Sardinien und erhob Ansprüche auf Korsika. Den Hilfe-
rufen Johannas II. von Neapel gegen Anjou folgend, gewann er in
Italien grofse Erfolge (s. § 145). Aber erst nach langwierigen Kämpfen
erhielt er (1443) vom Papste unter denselben Bedingungen wie einstens
Karl von Anjou die Belehnung. Die lange Abwesenheit Alfonsos
aus Aragonien machte dort die Einsetzung einer Regentschaft notwendig,
an deren Spitze seit 1435 sein Bruder, der Infant Juan, stand. Der Be-
sitz Neapels, das er seinem aragonischen Heimatlande vorzog, verwickelten
ihn in die zahlreichen Kämpfe der italienischen Staaten. Beim Aus-
sterben des Mannsstammes Visconti gewann es den Anschein, als könnte
sich Alfonso auch in Mailand und Genua festsetzen, in Wirklichkeit konnte
er nicht einmal Korsika erwerben. Mit den übrigen italienischen Fürsten
teilte auch der Hof zu Neapel die Liebe zu Wissenschaften und Künsten
(s. oben). Seine italienischen Unternehmungen hinderten ihn, seine
Königsmacht in Aragonien selbst im Sinne seiner Zeit zu verstärken.
Als er 1458 starb, folgte ihm in Aragonien und dessen Vasallenstaaten
der bisherige Regent, sein Bruder Juan, durch seine Gemahlin Blanka
auch König von Navarra; Neapel hinterliefs er seinem natürlichen
Sohne Fe rr ante. Juan II. (1458 — 1479) hatte sich nach dem Tode
seiner Gemahlin Blanka mit Johanna, der Tochter des Admirals Fadrique
vermählt. Die zweite Ehe des Königs wurde die Quelle langwieriger
Kämpfe; Johanna brachte es schliefslich dahin, dafs der rechtmäfsige
Erbe des Königreiches, Carlos, Prinz von Viana, beseitigt (1461), und
ihr eigener Sohn, Fernando IL, Thronfolger wurde. Beim Tode Juans IL,
war dieser übrigens durch seine Gemahlin Isabella auch König von
Kastilien geworden.
§ 160. Bas Entstellen der spanischen Grofsmacht. Isabella von Kastilien
(1474— 1504) und Ferdinand der Katholische von Aragonien (1479 — 1516).
Quellen, s. oben. Dazu: Dokumente, Briefe etc. in d. Col. de doc. ineditos
vornehmlich VEI, VIII, XI, XIII, XIV, XIX, XX, XXXVI, XXXIX. Ein Bericht über
spanische Geschichtschreiber bei Maurenbrecher, Stud. und Skizzen S. 57 ff.
Hilfsschriften: Schäfer, Lafuente u. die andern allg. Werke s. oben
§12 u. 83. Dazu: Havemann, Darstell, aus d. inneren Gesch. Spaniens während des
15. bis 17. Jahrh. 1850. Prescott, Gesch. der Regierung Ferdinands und Isabellas.
N. Aufl. v. Kirk. 1902. Ranke, Fürsten u. Völker v. Südeuropa I. Maurenbrecher,
Die Kirchenreformation in Spanien. — Spanien unter den kath Königen in Studien
und Skizzen zur Gesch. der Reformationszeit Leipz. 1874. Flechier, Histoire du
Card. Ximenes 1683. He feie, Der Kardinal Ximenez und die kirchlichen Zustände
Spaniens am Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrh. 1844. Clemencin, Elogio de
la reina catölica Donna Isabel. Madr. 1821. Balaguer, Los Reyes Catölicos. Madr. 1877.
— Las guerras de Granada, ib. 1898. Disquisiciones histor., ib. 1898. Barbesan, Juicio
Ferdinand und Isabella. 701
del rey Fernando . . . Est. mil. 1897. Boissonade, Hist. de la reunion de la Navarre
ä la Castille. Paris 1897. Daumet, wie § 83. D. L. Eguilaz Yanguas, Resefia hist.
de la conquista del reino de Granada. 2 ed. Gran. 1894. (Einzelnes noch in den JßG.)
A.Müller, wie §83. Mig. Lafuente Alcantara, Hist. de Granada. Gayangos,
History of the Moham. Dynasties in Spain IL J. M ü 1 1 e r , Die letzten Zeiten von Granada.
1. Die gegen seinen Willen erfolgte Vermählung seiner Schwester
Isabella hatte Heinrich IV. in hohem Grade erzürnt. Er hielt sich nun
des ihr gegebenen Versprechens entbunden und war darauf bedacht, die
Nachfolge seiner Tochter Juanna la Beltraneja zu sichern. Verschiedene
Granden wurden für den Plan gewonnen. Die Infantin sollte mit dem
Herzog Karl von Guienne, dem Bruder Ludwigs XI. vermählt und ihr
derart die Hilfe Frankreichs gesichert werden. Schwere innere Kämpfe
standen bevor. Da starb Heinrich IV. (1474, 12. Dezember), und wenige
Monate später folgte ihm seine Gemahlin im Tode nach. Schon am
Tage nach dem Tode des Königs wurden Isabella und Ferdinand
zu Segovia als Könige von Kastilien und Leon ausgerufen. Die Cortes
von Segovia (1475, Februar) setzten fest, dafs die Landeshoheit in
Kastilien und Leon Isabella als der rechtmäfsigen Königin allein zu-
stehen sollte. Sie hatte demnach vor allem die Ämter im Staate, die
geistlichen Stellen und die Befehlshaberstellen zu besetzen, die Schatz-
kammer stand zu ihrer Verfügung; die Rechtsprechung geschah in
beider Namen, die Münzen trugen die Bildnisse beider und das Reichs-
siegel die vereinigten Wappen beider Königreiche. Keine Fremden —
und das waren für die Kastilier auch Aragonesen — sollten in Kastilien
Ämter erlangen. Ferdinand war von dem geringen Ausmafs an Macht
nur wenig befriedigt. Es war aber nicht der Augenblick, neuen Zwist
zu erregen. Denn noch hatten sich beide gegen die Ansprüche Beitranejas
zu verteidigen. König Affonso V. von Portugal nahm sie als seine
Nichte in Schutz und verlobte sich mit ihr. Er gewann Ludwig XI,
für ein Bündnis ; in Kastilien. rührte sich eine starke Partei zu ihren
Gunsten; aber der Sieg Ferdinands über die Portugiesen bei Toro
(1476) entschied den Kampf für die katholischen Könige. Die Franzosen
schlössen (1478) den Frieden von St. Jean de Luz, und ein Jahr später
entsagte auch Affonso in dem Vertrag von Alcantara seinen Ansprüchen
auf Kastilien. Beltraneja ging in ein Kloster. Die jugendliche Tochter
Isabellas und Ferdinands des Katholischen, Isabella die Jüngere, wurde
mit Joäo, dem Sohne des portugiesischen Thronfolgers, verlobt. Kurz
zuvor war König Juan IL von Aragonien aus dem Leben geschieden ;
die Krone dieses Reiches fiel nun gleichfalls an Ferdinand; aber die
Vereinigung der beiden gröfsten Reiche der Pyrenäischen Halbinsel war
eine lose und rein äufserliche ; das spanische Nationalgefühl äufserte sich
fast nur in dem Kampfe gegen Granada. In beiden Reichen wachten
die Stände mit Eifersucht über ihre Sonderrechte. Beide bestanden aus
einer Anzahl von Ländern, von denen jedes seine eigenen Freiheiten,
Rechte und Privilegien genofs, die bei einzelnen wie z. B. bei Kastilien
noch in die Zeiten des Unterganges des gotischen Reiches zurückgehen ;
jünger sind die Rechte der aragonischen Provinzen; hier gab es aber
702 Aufrichtung einer starken Königsgewalt in Kastilien. Die Herrnandad.
in einzelnen Landschaften, wie in Katalonien mit seiner Hauptstadt
Barcelona, eine Menge fast republikanischer Freiheiten, die sorgsam ge-
hütet wurden. In beiden Staaten war sonach die Macht des Königtums
stark eingeschränkt. Dazu kam in Kastilien der Gegensatz einzelner
hochadeliger Häuser, wie der Guzman und Mendoza, von denen das
letztere allein eine Heeresmacht von 30000 Mann aufzustellen vermochte.
Eine nicht geringere Macht hatten die geistlichen Ritterorden; der
Grofsmeister von St. Jago genofs ein Ansehen wie ein Souverän und
war imstande, eine Armee aus Ordensmitteln aufzustellen. Es war
unter diesen Umständen für das Königtum schwer, die Aufgabe zu
lösen, die das französische Königtum bereits bewältigt hatte, das englische
zu lösen im Begriffe stand : den anarchischen Zuständen ein Ende zu
machen, die sich vornehmlich in Kastilien ausgebildet hatten. Hiezu
waren Isabella und Ferdinand wie geschaffen: bei ihren grofsen organi-
satorischen Talenten gelang es ihnen, die Grundlagen zu einer neuen
staatlichen Ordnung zu legen. Gegen die Übermacht des Adels fanden
sie eine Stütze an den Bürgerschaften. Mit ihrer Hilfe wurde wie in
Frankreich aber auf anderer Grundlage ein stehendes Heer geschaffen,
wobei man an bestehende Verhältnisse anknüpfte. Zum Zwecke der
Sicherheit der Städte und ihrer Umgebung hatten sich seit dem Ende
des 13. Jahrhunderts sog. germanitates, Brüderschaften, gebildet, die
ihre Aufgabe bald auch in der Abwehr aller Übergriffe des Adels und
Klerus suchten, nicht selten aber die Interessen des Bürgertums selbst
gegen die Krone verfochten. Diese Institution, die zuletzt in Verfall
geraten war, wurde durch Isabella neu belebt. Auf den Cortes zu
Madrigal (1476) wurde bestimmt, dafs alle Ortschaften Kastiliens den
germanitates beitreten sollten. Je 100 Bürger hatten einen bewaffneten
Reiter zu stellen. So wurde eine stehende Truppe von 2000 Berittenen
und einigen Hundert Fufssoldaten geschaffen, die insgesamt von könig-
lichen Offizieren befehligt wurden. Ihre Aufgabe war nun eine andere :
sie hatten für die Sicherheit der Landstrafsen, die Beobachtung der
Gesetzesvorschriften und die Vollstreckung der richterlichen Urteile zu
sorgen. Die Verbindung galt als ein hl. Institut — die hl. Herrnandad.
Ihre Wirksamkeit war eine so erfolgreiche, dafs sie auch in Aragonien
eingeführt wurde. Im Zusammenhang mit dieser polizeilichen Einrichtung
erfuhr auch das Gerichtswesen eine zeitgemäfse Umgestaltung. An
Stelle der zahllosen Fueros, Privilegien und Einzelbestimmungen wurden
die acht Bücher der Ordenanzas Reales geschaffen, die 1485 der Öffent-
lichkeit übergeben wurden und fortan die Grundlage für die Recht-
sprechung in Kastilien bildeten. Die Folgen der Anarchie unter der
letzten Regierung wurden nun beseitigt : Raubburgen gebrochen, Verbote
erlassen, ohne Genehmigung der Regierung Burgen zu bauen oder
private Streitigkeiten auf dem Wege der Selbsthilfe zu erledigen;
wie in England unter Heinrich VII. wurde den Grofsen untersagt, ein
bewaffnetes Gefolge zu halten. Nicht minder einschneidend waren die
Verwaltungsmafsregeln der Königin: an die Spitze der obersten Ver-
waltungsbehörden wurden nicht mehr Leute aus dem hohen Klerus und
D. König Grofsmeister d Ritterorden. Ximenes u. d. span. Kirche. 703
dem Adel, sondern rechtskundige Personen gestellt, die ihr Amt ge-
wissenhaft verwalteten. Da der übermäfsige Reichtum der Ritterorden
und die ihnen zur Verfügung stehende Streitmacht keine geringe Gefahr
für das Königtum in sich barg, verschaffte Isabella ihrem Gemahl 1487
die Grofsmeisterwürde von Calatrava, 1494 von Alcantara und 1497 von
St. Jago. In Zukunft — Papst Hadrian VI. traf hierüber eine eigene
Anordnung — galt die Grofsmeisterwürde als Eigentum der Krone. Sie
erhielt damit die Verfügung über ein wohlgeordnetes Heer. Schon in den
ersten Jahren des neuen Regiments wurden die Besitztitel des Adels
einer sorgsamen Revision unterworfen und alles der Krone auf unrechte
Weise entfremdete Gut zurückgenommen. Doch ging die Königin
hiebei mit weiser Schonung vor und nicht ohne dem Adel für seine
Verluste Entschädigungen in der Form von Ehren und Würden zu
geben. Aufser den germanitates wurde noch eine zweite Institution, die
im Lande lange schon bestand, zu einem Werkzeug in der Hand des
Königtums umgeschaffen: die Inquisition. Ihre Umgestaltung hängt
mit der Kirchenpolitik Isabellas eng zusammen. Der Verfall der Kirchen-
zucht trat auch in Spanien deutlich zutage. Nicht viel weniger als in
Italien hatten sich auch hier die obersten und gebildeten Schichten des
Volkes vom offiziellen Kirchentum abgewendet, während die grofse Masse
in Unwissenheit und Aberglaube versunken war. Hier setzte das Wirken
der Königin ein; was in andern Ländern nicht gelungen war, in
Spanien wurde eine Kirchenreformation durchgeführt, nicht wie die
Deutschlands im 16. Jahrhundert, wohl aber eine solche, an welche die
sog. katholische Reformation in der zweiten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts anzuknüpfen vermochte. Unter den Beratern der Königin
läfst sich keiner mit dem Kardinal Ximenes vergleichen. Aus einem
verarmten Adelsgeschlecht entsprossen, in Salamanka und Rom gebildet,
dankte er dem »grofsen Kardinal« Mendoza sein rasches Vorwärts-
kommen. Ein hohes Kirchenamt war ihm zugedacht. Ihn zog es aber
in die Stille eines Franziskanerklosters. Auf Mendozas Rat ward er
Beichtvater der Königin, und als solcher früh schon ihr Berater auch
in politischen Dingen. Nach Mendozas Tode wurde er dessen Nach-
folger. So wenig geizte er aber nach dem ersten Erzstuhle in
Spanien, dafs erst ein Befehl des Papstes ihn zur Annahme bewog.
Ximenes war der Mann, mit dessen Hilfe die Königin die Kirchenrefor-
mation durchsetzte. Jene Grundsätze, die er sich selbst zur Richtschnur
seines Lebens aufgestellt hatte, galten nunmehr als Norm für die Er-
ziehung und Lebensführung des Klerus. Er stellte die verfallene
mönchische Zucht her, visitierte die Klöster und reinigte ihre Konvente.
Weltlich gesinnte Geistliche wurden entfernt und niemand, der sich
nicht durch einen streng kirchlichen Lebenswandel auszeichnete, zu
einer geistlichen Würde befördert. Die neuen Bischöfe waren insge-
samt Männer von streng moralischem Charakter und hoher Bildung;
denn auch auf die theologische Ausbildung des Klerus wurde Gewicht
gelegt. Eifriger als in andern Ländern wurde an den Universitäten
Spaniens das theologische Studium betrieben, die alten Hochschulen
704 Die Kirchenpolitik d. kath. Könige. Die Inquisition.
reformiert und neue errichtet, auf denen der Theologie der erste Platz
eingeräumt war. Auch die Askese feierte in diesem Lande ihre Auf-
erstehung. Der spanische Klerus überragte schon nach einem Menschen-
alter jeden andern an Würdigkeit und Bildung. Dafs unter diesen
Umständen in Spanieu für eine Reformation im Sinne Luthers nicht
Platz war, liegt auf der Hand. Die kirchliche Visitation und das könig-
liche Ernennungsrecht der kirchlichen Würdenträger waren die Mittel,
die den neuen Zustand begründen halfen. Denn so fromm die Königin
auch war, von dem Rechte des Königtnms auf die Besetzung der Bis-
tümer hätte sie kein Titelchen preisgegeben. In Aragonien waren die
geistlichen Privilegien schon im vierzehnten Jahrhundert stark einge-
schränkt worden ; dort wurde die Mitwirkung der Krone bei der Besetz-
ung der Bistümer als Recht der Krone gefordert und der weltliche Be-
sitz der Kirche besteuert. Hier setzten die Könige ein. Im Jahre 1481
forderten sie vom Papste einen förmlichen Verzicht auf alle Eingriffe in
die spanischen Angelegenheiten. Sie selbst wollten ihrem eigenen Er-
messen nach die obersten Kirchenämter besetzen. Als Ferdinand das
Konkordat von 1482 abschlofs, erhielt er die Besetzung aller höheren
Stellen zugestanden. Die päpstlichen Erlässe wurden dem königlichen
Placet unterworfen. Die Kirche hatte ihre Steuern zu zahlen. In
Spanien wurde sonach die Krone die Trägerin der Kirchenreformation.
Sie wachte hier auch über die Reinheit der Lehre. Das alte Institut
der Inquisition wurde jetzt neu belebt. Es war die Behörde, die darauf
zu achten hatte, dafs die zum Christentum übergetretenen Juden und
Mauren sich in Leben und Lehre als Christen erweisen. Jeder Zweifel
sollte angezeigt, erwiesene Ketzer dem weltlichen Arme zur Bestrafung
übergeben werden. Die Krone erhielt vom Papste das Recht, die In-
quisitoren selbst zu erwählen. Am 2. Januar 1481 begannen die ersten
drei Inquisitoren des für Sevilla bestimmten Tribunals ihre blutige
Arbeit. Der eigentliche Organisator des Ketzergerichts war Thomas
von Torquemada, der 1483 ernannt wurde und im folgenden Jahre seine
ProzefsordnuDg erliefs. Die Zahl seiner Opfer wird für die Zeit von
1481 — 1498 auf 2000 berechnet.1) Nach erlittenen Folterqualen, die den
Opfern Geständnisse abprefsten, wie sie den Wünschen und Zwecken
der Richter entsprachen , wurden die Schuldigbefundenen bei sog.
Glaubensakten (actus fidei, Auto da Fe) verbrannt. Die Güter der Hin-
gerichteten fielen dem Fiskus zu. Aufser in Sevilla wurden in Saragossa
und Valencia Tribunale errichtet. Sie waren von der Kurie durchaus
unabhängig. 1490 wurde die Inquisition in Mallorka, 1492 in Sardinien
und 1503 in Sizilien eingeführt. Die Zahl der obersten Gerichtshöfe
stieg allmählich auf 13. Wenn es Anfangs auch infolge der Auto da
Fe's zu wiederholten Volksbewegungen kam : das auf die Reinheit seiner
Lehre stolze Volk gewöhnte sich bald an die grauenvollen Szenen, und
die Inquisition wurde um so populärer, je kräftiger sie gegen Juden und
x) So nach Maurenbrecher. Bei Diercks findet sich, dafs in dieser Zeit 10 220
Menschen tatsächlich, 6860 im Bilde verbrannt und 97 321 Personen zu andern Strafen
verurteilt wurden.
Die letzten Zeiten des Reiches von Granada. 705
Mauren, im 16. Jahrhundert auch gegen Protestanten einschritt. Für
ihre Verdienste erhielten Ferdinand und Isabella von Alexander VI.
den Titel der katholischen Könige. So durchgreifend wie Isabella in
Kastilien, konnte Ferdinand in Aragonien nicht verfahren ; dort ward
er überall durch die Stände gehindert. Man sagt, Isabella habe einen
Aufstand in Aragonien gewünscht, um dann mit dem ständischen
Wesen aufzuräumen. Dazu ist es erst unter Philipp IL gekommen.
2. Die Kämpfe der christlichen Staaten auf der pyrenäischen
Halbinsel gegeneinander, ihre Kriege gegen die englischen und franzö-
sischen Nachbarn, die Kämpfe um die Herrschaft in Sizilien, am meisten
die inneren Wirren, von denen sie heimgesucht waren, bewirkten, dafs
das kleine Reich der Nasriden in Granada - - es hatte kaum die Gröfse
des Königreiches Württemberg — noch durch volle 250 Jahre weiter
bestand. Noch einige andere Momente kamen hinzu, die seinen Fort-
bestand sicherten: zunächst die treffliche Lage des Landes, als einer
natürlichen Festung, die eine wirksame Verteidigung auch gegen über-
legene Kräfte gestattete. Dann war das Reich die Zufluchtstätte der
von den christlichen Herrschern der benachbarten Länder verfolgten
Muslemen geworden, und eben die tüchtigsten Volkselemente hatten
sich dorthin geflüchtet. Das meiste tat aber die ausgezeichnete Politik
der Nasriden, die mit seltenem Geschick alle die Vorteile ausbeuteten,
die ihnen die Uneinigkeit der benachbarten christlichen Staaten oder
der glaubensverwandten Meriniden in Afrika an die Hand gab. Sie
bekämpften diese Reiche oder verbanden sich mit ihnen je nach der
Lage der Dinge und erhielten sich zwischen beiden als ausschlaggebende
Kräfte. Diese Politik, die schon der Gründer der Dynastie, Mohammed I.
Ibn Achmed (1232 — 1272), befolgte, wurde von den folgenden Emiren
genau beachtet. Er gab ihnen auch die Richtschnur für ihr Verhalten
in Bezug auf die Verwaltung und Hebung des Landes x) : da wurde
durch die Anlage von Hafenbauten, durch Förderung des Schiffbaues
und Herstellung von ßefestigungswerken an den bedeutenderen Küsten-
plätzen der Seeverkehr gehoben, gute Landstrafsen angelegt und Kanäle
gebaut, Krankenhäuser errichtet, Volksschulen und höhere Bildungs-
anstalten gegründet. Granada wurde stark befestigt und in den Tagen
Jussufs I. (1333 — 1354) der Wunderbau der Alhambra begonnen. Die
meisten Nasriden2) waren Förderer der Wissenschaften und Künste; an
Jussufs Hofe, dem Sammelplatz der hervorragendsten Gelehrten, Dichter,
Musiker und Architekten, lebte als Sekretär, dann als Grofsvezier Ibn-
el-Chatib, am Hofe seines Sohnes Mohammed V. Ibn Chaldoun,
beide hervorragende, der letztere der bedeutendste arabische Geschicht-
schreiber dieser Periode. Die Regierung Mohammeds V. (1354 — 1359
und 1362 — 1391) bedeutet überhaupt den Höhepunkt der Kultur ent-
wicklung Granadas, die sich um so unbehinderter entfalten konnte, je
*) Diercks, Gesch. Spaniens II, 3.
2) Ihre Aufeinanderfolge von Mohammed I. bis Mohammed XI. u. XII. s. in
A. Müller, Der Islam, S. 664 — 65, ihre Gesch. aufser in den obengenannten Büchern
im Umrifs auch bei Diercks II, 1 — 29.
Loser th, Geschichte des späteren Mittelalters. 45
706 Der Niedergang u. Fall von Granada u. seine Folgen.
eifriger die christlichen Mächte daran gingen, sich gegenseitig zu be-
kämpfen. Erst seit die Vereinigung Kastiliens und Aragoniens erfolgt
war, waren die Tage der Nasriden gezählt, deren Erbfehler, Zwietracht
und Grausamkeit, in ihren letzten Zeiten am meisten an den Tag traten.
Schon der verschwenderische Hofhalt des Emirs Abu Nassr Ssa'ad
und die neuen Steuern, die er seinen Untertanen auflegte, hatten auf-
ständische Bewegungen erregt, und als er, in der Meinung, seine Herr-
schaft zu befestigen, Seid Jussuf, das Haupt der mächtigen Familie der
Beni Serrach, der Abenceragen, töten liefs, verlor er das Reich an
seinen Sohn Abu l'Hassan (1462 — 1482). Der Zwist zwischen den
Parteien der Abenceragen und Zegris, Grausamkeit und Schwäche des
Emirs erleichterten den katholischen Königen die Erfüllung ihrer Wünsche.
Der Emir hatte neben seiner rechtmäfsigen Gattin Aischa eine Christin,
Isabel, zur Favoritin und Königin erhoben; als solche führte sie den
Namen Zoraiya. Aischa fürchtete für die Kachfolge ihrer Söhne Abu
Abdallah (Boabdil) und Jussuf; auf ihrer Seite standen aller Wahr-
scheinlichkeit nach die Zegris, auf Seiten Zoraiyas die Abenceragen.
Mitten unter diesen Parteiungen kam es 1481 zum Kriege zwischen
Kastilien und Granada; während Abu l'Hassan im Felde stand, entflohen
Boabdil und Jussuf aus der Alhambra und Boabdil liefs sich zum
Emir ausrufen. Zum auswärtigen kam sonach noch ein Bürgerkrieg
hinzu. Boabdil, bei Lucena geschlagen und gefangen, wurde ein Werk-
zeug in der Hand Ferdinands des Katholischen; indem ihm dieser die
Freiheit wieder gab und einen Waffenstillstand auf zwei Jahre gewährte,
mufste er eine bedeutende Kriegsentschädigung zahlen, sich zu einem
jährlichen Tribut und zur Teilnahme am Kampfe gegen den eigenen
Vater verpflichten. Doch war der Kampf damit noch nicht zu Ende.
Als Abu ['Hassan 1485 starb, übernahm sein Bruder Es Sagall, »der
Recke«, die Regierung. Der Kampf zog sich noch mehrere Jahre
fort, allmählich wurde der ganze Westen, dann auch der Osten des
Reiches von den Christen erobert. Nur Granada stand noch auf-
recht. Auch dieses wurde 1491 von ihnen umlagert. Am 18. Juni
erschien die Königin Isabella selbst bei den Belagerern, um ihre
Kampfeslust anzufeuern. Ein festes Lager, eine vollständige Stadt
— sie erhielt den Namen Santa Fe, heiliger Glaube, — wurde erbaut.
Zu Ende des Jahres waren die Kräfte der Verteidiger erschöpft, Am
2. Januar 1492 hielten die Christen ihren Einzug; auf der Alhambra
wurde das silberne Kreuz aufgerichtet und das Königsbanner von
St. Jago entfaltet. Den Muslimen war in der Kapitulation Sicherheit
des Lebens und Besitzes und Freiheit des Kultus zugesichert. Dem
Emir Boabdil wurde der Flecken Andarax als Lehensgut zugewiesen.
Von dort ging er in Folge der Intrigen der Christen, die nicht daran
dachten, die Kapitulationsbedingungen zu halten, schon 1493 nach Fez.
Im Dienste seines Herrn fand er den Tod in der Feldschlacht. Mit
dem Falle Granadas endete die Herrschaft des Islam in Spanien für
immer. In Rom und der ganzen abendländischen Christenheit wurde
die Eroberung der Stadt als grofser Sieg des Glaubens gefeiert. Der
Spanien als Grofsmacht und seine wirthschaftliche Blüte. 707
Krieg gegen die Mauren hatte für Spanien noch insofern bedeutsame
Folgen, als in dieser Zeit jenes treffliche Heerwesen geschaffen wurde,
das den Spaniern ihre grofse Überlegenheit über die benachbarten
Völker verschaffte. Im Zusammenhang mit der Eroberung Granadas
steht die grofse Judenverfolgung und das Gebot, dafs alle Juden bis
Ende Juli das Königreich verlassen müfsten. An 160000 Menschen
wurden so aus ihrer Heimat gejagt. In der Freude ihres Sieges be-
willigte die Königin Isabella das Unternehmen des Kolumbus, das ihr eine
neue Welt gewann. Der Aufschwung des spanischen Staatswesens unter
der Regierung der katholischen Könige war ein aufserordentlicher. Die
niederen Stände, besonders die Bauernschaften, erfreuten sich in Spanien
eines Schutzes wie sonst nirgends in Europa. Die Bodenkultur stand
nirgends so hoch wie dort, die Gewerbe wurden eifrig gepflegt, besonders
die spanischen Webereien waren weithin berühmt. Eine Menge von
Luxusgegenständen wurde nach allen Staaten aus Spanien ausgeführt.
Das ganze Volk war durch die fortwährenden kriegerischen Unternehmungen
zu weiteren Kämpfen trefflich gerüstet, und so wurde Spanien am Beginn
der Neuzeit in die Lage versetzt, in die grofsen europäischen Fragen,
welche die Welt bewegten, in entscheidender Weise einzugreifen.
45 :
Register.
Ausgeschlossen sind alle Personen-, Orts- und sonstige Namen, die im Texte nur zufällig erwähnt
werden. Ländernamen sind in der Regel unter den betreffenden Regenten zu suchen. Ortsnamen
w erden angemerkt, wenn sich bedeutsame Ereignisse an sie knüpfen. S = Sohn, T = Tochter, Br = Bruder,
Schw = Schwester, G = Gemahl, Gemahlin, K = Kaiser, Kg = König, F = Fürst, H — Herzog.
A.
Aachen, 8. d. Krönung deut-
scher Könige.
Abbeville, Friede von 156.
Abdallah, Enkel Timurs 598.
Abd-el Latif 598.
Abel, Kg. von Dan. 360.
Abenceragen d. = Beni
Serrach 706.
Ablafsstreit in Prag 460.
Abu Abdallah 706.
— 1' Hassan 706.
— Nassr Ssa'ad 706.
Acciajuoli Franko 605.
Acerra, Gr. v. 144.
Achaja, Herzogt. 167 ff.
Achmed, Br. Mohammeds IL
602.
Achmed Ibn Oweis v. Bagd.
596.
Act of Provision 344.
Adalbert der Hl. 133.
Adelasia v. Sard. 105.
Adil 83.
Adolf, Kg. 194 ff., 222.
— v. Berg 192.
— Erzb. v. Köln 28, 30 f.
— Erzb. v. Mainz 418, 428.
— HI. v. Holstein 31, 60.
— v. Schles.-Holst. 565 f.
Adria, Königreich 405.
Adrianopel, Schlacht bei 73.
Ägidius v. Colonna 225, 227.
Agnes v. Babenberg 190.
— v. Brandenburg , G.
Waidemars 297.
- T. Ottokars I. 88, 100.
- T. Ottokars H. 187.
- T. AVenzels H. 196.
- v. Meran 47.
— Sorel 561.
Ägypten 69, 72, 81, 83 f.,
144, 152 ff.
Ulli, Pierre d" 411 f., 445 f.,
454 f., 465 f., 472 f., 641.
Aischa 706.
Aix, Vertrag v. 143, 156.
Akkon, Fall v. 135, 174.
Alaeddin HI. 587.
— v. Ikonium 587.
— Br.TTrchans 610.
Alarcos, Schlacht bei 55.
S. Albans, Schlacht bei 686.
Alberich da Romano 101, 106.
Albert v. Görz 146, 184.
Albert, Domherr zu Bremen
60 f.
Alberti 626 f.
Albigenser 11 f., 19 f., 49 ff.,
89. 150.
Albigenserkrieg 48 ff.
Albizzi, che 630 f.
Albornoz, Kardinal 312, 315,
321, 378.
Albrecht L, Kg., H. v. Ost.
1901, 193 f., 196 ff., 222,
224, 228, 249, 365.
- Albrecht II. (s. A. V. v.
Ost.) 510 ff. 516 ff. 525. 649.
- K. v. Schw. 364, 564 f.,
v. Anhalt 297.
L, H. v. Bayern 429.
- IH., H. v. Bavern 519.
- IV., H. v. Bayern 669.
— d. Bär, Markgr. v. Br.
133.
- Achilles 645, 647, 652,
662.
— v. Görz, s. Albert
— v. Habsburg, Vater K.
Rudolfs I. 181.
— v. Mecklenburg 297.
— v. M., s. K. v. Schweden.
— v. Orlamünde 62.
- H., H. v. Österr. 257,
273, 296, 299.
Albrecht IH. v. österr. 426,
428, 432 f.
- IV. v. Österr. 441 f.
- V. v. Österr. 481, 491
493. 495.
- VI. v. Österr. 518, 552,
647, 649, 652, 654 ff., 659.
- H. v. Sachsen 323.
- H. v. Sachsen 664, 668.
— d. Entartete von Thür.
148, 193, 195 f.
Albret, die Farn. 676.
Albuquerque, Min. Pedr. d.
Graus. 349 f.
Aleneon, Farn. 676.
- Joh. IL 676, 678, 680.
- Rene 680.
Alexander H. (Papst) 54.
- IH. 9, 14, 54.
- IV. 127, 141 f. 158.
- V. 446 ff. 453 ff. 459.
VI. 634, 637.
- IH. v. Schottland 211.
Alexander Newski 576.
— v. Twer 577.
— Beisarabe 373.
Alexios III. 69 ff.
— IV. 69 f.
— V. 70 f.
- Komm, K. v. Trap. 71.
— H. v. Trap. 588.
- v.Trap.,NeffeDavids 606.
— Strategopulos 167.
Alfonso HI. von Aragonien
206, 353 f.
— IV. v. Aragonien 355.
— V. (v. Neapel L; 526,
637 ff., 698 f., 700.
- IL v. Neapel 638.
VIII. v. Kastilien 55 f.
— IX. v. Kastilien 56.
— X. 128 ff., 141, 147, 157,
179, 182 f., 219, 347 f.
710
Register
Alfons XI. 349, 358.
— (Affonso^ I. v. Port. 54.
— II. v. P. 57.
— in. v. P. 57, 348.
— IV. v. P. 350, 357 f.
— V., d. Afrikaner 696,
701.
— v. Poitiers 151, 156, 173,
219.
Alfonso de Borja 500.
— de la Cerda 219, 348 f.
— Inf. v. Käst. 357.
— Inf. v. Käst, 699.
— Sohn Pedro d.Graus. 351.
AH Pascha 601.
Alice v. Cypern 152 f.
— Perreis, Maitr. Ed. HI.
393.
Aljubarotta, Schlacht bei
694, 697.
Almazan, Frieden 356.
Almohaden 55 f.
Almoraviden 55.
Alvaro Perez de Castro 120.
Amadeus v. Savoyen t 1253)
117 ff., 120 ff. *
— v. S. Reichsv. v. Arelat
(1365) 321.
— Amadeus v. Savoyen
(Schwiegerv. Filippo Mar.
Viscontis) 639.
Amalrich, K. v. Jerusaleni
68, 71 f., 152.
— v. Toulouse 52.
— II. v. Xarbonne 224.
Amselfeld, 1. Schlacht am 591.
— 2. Schlacht am 601.
Anagni, das Attentat von
228 ff.
Ancorano, Pietro 447.
Andreas II., K. v. Eng. 83.
— m., K. v. U. 193, 201.
— v. Kalabrien, Br. Ludw.
v. Ung. 313, 372.
— S. Thom. Paläol. 605.
— v. Brod 456, 461.
Andrej v. AVladimir 576.
Andronikos, K. II. 586.
- in. 588.
— IV. 590 f.
Fra Angelo 311.
Angora, Schlacht bei 597.
An j ou, Haus in Frankreich
189, 201 ff., 676.
— Johann v. 678.
— Rene 681.
— s. Karl v. A.
Anna, 2. G. K. Karls IV.
298 f.
— 3. G. K. Karls IV. 299,
316.
— G. d. K. Vatatzes 166.
— G. Richards H. 419,
458, 534, 536.
— (Aldona) von Lit. 368,
370, 372.
— G. Kg. Heinrichs v.
Böhmen 201.
— v. Beaujeu 664, 682 f.
— v. Bedford 561.
— v. Bretagne 664 f., 682 f.
— v. Cilli 682.
Anseimus, S. Kg. Manfreds
144.
Anton v. Burgund 444.
Apokaukos 588.
Apostoliker 388.
Arelat 121, 189, 320.
Aretino s. Lionardo Bruni
Armagnac, Haus 676.
— Bernh. 547 f., 551.
— Joh. 678, 681.
Armagnaken, die 524.
Arme v. Lyon, s. Waldesier.
Armenien 10, 174.
Arnest v. Pardubitz 300,
301.
Arnold v. Brescia 4, 13, 618.
— v. Citeaux 50.
— v. Winkelried 428.
Arpaden, Aussterben d. 201,
Arsenius, Patriarch 166.
Artevelde, Jak. 330, 332.
— Phil. 534, 543 f.
Artur v. Bretagne 38, 46.
— S. Heinrichs VH. von
England 692.
Arundel, Graf 537.
Asan, Bulgarenf. 74, 165.
Assassinen, Unterg. d. 170.
Assisi, s. Franz v.
Aston, Kardinal 408.
Auray, Schlacht bei 341.
Aurispa 632.
Ausculta tili 226.
Aufsig, Schlacht bei 495.
Avignon, d. Papst in 233 ff.,
236 ff., 269, 305.
Axel v. Dänemark 60.
— Prinz v. Dänemark 107.
Avmer de Villiers - le - Duc
242.
Azincourt, Schlacht bei 550.
Azzo v. Este 106.
B.
Babur, Grofsmogul 598.
Bagdad, Fall v. 170.
— Erober. d. Timur 597.
Baglar, die 64 f.
Bajesid 591 ff., 596 ff., 610.
Baldewin, Erzb. von Trier
247 ff., 257, 289 f.
Balduin v. Fland., latein.
K. 68, 70 f., 73.
— H. 74, 142, 165, 580.
Baldus v. Perugia 405.
Baliam v. Sidon 93.
Baliol, John 212.
— Eduard 329, 336.
Ball, John 533.
Bannockburn, Schi. b. 215.
Barbara v. Cilli, G. K. Sig-
munds 450, 511.
Barnet, Schlacht bei 688.
Barnim v. Pommern 297.
Bartolomeo v. Saliceto 405.
— Prignano s. Urban VI.
Basel, Konzil 498, 501, 513.
Batu 110 f., 575.
Baudiicourt, Hauptm. 557.
Bauernaufst. v. 1381, 532 ff.
Baumkircher Andr. 659.
Beatrice Facino 638 f.
Beatrix, G. Ottos IV. 32, 35.
— G. Manfreds 142.
— G. Juans v. Käst. 697.
— v. [Schwaben, Kgin. v.
Käst. 56.
— T. Alf. X. 348.
— T. Ferd. v. Port. 359,
693.
— T. Heinr. Vit 255.
— T. Manfreds 205.
— T. Pereiras 695.
Beccadelli 624.
Beckenslaher, Erzb. v. Gran
660.
Bedford, H. v. 551 ff., 554 ff.,
561.
Begarden u. Beginen 3SS.
Behaim, Alb. v. 106, 107, HS.
Bela IV., Kg. v. Ung. 111 f.,
137 f., 193.
Belgrad, Sieg Hunyadys 6Ü< >.
Ben Abed 81.
Benedikt XL 233 ff.
— XH. 280 ff., 287, 330 f.
— Benedikt XIH. 413 ff.,
445 ff., 453 ff., 466 ff.,
470 f., 546.
Benevent, Schlacht b. 144 f.
Register
711
Beni Serrach 706.
Benu l'Aclmicr 57.
Benvenuto v. Imola 232.
Berengaria v. Kastilien 56.
Bern, Anschluß a. d; 3 Orte
305.
Bernardo de Cabrera 356.
Bernardone Pietro 17 f.
Bernhard, Markgr. V. Baden
443.
- H. v. Sachsen 28 f.
Berrv, H. Johann v. 543,
545 f.
Bertold v. St. Gallen 145.
— v. Henneberg 272.
— 667.
— V. Hohenburg 140.
— H. v. Zähringen 28 f.
Bertrand, Kardinallegat 311.
Bettelmönche 10, 15 ff., 20 f.
Bibars 152, 154, 170 f.
Bingen, Kurverein 493 f.
Birger Jarl 67, 362.
Birger, Kg. v. Schwed. 362.
Birkenbeine 63, 65.
Bisticci, Yesp. 624.
Blanka, G. Ludwigs VIII.
143, 150, 153, 155 f.
- G. Pedro d. Graus. 350 f.
358.
— Gem. Fern, de la Gerda
348.
— v. Navarra 699 f.
— G. Ludwigs v. d. Pf. 442 f.
Boabdil, s. Abu Abdallah
Boccaccio 621 ff.
Bogdan, F. d. Moldau 373.
Bogislaw, Pornmernh. 60.
Bogomilen 12.
Bohemund v. Trip. 72, 83.
— VI. 171.
- VH. 174.
Böhmen, Grofsmacht 136 ff.
— Ausg. d. nat. Dyn. 199 ff.
— d. Haus Luxemburg in
249 ff.
Bohuslaw, Domdech. 432.
Boleslaw IH. v. Polen 200.
Bolko v. Schweidnitz 299 f.
Bonagratia v. Bergamo 277,
285.
Bonacossi Passarini von
Mantua 273.
Bonde, das Haus 66 f.
Bonifaz VIII. 196, 198 f.,
201 f. ,207 ff. ,212 ff. ,221 ff.,
234 f., 240 ff., 243.
Bonifaz IX., 408 ff , 413, 435,
438, 440, 442, 444, 592.
- v. Montferrat 69 ff., 73.
— Erzb. v. Canterburv 160.
S. Bonifacio, Graf v. 105.
Boresch v. Miletin 506, 510.
Borgia (Borja), d. Haus 500.
— Alfonso, s. Kalixtus III.
— Caesar 637.
— Kodrigo, s. Alex. VI.
Börnheved, Schlacht bei 62.
Bourbon, Haus 676.
- H. v. 561.
— Ludwig v. 543, 550.
- Peter v. 678, 681.
Bouvines, Schlacht b. 36 f.,
41, 48.
Braccio di Montone 500, 637.
Braganza, Affonso 695.
Brambre, Ritter 536.
Brandenburg, Ausg. d. Ask.
Hauses 278.
Branko witsch Georg 604.
Braunschweig, Luther v. 168.
— -Lüneb. im 15. Jh. 641.
— Herzogtum 103.
Bretagne, H. v. 676.
— Franz v. 664, 678, 681 f.
— Gui v. 332.
Bretigny, Frieden v. 339 f.
Brienne, das Haus 168.
— Walter v. 354.
Brigitta, Sta, 378.
Brosse, Pierre de la 219 f.
Bruce, Eduard 216.
- Robert 212.
- der Enkel 214 ff.
Brüder v. gem. Leben 388.
Brügge, Weltmarkt 136.
Brügge, Matines de Bruges
237.
Brunkeberg, Schi, am 566 f.
Brunelleschi 626.
Bruno Bisch, v. Olmütz 139,
182, 187.
Brüx, Xiederl. d. Hussit. 491.
Brzesc, Friede v. 571.
Buch, le Chaptal de 341.
Buckingharn 690.
Bulgarien, Vernichtung des
Reiches 592.
Bulle, d. Gold., Inhalt und
Bedeutung 317 ff.
Bureau de la Ri viere 545.
Burley, Erz. Rieh. IL 536.
Burgund im 15. Jahrh. 660 ff.
Burchard I. v. Hohenz. 452.
Bufsbrüder, s. Tertiarier.
Byzanz, Niederg. d. Reiches
68 ff. 581 ff.
€.
Caboche (iens) 547 f., 550 f.
Cabrera, Grafen v. 354.
Cäcilia, G. Rieh. v. Salisb.
685.
Cade, Aufst. des 684 f.
Cambridge, Rieh. v. 685.
Canabus Nik. 70.
Cane Faeino 638.
Can grande d. Scala 273.
Canterburv, Bündn. v. 482,
551.
Capistrano 604 f.
Capponi Gino 631.
Carmagnola 639.
Carrara, Farn. 306.
- Frz. 374, 439 f., 443, 633.
Carvajal 526 ff. 654.
Caserta, Graf v. 144.
Castriota, Georg v. 600 ff.,
606 f.
— Johann 606.
Castruccio Castracani 273,
275 f.
Catalina, G. Heinr. in. v.
Kastilien 698.
Catania, Vertrag v. 87.
Cauchon Pierre 559 f.
Celano, Grafen d. 80, 93.
Celtis Konrad 642.
Ceperano, Friede v. 94.
Cesarini, Kard. 497, 501 ff.
514, 518, 520 f.
Champlitte, Hugo, H. v.
Aehaja 168.
— Wilhelm 168.
Chandos Jean 341 f.
Charlier, s. Gerson.
Charlotte, G. Ludwigs XI.
673.
Chaucer 641.
Chichester, Bischof v. 556.
China 110 f.
Chinon, Frieden 41, 48.
Chioggia, Krieg v. 633.
Christian L, I nionskg. 566 f.
— H. 567.
— Erzb. v. Mainz 5.
— v. Oliva 133, 135.
Christoph IL v. Dan. 360 f.
— H. v. Baiern, Lmionskg.
566.
Christusorden 357.
712
Register.
( Ihrysoloras 622.
Cimbnrgia v. Masovien 481.
Ciriaco v. Ancona 623.
Clarence, Lionel v. 531.
— Georg 687 ff.
— H v. 552.
Claritia v. Segni 8.
Giema ngis Xik. 411 f., 415,
641 .
Clericis Laicoe 218. 228. 284.
Cleve, Macht v. 647.
Olisson, Connet. 545.
Cocherel, Schlacht bei 841.
Cola Rienzd 809 ff., 815, (US.
Cölestin III. 6, 8, 26, 29, 47.
- IV. 118.
- V. 207 f.
Cdlonna, die. 284, 258 t.. 309,
500, 687.
■ — Kardinal 93.
- Jakob 208, 280, 285.
620.
— Johann 107.
— Peter 208 f., 280. 285.
Sciarra 280 f., 275.
Coluccio Salutato 622.
Commines Phil. 688.
Oonstantinopel, s. Konstan-
tinopel.
Conti, die 308 t.
Gonvenevole da Prato 619.
Conversino, Giov. d. 622.
Cordoba, Erober. v. 56.
Corbeil, Vertr. v. 156.
Cornaro Kath. 174.
Correr Aug., >. Gregor XII.
Cortenuova, Sieg Friedr. II.
10S.
1 — sa, s. Johann XXIII.
Courtenav Wilh., Erzb. v.
Cant. 399.
Coiutray, Schi. b. 227, 287.
Crecy, Schlacht 833.
Cusa, Xik. v. 508, 514. 527.
642, 656.
( lypern, «lern d. Reich lehens-
pflichtig 179.
C/.aky, die 871.
D.
Handelte 83 f., 153 f.
Dandolo, Herrsch, der 168.
Dänemarks < frolsmachtstel-
lung 57. 5!» ff.
Danebrog 61.
Daniel v. Halitsch 570..
Dannenberg, Vertrag v. 61 f.
Danilo v. Moskau 57«.
Dante 122, 282, 255, 619, 624 !
Danzig, Handelsblüte 136.
David, Kg. v. Schottland
329, 331, 336.
— v. Trapezunt 606.
- v. Wales 210.
Defensor pacis 274.
Demetrins, S.Kg.Bonifaz 74.
— v. Mysithra 608.
Derby, Graf v. 882.
- — 535.
Despenser, die 216.
Deutschland, s. d. d. Könige.
Plan eines Erbreielies
189, 24S.
Deutscher Orden in Preufs.,
Verf. 133 ff., 366 f.
Deutschbrod, Schi. b. 491 f.
Dietmarschen, Sieg der 62.
Dietrich v. Cleve 192.
— v. Mors, Erzb. v. Köln
482.
Diezmann v. Thüringen 193,
195 f.. 202.
Diniz, K. v. Port. 348, 357.
- Prinz v. Port. 693.
Dlugosch Joh. 643.
Dniitri III. 578 f.
— IV. 579.
Schemjäka 580.
— v. Twer 577.
Dotringen, Schlacht bei 429.
Dolcino 388.
Dominici, Kardinal 466 f.
I Mminikus , Dominikaner
15 ff., 19 ff., 23 f.
Donatello 625.
Doria, d. Haus 335.
Douglas, Jak. v. 536, 554.
Dragosch, F. d. Moldau 878.
Drakul. Woiwode 520.
Dschingiskhan 107, 109 f.
Duarte, Kg. v. Port. 695 ff.
Dubois Pierre 175, 221, 225,
247.
Dudiun Sacruni, Bulle 504.
Dunbar, Schlacht bei 213.
Dunois 558 f.
Dürnkrut. Schlacht bei 187. :
K.
Eberhard, der Eil. v. Würt- ;
temberg 249.
— d. Rauscheb. 879. 429.
— B. v. Const. 145.
Ebner Margar. 388 f.
Eckart, d. Mystiker 388 t.
Edmund, Sohn Heinr. HI. v.
Engl. 126, 128, 178, 221.
— Oheim Riehards H. 531,
584, 536 f.
Eduard L, Kg. v. Engl. 162,
173, 196, 209 ff., 221 f.
— H. 215 ff., 222, 326, 535.
- IH. 216 f., 283, 285, 289,
296, 824 f., 339 f., 342 ff.,
895.
- IV. 662, 675, 680, 686ff.,
692.
— V. 690.
- d. schw. Prinz 333 ff.,
842, 354 f., 393.
S. Heinr. VI. 685 ff.
Eger, Goldene Bulle v. 35 f.
Ehingen, Vertr. v. 424.
Eibeck, Mamel. 170 f.
Eidechsenbund, der 569.
Eizinger Ulr. 649 ff.
Ejub v. Ägypten 117, 152 f.
Electores, s. Kurf.
Eleonore, < f. Friedr. EU. 650.
— G. Heinrichs HI. v.
England 160.
— G. Alfons' IV. v. Ara-
gonien 355.
- 3. G. Pedros IV. 356.
— Tellez, Gem. Fern, von
Portugal 359, 693.
— Guzman 358, 349.
— G. Montforts d. J. 161.
— v. Poitou 38 f.
Elias v. Cortone 19.
Elisabeth, d. Hl. 101, 104.
— G. Konrads IV. 145.
— G. Rudolfs v. Habsburg
191 f.
— G. Albr. I. 199, 202.
— G. Friedr. d. Seh. 257.
— G. Albrechts H. 481,
510 f., 518 f.
— G. Karl Rob. 370, 374.
— Witwe Ludwigs v. Ung.
419 ff.
— G. Johanns v. Böhm.
279 f., 291.
— G. Heinrichs VTL v.
England 691.
— T. Friedr. d. Seh. 272.
— T. Karls IV. 300.
— T. Andreas' EH. 201.
— Erbin K. Ludwigs von
Ungarn 376.
— v. Neapel 313.
Register.
713
Elisabeth v. Görlitz 4:5."), 444,
660.
Emerichj Kg. v. Ung. 84.
Enea Silvio, s. Pius II.
Engelbert, Erzb. v. Köln
79, 87 f.
Engelbrecht, Reichsv. von
Schweden 565.
England, s. d. Könige.
Enzio 105 ff., 120 f.
Epila, Schlacht bei 856.
Epirus, s. Michael.
Erasmus v. Rotterd. 648.
Erich I. Kg. v. Schw. ^(l
- IL, Kg. v. Schw. 66.
- III., Kg. v. Schw. 66.
- Pflugpfennig 360.
- Glipping, Kg. v.Dän. 360.
— Y1IL (Menved), Kg. v.
Dänemark 209, 360.
- II., Kg. v. Nbrw. 362.
— v. Pommern , Unions-
könig 564 ff.
Erich, S. Christophs II. 361.
- Br. Kg. Birgers 362 f.
— Prinz v. Schweden 363.
- v. Sachs.-Lauenb. 296.
— Kjelson Wasa 564.
Erik, Erzbischof 64.
Erlichshansen Konr. 572.
— Ludwig 572.
Erling, Ormsson 63.
Ermingard v. Geldern 192.
Ernst v. österr. 441, 481.
Ertoghrul 587.
Este, die 252, 273, 440, 640.
Estrithiden, Ausg. d. 365.
Etats gener. in Frankr. 244.
Eugen HL, Papst 63.
- IV. 498, 501 ff., 508,
512, 513 ff., 524 ff., 634.
Euchiten 12.
Eustach v. Flandern 68.
Evesham, Schlacht bei 163.
Eyk H. u. J. v. 626.
Ezzelin da Romano 101, 105,
117, 120 f., 125, 142.
F.
Ealieri Marin, 307 f.
Falkirk, Schlacht bei 213.
P'alkner, che 423.
Faulfisch Nik. 475.
Feder, die Goldene 63.
S. Felice> Sieg Karls IV. 280.
Felix V., Gegenp. 524 ff.,
529, 634, 647.
Fernando- Ferdinand, Fer-
ra nte.
Ferdinand IL, d.Kath. 605,
698, 700 ff.
Fernando III. v. Kastilien
56, 57, 847.
IV. 348 f., 352, 354.
- IV., Kg. v.Port. 352, 359,
693,
— Stiefbr. Pedros IV. von
Arag. 350 f., 355 f.
— d. standh. Prinz 695 f.
- de la Cerda d. Ä. 219.
de la Cerda d. .1. 219,
348 f.
— Sanchez 172.
Ferrante I. v. Xeapel 638.
- IL v. Xeapel 638.
Ferenti.no, Vertrag v. 85.
Ferrara, Konz. 514.
Ferreto v. Vicenza 619.
Feuchtwangen, Konr. v. 135.
Fidentius v. Padua 175.
Filangicri, Marschall 91.
Filelfo 623, 631, 640.
Fillastre, Kardinal v. 467.
Fezensac, Karl v. 681.
Fiorentino, Sterl)eort Fried-
richs IL 121.
Fiorteita, Schlacht bei 64.
Flandern, lat. Kaisern. 73 f.
Florenz, Konzil 515.
— Signorie 252, 308.
Flotte Pierre 221, 227 f., 237.
Foggia, Sieg Manfreds 141.
Foix, die Grafen v. 676.
Folkunger, die 66, 67, 364.
Folmar, Erzb. v. Trier 4, 5,
Forgacti Johann 421.
-Nikolaus 421.
Fossalta, Schlacht bei 121.
Frangipani 309.
Franken im Morgenl. 71, 176.
Frankreich, Vordringen nach
Osten 219, 222.
Neu-Frankreich 167 ff.
Franz v. Assisi 15 ff.
Fraticellen 271, 388.
Freidank 93 f.
Friedrich L, K 3 ff., 10, 23,
27, 29, 59 f., 133.
— IL 6, 7, 23, 27 f., 30,
83 ff., 40, 61 f., 72, 74 ff.,
112 ff., 125, 127, 133 ff.,
141 ff., 145 f., 152 ff., 146,
150, 181, 193.
— Kaisersage 124, 191.
Friedriche, die falschen 1 12.
Friedrich (DI. ,d. Schöne 202,
2481, 256 ff., 263 ff., 270,
273, 277.
- IU. IV. 516 ff., 521 ff.,
529, 572, 602, 607, 634,
636, (541, (543 f., 647 ff.
- IL v. Sizil.-Arag. 205 f.,
208 f., 228, 284, 254, 278,
354.
- IIL v. Sizilien 356.
- v. Altona-Isenburg 88.
v. Bayern 428 f.
I. v. Brandenburg 449,
451 f., 481, 498 f., 496 ff.,
511, 645.
— IL v. Brand . 645, 652, 657.
— v. Meifsen, Kf. v. Sachs.
491 ff., 496.
— I. v. Nürnberg 452.
- HI. v. X. 180, 452.
- IV. 452.
V. 452.
VI., s. Friedr. I. v. Br.
— v. Kastilien 348.
— IL, der Streibare v. Ost.
104 ff., 111 f., 115, 118 f.,
135, 137.
— v. Österreich, Enkel K.
Friedr. IL 119, 121, 126,
146, 148.
— IV. v. Österreich 522 f.
— V., s. K. Friedr. HL
— der Freidige v. Meifsen
148, 179, 195 f.
— I. v. d. Pfalz 645, 654.
— v. Sachsen 645.
— Erzb. v.Salzb.l84ff., 187.
v.Thür. 193, 195 f., 202.
— H. v. Tirol 468 f.
— Halbbr. Pedr. d. Graus.
380.
- Sohn Manfreds 144.
Fulco v. Xeuilly 68.
O.
Gaetani, die 309.
Gaetano Peter, Xepot. 225.
Gambacorta, che 316 f.
Gammelsdorf, Schi, bei 228.
Gara Ludwig 653 f.
— Xikol. 420 f., 650, 654.
Garci Laso 349 f.
Garnier Arnold 393.
Gasan v. Persien 594.
Gattilusio Xicc. 606.
Gaufried, s. Cölestin. IV.
714
Register.
Gaunt, s. Lancaster.
Gautier de Brienne 308.
Gedirnin v. Lit. 367 f., 577.
Gelnhausen, Konr. v. 410.
Gemeinen, die 163.
Geinisthos Plethon 631.
Gennadios 602, 604.
Genua im 14. Jahrh. 307.
— an Frankreich 545.
Georg, s. Podiebrad.
— v. Bayern 669.
— v. Serbien 512.
Georgsgesellschaft 423 f.
Gerhard v. Eppenstein, Erzb.
v. Mainz 192, 195.
— Bischof v. AVürzb. 435.
— der grofse Graf v. Hol-
stein 361 f.
Gerlach v. Xass. 289,298,377.
S. Germano, Yertr. u. Friede
85, 94.
Germanisierung des östl.
Deutschland 130 ff., 139.
Gerson 411 f., 445 f., 465 f.,
468, 473, 480, 641.
Gertrud v. österr. 115, 118 f.,
137.
Gesellschaft zur Z. d. Hu-
manismus 627 fi.
Gesellschaften, Böse 337.
- liter. 642.
Ghibellinenbund 142.
Ghiberti 625.
Ghirlandajo 627.
Ghisi, Herrschaft der 168 f.
Giotto 625 f.
Giskra v. Brandeis 649.
Giustiniani, die 168 f.
— s. Longo 602 f.
Gildhalle 135.
Glarus, Anschlufs an die
3 Orte 304.
Glendower Owen 540 f.
Glocester, Oheim Heinr. VI.
552, 554 f., 559, 561.
Goldene Horde 110, 111,
112, 575 ff., 581.
Göllheim, Schlacht bei 197.
Gonzaga, che 306, 640.
— Gian Franc. 640.
Gottfried v. Bretagne 38, 45.
— I.v.Villehardouin 68,169.
— IL v. Villehardouin 169.
Goulet, Friede v. 38, 46.
Gradenigo Pietro 307.
Granada, Niedergang u. Fall
56 f., 705 f.
Grandson, Schlacht 662.
Gregor VIII. 5.
— IX. 18, 23, 80, 84, 88 ff.,
101, 103 ff., 112 ff., 135,
152, 156.
- X. 174, 179 ff., 188, 210,
348.
- XL 377 f., 389, 395,402.
— XII. 414 ff., 444 ff., 449,
453 ff., 459, 466 ff., 470 f.
— v. Sanok 643.
Geissenegger, Ritter 659.
Griechenland, Sturz d. gr.
Kaiserr. 70 ff.
— Wiederaufricht. 163 ff.
— Lat. Staaten in 163 ff.
Griffina, Tante Wenzels IL
200.
Groot Gerh. 388.
Grosseteste 161.
Guesclin 340 ff, 351 f.
Guido v. Montefeltro 147.
— de la Roche 168.
— v. Flandern 156, 223,
237.
— v. Präneste 31.
Guinegate 669
Günter v. Schwarzb, 293,
297 f.
Guntram d. Reiche 181
Gunzelin, Graf v. Schwerin
61.
Guta, G. Wenz. H. 185 ff.,
193.
Guzman 703.
H.
Habsburg, die 181.
Habsburger, Besitz der 181 f.
Habsburg, Grafen v. 100.
Hadrian IV. 67.
— V. 188.
— VI. 703.
Hagenbach, Peter v. 662.
Hakon IV., Kg. v. Xorw. 65.
- V. 65.
VI. 65.
— VH. 362 ff.
— VHI. 564.
Haleb, Xiederl. d. Mainel. 597.
Hallidon Hill, Schlacht 329.
Hanse, die 130, 132, 135 f.
Harald, Prinz v. Xorw. 59.
Harcourt, Gottfried v. 332.
Harfleur, Erob. v. 550.
Hartmann, S. Rudolfs v. H.
185, 189.
Hawkwood, Kondott. 323r
419.
Hedwig, G.Wlad. H. 419 ff.,
569.
— v. Habsburg 187.
Heidelberger Stallung 425.
Heidenfahrten n. Preufs. 366.
Heimburg Greg. 515, 525,
527, 642, 656.
Heinrich VI. 3 ff., 17, 26 ff.,
32, 46, GS, 77, 91, 105,
122, 129.
— VH., Kaiser 203, 241,
246 ff., 262, 289, 310 f., 366.
— K. v. Konst. 70, 73 ff.
— (VH.), S. Friedr. H. 35,
78 f., 87 f., 98 ff., HS f.
121, 126, 135.
— Raspe, Gegenkg. 116 ff.
— I. v. Engl. 41 f.
— n. 38, 43, 45, 160.
— HI. 43, 102, 126, 12S,
151 f., 155, 157, 159 f.,
160 ff., 210.
— IV. 437 ff. 446, 448 f.
- V. 541, 549 ff.,
- VI. 552 ff., 559 f., 561,
683 ff., 688.
— VII. 688, 690 ff.
— I. v. Kast. 56.
— H. y. Kast. 341, 349 ff.
356, 359, 535, 697.
— IH. 698.
— IV. y. Arag. 699 f.
— HI. y. XaYarra 219.
— I. y. Cypern 91, 152 f.
— IL y. Cypern 174.
— Kg. y. Böhmen 201 f.,
2491, 259, 279, 282.
— S. Manfreds 144.
— Infant v. Arag. 699.
— I. H. y. Bayern 181,
185 ff.
— n. d. Ä. y. XiederbaYem
280, 282.
— y. Brabant 29, 31.
— VI. H. y. Breslau 279.
— Dandolo 69 f.
— y. Flandern 68.
— y. Isni, Erzb. v. Mainz
192.
— y. Kalden 30.
— y. Kastil. 147, 348.
— y. Kuenring 186.
— y. Landsberg 278.
— Leszek v. Krakau 200.
— Yon Liegnitz 112.
Register.
715
Heinrich v. Limburg 90.
— der Lowe 6, 60, 133.
— Burggraf v. Meifsen 517.
— Graf v. Nassau 196.
— v. österr. 264 f., 273.
- Pfalzgraf 29, 31, 35 f., 88.
— v. Schleswig - Holstein
565.
— v. Schwerin 61 f.
— d. Seefahrer 695 ff.
- v. Toulouse 12.
— v. Virneburg, Erzb. v.
Mainz 247 ff., 289, 296, 298.
- v.AVinchester Kard.478,
496.
Helene, G. Manfreds 142,
144.
— Llevelin 541.
— G. Steph. Urosch' 586.
— T. Sophiens v. Byz. 605.
Heinrningstedt, Schlacht bei
567.
Hennegau, Graf v. 547.
Herford, Heinr. v., s. Hein-
rich IV.
Herrnandad 702.
Hermann v. Baden 119, 137.
— v. Salza 89 ff., 102, 104 f.,
133, 135.
— I. v. Thüringen 34.
— H. y. Thüringen 113.
— Balk 134.
Hessen im 15. Jahrh. 646.
Hethum, Kg. y. Armenien
171.
Hieronymus y. Prag 470,
475 ff.
Hirnbercourt 663.
La Hire 558.
Hittin, Schlacht bei 5.
La Hogue 333.
Hohenberg, Eud. v. 426.
Hohenzollern, die 451 f., 645.
Hölzler Konr. 651.
Honfleur, Schlacht bei 551.
Honorius HI. 19 f., 51 f., 56,
74, 77 ff., 82, 84 ff., 89, 101.
— IV. 189, 207.
Hörner, Bund der 423.
Horwäthi 420 ff.
Hubert, Erzb. v. Canterb. 39.
— Erzb. y. Mailand, s. Ur-
ban HI.
— y. Burgh 160.
HugoI.,Kg.v.Cypern 72,83.
— H. 174.
— de la Marche 151.
Hugolin v. Ostia, s. Gre-
gor IX.
Hulaghu 110, 170.
Huler Sigm. 430 f.
Hugonet 663.
Humanismus, d. 613 ff.
Humbert v. Yienne 281, 321.
Humiliaten 14.
Hunyady, die 520, 600 f.,
604 f., 606.
- Johann 520 f., 643, 649 ff.
— Ladislaus 651.
Hussein, Emir 595.
Hufs 398, 457 ff., 471 ff.
Hussitismus, Xation. Ten-
denz des 407.
Hussitenkrieg 483 ff., 506 f.,
507.
Hussitenheere, Zusammen-
setzung 490.
Hütten 643.
I. u. J.
Jakob L, Kg. v. Schottland
541, 554.
- IV y. Schottl. 693.
— n. y. Cypern 174.
— y. Capua 95.
— Zisterzienser 155.
— y. Mies 471.
— y. Präneste 109.
- Erzb. y. Trier 526 f.
— y. Troyes, s. Urban IV.
— y. Vitry 82, 90.
— St., a. d. Birs 524.
Jakobäa v. Holland 555, 660.
Jakobiner, s. Dominikaner.
Jacquerie 338 f.
Jacques Coeur 673.
— de Chatillon 237.
Jacquette v. St. Pol 561.
Jacub Almansor 55.
— Br. Bajesids 592.
Jagiello, s. Wladislaw H.
Jandun, Joh. v. 273 ff., 292.
Jarl Skule 65.
Jaroslaw IL y. Wladimir
112, 575.
Jasa, Gesetzbuch d. M,ong.
115.
Jayme I. y. Arag. 56, 156,
172, 352.
- IL 205, 353 f.
— y. Mallorka 353.
— H. y. Mallorka 355.
- ni. v. Mallorka 358.
— Graf y. LTghel 355 f.
Jbn Chaldoun 705.
Chalib 705.
— Hud 56.
Jedwar Bonde 6J3.
Jeanne d'Arc 555 ff., 072 L
Jedigei 580.
Jenzenstein, Joh. v. 431 f.
Jerez, Sieg bei 56.
Jerusalem, s. die Könige.
— Lehenst. d. Papstes 68.
— Erwerb, d. Friedr. IL 92.
— Fall Yon 171 ff.
Il-Chane, die 171.
Inez de Castro 358.
Ingeborg, Kgin. v.Frankr. 46 f ..
— T. Hakons VIII. 362.
Innozenz H. 9.
— III. 3, 7 ff., 12, 14, 17 f.,
22, 25 ff., 30 ff., 43, 46 ff.,
54 ff., 63 f., 67 ff., 82, 89,
93 ff., 269.
— IV. 23, 112, 114 ff., 121,.
125 ff., 135, 137 f., 140 f.,
153, 156, 269.
- V. 188.
— VI. 312, 322, 344.
— VII. 414, 444, 637.
Inquisition, Entstehung d..
21 ff.
— spanische 703 f.
Joachim y. Floris 7.
Jodok = .Tobst, s. Jöst.
Joäo = Johann = Juan,.
s. unten.
— Kg. v. Portugal 693 ff.
— IL, Kg. y. Port. 696 ff.
— das Regras 694.
Johann XXL 188.
— XXII. 265 ff., 280 f., 290,
317.
— XXni. 414, 449 f., 453 ff. r
460, 464, 466 ff., 477.
Johannes Vatatzes, K. v.
Xikäa 74, 165 f.
— Lascaris 166 f.
— V. Paläolog. 588 ff.
— VI. 588 f.
— ATE. 593.
— Vin. 599 f. 601.
— Kg. v. Trap. 606.
Johann v. Briemie, Kg. v.
Jer. 72, 74, 83 ff., 93, 165.
— K. y. Engl. 10, 36 ff.,
45 ff., 75, 344.
— I. Kg. y. Feh. 245.
— H.,d.Gute,Kg. v.Frankr.
334 ff., 337 ff., 351.
710
Register.
Johann, Kg. v. Böhmen 250,
255, 257f., 264, 278ff., 282,
286, 288 ff., 301, 333 f.,
369 f.
— Kg. v. Schweden 66.
— Unionskönig 566 f.
— v. Anjon 150.
— v. Avesnes 156.
— H. v. Bayern 42s f.
— v. Brabant 195.
— 555.
— v. Brande nh. 493.
— v. Bretagne 832.
— v. Burgund 480, 546 ff.,
(560.
— Cofvinus 668.
Prinz v. Engl. 189.
- Graf v. Flandern 237.
— H. v.Görlitz 379f.,433f.
— Graf v. Habsb. 304.
— v. Hohenzollern 452.
- v. Holland 198.
— v. Holstein 361, 363.
— 8. Karls VI. 551 ff.
— y. Lancaster 352, 393 f.,
531, 533, 534.
— Erzb. v. Mainz 443.
— v. Meklenb. 297.
— v. Nassau 435.
— v. Neumarkt 300.
— B. v. Norwich 39.
- v. Paris 225, 465.
— v. Palomar 512.
— v. Ragusa 502.
— Abbrecht v. Polen 574,
668.
— S. d. Andronikos 591,
592.
— Heinrich, S. Johanns v.
Px.hnien 279, 282, 286,
287, 289, 300.
— Tristan 173, 219.
Johannes Parricida 201 f.
— Priester 109.
— Kantaknzenos 168.
Johanna, G. Wenzels I. 370.
— I. v. Neapel 313 ff., 375.
405 ff., 421, 431 f., 637.
- II. 509, 543, 637, 700.
— v.Navarra 327,331,334.
— G. Juans II. v. Arag.
700.
— v. Beaufort 354.
— de Castro 380.
— v. Luxemburg 444.
— v. Penthievre 332.
— v. Poitiers 219.
Johanniter, Ausgang d. 175.
.Toin rille 150.
Jolante, G. Fried. PI. 72,
85, 91.
— Seh. Ludwigs XL 676.
— v. Flandern 74.
Jost, Marku. v. Mähren 419 f.,
432 ff., 436 ff., 441 f., 449 ff.,
474.
Irene, G. Philipps v. Schw.
29.
Irland, Lehen d. Papstes 40.
Isa, Br. Moh. I. 599.
Isaak Angelos 29, 69, 70.
Isabella, 3. (I. Friedrichs II.
102.
— G. K. Diniz' 357.
- G. Ed. IL 215 ff., 222,
326 ff.
- v. Henn., Kg. v. Frch. 46.
<i. Juans II. v. Ar. 699.
- G. Karls VI. 545, 547.
- d. Kath. 605, 699 ff .
— AVitw. Joh. v. Engl. 151.
— Verlobte Rieh. IL 536.
Island, zu Xonvegen 65.
Ismael v. Damaskus 152.
Italien, s. die Regg. einzel.
Staaten.
Juan L, v. Arag. 356, 69*.
- IL 675, 699 ff.
- I. v. Käst. 693 f., 697 f.
— II. v. Käst. 698.
— Kg. v. Navarra 698 f.
- Inf. v. Arag. 351, 355.
- v. Käst., Br. Sanchos
IV. 348 f.
— Br. Ferd. v. Portugal
359.
— Xunez de Lara 349.
Juan na v. Kastil. 696, 699,
701.
— v. Navarra 219.
— v. Port., G.Heinrichs IV.
699.
Jubiläum v. 1300 209.
Jungingen Konr. 386, 569.
Ulrich 57o.
Jurij, Grofsf. 111.
Juri v. Moskau 577.
— Oheim Wass. III. 580.
Jussuf, Br. Murads IL 599.
— v. Granada 705 f.
Justingen, Anselm v. 34 f.
iwanl. Kaiita v. Rufsl. 577 f.
— IL 578.
— III. d. Grofse 580 f.
K.
Kaisersage, s. Friedr. IL
Kaisertum, lat. 67, 70 f.,
163 ff.
— im 15. Jahrb.. 644 f.
Kalixtiner, s. Ltraquisteu.
Kalixtus III. 560, 606, 634.
Kalka, Schlacht a. d. 110.
Kallipolis , Bes. durch die
Türken 589.
Kalmarer Union 564 ff.
Kalojohannes 73.
Kainil 83 f., 96 f., 152 f.
Kantaknzenos, s. Joh. VI.
Kapetinger, Ende 246.
Kaptschak, s. Gold. Horde.
Kara Jussuf 596 f.
Karl IV., Kaiser 280, 282,
286 ff., 306, 311, 313 ff.,
321 ff., 333, 337, 359, 365,
376 ff., 389, 405, 417 ff.,
422, 430, 432, 452, 522,
621, 630, 640.
- IV. v. Frankr. 246, 272,
290, 326.
— V. 321, 323, 337 ff., 404,
407, 410, 542 f.
- VI, 413,419, 435, 541 ff.,
549 ff.
- VII. 515 f., 524, 528, 554,
555 ff., 561 f., 670 ff., 676.
VLU. 663 ff., 682 f.
- v. Anjou 126 f., 140,
142 ff., 146, 150, 156, 157,
172 ff., 1791, 188 f., 203 ff.,
219, 228, 586.
- IL v. Neapel 201, 205 ff.,
224, 231, 234.
- d. Böse v. Xav. 334 f.,
337 ff., 341.
- HI. v. Xav. 547.
— v. Schweden 66.
— d. Kleine, K. v. Xeapel-
Ung. 375, 405 ff., 419 ff.
Martell, K. v. Ung. 189,
191, 208.
— Robert, K. v. Lng. 201,
370 ff.
— Gr. v. Alencon, Xeffe
Karls v. Anjou 205.
- v. Blois 332, 341.
— v. Durazzo 314.
— 8. Karls VII. 652, 673 ff.,
675 ff., 701.
- d. Kühne 661 ff., 677 ff.
— v. Maine 681.
— Martell, 8. Andreas' 313f .
Register.
717
Karl v. Orleans 547, 677.
v. Valois 205 f., 220,
224, 245, 247, 257.
Kärnten, s. ( Htokar II, Mein-
hard v. Tirol n. Albrecht I.
Kasimir d. Gr. 368, 370 ff.,
377.
- IL y. Polen 511, 519,
571 ff., 652.
— S. Kasimrs II. 573.
Kassel, Sieg bei 327.
Katalanen 56, 354, 586.
Katharer 11 ff., 17, 255.
Katharina v. Siena 405 f.
— y. Arag. 693.
- G.Rudolfs IV. 296,300.
- T. Karls VI. 522, 549.
- T. K. Ludwigs y. Ung.
374.
Kent, Graf y. 328.
Kestuit y. Lit. 372 f., 578.
Ketboga 170 f.
Ketzer 12, 80.
Khalil, Ssultän 598.
Kieystut, s. Kestuit.
Kilawun 174.
Kinderkreuzzug 72.
Klara Scifi 19.
Klemens m. 5, 6, 8.
- IV. 143, 147 f., 172, 179,
269, 586.
- V.214, 233, 235 ff., 247 ff.,
254 f., 267, 271.
- VI. 287 ff., 293, 296, 302,
305, 312 ff., 332, 344, 378,
380, 386.
- VII. Gegenpapst 403 ff .,
411 f., 418 f., 453.
- VIII. Gegenpapst 500.
Klemens, Bischof y. Aquila
408.
Klementia, T. Rud. Y.Habsb.
189.
Knieprode, Winr. y. 368.
Knolles, Rob. 341.
Knut VI., Kg. y. Dan. 46 f.,
59 f.
- Kg. y. Schw. 66.
— Johanson 67.
Knutson Bonde 565 f.
Köln, s. d. Erzb.
Kolonisation, deutsch . 132 ff.,
139.
Kolumbus 707.
Komnenen 71.
Kompaktaten 503, 505 ff.
Konia, Schlacht bei 590.
Koning, Peter 237.
Konrad IV. 91, 104, 112 ff.,
116 ff., 120 f., 124 ff., 128,
137, 140 f., 152.
— y. Antiochien 205.
— Capece L46.
- Erzb. v. Hildesh. 86.
- Erzb. v. Köln 128 f.
Erzb. v. Mainz 492 f.
— v. Marburg 101.
— y. Masovien 133 f.
- Erzb. y. Prag 491.
— B. y. Speyer 87.
— y. Urslingen 26.
— y. Waldhausen 457.
— y. Würzburg 31.
Konradin 126,' 128, 138,
140 ff., 145 ff., 170, 205.
Konstantin XL 602 ff.
- S. Jarosl. IL 112, 576.
Konstantinopel, Erob. d. d.
Lat. 70 ff.
— Erob. d. d. Gr. 167.
- Erob. d.d. Türken 601 ff.
Konstanz, Konzil 462 ff.
— Friede 3 f., 79, 85, 104.
Konstanze, G. Heinr. VI. 4,
35, 80.
- G. Friedr. IL 26, 27,
341, 85.
— G. Pedros v. Port. 205,
358.
Konstanzer Konkordate 479.
— Bündnis 427.
Körinend, Schlacht bei 654.
Korybut, Sigm. 492 ff .
Kotus Main. 171.
Krain, s. Ottok. II. Meinhd.,
Albrecht I.
Kreuzzüge 67 ff., 72, 75, 82 ff.,
88 ff., 151 ff., 171 ff.
- Ergebnisse 171 ff.
Kreuzzugspläne im späteren
Mittelalter 175.
Kroissenbrunn, Schlacht bei
138.
Kubilai 110 f., 171.
Kuchmeister v. Sternb. 570.
Kujuk 110, 112.
Kulikow, Schlacht bei 579.
Kunigunde,G.WenzelsI. 104.
— G. Ottok. n. 138.
- T. Ottok. IL 185.
- T. Rudolfs 185.
— T. Friedr. m. 669.
Kurfürsten 78 f., 129 f., 199,
247.
Kurverein in Lahnst. und
Rense 289.
Knthen 110 f.
Ladislaus, Kg. v. Ung. 186 f.,
193, 200.
- Posthumus 518 ff., 521,
526, 649 ff.
- v. Neapel 408 f., 414 f.,
421 f., 442, 453 ff., 460, 464,
481.
Laie Woiwode 374.
Lambeth, Vertrag v. 44.
Lancaster 694.
— s. Johann.
Landfrieden, s. d. d. Könige.
Landesfürstentum , Ausbild..
99 f.
Landstände, Instit. d. 100.
Landulf. v. Bari 444.
Langenstein 410.
Langton, Stephan 39 ff., 160.
Lat. Kaisert. 70 ff.
Laterankonz. 17, 20, 23,51,
74 f., 78.
Latimer 393.
Latzko y. Kravvar 476.
Lausanne, Konz. 529.
LaYagna, s. Innozenz IV.
Lazar v. Serb. 421, 591.
— S. Georgs v. Serb. 512,
605.
Legoix, Fleischer 547.
Leipzig, Gründung d. Univ.
459.
Leo, Kg. v. Ann. 68, 72.
Leon, A7erein. mit Käst. 56.
Leopold VI. v. Öst.-Babenb.
83, 86, 89.
— I. y. Üst.-Habsb. 251,
257 f., 260, 263 ff., 272 f.
— m., 418 ff., 423 ff.
Lewes, Schlacht bei 163.
Lexard, Oheim Jean. d'Arcs
557.
Liegnitz, Schlacht bei 112.
Lignano, Joh. v. 405.
Lionardo Bruni 681.
— da Vinci 627.
Ligue du Bien public 678.
Lilianen, die 222.
Limburgscher Erbstreit 192.
Linkoln, Markt v. 44.
Lipan, Schlacht bei 506.
Livland, Kolon. 60, 133 ff.
Llevellvn IL v. Wales 210.
718
Register,
Lollarden 399, 540 f.
Lombardei, Lombarden oft'.,
26, 32, 80, 85 f. ,93 £,100 f.,
102 «f., 114, 117 f., 121, 123,
125, 147.
Longo Giovanni 602.
Loria, Roger v. 205.
Lothar IIL, K. 133.
— v. Segni, s. Innoz. LU.
Louis d'Allemand 514, 524.
Lovel, Lord 691.
Löwengesellschaft 423.
Lübeck 62, 134 ff.
Lublau, Friede v. 481.
Lucius III. 4, 14, 23.
Luder Peter 642.
Ludwig d. Bayer 256 ff., 260,
263 ff., 270 ff., 814, 880,
452.
— YII. v. Frankr. 45.
- YHI. 35, 48, 49, 52, 87,
148, 150.
-IX. 17, SS, 114, 116, 121,
124, 126, 142 f., 149 ff.,
158 ff., 162 f., 171 ff., 224.
- X. 245.
- XL 662 ff., 672 ff. ,677 ff.,
688, 701.
— XII. (\s}\.
— Kg. v. Ungarn 818 ff.,
872 ff., 405, 408, 419, 421.
- I. v. Anjou 405, 419 f.,
548.
- IL v. Anjou 407 ff., 458 f.
— IIL v. Anjou 627.
- I. H. v. Bayern. 84, 87 f.,
98, 100.
- II. 128 f., 141, 145, 147,
ISO, 184, 194.
— v. Bayern-Landshut 652.
— Markg. v. Brandenburg,
s. K. Ludw. 279, 282,
286 f., 292, 296 ff, 805.
— Dauphin, S. Karls VI.
547, 550.
— v. Durazzo 314.
— v. Fvreux 257.
- IL, Graf v. Flandern 827.
— III, Graf v. Isländern
584 f.
Landg. v. Hessen 507.
— S. Kg. Johanns v. Frankr.
840.
— v. Meifsen, Frzb. v. Mainz
418.
— Herzg. v. Orleans 415,
420, 480, 545 ff, 550,
Ludwig v. Orl. , S. d. vor.
485, 448.
— v. Orleans 681.
— v. öttingen 281.
- in. v. d. Pfalz 439, 442f.,
492, 645.
- IV. v. d. Pfalz 645.
— d. Kömer 299 f.
- — v. Tarent 818 f.
— Landgraf v. Thüringen
90, 101.
Luna Alvaro v. 699.
Lund, Metropole f. d. nord.R.
59 f., ^.
Lupacz Martin 506.
Luxernb. Kaiserhaus, Ausg.
510.
Lyon, Erwerb, d. Frankr. 244.
— Konzil unter Innoz. IV.
57, 112, 114 ff, 121, 125,
153.
— Konzil unter Gregor X.
174. 182.
Lyons 898.
Lyö, GefangennAValdem. LT.
61.
m.
Machmüd, Salt. v. Delhi 596.
Maddalena, Mutter Colas
309 f.
Magdalena, Braut Ladi>l.
Posth. 651.
Magna Charta 76, 42 ff.
Magnus V. 63 I.
— VI. 65 f.
— Smek 361 ff.
- Laduläs 362.
— S. Birgers 363.
— v. Braunschw. 376.
Mahaut v. Artois 329.
Maillart Jean 329.
Maillotins Aufst. d. 543.
Mainz , Reichstag v. 1235
102 f.
Mair Martin 654.
Majestas Karolina 301 f.
Malaspina, Markg. 147.
Malatesta, die 253, 640.
- Karl 416, 446 f.. 454 f.
- Condott. 689.
Malpaghini Giov. 622.
Malta, Schlacht bei 205.
Mamai Khan 579.
Mamelucken 169 ff.
Manetti 624, 631.
Mangu 110, 170.
Manfred, Konig 120 f, 125,
14(> ff, 166.
Mansurah , Schlacht bei 159.
Mantua, Kongrefs v. 635.
Manuel K. 591 f., 598 f.
- IL 623.
— Kg. v. Port. 697.
— Angel, v. Epirus 165.
— Paläologos 514.
— S. d. Thomas Pal. 605.
— Inf. 849.
Marbacher Bund 441, 443 f.
Marcel Etienne 334, 337 ff.
March, Graf v. 686.
— Edm. v. 531, 534, 555.
Marche, La, Graf 38.
Mares, Jean de 544.
Margareta, Lnionsk. 364,
564.
- G. K. Heinr. VI. 253.
- G. Ludw. d. B, 289.
— Blanka, G. Karls IV.
291.
- G. Ludw. IX. 149.
— G. Heinr. VI. v. Engl.
562, 675, 686 ff.
— Witw. Karls v. Dur. 408,
421.
— T. Albrecht Achill. 647.
— Beaufort 691.
— v. Flandern 127, 143.
— T. Karls d. K. 679.
— Mr.ultasch 279, 282,
286 f, 292, 297, 299.
— T. Max.I. 664,683.
— v. österr, G. Heinr.
(VH.N> 88, 100, 102, 119,
137 ff.
— G. Philipps v. Burg.
660.
— Sichte K. Rudolfs 192.
— T. Erichs v. Xorw. 211.
Marchfeld, Schlacht a. 185.
Maria, G. Sigm. 419 ff.
— de Padilla 350 f.
— G. Pedros IV. v. Ar. 355.
— v. Burg. 661 ff, 683.
— T. Alfons IV. v. Port.
358.
— T. Friedrichs LH. v. Siz.
356.
— T. Ludwigs v. Lngarn
405.
— v. Molina 348 f.
— Jolante, Kg. v. Jerusal.
72.
Marienburg 135.
Register.
719
Marigny, Enguerrand de 22 1 ,
241, 242, 245.
Erzb. v. Sons 241.
Marino, Treffen bei 408.
Marit/.a, Schlacht a. d. 165.
Markward v. Airweiler 5, 26,
80.
Marquard v. Randeck 283.
Marmousets, die 545.
Marshal William 44, 160 f.
Masaccio 627.
Marsiglio v. Padua 273 ff.,
285, 292.
Marsuppini 631.
Martin IV. 189, 204 ff., 219,
586.
— V, 470, 477 ff., 498, 5001,
555, 634, 637.
— Kg. v. Aragonien 356,
413, 698.
- d. J. 698.
— Bisch, v. Lifsabon 693.
— v. Paris 68.
Matthäos, S. d. Kantaku-
zenos 589.
Matthäus v. Krakau 438.
Matthias Gorvin. 573 f., 607 f.,
643, 651, 653 ff., 663, 668.
- v. Buchegg, Erzb. v.
Mainz, 264.
— v. Janow 457.
Mathildische Güter 4, 6, 26,
35, 80. 39.
Mauclerc Pierre 676.
Maupertuis, Schlacht v. 336.
.Maximilian I. 661 ff., 682 f.
Mechthild, T. Rud. v. H.
257.
- T. Adolfs 195.
Medici, Ardingo 630.
— Bartolomeo 630.
— Giovanni 630.
— Ginliano 632.
- Lorenzo 630.
Lorenzo, d. Pracht. 632.
— Pietro 631 f.
Meinhard I. v. Görz- Tirol
119.
- IL v. Görz-Tirol 145 f.,
184 ff., 190 f., 195.
— v. Görz 376.
- v. Tirol, S. Ludwigs 299.
— v. Segeburg 429.
Meloria, Schlacht bei 252.
Melozzo da Forli 636.
Mendoza, Haus 702.
— Kard. 703.
Mercier, Lc 545.
Mergentheimer Stallung 428.
Meriniden, die 705.
Mestwin v. Pommerellen 365.
Michael YIIL, Paläol. 166 f.,
204, 585.
— Angelos v. Epirus 71,
142, 164, 166 f.
— IL v. Epirus 585.
— v. Moskau 577.
— II. v. Twer 577.
- v. Caesena 277, 292.
— v. Deutsch-Brod 471.
Mies, Schlacht bei 496.
Miglata, Schlacht bei 356.
Militsch v. Kremsier 381,457.
Mindowe v. Lit. 576 f
Minoriten 15 ff., 117ff.,271ff.,
275 ff.
Ming, Dynastie in China 598.
Minoriten, Bundesgen. Lud.
v. Bayern 271 ff., 275 ff.
Mircea, Fürst d. Wal. 421,
481, 592.
Mohammed I. 598 f.
IL 601 ff., 610, 635.
— III., \\ Chovaresmien
109 f.
— V. v. Granada 705.
- Br. Murads 599.
— en Xasir 55 f.
— Ibn Achmed 705.
Mohi, Schlacht bei 111.
Molay, Jacques v. 240 ff.
Mölln, Schlacht bei 62.
Mongolen 107 ff., 153, 169 ff.
Mons-en-Pevele, Schlacht b.
237.
Montagu 545.
— Br. Warwiks 687.
Montaperto, Schlacht b. 142,
Montefeltro 640.
Montesa, Orden 354.
Montfort, Simon d. Ä. 20,
50 ff.
— Simon d. J. 161 ff.
— d. Haus in Bretagne 341 .
Montiel, Schlacht bei 341,
352.
Montlhery, Schlacht bei 678.
Montreuil, Jean de 641.
Morea, Herleitung d. Namens
168.
Morgarten, Schlacht bei 263.
Morosini, Patriarch v. Konst.
71.
Mortimer, Anna 685.
Mortimer v. Marchc 549.
Grofa 686.
Edmund 538, 540 ff.
Moskau, Mittelp. Rufslands
577 f.
Mossafariden, Ende der 596.
Muazzam 83.
Mühldorf, Schlacht bei 264 f.
Müller, Joh. 642.
Muiioz, Ägid,s.KlemensYLIL
Murad I. 590 f.
- H. 599 ff., 610.
Muret, Schlacht bei 56 f.
Murten, Schlacht bei 663.
Musa, B. Moham. I. 599.
Musciatto, Gaidi 228.
Mussato, Albertino 619.
Mustapha, S. Bajesids 599.
Mustässim 170.
Muzalo 166.
Mystik, d. deutsch. 21, 389.
Näfels, Schlacht bei 428.
Xajera, Schlacht bei 351.
Nancy, Schlacht bei 663.
Nardi, Bern. 632.
Nasir v. Kerak 152.
Nasriden, die 57, 705.
Naves, de Tolosa 55, 56.
Naxos, Herzogtum 167.
Neocastro, Friede v. 354.
Nemours, H. v. 681.
Nepotismus, Syst. der röm.
Kurie 636 f.
Nerio H. v. Athen 608.
Neutralität im Schisma 415 f.
Nevil, s. Rieh. v. Salisbury.
Nevils Crofs 333.
Niccolö de' Niccoli 624.
Nidharos (Drontheim) 63.
Nif en (Neif en), Bertold v. 270.
— Heinr. v. 34 f., 79.
Nikäa, Kaiserreich 71, 73, 164.
Niketas 7.
Nikolaus IH. 188 f., 204, 271.
- IV. 189, 207, 234, 268.
— V. 528 f., 623 f., 634, 636,
650, 656.
— V., Gegenpapst 276 ff.
— Breakspear, s. Hadr.IV.
— de Curbio 114.
— Kardinal 65.
— v. Lothringen 661.
— v. Pilgram 505.
— v. Prag 305.
— 72.
720
Register
Nikopolis, Schlacht bei 593.
Nissa, Schlacht bei 600.
Noblesse de robe 221.
Nogaret 221, 227 ff., 245.
Northamptorj 685.
Nordhumberland, Gf. v. 540.
Norfolk, H. v. 587.
Xorwich, Kreuzzug d. Bisch.
534.
Nottingham, < Jraf v. 535.
Norwegen, s. die Könige.
- Lehen d. hl. Olaf 63,65.
Nowgorod, Untergang v. 580.
Nymphäum, Vertrag v. 167.
O.
Oberhaus, Entsteh, d. 343.
Obilitsch, Milosch 591.
Occam, Wilhelm v. 268, 277,
291 ff., 344, 392.
Ochsenstein, Joh. v. 427.
Odo v. Montbeliard 91.
Ogotai liOff.
Olaf, König v. Norw. u. Dan.
564.
Oldcastle LordCobham) 540.
Olgerd 372 f., 578.
Olmedo, Schlacht von 699.
Opslo, Schlacht bei 65.
Orban, Stückgiefser 602 f.
Orden, d. deutsche in Preufs.
133 ff.
Orleans, Entsatz v. 558.
— das Haus 676.
Orsini, Familie 231, 253 f.,
349, 637.
— Kard. 403 f.
— Kard. Xap. 234, 236.
Osman 578.
Osnabrück, E. v. Heinr. v. ,
Mors) 647.
Österreich s. die Fürsten v.
- Einziehung d. Friedr. IL
104 f.
— an Böhmen 136 ff.
— an Habsburg 184, 188 ff. j
Ostrorog, Joh. 579.
Otto IV. 27 ff., 38, 41, 46 f.,
78,. 80 f., 182.
— n., Herzog v. Bayern
118 f., 125.
— H.v. Bayern, Kg. v. Eng. I
185, 197, 201, 258.
- IV. v. Meranien 452.
- IV. v. Niederbayern 280.
— H. v. Brandenburg 60.
— HI. 128 f.
Otto IV. 192 f.
— V. 187.
— v. Bayern, Knrf. v. Bran-
denburg 2991, 376 f.
— Pfalzgraf v. Burgund,
S. Friedrich Barb. 28.
- Pfalzgraf v. Burg. 192,
196, 222.
- H, S. Christ. H. 361.
— v. Braunschweig-Tarent
405, 207 f.
v. Freising 129.
- v. Habsburg 181.
- v. Lüneburg 62, 88, 93,
103, 647.
v. Heran 83.
- v. Österreich 273, 279.
- de la Roche 167 f.
— v. Sachsen 297.
— v. Witteisbach, Pfalzgr.
31.
— B. v. Würzb. 87.
Ottokar v. Böhmen 31, 34, 88.
- H. 119, 129, 135 ff.,
180 ff., 185 ff., 189, 202, 301.
Ourem, Graf v. 693.
Oxford, Provisionen 162.
P.
Pacheco, Marq.v.Villena 699.
Palästrina, Zerstör, v. 208 f.
Pallavicini, Uberto 121, 125,
144.
Paltram, Bürg. v. Wien 186.
Pandulf, Legat 40, 93, 160.
Pannonius Joh. 643.
Papsttum, französ. Einfliifs
233 ff.
Parentucelli, s. Xik. V.
Parlament, Entst. d. Namens
161.
- d. gute 531.
— d. unbarmh. 531 f.
Parlamente in Frankr. 245.
Parma, Fall v. 118.
— Schlacht bei 121.
Pa>t<>rellen 155.
Patarener 12.
Paul IL 581, 608, 635 f., 657.
Paulizianer 12.
Payne, Peter 505.
Pazzi, die 632.
Pearce Exton 538.
Pelagonia, Schlacht bei 160 f.
Pelagius, Legat 83 f.
Pelavo Alvaro 386.
Pembroke, Graf v. 352.
Percy, d. Heifssporn 536, 540.
Pereira Nufio Alv. 694.
Perejaslawl Rjäsanski 57!».
Perfecta 13, 19, 20.
Perugino 627.
Peta 111.
Peter, Pedro, Pierre, Petrus.
— v. Courtenay, K. 74.
Pedro H. v. Arag. 10, 51, 55 f.
- m. 142, 189, 205, 350 ff .,
386.
- IV. 355 f.
- I. v. Port. 358 f.
— d. Graus. 341, 349 ff.,
356, 358.
— Inf. v. Port. 696.
— Oh.PedrosIV. v.Ar. 255.
— v. Sizilien 255.
— v. Exerica 356.
Peter I. v. Cypern 174.
— U. v. Cypern 174.
— v. Aspelt, Erzb. v. Mainz
202, 247 ff., 250, 257, 264,
290.
— v. Bruys 12.
- v. Castelnau 50.
- Cheltschitzky 658.
— (Pierre), S. Ludw. IX.
173, 676.
— de la Mare 393.
- v. Ostia 316.
— v. Savoyen 160.
Petrus v. Ancorano 414.
— v. Luxemb. 406.
— y. Vinea 95, 120, 141.
Petit, Jean 547, 480.
Petrarca 300, 315 ff., 380,
417, 619 ff., 625, 627 f., 640.
Peuerbach, Georg 642.
Peutinger, Konrad 642.
Pfaffenbrief, d. 426.
Pfaffenkrieg v. Breslau 471.
Pfalz, die 645.
Philipp y. Schwaben 27 ff.,
56, 69, 128.
— Titulark. v. Konst. 16«.
— H. August 33, 36, 38,
40, 44 ff., 72, 150, 157.
— IH. v. Frankr. 173, 180,
210, 217 ff.
— IV. 159, 175, 196, 198,
209, 212, 214 f., 217, 220 ff.,
233 ff., 247 ff.
— V. 245 f.
— VI. 291, 324 ff.
— H. y. Burg. 254.
Register
721
Philipp d. Kühne v. Burg.
342, 543 ff., 654.
- d. Gute 552, 555, 560,
674, 677, 679.
- v. Courtenay 74.
— v. Evreux 326 f.
v. Kärnten 188, 190.
- Erzb. v. Köln 4 f.
- Maria v. Mail. 502.
v. Nav. 335.
- v. d. Pfalz 645.
- v. Poitiers 268.
- Erzb. v. Salzb. 137 ff.
— d. Schöne, Sohn Max. I.
664 f.
Philippa v. Hennegau. 289.
Philokrene, Schlacht bei 588.
Piacenza, Signorie v. 282.
Piasten 133 f., 200.
Pico de la Mirandola 625.
Picquigny, Joh. 337.
Piers Gaveston 215 f.
Pietro Capocci 118 f.
Pileus de Prata 405, 419.
Pilgrim, Erzb. v. Salzb. 428.
Pir Mohammed 598.
Pirkheimer, Willibald 642.
Pisa, Kaiserwahl Alfons' X.
— Verf. 308, 309.
— Konzil 444 ff., 464.
Pisano, Nik. 625.
Pitti, Luigi 681.
Pius n. (Enea Silvio) 519 f.,
526 f., 607 f., 628, 632, 635,
642, 656 f.
Plaisian 221, 245.
Plaoul, Pierre 447.
Piatina 636.
Podiebrad, Georg v. 635, 649,
651 ff., 665.
Poggio Bracciolini 476, 6221,
624, 631, 641.
Pol, St., Conneable 678, 681.
Pole, de la, Mich. 534 f., 536.
Polen, s. die Könige.
Portugal, s. die Könige.
Praemunire, Stat. of 344.
Prag, Grund, d. Univ. 302.
- Abzug d. deutsch. Prof.
u. Stud. 459.
Prager, d., s. Utraquisten.
— Artikel, die 486 f.
Pragm. Sanktion v. Bourgcs
158 f., 515 f., 670, 675.
Praguerie, die 672.
Pfemysliden, Ausg. d. 201.
Pfemyslaw v. Grofspolen 200.
Preufs. Bund 572.
Preufsen, der 1). Ord. 130,
133 ff.
Prignano, s. ürban VI.
- Francesco 405, 407.
Procida, Joh. v. 201.
Prokop d. Kahle 495 ff., 505 f.
Protasius, Bisch, v. Olnnitz
642.
Ptolemais, Fall v. 174.
Puchnik, Nikol. 431 f.
<l
Quatrevaux, Zusammenk.
Albrechts I. mit Phil. IV.
198.
Quitzow, d. 452.
R.
Rabstein, Joh. v. 642.
- Pluh v. 430.
Racova, Schlacht l>ci 573.
Radu Negru 373.
- IL 374.
Raimondo v. Orvieto 310.
Raimund VI. v. Toulouse
50 ff.
- VII. 51 f., 151, 156.
- Lull 175.
Rainald v. Dassel 5
- I. v. Geldern 192.
- IV. v. Geldern 443, 482.
— v. Mömpelgard 222.
— v. Urslingen 93.
Rairn. Bereng. v. Prov. 106.
Rainer v. Manente 80.
Ramiah, Niederl. d. Chr. 152.
Randuf 466.
Ravenna, Reichstag 100 f.
Reding Ital 523.
Reform vorschl., politische in
Deutschi. 507 ff.
Reginald v. Canterb. 39.
Regnault d. Cervole 341.
Reichsreform Friedrichs ITT.
667.
Rene v. Anjou 676-
Reuchlin 643.
Reun, Zusammenkunft in
185.
Reuf's v. Plauen 570.
Reutlingen, Schlacht bei 379.
Rhein. Bund 105, 107, 126,
128 f., 138, 142, 152, 157,
163, 179, 423 ff.
Richard I. v. Engl. 6, 29,
38, 43, 45 f.
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters.
Richard IL 393, 395, 419,
445, 458, 530 ff., 541, 687.
- III. (582, 687 ff.
— s. Salisbury
Richemont, Connetable 561.
Richenza 60.
Richsa v. Polen 200 f.
Riga, Gründung v. 60 f.
Rigord 45.
Ritterorden nach d. Kreuzz.
175.
Robert, K. v. Konst, 79.
- K. v. Neapel 251, 270,
275 ff., 283, 308, 313.
— Bruce 328.
- I. v. Artois 107, 153 f.
- IL Gr. v. Art. 205, 237.
- Urenkel Rob. I. 329 ff.
— de Bourchier 321.
— v. Burgund 191 f.
— v. Clermont 676.
— v. Durazzo 314.
— s. Klemens VII.
- le Coq 337 ff.
Rochelle, La, Schlacht 342,
352.
Rochow, die 452.
Roffried v. Benevent 90.
Roger de Flor 354.
- Mortimer 328.
— v. March 537.
— v. Sizilien 6.
Rohr, Erzb. v. Salzb. 660.
Rokvtzana 494, 505, 507, 519,
650, 655.
Rom, s. d. Päpste.
- Konzil v. 1412, 455.
Romagna, Rekuperation 26.
Roman v. Halitsch 137.
Romanus de Scotta 8.
Roosebeke, Schlacht hei 544.
Rosen, Kämpfe der 684 ff.
Rosenberg, Heinr. v. 433.
Rovere, die 636.
Roztok, Georg v. 430.
Rudau, Schlacht bei 368.
Rudolf v. Habsburg 124,
146 f., 177 ff., 452.
— IL v. österr. 187, 190 f.,
193, 202.
— III. 198, 201 f.
IV. 296, 299 f., 319 f.
Pfalzgraf, IL v. B. 195,
197, 257 ff.
— IL 298.
- H. v. Sachsen 290, 297,
450.
46
"t'2'2
"Register
Rudolf v. Balm 202 f.
— v. Wart 202 f.
Ruesbrock Joh. 389.
Rufin, Bandenführer 341.
Ruprecht, Kg. 418, 416, 433,
435 ff., 446 f., 449, 452 f.,
645.
- I.— IV. 438.
— d. J. 297.
— v. Nassau 197.
Rufsdorf, Paul v. 571.
Rufsland 110, 111.
Rutland, S. d. Herz. Edmund
v. York 536.
— S. Richards v. York 686.
s.
Saaz, Sieg- d. Hussiten 491.
Sabbatati 14.
Sachsen s. d. Herzöge.
Sachsenhausner Appellation
271.
Sachsenspiegel 129.
Saintes, Schlacht bei 151.
Sauset Bern. 224 f.
Salado, Schlacht am 349, 358.
Salerno 125.
Salimbene 122, 150.
Salisbury, Earl v. 538.
— Gr. 555.
- Richard Xevil 685 f.
Sah »ine v. Kujavien 366.
Salvatierre, Bergfestung 58.
Samuel el Levi 351.
Sancho I. v. Port. 56 f.
- II. v. Port. 57.
— IV. v. Konst. 219, 348,
— Rarnirez v. Arag. 54.
Sandschi, türk. Prinz 590 f.
Sanudo Marco 169.
— Marino 175.
Sardinien, päpstl. Lehen 10,
105.
Savelli, die 309.
Savona, Sieg d. Kaiserl. 121.
Savoyen, Grafen v. 191 f.
Say, Lord 684.
Sayn, Graf v. 101.
Sbigncw \> Olesnicky 643.
Sl )inko v. Hasenb. 458 ff. , 4 75.
Skala, die 306, 439, 633.
Scanderbeg s. Georg
Schach Roch 598.
Schädi-i-Mulk 198.
Schärding, Friede v. 376.
Schiltberger 593.
Schischman, Bulgaienk 374.
Schischman m. 590.
Schisma, d. gr. 386, 400 ff .
Schlüsselsoldaten 93 f.
Schottland. Vasallenstaat,
Engl. 211 f.
— Unabhängigkeitskrieg
213 ff.
Schubitsch, che 371.
Schwaben, s. d. Staufer.
— Frage d. Wiederherstel-
lung 191.
Schwäbischer Städtebund
379, 442 f., 669 f.
Schweden, s. d. Könige.
Schweiz, Entst. u. Ausbild.
249, 259 ff., 304 f., 425 ff.,
522 ff.
Schwerin, s. Heinr. u. Gun-
zelin 61.
Schwertritter 61, 134.
Segarelli 388.
Selau, Joh. v. 489, 492.
Segall, Jak. 706.
Seid, Jussuf 706.
Sempach, Schlacht bei 427 f.
Senat, Senator v. Rom 25 f.
Seuse 389.
Sforza, Kondott. 455, 513,
526, 637, 639 f.
— Bona 640.
— Franc. 676 f.
— Galeazzo 640.
Maria 640.
— Jacopo 639.
- Ludow. 640.
Sichern, Schlacht bei 171.
Sidon, Em. 72.
Siena, Verf. v. 308.
Sigfried v. Anhalt 180.
— v. Köln 190, 192, 195.
v. Mainz H. 34.
— v. Mainz 105.
Sigmund, Kg. 379 f., 419 f.,
43,4 ff., 439, 441 f., 446,
448 ff., 464, 466 ff., 471 ff.,
475, 477, 479 ff., 485 ff.,
493 ff., 502 ff., 507 ff., 551,
561, 569, 571, 592, 600,
623, 639, 641, 645, GQ6.
Sigmunds Reformation 509.
Sigmund v. Tirol 517, 649,
652, 655 ff., 661 f., 669 f.
Signorie, Auf. d. 250 ff., 306.
Sigurd Jonson 566.
— Mund 63.
Simeon, Sohn Stef. Duschans
373.
Simeon v. Moskau 578.
Simnel Lambert 691.
Simonetta, Staatssekr. 640.
Sit, Schlacht am 111.
Sixtus IV. 636 f.
Sizilien, Erwerb, d. d. Staufer
4, 6, 26, 27, 32 ff., 77 ff.,
140 ff.
Sizilischer Krieg 93 f.
Sizilische Vesper 203 ff.
Sinters 62»;.
Sluys, Sieg bei 331.
Snorre sturleson 65.
Soderini 632.
Solms, Grafen v. 101.
Somerset 685, 687.
Sophie, Gem. Wassili a 579.
— G. K. Wenzels 4s-
— G. Iwans III. 581, 605.
— Verlobte Konradins 1 4< >.
— G. Wladislaws II. 571.
— Y.Raabs, G. Friedr. I. v.
Hohenzollern 452.
Spanier, Kreuzz. d. 172.
^piritualen 271.
Spoleto, Rekup. d. Friedr. FT.
106 f.
Stafford Huinphrey 691.
— Thomas 691.
Stanislaus v. Znaim 461.
Stanley, Lord 691.
Staveren, Schlacht bei 289.
Stedinger, F'ntergang der
101, 102.
Stehendes Heer in Frankr.
671.
Steiermark an Ungarn 137.
— an Böhmen 138.
— an Habsburg 188 ff.
Sten Sture 566 f.
Stephan, K. v. Ungarn 139.
— K. v. Bosnien 605.
— Thom. 606 f.
— H. v. Bayern 258, 272,
279, 299 f., 376.
— H. v. Niederb. 428 f.,
433.
— Urosch HI. 372.
— VI. Duschan 372, 588 ff.
— VH. v. Serb. 590.
— S. Lazar> 592 f.
— Kotromanowitsch von
Bosnien 590.
— d. Grofse v. d. Moldau
573 f., 608 f.
— Palecz 458, 461.
— Hirtenknabe 72.
Register.
723
Sternkaminer, die 692.
Stirling, Schlacht bei 212.
Streitschriften, Kirchenpöl.
225.
Stüfsi Rudolf 523.
Suffolk, H. v. 684.
Sulciman 587, r>S(.).
S. Bajesids 597.
Superiorität des Konz. 4(51),
513 f., 527.
Supino, Reginald v. 230.
Sven Estritson 59.
Sverrir, K. v. Norwegen 63 f.
Swante Sture 567.
Swantibor III. v. Pommern
433.
Swätoslaw III. 570.
Swenza, tue 365 f.
S werker I. 66.
— n. 66.
Syrien seit 1254. 169 ff.
Szilagyi, Mich. 653.
T.
Tabor, Gründung v. 462.
Taboriten 486 f.
Tachau, Sieg d. Hussiten 492.
Tagliacozzo, Schlacht bei 148.
Talbot 558, 562.
Taillebourg, Schlacht bei 157.
Tankred v. Lecce 6.
Tannenberg, Schlacht bei
481, 570.
Taragäi, Tiinurs Vater 59.
Taraskon, Vertr. v. 206, 221.
Tard-venus, die 341.
Tataren s. Mongolen.
Tauler 389.
Taus, Sieg d. Hussiten 498.
— Vertrag v. 264.
Teilsage 263.
Templerprozefs 237 ff.
Tello, Halbbr. Pedr. d. Graus.
350, 352.
Territorialherrsch, i. Deutsch-
land 79.
Tewksbury 688.
Thaddäus v. Suessa 115 f.,
118.
Theobald v. Champ. 150, 152.
Theodor Laskaris 70 f., 74,
165.
— — v. Nikäa 165 f.
- v. Epirus 74, 164 f.
Thessalonich, Königr. 71, 74.
Thierberg, Konr. v. 135.
Thomas v. Acerno 405.
Thomas v. Aquino 21, 223.
v. Lancaster 215 I'.
- Oh. Richards l\. 531,
535 ff.
- v. Savoyen 125.
Thorn, Friedr. v. 570, 572.
— Gründung v. 131.
Thüringen, Konrad v. 107.
Timur 579, 593.
Tocco Carlo 600.
— Leonardo 609.
Togluk Timur 594.
Toghrulbeg 587.
Toktamisch 579 f., 595 f.
Tolomeo v. Lucca 189.
Tomornitza, Schlacht bei 605.
Torkel Knutson 362.
Torquemada 704.
Toro, Schlacht bei 701.
Torre, de la, die 252.
Toulouse an Frankreich 219.
Towton 686.
Trapezunt 71, 605 f.
Trasönund v. Segni 8.
Trastamara, s. Heinr. II. v.
Käst.
Traversari 631.
Tresilian, Oberrichter 536.
Tristan, S. Ludw. IX. 154.
Trithemius 642.
Triumphus, Aug. 386.
Troyes, J. v. 547.
Tudor, Edmund 691.
— Owen 691.
Tschamorli, Schlacht bei 599.
Tunis, Kreuzfahrt gegen 173f .
Turanschah 153 f.
Tuchins, die 543.
Türken, Ältere Gesch. der
586 ff.
Turin, Friede v. 374.
Twartko, K. v. Bosnien 373 f.,
421.
Tyler, Wat 533, 590 f.
U.
Ujlaky, Nik. 520, 650, 654.
Ulrich v. Cilli 650 f.
- H. v. Kärnten 138.
— B. v. Passau 84, 219.
— B. v. Seckau 138, 184.
- v. Württemberg 379, 423,
429.
Ulu Mohammed 580.
Ulug-Beg 598.
Unam Sanctam 227, 236.
Uncastillo, Bündnis 351.
Ungarn, s. »I. Könige.
Ende «1. Arpaden 199 ff.
and.Pfemysliden 199 ff.
- d. Haus Anjoii 201 !'.
üngkhau 109.
Fnion d. morgen- u. abendl.
Kirche 513 f.
Unterhaus, engl. 313.
Upsala, Erzbist. 66.
Franc, Conte 601.
Urban IU. 4 f.
- IV. 142 f.
- V. 322 ff., 345, 389, 393.
- VI. 35(5, 375, 399, 402 ff.,
418 f., 431, 460, 535, 587 f.
Frosch, S.Steph. VI. Duschan
373.
Fsbek, Khan 578.
Utraquisten 486 f., 488..
V.
Valla Lorenzo 624, 634.
Varna, Schlacht bei 521.
Valentine v. Orleans 545 ff.,
677.
Vatatzes 165 f.
Venedigs Glanzzeit 633 f.
— Herrschaft iniArchipelag
168 f.
— Verfassung 307.
Vere, Eobert de 534 f.
Vergerio d. Ä. 641.
ATerneuil, Schlacht bei 555.
Verona, Signorie 252.
Verrocchio 627.
Viana, Carlos v. 700.
Visconti, die 253, 306,
378.
— Azzo 273.
— Barnabo 323 f.
- Estorre 638 f.
- Filippo Maria 638 f.
— Gabriele 638.
— Galeazzo 275, 339, 638.
— Gian Carlo 638 f.
— Gian Galeazzo 435, 439 ff.
— Gian Maria 638.
— Giovanni 308 f.
— Marco 273.
- Matteo 270.
Visen, H. v. 697.
Vitaliner 564.
Vitelleschi, Legat 513, 515.
Vitez, Joh. 643.
Vittorino da Feltre 640.
Vulkassin, Kg. d. Serben 374.
46*
724
Register.
W.
Wahlstatt, Schlacht bei 112.
Waisen, die 495.
Wakeneid, Schlacht bei 686.
Waldemar I. v. Schw. 362.
- I. v. Dänemark 59.
- H. 59 ff., 66 f., ST.
- m. 361.
— IV. 361, 363 ff., 368,564.
- Br. Birgers 362 f.
- v. Anhalt 297.
V.Brandenburg 278, 2881
- der falsche 297 f.
Waldes Pierre 13 f.
Waldesier 11 ff., 17 f., 387 ff.
Wales, Erob. 210 f.
Wallace William 212 ff., 222.
Wallenrod Konrad 36S.
Walram, Erzb. v. Köln 526 f.
- Br. Heinrichs VH. 250,
253.
Walter v. Eschenbach 202 f.
— v. d. Vogelweide 5, 8,
35, 87 f.
Warbek 696 f.
Wartenberg, Tschenek v.
488 f.
Warwik, Graf v. 537.
— Oheim Heinr. V. 552.
— Eduard 692.
- Richard 685 ff.
Wassili II. 579 f.
- m. 580.
- d. Schieler 580.
Wenzel I. v. Böhmen 10-4,
112 f., 118 f., 137.
- IL 185, 187, 190, 193 f.,
200 f., 301, 365.
in. 365.
- B. Karls IV. 300, 380,
444.
- Kg. von Deutschi. 300,
376 ff., 405, 413, 416 ff.,
449 f., 452, 458, 476, 485 ff.,
570.
Wenzel, Propst v. Mcifsen
431 ff.
Werdenberg, Hang v. 669.
Werner v. Bolanden 5.
— v. Egisheim 93.
— v. Habsburg 181.
— v. Homburg 254.
— v. Mainz ISO, 192.
— v. Ursüngen 314.
Wesel, Landfrieden v. 424.
Wettiner, die 645.
Wiclif 293, 345 f., 389 f.,
531 f., 534.
Wiclifismus, Ende d. in Engl.
540.
— in Böhmen 455 ff.
Wieland, Sohn Ludw. d. Ä.
v. Bayern 647.
Wiener Konkordat 528 f.
— Friede 138.
Wilhelm v. Holland, Kg. 119,
124 ff, 143.
- Kg. v. Schottl. 40.
— I. v. Siz. 81.
— H. v. Siz. 6, 81.
v. Achaja 166, 168 ff.
— v. Baiern 502.
— v. Bretagne 52.
— Graf v.Holland 289, 296.
— Sohn Friedr. HL v. Siz.
356.
- v. Meifsen 323, 432.
— LH. v. Sachsen 645, 652.
— v. Montfort 275.
— v. Xangis 151.
- v. Österreich 419 f, 441.
— v. Sabina 65, 67.
— Yillehardouin 168.
Wilhelmsgesellschaft 423.
AVimpfeling 642.
Windecke 649.
Winchester, Kard. 555, 561,
588.
Wisbys Niedergang 364.
Witcn 577.
Witold, Grölst", v. [it. 476,
489, 492, 497, 570, 579.
Witteisbach im 15. Jahrh.
646.
Wlad Draeul 607.
Wladislaw Lokietek 200 f,
365 f, 369 f.
— H. v. Polen 420, 481,
569 ff., 579.
- m. 518 ff., 571.
— Kg. v. Böhmen u. Eng.
513 f., 687 f., (M?x.
— H. v. Oppeln 569.
— v. Mähren 118 f.
Worms, d. gr. Hoftag 99,
100 ff.
Wok v. Waldstein 460.
Worringen, Schlacht bei 192,
194 f.
Wukaschin v. Serbien 590.
Württemberg im 15. Jahrh.
646.
Wydeville, Elis. 687 ff.
Wykeharn, Will. 536.
X.
Xenil, Schlacht am 349.
Ximenez 703 f.
Y.
York, Arundel, Erz)), v. 536 f.,
540.
— Richard v. 685 f.
Z.
Zabarella 414, 454, 464.
Za wisch v. Ealkensteinl85f.,
193.
Zegris, die 706.
Ziemovit v. Masovien 419.
Zizka 4S7 ff., 494 f.
Zoe s. Sophie.
Zöllner, Konr. v. 368.
Zorayia 701.
Zwettl, Sieg d. Hussiten 495.
Nachträge und Berichtigungen.
Durch ein Versehen wurde in der Schreibung spanischer und portugiesischer
Eigennamen nicht die entsprechende Gleichmäfsigkeit beachtet (siehe darüber den
Index). Als Regel gilt, dafs die fremde, in Deutschland allgemein angenommene
Schreibweise Juan, Alfonso etc. zu gelten hat, wogegen statt Henrique, Fadrique etc.
die entsprechende deutsche Schreibung angenommen wurde. Auch sind beim Kopieren
des Textes an einigen Stellen die Anführungszeichen weggeblieben.
Lindners Weltgeschichte Bd. 3, der zum Teil denselben Gegenstand behandelt
wie dies Buch, ist erst nach dessen Vollendung (September 1903) erschienen und
konnte sonach nicht mehr benützt werden. Zur Einleitung : Maire, Würdigung Kaiser
Heinrichs VI. Berlin 1903.
S. 10. Z. 22 v. u. lies : zu statt zum.
S. 16. Zur Dominikanerlit. s. den Aufsatz
v. Reichert über die Provinz. - Kapitel
im XVH. Bd. d. RQSchr.
S. 20. Z. 14 u. 15 v. u. lies : Entsprechend
statt Entgegen.
S. 36 u. 37 lies : Freiheitsbriefe statt Frei-
briefe.
S. 37. Zur Lit. : W. P a r o w , die Grund-
züge d. Verf. Engl, in org. Entw. Jahres-
bericht Fried. Werd. Oberrealsch. Berl.
1901.
S. 39. Z. 18 v. u. streiche : und.
S. 11. Z. 11 u. 15 schreibe : Philippe statt
Philipp.
S. 56. Z. 16 v. o. lies : Jayme I. statt
Jayme H.
S. 57/ Z. 22
S. 70. Z. 2 \
sucurrere.
S. 87. Z. 23 v. o
die Verkehrs.
S. 93. Z. 6 v. u. lies : Herzog Otto v. Lüne
bürg statt Otto IV.
v. o. lies : Alfonso.
u. streiche den Punkt nach :
lies : des Verkehrs statt
S. 132 konnte Dietrich Schäfer, Die
Hanse, nur im Lit. - Verz. noch an-
gefügt, sonst aber nicht mehr benützt
werden.
S. 133. Z. 11 v. u. lies : gewinnen wollte
statt gewinnen, wollte.
Aus Schäfer S. 73 ersehe ich, dafs che S. 365
angeführte Begrüfsung der Stadt Lübeck
durch Karl IV. nicht als hist. gilt.
S. 142. Z. 7 v. u. lies : Pedro und Jayme
statt Peter u. Jacob.
S. 145. Zur Lit. füge an Heidemann,
Klemens IV. Münster 1903.
S. 152 u. 153. Lies : Cornwallis statt Corn-
walis.
S. 159. Z. 15 v. o. lies : R. Grosseteste.
S. 113. Zu Pavo hat Grauert ausgeführt,
dafs sowohl die Notitia saeculi als d. Pavo
dem Jordanus von Osnabrück abzu-
sprechen seien S. HZ. XCT. 355. S.
auch Wilhelm. Zu Jordanus v. Osna-
brück MJÖG. XXIV 353.
S. 130. Z. 3 v. o. lies : gleichfalls statt
Gleichfalls.
726
Nachträge und Berichtigungen.
203.
206.
206.
243.
245.
246.
168. Z. 4 v. u. lies : /; Mögen.
169. Z. 56 v. o. lies: seine Herrschaft.
170. Z. 3 v. u. lies: A. Müller.
177. Z. 8 v. u. lies: Guiraud.
178. Füge hinzu : Formulare aus Kud.
v. Habsbg. Kanzlei. Mitgeteilt von
Schwalm, XA. XXYm, 687.
181. Z. 1 v. u. lies: geübt haben.
183. Z. 24 v. u. lies: Kärnten.
188. Zur Lit. : Demski, Papst Xikol. 1H.,
Kirchengesehiehtl. Stud. VI., 1 und 2.
Münst. 1903.
189. Z. 9 v. u. lies: die Fragen.
196. Z. 20 lies: Dauphine.
199. Z. 18 v. u. lies: Fidelitätseid.
Z. 20 v. o. lies: di statt die.
Z. 5 v. u. lies : Cölest. V., III, 528.
Z. 10 v. o. lies : Friedrich IL statt
Friedrich III.
227. Z. 18 v. u. lies: den Makel.
Z. 17 v. o. lies : Kommifsäre.
Z. 20 v. o. lies : Plaisian.
Füge hinzu : Voeux de l'Epervier
1309—1313, ed. Wolfram u. Bonnar
dots. Jahresber. Ges. loth. G. Alt. VI.
1894.
247. Füge an: W. Israel, die Bez.
zw. König Robert v. Xeapel u. König
Heinr. VII. Hersfeld 1903.
257. Z. 15 lies : Jaymes.
260. Z. 5 v. o. lies: Dändliker.
264. Z. 22 v. o. lies : langsam statt angsani.
266. Füge an: Kehr, Zur Gesch. d.
päpstl. Schatzes im 19. Jahrh. RQSch.
XVI, 415.
267. Füge hinzu : E u b e 1 . die letzt-
willigen Legate Xikol. V. (d. Gegenp.)
RQSch. XVH, 161.
320. Z. 14 v. o. lies : Bestätigung statt
Betätigung.
325. Füge an : Deprez, La guerre de
Cent ans ä la mort de Benoit XU.
RH. LXXXIH, 58 ff.
330. Z. 14 v. o. lies : fand es.
340. Z. 11 v. o. lies : während deren.
347. Z. 24 n. u. lies : Fernando.
360. Z. 8 v. o. lies: Stockholm 1878.
385 Z. 13 v. u. lies: vorbereitet.
385. Zu Meister Fckard ist anzufügen:
Schriften u. Predigten Meister Kckeharts
aus d. Mhd., herausg. v. Büttner, I. Bd.,
Leipz. 1903, u. Meister Eckharts Mysti-
sche Schriften. In unsere Sprache über-
tragen v. G. Landauer, Berl. 1903.
388. Z. 7 v. u. und 389 Z. 9 v. o. und 6
v. u. lies Eckard.
S. 399. Füge an: Die Adventsiede des
Matth. d. Cracovia vor Laiist Urban VI.
im Jahre 1386 v. G. Sommerf eldt
MJÖG. XXJV, 396.
S. 402. Füge hinzu : L e d o s , Frankreichs
Stellung zur Kirchenspaltung vom Tode
KlemensVH. bis Martin V. RQH. 1903.
S. 412. Z. 10 v. oben lies: VI. statt IV.
S. 419 u. 420. Lies : Jost statt Jobst.
S. 432. Z. 2 v. o. lies : Bohuslaw statt Bohmlaw.
S. 445. Zur Lit. füge schon jetzt an :
Haller, Der Ursprung der gallik.
Freiheiten. HZ. X(/I, 193 ff.
S. 453 u. 464. Füge hinzu : G ö 1 1 e r , Papst
Johann XXIII. u. Kg. Sigmund im Som-
mer 1410. RQSch. XVH, KU».
S. 456. Z. 28 v. u. lies : unzulänglich statt
veraltet.
'S. 495. Z. 15 v. u. das Wort später ge-
hört an den Anfang der nächsten
Zeile.
S. 505. Ich habe Rokytzana statt Roky-
zana geschrieben, um die Schärfe der
Kons, deutlich zu machen, sonst wird
Rokyzana gedruckt.
508 u. 509. Gegen che Ansichten Wer
ners hat sich eben Köline, Zur sog.
Ref. K. Sigmunds im XA. XXYHI,
729 ff. gewandt.
513. Ergänz. : Preiswerk, Der Ein-
fiufs Aragons auf den Prozefs d. Basier
Konzils gegen Papst Eugen IV. Basel
1902.
S. 530. Z. 8 v. o. lies : Traktate. Rymer.
S. 533. Z. 1 v. o. lies : Bewegung statt
Rewegung.
S. 537. Z. 12 v. u. : streiche das Wort
einzigen.
S. 542. Z. 28 v. u. lies: Literatur an gaben
statt — ausgaben.
S. 558. Z. 21 v. u. lies : Forderung statt
Forderungen.
562. Z. 10 v. u. streiche: sich.
563. Z. 20 v. o. lies : Hanserezessen
statt -Recessanen.
571. Z. 9 v. u. lies : Sigmund.
583. Füge an : P u s c o 1 i , carin. de
capt. Const. 1453 ap. Ellissen 1857.
Zu 586: Katalanen: auch Ahnugavaren v.
arab. Muhavir, Bundesgenosse, Gefährte.
Zu 616 ff. : Einzelne Aufsätze zum Huma-
nismus s. in Miscellanea di studi critici,
edita in onore di Arturo Graf. Bergamo
1903. Aufserdem: Segre, Studi sul
Petrarca, Fir. 1903. Rüdiger: Stud.
z. hum. Lit. Halle 1896. Müll n er,
g
s
Nachträge und Berichtigungen.
727
Reden u. Briefe it. Humanisten. Wien
1899. Rossi, Un letterato e mercante
Fiorentino 1898. Zeller, Italie et Re-
naissance, 2 A. Paris 1883. Klette,
(tcscIi. d. it. Gelehrtenren. Greifsw.
1885 ff. Bauch, Die Rezeption des Hu-
manismus in Wien. Breslau 1903.
S. 633. Z. 17 v. o. Hess: della.
s. 634. Z. 20 v. u. lies: verbittert2).
S. 648. Jetzt auch : Krones, Die Baum-
kircher.
650. Krones, Leonor v. Port, setzt
S. 73) Friedrichs Krönung zum König
d. Lomb. auf den 15., die Einsegnung
der Bhe auf den 16. März.
s
650. Z. 8 v. o. lies: Affons...
(15."). Lies : Albrecht VI.
660. Z. 15 v. o. lies: Heinburg.
665. Z. 18 v. u. lies: des Grafen.
671. Z. I v. o. lies: verknüpft war.
674. Füge an: Comb et, Louis XI.
et le Saint-Siege L461— 1483. Baris
1903.
677. 7j. 7 v. u. lies : verlangte dieser.
680. Z. 12 v. u. streiche: legitime.
681. Z. 11 v. o. lies: neuem.
683 ist an einigen Stellen der Punkt
nach Roll ausgefallen.
benso S. 700 Z. 12 v. u. nach Doc.
»•c
D 200 .L67 1903 IMS
Loserth, Johann,
Geschichte des spateren
Mittelalters von 1197 bis 14
P>JN<\-- iLAi» iKe'\P ftÄ*
OF MEDIAEVAL :"!:r;€
*9 QUEEN'S PARK
rO^O^TO ri ( ÄNAOA