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Full text of "Hermes"

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HERMES 


ZEITSCHRIFT  FUß  CLASSISCHE  PHILOLOGIE 


HERAUSGEGEBEN 


VON 


CARL  ROBERT  und  GEORG  WISSOWA 


DREIUNDFÜNFZIGSTER  BAND 


i 


lif/ 


BERLIN 

WEIDMANNSCHE  BUCHHANDLUNG 

1918. 


HS 


INHALT. 

Seite 

M.  BANG,    die  Grabschrift  des  Philosophen  lulianus 211 

H.  DESSAU,    über  die  Abfassungszeit  einiger  Schriften  Senecas     .  188 

H.  DIELS,    Hippokra tische    Forschungen.      V.   Eine  neue  Fassung  des 

XIX.  Hippokratesbriefes 57 

F.  JACOBY,    Studien  zu  deu  älteren  griechischen  Elegikern. 

I.  Zu  Tjrrtaios        1 

II.  Zu  Miranermos 262 

U.  KAHRSTEDT,    zur   Geschichte    Großgriechenlands    im   5.  Jahr- 
hundert       180 

A.  KÖRTE.    Bacchylidea 113 

t  G.  KÖRTE,    zu  Xenophons  KYNEFETIKO^.    Ein  Fragment  ...  317 

L.  MALTEN,    ein  neues  Bruchstück  aus  den  Aitia  des  Kallimachos  148 

E.  MEYER,    die  Rhapsoden  und  die  homerischen  Epen 330 

B.  A.  MÜLLER,    zu  Stephanos  Byzantios .  337 

J.  MUSSEHL,    über    eine  Aporie   in  der  Lehre  von  den  Aggregat- 
zuständen bei  Lukrez  (II  444  —  477) 197 

t  H.  MÜTSCHMANN,    die  älteste  Definition  der  Rhetorik      ...  440 

R.  PHILIPPSON,    Nachträgliches  zur  Epikureischen  Götterlehre    .  358 
M.  POHLENZ,   das  zwanzigste  Kapitel  von  Hippokrates  de  prisca 

medicina 396 

A.  ROSENBERG,    die  Parteistellung  des  Themistokles 308 

K.  SCHERLING,    Gemmen  mit  der  Inschrift  MNHIGH     ....  88 

0.  SCHROEDER,    PY6M0S 324 

A.  STEIN,    Ser.  Sulpicius  Similis 422 

H  SWOBODA,    2KYTAÄISM02: 94 

0,  WEINREICH,    die  Heimat  des  Epigrammatikers  Poseidippos    .  434 

H.  WERNER,    zum  AOYKIOi:  H  ONOS 225 

W.  ZILLES,    Hippias  aus  Elis 45 


IV  INHALT 

Seite 
MISCELLEN. 

E.  BETHE,    die  Zeit  Nikanders 110 

der  Schluß  der  Odyssee  und  Apollonios  von  Rhodos    .  444 

0.  CUNTZ,  zum  Ehreudekret  von  Lete  in  Makedonien  für  M.Annius 

(Dittenberger,  Syll.  2  i  3I8) 102 

H.  DESSAU,    das  Alter  der  römischen  Municipalbeamten    (Nachtrag 

zu  Bd.  LI  1916  S.  65) 221 

W.  GEMOLL,    Xenophon  bei  Clemens  Alexandrinus 105 

0.  KERN,    ein  Soloncitat  bei  Lysias 220 

J.  H.  LIPSIUS,    zum  attischen  Volksbeschluß  über  Chalkis     ...  107 

C.  ROBERT,    Nysius? 224 

Zu  Senecas  Hercules 446 

A.  STEIN,    Drusus  Castor       . 217 

REGISTER 447 


STUDIEN  ZU  DEN  ÄLTEREN  GRIECHISCHEN 
ELEGIKERN. 

I.  Zu  Tyrtaios. 
Die  durch  Eduard  Schwartzens  tiefgreifende  Ausführungen  (d.  Z. 
XXXIV  1899  S.  427  ff.)  wieder  in  Fluß  gebrachte  Tyrtaiosfrage  ist 
durch  den  Exkurs  in  Wilamowitz'  Textgeschichte  d.  griech.  Lyriker 
1900  S.  96ff.^)  im  Princip  und  auch  in  den  meisten  Einzelheiten 
endgültig  gelöst.  An  die  Stelle  der  Gesamtathetese,  die  sich  doch 
nur  daraus  erklärt,  daß  man  nicht  von  den  Gedichten,  sondern  vom 
Dichter   und  der  Tradition    über    ihn  ausgingt),    oder  der  Gesamt- 

1)  Angedeutet  hatte  er  den  Weg  zur  Lösung  schon  Herakles  I 
(1889)  69,  32.  Dann  hatte  Reitzenstein,  Epigr.  u.  Skol.  46  das  Richtige 
kurz  gesagt,  aber  die  einzelnen  Elegien,  die  er  analysirte.  nicht  gerade 
glücklich  beurteilt. 

2)  Als  Verrall,  Class.  Rev.  X  1896,  269  ff',  auf  Grund  einer  tollen  Be- 
handlung von  Lykurg,  in  Leoer.  104 — 107  Tyrtaios  ins  5.  Jahrh.  herab- 
rückte —  das  einzige  Verdienst  des  Aufsatzes  ist,  daß  er  wohl  Schwartz 
zu  seiner  Untersuchung  veranlaßte  — ,  hat  Macan  ebd.  XI  10  sofort  ver- 
langt, daß  eine  solche  Behauptung  durch  eine  'Studie  über  die  Echtheit 
der  Gedichte'  begründet  werden  müsse,  deren  voraussichtliches  Resultat 
er  auch  schon  richtig  dahin  angab,  daß  Jüngeres  mit  unter  den  alten 
Namen  getreten  ist.  Verrall,  ebd.  XI  185  ff.  begnügte  sich  daraufhin  mit 
allgemeinen  Redensarten  und  einer  Wiederholung  seiner  Interpretation. 
Aber  auch  Schwartz  ist  noch  methodisch  falsch  vorgegangen,  als  er  zu- 
erst die  Geschichtlichkeit  eines  grofsen  messenischen  Aufstandes  im 
7.  Jahrh.  bestritt  und  aus  den  Gedichten  zunächst  nur  den  für  die  Da- 
tierung bedeutsamen  Vers  5, 6  herausgriff.  Was  er  am  Schlüsse  über 
die  Gedichte  sagt  (S.  464  fi".),  ist  wenig  und  geht  bezeichnenderweise 
fast  ausschließlich  auf  die  tatsächlich  jungen  Stücke  10  A  und  12.  Von 
dem  wirklich  Alten  spricht  er  gar  nicht  näher.  Ein  Schritt  weiter 
hätte  die  Unmöglichkeit  der  Athetese  erwiesen.  Dabei  führt  noch  die 
zu  scharf  gezogene  Parallele  mit  Solons  politischen  Gedichten  in  die 
Irre.  Für  die  Methodik  im  Gercke-Nordenschen  Handbuch  wäre  die 
Tyrtaiosfrage  ein  sehr  instruktives  Beispiel,  schon  weil  es  sich  hier 
nicht  um  ein  äszsioov  handelt. 

Hermes  LUX.  1 


2  F.  JACOBY 

Verteidigung^)  ist  die  Erkenntnis  getreten,  daß  wir  es  mit  einem 
allmählich  gewachsenen  Buch  zu  tun  haben.  In  ihm  standen  einige 
zweifellos  altspartanische  Stücke  aus  der  Zeit  des  großen  Messenier- 
aufstandes; so  die  sog.  Eunomie,  die  keine  'Gedichtgruppe'  war,  wie 
man  immer  wieder  sagt,  sondern  ein  Einzelgedicht,  das  nicht  ein- 
mal den  Umfang  der  Solonischen  Salamiselegie  mit  ihren  100 
Stichen  erreicht  zu  haben  braucht.  Die  Gitate  Aristot.  Pol.  V  6,  2 
E>c  Tfjg  TvQxaiov  Tioiyoecog  xrjg  xalov fA,evr]g  Evvojuiag  und  Strab. 
VIII  4,10  p.  362  ev  jrii  eXeyeim,  i)v  EJiiyod(povoiv  Evvojuiav  lassen 
daran  gar  keinen  Zweifel.  Wenn  Suidas  eygaipE  Tzohreiav  Aaxeöai- 
uovloig  y.al  v7io^r]y.ag  di  eXeyeiag  sagt,  so  bedeutet  das  nicht  mehr, 
als  die  Sonderanführung  der  Salamiselegie  s.  2!6X(joV  Jtoü]jua  di' 
eXeyeicov,  o  2aXafxlg  ejiiyQdcpexaL  •  vnodr'jy.ag  di  ikeyeiag.  Ferner 
ein  Gedicht,  das  durch  den  Hinweis  auf  die  langwierige  Eroberung 
Messeniens  unter  König  Theopomp  zum  Ausharren  auch  im  gegen- 
wärtigen Kriege  mahnte  (Strab.  VI  3,  3  p.  279  nach  Ephoros ;  Paus. 
IV  15,2):  djLi(p'  t  avTVjV  d'  ijnd](ovT'  evvsay.aiSsx'  et}].  In  dieses 
gehörte  vermutlich  die  Schilderung  des  Zustandes  der  Unterworfenen 
(Paus.  IV  14,  4  =  6.  7  Bgk.),  deren  paraenetische  und  paradigmatische 
Abzweckung  nicht  zu  verkennen  ist.  Vielleicht  war  es  auch  diese 
Elegie,  in  der  der  Dichter  sich  als  'Stratege'  bezeichnet  hatte:  Strab. 
VIII  4, 10  p.  362  rjviy.a  q^ijolv  avrbg  orgar^^yrioai  xbv  tioXe/jlov  xölg 
AaxEÖaijuovioig.  Die  Verse  selbst  gibt  Strabon  leider  nicht  ^);  und  viel- 
leicht ist  das  Ganze  doch  nichts  weiter  als  ein  Schluß  aus  dem  Ihr- 
Typus  der  paraenetischen  Gedichte.  So  wird  ja  die  lakonische  Herkunft 
des  Dichters  der  Eunomie  einzig  und  allein  aus  dem  'wir'  von 
frg.  1  oloiv  äjua  jrgoXiTiovxEg  'Eqiveov  fjVEjiioEvxa  EVQElav  IlEXoTrog 
vTjoov  ä(piy.6iu£&a  erschlossen  (Strab.  a.  0.);  Verse,  die  schließlich 
der  Eingebürgerte    genau    so    schreiben  konnte,  wie    der   gebürtige 


1)  Weil,  Journal  des  Savants  1899  =  Etudes  sur  l'antiq.  Gr.  193  ff., 
der  principiell  den  ganz  richtigen  Standpunkt  hat  'on  peut  croire  enfin, 
que  de  vieux  recueils  .  .  resterent  longtemps  ouverts  et  fi'enrichirent  de  Cou- 
plets plus  recents  et  meine  d'elcgics  compVetes',  aber  praktisch  davon  keinen 
Gebrauch  macht. 

2)  Will  man  ihn  ganz  scharf  interpretiren ,  so  hat  es  auch  in  den 
Gedichten  keinen  Beleg  für  diese  Tatsache  gegeben,  sondern  nur  den 
für  die  dorische  Herkunft:  rjviy.a  cprjoiv  avioq  ozQazr^yfjoai  xov  ji6).e[iov  Aa- 
xedaii-iovLOig  •  y.ai  yuQ  elvai  (pt]oiv  iy.sTdev  xrL  Aber  ich  zweifle,  ob  die 
Stelle  solche  scharfe  Interpretation  verträgt. 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN         3 

Spartiate  ^).    War  es  mehr,   so  wird  man  sich  doch  nicht  den  Kopf 
zerbrechen    über    den  Rang,    den   der    Dichter    bekleidete'^).     Auch 


1)  Die  'berühmte'  Fragestellung  Apollodors  (Strab,  VIII  4,  10  p.  362) 
—  die  in  Wahrheit  etwas  flüchtig  ist;  denn  z.  B.  jtazsgcov  t'jfXEzsQOiv  jiazKQsg 
tut  dieselben  Dienste,  wie  die  von  ihm  citirte  Versreihe  Avzdi;  yuQ  Kqo- 
rccov  —  hat  diese  Eventualität  nicht  erwogen.  Wilamowitz  (Herakl. 
a.  0.)  hat  das  getan  und  sie  wenigstens  nicht  a  limine  abgelehnt.  Der 
'Stolz  auf  die  Herkunft  aus  der  dorischen  Tetrapolis'  fällt  minder 
schwer  ins  Gewicht,  wenn  man  aus  dem  Vergleich  mit  Mimn.  9  er- 
kennt, daß  wir  hier  die  tyi^ische  Gestaltung  eines  Gedankens  der  poli- 
tischen Elegie  vor  uns  haben.  Ich  zweifle  überhaupt,  ob  wir  das  Recht 
haben,  in  dem  Distichon  olaiv  äiia  jTQoXtJiörzFg  den  Ton  persönlichen 
Stolzes  zu  hören.  Es  dient  doch  nur  dem  Zwecke,  den  Unzufriedenen 
einzuschärfen,  daß  Zeus  nicht  ihnen,  sondern  den  Herakliden  die  Stadt 
gegeben  hat  und  daß  sie  sich  den  deozqirjzoi  ßaodfjeg,  oTai  fisXei  üxcägzi^g 
ffiEQÖeaaa  nöhg  fügen  sollen.  Die  Sjjartaner  scheinen  in  älterer  Zeit 
nicht  so  exklusiv  mit  dem  Bürgerrecht  gewesen  zu  sein  (vgl.  Nilsson, 
Klio  XII  329).  Andererseits  zwingt  auch  nichts,  die  Existenz  eines  spar- 
tanischen Dichters  zu  leugnen.  Im  Gegenteil;  manches  spricht  dafür, 
daß  der  Dichter  der  Eunomie  ein  Mann  von  autoritativer  Stellung  war. 
kein  Neubürger  (Wilamowitz,  Textgesch.  107).  Man  muß  eben  nur  an- 
nehmen, daß  er  die  Form  vom  ionischen  Rhapsoden  gelernt  hat,  eine 
Möglichkeit,  die  jetzt  nach  Wilamowitz,  Textgesch.  117  niemand  mehr 
leugnen  wird. 

2)  Ganz  unglücklich  ist  hier  Schwartz'  Argumentation  (S.  465),  aber 
auch  Wilamowitz'  Polemik,  Textgesch.  110,  verfehlt  meines  Erachteus  das 
Ziel.  Er  wirtschaftet  mit  dem  doch  ganz  nichtssagenden  ozQazrjyfjaai  Stra- 
bons  {diu  xi]v  Tvqtcu'ov  ozgaztjyiav  auch  Philochoros  Athen.  XIV  680  F),  als 
ob  das  Wort  in  den  Gedichten  gestanden  habe.  Er  behauptet,  daß  die 
Gedichte  'den  letzten  schwachen  Rest  concreten  Lebens  veilieren,  wenn 
sie  einem  Befehlshaber  niederen  Ranges  in  den  Mund  gelegt  werden'. 
Als  ob  die  eigentliche  'Paraenese  des  Feldherrn'  —  von  Ausnahmefällen 
ganz  besonderer  Art  abgesehen  —  jemals  in  poetischer  Form  gehalten 
sei!  Die  paraenetische  Elegie  kann  nie  bei  officiellen  Gelegenheiten  an 
Stelle  der  Rede  verwendet  worden  sein,  auch  nicht,  wenn  ihre  Dichter 
Könige  oder  Archonten  oder  sonstige  officielle  Persönlichkeiten  waren. 
Sie  ging  stets  neben  ihr  her  an  anderem  Orte,  vor  anderem,  weiterem 
Publikum.  Solons  Salamiselegie,  seine  Poesie  überhaupt  kann  das  lehren; 
und  die  Alten  haben  das  immer  richtig  beurteilt:  avzeijcEv  o  Zölcov  äva- 
Gtäg  xal  jioXXa  öie^fjk&ev  ö^oia  zovxoig  oig  8tä  zcöv  Jtoit]/j,dzcov  yeyQaepsr. 
Der  Dichter  der  echten  Elegien  (lOB.  11)  spricht  zu  den  vsoi  mit  der 
Autorität  des  Alters.  Mehr  geben  die  Gedichte  jetzt  nicht.  Es  scheint 
mir  ganz  zwecklos,  danach  über  die  militärische  Stellung  des  Dichters 
zu  streiten.  Aber  man  soll  daran  denken,  daß  auch  Selon  zum  Strategen 
gegen  die  Megarer  geworden  ist,  weil  er  io/uev  ig  SaXafiiva  sagte.   Dieses 

1* 


4  F.  JACOBY 

seinen  Namen  hat  er  natürlich  weder  in  dieser  noch  in  einer 
anderen  Elegie  genannt  ^).  Man  mag  den  Dichter  der  Eunomie 
imd  der  anderen  aus  der  Zeit  des  Messenierkrieges  stammenden 
Stücke  Tyrtaios  nennen,  wenn  man  sich  bewußt  bleibt,  daß  es  eine 
bequeme  Bezeichnung  ist  und  daß  der  Name  gerade  für  diese  Ge- 
dichte keine  Gewähr  hat,  falls  ihr  Verfasser  ein  gebürtiger  Dorier 
gewesen  sein  muß  2). 


paraenetische  'wir'  mag  sich  auch  in  den  Elegien  des  Tyrtaios  gefunden 
haben ;  spricht  er  doch  fr.  5  von  'unseren  Großvätern'.  Das  konnte  dazu 
führen,  in  ihm  den  axQatrjyög  zu  sehen  (vgl.  S.  13  A.  1).  Schließlich 
kann  Deutlicheres  sogar  in  einem  Gedicht  gestanden  haben,  das  gerade 
nicht  dem  alten  Lakonen  gehörte.  "Wie  sich  Apollodor  (oder  schon 
Kallisthenes)  die  Stellung  'neben  den  Königen'  dachte,  wissen  wir  nicht. 
Aber  eine  Analogie  gibt  die  Geschichte  von  Tisamenos,  dem  die  Pythia 
sagt,  'er  werde  fünf  große  Siege  gewinnen',  und  den  die  Spartaner  ä/xd 
'Hga/iXetÖEcov  roToi  ßaai/.evoi  tjyeiiöva  rcbv  :n.o).hioiv  machen  wollen  (Herod. 
IX  33,  2 — 3).  Mit  ihnen  ovyy.aTaiQESL  die  fünf  Siege.  Er  selbst  hat  ge- 
wiß von  'seinen'  Siegen  gesprochen. 

1)  Die  Zuversicht,  mit  der  Wilamowitz,  Textgesch.  109f,  erklärt: 
'man  kaim  nach  der  Art  der  atten  Elegie  nicht  anders  annehmen,  als 
daß  Tyrtaios  sich  genannt  hatte,  wie  Solon  und  Phokylides',  erscheint 
mir  unberechtigt.  Das  Gegenteil  ließe  sich  leichter  behaupten.  Pho- 
kylides und  die  didaktisch-gnomische  Poesie  überhaupt,  die  auf  Hesiod 
auch  in  der  Namennennung  zurückweist,  ist  nicht  vergleichbar.  In  der 
Elegie  finden  wir  den  Namen  des  Dichters "  sowenig  genannt  wie  den 
des  Redners  in  der  Prosarede.  Ainog  y.rjqv'^  7}).dov  sagt  Solon  (1,  1)  und 
rai'Tu  öidd^m  dvfiog  'A&rjvaiov;  fie  xsXsvsi  (4,  3).  Wer  der  avtög  war. 
wußte  jeder  Athener.  Wohl  nennt  er  sich  oder  läßt  sich  nennen  m 
den  Trochäen  an  Phokos  ovx  e(pv  2ö?.cov  ßa&i-cpgcov  (33,  1).  Aber  das 
ist  eben  auch  ein  Beweis,  daß  zwischen  lambos  und  Elegie  ein  Unter- 
schied im  Ton  wie  in  der  Sprache  besteht.  Selbst  in  den  dürftigen 
Resten  der  elegischen  Poesie  des  Archilochos  ist  das  deutlich.  Bei  Solon 
ist  der  Unterschied  sogar  stärker  und  offenbar  mit  Bewußtsein  inne- 
gehalten. 

2)  Reitzenstein  erklärte  es  für  selbstverständlich,  daß 'der  Tyrtaios, 
aus  der  Fremde  eingewandert  sei.  Vielleicht  nicht  nur  'der  Tyrtaios" 
sondern  ganz  einfach  'Tyrtaios'.  Nicht  weil  Suidas  ihn  Ady.cov  i)  Mdrj- 
acog  nennt,  so  vertrauenerweckend  das  klingt,  zumal  der  AdrjvaTog  fehlt. 
Aber  wir  kennen  die  Quelle  nicht:  und  auf  die  Kameenliste  wird  man 
nicht  raten.  Aber  der  Name,  der,  wie  Wilamowitz  sagte,  'nicht  attisch 
klingt',  klingt  noch  weniger  lakonisch.  Er  selbst  erinnert  an  Tvgxaiiog. 
Der  Musiker  Tyrtaios  von  Mantinea  aus  dem  4.  Jahrhundert  kann  un- 
möglich auch  nur  für  peloponnesische  Herkunft  des  Namens  beweisen: 
er   beweist    ganz   allein   für  die   Tyrtaiosmode    seiner   Zeit,    die    wir  ja 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKEKN  5 

Wann  und  wie  diese  altspartanischen  Gediclile  über  ihren  Enl- 
stehungsort  hinaus  verbreitet  worden  sind,  lasse  ich  dahingestellt.  Die 
evidente  Nachahmung  eines  alten  Stückes  in  den  Theognidea  (881 
o5  fr.  5,  1  Bgk.)  hilft  da  nicht  weiter.  Für  die  Annahme,  daß 
Solon  sie  gekannt  hat,  wie  er  die  Elegien  des  Mimnermos  und 
die  ionische  Poesie  s.  VII  überhaupt  kannte,  ist  die  Übereinstim- 
mung in  einer  Floskel  (Tyrt.  11,  10  cö  vtoi,  uju(poTeQü)v  eg  hoqov 
tjkdoere  oa  Solon  'Ad.  tt.  5,3  o'i  nolkan'  äyadxhv  ig  xoqov  rj?Ao£Te) 
doch  eine  etwas  unsichere  Grundlage;  und  für  seine  politischen 
Dichtungen,  die  man  nicht  EvvojLiia  überschreiben  sollte,  hat  er  die 
Anregungen  doch  wohl  eher  aus  lonien  bezogen.  Daß  wir  — 
wenigstens  in  den  elegischen  Resten  —  nichts  unmittelbar  Ver- 
gleichbares besitzen,  ist  bei  dem  fast  vollständigen  Verlust  der 
iilteren  ionischen  Elegie  kein  ausschlaggebender  Grund.  In  Archi- 
lochos'  lamben  und  Epoden  finden  sich  Analogien  genug;  und  wer 
die  typologische  Übereinstimmung  des  sicheren  Fragments  der  Tyr- 
taiischen  Eunomie  (1  Bgk.  Amög  ydg  Kqoviojv)  mit  Mimnerm.  9  Bgk. 
'Ejiei  TS  IIv?Mi'  beachtet,  wird  geneigt  sein,  die  Prototypa  nicht  nur 
der  kriegerischen,  sondern  auch  der  politischen  Paraenese  in  lonien 
zu  suchen,  wo  die  Entwicklung  beider  el'dr]  aus  den  Reden  des 
homerischen  Epos  mit  Händen  zu  greifen  ist;  womit  nicht  gesagt 
sein  soll,  daß  nicht  daneben  noch  eine  andere  nicht  literarische 
Anregung  wirksam  gewesen  ist,  der  enthusiastische  Aufruf  zum 
Kampfe.  Auch  die  Feldherrnreden  des  Epos  entsprechen  ja  leben- 
digem Brauche.  Doch  das  gehört  nicht  hierher.  In  der  Text- 
geschichte der  Tyrtaioselegien  berührt  jedenfalls  eine  Tatsache  sehr 
auffällig  und  erklärt  die  wiederholten  Versuche  der  Athetese;  daß 
nämlich  die  Gedichte  in  Sparta  selbst  ganz  vergessen  worden  sind. 


kennen.  Die,  soweit  sie  alt  sind  und  von  Menschen,  nicht  Heroen  ge- 
tragen werden,  ganz  seltenen  Namen  auf  -cuog  fehlen  in  Sparta  über- 
haupt, Dagegen  haben  wir  in  Lesbos  einerseits  Tigraiiog,  andererseits 
W.y.oLog;  beides  vornehme  Namen.  In  Milet  'lonaTog.  Alle  verständ- 
lich bis  auf  TvQzaTog  und  TvQzafwg.  Diese  machen  den  Eindruck  von 
Kurznamen.  Aber  die  Wurzel  klingt  ungriechisch  (s.  den  Nachtrag 
S.  43 f.).  Also  wird  die  lakonische  Kriegspoesie,  mindestens  die  Elegie, 
unter  den  Namen  des  eingewanderten  Berufssä,ngers  getreten  sein. 
Suidas  nennt  auch  einen  Vatersnamen  'Ag/efißgorog,  über  den  wir  natür- 
lich ebensowenig  urteilen  können.  Die  Frage  steht  in  mancher  Be- 
ziehung ähnlich  wie  bei  Alkman.  Sehr  möglich,  dafs  hier  Sosibios  vor- 
liegt, der  die  athenische  Herkunft  nicht  anerkannt  haben  wird. 


6  F.  JACOBY 

Zwar  setzt  Piaton  Leg.  I  629  B  voraus,  daß  sein  Spartaner  diaxo- 
Qr)g  avxcöv  eotiv,  und  Philochoros  (Athen.  XIV  630  F)  weiß  von 
einer  spartanischen  Kriegssitte,  äv  öeiTcvojionjocovrai  xal  naiav'i- 
ocooiv,  äideiv  xad^'  eva  (rd)  TvQxaiov '  xQiveiv  de  xöv  JioMjuaQ/or 
xal  äiV.ov  öidovai  rcöi  vixcövu  xgeag.  Der  Redner  Lykurg  (in  Leoer. 
107)  kennt  ein  Gesetz,  özav  ev  joig  önXoig  E^eor^aTSvjueroi  cbo(, 
xaXeTv  em  rijv  rov  ßaoiXewg  oy.i]vi]v  dxovoofiEvovg  rcov  Tvgraiov 
7ioct]fidTcov  äjimnag.  Endhch  berichtet  eine  vereinzelte  Notiz  — 
nicht  Aristoxenos  ^)  —  bei  Athen,  a.  0.  davon,  daß  avrol  ol  Ad- 
xcoveg  er  xoTg  noXsfxoig  xd  TvQxaiov  7iou)iiiaxa  djiopvijjLiovsvov- 
xeg   EQQV&fxov    xivrjoir   Tioiovvxai.     Aber   die  Zeugen    sind    durch - 

1)  Quellenmäßig  liegt  die  Sache  so:  in  eine  Abhandlung  über  die 
.ivQQiyj]  (6oOE.  631  AB),  an  deren  Anfang  Aristoxenos  für  die  lakonische 
Herkunft  citirt  wird  und  die  ihm  ganz  gehören  wird,  sind  Notizen  ein- 
geschoben über  kriegerische  Poesie  der  Lakonen  (630  F):  :ioIei.uxoi  ö' 
dolv  Ol  Aüxcovsg  knüpft  das  an  die  dgpjaig  nolsiux})  und  beweist  zugleich, 
daß  die  zweite  Notiz  ^ü.öyoQog  8s  (pi]oiv  agarijoaviag  Äay.EÖaiiiovlovg  Mso- 
orjviojv  8ia  ri]v  TvQxaiov  azQaztjyiav  iv  raTg  argaTeiaig  sdog  aou)oaoßai  xr).. 
(s.  o.)  sich  wirklich  nur  auf  einen  Kriegsbrauch  bezieht  (gegen  Reitzen- 
stein  a.  0.  45, 1).  Ob  der  Brauch  auch  sonst  galt,  können  wir  aus  dieser 
Stelle  nicht  entnehmen,  wissen  es  auch  sonst  nicht.  Das  anonyme  Stück 
aber,  das  zwischen  den  Citaten  aus  Aristoxenos  und  Philochoros  steht 
und  das  Tyrtaios  nennt  (an  die  Nennung  dieses  Namens  hängt  sich  das 
Philochoroscitat)  —  7coAe[.uxoi  <5'  etolv  ol  Aäxmvsg,  wv  xal  oi  viol  zä  I,«- 
ßazi'jQia  f^ieh]  ava/.afj,ßävovoiv,  ujisq  xal  ivojzha  xaXsTzai.  xal  avzol  ol  Ääxoi- 
vsg  xzl.  (s.o.)  — ,  ist  deutlich  aus  zwei  Angaben  verschiedener  Herkunft 
zusammengeschoben,  wodurch  der  Gegensatz  zwischen  den  Ädy.mvEg  und 
ihren  vlol  entstanden  ist.  Daß  dieser  Gegensatz  so  Unsinn  ist,  bedarf 
keines  Beweises.  Die  iußaz/jQia  gehören  nicht  den  Knaben,  sondern  vor 
allem  den  Kriegern.  In  diesem  Zusammenhang  muß  man  zu  Tvgzaior 
auf  die  Elegien  beziehen,  wie  es  Wilamowitz,  Textgesch.  96  tut,  der 
das  alles  fälschlich  als  Aristoxenisch  gibt.  Sachlich  wird  Reitzenstein 
recht  haben,  der  es  auf  die  ifißazrjgia  bezieht.  Zum  Marsch  gehört  der 
Marschvers,  nicht  der  Hinkvers.  Der  Autor  der  Notiz  hat  also  auch  die 
ffißazrjQia  für  Tyrtaiisch  gehalten.  Diese  Ansicht  war  verbreitet.  Die 
iiih]  cio'/.eiuazrjoia  stehen  bei  Suidas  in  der  Bücherliste  des  Tyrtaios;  und 
bei  Pausan.  IV  15,6  heißt  es,  daß  Tyrtaios  xal  zä  ileyEia  xal  zä  s'-ii/ 
acpiai  zä  dvdjiatoza  i)i8ev  (Wilamowitz  96  hat  die  Stellen  übersehen).  Wo 
sie  für  anonym  gelten,  wie  bei  Plut.  Lyk.  21,  erhöht  das  ihr  Alter.  Daß 
die  gesamte  lakonische  Kriegspoesie  unter  einen  Namen  trat  oder  ge- 
stellt wurde,  ist  doch  nicht  w^eiter  wunderbar.  Wir  kennen  weder  die 
Vertreter  der  Zuweisung  an  Tyrtaios,  noch  die  der  Hinaufschiebung  in 
Lykurgische  oder  vor -Lykurgische  Zeit.  Die  erstere  Auffassung  mag 
jünger  sein;  hellenistisch  sind  beide. 


zu  DEN  Äl.TEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  7 

weg  Athener,  die  alle  auch  die  atlische  Herkunft  des  Dichters  an- 
nehmen. Keine  der  Angaben  ist  älter  als  die  60  er  Jahre  des 
4.  Jahrhunderts.  Ihnen  gegenüber  steht  Xenophon,  der  von  ach^xal 
beim  Heere  erzählt  und  überhaupt  eine  teilweise  sehr  ins  einzelne 
gehende  Beschreibung  gibt  über  die  kriegerischen  Einrichtungen 
und  wie  es  beim  Auszuge  des  spartanischen  Heerbannes  zugehl 
{Aax.  noX.  \l  —  \^).  Er  weiß  von  keinem  jener  Bräuche^),  was 
man  doch  nicht  damit  erklären  wird,  dafs  er  nur  'Lykurgische'  Be- 
stimmungen anführt,  die  freilich  von  Kriegsliedern  des  Tyrtaios 
noch  nichts  wußten.  Auch  Herodot  hat  in  Sparta  nichts  von 
einem  spartanischen  Dichter  Tyrtaios  gehört.  Seine  Gewährs- 
männer haben  ihm  gegenüber  sogar  ausdrücklich  abgeleugnet,  daß 
die  Lykurgische  Verfassung  vom  delphischen  Gott  gegeben  oder 
bestätigt  sei:  etwas  anderes  bedeutet  es  ja  nicht,  wenn  er  auf  ein 
delphisches  Lykurgorakel  die  Worte  folgen  läßt :  ol  /ikv  d/j  xivec; 
JiQog  TOVxoioL  Xeyovoi  xai  (pQdoat  avTCOi  rrji'  UvOirjv  zöv  vvv 
xad^eoreana  xoo/uov  SjiaQTUjrrjLOi "  (hg  (5'  avrol  AaKedaißOvioi 
Xeyovoi,  Avxovgyov  .  .  ex  Kq/jti]?  äyayeo&ai  xavTa.  Und  doch 
standen  in  der  Eunomie  —  nicht  nur  in  der  tendenziösen  Umfor- 
mung des  Gedichtes,  die  Ephoros  anführt  (Diod.  VII  12,  6),  sondern 
auch  in  der  zugrunde  liegenden  echten  Fassung,  die  Aristoteles 
hat  (Plut.  Lyk.  6)  2)   —   die  Verse   0oißov  äxovoarxeg  Ilvßoovodev 

1)  Bei  Thukyd.  V  70  gehen  die  Lakedaimoniev  zum  Angriff  vor 
ßgadscog  xal  vjto  avXijiöiv  vö/liwv  iyxadsazdiTcov  .  .  .  Tra  6/j,a?MS  fZEiä  Qvdfiov 
jigosldoiEV  >cal  /ui/  öiaojiaa&eit]  avioTg  rj  rü^ig.  Die  Felclmusik  der  avXol 
{avXol  i/ißar>'/otoi  Pollux  IV  82)  wird  oft  ervfähnt.  Aber  Tyrtaios  (!)  heißt 
auch  Erfinder  der  tuba  (Porph.  Horat.  Ars  4()3),  was  keine  Corruptel  ist,  da 
auch  Die  Chrys.  II  29  vom  Jtgog  oälniyya  mdsod^ai  spricht.  Von  Liedern 
beim  Marsch  oder  Angrilf  sagt  Thukydides  nichts.  Die  Worte  V  69,  2 
—  vor  der  Schlacht,  während  bei  den  Gegnern  die  Feldherrn  zu  ihren 
Soldaten  reden  —  ^iaxedaifwvtoi  8s  xad^'  exäoTOvg  xai  fxszä  rcöv  nols/iuxwr 
vö/ioiv  y.zX.  deuten  die  Schollen  auf  rä  cuof-iaia  amq  i]ibov  ol  ÄuxeSaif^ö- 
vioi  /ns/dovTsg  ßä'/Eoßai '  yv  ät-  jTooTQEJiTixä,  ixäXovv  8s  if(ßaii]oia.  Ich  be- 
zweifle die  Richtigkeit  der  Deutung.  Die  Lakedaimonier  brauchen  keine 
Paraenese  {?Mycüv  öi'  oXiyov  xalwg  Qt]{)sTaav  jingaivsaiv)  wie  ihre  Gegner. 
weil  sie  die  sgycov  ix  jioXXov  fisXJrt]  haben.  Das  schließt  auch  aus,  daß 
etwa  die  Verlesung  von  Texten  gemeint  ist,  von  der  Lykurg  erzählt. 
Die  vö/:ioi  sind  nicht  Lieder,  sondern  Bräuche,  die  bekannten  Vorberei- 
tungen in  Kleidung  und  Frisur,  bei  deren  Vornahme  sie  sich  gegen- 
seitig von  ihren  tüchtigen  Leistungen  erzählen. 

2)  Das  Verhältnis  scheint  mir  noch  klarer,  seitdem  Schwartz 
RE  V  678  in  der  Ephorischen  Fassung  das  dritte  Distichon  jiQEaßvyEVEig 


8  F.  JACOBY 

ol'y.aö'  h'Eiy.av  ^uarrtiag  xe  deov  y.al  te/Jevt'  etieu.  Mir  scheint 
das  für  das  Wissen  von  Tyrtaios  im  Sparta  des  5.  und  des  begin- 
nenden 4.  Jahrhunderts  entscheidend,  weil  es  sich  hier  um  eine 
spartanische  Quelle  und  bei  Xenophon  um  einen  —  man  kann 
wohl  sagen  spartanischen  Autor  handelt.  Dagegen  lege  ich  gar 
keinen  Wert  auf  die  in  dieser  Frage  vielfach  angeführte  Geschichte 
von  dem  lamiden  Tisamenos  und  seinem  Bruder  (Herod.  IX  33  ff.), 
die  jiiovvoi  di]  Tidvicov  äv&oojTion'  Eyerovro  2^7iaQrii]ri]ioi  nohrjrai. 
Sie  stammt  nicht  aus  spartanischer,  sondern  aus  eleischer  Tradi- 
tion und  beweist,  wenn  überhaupt  etwas,  nur.  daß  Herodot  nichts 
von  der  Herleitung  des  Tyrtaios  aus  Athen  wufste.  Ich  würde 
daraus  nicht  einmal  schließen,  daß  diese  Herleitung  zu  seiner  Zeit 
noch  nicht  existirte.  Ich  lasse  es  wieder  dahingestellt,  welcher 
äußere  Anlaß  die  kurze  Tyrtaiosmode  der  Platonisch -Aristotehschen 
Zeit  hervorrieft);    sicher  scheint  mir  aber,    daß,  wenn  jene  atheni- 

lU  ysoorrag  als  Interpolation  aus  der  Aristotelischen  ausgeschieden  hat. 
In  dieser  sind  die  zwei  entscheidenden  Disticha  sicher  authentisch  und 
alt  —  das  zeigt  der  lakonische  Akkusativ  drjixöziig  und  das  Parti cipium 
an  Stelle  eines  Verbum  finitum  {avzanaueißousvovg  vgl.  Od,  6  231.  Archiloch. 
1,  2.  Solen  13,  52;  denn  das  Distichon  nimmt  sein  Verbum  nicht  mehr 
aus  dem  Vorhergehenden ,  sondern  beginnt  den  Teil,  der  das  ■/oi'ji.iaxa 
HzrjGeo&ai  ganz  aus  den  Augen  verliert).  Aber  auch  das  einleitende  Di- 
stichon kann  man  nur  bezvreifeln,  wenn  man  von  Herod.  I  65  einen  Ge- 
brauch macht,  zu  dem  ich  mich  nicht  entschließen  kann.  Gegenüber 
dem  einleitenden  Distichon  der  Diodorischen  Fassung  mit  den  vier  Epi- 
theta für  Apollon  beweist  das  einfache  ^'oi'ßov  dnovoavtEg  das  Alter. 
Auch  i'veiy.av,  zu  dem  wir  das  Subjekt  nicht  ergänzen  können  (ich 
glaube,  es  waren  die  Könige),  spricht  für  den  Zusammenhang,  den  die 
Verse  in  der  Eunomie  gehabt  haben  müssen. 

1)  Die  Frage  nach  der  Echtheit  der  Schrift  des  Königs  Pausania.s 
über  die  Lykurgische  Gesetzgebung  (E.  Meyer,  Forschungen  I  215  ff'. 
E.  Schwartz,  Index  lect.  Rostoch.  1893)  lasse  ich  beiseite.  Sollte  sie 
wirklich  um  400  geschrieben  sein  und  dem  Ephoros  seine  Fassung  der 
Eunomieverse  geliefert  haben,  was  beides  nicht  unwahrscheinlich  ist,  so 
beweist  sie  doch  nichts  für  ein  Leben  des  Tyrtaios  in  Sparta.  Denn 
Pausanias  schrieb  sie  in  der  Verbannung,  oder  vielmehr,  er  ließ  sie  von 
einem  Journalisten  schreiben.  Spuren  elegischer  und  selbst  von  Sko- 
lienpoesie  in  Sparta  (Wilamowitz,  Textgesch.  118,  1)  sind  so  gering,  daß 
man  sie  als  Null  bezeichnen  kann.  Ganz  weniges  in  den  Theognidea 
hat  lakonischen  Inhalt;  und  man  darf  zweifeln,  ob  dieses  wenige  wirk- 
lich in  Sparta  entstanden  ist.  Wenn  'der  Chier  Ion  noch  im  5.  Jahr- 
hundert für  Archidamos  dichtet',  so  beweist  das  eher,  daß  es  in  Sparta 
selbst  keine  Dichter  gab.     Auch  Lysander  beschäftigt  lonier.     Was  die 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  <> 

sehen  Angaben  richtig  sind  (und  ganz  können  sie  der  tatsächhchen 
Grundlage  doch  nicht  entbehren),  wenn  es,  wie  Reitzenstein  das 
ausdrückt,  „für  die  'Skohen"  der  Spartialen  ein  officielles  Text- 
buch gab,  welchem  in  historischer  Zeit  die  einzelnen  Lieder  ent- 
nommen werden  mußten,  ra  Tugraiov",  dieses  Textbuch  oder 
richtiger  seine  Einführung  in  Sparta  nicht  älter  sein  kann,  als   das 

4.  Jahrhundert.  Auch  hier  hat  Schwartz  das  Faktum  richtig  er- 
kannt: das  Sparta,  'das  die  Gedichte  des  Tyrtaios  zur  officiellen 
Erziehungsliteratur  bestimmte \  war  das  bei  Leuktra  geschlagene. 
Wir  werden  aber  deshalb  nicht  mit  ihm  zur  Athetese  schreiten, 
sondern  die  Tatsache,  daß  Sparta  seinen  eigenen  Dichter  aus  dem 
Auslande  zurückempfangen  mußte,  als  einen  Beweis  mehr  für  die 
allmähliche    geistige    Erstarrung   dieses  Staates  betrachten,    die    im 

5.  Jahrhundert  vollständig  geworden  war.  Vielleicht  konnte  sich 
auch  die  Legende  von  der  athenischen  Herkunft  des  Tyrtaios,  die 
in  den  Gedichten  gar  keinen  Anhalt  hat,  deshalb  so  leicht  bilden 
und  so  vollständig  durchsetzen,  weil  kein  Gegenanspruch  vorhanden 
war.  Die  Legende  setzt  voraus,  daß  man  in  Athen  ein  Buch  des 
Tyrtaios  besaß.  Hier  wird  es  in  den  lakonenfreundlichen  Kreisen 
im  Gebrauch  gewesen   sein  ^).     Über  diese  hinaus  hat  es  allgemei- 


äußeren  Zeugnisse  lehren,  wird  bestätigt  durch  den  Text.  Es  fehlt,  wie 
Wilamowitz  selbst  feststellt,  jede  Spur  eines  lakonischen  Tyrtaios.  Das 
wäre,  da  es  in  frühhellenistischer  Zeit  spartanische  Grammatiker  gab, 
unbegreiflich,  wenn  ein  Text,  der  von  unserem  wesentlich  verschieden 
war,  existirt  hätte.  Ich  bezweifle  also,  daß  'im  4.  Jahi-hundert  ein  La- 
kone  und  ein  Athener  ihren  Tyrtaios'  überhaupt  vergleichen  konnten. 
So  natürlich  die  Annahme  ist,  daß  die  Gedichte  des  SjDartaners  Tyrtaios 
'ebendort  in  Ansehen  und  praktischem  Gebrauch  blieben',  sie  ist  doch 
falsch.  Was  übrigens  die  Sprache  des  echten  Tyrtaios  angeht,  so  kann 
man  doch  kaum  bezweifeln,  daß  es  im  wesentlichen  die  der  ionischen 
Elegie  des  7.  Jahrhunderts  war,  vermutlich  mit  einigen  metrisch  oder 
aus  anderen  Gründen  bequemen  Dorismen.  Sie  mußte  in  Sparta  so  gut 
verstanden  werden,  wie  das  homerische  Epos. 

1)  Eine  Lösung  der  Frage,  wie  man  dazu  kam.  den  Verfasser  des 
Elegienbuches  zum  Athener  zu  machen,  ist  mit  voller  Sicherheit  nicht 
zu  geben,  aber  das  oben  Ausgeführte  (s.  besonders  die  vorige  Anmerkung) 
spricht  doch  dafür,  die  Diskussion  ganz  nach  Athen  zu  verweisen  und 
sie  nicht  zwischen  Sparta  und  Athen,  sondern  zwischen  Lakonenfreunden 
und  -gegnern  ausgefochten  sein  zu  lassen.  Maßgebend  waren  dann  auch 
nicht  literarische  Erwägungen,  die  viel  eher  auf  den  Gegensatz  Milet- 
Sparta  geführt  hätten,  da  das  Buch  doch  nichts  specifisch  Athenisches 
hatte,  sondern  politische.     Ursprünglich  galt  das  Buch,  in  dem  die  Eu- 


10  F.  JACOB Y 

neres  Interesse  erregt  nur  im  4.  Jahrhundert;  und  das  wohl  erst, 
als  es  in  Sparta  selbst  wieder  aufgenommen  war,  Piatons  Kennt- 
nis ist  vielleicht  älter  (ich  persönlich  glaube  auch  das  nicht) :  aber  erst 

nomie  und  das  Messeniergedicht  standen,  gewiß  als  ein  spartanisclies  und 
wird  gerade  als  solches  in  bestimmten  Kreisen  geschätzt  worden  sein. 
Machte  man  den  Dichter  zum  Athener,  so  hatte  das  von  vornherein  eine 
Sparta  abträgliche  Tendenz.  Die  Erfindung  war  leicht,  einmal  weil  man 
keine  spartanischen  Dichter  kannte,  wohl  aber  viele  ausländische  Dichter 
und  Propheten,  die  z.T.  sogar  in  Sparta  eingebürgert  waren,  wie  Ter- 
pander,  Alkman,  Thaletas  und  im  5.  Jahrhundert  den  aufsehenerregenden 
Fall  des  Tisamenos.  Sodann  weil  spartanische  Hilfsgesuche  in  Athen  von 
der  Heraklidenzeit  bis  in  die  Gegenwart  einen  rn.^og  athenischen  Selbst- 
lobes bildeten.  Wann  die  Erfindung  gemacht  ist  und  welches  ihr  un- 
mittelbarer Anlaß  war,  ist  schwerer  zu  entscheiden.  In  Kimonische  Zeit 
würde  ich  sie  ungern  rücken,  weil  Tyrtaios  erst  in  Platonischer  in  wei- 
teren Kreisen  interessirt  hat.  Die  Tyrtaiosmode  geht  so  schnell  vorüber. 
<laß  ich  fast  glauben  möchte,  erst  das  Hilfsgesuch  Spartas  im  J.  369. 
bei  dem  die  spartanischen  Gesandten  selbst  die  älteren  von  Athen  ihrer 
Heimat  gewährten  Wohltaten  aufzählten,  habe  die  ganze  Frage  ange- 
regt. Kallisthenes,  der  dieses  Hilfsgesuch  Spartas  in  den  'Elhjvixa  ent- 
sprechend seiner  ganzen  antispartanischen  Tendenz  behandelt  haben 
wird  (Comment.  in  Aristot.  Gr,  XX  189,13),  war  der  älteste  Zeuge,  den 
Apollodor  für  den  'Athener  Tyrtaios'  nannte.  Der  Erfinder  war  er  ge- 
Aviß  nicht ;  a'ier  Piatons  Compromiß  (Leg.  I  629  A)  könnte  sehr  wohl 
auf  ihn  Rücksicht  nehmen.  Gehört  die  Erfindung  nicht  erst  in  das  Jahr 
369,  sondern  'schon  in  die  Sophistenzeit'  —  eine  etwas  vage  Zeitbestim- 
mung — ,  so  bleibt  allerdings  die  Kimonische  Expedition  als  Anlaß  wahr- 
scheinlich.    Daß  man  sie  nicht  vergaß,  lehrt  ja  Aristoph.  Lys.  1137  ff. 

eu    w  Adxcoveg,  irgog  yciQ  vuäg  xoixpoiiat, 

ovx  i'o&\   OT    i?.&6jv  ösL'QO  IJsQiHXeidag  Jiore 

6  Aäncov  'Ad)jvaiojv  ixsztjg  Hads^sio  .  .   . 

axQaxiäv  :^QoaaiTcör ;  »;  de  Msaaijvr]  tote 

vfiTv  ijiexeiro,  yd)  deog  asicov  äfia. 

i?<.ß6)v  8s  oi'v  oTtXizaioi  TETgaxioyih'oig 

KifHov  oh]v  eocoae  ttjv  Aay.edai^iiova. 
Aus  der  Rede  Kimons,  mit  der  er  die  Hilfeleistung  empfahl,  ist  durch 
Ion  das  Wort  gut  bezeugt,  f^ijts  rijv  'EXXäda  x^Xijv  firjzs  rijv  siöXiv  szsqö- 
^vya  jiEQiidsiv  yeysv7]fiiin]r  (Flut.  Kim.  16).  Sollte  damit  die  'Lahmheit' 
■des  Tyrtaios  zusammenhängen?  Wenn  es  sich  um  eine  antispartanische 
Erfindung  handelt,  so  wird  auch  die  Ausmalung  entsprechend  gewesen 
sein.  An  Parallelen  für  solche  höhnischen  Sendungen  unbrauchbarer 
Subjekte  fehlt  es  nicht.  Sie  konnten  neben  Orakeln  von  der  Art  des 
den  Herakliden  gegebenen  {/jysfwri  ygt'joaoßai  zcöi  zgio(pdd)./icoi)  wohl  An- 
laß zur  Ausmalung  geben.  Schwartz  466,  1  spricht  zwar  von  'echter 
Überlieferung'  im  Gegensatz  zu  dem  'schlechten  Witz  von  dem  lahmen 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  H 

nach  der  Wiederaufnahme  in  Sparta  hegt  die  Anspielung  im  'Archi- 
damos'  des  Isokrates  und  die  historische  Verwertung  durch  KaUi- 
sthenes,  von  dem  Aristoteles  wie  Ephoros  abhängen.  Auch  Lykurg 
zeugt  für  das  momentan  gesteigerte  Interesse.  Später  sind  die 
Spuren  seines  Lebens  wieder  so  gering,  wie  sie  es  früher  waren. 
Der  Gegensatz  zu  Solon  oder  Mimnermos  ist  deutlich. 

Dies  Buch  nun,  das  im  4.  Jahrhundert  vielleicht  gerade  von  Athen 
nach  Sparta  zurückgewandert  ist,  sah  recht  wesentlich  anders  aus, 
als  was  einst,  sei  es  durch  Rhapsoden,  sei  es  sonstwie,  von  Sparta 
ausgegangen  war.  Die  'alten  Stücke  waren  teils  nachweislich  mit 
starken  hiterpolationen  durchsetzt,  teilweise  wohl  auch  so  über- 
arbeitet, daß  der  alte  Stock  nur  noch  in  einzelnen  Versgruppen 
erhalten  war;  und  neben  den  alten  standen  jüngere,  nicht  mehr 
spartanische  Stücke.  Das  läßt  sich  alles  auf  Grund  der  von  den 
Historikern  erhaltenen  Fragmente  und  der  drei  oder  vielmehr  vier 
größeren  Gedichte,  die  wir  besitzen,  mit  voller  Sicherheit  nach- 
weisen; und  Wilamowitz  hat  es  bewiesen,  wenn  auch  ohne  großen 
Beifall  zu  finden.  Die  Bursianschen  'Jahresberichte  über  die  Fort- 
schritte der  klassischen  Altertumswissenschaft'  (GXXX  1907,  123) 
sind  ihrer  Tradition  getreu  geblieben,  die  darin  besteht,  alle  wirk- 
lichen Fortschritte  möglichst  energisch  abzuleugnen.  Und  in  Über- 
einstimmung damit  gellen  die  großen  Stücke  10  — 12  Bgk.  sowohl 
der  neuesten  Auflage  von  Christ-Schmid  (Gesch.  d.  gr.  Lit.^  I  1912, 
171)  wie  der  Ausgabe  von  Monti  (Tirteo,  Turin  1910),  "^von  ein- 
zelnen Interpolationen  abgesehen,  als  echt'.  Nur  Crusius  RE  V  2269 
stimmt  wenigstens  im  Princip  Wilamowitz'  Ergebnissen  zu;  aber  was 


Scliulmeister".  Der  Schulmeister,  der  nicht  nur  lahm,  sondern  auch 
töricht  ist  {voin-  7Jy,ioza  e'/jir  Soy.iov),  steht  freilich  erst  bei  Pausanias 
(IV  15,  6.  Suid.  gl.  2);  er  hat  den  'lahmen  Dichter'  der  älteren  Überlie- 
ferung (lustin.  HI  5,  5;  vgl.  Porph.  Horat.  Ars  403)  verdrängt.  Aber  das 
vovv  tjy.ioia  k'ysir  doy.dn-  ist  weit  älter:  Herakleides  Pontikos  (Diog.  Laert. 
II  43)  schalt  die  Athener,  weil  sie  "0[xi]qov  jierr7]y.ovTa  ÖQa/jtaig  cog  f.iai- 
vofiEvov  s!^r}iA,i(x)oav  xal  TvQTaiov  Jtagaxöjizsiv  tlejov  xzl.  Davon  steht  auch 
nichts  in  der  'echten  Überlieferung'.  Offenbar  gab  es  eben  mehr.  Wenn 
die  Lakonengegner  spöttisch  von  dem  "^  verrückten  nnd  verkrüppelten 
Dichter'  erzählten,  der  den  Spartanez'n  ihren  Krieg  hätte  gewinnen 
müssen,  so  wendeten  das  andere  gegen  die  Athener,  deren  Urteilslosig- 
keit wahres  Verdienst  öfters  verkannt  habe.  Was  Kallisthenes,  Epho- 
ros, Philochoros  Näheres  von  dem  'athenischen  Dichter'  erzählten,  der 
den  Spartanern  als  ^ys/uhr  {atgairiyog)  s86&7],  wissen  wir  gar  nicht. 


12  F.  JACOBY 

er  über  die  einzelnen  Gedichte  sagt,  ist  wenig  klar  ^).  Es  gilt  eben 
nicht  nur  für  Italien,  was  Pistelli  in  seiner  gutgemeinten,  aber 
dürftigen  Epikritik  *^De  recentiorum  studiis  in  Tyrtaeum  collatis" 
(Studi  it.  di  fil.  class.  IX  1901  S.  435 ff),  die  zu  Unrecht  überall 
citirt  wird  ^),  prophezeite:  'quamvis  non  sit  duhium,  quin  tradita 
potins  quam  nuper  inventa  Ifalis  praesertim ,  quod  pJerumque 
fit,  plncitura  sint\  Ich  beabsichtige  nun  nicht,  Wilamowitzens 
Beweis  zu  wiederholen  —  wozu  sich  mit  einer  Auffassung  auf- 
halten, die  in  vji'  äomdog  tiküoosiv  eine  'Erklärung'  für  Toiot 
.-lavojikotoi  7Th]oiov  lordjiiEroi  findet  (11,  35  —  38)  oder  die  Disti- 
chen 10,  17-18;  11,  15-18;  11,  29-30  u.  a.  mit  üblen  Gonjec- 
turen  'rettet";  wozu  umgekehrt  Athetesen,  wie  die  von  10,  5  —  6; 
25  —  26  bei  Monti  widerlegen?  Das  fällt  alles  von  selbst  weg,  wenn 
wir  einmal  eine  erklärende  Ausgabe  bekommen,  deren  die  alte 
Elegie  trotz  ihrer  'leichten  Verständlichkeit''  bedarf.  Ich  will  die 
Gedichte  selbst  besprechen ,  namentlich  soweit  sie  mir  von  Wila- 
mowitz,  der  die  ganze  Frage  ja  nur  im  Vorübergehen  abtat,  noch 
nicht  genügend  oder  unrichtig  beurteilt  zu  sein  scheinen. 

10  A. 
Den  besten  Beweis  für  das  Eindringen  junger  Stücke  in  die 
Sammlung  liefert  die  Versreihe  bei  Lykurgos  (in  Leoer.  107  =  fr.  10 
Bgk.)  Te&vdjusvai  yaQ  aaXbv  ivl  jiQO/idxoioi  jreoövja.  Hier  hat 
Heinrich  zwei  Gedichte  erkannt,  die  ich  als  10  A  (die  vv.  1—14) 
und  10  B  (15  —  32)  bezeichne.  Jeder  neue  Versuch,  die  Einheit- 
lichkeit zu  erweisen,  zeigt  nur,  wie  unmöglich  das  ist^).     Aber  die 


1)  Auch  Bethe  in  Gereke- Nordens  Emleitung  I  289  benutzt  zui- 
Charakteristik  des  Tyrtaios  gerade  das  junge  Stück  10  A,  während 
Beloch,  Gr.  G.2  I  2  S.  262,  2  erklärt,  Wilamowitz  ginge  in  der  Athetese 
viel  zu  weit. 

2)  Der  einzige  neue  Gedanke  Pistellis  ist  die  Ableugiiung  des  Kri- 
terions  der  alten  Bewaffnung.  Die  Form,  in  der  sie  erfolgt,  zeigt,  da& 
er  weder  die  El.  11  noch  ihre  Behandlung  durch  Wilamowitz  verstanden 
liat.  Es  kommt  zudem  nicht  die  Bewaffnung  allein,  sondern  noch  mehr 
die  Schlachtordnung  in  Betracht.  Die  großen  Schilde  sollen  die  Spar- 
taner noch  sehr  lange  geführt  haben  (Plut.  Kleom.  11  ist  dafür  kaum 
zu  verwerten).  Später  war  gerade  ihre  geschlossene  Phalanx  berühmt, 
die  in  10  B  wie  in  11  unbekannt  ist. 

3)  Ganz  toll  ist  Buchholz-Peppmüllers  Nachweis  von  vv.  15/18  als 
dem  'Mittelpunkt'  eines  'organisch  gegliederten  Ganzen'.  Aber  auch 
Reitzensteins  frühere  Zweiteilung  (a.  0.  46,  2)  in  einen  allgemeinen  und 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  13 

Gonstatirimg,  daß  'nach  14  jeder  Zusammenhang  abreißt'  und  daß 
10  A  'allein  für  einen  schweren  Verteidigungskrieg  paßt',  schlägt 
allerdings  nicht  durch,  sondern  hat  nur  zu  nutzlosen  Redereien 
geführt,  ob  der  Messenische  Krieg  ein  Verteidigungskrieg  genannt 
werden  könne,  und  zu  noch  nutzloseren  Versuchen,  mit  Umstellun- 
gen zu  helfen.  Auch  dem  Columbusei  von  den  'beiden  adhorta- 
tiones,  die  sich  gegenseitig  bedingen  und  aus  derselben  Situation 
herauswachsen',  dem  'innerlich  zusammengehörigen  Elegienpaar', 
der  'Gedichtgruppe,  wie  wir  sie  später  bei  Theognis  oder  Properz 
beobachten  können'  (Grusius  RE  V  2269).  kann  ich  keinen  Ge- 
schmack abgewinnen.  Entscheidend  sollte  auch  für  die,  welche  die 
Verschiedenheit  der  Situationen,  der  Voraussetzungen,  des  Tones, 
der  Gedankenführung  —  es  ist  wirklich  alles  verschieden  in  diesen 
Gedichten  —  nicht  sehen,  die  Verschiedenheit  der  äußeren  Form 
sein.  Nebeneinander,  wie  in  einem  Schulbeispiel,  haben  wir  hier 
die  beiden  möglichen  Typen  der  kriegerischen  Paraenese  und  mu- 
tatis  mutandis  der  Paraenese  überhaupt:  den  'Wir- Typus',  den  Auf- 
ruf, bei  dem  der  Redner  sich  einschließt,  sich  auch  wohl,  was  hier 
nicht  der  Fall  ist,  als  Führer  anbietet^),  und  den  'Ihr-Typus',  die 
bekannte  Aufforderung  an  die  v^ot,  d.  h.  die  Felddienstfähigen,  ihre 
Pflicht  zu  tun ;  jener  z.  R.  in  Solons  Salamiselegie  l'ouev  eg  Za/.a- 
jiiTya,  uayyjooueroi  neoi  vi]oov,  dieser  z.  R.  bei  Kallinos  1,  1 
fteyoig  rev  y.ardy.eioQs,  .tot'  äXy.iuov  e^EJs  dviior,  o)  reoi ;  bei 
Tyrtaios  11  d//'  —  "Hgay.bpg  ydo  äviy.i'jrov  yerog  eore  —  daooFÄTe. 
Noch  in  Horazens  politischen  Epoden  sind  diese  Typen  kenntlich: 
Quo  quo  sceJesfi  rulfi.-^  und  eamxs  oninis  cxccratu  cicitas~):  und 

einen  speciellen  Teil  mit  'etwas  abschweifender  Begründung  in  beiden 
Teilen'  ist  wenig  glücklich.  Mit  einer  regelmäßigen  Zweiteilung  der 
Elegie  ist  es  überhaupt  nichts. 

1)  II.  Z  374  l'ouev  ■  avTÜo  iycov  ?)yt]oouai  xt/..  Horat.  epod.  XYI  vate 
me  datur  fuget.  Man  denke  sich  ein  solches  avräo  iyoiv  tjyi^oofiai  in  einer 
Elegie  des  Tyrtaiosbuches,  und  man  hat  den  Anlaß,  der  aus  dem  Sänger 
den  Strategen  machte. 

2)  Füi"  die  Beurteilung  der  literarischen  Form  dieses  Gedichtes  und 
ihrer  Vorlagen  genüge  es  hier,  auf  Reitzeustein.  GGA  1904,  9-52  zu  ver- 
weisen. Es  ist  Rede,  wie  die  Elegie  (s.  noch  Siebourg,  Neue  Jahrb.  1910 
I  274).  Ob  politische  Rede  oder  kriegerische,  macht  keinen  Unterschied, 
Archilochos  spricht  die  ao/Äzai  an  (fr.  50),  wie  Kallinos  die  vioi.  Auch 
Solon  spricht  zu  den  'AdrjvaToc  (4,  31)  und  hat  die  Anrede  in  dem  sog. 
Tyrannengedicht    El   ök   ne:iöv§aTs  h'yod  (11  Bgk.)    und    in    dem   neuen 


14  F.  JACOBY 

noch  hier  zeigt  sich  der  im  Wesen  dieser  Formen  hegende  Unter- 
schied, daf3  die  x\ufforderung  an  die  veol  oder  an  andere  über- 
haupt fast  ohne  Ausnahme  das  Gedicht  eröffnet,  während  die  Wir- 
Form  den  emphatischen  Schluß  abgibt,  woraus  es  sich  denn  auch 
ohne  weiteres  erklärt,  daß  bei  sich  steigernder  Erregung  des  Red- 
ners der  Übergang  vom  Ihr-  zum  Wir-Typus  erfolgt,  während  der 
umgekehrte  Übergang  von  der  erregten  Form  zu  der  kühleren  bei- 
spiellos   ist  ^).     Die  Vorbilder   für    beide  Formen    bietet  wie  immer 


'Yi-uTs  S"  rjovydaavxsQ  (Aristot.  'Aü.  jio/..  3,2);  immer  in  sehr  erregten 
Stücken.  Sonst  hat  er,  wie  es  scheint,  eine  dritte  mögliche  Form,  die 
Betrachtung,  bevorzugt  (El.  4  'HfiEisga  8e  nolig). 

1)  Der  Übergang,  der  oft  den  Eindruck  einer  gewissen  Höflichkeit 
macht,  vollzieht  sich  leicht,  wenn  die  Rede  mit  einer  rhetorischen  Frage 
beginnt.  So  in  der  Poseidonrede  E  364/77  'AgysToi,  xal  8'  avze  he&ietb 
"ExTOOi  vixrjv  IlQia/Lu87]i;  .  .  .  älV  äysd^',  (og  äv  syoi  euico,  nEi&cöfis&a  nävzeg, 
dojii8£g  ooaai  äoiozac  ivl  oroarün  '^Sk  /.isyiozai  saadjusvoi  .  .  .  lOfiEV'  avzäg 
sywv  r]y7]ao/iiai.  Vgl.  noch  E  464,69  cb  visTg  IJoidfwio  .  .  .  ig  zi  hi  xzEi- 
vEodai  idosTE  /.aov  'Ay^aioig ;  .  .  .  d?.?.'  äyEz'  ex  qp/.oioßoio  aadiooiiEv  EodXöv 
szaioov.  Füi-  den  Übergang  vom  'wir'  zum  'ihr'  bieten  einen  scheinbaren 
Beleg  die  Worte  Nestors  Z  67/71  (5  (fü.oi  tJQcoEg  .  .  /it]  zig  vvv  ivdgiov 
E:;itßa?./.öfiErog  /.iEz6n:io&£  fiifirszco  .  .  d).V  äv8oag  xzEivco/UEV '  sjiEiza  8e  xai 
zu  £xt]?.oi  vEXQOvg  äfi  jteSiov  avlrjOEZE  zEdvrjMzag.  Das  ist  nun  zwar  —  um 
vom  Sinne  gar  nicht  zu  reden;  es  liegt  in  dem  o?;/.»;o£r£  allerdings  etwas 
Besonderes,  für  den  Moment  sehr  Angemessenes,  ein  '  meinetwegen  mögt 
ihr  dann  später  .  .,  wenn  euch  an  der  Beute  so  viel  liegt'  —  auch  in 
der  Form  anders,  als  der  Übergang  in  der  Elegie  von  drrjoxojuEv  zu  & 
vEoi,  dXXa  fidxEode,  schon  weil  die  dritte  Person  //>/  ztg  ßi/xvEzco  voraufgeht. 
Aber  es  ist  immerhin  interessant,  daß  Zenodot  Anstoß  nahm  und  schrieb 
Tqwcov  di-i  jie8iov  ovXr]ooi.iEV  svzsa  VExgovg,  iva  /nfj  fwvov  Eig  ztjv  TtgäEiv, 
d)./.d  xal  Eig  z6  xsgSog  ovi.(JtEodafißdvoi  kavzov  d  Neozcoo  (Schol.  T).  Die 
Schollen  widerlegen  ihn  mit  dem  Eßog  'O/ntjoixdv.  Was  sie  beibringen, 
ist  teilweise  ganz  unpassend.  Einzelheiten,  Inconcinnitäten  entscheiden 
nicht,  es  handelt  sich  um  die  Gesamtanlage.  So  geht  es  nicht  an,  aus 
der  großen  Hektorrede  2"  285/809  nur  die  vv.  297  d?.r  äyEd'\  cog  äv  iyut 
EiTico,  TiEißojfisßa  :idvzEg.  vvv  /iiEv  ddojiov  eIeo-&e  herauszugreifen.  Die  ganze 
Rede,  die  überhaupt  nicht  paraenetisch  ist,  sondern  die  Absichten  und 
Ansichten  des  Feldherm  ausspricht,  zerfällt  in  zwei  Teile.  Die  Ab- 
rechnung mit  Pulydamas'  Vorschlag  (285—296),  sehr  erregt,  mit  ent- 
sprechender Inconcinnität  nov/.v8dfia ,  ov  [xiv  ovxsz'  ifioi  wü.a  zavz'  dyo- 
OEVEig  .  .  ■  287  i)  ov  7i(o  xexöqtjoÜe  .  .  .  295  v^mE,  fitjxhi  zavza  vorjfiaza 
fpaiv'  ivl  öiqiMcoi,  'denn  ich  werde  es  nicht  dulden,  daß  man  dir  folgt'. 
Dann  steht  297  der  formelhafte  Vers  dV:  äyE^\  der  zum  zweiten  Teile 
überleitet  (298—309),  der  Anweisung  an  die  Truppen  'eßt  jetzt  und 
wacht;  morgen  wollen  wir  kämpfen  und  ich  werde  Achilleus  entgegen- 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  15 

das  Epos.     Den   emphalisclien    Abschluß   zeigt    beispielsweise   ganz, 
wie  die  Salamiselegie  die  Sarpedonrede  il/'326,'8: 

vvv  d'  e'jUTtrjg  ydg  x)~]Qeg  e(peoTdaii'  "d^avaroio 
jLivQiai,  äg  ovK  eoTt  cpvydv  ßgorov  ovo'  vjiakv^ai, 
l'ojLiev,  f]€  TOJi  el'yog  oqe^ojuev  ije  rig  fjjjuv  — 
und  ebenso  die  zweite  Fassung  der  Poseidonrede  JV  95  — 124: 

115   äXX'  äy.ea)^ueOa   Odooov   äxeorai  toi  cpgeveg  eodXwv, 
während  die  erste  beginnt  mit 

95  aidojg,  'Agysioi,  y.ocQoi  veoi. 
Denn  diese  Beobachtung,  daß  hier  zwei  Redetypen  durcheinander- 
gehen, spricht  am  entschiedensten  für  die  Zerlegung  der  vielumstrit- 
tenen Rede,  wie  sie  jetzt  Wilamowitz  in  seinem  wundervollen  Buche 
'Die  Ihas  und  Homer'  S.  220  vornimmt,  in  95/98.  115/124  und 
99/114.  Nur  daß  v.  115  eben  nicht  zur  ersten  Fassung  gehören 
kann,  in  der  er  zum  mindesten  unnötig,  meines  Erachtens  auch  ganz 
unpassend  ist,  sondern  als  Schluß  der  zweiten,  mit  co  ttojioi,  y  /ueya 
&avjna  beginnenden,  unentbehrlich  ist  und  auch  gut,  wenn  man 
nur  keinen  Hinweis  auf  die  Airai  darin  findet.  In  diesem  gleichen 
Typus  des  kriegerischen  Aufrufes  zeigt  sich  die  enge  Zusammen- 
gehörigkeit von  95/98  und  116/124,  nicht  in  der  von  Wilamowitz 
angeführten  Verwendung  des  Stichwortes  /ueß/joeze  97  jusdiere  116 
jiieü')] jLioovvy  121.  Denn  mit  fiedierai,  diesem  bekannten  Terminus 
der  Paraenese,  wirtschaftet  auch  die  zweite  Fassung  —  108  jue&rj- 
fxoovvrjioi  T£  Xacbv  114  juei&iejuevai  jioXejuoio  — ,  die  die  erste  vor- 
aussetzt, wie  eben  auch  das  in  v.  115  etwas  überraschende  eod^XoC 
beweist.  Die  erste  Fassung  baut  sich  ganz  auf  dem  Gedanken  auf, 
daß  die  angeredeten  jidvreg  uoioroi  eovTeg  ävd  orgarov  sind.  Denn 
das  liegt  schon  in  dem  betonten  v/ijuiv  95  und  vjueig  97. 

Für  10  A  ist  die  Bedeutung  des  Wir-Typus  besonders  wichtig. 
Denn  dies  ganze,  auch  in  den  Einzelheiten  stark  Homerische  Ge- 
dicht steht  weniger  dem  TijLiijev  re  ydg  eozi  xal  äyXaov  dvögl 
jud^eo^ai  des  Kallinos  nahe,  als  daß  es  eine  Paraphrase  der  Hektor- 
rede0  486ff.  ist: 


treten'.  Dieser  Teil  hat  mit  l'hods  —  iyeiQo/uev  "Aorja  —  oi'  /.iiv  eycoys 
(pev^o/iiai.  die  äußere  Form  der  Poseidonrede  im  £",  aber  eben  nur  die 
äußere  Form.  Ein  wirkliclier  Übergang  in  der  Paraenese  vom  'wir'  zum 
'ihr',  und  zwar  nicht  zum  'ihr'  schlechthin,  sondern  nur  zu  einem  Teile, 
den  vEoi,  wie  man  ihn  in  El.  10  für  möglich  hält,  kommt  da  nirgends  vor. 
Sollte  er  möglich  sein,  müßte  der  zweite  Teil  ganz  anders  gebaut  sein. 


16  F.  JACOBY 

Tgcbsg  xal  Ävxioi  xai  Jagdavoi  äy/ijuayt^rai, 
ävegeg  eoie,  cpiXoi,  juvijoaode  de  dovQiöog  älyS]g, 
denn  Zeus  liilft  uns: 

494  äXlä   iidyeod'   im  vijvolv  äokMeg'  og  de  xev  v/ueojv 
ß?j]/iievog  )]£  TVJielg  d^dvazov  y.al  noxixov  emont^, 
reßvdrco  '  ov  ol  äeixeg  äjuwo/uevcoi  tzsqI  7idTQ7]g 
Teßvd/uev  '  dXV  (iloyog  xe  oot]  xal  nalöeg  ömooco, 
xal  olxog  xal  xXfJQog  äxrjQazog,  ei'  xev  'Ayaiol 
499   olycovrai  ovv  vrjvol  cpilrjv  ig  jiargida  yaTav. 
Schon   Lykurg   hat   diese  6  Verse   vor   dem   Excerpt    aus   Tyrtaios 
angeführt.     Er  hat   die  Verwandtschaft  gespürt.     Wir   aber   haben 
ein  Recht,  daraus  die  Situation  und  die  Abzweckung  der  Elegie  zu 
erschheßen.    Wenn  anders  man  in  dem    lebendigen ,    kräftigen  Ge- 
dicht nicht  nur  allgemeine  Phrasen  und  Stilübung   sehen   will,    so 
handelt  es  sich  hier  allerdings  um   einen  "^schweren  Verteidigungs- 
krieg'.    Nicht  einfach  zu  mutigem  Kampfe  mahnt  der  Dichter,  wie 
in  10  B;   nicht  von  Ruhm   oder  Schande   nur  ist  die  Rede.     Zum 
Verzweiflungskampf  um  Sein  und  Nichtsein,  zur  äjiovoia  ruft  er  die 
Bürger   auf.      Darum    wendet    er    die    Argumentation    des    Epikers 
und  stellt  ihnen  nicht,  wie  der  siegesgewisse  Hektor,  den  Lohn  des 
Sieges  vor  Augen,  nicht  wie  Kallinos  die  Ehre  des  Todes  oder  des 
Sieges  fürs  Vaterland,  sondern  die  Folgen  der  Niederläge  ^).    Darum 
umrahmt  er  seine  Mahnung  mit  re&vdvai.  das  auch  Hektor  wuch- 
tig   verwendet:    TEdvdjusvai   ist    sein   erstes,    i)vt']oxcojUfA'    y'vyewr 
ju)]xen  (peiöojUEvoi  sein  letztes  Wort.     Darum  setzt  er  den  Ihr-  in 
den  Wir-Typus  um,  der  immer  eindrucksvoller  ist,  schon  weil  da- 
mit nicht  nur   die  veoi,   sondern    alles,  was  Waffen    tragen    kann, 

1)  Schwartz  466,  2  sah  sich  gezwungen,  die  klare  Situation  zu  miß- 
deuten, weil  er  sie  seiner  Theorie  zuliebe  in  einem  Messenischen  Kriege 
unterbringen  mußte.  Gerade  seine  Argumentation  zeigt,  daß  das  eben 
nicht  möglich  ist.  Wenn  Weil,  Etudes  197  es  wieder  versucht  und  das 
Bild  der  vv.  3/8  auf  Zustände  deutet,  wie  die  Eunomie  sie  voraussetzt,  so 
ist  das  gezwungen  und  ohne  jede  überzeugende  Kraft.  Damit  nicht  aus 
der  richtigen  Interpretation  von  El.  11  ein  neues  Argument  für  Tyr- 
taios als  Dichter  von  10  A  gewonnen  werde,  sei  bemerkt,  daß  /hijxsti 
V.  14  natürlich  nicht  auf  fi-ühere  Feigheit  und  demzufolge  erlittene 
Niederlagen  deutet.  Es  bedeutet  'sterben  wir  als  Leute,  die  ihr  Leben 
nicht  mehr  schonen,  denen  nichts  mehr  am  Leben  gelegen  ist'.  ävdQe^ 
/.irjxizi  acoi'CoixEvoi  sagt  Theogn.  68  in  anderem  Zusammenhang,  'für  die  es 
keine  Rettung  mehr  gibt'. 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  I7 

aufgeboten  wird.  Es  schwindet  in  ihm  jede  Spur  von  KäUe,  die 
die  Paraenese  leicht  liat.  Und  zu  der  leidenschaftlich  erregten 
Stimmung  paßt  gut  die  starke  Umordnung  der  Gedanken,  mit  der 
er  beginnt.  Denn  daran,  daß  das  Distichon  13/14  -ßvjucdi.  yTjg  negl 
xfjode  /uaycüjiie&a  xal  tzsqI  naidcov  i&vtjoxojjuev  ein  Gedichtschluß  ist, 
kann  man  ernsthaft  ja  nicht  zweifeln.  Im  Ausdruck  erinnert  daran 
und  ist  vielleicht  von  10  A  beeinflußt  der  Abschluß  von  12  xavzrig 
vvv  Tig  dv)]Q  ägsTr]?  slg  äxQOv  Ixeo&ai  Tieigdodcü  ■dv/j-cbi,  /ur]  jue- 
-ß^telg  TtoUjiiov.  Aber  an  dem  ydg  des  Eingangs  hat  man  Anstoß 
genommen.  Zu  Unrecht;  denn  vergleichbar  ist  nicht  nur  das  frei- 
lich leichtere  Hyperbaton  des  Gedankens  in  epischen  Reden,  wie 

H  327  'Argsld)]  je  xal  äXXoi  dgiorTjeg  IJavayaicbv 

jioXXol  ydg  re&väoi  xdgt]  xojuöayvieg  'Ayaioi  .... 
331  TCO  0€  ygi]  tiÖXsjuov  fiev  (ijii    rjoi  Jiavoai  'Ayaaov  .... 
P  220  K£x?.vze,  juvgia  (pvXa  TiF.gixriovwv  enixovgcDv ' 
ov  ydg  Eyd)  nXrjd^vv  di^rjjuevog  ovde  yari'Qcov 
iv&dö'  d(p'  vf^iExegcov  noXiojv  ijyeiga  h'xaaxor  .... 
227  xü)  xig  vvv  Wvg  xexga/iijiievog  fj  dnoXeo&co 
)]e  aacoßrjxcD  .  .  .^). 

Auch  die  ionische  Prosarede  erlaubt  es  sich  in  kritischen  Augen- 
blicken oder  bei  lebhafter  Bewegung  des  Sprechenden.  So  beginnt 
der  Brief  des  Harpagos  an  Kyros  (Herod.  I  124)  —  Brief  und  Rede 
sind  ja  nicht  principiell  verschieden  —  c5  Jidi  Kajußvoeco '  oe  ydg 
d^eol  EJiogwoi '  ov  ydg  äv  xoxe  ig  xooovxo  Tvyjig  dnixov  '  ov  vvv 
'Aoxvdyea  xöv  oecovxov  cpovea  xeToai;  und  so  führt,  in  der  Situation 
unserer  Elegie  entsprechender,  die  Rede  des  Phokaiers  Dionysios 
von  der  Begründung  über  die  Erörterung  der  Aussichten  zur  ab- 
schließenden Aufforderung  (Herod.  VI  11,  2  —  3): 

ejil  ^vgov  ydg  dxfxrjg  eysxai  y/uTv  xd  Tcg/jyjuaxa,  ävögsg  "Icoveg, 
7]  elvai  eXev&EgoLOi  li]  dovXoioi,  xal  xovxo  c6g  dgf]7iEXi]iot. 
vvv  0)v  v/u£ig  fjv  jUEV  ßovXr]0'&£  xaXaincogiag  ivÖEXEo&ac,  x6  na- 
gaygfjjua  juev  novog  vjuTv  kaxai,  olo'i  xe  öe  eoeo&e  vjcEgßaXo- 
juEvoi  xovg  Evavxiovg  slvai  sXEV&Egoi'  ei  Öe  jnaXaxirji  xe  xal  d- 
xa^Lrji  diaygr]0}]0&E,  ovÖE/uiav  vjuecov  Eyco  E?^mda  fii]  ov  diboEiv 
vjUEag  dix)]v  ßaoiXn  xfjg  dnooidoiog. 
dXX^  Ejuoi  XE  TXEiÜEo&E  xal  Ejiwl  vfiEag   avxovg   ijitxgEymxE  .  .  .  . 


1)  Schol.  A  vergleichen  noch  Od.  ?c  190. 
Hermes  LIII. 


18  F.  JACOBY 

Das  ist  im  Grunde  die  unlogische  Sprache  des  Lebens,  die  Kan- 
daules  (I  8)  spricht:  rvyii,  ov  ydg  oe  doxeoj  neideodai  jjloi  li- 
yovTi  jiEQi  lov  Ei'ösog  xrjg  yvvatxog  .  .  .  Jioiei  öxcog  exeiv^v  -ßErjoeai 
yvjuvi'jv,  die  in  der  Rede  zum  Kunstmittel  wird.  Das  hat  der 
Autor  IJsqI  vipovg  22  gesehen,  der  die  Wirkung  des  Hyperbatons 
gerade  an  der  Dionysiosrede  erläutert:  k'ortv  dt  Xi^ecov  i]  vor}0£(ov 
ly.  Tov  xax'  äxoXovdiav  y.ey.nnjjuev}]  id^ig  xat  olovel  xaqay.Ti^g 
Ivayoiviov  Tiddovg  aXrjd^eoTaTog.  ojg  ydg  ol  rcöi  ovri  ögyiCofievoi 
}]  (foßovjiievoi  Tj  dyavay.Tovvxeg  .  .  .  äkla  TcgoOeuevoi  noXXdy.ig  in' 
äXXa  jiieTan)]öü)oi  .  .  .  ovtco  nagd  Tolg  dgioioig  ovyygacpevoL  öid 
Tcov  vnegßaxwv  fj  fdurjoig  Inl  xd  xfjg  q)voecog  egya  (pegexai.  xoxe 
ydg  fj  xEyvii  xEXtiog,  yriy'  dv  cfvoig  Eivai  öoy.rji,  y  «5'  av  cpvoig 
EJiixv//]?>  oxav  Xavßdvovoav  7T£giEyj]i  xi]v  xr/ryi'  ^). 

Damit  stellt  sich  die  Elegie  10  A  als  ein  vollständiges  Gedicht 
heraus.  Die  Möglichkeit,  daß  das  überlieferte  Elß'  ovxog  (11)^) 
prosaische  Überleitung  ist  und  den  Forlfall  eines  Stückes  aus  der 
Mitte  anzeigt,  braucht  man  nicht  lange  7ai  erwägen.  Die  Schilde- 
rung des  Vertriebenen  ist  mit  Tidoa  ^'  dxi/uii]  y.al  xaxoxyg  ETiExai 
(10)  deutlich  abgeschlossen;  der  Vers  faßt  die  Stellung  des  Mannes 
(er  lebt  in  Unehren)  und  sein  Wesen  (es  ist  ein  schlechter  Mann, 
kein  uv^ig  dyadog,  wie  v.  2),  wie  sie  sich  aus  dem  Vorhergehen- 
den ergiiit,  knapp  zusammen.  Dann  ziehen  11  14  die  Schlußfolge- 
rung, und  tun  es,  wie  immer  man  die  Eingangsworte  gestaltet,  wirk- 
lich in  "^sehr  moderner  Weise'  —  A'ergleichbar  ist  wieder  El.  12.  Diese 
Einheitlichkeit  nicht  nur  im  Gedanken,  sondern  auch  in  seiner  Formu- 
lirung  fehlt  der  Elegie  des  VII.  Jahrhunderts,  die  noch  wie  die  epische 
Rede  die  einzelnen  Argumente  als  in  sich  geschlossene  Einheiten, 
ohne  Verbindung  miteinander  hinstellt^).     Der  Verfasser  von  EI.  10 


1)  Mit  der  Herodotischen  vergleiche  man  die  große  Rede  Xeno- 
phons,  Anab.  111  1,  35—  44,  "wo  der  Satz  'denn  wir  bind  in  kritischer  Lage' 
in  einer  Parenthese  ganz  am  Schluß  steht:  S  y.al  i\uäg  8sT  vvv  y.axaiia- 
ßövTa;  —  iv  zoiovion  yag  y.aioöJi  Eonev  —  avzovg  te  ävdoag  ayadovg  eivai 
y.al  Toi'g   a'/.'/.ovg  Ttagayahir.     Der  Unterschied   der  Wirkung  ist   evident. 

2)  Daraus  bat  Francke  sl  Ö'  ovrcog  gemacht.  Wilamowitz,  der  eine 
dann  allerdings  einfache  Umstellung  ei  8e  toi  ovzwg  uvögög  vorschlägt, 
übersieht,  daß  nicht  sl  8\  sondern  Eid''  überliefert  ist.  Die  Apodosis  des 
Ganzen  muß  mit  v.  11  beginnen.  Wenn  wir  in  ei&'  ovroig  Prosa  sähen, 
könnten  wir  kaum  etwas  anderes  ergänzen,  als  (d/Äö)  —  j-iaydiiisda  und 
müßten  dann  avdoog  —  ykvEog   als  Parenthese   formuliren ,  wie  11,  1  —  2. 

3)  Instruktiv  ist  auch  hier  ein  Vergleich  mit  der  Sarpedonrede  des 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  19 

hat  freilicli  überhaupt  nur  ein  Argument,  die  wirksame  Schilde- 
rung dessen,  der  die  Heimat  verloren  hat.  Sie  macht  den  Aufruf 
zum  Kampfe  zur  Elegie.  Die  bewußte  Knappheit,  die  der  wirk- 
lichen oder  vorausgesetzten  Situation  angemessen  ist,  steht  in  vollem 
Gegensatz  zu  dem  breiten  Wortreichtum  der  El.  12.  Daß  dieses 
Gedicht  aus  einer  bestimmten  Situation  erwachsen  ist,  was  für  12 
schwerlich  angenommen  werden  kann ,  wird  man  gern  glauben. 
Daß  jedes  Indicium  fehlt,  wie  es  etwa  in  11  die  Bezeichnung  der 
Angeredeten  als  Heraklessöhne  gibt,  macht  zwar  die  Lokalisirung 
des  Gedichtes  unmöglich,  dieses  selbst  aber  noch  nicht  zur  allge- 
meinen Paraenese.  Die  paraenetische  Elegie  hat,  soweit  sie  nicht 
an  einzelne  sich  richtet,  wie  besonders  häufig  bei  Archilochos, 
dessen  Neuerung  das  ist  und  der  eben  damit  den  Charakter  der 
allgemeinen  Paraenese  abstreift  und  dafür  den  Ausdruck  individueller 
Ansichten  sich  ermöglicht,  naturgemäß  meist  nur  ganz  allgemeine 
Anreden.  Die  Ephesier  wissen  ja,  daß  sie  gemeint  sind,  wenn  ihr 
Landsmann  Kallinos  co  veol  sagt.  Solons  'HjuEiegi]  Jiohg,  die  ja 
auch  in  der  Form  weniger  Paraenese,  als  Betrachtung  ist,  steht 
mit  ihrem  Nachwort  lavia  Öidd^ai  'ßv/udg  "Adip'aiovg  pji  xelevei 
wohl  nicht  nur  zufällig  unter  den  älteren  Stücken  allein. 

10  B  und  11. 

Es  bedarf  nun  wohl  keines  Wortes  mehr,  daß  mit  diesem  in  sich 
geschlossenen  Gedicht  die  zweite,  mit  der  Aufforderung  an  die  veoi 
beginnende  Reihe  (10  B)  nichts  zu  tun  hat.     Sie  muß  für  sich  be- 

M,  die  schon  einen  hohen  Grad  von  logischer  Argumentation  zeigt. 
Aber  die  Argumente  stehen  nebeneinander.  Das  erste  'wir  genießen  die 
Königsehren,  darum  müssen  wir  im  Vorkampf  stehen'.  Dann,  getrennt 
durch  die  neue  Anrede  m  ji£-tov,  das  zweite:  ei  /iisr  "wenn  wir  dadurch- 
daß  wir  uns  dem  Kampfe  entzögen,  unsterblich  würden,  so  würde  ich 
nicht  kämpfen,  noch  dich  dazu  veranlassen'  —  das  steht  dem  Schluß, 
unserer  Elegie  sehr  nahe,  gibt  aber  selbst  den  Schluß  noch  nicht.  Der 
erfolgt  mit  vvv  d'  sftjirjg  yäg  xfJQEg  irpsaiäoiv  ßaväroio  fivgiai ,  äg  ovx  eoti 
(fvysTv  .  .  .  i'oiiisv  und  berücksichtigt  nur  das  zweite  Argument.  Nicht 
viel  anders  noch  Kallinos,  wo  die  beiden  Argumente  'die  Zeit  des  Todes 
bestimmt  dem  Menschen  das  Geschick'  und  'dem  Tode  kann  niemand 
entfliehen'  getrennt  sind  durch  die  Aufforderung  d?2d  ztg  Wvg  Izco,  mit 
der  das  Gedicht  schließen  könnte.  Das  weiterleitende  yog,  das  das  zweite 
Argument  anknüpft,  hat  die  Erklärer  irregeführt.  Es  handelt  sich  deut- 
lich um  ein  neues  Argument,  nicht  um  eine  Begründung  für  die  Argu- 
mentation 12/15,  die  in  sich  geschlossen  ist. 

2* 


20  F.  JACOBY 

trachtet  werden.  Ich  glaube  nämhch  nicht,  daß  Wilamowitz  sie 
richtig  beurteilt  hat,  wenn  er  in  ihr  eine  Bearbeitung  des  alten 
echten  Tyrtaios  sieht.  Ausschlaggebend  war  dabei  für  ihn  wohl. 
daß  das  letzte  Distichon 

ä?J>.a.  xiQ  ev  öiaßäg  juevhco  noolv  äfi(poTEQOioiv 
orrjQiy^&Eig  im  yfjg,  'lukog  ödovoi  öaxcov 
in  der  anerkannt  alten  El.  11  w^iederkehrt  als  Anfang  des  didakti- 
schen Teiles  —  so  muß  man  sagen  — ,  der  Anrede  an  die  einzelnen 
Waffen.  Wilamowitz  zieht  daraus  zunächst  den  meines  Erachtens 
unwidersprechlichen  Schluß,  daß  'in  dem  Exemplar  des  Lykurgos 
noch  mehr  aus  dieser  folgte".  Das  Distichon  kann  in  der  Tat  nicht 
Anfang  einer  dritten  Elegie  sein;  denn  es  ist  kein  Anfang.  Und 
wäre  es  ein  Anfang,  was  hätte  es  für  einen  Sinn  gehabt,  nur 
diesen  auszuschreiben?  Es  kann  auch  kein  'späterer  formelhafter 
Zusatz'  (Reitzenstein :  Sitzler)  sein  —  das  scheint  mir  eine  reine 
Verlegenheitsausflucht  —  oder  eine  Interpolation  (Brunck,  Gaisford, 
Francke  u.  a.).  Nicht  einmal  als  Beginn  einer  zweiten  Fassung  der 
vv.  21/30  ist  es  denkbar,  weil  sich  diese  Verse  von  20  nicht  lösen 
lassen.  Am  allerwenigsten  ist  es  natürhch  eine  'peroratio',  als  die 
Bach  und,  wie  es  scheint,  Bergk  es  bewunderten.  Hinzu  kommt, 
daß  ein  alter  Dichter  schwerlich  mit  30  geschlossen  hätte  ohne  die 
nochmalige  Mahnung  und  Belehrung.  Es  bleibt  also  nur  übrig, 
anzunehmen,  daß  wirklich  auch  dieses  Gedicht  den  ganzen  didak- 
tischen Abschnitt  von  11,  d.  h.  die  allein  echten  Distichen  21  —  28; 
35  —  36  enthielt.  Wie  das  zu  beurteilen  ist,  bleibe  vorläufig  da- 
hingestellt. Die  Tatsache  einer  Bearbeitung  kann  doch  nur  aus 
den  vv.  15  30  selbst  erwiesen  werden.  Fragen  wir  also,  was  in 
diesen  auf  eine  solche  weist. 

Wilamowitz  führt  dafür  dreierlei  an:  1.  Es  sei  'gar  nichts 
darin,  was  einen  individuellen  Charakter  zeige'.  2.  Die  Verse  wiesen 
'jene  Homerumbildung'  auf,  die  'in  den  Zusätzen  der  echten  Elegie^ 
—  das  geht  wohl  auf  11,29  —  34  —  bemerkbar  ist.  3.  v.  18 
(fulorpvyeTv  sei  'ein  Wort  so  junger  Bildung,  daß  ich  sie  [die  Bil- 
dung oder  die  ganze  Überarbeitung?]  nicht  für  älter  als  das  5.  Jahr- 
hundert halten  kann'. 

Am  schnellsten  läßt  sich  der  dritte  Punkt  erledigen.  Denn 
das  einzelne  Wort  cfiloxpv/ßTv,  das  man  nicht  mit  Gonjecturen 
heimsuchen  wird,  um  Wilamowitz  zu  widerlegen  ^),  kommt  für  das 

1)  ixr]    (fsidd)   xfvxijg    SC.  :zoieTa&£  Sitzler.     Aber    cpdoywxstv    ist    für 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  21 

Gedicht  überhaupt  nicht  in  Frage,  weil  das  ganze  Distichon  17/18 
eine  evidente  Interpolation  ist.  Ich  befasse  mich  nicht  mit  den  ver- 
schiedenen Anstöfsen  und  den  Versuchen,  sie  zu  heben  —  noi- 
do§ai  dvfjLÖv,  dvögaoi  juaQvdjueroi  [vgl.  in  dem  gleichfalls  inter- 
polirlen  Teile  von  11  v.  33  dvögl  jiiayjodco]  — ,  es  genügt  die 
Feststellung,  daß  äX?M  einen  falschen  Gegensatz  einleitet  zu  16 
ur]de  cpvyyg  aloxQdg  äq^Exe  ju}]de  (poßov.  Der  wirkliche  Gegen- 
satz geht  hier,  wie  in  11,  1—4.  21  —  28,  vorauf.  Und  hier,  wie 
11,  29  —  30  ä?dd  Tig  eyyvg  uov  nach  juijö'  Ixxbg  ßcXeoiv  iordro) 
domo'  t'ycov,  hat  die  Umordnung  des  Gedankens  zur  Interpola- 
tion eines  neuen  Gegensatzes  geführt,  den  die  modernen  Interpreten 
festhalten ,  obwohl  er  offensichtlich  stört.  Das  zeigt  wenigstens, 
warum  interpolirt  ist.  Obwohl  in  11  schon  Francke,  dann  Weil 
Rh.  Mus.  XVII,  zuletzt  Wilamowitz  die  vv.  29—34  gestrichen  haben, 
werden  immer  wieder  Rettungsversuche  wenigstens  für  29/30  unter- 
nommen^),   "da  man   sonst  nach  iu)]d'  exrog  kxI.  die  positive  An- 


Euripides  wie  in  dieser  Elegie  der  Gegensatz  zu  /nüxEodai  (Hec.  315  .-ro- 
Tega  fia)[ovfie&'  y  (piXoywxrjooiAEi',  xov  naz^avövx  OQÖJvreg  ov  Tiiiwf.iEvov). 
Der  Begriff  der  Feigheit,  den  dieses  'das  Leben  lieb  haben'  ursprüng- 
lich nicht  hat  —  z.  B.  nicht  bei  Herodot.  VI  29  6  '^laxiaiog  üjit^cov  ovx 
ajioXeeo&ai  vno  ßaaüJog  .  .  <fiXoy>vyirji>  TOirjvds  riva  avaigiszai,  bei  Plat. 
Apol.  37  C  (aber  Leg.  XII  944  E  ist  es  'Feigheit')  und  Lysias  Epitaph.  25  — , 
geht  in  diesem  Zusammenhang  leicht  in  den  des  'feige  sein',  ja  fast  den 
'fliehen'  über,  wie  eben  bei  Eurip.  a.  0.  und  Herakleid.  517  f.  ti  8svo' 
a.tpiy.saß-'  Ikeoioioi  ovv  t<ld8oig,  avrol  rpiXoyivyovvzEg ; 

1)  Anlaf?  dazu  hat  Wilamowitz  selbst  gegeben,  weil  er,  wie  schon 
Francke.  die  interpolirten  vv.  29/34  für  'unter  sich  nicht  einheitlich'  er- 
klärte. Er  berücksichtigt  dabei  nicht  die  in  37  38  ebenso  hervortretende 
Ungeschicklichkeit  des  Eindichters,  der  übrigens  wohl  sicher  mit  dem 
Verfasser  auch  von  15/18  identisch  ist.  Auch  38  vereinigt  sich  mit  36 
so  schlecht,  wie  hier  das  Füllsel  34  mit  30.  Das  Distichon  31/32  ver- 
liert nun  überhaupt  jeden  Halt,  wenn  man  es  von  33/34  löst.  Die  Ver- 
bindung beider  zeigt,  dafs  in  der  ganzen  Eindichtung  geschildert  werden 
soll,  was  der  Verfasser  von  El.  12  Hai  ötjion'  oyt-yoir'  iyyvßer  lazd/nEvog 
nennt.  Dazu  hat  der  Interpolator  die  Schilderung  der  Phalanx  77  2l5ff. 
(=  iV  131  flf.)  herangezogen,  sie  aber  auf  den  Kampf  zweier  Gegner  über- 
tragen, ßsi'g,  EQEiaag,  jisjclrjiJEvog  stehen  offensichtlich  parallell,  dem 
ävbgl  fiaxEo&co  untergeordnet.  Das  ist  schlecht  gemacht,  weil  es  ein 
unmögliches  Bild  gibt.  Aber  die  Verse  sind  auch  einzeln  nicht  besser. 
Oder  sollen  sich  in  der  Phalanx  die  Helmbüsche  berühren?  In  der  Vor- 
lage steht  das  ganz  anders.  Der  Eindichter  wird  noch  stolz  auf  die 
Formulirung  nach  dem  Typus  oyyj't]  eti'  oy/j'tji  yyqäay.Ei  gewesen  sein. 


22  F.  JACOBY 

gäbe  vermißt'.  In  Wahrheit  kommt  auch  in  10  B  ein  schöner  und 
vernünftiger  Gedanke  erst  heraus,  wenn  man  das  Distichon  aus- 
sondert: 

15  CO  vioi,  ä/J.ä  i^ul'/^Eode  tzüq'  ä/M'iloioi  jusvorreg, 

jufjde  (pvyfjq  aio'/Qäg  äg^sre  juijde  q:6ßov'^), 
19  Tovg  de  TiaXaioTeoovg,  d>v  ovxezi  yovvax    llacpqä, 
^11]  xaTaXeiTTOvreg  (pevysje  TOvg  yegaiovg. 
Den  zweiten  Einwand  verstehe  ich  nicht  recht  ^).    Die  Homer- 
umbildung,   d.  h.  hier   vor  allem   die   ihrer  Bedeutung  wegen  viel- 
umslrittene  Versgruppe  21  —  30,  die  eine  Paraphrase  von  II.  X  66  bis 
76  ist,  beschränkt  sich  doch  wahrlich  nicht  auf  die  'Zusätze',  son- 
dern ist  das  tägliche  Brot  für  den  Elegiker,  dessen  Paraenesen  teil- 
weise überhaupt  nichts  anderes  sind,  als  Paraphrasen  der  epischen 
Reden.     Gerade    der    echte  Tyrtaios    schließt    sich  sogar  besonders 
eng  an  Homer,  wie  das  für  den  Lakonen,  der  das  Epos  bei  seinem 
Publikum  voraussetzen  kann,  auch  ganz  begreiflich  ist.     Ganz  wie 
10,21  —  30  zu  X66— 76    stehen  die   unbezweifelt   echten   Partien 
von  11  zu  Homer.      Längst   verglichen   sind  die  Distichen  11—14 
oX  fjLsv  ydg  toXjuäJoiv  Tzag'  uXIyjJloioi  juerovreg 

eg  t'  avtoo'/eöh]v  y.al  Tzoojiid/ovg  levai, 
navQOTEQoi  dtn'joy.ovoiv,  oaovoi  de  labv  ömooco' 
TQSOodvTCOv  ö'  ävÖQÖJv  zido    dnöloile  äger/] 
mit  II.  0  561  ff.  (=£'529ff.;  s.  auch  ^A^  47-48): 

'Q  cplXoi,  ävegeg  ioze  y.al  atöco  deoü^  evl  &vjua)t, 
äXhjXovg  r'  aldeXode  yarä  youTegäg  vojuivag ' 
alöojuevcDv  d'  ävögcöv  nXeoveg  oooi  fjh  nefpavxai, 
(pevyovTWv  ö'  ovx'  ag'  xAeog  OQVvrai  ovre  rig  älyJi, 
wobei  im  Vorbeigehen  bemerkt  sein  mag,  daß  auch  näo'  änoXcole 
ägerrj  sich  aus  dem  Homerischen  Gedanken   ohne  weiteres  erklärt. 
Selbst  der  'spartanische  Terminus'  in  diesen  Versen  steht  im  Hexa- 
meteranfange £"522  uvÖQCJv  xQEoouvxwv;    und    man   könnte  wohl 
fragen,    ob   in  diesem  xQeooai  =  (pvyeZv  pcexd  öeovg  (Schol.  A  zu 
iV  515  u.  ö.)  wirklich    die    spartanische  Heeressprache  die  alte  Be- 


1)  Ein  IV  ^(«  bvoiv.  Das  Homerische  Wort  fpößo;  'Flucht'  wird  durch 
das  voraufgell  ende  (fvyfjg  erklärt,  (ir^ös  ^oßsTods  'flieht  nicht'  sagt  auch 
der  Verfasser  von  11,  3.     An  diesen  Vers  erinnert  12,  17. 

2)  Ob  Wilamowitz  jetzt  anders  urteilt,  ist  aus  'llias  u.  Hom.'  95,  1 
nicht  sicher  zu  erkennen. 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  23 

deutung    bewahrt    oder    ob    nicht    die  Poesie   des  Tyrtaios  hier  die 
Heeressprache    beeinflußt   hat.     Aber    auch    die    eigenartige  Didaxe 
erst  der  HopHtcn,  dann  der  yvfivrize>;  liat  ihr  Homerisches  Vorbild. 
Der  alte  Nestor  stellt  im  J  292  ff.  sein  Conlingent  auf: 
iTiTjfjag  jLih'  TtQcora  ovv  Innoion'  xal  öy^eocpi, 
jiE^ovg  d'  i^orcide  otTjoe)'  noltag  je  y.nl  toOkovg, 
EQxog  EfiEv  TiolEf-ioio'  KUHohg  ö'  ig  uEooov  e'Xuooev, 
öcpga  y.al  ovx  e&eI(X>v  Jig  avayy.ahji  noXEfd'Qoi 
—  wobei  wieder  im  Vorbeigehen  an  das  berüchtigte  fr.  9  Bgk.  er- 
innert sei,  wonach  auch  Tyrtaios  einmal  von  solcher  gezwungenen 
Tapferkeit  sprach;  da  war  es  ein  ttqo  töjv  Tdq^Qcov  xal  xcbv  roiov- 
Tcov  TiaQardxTEiv  (Arislot.  Elh.  Nie.  III  p.  111(5''  1);  ich  meine,  fr.  11 
zeigt    uns,  wie   das   auch  in  der  Elegie   möglich  war.     Dann  folgt 
im  A  die  Rede,    die  allerdings  Anstölse  bietet   —   der  geringste  ist 
der  Übergang   aus  der  indirekten  in    die  direkte  Rede  (ich  verfolge 
diese  gar  nicht  so  seltene  Erscheinung  ein  andermal;  sie  tritt  hier 
durchaus  passend  ein);    der  größte,    dafs  von  den  jie'Qoi  überhaupt 
nicht  gesprochen  wird    und    daß  der  Schluß  gerade  auf   die    ange- 
redeten iJiJiEig  recht  wenig  zu  passen  scheint.     Ausschneiden  könnte 
man  nur  die  ganze  Scene  292  —  325.     Also: 

InnEvoiv  jUEv  jiqöjt'  etiexeXXexo  '  Tovg  yäq  ärcoysi 
o(f>ovg  l'jiJiovg  e^e/^iev  iui]Ö£  xXovEEodai  öjUiXcoi ' 
jU'i]dE  rig  Innoovvt^i  rs  xal   )jroQ£)](pi  jrEJioidcog 
olog  jiQÖod-'   äXdcov  /HEfidioj   Tqojeooi  j-idiEodai  xtX. 
Das    Verhältnis    ist    überall    das    gleiche:    Anpassung    Homerischer 
Reden    an    die  Verhältnisse    der    eigenen    Zeit   und  Umsetzung    er- 
zählter Scenen    des  Epos    in    die  Form    der  Rede.     Als    Argument 
für  spätere  Bearbeitung,  Interpolationen  und  dergleichen  ist  es  nur 
zu  verwerten,  wenn    die  Interpolation    schon  aus  anderen  Gründen 
feststeht  —  wie  11,  29—34  —  und  vielleicht  einmal,  wo  die  Über- 
nahme besonders  unpassend  oder  ungeschickt  geschieht.    Das  trifft 
auf  10  B    nicht    zu,  wo  das  Alter  der  umgesetzten  Partie  ja  noch 
ganz  besonders  durch  den  ganz  eigenartigen  v,  25  gesichert  wird'). 

1)  Für  Montis  Kritik  ist  charakteristiscli ,  daß  er  das  Distichon 
25/26  streicht.  Elier  könnte  man  fragen,  ob  nicht  23,24  aus  Homer  inter- 
polirt  ist,  um  das  unangenehme  Distichon  zu  ersetzen,  also  in  der  Ab- 
sicht der  Interpolationen  von  El.  11.  Daß  27  schleclit  anschließt,  wäre 
kein  Gegengrund.  Was  Conjecturen  wie  al/nazosvi''  srdiva  (Fick)  oder 
EvzEQa  d'  aifiazÖEvia  (Cobet)  für  Sinn  haben,  sehe  ich  nicht. 


24  F.  JACOBY 

Dieser    ganz    seltene   Zug,   das    aljuaioevia    alöoia   cpiXmg    er 
X^Qolv    e/^eiv,  wie    immer    es    zu    deuten    ist  ^),    dürfte    gleich  auch 


1)  Geklärt  ist  die  Frage  auch  durcli  Wilamowitz  a.  0.  nicht,  den 
der  berechtigte  Zorn  über  Mülder  hier  die  Gerechten  mit  den  Ungerech- 
ten verdammen  läßt.  Daß  Homerparaphrase  vorliegt,  wie  auch  Dümmler 
annahm,  und  daß  die  Pentameter  24.  28  Füllsel  sind,  hat  er  mit  Recht 
scharf  betont.  Nur  gilt  das  eigentlich  noch  mehr  für  26.  Aber  wer  so 
energisch  ßvuov  ojronvsiovza  xtI.  für  Verbreiterung  erklärt,  der  sollte  nicht 
fragen,  ob  die  Feinde  'so  dumm  oder  auch  so  grausam  waren,  diese  Ver- 
stümmelung an  dem  lebenden  Feinde  zu  vollziehen',  ganz  abgesehen  da- 
von, daß  diese  Verstümmelung  tatsächlich  und  nachweisbar  auch  an 
Lebenden  vollzogen  wurde,  was  noch  im  letzten  Kriege  der  Italiener 
gegen  die  Abessinier  vorgekommen  ist.  Das  vgzeoov  anörEoov  alöota  sv 
XSQoi  Eyovxa  y.ai  XQÖa  yvinvcoßeria  ist  ganz  unbedenklich.  Das  Schlimmste, 
das  der  Pentameter  hervorhebt,  fällt  zuerst  in  die  Augen  und  wird  so- 
fort genannt.  Es  bleibt  übrigens,  wie  immer  wir  25  deuten.  Sprach- 
lich ist  doch  kein  Zweifel,  daß  die  Bach-Wilamowitzsche  Auffassung 
'wie  er  die  blutige  Scham  mit  den  eigenen  Händen  bedeckt  hält'  viel 
eher  des  Beleges  bedarf,  als  die  andere  (11.  y42()  'F  lö2,'i  .  Übrigens  wäre 
zuerst  zu  fragen  —  ich  bin  zwar  überzeugt,  Wilamowitz  wird  die  Be- 
rechtigung dazu  leugnen  — ,  warum  denn  die  Schamteile  ahiazöevTa  sind. 
Aus  Homer  hat  Tyrtaios  das  nicht.  An  Verwundung  glaubt  kein  Mensch, 
weil  eine  so  specielle  Sache  in  die  allgemeine  Mahnung  nicht  paßt. 
Soll  das  also  ein  leeres  Beiwort  sein  oder  stammt  das  Blut  aus  einem 
Bauchschuß?  Sachlich  ist  der  Gestus  der  Scham  selbst  bei  dem  alten 
Manne  um  diese  Zeit  nicht  mehr  so  selbstverständlich.  Seit  fa.st  100 
•Jahren  lief  man  in  Olympia  ohne  Schurz.  720  fing  es  an,  und  wenn  da 
ein  Lakone  siegt,  so  wird  man  glauben  dürfen,  daß  diese  falsche  Scham 
in  Sparta  des  längeren  verschwunden  war,  wenn  sie  dort  jemals  bestand. 
Wilamowitz  verlangt  Analogien.  Er  ist  sonst  der  erste  —  gerade  hier 
beweist  er  es  ja  — ,  aus  vereinzelten  Stellen  zu  lernen.  Und  Analogien 
wofür?  Ich  sehe  nicht,  wie  man  aus  dem  Wortlaut  überhaupt  entschei- 
den will,  ob  es  sich  um  eine  .superstitiöse  Handlung  oder  einfach  um 
einen  Act  der  Roheit  handelt.  Ist  das  erstere  der  Fall,  was  ich  nicht 
glaube,  so  würde  ich  auf  die  Erklärung  verzichten.  Sie  wäre  vielleicht 
nicht  schwer  (es  genügt  auch  nach  Benndorf  und  Wilamowitz  zu  Aischyl. 
Choeph,  439  der  Verweis  auf  Rohdes  Ausführungen  über  den  uaoyaXioiiög. 
Psyche^  I  322 ff. ;  der  Brauch  würde  eine  vollkommene  Parallele  bieten; 
s.  auch  Dümmler,  Kl.  Sehr.  II  219),  aber  unsicher.  Ist  das  zweite  rich- 
tig, so  genüge  die  Erinnerung  daran,  daß  es  ein  Sklavenkrieg  ist,  in 
dem  die  Spartaner  kämpfen.  Ich  lege  keinen  Wert  darauf,  die  Bücher 
über  Grausamkeit  auszuschreiben,  um  zu  beweisen,  daß  die  Rache  der 
Geknechteten  an  ihren  besiegten  Herren  sich  mit  Vorliebe  in  Roheits- 
akten gerade  dieser  Art,  die  übrigens  vielfach  eines  gewissen  grimmigen 
Humors  nicht  entbehren,  entladen  hat.    Das  Wesen  dieser  Paraenesen  läßt 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  25 

den  dritten  Einwand  widerlegen.  Die  Forderung  'individuellen  Cha- 
rakters" ist  a  priori  überhaupt  nicht  sehr  berechtigt.  Wir  können 
dem  Dichter  nicht  vorschreiben,  ob  er  mit  allgemeinen  Gedanken 
oder  mit  besonderen  Hinweisen  auf  die  Verhältnisse  den  Kampf 
empfehlen  will.  Gerade  die  älteste  Elegie  scheint  die  allgemeine 
Mahnung  durch  die  Gedanken,  daß  der  Tod  im  Kriege  ehrenvoll, 
daß  er  unvermeidlich,  daß  seine  Zeit  unbestimmt,  daß  der  wackere 


aber  auch  die  Möglichkeit  oft'en,  daß  es  .sich  um  eine  einmalige  Scheuß- 
lichkeit handelt,  die  der  Dichter  benutzt,  um  den  Kampfzorn  der  Leute 
zu  erregen.  Wer  die  Berichte  über  Kämpfe  der  Engländer  gegen  die 
afghanischen  Grenzstämme  oder  über  andere  Kolonialkriege  gelesen  hat, 
weiß,  wie  die  barbarische  Schändung  der  Gefangenen  und  der  Leichen 
der  Gefallenen  die  Wut  der  Truppen  erregt.  Vereinzelte  Roheiten  der 
Art  zeigt  auch  die  griechische  Kriegsgeschichte,  über  die  die  Schrift- 
steller schnell  hinweggehen.  Was  bedeutet  es  z.  B.,  daß  bei  Xenoph. 
Anab.  III  4,  5  roig  u::io'&av6vrag  avzoy.sXEVOTOi  ot  "EXXip'eg  ■tjixiaavro,  (og  ort 
rpoßeQonaTOV  roTg  :Jo?.e,uloig  el'rj  ögäv?  Doch  oiFenbar  einen  /.lacxo-hofiög,  der 
dem  Griechen  erträglicher  erscheint,  weil  er  an  Barbaren  verübt  wird. 
Mülder  und  anderen,  die  die  Iliasstelle  und  Tyrtaios  verglichen  haben, 
gegenüber  bemerke  ich  noch,  daß  hier  wie  dort  der  Vergleich  von 
'/egcov  und  rhg  ganz  allgemein  zu  fassen  und  nicht  in  den  Einzelheiten 
so  zu  pressen  ist,  als  ob  der  Dichter  sagen  wolle,  es  sähe  schön  aus, 
wenn  die  Hunde  eines  jungen  Mannes  atdco  aloyvvovai.  Wer  so  arbeitet, 
kommt  naturgemäß  dazu,  in  Tyrtaios  den  Vorgänger  zu  finden,  in  dem 
Dichter  des  X  den  ungeschickten  Imitator.  Oder  aber  er  interpolirt  in 
der  llias  einen  Vers,  um  ein  solches  Mißverständnis  auszuschließen. 
Denn  daß  v.  73  y.sToOat,  .-rävTa  6h  y.ala  davövri  jtso  ötti  cfar/jijt  diesem 
Zwecke  dient  und  eine  Interpolation  ist,  ist  mir  ebenso  unzweifelhaft, 
wie  daß  Tyrtaios  ihn  nicht  gelesen  hat.  Son.st  hätte  er  wohl  seinen 
Flickpentameter  28  anders  gestaltet,  Sonst  braucht  man  über  die  Rede 
des  Priamos  und  ihre  Gedankenentwickluug  nach  Wilamowitz  94 f.  kein 
Wort  mehr  zu  verlieren,  außer  daß  es  um  der  Nachahmung  willen  her- 
vorgehoben zu  werden  verdient,  daß  der  Gegensatz  nicht  nur  zwischen 
ysQcov  und  vtog  ist,  wie  bei  Tyrtaios.  Der  Jüngling  in  X  ist  dgijixrd- 
fisvog,  Ss8aiy/.i£vog  6'^ei  yaly.öji  —  dazu  braucht  der  Dichter  mit  Recht 
einen  ganzen  Vers ;  denn  das  gibt,  worauf  es  ihm  ankommt,  den  Unter- 
schied gegen  den  Greis ,  der  einfach  erschlagen  wird  und  TiQwzrjtai  ßv- 
07J101  liegt.  Auch  dies  ein  Beweis,  daß  v.  73  heraus  muß;  der  Interpola- 
tor  hat  den  Sinn  von  72  nicht  begritfen.  Dagegen  Tyrtaios  hat  ganz 
sachgemäß  benutzt  und  den  Gegensatz  entsprechend  der  für  ihn  gülti- 
gen Situation  umgestaltet,  wie  er  auch  mit  dem  Distichon  29,30  das 
übernommene  veoiai  8s  jiävx'  kneoiy.Ev  hübsch  begrenzt  oder  bestimmt. 
Der  V.  oO  ist  ähnlich  formulirt  wie  Kallinos  1, 19.  Aber  der  Gegensatz 
Zcoög  —  ■&vriay.(ov  wird  in  der  alten  Elegie  häufig  gewesen  sein. 


26  F.  JACOBY 

Krieger  von  allen  geehrt  wird  u.  a.  m,,  im  Anschlufs  an  viele  der- 
artige epische  Reden  bevorzugt  zu  haben.  So  arbeitet  Kallinos,  dessen 
Verhältnis  zur  Sarpedonrede  J/ 310/28  für  diese  ganze  Art  und  auch 
für  die  Entstehung  der  kriegerischen  Paraenese  überhaupt  instruktiv 
ist,  in  der  großen  erhaltenen  Elegie  ganz  mit  solchen  allgemeinen 
Gedanken.  Nur  der  Aufruf  enthält,  ganz  wie  bei  Tyrtaios  11,  einen 
Hinweis  auf  die  Situation  aTUO  noXe/iiog  yaiav  äjiaoav  syei,  dem 
Hörer  der  Zeit  ohne  weiteres  verständlich,  für  uns  undeutbar.  Da- 
gegen ist  es  nicht  nur  willkürlich,  in  der  Lücke  vor  v.  5  speciel- 
lere  Angaben  zu  erwarten  (besonders  gern  hat  man  ja  den  Vers 
vvv  ö'  im  Kijujusgicov  orgarog  egysiai  oßgijuoegyMv  hier  einge- 
setzt), sondern  geradezu  falsch.  Denn  der  erhaltene  Schlußvers  des 
verlorenen  Stückes,  yMi  rig  ujioOvijoy.on'  vorar^  äxomodTOJ,  beweist, 
daß  nur  eine  allgemeine  Mahnung  zur  Tapferkeit,  ein  Gegensatz  zu 
dem  im  Eingang  gerügten  y.aTay.Eiodai  dagestanden  haben  kann 
(s.  u.  S.  40).  Derselbe  Kallinos  hat  im  Aoyog  etg  Aia,  der  der  Form 
nach  keine  Paraenese  ist,  sondern  wie  Solons  Aoyog  elg  Movoag 
zu  beurteilen  sein  wird,  aber  wohl  noch  mehr  wirkliches  Gebet 
war,  Namen  und  Daten  genug  gegeben,  um  auch  uns,  wenn  wir 
das  Gedicht  hätten,  die  Feststellung  der  Situation  zu  ermöglichen. 
Das  Fehlen  oder  Vorhandensein  'individueller  Züge'  beweist  für  das 
Alter  eines  Gedichtes  also  nichts.  Es  steht  hier  ähnlich  wie  mit 
den  literarischen  Feldherrnreden.  Aber  am  wenigsten  berechtigt 
ist  die  Forderung,  wenn  man  allein  solche  Züge  gelten  läßt,  die 
uns  die  Situation  verraten,  in  der  die  Elegie  vorgetragen  ist.  Auch 
in  11  gibt  der  Dichter  ausdrücklich  und  absichtlich  nichts  Näheres 
über  Situation,  Gegner  und  dergleichen.  Allerdings  kann  man 
hier  —  und  Wilamowitz  hat  es  getan  —  aus  der  Ausdrucksweise 
die  Situation  ableiten  und  kommt  hier  etwas  weiter,  als  bei  Kalli- 
nos 1,  4,  der  formell  gleichsteht.  Schon  das  dagoeiie  der  Anrede 
statt  des  gewöhnlichen  jiidyeode  zeigt,  daß  der  Dichter  hier  nicht 
einfach  anfeuert,  sondern  ein  geschlagenes  Heer  ermutigt.  Dieser 
Gedanke  beherrscht  ihn  so  ausschließlich,  daß  er  den  einleitenden 
Ruf  qVm  dagonxE  zerreißt,  um  noch  vor  der  Aufforderung  ein  Wort 
des  Trostes,  der  Ermutigung  vorausschicken  zu  können: 

äDJ   —  "Hgax/^fjog  ydg  ävix}jrov  yh'og  ioze   — 
dagoeZz    —  ovjiw  Zevg  avyeva  Xo^ov  eyei  — 
firjö'  ävdgon>  jrh]dvv  detjuaivexe  xtX. 
Das    paßt    natürlich   ausgezeichnet  zu  der  Tradition  über  Tyrtaios; 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGJKERN  27 

denn  aus  solchen  Gedichten  ist  ja  die  Tradiliun  erst  abgeleitet,  die 
die  Spartaner  nach  schweren  Niederlagen  —  iyovrcov  udvfxcog  uexa 
Trjv  Jih]y)']v  Pausan.  IV  16,  6;  luslin.  III  5,  6  weiß  von  'drei  Schlach- 
ten', in  denen  sie  geschlagen  sind  —  sich  nach  Delphi  und  Athen 
wenden  läfst.  Selbst  die  Gegner  kann  man  in  diesen  Versen  indi- 
rekt angedeutet  finden.  Den  'schiefen  Nacken  des  Zeus'  hat  nach 
einem  längst  verglichenen  Distichon  des  Theognis  (535,'6)  erst  Wila- 
mowitz  richtig  gedeutet  'noch  ist  Zeus  kein  Sklave'.  Man  hat  das 
trotzdem  nicht  verstehen  wollen.  Aber  vergleicht  man  11.  A  234: 
'Agyeioi,  juYj  ncö  ti  jLieüieTE  OovQiSog  älySjg' 
ov  yuQ  eni  ipevdeooi  Jiarijo  Zeug  eoosi'  aQOjyog 
(wo  Aristarch  xpevdeooi  (bg  oacpeooi  schrieb,  um  die  Bedeutung 
ov  yuQ  ToTg  xpevojaig  TqcooI  ßorjOei  6  Zevg  zu  gewinnen,  wäh- 
rend Hermapias  sich  mit  nicht  schlechten  Gründen  für  ipEvdeooiv 
(hg  TEiyjooiv  entschied)  und  denkt  man  an  die  Schilderung,  die 
Tyrtaios  fr.  6.  7  von  den  durch  Theopomp  unterworfenen  Messe- 
niern  gibt  (ojotisq  övoi  jueyd^oig  äyßeot  leiQÖjuevoi  und  deoJiozag 
olfxw'Qovreg),  so  wird  allerdings  wohl  deutlich,  daß  eine  Anspielung 
auf  die  Gegner  beabsichtigt  ist:  die  Sklaven,  zu  denen  Zeus  nicht 
gehört,  sind  die  aufständigen  Hörigen,  und  die  Beziehung  auf  den 
großen  messenischen  Aufstand  ist  damit  gesichert. 

Das  ist  gewiß  individuell;  aber  es  sind  nur  Andeutungen.  In 
einem  anderen  Gedicht  stand  dagegen  auch  Deutlicheres,  sogar 
Namen  von  Personen  —  sehr  bezeichnend  freilich,  daß  es  der  alte 
König  Theopomp  ist,  der  mit  seinen  Mannen  paradeigmatisch  ver- 
wendet ist;  die  Könige  der  Gegenwart  hat  Tyrtaios  nicht  genannt 
(Pausan.  IV  15,  2).  Ithome  kam  vor  und  auch  die  Meooi'jvioc 
waren  in  den  sehr  lebendigen  Schilderungen  sicher  genannt.  Aber 
nichts  berechtigt  uns,  die  gleiche  Art  von  allen  Gedichten  zu  ver- 
langen. Mir  scheint  es  für  eine  einzelne  Paraenese  individuell 
genug,  was  v.  25  sagt;  noch  individueller  freilich  die  ganze  Mah- 
nung, die  Alten  nicht  im  Vorkampf  allein  zu  lassen.  Die  kann 
gar  kein  Bearbeiter  hereingebracht  haben,  schon  weil  die  Teilnahme 
der  jiaXaioreQoi  am  Kampfe  in  dieser  Weise  singulär  ist.  Das 
weist  auf  alte  Zeit  ^).     Und  hübsch,  des  Dichters,  der  ja  selbst  zu 

1)  In  dem  altspartaiiisclien  Kriegerstaate  bat  es  gewiß  ursprüng- 
lich überhaupt  keine  Altersgrenzen  gegeben.  Später,  als  die  feste  Ho- 
plitenphalanx  besteht  und  man  die  WehrpflicLtigeu  nach  Jahrgängen 
aufruft  (aber  wohl  nicht  nach  einzelnen,  sondern  in  Gruppen  zu  je  fünf 


28  F.  JACOBY 

den  TiaXaiöregoi  gehören  mufs,  würdig  ist  es,  wie  er  es  selbstver- 
ständlich findet,  daß  die  Alten  nicht  fliehen,  sondern  bis  zum  Tode 
kämpfen.  Sie  bedürfen  keiner  Mahnung,  die  auch  unpassend  ge- 
wesen wäre.  Aber  es  wird  wohl  vorgekommen  sein,  was  er  schil- 
dert und  was  ihn  zu  seiner  Mahnung  veranlaßt.  Nichts  hindert, 
diese  Elegie,  so  wie  sie  ist,  für  sehr  alt  zu  halten.  Und  dann 
wird  sie  auch  dem  'Tyrtaios'  gehören  ^). 

TOI  dexa,  jiBvrexaidexa  ktI.  aq^'  i'ißiii),  stehen  die  Alten  nicht  in  den  vor- 
dersten Reihen,  sondern  gewissermaßen  als  Triarier:  Thukyd.  V  72,  3  in 
der  Schlacht  bei  Mantinea  werfen  die  Gegner  den  linken  Flügel  der 
Lakedaimonier  xal  i^scooar  ig  rag  d/nd^ag  xai  r<ar  :JosaßvTEQOiv  xöiv  i:rttsTay- 
uEvoiv  ajiexTeivä%'  xivag.  Zum  Feldheer  gehören  sie  auch  damals  noch 
us/Qi  rcöv  TETragduorra  ä(f'  tjßijg  (Xenoph.  Hell.  VI  4,  17)  und  werden  im 
Notfall  zur  Verstärkung  der  Moren  hinausgeschickt.  Erst  mit  60  sind 
sie  vom  Kriegsdienst  im  Ausland  befreit.  Im  Epos  kämiDfen  naturgemäß 
vor  allem  die  veoi.  Aber  .la/.aioTEQog  ist  nicht  nur  Nestor,  der  als  Führer 
idcht  unter  die  Altersgrenze  fällt,  auf  die  sich  Agesilaos  einmal  auch 
für  die  Könige  beruft  (Xenoph.  Hell.  V  4,  13).  Aber  wenn  Poseidon  im 
i'lSß  7Ta?.auoi  (fonl  ioixcog  dem  Agamemnon  Trost  zuspricht,  so  hat 
dieser  Dichter  mindestens  auch  keine  Altersgi'enze  gekannt.  Zenodot 
hat  den  alten  Mann  zwar  durch  Einschub  eines  Verses  zum  Edlen  ge- 
macht {ilrzidecoi  fpoirixi  ojiäovi  IJi]?.ei'(orog  aus  W  360;  der  Vers  paßt 
keinesfalls  hierher),  aber  Wilamowitz  231  hat  gewiß  recht,  daß  'ein  ge- 
meiner Soldat'  gemeint  ist.  Später  kennen  die  Söldnerheere  natürlich 
keine  Altersgrenzen.  Überall,  wo  die  Alten  mitkämpfen,  ist  es  ein 
natürliches  Gebot  der  Kriegerehre,  sie  nicht  ohne  Unterstützung  im 
Kampfe  zu  lassen.  Das  muß  Tyrtaios  den  durch  die  vorhergegangeneu 
Mißerfolge  demoralisirten  Lakedaimoniern  hier  einschärfen.  Diomedes 
(9  78 if.  handelt  danach  und  ruft  Odysseus  zu:  'fliehe  nicht  xaxog  wg  er 
ouü.coi,  dVÄ  fiev',  ocpga  yegovzog  anwoofiev  ayoio%'  ävdga,  um  dann,  als  dieser 
nicht  hört  —  die  Controverse  über  ov8'  iodxovos  ist  bekannt  — ,  allein 
Nestor  zu  helfen.  Seine  Worte  sind  ein  Muster  feinster  ritterlicher  Höf- 
lichkeit :  f'j  ysQov,  fj  fidla  öy  as  veoi  reigovoi  finx>]Tal  xtX.  Die  Anschau- 
ung, daß  das  0  zur  Vorschrift  des  Tyrtaios  'ein  Musterbeispiel'  geben 
>oll,  wäre  grotesk,  auch  wenn  die  Situation  bei  Tyrtaios  nicht  so  indi- 
viduell wäre  und  wenn  das  Wesentliche  der  lliasscene  nicht  Nachbil- 
dung der  Rettung  Nestors  durch  seinen  Sohn  Antilochos  in  einem 
älteren  Gedicht  wäre.  Die  Jugend  und  'Minderwertigkeit'  des  &  tut 
also  gerade  hier  nichts  zur  Sache.  Sonst  würde  es  sich  jetzt  wohl 
lohnen,  einmal  das  Verhältnis  der  Elegie  zum  Epos  neu  zu  untersuchen, 
da  ein  Einfluß  der  ersteren  auf  die  jüngere  Epik  a  priori  natürlich  nicht 
ausgeschlossen  ist.  ich  bin  freilich  überzeugt,  das  Resultat  wird  ganz 
negativ  sein. 

1)  Für  die  Deutung  auf  den  Messenierkrieg  und  spartanische  Ver- 
hältnisse s.  die  beiden  voraufgehenden  Anmerkungen. 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  29 

Denn    die    beiden  Elegien  10  B  und  11    sind  einander  in  Ab- 
•/weckung  und  Form  recht  ähnlich.     Beide  sind  Paraenesen  an  die 
veoi  (10,  15.   11,  10),    die    in    oflener  Feldschlacht  kämpfen  sollen, 
in  einer  Formation,  die  auch  in   10  B  noch  die  alle  ist.     Auch  hier 
führt  nichts    auf  die  später  berühmte  spartanische  Phalanx.     Beide 
setzen  kräftig  mit   dem  Aufruf  dVA  judyeoif^e,   äXXd  OaooeTze  ein. 
dem  der  Gegensalz  folgt.     Auch  dies  ein  vTrtgßarov,  aber  ein  ein- 
facheres als  das,  mit  dem   10  A   beginnt.     Dieser  Beginn  der  Par- 
aenese  macht  einen  formelhaften   Eindruck  gegenüber  der  im   Epos 
häufigen   und  danach  von  Kallinos  verwendeten  rhetorischen  Frage 
/lexQi?  tsv  xaidxeio&e,  und  einen  älteren  gegenüber  dem  Hervor- 
treten   des    Sprechers    in   12    Ovr     dv   fiv}]oaifU]v    ovr'    ev   XoyoJi 
ävdga  nßei/iap',    das    man    freilich    schon    dem  Archilochos   conce- 
diren  muß.     Dieser  formelhafte  Charakter,   den    man  gerade  einem 
lakonischen  Dichter  gern  zutraut,  verstärkt  sich,  wenn,  wie  wir  nun 
annehmen  müssen,  in  beiden  Gedichten  die  didaktische  Anrede  an 
die  Hopliten  und  Gymneten  den  Schluß   bildete   —    denn  daß   mit 
11,  35/36  das  Gedicht  zu  Ende  war,  scheint  mir  ebenso  sicher,  wie 
daß    es    mit    dVA  dagodre    begann.     Wir    haben    da   eine  kanon- 
artige  Didaxe,    die    der  Lakone  vielleicht   schon    von    einem    seiner 
ionischen  Vorgänger  übernommen  hat,    dem    der  in  seiner  Heimat 
nicht  mehr  gebräuchliche  Riesenschild  Anlaß   zu   den    signifikanten 
Versen  bot.     Diesen    feststehenden  Versen   schickte  er  nach  Bedarf 
die  aus    der  Situation  geborene  Paraenese  vorauf.     Diese  ihrerseits 
besteht  aus  dem  allgemeinen  Aufruf  —  'kämpft  tapfer,  flieht  nicht': 
dieser  Gedanke  ist  gegeben  und  wird  nur  im  Ausdruck,  kaum  noch 
in  der  Form  variirt  —  und  einer  speciellen  Mahnung,  wie  in  10  B. 
oder  einer  speciellen  Begründung,  wie  in  11.     Nur  in  diesem  Teile 
liegt   das    eigenthch    individuelle    oder   besser   das  aktuelle  Element 
der  betreffenden  Elegie.     In   dieser  Partie   hat   in    anderen  Elegien 
einst    die    paradeigmatische    Berufung    auf    König    Theopomp,    die 
Schilderung,  wie   völlig    die   tapferen  Großväter    die  Messenier    ge- 
knechtet hatten,  der  Hinweis  auf  die  eine  Flucht  hindernden  Gräben 
und  vielleicht   noch    manches  andere  gestanden,  wovon   uns    keine 
Spur   geblieben   ist.     Allzuviel  war    es  schwerlich,  wenn  wir   nach 
der    Überlieferung    des    messenischen    Aufstandes    urteilen    dürfen. 
Doch  wissen  wir  nicht,  wie  genau  Kallisthenes  das  Buch  auf  histo- 
rische Judicien  durchgearbeitet  hat  und  ob  er  mehr  nahm,  als  was 
in  die  Augen  sprang.     Nach  ihm  hat  es  ja  kaum  noch  jemand  an- 


30  F.  JACOBY 

gesehen.  Natürlicli  will  ich  nicht  bestreiten,  daß  10  B  von  einem 
anderen  Dichter  stammen  könnte  als  11.  Ein  solches  Stück  ver- 
trug eine  Wiederholung,  wälirend  die  Paraenese,  solange  sie  lebendig 
war.  je  nach  den  Umständen  sich  modelte.  Aber  für  wahrschein- 
lich halte  ich  es  nicht,  weil  auch  dieses  Gedicht  wegen  des  v,  25 
keinesfalls  auch  nur  ins  6.  Jahrhundert  hinabgedrückt  werden  kann. 
Mir  scheint  vielmehr  eine  solche  Übung  der  aus  lonien  oder  viel- 
mehr von  einem  ionischen  Dichter  in  Sparta  übernommenen  Form 
dem  specifisch  sparliatischen  Wesen  ganz  angemessen.  Diesem 
Wesen  schreibe  ich  auch  —  mit  der  gebührenden  Vorsicht,  da  von 
der  ionischen  Kriegspoesie  ja  nur  ganz  dürftige  Reste  erhalten  sind 
und  aucli  vom  echten  Tyrtaios  nicht  gerade  viel  da  ist  —  die  aus- 
schließlich praktische  Gestaltung  der  Paraenese  zu.  Dem  lakoni- 
schen Dichter  fehlt,  was  doch  schon  die  homerischen  Mahnreden 
zeigen,  die  Verwendung  allgemeiner  Gedanken,  die  den  Mann  zum 
tapferen  Kampfe  bestimmen  sollen:  die  Ehre  als  abstrakter  Begriff, 
wie  sie  doch  schon  in  Kallinos  rijuTjev  xe  ydg  ion  erscheint; 
Argumente,  die  der  lonier  aus  der  Spekulation  über  die  Ungewiß- 
heit des  menschlichen  Lebens  zieht  —  davarog  Öe  tot'  eoGexat, 
OTTTiöre  y.ev  ö)/  Moloai  enixldbacooi  und  ov  yoLQ  y.u>g  ^dvaiov 
ye  q^vysTv  eijuagjiievov  eoriv  — ,  selbst  die  Erinnerung  an  den  Nach- 
ruhm. Er  wirtschaftet  ausschließlich  mit  Argumenten  ad  hominem 
Ratschlägen  oder  Feststellungen,  wie  sie  dem  Krieger  leicht  ein- 
gehen :  es  sieht  nicht  hübsch  aus,  wenn  die  alten  Leute,  die  nicht 
mehr  so  schnell  laufen  können,  erschlagen  daliegen;  ihr  seid  kriegs- 
erfahrene Leute,  also  müßt  ihr  wissen,  daß  die  Flucht  euch  nur 
schadet.  Denn  ein  Fliehender  ist  leichter  zu  treffen ;  der  Zusammenhalt 
sichert  jeden  einzelnen  usf.  Diese  praktische  Gestaltung  der  übri- 
gens, soweit  wir  sehen,  sehr  aktuellen  Paraenese  scheint  mir  cha- 
rakteristischer für  Tyrtaios,  als  der  gewöhnlich  hervorgehobene 
Mangel  an  Individualität.  Ich  bezweifle,  daß  diese  Individuahtät  in 
der  ionischen  Kriegsparaenese  gar  so  stark  war.  Sie  wnrd  da 
durch  die  Bevorzugung  allgemeiner  Gedanken  stark  eingeschränkt. 
Diese  allgemeinen,  meist  schon  aus  den  Reden  des  Epos  stammen- 
den Gedanken,  die  immer  wieder  erscheinen,  verleihen  der  ionischen 
Elegie,  soweit  wir  sie  kennen,  jedenfalls  einen  viel  weniger  aktuellen 
Charakter.  Man  hat  bei  ihnen  vielmehr  das  Gefühl,  daß  sie  überall 
und  zu  jeder  Zeit  passen.  Das  gilt  schon  für  Kallinos  1;  aber  es 
gilt  nicht  für  Tyrtaios  10  B  und  11.     Und  ein  Beispiel,  wie  sehr 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  31 

diese  ionische  Kriegspoesie  bestimmte  schemalische  Formen  an- 
genommen liat,  liefert  uns  gerade  die  letzte  große  unter  Tyrtaios' 
Namen  laufende  Elegie. 

12. 
Auch  über  diese  El,  12  Ovi'  äy  /(yi]oaii(7jr  kann  ich  Wila- 
mowitz'  Auffassung  nicht  ganz  teilen,  ohne  andrerseits  die  unüber- 
legten Widerlegungsversuche  Sitzlers  und  Montis  auch  nur  in  einem 
Punkte  mitzumachen,  für  die  das  Gedicht  wieder  Tyrtaios  und 
7.  Jahrhundert  ist.  Alle  Verleidiger  des  alten  Ursprungs,  von  Weil 
Etudes  199  angefangen,  haben  ihren  Blick  einseitig  auf  die  lange 
Reihe  der  nagadeiy/iara  3  —  10  gerichtet,  die  als  solche  natürlich 
auch  in  einem  alten  Gedicht  möglich  ist  ^),  statt  auf  den  ganzen 
Aufbau  des  Gedichtes,  der  so  überlegt,  so  bewußt  symmetrisch  ist, 
daß  Wilamowitz  gewiß  das  Richtige  getroffen  liat,  wenn  er  die 
Elegie  jetzt  'erst  der  Sophistenzeit'  zutraut-).  Ihr  Dichter  ist  auch 
nicht  'der  Sänger,  dessen  Beruf  es  ist,  yJJa  avögcöv  zu  feiern'-"'), 
sondern  der  ethische  Denker,  der  auch  in  poetischer  Form  sich 
geradezu  ein  Thema  stellt  und  es  in  klarer  Gliederung  der  Ge- 
danken abhandelt.  Ein  Kritias  oder  ein  Sophist,  der  sich,  wie 
Hippias,  Euenos  u.  a.,  auf  seine  Beherrschung  auch  der  poetischen 
Form  etwas  zugute  tat,  könnte  solche  Elegie  geschrieben  haben; 
nie  und  nimmer  der  Dichter  von  10  B  und  11,  auch  kein  lonier 
des  7.  Jahrhunderts. 


1)  Man  vergleicht  gewöhnlich  /  379  ff.  und  E  Sil  S.;  vrarum  ge- 
rade diese  beiden  Stellen,  ist  nicht  recht  einzusehen,  zumal  die  formale 
Gestaltung  anders  ist.  Die  Aufzählung-  wird  da  durch  Wiederaufnahme 
des  Eingangs  abgeschlossen.  Legt  man  auf  die  Aufzählung  besonderen 
Wert,  so  kann  man  noch  manches  andere,  wie  die  Reihe  der  jranaögiy- 
iiura  für  T/.f]vo.i  £"  382  ff.,  heranziehen.  Will  man  den  'rhetorischen' Cha- 
rakter der  Partie  beweisen,  so  kann  man  Dutzende  von  Stellen  anführen, 
schon  aus  sehr  alten  Teilen.  Bewiesen  wird  mit  den  Analogien  für 
unsere  Frage  nichts. 

2)  Sappho  u.  Simon.  2.''i7,  L  Textgesch.  115  rühmte  er  die  'Leich- 
tigkeit und  Elcgjinz',  so  daß  er  'nicht  wagen  würde,  das  Gedicht  selbst 
einem  Selon  zuzutrauen'.  Das  Lob  würde  ich  nicht  hoch  werten.  Man 
kann  gern  zugeben,  daß  Selon  allmählich  Fortschritte  in  der  für  Athen 
neuen  Kunst  gemacht  hat,  Gedanken  poetisch  auszudrücken.  Aber  Leich- 
tigkeit und  Eleganz  sind  die  Eigenschaften,  an  die  man  bei  seinen  Ge- 
dichten am  letzten  denkt. 

•S)  Reitzenstein ,  Epigr.  u.  Skol.  4ß,  2,  der  von  den  vv.  3 — 10  einen 
kaum  berechtigten  Gebrauch  macht. 


32  F.  JACOBY 

Der  erste  Teil  un:ifaf3t  die  vv.  1  —  14.  Es  ist  die  Propositio, 
die  Thernastellung.  In  der  Form  der  ovyxQioig  werden  die  Vor- 
züge {aQetai)  aufgezählt,  die  ein  Mensch  besitzen  kann,  und  alle  für 
gering  erklärt  gegenüber  der  &ovQig  älxrj.  Deutlich  schließt  dieser 
Teil  mit  der  Behauptung,  die  der  Dichter  beweisen  will: 

13  ijd^  ägex/],  Tod'  äe§Xov  iv  äv&Qomoioiv  ägiorov 
xdVuoTO}'  T£  (peqeiv  yiyverai  dvögl  vecoi. 

Und  deutlich  nimmt  darauf  der  Schlufs  des  Gedichtes  Bezug,  nach- 
dem der  Beweis  geführt  ist: 

43  Taj'r»;?'  vv7'  rig  ävi]Q  doeTfjg  dg  äxgov  Ixeo&ai 
Tieigdo'&a)  -d^v/uwi,  jur]  jueß^islg  noXifxov. 

14—42  führen  den  Beweis  für  den  Satz  'von  allen  dgerai  ist  krie- 
gerische Tüchtigkeit  für  den  Mann  die  beste".  Er  beginnt  mit 
der  allgemeinen  Aufstellung  (15 — 22),  daß  ein  Mann,  der  diese 
dgeiTJ  besitzt,  ein  Schatz  für  die  ganze  Stadt  ist  —  v.  15  ist  zu- 
sammengesetzt aus  77  262  ^vvbv  de  xaxbv  tioIeeogl  Tc&ecoi  und 
r  50  Tiargi  re  ocbi  jueya  Jitj/ua  noXrji  rs  Tidvxi  ze  d'^jucoi.  Dabei 
wird  zuerst  Wesen  und  Benehmen  eines  solchen  Mannes  ausführ- 
lich im  Relativsatz  (16 — 19)  geschildert,  dann  erst  die  Leistungen 
angegeben  (21  —  22),  die  ihn  zu  einem  ivvöv  dya&öv  machen. 
Mit  dem  Flickpentameter  20,  der  im  Ausdruck  mit  10  genau  cor- 
respondirt,  hilft  sich  der  Dichter  auf  das  zurück,  was  er  eigentlich 
sagen  wollte.  Daran  schließt,  wie  die  Stadt  sich  zu  einem  solchen 
Manne  stellt  (23  —  42),  wieder  zweigeteilt;  wenn  er  selbst  im 
Kampfe  fällt  (23-34)  und  wenn  er  am  Leben  bleibt  (35—42). 
Den  Eingang  avTÖg  ö'  iv  Jigofid^oioi  Tieochv  23  hat  Bergk  mit 
der  leichten  Änderung  ög  (5'  am  hergestellt.  Wäre  sie  nicht 
so  leicht,  würde  ich  diesem  Dichter  wohl  die  Gedankenlosigkeit 
zutrauen,  daß  er  im  Stil  und  mit  den  Ausdrücken  der  Grab- 
epigramme —  diesen  Stil  erkannte  schon  Schwartz  —  den  Tod 
fürs  Vaterland  priese  und  dann  doch  die  Möglichkeit  eI  de  (pvytji 
juev  xfjga  anschlösse.  Die  Grabepigramme  können  sie  natürlich 
nicht  beachten;  aber  mindestens  seit  Kallinos,  der  auch  darin  dem 
Epos  folgt,  ist  die  Aufstellung  der  beiden  Eventualitäten  in  der 
kriegerischen  Paraenese  üblich;  und  seit  Kallinos  —  oder  vielmehr 
seit  der  Hektorrede  im  O  —  steht  der  Tod  an  erster  Stelle  in 
breiterer  Ausführung,  wird  die  Möglichkeit  des  Überlebens  gleich- 
sam anhangsweise   behandelt.     Horaz  trifft  das  Wesen  dieser  Par- 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  38 

aenese,   wenn   er   überhaupt   nur   den    Tod    fürs    Vaterland    nennt: 
dulce  et  decorumst  -pro  patria  mori. 

Auf  den  ersten  Blick  scheint  dieser  symmetrische  Aufbau, 
scheinen  vor  allem  die  auffällig  angebrachten  Correspondenzen 
(10  o3  20;  13/14  OS  43/44)  allerdings  das  Urteil  zu  bestätigen,  dali 
diese  Elegie  'in  ihrer  Geschlossenheit  und  Vollendung  keinen  Ge- 
danken an  Überarbeitung  gestattet'.  Tatsächlich  liegt  die  Sache 
auch  anders,  als  in  10  B  oder  11,  wo  wir  durch  Absonderung  der 
jüngeren  Parallelfassungen  und  durch  Aussonderung  von  ein  paar 
törichten  Interpolationen  ohne  große  Mühe  den  alten  Gontext  wieder- 
gewinnen. Das  Verhältnis  von  alten  und  jungen  Partien  in  dieser 
Elegie  ist  complicirter  und  vielleicht  überhaupt  nicht  nur  auf  eine 
Weise  zu  erklären. 

Beginnen  wir  mit  dem  Schlußteile  23 — 42,  in  dessen  zweiter, 
vielbehandelter  Versgruppe  35—42  anerkanntermaßen  nicht  alles  in 
Ordnung  ist.  Über  die  Wiederherstellung  des  Ursprünglichen  hat 
man  sich  allerdings  nicht  einigen  können^).  Ich  schreibe  die  Verse 
so  hin,  daß  die  einfachste,  meines  Wissens  bisher  nicht  beachtete 
Möglichkeit  heraustritt,  die  Annahme  dreier  Fassungen  der  Apodosis: 
35  et  de  (pvyi]i  [xhv  xrJQa  TavijXeyeog  '&avdroio 
vixrjoaq  d'  aixjurjg  dykaov  sv^og  s'Xrji, 

I  37  jcdvieg  juiv  rijucooiv  öjucög  veoi  fjde  naXaioi, 

TioXld  de  xeQTivä  jia&cov  egy^erai  elg  'Aidrjv. 

II  39  y7]Qdoxcov  [ö']  doxoloi  [.lerangenei  ovöe  rig  avxbv 

ßkameiv  ovx'  alöovg  ovre  öixijg  e&eXei. 
III  41  jidvTeg  [d']  iv  ^coxoioiv  ojucog  veoi  oi  re  xar'  avxbv 

eixovo'  ex  xcbQi]g  ol  re  Tiakaioxegoi. 
Die  Fassung  I  benutzt  einen  Pentameterschluß  des  Mimnermos 
(2,  14  IjueiQCOv  xaxd  yrjg  eQyexai  elg  'Aiöijv,  danach  Theogn.  726). 
daneben  vielleicht  einen  Vers  des  Archilochos  (8,  2  ovöeig  dv  fxdXa 
noll^  l/ueQoevxa  nddoi),  während  der  Hexameterschluß  aus  Homer 
stammt  (IL  £"108.  Od.  a  395.  ß  293.  d  720.  §  58).  Daß  sie  dem 
Sinne  nach  keine  Fortführung  erlaubt,  ist  ebenso  klar,  wie  daß  sie 

1)  Thiersch  ordnete  nm:  37/38.  41/42.  39/40.  Francke  sonderte 
39/42  mit  dem  Schlußdistichon  4.3/44  zusammen  aus.  Schneidewin  und 
Wilamowitz  strichen  37/38.  Schwartz  464,  2  hielt  die  Stelle  für  'stark 
zerstört  durch  Dittographien'  und  gab  versuchsweise  nävtsg  fuv  zi/xwoiv 
6fiü>g  veoi  Ol  TS  xaz'  avzov  X^^QV?  ^'  ei'xovatv  roTg  xe  TiaXaiorsQoig  yrjQäoxcor 
dazoiot  fiszayiQsjiEi  ovös  zig  —  s^eXei.    Andere  anderes. 

Hermes  LIII.  3 


34  r.  JACOBY 

die  älteste  ist.  Daß  ihr  veoi  f]de  naXaioi  correspondirt  mit  dem 
%>eoi  rjde  yeQOvreg  v.  27,  scheint  noch  besonders  für  Zugehörigkeit 
zu  der  Elegie  zu  sprechen,  die  solche  Gorrespondenzen  liebt  (10 
OD  20.  16  rss  23).  II.  III  setzen  sie  voraus,  indem  sie  das  knappe 
xegjivä  nad^eiv  in  den  Einzelheiten  ausführen.  III  ist  zudem  noch 
im  Wortlaut  von  ihr  abhängig.  Sinn,  Ort  und  Zeit  von  II,  in  der 
Schwartz  464,  2  einen  spartanischen  Zug  findet  —  'nach  Aristo- 
teles und  Xenophon  ist  die  Aufnahme  in  die  Gerusie  ädXov  Trjq 
aQETTJg,  die  Geronten  sind  ävev&vvoi"  — ,  eröffnet  die  Klage  der 
Marathonomachen  (Aristoph.  Ach.  676 ff.): 

Ol  yeQOvreg  oi  nalmol  juejU(p6jueo&a  rrjt  JioXei. 
ov  ydg  ä^icog  exeivcov  u>v  ivavjLia/jjoajuev 
yy]QoßooHOVjueo&'  vgp'  vjucbv,  dXXd  deivd  Jidoxojuev, 
oi'  Tiveg  yeQOvrag  ävdgag  ijußd?,ovreg  ig  ygacpdg 
vjid  veavioHOJV  eäre  xazayeXdod^ai  g^jJOQCov. 
Ihnen    gegenüber,    die    nichts    mehr    sehen    ei   ju)]    xrjg    dinf]g    irjv 
i]lvyy]v,  läßt  man  es  an  der  gebührenden  Achtung  fehlen,  verküm- 
mert  ihnen  ihr  Recht.     Aixr]  und  aldcbg  gehören  zusammen,  wie 
bei  Hesiod.  "'Egy.  192  ff.  dixi'}    (5'  ev  xegol,    xal  aiöwg  ovx  eozai' 
ßXdxj'ei  (5'  6  xay.og  zöv  dgeiova  cpwxa  juv&oioiv  oxoXuolo'  evencov, 
ejii  <5'  oQxov  djuehai  (vgl.  Plat.  Leg.  XII  943  D).    Die  Frage  ist  nun, 
ob  II  und  III  zusammengehören.     Legt    man    den  strengsten  Maß- 
stab an,  so  schließen  sie  sich  aus.     Nicht  nur,    daß  jede  Fassung 
—   auch    II   im   Lichte    der    Aristophanischen    Klage    —    für    sich 
stehen  kann,  III  gewinnt  eigentlich  erst  rechten  Sinn,  wenn    ganz 
allgemein  der  tapfere  Mann,  nicht  nur  der  y}]Qdoxcov  diese  Ehren 
genießt.     Besonders    die   TtaXaiöregoi    sind    neben    oder   nach  dem. 
yi]Qdoxcüv  überflüssig.     Auch  daß  beide  Hexameter  auf  das  gleiche 
Wort  ausgehen,  macht  bedenklich.     Andrerseits  sind  beide  Fassun- 
gen mit  de  in  den  Text  eingearbeitet,  scheinen  nicht  bestimmt,  die 
Fassung  I   zu   ersetzen,  was   der   Zweck   der  jüngeren   Fassungen 
von  EI.  11    ist,    die    die    allen  Verse    den    modernen  Verhältnissen 
oder    die   lakonischen  Gedichte    den  Zuständen    anderer  Städte   an- 
passen wollen.     Danach  wäre  es  doch    nicht   unmöglich,    daß    wir 
sie    nicht    als    fälschlich    in   den  Text  geratene  Parallelen  oder  als 
Doppelfassungen    zu    betrachten    haben,    sondern    als    beabsichtigte 
Erweiterung  und  Eindichtung    in    die  berühmte  Elegie.     Der  Inter- 
polator  war  gerade  kein  Meisler,  aber  er  machte  immerhin  sehr  viel 
bessere  Verse,  als  die  Rhapsoden,  die  in  10  B  und  11  ihr  Wesen 


Zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  35 

getrieben  haben.  Daß  Theognis  933.8  zu  keiner  Entscheidung  ver- 
hilft, will  ich  ausdrücklich  bemerken.  Er  hat  die  Elegie  genau  so 
gelesen,  wie  Stobaeus  sie  gibt.  Nur  hat  er  die  drei  Distichen  zu 
zweien  verkürzt,  was  für  seinen  Zweck  mehr  als  ausreichend  war, 
indem  er  II  ganz  aufnahm,  I  und  III  zusammenarbeitete.  Das  hat 
die  Kritiker  merkwürdigerweise  irregeführt.  Schließlich  gibt  es  noch 
eine  dritte  Möglichkeit,  sich  mit  den  drei  Distichen  abzufinden. 
Aber  dazu  müssen  wir  erst  weitergehen. 

Eine  Doppelfassung  —  um  zunächst  diesen  bequemen  Aus- 
druck beizubehalten  —  liegt  auch  in  der  ersten  Versgruppe  des 
Schlußleiles  vor. 

27  Tov  <$'  öXocpvQOvrai  /uev  oficog  veoi  i)de  yegovTeg, 

ägyalewi  re  Jiodcoi  Jiäoa  yJxijöe  7i6)dg ' 
I  29  y.al  TVjiißog  y.al  Jialdeg  ev  ävdgcojioig  äoio}]juoi 

xal  Jiaidcov  Jialösg  y.al  yevog  e^omoco. 
II  31   ovde  noze  xXeog  eod^Xöv  äjiSllvrai  ovo'  övoju^  avzov, 

dXX'  vno  yijg  neg  icav  yiyvexai  äd^dvarog, 
33  övTiv'  aQiOTEVovra  juevovrd  re  jLiaQvdjiievov  re 

yfjg  TiEQi  y.al  naidcov  ß'ovQog  "AQf]g  dleorji. 
Weil  hatte  früher  31 — 34  als  Interpolation  aus  einer  anderen 
Elegie  gestrichen.  In  der  Tat  ist  I  so  vollständig  und  abge- 
schlossen wie  die  Fassung  I  der  eben  besprochenen  Gruppe.  Ihr 
Pentameter  stammt  hier  aus  Solon  (13,  32  ?/  jialÖeg  Tomcov  fj 
yevog  e^omooi),  der  Hexameterschluß  dort  wie  hier  aus  Homer 
(II.  B  789.  7  35.  Od.  jt  198).  Der  gleiche  Dichter  wie  für  37/38 
ist  evident.  Eine  Fortführung  erlaubt  die  Fassung  im  Grunde 
sowenig  wie  das  egyerat  ig  'Aidtp.  Es  ist  ja  alles  gesagt,  was 
dem  Gefallenen  bleibt:  das  sehnsüchtige  Andenken  bei  den  Mit- 
bürgern, das  ehrenvolle  Grab,  das  Ansehen  seines  Geschlechtes, 
dieser  schon  im  Epos  typisch  gewordene  Impuls  zum  tapferen 
Kampfe.  Die  Form  ist  so  knapp,  wie  die  der  anderen  Even- 
tualität, und  inhaltlich  macht  das  keinen  ganz  jungen  Eindruck. 
Was  in  II  steht,  schließt  sich  im  Ausdruck  ganz  besonders  eng 
an  Grabepigramme  schon  der  zweiten  Hälfte  des  5.  Jahrhunderts 
an.  Das  zweite  Distichon  33,34  sagt  in  diesen  Ausdrücken  noch 
einmal,  was  schon  23/24  in  dem  ersten  Distichon  dieses  ganzen 
Abschnittes  steht.  Maßgebend  ist  offenbar  der  Wunsch,  wie  dort 
vom  Lebenden,  so  hier  vom  Toten  mehr  zu  sagen.  Es  geschieht 
mit   dem    bekannten  Oxymoron    der  Grabepigramme    und   Leichen- 

3* 


36  F.  JACOBT 

reden,  in  dem  eine  jüngere  Auffassung  zutage  tritt,  als  in  dem 
Tvjiißog:  äQio)]/uog.  Nun  sieht  das  hier  noch  weniger  als  in  der 
Versgruppe  37  —  42  nach  einer  Parallelfassung  aus,  die  vom  Rande 
in  den  Text  gekommen  ist.  Aber  auch  eine  Erweiterung  des  be- 
rühmten Gedichtes,  an  die  man  bei  den  vv.  39  —  42  denken  konnte, 
bezweifle  ich  hier.  Denn  die  in  der  Fassung  II  auffällig  stark  auf- 
tretende Formelsprache  der  Grabepigramme  auf  gefallene  Krieger 
tritt  auch  in  dem  Distichon  23i24  zutage,  das  doch  zum  Grund- 
stock der  Elegie  gehört: 

og  (3'  am'  ev  jzgojudyoioi  tteocov  cpilov  wkeoe  ^v/xör 
äoxv  re  y.al  Xaovg  y.al  Tiareg'  evxXeioaq. 
Es  genüge,  für  den  Ausdruck  £vx?.etoag  auf  Kaibel  21,  10.  26,  4 
(a.  446  a.  Chr.)  hinzuweisen,  und  auch  das  nur,  weil  hier  das 
Homerische  ye  xev  avrcöi  öXeo&ai  ivxXeiwg  tiqo  noXrjog  (XllO) 
die  Entwicklung  zeigt.  Im  übrigen  läßt  sich  jede  Formel  dieses 
Distichons  wie  der  vv.  31/34  dutzendfach  aus  den  Inschriften  be- 
legen. Gibt  man  zu,  daß  eigentlich  weder  29/30  noch  37/38  eine 
Fortsetzung  zulassen,  weil  sie  das  letzte  sagen,  was  überhaupt  ge- 
sagt werden  kann  —  Nachkommen  des  gefallenen  und  Tod  des 
überlebenden  Kriegers  — ,  sieht  man  andrerseits,  daß  die  Fort- 
setzungen in  der  Ausdrucksweise  (31/34)  auf  das  5.  Jahrhundert,  in 
den  Gedanken  (39^40)  auf  dessen  letztes  Viertel  führen,  daß  der  Ver- 
fasser wenigstens  der  ersten  aus  demselben  Kreise  von  Gedanken 
schöpft,  wie  der  Verfasser  der  Elegie  selbst,  so  tritt  jene  dritte  Mög- 
lichkeit ein,  die  ich  oben  erst  andeuten  konnte:  nicht  Erweiterungen 
des  berühmten  Gedichtes  liegen  uns  in  den  Versgruppen  31/34  und 
39/42  vor,  sondern  der  Verfasser  von  Ovx  av  juvtjoaijurjv  hat  für 
seine  Dichtung  ältere  Stücke  benutzt,  die  er  im  Geiste  seiner  Zeit 
und  mit  Formeln,  die  das  Grabepigramm  des  5.  Jahrhunderts  liebt, 
erweitert. 

Daß  das  wirklich  der  Fall  war,  wird  uns  nun  der  Eingang  des 
Gedichtes  zeigen,  den  ich  so  abdrucke,  daß  das  Resultat  ohne  wei- 
teres herausspringt: 

1  Oür'  äv  juvtjoaijurjv  ovx'  ev  Xoyooi  avöga  ri&eijurjv 
ov  TE  Jioöcbv  aQerfjg  ov  te  naXaijuoovvrjg, 

3  ov8'  et  Kv)t).u)7iu)v  f.iev  k'yot  fieys&og  te  ßüjv  re, 
vixcöit]  8k  {Hcüv  ÖQi]ixiov  Bogsrjv, 

5  ov8'  El   TidcovoZo  (pv7]v  yaQiEOXEQog  eit], 

nXovTolr}  Se  MiSeo)  xal  Kivvqeco  fidXcov, 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  37 

7  ov8'  sl  TavraUSeoi  IJeXo:rog  ßaaiXevreoog  eI'tj, 

yXojoaar  6'  'Jögi'jatoi'  /UEi?.c/öyr]gvv  i^oi, 
9  ovo'  et  jiäaav  e^^^  Sö^av  nXrjv  dovQi8og  aXxfjg. 
ov  yag  ävfjo  dya&og  yiyvszai  iv  jto?.eficoi, 
11  El  jid]  zEjXah]  juev  oqcöv  (povov  al/uaxöevra 
xal  di]icov  OQeyoir'  iyyv^ev  loiajuevog. 

13  rj8'  aoETt),  x66'  aE&Xov  iv  dvÜQCOJioiaiv  ägioiov 
xäXXiozöv  TB  cpEOEiv  yiyvEzai  dvdgl  vecoi. 

So  wie  das  dasteht,  schließt  der  erste  Gedanke  mit  v.  9;  und  mit 
V.  10  beginnt  die  Begründung,  die  freihch  nur  in  den:i  recht  ba- 
nalen Gedanken  besteht,  daß  der  kein  wackerer  Mann  ist,  der  kein 
Blut  sehen  kann.  Wir  müssen  den  zwar  nicht  unerhörten,  aber 
sehr  seltenen  —  selbst  v.  19/20  liegt  es  etwas  anders  —  Satz- 
und  Gedankenschluß  am  Hexameterende  in  Kauf  nehmen.  Denn 
weder  ist  v.  9  als  Parenthese  (Bach)  möglich,  noch  kann  man  mit 
Conjecturen  (Härtung)  oder  Paraphrasen  (Weil)  helfen.  Die  Con- 
struction  ist  ganz  klar  und  in  Ordnung^).  So  ungern  man  darauf 
verzichtet,  11 — 12  als  Apodosis  zu  1  —  9  zu  fassen,  es  ist  das  ja 
schon  durch  nXy^v  '&ovQidog  äXxfjg  v.  9  ausgeschlossen,  Worte,  die 
den  Inhalt  von  11/12  vorwegnehmen.  Nun  fällt  innerhalb  des 
ersten  Satzes  formell  der  Gonstructionswechsel  auf,  der  Übergang 
von  den  freien  Genitiven  v.  2  zu  der  Aufzählung  weiterer  Eigen- 
schaften mit  ovo'  et.  Ein  solcher  Wechsel  ist  nicht  unmöglich. 
Auch  gegen  die  Aufzählung  ist,  zumal  in  einem  jungen  Gedicht, 
nichts  zu  sagen.  Hervorgehoben  sein  mag  in  ihr  neben  dem  aller- 
dings ganz  unsicheren  ionischen  judhov^)  das  späte  näoav  do'^av 

1)  Wenn  Weil,  Rh.  Mus.  XVII  erklärt,  v.  llfi".  hingen  zwar  gram- 
matisch, aber  'nicht  dem  Sinne'  nach  an  v.  10;  wenn  Wilamowitz  den 
Vers  in  seiner  allerdings  ganz  knappen  Paraphrase  überspringt,  so  be- 
weist das  eben,  daß  er  stört.  Wir  erwarten  einen  Abschluß  der  Aufzäh- 
lung, wie  in  den  verglichenen  Iliasstellen  (S.  31  A.  1).  Einen  solchen  Ab- 
schluß bieten  11/12.  Aber  man  kann  nicht  verbinden,  weil  9/10  da- 
zwischen stehen,  die  man  auch  nicht  auswerfen  kann.  Für  mich  ist 
dies  der  eigentlich  entscheidende  Grund,  in  3—  10  Erweiterung  des  alten 
Contextes  zu  sehen.  Die  Construction  verrät  das  Verfahren.  Für  die 
meisten  wird  das  Verhältnis  von  2  zu  3/4  überzeugender  sein. 

2)  überliefert  ist  xivvqeoio  /huXXmv.  Camerarius'  ßd&ior  ist  genau 
so  gut  und.  wird  durch  [xäXXov  ebenso  erklärt  wie  fzdXiov,  das  in  diesem 
modernen  Gedicht  befremdet.  Für  Monti  beweist  die  ''recchia  forma 
dorica  inäXiov'  lakonischen  Ursprung  des  Gedichts.  Dabei  hält  er  den 
Vers,  in  dem  sie  steht,  für  interpolirt.  Billigen  wir  ihm  also  einen 
'Druckfehler'  zu. 


38  F.  JACOBY 

f^X^tv  und  die  Wahl  der  Paradeigmala ,  die  Midas  neben  Heroen 
stellt  und  mit  Kinyras  (II.  Ä  20 ff.  Find.  Nem.  VIII  18)  und  Adrastos 
(Plat.  Phaidr.  269  A  denkt  sicher  an  unsere  Elegie;  Theogn.  714 
hat  den  gewöhnlichen  Vertreter  der  Rede,  Nestor)  nicht  gerade  Ge- 
wöhnliches gibt.  Es  sind  durchweg  Namen,  die  dem  lonier  näher 
liegen,  als  einem  Dichter  des  Mutlerlandes.  Sachlich  aber  bietet 
die  mit  dem  Constructionswechsel  einsetzende  Aufzählung  den 
starken  und  nun  wohl  entscheidenden  Anstoß,  daß  die  ovo'  ei- 
Reihe  die  athletische  Tüchtigkeit  zum  zweiten  Male  bringt:  viycoü] 
&ecjüv  V.  4  wiederholt  geradezu  jtoÖmv  ägezif]  v.  2.  Das  erste  Di- 
stichon und  die  folgenden  sind  nicht  in  einem  Zuge  geschrieben, 
stammen  nicht  von  demselben  Dichter  —  der  Schluß  scheint  mir 
danach  geboten.  Wer  sich  dem  damit  entzieht  —  es  ist  wirklich 
geschehen  — ,  daß  er  die  Kyklopen  zur  jiaXai/noovvi]  in  Beziehung 
bringt  als  Muster  der  Ringkunst,  der  möge  erklären,  warum  nur 
diese  beiden  dgerai  einmal  einfach  und  einmal  paradeigmatisch  be- 
legt genannt  werden.  Oder  mit  anderen  Worten,  warum  dann 
nicht  nur  die  Athletik,  sondern  auch  Schönheit,  Reichtum,  Bered- 
samkeit aufgeführt  werden ;  warum  der  Dichter  sich  den  Gegensatz 
Athletik  —  kriegerische  Tüchtigkeit,  den  viele  hier  finden  wollten, 
weil  Xenophanes  2  einen  analogen  Gegensatz  breit  ausführt,  selbst 
durch  dazu  nicht  Passendes  verdirbt^). 

Hier  ist  es  nun  ganz  deutlich,  daß  von  Interpolationen  oder 
Erweiterung  der  Elegie  Ovx'  äv  fxvrjoaifxrjv,  für  die  man  etwa  den 
Verfasser  von  31^34  und  39/42  verantwortlich  machen  könnte, 
nicht  die  Rede  sein  kann.  Denn  an  der  langen  Aufzählung  hängt 
das  Distichon  13/14,  das  als  Abschluß  des  ersten  Teiles  der  großen 
Elegie  geschaffen  ist;  und  an  13/14  hängt  die  aufnehmende  Fort- 
setzung 15/16  mit  dem  Beweis  für  diesen  Satz  und  greift  43/44 
der  Schluß  des  zweiten  Teiles  zurück;  d.  h.  die  ganze  Elegie  hängt 
daran.  Wenn  hier  erweitert  ist,  dann  ist  eben  der  Dichter  unserer 
Elegie  der  Übeltäter.  Es  liegt  vor  Augen,  daß  er  es  war,  der  den 
alten  Zusammenhang  der  Distichen  1/2  und  11/12  durch  die  ovo' 
««'-Reihe  gesprengt  hat.  Wie  schön  und  kräftig  dieser  Zusammen- 
hang war  mit  der  allen  noboiv  äQEXTq,  dem  T)S]vaL  und  dem  cpovog 
aijuaToeig    und    dem   an    die   alte  Weise   des  Kampfes  erinnernden. 

1)  Eine  halbrichtige  Empfindung  hatte  Francke,  der  5  10  strich. 
Monti  verschiebt  das  auf  3  —  8.  Daß  damit  Tiäoat'  dö^av  9  jeden  Sinn 
verliert,  bemerkt  er  nicht. 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  3!» 

aber  doch  wohl  nur  Homerischen  eyyvdev  iorajuevog,  bedarf  keiner 
Ausführung.  Was  ihm  vorlag,  war  ein  Gedicht,  das  gewiß  nicht 
von  dem  alten  lakonischen  Verfasser  von  10  B  imd  11  stammt  — 
das  'ich'  des  v.  1  paßt  für  den  nicht  — ,  das  aber  auch  nicht  ganz 
jung  war.  Spätestens  Simonideische  Zeit  und  ionischer  Ursprung 
sind  wahrscheinlich.  Xenophanes  kann  es  schon  gekannt  haben, 
als  er  den  Gegensatz  q(6/x}]  —  oocpirj  einführte  und  den  schönen 
Eingang  zur  Polemik  gegen  die  sportliche  Athletik  umbog.  Er 
hat  in  verschwenderischer  Fülle  die  unnachahmliche  knappe  Aus- 
drucksweise des  ersten  Distichons  erweitert  zu  dem  Vollbild  aller 
sportlichen  Betätigungen,  denen  er  seine  oocpirj  gegenüberstellt.  Da- 
gegen bleibt  es  zweifelhaft,  ob  der  Tlieognideer  699/718  in  Be- 
ziehung zu  unserer  Elegie  steht.  Seine  ovo'  £t-Reihe  brauchte  er 
nicht  hieraus  zu  nehmen;  die  Beispiele  sind  andere  und  das  eine 
von  ihnen  ist  nach  einem  bekannten  Princip  breit  ausgeführt,  wäh- 
rend unser  Dichter,  seinem  Streben  nach  Symmetrie  folgend,  jedem 
Beispiel  einen  Vers  widmet,  wie  es  in  dieser  Form  auch  in  den 
epischen  Aufzählungen  nicht  üblich  ist. 

Dadurch,  daß  der  Dichter  den  Eingang  eines  alten  Gedichtes 
benutzt  und  durch  die  Aufzählung  erweitert  hat,  sah  er  sich  zu 
dem  Abschluß  in  v.  9  veranlaßt,  und  dieser  Abschluß  zwang  ihn 
wieder  zu  dem  neuen,  begründenden  Anheben  in  v.  10.  Nötig  und 
geschickt  ist  dieser  Abschluß  nicht.  Es  hat  seinen  guten  Grund, 
daß  an  dem  Distichon  9/10  so  oft  Anstoß  genommen  worden  ist. 
Man  hätte  es  sicher  ohne  weiteres  entfernt,  wenn  nicht  der  corre- 
spondirende  v.  20  den  Pentameter  gesichert  hätte.  Naturgemäß 
aber  wird  man,  nachdem  das  Sachverhältnis  für  den  Eingang  fest- 
gestellt ist,  fragen,  ob  das  Gedicht,  aus  dem  1/2  und  3/4  stammen, 
im  folgenden  weiter  benutzt  ist.  Ich  möchte  das  bejahen.  Viel- 
leicht ist  es  mehr  subjektiver  Eindruck;  aber  ich  empfinde  die 
Schilderung  des  Mannes,  der 

16  diaßdg  ev  jiQOjudxoioi  jUEVt]i 

vcüXejLiecog,  aio^gäg  de  (pvyf]g  im  ndyyy  Xddt]rai, 
ipvxi]v  y-OLi  dvfiov  rXijjuova  Ttag&ejuevog, 

19  '&aQOvv7]i  ö'  EJieoiv  xdv  nlrjolov  ävöga  Ttageozcog 
im  Ausdruck  wie  in  der  Vorstellung   von   den  Pflichten   des  guten 
Kriegers    als   archaisch.      vcoXejuecog    und    öiaßaivEiv    braucht    der 
echte  Tyrtaios  nach  dem   Epos  (5,  5.   11,  21)    —    namentlich    das 
erste  Wort   kommt   überhaupt    nur  im  Epos  und  bei  ihm  vor;    an 


40  F.  JACOBY 

ihn  (10  B  15 — 16;  ll,llff.)  erinnern  Inhalt  und  Ausdruck,  der 
hier  entscheidet.  Denn  die  ngöjuaxoi  kommen  auch  im  Grab- 
epigramm vor;  der  Roltenkamerad ,  der  jiaQaordTrjg  aji  äv  oioi- 
X^oco,  im  attischen  Soldateneid;  und  das  ^agovveiv  hat  natürlich 
auch  in  der  festen  Schlachtordnung  seinen  Wert  nicht  verloren 
(Xenoph.  Anab.  III  1,  44).  Wieder  hat  die  Aufnahme  der  altertüm- 
lichen Verse,  wenn  auch  in  etwas  anderer  Weise,  zum  Abschluß 
des  Gedankens  am  Hexameterende  geführt;  denn  erst  dadurch,  daß 
unser  Dichter  die  alte  Partie,  die  das  Benehmen  des  tapferen  Mannes 
schilderte,  in  seine  Elegie  aufnahm,  wird  der  Abschluß  des  Ge- 
dankens durch  V.  20  zwar  nicht  unbedingt  nötig,  aber  hier  doch 
wünschenswert.  Das  Verfahren  ist  ganz  das  gleiche  wie  in  der 
Partie  1  — 14.  Nun  ist  es  gewiß  möglich,  daß  der  Verfasser  von 
Ovt'  äv  juvrjoaijufjv,  der  Solon  (v.  30),  Mimnermos  und  Archi- 
lochos  (v.  38)  zu  benutzen  schien,  der  die  Distichen  1/2  und  11/12 
einem  älteren  ionischen  Gedicht  entnimmt,  auch  ein  Stück  des  echten 
Tyrtaios  benutzt  hat.  Näher  liegt  es  aber  meines  Erachtens,  alles  dies 
auf  seine  Vorlage  zu  schieben.  Das  ionische  Mahngedicht,  das  im 
Anfang  benutzt  ist,  liefert  die  Schilderung,  wie  der  schätzenswerte 
Mann,  der  rezXair]  ögcöv  cpovov  aljuaröevTa,  sich  im  Kampfe  be- 
nimmt, wie  er  selbst  kämpft  und  den  anderen  den  Mut  stärkt. 
Eine  solche  Schilderung  konnte  nach  einem  Anfang,  wie  ihn  1/2. 
11|12  geben,  kaum  fehlen.  Ob  es  diese  Schilderung  mit  den 
Farben  des  Tyrtaios  gab,  ob  es  vielmehr  abhängig  ist  von  den 
alten  Gedichten,  die  auch  Tyrtaios'  Kunst  erzeugt  haben,  das  läßt 
sich  nicht  sicher  entscheiden.  Wir  besitzen  ja  von  der  alten  krie- 
gerischen Elegie  nichts  als  Kallinos  1 ;  und  da  ist  gerade  der  Teil, 
den  wir  hier  suchen,  ausgefallen.  Daß  er  dagestanden  hat,  zeigt 
der  Pentameter  xai  ng  äjzo^v/joy.cov  vozar  äxovxiodxoi.  Wir 
können  den  Inhalt  der  Lücke  jetzt  näher  bestimmen.  Dieser  Penta- 
meter kann  nur  eine  solche  Schilderung  abgeschlossen  haben.  So 
glaube  ich,  werden  wir  uns  für  die  zweite  Möglichkeit  entscheiden. 
Und  dann  dürfen  wir  auch  weitergehen.  Auf  die  Schilderung  des 
tapferen  Mannes  und  seines  Verhaltens  im  Kampfe  folgt  bei  Kal- 
linos erst  die  Begründung,  was  zu  diesem  tapferen  Kampfe  treiben 
soll  —  die  Ehre,  die  Ungewißheit  der  Todesstunde,  die  Unentrinn- 
barkeit des  Todes  — ;  dann  der  Lohn  des  Tapferen,  wenn  er  fällt 
und  wenn  er  überlebt.  Die  Argumentation  konnte  der  Verfasser 
des  älteren  Gedichtes  Ovz'  äv  ixvYioaifxrjv  nicht  brauchen.     Er  hatte 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  41 

sie  vorweggenommen  in  der  subjektiv  gestalteten  Erklärung,  mit  der 
er  beginnt.  Aber  den  Lohn  des  Tapferen  stellt  auch  er  dar,  in  den 
Gedanken  nicht  viel  anders  als  Kallinos,  aber  ausführlicher  und  in 
einer  mehr  symmetrischen  Ausführung,  die  der  alte  Dichter  noch 
nicht  versteht.  Es  sind  die  Distichen  23  —  28  und  35  —  38,  denen 
wir  die  sicheren  Erweiterungen  schon  abgestreift  haben,  die  für  sich 
einen  schönen  und  wirksamen  Zusammenhang  ergeben.  Es  war 
der  Schiufa  des  alten  Gedichtes,  den  der  Verfasser  unserer  Elegie 
in  seinen  beiden  Teilen  verbreitert  hat,  wie  er  den  Anfang  durch 
die  Aufzählung  der  doerai  verbreiterte.  Gewiß  wird  er  auch  hier 
im  einzelnen  noch  manches  geändert  haben,  vor  allem  in  den  Über- 
gangsdistichen. So  zeigte  v.  24  die  Terminologie  des  Grabepigramms, 
ohne  daß  man  behaupten  mochte,  daß  der  Vers  in  der  zweiten 
Hälfte  des  6.  Jahrhunderts  nicht  hätte  geschrieben  sein  können ; 
und  25/26  kann  neben  dem  für  sich  Genügenden  ev  jiQojuaxoioi 
Tieocüv  Erweiterung  unseres  Dichters  sein.  Immerhin  scheinen 
Schluß  und  Anfang  des  ionischen  Gedichtes,  wenn  auch  mit  einem 
verschiedenen  Grade  von  Sicherheit,  herstellbar.  Aus  der  Mitte  ist 
nur  eine  Versgruppe  erhalten.  Hier  hat  die  vor  allem  durch  die 
Erweiterung  des  Einganges  bedingte  Arbeit  unseres  Dichters  ein- 
gesetzt, dessen  Wesen  und  Ziel  jetzt  klar  wird. 

So  stellt  sich  gerade  die  El.  12  wirklich  als  Bearbeitung  eines 
älteren  Gedichtes  heraus,  aber  nicht  einer  Elegie  des  lakonischen 
Dichters,  sondern  eines  vermutlich  ionischen,  dessen  Art  noch  gut 
kenntlich  ist.  Er  ist  ein  Nachfolger  der  kriegerischen  Elegie  des 
Kallinos,  dessen  Schema  er  mit  Freiheit  behandelt  hat.  Er  kennt 
auch  Atchilochos,  Mimnermos,  Solon.  Was  er  gab,  stand  künstle- 
risch recht  hoch,  macht  aber  schon  den  Eindruck  einer  allgemeinen 
Paraenese.  Ich  gebe,  um  das  zu  beweisen,  im  Zusammenhang, 
was  diesem  alten  Gedicht  wenigstens  dem  Gedanken  nach  ange- 
hört, und  bitte,  das  mit  Kallinos  zu  vergleichen.  Die  Unterschiede 
wie  die  Übereinstimmungen  ergeben  sich  dann  von  selbst. 

1  Ovt'  av  /i7'r]oaijnrjv  ovt    iv  Xoycoi  uvdga  Ti&eif.ir]v 
ov  re  Jioöwv  äQeTrjg  ov  re  JiaXaijuoovp}]^, 
11   ei  juij  rerXahj  juev  oqwv  (povov  aljuaxöevTa 
xal  d7]i(ov  OQeyoiT    iyyvß'ev  lorajuevog. 

* 

16  öiaßäg  ev  jroojudxoioi  juevrji 

17  vcoXejuecog,  aloyqäg  öe  qivytjg  Im  Tidyy^v  Xdd^rjTm, 


42  F.  JACOBY 

y)vyj]v  Hul  dvjuöv  Thjjuova  ^lagde/uevog, 
19  daQOVvfji  ö'  ETieoiv  rov  7i?.ijoiov  avöga  nageoTchg 

* 
23  t  avrdg  ö'  ev  ngofid^ioioi  neocov  cp'ilov  ojXeoe  dvjuöv 

äoxv  T£  xal  Xaovg  xal  TtaieQ'  evxkeioag, 
25  jio?dd  öid  oregroio  xal  äomdog  o/ucpaXoeoorjg 

xal  öid  'dwQyxog  Jigöodev  ih]?i.ajiiEvog. 
27  rov  d'  oXocpVQOvxai  juev  öjuöjg  veoi  rjöh  yEQortEg, 

dgyaXEcoi  te  tio&coi  näoa  xextjÖe  noXig. 
29  xal  Tvjiißog  xal  jratdeg  ev  dvdocojioig  dQio7]juoi 

xal  Jiaidoiv  jzaTdEg  xal  yivog  E^omom. 
35  eI  Öe  qjvyrji  juev  xrjga  Tav}]}.£y£og  -davaroio, 

vixijoag  6'  alyjurjg  dyXabv  Evyog  e?j]i, 
37  TxdvjEg  juiv  Ti/iicöoiv  öjiicög  veoi  fjök  naXaioi, 

jioXld  dk  TEQTivd  jia'&ojv  EQ/Eiai  Eig  ^Aidrjv. 

Ich  betone  nochmals ,  daß  wir  nicht  sicher  sind ,  wieweit  wir  in 
dieser  Schlußpartie  den  Wortlaut  des  älteren  Gedichtes  besitzen. 
Aber  im  ganzen  zeigt  der  Zusammenhang,  daß  der  Bearbeiter 
seiner  Weise,  ganze  Stücke  zu  übernehmen,  treu  geblieben  ist. 
Dieses  ältere  Gedicht  ist  für  die  Simonideische  Zeit,  auch  für  das 
6.  Jahrhundert  gut  möglich.  Der  Unterschied  gegenüber  dem  echten 
Tyrtaios  ist  kaum  geringer  als  in  der  Bearbeitung.  Es  ändert  sich 
aber  das  Urteil  über  den  Wert  der  uns  erhaltenen  Elegie.  Die 
Bewunderung  für  dieses  wortreiche  Gedicht  habe  ich  nie  so  recht 
verstanden.  Sein  Dichter  ist  formell  nicht  ungewandt;  aber  er  ist 
breit  und  redselig,  und  er  übertreibt  die  Symmetrie  des  Aufbaues. 
Das  beste,  was  er  hat,  stammt  aus  dem  älteren  Gedicht;  und  wenn 
er  auch  im  ganzen  die  Einarbeitung  in  seinen  Zusammenhang  glück- 
lich vollzogen  hat,  so  sticht  doch  das  alte  Material  immer  noch 
von  seiner  Umgebung  ab;  und  der  Dichter  verunglückt  natur- 
gemäß da  am  meisten ,  wo  er  sich  am  engsten  an  diese  Vorlage 
anschließt.  Sein  Mittel,  correspondirende  Verse  zu  verwenden,  ist 
vielleicht  beim  flüchtigen  Hören  eindrucksvoll,  erscheint  aber  bei 
näherer  Betrachtung  als  recht  billig.  Charakteristisch  für  ihn  ist 
der  Gebrauch  des  Wortes  dgEXi]  und  die  Zuspitzung  des  Gedichtes 
darauf,  durch  die  die  Paraenese  noch  allgemeiner  wird.  Ob  er  mit 
den  Schlußworten  jui]  juEßiEig  noMi^iov  eine  aktuelle  Bedeutung 
seines  Gedichtes    hat    vortäuschen  wollen   oder   auch   wirklich  sein 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  43 

Gedicht  zu  einer  besonderen  Gelegenheit  geschrieben  hat,  lasse  icli 
dahingestellt.  

[Nachtrag.]  Über  den  Namen  TugraTog  schreibt  mir  mein 
College  Ernst  Fränkel:  „Über  Tvgracog,  Tvgrajuog,  TvQoig  habe 
ich  nachgedacht  und  halte  die  Namen  ganz  entschieden  für  un- 
griechisch  (kleinasiatisch).  Zwar  kommt  das  Suffix  -aiog  auch 
sonst,  wenn  auch  nicht  gerade  häufig,  bei  der  Bildung  von  grie- 
chischen Personennamen,  mythischen  und  historischen,  vor.  Vgl. 
Fick - Bechtel ,  Personennamen  2  25.  301,  die  als  Kurznamen  Ev- 
q)Qaiog  {Ev(pQayh7]g),  Oealog  {Oecxyevrjg),  Tijuaiog  (Tijuayevrjg) 
und  das  ja  schon  als  Heroenname  belegte  'AXxalog  {'AXxa- 
fievrjg)  und  als  von  jeher  einstämmige  Namen  die  ursprünglichen 
'Widmungsnamen'  AvyaXog  (zur  Heroine  Ävyr]),  EiQi]va7og  {El- 
Qrjvrj),  'Exaraiog  {'Exdrrj),  'EoriaTog  CEoxia)  und  mehrere  schon 
mythische  Namen  derselben  Kategorie  auffülirlcn.  Aber  -ajuo-  ist 
sicher  ausschließlich  bei  ungriechischen,  größtenteils  kleinasiatischen 
Namen  im  Gebrauch;  s.  Kretschmer,  Einleit.  322 ff, ,  der  Beispiele 
aus  Lykien,  Pamphylien,  Pisidien,  Lykaonien,  Lydien,  Troas  gibt, 
und  besonders  Fick,  Vorgriech.  Ortsnamen  100  ff.  (namentlich  106), 
der  speciell  TvQjajuog  in  eine  Gruppe  mit  Ilglajuog,  Tia/xog, 
'Ajuiavög  (Lydien),  IIjjQa/uog,  üiyQajuog  (Lykien)  stellt  und  -a/tio- 
als  'pelasgisches'  Suffix  ansieht.  Auch  Tvgoig  ist,  wie  er  mit 
Recht  S.  100  angibt,  ungriechisch,  wohl  kleinasiatisch  und  hängt 
mit  TvQ07]v6g  (mit  kleinasiatischem  Suffix  -avo-,  -yvo-;  vgl.  de 
Saussure,  Mission  de  Chartre  en  Gappadoce,  Paris  1898,  citirt  von 
Meillet,  Bull,  de  la  societe  de  linguistique  XVIII  174)  zusammen. 
Die  Tyrsener  wären  demnach  ursprünglich  'Burgbewohner'  gewesen. 
Es  ist  natürlich  unrichtig,  wenn  Fick  die  Herkunft  der  Etrusker 
aus  Kleinasien  leugnet  und  meint,  bloß  wegen  des  Anklanges  von 
Tursco  an  Tvqorjvog  hätten  die  Griechen,  als  sie  um  600  die 
Etrusker  kennenlernten,  diese  mit  dem  ihnen  aus  dem  Osten  des 
Ägäischen  Meeres  und  aus  Kleinasien  geläufigen  Namen  Tvgmjvof 
bezeichnet.  Demnach  halte  ich  auch  TvQraiog  für  kleinasiatischen 
Ursprungs.  Die  literarischen  Gonsequenzen  daraus  zu  ziehen,  ist 
natürlich  nicht  meine  Aufgabe.  —  Auch  Teurajuog,  Vater  des 
Larisaeers  Arj&og  {B  843  A})doio  UeXaoyov  Tsvrajuldao),  Groß- 
vater der  Larisaeer  'Innödoog  und  Uvkaiog  (ebd.  842)  und  sonst 
Eigenname,    enthält    nach    meiner    Ansicht    kleinasiatisches    -a/xo- 


44  F.JACOBY,  ZU  GRIECH.  ELEGIKERN 

(s.  auch  Fick,  Vorgr.  Ortsn.  106).  Prellwitz,  K.  Z.  XLV  159  stellt 
Tevra/biog  zusammen  mit  dem  Namen  des  Eleers  TevrianXog 
Thukyd.  III  29  zu  osk.-umbr.  tonto,  lit.  tmifä,  got.  p'mäa  'Volk', 
indem  er  das  zweite  Element  von  TevTiaTiXog  mit  altnord.  afl 
'Kraft',  'Hilfe',  vfjnehTv,  ävi]jieh't]  usw.  identificirt  und  TevTianXog 
als  'Volksbeherrscher'  (Diefrich),  Tevra/iog,  Tevra^uiag  als  Tevza- 
rafiiag  usw.  'Volksverwalter'  interpretirt.  Doch  sind  das  natürlich 
sehr  fragliche  Combinationen,  die,  auch  wenn  sie  richtig  sind,  nicht 
für  TvoTajuog  usw.  ins  Gewicht  fallen,  da  ja  TEvrafiog,  Tevrajuiag, 
Tevrajuidiig  in  diesem  Falle  gar  kein  Suffix  -duo-  enthalten,  son- 
dern aus  volleren  Formen  durch  dissimilatorischen  Silbenschwund 
hervorgegangen  sein  würden." 

Kiel -Kitzeberg  (z.  Z.  Itzehoe).  F.  JAGOBY. 


HIPPIAS  AUS  ELIS. 

Die  Darstellung  der  Lehre  und  Tätigkeit  des  Sophisten  Hip- 
pias,  wie  sie  zuletzt  Gomperz  in  seinem  Buche  über  Sophistik  und 
Rhetorik  gegeben  hat,  ist  in  mehreren  Punkten  der  Ergänzung  föhig. 

I. 

a)  In  den  beiden  Hippiasdialogen  ist  der  Sophist  bei  der 
Schilderung  seiner  Tätigkeit  und  seiner  Erfolge  recht  wortreich, 
bei  der  Erörterung  abstrakter  Dinge  jedoch  meistens  sehr  einsilbig 
und  beschränkt  sich  auf  einfache  Bejahung  oder  Verneinung  der 
Fragen  seines  Gegenübers.  Die  wenigen  Abweichungen  von  dieser 
Regel  verdienen  daher  besondere  Beachtung.  Sie  lassen  sich  in 
zwei  Gruppen  zusammenfassen. 

Zunächst  äußert  er  Hipp.  mai.  284 d  und  e  seine  Meinung  über 
den  vojuog.  Sie  entspricht  den  im  Protagoras  und  im  Xenophon- 
tischen  Hippiasdialoge  ihm  in  den  Mund  gelegten  Ansichten  und 
ist  hinlänglich  gewürdigt.  Weniger  beachtet  ist  eine  zweite  Gruppe, 
die  indes  nicht  weniger  bedeutsam  erscheint.  Hipp.  mai.  301  b  wirft 
der  Sophist  Sokrates  vor:  d?dd.  yag  d)j  ov,  c5  ^cüxgnreg,  ra  fiev 
öXa  Tcov  n^Qayjiidrcov  ov  oxojzeTg,  ovo'  exeTvot,  oig  ov  el'co&a.; 
diakeyeo&at,  xgovere  öe  änoXafißdvorreg  to  xalbv  xai  exaotor 
TCOV  övrcov  er  roTg  köyoig  xararii.ivovxeg.  did  Tavra  ovtcü  /.isydXa 
vfxäg  Xavd'dvei  xai  biavexri  odof.iaTa  rijg  ovoiag  TiEcpvxdza.  304  a 
heißt  es:  aXXd  07]  y  ,  c5  ZcbxQaiEg,  rt  ohi  zavx'  eivai  ^vvdnavxa; 
xvt'jOjiiaTd  TOI  eoTiv  xal  jieqit /.u] i.iara  tcüv  Xoyojv,  otieq  ägri 
eXEyov,  xaid  ßgcix^'  dii]gr]jiiEra.  Einen  ähnlichen  Tadel  spricht 
Hippias  in  dem  kleineren  Dialoge  gleichen  Namens  369  b  c  aus : 
(h  SojxgazEg ,  d«  ov  rivag  roiovrovg  nXsxEig  Xoyovg,  xal  ano- 
Xa/nßdv(ov,  o  äv  //  övoyEgEorarov  tov  Xoyov,  tovtov  e/ei  xarn 
ojiuxgdv  E(pa7zr6jUEVog,  xal  oi"/  öXcp  dycovii^Ei  reo  jrgdy/iari,  TiEg'i 
orov  äv  6  Xoyog  fi- 

Der  Sinn  der  Äußerungen  ist  klar  bis  auf  die  öiavExi'j  odo- 
fiaxa  T?}s  ovoiag  TrEq^^xora.  Diese  haben  recht  verschiedene  Deu- 
tungen erfahren,  die  hier  nicht  wiederholt  werden  sollen.  Bei  der 
Entwicklung   des  Sinnes    dieses  Ausdruckes    ist   davon  auszugehen. 


46  W.  ZILLES 

daß  Sokrates  ihn  301  e  aufnimmt  mit  den  Worten:  ov  yaQ  olov 
le  öiavexeT  'koyco  xriq  ovoiag  xard  'Injiiav  äXXoig  e'xeiv.  Den 
öiaveySj  ocüjuaTa  entspricht  also  der  diavexi]g  koyog.  Was  aber 
unter  dem  Xoyog  jfjg  ovoiag  zu  verstehen  ist,  zeigen  verschiedene 
Stellen  anderer  Dialoge.  Lehrreich  ist  Leg.  X  895 d:  ev  juev  ovoiav, 
£v  de  Tfjg  ovoiag  tov  loyov,  er  de  övojua.  Der  Xöyog  Tijg  ovoiag 
ist  also  der  Begriff  des  Daseins,  der  Wirklichkeit,  des  Wesens. 
Was  der  Zusatz  öiavexrjg  besagt,  zeigt  Plutarchs  Ausdruck  (Mor. 
679  c):  6  T>]g  aixiag  di')]veyJ]g  ejidoyiojuög.  diavextjg  Xoyog  Ttjg 
ovoiag  ist  also  das  überall  geltende,  allüberallhin  sich  erstreckende, 
durchgreifende  Gesetz  des  Seins.  Von  hier  aus  ist  der  von  Hippias 
gewählte  Ausdruck  zu  erklären.  Das  Bedeutungsverhältnis  der  Worte 
Myog  und  ocüjuara  kann  nur  das  sein,  daß  loyog  den  abstrakten 
Begrifl",  oco^iaxa  die  concreten  Erscheinungsformen  bezeichnet.  Dabei 
mag  uns  die  Terminologie  der  Stoiker  daran  erinnern,  daß  ocöjna 
ganz  allgemein  das  Wirkliche  bezeichnet,  nicht  etwa  nur  Materielles 
und  Stoffliches.  Der  sonstige  Gebrauch  des  Wortes  bei  Piaton  kommt 
hier  nicht  in  Betracht,  wo  es  sich  offenbar  um  wörtliche  Wiedergabe 
einer  fremden  Ansicht  handelt;  ovro)  fxeydXa  xai  öiavexfj  ocojuara 
xfjg  ovoiag  necpvxoxa  heißt  also:  so  wichtige  und  überall  geltende 
natürliche  Erscheinungsformen  (durchgreifende  natürliche  Zusammen- 
hänge) des  Seins. 

b)  Es  fragt  sich,  ob  ein  Zusammenhang  zwischen  den  beiden 
Gruppen  der  von  Hippias  geäußerten  Ansichten  besteht.  Er  ist 
unschwer  zu  finden.  Der  im  Protagoras  überlieferte  Ausspruch, 
mit  dem  die  bei  Xenophon  und  im  größeren  Hippias  ihm  zuge- 
schriebenen Äußerungen  übereinstimmen,  betont  den  Vorzug  der 
cpvoig  vor  dem  vo/xog,  die  oben  angeführten  Sätze  den  Wert  der 
Erkenntnis  der  jiieydXa  xai  diavexi]  ocojuaxa  xrjg  ovoiag  necpvxoxa 
gegenüber  dem  Zerstückeln  eines  Gegenstandes:  in  beiden  Fällen 
wird  das  willkürliche  Vorgehen  der  Menschen  der  cpvoig  gegenüber- 
gestellt. Vielleicht  erscheint  diese  Verbindung  auf  den  ersten  Blick  ge- 
sucht; ein  Zeugnis  Piatons  jedoch  macht  den  Zusammenhang  recht 
wahrscheinlich.  Im  Lysis  spricht  Sokrates  von  den  Schriften  der 
sehr  weisen  Männer,  die  sagten,  das  Gleiche  sei  notwendig  dem 
Gleichen  immer  freund;  es  seien  aber  die,  die  über  die  Natur  und 
das  All  sich  besprächen  und  schrieben.  Ein  Vergleich  dieser  Stelle 
mit  der  des  Protagoras  und  des  größeren  Hippias  macht  es  in  hohem 
Grade  wahrscheinlich,  daß  kein  anderer  als  Hippias  gemeint  ist. 


HIPPIAS  AUS  ELIS  47 

Prot.  337 d:  tÖ  ya.Q  ö/.ioiov  no 
öjuoup  cpvoEi  ovyyeveg  eoziv,  6 
öe  vojiiog,  xvQavvog  (ov  rcov 
avd^QMJicov,  jioVA  nagä  tijv 
(pvoiv  ßia^ETai.  fjf(ug  ovv 
aioxQov    TYjv    jUEv    (pvoiv    xGiv 

7iQayjudTü)v    siöevai,    oofpwrd-  Lys.  214b: 

Tovg  de  ovrag  tcüv  'E?JJ]-  ovxovv  xal  rolg  twv  oocpmrd- 
vcov,  ...  Tcov  ovyyQajujuaoiv  evxsrvxfJHag 

Hipp.  mai.  301b:  rct  jiih'  oXa  raDr'  avxä  Xeyovaiv,  öxi  ro 
rcbv  jTQay/iidx  covov  oxonsTg,  .  .  .  ofioiov  reo  öfioico  dvdyxt] 
did  rtxvxa  ovrco  j^isydla  vjuäg  del  q)ilov  elvai;  elol  de  tiov  01 
?Mv^dvEi  xal  diavExy]  oo\uaTa  tieqI  (pvoecog  xe  xal  xov  oXoi> 
xfjg  ovaiag  jiEcpvxoxa.  öiaXEyö/uEvot  xal  ygdcpovxsg. 

Gerade  diese  Stelle  des  Lysis  verbindet  die  des  Protagoras  und  des 
größeren  Hippias:  zunächst  der  Satz  der  Naturlehre,  auf  den  im 
Protagoras  das  Urteil  über  die  Gesetze  folgt;  dann  die  Angabe, 
dies  sei  die  Ansicht  derer,  die  über  die  Natur  und  das  All  sich  ver- 
breiten, auf  welche  Begriffe  gerade  die  Salze  des  größeren  Hippias 
hinweisen.  Wirklich  hat  auch  K.  Fr.  Hermann  die  Stelle  auf  Hippias 
bezogen:  spätere  Erklärer  raten  auf  Anaxagoras,  Empedokles,  Demo- 
krit.  Anaxagoras  und  Demokrit  kommen  indes  als  Adressaten  der 
Stelle  wohl  kaum  in  Betracht.  Unwesentlich  sind  dagegen  die  Be- 
denken, die  gegen  die  Möglichkeit  einer  Anspielung  auf  Empedokles 
geltend  gemacht  worden  sind:  inhaltlich  paßt  die  Stelle  durchaus 
auf  seine  Lehre.  Die  Form  der  Darstellung  aber  macht  diese  Mög- 
lichkeit wenig  wahrscheinlich.  Schon  Boeckh  hat  das  empfunden, 
wenn  er  meinte,  es  müsse  auch  hier  ein  populärer  Denker  gemeint 
sein,  den  man  aus  mündHchen  Mitteilungen  kannte;  nicht  unbe- 
dachtsam habe  Piaton  die  Kenntnis  der  weisen  Männer  dem  jungen 
Lysis  zugemutet,  sondern  gerade  zu  verstehen  gegeben,  daß  keiner 
jener  wahren  Weisen,  sondern  die  spoltweise  so  genannten,  die 
Sophisten,  gemeint  seien.  Sehr  bedeutsam  erscheint  dabei  der 
Ausdruck  xoTg  rwv  oo(pwxdxü)v  ovyygdjujuaoiv  neben  dem  stolzen 
ooq)(joxdxovg  övxag  xcbv  "EXXrjvcov  des  Hippias  im  Protagoras. 

c)  Wir  haben  damit  eine  in  sich  geschlossene  philosophische 
Ansicht  des  Sophisten.  Es  fragt  sich,  ob  sie  eigene  oder  von  Frü- 
heren übernommene  Weisheit  ist.  Die  ganze  Art  seines  Charakters, 
wie  er  uns  überliefert  ist,  läßt  von  vornherein  das  zweite  vermuten. 


48  W.  ZILLES 

Wer  aber  war  sein  Vorbild?  Unter  den  spärlichen  uns  erhaltenen 
Resten  des  Empedokles  enthält  einer  einen  Anklang  sowohl  an  das 
Naturrecht  als  an  die  Physik  des  Hippias:  {xovto  ydo  ov  rtol  fier 
öixatov  Tioi  ö'  ov  dixaiov), 

äXla  To  //£!'  JtdvTCOv  v6/iuinov  did  t  evgvjueöovrog 
ai&eQOc  ip'execog  rharai  did  t'  djikhov  avyrjg  (Fr.  135  D.). 
*Doch  das  allgemeine  Gesetz  ist  lang  und  breit  ausgespannt  durch 
den  weithin  herrschenden  Feueräther  und  den  unermeßlichen  Him- 
melsglanz' (Diels).  Hier  ist  das  Lob  des  allgemeinen  natürlichen 
Rechtes,  dem  das  Lob  der  cpvoig  im  Protagoras  und  der  Tadel  des 
wandelbaren  positiven  Rechtes  im  größeren  Hippias  und  bei  Xeno- 
phon  entspricht,  hier  auch  ein  Gegenstück  zu  den  diavexfj  oeojuaxa 
T?}g  ovoiag  nefpvKOxa.  Besonders  beachtenswert  erscheint  dabei, 
daß  das  seltene  Wort  (di)rjvsx}]g,  das  bei  Piaton  nur  noch  zweimal, 
davon  einmal  in  einem  Homercitat,  sich  findet,  in  den  wenigen 
Fragmenten  des  Empedokles  dreimal  vorkommt,  und  zwar  immer 
im  Zusammenhange  physikalischer  Erörterungen.  Außer  der  oben 
angeführten  sind  es  folgende  Stellen : 

aAA'  avT{d)  eotiv  xavra,  di'  dlXrjloov  de  ^eovxa 
yiyvexai  uXXoxe  uXla  xal  yvexeg  aVev  öjuoTa  (Fr.  17,  34  f.  D.). 
'Nein,  nur  diese  (die  Elemente)  gibt  es ,    und   indem    sie  durchein- 
anderlaufen, entsteht  bald  dies,  bald  jenes  und  so  immerfort  Ähn- 
liches bis  in  alle  Ewigkeit'  (Diels). 

avxdg  stieI  xaxd  juelCov  ejuioysxo  öaifiovi  öaificov, 
xavxd  ye  ov/j,m7ix£oxov,  dm]  ovvexvqosv  Exaoxa, 
älXa  XE  jiQog  xdig  jrolXd  di)]VExfj  E^EyEvovxo  (Fr.  59  D.). 
'Doch  als  der  eine  Gott  mit  dem  anderen  in  größerem  Umfange 
handgemein  wurde,  da  fielen  diese  Glieder  zusammen,  wie  gerade 
die  einzelnen  sich  trafen,  und  auch  viel  anderes  außerdem  entsproßte 
da  sich  aneinander  reihend'  (Diels).  Insofern  also,  als  Hippias  auf  der 
Empedokleischen  Philosophie  fußt,  ist  die  Annahme,  die  erörterte 
Lysisstelle  deute  auf  Empedokles  hin,  nicht  unrichtig;  die  Art  der 
Darstellung  dagegen  spricht  dafür,  daß  ein  Sophist,  daß  Hippias  ge- 
meint sei.  Welche  Umstände  aber  den  Sophisten  zur  Beschäftigung 
mit  der  Lehre  gerade  dieses  Philosophen  angeregt  haben  mögen,  ist 
unschwer  zu  erraten.  Wird  doch  Empedokles  als  der  erste  Be- 
gründer der  Rhetorik  bezeichnet;  auch  Gorgias  soll  sein  Schüler  in 
dieser  Kunst  gewesen  sein;  vgl.  Diels  I''^  150,  46f.,  156,  11 — 23. 
Ob    seine    JJoXixixd    (Diog. :    xa^oXov    öe    <pt]oi    xal    xgaycpöiag 


HIPPIAS  AUS  ELIS  4P 

avrov  ygatpai  xal  noXniy.ovg  Diels  I  ^  151,  5)  eine  eigene  Schrift 
waren,  steht  zwar  ebensowenig  fest  wie  die  Annahme,  er  habe 
bereits  ein  System  der  Rhetorik  ausgebildet  und  gelehrt  sowie  eine 
Techne  niedergeschrieben ;  jedenfalls  zeigt  sich  eine  gewisse  Ver- 
wandtschaft mit  den  Sophisten  vor  allem  in  seiner  politischen  und 
rednerischen  Tätigkeit^). 

IL 

Von  der  Troischen  Rede  des  Sophisten  hören  wir  im  grö- 
ßeren Hippias  und  bei  Philostratos,  dessen  Mitteilungen  auf  den 
Angaben  des  genannten  Dialoges  beruhen,  wie  wohl  mit  Recht  all- 
gemein angenommen  wird. 

a)  Was  ergibt  sich  zunächst  über  die  Kunstform  der  Rede? 
Xeyei  6  Xoyog  ort  NeoTcroXejiiog  Neoroga  egoizo,  .  .  .  juerd  ravxa 
dt]  Xeycüv  eonv  6  Neorcog  (H.  mai.  286  a  b).  An  die  eine^) 
Frage  des  Neoptolemos  knüpft  sich  also  die  em'dei^ig  des  Nestor. 
Auf  diese  Tatsache  bezieht  sich  der  von  Philostratos  gebrauchte 
Ausdruck  didXoyog  (Vors.  ^  II  S.  282,17).  Anstößig  ist  bei  Philo- 
stratos nur  die  Gegenüberstellung  did?Myög  ov  X^-oyog,  da  doch  bei 
Piaton  der  Vortrag  dreimal  Äoyog  genannt  wird,  Diels  vermeidet 
diesen  Anstoß  dadurch,  daß  er  schreibt  didloyog  ov  Xoyog. 

b)  Ist  nun  dieser  Vortrag  identisch  mit  dem,  an  den  der  klei- 
nere Hippias  anknüpft?  Eine  Reihe  von  Forschern  hält  dies  für 
selbstverständlich;  nach  den  Angaben  der  beiden  Dialoge  über  den 
Inhalt  des  jedesmaligen  Vortrages  ist  diese  Annahme  jedoch  ganz 
ausgeschlossen.  Im  kleineren  Hippias  hat  der  Sophist  (Vjm  jiok/id 
xal  jiavxodand  xal  Tieol  non^rön'  re  äXkcov  xal  sregl  'Ofiiqoov 
gesprochen  (363  c).  Der  im  größeren  Hippias  erwähnte  Vortrag 
enthielt  jidi^inolka  vojuijua  xal  Tidyxala  Ttegl  e.7iixt]dev fxdxcjüv 
xak(bv  ä  ygi]  xbv  veov  eTiirrjÖevEiv;  dieser  Inhalt  wird  in  Form 
eines  Gespräches  zwischen  Neoptolemos  und  Nestor  übermittelt. 
Von  Homer  und  anderen  Dichtern  ist  keine  Rede;  wie  könnte  auch 
Nestor  in  einer  Antwort  auf  eine  Frage  des  Neoptolemos  —  denn 
nur  dies  und  nichts  anderes  bezeichnet  der  größere  Hippias  als  In- 
halt   der    Troischen    Rede    —    über    Homer    und    andere    Dichter 


1)  Zeller  I  *  678  Anm.  1;  Blaß,  Att.  Beredsamk.  I  =  16  Anm.  1. 

2)  Wenn  Norden  (d.  Z.  XL  1905,  .')23)  sagt:  „Wir  werden  also  nicht 
fehlgehen,  wenn  wir  uns  die  formale  Anlage  der  Schrift  so  vorstellen, 
daß  Hippias  (mit  Plat.  Protag.  336c  zu  reden)  fV'  exdorr]  igcori^asi 
fjiax^ov  Xöyov  ajiexsivsv* ,  so  ist  das  mindestens  mißverständlich, 

Hermes  LIII.  4 


50  W.  ZILLE3 

sprechen?  Dem  Sophisten  eine  solche  Ungereimtheit  ohne  zwingen- 
den Grund  zuzuschreiben  geht  doch  nicht  an.  Allerdings  haut  auf 
dieser  ohne  Beweis  angenommenen  Voraussetzung  eine  Schrift  über 
den  größeren  Hippias  ihren  stärksten  Beweis^)  gegen  die  Echtheit 
dieses  Dialoges  auf.  Für  die  Vermutung,  es  handele  sich  in  beiden 
Dialogen  um  denselben  Vortrag,  spricht  dagegen  nicht  die  kleinste 
Tatsache.  Denn  der  Umstand,  daß  der  Sophist  den  im  größeren  Hippias 
erwähnten  Vortrag  auf  die  Bitte  des  Eudikos  hin  halten  will,  den  im 
kleineren  Hippias  vorausgesetzten  im  Beisein  desselben  Mannes  ge- 
halten hat,  zeigt  doch  nur,  daß  dieser  offenbar  einer  der  vielen  Be- 
wunderer der  Weisheit  des  Hippias  war,  die  sich  keine  Gelegenheit 
entgehen  ließen,  den  Hippias  zu  hören  lEyovxa  o  ri  äv  rig  ßovXtjTai 
cov  äv  eig  emdei^iv  jzageoxevaouevoi'  f],  y.al  aTioxQivojuevov  zcb 
ßovXo/jLEVcp  ö  n  äv  rig  egcorä  (Hipp.  min.  363 d). 

c)  Die  wichtigste  Frage  ist  die  nach  dem  Inhalte  des  Tqcoi- 
y,6g  ?i.6yog.  Er  enthielt  nd/xTiolla  vofxifxa  xai  TzdyxaXa  (286  b). 
Diese  Angabe  veranlaßt  offenbar  Blaß  (Att.  Bereds.  PS.  32)  zu 
der  Annahme:  'Diese  Rede  zerfiel  also  in  so  viel  Teile,  wie  Be- 
schäftigungen anempfohlen  wurden,  und  deren  waren,  wie  es  heißt, 
sehr  viele.'  Ähnlich  urteilen  andere  Forscher  bis  auf  Gomperz  und 
weisen  sogar  auf  Grund  dieser  Annahme  dem  Vortrage  eine  Reihe 
von  Fragmenten  ethischen  und  historischen  Inhaltes  zu.  Wenn 
dieser  aber  z.  B.  mit  unseren  mittelalterlichen,  ebenfalls  Greisen  in 
den  Mund  gelegten  Rilterspiegeln,  wie  der  Winsbecke,  Freidanks 
Bescheidenheit  u.  a.,  verglichen  wird,  so  ist  dabei  außer  acht  ge- 
lassen, daß  zwar  für  derartige  Sammlungen  'eine  bloß  obenhin  ge- 
ordnete Zusammenreihung  von  Sprüchen'  (Wackernagel)  ausreichte, 
daß  aber  für  eine  Imdei^ig  im  Sinne  der  antiken  Rhetorik  ein  der- 

1)  E.  Homeffer,  De  Hipp,  mal.,  Göttingen  1895  p.  51.  Seine  Beweis- 
führung möge  eines  methodiscli  wichtigen  Punktes  wegen  angedeutet 
werden.  Aus  der  oben  erwähnten  Annahme  wird  zunächst  geschlossen, 
die  Stelle  des  größeren  Hippias  weise  auf  den  kleineren  Hippias  hin. 
Dann  liege  also  die  Scene  des  größeren  Hippias  zeitlich  vor  der  des 
kleineren  Hippias.  Es  wird  dann  der  Nachweis  versucht,  der  größere 
Hippias  könne  nicht  vor  dem  kleineren  Hippias  geschrieben  sein. 
Daraus  folge  die  Unechtheit  des  größeren  Hippias.  Als  selbstver- 
ständlich wird  also  vorausgesetzt,  der  Dialog  müsse  eher  geschrieben  sein, 
dessen  Scene  zeitlich  früher  liegt.  Diesen  Grundsatz  hat  selbst  Munk 
(Die  natürl.  Ordnung  d.  plat.  Sehr  ,  Berlin  1857  S  27)  nicht  aufstellen  wollen, 
so  sehr  er  seiner  Auffassung  von  der  Ordnung,  in  der  die  platonischen 
Schriften  vom  Verfasser   zum  Lesen  bestimmt  seien,  entsprochen  hätte*. 


HIPPIAS  AUS  ELIS  51 

artiges  Verfahren  unerhört  wäre.  Für  eine  solche  ist  die  Annahme 
eines  einheilliclien  Themas,  das  nach  festen  Topen  abgehandelt 
wird,  unerläßliche  Voraussetzung:  wenn  als  Thema  der  Rede  der 
Nachweis  bezeichnet  wird  TioTa  ijiiTijdevjuaja  emT}]devoag  veog 
evdoxijuwxarog  yeroiro  (286b),  so  ist  das  nur  so  zu  verstehen: 
welche  Art  und  Richtung  der  Studien  verhilft  dem  Jünglinge  zu 
Ruhme?  Die  oben  angeführten  Worte  aber  zwingen  keineswegs  zur 
Annahme,  es  seien  eine  ganze  Reihe  von  Beschäftigungen,  'eine 
Menge  sehr  schöner  Gewohnheiten'  (Steinhart)  empfohlen  worden: 
ndiJLTioXXa  vojuijua  xal  näyy.aXa  mitteilen  und  anraten  kann  man 
auch  über  eine  einzige  Beschäftigung  und  deren  einzelne  Äußerungen 
oder  Anwendungen.  Welche  Antwort  aber  auf  die  Frage  des  Jüng- 
lings nach  dem  sicheren  und  untrüglichen  Wege  zu  Ruhm  und  Ehre 
wird  der  Sophist  dem  tönenden  Redner  von  Pylos,  dem  von  der 
Zung'  ein  Laut  wie  des  Honigs  Süße  daherfloß,  in  den  Mund  gelegt 
haben?  Mit  der  Frage  ist  die  Antwort  schon  gej2;eben:  das  dem 
Neoptolemos  empfohlene  Lebensideal  muß  übereinstimmen  mit  dem 
eigenen  Ideale  des  Sophisten.  Dies  zeichnet  er  aber  selbst  im 
größeren  Hippias  recht  bündig  und  klar,  296  a:  Iv  roTg  nolniKÖlq  re 
xal  rf]  eavrov  noXei  zö  jiiev  dvvaröv  elvai  Jidvrcov  xdXXiorov,  t6 
de  ädvvarov  ndvTCOV  aioiiojov.  304a b:  exeivo  xal  xaXbv  xal 
jioXXov  ä^iov  olov  t'  elvai  ev  xal  xaXwg  Xoyov  xaraon]odjue- 
vov  EV  öixaorrjQiq)  fj  sv  ßovXevxfjQiq)  f]  eji'  ciXXrj  ni'l  dg^fj, 
jtQÖg  rjv  dv  6  Xoyog  fj,  JiEioavra  oi'xeo'&ai  cpegovra  ov  rct  o/Jii- 
xQorara  dXXd  rd  jueyiara  rcöv  ä'&Xa>v,  ooixrjQiav  avxov  xe  xal 
xcüv  avxov  ;f^>^/^<arcüv  xal  (ptXoiv.  xovxmv  ovv  ^of}  dvxexso'&ai. 
Nach  dem  Zeugnisse  der  Einleitung  des  größeren  Hippias  übte  der 
Sophist  die  hier  empfohlene  Tätigkeit  auch  selbst  aus.  Und  wenn 
wir  aus  Quintilian  lernen,  daß  schon  die  antike  Rhetorik  in  ihren 
Vorschriften  über  die  jigooMJiojtoua  großes  Gewicht  darauf  legte, 
daß  die  einer  Person  in  den  Mund  gelegten  Äußerungen  immer 
ihrem  Charakter  angemessen  seien,  so  ist  beachtenswert,  daß  die 
Persönlichkeit  Nestors  zu  einem  solchen  Inhalte  der  Rede  durchaus 
paßt,  ja  daß  keine  zweite  Person  des  homerischen  Kreises  ebenso- 
gut dazu  passen  würde. 

d)  Ausdrücklich  bestätigt  wird  diese  Annahme  durch  eine  Stelle 
des  größeren  Hippias.  Auf  die  gerade  angeführten  Worte  des 
Sophisten  (304  a  b)  antwortet  Sokrates  :  c5  'Ijima  (piXe,  ov  jiiev  juaxd- 
Qiog  Eij  oxi  XE  olo&a  d  XQ^  EJiixrjÖEVELV  äv&QOjnov,    xal  EJiiXEzrj- 

4* 


52  W.  ZILLEvS 

Sevxag  ixavcbg,  cbg  q^rjg.  Die  sprachliche  Form  der  Antwort  weist 
deuthch  auf  den  Tgcoiy.ög  koyog  hin,  da  das  Wort  ejiixrjdeveiv, 
das  sowohl  hier  wie  bei  der  Erwähnung  des  Vortrages  zweimal 
gebraucht  wird,  in  den  dazwischenliegenden  Erörterungen  nicht 
vorkommt.  Dann  aber  sagt  Sokrates  weiter:  eTreidäv  .  .  .  Ae/o) 
.  .  .,  (bg  Tiokv  y.QdxiOTOv  eoxiv  oJov  te  slvai  Xoyov  ev  xai 
xaXcög  xaTaorrjod/Lievov  ri  TTsgaiveiv  ev  öixaoxijQicp  ij 
F.v  äX?.q)  xivl  ovXXoyq)  (.  .  .  Jidvxa  xaxä  äxovo)  .  .  .  tTieidäv  ovr 
F.loek&O)  . . .),  eQCOxa  ei  ovx  aloyyvoixaL  xoXix(bv  jisqI  xakcbv 
^nixi^dev [xdxoiv  diaXeyeo^ai.  Nestors  Antwort  lautete  dem- 
nach: ijtixijösveiv  XQV  ^^^  veov  olöv  t'  elvai  Xöyov  ev  xal  xakcög 
xaxaox7]odjUEvöv  xi  jiEQaivEtv  ev  dixaoxrjQico  fj  ev  ßov^evxrjQio)  y 
EV  äXlo)  xivi  avXXdyo).  Die  Troische  Rede  ist  also  das  Gegenstück 
zum  fieyag  Xoyog  des  Protagoras,  wie  ihn  Gomperz  (S.  175,  277) 
auffaßt:  eine  Begründung  und  Darlegung  des  sophistischen  Unter- 
richtszieles und  Unterrichtsprogrammes,  des  formal -rhetorischen 
Bildungsideales  ^).  Ihren  Zweck,  die  Empfehlung  der  sophistischen 
Bildung,  erreichte  die  Rede  in  zweifacher  Hinsicht:  einmal  legte  sie 
dar,  warum   jene    erstrebenswert  sei,    dann  aber  bildete  sie  selbst 

1)  Raeder  (Plat.  philos.  Entw.  S.  106)  findet  es  mit  Homeffer  (p.  35 
auffällig,  daß  Hippias  dem  Sokrates  empfiehlt,  Sachwalter  zu  werden, 
während  vorher  (285d)  von  ihm  selbst  erzählt  wurde,  daß  er  sich  mit 
ganz  anderen  Sachen,  Genealogie  und  Antiquitäten,  abgebe.  Piaton 
scheine  die  Tätigkeit  der  verschiedenen  Sophisten  nicht  recht  ausein- 
andergehalten zu  haben.  Aber  zunächst  beschränkt  sich  doch  Hippias 
keineswegs  in  der  oben  angeführten  Stelle  (304  a  b)  auf  eine  Empfehlung 
der  Tätigkeit  als  Sachwalter  {Iv  dixaotrjQiqj  i}  ev  ßov?.£vzrjoiqj  i}  eti  ä/.h/ 
Tivl  doyJi  —  vgl.  des  Sokrates  Antwort:  iv  öi?iaart]giq}  r/  ev  älXw  xivi 
cvX'Aoyo);  in  einem  Satze,  der  nach  Gercke  ungefähr  so  einer  Ankündi- 
gvmg  des  Gorgias  entlehnt  sein  könnte,  werden  [Gorg.  452 e]  genau  in 
gleicher  Weise  die  Vorteile  der  sophistischen  Kunst  gepriesen:  xo  nei- 
iJsiv  olov  t'  eJvai  xoTg  ?.6yocg  xal  ev  diyaarrjQico  dixaazäg  y.al  iv  ßovXEvrrjQiü) 
ßovXsvrag  xal  iv  ixxXriaia  exxXtjoiaazäs  xal  iv  ä?A<a  ovXköyo)  navxi,  daxig  av 
:xohxix6g  av/J.oyog  yiyvt]xai).  Hippias  bezeichnet  vielmehr  ganz  allgemein 
die  öeivöxTjg  des  ev  Xeyeiv  als  das  oberste  Erfordernis  zu  der  Laufbahn 
des  praktischen  Staatsmannes.  Daß  aber  diese  dEivöit/g  auch  ihm  selbst 
zu  Gebote  steht,  von  seinen  Mitbürgern  in  Elis  anerkannt  und  gern  im 
Interesse  ihrer  Stadt  in  Anspruch  genommen  wird,  das  hebt  Hippias 
ausdrücklich  gleich  im  Anfange  des  Dialoges  hervor.  Mit  diesem  rhe- 
torischen Zentralinteresse  (Gomperz  S.  283)  verbindet  sich  freilich  bei 
ihm  persönlich  das  antiquarische  Interesse  des  Polyhistors:  was  ist  dara.n 
auffällig? 


HIPPIAS  AUS  ELIS 

eine  Probe  für  die  durch  jene  Bildung  erreichbare  Fertigkeit.  Die 
Annahme  liegt  nahe,  daß  der  Sophist  mit  ihr  regelmäßig  seino 
unterrichtliche  Tätigkeit  in  den   verschiedenen  Orten  eröfTnete. 

e)  Vermutungsweise  läßt  sich  vielleicht  sogar  noch  Näheres  über 
den  Gedankengang  der  Rede  sagen.  Zwei  verschiedene  Beobach- 
tungen können  dabei  als  Ausgangspunkt  dienen.  Zunächst  läßt  sich 
auf  Grund  der  vorangehenden  Erörterungen  die  Rede  mit  noch 
größerer  Sicherheit  zu  den  Anfängen  der  isagogischen  Literatur 
rechnen,  als  es  Norden  a.  a.  0.  tut.  Vermutlich  treffen  sogar  die 
Gesichtspunkte,  die  er  für  die  späteren  isagogischen  Schriften  auf- 
stellt, schon  sämtlich  für  sie  zu  (ars:  Alter,  Erfinder,  Vervoll- 
kommner —  Zweck:  Nutzen  oder  Vergnügen  oder  beides  —  Teile: 
(irtifex:  Vorbildung;  Verhältnis  von  Begabung  und  Studium;  ^;er- 
fectus  artifcx  —  jiiaivojuevog).  Während  der  Hinweis  auf  das  Alter 
der  rhetorisch-sophistischen  Kunst  durch  die  Person  Nestors  gegeben 
war,  enthielt  vielleicht  ein  erster  Teil  Ausführungen  über  ihren 
Zweck ,  für  deren  Inhalt  vorläufig  die  oben  angeführten  Stellen 
(Hipp.  mai.  296a.  304 ab)  einen  Anhaltspunkt  geben  können.  Wie 
ein  zweiter  Teil  etwa  Vorbildung,  Verhältnis  von  natürlicher  An- 
lage und  Studium  behandelt  haben  mag,  zeigen  die  Fragmente  des 
Anonymus  lamblichi  ^).  Zum  Schlüsse  der  wirkungsvolle  Gegensat/, 
des  erfolgreichen  Redners  zum  äv6i]Tog  (Hipp.  mai.  301  b  c.  304  b). 
Einen  anderen  Ausgangspunkt  bieten  die  im  zweiten  Teile  des 
größeren  Hippias  von  Sokrates  vorgeschlagenen  Definitionen.  Schon 
lange  ist  die  Beobachtung  ausgesprochen,  daß  diese  nicht  nur  ver- 
suchsweise oder  ahnungsartig  herbeigenommen  werden,  sondern 
dem  Verfasser  des  Gesprächs  sichtlich  sehr  geläufig  sind.  Es  fragt 
sich,  woher  sie  stammen.  Sie  zerfallen  in  zwei  Gruppen:  zunächst 
bezeichnet  Sokrates  das  Schöne  nacheinander  als  x6  jiqejiov  (293 e). 
tÖ  ')(^Qriaifiov  (295  c),  tö  dxpeXifJiov  (296  e),  dann  als  x6  dt'  äxofjg 
T£  xal  öyjEoyg  fiöv  (297 e)  und  als  fjdovr]  (hcpüu/biog  (303e).  Sie 
entsprechen  genau  der  von  Norden  als  ein  wesentlicher  Punkt 
der  Isagoge  bezeichneten  Frage  nach  dem  Zwecke  der  Kunst: 
Nutzen  oder  Vergnügen  oder  beides.     Zum  Vergleiche   lassen    sicli 


1)  Ob  die  Weisheit  des  Tamblichos  ganz  oder  teilvsreise  dem  Tqcoi- 
y.bc.  loyo?  entstammt?  Bei  Gomperz  fällt  ein  gewisser  Widerspruch  auf. 
insofern  als  er  S.  79  und  besonders  S.  89  f.  auf  Hippias  als  Qutdle  ziem- 
lich deutlich  hinweist,  während  er  Anm.  363  die  Bruchstücke  aus  einer 
Paraphrase  des  Protagoreischen  iiiyaq  Xöyo;  stammen  läßt. 


54  W.  ZILLES 

auch  die  re?u>cd.  xecpdXaia  der  späteren  Rhetorik  heranziehen,  in 
die  das  aristotehsche  xalbv  als  Tekog  der  epideiktischen  Beredsam- 
keit (Rhet.  I  3)  aufgelöst  ist.  Anaximenes  z.  B.  lehrt:  enaivETU 
fxev  ovv  iou  Jigäy/uara  rd  dixaia  xal  rd  vöjuijiia  xal  xd  ovjU(pe- 
Qovra  y.ai  rd  xaXd  xal  xd  i]de.a^)  xal  xd  QÜdia  Jigaxdrjvai'^) 
(Kap.  3  S.  186  Spengel).  Vielleicht  deutet  auch  der  oben  bespro- 
chene Ausdruck  vjioxi&ejuevog  avxco  TidfAJioXXa  vojuijua  xal  ndy- 
xala  (Hipp.  mai.  286  b)  auf  Ähnliches  hin. 

f)  Diese  Vermutungen  über  die  Gliederung  der  Rede  sind  frei- 
lich unsicher.  Sicher  aber  ist,  daß  die  oben  entwickelte  Auffassung 
von  ihrem  Inhalte  einen  Schlüssel  zum  Verständnisse  des  gesamten 
Dialoges  bietet,  in  dem  sie  erwähnt  ist.  Bruns  (Lit.  Portr.  S.  349) 
hält  die  Einleitungsscene  des  größeren  Hippias  aus  zwei  Gründen 
für  unplalonisch.  Sie  habe  ihre  ganz  eigene,  von  dem  übrigen 
unabhängige  Tendenz,  während  Plalons  Scenerie  zu  dem  Haupt- 
zweck, zu  dem  wissenschaftlichen  Inhalt,  in  einem  organischen 
und  damit  in  dem  Verhältnis  der  Unterordnung  stünde.  Zweitens 
sei  diese  Tendenz  rein  historisch  und  in  der  Absicht  geschrieben, 
die  Leser  geschichtlich  zu  unterrichten.  Versuchen  wir  das  vermißte 
organische  Verhältnis  zwischen  Einleitung  und  Hauptteil  aufzu- 
weisen. Dem  gleich  im  Anfange  des  Dialoges  (281b  c)  gezeichneten 
Lebens-  und  Bildungsideale  der  Sophisten  gegenüber  wird  zunächst 
darauf  hingewiesen,  daß  die  allgemein  geachteten  {wv  ovdixaxa 
fxeydla  Xsyexai  im  oocpiq  281c)  alten  Weisen  jenes  Lebensideal 
nicht   mit   den   neuen  Weisen   teilten  3);    dann    muß  Hippias  selbst 

1)  Vielleicht  fand  sich  auch  schon  die  Bestimmung  8ia  ztjg  äxofjg 
xal  xfjg  otfjsMQ  rjdv  (297 e)  bei  Hippias:  vgl.  Aristot.  Rhet.  III  2,  Demetr. 
jieqI  sQfirjvsiag:  wQioazo  Ö'  aiitä  (sc.  tÖc  leyö/Lieva  xaXa.  övöiiaxa)  QEocpqaoxog 
ovTCog '  x<x}j.og  dvöfiatög  soti  z6  ngog  Jtjv  dxotjv  i]  ngog  zfjv  oyjiv  rj8v,  rj  zo 
zfj  öiavoia  evzifxov  (Spengel,  Kh.  Gr.  III  300),  Hermogenes  jieqI  iöeüjv:  zavza 
yag  xal  zrj  oiyei  jtQOoßä?J.ei  rjdovip'  OQo'j/.iera,  xal  zf]  axofj  oze  e^ayyeXXei  zig 
(Sp.  II  358). 

2)  Auch  die  nagoii^la  am  Schlüsse  des  größeren  Hippias:  yaXsna  za 
xa?.d  würde  durch  die  Beziehung  auf  einen  entsprechenden  Punkt  der 
Rede  doppelt  bedeutsam. 

'S)  Bruns  bezeichnet  es  (S.  848)  als  einen  merkwürdigen  historischen 
Fehler,  daß  der  Verf.  behauptet,  Pittakos,  Bias  und  Tliales  hätten  sich 
nie  mit  Politik  befaßt.  Dieser  Fehler  ist  entweder  durch  die  An- 
nahme erklärt  worden,  Sokrates  spreche  hier  wider  besseres  Wissen,  um 
den  dgxaiolöyog  Hippias  zu  verspotten,  der  auf  die  erste  beste  geschicht- 
liche Unwahrheit  eingeht,  sobald  sie  nur  zu  seinen  und  seiner  Genossen 


HIPPIAS  AUS  ELIS  55 

gestehen ,  daß  die  vo/xijucoxaroi  doxovvreg  elvm  Spartaner  von 
der  sopliistisclien  Bildung  nichts  wissen  wollen.  Der  für  Verfasser 
und  Leser  selbstverständliche  Zusammenhang  zwischen  den  alten 
Weisen  und  der  spartanischen  Erziehung  ergibt  sich  aus  Prot.  343  a: 
ovToi  Tidvieg  (die  Sieben  Weisen)  Ci]Xojxal  xal  ignorai  y.al  jufxßrjxai 
fjoav  rijg  Aaxeöaifxoviiov  jiaiösiag.  Nachdem  durch  diese  Auto- 
ritätsbeweise für  die  Richtigkeit  des  sokratisch-platonischen  Stand- 
punktes und  gegen  die  Berechtigung  der  sophistischen  Anschauung, 
die  in  die  Form  der  ironischen  Anerkennung  und  Bewunderung  der 
Weisheit  des  Hippias  und  seiner  Genossen  gekleidet  sind,  die  Frage 
nach  dem  Werte  der  sophistischen  Ideale  genügend  begründet  und 
nahegelegt  ist,  wird  sie  durch  die  Erwähnung  des  Vortrages  des 
Sophisten  über  die  Ideale  eines  jungen  Mannes  und  die  Mittel  zu 
deren  Verwirklichung  unmittelbar  veranlaßt  und  in  der  Weise  ge- 
stellt, daß  Sokrates  nach  dem  Begriffe  des  xa?.öv  fragt;  als  ein- 
ziges positives,  nicht  widerlegtes  Ergebnis  wird  dann  im  Hauptteile 
der  Satz  aufgestellt  und  festgehalten,   daß  das  xakoj'  von  dem  sitt- 

Gunsten  zu  sprechen  scheint  (Heindorf,  Schleiermaclier,  Stallbaum,  Zeller), 
oder  aber  durch  die  Voraussetzung,  Sokrates  oder  vielmehr  der  Vei-fasser 
des  Dialoges  rede  in  gutem  Glauben,  hier  spiegele  sich  eine  Phase  der 
Metamorphose  wider,  die  jene  alten  Weisen  allmählich  als  lichtscheue  Ge- 
lehrte und  Theoretiker  erscheinen  lasse  (Hirzel,  E.  Meyer).  Ist  aber  die 
Behauptung  überhaupt  unrichtig?  Es  kommt  auf  den  Sinn  des  an  sich 
mehrdeutigen  Ausdruckes:  (paivoviai  dnsxöfisvoi  tmv  jioXitixwv  tiqü^ecüv 
an.  Das  Verhalten  der  alten  Weisen  wird  dem  der  Sophisten  gegen- 
übergestellt: der  Satz  muß  also  das  Gegenteil  der  Tätigkeit  der  Sophi- 
sten ausdrücken.  Nun  betrachteten  aber  die  Sophisten  die  Kenntnis 
und  Ausübung  der  tex^r]  noXiTix»)  als  wesentliches  Merkmal  der  oo(pia; 
von  den  Alten  soll  demnach  offenbar  ausgesagt  werden,  ihrer  Lebens- 
aufgabe und  eigentlichen  Tätigkeit  habe  die  jioXizixi]  jigä^ig  völlig  fern- 
gelegen (in  derselben  Bedeutung  ist  der  Ausdruck  z.  B.  Euthyd.  306 b 
angewandt,  wo  (piXoaoq>ia  und  nokiTixi]  jiQä^ig  [, Staatskunst"  Raeder]  ein- 
ander entgegengestellt  sind).  Das  trifft  durchaus  für  Bias,  Thiiles,  Ana- 
xagoras  zu;  wenn  aber  von  der  Teilnahme  des  Pittakos  am  öffentlichen 
Leben  seiner  Vaterstadt  berichtet  wird,  so  zeigt  die  Tatsache,  daß  er 
freiwillig  und  gegen  den  Willen  seiner  Mitbürger  die  ihm  übertragenen 
Ämter  niederlegte,  wie  weit  er  von  den  Anschauungen  der  Sophisten 
entfernt  war.  Daß  es  dem  Verfasser  überhaupt  nur  um  die  Feststellung  der 
allgemeinen  Richtung  der  älteren  Philosophie,  nicht  um  die  gelegent- 
liche, von  keinem  Staatsbürger  des  Altertums  ganz  zu  vermeidende 
öffentliche  Tätigkeit  zu  tun  war,  zeigt  der  Zusatz:  i)  nävisg  >;  ol  jiokXoi 
avzcöv,  der  vereinzelte  Ausnahmen  von  der  allgemein  aufgestellten  Regel 
ausdrücklich  vorsieht. 


56  W.  ZILLES,  HIPPIAS  AUS  ELIS 

lieh  Guten  nicht  zu  trennen  ist  (297 cd.  304  a),  daß  also  das  Ideal 
der  Sophisten  nicht  deshalb  berechtigt  ist,  weil  es  nützlich  oder 
angenehm  ist,  sondern  vielmehr,  wenn  es  ein  vernünftiges  Lebens- 
ziel sein  sollte,  auch  gut  sein  müßte,  d.  h.  nicht  darauf  gerichtet, 
Ehre  und  Macht,  sondern  Tugend  im  Sinne  des  Sokrates  und  Piaton 
zu  erwerben.  Damit  wird  auch  die  Tatsache  durchaus  verständlich, 
daß  am  Schlüsse  des  Dialoges  keine  positive  Bestimmung  des  Begriffes 
gegeben  wird,  da  es  eben  zu  Piatons  Zwecke  völlig  ausreicht,  wenn 
er  die  wissenschaftliche  und  pädagogische  Richtung  der  Sophisten 
in  ihrer  Verkehrtheit  darstellt.  So  erledigt  sich  auch  der  Vorwurf, 
den  Bruns  (S.  347)  dem  Verfasser  des  Dialoges  macht:  Piaton  habe 
seinen  Sokrates  niemals  mit  Gegnern  zusammengestellt,  ohne  ihn 
in  irgendeiner  Weise  triumphiren  zu  lassen.  Gegen  dieses  Grund- 
gesetz verstoße  der  größere  Hippias.  Der  Sophist  breche  das  Ge- 
spräch ab,  indem  er  Sokrates  von  oben  herunter  abkanzele ;  er  gehe 
triumphirend  davon.  Kurz-  vorher  (S.  324)  liest  man  freilich  bei 
Bruns:  'Gewiß  sollen  diese  Dialoge  überzeugen,  aber  nicht  den 
Vertreter  der  Gegenansicht  im  Personal  des  Dramas,  sondern 
den  Leser.  Jener  soll  nur  aus  dem  Sattel  gehoben  und  voll- 
ständig diskreditirt  werden.'  Das  ist  zweifellos  der  richtige  Stand- 
punkt; dieser  Bedingung  entspricht  aber  unser  Dialog  in  einem 
Maße,  daß  andere  Gelehrte  wieder  an  dem  Übermaß  der  Diskredi- 
tirung  Anstoß  genommen  haben.  Ganz  widersinnig  und  ungeschicht- 
lich aber  wäre  der  Gedanke,  den  Sophisten  im  Dialoge  von  seinen 
Idealen  zurückzubringen  und  zur  richtigeren  Ansicht  zu  bekehren, 
vor  allem  aus  dem  Grunde  gewesen,  weil  zur  Zeit  Piatons  nach 
dem  Tode  des  Sokrates  und  Hippias  die  von  diesem  begründete 
pädagogische  Richtung  noch  bestand  und  sehr  viele  Anhänger  hatte, 
wovon  jeder  Leser  Piatons  sich  täglich  überzeugen  konnte. 

Wenn  so  Gedankengang  und  Bedeutung  des  größeren  Hippias 
durch  die  oben  dargestellte  Annahme  über  den  Inhalt  des  Tgcüixög 
löyoq  verständlich  wird,  so  darf  wohl  diese  Tatsache  wiederum  als 
Stütze  jener  Annahme  bezeichnet  werden. 

Düsseldorf.  W.  ZILLES. 


HIPPOKRATISCHE  FORSCHUNGEN  V. 

(S.  d.  Z.  XLV  126-150.  320:  XLVI  260-285;  XLVIII  378—407.) 

Y.  Eine  neue  Fassung  des  xix.  Hipi'okratesbriefes. 
Die  Textgeschichte  der  griechischen  Klassiiier  hat  gelehrt,  daß 
die  meisten  und  schlimmsten  Entstellungen  der  Originale  im  Großen 
und  Kleinen  in  der  Regel  auf  die  Zeit  der  Verfasser  oder  die  un- 
mittelbar folgende  zurückgehen.  Der  Text  ist  eben  gleichsam  noch 
in  statu  nasccndi.  Die  Autorität,  die  der  Autor  allmählich  ge- 
winnt, übt  noch  keine  conservative  Kraft  aus,  die  Grammatiker 
haben  die  Texte  noch  nicht  in  Pflege  genommen.  Wenn  daher 
meine  Untersuchungen  über  die  Überlieferung  der  Hippokratischen 
Schriften  gelehrt  haben,  daß  die  schlimmsten  Schäden  der  Willkür 
und  Sorglosigkeit  der  ärztlichen  Kreise  des  4.  Jahrhunderts  zu  ver- 
danken sind,  ehe  die  bibliothekarische  und  grammatische  Methode 
der  Alexandriner  sich  auch  dieser  Literatur  annahm,  so  gilt  ein 
gleiches  auch  von  dem  Nachhall  Hippokratischer  Weisheit,  dem 
Briefwechsel  des  Hippokrates,  den  im  Anfang  der  Kaiserzeit  ^),  wie 
es  scheint,  ein  koischer  Arzt  und  Literat  verfaßt  hat.  Die  Auf- 
findung mehrerer  Papyri  2)  zeigt  nun  auch  hier  dieselbe  Erschei- 
nung. Schon  bald  nach  der  Entstehung  dieses  Briefromans  muß 
sich  in  weiteren  Kreisen  Interesse  dafür  gezeigt  haben,  was  auf  den 
Geschmack  dieser  Kreise  freilich  kein  günstiges  Licht  wirft.  Auch 
in  der  Folgezeit  blieb  dieses  Interesse  wach.  Es  zeigt  sich  darin, 
daß  die  verschiedenen  längeren  und  kürzeren,  zum  Teil  formell 
ganz  abweichenden  Fassungen  des  Briefromans  sich  bis  in  die 
byzantinischen  Exemplare  hinein  verfolgen  lassen,  ja  daß  sogar  eine 


1)  S.  darüber  am  Schlüsse  S  81  ff. 

2)  Berol.6934  und  7091  (s.  II/III  her.  von  Kalbfleisch,  Berl.  Klassi- 
kertexte III  5fF.)  und  Oxyrh.  1184  (s.  I  p.  Chr.  her.  von  Hunt,  Oxyrh.  Pap. 
IX  195). 


58  H.  DIELS 

Handschrift  des  16.  Jahrhunderts^)  an  einzelnen  Stellen  die  voll- 
ständigste Überlieferung  gibt.  Dies  ist  das  Ergebnis  der  lichtvollen 
Untersuchung  von  Pohlenz  (d.  Z.  LH  1917  S.  348  ff.). 

Ich  war  daher  nicht  überrascht,  in  einer  bisher  für  die  Briefe 
noch  ungenutzten  Handschrift,  Urbinas  68  s.  XIV,  die  für  die  in- 
direkte Erotianüberlieferung  von  Wichtigkeit  ist,  eine  abweichende 
Recension  des  19.  Briefes  zu  entdecken,  welche  den  in  allen  son- 
stigen Handschriften  verstümmelten  Text  in  ungeahnter  Weise  ver- 
vollständigt. Während  in  den  Briefen  1  —  18  diese  urbinatische 
Handschrift  sich  an  die  Vulgatüberlieferung  in  der  Regel  eng  an- 
schließt, markirt  sie  nach  dem  Schlüsse  des  18.  Briefes  eine  Lücke 
von  1  ^2  Seilen ;  die  Briefe  20  ff.  fehlen,  von  denen  wiederum  die 
letzten  23.  24  auch  in  MUV  und  den  andern  Vulgathandschriften 
fehlen.  Sie  sind  nur  in  dem  durch  den  Heidelberger  Codex  Palat. 
398  s.  X  (b)  repräsentirton  besten  Zweige  der  Überlieferung  er- 
halten. Aber  auch  diese  vorzügliche  Handschrift  gibt  den  folgen- 
den, in  b  als  20.  gezählten  Brief  ArjjuöxQirog  'IjinoxQdxEi  JJeQi 
fxavifjg  (so  hier  die  Überschrift)  nur  in  einem  verstümmelten  Ex- 
cerpte.  Der  Anfang  lautet  nämlich  jiiaivofievcoi  de,  cbg  ecpi]v,  ev 
rcöi  Tiegl  IsQfjg  vovoov,  vno  vyQOzrjTog  rov  iyxecpdXov,  ev  cbi 
ioTi  TO.  Ti]g  y'V'/j']g  Egya.  Man  kann  den  Brief  nicht  mit  de  be- 
ginnen lassen,  die  Änderung  jiiaivojiisvoi  des  letzten  Herausgebers^) 
ist  ebensowenig  befriedigend  wie  die  Interpolation  Littres  juaivo- 
jxeßa  ^).  Noch  schwieriger  ist  die  Frage  zu  beantworten,  wer  denn 
eigentlich  nach  der  Absicht  des  Romanschreibers  der  Verfasser 
dieser  Abhandlung  sein  soll.  Man  erwartet  doch  nach  dem  Ver- 
sprechen der  vorhergehenden  Briefe*),  sie  rühre  von  Demokrit  her. 
Dieser  kann  ja  nun  freilich  wohl  nach  der  Voraussetzung  des  Ver- 


1)  Paris.  3052  {cp). 

2)  W.  Putzger,  Hippocr.  q.  f.  Epistulae  ad  codd.  fidem  recensitae 
<ProgT.  Würzen  791)  Lpz.  1914. 

3)  Aus  Hipp,  de  morbo  saec.  15  (VI  388,  6). 

4)  ep.  18  Schluß  schreibt  Demokrit :  djiEozaXxa  ds  aoi  röv  :isqi  /lavitjg 
j.öyov.  Er  wird  im  vorhergehenden  als  in  der  Ausaibeitung  begriifen  er- 
wähnt ep.  17  iS.  15,  4  Putzger)  uDm  ov,  A^jLiöy.Qirs,  t)]i  xoFiaoovi  fis  ^evitji 
<)sy£v  [so  ürb.  68].  xai  jzgöJrov,  ri  i)v  xovz'  6  ygäcpon'  wy/dveic,  (podC^  (so 
nach  bMV  zu  lesen,  die  ionische  Psilose  ist  in  der  Lesung  zovzo  er- 
halten) ■  o  8'  Ei^iioyon'  o'/.iyov  yoövov '  Jisgi  /uavhjg,  eqpt]  .  .  .  dU.a  zi  nEQi 
fiavlrjg  yQÜcpsig;  zi  yäg,  ei:iEv,  ä?do  jiXt)v  fj  [so  emendiren  UR:  Ech  MV]  tig 
ze  Eirj  xai  oxcog  dvd'QWTioig  iyyivEzai  xal  ziva  zqojtov  dnoXcocpEOixo, 


HIPPOKRA.TISCHE  FORSCHUNGEN  V  59 

fassers  die  Schriften  des  Koers  benutzen  ^),  aber  er  kann  doch  seine 
Berufung  auf  die  Schrift  jiegi  legrjg  vovoov  nicht  mit  den  Worten 
(hg  eq}t]v  einleiten.  Er  müfste  doch  £q}7]g  sagen,  wie  später  das 
Gitat  aus  den  Epidemien  23,  17  auch  wirklich  mit  den  Worten  ir 
de  xü)i  jiEixjixwi  x(bv  'Ejiidrjjuuov  loTogijoag  (so  accenluirt  b  rich- 
tig) eingeführt  wird.  Freilich  Lillre  schreibt  auch  hier  loioQYjoa, 
da  er  sah,  daß  das  Participium  ioTOQ)'joag  (so  die  Vulgala)  in  der 
Luft  schweben  würde. 

Nun  hat  Marcks^)  versucht,  Sinn  in  diese  Überlieferung  zu 
bringen,  indem  er  annimmt,  Hippokrates  habe  die  Schrift  des  De- 
mokrit  IJegl  juavhjg  (Br.  19)  empfangen  und  ihm  als  Entgegnung 
seine  eigene  Meinung  über  diesen  Gegenstand  mitgeteilt.  Er  hätte 
diese  sinnreiche  Ausflucht  vielleicht  noch  dadurch  stützen  können, 
daß  im  Urb.  68  eine  große  Lücke  nach  Br.  18  gelassen  ist,  die  in 
Verbindung  mit  der  offenbaren  Verstümmelung  des  Br.  19  zu  An- 
fang den  Ausfall  eines  Briefes  oder  wenigstens  die  Fassung  des 
verlorenen  Anfangs  des  19.  Briefes  in  diesem  Sinne  anzunehmen 
gestattete.  Allein  er  hat  den  20.  Brief  nicht  sorgfältig  gelesen. 
Denn  dieser  Brief  des  Hippokrates  an  Demokrit  setzt  nicht  etwa 
einen  ausgefallenen  Brief  des  Hippokrates  liegt  juavi)]g  voraus, 
sondern  bezieht  sich  auf  den  uns  erhaltenen,  zuletzt  vorhergehen- 
den Br.  18,  den  Hippokrates  samt  der  Beilage  des  Demokrit  Uegl 
fxavir]g  (n.  19)  erhalten  hat.  Denn  er  sagt  hier  20  {2A,  2)  t)  juer 
ovv  vjio  oeo  enioTaXeToa  ejiioxoXi]  xaiefjLe/JLCpexo  jiegl  xfjg  (pagjua- 
xeirjg  xov  eX/.eßogov.  Und  dies  ist  die  Antwort  auf  den  Anfang 
des  Demokritischen  Briefes  18  (22,  4)  ijifjX^eg  •tjfuv  cbg  juejurjvö- 
oiv,  CO  'InnoxQareg,  elXeßoQov  öcoocov  neiodeig  a.vo)jxoig  dvögäoi, 
nag  olg  6  novog  xfjg  ägexrig  juavh]  xgivexat.  Und  nun  schreibt 
er  am  Schluß,  Demokrit  solle  ihm  nur  häufiger  Schriften  von  sich 
zusenden,  äneoxaXxa  de  ooi  xal  avxög  xov  Ilegl  xov  eXXeßoQio- 
fiov  Xoyov.  Und  dieser  Traktat  folgt  denn  auch  als  Br.  21  genau 
so  auf  diese  Ankündigung,  wie  der  Traktat  Uegl  juavü]g  (Br.  19j 
auf  das  äneoxalxa  öe  ooi  xov  Ilegl  juavi7]g  koyov  (Br.  18)  des 
Demokrit  folgt  ^).     Der  Titel  des  19.  Briefes,    den    die  beste  Hand- 

1)  Demokrit  sagt,  als  er  seinen  Namen  erfährt,  17  (14,  18  P.)  >}  tmv 
'AoxXt]Jiia8(üv  svysvEia  ;ToAr'  ys  oov  xo  xl.iog  xfi^  iv  ItjToiy.fji  oocfhjg  TTFcpoiTr/- 
XEV  xal  ig  i)[iEag  acpixiai, 

2)  Symbola  crit.  ad  Epistolographos  gr.  (Bonn  1883)  S.  33. 

3)  Naiv  war  die  Art,  wie  der  treffliche  Foesius  sich  aus  der  Ver- 


60  H.  DIELS 

Schrift  b  bietet :  ArjfxöxQvtog'lTinoxQdrEi  jieqi  juavirjg,  ist  demnach 
ganz  richtig^)  und  entspricht  dem  des  21.  Briefes  ITegl  iXkeßoQiojuov 
'l7inoxQUT}]g  AijjuoxQizcoi. 

Also  es  zeigt  sich,  daß  in  der  Lücke,  die  der  Urb.  68  nach  18 
freiläßt,  vielleicht  der  Schluß  unserer  Briefsammlung  20  —  24,  den 
die  Handschrift  nicht  bietet,  weggefallen  ist,  aber  kein  unbekannter 
Brief  und  wohl  auch  nicht  der  vermißte  und  bis  jetzt  nicht  wieder- 
gefundene Anfang  des  verstümmelten  Briefes  19.  Denn  auch  ab- 
gesehen von  der  offenbaren  Verderbnis  des  Anfangs,  dürfte  man 
nach  der  Weitschweifigkeit,  mit  der  der  Schriftsteller  seinen  Demo- 
krit  im  17.  wie  im  23.  Briefe  reden  läßt,  wohl  annehmen,  daß  er 
die  drei  Fragen  seiner  Vorankündigung  //'  Tig  re  eirj  xal  oxcog  dv- 
&QU)7ioig  iyyivetai  xal  riva  xqojiov  änokcocpeoiTO  etwas  gründ- 
licher beantwortet,  als  es  hier  ep.  19  mit  den  dürftigen  Hippokrates- 
citaten  geschieht. 

Ein  ganz  anderes  Gesicht  zeigt  der  19.  Brief  in  dem  neuent- 
deckten Stück  der  urbinatischen  Handschrift.  Die  drei  Fragen  des 
17.  Briefes  werden  hier  nach  einer  umfänglichen  Einleitung  (§^1 
bis  23)  wiederholt.  Die  Disposition  wird  §  24  gegeben:  tL  ioxt  xal 
oxoioiot  öiayiyviüoxerat  xal  riva  xqojiov  djioXcocpEOixo.  Mit  der 
ersten  Frage  wird  sofort  §  25  die  Ätiologie  verknüpft  xi  ioxi  xal 
dC  oiag  alxiag  yiyvexai.  Dieser  Abschnitt  wird  weitläufig  und  mit 
Heranziehung  der  erwähnten  Hippokratescitate  in  §  25  —  60  durch- 
geführt. Der  zweite  Abschnitt  §  61  —  71  umfaßt  programmäßig  die 
Symptomatologie,  an  die  ein  klimatologischer  Anhang  §  72— 75  an- 
gefügt wird.  Den  Schluß  bildet  die  Therapie  xiva  xqojiov  djiokoi- 
(peoixo  §  76  —  80.  Schon  dieser  Überblick  der  Disposition  zeigt, 
daß  wir  hier  eine  vollständige  Abhandlung  jisqI  /iavh]g  zu  finden 
erwarten  dürfen,  von  der  im  bisherigen  Hippokratestexte  nur  wenige 
Paragraphen  in  z.  T.  abweichender  Form  bekannt  waren. 


legenheit  half.  Er  übersetzt  nämlich  diese  Worte  so:  Tuum  aiiiem  de 
insania  scriptum  ad  fe  remisi.  Das  heißt  die  Grammatik  töten,  um  den 
elenden  Schriftsteller  zu  retten.  Ermerins  Hippocr.  Ill  603  sagt  über 
diesen  mit  Recht:  videtnr  auiem  omnino  ita  fuisse  ine^Jtiis,  ut  lihdhim 
ciiationibus  ex  Hippocrateis  refertum  et  in  quo  ipse  scri2^tor  ex  suia  scriptis 
ipsius  locos  depromere  se  profileretiir,  Democrito  tribuere  tarnen  voluerit. 

1)  Sie  läCst  auch  den  in  den  Vulgathandschriften  am  Anfang  von 
Br.  19  interpolirten  Zusatz  top  jieqi  fiavitjg  Xöyov  avrwi  yQa<pevTa  Iv  xcöi 
TTEoi  lenrjg  rovaov  aus. 


HIPPOKRATISCHE  FORSCHUNGEN  V  61 

Doch  ehe  die  Echtheit  dieses  Fundes  geprüft  wird,  ist  es  Zeit, 
den  Text  vorzulegen,  der  ohne  Überschrift  im  Urbin.  68  f.  427'' 
(neue  Zählung  429'')  beginnt  und  lückenlos  (abgesehen  vielleicht 
von  einer  kleinen  Auslassung)  bis  Ende  f.  428^  durchgeht.  Damit 
schließt  zugleich  die  Handschrift.  Die  kritischen  Noten  geben  bei 
den  wenigen  von  mir  geänderten  Stellen  die  handschriftliche  Lesart 
mit  Ausnahme  der  Quisquilien^).  Die  Stilvorlagen  des  Verfassers 
wie  die  inhaltlich  benutzten  direkten  Quellen  und  die  Parallelen, 
soweit  sie  m.ir  aufgefallen  sind,  merkt  der  obere  Notenabschnitt 
an.  Zur  Vergleichung  schicke  ich  den  kurzen  Text  der  Vulgata 
(S.  23,  1  —  21  Putzger)  mit  allen  Abweichungen  der  Handschriften 
(bMUV  nach  eigener  Collation.  die  übrigen  nach  Littre)  voraus. 


I. 

19.  Brief.     Kürzere  Fassung  der  Vulgata 
(Hss.  bCDFGHIJKMVU). 

ArjfioxQiTog  'InnoxQdrei  TLeqI  juavit]g. 
***  juaivojuevcüi  de,  wg  Ecprjv  iv  xmi  UeqI  lEQfjg  vovoov,  vno  1 
vyQOxrjxog  xov  tyxsqmXov,  iv  oji  eoxiv  xd  Tfjg  ipv^fjg  sgya.    öxav 

Briefnummer  K  bU:  fehlt  MVU,  die  ihn  als  Beigabe  des  18.  Briefes 
betrachten  (übr.  Hss.  unbek.)  1  Überschrift  b :  o  .-regl  fiavitjg  /.6yog  CD  I  KM : 
fehlt  FGHJ  2  Vor  fiatrofisvon  interpoliren  (als  Variante  zu  dem  Schlüsse 
des  vorhergehenden  Briefes  18  ansoxnlxa  de  ooi  rov  ttf.qI  fiavhjg  köyov): 
xov  nFQi  fiavirjg  Xöyov  avzcii  ygacpsvia  iv  rcöi  jisqc  IsQfjg  vovoov  CDFGIJKMV 
(nicht  b)       fiaivoiXEvmi  Hss.  (s.  oben  S.  58)       /naivofiEvoji  .  .  .  vovoov  fehlt  V 

sq^rjv  fehlt  D;  dafür  fügt  er  nach  vovoov  zu  s'rvxov  siQtjxojg  vjto 
T^C  Tov  syxsq-,  vyoözrjxog  iv  d)  rä  zijg  yv^fj?  diarfkei   FQya  D 


1)  Iota  mutum  fehlt  in  der  Handschrift  fast  ausnahmslos.  Accent- 
fehler  sind  stillschweigend  verbessert,  ebenso  die  üblichen  byzantinischen 
Schreiberversehen,  wie  acpäXeo&ai,  ixsXXov,  aitocpsvEodm,  6/iioXoyi]fiF.va,  dno- 
Xotpiono,  Xcoßoi,  oi.iiyi.iaxi,  or)^iEua.  Dagegen  habe  ich  das  durchgehende 
yiyvexai  nicht  ionisirt  und  Xvxxip'  (statt  Xvooav)  §  7  nur  im  Consonantis- 
mus  entsprechend  der  anderweitigen  Orthogra])hie  mit  oa  regulirt.  Wie 
die  später  zu  erwähnende  Verwendung  solöker  Formen  zeigt,  war  der 
Verfasser  kein  grammatisch  geschulter  Schriftsteller.  Pseudoionismen 
wie  Xvoorjv,  fiirjv,  avxerjg,  airsoig  und  die  distrahirten  Formen  naXesi  u.  dgl. 
sind  bei  den  ionisch  schreibenden  Autoren  der  Kaiserzeit  nicht  zu  be- 
anstanden, ebensowenig  die  stellenweise  Vertretung  von  i  longa  durch  ei, 
wie  sie  damals  üblich  war. 


62  H.  DIELS 

vyQoreQog  T>)g  (pvoiog  fji,  ävdyxr]  xiveio&ai.  xivov/nevov  ök  fxrjrs 
T}]v  öynv  ärgejui^siv  ju/jie  Tijv  äxoi]v,  äXXa  äXXore  d'AA'  ogriv  xe 
xal  äxoveiv,  ttjv  xe  yXöjooav  xoiavxa  ötaXeyso&ai,  61a  äv  ßXEnrji 
TS  xal  äxov7]i  ixdoxoxe.  ooov  dt  äv  äxQEjuiat]i  6  eyxECpaXog,  xo- 
aovxov  xal  cpQovEi  iqovov  6  äv&gcoTiog.    yivExai    de.    fj  öiarp^ogä  5 

2  rov  eyxEfpdXov  vno  (pXey ^axog  xal  xoXriq.  yvcooei  dk  ixdxEga 
(höe  •  ol  ixev  yäq  vnb  cpXEyfiaxog  juaivöjuEvoi  yovxoi  xe  eIolv  xal 
ov  ßo')]xal  ovde  'dogvßcodeeg,  ol  ök  vno  xoXfjg  ngrjxxai  xal  xa- 
xovgyoi  xal  ovx  fjgE^ualoi.  i]v  jukv  ivve^tög  juatvMvxai,  avxai  ai 
Tigocpdoieg  eloiv,  7]v  ök  de.if.iaxa  xal  cpoßoi,  vno  juExaoxdoiog  yi-  lo 
rexai  xov  eyxecpdXov  &egjuaivojuevov  vno  xoXfjg  ög^uworig  in  avxov 
xaxd  xäg  cpXeßag  xäg  aljuaxixidag '  oxav  de  dneX&rji  f}  %oAj)  ndXiv 

3  eg  xäg  cpXJßag  xal  x6  ocojua,  nenavxai.  dviijxai  de  xal  dofjxai  xal 
eni?j]&Exai  nagd  xaigbv  ipvyojuevov  xov  eyxe(pdXov  vno  cpXeyfia- 
xog  xal  ^vvioxajiih'ov  nagd  xö  e&og.  oxav  de  e^amv7jg  6  eyxecpa-  i^ 
Xog  diadegiuaivi]xai  vno  ;^o/l>7s  xaxd  xdg  (pXeßag  xdg  ngoeigrj [xe- 
rag  inil^eoavxog  ai'juaxog,  evvnvia  ogevoi  (poßegd  xal  Sg  iygtjyo- 
göxi  xö  ngooconov  cpX.oyiäi,  xal  ol  öqj&aXjiiol  egevßovxai,  xal  fj 
yv(ü/Lit]  enivoel  xi  xaxbv  egydCeo&ai.  xovxo  xal  iv  xcoi  vnvoii  \ 
ndox^t-  oxav  de  x6  aijua  oxedao&fji  ndXiv  eg  xdg  (pXeßag,  nenav-  2» 

4  xai.  £v  de  ixbi  nefxnxoji  xcov  'Enid)]iuicov  loxög}]oag,  coi  eyivexo 
dcpwvirj,  äyvoia,  nagaX.ijg'ijoig,  ovxval  ^nl  vnooxgocpai,  fj  de 
yXwoaa    oxXjjg^j,   xal   ei  juij  diaxX.voaixo,   XaXelv  ovx  ^^^^  "^^  V'^> 

1  vyQoxsQag  U  cpioEüng  U  draxivEia&ai  H  Von  xcvsTo&at  an  feh- 
len FGIJK  2  erstes  t>)v  fehlt  U  äigsfuCsiv  bMV  :  ijQSßsTv  D  äUoze]  äk- 
Xou  U  ä?Ja  ogi-jv  Putzger:  äUotrjv  bCHM'U'V:  aV.oleiv  U':  aUolaM."^: 
äXlola  nach  ay.ovFivJ):  aU.oTa  oQfjv  Littre:  s  S.  67,  19  3  xavza  8iaXsyso&ar. 
KxdoTOTED  ßUjzei  —  dxovsi  JJ  4  s;<aor6jre  U  diQSfxtjarj  GY^  5  öiacpoQCi  D 
t)  yvcooEi  hM':    yvüorji  M'   corr. :    yvcoot]  CHUV  7  elai  viügo  8  d'O- 

ovßa)8si5  VY  TTQfjfczai  hCHMÜV  :  nb^tizaiD  d  ovx  ^ge/naToi  Y  avv- 
EX&g  bHÜ         10  JiQocfdoEig  U         fiEzaazäoEcog  U         yiyvEzai  h  1'2  xazd 

rdg  bHV:    zag   fehlt   CMU        ^  (^or  ;^o;./;)    fehlt  U         13  Eig  bü        tze- 

navvzat  b  drirjzai  8e  y.al  datjzai  b:  driijzai  8.x.  dofjzat  CHMV :  dviäzat 
8.  y..  äar}zai  U  14  nach  lyxEqpdXov  wiedeiholt  ■&£gfian'o/nEvov  v.  xok.  6g/x. 
(11)  V  15  ovviaza/nEvor)  büH         16  JzgoEtgtjfiEvag  bH:  EigrijiiEvag  CMÜV 

17  rov  ai'/.iazog  H  (?)  ogiovoiv  h:  ogcoai  U  sygrjyogözog  D  (?)  18  igEV- 
§ovTai   b:   igv&gaivovzai   CHMUV^D?)  19    vjivcoi  b:    Ivvjiviwi    CMÜV 

(D?)  20    slg    blJ  21    TÖJr]    rov    C  taiögrjoag    (bi    b:    lozogrjoag   (bg 

CDHMÜV:  ioz6gr/aa  verm.  Littre  (s.  oben  S.  59)  iyiyvEzo  h  22  :i:a- 

ualrjot-joig,   avyval  CMV:    jzagahjoi^oEig    ovxval  bU(DH?)  23  axXt]gä  U 

Tjv]  i]   V 


HIPPOKRATISCHE  FORSCHUNGEN  V  63 

xal  oqdöÖQa  nixQrj '  xä  noXXä  (pXeßoTOjuir]  eXvoev,  vögonooirj,  /J,eXi- 
xQTjTOV,  eXleßoQOJV  nooieg.  omoq  öXiyov  ejii^rjoag  ygovov  eteIev- 
TYjOEV.  äXkog  yv  ov,  oxe  Ecg  ttotov  ögficon],  (pößog  rfjg  avXrjTQidog 
eXdjußavev,  ei  dxovoEiEV  avXovot]g.  i'jfiEQrjg  dk  äxovcov  ovdkv 
s  EJiaox^- 

1   TiiXQO.  U  vögoTToaia  U  f^isXixQarov  U:  (.ieXixquov  M  2  «r£- 

Xevt}]oe  V:  iTevT?]oev  M,  verb.  M^         8  öv  oze  bCV:  6?  Sie  (so)  U         ;rov- 
rov  H         oQfKov  U:  oQ/uä.i}  CV         (pößov  U         4  i'jfisQag  U         5  Enao^sv  UV 


IL 

Längere  Fassung  des  Urbinas  68. 

MEydXcog  fxoi  ÖoHeovol  ocpdXXEodai  xaxd  Trjv  XE^vip  oi  tiqÖ-  1  f.  427«" 
Tgßov    Ji£ßt   yotiacüv   ^vyygdxpavxEg,    xaixot   jidvxa   OQ&cög   ^vyys- 
yQacpEvai  doxEOvxEg,  noXXä    x(bv  dvayxaiwv  jiagaoiyEOvxEg.       fjv  2 
UEv    ydg    äyvcooxa    eÖoxeev    iovxa    xal    jurj    övvaxbv   dv%')Qcomvr]i 

10  yvcüjLi7]i  7iEQiXi](pdrjvai,  xaXcbg   dv   tieqI  xojv  eyvcoofiEvcov  ogßcög 
k'xovxa    ixavcog    ixjiovtjoavxEg ,    jieqI    avxsojv    ovo'    EnEy^EiQrjoav 
d}]Xa)oai'        f]v    dk    (hfxoXoy'i]fj.Eva    xal    avxoZoi    xdioiv    tdidm]ioiv  3 
eyrcoo/ÄEva,  ovx  ögäcog  dv  e^eiv  öoxeoi  jiiij  jxeqI  cjlvxecov  ^uyygd- 
■xpai.       ijv  öe  xal  yvcojiirji   OQd^rji  evioi   tieqI   avxEOiv  ^vvEyQaxpav,  4 

15  dXX'  ovÖEig  EyvM  OQ&cög,  xaßoxi  dv  avxoTg  ^vyygajixEov.       6x6-  5 
oa  jUEV   ovv   ovx  ög&djg  vJio  xcov  tiqoxeqov  Ei'gtjxai,  ov)r  ol6v  xe 
jui]    äXXojg   ejus  ^vyygdxpavxa  ögT&cög  ^vyygdy)ai.       6x6oa  dk  jurj  6 
£7i£XEig}]0£    jLi}]d£lg    xcöv    7ig6xEgov    örjXMoai,    iycb    EmÖEi^m    xal 
xavxa  6xoid  eoxi.       xal  ngcbxov  öt]  dno  xrjg  xoivoxdr^jg  äg^ojiiai  7 

Quellen  und  Parallelen. 
6  Vgl.  Hipp.  Epid.  HI  16  (HI  102,  1  L.)  fieya  ocpdllsa&ai  iv  rfji  rsxyt]i 
10  Hipp,  de  victu  I  1  (4G6,  1)  eI  fisv  fwi  zig  twv  jtqoteqov  avyygayjdvrcov 
jTEQi  d(aiT7]g  dv&QC0Jtiv7]g  Tfjg  Jigog  vyistav  OQßcög  lyvMxcog  ovvyEygaqpEvai 
Jidvra  6id  navzog,  ö'oa  dvvarov  dv&gco^zivrji  yvcofitji  7i£gi?,T](pßfjvai,  Ixavöjg  eI^ev 
av  f.wi  dllcov  exjTorrjodvTCOV  yvövra  to.  og&cög  E/_ovra  [&:  yi'Mvat  ogßcög  E/ovza 
vulg.]  Tovioioi  xQ^soßai.  17  Hipp,  de  victu  I  1  (VI  468,  2)  Eym  ovv  .  .  . 
zoTai  fiEv  ogdcög  Eigijfiivoioi  7igoaoi^ioXoyi]oo3 ,  zu  8e  f^itj  og&cög  iyvcoo/nEva  [e/'o?;- 
liiiva  ß]  drjXwaoi  oxoid  [noTa  ■&]  rtrd  saziv  •  oxöaa  8s  fiTjdk  E7iEXElgy]aE  /HTjÖEig 
twv  ngözEgov  dtjXiooai,  syoi  Eizidsi^co  xal  xavza  oxold  \ola  #]  iaziv.  q?r]fd  öe  xzX. 

6  Titel  fehlt  MsydX^wg]  sydXxog,  Initiale  nicht  wie  üblich  rot  aus- 
gefüllt 8  Vgl.  Hipp,  de  victu  I  1  (s.  Quellen)  10  Vielleicht  jrsgl  züv 
tyvwaav  \xev   og-dwg  ejorza         19  öe 


64  H.  DIELS 

8  fiavitjg,  r]v  di]  kvootiv  xaXeofxev.  avzt]  yag  f)  vovoog  Tiäoiv 
igyedgsvei  roToiv  äv^Qconoioi  xal  Tiavrl  k'&vei  ^uncov  xal  7)Xixir]ioi 

9  {jidorjioi).       (pi^jM  de  Tiegl  amajg  öxcog  iyyiverac  xoToi  äv^gcoTioiot 

10  xal   xiva    xqÖjiov    änolccKpioixo.       fjv  juij    yäg  xrjv  e^  ^QXV^  ^^~ 
axaoiv  eJiiyvcooijxai  xrjg  vovoov  öxoirj  xig  eoxi  xal  dt    ol'ag  alxiag  5 
yiyvExai     xal    xälXa    äxQißscog    {Xeyco     de    xöv    fxeXXovxa    ÖQ^cög 
anocpaiveo'&ai   Jiegl   avxh]g),    ovi    616g    t'    av   ei'r]    xd  ^v/i(psQOVxa 
x(üt  dXovxi  TiQOOEveyxsiv. 

11  1]  jUEV  ovv  vovoog  yaXEmj.   lyco  öe  Öoxeco  xal  xavxtjv  xoLvrjv 
fikr   slvai   xal   Jiäoi   roToi    ^diioig   jUExadido/j.£V7]v,    ovy^   r\xioxa  dk  lo 
h'   Aiyvmioioi  xe    xal  'IvdoToi    xal    xoToiv    äXXoioi    xcöv   Tivgcodt] 
xal   ^7]Qoxdx7]v   y/OQ7]v    oixEorxcov  ijiidijjUEOvoav  cooxe  xal  '&£ir]v 

12  vofii^EO'dai.  öxoxav  yag  änxYjxai  ndvxoiv  t)  vovoog  e^'^g  äxeg 
(pavegrjg   Jigocpdoiog,   Ticog   ovx   av    £7ztd7]juiog   ?j    'äEU]   vojui^oixo; 

13  '&£h]  jUEV  ovv  ovx  av  eXyj,  öxoxav  ol  xaßagjuoi  o(pEag  otx  (hcpe-  is 

14  Xeovoiv,  dXXd  xd  sÖEO/uaxa  xd  Icojuevd  xe  xal  xd  ßXdnxovxa.  ovx 
äga  6  ■&£6g  eoxiv  aaiog  ovöevog  xcov  xoiovxemv  ovÖe  TiEOiodoiotv 
oJöev  E^ofjLOiovo&ai  xb  dEiov. 

15  dxdg  [dX?J]  ovök  diaix7'jfiax(x)örjg,  öxov  ye  cpaivovxai  ndvxag 
xgÖTiovg    ol   ävß^gcojioi    diaixsij/XEvot,    etzeix'    dXioxovxai    vnb   rfjg  20 

16  avxEYjg  vovoov.  xoivi]  juev  ovv  öid  xovxo  eoxiv,  öxi  xal  ev  Aißviji 
xal  EV  'loovirji  xal  ev  viqooig  xal  ev  fjjiEigcoi  öijyjuaoi  fiExaöidoxai 

17  1^  xoiavx7]  vovoog.  ETiiÖTjfuog  Öe  did  xovxo  {äv)  XoyiCoixo,  6x1 
xal  EV  'Tvdi7]i  xal  ev  Atyvjixmi  axEg  (favEgijg  ngoqpdoiog  ExpEÖgEVEi. 

18. 19  dXXd  TiEgl  juev  xovxmv  öXiyov  voxeoov   dnotpavExv  xdXXtov.       vvv  25 

3  (und  S.  65,  11)  Vgl.  Epist.  17  (15,  9  Putzger)  ä)J.ä  zl  .tegl  fxavirjc 
ygäqiEig;  xl  ydg,  eimev,  älko  nXrjv  rj  rig  [so  R:  vulgo  ei]  zs  eXtj  xal  oxwg 
dv&Qojjtoig  iyyivEzai  xal  ziva  zqötiov  ujiokcoqjsoizo  7  Hipp,  de  victu  I  2 
(VI  468,  10)  eI'te  fXT]  yvdiOEzat  zd  ijiixgazeov  iv  rwi  ocbfiazi,  ov-/i  iy.a%'6g  eazat 
xä  ^v/ii(pEQOvza  ZMC  dv&Qcöjicoi  jiQOOEVEyxEiv  13  (und  24)  Vgl.  Hipp. 
Progn.  18  (II  160,  6  L.)  äxEQ  cpavEQfjg  nQO(päoiog  l.öff.  Vgl.  de  morbo 
sacr.  1  (VI  358,  3  L.)  ovx  saziv  äga  6  ^sog  al'xiog  ovderog  ovdk  01  xaßagfio! 
oxpEXiovoiv ,  dXXä  zd  idEo/uaza  zd  IcjfiEvd  iazi  xal  ßXojizovza,  xov  dk  ^siov 
[dEOv  i9]  d<jpaviCEzai  t)  dvvafiig.  ovzo)g  ovv  sfioi  yE  Soxiovoiv  oixivEg  reo«  xq6- 
jicoi  zovzo)i  lyxEiQEOvoiv  läo&ai  zavza  zd  voai^fxaxa  ovxe  Igd  vo^iILeiv  sivai 
ovzE  ■&£Ta  25  Vgl.  de  morb.  IV  33  (VII  544,  12  L.)  «AAa  jtEQi  zovxov  6X1- 
yov  voxEQOv  dnocfavEco  xä?Juor 

1  XvzzTjv  hier  3  jidotjioi  fehlt  11  rwv  steht  nach  x^QV  12  ^j/go- 
zdxri  x^QV  17  etwa  jieqioSevovoiv  (  Wanderürzten,  Kurpfuschern)  ?  19  dxdo 
aAA']  vgl.  zu  S.  68,  3         20  etieix^  dUaxovxai  (so!) 


HIPPOK RATISCHE  FORSCHUNGEN  V  65 

de.  ed^eXüi  äjioq^fp'ai  jiqojtoi'  tieqI  aixi)^g  tov  Tid&eog  avieov.        vo-  20 
fxiCco  de   Tfjv  ahh]v  rov  vovoijjuarog  /urjdev  äXXo  öoxeeiv  r)  djio- 
yovöv  TS  xal  exyovov  tov  icf&agjuevov    vno  ^rjgaoirjg  Jivevjuarog 
f.ovoav.        did  tovt    ovv  xal  ovyl  ToXg  C<^coig  toIoiv  unaoiv,  äXX'  21 

5  e&vEL    Tivl    avTOjxaTOL    al    ToiavTai    yiyvovTai    vovooi.       Xecov    de  22 
Tama  {e'xei)  xal   Xvxog  xal  xvoiv  vaivd  te  xal   Ißig   xal  ßaaiXi- 
oxog  xal  öoa  er  äXXoioiv  äxg7]Tov  l'ox^i  £^    ecovxoioiv   ^rjQOTijTa ' 
e^  avTÖJv  de   toToiv   uXXoim   'Qdöioioiv  l'xeXov  Xoificoi  TOig  d/jyjuaoi  23 
/ueTadidoxai. 

10  'A?.X'  ävaß)']oojiiai  o&ev  äneXinov.  Xeyeo   de  rrjv  loxoQhjv  tüv-  24 

Trj7'  exdujyevjuevog,  Xvooa  i'i  eon  xal  öxoioioi  diayiyvcooxexai  xal 
Tiva  TQOJiov  anoXcocpeoiTo  '       ene'i  toi  ye  fioi  doxeei  avayxaiov  elvai  \  25  f. 427  ▼ 
jiavTl  IrjTQän  negl  exdoxov  töjv  vovoi]judTa)7'    eldevai  exaoxov,    ti 
eoTi    xal    dl     oi'ag   ahlag   yiyveTat,   xal  ndvv    ye  ojiovdd^eiv,   (hg 

15  eloeTai'       r/v   ydg   xig   eideir}    xrjv  ahirjv  tov  vovorjfiaTog,  woneg  26 
yUOt  necpgaoTai  xal  eTegco^i,  olog  t'  äv  euj  rd  ^vfxcpegovTa  jigoo- 
dyeiv   TWi    ocojuaTi   ex   tö)v    evavTiwv    (oxd/uevog    tmi    vovorj/xaTi. 
amixa  toivvv  Xvooa  eoxl  ?iOijiia)di]g  (pßogd  rov  eyxecpdXov,  yiyve-  27 
xai    de   xal   vjio    aijuaTog   xal  x^^^'^-       yvojo}]i  de  exdrega  wde-  28 

20  öxorav  jLiev  6  ä)]g  jiXt]o&rii   jitidojuaoiv ,    ä  rcoi    eyxeq)dXa)t   jioXe- 
jiiid    eioi,    tÖ   vovo7]iiia    xeivoi    vooeovoiv.        öxorav    de    vjiö   rov  2ii 
Xvooeovxog  6  fxrj  Xvooewv  d7]x&'>~]i,  dno  rcov  uo&eveoregwv  fj  vov- 
aog    enl    rd   toy^vgörega   f]xei   xard  diddooiv,  xf]v  juev  ev  vdgcoTii 
rb  diiyjua,    vdgcoif,  i]v  d'    er  cpXeßicoi,    aljua,   ijv    d'    ev   dgrrjgirji, 

SS  7ivev/ua  rö  juiav^ev,    xal  JivevuaTt  xal  aijuan  xal  vdgojjit  diadi- 
dcooiv.        exei    de   xal  rode  ovrcog '    coojieg  fj  xoüurj  xevei]  yevo-  30 

1  Vgl.  de  inorb.  IV  S^-J  (VI!  542,  18  L.)  edikoy  8e  djio(prjt'ai  jiqöjzov. 
s.  41    {^QJ,  6)  19  de  morbo  sacro  (VI  388,  13)    yvworji    ök   sxdrsga  d)8s 

(vgl.  §  39.  53)  23  ä.  Vgl  de  morbo  IV  33  (VII  542,  18  L.)  i{)üco  ök 
dnocpfjvai  tzqcötov,  jicog  t]  x'^^'-V  ^'^'-  ^"^  olfxa  xal  vöqcoxjj  xal  z6  (p?Jyfia  n)Jovu 
xai  iläooova  ylyvezai  dno  zcöv  ßgcofiäzcov  xal  zcöv  Ttofiätcov  zqöjtcoi  zoicbiöe ' 
rj  xoüürj  rcbi  ocofiazi  Jidvzcov  Jit]yr}  iozi  jtXerj  eovaa  '  xsver]  8k  yerofisrt]  ijiav- 
Qioxszai  dno  tov  aco/iiazog  z7]xofisvov  '  slai  ds  xal  ä)J.ai  nrjyai  zsooaQsg  xz).. 
26  Vgl.  de  morb.  IV  35  (548,  23).  40  (560.  7)  sx^i  8s  xal  z68s  ovtoyg  18 ff', 
vgl.  iV  33  (zu  Z.  23) 

7  ev  äXloiai]  fehlt  etwa  yivEatv?  zcöv  d)l(x>v  verm.  Regenbogen 
11  "kvzza  W  onov8dt,£L  18  Nebf-n  der  mit  «ort  beginnenden  Zeile  steht: 
{e)v  akXoi  cp7]aiv  Xoif.ifX)8r]g  (pdoga  zcöv  ivegyeiöjv  zov  iyx£q?d?.ov  (nicht  Hippo- 
krates,  wohl  Variante  einer  andern  Hs.  dieses  Briefes)  21  etwa  xsivo? 
xoivov  (vgl.  §§  11.  16)  verm.  Regenbogen  24  v8qu)ii)  (i.  e.  vygöv)  sc.  yivs- 
zai  z6  fdav&ev 

Hermes  LIII.  5 


66  H.  DIELS 

/<£)'?;  eTiavgioy.exai  änb  rov  OM/xarog  njxoftEvov,  ovroj  y.al  6 
EyxEcpaXog  xai    nl  uXlai  7i}]yal  äjio  rov  od)fiarog  ejiavQcoxovxai. 

31  l'Xy.ei  ds  y.al  ro  ocöjua,  £7ii]v  6  £yye.q)al6g   n  e^V'  ^^  eoovtcöi  yai 

32  rcov  äXloav  exaoxov.  £7ii]v  ovv  y  xaxi)]  /coß)^o>;t  eg  rö  ocöjua^ 
k'Xxei   ami^v  6  eyxecpaXog  öid  rcöv  cpXeßcov,  xal    imjv  Xdßoi,   oi-  s 

33  voiaro  äv.  xi]v  juev  ttoXM]  er]i,  iodooEiev  ig  rov  eyxe(pa?MV 
avrixa,  Tjv  de  öXiyov,  ovx  äv  amixa  iodooeiev,  iqovcüi  de  dia- 
(p&ecQoixo  xal  e^co  öioioei. 

34  ev  rovrcoi   juev   ovv  icöi  Xoycoi   änojiecpavrai,    oncog  6  eyxe- 

35  q)a?Mg  eXxei  anb  rov  ocojuaTog.       7'uv  de  egeco  negl  rov  ndß^eog^  lo 
ojicog  eoeiei  eg  rov  eyxecpaXMV  xal  non)ooi.iai  lorogiov  negl  avreov 

36  rööe.       djoneg  et  rig  ev  egUoi  eregov  vygov  egiov  eni^oTxo,  jzgöj- 
xov  jiiev  x6   6jiuX)]oav  vygip'eie  xö)i  vygcöi   xal  e^  avreov  ro  juer' 
ixelvo,  [teigig  dv  ev  oXcoi  xö  vygbv  dcpixeoixo,  ovxoj  xal  rbv  tbv 
Sei  axoneeod^ai  xcoi  6i]yßevxi  roTg  ödovoi  xoXXeeod^ai  xal  jueraßdX-  '•& 
?,eiv  avxb  jrgbg  ea>vxb  xal  avxeoji  xd  yeixvidCovxa  xal  di'  avxemv 

37  eg  xbv  eyxeq)aXov  dcpixveeodai.       Jtonjoojiiai  de  xal   eregov  loxö- 

38  giov  ev  jivgl  rode'  dyg,  äv  rig  egiov  äXeg  Xdßoi  xal  ev  avrecoi 
äv&gaxog  ofxixgorarov  ßdXoi,  ovx  dv  exxaioiro  ro  egiov  vjzb  rov 

3  Vgl.  de  morbo  IV  36  (550,  23)  elxsc  fiky  yÜQ  zd  ocö/Lia  eg  ecovxo  xxl. 
<j  de  morb.  IV  35  (^'II  550,  ^)  xrjy  /.isv  Jiollov  etji  z6  (p?Jy/Lia,  iodoosier 
[soäosiev  ohne  äv  Urb.  68  f.  116""]  äv  ig  \ig  tilgte  v.  d.  Linden]  rö  acofiu 
avztxa,  i]v  8s  oXiyov  ovy.  äv  saäaoeiEv  [sadasisv  Urb.]  .  .  .  xQÖvoji  8s,  tjv  fisr 
ezsoov  Eniysvrjxai  cpXsyfiu,  atvoiazo  äv.  i]v  8s  owfia  ziji  xvozei  xal  zfji  xoMtji 
Siaq;£QTji  xai  ravza    s^co  Sioiorji  [8ioiaoi  EH  Urb.  68]  9  de  morb.  a.  0. 

550,  13  SV  zovzcoL  [XEv  ovv  zwi  löycoi  äjiojisqpavzai  10  Vgl.  de  morb.  IV  47 
'574,  13)  vvv  8e  iosco 

5  ?.äßoi]  Vgl.  zu  S.  69,  1  oivoiaio]  So  nach  de  morb.  IV  35  (550. 

12)  die  handschriftl.  Überlieferung  statt  olvoizo.  Siehe  über  diesen  alten 
Solöcismus  Kühner -Blaß  I  2,  §  214,  8Anm.  Schneider  zu  Callim.  fr.  521. 
Vgl.  de  nat.  mul.  39  (VII  382,  1)  zä  ijiifi^ria  äTzoxsxQvqpazai.;  de  semin.  3 
(VII  474,  11).  4  (476,  16).   10  (484,  20)  ravza  /liev  sigsazai  7  iadaasisi']  statt 

EoaioEisv  (s.  Parallele).  Crönert,  Rhein.  Mus.  LXV  462.  Vgl.  de  morb. 
mul.  I  25  (VIII  68,  8)  snatovoi  {spüren)  yäg  ai  f^irjzQui  zov  gsv/^iazog  8  Wohl 
Sioiooi  (vgl.  Parall.)  11  eoeiei.  Über  die  themati'fche  Flexion  von  sl[.u  vgl. 
Baunaek,  Curt.  Stud.  X  96 ff.;  Rhein.  Mus.  XXXVII  472.  Vgl.  de  morb.  46 
(572,  17)  ^lEdUi ,  ebenso  dess.  Verf.  de  semine  4  (474,  16)  fie&ht  ...  äcpUi 
neben  fisüh]aiv  .  .  .  äcph^aiv  c.  12  (486,  16.  20)  14  sg  olov'i  ä<pixEoiz6\ 
s.  zu  S.  69,  1  18  ä).ig:  vgl.  de  morb.  IV  55  (600).  57  (612,  4)  Xäßoi 

vgl.  Z.  5 


HIPPOKRATISCHE  FORSCHUNGEN  V  67 

ofiiy.QordTOv,  aVA  dX'iyov  tov  eglov  lg  iwvTO  ftFTaßdXoi,  xai  t^ 
avTsov  xaTCL  öiddooiv  to  näv  nvQovjcu  eqiov  xal  iy.xaifTai,  xai  rö 
oööfxa  ävdyy.i]  xQaTr]ih~]vai  vno  rov  jrdOeog  xal  fiFxaßdXkeodai  ig 
röv    Ibv    efiJiayh'xa  rcTji  öijyjLiaTi,    xal    lo  iyyig  i^  avieov  xal  6 

5  eyxeq)a?.og  tots  oivot'aro.        yva)o)]i  de  xal  loöe  cböe'  uxorav  /uh'  ^3!» 
vno  ai'juarog,    rjv  re  vjio  örjjuooiov    xaxiijg   ijv   tf    ctto  örjyfiarog 
(pXavQov  xaraoTaviog,  f]  Ivooa  ^vveorijxei,  E^amvi]g  6  t/xeqoaXog, 
ev  öji   eon   rd  xTjg  yvxrjg  egya,  öiaßeg/uaiverai   vtio    xo}Sjg   xaxd 
xäg  cpXeßag  avxeox'   xäg  aljuaxixiöag  ijiiCeoavxog  xov  aijuaxog   xal 

\o  q'douaxa    ögäi   cpaßegd-       xal    xö    örj^av    l^ioiov    xi]v    (pavxaoiijv  iO 
emoxoxijoav  rpkavgoioi    jivsvf.iaot   jrgög  tojvxo  deiyßaxt^ef       xal  41 
xdgxa  7iaQd?J]Qog,  xal  xö  jrgoowTiöv  oi  cpXoyim  xal  ol  (xpßaXjuol 
EQv&Qa'ivovxai  xal  i)   yvcö/n]  EJTivoei  xi  xaxov  egyaCeodai'       xal  42 
(pdofiaxa    ooecov   (j^oßhxai   xal    ddxvEoßat    öoxeei   e^    avxEOv    xal 

n  GTiaxai    d/Mycog   xal   Enih']dExai    Ttagd    xaioöv  xal    JiaQarpQovEEi'  f.  42S' 
öxoxav   Öe  jivEvjiiaxi    xe    xal  &eQjuaoh]i  xal  yoXöiv  xaxEQyaoirji  6  43 
EyxEcpaXog   xaxa^)]QavdEü],    dvdyxt]    jlii)    eXivveiv,    äXld   xivEladai, 
xirovjiiEvov    Öe    uYjxe   xijj'    öyiv   äxQEjLuCeiv  p.)]XE  X7]v  äxo/jv,    dXV 
äXXoxe  äXda  XeyEiv   xe   xal  dxovEtv  xijv  xe  yXwooav  xoiavxa  dta- 

20  XsyEoßai,  öxdia  dv  cfavxaQ)]xai  ExdoxoxE,  xal  Trgrjxxip'  xal  xaxovQ- 

5  Vgl.  Parall.  zu  §  28.  53  8  Vgl.  de  morbo  sacr.  15  (VI  388, 
18  L.)  dsQfiaivEiai  8e  v.to  zi];  /o?.)];,  oHÖzav  6ofxi]o>]i  sm  rov  Eyy.E(palov  xaza 
rag  <pXeßag  rag  aiuarinSag.  Ebda.  S.  890  egy^erai  8k  Haia  rag  (p?.sßag  jioXh 
rag  elotj/^isvag,  oxörav  rvyydvi]i  lörd Qcojiog  oqecov  evvjtviov  (foßEQÖv  12  V'gl. 

das.  15  (VI  390)  röxE  ^lähora  ru  TroöooiJiov  (pkoyiäi,  y.al  oi  6(fßa).iioi  eqev- 
dovrai,  oy.özav  (foßyjrai  xal  ?)  yvm/iHj  E::iiroEi]L  ri  xaxor  ioydoaoßai  15  Vgl. 

das.  15  (888,  23)  i'.t'  avrov  de  rov  näßsog  xai  EJidrj&Erai  17  Vgl.  das.  14 
(888,  6)  xal  /iialvöfiEßa  fih>  vno  vyQÖri]rog  '  bxörav  ydg  vyQoregog  rt]g  q)vaiog 
Etil  dvdyxi]  xiVEEO&ai,  xiVEVfiivov  de  fxi^TE  ri]v  oi^nv  argsjui^Eiv  ^irjXE  rip'  dxoiqv, 
aXV  äU.ors  ä?.?.a  ögäv  xal  dxoveiv  ri^v  re  yX&ooav  roiavra  biaXkyEodai,  oia  av 
ßXinrji  rE  xai  dxovrji  ixdarors '  ooov  6'  «V  urQ£/Liia)]i  6  syxEcpalog  ygövor, 
xooovxov  xai  (pQovhi  o  äv&ga>nog  20  Vgl.  das.  15  (38S,  12)  yivsrai  8k  rj 
Siaqpßooij  rov  syxetfdlov  vno  (plsyiiarog  xal  xolrjg  '  yvwa)]i  8k  exdregu  a)8e  ■ 
Ol  fikr  ydg  vno  <p?.Ey^iarog  /naivöjUEj'oi  fjav/oi  re  elai  xal  ov  ßoijral  ovSe  ßogv- 
ßwdeeg,  ol  8e  vno  xolfjg  XExgäxrai  xal  xaxovgyoi  xai  ovx  droE/iaiot,  dkV  dei 
ri  äxaigor  dgcövrEg 

4  EiinijyEvra ;  das  r]  ist  nicht  deutlicli.  Oder  ist  ifinXt^yEvra  zu  lesen  ? 
5  oivoiaro]  vgl.  zu  S.  66,  5  10  (parraoüp',  av  in  ^v  geändert  1.3  sg- 

yd^Ezar.  vgl.  Parall.  17  xaza^)]gav&Eij]]  vgl.  zu  S.  69,  1  19  ä?J.a  )JyEiv'] 
seheint  falsche  Verbesserung  des  in  Ep.  vulg.  §  1  (s.  oben  S.  62,  2)  cor- 
rupten  Textes  dV.ohjv  (d.  i.  äV.'  doiiv)  zu  sein. 

5* 


68  H.  DIELS 

44  yoi'  eovTa  doxeeiv  xal  ovx  rjQSfiaiov   xal  vdgocpoßeovra '         öxav 

45  ovTcog  ^yj]i,  avdyxr]  ävEXjtioxov  eivai.       yv  6'  vjio  vögconog  6  iy- 

46  xe(pakog  diacp'&aQrji,  fjov^o?  t£  ioTi  xal  ov  ßo7]rrjg'       ardg  ovde 
&OQvßa)di]q,  juavixög  de  aXXcog  xelg  eoJVTOv    ri]v   xaxit]v  /xegjur]- 

47  QiCcov  xal  äviäjai.   xal   äorjrai  '       ooov  ö'  äv   dTQEjuior]i  6  eyxe-  & 

48  cpaXog,  rooovzov  ygovov  xal  (pQoveT  6  ävd^Qdonog.       digejuiCsi  de, 

49  oxorav  rb  aljLia  öiaoxeöao&fjt  ndXiv  eg  rag  q)Xeßag.       cog  ev  'Eni- 
ötjjiuaig    loTogeeTai,    ojg    eyerero  ayvoia,    naQaXyjQTjoeig,   vtzootqo- 

50  (pal  ovxvai      xal  6  elg  tiÖtov  oqjucov  <p6ßog  xrjg  avXtjZQidog  eXdjx- 
ßavev,  et  dxovoeiev  avXovot]g.   xal  jui]  dxovcov,  eöoxee'    xal  he-  'o 

öl  Xevxfjoe.       xal  6  rov  xvva  ev  xvXixi  xal  xuxecövi  xal  vdari  cpav- 
xaCojuevog,   änoxog  öirj/xegevoag   xal   ipexddi  gavxio&elg  dned^ave. 

52  xal  6  xbv  xvva  jui]  xoivcoveeiv  xcTji  ßaXaveioit  cpQOvijoag  xal  eioeX- 
&d}v  dieoü)§r} ' 

53  yvc6o7]i    de   exdxega   d)de'       öxöxav  vjiö  d^eQuaoirig  6  eyxe-  i5 
cpaXog    ovx  dxgejuiCrji,    7iagaq)Q0veei,   xal   XtjgeT   xal  xaxovgyeT  6 

54  dv^QüiJXog.       öxoxav  d'  djiia  xal  vjio  ^rjQaoirjg   ojidxai   xal    (pa- 

5  Vgl.  Hipp,  de  morbo  sacr  15  (388,  21)   dviSzai  zs  xai  doärai  jTagä 
xaiQOv  ifv^of^irov  rov  eyxecpäXov  xai  ^vvLaxafA.Evov  Jingd  z6   k'&og  6  Das. 

388,  20  xal  q:>6ßog  Jiagiozrjxe,  fiF}(Qig  djre^.dtji  nähv  ig  rag  (fXeßag  xal  zo 
aöjfia,  ejTEiza  Jiejiavzat  8  Epid.V  80  (V  248  L.)  =  VII  85  (V  444)  !^v- 
dgoßaXsi  [so  V  c  u.  VII]  a.(p(üvir],  ayvoia  [fehlt  V],  JiagalrjQrjaig  [Xrjgrjoig  V 
Xvdivzwv  [jiav&Evzojv  VII]  bk  zovzcov  jzsQifjv  [jisgi9]t£i  Yll\  8zi  av^vä'  xal 
vnoozQoq?al  f.yivovzo.  rj  6s  yXiöaaa  diszsXei  nävza  zov  ygövov  ^tjQrj,  xal  f.I  /4,r) 
öiax?.voaizo  [öiaxlv^oizo  V]  Sialsyeadai  ovy  oTög  zs  rjv  xal  aq^ödga  nixgy]  fjv 
[jiiXQ?]  lirjv  fjv  V]  zä  jzoVm.  sazi  8'  ozs  xal  Jigog  xagdirjv  oSvvt],  tjv  (pXeßozo- 
(liri  ilvoev  [qp?.sßoTOfii'r)  klvos  VII]  zavza'  [zavzrji  V]  vdgo^iooirj  r)  [?/  om. 
VII]  fAE?uxgi]zov  [^vvip'EyxEv  fügt  V  zu]  '  iVJßogov  ejus  fiE?.ava  .  .  .  zsXog 
dk  /EijLiMi'og  xazaxhdslg  e^co  syEvszo  .  .  .  Exslsiza  9  Das   81  (V  250  [  = 

Vil  86]  VII  444)  tÖ  ÄhxäioQog  jiadog,  onozs  ig  jiozov  ojgfirjzo'  <p6ßog  tfjg 
avArjzgiöog '  oxöze  dgx^l^ivrjg  avXsTv  [(poiv^g  avXov  dgxofA.£vrjg  dxovoeiEv  avX^sTv 
V]  dxovosiEv  iv  züi  [züüi  om.  V]  ^v^ijioaiui,  vjio  SsifiäzMv  o^Xot  13  Vgl. 
etwa  Celsus  V  27,2  i231,  11  Marx)  scd  unicum  iamen  rcrmdiam  est  neqne 
opinantein  in  piscinam  non  ante  ei  prorisnm  proicere  15  de  morbo  sacr. 
15  (388,  13)  yvcöo}]i  8i  ixdzsga  wds.  Vgl.  zu  §  28 

3  dzäg]  darüber  aAA'  vgl.  §  15  5  äorjzai :  darjzac  Ep.  vulg.  (§  3  S.  62, 
13);  über  diese  Formen  bei  Hippokrates  vgl.  Smith,  Gr.  Dial.  lonic 
S. 526f.  7  (hg:  richtiger  Epist.  vulg.  ev  8e  zwi  jisf-uzzoii  zcov  'Ejii8.  8  Ag: 
richtiger  c5<  Epist.  vulg.  10  xal  firj  dxovwv,  eööxee  '  xai  izsXsvzTjas  verstellt? 
das  Ende  könnte  zu  §  49  Ende  passen,  vgl.  Epist.  vulg.  §  4  (S.  63,  2),  dann 
"Würde  fii]  dxovsiv  [so]  iSöxss  das  Hippokr.  i'^co  sysyszo  (Parall.  8  Ende)  para- 
phrasiren         11  xvXvxi         13  (pgoviqoag  {beachtet  huhend?):  wohl  verderbt 


HIPPOKRATISCHE  FORSCHUNGEN  V  69 

a/xarim  xal  vÖQO(foßhrai,  xijv  rig  avT(~n  vöwg  jigoadiputv,  anöX- 
h)Tai.       öxojav  de  6  eyy.e(paXog  uTQ£iiu^7]i,  xelvcoi  JÖn  xQovoii  xul  55 
jy  yvcbjur]   ^gejueV    xrjv   vöooQ  ngood^i^iq,    ovx   äjioxxevelg.       f-x^i  56 
de  xai  rode  ovrcog.  r]v  ßev  xb  Ö7]?j]T)'jqiov  i^amvt]g  dvudgdjU)]Tai 
5  ig    Tov   eyxeq)aXov,   cog    eyoj    ttqojeqov    dieoijjuijrov,    xat    oivhrai 
xovTOv  xai,  El  XL  eoxiv  ixf.ialeov  avxeov,  tmvt/iexai  xai  avor  xdgxa 
noiEEt    xai   vyQaoirjv    ovxexi   jTQootexai "    ov   ydo    e/ei,    wp     öxov 
eX^eie  xö  vygöv.       jisjiavxai  ydg  avxEov  6  i'/biEgog  xai  fzaviäi  xai  57 
egev&ei  xai  fj  yvojjur]  avxEOv  dstgExat,  xai  djioXXvoi  rbv  äv&gw- 

10  ^ov.       rjv  Öe  jui]  xovxo  ovxo)  yiyv7]xai,  xai  ngooiExai  vno  ovyye-  58 
VEiy]g  xai  dnaXXdooExai  grjidiwg  T]  ovx  dnolXvxai.       nagsipavcxai  59 
öe  juoc   di]X(voai  xöji  ovvexöji,  xai  ev  öxoirji  ojgrji  xai  xdigrjL  xai 
riXixitii   xai   diaixi-ji  xai  öxwg  EJiiörjjUEEi  f)  vovoog.       dt]?MO(jo  öe  60 
TiEgl  avxEOv  xdXXiov  voxegov. 

15  vvv  Öe  EdiXco  (pgdoai,  öxojg  r)  vovoog  xai  öxoioioi  o)]iuEioioi  61 

ycyvMoxoixo.       ^ij/lh  dt],  f]v  fj  qiwvy]  xgofxeovoa  doxErji  xai  ävi-  62 
xjuog    xai    onaöoEiöqg    i)    ßgay/wöijg,    xip'    oi    ö(p&aXjuol    xoTXoi 
ewoiv  ü)g  Egooxubvxoov,  x})v  rj   yXcoooa  ^rjgaivrjxai  xai  fuj  xaXwg 
diaoxgE(pr]rai,  xr/v  XEjudyja  vnb  xb  öixxvcööeg  q)aivovxai  hnb  x^Xrjg 

20  xai  al'juaxog  (pXoyicbvxog,  xfjv  al  vnb  xi]v  yXcoooav  cpXsßEg  öia- 
XEivaivxai  xai  nayvvcovxai  xai  oxigöoivxai,  dxdg  xi]v  t)  yXdjooa 
q)XvxxaivÖ7]xai,  xrjv  ol  Xoßol  xcov  wxcov  cboi  xgy^yEEg,  xrjV  vjib  xrjv 
XEiga  juvEg  oxXrjgol  Öoxecüoiv  iovxEg,  xr^v  xb  ngoowjiov  neXibv  rj 
juoXißdcöÖEg,    xrjV    xb   juexwjiov    xagcpaXEov,    xyv    f]  xEq^aXr]   avy- 

3  Vgl.  §  47  und  zu  S.  67,  17  Ende  10  Vgl  de  morbo  IV  34  Theorie 
des  ^vyyevEg  (544,  24)  oder  der  ^vyyive'a  (546,  14)  11  Vgl.  de  morbo  IV 
38  (556,  12)  naQEipavoiai  öd  fxoi  dt]?.cboat  tioi  aweroji  .  .  .  brjXojoio  8e  jieqI 
avzov  xälhoT'  vozsqov 

1  ngoompeiEv.  Nach  dem  Vorgang  des  Verf.  de  morb.  IV  43  (Vll 
564,  20)  }tr]v  ajiojiaTit)aeis  xai  ovQiqaEiEv;  51  (5'^8,  23)  xai  enrjv  ,  .  .  kdßrjzai 
xai  nXrjOEiE.  Derselbe,  de  morb.  niul.  I  32  (VI  11  76,  21)  xivövvevoei  xai 
i]v  firj  xig  [so  d]  ev  id^ei  ETnxrjÖEioxEQOi?  öiaiiMirj '  djioJiviyEirj  yäg  av  ^  yvvrj 
4  ävaSga/iiriTat   (so  acc.)  5   8i£oqfi7]vov   wie   de   morb.  IV  36  (552,  16) 

ETieorjurjvov   (nicht    zu    ändern    in    ijiEO>j[intvov)  und  85  (550,  7)    Eniorj^rjvoi 
GivEExai.   wie   de  morb.  IV  36   (552,  13)   oiveöfiEva;   52  (592,  10)  aivso- 

fiEvov        6  EJiivE/LiTjxai         7  noiEEi  xai^  jxoieei  17  o:ia8oEiörjg]  euiiuchenhaft 

(=  ojia8wvoEi8r]g  durch  Haplologie  s.  Brugmann-Thumb  gr.  Gr.  S.  197,  1) 
erklärt  richtig  Regenbogen  19  xef(/id/ia  8ixxv(ü8Eg  (sc.  nUyi-ia  nach 
Gal.  III  696  ff.j]  8vxxi(Jö8Eg  21  oxiQscovxai         22  (pXvxxaivrjxai         28  8o- 

HEOVOIV 


70  H.  DIELS 

ficboa,  yJ'jv  1]  §ig  o^eu]  y.ai  äoaoxog,  yJ]v  al  roi/eg  aTzojiijixoioiv, 

yjjv  ol  Tioöeg    oi'x  äzQefuCovTEg  eojoiv,    yj]v    vXay.röjoi,    y.ijv    dd- 

f.  428^"  63  y-vcooi,  yJ]v  jiagacpQOVECooi  yai  ßoö)oi  y.al  oTTCovrat.     ndvra  ravia 

(i4  o}]fi})'ia    /.vooi]g   vtcojixov  i)  iyyvg  EOVo)]g  yo))   voui^elv        Tjv  de 

y.ai    vdgoq  oߣi]Tai,    cpXavQov    rö    oi]juEiov    y.ai    davarwÖEg    }dav'  s 

65.  66  äjOLQ  yJ)v  tov    yega    (poßErjzai,    iv    fjEQi    i)    vovoog.        fjv   je   vnb 

dijyjLiazog  )jv  xe  vjio  d}]iiootov  xayh]g  y.al  öi'  aviEov  ig  xbv  iy- 

y.EcpaXov  xal  xads  Jido/ji  oy.ola  y.al  jTqoo&ev  EiQEaxö  juoi,  y.al  öxoxav 

67  xov  fjEQa  cpoßE^xai,  xivÖvvevei  avEXnioxov  yiyvEodai.       xal  öxoxav 

68  xö  vöü)Q  Tixofjxai,  änöklvxai.        T]v  ök  xal  nvgorpoßhjxai  T]  xgrj-  lo 

69  jurog)oߣ)]xai,    ygovb]    f)    vovoog'         xi]v    jui]    -dEoanEvd^fji,    xäÖE 
Tidoyßi  oxoTa  xal  ngoo&EV  jxoi  £l'gi]xai.  ovxog  ydg  e  EXEa,  jiolXd- 

70  xig  de  xal  C,  ovxa)g  E'yei.       xfjv  juev  juij  juExgidorji  T]  jUExajiEorji, 
äjioXlvxai'    ov    yäg    olov    xe    eoxi  negiyEVEodai.    ip  de  i}Ega7iEv- 

71  d}]i,  ov  juExajimxEi.        xal  xavxa  juev  ig  xovxo  juoi  Eigrjxai.  lä 

72  dvaßi]oojuai    ö'    ai'^ig    dniooi,     öy.ojg    i7i:iö)]jLi££i    fj    vovoog, 

73  igicov.  öxoxav  /liev  ovv  TiagaxgajiEh]  xd  aij^iufia  xov  xaxä 
Xöyov  im  xoig  äoxgoig  dvvovoi  xe  xal  dvaxE/.X.ovot  x6  xe  juexojiü)- 
gov  dvixfiov  Tzgo'u'ji  xal  xaujLiaxcbdEg,  xal  6  yEifxojv  öiajLiExgErji 
xöjc  xaxd  Xoyov,  e'v  xe  xöji  ygi  yiyvcovxai  xav/xaxa  i^anivaia  xal  20 
ixi]  (hgaXa,  xT]v  vnb  xvva  jui]  vdaxa  yiyv)]xai  /u}]d£  ol  ixrjoioi 
qjvocöoiv,  ovy  olov  xe  juij  cpXvöäv  x)]v  odgxa  xal  xbv  iyxecpaXov 
vji£gavf]vat,    (hg   xdg   Xa'ooag   xal    ^vjumjixEiv  xoioi  jueoij/iißgivoloi 

74  jiiEgeoiv  UTiaoi,   judX.ioxa   de  im  xoioiv  eigrjjUEvoiot  l^cbioioiv.       ov 
&avjua  ök  ix  xcbv  xoiovxwv  x)]v  Xvooav  yiyveoß^ai,  öxov  ye  (pal-  2* 
rovxai  xvvEg  xal  El'ÖEa  ixigcov  i^(oia)v  -degeog  xal  vnb  xvva  Xvo- 

75  OEOvxa,  y(bg-i]i  xal  f]?uxh]i  ^udXuoxa  xfji  ößOEidii.       (xXXA  xavxa  juev 
äXig  Eigriiai. 

76  xbv  de  Xvooeovxa  ygrj  '&EganevEiv  wÖe  '  öxoxav  juev  al'odrjxai 
drgexeojg  x)~jg  vovoov  xal  uxixvg  ö  iyxEcpa/Mg  f.u)  doxEi]i,  xaiEiv  ^ 

13  Philum.  de  venenat.  anim.  4,  6  (8,  5  Wellm.)  iarooovai  ds  rtveg  (isza 
ijirasziav    iviovg    dlcövat.    xon    jiädei  15  Vgl.  de  morb.  IV  88  (VII  556): 

39(560).    40(5H2)  16  Vgl.  ebda.  IV  45  (VII  568)   dvaßtjao/nai    S'    av§ig 

o.-iiao)  80  Rufus  ed.  Daremb.  S.  450 ,  1 1  Tivkg  6k  y.al  yavztjoioig  aiSrjQoTg 

4  vnöjizo)  6  ■^eQt]  8  Eigsazo:  vgl.  zu  S.  66,  5  17  :iagazga7isir] : 
vgl.  zu  S.  69,  1  19  Siatiszohji  zcöi  (oppositns  sit  vgl.  Manetho  IV  74.  296). 
dia/nszQit]  z6  27    ri'/.iy.ia.     Man    erwartet    &Qtji,    vgl.  §  59        ofioeiditj 

30  äx^y.ig:  vgl.  de  morb.  IV  43  (VII  564,  24) 


HIPPOKRATISCHE  FORSCHUNGEN  V  71 

veoTQCOTov  x6  öfjyjiia,  eha  otxv)]v  txei  ngooriÖEvai  i]  jiQOoxokläv, 
et   olov   re   eh].       xal    yevnnytjv    ninioxeiv  yjd  uoiojoXoyirjv   xal  77 
xav^agida,  exeivag  juev  em  "^juegag  fi,  ravx^p  öe  äjia^,  oixva>vh]i 
ze  xal  iXXeßuQcoi  vjToxadagdip'ai,  xal  Tavra  Txgoorpegeodai  oxooa 

5  xal    OL  juaivojuevoi.       xal   top  eyxeqpaXov  Jieigrjodai   uygijvai  xal  78 
xaravxXeeiv  rovg  jTOÖag  xal  ßaXaveioig  ;^^££ö*^ai,  öxuoov  av  deoi. 
xal  Tcöi  öid  xagxivcov  ofu'jyjuan  novVvv  ygeeadai  ygövov.        eyei  79.  80 
^£  xal    rode    ovra>g '    xagxivojv    Jioiajiuajv    xe<pgag    ev    äfXTieAon 
kevxfji  xaevTCOv  xorvlag  dexa,  yevjiavfig  t6  JJjmov  xovzoiv,  xgoxov 

10  ofxvgvYjg,  nenegeog  xov  Xevxov,  ägioxoXoyiiqg ,  älvooov,  Ivxiov, 
TXoXiov,  oxogoöov,  otXfpiov  Öjiov  ävä  jiuäg  ävaXaf.ißavexco  oXvcoi 
xexgi]juevcov  xal  icp'  ex(lox7]g  Jigooqsgeoßw,  x6  xe  xov  öaxövxog 
f/Tiag  (boavxojg  xal  oivajziojuoTg  ygijoxeov  xal  ögcona^i. 

t6  ekxog  xaiovoi;  Galen,  b.  Oribas.V418,  1  xaieiv  je  y.avTrjqioig  oidrjQoTg: 
vgl.  Gels.  V  27,  2 

1  Gels.  V  27,  2  cuciirbitula  xnriis  eins  [sc.  cunis  rahioni]  extrahendam 
est;  Philum.  2,  7  (6,  19  Wellm.)  jioXv  ö'  av  ■>]  oixva  xokkrjdeToa  [xeru  jiof.Xfjg 
qdoyog  naQÜayoi  oqjslog  2  Philum.  2,  2  (ö,   1 8)  ofioicog  8e  xal  gi^ag  yev- 

riavfjg  djioüeo&ai  y.eKOfXfiEvag  xai  oeaija/nsvag '  öjiöiav  8e  rtg  drjydiji  vjio  ?.va- 
ocövTog  xvvög,  Eig  olvov  axQäxov  nvä&ovg  rgscg  y  xEooaQag  i/.iJidao£iv,  8vo  ^isr 
xoyXiÜQia  xfjg  tojv  xaQxivcüv  z£(pQag,  sv  ök  xo^Xiägiov  x-^g  yEVxiavfjg  . ,  jzisir 
ujio  xfjg  jiQcoTtjg  TjfisQag  /.isyai  xEaoaQaxovta  rjf.iEQwv;  Rufus  ed.  Darenib. 
p.  450  3  Ruf.  451,  G  xadaigsiv  öe  öiä  xfjg  oixvcoviag;  Galen  b.  Oribas.  V 
418,7  4  Philum.  2,  10  Jim'xcov  8e  (h'voi/.icüxaxog  ett'  avicjv  6  EXXsßoQÖg  /lot 
Eyvcooßjj  7  Damocr.  (^Galen.  XIV  195;  ed.  Uussemaker  v.  7"^;   Philum. 

2,  3  (5,  16)  8eT  xoivvv  xagxivovg  jroxaftiovg  etiI  xXrjfiaxidog  XEvxfjg  dfijiEXov 
xavaai  xal  xtjv  xsq^Qav  avxcöv  X.sioxQiß/jaaviag  e^eiv  d.ioxEt/-i£vr]v.  6fioia>g  8y 
XX?..  (s.  zuZ.  2);  Ruf.  450,  14  xaQxUoyv  Jioxaj.il.cov  ejiI  xlrj[xaxi8(ov  ksvxfjg  dfjt- 
tieXov  xavßsvxcov  ev  xvjxqivwi  dyysion.  y  yaXxwi  xo/Judgia  ß,  ysvxiavfjg  xfjg 
^iCt]g  Xslag  xoyXidgtov  a  [XExa  olvov  dxgdrov  jiaXaiov  xoxvXöJv  ß  9  Vgl.  zu 
Z  2.  Damocrat.  ed.  Bussemaker  v.  85.  170;  Rufus  S.  450;  (Aet.  XlIIl); 
Gal.  Oribas.  V  41S,  6  10  Philum.  7,  13  oniov,  of^ivQvrjg  dvd  oßoX.öv,  jisjiEQEoyg 
ögayi^yv  a,  dgiozoXoyiag  dgay/iiäg  ß  dgioxoXoyJyg]  Da.raocr.  v.  128  dXvo- 
öov]  Gal.  b.  Orib.  V418,  9  rj  xfjg  ai8t]gixi8og  xyg  'HgaxX.Eiag,  fjv  xal  äXvooov 
ovo/LidCovoi  Sid  xö  xal  fiövyv  avxyv  (bqpsX.Eiv;  vgl.  Dioscor.  III  91  Xvxiov] 

vgl.  Ruf.  ed.  Daremb.  S.  450, 12;  Gal.  Oiib.  V  418,3  11  jioXiov]  Damocr. 
V.  138;  Ruf.  S.  450,  13,-  Gal.  Oribas.  418,  5  oxogödov]  Philum.  3,  3  (6,  32). 
Vgl.  Ruf.  450, 13;  Gal.  Orib.  4  IS,  5  aiX(p{ov  6.-iov]  vgl  Damocr.  173;  Ruf. 
450,  13;  Philum.  3,  3  (7,  1);  Gal.  b.  Orib.  V  418,  4  12  Ruf.  451,  8  xivkg  Öe 
y.al  xov  ijiiaxog  xov  öaxövxog  xvvög  söooav  (payETv;  Gal.  b.  Oiib.  418,  12 
oivajTio/ioTg  xal  ögwjia^i]  Philum.  4,  9  (8,  19) 

1  TigoxoXXäv       3  aixvcovio)       4  oxoadxig  oder  vorher  xovxcov?       11  xo- 

XeoV  12    X£Xg)jf.lEVO} 


72  H.  DIELS 

Das  Prooemium  des  neugefundenen  Textes  IIeqI  juavü]g  trifft 
nicht  ungeschickt  den  selbstbewußten  polemischen  Ton  mancher 
Hippokraliker,  die  so  tun,  als  ob  die  Arzneiwissenschaft  erst  mit 
ihnen  auf  die  Welt  gekommen  sei.  So  wettert  der  Verfasser  Tlegl 
dQxnh]g  irjrgixfjg  gegen  die  modernen  „Hypothesen",  so  kämpft 
der  Sophist  IJegl  Teyv7]g  gegen  die  Angriffe  auf  die  Medicin,  so 
höhnt  der  Autor  IJeqI  qn'oiog  äv&gwjiov  über  die  Philosophen, 
von  denen  einer  den  andern  in  den  Sand  streckt,  so  setzt  endlich 
der  Anfang  der  Bücher  JJeqI  diam]g  das  yvöjvai  ÖQ'&cbg,  das  der 
Verfasser  sich  selbst  zuschreibt,  der  falschen  Schriftstellerei  seiner 
Vorgänger  entgegen.  Und  aus  dieser  Schrift  hat  nun  auch  unser 
Briefsteller  einige  Phrasen  z.  T.  wörtlich  in  sein  Prooemium  her- 
übergesetzt. So  ist  denn  überhaupt  eine  Auswahl  hippokratischer 
Schriften  (de  morbo  sacro,  Epidemien  und  besonders  das  vierte 
Buch  de  morbis)  der  Brunnen,  aus  dem  er  seine  Phraseologie  ge- 
schöpft hat.  Die  Übergangsformeln  sind  meist  wörtlich  nach- 
geahmt. Ob  und  wieviel  dem  Verfasser  sonst  noch  an  alter  ioni- 
scher Literatur  zu  Gebote  stand,  ist  schwer  zu  bestimmen.  An 
Demokrit,  der  doch  zunächst  gelegen  hätte,  erinnert  hier  nichts. 
Und  doch  scheint  sein  Name  für  die  ganze  Behandlung  dieses 
Themas  ÜeqI  /uavitjg  nicht  ohne  Einfluß  gewesen  zu  sein,  obgleich 
ja  der  Witz  des  ganzen  Buches,  daß  der  wahnsinnige  Philosoph 
schließlich  als  der  allein  weise  sich  herausstellt,  darauf  führen 
konnte.  Aber  es  gab  auch  literarische  Anknüpfungen.  Freilich 
von  dem  großen  Werke  des  alten  Philosophen  ist,  wie  ich  bereits 
früher  bemerkt  und  durch  den  neuen  Fund  bestätigt  finde,  so  gut 
wie  nichts  dem  Spätling  bekannt  gewesen  ^).  Aber  in  hellenisti- 
scher Zeit  hatte  der  Mendesier  Bolos  eine  große  naturwissenschaft- 
liche Encyklopädie  unter  Demokrits  Namen  in  Kurs  gesetzt,  die  von 
nun  an  die  alte  und  mittelalterliche  Literatur  auf  diesem  Gebiete 
beherrscht^).  Dieser  trüben  Quelle  entnahm  Soran  in  seinem  Buche 
über  akute  und  chronische  Erkrankungen  (UeoI  ö^ewv  y.ai  ygovicov 
7ia§cöv)  eine  Reihe  von  Äußerungen  über  die  Tollwut  {Xvooa, 
vÖQOcpoßia,  rahics  canina),  die  uns  in  der  lateinischen  Bearbeitung 

1)  Vorsokr.  IP  136  Anin.     Ähnlich  schon  Ermerins  Hipp  III,  i.xxxi. 

2)  S.Vorsokr.  IP  125ff.;  doch  wird  die  dort  gegebene  Übersicht 
durch  M.  Wellmanns  Forschungen  über  das  Demokritbuch  des  Bolos 
■wesentlich  erweitert  und  berichtigt  werden.  Hoffentlich  wird  diese 
wichtige  Arbeit  bald  veröffentlicht  werden. 


HIPPOKRATISCHE  FORSCHUNGEN  V  73 

des  Caelius  Aurelianus  vorliegen  ^).  Der  gelelirte  Methodiker  hält 
die  Schwindelscluifl  des  Bolos  für  ein  echtes  Zeugnis  des  Ahderiten 
und  berichtet,  da&  dieser  die  Hydrophobie  als  eine  Nervenkrankheit 
auffaßte,  was  ja  mit  der  modernen  Wissenschaft  übereinstimmt, 
welche  die  Tollwut  als  eine  durch  die  sog.  Negri'schen  Körperchen 
(wahrscheinlich  Protozoen)  hervorgerufene  Infektionskrankheit  im 
Centralnervensystem  bestimmt  hat.  Da  Soran  entgegen  der  von 
anderer  Seite  und  7,war  mit  Recht  behaupteten  Tatsache,  dafs  diese 
Krankheit  der  klassischen  Medicin  unbekannt  sei,  ihre  Kenntnis  be- 
reits dem  Hippokrates  vindiciren  wollte'^),  war  ihm  das  Zeugnis 
eines  vermeintlichen  Zeitgenossen  des  Hippokrates  willkommen.  In 
Wirklichkeit  haben  erst  Ärzte  des  letzten  vorchristlichen  Jahrhun- 
derts, Artemidoros  und  Artorius,  der  Leibarzt  des  Augustus,  die 
Krankheit  genauer  beschrieben^).  Auf  ihre  Schriften  gehen  ver- 
mutlich die  zahlreichen  Erwähnungen  der  Späteren*)  zurück.  Der 
Verfasser  unserer  Abhandlung  glaubte  daher  etwas  besonders  Inter- 
essantes zu  liefern,  wenn  er  diese  moderne  Krankheit  als  die  her- 
vorstechendste der  Geisteskrankheiten  (juavia)  besonders  ins  Auge 
faßt  §  7 :  xal  jiqcöxov  djio  xfjg  xoivoTäri]g  äq^oj-iai  jiiavirjg,  i]v  d)) 

1)  acut.  morb.  III  14  quisnnm  in  hyrfrophöbicis  locus  corporis  pntia- 
tur.  eqiürleni  Democrifus,  cum  de  einprosthotonicis  diceret,  nervös  inqicit, 
coniriens  hoc  ex  corporis  conductione  [d.  i.  OTiao/nög]  otque  reretri  tentigine 
[ä.  i.  oazvQiaoig],  Das.  1.^  etenim  Democritus,  qui  Hippocrati  conrixii,  noii 
soliim  hmc  memoruvit  passionem,  scd  elium  eius  causam  tradidit,  cum  de 
opisthotonicis  scriberet.  16  Democritus  vero  iubet  orignni  decoctionem  dari 
alque  ipsnm  poculnm  quo  bibunt  in  splmerae  rotunditaiem  formari. 

2)  Er  hat  dieser  Frage  das  ganze  Kap.  III  15  utrum  nova  passio  sit 
hydrophobiii  gewidmet. 

3)  Cael.  Aurel.  ac.  morb.  III  14.  Die  von  Soran  angezogene  Stelle 
Hippoer.  Prorrh.  I  16  (V  5U,  9  L.)  über  die  ßga^vTiözai  (vgl  dazu  Gal.  in 
s.  Comm.  Corp.  m.  V  9,  2  S.  'SS,  11)  geht  (auch  abgesehen  von  der  wahr- 
scheinlich falschen  Lesart)  nicht  auf  die  Hydrophobie.  Polybos,  Schwie- 
gersohn des  Hippokrates,  kennt  wohl  das  hervorstechendste  Symptom 
der  Krankheit  (er  spricht  von  cpsvyvdooi)  und  ihren  letalen  Ausgang 
(Cael.  a.  m.  III  9.  14),  wie  ja  einzelne  Fälle  auch  damals  vorgekommen 
sein  werden,  aber  eine  eingehendere  Beobachtung  und  Darstellung  ist 
der  Krankheit  in  der  klassischen  Zeit  nicht  gewidmet  worden.  Sie  ist 
wohl  erst  in  hellenistischer  Zeit  epidemisch  in  Kleinasien  und  Europa 
aufgetreten.  Der  Pariser  Doxograph  der  Medicin  (Rh.  Mus.  LVIII  1U4) 
sagt  einfach  und  richtig:  oi  aoyaloi  ovy.   iurr'jo&tjoar  rnvzov. 

4)  Das  Wesentliche  hat  M.  Wellmann  in  seinem  Philumenus  (Corp. 
M.  X  1,  1)  zu  S.  4,  5  zusammengestellt. 


74  H.  DIELS 

XvGO))v  xaXeofxev.  Da  die  Hundswut,  die  man  nach  den  Ausfüh- 
rungen des  Verfassers  darunter  speciell  zu  verstehen  hat,  keines- 
wegs die  allgemeinste  Form  der  Manie  heißen  kann,  so  bezieht  sich 
diese  Bezeichnung  auf  ihr  weitverbreitetes  Vorkommen  im  Tierreich, 
wie  er  dies  ja  auch  §  11  selbst  erklärt.  So  zählt  er  §  22  Löwen, 
Wölfe,  Hunde,  Hyänen,  Ibisse  und  Basilisken  als  tollwutempfäng- 
lich  auf,  die  'automatisch^  bei  sich  das  Gift  erzeugen.  Von  ihnen 
geht  es  dann  durch  Infektion  auf  die  andern  Lebewesen  über.  Die 
Ursache  aber  der  Krankheit  findet  er  ebenso  wie  der  unten  ange- 
führte Anonymus  (Herodot  nach  M.  Wellmann)  in  der  Trockenheit 
des  Pneumas  (§  20),  die  durch  Galle  und  Blut  auf  das  Hirn  wirkt 
(§  39).  Hier  tritt  der  pneumatische  Standpunkt  des  Verfassers  her- 
vor, der  für  die  Auffassung  seiner  ganzen  Abhandlung  wohl  zu 
beachten  ist.  Diese  stoisch  orientirte  Schule  der  Pneumatiker 
nimmt  ihren  Ausgang  von  Athenaios  aus  Attalia,  der  am  Anfange 
des  1.  Jahrhunderts  n.  Chr.  gewirkt  haben  muß^).  Es  scheint  also, 
als  ob  der  Verfasser,  der,  wie  gesagt,  in  den  ärztlichen  Kreisen 
gesucht  werden  muß,  von  dieser  modern-eklektischen  Pachtung  er- 
faßt worden  ist,  die  sich  mit  dem  Kultus  der  Hippokratesverehrung 
wohl  vereinigen  ließ. 

Diese  Neigung  zeigt  sich  nun  auch  in  der  eigentümlichen  Um- 
formung der  benutzten  Hippokratesstellen. 

Er  geht  von  den  für  den  Verfasser  von  de  morb.  IV  grund- 
legenden vier  Stoffen  aij-ia,  xolrj,  cplh/}.ia,  vÖQOoyj  (d.  i.  vyQÖnjg) 
aus,  aber  statt  des  Phlegmas  fügt  er  hier  sein  Pneuma  ein,  das  nach 
pneumatischer  Lehre  besonders  in  den  Arterien  concentrirt  ist  ^) : 
§  29  >c7]v  juev  Iv  vdowni  ro  örjyjua,  vdga>y>,  tjv  ö'  iv  (pXeßicot, 
aljua,  i]v  <5'  ev  äonjQhji  TTvevjua  zo  juiavß^ev,  y.al  Tzrevjuan  xal 
aXfxari  xal  vöqojtii  diadidcooiv. 

Trotzdem  aber  betont  der  Verfasser  der  Demokritschen  Ab- 
handlung auf  das  schärfste  den  Primat  des  Gehirns,  das  den  Hippo- 

1)  M.  Wellmann,  Die  pneumatische  Schule  (Wilamowitz,  Ph.  Unter- 
such.  14)  S.  8  setzt  ihn  unter  Claudius.  Allein  da  der  Pneumutiker  Mag- 
nus (s.  Wellmann  a.  0.  S.  14)  älter  als  Agathinos  ist  und  dieser  als 
Freund  des  Cornutus  wiederum  älter  als  dessen  Schüler  Persius  und 
Lucan  sein  muß,  kommen  wir  für  Agathinus  mindestens  auf  Claudius' 
Zeit  und  werden  guttun,  Athenaios,  den  Stifter  der  pneumatischen  Rich- 
tung, an  den  Anfang  des  Jahrhunderts  zu  setzen. 

2)  Wellmann  a.  0.  S.  139,7.  Vgl.  [Gal.J  def.74  (XIX  36ß)  dgr^gia  iari 
Gwua  y.oT'/.oi-,  btyizon-ov,    ix    y.aodiag  ooiiMiierov  nvevuarog  ^(oitxov  xoQtjyöv. 


HIPPOKRATISCHE  FORSCHUNGEN  V  75 

kratikern  als  Sitz  der  Seele  gilt.  Die  echten  Pneumatiker  sehen 
dagegen  entsprechend  der  stoischen  Lehre')  das  Herz  als  Centruni 
der  Intelligenz  an"'^).  Dies  führt  zu  einer  merkwürdigen  Behandlung 
einer  Hippokratesstelle,  welche  die  üherlieferle  Fassung  des  Briefes 
und  die  neue  gegenüberzustellen  gestattet.  Der  alte  llippokratiker 
de  morbo  sacro  oder  vielmehr  sein  Fortsetzer  ^)  zeigt  c.  14,  wie 
alles  Leid  und  alle  Freude,  aller  Wahnsinn  und  alle  Schreck- 
gespenster vom  Gehirn  ausgehen,  dessen  unnormale  Bescharfenheit 
(zu  grofäe  Hitze,  Kälte,  Trockenheit,  Feuchtigkeit)  die  krankhaften 
Geisteszustände  hervorruft.  Dann  fährt  er  fort  (c.  14.  VI  388,  6) 
yMi  juairojiiiiOa  juev  vjio  vyQÖrrjxog'  oxoxav  yäg  vyQoregog  xfjg 
cpvoiog  fi)]i  (näml.  6  eyxecpaXog),  ävdyxr]  xiveeoOai  mX.  Der  Brief- 
schreiber nimmt  in  der  Yulgatfassung  (Ep.  19  §  1)  mit  dem  Gitat  (hg 
ECpi-jv  ev  Tcoi  sregl  legrjg  vovoov  ^)  diese  Stelle  wörtlich  herüber, 
nur  fügt  er  hinter  vygoDjzog  hinzu  tov  b/xECfdlov,  ev  cot  iort 
rd  r)~]g  yv/jjg  egya.  Die  neue  Fassung  dagegen  läßt  diese  Ver- 
änderung durch  die  Feuchtigkeit  hier  §  39  beiseite.  Sie  greift  viel- 
mehr die  Ausführung  des  Hippokratikers  c.  15  (388,  18)  auf,  wo 
dieser  die  Erhitzung  des  Gehirns  durch  die  Galle  behandelt:  ijv  öl- 
deifiaxa  xal  cpoßoL  nagioxojvxai,  vjio  fiExaoxdoiog  xov  eyxecpdXov 
(näml.  werden  die  Erscheinungen  des  Wahnsinns  hervorgebracht]  * 
fiB'&ioxaxai  de  degijiaivofievog'  &£gjuaivexai  de  vjxö  xTjg  yoXrjg, 
öxöxav  dgjiiijor]i  im  xov  eyxecpaXov  xaxd  xäg  q)Xeßag  xdg  alßa- 
xixiöag  ex  xov  ocojuaxog.  Dies  wendet  der  neue  Brieftext  so  §  39: 
e^a7xiv7]g  6  eyxecpaXog,  ev  cbi  eoxi  xd  xfjg  y'vyj]g  egya,  öia- 
d'EQfiaivexai  vnb  yoX)]g  xaxd  xdg  (pX^eßag  avxeov  xdg  aljuaxi- 
xidag  xxX.  Die  beiden  Fassungen  haben  also  den  hervorgehobenen 
Zusatz,  der  das  Gehirn  als  Centralorgan  mit  Nachdruck  bezeichnet, 
obgleich  sie  sonst  verschiedene  Wege  gehen. 

Und  wiederum  begegnen  sich  beide  im  folgenden  trotz  der  ganz 
verschiedenen  Behandlung  des  Hippokratescitates  in  der  Lesart  Tzgtjx- 
xai.  Der  Vulgattext  jener  Stelle  de  morbo  sacro  15  (388,  13)  lautet 
Ol  juev  ydg  vjio  xov  (pXJyjuaxog  ßaivojuevoi  fjov/^ot  xe  eloi  xal  ov 
ßoöjoiv  ovde  §ogvßeovoiv,  ol  öe  viiö  xoXifjg  xexgäxxai  xal  xaxovg- 

1)  Die  wieder  auf  die  sicilische  Äi-zteschule  zurückgeht.  S.  Well- 
mann,  Fragmente  d.  or.  Arzte  I  14.  103. 

2)  Wellmann,  Pneum.  Schule  S.  VM. 

3j  Regenbogen,  Symb.  Hippocr.  (Berlin  1914)  S.  31. 
4)  S.  oben  S.  61  (vgl.  S.  59). 


7ö  H.  DlKl.S 

yoi  xat  ovx  ihot'uaiot.  Die  Handsoliiitl  j'>  \ixü[  lor  vor  (fXtyua- 
TOs  viohtitr  weg  und  stolll  don  un/\voitVlhat1  oohton  Text  im  fol- 
iroiulen  mit  xa«  or  ßotjjat  ot'de  {toQvßtoöee<  tost.  Uoido  Fassungen 
dos  tJriotos  stimmen  hier  Imlz  aller  Versehiodenlioit  in  der  IVhaiid- 
lung  dos  Cilates  übereiii  (^|;  "2  Vulir.  -  jJ  45.  4G  Urb /)  und  zeigen 
schon  hierduroh,  dati  ihr  're\t  vor  der  byzantinischen  Vulgala  liegt. 
Beide  geben  aber  auch  statt  dos  einstimmig  im  Hippokralostext 
ttberlioterlen  xexgäxTat  xat  xaxov(}yot  die  autTahendo  Variante 
ai)»}xT(i<  xai  xaxovgyot  {^  '2  Vulg.  =  §  48  Urb.).  Das  nach  ioni- 
schem System  gebildete  :tj>»/xt*/s  statt  ji^ttjxrt'j^  {jtfMxxjtJQ),  .todx- 
T(OQ  fehlt  in  den  W ürl er bü ehern,  es  fohlt  aucl\  in  den  umfassenden 
und  die  hippokraliseho  Lexis  sonst  sorgfiiltig  borilcksiehtigenden 
Sammlungen  von  Ernst  FrJinkel  ^),  scheint  aber  vvolil  das  echte. 
alte  Wort  zu  sein,  das  in  diesem  Zusammonliange  neben  xaxovo- 
yog  in  tndfani  jxirtcnt  verwendet  wurde,  iihnlich  wie  .7oa.ru'  und 
jXf}ivrTny  bisweilen  den  Sinn  von  rtQa^txojxm'  annehmen.  Eis  ist 
begreillich,  dafa  man  spüter  diese  Glosse  nicht  mehr  verstand,  wie 
denn  auch  der  junge,  schmählich  inlerpolirte  Codex  D  i^Liitrt^s 
Paris,  gr.  2254)  ztXrjxjat  liest.  Po  Lesart  xt'xt;iaxTin,  die  in  lior 
guten  Hippokralesüberlieforung  steht,  ist  wohl  an  die  Stelle  des 
nicht  mehr  vorstandeneu  rji^ijXTai  getivten  mit  Berücksichtigung 
des  folgenden  t^x  vvxjmv  öe  ßoät  xiu  xhigayev  (SS8,  24)^). 

Diese  Spuren  alter,  jenseits  unseitr  Hippokratosüberlioforuug 
liegender  Texlformen  zeigen  sich  nun  aucJi  in  dem  folgenden  Ab- 
scimitt,  wo  die  Epidemien  ausgeschrieben  werden.  Die  in  de« 
beiden  Fassungen  dos  Briefes  benutzten  Stellen  sind  in  unseren 
HandschriAen    des   Hippokratos    zweimal   erhalten,    im    5.    und    im 


l"!  Gesch.  d.  gr.  Nomina  agentis  avif  r#/i».  twq,  rif? ,  '2  Bde.  vStniß- 
burg  1010.  I91-);  er  hat  die  Form  il^-  als  specifisch  ionisch  erwiesen. 

2)  0.  Regenbogen  hat  iu  dem  se  neneit  der  Faknität  eingereichte« 
abreiten  Teile  seiner  Disi^ertation,  der  bisher  nicht  hat  verOftentlicht 
wenien  können,  die  ansprechende  Vermutung  geiluläert,  auch  .lof'jxjai  sei 
eine  Kutjjtellung  der  «rsprüngliehen  Olos^e  /<i>#;Arroi  =  xfxo<iAfFoi.  Er  ver- 
weist auf  die  vom  nichtreduplicirtcn  Stamme  gebildeten  Formen  xMixiota 
i^bei  Hesych  als  Erkhirung  von  ioxfjjrC«)  «ud  X2nxjixöi  Lnc,  Conviv.  12. 
Sohol.  Arist.  Yesp.  lU.  Über  xoti^o>  vgl.  Herod.  .t. /«»•.  If^.  c.  28.  Aber 
auflaUeud  ist,  daß  das  Ionische  und  speciell  die  Hippokratesüberliefe- 
rxing  nur  xhegaya  i^x^xtMxn}^),  nicht  x^xQt;ya  kennt:  de  morbo  sacro  15 
(,VI  i5{SS):  de  morb  mul.  1 1^5  (YllI  ISO):  leidem.  YIl  25  ;V  A>6;.  Ist  ilies 
Koine-Ümformung  ? 


HIPPOKR ATISCHE  FORSCHUNGEN  V  77 

7.  Buch.  Der  Text  des  Briefschreibers  aber  zeigt  beiderseits,  wie 
meine  Anmerkungen  angeben,  einen  bald  der  einen,  bald  der 
andern  Recension  angehörigen  Wortlaut.  Auffallend  ist  auch  das 
gemeinschaftliche  Mißverständnis  einer  Stelle,  die  in  dem  benutzten 
Hippokratescodex  verkürzt  gewesen  zu  sein  scheint.  Der  Urtext 
lautet  Epid.  V  80  =  VII  85  'AvÖgo^ahi  äcpoivii^,  uyvoia,  nagalrfor}- 
oig'  XvdevTOiv  de  jovxoiv  Tieoirjv  an  ov/vd,  y.al  vTiooTOorpal  iyi- 
vovro,  d.  h.  den  Androthales  befiel  Sprachlosigkeit,  Bewußtlosigkeit, 
Irreden.  Doch  als  diese  Erscheinungen  verschwanden,  blieb  er  noch 
geraume  Zeit  am  Leben  und  es  traten  Recidive  ein.  Der  Brief  da- 
gegen gibt  in  der  kurzen  Fassung  §  4  7zaoa/.i]oy]oig,  ov/val  y.al 
imooTQoqpai,  was  bU  in  naoaXrjorjoeig  ovyyai  verschönert  haben, 
dagegen  ist  in  der  neuen  Recension  umgestellt  §  49  7iaoa/.7]gj]oig, 
v7ioo70oq:ai  ov/val.  Also  war  wohl  in  diesem  Hippokratescodex  der 
Satz  XvßevTov  —  hi  ausgefallen  und  so  der  Sinn  verdunkelt.  Die 
Kurzform  ist  also  offenbar  älter,  da  sie  dem  vorauszusetzenden  ver- 
stümmelten Originale  am  nächsten  bleibt. 

Wie  ist  nun  aber  gegenüber  diesen  nicht  eben  zahlreichen, 
aber  deutlichen  Spuren  gemeinsamen  Ursprungs  die  auffallende  Ver- 
schiedenheit des  sonstigen  Textes  zu  erklären,  die  zwischen  der 
alten  und  der  neuen  Fassung  besteht?  Soll  man  annehmen,  was 
zunächst  liegt,  daf?.  die  kürzere  Recension  ein  .Auszug  aus  dem  voll- 
ständigeren urbinatischen  Texte  sei?  Für  diese  Annahme  lassen  sich 
die  Verkürzungen  in  den  ersten  Briefen  als  Analogie  geltend 
machen.  Ep.  8  ist  in  Pap.  Ox.  1184  verkürzt  gegenüber  unserer 
handschriftlichen  Fassung  und  der  am  Rande  des  Pap}TUs  stehen- 
den. Umgekehrt  ist  Ep.  6  in  unsern  Handschriften  gegenüber  der 
Papyrusüberlieferung  verkürzt.  Auch  der  verbindende  Text  zwischen 
Ep.  4  und  5,  den  Pap.  1184  einschiebt:  o  de  yewalog  xi-jorjoag  ro 
Trjg  TE-/V7]g  a^ioy/ua  y.al  xb  Jigog  xovg  "E/Jajvag  rpi/.ooxooyov 
ävTEffcorrjoev  yodyjog  xov  xqotiov  xovxov,  ist  in  der  Vulgata  weg- 
gefallen ^). 


l"i  Regenbogen,  der  auch  für  die  urbinatische  Fassung  von  Ep.  19 
die  Priorität  annehmen  möchte  und  die  Vulgata  auf  solche  Excerption 
zurückführt,  verweist  für  den  Wegfall  der  erzählenden  Verbindungs- 
stüclie  in  unserer  handschriftlichen  Tradition  auf  die  Analogie  des  Brief- 
wechsels des  Apollonios  von  Tyana.  Dort  findet  sich  im  Cod.  Mazari- 
naeus  87  ein  Zwischentext  zwischen  Brief  62  und  63,  der  in  der  sonst'gen 
Überlieferung  fehlt:  ravra  avayvov;  6  'Jrro/./.ojvio;  ovy.  iyavvojßi]  zatg  ziuaTg 


78  H.  DIELS 

Aber  abgesehen  von  der  Verstümmelung  der  Vulgatüberliefe- 
rung  am  Anfang,  die  nicht  von  der  Excerption  herrühren  kann, 
gibt  der  alte  Text  eine  an  die  citirten  Hippokratesstellen  sich  eng 
anschliefsende  Kasuistik,  während  der  neue  an  den  betreffenden 
Stellen  im  Wortlaut  wie  im  Inhalt  viel  freier  gestaltet  und  mit  Be- 
nutzung anderer  Hippokratesschriften  stilistisch  erweitert  ist.  Be- 
merkenswert ist  ferner,  daß  die  Abhandlung  IIeoI  e?LkeßoQiojuov 
(Ep.  21),  die  Hippokrates  artig  Demokrit  als  Gegendedikation  über- 
reicht, in  unserer  Überlieferung  genau  denselben  ängstlichen  An- 
schluß an  Hippokrates  (Aphorismen  und  de  morb.  acut,  victu)  zeigt 
wie  der  Brief  19  in  der  alten  Fassung. 

Nimmt  man  an,  daß  die  kürzere  Vulgatfassung  einem  Excerptor 
verdankt  wird,  so  gerät  man  in  die  Schwierigkeit,  sich  einen  zu- 
gleich pedantischen  und  flüchtigen  Schreiber  vorzustellen,  der  einer- 
seits nur  einen  kleinen  Teil  des  Materials  auswählte,  andererseits 
aber  sich  nun  die  Mühe  nahm,  nicht  die  vorliegende  Fassung  ein- 
fach herüberzunehmen  oder  zu  verkürzen,  sondern  die  freie  Wieder- 
gabe seiner  Vorlage  nach  dem  Texte  des  Hippokrates  abzucorri- 
giren.  Warum  soll  er  ferner  den  Hauptinhalt  der  neuen  Abhand- 
lung, die  Ävooa,  geflissentlich  ignorirt  haben?  Fürchtete  er  etwa, 
durch  die  Erwähnung  der  modernen  Krankheit  die  Echtheit  des 
Briefwechsels  zu  gefährden? 

Hätte  andererseits  ein  späterer  Bearbeiter,  etwa  auf  Grund  der 
in  der  alten  Originalfassung  gegebenen  AnhaUspunkte  mit  Benutzung 
derselben  Hippokratesschriften  (de  morbo  sacro  und  Epidem.  V),  die 
neue  inhaltlich  so  veränderte  Form  geschaffen,  wie  kommt  es,  daß 
er  dieselbe  Hippokratesausgabe  benutzt  hat  wie  das  Original,  mit 
dem  er  in  guten  (Tigiiy.rai)  und  schlechten  (ov/j'al  vTiooTQOcpai) 
Lesarten,  in  Auslassungen  [IvBlvrcov  dk  xovtcov  TiEoiriv  en  ovyvä) 
wie  in  dem  Zusatz  zu  e.}'y.e(pdkov:  er  coi  eon  ra  Tj)g  y)vyj]g  über- 
einstimmt ?  \^'ie  kommt  es,  daß  sie  beide  den  aus  der  Überlieferung 
von  Buch  V  und  VII  der  Epidemien  contaminirten  Text  aufweisen? 

Ich  sehe  nur  eine  Möglichkeit,    die  Doppelform  dieses  Briefes 

y.al  roTg  ijiaivoig,  cSore  äjioxQivsoüai  ta  ysyaoia/tisva  xal  firj  rä  dhjdr)  •  iScor 
de  rovg  jigsoßeig  ov  navv  Äaxoivixovg,  ov%  t'jo&Eig  avroTg  dvzs7TiTi&7]ai  T>;v5f 
T?jv  i.-norohp'  (d.  i.  Ep.  63 1.  S.  Kaysers  Quartausg.  Zürich  1844  S.  54.  Ich 
notire  diese  Analogie,  weil  sie  die  Auffassung  E.  Meyers  (d.  Z.  LH  1917 
S.  412)  zu  stützen  scheint,  daß  die  Apolloniosbriefe  aus  einer  vollständi- 
gen Biographie  herausgenommen  seien. 


HIPPOKRATISCHE  FORSCHUNGEN  V  7<) 

zu  erklären.  Man  muß  annehmen,  der  neue  Text  stelle  eine  von 
demselben  Verfasser  angenommene  Erweiterung  und  Umarbeitung 
des  (ursprünglich  am  Anfang  natürlich  vollständigeren)  Vulgattextes 
dar.  Ich  sehe  also  in  unserer  urbinatisclien  Recension  eine  ver- 
besserte und  vermehrte  Auflage  desselben  Verfassers. 

So  erklärt  sich  die  Identität  des  Hippokratescodex  und  des 
unhippokratischen  Zusatzes  h  wi  eoti  rd  xrjg  ipvxrjg.  Und  zwar 
gab  zu  den  Änderungen  den  Anstoß,  wie  ich  vermute,  die  Be- 
nutzung des  vierten  Buches  de  morhis,  von  dem  in  der  alten  Fas- 
sung keine  Spuren  zu  finden  sind  (denn  hier  handelt  es  sich  wie 
in  der  Vorlage  ch;  morho  sacro  nur  um  (plkyiia  und  loXy],  die  auf 
das  Hirn  wirken),  während  der  neue  Text  die  vierfache  Wurzel  der 
Theorie  de  morhis  einarbeitet,  die  außer  dem  q)AEy[ia  und  der 
Xoh)  auch  noch  den  vögcoip  (dies  dem  Verfasser  von  de.  morhis 
eigene  Wort  entspricht  der  vyQorrjg  des  Verfassers  von  dn  niorho 
sacro  388,  6)  und  das  aljaa  heranzieht. 

Die  Differenz  zwischen  der  kürzeren  und  der  längeren  Fassung 
der  Demokritschen  Abhandlung  zieht  nun  aber  weitere  Gonsequenzen. 
Wenn  die  neue  Auflage  genau  die  Ankündigung  erfüllt,  welche  der 
17.  Brief  (§  20f. ;  S.  15,  8  Patzger)  von  der  Schrift  Ilegl  /navh^g  gibt 
(s.  oben  S.  60),  während  der  alte  Text  weder  den  ersten  Teil  //  rig 
xe  Etrj  noch  den  letzten  jiva  rgojiov  ajiolwcpeoixo  behandelt  und 
wohl  auch  im  vollständigeren  Zustand  nicht  behandelt  zu  haben 
scheint,  so  ergibt  sich  daraus,  daß  in  unseren  Handschriften  der 
17.  Brief  in  der  zweiten  Bearbeitung  vorliegt^).  Nun  sehe  man  sich 
das  Größenverhältnis  der  Briefe  an.  Die  übrigen  22  unserer  Samm- 
lung sind  auffallend  kurz,  und  ihr  Umfang  geht  auch  bei  den  um- 
fangreichsten nicht  über  ein  Dutzend  Paragraphen  hinaus.  Allein 
der  17.  Brief  mit  seinen  58  Paragraphen  gibt  das  Gegenstück  zu 
der  urbinatischen  Fassung  des  19.  mit  80  Paragraphen.  Beide  ge- 
gehören also  zur  zweiten  sehr  erweiterten  Auflage  und  sind  auf- 
einander berechnet. 

Zu  bedenken  ist  ferner,  daß  der  alte  Text  dem  Titel  üegl  juavir]g 
entsprechend  nur  das  Wort  jLiaireodm  enthält  (§  1,  oben  S.  61.), 
während  der  neue  beständig  von  Xvooa,  Ivüoäv  und  den  Symptomen 
der  Hundswut  spricht.     So  komme  ich  zu  der  Vermutung,  daß  der 

1)  Auch  die  Sektion  der  Tiere  ep.  17  §  21,  um  die  Beschaffenheit 
der  Galle  festzustellen,  entspricht  der  späteren  Bearbeitung,  welche  das 
Vorkommen  der  Ivooa  bei  gewissen  Tieren  hervorhebt.     19  §  '22  Urb. 


80  H.  DIELS 

Verfasser  selbst,  angeregt  durch  eins  der  damals  gerade  erschiene- 
nen oder  ihm  bekannt  gewordenen  Bücher  über  die  Hundswut 
(s.  oben  S.  73)  und  durch  die  darin  mitgeteilte  Ansicht  des  'De- 
mokrit'  über  die  Lyssa,  dem  Roman  eine  pikante  Neuigkeit  einver- 
leiben wollte,  die  gestattete,  den  Altmeister  Demokrit  mit  den  Er- 
rungenschaften der  modernen  Medicin  auszustatten  und  zugleich 
auch  die  wieder  in  Aufnahme  gekommene  Pneumalehre  anzu- 
bringen. 

Nun  erklären  sich  auch  die  Zusätze  hinter  den  Epidemien- 
citaten  §  51.  52,  welche  in  dem  alten  Texte  fehlen.  Der  erste  dieser 
beiden  Fälle,  wo  der  Kranke  beim  Anblick  von  Flüssigkeit  die 
Vision  eines  Hundes  hat,  ist  ebenso  wie  der  zweite,  wo  der  Kranke 
durch  ein  Bad,  das  er,  wie  es  scheint,  mit  einem  von  ihm  nicht  be- 
merkten Hunde  teilte,  geheilt  wird,  der  späteren  Literatur  über  Hydro- 
phobie entnommen,  da  die  alte  Medicin,  wie  gesagt,  diese  Krank- 
heit nicht  berücksichtigt.  Daß  diese  von  dem  Verfasser  zur  zweiten 
Auflage  benutzte  Schrift  IIfoI  Ivoorjg  ebensowenig  ein  Echo  in  der 
späteren  ärztlichen  Literatur  gefunden  hat,  welche  hauptsächlich 
den  Philumenos  und  Markellos')  von  Side  ausschreibt,  wie  die 
Gestalt  seines  Hippokratescodex  einen  Vertreter  in  unserer  byzanti- 
nischen Überlieferung  aufzuweisen  hat,  beweist  meines  Erachtens, 
daß  die  Abfassung  auch  der  neuen  Fassung  des  Briefes  soweit  wie 
möglich  zurückverlegt  werden  muß.  Verbindet  man  dies  Ergebnis 
mit  dem  Resultat  der  Recensio,  das  Pohlenz  ermittelt  hat,  so 
leuchtet  ein,  daß  seine  beiden  Recensionen  A  und  G  der  Briefe  4.  5, 
die  nur  wenige  Jahre  nach  der  Abfassung  des  Briefromans  ent- 
standen und  bereits  im  Oxyrhynchospapyrus  verbunden  worden  sind, 
identisch  sein  müssen  mit  den  beiden  Auflagen,  die  wir  jetzt  im 
Br.  19  unterscheiden,  und  ebenso  mit  den  beiden  Formen,  die 
Br.  6  zeigt: 

Codd.  Pap.  Oxyrh.  1184  Z.  28  (IX  197) 

'iTiTioxQdrfjg  At]^ui]TQicoi  y^aiQeiv.       'IjiJioxodT7]g  rogyia  xöi  (ptX- 

jäxo)  nleiara  xaioiv  xai  vyi- 
alvLV. 
BaoiXevg      TTegGecov      fjjLieag  BaoiXevg    6  Uegoecov    juera- 

jueTajxejUJierai    ovx     eldcog,     özi     Jiejuxpao&ai      f]/ueag      eßovXtj&r} 


1)  S.  Röscher,   Das  von  der  Kynanthropie  handelnde  Fragment  des 
Marcellus  v.  Side,  Abb.  d.  Sachs.  Ges.  d.  W.  XVII  phil.  bist.  III  (1896). 


HIPPOKRATISCHE  FORSCHUNGEN  V  81 

Xoyog  Ejuol  ooqoirjg  xQ^^^v  tiXeov     enl    xQ^^^f-    ^^    ^^i^     clqyvqüji 
övvaxai.  TzavjiXrjßet    äyvocov,   ort    Xoyog 

6  ifiög  ooq)ir]  HsxQrjjuevog  XQ^~ 
oov  jue^ova  övvajuiv  exsi' 
Nähmen  wir  an,  ein  Abschreiber  habe  das  Bedürfnis  nach  Va- 
riation des  Stils  empfunden,  wie  das  so  oft  den  Anlaß  zu  Umfor- 
mungen gegeben  hat  (z.  B.  Brief  des  Aristeas  bei  Joseph.  Anl. 
XII  7 ff.),  so  verstünde  man  nicht  den  Wechsel  des  Adressaten. 
Liegt  aber  der  von  dem  Verfasser  in  mehreren  seiner  Briefe  an- 
gebrachte Scherz  zugrunde,  seine  eigenen  Gönner  und  Freunde  als 
Adressaten  des  klassischen  Briefwechsels  einzuführen  und  so  ver- 
steckte Widmungen  anzubringen,  so  läßt  sich  leicht  denken,  daß 
der  Verfasser  Anlaß  hatte,  bei  einer  zweiten  Auflage  mit  einem 
Namen  zu  wechseln,  wie  es  Cicero  in  den  beiden  Auflagen  seiner 
Academica  tat.  Es  ist  wohl  vergeblich,  diese  Freunde  Demetrios 
=  Gorgias  (Br.  6;  vgl.  24),  Amelesagores  (Br.  11),  Philopoimen 
(Br.  12),  Dionysios  v.  Halikarnaß  (Br.  13)  mit  historischen  Persön- 
lichkeiten identificiren  zu  wollen.  Nur  drei  Namen  geben  über  Zeit 
und  Ort  der  Abfassung  einen  gewissen  Anhalt.  Der  erste  ist  Da- 
magetos  aus  Rhodos,  der  das  Schiff  "AXiog  ^)  dem  Hippokrates  aus- 
rüstet. Dieser  Name  ist  in  Rhodos,  wie  die  Steine  lehren,  seit 
dem  ersten  vorchristlichen  Jahrhundert  weitverbreitet,  und  es  ver- 
steht sich  von  selbst,  daß  der  Verfasser,  der  mit  den  Örtlichkeiten, 
den  Sitten  und  der  Geschichte  von  Kos  und  der  kölschen  Askle- 
piadenschule  gut  Bescheid  weiß''^),  zu  Rhodos,  dem  geistigen  und 
merkantilen  Centrum  der  Gegend,  engere  Beziehungen  gehabt  hat. 
Für  die  Zeit  der  Abfassung  hat  Marcks  ^)  mit  Recht  an  das 
Compliment  angeknüpft,  mit  dem  der  Br.  16  beginnt:  'InnoxQa.xt'jg 
Kgarevai  xaiQ^iv-  'Emarajuai  oe  Qi^OTOfiov  ägiorov,  c5  haTge,  xal 

1)  Dem  ejiiar}fiov"Ahog  (d.  h.  der  Wimpel  mit  der  Aufschrift  "JAto?), 
das  bei  einem  rliodischen  Schiffe  keines  Commentars  bedarf,  soll  nach 
Br.  17  (13,  3)  auch  noch  das  sjiioTjfiov  'Yyieia  zugesellt  werden,  nachdem 
sich  Demokrit  als  gesund  herausgestellt  hat  und  dadurch  die  Heiilmis- 
sion  des  Hippokrates  glänzend  erfüllt  ist.  Die  Worte  zrjv  "Aoxlrjniäöa 
vrja,  rji  [R:  ^v  cett.]  Jigör  ''«■c  [R:  jiQÖ&sg  h:  utgöo^s  M;  Tigöodev  ürb.  68] 
HETOL  Tov'AUov  EJiiorjfj.ov  xal  j;  .  '^bR:  vyifj  MÜV  Urb.]  hat  der  neueste 
Herausgeber  wie  manches  andere  nicu.      rstanden.   Das  Urteil,  das  Wila- 

I  ■)     :        über  diese  Recensio  fällte,  ist  leider  richtig. 

2)  Herzog,  Kölsche  Forsch,  u.  Funde  217  u.  ö.;  Wilamowitz  a.  0. 

3)  Symb.  ad  epistologr.  gr.  S.  43. 

Hermes  LUX.  6 


82  H.  DIELS 

öid  rer]v  äox)]oiv  y.ai  dia  TXQoyovoiv  xkeog,  (bg  [xrjdev  änodeXv  os 
xov  TigoTTOLTogog  Kgazeva  '  vvv  ovv,  el  xai  noze  aXlors  ßoravo- 
löytioov  xtX.  Der  Verfasser  nennt  also  seinen  Freund  einen  Nach- 
kommen des  unter  Milliradates  Eupator  tätigen,  für  das  ganze  Alter- 
tum maßgebenden  Rliizotoraen  Krateuas.  Wenn  also  Marcks  und 
neuerdings  Pohlenz  an  einen  gleichnamigen  Enkel  des  berühmten 
Krateuas  denken,  kämen  wir  mit  der  Abfassung  des  Briefromans 
auf  die  Zeit  des  Augustus  ^). 

Aber  der  Ausdruck  jigoTidrogog  kann  ja  auch  den  Urgroß- 
vater, überhaupt  den  Stammvater  des  Geschlechtes  bedeuten.  Und 
i  ch  glaube  in  der  Tat,  daß  wir  noch  um  eine  Generation  herab- 
gehen müssen^).  Im  ersten  Briefe  wendet  sich  Artaxerxes  an  einen 
nicht  näher  charakterisirten  Paitos  und  bittet  ihn  wegen  der  verderb- 
lichen Pest,  die  sein  Heer  ergriffen  habe,  um  Hilfe.  Im  zweiten  emp- 
fiehlt ihm  Paitos  den  Hippokrates,  indem  er  ausführlich  seinen  Stamm- 
baum von  Asklepios  ab  mitteilt  und  seine  Kunst  anpreist.  Man  muß 
demnach  annehmen,  daß  dieser  Paitos,  unter  dem  wir  uns  einen 
Satrapen  Kleinasiens  denken  sollen,  diese  Vermittlung  zwischen  Kos 
und  dem  Perserkönig  angebahnt  habe.  Warum  später  der  Groß- 
könig mit  Hystanes,  dem  vjiag)(og  "ElXrjOTiovTOv ,  in  dieser  An- 
gelegenheit weiter  verhandelt,  wird  nicht  klar.    Vermutlich  soll  der 

1)  Wäre  die  Annahme  von  Wilaniowitz,  Ilias  a.  0.  richtig,  daß 
vielmehr  an  die  Zeit  und  die  Sphäre  des  Poseidonios  zu  denken  wäre, 
so  müßte  der  Verf.  den  berühmten  Rhizotomen  Krateuas  selbst  meinen. 
Aber  daß  ein  gleichnamiger  Vorfahre  des  Krateuas  gelebt,  der  Ruhm 
als  Rhizotom  erworben  habe,  ist  weder  bekannt  noch  wahrscheinlich. 
Der  Beiname  QiCoiöfiog  haftet  Krateuas  beinahe  so  fest  an,  wie  cpvatxög 
dem  Straton.  Die  berühmte  Wiener  Dioskurideshs.  s.  V,  die  auf  Phar- 
makopötn  des  3.  oder  4.  Jahih.  zurückgeht,  nennt  ihn  fast  regelmäßig 
Kgaievag  giCoTo/my.ög.  S.  M.  Wellmann,  Krateuas,  Abh.  d  Gott.  Ges.  phil. 
hist.  N.  F.  11  1  (Berlin  1877)  S.  11  ff. 

2)  Wir  dürfen  andererseits  nicht  über  die  Mitte  des  1.  Jahrh. 
n.  Chr.  hinuntergehen,  da  der  Pap.  1184  mit  Dokumenten  der  J.  "24 — 25 
zusammen  g(-funden  wurde  und  die  Schrift  nicht  wohl  später  als  in  die 
Mitte  des  1.  Jahrh.  gesetzt  werden  kann  (HuntO.  P.  IX  195).  Das  Zeug- 
nis des  Erotian,  der  als  ernter  die  Hippokratesbriefe  citirt  haben  soll, 
ist  sehr  zweifelhaft,  da  er  ah^irpäQf.iaHa  wahrscheinlich  rieht  aus  den 
Briefen,  sondern  aus  einer  verlorenen  Schrift  des  Hippokrates  entnommen 
hat  (^vgl.  Nachmanson,  Erotianstudien  3l5,  1).  AVie  sollte  man  damals 
auch  diesen  Roman  in  Grammatikerkreisen  als  echt  haben  behandeln 
können!  Auch  würde  der  Glossograph  z.  B,  aus  ep.  23  mehr  gegeben 
haben. 


HIPPOKRATISCHE  FORSCHUNGEN  V  83 

Beamte,  der  von  Hippokrales  die  stolze  Absage  erhält,  nicht  bloß- 
gestellt werden.  Denn  es  ist  ja  längst  vermutet  worden,  daß  sich 
hinter  diesem  Paitos  ein  römischer  Großer  namens  Paetus  verbirgt, 
dem  der  Verfasser  der  Hippokratesbriefe  durch  die  Nennung  im 
ersten  Briefe  sein  Werk  gleichsam  widmet.  Es  war  nun  wohl  eine 
unrichtige  Vermutung  von  mir,  unter  den  wenigen  Paeti,  die  nach 
ihrer  Stellung  in  jener  Zeit  in  Betracht  kommen  konnten,  den 
P.  Clodius  Thrasea  Paetus  zu  verstehen.  Aber  wohl  kommt  sein 
Schwiegervater  Caecina  Paetus  in  Betracht,  der  im  J.  42  unter 
Claudius  Selbstmord  beging,  nachdem  ihm  seine  Gattin  heroisch 
im  Tode  vorangeixangen  war.  Plinius  ^)  nennt  ihn  einen  vir  consu- 
lans.  Da  wir  nun  durch  die  milesische  Inschrift  über  die  Kabiren  2) 
erfahren,  daß  ein  Caecina  Paetus  als  Proconsul  in  Kleinasien  tätig 
war,  so  läßt  sich  doch  kaum  der  Annahme  ausweichen,  daß  der 
koisfhe  Arzt  und  Schriftsteller  seine  Schrift  unter  die  Auspicien  des 
dort  maßgebenden  höchsten  Beamten  hat  stellen  wollen,  indem  er 
die  geschmacklose  Namensvermummung  in  den  beiden  ersten  Briefen 
vornahm.  Ich  nehme  also  an,  daß  die  Entstehung  der  Briefe  unter 
Tiberius  oder  Caligula  fällt,  obgleich  sich  das  Gonsulat  (consul  suf- 
fectus)  und  Proconsulat  dieses  Caecina  Paetus  nicht  genauer  feststellen 
läßt.  Freilich  gibt  es  im  1.  Jahrh.  noch  einen  zweiten  Paetus,  der 
für  die  milesische  Inschrift  in  Betracht  kommen  könnte:  C.  Caecina 
Paetus,  der  Consul  suffectus  Ende  des  J.  70,  der  entsprechend  der 
damals  üblichen  Frist  zwischen  Gonsulat  und  Proconsulat  dann 
80—82  n.  Chr.  Proconsul  in  Asien  gewesen  sein  müßte ^).  Welche 
Gründe  Wiegand  veranlaßt  haben,  nur  den  älteren  Caecina  Paetus 
mit  der  milesischen  Inschrift  in  Verbindung  zu  bringen  (etwa  Aus- 
sehen der  Schrift?)  vermag  ich  zur  Zeit  nicht  festzustellen.  Sicher 
ist,  daß,  wer  die  Beziehung  zu  den  Hippokratischen  Briefen  ein- 
leuchtend findet,  nur  an  den  älteren  denken  kann.  Unter  den  köl- 
schen Asklepiaden,  die  als  Verfasser  der  Hippokratesbriefe  zunächst 
in  Betracht  kommen  könnten,  dürfte  man  also  an  einen  der  beiden 
Brüder,  entweder  Sterlinius  Corn(elia  tribu)  Xenophon  oder  dessen 
älteren  Bruder  Q.  Stertinius  denken,  welche  Herzog  *)  vermutungs- 

1)  ep.  III  16,  8. 

2)  Wiegand,   6.  Bericht  über  Milet,  Ahh.  d.  Berl.  Akad.  1908  S.  2G. 

3)  So   Dessau   (brieflich),    der  die  betrelFenden  Inschriften    unter 
N.  6049  und  5929 a-b  in  seinen  Inscr.  1.  selectae  II  1,  459.  483  gibt. 

4)  Koische  Forsch.  'J18.    S.  Stammbaum  S.  191, 

6* 


84  H.  DIELS 

weise  mit  der  Abfassung  der  Briefe  in  Verbindung  gesetzt  hat. 
Wäre  etwa  der  berühmtere  Xenophon,  der  Leibarzt  des  Claudius, 
der  Verfasser,  so  würde  die  Abfassung  noch  in  seine  Jugend  fallen 
und  in  seinen  Aufenthalt  in  der  Heimat. 

Natürlich  sind  von  dem  Roman  die  älteren,  wertvollen  Bestand- 
teile des  Anhangs  25.  Aoyjua'A^rjvaicov,  26.  'Emßcojuiog,  27.  ügea- 
ßevrixog  QeooaXov  'InTcoxQdjovg  vlov  fernzuhalten ,  obgleich  sie 
als  Keimzellen  des  Briefromans  anzuerkennen  sind  ^).  Die  Briefe  da- 
gegen selbst  1 — 24  halte  ich  für  die  einheitliche  Arbeit  eines  Ver- 
fassers, da  die  gegenseitigen  Beziehungen  klar  sind  und  die  aller- 
dings vorhandene  Stilverschiedenheit  sich  teils  aus  den  Absichten 
der  Charakteristik,  teils  aus  den  Stilvorlagen  des  Verfassers  erklärt. 
Die  inhaltlichen  Diskrepanzen,  die  sich  in  Kleinigkeiten  finden 2), 
dürfen  dagegen  nicht  in  Betracht  kommen,  zumal  wir  ja  die  beiden 
Fassungen  nur  an  wenigen  Stellen  gegeneinander  halten  können. 
Jedenfalls  geht  es  nicht  an,  die  Lücke,  welche  ein  Ast  der  Hand- 
schriftenüberlieferung gemeinsam  mit  den  beiden  Berliner  Papyri  zeigt 
(Briefe  6  — 10  fehlen),  zur  Scheidung  einer  älteren  und  einer  jün- 
geren Schrift  zu  benutzen^).  Denn  die  Ablehnung  des  Hippokrates, 
zum  Grofäkönig  zu  gehen,  und  die  stolze  Antwort  der  Koer  auf 
dessen  Ultimatum  sind  der  notwendige  Auftakt  zu  der  Einladung 
der  Abderiten  (Br.  10),  die  der  Br.  11  des  Hippokrates  notwendig 
voraussetzt.  Der  Kernpunkt  des  ganzen  Briefromans  ist  der  17., 
der  allein  ein  Drittel  des  Ganzen  ausmacht  und  das  unauslösch- 
liche Lachen  des  Demokrit  über  der  Welt  Torheit  mit  mehr  Be- 
hagen als  Witz  darstellt*).  Es  würde  mir  leid  tun,  wenn  Horaz 
den  'lachenden'  Demokrit  (ep.  II  1,  194)  diesem   liederlichen  Mach- 


1)  Herzog  a.  0.  20L  215 f. 

2)  Ermerins,  Hippocr.  III  Prol.  S.  LXXXIfi.     S.  Marcks  a.  0.  S.  31. 

3)  So  Herzog  a.  0.  217.    Dagegen  Pohlenz  a.  0. 

4)  Die  Bewunderung,  die  Herzog  a.  0.  218  dem  Stil  des  Verf.  zollt, 
kann  ich  nicht  teilen.  So  interessant  für  den  Forscher  diese  Imitation 
der  alten  las  und  ihre  buntscheckige  Mischung  mit  modemer  Koine 
und  rhetorischem  Flitter  sein  mag,  geschmackvoll  wird  man  diese  Epi- 
stolographie  sowenig  finden  dürfen  wie  die  übrige  damals  blühende 
Fabrikation  von  Pseudobriefen ,  welche  unser  Briefcorpus  füllen.  Ich 
stimme  mit  Ermerins  a.  0.  S.  LXXXIII  überein,  der  die  Widersprüche 
dieses  mediocris  scriptor  hervorhebt  und  zugesteht,  daß  ^)/i<rt»ja  leguntur 
quae  perabsurda  sunt,  trotzdem  aber  die  Einheit  des  Verfassers  fest- 
hält, qui  quali  ingenio  fuerit,  inde  sitnul  apparet. 


1 


HIPPOKRATISCHE  FORSCHUNGEN  V  85 

werk  zu  verdanken  hätte,  wie  man  wohl  vermutet  hat^).  Denn 
bereits  Cicero  (De  orat.  II  58,  235)  scheint  das  Demokritische  Lachen 
zu  kennen,  und  dies  Lachen  war  im  Zeitalter  der  kynischen  Diatribe 
(in  diesem  Ton  ist  auch  der  17.  Brief  abgefaßt)  fast  der  einzige 
Überrest  der  Demokritischen  Weisheit.  Sein  Buch  über  die  Heiter- 
keit {Tleol  £vßv/nh]g)  wird  wohl  neben  den  Bücherkatalogen  (Thra- 
syllos)  und  Sentenzensammlungen  das  einzige  gewesen  sein,  das  zu 
Beginn  der  Kaiserzeit  von  ihm  noch  gelesen  wurde  und  unserem 
Verfasser  zugänglich  war. 

Der  neue  Text  lehrt  daher  nichts  für  Demokrit.  Denn  der 
verzweifelt  dumme  Mißgriff,  den  Hippokrates  durch  seine  eignen 
Gitate  belehren  zu  wollen,  erklärt  sich  ebenso  durch  diesen  Mangel 
au  Quellenmaterial,  wie  der  weitere  Mißgriff,  die  Manie  auf  die  Spe- 
cialbehandlung der  Lyssa  hinauszuspielen,  durch  die  ihm  nachträg- 
lich in  die  Hände  gefallene  Notiz  aus  Demokrit -Bolos  bedingt  ist. 
Trotzdem  ist  der  neue  Fund  wenigstens  für  die  spätere  Medicin- 
geschichte  von  einigem  Wert.  Denn  er  gibt  aus  der  modernen 
Specialliteratur  eine  Reihe  von  wertvollen  Angaben,  welche  die 
zeitgenössischen    und    späteren  Ärzte  von  Celsus  an  nicht  bringen. 

Wichtig  ist  ferner  der  neue  Text  auch  für  die  Geschichte  des 
Hippokratestextes,  wie  ich  an  einigen  Proben  gezeigt  habe.  Daß 
die  damals  vorhandenen  Handschriften  des  Gorpus  von  zahlreichen 
und  zum  Teil  unglaublichen  Fehlern  entstellt  waren,  wissen  wir 
aus  Galens  Gommentaren.  Auch  die  Herausgeber  und  Lexicogra- 
phen  edirten  und  commentirten  Monstra,  die  der  modernen  Wissen- 
schaft abenteuerlich  vorkommen  müssen  2).  So  ist  es  schließlich 
auch  zu  begreifen,  daß  der  Verfasser  der  Abhandlung,  der  sich  als 
stilistischen  Leitfaden  hauptsächlich  das  vierte  Buch  de  morbis  mit 
seinem  von  der  übrigen  las  des  Gorpus  abweichenden  Stile  aus- 
gewählt hat,  auch  die  im  damaligen  Texte  bereits  vorhandenen 
Solöcismen  als  besonders  hervorstechende  Archaismen  in  seiner  Ab- 
handlung nachgeahmt  hat.  Der  alte  Arzt  schreibt  c.  43  (VII  564. 
19)  y.al  e^otjCe  öid  Jiavrdg  tov  yoovov  6  uv§ooiJiog,  £7ii]v  äno- 
Tiarrjoeie  Koi  ovq}']oeiev,  avzixa  Tzooiog  koI  ßgcooiog  und  so  öfter  ^). 
Da   man   im  Homer  (z.  B.  ß  105)   und  Herodot  (1,  196)  Ähnliches 

1)  Vgl.  Mareks  S.  42. 

2)  Vgl.  Klein  zum  Erotian  S.  LIX  A.  59.  Nachmanson,  Erotian- 
stud.  (Upsal.  1917)  505. 

3)  S.  oben  zu  §  54  TiQoaatpeiev. 


86  H.  DIELS 

las,  was  in  unsern  Texten  in  der  Regel  emendirt  wird,  so  mag 
dergleichen  für  das  archaisirende  Lesepublikum  der  Kaiserzeit  einen 
besondern  Reiz  gebildet  haben  ^).  So  ahmt  er  den  mehrmals  dort 
gebrauchten  Aorist  eo}'jjui]vov'^)  nach  und  scheint  die  mehrfach  auf- 
tretende Form  eodoeiev^)  von  eoatooeiv  abzuleiten  statt  von  ioateiv, 
da  er  nicht  wie  die  Vulgata  soaoeie  rb  ocöjua,  sondern  (ähnlich  wie 
cod.  H)  iodooEie  dv  ig  t6  ocojLia  gelesen  zu  haben  scheint.  Es 
versteht  sich  von  selbst,  daß  er  die  Unform  oivoiaio  =  oivoixo 
seinem  Original  treulich  abgeguckt  hat,  so  daß  §  32  das  erstaun- 
liche Griechisch  zu  lesen  ist:  6  eyyJq)a?.og  .  .  .  8m]7>  Mßoi,  oi- 
voiaro  uv.  Freilich  haben  aus  dem  ähnlichen  Motive  der  Glossen- 
jägerei heraus  bereits  Kallimachos  und  Nachahmer  solche  Ungeheuer 
in  ihren  Poesien  angebracht*).  Bemerkensu^ert  ist,  daß  der  Ver- 
fasser nur  solange  er  im  Bannkreis  seiner  ionischen  Quelle  ist, 
solche  Formen  verwendet.  Ja  er  fällt  sogar  da,  wo  er  offenbar 
einer  Koinequelle  folgt  §  36,  in  die  übhche  Form  egiov  statt  eXqiov 
zurück,  ähnlich  wie  Erotian. 


1)  Berechtigt  ist  die  Nebenform  Atj/noxQizEco,  die  der  Verf.  der 
Briefe  öfter  neben  Arjfioxgizov  verwendet.  Denn  wie  attisch  vsavtas  nach 
Analogie  der  zweiten  Ueklination  vsaviov  bildet,  so  sagte  man  umge- 
kehrt ionisch  statt  Kqoioov,  Baxzov  auch  Kqoioeco,  Bärrsco  usw.,  wie  im 
Herodot  häufig  zu  lesen  ist. 

2)  S.  oben  zu  §  56  öiso^/urjvov. 

3)  S.  oben  zu  §  83. 

4)  S.  0.  Schneider  zu  Kalüm.  fr.  521.  Ursache  des  Mißgriffs  war 
auch  hier  die  blmde  Nachahmung  verderbter  Stellen  der  epischen 
Poesie.  Ein  scherzhaftes  Beispiel,  wie  der  Verf.  die  Corruptelen  seiner 
Eippokrates -Vulgata  gedankenlos  herübernimmt,  ist  der  21.  Brief  {jtsqI 
i?J.sßoQio/^iov),  wo  es  heißt,  man  dürfe  die  Helleboruskur  nicht  anwenden 
(S.  24,  27)  /J,i]  (paQixay.eveiv  zovg  aygöovg,  zovg  ßgay^codFug,  zovg  ojih]vcüdeag, 
rovg  d(pai/iiovg.  Littre  übersetzt  das  letzte  Wort  anemiques:,  aber  ä(pai[j,og 
ist  kein  Griechisch.  Hesych  kennt  freilich  atpaifxoi,  aber  in  der  Bedeu- 
tung auoyovoi,  evysvsTg.  'Anämisch'  heißt  griechisch  ?u<paif.iog.  Schlägt 
man  nun  die  von  dem  Briefschreiber  unter  dem  Titel  IJegl  jiztodv}]g 
citirte  Stelle  des  Hij^pokrates  auf.  die  in  unsern  Ausgaben  als  Anhang 
zu  UsqI  diaizr)g  o^scov  erscheint,  2'i  (Kühlewein  1  173,  19),  so  steht  hier 
richtig  zovg  ?uq)at/.iovg  in  der  unrichtigen,  aber  von  Kühlewein  gedul- 
deten itaciitischen  Orthographie  der  führenden  Hs.  A  Xeicpaifiovg.  Die 
alte,  richtige  Orthographie  hat  in  leichter  Verderbnis  der  andere,  durch 
M  vertretene  Ast  der  Hippokiatesüberlieferung:  ai(pai'f.iovg.  Diese  Hs.  hat 
dann  i(fai/.iovg  gebessert  und  so  liest  auch  der  Vatic.276(V).  Wie  alt 
diese  Vulgata  ist,  sieht  man  nun  aus  dem  Citat  des  Briefschreibers. 


HIPPOKRATISCHE  FORSCHUNGEN  V  87 

In  merkwürdigem  Conlrasle  zu  den  Fossilien,  die  der  Verfasser 
ausgegraben  hat,  stehen  die  zahlreichen  Neologismen,  die  er  sich  hat 
entschlüpfen  lassen.  Es  finden  sich  späte  Wörter  wie  §  1  nagaoi- 
yäv  (Strabo),  §  40  dsiyjiiaTtCeiv  (N.  Test.),  §  51  gaviiCetv  (N.  Test.), 
§  56  örjlYjxriQiov  (Joseph.  B.  lud.  I  272),  §  62  igarnäv  (Ach.  Tat. 
6,  20,  1)  und  späte  Formen  im  §  56  jigood^i^tg  (Batrachom.  115. 
119) ')  und  ebenda  ävadQdjirjxai  (Philipp.  Anlhol.  IX  575,  4).  Diese 
Übersicht  mag  hinreichen,  um  auch  von  dieser  Seite  her  die  Ent- 
stehungszeit des  Stückes  zu  sichern.  Nichts  rät  dazu,  sie  früher  oder 
später  als  an  den  Anfang  des  1.  nachchr.  Jahrh.  zu  setzen.  Schließlich 
heimst  das  griechische  Lexicon  noch  eine  Reihe  von  neuen  Wörtern  ein  : 
§  15  diaiTrjjuaTcbdrjg  (f)  vovoog),  d.  h.  abhängig  von  der  Lebens- 
weise, ferner  §  54  qjaojLiariäv  (Gespenstersehen),  endlich  §  68  jivQO- 
(poßeXodat  und  y.Q}]^vo(poßElo&ai  als  Symptome  der  Wasserscheu. 
Das  bereits  aus  der  allen  Fassung  bekannte  7iQi]HTt]g,  das  aber  in 
den  Wörterbüchern  nicht  gebucht  war,  ist  bereits  oben  behandelt. 
Es  ist  nicht  wahrscheinlich,  daß  der  Verfasser  diese  neuen  Wörter 
alle  selbst  gebildet  hat.  Vielmehr  wird  er  auch  hier  dasselbe  Ver- 
hältnis zu  seinen  medicinischen  Quellen  innegehalten  und  deren  mo- 
dernere Ausdrücke  unbefangen  herübergenommen  haben.  Indem  er 
so  seinen  Zeitgenossen  unter  dem  durchsichtigen  Mantel  antiker 
Medicin  moderne  Wissenschaft  vorsetzte,  glaubte  er  gewiß  seinem 
albernen  Roman  in  der  neuen ,  vermehrten  Auflage  eine  bessere 
Gestalt  gegeben  zu  haben.  Wenn  ernste  Leute  wie  Plutarch  und 
Soran  sich  um  diesen  Pseudobriefwechsel  gekümmert,  wenn  in 
Ägypten  sich  bereits  drei  Exemplare,  die  aus  den  ersten  Jahr- 
hunderten der  Kaiserzeit  stammen,  vorgefunden  haben,  so  hat  der 
Verfasser  seine  Zeit  wohl  richtig  eingeschätzt.  Der  Democr'itns 
ridcns  dieses  Romans  hat  in  der  Tat  die  wirkliche  Gestalt  des 
Abderiten  auf  mehr  als  anderthalb  Jahrtausende  verdunkelt. 


1)  Zu  den  Stellen  der  Batrachomachie  finden  sich  alte  und  neue 
Anderungsvorschläge.  Über  die  späte  Entstehung  des  Machwerks  vgl. 
Wackernagel,  Sprachl.  Unters,  z.  Homer  S.  198,  der  mit  dem  Ansatz  bis 
zu  Augustus  herabzugelien  Lust  hat.  Der  Aorist  ä^ai  ist  auch  in  die 
Vulgata  des  Hipp.  d.  morb.  III  .S  (126,23)  eingedrungen:  6'ts  av  x'^^V^' 
cL^rji,  wo  ^  das  richtige  o  xo^^jv  ä^ei  gibt. 

Berlin.  H.  DIELS. 


GEMMEM  MIT  DER  INSCHRIFT  MNII^^OIL 

Eine  Anzahl  von  geschnittenen  Steinen,  die  alle  der  Kaiserzeit 
angehören,  zeigt  die  nicht  ohne  weiteres  verständliche  Inschrift 
MNHZQH.     Mir  sind  folgende  bekannt: 

1.  Karneol  in  Ravenna:  Hirschkuh  mit  Umschrift  MNHZQH. 
Le  Blant,  une  collection  de  pierres  gravees  ä  Ravenne  in  Rev. 
arch.  1883  I  302  n.  11.  Ficoroni,  gemmae  antiquae  litteratae  V  5 
beschreibt  offenbar  denselben  Stein,  gibt  aber  als  Inschrift  MNHZON 
an,  darnach  auch  GIG  7355.  Le  Blant  aber,  der  den  Stein  ge- 
sehen hat,  erklärt,  es  stehe  MNHZ&H  da.  Wir  werden  ihm 
daher  glauben  müssen,  obwohl  er,  ohne  ein  Wort  zu  sagen,  also 
irrtümlich,  in  seiner  Abhandlung:  750  inscriptions  de  pierres  gra' 
vees  in  den  Memoires  de  1'  Academie  des  inscriplions  et  belles- 
lettres  36  I  (1898;  im  folgenden  mit  Le  Blant  citirt)  p.  44  zu 
n.  113  als  Inschrift  MNHZON  angibt.  Derselbe  Irrtum  ist  ihm 
auch  beim  folgenden   Stein  passirt. 

2.  Karneol  in  Ravenna;  Inschrift  nach  Le  Blant,  Rev.  arch. 
1883  I  302  n.  8:  MNHZSH  BAIIAEA  EIAAPOY.  Bei  Fico- 
roni VI  14,  GIG  7352  und  Le  Blant  zu  n.  113  wird  wieder  MNHZON 
angegeben;  vgl.  die  Bemerkung  zu  1.  Noch  einmal  finden  wir  diese 
Inschrift  bei  Ficoroni  VI  1  und  darnach  auch  GIG  7351:  6  dovg 
rgrjyöiQiog)  juvi]OOv.  Nach  dem  Gesagten  liegt  die  Vermutung 
nahe,  daß  auch  hier  MNHSGH  steht,  zumal  da  nach  Ficoronis 
Abbildung  der  letzte  Buchslabe  nicht  lesbar  ist.  Der  einzige  Unter- 
schied, der  in  Whklichkeit  aber  keiner  ist,  bleibt  dann  der  Punkt 
im  O.  Doch  lassen  wir  diesen  Stein  beiseite,  weil  die  Lesung 
nicht  sicher  ist.  Ficoronis  Irrtum  bei  den  beiden  genannten  In- 
schriften ist  leicht  erklärlich,  wenn  wir  bedenken,  daß  H  und  N 
einander  sehr  ähnlich  sind;  wurde  doch  ^  oft  durch  //geschrieben, 
so  auf  der  nachher  anzuführenden  Berliner  Gemme  n.  6763.  Manch- 
mal hat  es  sogar  einen  schrägen  Querstrich  und  gleicht  dem  N 
fast  völlig;  s.  Larfeld,  Griech.  Epigr.  ^  271. 


GEMMEN  MIT  DER  INSCHRIFT  MNHZOH  89 

3.  Karneol  mit  bärtigem  Kopf  in  Florenz.  MNH2QH 
OAYMniAS.  Gori,  mus.  Flor.  II  12,  3  =  S.  Reinach,  pierres 
gravees  pl.  50.     GIG  7353.     Le  Blant  zu  n.  119. 

4.  Amethyst  in  Paris.  MNHZSH  EYSENIA.  Le  Blant 
n.  118. 

5.  Karneol,  Sammlung  Le  Blanl  n.  119.  MNHZeii  KA- 
TAIAAA. 

6.  Jaspis  im  römischen  Kunsthandel ;  Bestrafung  des  Eros. 
MNHZ0H  NEIKH.     Le  Blant  n.  168. 

7.  Karneol  mit  Opferscene.  MNHZSH  AKYAA.  Tassie- 
Raspe,  Catalogue  raisonne  d'une  collection  de  pierres  gravees  I  982. 

8.  Jaspis  in  Berlin :  Eine  Maus  nagt  an  einem  Brote  (?). 
MNHZQH  OEOrENEIS.  GIG  7354.  Furtwängler,  Beschrei- 
bung der  geschn.  Steine  im  Antiquar,  in  Berlin  n.  8576. 

9.  Jaspis  im  Herzoglichen  Museum  in  Gotha.  MNHZQH 
EYHSHZ.  Der  Stein  stammt  aus  dem  griechischen  Osten,  wie 
mir  Herr  Geheimrat  Purgold  in  Gotha  freundlichst  mitteilte. 

Hierzu  kommt  noch:  10.  Goldring  aus  Syrien.  MNHZQH 
EAAENOZ.     Le  Blant  n.  117. 

11.  Eine  am  jrroßen  Tempel  in  Baalbek  flüchtig  eingemeißelte 
Inschrift:  MNHZSH  MAFNOYZ.  Jahrb.  d.  arch.  Inst.  XVI 
(1901)  S.  154. 

Was  bedeutet  das  merkwürdige  3INHZSH?  Gori  und  die 
Herausgeber  des  CIG  zu  n.  7552  sehen  es  als  Imperativ  an, 
=  juvijoß^t]Ti',  es  ist  zuzugeben,  daß  diese  Erklärung  dem  Sinne 
nach  zutrifft.  Dafür  sprechen  auch  die  vielen  Steine  mit  der  ähn- 
lichen Inschrift  jurrjjuoveife.  Diese  Mahnung  wird  oft  symbolisch 
dargestellt  durch  eine  Hand,  die  an  einem  Ohre  zupft;  so  z.  B. 
auf  den  Berliner  Karneolen  3391-93.  8087—89.  Manchmal  tritt 
fxov  hinzu,  seilen  ein  Eigenname;  denn  diese  Steine  wurden  fabrik- 
mäßig angefertigt,  und  der  einfache  Mann  konnte  sie  beim  Händler 
für  billiges  Geld  erstehen.  Gelegentlich  ist  ein  Kosewort  beigefügt, 
wie:  f]  xaki]  yvyjj,  oder  der  Geschenkgeber  erinnert  den  Geliebten 
oder  die  Geliebte  an  das  Kosewort,  mit  dem  er  selbst  gern  be- 
zeichnet worden  ist :  juvrj/uoveve  juov  jfjg  xaXrjg  xpvxrJQ-  Le  Blant 
90  —  113.  159;  Smith  and  Hution,  Catalogue  of  the  anliquities  in 
the  collection  of  the  late  Wyndham  Francis  Cook  n.  360.  Nicht 
häufig  ist  die  lateinische  Form,  memento;  z.  B.  Berliner  Sammlung 
11.  3394.   6711.     Le  Blant  114. 


90  KARL  SCHERLING 

Trotzdem  muß  Goris  Erklärung  aufgegeben  werden,  weil  es 
unmöglich  ist,  in  juv)']o&)]  eine  verkürzte  Form  statt  /uv^o&rjii  zu 
sehen.  Die  Herausgeber  des  CIG  zu  7353  und  7354  denken 
außerdem  an  den  Conjunctiv  juvt]o&f]  =  meminerit.  Dies  ist  an 
und  für  sich  zulässig;  denn  der  Conjimcliv  wurde  in  späterer  Zeit 
als  Aufforderupg  gebraucht;  s.  Kühner- Gerth  111,220  Anm.  2. 
Brugmann-Thumb,  Griech.  Gramm.*  574.  Slolty,  Der  Gebrauch  d. 
Conj.  u.  Opt.  in  den  griech.  Dial.  (=  Kretschmer-Kroll,  Forschungen 
z.  griech.  u.  lat.  Gramm.  Heft  3)  S.  24 ff.  Zu  den  Beispielen  ist 
hinziizufü-^en;  E.  Kalinka,  Antike  Denkmäler  in  Bulgarien  Sp.  38, 
Col.  IV  88 f.  öiaXvoüioi  =  pcrsolvnnt.  Indessen  ist  die  Anwendung 
der  drillen  Person,  d.  h.  das  Vermeiden  einer  direkten  Anrede,  bei 
einem  Geschenk  für  einen  dem  Geber  nahestehenden  Menschen  sehr 
befremdlich  und  widerspricht  ganz  und  gar  der  griechischen  Ge- 
wohnheit, wie  schon  die  obenerwähnten  vielen  Steine  mit  der  In- 
schrift juvijjuöveve  zeigen.  Etwas  ganz  anderes  ist  es,  wenn 
in  der  von  Le  Blant  zu  n.  117  citirten  Felseninschrift  CIG  4  668 
die  dritte  Person  gebraucht  wird;  dort  steht  in  a  /.ivr]o&fi  AvXog 
"'Eqoov  AiiJus  Erst  mennnerH-,  in  e  ebenso  der  Plural  /liv7]o&ojoiv. 
Ganz  unmögh'ch  ist  jedoch  die  dritte  Person  in  der  unter  11  an- 
geführten Baalbeker  Inschrift;  denn:  „er  soll  sich  an  den  Magnes^) 
erinnern"  ist  unverständlich.  Es  kann  der  griechische  Arbeiter  nur 
geschrieben  haben:  erinnere  dich  an  Magnes!  Dasselbe  gilt  von 
Nr.  1,  wo  das  alleinstehende  MNHZGH  als  dritte  Person  keinen 
Sinn  gibt,  und  auch  von  Nr.  10,  wo  die  Auffassung:  „er  gedenke 
des  Hellen"  nicht  richtig  sein  kann.  Entschieden  wird  diese  Frage 
durch  die  Gemme  8.  Hier  wollten  die  Herausgeber  des  CIG  den 
Namen  ©eoyeveig  als  den  Genetiv  ansehen,  also  mit  Schreibfehler 
statt  Qeoyevovg.  Es  geht  aber  nicht  an,  einen  derartigen  Irrtum  an- 
zunehmen, nur  um  eine  Erklärung  zu  fmden ;  wir  müssen  uns  viel- 
mehr an  die  deutlich  überlieferten  Buchstaben  halten.  Da  ist  meines 
Erachtens  die  einzige  Möglichkeit,  die  Form  als  anomalen  Vokativ 
zu  ©eoyevTjg  aufzufassen.  Wie  die  Namen  auf  -y.li]?  gelegentlich 
den  Vokativ  nicht  nur  nach  der  1.  Deklination,  sondern  auch  nach 


1)  Mäyvovg  ist  Genetiv  zu  Mäyvrj?  nach  Analogie  von  Aioyivrjg 
Aioyivov?;  möglich  wäre  es  auch,  Mayvovs  zu  les-^n;  dies  würde  eine 
Nebenform  zu  Muyvrjxog  wie  Qa).ovg  zu  QäXrjiog  sein;  vgl.  Crönert,  Metn. 
Graec.  Hercul  p.  163,  4;  zu  solchen  Doppelbildungen  vgl.  auch  Hatzi- 
dakis,  Einl.  in  die  neugr.  Gramm.  S.  79. 


GEMMEN  MIT  DER  INSCHRIFT  MNIISOH  91 

Analogie  der  anderen  Sigmastäninie  bilden  (z.  B.  "HgaxXeg;  s.  Lobeck, 
Phryn.  640;  G,  Meyer,  Gr.  Gramm.  ^  436),  so  ist  hier  umgekehrt 
der  Vokativ  eines  dieser  Sigmastämme  nach  Analogie  der  Wörter 
auf  -xXrjg  gebildet.  Neben  einem  Vokativ  aber  ist  die  dritte  Person 
ausgeschlossen. 

Damit  ist  auch  inhaltlich  die  Erklärung  erledigt,  die  Stephani 
in  Koehlers  Ges.  Schriften  III  248  gab.  Er  wollte  {E)fivrjodr]  lesen 
und  die  Inschrift  als  Zuruf  an  die  beschenkte  Person  oder  als  Ant- 
wort auf  ein  juvrjjuoveve  auffassen.  Dies  ist  schon  der  Form  nach 
unmöglich.  Denn  ein  solcher  Wegfall  des  Augments  im  Simplex 
des  Verbums  ist  nicht  zu  belegen.  In  den  von  ihm  angezogenen 
Steininschriften,  wie  GIG  4668  ,  bedeutet  MNHZOH  eben  nicht 
ejiiv7]o&}] ,  sondern  juvrjodfj ,  wie  oben  erwähnt.  Die  Erklärung, 
die  Panofka,  Gemmen  mit  Inschriften  {—  Abh.  Akad.  Berl.  1851) 
S.  473  n.  108  für  die  Berliner  Gemme  gab  {Mv^]0'dfi  Oeoyevetg  = 
Theogeneis  an  Mneste  (sie))  bedarf  keiner  Widerlegung. 

Nach  meiner  Meinung  ist  juvrjoßf]  die  2.  pers.  sing,  des  medial 
flektirten,  wenngleich  passivisch  gebildeten  Aoristconjunctivs.  Diese 
hybride  Bildung  ist  seilen,  aber  sie  ist  bezeugt  durch  die  Form 
dvajuvrjoßü)ju{ai)  bei  Grenfell,  An  Alexandrian  erotic  fragment 
col.  I  22.  Ein  zweites  Beispiel  dafür  bietet  derselbe  Papyrus  col. 
II  11  in  der  Form  önvaoß^cojuei^a;  s.  Mayser,  Gramm,  d.  griech. 
Pap.  aus  der  Plolemäerzeit  S.  883.  Daß  der  Gonjuncliv  als  Auf- 
forderung in  späterer  Zeit  gebraucht  wird,  ist  oben  erwähnt.  Am 
häufigsten  ist  freilich  die  3.  Person;  aber  für  die  2.  Person  ist  das 
Beispiel  aus  Soph.  Phil.  300  cpsge  /J.ddijg  nicht  aus  der  Welt  zu 
schaffen  ;  für  die  xoivrj  vgl.  das  von  Brugmann-Thumb  cilirte  evQfjxe 
dvdjiavoiv  aus  LXX  Buth  1,  9.  Ferner  macht  Slotty  a.  a.  0.  S.  27 ff. 
wahrscheinlich,  daß  wir  in  der  auf  Vasen  sich  oft  findenden  Auf- 
forderung jiiei  einen  alten  volkstümlichen  Gebrauch  des  volunta- 
tiven  Conjunctivs  vor  uns  haben;  niei  ist  also  =  jiir],  2.  pers.  sing, 
vom  Conjunctiv  des  medialen  Aorists.  Eine  weitere  Stütze  meiner 
Erklärung  bietet  die  Berliner  Gemme  n.  6763.  Sie  enthält  in  der 
Inschrift  MNHZeOIONHSIIMOZ  die  dem  [xv^io&f^  entspre- 
chende 2.  pers.  des  Optativs  mit  medialer  Endung  ^). 

1)  Ein  anderes  meines  Wissens  noch  nicht  belegtes  Medium  weist 
ein  Goldring  im  British  Museum  auf,  Marshall,  Catalogue  of  Finger 
Rings  in  the  Brit.  Mus.  n.  632.  Dort  steht:  EvrvxoTo'Aacvösv;  vgl.  Hatzi- 
dakis  a.  a.  0.  195  f. 


92  KARL  SCHERLING 

Ich  füge  einiges  über  die  noch  nicht  besprochenen  Namen 
hinzu.  Die  eben  angeführte  Inschrift  ist  zu  lesen:  Mvrjo^oio 
'Ovi]ot}/uog,  mit  Itacismus  in  der  vorletzten  Silbe;  vgl.  Magfjvog  = 
Magivog  in  der  Sammlung  Cook  n.  152.  Auch  der  Name  auf 
dem  Stein  n.  108  bei  Cook,  AQYTIIOZ  hat  sicher  die  Endung 
-TLog.  Am  frühesten  beginnt  der  Itacismus  im  Osten,  wo  über- 
haupt die  e-  und  i-Laute  oft  vertauscht  werden;  s.  Brugmann-Thumb 
S.  35  f.  Wir  werden  also  den  Ursprung  dieses  Steines  dort  suchen 
dürfen,  und  damit  auch  den  der  hybriden  Verbalform.  Dazu  paßt, 
daß  drei  der  anfangs  genannten  Inschriften  (9,  10,  11)  tatsächlich 
aus  dem  Osten  stammen.  Dorthin  weist  auch  der  Stein  mit  dem 
Namen  MaQfjvog ;  denn  er  zeigt  eine  von  zwei  anderen  Figuren 
umgebene  Darstellung  der  Tyche  von  Antiocheia.  Die  Haplo- 
graphie  des  mittelsten  o  kann  wohl  beabsichtigt  sein,  um  Raum 
zu  gewinnen.  Beispiele  für  diese  Vereinfachung  bei  zwei  Wörtern 
bringt  Larfeld,  Handbuch  d.  griech.  Epigr.  I  269  f.  II  =^  H  ist  am 
häufigsten  im  2.  Jahrhundert  nach  Christus,  wie  aus  den  bei  Lar- 
feld, Gr.  Epigr,  ^  271  angeführten  Beispielen  hervorgeht.  'Ovijoi- 
/Liog  ist  der  durch  den  Nominativ  ersetzte  Vokativ.  Dieser  Gebrauch 
findet  sich  bekanntlich  schon  bei  Homer;  z.  B.  Od.  XVII  415  dog, 
(piXog;  vgl.  Brugmann-Thumb  S.  431f. ,  wo  noch  andere  Beispiele 
angeführt  sind.  Aus  dem  2.  vorcliristl.  Jahrhundert  stammt  der 
Vokativ  Ilrokejuaiog  bei  Mayser  S.  256.  In  späte  Zeit  gehört  die 
Inschrift  Le  Blant  183:  Gelasius,  Zosinie  (=  Zosimae)  vivas.  Sehr 
häufig  findet  sich  der  Ersatz  des  Vokativs  durch  den  Nominativ  auf 
Grabschriften ;  z.  B.  aus  Boiotien  IG  VII  2353  Evdajuog  xaTgs  neben 
'Ofiolo'ny^e,  Kußeigr/a,  '/aigeze;  2398  IIaQa.juovog  xaige,  dagegen 
2400  Ilagdjuove  yalgs.  Ferner  IG  IX  1,  584  (Leukas)  Zdöraxog 
XaiQS]  529  (Akarnanien)  'HQdxleiiog  x^^^Q^'i  ^^^  (Amphilochia) 
"AvÖQovixog  x^^Q^'  Beispiele  aus  Altika  bieten  IG  III  2,  3310  Nov- 
jLiijviog  x^^Q^i  3355  2!xeq)avog  XQV^'"-^^  X^^Q^  ^-  ^  ^^'  Interessant 
ist  die  Verbindung  von  Nominativ  und  Vokativ  in  der  aus  Kertsch 
stammenden  Inschrift  römischer  Zeit,  die  Compte  rendu  1882—88 
Suppl.  p.  15  n.  6  mitgeteilt  wird:  MrjiQocpdog  vle  Oecoreijuov 
XOiTQ£'  BaoiMa  in  n.  2  ist  weiblicher  Eigenname  =  Baoileia. 
Man  denkt  sogleich  an  die  aristophanische  Jungfrau  av.  1536  ff. 
Der  Übergang  von  ei  zu  e  vor  a  ist  sowohl  aus  dem  Altischen 
wie  aus  der  Koine  bekannt;  s.  Meisterhans  '  40f.  Mayser  67  f. 
In  n.  3    ist  wohl  'OXvjujiidg  zu  lesen,   nicht    'OXvfimag ,  weil   der 


GEMMEN  MIT  DER  INSCHRIFT  MNHSeH  93 

Name  'Okvjujiidg  sehr  häufig  ist.  Ev-&evia  in  n.  4  =  Evdip'la; 
ebenso  in  n.  10  "EXXevog  ="EXh]vog.  Vom  3.  vorchrisll.  Jahr- 
hundert an  werden  e  und  r]  immer  mehr  miteinander  verwechselt; 
s.  Mayser  66.  Brugmann-Thumb  36.  Ev§7]via  ist  auch  als  Göttin 
bekannt;  s.  RE  VI  1498.  Solche  abstrakte  Begriffe  werden  be- 
sonders in  späterer  Zeit  gern  als  Frauennamen  benutzt;  z,  B.  auf 
Gemmen  Le  Blant  634  EvxXsia,  639  Evvoia,  643  EvzvjiEia,  das 
aucli  als  Schiffsname  vorkommt,   u.  a. 

5,  KdxaiXXa  =  Catclla,  ein  Schmeichelwort;  s.  hierzu  Le 
Blant.  Die  Wiedergabe  des  offenen  e  durch  ai  ist  charakteristisch 
für  die  Kaiserzeit;  Meisterhans  ^  34 f.  Brugmann-Thumb  57  mit 
weiterer  Literatur.  Von  Gemmen  führt  Le  Blant  p,  9,  11  zwei 
Beispiele  an:   x^Tgai  =  xaiQe  und  /^at  =  ^e. 

7.  "AxvXa  =  Aquila;  s.  K.  Dieterich,  Untersuchungen  z.  Gesch. 
d.  Gr.  Sprache  (Byz.  Arch.  I)  S.  83.  Ebenso  steht  bei  Le  Blant  585 
"AxvXeivai  =  Aquilinae. 

9.  Evrj'&r]q  ist  Nominativ  statt  des  Vokativs  wie  'Ovrjoifiog. 
Daß  gerade  von  den  Adjektiven  auf  iqg  der  Nominativ  so  gebraucht 
wurde,  zeigt  der  Vokativ  äöaiqg  Soph.  Phil.  827  ;  außerdem  führt 
Choiroboskos  aus  Menander  c5  dvorv^rig  an  ;  s.  G.  Meyer  a.  a.  0.  436. 

Leipzig.  KARL  SCHERLING. 


2:kytaji:imo:z. 

Der  Hauptbericht  über  diese  merkwürdige  Episode  aus  der 
Geschichte  von  Argos,  die  einzige  zusammenhängende  geschichtliche 
Erzählung  derselben,  steht  bei  Diodor  (Ephoros)  XV  57,  3.  58.  Zum 
leichteren  Verständnis  dessen,  um  was  es  sich  handelt,  wird  es  gut 
sein,  den  ganzen  Wortlaut  wiederzugeben.  (G.  57,  3)  "Ajua  dk 
zovToig  jioazTopevoig  ev  ifj  nöXei  rcov  'Agyeiojv  eyevero  OTaoig 
xal  cpovog  Tooovzog,  öoog  Jiag'  iregoig  rcTjv  'EXXrjvcov  ovöenoxe 
ysyovevai  jjivrjjxovevEiai.  eyJj]di]  de  6  vecoTeoiojuog  ovrog  Tzagd 
rolg  "EVl7]oi  oxvra?uojuög,  öiä  rbv  tqojtov  rov  daväxov  rnvrrjg 
Tvxcov  xfjg  jiQOO}]yoQiag.  (G.  58,  1)  -fj  yovv  ordoig  iyevexo  diä 
xoiavxag  aixiag.  xfjg  jioÄeojg  xcov  'Agyeicov  drjjuoxQaxovjuevrjg  xal 
xivcov  d}]juaya>yä)v  jiüqo^vvovxcov  x6  n/.rjßog  xaid  xwv  xdig 
E^ovo'iaig  xal  öö^aig  vjxeosyövxcov,  oi  diaßa?d6juevoi  ovoxdvxeg 
eyvcooav  xaxaXvoai  xöv  dfjfiov.  (2)  ßaoavio'&E.vTOiv  de  xivatv  ex 
xöjv  ovvegyeTv  öoxovvxon',  oi  juev  älXoi  (poß7]i9evx€g  X7]v  ex  xcöv 
ßaodvoiv  xificDQiav  eavxovg  ex  xov  C'fjv  jU€xeoxi]oav,  evog  ö'  ev 
xaig  ßaodvoig  öfxoXoyrjoavxog  xal  Tiioxiv  Xaßovxog,  6  juev  jurjvv- 
xrjg  xQidxovxa  xcöv  e7iiq)aveoxdxo)v  xaxY]y6oi]oev,  6  de  örjinog  ovx 
iXeyiag  äxgißcög  änavxag  xovg  öiaßX.rjdevxag  ajiexxeive  xal  xdg 
ovoiag  avxwv  id/jjuevoev.  (3)  noXXöjv  de  xal  dXX.oiv  ev  vnoxpiaig 
övxojv,  xal  röw  drjjxayoiywv  ipevöeoi  diaßoXalg  ovvrjyoQOVvxoov , 
ein  xoaovxov  eirjygico&r]  x6  nXrj&og,  Mgxe  ndvxoiv  xcöv  xaxi]yo- 
Qovjuevojv  övxcov  juh'  noXXöiv  xal  j.iEyaXo7iXovxoiv,  xaxayvGivai 
ßdvaxov.  avaige&evxcov  de  xcbv  dvvaxcTw  dvdocov  nXeiovcov  y 
yiXicov  xal  diaxooiüiv,  xal  xfbv  d}]iuaya>ya)v  avxöiv  6  drjjuog  ovx 
ecpeiaaxo.  (4)  did  ydo  x6  jueye&og  xfjg  ovfiq)ooäg  oi  jiiev  drjjua- 
yoyol  (poßrj'&evxeg  fiij  xi  jzagdXoyov  avxoig  dnavxrjorj,  xfjg  xaxr]- 
yoQiag  uTieox^ioav ,  oi  d'  öyXoi  do^avxeg  vti'  avxcbv  eyy.axaXeXeTqy&ai, 
xal  did  rovxo  Jiago^w&evxeg,  änavxag  xovg  dijjuayojyovg  dnexxei- 
vav.  ovxoi  fiev  ovv,  (bguegei  xivog  vejutjoavxog  daijuoviov,  xfjg 
aQjuoCovorjg  xijuaygiag  exvy^ov,  6  de  dfj/uog  Jiavodjuevog  xfjg  Xvxxrjg 


1 


i:kytaai2:mo2  95 

eig  Trjv  JTQOVXcdQ](^ovoav  eüvoiav  äjioy.axEOzi].  Diodor  bringt  die 
Sache  unter  dem  Arclion  Dyskinelos  (Ol.  102,  3.  370/69);  richtiger 
wird  man  sagen,  dafs  sie  im  allgemeinen,  im  Zusammenhang  mit 
den  von  ihm  XV  40  fälschlich  auf  das  J.  375/4  fixirlen  i)  ähnlichen 
Vorgängen  in  anderen  peloponnesischen  Staaten,  in  die  Zeit  nach 
der  Schlacht  von  Leuktra  anzusetzen  ist,  also  schon  vor  Juli  370 
stattgefunden  haben  kann  ^). 

Was  die  anderen  Autoren  zur  Ergänzung  Diodors  bieten,  ist 
nicht' viel.  Bei  Isokrates  V  (Philippos,  346)  §52  findet  sich  nur 
die  allgemeine  Anspielung,  daß  die  Argiver  in  den  Pausen,  welche 
ihnen  die  Kriege  gegen  ihre  Nachbarn  ließen,  die  Evöo^oraroi  xal 
TtXovoidixaxoL  ihrer  Bürger  vernichteten;  und  ebenso  knapp  ist  die 
Bemerkung  bei  Dionys.  Hai.  Ant.  Fiom.  VII  06,  5,  dafs  die  Römer  in 
ihren  inneren  Kämpfen  sich  keine  so  heillosen  Dinge  zuschulden 
I  kommen  ließen  wie  die  Korkyraeer,  Argiver,  Milesier  und  Sikelio- 
Men.  Eine  wirkliche,  wenn  auch  nicht  bedeutende  Erweiterung 
V  unserer  Kenntnis  kann  man  in  der  Mitteilung  Plutarchs  sehen 
(Praec.  gerend.  r.  p.  17,  p.  814  B),  daß  damals  1500  Bürger  zu- 
grunde gegangen  seien  und  die  Athener  auf  die  Nachricht  von  den 
Ereignissen  in  Argos  ein  Sühnopfer  beschlossen;  beide  Einzelheiten 
kehren  bei  Helladios  (Photios  cod.  279,  S.  534  Bkk.)  wieder,  die 
erste  in  der  Fassung  oxvrahojiiöv  e.xa.Xeoav,  dioxi  naiovxeg  äXh)- 
Xovg  avEiXov  yiXiovg  Hat  nevxaxoolovg.  Anders  steht  es  mit  der 
Meldung  des  Ael.  Aristeides  (Panalh.  I  273,  llff.  311,4/5  üdf.), 
daß  Athen    die  Parteispaltung  in  Argos  beigelegt  habe^).     Endlich 


1)  Dazu   Grote,   History   of  Greece   (Newyorker   Ausgabe  ISöG)  X 

jl99.  1   und   besonders  Busolt,   Jahrb.  f  kl.  Philol  Suppl.  VII  77-2fF.    und 

Irnst  V.  Stern,    Gesch.  der  sparbmischen    und  thebanischen    Hegemonie 

^om  Königsfrieden  bis  zur  Schlacht   bei  Mantinea  (Dorpater  Diss.  1884) 

)4ff.  99.   155,2;    Ed.  Meyer,   Gesch.  d.  Altert.  V  ^98.  420.      Den    Versuch 

)tto    Grillnbergers,    Griech.  Studien  143ff. ,    Diodors    Bericht    über    den 

'rieden  von  374  zu  retten  —  was  zur  Folge  hätte,  daß  auih  seine  Zeit- 

lestimmung    der    oben    erwähnten    Ereignisse    aufrechterhalten    werden 

lüßte  — ,  halte  ich  für  mißlungen;  vgl.  zu  diesjer  im  Buchhandel  nicht 

irschienenen  Arbeit  Berl.  philol.  Wochenschr.  1908,  782  ff. 

ni  2)  Bereits  bemerkt  von  K.  H.  Lachmann,  Gesch.  Griechenlands  von 

Hfcem  Ende  de.s  peloponnesischen  Krieges   bis  zu  dem  Regierungsantritte 

JAlexand.Ts  d.  Gr.  (Leipzig  1854)  I  ;W7,  2   und    Grote  a.  a.  0.  X  199,    der 

feie  in  die  zweite  Hälfte  von  371  v.  Chr.  verlegt. 

3)  Zur  Beurteilung  derselben  Eugen  Beecke,   Die  historischen  An- 


96  HEINRICH  SWOBODA 

dürfte  die  Stiftung  eines  Standbildes  des  Zeus  Meilichios  durch  die 
Argiver,  das  der  jüngere  Polyklet  anfertigte^),  auf  dieselbe  Gelegen- 
heit zurückgehen^). 

Diodors  Bericht  ist  sicherlich  nicht  in  jeder  Beziehung  befrie- 
digend, speciell  was  den  geschichtlichen  Zusammenhang  dieser  Er- 
eignisse und  die  Veranlassung  anlangt,  welche  zu  ihnen  führte^); 
im  großen  und  ganzen  läßt  sich  aber  aus  ihm  eine  Vorstellung 
über  den  Gang  der  Dinge  gewinnen,  und  in  dieser  Beziehung  ist, 
wie  ich  glaube,  der  größte  Teil  der  neueren  Gelehrten  zu  einer 
Auffassung  gekommen,  die  mit  Diodors  Worten  nicht  zu  verein- 
baren ist.  Ich  sehe  dabei  ab  von  denjenigen,  die  wie  E.  v.  Stern 
(a.  a.  0.  155),  Holm*)  und  Fr.  Gauer  (a.  a.  0.)  die  Sache  nur  strei- 
fen; aber  auch  Otfried  Müller  (Dorier  11^  139  ff.)  und  Sievers  ^) 
geben  kaum  mehr  als  eine  Paraphrase  von  Diodors  Erzählung,  ohne 
darauf  einzugehen,  wie  die  Bezeichnung  ^Hvraho/Liog  für  diese  Epi- 
sode zu  erklären  sei^).  Im  Gegensatz  dazu  hat  sich  die  herrschende 
Auffassung  —  im  Altertum  durch  Helladios  (vgl.  oben)  vertreten 
—  gerade  an  diesen  Terminus  angelehnt.  Zuerst  findet  sie  sich, 
soviel  ich  sehe,  bei  Westermann  (Paulys  Real-Enc.^  VI  897)  und 
Jakob  Burckhardt  (Griech.  Kulturgesch.  I  268),  dann  ausführlicher 
entwickelt  bei  Ernst  Curtius  (Griech.  Gesch.  III  ^  305  ff.  764),  Gustav 


gaben   in   Aelius  Aristides  Panathenaikos    auf  ihre   Quellen    untersucht 
(Straßburg  1908)  76  ff. 

1)  Pausan.  II  20,  1.  2,  vgl.  W.  Klein,  Gesch.  der  griech.  Kunst  II 
335.  So  schon  Otfr.  Müller,  Dorier  II*  140;  anders  Beloch,  Griechische 
Gesch.  II  1  S.  260, 1. 

2)  Die  von  Aeneas  Poliorket.  c.  11,  7 — 9  berichteten  Tatsachen  hier- 
herzustellen, wie  Fr.  Cauer  (Pauly-Wissowas  Real-Enc.  II  739)  -will,  geht 
schwerlich  an;  sie  gehören  wohl  in  frühere  Zeit,  vgl.  Otfr.  Müller  a.  a.  0. 
II 2  138  ff, 

3)  Hervorgehoben  von  K.  F.  Lachmann  I  338  und  Grote  a.  a.  0.  X 
199  ff. ;  darüber  unten. 

4)  Griech.  Gesch.  III  118  (daß  zuerst  eine  Menge  von  reichen  Leuten, 
dann  auch  Volksführer  umgebracht  wurden).  Auch  Lachmann  a.  a.  0. 
spricht  im  allgemeinen  von  einem  'Gemetzel*  und  'Blutbad',  das  die 
Menge  zuerst  unter  den  Reichen,  dann  unter  den  Demagogen  anrichtete. 

5)  Gesch.  Griechenlands  vom  Ende  des  peloponnesischen  Krieges 
bis  zur  Schlacht  bei  Mantinea  261  ff. 

6)  Otfr.  Müller  sagt  nur  (S.  140):  ,Der  Aufruhr  im  ganzen  hieß 
HxvTaXiofiös,  Stockprügelei:  es   war  eine   Zeit   des  Faustrechts,  wie  es 


ZKYTAAIIMOi:  97 

Gilbert  (Lehrbuch  d.  griech.  Staatsaltertümer  11  80),  Beloch  (Griech. 
Gesch.  II  1,  259)  und  Eduard  Meyer  (Gesch.  d.  Altert.  V  420);  sie 
geht  dahin,  daß  damals  der  Pöbel  über  die  Reichen  herfiel  und  sie 
mit  Knütteln  erschlug,  und  dann  auch  die  Volksführer  das  gleiche 
Los  erfuhren  ^). 

Daß  mit  einer  solchen  Deutung  Diodor  Gewalt  angetan  wird, 
hat  allein  Grole  gefühlt  (History  of  Greece  X  200),  dessen  Dar- 
stellung unbedingt  der  Wahrheit  am  nächsten  kommt ;  es  gilt 
eigentlich  nicht  viel  mehr,  als  sie  wieder  in  ihr  Recht  einzusetzen. 
In  ihren  Hauptzügen  besteht  sie  darin,  daß  die  dreißig  zu  Anfang 
Denuncirten  von  dem  Volk  nach  einem  hastigen  Verhör  (öfter  a 
hasity  frial)  hingerichtet  wurden ;  daß  man  dann  diese  Hinrich- 
tungen fortsetzte,  bis  1200  (oder  1500)  der  vorzüglichsten  Bürger 
zu  Tode  gebracht  waren.  Endlich  wandte  sich  die  Wut  des  Volkes 
gegen  die  Demagogen  und  auch  sie  wurden  hingerichtet  2).  In  der 
Tat  läßt  sich  für  die  Herstellung  des  Tatbestandes  aus  Diodors 
Worten  nichts  anderes  folgern.  Als  man  der  Verschwörung  der 
Oligarchen  auf  die  Spur  kam,  wurden  einige  von  ihnen  peinlich 
geprüft;  sie  endeten  durch  Selbstmord,  mit  Ausnahme  eines  Ein- 
zigen, der  gegen  Verbürgung  der  Straflosigkeit^)  30  angeblich 
Mitschuldige  denuncirte,  die  man  nun  in  Anklagezustand  versetzte. 
Ohne  genauere  Untersuchung  wurden  sie  von  dem  Volke  zur  Todes- 
strafe verurteilt  und,  was  mit  ihr  zusammenhing,  ihr  Vermögen 
eingezogen.  Aber  auch  andere  angesehene  und  reiche  Bürger, 
welche  von  den  Demagogen  angeklagt  wurden,  traf  das  gleiche  Los 
(über  ihre  Zahl  unten) :  ttoAAcoj'  öe  xal  äXXcov  ev  vjzoxpiaig  övrcov, 
xal  Tcöv  SrjjLinycoycöv  y^'evdeot  diaßoXalg  ovvi^yoQovvTCOv,  im 
Tooovxor  e^i]yQicjo'df]  to  nXrj&og,  wgiE  Jidvxeov  töjv  xaTi]yogov- 
juevco.v,    övrcov    juev   noXXcbv    xai    jusyaXojiXovrcov,    xarayvcovai 

1)  Es  ist  ganz  interessant,  an  E.  Curtius  zu  ersehen,  wie  sich  diese 
Auffassung  stufenweise  fortgebildet  hat;  während  er  früher  (Gr.  Gesch. 
IIP  316)  sagt,  daß  die  erbitterte  Menge  mit  Stöcken  über  die  Verdäcli- 
tigen  herfiel,  ist  dies  später  (III "  305 ff.)  dahin  erweitert,  daß  es  an 
einem  von  den  Demagogen  bestimmten  Tage  geschah. 

2)  Ganz  consequent  verfährt  freilich  auch  Grote  nicht,  wenn  er 
zum  Schlüsse  seine  Bemerkung,  daß  die  Benennung  'Skytalismos'  von 
dem  Instrument  herrühre,  mit  dem  die  Hinrichtungen  vollzogen  wurden, 
durch  den  Zusatz  abschwächt,  daß  der  Name  mehr  einen  ungestümen 
Volksaufstand,  als  beabsichtigte  Hinrichtungen  anzudeuten  scheine. 

3)  Zu  moTir  )Mß6vT0Q  vgl.  Partsch,   Griech.  Bürgschaftsrecht  I  361. 
Hermes  Lllt.  7 


98  HEINRICH  SWOBODA 

&6.vazov.     Es    handelte   sich    also   nicht   um    ein    planloses   Hin- 
morden, wie  die  gewöhnliche  Ansicht  will,  sondern  um  ein  gericht- 
liches Vorgehen.     Zur  richtigen  Beurteilung  ist  daran  zu  erinnern, 
was  auch  bei  Diodor  zum  Ausdruck  kommt  (vgl.  außer  den  gesperrten 
Worten  noch  §  2  d  dfj/xog    ovx    iXey^ag   dxQißcög  änavxag  xovg 
diaßXr]{^evTag    äjiexTeive),    daß  es  in  Argos  Volksgerichle  gab^), 
und  daß  in  wichtigen  Fällen,  zu  welchen  der  unsere  gewiß  gehört 
haben    wird,    das  gesamte  Volk  Recht    sprach  2)  —  was    mit   dem 
attischen  Eisangelieverfahren    zusammenzustellen  ist  3).     Dann  wird 
man  aber  weitergehen  und  annehmen  dürfen,    daß   sich    auch    das 
von  Diodor  §  4  geschilderte  Vorgehen    gegen    die  Demagogen,    die 
sich  zu  weiteren  Anklagen    nicht   mehr  hergeben  wollten,    in  glei- 
cher Weise  vollzog.     Allerdings    ist  der  Sachverhalt,  wie  schon  in 
den  früheren  Stadien    —    so    gleich    in  den  Worten,    mit    welchen 
Diodor  den  ganzen  Abschnitt  einleitet   — ,    so  auch   hier  durch  die 
rhetorische  Art,    mit    der  Ephoros    die  Ereignisse    wiedergibt,    ver- 
dunkelt worden,    schimmert   aber    bei  unbefangener  Prüfung   noch 
immer  durch.    Was    bleibt,    genügt,    um    die  Ansicht   der  Neueren 
von    einem  Gemetzel   oder  Blutbad  u.  dergl.  und  daß  sich  die  auf- 
geregte Menge  mit  Stöcken  auf  die  Reichen  stürzte  und  sie  auf  der 
Straße    niedergemacht   habe,    als    unvereinbar   mit   unserer   Haupt- 
quelle  erkennen    zu   lassen.    Wenn    sich   also    der  Vorgang  in  der 
Form   gerichtlichen    Verfahrens   abspielte,    so    soll   damit   durchaus 
nicht    gesagt    sein,    daß   dabei    die  gesetzlichen  Vorschriften  einge- 
halten wurden;  daß  keine  ordnungsgemäße  Untersuchung  staltfand 
und   den  Angeklagten    nicht  die  Möglichkeit  gegeben  war,    sich  zu 
verteidigen,    sie  vielmehr    summarisch  abgeurteilt  wurden,    bemerkt 
Diodor    ausdrücklich    für    die    zuerst    Angeschuldigten    (§2    6    de 

1)  Ed.  Meyer,  Forschungen  zur  alten  Gesch.  I  101  ff.;  0.  Schultheß, 
Real-Enc.  VII  2240. 

2)  So  Ed.  Meyer,  GdA.  III  320.  321;  meine  griech.  Staatsalter- 
tümer 157. 

3)  Ob  diese  gerichtliche  Versammlung  des  Volkes  ebenso  wie  die 
Volksversammlung  die  Bezeichnung  dXiaia  trug,  was  Ed.  Meyer  (Forsch. 
I  103)  und  Schultheß  a.  a.  0.  verneinen,  ist  dafür  ohne  I3edeutung;  ich 
halte  es  allerdings  mit  Rücksicht  auf  die  aus  Schol.  Eur.  Orest.  871.  872 
hervorgehende  Identität  von  Fron  und  Haliaia  für  wahrscheinlich.  Für 
die  argivisclie  ähaiu  bedeuten  die  vonVollgratf,  Mnemosyne  N.  S.  XLIII 
3G5ff.  XLIV  64  ff.  21 9  ff  herausgegebenen  Urkunden  eine  wesentliche  P'r- 
weiterung  unserer  Kenntnis. 


2KYTAAIZM02  99 

öfjfxog  ovH  IXey^ag  dxgißojg),  und  das  gleiche  ist  für  die  späteren 
Fälle  vorauszusetzen  —  vielfach  wird  sich  die  Verhandlung  vor  dem 
Volke  in  tumultuarischer  Weise  vollzogen  haben ,  wie  wir  dies  für 
Athen  aus  dem  Processe  gegen  die  Feldherren  der  Arginusen- 
schlacht  und  später  gegen  Phokion ')  kennen.  Das  Gräuliche  in 
dem  Vorgehen  des  argivischen  Demos  lag  nicht  bloß  in  dieser  Will- 
kür, sondern  auch  in  der  Massenhaftigkeit  der  Exekutionen;  wie- 
viele Bürger  damals  umkamen,  läßt  sich  nicht  mit  völliger  Sicher- 
heit feststellen:  nach  Diodor  §  3  mehr  als  1000  oder  1200 2), 
während  bei  Plutarch  a.  a.  0.  und  Helladios  die  Zahl  auf  1500 
erhöht  ist;  auch  wenn  man  die  niedrigere  Ziffer  annimmt,  waren 
es  noch  immer  soviel  wie  die  Opfer  der  korkyraeischen  Partei- 
kämpfe in  den  Jahren  427  und  425^)  und  die  angeblich  von  den 
Athenern  hingerichteten  Mytilenaeer*);  die  höhere  Zahl  würde  den 
von  den  Dreißig  in  Athen  Hingerichteten  entsprechen  ^).  Es  ist 
daher  begreiflich,  daß,  wie  Plutarchs  Meldung  über  Athens  Haltung 
zeigt,  der  Skylalismos  in  der  griechischen  Welt  großes  Entsetzen 
hervorrief  und  die  Argiver  nach  Wiederkehr  der  Ordnung^)  es  für 
notwendig  hielten,  den  Zorn  der  Gölter  durch  eine  Sühnewidmung 
zu  beschwichtigen.  Auch  bei  unserer  Auffassung  bleibt  an  dem 
Andenken  des  argivischen  Demos  ein  arger  Schandfleck,  der  Vor- 
wurf des  Justizmordes  haften. 

Der  Zy.vxaXiojxog  führte  seinen  Namen,  wie  Diodor  c.  57,  3 
sagt,  dia  rbv  tqojiov  zov  -davarov,  d.  h.  die  Verurteilten  wurden 
mit  der  Keule  oder  einem  Knüttel  hingerichtet,  ihnen  mit  einem 
solchen  Instrument  der  Kopf  zertrümmert.     Diese  Art   der  Exeku- 


1)  Plut.  Phoc.  34.  35;  dazu  Job.  Gust.  Droysen,  Gesch.  d.  Hellenism. 
UM,  228  ff. 

2)  In  unserem  besten  Codex  (Patmensis)  fehlt  xal  diay.ookov;  die 
Handschriftenfauiilie  FIKM  gibt  >cai  i^axoaicov. 

3)  Die  Gesamtzahl  der  korkyraeischen  Oligarchen  betrug  gegen 
1000  (cf.  Jak.  Burckhardt,  Griech.  Kulturgesdi.  I  2ß6;  Busolt,  Gr.  Gesch. 
III  2  S.  1018,  2).  von  welchen  wenig  übrig  blieben  (Thuc,  IV  48,  5).  Diodor 
gibt  auch  da  die  Zahl  1500  (XIII  4S,  2). 

4)  Thuc.  III  50,  1,  dazu  Busolt  a.  a.  0.  III  2,  1030f.,  2.  Ed.  Meyer 
(Gd.A..  IV  347)  und  Beloch  (Gr.  Gesch.  IP^  1,  311))  halten  an  der  überlie- 
ferten Zahl  fest. 

5)  Ed.  Meyer.  GclA.  V  38.  39. 

6)  Diodors  Wendung  6  öe  Stifiog  Jiavadfisvog  rfjg  Xvzxrjg  eig  rijv  jzqo- 
iJTidgxovaav  svvoiav  djioxaieozrj  macht  nach  dem  Vorangegangenen  unwill- 
kürlich einen  ironischen  Eindruck. 

7* 


100  HEINRICH  SWOBODA 

tion  kommt  auch  sonst  bei  den  Griechen  vor^);  der  gewöhnliche 
Terminus  dafür  ist  äjiorvjuTiaviojuog^).  Wenn  für  Argos  damals 
die  an  sich  viel  passendere  Bezeichnung  mit  dem  Werkzeug,  das 
der  Scharfrichter  gebrauchte,  aufkam,  so  ist  der  Grund  vielleicht 
auch  darin  zu  suchen,  daß  bei  der  Massenhafligkeit  und  Gleich- 
zeitigkeit der  Exekutionen  das  rv/jjiavov,  die  Maschine,  auf  welche 
sonst  der  Verbrecher  gespannt  wurde,  gar  nicht  zur  Anwendung 
kommen  konnte. 

Die  Schwierigkeit,  welche  für  uns  darin  besteht,  wie  der  argi- 
vische  ^Skytalismos'  in  den  Zusammenhang  der  Zeitgeschichte  ein- 
gereiht werden  soll  und  aus  welchen  Ursachen  es  zu  ihm  kam, 
habe  ich  bereits  betont.  Die  Neueren  haben  darüber  verschiedene 
Ansichten  aufgestellt.  Lachmann  vermutet  (a.  a.  0.  I  338),  daß 
Argos  damals  das  Hauptquartier  der  aus  den  anderen  peloponne- 
sischen  Staaten  vertriebenen  Demokraten  war  und  daß  die  spar- 
tanerfreundlichen Aristokraten  dem  arkadischen  Synoikismos  wider- 

1)  Vgl.  Th  Thalheim,  Lehrbuch  d.  griech.  Rechtsaltertümer  *  141,  5; 
ders.,  Art.  d7toTVfiJiavio/:i6g,  Real-Enc.  II  190f.  In  Athen  fand  dies  sel- 
tener statt  (Lipsius,  Att.  Recht  I  77,  101).  —  Wie  mich  mein  College 
M.  Winternitz  belehrt,  dessen  Bemerkungen  ich  im  folgenden  wieder- 
gebe, scheint  das  Erschlagen  mit  der  Keule  als  Todesstrafe  bei  primi- 
tiven Völkern  nicht  vorzukommen,  da  grausame  Todesstrafen  .sich  im 
allgemeinen  nicht  bei  Naturvölkern,  sondern  bei  despotisch  regierten 
Kultur-  und  Halbkulturvölkern  finden.  In  Indien  war  das  Erschlagen 
mit  der  Keule  u.  dgl.  wohl  keine  gewöhnliche  Todesstrafe  (am  häufig- 
-sten  das  Pfählen ,  aber  auch  Verbrennen  und  Ertränken) ;  doch  findet 
.sich  schon  in  den  ältesten  indischen  Gesetzbüchern  eine  Form  der 
(religiösen)  Sühne,  die  darauf  hindeutet,  daß  das  Erschlagen  mit  der 
Keule  eine  sehr  alte  Strafsitte  gewesen  sein  muß.  Wer  sich  des  Gold- 
diebstahls an  einem  Brahmanen  schuldig  gemacht  hatte,  wurde  durch 
folgende  Sühne  von  seiner  Schuld  gereinigt:  der  Dieb  soll  mit  fliegen- 
dem Haar,  eine  Keule  auf  der  Schulter,  zum  König  gelaufen  kom- 
men und  ihm  melden:  'Ich  habe  diese  und  diese  Tat  begangen'  oder 
sagen:  'Herr,  ich  bin  ein  Dieb,  strafe  mich!'  Wenn  der  König  ihn  mit 
der  Keule,  die  ihm  der  Dieb  überreicht,  erschlägt,  ist  er  von  seiner 
Sünde  gereinigt;  aber  auch  wenn  der  König  ihm  verzeiht,  doch  fallt  in 
letzterem  Fall  die  Sündenschuld  auf  den  König.  Der  religiöse  Charakter 
dieser  Sühneceremonie  imd  ihre  Erwähnung  in  alten  Rechtsbüchem  (Äpa- 
staraba  1,  25,  4£f. ;  Gautama  12,  43flf.  ;  Vasishta  20,  41;  Baudhäyana  2,  1, 
16 fi'.;  Manu  8,  3l4fF.;  Vishnu  52,  Iflf.  und  Yäjnavalkya  3,  257)  macht  es 
sehr  wahrscheinlich,  daß  man  es  hier  mit  einem  sehr  alten  Rechts- 
brauch zu  tun  hat. 

2)  Vgl.  H.  Stephanus.  Thesaurus  s.  v.;  Thalheim  a  a.  0. 


ZKYTAAIZMOZ  101 

strebten  und  damit  Erbitterung  gegen  sich  hervorriefen;  Eduard 
Meyer  (GdA,  V  420)  bringt,  was  gewiß  richtig  ist,  die  Bewegung 
in  Argos  in  Zusammenhang  mit  den  übrigen  revolutionären  Er- 
hebungen in  der  Peloponnes  (Diod.  XV  40,  vgl.  oben)  und  meint, 
daß  in  Argos,  wo  die  verbannten  Feinde  Spartas  und  der  Oligarchie 
Zuflucht  gefunden  hatten,  aufs  neue  die  Hoffnung  erwachte,  eine 
führende  Stellung  gewinnen  zu  können,  und  die  Vorbereitung  dazu 
der  Skytalismos  gewesen  sei.  Eine  sichere  Entscheidung  zu  treffen, 
ist  schwer;  vielleicht  ist  die  Tatsache  einfach  auf  psychologischem 
Wege  zu  erklären,  derart,  daß  die  Bewegung  in  der  übrigen  Pelo- 
ponnes auf  Argos  gewissermaßen  ein  geistiges  Contagium  ausübte 
und  damit  den  Anstoß  zu  dem  Vorgehen  gegen  die  Oligarchen  gab. 
Prag.  HEINRICH  SWOBODA. 


MISCELLEN. 


ZUM  EHRENDEKRET  VON  LETE  IN  MAKEDONIEN 
FÜR  M.  ANNIUS  (DITTENBERGER,  SYLL.2  I  318). 

Die  Aera,  nach  der  das  Datum  exovg  ■&'  xal  x,  ITavijjuov  k 
zu  berechnen  ist,  beginnt  148.  HoUeaux  wünscht  allerdings  eine 
Nachprüfung  dieser  Epoche  (d.  Z.  XLIX  1914  S.  589,  1),  um  vielleicht 
zu  einer  Vereinij:ung  mit  der  von  Wilhelm  wahrscheinlich  gemach- 
ten Aera  des  eigentlichen  Griechenlands  vom  J.  146  zu  gelangen. 
Doch  sehe  ich  nicht,  wodurch  der  von  Kubitschek  (Pauly-Wissowa: 
Aera  Sp.  636  f.)  begründete  Ansatz,  den  auch  Gaebler  (Zeitschrift  für 
Numismatik  XXIII  165 ff.)  angenommen  hat,  erschüttert  würde.  In 
der  Annahme  zweier  verschiedener  Aeren  vermag  ich  nichts  Bedenk- 
liches zu  erblicken.  Ich  kann  daher  Klaffenbach  nicht  folgen,  der 
ohne  weiteren  Beweis  die  makedonische  Aera  mit  146  beginnt  und 
erklärt,  daß  der  Praetor  Sisenna  es  gewesen  sei,  dem  der  Quaestor 
M.  Annius  117  für  den  gefallenen  Sextus  Pompeius  die  Provinz  über- 
geben habe  (d.  Z.  LI  1916  S.  475).  Der  Beschluß  der  Letaeer  ist  viel- 
mehr, da  das  29.  Jahr  im  Oktober  120  beginnt,  im  Juli  119  ge- 
faßt. Dafür  sprechen  die  folgenden  Erwägungen.  Die  schweren 
Kriegsnöte,  die  uns  die  Inschrift  kennen  lehrt,  machen  es  ganz  un- 
wahrscheinlich, daß  ein  Praetor  die  Provinz  übernahm.  Hier  war 
vielmehr  die  rechte  Stelle  für  ein  consularisches  Commando.  Nur 
kann  der  Consul  L.  Caecilius  Metellus  (Dalmaticus)  die  Statthalter- 
schaft nicht  schon  im  Frühjahr  119  angetreten  haben  (Gaebler 
a.  a.  0.),  sondern  erst  im  Sommer.  Denn  noch  im  Juli  stand  der 
Quaestor  an  der  Spitze  des  Heeres  (Z.  40  ff.  der  Inschrift).  Ferner: 
das  wenige,  das  über  die  römischen  Feldzüge  119/8  überliefert  wird, 
ist  nur  als  Fortsetzung  der  von  den  Letaeern  berichteten  Ereignisse 
ganz  verständlich.  Dasselbe  weit  entlegene  Ziel  hat  sowohl  Me- 
tellus wie  sein  College  Cotta:  die  ZEyeoTavoi  =  Siscia  an  der  Save 
(Appian  111.  10:  eoiyMoi  de  y.al  Heyeozavol  {vnaxovaai)  Aev- 
xlqy  Koxra  xai  MereV.o),  .  .  .  ov  nokv  ((5')  voteqov  äjiooTijvai). 
Augenscheinlich  haben  wir  hier  den  Gegenschlag  gegen  den  Ein- 
bruch der  Skordisker  in  Makedonien  zu  erkennen.  Das  Volk  sollte 
in  seinen  eigenen  Sitzen  getroffen  werden,  die  sich  von  Siscia  zum 
Margus    ausdehnten    (Strabo  VII  318).      Zugleich    sollte    dem  Cim- 


MISCELLEN  103 

bernzuge,  der  die  Bewegung  der  Donauvölker  verursacht  hatte 
(Strabo  VII  293),  ein  Riegel  vorgeschoben  werden.  Ob  die  Gon- 
suln  gleichzeitig  von  verschiedenen  Seilen  her  operirten,  etwa  Cotta 
von  Aquileia,  Metellus  von  Makedonien  und  Dalmatien  aus,  oder 
aber  nacheinander,  ist  nicht  auszumachen.  Bei  Livius  epit.  62  steht 
der  dalmatische  Krieg  des  Metellus  unter  den  Ereignissen  von  118 
(L.  Cnccilius  Mctel/mi  Balmatas  siihcgit).  Bei  Appian  111.  11  heißt 
es:  KaixiXfog  MExeXXog  vjiarsvüjv  ovdev  ädixovoi  loig  AaX~ 
fjLaiaig  ly.'fjfpioaxo  JioXejusiv  sjiid^vjuiq  d-Qid^ußov,  xal  de^Ofievcov 
avTOv  ixeivojv  co?  (piXov  diexei/iaoe  jiag'  avjoXg  ev  ^aXo'yvt] 
TioXet,  y.al  ig  'P<joar]v  ijiavfjX&e  xal  edQidjußsvoev.  'Ynarevwv 
könnte  scharf  gefafst  nur  für  119  gesagt  werden  und  vertrüge  sich 
dann  schlecht  mit  Livius.  Ich  nehme  also  lieber  eine  Ungenauig- 
keit  im  Ausdruck  bei  Appian  an  und  setze  den  Einmarsch  ins  Ge- 
biet der  Dalmater  ins  Jahr  118,  und  zwar  in  den  Herbst.  Denn  dort 
überwintert  Metellus,  um  im  Frühjahr  117  zum  Triumph  nach  Rom 
zurückzukehren.  Das  Unternehmen  gegen  Siscia  und  die  Skordisker 
hätte  also  vermutlich  im  Frühjahr  oder  Sommer  118  stattgefunden. 
Den  Ort,  wo  M.  Annius  die  Schlappe  des  Statthalters  in  einen 
Erfolg  wandelte,  nennt  die  Inschrift  rovg  xaxd  ^'Agyog  rojiovg. 
Wo  er  dann  die  vereinigten  Skordisker  und  Maeder  schlug,  wird 
nicht  ausdrücklich  gesagt,  doch  geht  aus  dem  Zusammenhang,  be- 
sonders aus  ju€t'  ov  TioXXdg  de  ^juegag,  hervor,  daß  das  zweite 
Schlachtfeld  nicht  weit  vom  ersten  gewesen  sein  kann.  Ein  makedo- 
nisches Argos  wird  öfter  erwähnt  (nicht  nur  bei  Stephanos  von  Byz., 
wie  Duchesne,  Rev,  arch.  XXIX  21  und  Dittenberger  a.  a.  0.  an- 
geben): 1.  Strabo  VII  326  Xeyezai  de  rrjv  'Ogeoudda  xaraoxsTr 
noxe  'Ogeoxrjg  .  .  .  xal  xaxaXineTv  e.Jicovvjuov  eavxov  xrjv  i^gav, 
xxloai  de  xal  noXiv,  xaXeTodai  d'  avxi]v  "Agyog  'Ogeoxixov. 
2.  Appian  Syr.  63  unter  den  Städten,  vor  denen  Seleukos  der  Große 
sich  hütete,  weil  ihm  prophezeit  war,  er  werde  in  Argos  sterben: 
"Agyog  x6  ev  'Ogeoxeia,  ödev  ol  'Agyeddai  Maxeöoveg.  3.  Stepha- 
nos Byz.  V.  "Agyog  .  .  .  eßöofxrj  xaxd  Maxedoviav.  öydorj  ""Agyog 
'Ogeoxiov  f)  ev  Zxv^iq,  wo  'Agyog  'Ogeoxiov  augenscheinlich  an 
die  falsche  Stelle  geraten  und  hinter  eßdo/it]  einzuschieben  ist. 
4.  Livius  XXVII  33  unter  den  schlechten  Nachrichten,  die  König  Phi- 
lipp im  J.  208  von  Norden  erhält:  ibi  alii  maiorem  adfe.rentes  tu- 
multum  nuntii  occurrunt,  Dardanos  in  Macedoniam  effnsos 
Orestidem  iani   tenere  ac  descendisse  in   Argestaeuyn    cainpum. 


104  MISCELLEN 

Die  Orcsfis  grenzte  an  Epirus,  die  Orestae  waren  ein  epirotischer 
Stamm  (Strabo  VII  326.  IX  434).  Für  sicher  lokaHsirt  kann  man 
die  orestisclie  Stadt  Geletrum  ansehen,  die  wegen  ihrer  eigenartigen 
fjage  auf  einer  Halbinsel  in  einem  See  (Livius  XXXI  40)  mit  Kastoria 
geglichen  wird.  Daß  wir  die  Schlachtfelder  in  dieser  Gegend  zu 
suchen  haben,  wird  durch  die  Liviusstelle  sehr  wahrscheinlich.  Die 
Vorgänge  von  208  sind  denen  von  119  anscheinend  ganz  analog. 
Die  Dardaner  sitzen  etwa  am  oberen  Axius  und  Margus,  also  ge- 
rade dort,  woher  die  Skordisker  kommen,  und  sie  gelangen  nach 
Argos  in  Orestis.  Dahin  muß  also  von  Norden  her  ein  für  größere 
Massen  benutzbarer  Zugang  geführt  haben.  Die  Lage  der  Stadt  ist 
bisher  nicht  genauer  ermittelt.  Soweit  ich  sehe,  pflegt  man  sie  an 
den  Oberlauf  des  Haliakmon  (Vistrica)  zu  verlegen ;  Kiepert,  Formae 
orbis  XVI  gleicht  sie  mit  Geletrum.  In  diesem  Berglande  fehlt 
aber  durchaus  eine  größere  Ebene,  wie  sie  durch  Livius'  Argcstaetis 
Campus  gefordert  wird  und  für  die  Bewegung  der  offenbar  zahl- 
reichen gallischen  Reiterei,  die  die  Inschrift  erwähnt  (Z.  18.  21.  30), 
nötig  erscheint.  Ich  möchte  daher  die  Orestis,  deren  Umfang  nicht 
näher  bekannt  ist,  weiter  nach  Norden  ausdehnen  und  Argos  süd- 
lich von  Monastir,  etwa  bei  Florina  suchen.  Es  bleibt  noch  eine 
Stelle  übrig:  5.  Hierocles  synecdemus  p.  641,  1  ff.  (ed.  Burckhardt 
p.  6) :  ejiag^ia  Maxedoviag  ß,  vJiö  fjysjuova,  noleiq  t],  Zzoloi, 
^Agyog^  Evorgdiov,  lleAayovia,  Bagyala,  KeXeviöiv,  'Agjuovia, 
Zanaga.  In  dieser  Eparchie,  die  das  nördliche  und  westliche  Make- 
donien umfaßt,  steht  also  Argos  zwischen  ^roßoi  (so  wohl  sicher 
herzustellen)  am  Axius  und  Evorgdiov,  das  gleich  Aiorgaiov  in 
Paeonien  (Ptolemaeus  III  12,  14.  Livius  XL  24)  zu  sein  scheint 
(heute  Strumitza?).  Mommsen  hat,  offenbar  daraufhin,  die  Schlacht 
,bei  Argos  (unweit  Stobi  am  oberen  Axios  oder  Vardar)"  lokalisirt 
(Rom.  Gesch. '^  II  S.  170).  Indessen,  wenn  die  Verzeichnisse  des 
Hierokles  auch  im  allgemeinen  eine  geographische  Anordnung  er- 
kennen lassen,  so  sind  doch  Sprünge  und  Unregelmäßigkeiten  in 
ihnen  nicht  selten.  Die  Annahme  eines  sonst  ganz  unbekannten 
zweiten  Argos  halte  ich  daher  für  bedenklich,  um  so  mehr  als 
Stephanos  von  Byzanz  es  nicht  verzeichnet,  und  auch  das  einfache. 
yMxd  'Agyog  der  Inschrift,  ohne  ein  unterscheidendes  Beiwort,  darauf 
schließen  läßt,  daß  es  nur  eine  Stadt  dieses  Namens  in  Makedonien 
gab,  das  orestische  Argos. 

Graz.  OTTO  CUiNTZ. 


MISCELLEN  105 

XENOPHON  BEI  CLEMENS  ALEXANDRINÜS. 

Axel  W.  Persson,  Zur  Textgeschichte  Xenophons,  bringt  S.  102  fL 
drei  Xenophoncitate  aus  Clemens  bei:  1)  Strom.  VI  2,  16  =  Cyr, 
V  3,  9;  2)  Strom.  II  20,  107  -  Apomn.  II  1,  30;  3)  Protr.  VI  71 
und  Strom.  V  14,  109  =  Apomn.  IV  3,  14  (wozu  Gilbert  praef. 
z.  d.  St.  vergleicht  Cyrill  adv.  lulian  I  p.  32.  Stob.  Ecl.  II  1,  20), 
Auch  daß  Clemens  Strom.  VI  2,  19  Xenophon  falsch  (statt  Herodot 
I  155)  citirt,  erwähnt  Persson. 

Aber  damit  sind  die  Entlehnungen  des  guten  Clemens  au& 
Xenophon  noch  nicht  erschöpft.  Allerdings  nennt  er  Xenophon 
nirgends  mehr.  Aber  wenn  wir  Paed.  II  10,  110  lesen:  xavrr}  y.al 
röv  Kelov  änodexofiai  ooq)ioxi}v  rag  oixeiag  y.al  xaza}.h]kovg 
aQExrjg  y.al  xaxiag  sixövag  vnoyQÜq^ovTa'  xyjv  juev  ydg  avxaiv 
äq)eX(bg  ioxa/j.evi'iv  ejioir]0£  xal  Xevyeijuova  xal  xad^dgiov  xrjv 
ägexrjv  aidoi  f^iävt]  x£xoojin]juevr]%' .  .,  d^axegav  de  zovvavxiov  eiodyec 
rrj7>  xaxiav,  neQixxfj  juev  iodrjxi,  ijjLKpieo/uevijv,  dXXoxQiq)  de  ygcofiaxc 
yeyuvü}jiiev}]v,  xal  fj  xiv)]oig  avxFjg  xal  y  o/eoig  jigög  xb  einxEQneg 
STUxydevojuevi]  xdig  jnax^.cooaig  eyxeixai  oxiayQacpia  yvvai^iv,  sO' 
finden  wir  das  Vorbild  in  Xen.  Apomn.  II  1,  22  bald  heraus.  Freilich 
muß  es  vorläufig  dahingestellt  bleiben,  ob  Clemens  hier  sehr  frei, 
vielleicht  aus  dem  Kopf  citirt  oder  ein  'triviales  Handbuch'  (v.  Wila- 
mowitz,  Einl.  in  die  griech.  Tragödie^  S.  172)  benutzt  hat.  Auf- 
fallend bleibt  immer,  daß  die  obenerwähnte  andre  Stelle  aus  der  Pro- 
dikosfabel (Strom.  II  20, 107)  ziemlich  genauen  Anschluß  an  Xenophon 
hat,  daher  von  Persson  als  einziges  wirkliches  Citat  bezeichnet  wird. 

Eine  zweite  Entlehnung  aus  Xenophon  gewinnen  wir,  wenn 
wir  gegenüberstellen 

Cyrop.l  2,16  aioxQov  juev  ydg  k'xi     Paed.  II  7,  60    jiagaiTrjxeov   de 
xal   vvv    eoxi    Ilegoaig    xal    x6      xal    xb    ovvey^eg    dnonxveiv 
üixveiv  xal  xb  djzojuvxreo&ai     xal   xb  ^Qe/ujixeoßat   ßiaiozegov 
xal  xb  cpvoYjg  fxeoxovg  cpaiveo&ai,     i-iydh     djtojxvxxeodai      naga 
atoxgbv   de  eoxi  xal  xb  lovxa     nöxov. 
7101  (pavegbv  yeveod'ai  y  xov 
ovgrjoai.  evexa  i]  xal  äXXov 
xivbg  xoiovxov. 

Cyr.  VIII  8,  8  vojuijuov  ydg  di]  Paed.  112,  21  ol  de  dx/udCovxeg .. 
^v  avxoTg  juyxe  nxveiv  fxrjxe  äjieyeoßwv  ndfxnav  xov  Jioxov 
djio/bivxxeo&ai.    driXov  de    oxi     jigbgrbdvajiiveo&aixtjv Jiegixxrjv 


106  MISCELLEN 

Tavia  oi'  rov  ev  reo  ocjojiiaTi  vyQÖrtpa  avröjv  ävaonoyyi^ofie- 
vygov  (peiöousvoi  ivöfxioav,  vrjv  ^rjQocpayiq'  y.al  ya.Q  t6 
d.X?Ä  ßovXojjLSVoi  diä  novüiv  ovveyeg  titvelv  xal  anoiivo- 
y.al  Idgcörog  lä  ocojuara  orege-  oeod^ai  xal  Tiegi  rag  exxgi- 
ovodai.vvv  ÖetÖ  ju£v  jui]  Tirveiv  OEig  OTievöeiv  axgaoiag  xex- 
/itjöe  äjiojLtvTTSo&ai  exi  öia-  jU)]oiov  ix  jrjg  djuergov  ngoocpo- 
juevEi,  zb  <5'  exTiovelv  ovdajuov  oäg  vn£Qjieou.EV<jiv  zcbv  vygcöv 
inixt]öev£xai.  tm  owjuan. 

Offenbar  fand  Clemens  die  Xenophonslelle  in  seinem  Handbuch 
schon  ohne  des  Autors  Namen  und  verwertete  sie,  wie  öfter  seine 
Vorlagen,  zweimal. 

Am  merkwürdigsten  ist  die  Stelle  Paed.  I  7,  55  ovx  eXa&ov 
rjjuäg  ol  Tiagä  IJegoaig  ßaoilEioi  xaXoviJLEVoi  naidaymyoi,  ovg 
TETxagag  xbv  dgiß/növ  ägioxivöijv  ix?J.yovx£g  ix  Jidvxcov  ÜEgocbv 
ol  ßaodEig  ÜEgocbv  xolg  ocpcbv  avxcöv  icpioxwv  uiaioiv  äXXä 
xo^evEiv  juoi'ov  ol  jiaJdeg  avxolg  juavt)drovotv,  fjßrjoavxEg  dh 
aÖElcpalg  xal  fiy^xgdoi  xal  yvvai^i,  ya/UExalg  xe  äjua  xal  naXXaxtoiv 
civagldjuoig  ijiijuioyovxai ,  xa^djisg  ol  xdngoi  Eig  ovvovoiav 
t]oxi]ju£voi.  Der  erste  Satz  enthält  ein  Mißverständnis  aus  Xen. 
Gyr.  I  2,  4  ditjgtjxai  6^  avxrj  fj  dyogd  rj  JiEgl  xd  dgyeTa  xExxaga 
jbiEgt]  ■  xovxcov  Öe  Eoxiv  EV  /UEv  naioiv,  ev  Öe  icprjßoig^  äklo  xE?Moig 
dvögdoiv,  äXXo  xoTg  vjikg  xd  oxgaxEvoijua  Exrj  yEyovooi,  denn  nach 
§  5  stehen  jeder  Abteilung  12  ägyovxEg  vor.  Die  Angabe  ferner, 
-daß  nur  das  Bogenschießen  den  persischen  Jugendunterricht  bilde, 
stammt  aus  Cyr.  12,  8  jigög  öe  xovxoig  jjiavddvovoi  xal  xo^evelv 
xal  dxovxi^Eiv.  Im  Schluß  der  Clemensstelle  ist  fälschlich  auf 
^lle  Perser  übertragen,  was  nach  Strom.  III  3,  11  nur  von  den 
Magiern  erzählt  wird:  Edvdog  ök  iv  xoTg  iniygacpofXEVoig  /xayixoTg 
'/niyvvvxai  ds^,  (pi]oiv,  'ol  judyoi  jiajxgdoi  xal  dvyaxgdoi,  xal 
aÖEXcpaTg  juiyvvoßai  ■ßEjuixöv  slvai  xoivdg  xe  slvai  xdg  yvvaixag 
ov  ßia  xal  Xddga,  dXXd  ovvaivovvxcov  djucpoxEgojv ,  oxav  '&EXrj 
yrj/uai  6  k'xEgog  xrjv  xov  ixEgov^.  Auch  ist  nicht  eine  Schrift 
Xenophons  die  Quelle,  sondern  die  fxayixd  des  Lyders  Xanthos 
(Strom.  1  21,  131  Edvßog  öe  6  Avdög  xx'a).  Ob  freihch  Clemens 
selbst  diese  schlimme  Verallgemeinerung  zur  Last  fällt,  ist  mehr 
als  fraglich,  da  wir  bei  Konon  IX  (Westermann  Mv&oygdcpoi 
S.  128  =  Photius  bibl.  CLXXXVI)  Ähnliches  finden:  Xh/Ei  ö'  wg 
fj  ^^Ejuiga/xig  avxrj  reo  viq>  Xddga  xal  dyvoovoa  juiysioa,  slxa 
yvovoa   ävöga   iv    tg>   (pavEgw   eo^e,   xal    i^    ixEivov,    ngoxEgov 


I 


MISCELLEN  lO? 

ßöekvxzov  öv ,  Mrjdoig  xal  IJegoaig  xaXbv  xal  vöjuijuov  edo^e 
jur]TQäoi  juiyvvo&ai,  was  wieder  in  einer  Randbemerkung  des  cod. 
A  =  Ven.  450  folgendermaßen  eingeschränkt  wird:  ort  ov  idg 
jurjregag  yajuoüoiv,  ä?2a  raig  /nrjTQvialg  julyvvviai  oi  IJegoai  ecog 
rov  vvv,  djiexovrai  de  xoiv  yevv7]oa/U£va)v,  (bg  Xeyerai  nagd  rcöv 
eidoTCov  rd  xar'  avrovg.  Darnach  scheint  es  mir  wahrscheinhcher, 
daß  Clemens  die  ganze  Stelle  Paed.  I  7,  55  mit  ihren  Reminis- 
cenzen  an  Xen.  Cyr.  12,  4  u.  8  und  Xanthus'  Magica  aus  einem 
wirklich  recht  trivialen  Handbuch  abgeschrieben  hat. 

Das  Vorgetragene  wird  genügen,  um  zu  erkennen  1)  wie  kritiklos 
Clemens  seine  Quellen  benutzt  hat  und  daß  es  ihm  gar  nicht  darauf 
ankommt,  sich  selbst  zu  widersprechen  wie  Paed.  I  7,  55  =  Strom. 
III  3,  11,  2)  daß  Clemens  die  Schriften  Xenophons  aus  eigener 
Lektüre  nicht  gekannt  haben  kann  und  als  Zeuge  für  die  Neben- 
überlieferung ausscheiden  muß. 

Liegnitz.  ______       WILHELM  GEMOLL. 

ZUM  ATTISCHEN  VOLKSBESCHLUSS  ÜBER  CHALKIS. 

Von  dem  wichtigen  attischen  Volksbeschluß  über  Chalkis  IG  I 
Suppl.  n.  27*  ist  die  Bestimmung  über  die  dort  wohnhaften  Frem- 
den neuerdings  wiederholt  zum  Gegenstand  der  Erörterung  gemacht 
worden,  wiewohl  ihr  einzig  natürliches  Verständnis,  das  ich  seit 
Jahren  in  meinen  Übungen  vertreten  habe,  nach  seiner  Begründung 
durch  E.Meyer,  Forsch.  II  146  f.  für  ausreichend  gesichert  gelten 
durfte.  Gegen  eine  abweichende  Deutung  von  W.  Kolbe  ind.Z.  LI  1916 
S.  479  f.  ist  es  sofort  von  E.  von  Stern  ebenda  S.  630  f.  gestützt  wor- 
den. Schon  zuvor  aber  hatte  Lehmann-Haupt  in  der  Behandlung  des 
Psephisma  in  seiner  Griech.  Gesch.  bei  Gercke-Norden  IIP  116ff.  eine 
noch  stärker  abgehende  Auffassung  zur  Geltung  zu  bringen  versucht 
und  hat  in  dessen  erneuter  Besprechung  im  vorjährigen  Bande  d.  Z, 
S.  520 ff.,  die  im  übrigen  nur  das  früher  Gesagte  wiederholt  und 
weiter  ausführt,  seiner  Erklärung  der  in  Rede  stehenden  Stelle  unter 
dem  Einfluß  von  Kolbes  Bemerkung  eine  veränderte  Gestalt  gegeben, 
die  aber  gleichfalls  zu  entschiedenem  Widerspruch  herausfordert. 

Die  Bestimmung  lautet  wie  folgt:  rovg  de  ^evovg  rovg  ev 
XaXxiöi  öooL  oixovvreg  jut]  xelovoiv  'A^rjvaQe  xal  ei'  ro)  diöorai 
VTiö  rov  drjfjLov  tov  A^7]vaia>v  dreleia,  rovg  de  älXovg  reXelv  eg 
XaXxida  xa'&dneQ  ol  äXXoi  XaXxiöh^g.     Man    hat   mit   Recht   an 


108  MISCELLEN 

der  ungeschickten  Stilisirung  Anstoß  genomrti6n.  Aber  der  sehr 
verschiedene  Umfang  der  beiden  von  der  Steuerpflicht  in  Chalkis 
ausgenommenen  Kategorien  hat  die  positive  Fassung  der  zweiten 
Ausnahme  veranlaßt  und  diese  weiter  zur  Wiederaufnahme  des 
Subjekts  mit  robg  de  allovg  geführt,  da  das  Prädikat  xeXeiv 
ig  XaXxida  zu  dieser  Fassung  nicht  mehr  paßte.  Über  den  An- 
stoß kommt  man  aber  auch  nicht  dadurch  hinweg,  daß  man  mit 
Kirchhoff  äxEkElg  elvai  zu  den  Ausnahmebestimmungen  ergänzt. 
Denn  dessen  Ellipse  wird  durch  die  vorausgehende  Erwähnung  der 
dreXeia  in  keiner  Weise  gerechtfertigt  und  nötigte  obendrein,  /uij 
in  juh>  zu  corrigiren,  eine  Änderung,  die  allgemeine  Ablehnung 
gefunden  hat,  ohne  die  aber  die  noch  von  Lehmann -Haupt  fest- 
gehaltene Ergänzung  für  den  ersten  Satzteil  sinnwidrig  wird.  Klar 
ist  der  Sinn  des  Beschlusses :  die  Fremden  in  Chalkis  sind  ver- 
pflichtet, dort  zu  steuern,  soweit  sie  nicht,  obgleich  da  wohnhaft, 
nach  Athen  steuern  oder  vom  Volke  von  Athen  von  der  Steuer 
befreit  sind.  Daß  unter  den  Fremden  in  Chalkis  nicht  athenische 
Bürger  verstanden  sein  können,  nämlich  solche,  denen  nach  der 
Unterwerfung  von  Chalkis  die  den  Hippoboten  abgenommenen  Län- 
dereien in  Pacht  gegeben  wurden,  wie  Lehmann-Haupt  noch  1914 
verstanden  hatte,  erkennt  er  jetzt  selber  an.  Aber  an  dem  Zu- 
sammenhange der  Bestimmung  mit  der  Neubesiedlung  jener  Län- 
dereien liält  er  nach  wie  vor  fest,  in  der  Weise,  daß  er  in  den 
ooot  jidj  teIovolv  'A&^vaC£  die  looreXelg  sieht,  die  neben  den  atti- 
schen Bürgern  zu  ibrer  Pachtung  zugelassen  worden  seien,  und  er 
beruft  sich  für  diese  Deutung  der  Worte  nach  dem  Vorgang  von 
Kolbe  auf  die  Erklärung  des  Lex.  Seguer.  V  267  looreXelg'  fihoixoi 
rä  fXEV  ^evixä  reXr]  jurj  reXovvxeg,  ra  de  loa  roig  aozoTg  relovvieg. 
Dabei  ist  jedoch  dem  Einwände  nicht  genug  Rechnung  getragen, 
den  von  Stern  sofort  gegen  Kolbe  erhoben  hatte,  daß  diese  Definition 
für  das  Verständnis  der  fraglichen  Worte  nichts  beweisen  kann, 
weil  in  ihr  aller  Nachdruck  auf  dem  Objekt  rä  jiiev  ^eviy.d  zu  /j,r} 
reXovvreg  ruht  im  Gegensatz  zu  dem  folgenden  rä  de  loa  roTg 
äoroTg  reXovvreg.  Lehmann -Haupt  will  zwar  mit  der  Auskunft 
helfen,  daß,  wenn  in  dem  nach  deutlichen  Anzeichen  vorausgegan- 
genen Volksbeschluß  über  Chalkis  von  der  Beteiligung  der  Isotelen 
an  der  Pachtung  des  Hippobotenlands  die  Rede  war,  der  Ausdruck 
öooi  jui]  reXovoiv  "Adrjvalie  im  Sinne  von  ol  rä  ^evixä  jU)]  re?.ovv~ 
reg  'Adijva^e  gebraucht  werden  konnte,  womit  zugleich  das  Hinder- 


MISCELLEN  109 

iiis  gegen  die  Ergänzung  von  äreleig  dvai  beseitigt  werden  soll. 
Allein  die  Möglichkeit  der  Ellipse  des  für  den  Sinn  unentbehrlichen 
rd  ^Evixd  ist  auch  unter  jener  willkürlichen  Voraussetzung  ent- 
schieden in  Abrede  zu  stellen,  und  selbst  wenn  sie  zugegeben  wer- 
den dürfte,  wäre  damit  noch  keine  correcte  Bezeichnung  der  ioo- 
teXeig  gegeben,  da  der  Ausdruck  auch  auf  die  nrehTg  Anwendung 
htte.  Gerade  die  Zusammenstellung  der  Kategorie  öooi  /d]  reXov- 
oiv  'Adijva^E  mit  den  ärEXeig  aber  lätU  die  Beziehung  jener  auf 
die  Isotelen  unzulässig  erscheinen.  Nicht  als  ob  laoTeXeia  und 
drtX.eia  nur  verschiedene  Benennungen  derselben  Sache  wären,  wie 
sonderbarerweise  Francotte,  Finances  des  cites  Grecques  p.  283  ff.  mit 
ganz  unzureichender  Begründung  behauptet  hat.  Aber  da  die  eine 
wie  die  andere  durch  Volksbeschlufs  verliehen  wurde,  wäre  die  Fas- 
sung der  Ausnahmebestimmung  statt  eines  einfachen  oooig  jutj 
looxeXeia  rj  dreXeia  dedoiai  vno  rov  dtjjuov  rov  'Aßrjvaicov  mehr 
als  ungeschickt.  Es  muß  also  dabei  bleiben,  daß  alle  in  Athen 
eingeschriebenen  Metoiken,  falls  sie  nach  Chalkis  übersiedelten,  nach 
Athen  weiter  zu  steuern  hatten,  in  (Ihalkis  aber  von  der  Steuer- 
pflicht entbunden  waren.  Daß  aber  die  Absicht  der  Maßnahme 
dahin  gegangen  wäre,  Nichtbürger  zur  Bebauung  des  Hippobolen- 
landes  heranzuziehen,  um  durch  dessen  möglichst  starke  Besiedlung 
die  in  Athens  Interesse  gelegene  Erhöhung  seiner  dortigen  Wehr- 
macht zu  erzielen  (Lehmann -Haupt  S.  533),  das  ist  dadurch  aus- 
geschlossen, daß  in  diesem  wie  in  ähnlichen  Fällen  die  Zahl  der 
Ansiedler  im  voraus  festgesetzt  war.  Und  daß  man  entgegen  dem 
sonstigen  Verfahren  bei  Aussendung  von  Golonien  im  einzelnen 
Falle  auf  die  Metoiken  zurückgegriffen  hätte,  wird,  von  allem  andern 
abgesehen,  um  so  unwahrscheinlicher,  wenn  man  erwägt,  aus  wel- 
chen Elementen  die  attische  Metoikenschaft  sich  zusammensetzte. 
Unter  der  großen  Zahl  von  Metoiken,  deren  Beschäftigung  für  uns 
nachweisbar  ist,  begegnen  nur  sehr  wenige  Landbauer,  und  am 
wenigsten  kann  es  ihrer  unter  denen  gegeben  haben,  die  das  Volk 
durch  Verleihung  der  Isotelie  ausgezeichnet  hatte.  Etwas  wesent- 
lich anderes  ist  es,  wenn  der  Staat,  um  den  Abbau  der  Silberberg- 
werke von  Laureion  zu  steigern,  den  Metoiken,  die  sich  daran  be- 
teiligten, die  Isotelie  gewährte,  nach  Xenophon  jioqoi  4,  12  mit 
meinen  Bemerkungen  bei  Schubert,  De  proxenia  Attica  p,  53.  Wohl 
aber  ist  es  verständlich,  daß  man  als  Folge  der  Abwanderung  von 
zweitausend  Bürgern  nach  Chalkis  auch  die  Übersiedlung  einer  nicht 


110  MISCELLEN 

geringen  Zahl  von  Metoiken  erwartete,  deren  Steuerkraft  man  dem 
Staate  nicht  verlorengehen  lassen  wollte. 

Leipzig.  J.  H.  LIPSIUS. 

DIE  ZEIT  NIKANDERS. 

Für  den  Dichter  Nikander  sind  drei  verschiedene  Zeitangaben 
überliefert. 

1.  Um  275  wird  er  als  Zeitgenosse  des  Arat,  Theokrif,  Kalli- 
machos,  Lykophron  gesetzt  in  den  ßioi  'Agdrov  1,  2,  4  Westerm. 
(=  Comment.  in  Arat.  Maaß  p.  78.  11;  p.  323.  13,  p.  326.  5,  14), 
Hypotlies.  Theokrit  I,  ßioi  Ävx6(pQovog  p.  4.  30  Scheer,  auch  wohl 
bei  Cicero  de  or.  116.  Ebendahin  setzt  ihn  Schol.  Nikand,  Ther.  3 
mit  der  Behauptung,  der  hier  angeredete  Hermesianax  sei  der 
Dichter  des  Leonlion. 

2.  An  das  Ende  des  111.  Jahrhunderts  verweist  ihn  die  Polemik, 
gegen  den  ersten  Ansatz  in  den  citirlen  Aratviten,  von  denen  die 
erste  ihn  nach  Ptolemaios  V.  (204  — 180)  dalirt,  die  vierte  ihn 
12  Olympiaden  =  48  Jahre  jünger  als  Arat  erklärt,  was  etwa  225 
ergäbe.  Da  sie  aber  beide  dieselbe  Vorlage  wiedergeben,  ist  dieser 
Unterschied  bedeutungslos. 

3.  Nach  Altalos  111.  (138—133)  datirt  ihn  der  Verfasser  des 
erhaltenen  Commentars  zu  den  Theriaka  im  yevog  und  zu  Vers  3, 
ebenfalls  gegen  den  eisten  Ansatz  polemisirend. 

Aus  dieser  Übersicht  ergibt  sich,  daß  die  ursprüngliche  Datirung 
Nikanders  die  erste  auf  275  war,  da  gegen  sie  sich  die  Polemik 
richtet,  die  ihn  jünger  machen  will.  Worauf  jener  ältere  Syn- 
chronismus des  Nikander.  Arat,  Kalllmachos,  Theokrit,  Lykophron 
gegründet  war,  wissen  wir  nicht.  Es  paßt  zu  ihm  aber  vortrefflich 
die  Widmung  der  Theriaka  an  Hermesianax,  „den  berühmtesten  seiner 
vielen  Verwandten",  den  der  ältere  Erklärer  für  den  Freund  des 
Philitas,  den  Dichter  des  Leonlion,  erklärt  hat  (Schol.  Nik.  Tlier.  3), 
ohne  dies  als  Beweis  für  die  Datirung  zu  benutzen ;  eher  gilit  er 
es  als  Folgerung,  sofern  man  auf  die  Fassung  des  Scholions  über- 
haupt etwas  geben  darf.  Diese  Identifikation,  gegen  die  sich  auch 
hier  die  Polemik  des  jüngeren  Chronologen  richtet,  leuchtet  außer- 
ordentlich ein,  da  jener  Dichter  Hermesianax  in  der  Tat  aus  Kolo- 
phon  stammte  (Athen.  Xlll  597  A),  wirklich  berühmt  und  älter  als 
Nikander  war,  der  ihn  auch  in  seinem  Werk  über   die   kolophoni- 


1 


MISCELLEN  111 

sehen  Dichter  erwähnt  halle  (Schoh  Nik.  Ther.  3).  Es  paßt  aher 
auch,  was  wir  von  Nikanders  Poesie  wissen,  vorlrefTlich  in  diese  fi  üh- 
hellenislisclie  Zeit.  Wie  Herinesianax,  Arat,  Alexander  Ailolos  u.a. 
folgt  er  dem  Vorbilde  Hesiods,  des  Lieblings  dieser  modernen 
Dicblergemeinde,  maclit  wie  Arat  Lehrgedichte  Theriaka,  Alexi- 
pharniaka,  Georgika,  Melissurgika,  und  zwar  ebenso  wie  jt-ner,  in- 
dem er  ein  Handbuch  des  lologen  ApoUodoros  versificirt,  dichtet 
wie  Boio  Verwandkmgssagen.  Für  die  Diktion  scidiefst  er  sich  dem 
Anlimachos,  seinem  Landsmanne,  an  (Schol.  Nik.  Ther.  3).  Auch 
das  ist  ein  specifij:ch  fVühhellenislisihcr  Zug.  Asklepiades  von  Samos 
(AP  IX  63)  und  Poseidippos  (AP  XII  168)  feiern  Anlimachos  hoch, 
Phililas,  Hermesianax  ahmen  ihn  nach;  aber,  nachdem  Kalli- 
machos  (f^%  441)  die  Lyde  des  Anlimachos  ein  naiv  yQ6.}xiia  xal 
ov  xoQov  gescholten,  hat  es,  soweit  wir  wissen,  lange  gedauert, 
bis  er  wieder  zu  Ehren  kam :  erst  bei  Antipalros  von  Thessalonike 
AP  VII  409  finden  wir  wieder  sein  Lob.  Denn  aus  dem  boshaften  Epi- 
gramm des  Ktales  von  Malios  XI  218  kann  man  das  kaum  herauslesen. 
Dieser  gut  begründeten  urspiünglichen  Anselzung  Nikanders 
auf  275  durch  seine  älleslen  bekannten  Behandler  stehen  seine 
Dalirungen  auf  200  und  133  entgegen,  von  denen  jene  in  den 
Aratviten,  diese  im  Theriakacommenlar  gegen  die  erste  ausgespielt 
werden.  Die  nur  für  die  dritte  erhaltene  Begründung  stützt  sich 
auf  einen  Hymnus  an  einen  Pergamenerkönig  Attalos  in  Hexa- 
metern, von  dem  fünf  Verse  im  Wortlaut  angeführt  werden;  weitere 
Beweise  scheinen  nicht  erbracht  worden  zu  sein  ,  wie  diese  Verse 
ja  auch  so  ziemlich  Ausschlag  zu  geben  geeignet  sind.  Denn 
daß  ein  um  275  dichtender  Zeitgenosse  Arats  und  Ka'limachos',  der 
noch  den  Hetniesianax,  Phililas'  Freund,  gekannt  halte,  auch  nur 
den  Altalos  I.  (241  —  197)  besungen  haben  sollte,  ist  nicht  sehr 
wahrscheinlich,  wenn  auch  Kallimachos  noch  um  244  der  Gattin 
des  dritten  Ptolemaios  gehuldigt  hat.  Nun  behauptet  aber  der 
Verfasser  der  Nikandervita ,  dieser  Hymnus  sei  an  den  3.  Altalos 
(138 — 133)  gerichlet.  Wie  er  daraufgekommen,  wissen  wir  nicht. 
Die  mitgeteilten  Verse  geben  keinen  Anhalt.  Denn  Pasqualis 
(Studi  Ilaliani  di  Hlologia  cl.  XX  1913  p.  68)  Schluß  aus  dem  Verse 
Tev&Qavidtjg,  cb  xXrJQOv  äei  naTQCotov  l'oxcov ,  der  erste  Altalos 
könne  nicht  gemeint  sein,  weil  er  nicht  vom  Vater,  sondern  vom 
Oheim  Philelaitos  das  Reich  erobert  halte,  ist  verfehlt.  Das  perga- 
menische  Königshaus  führte  sich  auf  den  Heraklessohn  Telephos,  den 


112  MISCELLEN 

Erben  des  Teutliras  zurück,  und  es  hat,  wie  die  von  Ad.  Wilhelm 
erkannte  und  erläuterte  (Athen.  Mitt.  XXXIX  1914  S.  148)  Statuen- 
reihe dieser  mythischen  Ahnen  und  der  Attaliden  in  Delos,  ebenso  wie 
der  von  Robert  gedeutete  Telephosfries  (Arch.  Jahrb.  II  1887  S.  255) 
zeigen,  auf  diese  Abkunft  und  ihr  so  legitimirtes  Erbrecht  den 
giößten  Wert  gelegt.  Wirklich  ist  nun  aber  auch  dieser  Hymnus 
wahrscheinlich  auf  Attalos  I.  bezogen.  Denn  so  wird  nicht  nur  der 
zweite  Ansatz  Nikanders  auf  225/200  (Ptolemaios  V.  und  12  Olym- 
piaden nach  Arat)  verständlich,  sondern  es  erklärt  sich  auch  die  Con- 
fusion  bei  Suidas  NiyMvdgog  .  .  .  yeyovcog  xard  röv  veov  "'ArxaXov 
tjyovv  röv  teXevto.Tov,  tov  FaXarorixtp',  ov'Pco^aToi  xareXvoav. 

Diizu  paßt  nun  auch  das  delphische  Proxeniedekret  Nixdvdgoo( 
"Ava^ayoQov  Kokocpcovicoi  ijiecov  7ion]räi  (BCH  VI  1882  p.  217  nr.  5 
=  Collilz-Bechtel,  Gr.  Dialekt-Inschr.  112653  =  Dillenberger  Syll.  P 
452),  nach  Pomtows  Ansatz  von  205,  auf  den  er  nach  vorübergehen- 
dem Schwanken  (260  —  230:  bei  Vollgraff,  Nikander  und  Ovid  1909 
S.  20)  wieder  zurückgekommen  ist  (Syll.  a.  a.  0.,  vgl.  Realencykl.  IV 
2631).  Bewährt  sich  diese  Datirung,  so  hat  es  zwei  Dichter  Ni- 
kandros  von  Kolophon  gegeben:  1.  den  berühmten  Dichter  der 
Georgika,  Heteroiumena,  Tlieriaka,  Zeitgenossen  des  Hermesianax 
und  Arat,  Sohn  des  Damaios,  um  275,  2.  den  Sohn  des  Anaxa- 
goras,  der  48  Jahre  jünger  als  Arat,  auch  nach  Ptolemaios  V.  datirt 
(also  um  225/200  anzusetzen),  den  Hymnus  auf  den  Galliersieger 
Attalos  1.  gedichtet  haben  wird.  Sollte  aber  die  delphische  In- 
schrift mit  ihrem  Archon  Nikodamos  doch  noch  auf  266,  das  Jahr 
eines  Archons  gleichen  Namens  (Pomtow  zu  Diltenb.  Syll.  P  424), 
zu  setzen  sein,  so  würde  sie  auf  1.  bezogen  werden  müssen.  Da- 
maios, ein  Name,  der  nur  in  Delphi  vorkommt  (Pomtow  zu 
Dittenb.  I  ^  452),  wäre  dann  sein  delphischer  Adoptivvater.  In  jedem 
Falle  bleibt  der  Ansatz  des  uns  bekannten,  von  Aemilius  Macer, 
.'ergil,  Ovid  bewunderten  und  benutzten  Dichters  Nikander  auf  die 
frühhellenistische  Zeit  bestehen.  Denn  in  ihre  Bestrebungen  fügen 
sich  seine  Werke  ein.  dahin  weist  seine  Widmung  an  Hermesianax 
und  dahin  ist  er  von  der  antiken  Gelehrsamkeit  als  Zeitgenosse 
Arats  gesetzt. 

Leipzig.  E.  BETHE. 


ÜACCHYLIDEA. 

1.  Die  keische  Siegerliste. 

Die  Bedeutung  der  Siegerlisle  von  Keos  für  Bakchylides' 
Epinikien  ist  sogleich  nach  der  Veröffentlichung  des  großen  Papyrus 
von  Wilamowitz ')  und  Festa^)  erkannt  worden,  die  aus  ihr  den 
von  Kenyon  mißverstandenen  Namen  des  in  den  beiden  ersten 
Liedern  gefeierten  Siegers  Argeios,  Pantheides'  Sohn,  ermittelten. 
Der  Stein  war  lange  Zeit  nur  in  der  Dissertation  von  Pridik,  De 
Cei  insulae  rebus,  Berlin  1892  S.  160  zugänglich  ^),  jetzt  liegt  er 
in  besserer  durch  ein  Faksimile  unterstützter  Fassung  vor  IG  Xlf 
5,  608  *).  Am  eingehendsten  hat  sich  mit  ihm  Jebb  ^')  befaßt, 
der  sich  auf  Angaben  Bosanquets  stützen  konnte.  Da  Bosanquet 
eine  für  das  Verständnis  des  Steins  wichtige  Frage  anders  beurteilt 
als  Hiller  v.  Gaertringen  im  Corpus,  erbat  ich  von  diesem  einen  Ab- 
klatsch, den  er  mir  mit  gewohnter  Liebenswürdigkeit  und  Hilfs- 
bereitschaft sofort  zur  Verfügung  stellte.  Eine  Nachprüfung  am 
Original  im  Athener  Nationalmuseum  ist  ja  leider  vorläufig  un- 
möghch. 

Über  den  äußeren  Zustand  bemerkt  Hiller  im  Corpus:  Stehi  mar- 
moris  albi  in  duas  partes  fracta,  superne  mvfila,  a  parte  postica 
rudis.     L.  0,30,  a.  max.  0,52,  er.  0,09;  littcrae  OMS— 0,012. 

Darnach  wäre  die  Stele  zwar  rechts  und  links  an  den  Rändern 
bestoßen,    so    daß  einige  Anfangs-    und  Schlußbuchstaben  verloren- 


1)  Götting.  gel.  Anz.  1898,  126, 

2)  Le  odi  e  i  fi-ammenti  di  Bacchilide,  Firenze  1898,  S.  2  Anui.  1. 

3)  Pridiks  Abschrift  ist  wiederholt  in  Michels  Recueil  905,  der 
von  den  Beziehungen  zu  Bakchylides  noch  nichts  weiß. 

4)  Obwohl  der  IG  -  Band  1903  erschienen  ist,  citirt  leider  auch 
die  sechste,  1912  herausgekommene  Auflage  der  Griechischen  Literatur- 
geschichte von  Christ-Schmid  nur  die  veraltete  Pridiksche  Veröffentlichung. 

5)  Bacchylides,  the  poems  and  fragments,  Cambridge  1905,  186  f.; 
Hillers  Veröffentlichung  ist  auch  Jebb  unbekannt. 

Hermes  LIII.  8 


114 


A.  KÖRTE 


gingen,,  aber  nur  oben  gebrochen,  die  Ergänzungen  der  einzelnen 
Zeilen  müßten  sich  also  rechts  auf  1  —  2  Buchstaben  beschränken, 
und  so  hat  Hiller  sie  unter  Annahme  zahlreicher  Abkürzungen 
auch  durchgeführt.  Bosanquet  bei  Jebb  S.  186  f.  nimmt  dagegen 
eine  stärkere  Abarbeitung  der  rechten  Seite  an,  die  anläßlich  der 
Verbauung  in  eine  byzantinische  Kirche  auf  Keos  vorgenommen  sei, 
und  ich  muß  ihm  beistimmen.  Der  Abklatsch  spricht  zum  mindesten 
nicht  gegen  eine  solche  Verstümmelung  der  rechten  Seite,  ein 
glatter  scharfer  Band  ist  nirgends  zu  erkennen,  und  sachliche  Gründe 
machen  es  meines  Erachtens  sicher,  daß  mehr  fehlt,  als  Hiller  an- 
nahm. In  seiner  Ergänzung  ist  nämlich  dreimal  den  Angaben 
des  Namens,  Vatersnamens  und  der  Altersklasse  die  Kampfart  bei- 
gefügt, z.  B.  Z.  13  Ko]7vig  'A^iXeco  Tiaidcov  7Tay{y.odnov)^),  bei  den 
übrigen  Siegern  fehlt  das  Kampfspiel.  Dies  Schwanken  wäre  bei 
gleichzeitiger  Eintragung  der  ganzen  Liste  ^)  schwer  verständlich, 
es  widerspricht  aber  auch  dem  Zweck  der  Liste,  denn  zu  wissen, 
in  welchem  Kampfspiel  die  einzelnen  Siege  errungen  waren,  ist 
doch  mindestens  ebenso  wichtig  wie,  in  welcher  Altersklasse.  Unter 
der  Voraussetzung,  daß  rechts  ein  Stück  der  Stele  von  unbestimm- 
barer Breite  abgehauen  ist,  komme  ich  zu  folgendem  Text: 

a]»'[^^ä>j'  äyojvo.  röv  deiva 

?y]?  [0]ißQCOv{og)  äv[dQcdr 

Ä]eo\xQ]eojv  BoAeog  äv\dQÖn' 

A]iJiaQio)v  ÄiTiägov  avdgc7j[v 
5    A]i7iaoioji'  Äi7id[Q]o[v  a]vdQ[a}v 

Ä\eoy.Q£OJv  BcoIe\o\q  ävd\oö)v 

Aeo\ii[QE\(jov  Bo'jl[e\o\g\   d.rd[Q(br 

Ai\7iaQuov  AiTiaQov  ävdQ[oJV 

^]aiöi7i7Tiöi]<;  AiJioLQOv  d.y[EVEkor 
10    a\dElcpol  rfji  avT)~]i  fijiisQai 

Kif.ior/  KdjiiTiov  dvdgcTjv 

2!iLiiy.v?>.[iv]i]g  Tiiidoyo[v  dvögcor 

KQ]7vig  'A^ü^eo)  Tzaidojv  Jiay[xQdTiov 

IIolvq)avrog   Qeo(pQd[deo\g  äYEv[eicov  dydira  tov  öeTv 
15    'AgyElog  nav&elQÖECo  7iaidco[v  ttv^  oder  TrayxQdxiov 

Aecov  Ascüjuedovrog  [xiJqv^ 

leerer  Raum  für  3  Zeilen 

1)  Die  beiden  andern  Fälle  sind  Z.  24  und  29. 

2)  Wieweit  diese  anzunehmen  ist,  erörtere  ich  initen  S.  IIG. 


BACCHYLIDEA  115 

OIÖE  Nefieia  evly.ojt'  «7r[o 

Aojx[ioj]v  (?)  Ned[ov]xiov  (?)  ärdQCo[r    uyibra  lov  dura 
"EnaxQog  Na\y\x,vöeo(;  ävd\Qwv  ><  >^       >> 

20    \Ake^idiKog  [M\eviiTog  ävö[Qü)v  >>         »>       » 

KoivoXemg  [T/j^aaea  uye\^>doiv  "         >>       » 

AinaQioiv  A^Ti\äoov  av6Q(b\\'  n         ,>       » 

Aa/i(jTQ0>i2.rjg  "A^iXeco  a.vdQ\a)r  »  <>        '> 

Kificov  KäjATioi'!  uvÖQfjjv  Jia\j'y.Qdziov  oder  7idh]v 
25    IIokv(pavTog   &E[o\(pQädeog  äye\yeUiL>v  äyörva  tov  öeTva 
Agyslog  Ilavde'idECO  äyEveko[v  7iv^  oder  TrayxQariov 
Adicov  AgiOTOjuh'eog  7iaiöco[r  orddiov 
Addern'  'Agioro/ueveog  jiaidco[v  orddiov 
Aecov   Äecüjuedovrog  y.fJQv^ 

leerer  Raum 
In  der  Lesung  des  stark  verscheuerten  Steins  bin  ich,  wie  zu 
erwarten ,  über  den  kundigen  Corpusherausgeber  kaum  heraus- 
gekommen^), nur  glaube  ich  in  Z.  17,  wo  Hiller  nur  das  Vorhanden- 
sein unlesbarer  Spuren  hinter  hixcov  angibt,  ein  A,  A  oder  A  und 
•dann  deutlicher  ein  P  zu  sehen  ^),  also  äjio,  das  wäre  dann  eine 
Angabe  über  den  Anfangstermin  der  nemeischen  Siegerliste.  Z.  15 
«nd  26  habe  ich  nv^  oder  nayxQdxiov  vorgeschlagen,  weil  Argeios 
bei  Bakchylides  I  141  y.aQTe]Q6yeio  heißt  und  II  4  f.  von  ihm  ge- 
sagt wird 

öri  iJ.\d'/]^ag  dgaov^^eiQog  Aq- 
y£io[g  ä]Qaro  v'ixav. 

Z.  27  und  28  ist  oxdöiov  sicher  zu  ergänzen,  denn  wir  wissen 
jetzt  aus  der  Olympionikenliste  von  Oxyrhynchos  (0.  P.  II  222),  daß 
Lachon  den  von  Bakchylides  im  sechsten  und  siebenten  Gedicht 
verherrlichten  Sieg  in  der  82.  Olympiade  (452  v,  Chr.)  im  Stadion- 
Jauf  der  Knaben  gewann. 

Zwei  Fragen  drängen  sich  zunächst  auf:  1.  Wann  ist  der 
Stein   geschrieben?    2.  Ist   die  Niederschrift  einheitlich?     Da  Hiller 

1)  Gegen  &\lßQior{og)  in  Z.  2  l)iu  ich  sehr  mißtrauisch,  obwohl  Prott 
■fiN  gelesen  hat  „N  prms  certum  esse  affirmans  neque  OYAWqööv  legi 
posse'^. 

'2)  Hiller   gibt     an:  post   hi'xcor   Ol Piiclik;    „in  eciypo  et   in 

LoUinßü  apographo,  f/iiae  exscripsi  optirne  dignosci  possunt"  Pridik.  ABT 
prima  littera  fere  certa,  deinde  P  aiit  B,  postea  K  aut  P,  ante  A  fortasse 
-spatio  racuo  Pi-ott.     Nihil  cnudeo. 


11(5  A.  KÖRTE 

eine  Beantwoilung  der  eisten  Frage  ablehnt,  wiid  sie  bei  unserer 
bisherigen  Kenntnis  der  keischen  Inschriften  nicht  zu  geben  sein^ 
aber  so  viel  wird  man  doch  Avohl  sagen  dürfen,  die  FJuchstaben- 
formen  sehen  nicht  so  aus,  als  seien  sie  um  450  eingehauen  ^). 
Mit  aller  Vorsicht  möchte  ich  vermuten,  daß  die  Inschrift  kaun\ 
wesentlich  vor  400,  vielleicht  auch  erst  im  Anfang  des  IV.  Jahr- 
hunderts verfallt  ist,  also  ein  bis  zwei  Menschenalter  nach  Lachons- 
letztem  Sieg. 

Die  zweite  Frage  läfst  sich  eher  entscheiden:  es  fallen  deutlich' 
die  Schlußzeilen  beider  Abteilungen  aus  dem  Übrigen  heraus,  Z.  1(> 
.Ucov  ÄEOijiiEdovTog  ist  größer  und  plumper  geschrieben  als  die  übrige 
Inschrift,  weshalb  y.fJQv^  auf  dem  erhaltenen  Teil  nicht  mehr  Platr 
fand,  Z.  29  Aeoiv  Äsü)f.iedovrog  ü^qv^  dagegen  kleiner,  aber  auch 
in  dickeren,  etwas  tiefer  eingehauenen  Buchstaben.  Alle  anderw 
Eintragungen  sind  gleichzeitig,  das  zeigt  sich  besonders  in  den  Fällen , 
wo  derselbe  Sieger  zweimal  hintereinander  erscheint,  wie  Z.  4  und  5- 
AiTiuokov  AiJiaQov,  27  und  28  Adyiov\AQLOxoi.i£VEog,  wo  die  Siege 
also  in  verschiedene  Jahre  fallen.  Das  kleine  Schwanken  in  der  Schrei- 
l)ung  KijLioiy  Kdjujtov  in  Z.  11  gegen  Ki^ucoy  KduTiov  in  Z.  24  kann 
dagegen  nicht  ins  Gewicht  fallen.  Im  Grunde  ist  die  Sache  ja  schon 
durch  den  Schriftcharakter  entschieden;  denn  wenn  die  Inschrift  nicht 
in  die  erste  Hälfte  des  V.  Jahrhunderts  gehören  kann,  wäre  es  ja 
sinnlos,  die  vor  langen  Jahren  errungenen  Siege  einzeln  von  ver- 
schiedenen Steinmetzen  eintragen  zu  lassen.  Das  Ergebnis  ist  also  r 
etwa  um  400  schrieb  man  die  keischen  Sieger  aus  der  nach  Bak- 
chylides  II  9  vorhandenen  staatlichen  Liste  auf  Stein  ab.  Zwischen 
den  Isthmioniken  und  Nemeoniken  ließ  man  zunächst  4  Zeilen  für 
etwaige  künftige  Sieger  frei,  ebenso  einen  Piaum  am  Ende  der 
Nemeoniken,  und  diesen  freien  Raum  benutzte  dann  der  Hi]Qvi 
Leon  zur  Eintragung  seiner  späteren  Erfolge^).  Betrachten  wir 
zunächst,  was  der  Stein  für  die  Sporterfolge  der  Keer  lehrt.  Bei 
der  festen  Reihenfolge  der  vier  großen  Nationalspiele  ist  es  voa 
vornherein  klar  und  auch  nie  bezweifelt  worden ,  daß  den  Neme- 
oniken   die   Isthmioniken   vorangehen.      Von   ihnen   sind   uns   noch 


1)  In  Lübkes  Zeichnung  wirken  sie  für  mein  Gefühl  etwas  eleganter 
uud  jünger  als  im  Abklatsch. 

2)  Daß  zwischen  der  Niederschrift  uud  Leons  Siegen  viel  Zeit  liegt- 
glaube  ich  nicht. 


BACCHYLIDEA  117 

14  Eintragungen  erhalten^),  in  den  beiden  ersten  fehlen  die  Sieger- 
namen, wir  haben  also  von  der  ganzen  Liste  nur  grade  ein 
Fiinftel,  denn  der  in  Z.  15  verzeichnete  Sieg  war  nach  Bakchylides 
<ler  70.  oder  71.  eines  Keers  am  Isthmos^).  An  den  nemeischen 
Spielen  scheinen  sich  die  Keer  erheblich  weniger  beteiligt  zu  haben, 
<lenn  hier  haben  sie  bis  auf  Laclion  nur  11  Siege  zu  verzeichnen, 
inid  es  standen  auch  niemals  mehr  gymnische  Sieger  auf  dem 
Stein,  Von  den  Siegern  sind  15  ävögeg,  5  äyeveioi,  4  TiaiÖFQ, 
<lie  Männer  überwiegen  also  sehr  stark;  Z.  12  bei  Smikylines  fehlt 
<lie  Altersklasse  jetzt  auf  dem  Stein.  Nur  einmal,  bei  Argeios, 
linden  wir  verschiedene  Altersklassen,  er  siegt  Z.  15  Trcddcov  am 
Isthmos,    Z.  26  äyeveuov    in  Nemea.      24  Siege   verteilen  sich  auf 

15  Sieger,  Liparion  hat  3  isthmische  und  1  nemeischen  gewonnen, 
Leokreon  3  isthmische,  Kimon,  Polyphantos  und  Argeios  je  einen 
isthmischen  und  einen  nemeischen,  Lachon  zwei  nemeische,  der 
Sohn  des  Thibron,  Phaidippides,  Smikylines,  Krinis  je  einen  isth- 
mischen, Lokion,  Epakros,  Alexidikos,  Krinoleos  und  Lamprokles 
je  einen  nemeischen.  Nimmt  man  hinzu,  daß  Liparion  und  Phai- 
dippides beides  Söhne  des  Liparos  sind  —  äösXfpol  Tfji  avrrji,  fjuegat. 
wird  ihren  Namen  in  Z.  10  stolz  hinzugesetzt  —  und  auch  Krinis 
«nd  Lamprokles  beides  Söhne  des  Axileos,  so  gewinnt  man  den 
Eindruck,  daß  der  Kreis  der  sporttreibenden  Familien  in  Keos  doch 
nur  klein  war,  wie  das  bei  der  geringen  Ausdehnung  und  geringen 
Fruchtbarkeit  der  Insel  auch  nicht  anders  zu  erwarten.  Läßt  doch 
Pindar  in  IV.  Paian  den  heroischen  Ahnherrn  der  Keer,  als  er  das 
Erbe  des  Minos  ausschlägt,  bekennen  52 

ef^iol  (5'  oUyov  deöorai, 
ddavo(;  dovog. 

1)  Leons  Nachträge  berücksichtige  ich  im  folgenden  nicht. 

2)  Aus  den  Worten  des  Dichters  II  6  ff. 

xaX<öv  S'  uvfjiva.aer,  So'  sv  y.Xesrv(<ii 
av'/h'i  lo&fiov  CoLdsav 
XmövtEi  Ei'^avTida  rä- 
aov  sjTeösi^afiEi'  tßdoiii'j- 
xovza  avr  oTF.ffäroiGiv 
schließt  Blaß  praef.  *  LVIII,  70   Siege   seien   dem   des    Argeios   voran- 
gegangen; mir  scheint   es  natürlicher,  daß  Argeios'  Sieg  eingeschlossen 
ist,    grade   die   runde   Zahl  wird  den  Dichter   bewogen   haben,    sie    zu 
nennen. 


118  A.  KÖRTE 

Um  so  größer  ist  der  Stolz  der  ganzen  Insel  auf  seine  Sieger,  der 
Keerchor  rühmt  sich  bei  Pindar  IV  21 

ijTOi  xal  eyo)  nxojieXov 

vaiojv  ÖiayivcooHojuai 

jUEV  UQBxaTg  äe.'&liov 
'EkXavioiv,  yivojoxojuai  de  xal 

ixoXoav  naQE'/^cov  äXig, 
und  auch  der  keische  Sänger  weist  gern  auf  die  Sporterfolge  der 
Heimat  hin  Bakch.  II  6  fY.  VI  4  ff.  Da  ist  es  nun  sehr  interessant^ 
daß  die  Beteiligung  der  Keer  an  den  nationalen  Kampfspielen  ^^^en 
450  plötzlich  abbricht,  die  von  Bakchylides  gefeierten  Sieger 
Argeios  und  Lachon  sind  in  beiden  Listen  die  letzten.  Vermutlich 
Avurde  auch  hier  der  sportliebende  Adel  vom  Demos  um  so  mehr 
zurückgedrängt,  je  schärfer  die  attische  Vormacht  die  Zügel  der 
Herrschaft  anzogt).  Als  man  dazu  schritt,  die  Liste  der  Sieger 
in  Stein  zu  hauen  —  ich  möchte  glauben,  daß  dies  bald  nach  dem 
Sturz  des  attischen  Reichs  geschehen  ist,  als  die  spartanische  Vor- 
herrschaft den  alten  Familien  wieder  Oberwasser  gab  — ,  da  waren 
50  oder  mehr  Jahre  seit  dem  letzten  Siege  eines  Keers  verflossen,, 
und  die  Hoffnung  auf  neue  Erfolge  scheint  nach  der  Zahl  der  zwischen 
Isthmioniken  und  Nemeoniken  freigelassenen  Zeilen  nicht  allzu  groß 
gewesen  zu  sein.  Tatsächlich  hat  denn  auch  kein  Athlet;  sondern 
nur  ein  Herold  nachträglich  noch  Aufnahme  gefunden. 

Der  reizvolle  Einblick  in  das  Blühen  und  Welken  der  Gesell- 
schaft, aus  der  Bakchylides  hervorging  und  die  er  verherrlichte  2). 
ist  aber  nicht  der  einzige  Gewinn,  den  der  Stein  abwirft,  es  läßt 
sich  aus  ihm  für  Bakchylides  erheblich  mehr  herausholen  als  bisher 
geschehen  ist.  Zunächst  verhilfl  er  uns  zu  einer  ziemlich  genauen 
Datirung  der  beiden  ersten  Gedichte.  Lachon  hat  in  Olympia 
TiaiÖcov  orddiov  im  Jahr  452  gesiegt,  und  es  ist  sicher  anzunehmen ^ 
daß  mindestens  einer  der  beiden  nemeischen  Siege  dem  in  den 
größten  und  anspruchsvollsten  Nationalspielen  voranging,  also  sind 
die  spätesten  für  Lachons  nemeische  Siege  möglichen  Jahre  45S 
und  451,  wahrscheinlicher  wird  man  sie  auf  455  und  453  setzen. 
Der  Sieg  des  Argeios  äyevEion'  an  den  Nemeen   steht   unmittelbar 

1)  Vgl.  Bethe,  Neue  Jahrb.  für  das  klass.  Alt.  XXXIX  1917,  76  ff. 

2)  Sein  gleichnamiger  Großvater  heißt  bei  Suidas  u&hjT}']?,  gehörte- 
also  zum  sporttreibenden  Adel;  der  Enkel  wird  das  gelegentlich  hervoi- 
gehoben  haben. 


BACCHYLIDEA  119 

vor  Lachons  erstem  Sieg,  kann  also  spätestens  am  gleichen  Fest  453 
errungen  sein.  Der  Nemeensieg  des  Argeios  fiel  aber  später  als 
der  von  Bakchylides  gefeierte  isthmische,  denn  am  Isthmos  ist  er 
noch  Jialg,  in  Nemea  äyeveiog.  Nehmen  wir  an,  daß  er  grade 
in  dem  zwischen  beiden  Siegen  liegenden  Jahre  die  Altersgrenze 
beider  Klassen  überschritten  hatte,  so  ist  454  das  spätest  mög- 
liche Jahr  für  die  beiden  Gedichte  des  Bakchylides.  Nicht  ganz 
so  fest  wie  dieser  Terminus  post  quem  non  läßt  sich  der  ante 
quem  non  bestimmen,  immerhin  ist  auch  hier  der  Spielraum  nicht 
allzu  groß,  weil  die  Zeit,  in  der  ein  Athlet  Tiaig  oder  uyeveiog  ist, 
ja  nur  wenige  Jahre  umfaßt.  Wenn  Lachon  452  als  Knabe  in 
Olympia  siegt,  so  ist  der  frühest  mögliche  Termin  für  den  ersten 
Nemeensieg  das  Jahr  457,  dann  kann  der  unmittelbar  vor  ihm 
stehende  Argeios  immerhin  459  oder  461  gesiegt  haben  und  sein 
Isthmiensieg  als  Knabe  462  oder  464  fallen ,  höher  hinauf  wird 
man  schwerlich  gehen  dürfen.  Somit  fallen  die  beiden  ersten  Ge- 
dichte des  Bakchylides  zwischen  464  und  454,  also  sicher  zwi- 
schen das  Lied  III  für '  Hierons  olympischen  Wagensieg  und  die 
beiden  für  Lachons  olympischen  Sieg  im  Knabenstadion  VI  und  VII, 
vom  Jahre  452.  Mit  Wahrscheinlichkeit  wird  man  die  Mitte  des 
so  abgesteckten  Zeitraums,  also  die  Jahre  460  oder  458  als  Ent- 
stehungsjahre der  Gedichte  ansehen  dürfen,  und  warum  von  diesen 
beiden  wieder  458  nicht  in  Frage  kommt,  führe  ich  weiter  unten 
(S.  147)  aus. 

Aber  noch  eine  andere  für  Bakchylides  nicht  unwichtige  Frage 
hilft  die  Siegerliste  entscheiden.  Bekanntlich  hat  Blaß  die  von 
Kenyon  als  VII  und  VIII  gezählten  Gedichte  in  eins  zusammen- 
gezogen und  dementsprechend  für  die  folgenden  Gedichte  eine  beim 
Citiren  höchst  unbequeme  ümnumerirung  eingeführt.  Diese  Ver- 
schmelzung ist  von  Festa  und  Jebb  angenommen,  von  Blaß  ind.  Z. 
XXXVI 1901  S.  274ff.  noch  einmal  ausführlich  verteidigt  worden,  und 
Sueß  hat  sie  trotz  des  inzwischen  geäußerten  Widerspruchs  ^)  bei- 
behalten, Wirkhch  bewiesen  hat  Blaß,  daß  zwischen  der  Columne 
XVII  (XIII  bei  Kenyon)  und  XVIII  (XIV  K.)  keine  ganze  Columne  aus- 
gefallen ist;  denn  er  hat  Wortenden  am  linken  Rand  des  oberen 
Drittels   von  Gol.  XVIII  mit  Hilfe   kleinerer  Fragmente  sehr  scharf- 

1)  Jiirenka,  Festschrift  für  Gomperz  220  if.  Paul  Maas,  Philol. 
LXIII  1904,  308  f.;  Sitzler  hat  seinen  Bursians  Jabresber.  104,  134  ge- 
äußerten Widerspruch  später  Jahresber.  133,  216  f.   zurückgenommen. 


120  A.  KÖRTE 

sinnig  und  durchaus  überzeugend  an  die  Versanfänge  der  Golumne 
XVII  angeschlossen.  Nicht  bewiesen  hat  er  aber,  daf.j  Gedicht  VII 
von  der  drittletzten  Zeile  der  Gol.  XVI  bis  zur  16.  Zeile  der 
Gel.  XVIII  reicht ,  so  gerne  man  auf  das  kurze  VI.  Gedicht  ein 
längeres  von  54  Versen  folgen  sähe.  Ein  Beweis  war  hierfür  nicht 
zu  erbringen,  weil  sich  eine  strophische  Einteilung  nicht  durchführen 
ließ  ^).  Er  kam  deshalb  in  seinem  Aufsatz  in  d.  Z.  zu  der  verzwei- 
felten Annahme,  VII  sei  ein  großes  änolelvfxevov,  eine  Ansicht, 
die  Sueß  p.  LVI  anscheinend  mit  einigem  Unbehagen  wiedergibt  2). 
Jetzt  entscheidet  der  keische  Stein  gegen  die  Zusammenziehung, 
denn  Kenyons  VIII.  Gedicht  läßt  sich  mit  ihm  nicht  in  Einklang 
bringen. 

Das  Erhaltene  beginnt  V.  39  Blaß 

Ilvdcbvd  xe  fit]lo&vrar 
40    vjuveojv  Nejiitav  je  xal  'lod[fi\6v 
yäi  d    EJiioxi'jjTTOJv  x^Q^ 
}<ojuJidoof,iat'  ovr  aXa- 

'&eiai  de  tiuv  /mjlijisi  xQ^o[g' 
ovng  ävdQOjTioiv  x\ad'   "EXka- 
45         vag  ohv  ähxi  xq6vo}\i 

Tiaig  eojv  ävrjQ  ze  n\oooh''^)    JiXev-  m 

rag  EÖe^axo  viyMg. 
Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  die  Erwähnung  von 
Pytho,  Nemea  und  dem  Isthmos  durch  frühere  Siege  des  Gefeierten 
an  diesen  Orten  veranlaßt  worden  ist ;  wenn  Lachon  hier  besungen 
wird,  muß  er  also  vor  dem  olympischen  Knabensieg  schon  andre 
in  den  drei  andern  großen  Nationalspielen  gewonnen  haben.  Daß 
die  V\'^endung  V.  46  jiaTg  kov  avi'jQ  xe  auf  ihn  bezogen  werden  kann, 
obwohl  er  ja  nur  als  Knabe  gesiegt  hat,  gebe  ich  zu,  nach  dem 
vorangehenden  ovxig  entspricht  die  Wendung  einem  ovxe  Tzaig  ovxe 

1)  Die  gewaltsamen  Versuche  von  Jurenka  a.  a.  0.  222  f.  und  Sitzler 
Bursians  Jahresber.  133,  216  f.,  Responsion  von  VII  1  —  7  und  8ft".  zu 
erzwingen ,  scheitern  an  V.  3  und  10,  wie  Blafs  und  Sueß  mit  Recht 
bemerken. 

2)  Wie  unwalirscheinlicli  ein  dno'/.slvjiiyov  unter  Bakchylides'  Epi- 
nikien  wäre,  hat  Jurenka  a.  a.  0.  224  sehr  richtig  ausgefülirt. 

3)  Ich  habe  mit  Sandys  n:oooiv  vor  .-z^-erya^  eingesetzt,  ebenso  möglich 
ist  Jiv^.  Die  Angabe  des  Kampfspiels  scheint  mir  wünschenswert  an 
sich  und  ergibt  ein  besseres  Metrum,  nur  hätte  der  Schreiber  .ihv-  zum 
folgenden  Colon  ziehen  sollen,  das  dann  ein  regelmäßiger  Enhoplier  wird.  ' 


BACCHYLIDEA  121 

CLVYjQ,  schlechterdings  niemand,  auch  kein  Mann,  Aber  die  Verse 
können  nicht  auf  ihn  bezogen  werden;  denn  er  fehlt  in  der  Liste 
der  keischen  Isthmioniken,  wo  er  hinter  Argeios  seinen  Platz  haben 
müßte.  Ich  halte  es  für  durchaus  unzulässig,  die  Urkundlichkeit 
dieser  Liste  einer  noch  so  bestechenden  modernen  Gombination  zu- 
liebe anzutasten.  VIII  ist  mit  Kenyon  von  VII  zu  trennen  und  einem 
unbekannten  Sieger  zuzuweisen. 

Es  zeigt  sich,  dafs  Kenyon  doch  von  einem  richtigen  Empfinden 
geleitet  war,    als   er  die    Schlußverse    des    Gedichts    als  Gebet    für 
«inen    künftigen  Erfolg    in  Olympia,    nicht    als  Dank  für  einen  ge- 
wonnenen olympischen  Sieg    auffaßte,    sie   sind  dann  zu  schreiben : 
47    CO  Zev  K\£\Qavveyyßg,  xa\l  bti'  äQyv]QOÖiva 

öx&aioiv  'Alcpeiov  xele\oov  [,iey\aXoy.XEag 
50    deodoToli']?  ev/dg,  Jieol  x\gdT(   y'  d\7id\oaa.]g 
ylavy.ov  Älrcolido\^g 
ävdijjLi'  eXaiag 

EV  ÜEloTiog   0Qvyioi'^ 
y.leivoig  äE&?,oig. 

Mich  hat  immer  gestört,  daß  wenn  man  mit  Blaß  TElEoag 
(überliefert  teIsoo-)  ergänzt,  dieser  letzte  größte  Sieg  durch  die 
feierliche  Bezeugung  der  Einzigartigkeit  der  Erfolge  von  den  andern 
Siegen  abgetrennt  wird  und  nachklappt.  Auch  der  wuchtige  Anruf 
o)  Zev  y.sgavveyyjg  scheint  mir  für  ein  Gebet  angemessener^). 

Natürlich  kann  man  trotz  der  keischen  Siegerliste  Blaß'  Lesung 
und  Auffassung  der  Schlußverse  festhalten,  dann  hat  eben  der  hier 
Gefeierte  an  allen  großen  Nationalspielen  gesiegt,  —  was  Lachon 
nicht  beschieden  war. 

Sind  VII  und  VIII  getrennte  Gedichte,  so  muß  man  versuchen, 
die  von  Col.  XVII  erhaltenen  Bruchstücke  (fr.  12  und  7  bei  Kenyon) 
auf  beide  Lieder  zu  verteilen  und  deren  Umfang  festzustellen.  Dies 
ist  meiner  Überzeugung  nach  Paul  Maas  (Philol.  LXIII  308  f.)  bereits 
gelungen,  dessen  sehr  knappe  Darlegung  des  Tatbestandes  von 
Sueß  nicht  ganz  nach  Gebühr  gewürdigt  wird.  Fr.  7  Kenyon  ge- 
hört in  das  VIII.  Gedicht  und  entspricht  metrisch  den  Viersen  VII 
46  —  53  der  Blaßschen  Ausgabe.  Ich  gebe  von  den  correspondiren- 
den  Versen  nur  die  vergleichbaren  Teile: 

1)  Ganz  ähnlich  läßt  Pindar  Istlim.  I  auf  die  lauge  Liste  der  Er- 
folge des  Herodotos  V.  53— 59  mit  scharfem  Absatz  V.  60 — 63  deu  Wunsch, 
er  möge  auch  in  Delphi  uud  Olympia  siegen,  folgen  V.  63 — 67. 


122  -^-  KÖRTE 

fr.  7.  VII  46  ff.  Bl. 

IOC  dycöv[og  (?)  :^aTg  ecov  ävrjQ  je 

ww  xäv  )dna[oäv  —  -vag  ede^aio  vly.ag 

—  vaig  en'  a[ o)  Zev  xenawey/hg 

na^dag  ^Elhl\yo)v  öydaioiv  'Alcfeiov 

5  6  7io]XvafX7ieX{ov  50   ßsodorovg  evyäg 

•  ■  arov  vi.iv\c>v  ^  —  y?Mvy.öv  AhcoXidog 

Z]^}]vbg  £v  K[(o)i  ävdt]iu'  iXaiag 

y.ai]ji€o  ävi7i[7iog  eovo'  (?)  h  UeXoTiog  (Povyiov 

Fr.  7  Z.  1  ist  die  Lesung  unsicher  und  der  Hiatus  -lov  äyojv\og 
schwerlich  richtig,  aber  der  Papyrus  hat  ähnhche  Hiate  III  64.  92. 
XVI  5.  20. 

Z.  5  schlägt  Maas  nov\Xvaf.mel  —  oder  6  7io\lvaiA7iEX  —  vor, 
aber  Composita  mit  ttovIv  kommen  weder  bei  Bakchylides  noch 
bei  Pindar  vor,  auch  ist  die  Entsprechung  bei  o  7iolvai.i7iel  —  ge- 
nauer.   NatLU'lich  mufs  ein  casus  obliquus  folgen,  etwa  6  Ttokva/ti- 

TIeXoV    JLlEÖEmv. 

Z.  7  ist  Maas'  Vorschlag  iv  K[ecoi  schwer  zu  umgehen,  da 
dem  Kolon  nur  eine  Silbe  fehlt;  obwohl  die  Synizese  sonst  in  Keog 
bei  Bakchylides  nicht  vorkommt. 

Z.  8  habe  ich  y.aijiEQ  ärijuiog  lovo'  gewagt  nach  Pindar 
Pai.  IV  27,  wo  der  Keerchor  von  sich  sagt  ävinnog  eijui. 

Daß  sich  die  8  Verstrümmer  hintereinander  dem  Metrum  von 
VIII  ohne  Zwang  und  ohne  andre  als  die  erlaubte  Freiheit  —  ^  —  -^ 
=  —  ^ (V.  5)  fügen,  kann  kein  Zufall  sein. 

Ebenso  läßt  sich  fr.  12  mit  Vll  2tY.  in  Einklang  bringen,  ob- 
wohl hier  die  starke  Zerstörung  der  Strophe  ein  sicheres  Urteil 
unmöglich  macht  ^).  Maas  gewinnt  also  aus  VII  1  —  11  -f  fr-  12 
ein  Lied  aus  zwei  Strophen  mit  zusammen  22  Kola,  aus  fr.  7  -,- 
VIII  Kenyon  ein  zweites,  wieder  aus  zwei  Strophen  mit  zusammen 
32  Cola  bestehend.  Beide  Lieder  sind  kurz,  aber  selbst  das  kürzere 
MI  ist  immer  noch  zwei  Verse  länger  als  der  Liederbrief  IV,  den 
Bakchylides  nach  Hierons  pythischem  Wagensieg  an  den  Herrscher 
sandte. 


1)  Blaß'  Behauptung,  daß  sich  am  Räude  von  Col.  XVUI  Vers- 
enden der  Gegenstroplie  erhalten  haben  müßten,  wenn  eine  solclie  zu 
VII  Ift".  existirt  hätte,  weist  Maas  mit  Recht  zurück;  der  Schreiber 
wird  die  Gegenstrophe  etwas  enger  geschrieben,  oder  allmählich  etwas 
weiter  links  begonnen  haben. 


BACCHYLIDEA  123 

Für  das  VIII.  Gedicht  läßt  sich  nun  noch  einiges  ermitteln. 
Daß  7iolvdjiiJie?.og  (fr.  7,  5)  auf  Keos  weist,  hat  schon  Blaß  hervor- 
gehoben, äjUTieXoTQÖq^og  wird  die  Insel  VI  5  genannt,  und  auch 
Pindar  läßt  den  keischen  Chor  Pai.  IV  25  f.  rühmen 
fj  y.ai  zt  Aicovi'oov  uqovqu  rpegei 
ßiodcoQov  äfiayaviag  äxog. 
Nimmt  man  die  zum  mindesten  wahrscheinliche  Ergänzung  in  V.  7 
Z\r]v6g  ev  K[koL  und  die  wieder  durch  Pindar  empfohlene  in  V.  8 
y.ui]^7iEQ  ävi7i[7iog  hinzu,  so  glaube  ich  mich  nicht  gegen  das  neunte 
Gebot  des  Lehrs-Ritschlschen  Philologen-Katechismus  „Du  sollst  nicht 
glauben,  daß  zehn  schlechte  Gründe  gleich  sind  einem  guten"  ^)  zu 
versündigen,  wenn  ich  sage,  im  VIII.  Gedicht  wird  ein  Keer  gefeiert. 
Der  Platz  hinter  den  beiden  Gedichten  für  den  Keer  Lachon  paßt 
gut  dazu,  und  man  versteht  jetzt  auch  besser,  warum  die  Gedichte 
VI — VIII  von  den  beiden  ersten  für  den  Keer  Argeios  getrennt  sind. 
Das  erste  Gedicht  war  durch  seine  Länge  und  die  keische  Sage  als 
Tijlavyeg  tiooocojiov  für  die  Epinikien  des  keischen  Dichters  wie 
geschaffen  und  bestimmte  natürlich  den  Platz  des  zweiten,  das  ja 
nur  sein  Vorspiel  ist.  Nun  aber  sogleich  weiter  drei  kleine  Gedichte 
für  Keer  folgen  zu  lassen,  trug  der  Anordner  Bedenken  und  schob 
die  Gruppe  der  Gedichte  für  Hieron  ein,  von  denen  III  und  vor 
allem  V  weit  stattlicher  sind. 

Ist  aber  der  Sieger  von  VIII  ein  Keer,  so  können  wir  ihn  auch 
benennen.      Er  muß,    wie    wir  sahen,    am  Isthmos  und    in  Nemea 
gesiegt  haben,  und  das  haben  laut  dem  keischen  Stein  nur  Argeios 
und  Liparion,  Liparos'  Sohn,  getan.     Argeios  scheidet  schon    nach 
der   Stellung    von    VIII  aus ,    also    bleibt  Liparion    übrig.      Und  da 
trifft    es    sich  dann  gut,    daß  Liparion  mit  seinen  drei  isthmischen 
und    einem    nemeischen    Sieg   weitaus    der   erfolgreichste   Keer   ist, 
von  den  wir  Kunde  haben,  die  stolzen  Worte  des  VIII.  Gedichts 
ovrig  äv&gcoTicov  x[ad''  "Ella- 
vag  ovv  älixi  yo6vco[i 
naJg  ecov  uv/jq  ts  :7[ooolv 
.T/£t']vag  idtiaro   viy.ag 
passen  also  in  der  Tat  vorzüglich  auf  ihn. 

1)  0.  Ribbeck.  Friedrich  Wilhelm  Ritsclil  S.  4r>0. 


I 


124  A.  KÖRTE 

2.  Die  neuen  Fragmente. 
Unter  den  Oxyrh}Tichos-Pap)'ri  ist  schon  einmal  ein  Rest 
einer  Bakchylideshandschrift  zutage  gekommen  ^) ,  der  für  die  Verse 
XVII  (XVI  Bl.)  47  —  78  und  91  f.  erwünschte  Ergänzungen  bot 
und  vor  allem  durch  den  angehängten  Sillybos  Baxyv/ddov 
.dißvgajLißoi  alle  Zweifel  daran  beseitigte,  daß  wir  in  dem  zweiten 
Teil  des  großen  Londoner  Papyrus  wirklich  die  erste  Hälfte  des 
Dithyrambenbuchs  besitzen.  W^eit  umfangreicher  und  interessanter 
sind  die  Pveste  einer  zweiten  Handschrift,  die  Grenfell  und  Hunt 
in  dem  leider  bisher  in  Deutschland  nur  sehr  spärlich  vertretenen 
Band  XI  der  0.  P.  Nr.  1361  unter  dem  Titel  Bakchylides  Scolia 
veröffentlicht  haben  ^j.  Die  sehr  schöne,  ich  möchte  sagen  lapidare 
Schrift,  die  sogar  vornehmer  wirkt  als  die  des  Londoner  Papyrus  ^), 
wird  von  den  kundigen  Herausgebern  dem  1.  Jalirh.  n.  Chr.  zuge- 
teilt; hervorzuheben  sind  die  Formen  des  t,  bei  dem  der  Horizontal- 
strich nach  Art  der  älteren  Steinschrift  senkrecht  von  der  Mitte 
der  oberen  zur  Mitte  der  unteren  Querhasta  geführt  wird,  und  des 
i,  bei  dem  ein  kleiner  Haken  frei  zwischen  den  beiden  Querhasten 
schwebt.  Die  Kola  sind  richtig  abgesetzt,  es  fehlen  aber  die  Paragra- 
phoi  zur  Strophenabteilung.  Die  ävco  oriyjurj  hat,  wo  sie  inner- 
halb der  Zeile  auftritt  (fr.  1.  1  und  3,  fr.  4,  2  und  7),  Kommaform, 
am  Versschluß  dagegen  (fr.  1,  6)  Punktform,  die  /neo^]  am  Versschluß 
(fr.  1,  8)  ebenfalls  Punktform.  Die  ziemlich  zahlreichen  Accente, 
Spiritus,  Apostrophe  sind  nach  den  Herausgebern  ganz  oder  vor- 
wiegend von  späteren  Händen  hinzugefügt,  ebenso  die  spärlichen 
Schollen.  Unter  diesen  verdient  besondere  Beachtung  eine  Notiz 
zu  fr.  5,  13.  Als  Variante  zu  y.QaxEoäi  rex'  wird  angemerkt  IJzolie- 
jLioiog)  xagxe[om  reHJeTv.  Von  den  zahlreichen  Grammatikern  dieses 
Namens  kommen  hier  besonders  zwei  in  Betracht  IJToXejiiaTog  6 
'Ejif&etrjg  und  UroÄsjualog  'Ogodvdov.  Für  ersteren  läßt  sich 
anführen,  daß  er  der  einzige  Ptolemaios  ist,  der  in  unsern  Pindar- 
scholien  citirt  wird  *) :  auch  ist  er  aus  der  Schule  Zenodols  hervor- 
gegangen, dessen  lebhaftes  Interesse  für  die  Chorlyriker  durch  den 

1)  0.  P.  VIII  1091. 

2)  Knapp   und  gut   liehandelt   von    P.Maas,    Jahresber.  des    Beil. 
Philol.Ver.XLl II  1917  S.  81  if.    [Jetzt  auch  Dielil,  Suppl.  lyr.^  78ff.] 

3)  Proben  fr.  1  und  4  auf  Tafel  III. 

4)  Schol.  A  in  0.  V  44  ?.vdiois   aTivon- :   h'dioTi  ijQuoainvoi:.      IJto?.f- 


BACCHYLIDEA  125 

Papyrus  der  Paiane  Pindars  neuerdings  so  deutlich  geworden  ist. 
Die  englischen  Herausgeber  ziehen  ihn  nicht  in  Erwägung,  sondern 
denken  in  erster  Linie  an  den  Sohn  des  Oroandes.  Dieser  wird 
freilich  in  den  Pindarscholien  nie  genannt ,  aber  sein  Beiname 
Ilivöagicov  ^)  beweist ,  dafs  er  sich  mit  Pindar  beschäftigt  hat. 
Ptolemaios,  Aristonikos'  Sohn,  der  in  Rom  lehrte,  ist  kaum  älter 
als  der  Papyrus,  und  auch  Ptolemaios  von  Askalon-,  gleichfalls  in 
lioni  tätig,  scheint  erst  der  frühen  Kaiserzeit  anzugehören  ^).  Da 
bisher  Didymos  der  älteste  Grammatiker  war,  von  dem  wir  ein 
V7c6jnv)jjua  Bay.yvXidov  "EnivixUov  kannten  (Amnion,  de  differ.  verb. 
p.  97  Valck.)  ^),  ist  es  immerhin  ein  Gewinn,  hier  einen  Zeitgenossen 
oder  Schüler  Aristarchs  mit  dem  Text  des  Bakchylides  beschäftigt 
zu  sehen.  Leider  ist  die  Erhaltung  der  Rolle  schlecht,  von  den 
48  Fragmenten  sind  nur  drei  von  größerem  Umfang  (1,  4  und  5), 
die  meisten  andern  ganz  kleine  Fetzen.  Weitaus  am  ergiebigsten 
ist  fr.  1,  weil  es  sich  mit  dem  in  der  Athenaios-Epitome  I!  39  E 
erhaltenen  schönen  Fragment  20  (Blaß-Suelj)  aufs  glücklichste  er- 
g^^nzt, 

'Ale^o^^vyÖQCoi  'Ä}xvvT\a^) 

'U  ßuoßixe,  jLUjy.en  ndooaAov  cfvldo\o(.ov 
EJitdxovov  hyvQav  y.aTinave  yuow 
öevo    ig  ijudg  xeoag'  ÖQjiiaivw  ri  7iE!.in\en' 
'/Qvoeov  2Iovoäv  ^AÄe^dvögcoi  7neo6[v 
5    y.al  ov/A7TOo[ioi]oiv  äyaXf.i[a  y]eiy.dd£q[ou', 
eure  vecov  d\xaXbv  ykvyeV  a\vdyy.a 
oevojiievä}'  y.[v?Jy,cov  ßd?.m]]oi   dvju[6v 
KvTiQidog  T    e}^ji\lg  {di)aidvoo)]i  (pQ£]vag, 
ä  jueiyvvin€v[a  Aiovvoioioi]  dcoQoig 
10    drögaoiv  vi^'o[rdTco  Treujist]  jLieoiLiv[ag ' 
avT(y.[a\   Liev  7i[oluoy  yodd€]jiiva  A[t'£t, 
7rao[i  d    dv&QCOTioig  poraoy/)]o[£iv  öoy.si, 
XQv[g\o)i  \d'   eXecpavTi  ts  jLiaQ^u]aig[ovoir  oiy.oi 
7ivQoq\6Qoi  öe  y.ax'  aiy/idevT\a  Ji6[yToi' 


1)  Suidas  S.  v.   UioIeiiuio;  'AÄs^ardgev;. 

2)  Vgl.  Susemihl,  Gesch.  der  griech.  Lit.  m  der  Alex.  Zeit  II  156  f. 
Ol  Christ  -  Sehmid .     Griech.  Litteraturgesch.  "  225   läßt    ihn    einen 

Commentar  zu  den  Dithyramben  schreiben,  in  den  älteren  Auflagen  des 
Handbuchs  findet'  sich,  soviel  ich  sehe,  dieser  Irrtum  nicht. 

4>  Der  Adressat  war  links  in  Höhe  des  zweiten  Verses  beigeschriebeu. 


126  A.  KÜRTE 

15  väeg  ayo[i'oiv  un  Aiyvnxov  fuyioror 
jiXovxov  wg  [mvovxog  ÖQjuaivei  xeuq. 
CO  7T\a]i  jUEyak[oodEV£g  evöo^oi'   "Afivvja^) 

Der  schlechte  Text  der  Alhenaios-Epitome,  der  in  V.  6  mit 
yXvxeT  ävdyy.a  einsetzt  und  bis  V.  16  y.eaQ  reicht,  wird  durch  den 
Papyrus  wesentlich  verbessert ;  vielfach  war  das  Richtige  schon  durch 
moderne  Gonjectur  gefunden;  es  entstehen  aber  auch  neue  Fragen. 
Die  Ergänzungen  rühren,  wo  nichts  anderes  angegeben,  von  Gren- 
fell  und  Hunt  her. 

V.  5.  Ich  habe  Maas'  Vorschlag  y.Ety.ddeooiv  angenommen^). 
Die  Herausgeber  schreiben  äyakju'  er  elydöeooiv,  aber  dann  ent- 
steht die  schiefe  Verbindung  'A?.eidvdooji  y.al  ov/unootoioir,  wäh- 
rend das  Lied  doch  Alexander  für  die  Gelage  geschickt  wird. 
Richtig  bemerkt  Maas,  „elyAg  hat  hier  fast  schon  den  Sinn  von 
Gelage,  wie  später  EiyAg  nioTega  Philodem  Gadar,  Anth.  Pal.  XI  44", 
vgl.  auch  Plut.  Non  posse  suav.  vivi  4,  8. 

6.  äraXov  Maas  unter  Verweis  auf  Pind.  N.  VII  91  f.  dxaXov 
äju(pe7iojv   {)v\auv  TiQoyovoyv,    die  Herausgeber   schreiben    aya'dibv. 

7.  Die  Athenaioshandschriften  geben  asvojaeva  G  oder  yevo- 
fieva  E,  oevojLiEräv  hatte  Blaß  schon  gefunden.  ddl7iif[ioi  steht 
von  erster  Hand  im  Papyrus,  dann  ist  das  Iota  durch  darüber  ge- 
setzten Punkt  mit  Recht  getilgt,  die  Athenaioshandschriften  haben  die 
richtige  Form  ddlm]Oi,  vgl.  Kühner-Blaß,  Griech.  Gramm.  II  46. 

8.  KvjtQtdog  Einig  d'  atd^vooei  G,  (5'  ev&vooei  E,  Kvjtoidog 
6'  ElTilg  ÖiaidvooEi  Erfurdt,  diaidvooi]i  Blaß.  Im  Papyrus  ist  für 
SiaißvoG7]i  kein  Platz  3),  es  w'wd  aber  doch  richtig  sein. 

9.  ä  jLieiyvvjLih'la  ist  im  Papyrus  durch  Spiritus  und  Accent 
auf  «  gesichert,  die  Athenaioshandschriften  geben  drajuiyw/uiva 
(woraus  Neue  d/Lijuiyw/nEvag,  Bergk  äjnjuiyvvjiiEva  herstellten)  und 
im    folgenden  Verse   statt  uröodoir  uvögnoi  ö'.     Die  von  Grenfell 

1)  Von  V.  18—23  sind  nur  einzelne  Silben  erhalten 

deXi]ov  jt[ 

—  ^]^^7.[ 

—  \.]g  fj  dvii[ 
]  (pQovo[ 

—  ^]  ejiegl 

2)  Für  die  Krasis  vgl.  Bakch.  III  81  yßn,  XVII  33  y.äfts,  XVJII  50 

XTJVTVHTOV. 

3)  Auch  für  diatoorji,  woran  Maas  denkt,  reicht  die  Lücke  nicht  aus. 


BACCHYLIDEA  127 

und  Hunt  angenommene  Lesung  des  Papyrus  wird  von  Maas  als 
stilistisch  schwächer  zugunsten  von  aa/^ieiyvvjueva  und  avÖQaoi  (Y 
abgelehnt.  Richtig  ist,  daß,  wenn  KvjiQiÖQg  eXnk  Subjekt  des 
Relativsatzes  li  —  TiEfmei  ist,  ihr  Anteil  an  den  hochfliegenden  Ge- 
danken auffallend  stark  betont  wird,  das  wird  aber  durch  den  Zu- 
satz jLiEiyvvjLih'a  Aiovvoloioi  öcogoig  gemildert,  der  sonst  neben 
ylvxeT  ävdyxa  oevoi-iErnv  xv?uxcüv  überflüssig  wäre.  Bei  der  un- 
zweifelhaften Überlegenheit  des  Papyrustextes  über  die  Athenaios- 
Epitome  folge  ich  ihm  auch  hier.  Keinenfalls  kann  ich  Maas  zu- 
geben, dafs  ärögaoi  zu  rkov  in  deutlichen  Gegensatz  trete:  „den 
Jünglingen  erhitzt  der  Wein  die  Sinne,  die  Männer  läßt  er  von 
Macht  und  Reichtum  träumen";  das  Schlußwort  16  cog  mvovrog 
oQjLiaivei  yJag  zeigt  deutlich,  dafs  von  Zechern  im  allgemeinen  die 
Rede  ist,  ohne  Unterscheidung  von  Altersstufen. 

11.  amdg  /Lih  E,  avrij  juer  G,  die  Lesung  des  Papyrus  hatte 
bereits  Kaibel  gefunden,  avTiy'  6  jLih'  Bergk. 

xQ)]dejuvov  C  E,  y.g/jöefiva  Erfurdt,  xQuöefira  Bergk;  jioleon' 
G  E,  7io)dcov  Bergk. 

Für  XvEi  schrieb  Blaß  ^  Ivoeir,  weil  ihm  die  Länge  des  v  bei 
Bakchylides  verdächtig  schien,  dagegen  vervi^eist  Sueß  auf  Homer 
•^513,  1]  74. 

12.  Der  Dativ  Träai  ö'  dv&QcoJiorg  bei  juovaQyt]0£iv  wird  von 
Jebb  durch  das  vereinzelte  Vorkommen  des  Dativs  bei  uq'/eiv,  Aiscli. 
Prom.  940  öagöv  ydg  ovy.  uq^ei  dsoig,  verteidigt,  näher  liegt  noch 
der  Dativ  bei  ßaoilEVEiv  Pind.  P.  X  3  äju(poTEQaig  .  .  .  ysvog  'Hga- 
y./Jog  ßaoilevEi. 

13.  Die  Buchstaben  aiq  in  juaQjuaiQovGiv  und  a  uio  des  fol- 
genden Verses  stehen  auf  einem  losgelösten  Splitter,  dessen  Rück- 
seite etwas  anders  aussieht  als  die  umgebende  Partie  von  fr.  1, 
dennoch  scheint  mir  die  Einfügung  sicher. 

14.  alyXrjEvra  G  E,  alyXdevxa  Bergk;  novror  fehlt  in  G  E,  war 
aber  von  Erfurdt  richtig  ergänzt. 

15.  vfJEg  G  E,  vuEg  Bergk;  eji'  G  E,   uti    Musurus. 

17.  fiEyaX[oo'&EVEog  (?)  Gr.  H. ,  ich  ziehe  einen  zu  ttol  ge- 
hörigen Vokativ  vor  i).  Daß  dann  der  Vater  genannt  war,  ist  durch 
Txfu  gesichert,  wird  auch  durch  die  ganz  ähnliche  Anrede  Pindars 
fr.  120,  2  Tiäi  'dQaovjutjdEg'AjLwvra  bestätigt;  'Ajuvvta  ist  von  Maas 


1)  Vgl.  XVII  (XVI  Bl.)  52 f.  ftsyaAoo&Evk  Zsv  jrärsQ. 


128  A.  KÖRTE 

also  lichtig  am  Versende  ergänzt  worden.  Dazwischen  fehlt  nur 
ein  Beiwort  zu  'Afxvvra,  das  des  Metrums  wegen  auf  -sog,  mit 
Synizese  zu  lesen,  .geendet  haben  muß,  etwa  evueveog,  oder  aber 
auf  elidirtes  -oio^):  evöö^oi    'Ajuvvra  liegt  am  nächsten 2). 

18.  Da  am  Anfang  nur  vier  Buchstaben  fehlen,  die  einen 
Daktylus  bilden  müssen,  ist  Maas'  Ergänzung  äiiXiov  überaus  wahr- 
scheinlich ^). 

Metrisch  ist  das  Lied  wohl  das  schlichteste  seiner  Gattung, 
das  wir  besitzen.  Zwei  Trimeler  aus  Enhoplier  und  Epitrit  werden 
umrahmt  von  einem  genau  so  gebauten  Trimeter  mit  Vorschlag  und 
einem  katalektischen  epitritischen  Trimeter. 

Die  6  Verse,  die  der  Papyrus  dem  bekannten  Fragment  hinzu- 
fügt, sind  ein  großer  Gewinn.  Zunächst  sichern  sie  Blaß' 
scharfsinnige  Zusammenfügung  der  Pindarfragmente  124  a  und  b 
Schroeder. 

(a)  'Q  SgaooßovX',  eouTäv  o-/;)]j.i'  äoidäv 

TOVTo  [toi)  jzEjiiTioj  jUfTadoQTriov.  ev  ^vvon  y.e.v  el'rj 
ovjUTtOTaioiv  re  yAvy.EQov  y.al  Aicovvooio  xagTcön 
xal  y.v/Iy.Eooiv  "Adavrdaiot  xh'TQOv ' 

(b)  äviy'  är&QOJjTOJi'  xajuarfoöeEg  oXyovjai  i.ieqi}xv(li 
OTi]'&eoiv  e^co  '  Jiskäysi  ö'  ev  noh^yovooio  nXovxov 
jidvreg  ioov  veojuev  xpevdrj  Ttqog  äxTav ' 

og  /jihv  ä'/Qt]{.ia)v,  äcpveog  zöre,  rol  ö'   av  jTAovTeovxeg 
Dann  nach  einer  Lücke  von  mindestens  2  Versen 

(ft>g)*)  äe^ovrai  cpgevag  djLiTieXivoig  xo^oig  öajuevreg. 
In  der  Form  der  Einleitung,  in  der  Schilderung  des  Gelages 
und  seiner  Wirkung  auf  die  Zecher,  selbst  in  dem  Bau  der  knappen 
Strophen  sind  beide  Lieder  jetzt  so  ähnlich,  daß  eine  gegenseitige 
Beeinflussung  unzweifelhaft  ist.  Einen  unmittelbaren  Anhalt  zu 
genauer  Zeitbestimmung  gibt  keius  der  beiden  Gedichte,  aber  beide 
sind  verhältnismäßig  wohl  früh.  Im  Jahre  490  hatte  Pindar  in 
dem  Lied  auf  den  pyihischen  Wagensieg  des  Xenokrates  P.  VI  den 
Sohn  des  Siegers  Thrasybulos  mit  einer  Wärme  gefeiert  (besonders 

1)  Vgl.  Bakch.  V  62  fL-rAdrot'  'EyJSrag,  XI  (X  Bl.)  120  Ugiäfioi    etisi. 

2)  Vgl.  Bakch.  XIV  (XIII  BL)  22  Uvqqijcov  r  svdo^ov  fjTTiövixor  vim\ 
Find.  N.  VII  8  fMo'^og  Icoysv}]?,  P.  XII  5  £v86^(p  MiSai. 

3)  Diese  Form  steht  bei  Bakdiylides  oft  I  ö.").  V  161.  XI  (X  Bl.)  lOK 
n^/.toc  XI  (X  Bl.)  22. 

4)  {(og)  habe  ich  nach  dem  Muster  \on  Bakch.  \.  16  hinzugefügt. 


BACCHYLIDEA  129 

V.  44  —  54),  die  deutlich  verrät,  daß  der  schone  Jüngling  sein  ent- 
flammbares Herz  entzündet  hatte,    ihm,  viel  mehr   als    dem  Vater, 
gilt  das  anscheinend  gleich  in  Pytho  bei  der  Siegesfeier  gesungene 
Epinikion  ^).     Ungern    wird    man    das    fürs  Gelage   bestimmte   Lied 
zeitlich  weit  von  dem  Epinikion   trennen,  zumal  dessen  Schlufs  mit 
dem  Preis  des  Thrasybulos  als  liebenswürdigen  Zecligenossen  52  IT. 
yXvxeia  ös  (pQi)v 
xal  GvjiiTTOTaiGiv  oluIeIv 
jLisXiooäv  djUEißerai  xQrjröv  novor 
bei  dem  Gefeierten    sehr   wohl  den  Wunsch  auslösen  konnte,    nun 
auch    ein    sympotisches  Lied  von  Pindar   zu   erhalten.     Das  Trink- 
lied macht  ganz  den  Eindruck,  als  sei  es  noch  in  frischer  Begeiste- 
rung für  den  schönen  liebenswürdigen  Jüngling  verfaßt,  gehöre  also 
zu  des  Dichters  Jugendwerken  ^j. 

Für  Bakchylides'  Lied  bietet  die  Thronbesteigung  des  Alexan- 
dros  498  einen  wahrscheinlichen  terminus  post  quem,  sein  Tod  454 
einen  sicheren  terminus  ante  quem,  aber  mit  einer  so  weiten  Be- 
grenzung ist  uns  nicht  gedient.  Immerhin  wird  man  sagen  dürfen, 
ein  so  ausgesprochen  jugendliches  Trinklied  paßt  wohl  für  einen 
jungen  Fürsten,  aber  nicht  für  einen  alten  König.  Zeitlich  stände 
also  nichts  im  Wege,  das  Bakchylideische  Gedicht  frXiher  anzusetzen 
als  das  Pindarische,  aber  schwerlich  hat  der  stolze  Thebaner  eine 
so  starke  Anleihe  bei  dem  geringgeschätzten  Keer  gemacht,  wäh- 
rend dieser  ja  offen  bekennt: 

fr.  5  EtSQog  e|  hsGov  oofpog  rö   ts  Tidkai  x6  xe  vvv, 
ovöe  ycLQ  oäioxov  UQQrjxcov  enecov  nvXag 
E^evQexv 
und    tatsächlich    einen    guten  Teil    seiner  Wirkung  der  geschickten 
Benutzung  älteren  Dichterguts  verdankt  '^).     So    gut  wie  er  V  31  ff. 
TCO?  vvv  xal  ifio}  uvota  Txavxäi  xElevdoq  vjuexeqüv  doExdv  üjuveTv 


1)  Entstehimg  in  Delphi  möchte  ich  mehr  noch  als  aus  den  ersten 
Versen  aus  V.  15  ff.  erschließen,  nach  denen  erst  das  Lied  dem  Vater  die 
Siegeskunde  bringen  wird  {änayyshT). 

2)  Boeckh,  der  die  Zusammensetzung  mit  fr.  l'iib  noch  nicht  kamite. 
will  Explic.  614  ff.  das  Lied  in  seltsam  spitzfindiger  Beweisführung  wegen 
der  Hvhxsg  "AßavaTai  an  den  Isthm.  II  19  erwähnten  panathenäischen 
Wagensieg  des  Xenokrates  anknüpfen  und  bis  nach  472  hinabrückeii, 
das  beruht  auf  einer  irrigen  Bewertung  der  attischen  Becher. 

3)  Vgl.  Hermann  Büß,  De  Bacchylide  Homeri  imitatore,  Gietaen  1913. 
Hermes  LHI.  J 


130  A.  KÖRTE 

aus  Pindais  I.  IV  1  H.  eoti  jitoi  decbv  exari  f.ivQia  jravxäi  xekevdo? 
.  .  .  v/nEiigag  uoerdg  vjiivco(  duuxeiv  übernommen  hat^),  wird  er 
auch  liier  der  Nachahmer  sein.  Es  konnte  den  gewandten  lonier 
wohl  reizen,  Pindars  Gedanken,  der  Zecher  fühlt  sich  reich,  in 
einer  viel  glänzenderen,  lebendigeren  Ausführung  noch  einmal  vor- 
zutragen: schwerlich  wird  hier  jemand  den  frischen,  leichtbeflügel- 
ten Bakchylideischen  Versen  den  Vorzug  vor  den  schwereren,  trocke- 
neren Pindars  abstreiten. 

In  ihrer  Vereinzelung  wirkten  die  Verse  bei  Athenaios  wie  ein 
echtes  Trinklied,  das  für  die  Allgemeinheit  der  Zecher,  nicht  für 
eine  bestimmte  Persönlichkeit  gedichtet  ist  und  deshalb  auch  von 
jedem  Teilnehmer  eines  Gelages  einzeln  oder  im  Chor  gesungen  wer- 
den kann,  jetzt  finden  wir  sie  fest  eingefügt  in  den  Conventionellen 
Rahmen  der  Ghorlyrik.  Ganz  persönlich  wendet  sich  der  Dichter 
in  den  Eingangsverseu  an  einen  der  Großen  dieser  Erde  und  zu 
ihm  kehrt  er  V.  17  wieder  zurück  —  die  Erhaltung  von  V.  17  ist 
deshalb  besonders  wertvoll.  Wertvoll  ist  auch,  daß  wir  Bakchylides 
an  einem  neuen  Fürstenhofe  als  Nebenbuhler  Pindars  finden.  Dessen 
Enkomion  für  den  griechenfreundlichen  König  war  längst  bekannt 
(fr.  120  f.  Sehr.),  noch  Alexanders  großer  Nachkomme  hat  sich 
durch  Verschonung  des  Pindarischen  Hauses  bei  der  Zerstörmig 
Thebens  für  die  dem  Ahnen  dargebrachte  Huldigung  dankbar  er- 
wiesen ^j,  aber  von  Beziehungen  des  Bakchylides  zu  dem  makedo- 
nischen König  wußten  wir  nichts.  Freilich  konnte  man  aus  Solin 
9,  13  Alexander  Aniyntae  fdhts  .  .  .  voluptati  aurium  indidgeu- 
tissime  deditus:  sicut  plurimos  qui  fidibus  sclebant.  dum  viv'tt 
in  usmn  ohlectamenti  donis  tenuit  liberalibus,  inter  qiios  et  l'hi- 
darum  lyricum  entnehmen,  daß  Pindar  nicht  der  einzige  Dichter 
war,  der  sich  der  königlichen  Gunst  erfreute. 

Bevor  ich  die  Frage,  wie  die  alten  Herausgeber  das  Lied  be- 
nannt haben,  erörtere,  möchte  ich  auf  die  beiden  andern  größeren 
Fragmeute  eingehen. 

Fr.  4  "lYooivi  l2!v]ga-riüoi(oi. 

M//7T0J  /uyvaxl^u   navoco 

ßagfitTov "  /iA,e?J.[oj  yäg  fjdij  xQvaoJienAojv 

1)  Und  noch  einmal  XIX  (XVIII  Bl.)  1  f.  üäQsaxi  fivoia  yJ/.svifog  d/t- 
ßgootcov  /xsXeov;  vgl.  Otto  Scliroeder  S.  71f.  der  großen  Ausgabe  und  Pren- 
tice,  De  Bacchylide  Pindari  artio  socio  et  iraitatore,  Halle  1900,  21.  46  f. 

2)  Die  Pnis.  II  33. 


15ACCHYLIDKA  131 

nvßtuor  Movour  'Is\Qayv\i  xXi'tuk 

^avfkäaiv  mTtoig 
5  iulsQoev  reXioag 

xu\l  oviiJTOrrug  ävÖQFooi,  7i[tn:rnv 

ÄT\rvav  lg  Evy.rtzov '  et  x\(ü 

7iQ\6od'ev  vjLiy/joag  rbv  [«'  Tzwkoig  y.kEevrbr 

7to\oai  Aan/'[//]/polT]c   fPeglevtxov  tri'  "Al- 
10  (f^E\coi  r\F  ri\y.av 

...  o  ....  TOj^ievog 

eavE  .[-  w 

tuol  TOTE  xovga 

daifwvEg  i^'J  ooooi  Aiög  Jidy^Q[voov  olxov 
15 fioig  ri&Eoav  fx\^  w  — 

-,.,.-1 

y\i'vai[y.- 

ra7r.[ 

20 OY}[ 

Hier  hilft  leider  kein  bekanntes  Fragment  die  Trümmer  er- 
gänzen, aber  die  ersten  10  Verse  haben  die  englischen  Herausgeber 
wenigstens  dem  Sinn  nach  vortrefflich  hergestellt.  Sicher  ist  vor 
allem  die  metrische  Form: 

—    1    —  ww  —    I    ww~[~ 


w  w 


Man   ist    zunächst   versucht,    dem    zweiten    Vers,    der    in    den 
beiden    ersten    Strophen    unvollständig   ist,    die    Form    des    dritten 

—  yj I  — vjij—  j  w,^-  ZU  geben,  was  sich  durch  Ergänzung  von 

fx^XXoi  yoLQ  loß).Eq)dQO)r  in  V,  2  und  vjiivrjoag  rbv  deX/.odgojuar, 
oder  ein  ähnliches  Epitheton,  in  V.  8  leicht  machen  ließe,  aber  dem 
widerstrebt  die  dritte  Strophe,  Daß  wir  keine  epodische  Gomposi- 
tion  haben,  ist  durch  die  Genauigkeit,  mit  der  die  Verse  13,  15 
und  18  in  das  Strophenschema  passen  und  die  Kürze  der  Verse  16 
«nd  17  gesichert;  also  muß  V.  14  für  die  Gestaltung  des  zweiten 
Verses  der  Strophe  maßgebend  sein^),    und    dann    kommt   man  zu 

1)  Zweifelhaft  bleibt  nur,  ob  V.  2  katalektisch  Avar;  wahrscheinlich 
ist  es  mir  nicht.  fy.!-. 


132  A.  KÖRTE 

dem  oben  mitgeteilten  Schema  der  englischen  Herausgeber,  deren 
Ergänzungen  ich  meist  beibehalten  habe. 

V.  1.  Der  Anfang  mit  fu'jTTOj  und  einem  Conjunctiv  des 
Aorists  ist  auffallend,  aber  nicht  zu  bezweifeln.  Das  von  Maas  vor- 
geschlagene jiavaoj  ist  besser  als  Grenfell  und  Hunts  ävtjxco. 

3.  Vüv  die  Bezeichnung  Hierons  als  y.XvTog  ^dvßaioiv  mnoig 
verweisen  die  Herausgeber  treffend  auf  Pindar  P.  I  37  oTeipdvotof 
viv  mTioig  JE  xXvidi'  (Alrrav). 

9  f.  An  der  Richtigkeit  von  Murrays  Ergänzung  iji^ 'A2q>ei\(7)t 
t[£  vi]xav  ist  nicht  zu  zweifeln ,  nur  war  wohl  ^si'  'Ak(psc7n  ge- 
schrieben wie  V  38.  181.  XI  (X  Bl.)  26;  denn  am  Versanfang  \on 
10  scheinen  nur  zwei  Buchstaben  zu  fehlen. 

10.    Der  Rest  eines  Scholions 

r[o]v? 

ergibt  leider  nichts. 

11  f.  Murrays,  von  Grenfell  und  Hunt  nicht  in  den  Text  ge- 
setzter Vorschlag  7iXi]\Q\e  £Qe7i\T6/Lievog  [Movodv  ejia?>.]£'  ävde'  be- 
friedigt inhaltlich  wenig  und  verträgt  sich  weder  mit  den  Lücken 
in  11  und  12  recht,  noch  mit  den  Buchstabenresten  in  12.  Daß 
aber  in  -ro/Mvog  ein  Participium  steckt,  wie  djixojiisvog,  ist  un- 
gleich wahrscheinlicher  als  die  Zerlegung  in  ro  tih'og,  an  die  Gren- 
fell und  Hunt  denken.  Ich  vermag  den  Zusammenhang  des  Fol- 
genden nicht  herzustellen,  vermute  aber,  daß  Bakchylides  in  einer 
längeren  Periode  aus  der  Construction  gefallen  ist,  daß  also  trotz 
vfxviqoag  erst  Th%oav  in  V.  15  das  zu  d  in  V.  7  gehörige  verbum 
finitum  ist,  'wenn  ich  auch  früher  schon  den  schnellfüßigen  Phe- 
renikos  und  seinen  Sieg  am  Alpheios  besang  .  .  .  und  wenn  mir 
damals  die  Tochter  des  Zeus  (?)  ^)  und  alle  Götter,  die  des  Zeus 
goldreiches  Haus  bewohnen.  Gelingen  bescherten'. 

13.  Statt  xovoa  ist  auch  xovgm  möglich;  dann  stand  wohl 
ein  Beiwort,  das  die  Mädchen  als  Musen  kennzeichnete. 

14.  7idyxQ[vaov  ist  sichere  Ergänzung  der  Herausgeber.  Das 
zieht,  scheint  mir,  in  Verbindung  mit  ooooi  Aiog  die  Ergänzung 
oixov  nach  sich,  und  dann  können  die  öoooi  doch  niemand  anders 
sein  als  Götter;  y^gvoicov  ol'xwv  äva^  heißt  Herakles  als  Gott  Pind. 
I.  IV  60;  daifxoveg  &'  läßt  sich  gerade  noch  in  der  Lücke  unterbringen, 
vgl.  Bakch,  XVII  (XVI  Bl.)  117  f.  rmiaTov  o,ti  dai/ioveg  'äecooiv  ovöh- 


1)  Etwa  y^.avHWJTtc;]  Kiiol  rözs  y.ovqa  vgl.  Pind,  N.  VII  96. 


BACCHYLIDEA  1:J3 

und  IX  (VIII  Bl.)  82  fT.  to  ye  toi  y.aXöv  e'gyov  yvr^oUov  vfivmy  xvynv 
vyjov  TiaQU  öaiiioai  xeirai.  Auffallend  bleibt  freilich,  daß  Alhena, 
oder  die  Musen,  und  alle  Gütler  hier  als  Helfer  des  Dichters  ange- 
geführt werden,  aber  ich  sehe  nicht,  wie  man  angesichts  der  Worte 
ijuol  röre  .  .  .  ri'&soar  um  eine  Beziehung  der  Subjekte  auf  die 
Person  des  Dichters  herumkommt.  Die  Verse  würden  dann  wieder 
beweisen,  wieviel  sich  Bakchylides,  nicht  ohne  Grund,  auf  sein 
schönes  V.  Gedicht  zugute  tat. 

15.  -juoiq,  das  von  Grenfell  und  Hunt  für  möglich  erklärt 
wird,  ist  mir  nach  der  Abbildung  wahrscheinlicher  als  das  von  ihnen 
in  den  Text  gesetzte  -/nog. 

18.    Eine  Form  von  yvn'j  ist  sehr  wahrscheinlich. 

Vergleichen  wir  dieses  Fragment  mit  dem  Gedicht  an  Alexan- 
<]er,  so  zeigen  sich  einige  Verschiedenheiten,  die  Strophen  sind 
länger  und  weniger  schlicht,  die  Einleitung  ist  erheblich  breiter 
iiusgesponnen  und  beschäftigt  sich  eingehend  mit  Hierons  olympi- 
schem Sieg,  aber  das  Gleichartige  über  wiegt  doch.  Hier  wie  dort 
wird  die  Leyer  angerufen  und  der  Entschluß  des  Dichters,  dem 
Gönner  ein  Lied  zu  senden,  so  stark  hervorgehoben,  daß  man  sieht, 
beide  Gedichte  sind  nicht  bestellt,  sondern  freie  Gaben  des  Dich- 
ters, beide  sind  vor  allem  fürs  Gelage  bestimmt,  Gi\u7iooioioiv 
uyakjua  y.eiy.uöeooiv  heißt  es  fr.  1,  'Itgojvi  .  ,  .  xal  ovjujiorats 
nvÖQEOoi  wird  fr.  4  gesendet;  es  leuchtet  also  sehr  wohl  ein,  wes- 
halb der  alexandrinische  Herausgeber  beide  demselben  Buch  zuwies. 

Die  Berufung  auf  das  Lied  für  den  olympischen  Sieg  des  Phe- 
renikos  sichert  die  Entstehung  nach  476,  die  Nichterwähnung  des 
höher  bewerteten  pythischen  Siegs  mit  dem  Viergespann  rückt  das 
Gedicht  vor  470,  es  fällt  also  zwischen  die  erhaltenen  Epinikien  V 
und  IV.  Bakchylides  ist  damals  nicht  in  Sicilien  und  nimmt  nach 
V.  7  an,  daß  Hieron  in  dem  neugegründeten  Aitna  seinen  Wohn- 
sitz hat.  Diese  Annahme  ist  kaum  zutrelTend,  denn  wir  wissen  aus 
>;chol.  Pind.  N.  IX  inscr. ,  daß  Hieron  nach  der  feierlichen  ^  durch 
Aischylos'  Tragoedie  Ahvat  verherrlichten  Gründung  zunächst  seinen 
Schwager  Chromios  zum  ejTtTQortog  der  neuen  Stach  liestelltc, 
«md  aus  Pind.  P.  I  58  ff.  mit  Schoben,  daß  im  Jahr  470  Hierons 
Sohn  Deinomenes  dort  im  Auftrag  des  Vaters  herrschte;  Hicron 
selbst  hat  seine  Residenz  in  Syrakus  behalten.  Die  Unsicherheit 
über  den  Wolmsitz  des  Königs  spricht  dafür,  daß  Bakchylides  da- 
mals überhaupt  noch  nicht  selbst  in  Sicilien  gewesen  ist,   und  emp- 


134  A.  KÖRTE 

liehlt  es,  das  Lied  nicht  allzuweit  von  V  zu  trennen.  Es  wirti 
etwa  gleichzeitig  mit  Pindars  P.  II  um  475|4  entstanden  sein  und 
stellt  einen  zweiten  Versuch  des  gewandten  Keers  dar,  am  syra- 
kusanischen  Hofe  festen  Fuß  zu  fassen,  dann  folgt  das  briefartige 
Epinikion  IV  im  Jahr  470,  und  so  erreicht  es  der  Dichter  endlich,, 
daß  468  das  Preislied  für  Hierons  heißersehnten  Wagensieg  in 
Olympia  (III)  ihm,  nicht  Pindar  übertragen  Avird. 
r  In  einem  sehr  üblen  Zustand  befindet  sich  Fragment  5.     Er- 

halten sind  Reste  von  25  Versen ,  von  den  8  ersten  Stücke  aus  dem 
Versinnern,  von  den  andern  die  Schlüsse  ^),  außerdem  die  ersten 
Buchstaben  von  15  Versen  der  folgenden  Golumne;  es  ist  aber 
leider  nicht  möglich,  aus  den  16  Versschlüssen  eine  strophische 
Gliederung  zu  gewinnen;  es  muß  wohl  triadische  Gliederung  vor- 
liegen und  Teile  von  Gegenstrophe  und  Epode,  oder  Epode  und 
Strophe  erhalten  sein,  denn  eine  Strophe  von  mehr  als  16  Kola 
ist  bei  Bakchyhdes  kaum  anzunehmen,  zumal  in  diesem  Buch,, 
dessen  kenntliche  Strophen  so  einfach  sind^).  Der  Wert  des  Frag- 
ments liegt  hauptsächlich  darin,  daß  es  aus  einer  ausführlichen 
Mythenerzählung  stammt,  während  die  Anfänge  der  Gedichte  an 
Alexander  und  Hieron  keinen  Mythus  enthalten.  Daß  in  den  ver- 
lorenen Teilen  dieser  Gedichte  Mythen  folgten,  ist  sehr  wohl  mög- 
lich, sogar  wahrscheinlich,  jedenfalls  darf  man  das  Fehlen  von 
Mythen  nicht  für  ein  charakteristisches  Merkmal  dieses  Buchs  der 
Bakchylideischen  Werke  nehmen. 

\xEvei  de  >caju[ 

]oviag  Td?Mi[v  ] 

jrsQov  viv  TeX[  ] 

].  ag  xal  xaiaoazl i 

5  ]i'  evdov  exq[  ]   j_  ,—  ^„^^^,  hiSov  h/o^,ev,,t 

]t  ö'  iv  [x\erpak\äi  y.eioovro  r\Qr/£g'      [ 

'/Q\vooX6(pov  Tia  .  \ ]  [ 

].  yaly.eoiJiizoav  [ ]  .[ ]«v  6[ 

]oio  y.6Qi]g  -^ ^^"^  •'- 

10  Iß'oaoh'xetoa  y.al  juial[(p6vo\f 

1)  V.  23  war  so  kurz,  daß  er  gar  nicht  erhalten  ist. 

2)  Unter  den  Dithyramben  hat  allerdings  XVII  (XVI  Bl.)  23  Kola 
in  der  Strophe,  20  in  der  Epode,  XIX  (XVIII  Bl.)  18  und  15,  unter  deu 
Epinikien  hat  V  mit  15  in  der  Strophe,  10  in  der  Epode  die  längst«« 
Ver.sreihen. 


BACCHYLIDEA  135 

xöo]i]g  y.aXvxcoTiiöog 

j.TaTt'o'  l'fiiiEv^ '  äXhiL  i\tv  y\o6v(K 
\e[[%'\\  tigarsgäl   xtx  fTroÄieixmo?)  xagtslgni  Tf;y:]ETv 

\dovT'  ävdyy.ai ' 
15  a]fA<0)' 

]£)'  Ilooeiöaoviag 
Jets"  eXav- 
]vTO?  öXßiov  rePiOs 
\e  y.6oi]v  ^q- 
20  TtaoE  jgav  fjgog 

]tov 
y.\aXXty.oi]dt\uvov   ßeäg 

,      }     / 
(b]xvg  uyyeXog  xlcilV.iarpvoav 

25  \av  Evr    l'fioXev. 

Aus  diesem  Trümmerhaufen  eine  genügende  Zahl  von  Steinen 
zu  einem  sicliern  Wiederaufbau  des  Mythus  herauszufinden,  hat  mir 
nicht  gehngen  wollen.  Grenfell  und  Hunt  denken  wegen  V.  6  ev 
y.EfpaXäi  und  rgr^Eg  an  Pterelaos,  Nisos  oder  eine  ähnliche  Sage^). 
Mir  scheint  das  lange  Scholion,  das  zwischen  V.  5  und  6  beginnt 
und  dann  noch  wiev  Zeilen  am  rechten  Rande  einnahm,  bis  die 
Paragraphos  seinen  Abschluß  anzeigt,  einen  andern  Weg  zu  weisen. 
Da  es  mit  t'.To  Tiargog  beginnt,  kann  es  sich  nicht  um  eine  Tat 
der  Tochter  gegen  das  Haupt  des  Vaters  handeln,  wie  in  den 
Mythen  von  Pterelaos  und  Nisos,  sondern  die  Tochter  erleidet  etwas 
von  dem  Vater.  Hält  man  nun  evöov  e^o  in  V.  5  und  vnd  nargög 
EV  im  Scholion  zusammen,  so  ergibt  sich  dessen  Ergänzung  vnd 
jiaToog  Ei']öoi>  E'/of(EVi]i  als  sehr  wahrscheinlich.  Daraufhin  habe 
ich  V.  6  versucht  avT)j]i  oder  y.oo)'i]i  (Y  ev  '[>c\E(paX\f2f.  y.EiQovro 
r\QiyEg',  xeioovto  paßt  in  die  Lücke  sehr  gut  und  ergibt  ein  mög- 
liches Metrum.  Wir  hätten  es  dann  mit  einem  grausamen  Vater 
zu  tun,  der  den  Fehltritt  seiner  Tochter,  die  wohl  von  Poseidon 
geschwängert  isl^),    entdeckt,    sie  einsperrt   und  ihr  die  Haare  ab- 


1)  Das  Beiwort  /Qvoolötpov  V.  7  darf  man  nicht  etwa  für  Ptei'elaos 
oder  Nisos  verwerten,  bei  beiden  handelt  es  sich  nicht  wxn  einen  Haar- 
schopf,  sondern  um  ein  einzelnps  goldenfts  (Apollod.  bibl.  11  60)  oder  pur- 
purnes (ebenda  III  211)  Haar:  xü^'^^ö^-oipoc  heißt  mit  ^-oltlenpm  Helmbusch, 
wie  Athena  bei  Aristophanes  Lys.  344. 

2)  Vgl.  V.  16  und  vieUeicht  V.  2. 


136  A.  KÖRTE 

siclmeidet.  Nun  gibt  es  in  der  Tat  eine  Poseidongeliebte,  für  die 
das  Abschneiden  des  Haars  bezeugt  ist,  Tyro,  die  Tochter  des  Sal- 
moneus.  Auf  dem  von  Robert,  d.  Z.  LI  1916  S.  274  Abb.  1  ver- 
öffentUchten  Tonrehef  hat  sie  das  Haar  geschoren,  und  in  der 
Sophokleischen  Tyro  sagt  die  Heldin  selbst  (fr.  598  N.): 

y.ofdj::  dk  jih'doQ  Äay/ui'OJ  -tojAov   Öih)]v, 

iJTig  ouragjiaoßeioo.  ßovy.ÖAcov  vjzo 

judvdoaig  h'  (TTjreiaioir  äygiai  ytol 

d^HQog  dEoiodrji  $avddv  air/Evcov  utjo. 
Aber  hier  fällt  die  Beraubung  des  Haars  in  eine  ganz  andre  Zeit; 
als  die  Söhne  Neleus  und  Pehas  bereits  herangewachsen  sind, 
finden  sie  die  Mutter  von  ihrer  bösen  Stiefmutter  Sidero  so  zuge- 
richtet. Immerhin  haben  wir  eine  Überlieferung,  nach  der  Tyro 
viel  früher  vom  Vater  eingesperrt  und  von  der  Stiefmutter  miß- 
handelt wurde:  Anth.  Pal.  III  0  heißt  es  in  der  prosaischen  Ein- 
leitung zu  dem  Epigramm  auf  die  9.  kyzikenische  Säulenbasis :  tr 
Tcbi  d  TIeliag   xal  Nfjhvg   Elle?M^evvTm  oi  ITootiöcovog  jtaiÖEc:, 

EH    ÖEOjiUOV    rip'    EaVXOV     liUjTEQa    QVÖ^lEVOl,    fjv  TXQCOtp'    6  JiartjQ  JLIEV 

SaXfioyvEvg  öid  zijr  (pdoQav  Edy^OEV'  y  Öe  jLiijroviä  avrfjg 
^idi]Q(o  Tag  ßuodrovg  uvrTji  ejieteivev.  Ilobert^)  versagt  der  Para- 
l)hrase  den  Glauben,  weil  die  Motivirung  überflüssig  und  darum 
unkünstlerisch  sei.  „Das  Motiv  des  Hasses  der  Stiefmutter  gegen 
die  schöne  Stieftochter  genügte  vollkommen  und  war  für  sich  allein 
viel  wirksamer. '•  Das  trifft  gewiß  für  Sophokles'  Tragoedie  durch- 
aus zu,  aber  an  sich  ist  dieser  Haß  der  Sidero  viel  begreiflicher  zu 
einer  Zeit,  wo  Tyro  eben  noch  jung  und  schön  war,  also  vor  der 
Geburt  ihrer  Söhne,  als  nach  deren  Heranwachsen.  Gerade  weil 
die  Angabe  der  Paraphrase,  Tyro  sei  öiä  r/yr  (pdoQav  eingesperrt 
und  mißhandelt  worden,  zu  der  im  Epigramm  vorausgesetzten  Situa- 
tion nicht  recht  paßt,  möchte  ich  vermuten,  daß  sie  einer  anderen, 
älteren  Version  der  Sage  entstammt. 

Leider  bleibt  die  Beziehung  des  Fragments  auf  Tyro,  zu  der 
die  Bezeichnung  des  Vaters  als  doaovyEio  y.ai  /^(luk/  ovog  V.  10 
gut  stimmen  würde,  doch  sehr  unsicher,  weil  Tyro  Zwillinge  ge- 
biert, in  V.  1(S  aber  nur  von  einem  öXßior  TEXog  die  Piede  isl. 
Ausgeschlossen  wird  sie  freilich  auch  hierdurch  nicht;  denn  es 
könnten  in  V.  14  die  Zwillinge  erwähnt,  im  folgenden  aber  nur 
von  einem  von  ihnen  weitere  Erlebnisse  erzählt  sein.     Ahnlich  bc- 

1)  A.  a.  0.  283. 


HACCHYLIDEA  137 

richtet  Pindar  0.  VI  als  Einleitung  zu  der  lamos-Sage  das  Schicksal 
seiner  CJroßmuller  Pilane  und  seiner  Mutter  Euadne.  Leider  gehen 
auch  die  Versreste  19  f.  y.oQ^r  iiQ\jiar)i-  und  -^av  fJQwg  keinen 
Aufschluf-i,  denn  eine  Vcrhindung  des  Pelias  oder  Neleus  mit  einer 
auf  -QU  endigenden  Heroine  ist  nicht  bezeugt^). 

Die  englischen  Herausgeber  erwägen  die  Möglichkeit,  data  in 
V.  14  -/te]dorr  äväyy.ai  der  Name  des  Sohnes  und  damit  der 
Schlüssel  des  Piätsels  stecke,  aber  das  kann  auch  Dativ  sein  evqv- 
juedovTi  d.  h.  Poseidon;  Elision  von  Iota  hat  Bakchylides  nicht  nur 
in  den  dorischen  Formen  der  dritten  Person  Pluralis  von  Verben 
<y£vovr  ayü.cK;  (XVIII  10),  ßgldovr  äyvicu  (fr.  4,  17  Bl.-S.),  son- 
dern auch  im  Dativ  von  Stibstantiven  ytofon    uxovTag  (XVIII  49). 

An  der  Möglichkeit,  daß  hier  eine  etwas  abweichende  Form 
der  Tyro-Sage  von  Bakchylides  erzählt  wird,  möchte  ich  festhalten, 
vielleicht  gelingt  es  einem  andern,  einen  entscheidenden  Beweis 
dafür  oder  dagegen  zu  finden. 

Unter  den  kleinen  Bruchstücken  des  Papyrus  erwähne  ich  noch 

'     "^  OTeq)avacpo\Q- 

Tore  vecov  6ix6qj\üyvog  äoiöu  (?) 
6'  evXvQm  TS   f^Of'\ß(oi, 
weil  es  augenscheinlich  eine  Gelageschilderung  enthält,  und  fr.  20, 
weil    in    ihm    die    Worte  V.  3    jiore  T(Oco[  und  V.  6  rj\fd&£oi    mit 
Sicherheit  auf  eine  Mythenerzählung  führen. 

Es  sind  also  in  diesem  Buche  Lieder  vereinigt,  die  für  das 
Gelage  gedichtet  sind,  sich  an  ganz  bestimmte  Persönlichkeiten 
wenden  und  neben  dem  Preise  von  Wein  und  Sang  auch  längere 
Mythenerzählungen  enthalten. 

Welchen  Namen  trug  nun  dies  Buch  im  Altertum?  Die  eng- 
lischen Herausgeber  nennen  es  oKolia  unter  Verweis  auf  Pindar 
fr.  125  Sehr.,  das  Aristoxenos  bei  Athen.  XIV  635  B  als  h<  run 
jtQog  'lEQOJva  oxo/Jcoi  anführt.  Sie  hätten  sich  auch  auf  Pindar 
selbst  berufen  können,  der  in  dem  ähnlichen  Lied  für  Xenophon 
von  Korinth  fr.  122  Sehr.  V.  10  ff.  sagt 

d?JM  'daif/idCco,  li  jlis  Xe^ovri  'lod/iov 

dsojrojai  rouirdf  jue/Jcpgovog  äg/dr  evQÖ/avov  ay.oXior 

i;x'v6.0Qor  ^vvalg  yvvai^iv. 

1)  Natürlicli  muß  in  -Qar  nicht  ein  Name  stecken,  aucli  Adjektiva 
wie  xgo.TFnm-,  hjTagäv.  IniiTTgäv,  ).vyoar,  noiOTo:TäTnar  (I^akch,  XI  lO(i)  sind 
igöglicli. 


138  A.  KÖRTK 

Aber  Pindar  hat  nocli  keine  festen  Bezeichnungen  für  die  einzelnen 
Alien  seiner  Lieder,  nennt  er  doch  N.  I  7 

äofia  ^'  oTQvvEi  Xqojluov  NejLim  t' 

e'oyjLiaoii'  viy.acfOQoig  eyxcojuiov  ^ev'^ai  ueXog 
und  ebenso  0.  II  52  und  P.  X  53  seine  Siegesheder  e.yy.cöjuia.  Auch 
(h'e  nächsten  Generalionen  kennen  noch  keine  bestimmten  Namen 
für  die  verschiedenen  Klassen,  Chamaileon  bei  Athen.  XIII  573E  be- 
zeichnet das  XIII.  olympische  Epinikion  als  §y>ccojiuov.  Fest  Averden 
die  Namen  erst  durch  die  alexandrinischen  Ausgaben ;  es  ist  also 
das  einzig  Naturgemäße,  das  neue  Buch  des  Bakchylides  so  zu  be- 
nennen, wie  die  Alexandriner  es  benannt  haben.  In  der  maß- 
gebenden alexandrinischen  Pindarausgabe  gab  es  aber  kein  Buch 
Skolien,  das  sollte  doch  nicht  mehr  bezweifelt  werden,  seit  uns 
Hillers  schöner  Aufsatz  (d.  Z.  XXI  1886  S.  357 ff.)  von  der  Mißgeburt 
der  Suidasliste  befreit  hat.  Pindarische  Skolien  werden  nur  ge- 
nannt von  voralexandrinischen  Autoren  ^),  oder  in  Citalen,  die 
auf  sie  zurückgehen  2).  Schon  Boeckh  hat  (II  2,  605)  das  dem 
Bakchylideischen  entsprechende  Lied  Pindars  für  Alexander  von 
Makedonien  unter  die  Enkomien  gesetzt  unter  Verweis  auf  Dio  von 
Prusa  Or.  II  33,  wo  der  Anfang  des  Gedichts  mit  den  Worten  ein- 
geleitet wird  eTit'jvEoev  'Ake^fxvÖQOv  top  ^iXelXrjva  ETiixhi&h'ru 
Tioii'joag  eig  avTov.  ^'OXßio^v  öju(6vvf.ie  Aaoöavidäv^  fr.  120  Sehr. 
Ausdrücklich  als  Enkomion  citirt  wird  von  Pindar  ja  nur  das  Lied 
an  Theron  (fr.  118  Sehr.)  im  schol.  A  zu  0.  II  39  to  ydg  rov 
f))]Q(jovog  yh'og  iv&h'de  (von  den  Kadmostöchtern)  y.ardyeo&at 
(f)]oiv  6  JlivdaQog  h>  iyxcojuicoi  ov  äg^^] '  „BovXojuai  naideooir 
'EXXdvcov^  vmd  schol.  A  zu  0.  II  70  javra  (die  Abstammung  The- 

1)  Chamaileon  Athen.  XIII  -573  F,  iVristoxenos  Athen.  XIV  635  B, 
Theophrast  Athen.  X  427  D. 

2)  Dazu  wird  man  meines  Erachtens  doch  die  Notiz  bei  Suidas  (s.  v, 
^A&tjvat'ag)  y.ul  UirSagog  ty  o/o  rechnen  müssen.  Hiller  a.  a.  0. 368  sagt : 
,Ich  sehe  nicht  ein,  weshalb  ö;i;5  hier  nicht  dasselbe  bedeuten  könne  wie 
an  andern  Stellen  des  Suidas  (vgl.  s.  v.  Bh]yco%'ia,  dvoogyo;,  ';«««)  und 
sonst.  Mit  der  Randbemerkung  iv  ayoUon  wollte  meiner  Meinung  nach 
Suidas  oder  seine  Vorlage  oder  ein  Leser  an  irgendein  jetzt  wohl  nicht 
mehr  zu  ermittelndes  Scholion  ähnlichen  Inhalts  erinnern."'  Er  über- 
sieht, daß  an  den  angeführten  Suidasstellen  nicht  wie  hier  Ir  a/ö,  son- 
dern o/o  oder  oyöha  steht,  und  dann  wirklich  ein  Scholion  zu  der 
citirten  Dichterstelle  folgt.  Dazu  kommt,  daß  das  fr.  124  a,  auf  das  die 
Notiz  anspielt,  von  Leuten  wie  Chamaileon,  Aristoxenos,  Theophrast  sehr 
wohl  oy.öXiny  prenaunt  werden  konnte. 


1 


BACCHYLIDEA  139 

rons  von  Kadmos)  iotoqeT  ev  syxo)f.do)i  ou  f]  ägyri  xre.  Dies  Gitat 
ist  insofern  für  das  Bakchylideische  Buch  wichtig,  als  es  zeigt,  daß 
in  Pindars  Enkomien  auch  Mythenerzählungen  vorkamen.  Schroeder 
rechnet  mit  vollem  Recht  die  von  Boeckh  und  Bergk  als  Skolien 
geführten  Gedichte  an  Xenophon  von  Korinlh,  Theoxenos  von  Te- 
nedos,  Thrasybulos  von  Akragas,  Hieron,  Agalhon  (fr.  122  — 128 
Sehr.)  unter  die  Enkomien.  Von  diesen  aber  stimmt,  wie  wir  oben 
S.  129 f.  sahen,  das  Lied  an  Thrasybulos  so  auffallend  in  Ton,  Form 
und  Inhalt  mit  Bakchylides'  Lied  an  Amynlas  überein,  daß  es  wirk- 
lich unbegreiflich  wäre,  wenn  die  Alexandriner  es  anders  benannt 
hätten  als  das  Pindarische.  Ganz  offensichtlich  ist  der  literarische 
Nachlaß  des  Bakchylides  nach  dem  Muster  des  Pindarischen  ge- 
ordnet, außer  den  Epinikien  und  Dithyramben  finden  wir  von  ihm 
citirt  v.uvoi  (fr.  2  und  3  Blaß-Sueß),  nmäveg  (fr.  4—6),  jiQooodia 
(fr,  11  —  13),  jiagdh'sia  (Plut.  de.mus.  17,  2  p.  1137 A),  vTioQ'/y- 
juaza  (fr.  14  — 15);  es  kommen  also  alle  Arten  des  echten  Pinda- 
rischen Schriftenverzeichnisses  vor  mit  Ausnahme  der  ßofjroi  und 
iyy.Mfda.  Dafür  finden  wir  bei  Athenaios  XV  667  C  citirt  Bay.yv- 
kidt]g  iv  EQOixixoTg,  und  ich  glaube  nicht,  daß  dieser  Titel  zu  be- 
urteilen ist  wie  die  Pindarischen  oxoXia.  Abgesehen  davon,  daß  er 
durch  Apuleius  apol.  8  fecere  tarnen  et  alii  talki  (sc.  uniatonos 
versus) .  . .  opud  Graecos  Teius  quidam  et  Lacedaemonius  et  Chis  ^) 
cum  aliis  inmimeris  gestützt   wird,   läßt   sich    das   eine   erhaltene 

Fragment  (17  Bl.-S.) 

evxe 

xijv  dji'  uyxvXi^g  h]oi 

TÖiods  ToTg  vtavlaig 

levxov  ävjeivaoa  ttTj/vv 
in    der    Tat    schwer    in    einer    der    übrigen    Dichlungsarteu    uul er- 
bringen,   und   noch   mehr    gilt   das    von    den    beiden    Versen,    die 
Hephaistion  ohne  Buchnennung  ITeol  :TOt)]jn.  7,  3  als  Beispiele  der 
tTiKpdey f^mrixa  anführt  fr.  18 

ij  xaXbg   SeöxQixog  '  ob  jnövog  dv&Q(6.T(')v  ooäig 

und  fr.  19  ^    «•    5 

ov  o    ev  '/^iTCovi   uovvfo 

Tiaqu  x)]v  rpfhjv  yvvaiy.a  ipevyeig. 

Ein  Pindarisches  Gedicht  mit  solchen  Refrains,  die  fast  nach  Gassen-    ^'^ 

hauern  klingen,  wäre  undenkbar.     Es  scheint  also,  daß  die  Alexan- 

1)  Überliefert  civix,  von  Bosscha  schlagend  verbessert. 


140  -A.  KÖRTE 

tirilier  im  Nachlaß  des  Bakcliylides  Gediclile  von  ziemlich  vulgärem 
Ton  und  starker  Sinnlichkeit  fanden,  zu  denen  Pindar  keine  Seiten- 
stücke bot,  und  die  sie  deshalb  in  einem  besonderen  Buch  igoj- 
Tixd  zusammenfaßten. 

Man  könnte  ja  nun  vorsucht  sein,  das  neue  Buch  aus  Oxyrhyn- 
<hos  gerade  diesen  tQOjrixd  gleichzusetzen ^),  aber  ein  Vergleich 
mit  den  angeführten  Versen  rückt  die  neuen  Reste  so  entschieden 
von  ihnen  ab  und  an  die  Seite  der  Pindarischen  Enkomien,  daß 
ich  es  trotz  des  Fehlens  bezeugter  Enkomien  des  Bakchylides  für 
einen  nahezu  sicheren  Schluß  halte:  im  Altertum  trug  das  Buch, 
von  dem  uns  der  Oxyrhynchospapyrus  schöne  Reste  wiedergab,  den 
Namen    eyxw/ua.     Möge    ein    ailXvßog    diese    Vermutung    ebenso 

schlagend    bestätigen    wie   die  Bezeichnung   der   zweiten   Rolle    des 

Londoner  Papyrus  als  Dithyramben. 

3.  Die  Lebenszeit  des  Dichters. 
Als  herrschende  Meinung  über  Bakchylides'  Lebenszeit  kann 
gellen,  daß  der  Dichter  nicht  unwesentlich  jünger  war  als  Pindar 
und  ihn  um  eine  ganze  Reihe  von  Jahren  überlebte.  So  setzt 
Crusius  in  dem  vor  Auffindung  des  großen  Papyrus  geschriebenen 
Artikel  der  Realencyklopaedie  II  2794  2)  die  Gel)urt  mit  einigem 
Vorbehalt  ins  Jahr  505  und  sagt  Sp.  2795:  „Bakchyhdes  wird  den 
Beginn  des  peloponnesischen  Krieges  noch  erlebt  haben."  Michel- 
angeli  in  seiner  breiten,  ebenfalls  vor  Kenyons  Veröffentlichung  ge- 
schriebenen Behandlung  des  Lebens  unseres  Dichters  (Riv.  di  stör, 
ant.  II  3,  73  — 118)  läßt  ihn  um  507  geboren  werden  und  meint 
S.  76  verso  il  430  Ja  fama  di  BacchUlde  era  cd  sommo.  Auch 
in  dem  Nachtrag  Riv.  di  stör.  ant.  III  1,  44  ff.  hält  er  an  diesen 
Ansätzen  fest.  Jebb  gibt  S.  4  seiner  großen  Ausgabe  als  resuU 
seiner  eingehenden  und  vorsichtigen  Erwägungen  an  ü  is  probable 
that  tlie  period  from  abouf  f)07  to  428  ivas  comprised  in  his  life- 
time.   und   in    der  6.  Auflage    der   Griechischen    Literaturgeschichte 

1)  Blati-Suels  setzen  das  Gedicht  an  Alexander  in  der  Tat  unter 
die  honiy.d,  und  das  war  auch  begreiflich,  solange  man  den  Anfang 
nicht  kannte. 

2)  Es  ist  eine  der  bedauerlichsten  Lücken  der  Realencyklopaedie, 
daß  sie  20  Jahre  nach  der  Wiederentdeckung  des  Bakchylides  uoch 
immer  keinen  Nachtrag  in  den  Supplementen  gebracht  hat,  der  den 
Dichter  so  behandelt,  wie  das  neue  Material  es  gestattet. 


BACC1IYI>[J)K.\  141 

von  Christ-Schmid  lesen  wii  I  221:  ,Bakcliylidcs  (um  505  — 450 
oder  später),  der  jüngste  der  drei  großen  Dieliter  der  chorisclien 
Lyrik",  Schmid  scheint  also  gegen  eine  Ausdeliniing  des  Lebens 
bis  in  die  Zeil  des  pelopoiinosisclien  Kriegs  doch  Bedenken  zu 
haben. 

Alle  diese  Ansätze  stützen  sicli  aul  antike  Angaben,  und  es 
gilt  zu  untersuchen,  wie  diese  zustande  gekommen  sind. 

Da  ist  z.unächst  die  niemals  angezweifelte  Xaclirichl  der 
Pindarvita  des  Eiistathios  y.al  ^iiKovldov  ijhovo^:,  i'eoneQog  uev 
txeivov  MV,  TTQeGßvreQOi;  de  BnxyvUöov  ^).  Daß  Pindar  jünger 
war  als  Simonides,  läßt  sich  unsch\ver  aus  den  Werken  feststellen, 
daß  er  aber  älter  sei  als  Bakchylides,  entnahm  Eustathios'  Ge- 
währsmann doch  wohl  einfach  der  für  beide  festgestellten  Akme. 
Pindars  Akme  war  angesetzt  y.ara  rd  ITegGixd  480/79 ■^),  Bakchy- 
lides' auf  Hierons  olymi)ischen  Wagensieg  468-'),  also  mußte 
Bakchylides  jünger  sein,  und  wenn  Pindar  518  geboren  war*), 
gewinnt  man  für  den  Rivalen,  der  12  Jahre  spater  seine  Akme 
erreicht,  das  Jahr  506  als  Geburtsjahr.  Das  ist  eine  sehr  einfache 
Rechnung,  aber  man  sollte  sie  niclit  als  für  uns  verbindlich  an- 
sehen. 

Ich  halte  es  für  sehr  unwahrscheinlich,  daß  der  Altersunter- 
schied" beider  Dichter  mehr  als  zwei  oder  drei  Jahre  betrug  —  falls 
ein  solcher  überhaupt  bestand'').  Bedenklich  macht  mich  vor  allem 
die  bestbezeugte  Tatsache  aus  Bakchylides'  Privatleben,  das  Ver- 
wandtschaftsverhältnis zu  Simonides.  Er  war  nach  Strabo  X  486 
Simonides'  Neffe,  und  zwar  der  Sohn  einer  Sclivvester,  da  Simo- 
nides' Vater  Leoprepes  hieß,  Bakchylides'  väterlicher  Großvater  aber 

1)  Das  fJHovoE  ist  uatürlicli  ein  töricliter  Ausdruck  für  die  Tat- 
sache, dali  Pindar  von  Simonides  viel  gelernt  liat.  Den  übrigen  Teil 
des  Satzes  wiederholt  fast  wörtlich  die  vita  des  Thomas  Magister  vso)- 
tsong  iih'  )]v  S11.UOV1Ö0V   TTOEoßüiSQog  dk  Baxyv).t<^oi\ 

2)  So  schon  Diodor  XI  2G,  8. 

a)  Eusebios  Ol.  78.  Natürlich  ist  der  Auftrag  des  Epinikions  für 
Hierons  Wagensieg,  nicht  dessen  Tod  Anlats  zur  Bestimmung  der  Akme. 

4)  An  diesem  Jahr  halte  ich  mit  Wilamowitz,  Aristoteles  und  Athen 
II  oOl  Anm.  20  fest. 

5)  Es  verdient  immerhin  Beachtung,  daß  tjei  Suidas  s.  v.  Acayöga; 
Pindar  und  Bakchylides  einfach  als  gleichzeitig  behandelt  und  in  die 
78.  Olympiade  gesetzt  werden,  roTg  ygörois  mv  ytaxa  TIir?to.QOv  xal  Bax^i- 
?Jö)]i;  ]\Ie)mvi71.-ii§ov  öe  jiQEoßvTsoog.    )'j>{na^e  toivvv  o)/  6?.vii:zidöi  (468 — 465). 


142  A. KÖRTE 

denselben  Namen  trug  wie  der  Dichter.  Simonides  war  nacli  seinem 
eigenen  Zeugnis  556;5  geboren  (fr.  147  Bergk),  und  es  ist  in  jener 
Zeit  der  nicht  sehr  kinderreichen  Ehen  schon  ein  starker  Abstand, 
wenn  wir  annehmen,  daß  Bakchylides'  Mutter  10  Jahre  jünger  war 
als  ihr  Bruder.  Dann  war  sie  im  Jahre  530  bereits  heiratsfähig  und 
die  Geburt  eines  Sohnes  erheblich  nach  516  ist  wenig  wahrschein- 
lich ;  im  Jahre  50 G  war  sie  nach  südländischen  Begriffen  bereits  eine 
Matrone.  Natürlich  müßten  wir  solche  Unwahrscheinlichkeiten  hin- 
nehmen, wenn  eine  gute  Überlieferung  uns  dazu  nötigte:  aber  die  fehlt 
durchaus,  und  ich  kann  nicht  finden,  daß  in  den  Gedichten  irgend 
etwas  für  einen  jüngeren  Ansatz  der  Geburt  des  Dichters  spricht  als 
etwa  516.  Das  älteste  ziemlich  genau  datirbare  Gedicht  ist  das 
XIII.  (XII  Bl.)  Epinikion  auf  den  nemeischen  Sieg  des  Aigineten 
Pytheas.  den  Pindar  im  V.  nemeischen  Gedicht  verherrlicht.  Den 
Sieg  des  Pytheas  hat  Wilamowitz,  Sitzungsber.  d.  Berl.  Akad.  1909, 
811  ff.  überzeugend  auf  485  oder  483  datirt.  Da  tritt  Bakchylides 
als  Rivale  Pindars  mit  einem  langen  anspruchsvollen  Gedicht  auf; 
es  war  mit  seinen  231  Versen,  von  denen  uns  freilich  viele  ver- 
loren sind,  das  längste  aller  seiner  Epinikien  ^),  mehr  denn  doppelt 
so  lang  als  Pindars  Concurrenzgedicht,  ja  länger  als  alle  erhaltenen 
Gedichte  Pindars  mit  Ausnahme  des  lY.  Pyth i sehen  ^j.  und  nun 
höre  man  den  Schluß  221  fT.: 

220  e/^iöi  dvjito)'  iai}'[e( ' 

xui  y.at  iyo)  7itov)'o[g 
(potriy.oy.oaöejLivoig  \rs  Movoaig 

vjuvmv  Tiva  jdvde  v\e67iXoy.ov  dooiv 

qiaivoi,  ^eviav  te  [(püd- 
225        y/Mov  yggaigco, 

räv  Euol,  Adfijion',  \ov  ve/ucov  ydoiv  ov 
ßX)y/Qäv  eTiado/joaiq  T[ey.v(or 

rdv  uy.  f.TV/iojg  qga  Kkeico 

7ravßa?Jjg  iuäig  eveoTa$[sr  (fQüotv, 
230  regipiEJieTg  vir  \äo\ißal 


1)  Jetzt  ist  Y  mit  200  Yersen  das  längste. 

2}  Zählt  man  auch  bei  Pindar  nach  Kola ,  wie  man  für  den  Yer- 
gleich  muß,  so  hat  N.  Y  nicht  ganz  100  Yerse;  über  200  nur  P.  III  (205) 
nnd  P.  IX  (220).  P.  lY  freilich  533. 

3}  Ich  folge    in  der  Ergänzung  der  .schwierigen  Stelle   im  wesent- 


BACCHYLIÜEA  148 

,Mit  Hodiumg  wäriiil  [ein  jeder |  sein  Hei/.  Im  Veitrauen  auf  sie 
und  die  Musen  im  purpurnen  Sclileier  lasse  aucli  ich  diese  friscli- 
geflochtene  Liedergahe  sehen  und  ehre  die  glanzUebende  Gastfreund- 
schaft, die  du,  Lampon,  mir  erweist.  Mögest  du  das  (lesc.henk  fin- 
den Sohn  nicht  als  gering  betrachten :  wenn  es  wirklich  die  Idüheiule 
Klio  meinem  Sinn  einflößte,  werden  die  holdklingenden  Lieder  ihn 
allem  Volk  verkünden."  Ist  das  wirklich  die  Sprache  eines  be- 
scheidenen Anfängers^)?  Der  Wunsch,  Lampon  möge  die  Gabe 
für  den  Sohn  niclit  als  gering  ansehen,  ist  doch  nur  eine  Höf- 
lichkeitsformel des  glatten  loniers;  er  ist  durchaus  davon  durch- 
drungen, daß  sein  Lied  ein  echtes  Geschenk  der  Klio,  also  vor- 
Uefflich  ist  und  der  weiten  Welt  Larapons  Kulnn  eindringlicli 
künden  wird.  Auch  die  Tatsache,  daß  er  Ijcreits  die  Gastfreund- 
schaft des  vornehmen  Aigineten  genießt  und  als  Dankes/.oll  für  sie 
sein  Lied  darbringt,  beweist  seine  anerkannte  Stellung  in  den 
Kreisen  des  vornehmen  sporl treibenden  Adels.  Meines  Erachtens 
fühlt  sich  Bakchylides  hier  schon  genau  so  jedem  Nebenbuliler  ge- 
wachsen wie  im  Eingang  von  V,  wo  die  getlissenlliche  Herausforde- 
rung von  Hierons  Urteil  docii  nur  der  Ausfluß  starken  Selbstver- 
trauens ist,  und  der  Dichter  sich  selbst  V.  13  als  yQvodnnvKOQ 
Ovguviag  xketvög  dsQdjicov  bezeichnet. 

Daß  dies  große  Gedicht  auf  Pytheas  für  uns  zufällig  das 
älteste  datirbare  ist,  gibt  uns  durchaus  kein  Recht,  es  für  eine 
Jugendarbeit  zu  halten.  Seinen  Stil  beherrscht  der  Dichter  hier 
bereits  vollkommen,  und  wenn  dieser  Stil  in  allen  erhaltenen  Ge- 
dichten ziemlich  der  gleiche  ist,  so  erklärt  sich  das  leicht  aus  der 
Tatsache,  daß  seine  Persönlichkeit  weniger  tief  und  deshalb  weniger 
entwicklungsfähig  war  als  die  seines  großen  Püvalen,  der  Zeit  seines 
Lebens  mit  Gedanken  und  Form  immer  von  neuem  ringt. 

liehen  Ed.  Schwartz,  dessen  vorzügliche  Behandlung  (d.Z.  XXXIX  t*Jii4 
S.  638 f.)  Suets  mehr  liätte  berücksichtigen  sollen.  Vor  allem  ist  L-radfjr'i- 
oa.ig,  da  Bakchylides  keine  aiolisclien  Particiiiien  hat,  als  Optativ  zu 
lassen,  dann  braucht  man  ein  or ,  und  xehi-oh  in  227  ist  nötig,  um  einen 
Anschluß  für  das  viv  in  230  zu  gewinnen,  das  doch  nur  auf  Pjthea«  gehen 
kann.  Sueß'  Textgestaltung  bekenne  ich  übei-haupt  nicht  verstehen  zu 
können.  Abweichend  von  Schwartz  habe  ich  nur  223  Jebbs  vtörtXoyMv 
S6oi7-  {r£OjTh>?<(jor  döaiv  Blaß,  vmr  rrkexior  '/a<yiv  Schwartz)  beibehalten  und 
dementsprechend  226  yäqiv  [böoiv  Schwartz);  aber  das  ist  uaerlieblieh. 

\)  Wilamowitz  sagt  a.a.O.  813  „der  junge  Dichter  redet  beschei- 
den"; Schwartz  spricht  a.  a.  0.  G39  zutreffend  von  dem  „stolzen  Schluß''. 


144  -^-  KU  UTK 

Noch  stärkere  Bedenken  als  gegen  den  späten  Ansatz  der  Ge- 
burt des  Bakchylides  habe  icli  aber  gegen  die  Ausdehnung  seines 
Lebens  bis  in  die  Zeit  des  peloponnesischen  Kriegs.  ^Venn  dazu 
noch  immer  eine  große  Neigung  vorhanden  ist,  so  beruht  das  be- 
Avulät  oder  uubewufst  auf  der  Notiz  des  Eusebios  zu  Oh  87,  2  (431) 
BaxxvUdy^g  /.leXoTioiog  ^yvüJQiCexo  ^).  Der  Unsinn,  daß  ein  Dichter, 
dessen  „Blüte"  ins  Jahr  468  fällt,  37  -lahre  später  .bekannt  wird", 
ist  ja  handgreiflich  genug,  aber  man  hat  sich  doch  immer  wieder 
bemüht,  dieser  durchaus  tauben  Nuß  einen  gesunden  Kern  abzuge- 
winnen 2).  Selbst  den  Versuch,  statt  des  Bekanntwerdens  den  Tod 
als  eigentlichen  Anlaß  der  Notiz  zu  retten,  halte  ich  für  durchaus 
verfehlt;  wie  die  Verwirrung  entstanden  ist,  läßt  sich  nicht  mehr 
aufklären,  aber  jedes  Compromiß  ist  hier  vom  Übel. 

Man  beachte  doch  folgende  Tatsachen.  Die  spätesten  dalirbaren 
Gedichte  des  Bakchylides  sind  VI  und  VII  auf  einen  olympischen  Sieg 
seines  Landsmanns  Lachon,  der  nach  der  Olympionikenliste  von  Oxy- 
rhynchos  ins  Jahr  452  fällt.  Pindars  letztes  datirbares  Lied  P.  Vill  ge- 
hört ins  Jahr  446,  das  schwermütige  N.  XI  und  das  Enkomion  für 
Theoxenos,  den  Bruder  des  Adressaten  von  N.  XI  (vgl.  Wilamowitz, 
Sitzungsber.  d.  Berl.  Akad.  1909,  82911'.),  können  wohl  noch  etwas 
später  sein;  keine  bekannte  Tatsache  widerstrebt  dem  sich  aus  der 
Altersangabe  der  Viten  ^)  ergebenden  Todesjahr  438  •*),  mag  auch 
immerhin  80  Jahr  abgerundet  sein  und  der  Tod  ein  oder  zwei 
Jahre  früher  oder  später  fallen.  Hätte  der  Keer  den  Thebaner  um 
10  oder  mehr  Jahre  überlebt,  so  hätte  in  der  Tat  um  431  sein 
Ruhm  al  sommo  stehen  müssen,  wie  Michelangeli  annimmt ;  denn 
dann  wäre  er  der  letzte  große  Chorlyriker  gewesen,  der  aus  einer 
andern  Welt  in  das  perikleische  Hellas  hineinragte.  Nun  ist  aber 
gerade  das  Gegenteil  der  Fall,  er  ist  vollkommen  vergessen;  nie- 
mand kümmert  sich  um  ihn,  dafür  ist  die  Komödie  ein  sicherer 
Barometer.     Die  Klage   des  Eupolis   bei  Athen.  I  3  A  ojs    ti   Tlir- 


1)  Bei  Syiikellos  ist  die  Notiz  auf  Ol.  88  verschoben. 

2)  Energisch  verworfen  haben  sie  Kenyon,  Introd.  VIII  und  Baum- 
stark, Neue  Heidelb.  Jahrb.  VIII  (1898)  129. 

3)  80  Jahre  bei  Eustathios  und  Thomas  Magister;  die  daneben  ge- 
gebene Zahl  66  geht  auf  das  Jahr  des  letzten  olympischen  Gedichts  452 
zurück. 

4;)  Wilamowitz,  Arist.  u.  Ath.  II  301  Anui.  20  stellt  dies  Jahr  aucli 
bei  Suidas  durch  die  Oonjectur  iröjv  (.V  oA.  .t)«'  her. 


ÜACtlJVLlDKA  14.3 

d(XQOLi  ljö)j  xuzaoeoiyaojiih'a  v:n6  rfj^  Tcor  TTolkoiv  n(fiXoH(xXi(i:: 
war  gewiß  nicht  unberechtigt;  immerhin  berücksichtigt  Aiisln|)hancs 
noch  mindestens  siebenmal  Pindarische  Gedichte,  nicht  nur  Ach.  637. 
Ritt.  1329  den  berühmten  Anfang  des  für  Athen  gediclilcliMi  Dithy- 
rambos  fr.  76  (Sehr.) 

'Q  xal  hncxQul  y.al  looreqxwoi  hui  uoidtiioi, 
'EäI(1öo<;  h'oeiofia,  y.Xeivai  ll«?äva/, 
dai/iöviov  TixoUe&Qov, 
sondern  auch  Ritt.  1269  ein  Prosodion  (fr.  89  a  Sehr.),  Vög.  926  ff.  das 
Tanzhed  an  Hieron  (fr.  105  Sehr.)  und  wohl  auch  den  Anfang  des 
I.  Nemeischen  Gedichts  ^).  Von  Bakchylides,  der  doch  auch  für  athe- 
nische Feste  (XVIII  und  XIX)  und  athenische  Sieger  (X)  gedichtet  hatte, 
findet  sich  weder  bei  Aristophanes  noch  bei  einem  andern  Komiker 
irgendeine  Spur.  Das  wäre  bei  dem  lebhaften  Interesse,  das  die  Ko- 
mödie und  insbesondere  Aristophanes  an  den  Lyrikern  nimmt,  ganz 
unverständlich,  wenn  der  Dichter  bis  an  die  Schwelle  von  Aristopha- 
nes' eigener  Dichlerlauf  bahn  gelebt  und  gewirkt  hätte,  es  versieht  sich 
aber  leicht,  wenn  Bakchylides  schon  so  lange  tot  war,  daß  die  Ge- 
neration des  Aristophanes  keine  eigene  Erinnerung  mehr  an  sein 
Leben  und  Wirken  besaß.  Wenn  irgendwo,  ist  hier  der  Schluß  ex 
silentio  berechtigt,  Bakchylides  muß  bald  nach  den  Liedern  für 
Lachon  um  450  gestorben  sein.  Pindars  Lebenszeit  überragte  also 
die  seine  voraussichtlich  am  Lebensende  erheblich  stärker  als  am 
Beginn.  Dazu  stimmt  durchaus,  daß  die  bei  Pindar  so  ergreifend 
wirkende  Altersstimmung  bei  ihm  nirgends  zum  Ausdruck  kommt 
und  daß  er  auch  niem.als  unter  den  [xaxQoßioi,  auf  die  man  im 
späteren  Altertum  so  eifrig  Jagd  machte,  erscheint'-). 

Zum  Schluß  noch  ein  Wort  über  Bakchylides'  vielberufene  Ver- 
bannung. Ich  will  Plutarchs  Ausführungen  JJeQi  q^vyrjs  14  p.  605  G 
ganz  ausschreiben,  weil  bei  Herausnahme  der  Bakchylides  betreffen- 
den Stellen  unwillkürlich  ein  zu  starker  Ton  auf  ihn  fällt.  Kai 
yaQ  ToTg  naXaioTg,  (hg  eoiy.ev,  al  Movoai  rä  xäXhora  xcbv  ovv- 
Tayf^iäxwv  xal  domjuMraxa  (pvyi]v  Xaßovoai  ovvegyöv  InexiX.Eoav . 
Oovxvdidfjg  'A'drjvaiog  ovveygaipe  xöv  jröXsjuov  xcov  UeXonowr}- 

1)  Vög.  1121;    vgl.  ferner  Ritt.  626  =  h\  144  Sehr.;    Wesp.  308  == 
fr.  189  Sehr. 

2)  Auf  diesen   letzten  Umstand   hat   schon   Baumstark  a.  a.  0.  130 
mit  Recht  Gewicht  gelegt. 

Hermes  LIII.  10 


14G  A.  KÖRTE 

akor  xai  'A&rjvaicov  ü>  €)Qdiy.iji  negl  tijv  Zxa7ix}]v  vh]v  '  Eevo- 
fpoiv  ir  ZxdXovvTi  rfjg  'H?,eiag'  0ihoTog  iv  'HjieiQcoi'  Tl/naiog 
6  TavQOjuevmjg  iv  'Adrjvaig'  ^Arögorimv  'Adipdlog  iv  Meydgoig' 
Bay.xv)udi]g  u  7Toi7]X)jg  iv  neXoJiovvt]acoi.  Jtdvzeg  ovroi  xal  nXei- 
oveg  aXXoi  tmv  jinxQidoyv  ixneoovxEg,  ovh  äjiEyvojoav,  ovo'  eqqi- 
ijfav  eavxovg,  d//.'  iyo/joavxo  xaJg  evcpviaig,  icpödiov  Tiagd  xrjg 
Tvyi]g  xtjv  cpvyi]v  Xaßövzsg,  Öi  ijv  Tiavxayov  y.al  xedv7]x6x€g  fJ-Vi]- 
/.lovevovxai.  Plutarch  nimmt  seinen  paraenetisclien  Zwecken  ent- 
sprechend den  Mund  reichlich  voll,  und  Bakchylides  erscheint  bei 
ihm  als  letzter  in  einer  langen  Liste  von  Verbannten,  für  welche 
die  Behauptung,  sie  hätten  xd  xdlhoxa  xcöv  ovvxayjudxcov  xal 
öoxijucoxaxa  in  der  Verbannung  geschrieben,  nicht  gleichmäßig  zu- 
trifft. Man  wird  also  als  gesichert  für  Bakchylides  nichts  weiter 
ansehen  dürfen,  als  daß  er  eine  Zeitlang  im  Peloponnes  in  der 
Verbannung  lebte.  Die  Zeit,  in  welche  diese  Verbannung  fallen 
kann,  wird  immer  mehr  eingeschränkt,  je  mehr  feste  Daten  wir  für 
die  Gedichte  gewinnen.  Zur  Zeit  seines  ersten  Liedes  an  Hicron 
(V)  476  war  der  Dichter  sicher  in  Keos,  auch  468  würde  er  sich 
schwerlich  am  Schluß  von  III  98  so  emphatisch  als  Ktfia  ärjöcov 
bezeichnen,  wenn  er  aus  der  Heimat  verbannt  wäre.  Die  beiden 
Gedichte  für  Argeios,  deren  erstes  die  ausführliche  Darstellung  der 
mythischen  Geschichte  von  Keos  enthält,  während  das  zweite  die 
^i'jfia  auffordert,  die  Siegeskunde  vom  Isthmos  nach  der  Insel  zu 
bringen,  kann  er  auch  nicht  wohl  als  Verbannter  geschrieben  haben, 
und  diese  Lieder  haben  wir  oben  (S.  118 f.)  zwischen  464  und  454 
datirt,  eine  noch  genauere  Datirung  wird  sich  gleich  ergeben.  Die 
Lieder  VI  und  VII  endlich  vom  Jahre  452  schließen,  falls  VI  14 
jT.Qodojuoig  doidaig  richtig  überliefert  ist,  was  ich  glaube^),  eben- 
falls eine  Verbannung  in  dieser  Zeit  aus. 

Der  einzige  wirkliche  Anhalt,  den  wir  für  die  Zeitbestimmung 
der  Verbannung  haben,  ist  die  Tatsache,  daß  sich  die  Keer  einmal 
einen  Paian  bei  Pindar  bestellt  haben,  den  IV.  des  Oxyrhynchos- 
papyrus.  Seine  Datirung  hängt  ab  von  der  des  I.  isthmischen  Ge- 
dichts, in  dessen  Eingang  Pindar  die  Keer  um  Entschuldigung 
bittet,  wenn  er  das  für  den  Vortrag  des  keischen  Chors  in  Dclos 
bestimmte  Lied  zugunsten    des  Epinikions  für  den  Landsmann  He- 


1)  Freilich  sind  die  dot()al  jigoSo/xot,   eiu  Ständchen  vor  dem  Haus 
des  Siegers,  zugleich  tiqoöqo^ioi  Vorläufer  des  feierlicheren  Gedichts  VIT. 


BACCHYLiDEA  147 

rodotos  einstweilen  zurückstelle.  Der  Dissensche,  auch  von  Gliiisl 
und  andern  angenommene  Ansatz  des  I,  islhmischen  Liedes  auf  458 
hat  neuerdings  eine  starke  Stütze  durch  Caspars')  Hinweis  erhalten, 
daß  nach  Herodot  IX  69  Asopodoros,  des  Siegers  Vater,  der  Führer 
«ines  letzten  glücklichen  ReiterangrifTs  der  Thebancr  gegen  Megarer 
und  Phliasier  in  der  Schlacht  von  Plataiai  war.  Ein  Mann,  der  sich 
auf  persischer  Seite  so  hervorgetan  hatte,  konnte  nacli  V^crtreibung 
der  Perser  nicht  wohl  in  die  Heimat  zurückkehren,  was  also  V.  34 ff. 
über  Asopodoros'  einstiges  Verbanntenleben  in  Orchomcnos  gesagt 
wird,  paßt  auf  die  Jahre  479  IT.  ebenso  vorzüglich  wie  die  auffällig 
«nge  Verknüpfung  der  Taten  des  Kastor  und  lolaos  V.  16  ff.  auf 
die  Zeit  der  thebanisch-lakedämonischen  Waffenbrüderschaft,  die  im 
nächsten  Jahre  zur  Schlacht  von  Tanagra  führte. 

Wenn  sich  die  auf  Sieger  und  Dichter  ihrer  Insel  so  stolzen 
Keer  im  Jahr  458  einen  Paian  von  dem  Hauptrivalen  der  keischen 
Dichter  anfertigen  lassen,  dann  muß  das  besondere  Gründe  gehabt 
haben.  Simonides  war  damals  tot  und  Bakchylides  offenbar  ver- 
bannt 2). 

Daraus  ergibt  sich  dann  weiter,  daß  das  Jahr  458  für  Argeios' 
Sieg  und  die  Lieder  I  und  II  des  Bakchylides  nicht  in  Betracht 
kommt,  wir  sie  also  auf  460  oder  462  zurückschieben  müssen, 
über  464  kann  man  schwerlich  mit  ihnen  hinaufgehen  ^).  Somit 
gewinnen  wir  als  äußerste  Grenzen  der  Verbannung  des  Bakchy- 
lides die  Jahre  464  —  452,  sehr  wohl  kann  sie  aber  auch  nur  einen 
Teil  dieses  Zeitraums  umfaßt  haben. 

Leipzig.  ALFRED  KÖRTE. 


1)  Essai  de  Chronologie  Pindarique  150  ff. 

2)  So  auch  Schmid,  Grieeh.  Liter.-Gesch.«  I  222  Amn.  2. 

3)  S.  0.  S.  119.  Die  Möglichkeit,  Argeios'  Sieg  auf  456  oder  454 
herabzurüuken  und  die  Verbannung  zwischen  468  nnd  454  unterzubrin- 
gen, besteht  freilich  auch,  aber  sie  hat  nach  dem  oben  Ausgeführten 
geringere  Wahrscheinlichkeit. 


10' 


EIN  NEUES  BRUCHSTÜCK  AUS  DEN  AITIA 
DES  KALLIMACHOS. 

Der  neue  Fund  aus  den  Aitia  des  Kallimachos  ^)  hat  trotz  der  im 
Kriege  geringen  Verbreitung  des  Oxyrhynchusbandes  '^)  rasch  die  Auf- 
merksamkeit auf  sich  gezogen,  vornehmhch  allerdings  um  der  heor- 
fologischen  Angaben  willen  und  der  Gonsequenzcn.  die  sich  aus  ihnen 
zu  ergeben  schienen^);  seine  Bedeutung  ist  aber  für  den  Dichter 
und  die  Gomposition  seiner  Aitia  grofä  genug,  der  poetische  Reiz  des 
Bruchstücks  ein  so  hoher,  dafs  eine  Sonderbehandlung  des  Textes 
und  eine  genauere  Einordnung  des  Fundes  innerhalb  seiner  Lite- 
raturgattung gerechtfertigt  erscheinen. 

Col.  I. 

t]chg  ovde  Txi^oiylg  iMv&avev  ord'  ort  dov/.oig 

^jLiaQ  'Ogtorsioi  Xevy.bv  äyovoi  yjhg, 
'Ixagiov  xal  ncuöbg  äyon>  eTteieiov  äyioxvv, 

'Ar&ioiv  otxxioTij,  aov  cpdog,  "Hgiyovt], 
5     eg  daixip'  exdXeooev  ojutjd^eag,  iv  de  vv  töioi 

^eTvov  og  A[i]yv7irq)  y.aivög  äveoigecpero 
IxejjißXcoy.ibg  Xdiov  ri  xaxd  XQSog '  rjv  dk  yeved^krjv 

"Ixiog,  cd  ^vvYjv  el^ov  eyöj  xKiohp 
ovx  EHird^,  dXX'  alvog  'Ojurjoixog,  aiev  ö/noiov 
10  (bg  'deög,  ov  ipevdijg,  ig  röv  öjuotoy  äyei,. 

xal  ydg  6   0Qi]ixit]v  juev  änioxvye  '/[avbov  niivoxiv 

oivonoxuv,  öh'yco  d^  fjÖExo  xioavßico. 

1)  Oxyi-hyiichus  Papyri  XI 1915,  13G2,  von  Grenfell  und  Hunt  muster- 
gültig bearbeitet;  der  Text  oben  in  ihrer  Fassung. 

2)  Ich  danke  der  Güte  von  H.  Diels  die  Benutzung  seines  Hand- 
exemplars. 

3)  M.  P.  Nilsson,  Die  Anthesterien  und  die  Aiora,  Eranos  XV  191(>, 
181—200.  Ä.  Körte,  Zu  attischen  Dionysosfesten,  Rhein.  Mus.  LXXI  1916, 
575 — 578.  Mit  Rücksicht  auf  diese  Arbeiten  sind  die  religionsgeschiclit- 
lichen  Fragen  hier  kürzer  behandelt  als  geplant. 


AUS  DEN  AlTIA  DES  KALLIMACUOS  1 19 

To>  jiiev  iyo)  rdd'  eke^a  JieQioreixot'TO^  uXeioov 
To  TQiTOv,  evT    sddijv  ovvo/iia  xal  yei'hjv, 
15     77  juuX'  ejiog  röd'  äX)]dEg,  ot'   ov  fiovor  vSazo::  alonv, 
uXX  ETI  y.al  ?Joy)]g  oJvog  e'xf-'ti'  tdeXti  ' 
T)]v  fjimg,  ovx  h  y[a\o  ägvonjosGoi  cpoQETxai 

oi'ÖE  jitiv  Eig  dz[.  .  .  .].    ofpQvag  oivoyjHor 
atxt]aEtQ  öq6(o[v]  or'   elEV&EQog  nr/ueva  oaivti, 
20         ßd/J.co/iiev  yaksTiO)  cpagfianov  ev  no/iaii, 

ßEvyEveg,  öoo[a]  d'  ejlieTo  gIejOev  ndga  d^j/xög  dy.ovacK 

lyaivEi,  xdÖE  juot  k[E]^ov  [dveiQOjLiEv]cp' 
MvQ/tidovojv  tooijya  r[i  ndrqiov  v],ujM  OEßeoßni 

IlrjUa,  xwg  "I>c(p  ^vv[ ];<«, 

25     TEv  <5'  EVEHEv  yt]T£tov  tö[.  .]vr\ .  .  .   a]orov  Eyovoa 

Col.  II. 
fJQOJog  Ha[&]ödov  jza[7g 
eldoxEg  (hg  eve71ov{oi 

XEIVY}V    Tj    TlEQl    GYjV    [ 

OV&'  EXEQijV  eyvojxa  '  x\ 

ovuxa  /wÜEToßai  ßo.[ 
x[aux]  £juE^%v  kE^avxo[g 

x[gio]judxaQ,  y  Tiavooiv  ö[Xßi6g  egoi  fiiExa, 
[vavxi\Xh]g  ei  viiiv  EiyEig  ßi'ov  '   dXX'   Ijudg  aldiv 

\y.vf-iaoiv  ai\)9vh]g  jiiä[?dov  Eowxioaxo 

„.  .  .  auch  nicht  ging  der  Tag  der  Faßüffnung  ungefeiert  vor- 
beii,  auch  nicht,  wenn  das  Kannenfest  (das  seinen  Ursprung  von 
Orestes  herleitet)  den  Sklaven  einen  Freudentag  bringt;  und  wie  er 
die;  Jahresfeier  der  Ikariostochter  beging,  deinen  Tag,  Erigone,  die 
^u  den  attischen  Frauen  Jammer  brachtest,  da  lud  er  zum  Mahl 
CJesinnungsgenossen,  und  unter  ihnen  einen  Gastfreund,  der  neuer- 
dings in  Ägypten  weilte,  wohin  er  um  persönlicher  Geschäfte  willen 
gekommen  war,  einen  Ikier  von  Herkunft." 

*  t)er  Anfang  des  Bruchstücks  ist  verloren,  damit  auch  der 
Name  der  Person,  die  die  verschiedenen  Feste  begeht.  Genannt 
wird  sie  von  Athenaeus  XI  477  G  gelegentlich  einer  Diskussion  über 
verschiedene  Becherformen :  XJ.yojv  im  xov  'Ixiov  ^)  ^ivov  xov  Tiaod 

1)  Überliefert  oly.elov;  auf  Grand  des  Papyrus  vou  Grenfoll  und 
Hunt  entscheidend  gebessert.  -  v .   U' 


150  L.  MALTEN 

T(p  'A-ßi^vaicp  IlöXhdi  ovveonaa&Evrog  avtat.  Daß  Pollis  Athener 
sei,  war  von  Meineke^)  angezweifelt  worden,  der  ihn  durch  Conjectur 
zu  einem  Keer  machen  wollte.  Da  jedoch  die  von  Pollis  gefeierten 
Feste  speciell  altisch  sind,  stützt  der  Papyrus  die  Angabe  bei  Athe- 
naeus;  auch  liefert  die  attische  Prosopographie  2)  eine,  wenn  auch  be- 
schränkte Zahl  attischer  Träger  dieses  Namens :  hinzu  tritt  der  zur 
Zeit  des  schwarzfigurigen  Stiles  lebende  Künstler  Pollis,  den  jüngst 
G.  Robert  der  Vergessenheit  entzogen  hat  ^).  Der  Name  ist  also  in 
Athen  aus  älterer  Zeit  gesichert.  Der  Pollis  unseres  Gedichtes,  der 
in  den  verlorenen  Anfangsversen  genannt  war*),  war,  wie  Z.  6- 
lehrt,  aus  Athen  nach  Ägypten  übergesiedelt,  bewahrte  aber  seinem 
Vaterlande  die  Anhänglichkeit,  indem  er  jährlich  die  heimischen 
Feste  beging,  so  Avie  Themislokles  die  Choen  nach  Magnesia  mit^ 
nahm  •').  Unter  den  attischen  Festen,  die  Kallimachos  ihn  feiern 
läßt,  sind  sofort  kenntlich  Pithoigien  und  Choen,  die  beiden  ersten 
Tage  der  Anthesterien.  Vorn  überschießend  bleibt  rjo'jg.  Der  erste 
Gedanke  ist,  daß  darin  ein  besonderes,  den  folgenden  nebengeord- 
netes Fest  stecke,  von  dem  Genaueres  im  vorhergehenden  verlore- 
nen Verse  gesagt  war.  Daneben  bleibt  denkbar,  daß  rjcog  mit  inver- 
lirtem  ovös  (ähnlich  wie  xai  in  Z.  3)  zu  jic&otyig  gehört.  Bildungen 
wie  nidoiyig  neben  dem  üblichen  jii&oiyia  können  gewiß  substan- 
tivisch gebraucht  sein,  wie  änoixig  neben  aTioixia,  yXavig  neben 
X^aiva,  e?M'i'g  neben  iXaia,  sind  aber,  wie  die  Composita  vom  Bildungs- 
typus y.ovooTQÖ(pog,  von  Haus  aus  eher  Adjektiva.  ijcog  7ii{}oiyic 
wäre  allerdings  schwerlich  der  'Morgen  der  Faßöffnung' :  den  Wein 
wird  man  im  Laufe  des  Abends  geöffnet  haben,  um  sogleich  das 
Festtrinken  anzuschließen.  Vergleicht  man  aber  die  folgenden  Aus- 
drücke levxov  fj/Liag  (Z.  2)  und  cpaog  (Z.  4),  so  wird  deutlich,  da& 
Kallimachos  in  dieser  Partie  Worte  von  ursprünglich  stark  sinnlicher 
Bedeutung  häuft,  ohne  daß  diese  Bedeutung  den  Worten  in  unserem 
Zusammenhang  noch  innewohnt.     Xevxbv  fjfiaQ  brauchen  noch  die 

1)  Bei  Schneider,  Callimachea  fr.  109. 

2)  Job.  Kirchner,  Prosopographia  Attica  11  898tF.  führt  aus  IG  I.  II  2. 
113.  ]]  5  je  einen  Träger  des  Namens  an.  Vom  gleichen  Wortstamn» 
abgeleitet  i.st  /7o;./(W  IG  1  Suppl.  180,  373";  180,37a"  aus  dem  Perser- 
schutt. 

3)  Aich.  Jahrb.  XXX  1915,  241  f. 

4)  Nicht  notwendig  im  Accusativ,  da  i/.drdarsv  eines  persönlichen 
Objekts  nicht  unbedingt  bedarf. 

5)  Possis  bei  Athen.  XII  533 D.E. 


AUS  DEN  AITIA  DES  KALLIMACHOS  151 

Tragiker  in  voller  sinnlicher  Anschaulichkeit,  verbunden  mit  cpdog^ 
jbteya,  und  contrastiren  es  der  Nacht  ^) ;  bei  Kallimachos  ist  es 
nichts  als  'Freudentag',  wie  ^evxi]  fj/itegu  übrigens  noch  lieute  ge- 
braucht wird'''),  (pdog  ^Hqiyöv}]?  ist  bei  Kallimachos  nur  'Tag  der 
Erigone';  gerade  er  verwendet  das  Wort  auch  sonst  in  dieser  ab- 
geblaßten Bedeutung  ^).  Der  Weg  führte  hier  von  der  Urbedeutung 
über  Formeln  wie  h  cpdei  eJvai  oder  tpdog  ßlmEiv  'leben*  ^)  und  eig 
(pdog  iXßeTv  'geboren  werden'.  Entsprechend  dehnt  nun  schon  die 
Uias  rjcog  über  den  ganzen  Tag  aus ;  in  späterer  Poesie  wird  tjcßg  in 
ibrcirten  Ausdrücken  ganz  synonym  mit  yjaega  gebraucht  ^).  So 
würde  neben  q)dog  'Hgiyovijg  auch  tjcog  Tndor/lg  nicht  mehr  als 
'Tag  der  Fafsöffnung'  zu  bedeuten  brauchen").  Entscheidung  könnte 
nur  der  verlorene  Vers  vorher  bringen. 

Auf  die  Pithoigien  folgen  die  Choen,  die  'Ogeoretoi  genannt 
werden  und  ein  Freudentag  für  die  Sklaven ;  über  ihre  Verbindung 
mit  Orestes  und  über  die  Beteiligung  der  Sklaven  an  beiden  Fest- 
tagen ist  das  Material  von  Nilsson'^)  und  A.  Körte  zusammengestellt 
worden.  Die  Anthesterien  treten  damit  dem  Kreise  von  Sklaven- 
festen bei,  an  denen  die  Herren  entweder  mit  den  Sklaven  feierten 
oder  selbst  ihre  Sklaven  bedienten.  Zu  den  Kronien^)  und  den 
thessalischen  Pelorien^),  die  Nilsson  vergleicht,  treten  eine  Reihe  ähn- 
licher Begehungen  in  Kreta  ^*'),  Sparta  ^^),  Arkadien  ^^),  speciell  Phi- 

1)  Aeschyl.  Pers.  300f.  Sophokl.  Aias  708fi:,  ähnlich  auch  Horaz 
Od.  I  3(3,  10  cresxa  ne  careat  puJchra  dies  nuta. 

2)  VVie  mir  C.  Kappus  mitteilt. 

3)  Hymn.  III  182.  VI  ^2  d  8e  ivvm  (päsa  y.Enai  von  Erysichthon,  Dem 
Kallimachos  folgend  nennt  Agathias  (Anth.  Palat.  XI  362)  ffdeo.  ^toloifta, 
was  die  Ärzte  mit  xQiaiiiog  ijuem  bezeichnen. 

4)  Ciosiv  y.al  oQäv  (fäo;  ijE?.ioio  verbindet  8  .'"i40. 

5)  Musaeus  Hero  und  Leand.  HO  y.artjiFv  sig  övoir'Hcog.  Orph.  Argon. 
652  fiecdirj  rjojg. 

6j  Auf  die  Möglichkeit,  so  zu  deuten,  macht  mich  W.  Kranz  auf- 
merksam. 

7)  A.  a.  0.  184  und  Arch.  Jahrb.  XXXI  1916,  830,  2. 

8)  Athen.  XIV  Ö39  B  u.  ö. 

9)  Baten  von  Sinope  bei  Athen.  XIV  639  E  =  FHG  IV  349. 

10)  Karystios    h    laiootxoTg    vnoiivr}^iaotv  Athen.  XIV  639  B  =  FHG 
IV  358. 

11)  Anläßlich  der  Hyakinthien  Polykrates  ir  xoig  Aaacony.oTg  Athen. 
IV  139D  — F  =  FHG  IV  480. 

12)  Theopomp  iv  rf]  exit]  y.al  Tsoaaoayootfj  lojr  ^H/.t7i:T(Hä>v  Athen.  IV 
149D  =  FHG  I  319. 


152  I,  MALTEN 

galeia  ^),  Troizen  ^) ;    auch    für   Babylon    wird   der  Brauch   des   uq- 
yeodai  rohg  deoTzorag  vjcd  rcov  oixeTÖJV  berichtet  ^). 

Den  Anthesterien  reiht  Kalh'machos  die  ijTereiog  ayiorvg  der 
Erigone  an.  Das  Substantivum  ist  neu,  die  Bildung  aber  hat  ge- 
rade bei  Kallimachos  reichliche  Parallelen,  zum  wesentlichen  Teil 
Neubildungen  des  Dichters  selbst:  ye?Moivg  (Hymn.  IV  324).  öi(x>- 
viTvg  (III  194),  jxaoxvg  und  a.h]Tvg  (fr.  277),  äojiaoxvg  (fr.  427), 
nXayy,Tvg  (Pap.  Rylands  13,  12),  äcpQaoxvg  (fr.  anon.  9),  uyvvg 
(fr.  anon.  79).  Begangen  wird  das  Erigonefest,  die  Aiora,  zur  Ent- 
sühnung der  attischen  Frauen,  unter  denen  nach  der  Selbsterhän- 
gung  der  Erigone  eine  Selbstmordepidemie  ausgebrochen  war; 
flarum  nennt  Kallimachos  die  Erigone  'Arßtoiv  otxxioi)],  die  olxrog 
liringende  (wie  schon  X  76)*).  Den  Charakter  des  Aiorafestes  hat 
Nilsson  ausführlich  behandelt;  seine  Zeit  bleibt  auch  jetzt  im  un- 
gewissen. So  weit  wird  man  sich  von  Kallimachos  leiten  lassen 
ilUrfen,  daß  das  Fest  den  Choen  zeitlich  naheliegt,  nicht  um  ein 
Iialbes  Jahr  von  ihnen  getrennt  ist.  Darauf  führen  auch  die  inner- 
lichen Zusammenhänge,  die  Nilsson  in  dem  gemeinsamen  Orestes- 
aition  und  auch  wohl  dem  gemeinsamen  Brauche  des  Askoliasmos 
aufgedeckt  hat.  Sein  Schluß  aber,  Anthesterien  und  Aiora  seien 
die  städtische  und  ländliche  Form  eines  und  desselben  Festes,  bleibt 
liypothetisch ;  Pollis  würde  sie  dann  kaum  beide  gefeiert  haben; 
durch  den  Papyrus  nicht  neu  gestützt  wird  auch  die  von  Hauser  ^) 
aufgestellte,  von  A.  Körte  acceptirte,  von  Nilsson  abgelehnte  An- 
nahme, daß  die  Aiora  eine  feierliche  Begebenheit  am  Choentage 
selber  seien.  Die  verbindende  Partikel,  etwa  de,  die  Körte  zwischen 
Erwähnung  von  Choen  und  Aiora  vermißt,  liegt  meines  Erachtens 
in  yMi  hinreichend  vor;  Körtes.  Interpretation,  die  im  Papyrus 
für  die  Aiorafeier  im  Hause  des  Pollis  v.  18  und  19  vorausgesetzte 
Situation  entspreche  der  Sklavenfeier  an  den  Choen,  und  dem  darauf 
gebauten  Schlüsse  auf  die  Identität  von  Choen  und  Aiora  muß  ich 
unten  (S.  164)  entgegentreten,^    ,   ,  , 

1)  Hamiodios  von  Lepreai  iv  tw  ^soi  t&v  xarä  ^lyäleiar  routficor 
Athen.  IV  1 48  P- 1496  =  FHG  IV  411. 

2)  Karystios  a.  a.  0.  Athen.  XIV  639C. 

3)  Ktesias  iv  ösviego}  neQoty.wv  und  Berossos  iv  noo'jTO)  Baßilcovia- 
y.my .  (Athen.  X  l  V  639 C  =  FHG :  11  498).  -  r 

4^  Anders  Apollon.  Argon.  II  783  oiy.xioxoi^  ileyoiai. 
5)  Häuser  bei  Furtwüngler-Reichhold,  Giiech.  Vasenmal.  zu  Taf.  125 
S,  29.  Körte  a.  a.  0.  S.  578.  Nils.sou  a.  a.  0.  S.  195. 


AUS  DEN  AITIA  DES  KALLIMACHOS  158 

Der  Gastfreund  des  Pollis,  der  Kaufherr,  den  Gescbtifle  nacli 
Ägypten  geführt^),  stammt  von  Ikos,  einer  der  magnesischen 
Inseln.  Die  kleine,  unbedeutende  Insel ,  deren  Name  in  unserer 
Überlieferung  öfters  durch  den  Namen  des  gröfiercn  Kos  verdrängt 
worden  ist,  ist  recht  eigentlich  entdeckt  durch  U.  v.  Wilamowitz  ^), 
dem  auch  die  Lesung  des  Wortes  in  unserem  Papyrus  Z.  8  und  24 
und  damit  das  Verständnis  des  ganzen  Zusammenhanges  verdankt 
wird ;  Hunt  hatte  Iiuog  entziifert.  Kallimachos  gebraucht  den 
Namen  mit  langem  Iota,  Antipatros  von  Sidon  Anth.  Palat.  VII  2,  10 
(xEV&ei  xal  Ohtdog  yajiierrjv  fj  ßgayvßcoXoq  "Ixog)  mit  kurzem; 
daraus  folgt,  dafs  man  schon  in  alexandrinischer  Zeit  sich  über 
Quantität  und  Bedeutung  des  Namens  unschlüssig  war;  nicht  zu 
verwundern,  da  der  Name  der  Insel  wie  der  des  benachbarten  Pe- 
parethos  in  karische  Zeit  zurückreichen  wird  3). 

„Mit  ihm  hatte  ich  ein  gemeinsames  Polster,  nicht  auf  An- 
ordnung (des  Wirtes),  sondern  wahr  ist  der  Spruch  bei  Homer, 
daß  immer  die  Gottheit  gleich  zu  gleich  gesellt.  Haßte  doch  auch 
er,  nach  Thrakerart  ohne  Absetzen  gierig  den  Wein  zu  trinken,  und 
hatte  seine  Freude  am  kleinen  Becher.  Dem  sagte  ich,  als  der 
Becher  zum  drittenmal  umging,  wie  ich  seinen  Namen  und  seine 
Herkunft  erfahren  ..." 

Die  Verse  11—14  stellen  ein  textkritisches  Problem  von  nicht 
geringem  Interesse  für  die  Geschichte  des  Kallimachosfextes.  Unser 
Papyrus  liefert  v.  11  f.  in  folgender  Fassung:  xal  ydg  6  ßQr]ixii]i> 
fiEv  ajiEorvy E  '/^avdov  af^ivoTLv  oivojiot ei v  usw.  Citirt  werden 
in  sonstiger  Literatur: 

1)  V.  11-14  (bis  To  TQiTov)  von  Athen.  XI  477  C  (s.  ob.  S.  149f.) 
=  Schneid,  fr.  109  mit  den  beiden  Lesungen  äjii^raro  und  Qodqo^ 

JlOTEir. 

2)  v.  11  —  12  von  Athen.  X  442F  anläßlich  der  Sitte  des  thra- 
^iischen  d/uvorl  mveiv  mit  dn^ozvyE  und  oivotzoteiv. 

3)  Noch  unerkannt  eine  Umschreibung  der  Verse  bei  Athen. 
XI  781 D  (III  p.  17  K.j,  wo  es  nach  einem  Gitat  des  Bathykles- 
bechers,    den  Kallimachos,  wie  wir  jetzt  wissen,   in  seinen  lamben 


i)  itisßß^.wxcög  auch  Hekale  fr.  137  Kapp. 

2)  In  d.  Z.  XLIV  1909  S.  474f. 

3)  So   auch  Fick,  Vorgriech.  Ortsnara.  67    und   Fredrich,   IG  XII  8 
S.  166. 


154  I-  MALTEN 

behandelte^),  lieifst:  elevOeQiov  de,  <pt]oi,  y.al  efAju€?.cög  iv  olr(i/ 
öidyeiv,  ur)  y.co&wvi'QöfXfvov  jui]de  0Qqxico  vouco  ajuvoTiv  oivOt 
TToreiv,  d?.ka.  tco  Tiojuan  (puQjiiaxov  vyeiag  iyniQvdvai  jov 
loyov.  „Poeine  rerha  siihctse  jrnlat  WUanioivifz",  halte  Kaihcl 
in  seiner  Ausgabe  notiit. 

4)  Macrob.  Saturn.  V  21,  12    mit  ävi'jvaro   und   QoiQonoxEiv. 

Ledigh'ch  Schreibfehler  bei  Athen.  1)  ist  änrjvaTo,  schon  von 
Kaibel  nach  Macrobius  in  «j-?y»'«TO  geändert.  Es  bleibt  eine  Doppel- 
überlieferung: auf  der  einen  Seite  der  Papyrus  und  Athen.  2)  mit 
dneoxvys  und  olvonoreir,  wozu  Athen,  o)  init  oIvotioteIv  sich 
.stellt,  auf  der  anderen  Seite  Athen.  1)  und  Macrobius  mit  ujirjvaxo 
und  QwqotioteJv.  Die  Entscheidung  ist  mit  Sicherheil  zu  fällen: 
äntoTvye  ist  das  stärkere,  hier  noch  besonders  empfohlen  durch 
den  Gegensatz  zu  ijdero,  dazu  ein  echt  Kallimacheischer  Ausdruck: 
Hymn.  IV  223  cW.ai  /nh'  TiUGal  juiv  äneoxvyov  ovo'  tdey^ovxo^ 
Hekale  fr.  103  Kapp  eojxIqiov  cpiXtovoiv,  äxa.Q  oxvyeovoiv  eqjov. 
Ebenso  verdient  oIvotioxuv  den  Vorzug;  Kallimachos  wählt  das 
Wort  wegen  des  beistehenden  Adverbs  yavdov  „gierig  Wein  trin- 
ken". Darnach  hat  der  Papyrus  und  Athen.  2)  in  beiden  Fällen 
das  Richtige  bewahrt.  Wertvoller  als  die  Einzelerkenntnis  ist  eine 
principielle  Folgerung.  Es  kann  kein  Zweifel  sein,  dafa  Kallimachos 
selbst  seine  Werke  edirl  hat;  und  trotzdem  linden  sich  schon  im 
zweiten  ^)'  nachchristlichen  Jahrhundert  parallele  Textfassungen,  die 
nicht  aufeinander  zurückzuführen  sind.  Alhenaios,  der  beide  Fas- 
sungen hat,  hat  sie  verschiedenen  Quellen  entnommen;  Macrobius 
wird  nach  Wissowas^)  Nachweisen  nicht  aus  Alhenaios  direkt  ge- 
schöpft haben,  sondern  eher  aus  einer  der  beiden  Überlieferungs- 
quellen,  auf  die  auch  Alhenaios  zurückgeht,  etwa  so,  wie  Weli- 
mann*)  das  Verhältnis  auch  zwischen  Alhenaios  und  Aelian  fest- 
gestellt hat.  Damit  rückt  die  gemeinsame  Quelle  vor  die  Zeit  beider 
Autoren  zurück  und  etwa  in  dieselbe  Zeit,  der  im  ersten  Jahr- 
hundert auch  der  Papyrus  mit  seiner  abweichenden  Überlieferung 
angehört.     Also    drei  Jahrhunderte   nach    dem   Dichter   und   ersten 

1)  Oxyib.  Pap  VII  1011  v.  IQ-^tf. 

2i  Für  die  Zeitansetzung  des  Athenaio.s  auf  das  Ende  des  S.Jahr- 
hunderts hat  Dittenberger.  Apophoreton,  überr.  von  der  Graeca  Halens 
1903,  14.  26  wohl  das  Entscheidende  beigebr.icht. 

3)  Götting.  Nachr.  1913,  331. 

4j  D.  Z.  XXVI  1801  S.  491.  503. 


AUS  DEN  AlTIA  DKS  KAl.LIMACHOS  155 

Editor  ein  Schwanken  des  Textes,  das  wieder  eindringlich  davor 
warnen  kann,  aus  der  EinlieitHchkeit  einer  Texlüberheferung  auf 
ihre  Festigkeit  zurückzuscliHeßen. 

Der  Dichter  hat  mit  dem  Kaufherrn  aus  Ikos  eine  gemeinsame 
xXtotr],  hier  nalürhch  nicht  Zelt,  sondern  Speisesopha,  ein  Gebrauch 
des  Wortes,  für  den  Pindar  Pyth.  IV  133  das  erste  Beis|)iel  bietet. 
Die  beiden  nehmen  dort  Platz,  ovtt  tnixd^.  Das  Wort  citiren  Etym, 
Magn.  s.  V.  und  Helladius  ^)  aus  Kallimachos  und  Arat  und  erläutern 
es  xm  emrayjua  xal  xeIevoiv.  Für  Arat  v.  380  paßt  die  Deu- 
tung nicht,  um  so  besser  für  unsere  Kallimachosstelle.  Gewöhnlich 
wies  beim  Symposion  der  Wirt  die  Plätze  an,  so  Agathon  im  Pla- 
tonischen Symposion  p.  175  A.  Da  dies  öfters  eine  Bevorzugung 
der  Vornehmeren  und  Reicheren  zur  Folge  hatte,  machte  sich  die 
Forderung  gellend,  man  solle  den  Gast  selbst  seinen  Platz  wählen 
lassen,  wo  er  wolle;  xaraxeio&co  öjiov  äv  rv^^f]  exaorog  fordert 
Lukian  im  Kronosoion  c.  17  p.  399  und  ähnlich  Plutarch  in  den 
Tischgesprächen  12  p.  616  A:  rovg  «5'  Im  ravra  xalovfiEvov^ 
eixfj  xal  cbg  hvie  xaraxXivavxag  ')(^0Qrut,eiv ;  so  geschieht  es  in 
der  Tat  bei  Athenaios  II  47  E  fiexä  ravra  dvaardvreg  xarexXiv- 
■dij/uev  (bg  exaorog,  i'i&eXe,  ob  7i€Qi/ueivavreg  övojuaxX/jroQa  tov 
x&v  deijivcov  ra^iag^ov.  Hier  bei  Kallimachos  weist  der  Gastgeber 
den  beiden  die  Plätze  nicht  an,  auch  kennen  sie  einander  nicht 
von  früher  (Z.  14);  ein  Gott  führt  sie  zusammen,  eine  gewisse 
Sympathie  und  ein  Gefühl,  daß  sie  sich  etwas  zu  sagen  haben. 
Der  aJvog  'Ofit]QiH6g  stammt  aus  q  218,  wo  der  Ziegenhirt  dem 
Odysseus  und  Eumaios  höhnisch  zuruft  cog  aiel  röv  ofioiov  äyet 
■&eög  tg  röv  öjuotov.  Das  Wort  hat  gefallen ;  Piaton  verwendet 
es  öfters,  im  Gorgias  510  B  cöoTzeg  oi  TiaXaioi  m  xal  oo(fo} 
Xeyovoiv,  6  ojiwiog  reo  öjnoiqj,  im  Sympos.  195  B  o  yaQ  Tra- 
Xaiog  Xöyog  ev  e'xsi,  cbg  ojuoiov  ö/uoico  del  TieXd^ei,  im  Lysis 
214  A  mit  wörtlichem  Citat,  ebenso  Aristoteles  in  der  Rhetorik  I 
p.  1371*»  16,  sowie  mit  wörtlichem  Citat  in  der  Eudem.  Ethik  Vll 
p.  1235*  7,    Cicero    im    Cato    maior    §  7.      Auch    die    Atomisten^) 

1)  In  der  Chrestomathie  bei  Photius  Bibl.  p.  032»  36  Eekker 
(=  Schneider  fr.  327). 

2)  Leukipp  za  of^tota  apo?  lä  ö/Liota  (Diels,  Vorsokr.^  TI  1  S.  1  Z.  17), 
ebenso  L'emokrit  (II  1  S.  34  Z.  84),  ofioiov  vn6  rov  öfioiov  xiveTo^ai  (ß.  22, 
38);  TÖ  ofioiov  TU)  ofioiq)  qpvaet  ovyysvi?  läßt  Plato  (Protag.  377  C)  den 
Hippias  sagen.     Mehr  bei  Kranz  im  Index  der  Vorsokr.  s.  v.  ofioiog. 


156  L-  MALTEN 

spielen  gern  mit  diesem  Worte.  Von  Interesse  ist  eine  Variante 
im  Texte.  In  der  Odyssee  haben  PXD  bei  Ludwich,  GPXD  bei 
Munro  ig  xbv  öfioiov,  die  übrigen  Handschriften  und  mit  ihnen 
die  neueren  Ausgaben  mg  röv  ö/.ioiov.  Letztere  Lesart  hat  Rid- 
geway  ^)  zu  behaupten  gesucht  mit  der  unmögUchen  Erklärung,  die 
beiden  cbg  ständen  parallel  'tvhere  God  ever  brings  like,  there  he 
hrings  like".  In  Wahrheit  liegt  die  Sache  so,  daß  der  speciell 
attische  Gebrauch  des  präpositionalen  d>g  und  die  attischen  Texte 
des  Plato  und  Aristoteles  sich  stützen,  so  daß  die  Handschriften - 
klasse  der  Odyssee,  die  eg  bietet,  zusammen  mit  dem  Kallimachos- 
papyrus  für  das  Epos  das  Echte  bewahrt  haben-). 

Der  Gott  hat  die  beiden  recht  geführt,  denn  (Z.  11),  als  das 
Gelage  begonnen,  stellt  sich  zunächst  heraus,  daß  sie  beide  den 
Thrakercomment ,  aus  großen  Humpen  ohne  Absetzen  und  Aufr 
atmen  zu  trinken,  verabscheuen.  Als  thrakisch  finden  wir  die  Sitte 
des  äjuvoTi  (oder  äjivevorl)  mveiv  öfters  belegt:  dem  Thraker 
Rhesos  wirft  Hektor  sie  vor  (Rhes.  v.  419.  438),  Horaz  (Od.  I 
36,  14)  bildet  Threicia  vincat  amystide;  die  Grammatikerüber- 
lieferung bei  Pollux  VI  25  bestätigt.  Substanlivirt  heißt  dann  der 
Comment  selbst  äfj.vorig^)',  so  schon  bei  Anakreon  64  cpeg'  tjfuv 
xf2eß't]v,  ÖTccog  afivoxvv  jT.Qo:i:ko  oder  bei  Kratinos  fr.  291  äXX' 
ovv  '&ecp  aneioavT  äjuvonv  dei  jiieXv;  in  diese  Reihe  gehört 
auch  Epicharms  Wort  (34)  äjuvoziv  ojoneQ  xvXixa  mvei  rov 
ßi'ov  'er  schlürft  das  Leben  in  einem  Zuge,  wie  er  einen  Becher 
in  einem  Zuge  leert^*).  Daneben  nun  steht  eine  Grammatiker- 
Iradilion,  vertreten  durch  Photius,  Suidas,  Etym.  Magn.  s.  v.  äjiwotl 
hielr,  Pollux  VI  97,  Schol.  Aristoph.  Acharn.  1229,  Schol.  Rhes. 
419,  Athen.  XI  783  D.  E,  mit  der  Behauptung,  äuvorig  habe  auch 
eine  Becherart  bezeichnet.  Einen  bestimmten  Beleg  bringt  nur 
das  Rhesosscholion  aus  einer  anonymen  Auge  (FTG  ^  p.  437), 
aber  ersichtlich  mit  falscher  Interpretation:  ovv  reo  ßa&eiag  xat 
Tivy.rag    elxovoi    Tag    ajuvoridag ;    wo    wir    das    Verbum    E'kxeiv 

1)  Jomn.  of  Philol.  XVII  1888  S.  113. 

2)  Bekker,  Hom.  Blätter  I  191,  13  'tws  für  .-roög  bei  Pei^onen,  ge- 
wöhnlich im  Attischen,  ist,  außer  dieser  Stelle,  tmerhört  im  Homer* 
Also  wird,  trotz  Apollonius  dem  Sophisten  p.  170,  15,  ig  zu  lesen  sein 
asw.'  Nachfolge  scheint  Bekker  nicht  gefunden  zu  haben.  _,;,^ 
i:        3)  Timarchos  bei  Hesjcli  s.  v.  äfivoug.                       .    fOtcMfi»  öi   ;  8;. 

4)  Vgl-,  auch  Aristoph.  Acharn.  1228,  Euripides  Kykk"4KRK  ;:i?Jcjq;iJ 


AUS  DEN  AITIA  DES  KALLl MACHOS  157 

fiiulen,  ist  immer  der  Tiiiikcommenl  j^eineint  (Eurip.  Kykl.  417'. 
Antiphanes  bei  x\theii.  X  459  U.  Anacrconlea  9,  2.  Clemens  Alex'-. 
Paed.  II  p.  175  St.).  Es  bleibt  nur  ein  Fragment  des  Ameipsias^), 
das  für  diese  Grammatikerangaben  zu  zeugen  scheint,  xal  {ov) 
Ttjy  äjuvonv  Xd/jßave.  Uns  Avird  dies  nicht  genügen,  bei  Kalli- 
machos  die  Bedeutung  „Becher"  einzusetzen,  trotzdem  das  folgende 
xtoGvßiov  dazu  verleiten  könnte,  zumal  auch  die  Construclion  um 
vieles  flüssiger  wird,  wenn  '^ar(>dv  olvojiorsTv  als  Inhaltsangabe 
explicativ  zu  uj^ivaiiv  im  Sinn  von  'Thrakercomment'  tritt.  So 
hat  auch  der  Paraphrast  bei  Athen.  3)  oben  S.  153  f.  verstanden, 
wenn  er  die  Umschreibung  gibt:  fi}]öl-  ßgayuro  vojiup  ajiivGTir 
olvojrornr. 

Der  Ikier  wie  auch  der  Dichter  haben  ihre  Freude  am  kleinen 
Becher.  So  war  es  alte  hellenische  Sitte:  xovt'  mß\  ögag,  'Ek- 
h']riy.b';  jr/nog,  f(f.rQioiai  /jjo/uvovg  :roTr]Qioig  XuXdv  xi  xat 
h^QHv  irgog  avxovg  yöecog  (Alexis  bei  Athen.  X  431  E),  ebenso  be- 
richtet für  die  Zeit  des  Alkaios  Dikaiarch  (bei  Athen.  XI  461 A)  das 
•/Qiiodai  liixQoTg  ey.Trwjnaoi.  Man  glaubte  zu  beobachten,  daß  bei 
einzelnen  Stämmen,  wie  den  Attikern'^),  die  alte  Sitte  geblieben  sei, 
während  man  z.  B.  in  Thessalien ,  Chios  und  Thasos  aus  großen 
Bechern  zechte  (Krilias  bei  Athen.  XI  463  E).  Das  Abgehen  von 
dem  alten  Brauch  schreibt  Ghamaeleon  in  jieoi  iie&tjg  (bei  Athen. 
XI  461  B)  dem  Eindringen  barbarischer  Einflüsse  zu:  ov  /a^  7ia- 
laiov  ovds  xovxo  ye  eoxt  Txaoo-  xoTg  "EXXrjoiv,  aX)A  vecoaxl  evQS'&r} 
jteiKp'ßev  ix  Twv  ßnoßdocov;  dabei  werden  w'iv  in  erster  Linie  an 
die  Thraker  denken.  Dann  war  es  beim  Symposion  Brauch  ge- 
worden, von  kleineren  Bechern  zu  größeren  überzugehen-'').  Zur 
Auswahl  für  die  Gäste  standen  xvXixeg  Jiavrotai  bereit  *) ;  da 
mochte  jeder  wählen.  So  zechen  am  Schluß  des  platonischen 
Symposions  Sokrates,  Agathon  und  Aristophanes  ix  (pidXt]g  fzsyd- 
Itjg  (223  G),  in  Xenophons  Gastmahl  fordert  Philippos  einen  größe- 
ren Becher  (II  23),  auf  der  luxuriösen  Hochzeit  des  Karanos  wirrt 
y^Qvcddoiv    Jidvv    iieydXcoi'    getrunken    (Ath.  IV  129  D),    bei    Horaz 


1)  Bei  Athen.  XI  783  D.  E,  bei  Crönert  unter  äfivoiis  nachzutragen. 

2)  So  fordert  Sokrates  in  Xenophons  Symposion  (!I  26)  zu  trinken 
/ity.oaTg  y.vh^i. 

3)  Diog.  Laert.  I  104.   Cicero  in  Verr.  II  1,  66  nennt  das  mos  Graecus. 

4)  Lukian  Kronosoion  c.  18  p.  400.    Philo   de  vita  contemplat.  ed. 
Cohn-Reiter  VI  p.  59  c.  G.  ) 


158  L.  MALTEN 

(Satir.  II  8,35),  Petron  (c.  65  p.  44  BücL.*),  Lukian^),  Athenaios 
(XI  501^  B)  werden  iiei^ova  JioTtjoia  gefordert,  zuweilen  kommt  es 
gar  zum  Streit,  wer  den  gröfsten  Becher  erhält-). 

Stand  es  so  in  jedes  Gastes  Belieben,  den  Becher  zu  bestim- 
men, den  er  vor  sich  stehen  haben  wollte,  so  war  jeder  gebunden, 
wenn  der  Trunk  zum  Zutrinken  circulirte;  den  galt  es  zu  leeren; 
dann  ward  er  vom  nai^  neu  gefüllt  und  emde^ia  dem  Nachbar 
gereicht.  So  geht  bei  Kallimachos  das  äkeioov  um,  das  zwei- 
henkelige  Trinkgefäß.  Das  Weitergeben  und  Kreisen  des  Bechers 
wird  sonst  durch  Tiegiayeiv  ^),  TiEQiEXavvEiv  jrjv  y.vXixa  *),  Jiegioo- 
ßsTv^)  ausgedrückt;  dem  Kallimacheischen  Tiegioxely^eiv  besonders 
nahe  kommt  das  Euripideische  y.v?uy.og  eojiovotjg  y.vxXq)  ^).  Beim 
Weitergeben  an  den  Nachbar  trank  man  ihm  zu,  die  jigoTiooig 
oder  (pdoii]Oia;  dabei  nannte  man  zum  Gruß  den  Namen  des  Ge- 
ehrten. Ausdrücklich  bezeugt  das  Kritias  (bei  Athen.  X  432  D.  E), 
in  Sparta  sei  es  nicht  Sitte  ujiodiooeiodai  TiQonooeig  övojuaoTi 
Xeyovxa,  nicht  ngonooeig  ögeyeiv  Inide^ia  xai  jiQoy.aXeTo'ßai  i^o- 
vojuaxlijöijv,  (o  TTooTTidv  idehi  .  .  Auch  Athenaios  in  seinem 
Symposion  (XI  498  D)  sagt  von  den  Zechgenossen  nh^QOvvxeg  yaQ 
jTQoemvov  üLX)J]Xoig  iterä  TrgooayoQevoecog,  und  Lukian  (de  merced. 
conduct.  16  p.  672)  läßt  den  reichen  Gastgeber  dem  armen  Ge- 
lehrten zutrinken ,  indem  er  ihn  dabei  mit  seinem  Titel  anredet 
{tiqovjiie  ooi  TM  diöaoy.dXq)  fj  öxidrjnore  txqooeijKOv).  So  begreift 
es  sich,  daß  Kallimachos  bei  dieser  Scene  der  (pdoTi]oia  die  Worte 
setzt  evx'  iödrjv  ovvojua  xal  yEvhp:  vorher,  beim  ersten  Trinken 
und  Plaudern,  hatten  die  beiden  Namen  und  Stand  noch  nicht  ge- 
kannt, wie  das  bei  uns  ja  auch  oft  genug  der  Fall  ist.  Das  Um- 
trinken  geschieht  öfters:  bei  Menander  ex  0EO(poQovju€vt]g  (Athen. 
XI  504  A  —  fr.  224)  tö  jioöjxoi'  JiEgiEooßEi  noxrjQiov  avrdig 
dKodxou:  bei  dieser  ersten  Gelegenheit  werden  der  Dichter  und  der 
Kaufherr  sich  bekannt  gemacht  haben.  Beim  dritten  Male  —  xö 
xQixov  fjvi/i  EjTivE  seufzt  auch  der  ^Evog  im  Epigr.  43,  8  —  sagt 
der  Dichter  zu  dem  neuen  Freunde  folgende  Worte: 


1)  de  merced.  conduct.  16  p.  672. 

2)  Galen.  i>sQaji.  ns^od.  I  Vol.  X  p.  3K. 

3)  Diog.  Laert.  II  139. 

4)  Xenopli.  Sympos.  II  27.    Pollux  VI  30. 

5)  Lukian  Sympos.  15  p.428.  Athen.  XI  504  A.  Alkiphr.  Epist.  III  5.\6. 

6)  er  KQfjooaig  fr.  468  N.^ 


AUS  DEN  AITIA  DKS  KALLl MACHOS  159 

„Fürwahr,  zutreffend  ist  das  Wort,  dafs  der  Wein  nicht  nur 
sein  Quantum  an  Wasser,  sondern  auch  an  Gonversation  benötigt. 
Die  laf?  uns  selber  als  Linderungsmittel  in  den  (uns)  lästigen 
Trank    tun   —  denn    nicht   wird    sie    in    Schöpflöffeln   servirt   und 

nicht   wirst    du    sie   fordern  wollen,    wenn    du   auf  die    äx 

ocpQvag  der  Weinjungen  blickst,  jetzt,  wo  der  Freie  den  Sklaven 
anschmeichelt  — ,  was  aber,  Theugenes,  mein  Sinn  von  dir  zu  er- 
fahren begehrt,  die  Frage  beantworte  mir." 

V.  15  und  16  werden  bei  Athen.  I  32  B  anonym  cilirt  mit  an- 
schließendem Simonidescitat,  das  schon  Schweighäuser,  ohne  Bergk 
zu  überzeugen,  von  dem  jetzt  als  Kallimacheisch  erkannten  Gut  ab- 
sonderte. Die  Textschwankungen  sind  hier  nur  Schreibvarianten: 
fj  yäg  ....  oxi  ov  ....  äXXa  ri  ....  y.al  kevyrjg.  Zu  Xev^^ijg 
citirt  Kaibel  keine  Variante,  Bergk  Simon,  fr.  88  aus  L  /.eox'i]g, 
was  seiner  Conjectur  -^ksut]?  gegenüber  das  Richtige  wäre;  der 
Kallimachosparaphrast  bei  Athenaios  (oben  S.  153  f)  umschreibt  XEoyi} 
mit  Xoyog.  Kallimachos  selbst  braucht  Xeoyj]  im  Sinne  von  Plau- 
derei auch  Epigr.  2  oooaxig  äjuxporegoi  yjXiov  iv  Xeo^tj  xaredvoa- 
jjFv  ^),    Phalaikos  (A.  P.  XIII  6)  verbindet   ev   je  Xioxf]  ev  t'  oTvrp. 

Daß  Gonversation  die  Würze  des  Mahles  sei,  ist  ein  aller 
Topos  ^),  seit  Xenophanes^)  her,  bei  dem  der  xgaxrjQ  jusoxög 
evrpQoovvf^g  von  den  Zechenden  gepriesen  wird.  Theognis  563  ff. 
wünscht 

y.exXrjo&ai  d'  lg  öatxa,  naQE^EO&ai  ök  naq'  loßXöv 
ävöqa  ^qecov,  oocphp>  Jiäoav  ETrioxujuevov ' 


1)  Anders  fr  98^  keoxaivEiv. 

2)  Für  die  Symposienliteratur  sind  neben  den  Handbüchern  von 
I.Müller,  Gi-iech.  Privataltert.  S.  264  ff.  Hermanu-Blümner,  Privataltert.* 
1382,  247  f.  Marquardt,  Privatleben  der  Kömer  I^  147.  313.  c5o2  zu  ver- 
gleichen: Müller,  Die  griechischen  Symposien,  Zerbst  l8ö8.  Maltos,  tisqI 
z(ov  avfiJTooiwv  xwv  nalaiMv  'E).h)v(or.  Hirzel,  Der  Dialog  I  31.  155.  .'559  ff. 
Mau.  P.-W.  IV  GlOff.  1205,  vor  allem  Ullrich,  Entstehung  und  Ent- 
wicklung der  Litteraturgattung  des  Symposion;  zwei  Programme  des 
Gymnasiums  zu  Würzburg  19U8.  1909.  Für  die  bildlichen  Darstellungen: 
Daremberg-Saglio,  Diction.  I  2,  1269  ff.  IV  3,  1579.  Jacubsthal,  Abhandl. 
Götting.  Ges.  der  Wiss.  1912,  Anhang  über  Sv^uioaiaHÖ..  Studniczka,  Das 
Gastmahl  Ptolemaios'  IL,  Abhandl.  der  säuhs.  Ges.  der  Wiss.  XXX  2,  1914. 
F.  Caspari,  Das  Nilschiff  Ptolemaios'  IV  ,  Arch.  Jalirb.  XXXI  1916,  Iff. 
A.Frickenhaus,  Griechische  Bauketthäuser,  Arch.  Jahrb. XXXII 1917, 114ff. 

3)  Diels,  Vorsokr.3 1  55,  2. 


160  L-  MALTEN 

zov  avvieiv,  onözav  tl  Myt]  ooq)6v^  öcpga  ötday^&fjg 
y.al  rovT  sig  olxov  y.eodog  e'ycov  änii^g^). 
So  wünscht  es  sich  Kallimachos  auch.  Bei  Piaton  im  Symposion 
tritt  das  eigenthche  Gelage  den  Gesprächen  gegenüber  auf  lange 
Strecken  ganz  zurück;  im  Protag.  34 7 C ff.  formulirt  er  den  Wert 
des  Symposions  dahin,  daß  es  der  Sinnenreize  nicht  bedürfe,  durch 
Heden  und  Hören  würden  die  Gvi^imnai  avrol  avroTg  Ixavoi;  ähn- 
lich Xenophon  in  seinem  Symposion  2).  Von  Interesse,  da  kurz 
vor  der  alexandrinischen  Zeit  liegend,  ist  die  Elegie  des  Berliner 
Papyrus  3);  wie  schal  und  platt  mit  ihren  moralisirenden  Empfeh- 
lungen gegenüber  dem  neuen  Kallimachos !  Sehr  häufig  begegnen 
die  alten  Gedanken  vom  Werte  der  Itoyj]  noch  einmal  bei  Plu- 
tarch'*),  vor  allem  in  den  Tischgesprächen,  wo  für  die  Mehr- 
zahl der  Prooemia  der  einzelnen  Bücher^)  dieser  jönog  den  Stoff 
abgibt.  Hübsch  ist  die  Wendung  im  Gastmahl  der  sieben  Weisen 
(p.  156 D),  es  hätten  die  Musen  den  löyog  y.rx^amQ  xQazPJQa  vrj- 
fpdXiov  in  die  Mitte  der  Trinkenden  gesetzt,  in  dem  Vergnügen, 
Ernst  und  Scherz  sich  befänden ;  an  anderer  Stelle  ®)  werden  die 
koyoi  enieixeig  y.ai  TToeTtovreg,  der  KÖyog  y.aioöv  eyrnv  gepriesen. 
Mit  Berufung  auf  die  alte  gute  Zeit  beklagt  Galen'')  das  Schwinden 
der  reizvollen  Gespräche  bei  Tisch,  an  Stelle  deren  Völlerei  und 
Händelsucht  getreten  seien. 

Speciell  der  Wert  einer  gelehrten  Unterhaltung^),  wie  sie  Kal- 
limachos mit  Theugenes  zu  führen  wünscht,  wird  öfters,  zumal  von 
Plutarch,  betont:  raXg  d' ■  ioroQixaig  y.al  Tiotrjny.aTg  ^t^rrjoeat  dia- 
Toißäg  ovx  d);^ä;g  eviot  öevregag  rgane^ag  dvögaot  (piXoXöyoig 
y.al  (f'dojiiovooig  ttoooeXttov   (de  tuend,  san.  praec.  133  E),    andern- 


1)  Vgl.  493  ft:  1047. 

2)  c.  3,  2;  vgl.  auch  Cicero  Cat.  ruai.  45 f. 

8)  Berlin.  Klassikertexte  V  2,  1907,  56.  62  f. 

4)  Conviv.  sept.  sapient.  p.  147  F. 

5)  Quaest.  conviv.  I  p.  614  B.  C.  III  p.  645  C.  IV  p.  660  C.  V  p.  673  A. 
VI  p.  686  C.  VII  p.  697  D.  VIII  p.  716  D.  E. 

6)  Quaest.  conviv.  I  p.  614  B. 

7)  esoarTEVx.  ,uedo8.  I  ed.  Kühn  X  p.  3  ...  df./.'  oids  /.öywv  iivwv  ava- 
xoivovuh'ojy,  ol'ovg  iv  toi;  avuaooioig  avveyQaiiiay  ^,uTv  oi  :jaXatol  yivofxi- 
rovg  . . .  d?J.a  TtooTrivorziov  fisv  dU^^.oig,  dful?M^€vo}v  ds  :t€oI  i^eye&ovs  ix- 
ao)fiäro)v  ... 

8)  Unberücksichtigt  dürfen  hier  bleiben  Fachgespräche,  etymolo- 
gische Spiele,  Rätsel  u.  ä. 


AUS  DEN  AlTIA  DES  KALLIMACHOS  161 

orts  nennt  er  solche  Erörterungen  (pdöXoya  ^rjxiq fjLaxa  (Quaest. 
conv.  737  D);  auch  Horaz'  quantum  distct  ah  Inaclio  (Od.  III  19) 
setzt  solche  gelehrten  Tischgespräche  voraus,  die  zumal  in  alexan- 
drinischer  Zeit  an  der  Mode  waren  ^) ;  an  Fiktionen,  wie  das  Gast- 
mahl des  Athenaios,  wo  die  Gelehrsamkeit  einen  künstlich  um- 
gelegten Rahmen  sprengt,  braucht  dabei  noch  nicht  gedacht  zu 
werden. 

Die  Mox^l,  fährt  Kallimachos  fort,  wollen  wir  selbst  als  (pag- 
juaxov    in    das   ^aXeTidv   nojua  werfen.     yaXe::i6v   heißt    der  Wein 
nicht,  weil    er  zu  *^ schwer'^)    ist;    auch    beim    schönsten    Gespräch 
würde    er   nicht  ' leichter \     Es  ist  den  beiden    'lästig',   trinken  zu 
sollen;  die  Xeoyj]  ist  ihnen  das  (pdQjiiaxov,  das  ihnen  das  Viel-  und 
Raschtrinken  ersparen  soll.  Das  fördert  ihr  'Wohlbefinden':  so  deutet 
es  nicht  übel  der  Paraphrast  des  Kallimachos  bei  Athenaios  (oben 
S.  154),  wenn  er  (paQjiiaxov  vyeiag  umschreibt^).    Den  Einfall  hat 
Kallimachos  aus  der  Odyssee  genommen  (d  220  ff.),  wo  Helena  dem 
Telemachos  ein  cpaQjxaxov  in  den  Becher  tut,    um  die  Traurigkeit 
zu  beheben.     Aber  geistreich  gibt  der  Alexandriner  dem  alten  Motiv 
seine  neue  Wendung.    Und  seltsam  ist  die  Coincidenz,  die  doch  wohl 
nicht  dazu  führen  darf,    Abhängigkeit  anzunehmen,   wenn  Plutarch 
in  den  Tischgesprächen  (614  G.  D)  mit  direktem  Verweise  auf  Homer 
ebenfalls  an  das  (paQjuaxov  der  Helena  erinnert  und  dies,    ähnlich 
Kallimachos,  aus  einem  echten  Zauberkraute  zu  einem  ?i6yog  ovjli- 
TTorixog  umdeutet:    ol  juev  ovv  tu  ßovyXcoooa  xarajjLsiyvvvxeg  slg 
röv    oJvor   .  .  .  änojLujuovjuevoi   t}]v   ^0/ut]Qix)]v    'Elevrp    v7to(paQ- 
juaTTOvoar   rov   äxQarov,    ov    ovvoQCoaiv,    öxi    xäxeivog    6   juvSog 
sxjtsQisX'&djv  an   Alyvixxov  i.iaxQäv  ödov  elg  Xoyovg  IjxieixEig  xal 
JiQETZovxag  exsXevx')]oev xovxo  yäg  ijv  xö  rnjTiev&kg  q)dQ- 


1)  Lehrs,  De  Aristarchi  stud.  Homer.*  212—215. 

2)  Qualitätsausdrücke  für  Wein  sind  äxQarog  oder  axXrjQÖg  (Athen. 
I  30  C)  oder  ■&EQf^iög  xal  ^coQoreQo;  (Athen.  IV  129D)  oder^f.Trös  xal  8oi/iivg 
(Lukian  de  merc.  conduct.  18  p.  673). 

3)  Die  Wortverbindung  cpäg^axor  vysiag  findet  sich,  auf  die  Olive 
bezogen,  wieder  bei  Aristides  "J&fjvä  II  tom.  I  p.  16  Dind.  Kaibels  Ver- 
mutung, vysiag  bei  Athenaios  wäre  corrupt,  ist  also  abzuweisen ;  sein 
Vorschlag  vßgEcog  würde  nach  falscher  Richtung  führen.  Bei  Plato,  Ge- 
setze 666  B  ist  der  Wein  selbst  ein  q?(XQfiaxor  xfjg  zov  yt'jgcog  avazrjQÖTrjzog, 
bei  Xenopb.  Sympos.  II  24  erquickt  der  Wein  die  Seele,  wie  das  Zauber- 
kraut Mandragoras.  Vorangegangen  ist  Alkaios  (fr.  35  Bergk'):  gegen 
Sorgen  ist  (päg^iaxor  ägiazor  der  Wein. 

Hermes  LUX.  11 


162  L-  MALTEN 

iiay.ov,    Xoyog  ei^ov  xaigöv  aQjuo^ovra  roTg  vjioxeijUEvoig   nd'&eai 
y.al  TtQayjuaoiv. 

Selbst  wollen  die  beiden  die  Moyi]  dem  Weine  beifügen, 
„denn  die  wird  nicht  mit  Schöpflöffeln  servirt  und  du  wirst  sie 
nicht  fordern  wollen,  wenn  du  die  äz öcpQvag  der  Be- 
dienung beobachtest".  Mittelst  des  ägvonjo  ^)  wird  vom  Sklaven 
der  Wein  aus  dem  allgemeinen  xQaxrjQ  zum  Einzelbecher  getragen, 
der  vor  dem  Gast  steht;  so  wird  der  folgende  Gedanke  vorbereitet, 
der  von  den  olvoyöoi  handelt.  Deren  Benehmen  muß  etwas  haben, 
das  die  beiden  zurückstößt.  In  welcher  Richtung  dies  liegt,  deuten 
die  Worte  an  ot'  eXevd^eqog  ärjueva^)  oaivei:  die  Herren  bemühen 
sich  um  die  Gunst  der  Bedienung.  Öfters  in  der  antiken  Sympo- 
sienliteratur begegnet  das  Motiv,  daß  die  Schmausenden  und  Trin- 
kenden sich  eifrig  an  die  Bedienung  halten;  dabei  entwickelt  sich 
auch  eine  Art  von  Xeoyj].  Leider  liegt  uns  diese  Literatur  zwischen 
Plato  -  Xenophon  und  Lukian  nur  in  Bruchstücken  vor,  so  daß  wir 
nur  hie  und  da  einen  Einblick  tun.  Bezeichnendes  Material  liefern 
dagegen  die  Dialoge  Lukians,  vornehmhch  das  'Symposion',  der 
'Kronosoion',  die  'Epistulae  Saturnales'  und  das  'Los  von  Gelehrten 
in  Privathäusern',  die  uns  Reflexe  aus  menippeischer  Darstellungs- 
art ^)  erhallen  haben;  Athenaios  und  luvenal  treten  bestätigend 
hinzu.  Im  Kronosoion  sowie  in  den  Epist.  Saturn.*)  werden  die 
Forderungen  erhoben,  daß  die  Sklaven  nicht  an  einzelnen  Gästen 
A'orbeilaufen  und  die  Schüsseln  bloß  zeigen  sollen,  der  Mundschenk 
solle  nicht  warten,  bis  einer  erst  siebenmal  zu  trinken  gefordert 
[tiqoeitieTv  de  xdlg  oivoyooig  /li]  Jiegijueveiv,  eor  äv  ijirdxig 
uhiqor]  melv  rj/ucöv  exaozog  .  .  .),  sondern  solle  hei  einmaligem 
Verlangen  gleich  einschenken;  die  didxovoi  sollten  nicht  dem  einen 
ein  großes  Stück,  dem  anderen  kleine  vorsetzen,  sondern  Gleich- 
heit solle  herrschen;  der  Mundschenk  solle  scharf  blicken  und  auf 
jeden  sehen  und  hören,  man  solle  allen  die  gleiche  Sorte  Wein 
serviren.  Über  ungleiche  Behandlung  der  Gäste  hält  sich,  gleichen 
Traditionen    folgend ,    auch  luvenal   (Sat.  V  24  ff.)    auf;    nach  Athe- 


1)  Mit  oivoyöt],  y.va&og  identificirt  bei  Pollux  VI  19.  X  75. 

2)  ar(.ir]v,  in  fr.  b2>%  auch  dz/neviog.  Beide  Formen  auch  sonst  be- 
legt (Et.  Magn..  Hesych.).  Für  die  Behandlung  von  fr.  538  vgl.  H.  Diels, 
d.  Z.  XXIII  1888,  286  f. 

3)  Helm,  Lukian  und  Menipp  1906,  218f.  254 ff. 

4)  c.  17  und  18  p.  399  f.    Epist.  Saturn.  22  p.  404  f.  32  p.  412. 


AUS  DEN  AlTIA  DES  KALLIMACHOS  1Ö8 

naios  (V  192  F)  zieht  die  Bedienung  die  evrijuoi  gegenüber  den  an- 
deren Gästen  vor.  In  der  Schrift  de  mercede  conductis  wird  dem 
Hausphilosophen  empfohlen,  sich  mit  dem  Vorleger  {diave/ucov)  gut 
zu  stellen  (26  p.  684):  es  passirt  ihm,  daß  er  immer  wieder  ver- 
gebens um  einen  Trunk  bittet ,  aber  6  jiaig  'ovo'  atovxi  eoixev' 
(p.  685).  Bei  Tisch  fixirt  die  Bedienung  den  Gast  {r'}  rs  oixe- 
TEia  sk  OS  anoßXenEi  15  p.  670),  wovon  er  so  befangen  wird, 
daß  er  nicht  wagt,  Wein  zu  fordern  (^>;r£  dupäyvTa  üxisTv  atzeiv 
roXjLiäv  p.  671). 

Wie    halten    es  nun  die  Sklaven  des  Pollis?     Der  Gast    nach 
Art  des  Kallimachos  und  Theugenes  wird  es  verschmähen,  sich  an 

die    JiaTösg    zu    wenden    ogocov    eig   är ocpQvag   oivoxoojv. 

Für  die  Lücke  schlagen  Grenfell-Hunt  vor  ärsveTg,  dxQS/Adg,  ärgö- 
ixovg,  äjQOTiovg,  ohne  sich  zu  entscheiden.  Die  letzten  drei  sind 
metrisch  zwar  möglich:  t^  längt  bei  Kallimachos,  wenn  die  vor- 
hergehende Silbe  in  der  Hebung  steht  (in  Hymnen  und  Epigram- 
men etwa  zwanzigmal),  steht  sie  in  der  Senkung,  so  wird  sie  nicht 
gelängt,  weder  wenn  es  sich  um  die  erste  (III  176)  noch  wenn  um 
die  zweite  Senkung  handelt  (III  57).  Aber  sachlich  scheiden  sie 
aus :  wir  erwarten  für  das  Verhalten  der  Sklaven  einen  positiven  Aus- 
druck. Um  so  treffender  ist  ajevElg.  Vom  Auge  braucht  es,  um 
nur  wenige  Beispiele  herauszuheben,  Aristoteles  bist.  anim.  I  10 
äxEvelg  öcp&aXjnoi.  Polybius  XVIII  36,  9  dreveg  ßXsjieiv  eig  xiva. 
Lukian  dial.  deor.  6,  2  äxevsg  dtpecoga  eg  jue,  Icarom.  12  xijv  öxpiv 
eg  xb  äxevhg  änegeideod^ai.  Dionys  von  Halikarnaß  Ant.  Rom,  V 
8,  6  x6  äxEvkg  xfjg  öipecog,  daneben  äxeviQEiv  und  dxEviojuog.  Das 
Adjektivum  paßt  nun  mit  seinem  copulativen  a  trefflich  zu  öcpgvg. 
Pollux  II  50  gibt  eine  Zusammenstellung  der  verschiedenen  Be- 
wegungen, die  man  mit  den  öcpQvg  vornimmt,  um  seelische  Regun- 
gen damit  zum  Ausdruck  zu  bringen,  so  ävaonäv,  ovonäv  u.  a. 
Meist  sind  es  Hoffart,  Hochmut,  Dünkel,  die  das  Ziehen  der  Augen- 
brauen kennzeichnet,  grande  supercilium  gerere.  So  sind  die 
ocpQvovxEg'  vjiEQYjcpavoi  (Hes.),  bcpov6op.ai  sich  stolz  und  hoch- 
mütig gebärden.     In  diesem  Sinne  sagt  Lukilhos  Anth.  Pal.  X  122 

noXkd  xb  dnijuoviov  övvaxm,  xäv  fj  Tiagdöo^a, 
xovg  juixQovg  dvdyEi,  xovg  juEydXovg  xaxdyEi. 

xal  oov  xrjv  bq)Qvv  xal  xbv  xvcpov  xaxajiavoEi 
und  Straton  Anth.  Pal.  XII  186  redet  von  einer  vjiegojixog  bcpQvg. 
Die  gegenteilige  Bewegung,  die  Augenbrauen  zu  lockern,  bezeichnet 

11* 


164  L-  MALTEN 

eine  Geste,  die  zum  Ausdruck  bringt,  daß  die  Gebärde  des  Hoch- 
muts schwindet.  Genau  im  Gegensinne  zu  Kalhmachos  tröstet 
Dioskurides  Anth.  Pal.  XII  42  den  Liebhaber,  mit  Geld  werde  er 
den  Hochmut  des  7ieQi(poirog  EQWjuevog  schon  locker  machen: 

xal  orvyvip'  öq^Qvcov  Xvoeig  rdoiv. 
Dieses  rdoig  kann  die  Ergänzung  äxEveig  bei  Kalhmachos  zur 
Sicherheit  erheben.  Damit  ist  die  Situation  ins  klare  gestellt:  die 
Gäste  des  Pollis  trinken  aus  grofsen  Humpen  nach  thrakischem 
Comment;  ist  der  Becher  leer,  will  jeder  ihn  zuerst  wieder  gefüllt 
haben ;  dazu  buhlt  der  Herr  in  unwürdig  schmeichelnder  ?,8Gyji  um 
geneigte  Bedienung;  mit  zusammengezogenen  Brauen  aber  und 
fixirendem  Blick  steht  der  TxaTg  und  fühlt  sich.  Dies  oaivuv 
um  die  Gunst  der  Domestiken  machen  Kalhmachos  und  Theugenes 
nicht  mit.  Weit  ist  diese  Situation  entfernt  von  einem  Sklavenfest, 
das  A.  Körte  in  den  Versen  findet.  „Dreist,  frech  und  unbeküm- 
mert" sind  die  Bhcke  der  Sklaven  nicht;  das  wäre  tra/,<dg^);  aber 
an  dem  a  vß.  ar ist  nicht  zu  rütteln.  Und  beim  Sklaven- 
fest, wie  die  oben  S.  151  f.  citirten  Beispiele  lehren,  schmausen  ent- 
weder Herr  und  Knecht  zusammen  oder  die  Herren  bedienen  die 
Sklaven ;  bei  Kalhmachos  dagegen  lassen  sich  die  Herren  zwar  recht 
gehen,  doch  die  Bedienung  wahrt  eine  reservirte  Haltung. 

Das  Gastmahl  des  Pollis  fand  in  Ägypten  statt,  vielleicht  in 
Alexandreia.  Alexandrinische  Sklaven  standen  in  einem  gewissen 
Renommee;  so  läßt  Trimalchio  (Petron.  31  p.  21  B.*)  von  dort  sich 
Bedienung  kommen.  Daß  es  aber  nicht  immer  in  alexandrinischer 
Gesellschaft  zuging  wie  bei  der  Aiorafeier  des  Pollis  und  auch  die 
Herren  gegenüber  den  Sklaven  aufzutreten  wußten,  mag  ein  Bericht 
bei  Athen.  X  420  E  lehren :  ol  dh  vvv  ovvdyovreg  im  rd  öeiJiva 
xal  [jidhora  ol  dnb  xrjg  y.aXrjg  'AXe^avögeiag  ßocboi,  xexQayaoi, 
ßkaocpruxovoi  tbv  oivoxdov,  xbv  öidxovov,  rbv  fidyeiQOV  '  xkaiovoi 
<5'  ol  Jiaideg  rvjiröjusvot  xordv}.oig  äXXog  äXXo'&ev. 

Ganz  anders  wäre  die  Scene  im  Hause  des  Pollis  aufzufassen, 
wenn  eine  Vermutung  zu  Recht  besteht,  die  P.  Corssen  mir  ge- 
äußert hat:  es  spiele  ein  erotisches  Moment  in  das  Verhältnis  zwi- 
schen Herren  und  Dienern  hinein.  Beziehungen  derart  zwischen 
Gästen  und  naTöeg    sind    in   der  antiken  Symposienliteratur  häufig. 

1)  Hes.  ha/iiög'  dgaovg,  draio/vvTog;  Aristoph.  Frösche  1291  trafxaig 
y.voiv  dsQO(poiroig  von  den  Adlern;  Lukian  Drapetai  19  hafiör  ri  xal  jraQa- 
q)OQO%'  öeöoQxözeg;   Plutarch  -t.  xov  dxoveiv  p.  46  C  hafiot  y.al  ^gaosTs  u.  s. 


AUS  DEN  AITIA  DES  KALLIMACHOS  165 

Piaton  zwar  drängt  die  Erotik  in  seinem  Gastmahl  zurück;  die 
Flötenspielerin  wird  entfernt  (p.  176  E),  und  bei  der  Erzählung  Aga- 
thons  von  seiner  Nacht  mit  Sokrates  wird  den  Sklaven  aufgegeben, 
sich  einen  Riegel  vor  die  Ohren  zu  schieben  (p.  218  B).  Ahnlich  ab- 
lehnend ist  Piaton  im  Protagoras  347  G,  in  den  Gesetzen  (I  640  A  ff. 
VII  806  E)  wünscht  er  sogar  männliche  und  weibliche  Aufsichts- 
beamte, die  Gäste  zu  überwachen.  Bei  Xenophon  spielen  erotische 
Vorstellungen  schon  stärker  herein,  die  sich  um  die  Gestalt  des 
Autolykos  spinnen,  auch  fehlen  nicht  Vorführungen,  die  auf  die 
Sinne  wirken  sollen,  von  der  erotischen  Pantomime  am  Schlüsse 
zu  schweigen.  Aus  den  Bruchstücken  der  folgenden  Literatur  geht 
hervor,  daß  z.  B.  stark  erotische  Gespräche  und  Themen  nicht  ge- 
mieden werden,  so  im  Gastmahl  des  Epikur^),  und  auch  in  den 
ovjLiTTOTixol  didXoyoi  des  Stoikers  Persaios^J  heißt  es:  tieqI  äqjgo- 
dioicov  äQjuooröv  eivai  ev  tw  oirco  juvEiav  jioisTo&ai]  Späteres 
darf  hier  unberücksichtigt  bleiben.  Wert  legte  man  darauf,  daß 
die  TiaTdeg  durch  Schönheit  und  Reiz  die  Augen  auf  sich  zogen ; 
ein  cbgaTog  naXg  bringt  im  Symposion  des  Matron  von  Pitane') 
juvQOV  und  orecpavoi,  ein  analog  naidioxog  gießt  bei  Timotheos  *) 
den  Gästen  Wasser  über  die  Hände,  von  der  zierHchen  Haartracht 
und  der  Gewandung  der  ävögaTToda  evi-iogcponaTa  gibt  Philon^) 
eine  anschauliche  Schilderung.  Bei  Cicero^),  Horaz  (Od.  III  19,6), 
in  den  Anacreontea  (36),  bei  Petron ")  und  Lukian  ^)  kehrt  der  Preis 
des  coQoiog  vs'ieder.  Der  Reiz  der  Knaben  entzündet  die  Gäste;  es 
entwickelt  sich  eine  erotische  Xtoyj],  es  wird  geplaudert,  geliebäugelt 
und  geküßt.  Bekannt  ist  die  hübsche  Geschichte,  die  Ion  A^on 
Ghios  (bei  Athen.  Xlll  603  E  ff.)  von  Sophokles  erzählt,  wie  er  den 
schönen  Knaben  küßt.  Besonders  Lukian  liefert  wieder  Scenen 
dieser  Art.  In  den  epistulae  Saturnales  (38  p.  417)  drücken  die 
Gäste   dem    schönen  Knaben ,  während    er  den  Becher  bringt ,  ver- 

1)  Usener,  Epicurea  117. 

2)  Athen.  IV  162  C.  XIII  607  B. 

3)  Conviv.  attic.  ed.  Brandt,  Corpusc.  poes.  epic.  ludib.  I  p.  70  v.  106. 

4)  Philoxeni,  Timotliei,  Telest.  reliqu.  ed.  Bippart  p.  52  II  fr.  1. 

5)  de  vita  contemplat.  ed.  Cohn- Reiter  VI  p.  59  c.  6. 

6)  de  finib.  II  23  adsint  etium  formosi  pueri,  qui  ministrent.  Cato 
lehnt  die  fisigdpcia  svixoQrpa  zugunsten  von  Arbeitssklaven  ab  (Polyb.  XXXI 
24,  3;  Plutavch,  Cato  maior  4). 

7)  Mehrfach  in  der  Cena  Trimalcbionis. 

8)  ovEiQ.  >J  dle-^to.  11  p.  718  und  die  unten  citirten  Stellen. 


166  L-  MALTEN 

stöhlen  die  Hand;  in  de  mercede  conductis  (16  p.  671)  lächelt  die 
Menge  junger,  hübscher  Knaben,  die  bei  der  Tafel  aufwarten,  den 
Gast  anmutig  an  {rä  jueigdixia  (bgaia  diaxovovjueva  aal  fjQejua 
jTQoojueidicovTo.),  im  Symposion  (15  p.  428  f.)  endet  das  Cokettiren 
damit,  daß  der  entzückte  Philosoph  dem  lächelnden  cbgaTog  Geld 
in  die  Hand  zu  schieben  versucht.  Oder  de  Anknüpfung  wird 
durch  Zunicken  versucht,  wie  in  der  Movo  ■:  sraidiy./j  bei  Straten 
(Anth.  Pal.  XII  184)  i) 

fU]  oJievorjg  Mevedi]/j.ov  eXeiv  dolo)  d.lX'  imvevoov 
dq)Qvoi,  xal  q^avegcög  avxbg  eoel,  T.Qoaye. 
Stellen  wir  uns  auf  diesen  Boden,  so  würde  Kallimachos  ein  solches 
'Schwänzeln  und  Scharwenzeln''  um  die  Gunst  der  jiaideg  mit  den 
Worten  ot'  eXev'&EQog  äxfXEva  oaivei  zur  Andeutung  gebracht 
haben.  Und  wenigstens  einen  unzweideutigen  Beleg  für  die  Ver- 
wendung von  oaiveiv  in  erotischem  Sinne  bin  ich  in  der  Lage 
nachzuweisen:  Theogn.  v.  132 7 f. 

c5  JiaT,  eojg  äv  eyjfg  Xsh]v  yevvv,  ovnore  oaivcor 
navGOfxai,  ovo'  sl'  jLioi  jLiögoi/.iöv  eoxi  '&aveiv. 
Freilich  begegnet  nun  die  Ergänzung  der  Lücke  größeren  Schwie- 
rigkeiten. Man  denkt  zuerst  an  einen  Ausdruck,  der  auch  die 
jiaiösg  an  dem  erotischen  Spiele  irgendwie  beteiligt  sein  heße. 
etwa  wie  Lukian  sie  lächeln  läßt.  Aber  ein  passender  Ausdruck, 
der  mit  dz  .  .  begänne,  ist  nicht  recht  zu  finden;  äraXovg  wäre 
neben  öcpgvag  unmöglich;  draPiCov  würde  öcpQvag  des  erwünschten 
Beiworts  berauben  und  einen  Vers  schaffen,  der  bei  Ovid  tadellos 
wäre,  während  Kallimachos  diese  Art  der  Wortverteilung  im  Penta- 
meter kennt,  im  Hexameter  meidet.  Zudem  würde  öqjgvag,  das 
mehr  ist  als  öq^ßaX/uovg,  seinem  Charakter  nach  in  eine  erotische 
Scene  nicht  gut  passen.  Gegen  äjiaXcöv  sprechen  die  letztangeführten 
Gründe,  äjiaXovg  ist  unmöglich,  da  aTiakog  sich  immer  auf  Reize 
bezieht,  die  von  Fleisch  teilen  ausgehen  (äjiaXMygcog) ,  nie  vom 
Blicke,  dyavög  führt  trotz  der  Wortverbindung  dym'ä  öcpqvi  bei 
Pindar  (Pyth.  IX  38)  nach  ganz  verkehrter  Richtung.  Bleibt  es  bei 
urevEig  ocpQvg,  das  mir  als  die  einzig  mögliche  Ergänzung  erscheint, 
so  könnte  Lukian  deor.  dial.  6,  2  p.  217  einen  Weg  weisen.  Hera 
beklagt  sich  bei  Zeus,  Ixion  habe  beim  Symposion  eine  erotische 
Annäherung  versucht.     Zum  Beweis    führt   sie   an   drevkg  dcpecbga 

1)  Vgl.  auch  Straten  ebd.  XII  199. 


AUS  DEN  AITIA  DES  KALLIMACHOS  167 

ig  ejbie  und  av&ig  acpeojQa.  Aber  wieder  führt  bei  Kallimachos  öcpQvag 
vom  erotisch  ansaugenden  BHck  ab;  halten  wir  uns  an  die  'zu- 
sammengezogenen Brauen',  so  würden  wir  für  Kalhmachos  eine 
Scene  gewinnen,  wie  sie  ähnhch  Dioskorides  malt  (Anth.  Palat. 
XII  42) 

BXexpov  eg  'Egjuoyevrjv  JihJQSi  xegi,  xal  rdya  jiQrj^eig 
naidoxöga^,  ä'v  ooi  dvf.ibg  öveiQOJcohj, 

y.al  OTvyrijv  öq?Qvcov  Xvoeig  rdoiv  .  .  . 

oder  wie  sie  Straten  andeutet  (Anth.  Palat.  XII  186) 

äXQi  Tivog  TavTijv  Ti]v  öcpgva  t)jv  vneQOTixoy 
MevxoQ,  Ti]Q)]08ig  .  .  . 

Noch  machen  die  Jungen  hochmütig  abweisende  Mienen,  wo  die 
Herren  um  ihre  Gunst  buhlen ;  das  Symposion  ist  ja  noch  nicht 
weit  vorgeschritten;  später  werden  einige  Münzen  nachhelfen,  den 
Stolz  zu  dämpfen.  Das  Ende  wäre  dann,  wie  auch  sonst:  wer  am 
höchsten  bietet,  des  wird  Flötenspielerin  wie  jiaig. 

Eine  Scene,  wie  Corssen  sie  vermutet,  würde  also  in  die  antike 
Symposienliteratur  vorzüglich  hineinpassen.  Eine  andere  Frage  ist. 
ob  in  den  Vorstellungskreis,  in  den  Kallimachos  hineinführen  will. 
Und  da  muß  ich  nach  immer  wiederholter  Überlegung  nein  sagen. 
Höchstens  in  dem  oalveiv  konnte  das  erotische  Motiv  fühlbar  er- 
scheinen, ohne  daß  auch  hier  eine  Nötigung  vorliegt.  Man  muß 
viel  hineinhören  in  die  Worte  des  Dichters,  wenn  man  im  oaiveir 
der  'Herren'  und  in  den  dr^vag  oqjQveg  der  Knaben  das  erotische 
Widerspiel  erraten  will.  Die  Darstellung  wäre  von  einer  Diskretion, 
die  an  Dunkelheit  grenzt;  die  neue  und  überraschende  erotische 
Note  am  Schluß  der  ganzen  Scene  klänge  in  dieser  versteckten 
Form  gar  zu  matt  an.  Bei  der  oben  vertretenen  Deutung  bleibt 
die  Situation  gewahrt;  vorher  wird  vom  Trinken  gesprochen,  dann 
von  den  Schöpflöffeln,  mit  denen  die  Sklaven  zu  serviren  pflegen, 
und  damit  in  enger  Verbindung  von  der  Art,  in  der  sie  ihre  Be- 
dienung ausüben.  Das  oben  für  gewisse  Unsitten  antiker  Dienst- 
boten beigebrachte  Material  scheint  mir  dem  Wortlaut  und  Ideen- 
kreis bei  Kallimachos  weit  besser  zu  entsprechen  und  eine  Scene 
aus  einem  Guß  zu  schaffen. 

Kallimachos  ist  kein  Spielverderber  beim  Weine;  wünscht  er 
doch,  daß  auf  seinem  Grabstein  ihm  anerkannt  werde  ev  /.ihv  äoidip' 
sldörog,   ev  d'  o/Voj  xaiQia  ovyyeXdom  (Epigr.  XXXV).     Hier,  wo 


168  L.  MALTEN 

er  der  gelehrte  Dichter  der  Aitien  ist,  packt  er  den  xaiQÖg,  um 
den  raren  Gastfreund  nach  seiner  rareren  Heimat  und  ihren  Bräu- 
chen zu  befragen.  dveiQOjuevco  haben  Grenfell-Hunt  sicher  nach 
KaUimachos'  Worten  oooa  d'  dveiQojLiEi'co  (frjoE,  rdö'  i^Eoeco^)  er- 
gänzt. Zu  der  Form  lyaivo)  ist  zu  bemerken,  daß  der  Kalhmachos- 
papyrus  uns  befreit  von  dem  alten  Fehler  schlechter  Homerhand- 
schriften, die  neben  dem  richtig  überlieferten  r/avaco  eine  Form 
hxavdco  bringen;  die  Form  ohne  o  bezeugt  auch  ausdrücklich 
Steph.  Byz.  s.  v.  "lyava  .  .  .  tyaväv  dk  xo  ejii'&vjlieTv.  Das  längere 
r/aivü),  das  KaUimachos  verwendet,  steht  zu  r/avuco  Avie  oofiaivoj 
zu  ÖQjudoj. 

Drei  Fragen  richtet  der  Dichter  an  den  neuen  Freund,  die  auf 
den  Kult  des  Peleus  in  Ikos  und  die  Beziehungen  dieser  Insel  zu 
Thessalien  zielen.  Darin  ist  t[i  txuxqiov  vjjupi  nach  Hymn.  II  71 
Ejuol  TiaxQcöiov  oüxfjü  von  den  Herausgebern  ergänzt;  sehr  schön 
ist  ^vv[d  xd  f)£ooa?u]y.d  von  Wilamowitz  und  Lobel  gefunden; 
^vvog  liebt  KaUimachos;  &Eooa}ux6g  hat  er  auch  Epigr.  XXX. 
MvQfxidovcov  ioorjva,  ohne  Nennung  des  Peleus,  war  für  KaUi- 
machos bereits  durch  Herodian  gesichert  (Schneider  fr.  508),  jedoch 
hatte  seine  Citirweise  olov  ooj/.i]v  ioorjv  6  oiyAOxijg,  MvQ^utdövojv 
Eoo^va  Ka?2ijuayog  Schneider  in  die  Irre  geführt  und  an  Aiakos 
denken  lassen;  aber  neben  MvQjutdovcov  ist  oixiox/jg  unmöglich, 
wer  auch  gemeint  ist.  Herodians  oixiox/jg  geht  vielmehr  zurück 
auf  antike  Versuche,  das  Wort  iooijv  zu  etymologisiren,  die  Etym. 
Magn.  s.  v.  zusammenstellt:  eooi]v  d  ßaoiAevg  y.axd  "EqjEoiovg 
(das  controlliren  wir  an  Paus.  VIII  13,  1) 

a)  djio  fXExacpogäg  xov  /xeIioocöv  ßaoilECog,  og  E}'oi]xai  iooi'jv, 
djib  xov  EOü)  ivECEG&ai:  dies  Spiel  schon  bei  Aeschylus  Suppl. 
223  f.  EojLiög  cog  nEXeiddojv  X'QEod^ai  und  684  EoijLog  .  .  .  iloi, 

b)  T]  Eoorjv  6  OEVCOv  .  .  .   xä  xfjg  nolEog, 

c)  ■i]^;6  oixioxrjg  nagd  xö  Eooai  y.ui  lögvoat. 

Erkennt  man  Herodians  auf  Etymologie  ausgehende  Quelle,  so  wird 
das  Kallimachoscitat  von  dem  olxioxijg  frei  und  stellt  sich  zum 
Hymn.  I  66,  wo  Zeus  ^Jewv  eooyjv  heißt. 

Für  die  Beziehungen  des  Peleus  zu  Ikos  treten  drei  Zeugnisse 
ein,    das    erste    lautend    auf  den  Namen  des  KaUimachos  selber 2): 

1)  Sitz.  Berl.  Akad.  1914,  224. 
)  Sc  hol.  Find.  Pyth.  III  167  =  Schneider  fr.  :j72. 


AUS  DEN  AITIA  DES  KALLIMACHOS  169 

IlrjXEvg  ev  "ly.o)  ^)  t/)  v/jöoj  äTv^ijoag  xbv  ßiov  oixiQibg  y.a'i  eno)- 
dvvcog  äne&avev.  Wir  werden  annehmen  dürfen,  daß  die  Erzäh- 
lung aus  unserem  Aitiengedichte  und  zwar  aus  der  Antwort  des 
Theugenes  entstammt  ^).  Auf  unser  Gedicht  zurückgehend  ist  wohl 
auch,  trotz  der  verschiedenen  Messung  des  Namens  Ikos,  die  kurze 
Anspielung  bei  Antipater  von  Sidon  Anth.  Pal.  VII  2,  9  f.  y.evdei  xal 
0hidog  yaiih)p>  i)  ßQa/vßcoXog  "Ixog.  Etwas  weiter  ausgesponnen 
wird  die  ikische  Peleussage  im  Schol.  Eurip.  Troer.  1128  6  fxhv 
EvQinldrjg  vno  'AxdoTov  <p't]olv  iy.ßeßktjoßai  rov  IlrjXEa,  elol  de 
oX  (paoiv  vjio  rcov  ovo  avzov  Tzaidüiv  "AoydvÖQOv  y.al  'Agyaelox^g 
xaxä  xbv  xaigov  öxe  efxeXXov  "EXdijveg  i^  'Duov  e^eXrjXdodai  xai 
eX'&övxa  Eig  d7idvxt]oiv  xw  Neo7ixo)^ei.up  TigooeXMelv  did  ^ei/u(7jva 
xf]  "ly.cp  xfj  vYjoq)  xal  ^eviodivxa  vno  MoXmvog  xivog  "Aßavxog  exel 
y.axaXvoai  xbv  ßiov.  Die  Ergänzung  von  der  anderen  Seite  liefert 
Euripides  (Troer,  a.  a.  0.):  Neoptolemos  sei  von  Troja  abgefahren 
xaivdg  xivag  UijXJcog  äxovoag  ovfxcpoQdg,  wg  viv  yßovbg  "Axaoxog 
£yßsßX)]yev.  Wenn  es  zu  einer  d7idvx}]otg  zwischen  beiden  kommen 
soll  und  Peleus  über  Ikos  fährt,  wird  für  die  Neoptolemossage  der- 
jenige Überlieferungsstrang  vorausgesetzt,  der  ihn  von  Troja  direkt 
nach  Skyros  zurückkehren  läßt^).  Mit  dieser  Sagenform  contaminirt 
erscheinen  die  Fassungen,  die  den  Achilleussohn  ins  Molosserland  ge- 
langen lassen,  „nachdem  er  Skyros  verfehlt"  *),  oder  die  ihn  von 
Troja  auf  dem  Landwege  ins  Molosserland  gelangen  lassen  und 
trotzdem  von  einer  Begegnung  zwischen  Neoptolemos  und  Peleus 
berichten :  so  Proklos  im  Nostenauszug,  ein  Bericht,  der  Mißtrauen  er- 
weckt, hält  man  die  zum  Teil  wörtlich  übereinstimmende  Apollodo- 
rische Epitome  6, 12  daneben,  nach  der  Neoptolemos  im  Molosserlande 
König  wird  und  dann  nach  Peleus'  Tode  das  väterliche  Erbe  in 
Thessalien  übernimmt.  Der  Abante  Molon  im  Scholion  repräsentirt 
den  euböischen  Anteil  an  der  Besiedlung  von  Ikos,  der  zu  der  thes- 
sahschen  Schicht  mit  Peleus  und  der  älteren  kretischen  unter  Sta- 
phylos  hinzugetreten  ist^).     Wieweit  diese  detaillirten  Angaben  des 

1)  Hier  wie  im  unten  erwähnten  Zeugnis  aus  Km  gebessert  durch 
Wilamowitz  d.  Z.  XLIV  1909  S.  474  f. 

2)  Den  Peleus  erwähnte  Kallimachos  noch  einmal  (fr.  136)  im  Zu- 
sammenhang mit  der  Theiodamasgeschichte,  wie  Sitzungsber.  Berl.  Akad. 
1914,  228.  231  (v.  Wilamowitz)  gelehrt  hat. 

3)  Pindar  Nem.  VII  37  ff.  Paus.  III  25,  1. 

4)  2xvQov  uev  a^aQTE,  :iXay/dEvxEg  5'  eig  'Ecpvgav  i'xorzo  Pind.  a.  a.  O. 

5)  Die  Zeugnisse  bei  Fredrich  in  den  IG  XII  8  S.  166.  dazu  Wila- 
mowitz d.  Z.  a.  a.  0. 


170  L.  MALTEN 

Euripidesscholions  mit  Kallimachos  zu  tun  haben,  ist  nicht  deutlich : 
doch  scheint  es,  als  ob  zwischen  dem  oty.XQmg  y.al  ijiwdvvojg  ani- 
■&avev  bei  Kallimachos  und  der  Landung  diä  yeiuwva  ein  sachhcher 
Zusammenhang  bestehe. 

Die  nächsten,  leider  zum  Teil  unleserlichen  Worte  im  Papyrus 
handeln  von  einer  Kulibegehung  in  Ikos  zu  Ehren  des  Peleus. 
Eine  7ia.\lQ  tut  etwas  tjocoog  xa^odov:  das  ist  wohl  auf  dem  Wege 
(y.a{}'  ödov)^)  zum  Grabe  des  Heros.  Dabei  hält  sie  yiJTsiov  id[.  .^vt 
[.  .  .  d'J^TOJ'.  Das  y7]Teiov,  eine  Zwiebelart,  wird  in  dieser  Form 
bei  Diokles  von  Karystos  (fr.  120  Wellm.)  und  öfters  von  Theophrast 
und  Plinius  erwähnt;  es  ist  wohl  die  attische  Form  des  Wortes. 
Daneben  hat  Theophrast  y^'&vov,  das  wiederum  nach  Didymos 
(Athen.  IX  371  F)  identisch  ist  mit  y7]ßv/Mg.  Von  dieser  berichtet 
Polemo  (ebd.  372  E),  es  hätten  beim  Opfer  der  Theoxenien  in 
Delphi  diejenigen  juoTgav  äno  rfjg  TgoTieC^jg  erhalten,  die  eine 
besonders  große  yrj'&vXUg  der  Leto  dargebraclit,  zur  Erinnerung 
daran,  daß  sie  vor  ihrer  Niederkunft  nach  der  yr]&v?Mg  ein  wider- 
natürliches Gelüst  gehabt.  Ähnlich  wußte  der  Verfasser  einer  Ko- 
mödie IItcoxoi  (Athen.  IV  137  E),  daß  die  Athener,  wenn  sie  den 
Dioskuren  im  Prytaneion  ein  Mahl  vorsetzten,  tvqov  xal  (pvorrjr 
(d.  h.  eine  Art  judCa  aus  Gerstenmehl)  ÖQVJieTieTg  r'  eläag  xal  Jigaoa 
<Iarboten.  Hier  spielt  der  Lauch  keine  besondere  Rolle ;  das  Aition, 
das  Polemo  für  das  delphische  Fest  anführt,  könnte  auf  die  Zwiebel 
als  geburtsförderndes  Mittel  hinauswollen.  Für  unseren  Zusammen- 
hang würde  das  wenig  passen,  auch  zu  dem  nicht,  was  sonst  in 
antikem  und  modernem  Glauben  der  Zwiebel  an  Kraft  beigelegt 
wird.  Nach  Plinius  (XX  101)  soll  Pythagoras  gelehrt  haben  scil- 
lam  in  limine  iantiae  suspensam  contra  malorum  medicamento- 
rum  introitiim  poliere;  Kindern  hängte  man  zum  Schutz  gegen 
die  Strix  Zwiebeln  um  2).  Bösen  Zauber  bindet  die  Zwiebel  wohl 
mittelst  ihrer  Schärfe  auch  in  germanischem  Glauben,  so  schützt 
sie  den  Trank  vor  Verrat^).  Auch  aus  indischem  und  serbischem 
Glauben  wird  eine  Geister  bindende  Kraft  der  Zwiebel  überliefert*). 
All  das  führt  auf  eine  kathartische  Wirkung  gegen  Unreinheit  und 

1)  Auf  diese  Möglichkeit  macht  mich  ü.  v.  Wilamowitz  aufmerksam. 

2)  Literatur  bei  Gruppe,  Griech.  Myth.  889,  7. 

3)  V.  Hahn,  Kulturpflanzen  und  Haustiere'  1902,  192 f.  196 ff.  20lf. 
Schrader,  Lexic.  der  indog.  Altertumsk.  1901,  1004. 

4)  Grui^pe  a.  a.  0. 


AUS  DEN  AITIA  DES  KALLIMACHOS  171 

böse  Kräfte;  in  diesem  Sinne  wird  also  die  Gebärende  wie  Leto 
Verlangen  nach  der  Zwiebel  gehabt  haben,  auch  im  Totenkult  mag 
man  sich  durch  sie  geschützt  haben.  Neben  dem  yrixvov  hält  die 
naXg  noch  ein  zweites,  das  leider  nur  in  Buchstabenresten  erhalten 
ist.  Unter  der  Voraussetzung,  daß  sie  richtig  gelesen  sind  und  daß 
ä\QTOv  zu  Recht  von  Grenfell-Hunt  ergänzt  ist,  habe  ich  an 
16'  [£1]vt[iv  ä]QTOV  eyovoa  gedacht.  Hesych  eVivrig '  Ji?Mxovg  rig. 
Dieselbe  Kuchenart  erscheint  in  der  übhcheren  Form  £/l/!,^n;g  (Gra- 
mer, Anecd.  Graec.  II  44)  im  Testament  der  Epikteta  auf  Thera  (IG 
XII  3,  330),  hier  gleichfalls  in  Verbindung  mit  ügrog  und  ebenfalls  im 
Kult  der  Toten:  eXXvrav  xal  ägrov  xal  JiaQay.a  (Z.  190  f.);  be- 
schrieben wird  der  eA^iSri;?  als  ex  jivqcov  ^oivixcov  (Z.  179 f.  187  f.). 
Für  die  appositioneile  Verbindung  der  Worte  bei  Kallimachos  im 
Sinne  unseres  Compositums  'Kuchenbrot'  wäre  jilaxovg  äorog  bei 
Athen.  XIV  645  D,  wohl  aus  Philitas,  ein  Analogon.  Auf  einen 
anderen  Weg  würde  eine  Ergänzung  wie  ;(^o]^roi'  führen ;  dann 
wollen  sich  mir  allerdings  die  Reste  von  -vt-  zu  einer  befriedigen- 
den Ergänzung  nicht  fügen. 

In  V.  27  Eidoreg  cbg  evenovoi  bringt  Kallimachos  eine  Art  ver 
schieierten  Quellencitats  an,  so  wie  er  in  der  Kydippe  seine  Quelle 
Xenomedes  direkt  mit  Namen  nennt  (Oxyrh.  Pap.  VII  1011  v.  54ff. ) 
Wir  kennen  nur  einen  Mann  aus  dem  Altertum,  der  der  Insel 
Ikos  eine  Monographie  gewidmet  hat,  den  Phanodemos,  dessen 
'Ixiaxd  Steph.  Byzant.  s.  v.  cilirt;  er  hatte  auch  von  dem  Orestes- 
aition  gehandelt  (FHG  I  368,  13),  auf  das  Kallimachos  im  Beginn 
seines  Gedichtes  Bezug  genommen;  die  Vermutung  liegt  nahe,  daß 
er  zu  den  eidoreg  des  Kallimachos  gehört. 

Vom  nächsten  ist  wieder  nur  kenntlich,  daß  hinter  ovaxa,  wo 
metrische  Gründe  zu  interpungiren  raten,  zu  verbinden  ist  /uväeiodai 
ßo[v?,eo'^),  eine  Aufforderung,  auf  die  Theugenes  sofort  reagirt: 

,  Dreimalseliger,  glücklich  bist  du  wie  wenige,  wenn  du  ein 
Leben  hast,  das  keinen  Teil  hat  am  Seefahren.  Doch  mein  Leben 
ist  in  den  Wogen  heimisch  geworden  mehr  als  das  (fiäXXoy 
sc.  ßiov)  eines  Wasserhuhns." 

Die  lebhafte  Seiigpreisung  des  seßhaften  Lebens,  mit  der  Theu- 
genes einsetzt,  kann  die  Vermutung  nahelegen,  daß  in  den  voran- 
gehenden Versen  der  Dichter  versichert  hat,  sein  Leben  biete  ihm 
keine  Gelegenheit    zu  weiten  Reisen  und  damit  auch  nicht  zu  pei- 

1)  Die  Ergänzung  wird  U.  v.  Wilamowitz  verdankt. 


172  L.  MALTEN 

sönlichen  Erkundungen;  damit  wäre  angedeutet,  daß  er  also  für 
seine  Aitia  auf  die  Auskünfte  guter  und  vielerfahrener  Freunde  an- 
gewiesen sei:  das  negirte  eyvcoxa  würde  dazu  stimmen.  Als  Objekt 
zu  y.£m]v  und  ETeQ}]v  sich  viioov  zu  ergänzen,  wäre  aber  wohl 
kaum  möglich;  wie  soll  Kallimachos,  wie  überhaupt  ein  Grieche 
erklären  können,  keine  Insel  zu  kennen? 

Die  drei  Antwortverse  des  Ikiers  waren  uns,  zum  Teil  corrupt, 
bereits  durch  Stobaeus  (Flor.  c.  LIX  11  H.)  bekannt;  daß  wir  sie 
bei  Schneider  (fr.  111)  lesen  wie  nun  im  Papyrus,  ist  wesentlich 
das  Verdienst  Bentleys,  der  aus  vavrdirjoiv  ijv  sy^Eig  mit  Hilfe  von 
ApoUon,  Argon.  II  417  vfjiv  gewann^)  und  ebenso  in  jiavqiov  öX- 
ßiög  EOTi^)  /iiE'ya  das  richtige  navQOiv  f^iha  fand. 

Das  Leben  des  Seemanns  mit  dem  eines  Wasserhuhns  zu  ver- 
gleichen, ist  sprichwörtlich:  ejiiy.vjuarl^ei  y.ai  }Aoov  ßiov  'Qf]  sagt 
Aelian  dygoin.  ejiiöt.  18 ;  Kallimachos  hat  dem  gleichen  Gedanken 
in  überraschend  ähnlicher  Form  Ausdruck  verliehen  im  Epigr.  LIX, 
wo  er  von  einem  Leontichos  sagt  ovdh  yäo  avrög  ijav/og,  aißvh] 
<3'  loa   ßaAaoooTiooEl. 

Der  Oxyrhynchusfund  ist  geeignet,  auch  denen  eine  höhere 
^leinung  von  Kalhmacheischem  Können  beizubringen,  für  die  der 
Dichter  mit  den  Schlagworten  des  eleusinischen  Schulmeisters  und 
des  Hofpoeten  sich  erledigt.  Wenn  die  concentrirte  gelehrte 
Arbeit,  die  mit  dem  Abschluß  der  Aitien  einsetzt^),  den  Dichter 
von  der  Poesie  abzog,  wenn  man  späteren  seiner  Dichtungen  anmerkt, 
daß  sie  nicht  einem  ungestümen  inneren  Drang,  sondern  äußeren 
Anstößen  ihr  Dasein  danken :  der  Kallimachos  der  Kydippe  und  viel- 
leicht mehr  noch  des  neuen  Bruchstückes  erzählt  so  natürlich  und 


1)  vavziUrjg  og  njir ;  das  si  fand  Nauck. 

2)  saai  aus  soii  besserte  Jacobs. 

3)  Oxyrh.  Pap.  VII  1011  (S.  31)  mit  avzäo  iyoj  Movoeoiv  ^e^og  FJiet^i 
ro,u6v  enden  die  Aitia.  Die  richtige  Erklärung  hat  Hunt  (S.  18)  ge- 
geben, sie  wird  auch  von  Wilamowitz,  Sitz.  Berl.  Akad.  1912,  533,2 
vertreten.  Anders  v.  Arnim,  Sitzungsber.  Wien.  Akad.  164,  1910,  IV  10,  der 
Movaäcov  vofxög  auf  den  Hesiodischen  Weideplatz,  sie'Qög  auf  den  Kalli- 
macheischen  Dichterstil  bezieht.  Aber  k'jieiiii  ist  nicht  , weiterhin  wan- 
deln". Der  Vers  steht  im  Gegensatz  zum  vorigen;  der  Dichter  kann 
aber  nicht  sagen  wollen,  er  wolle  nunmehr  den  Movoecov  vouog  in  seinem 
Stil  betreten;  denn  schon  das  Vorhergehende  ist,  wenn  es  auch  Hesiods 
Namen  nennt,  in  Kallimacheischem  Stile  gesagt. 


AUS  DEN  AlTIA  DES  KALLIMACHOS  I73 

lebendig,  daß  wir  Töne  wie  aus  echter,  alter  Elegie  zu  hören 
wähnen.  Ohne  verschwören  zu  wollen,  daß  dieses  Gastmahl 
'm  Hause  des  Pollis  an  diesen  Aiora  stattgefunden:  die  Farbe 
des  Erlebnisses  zum  mindesten  hat  der  Dichter  seiner  Darstellung 
zu  geben  vermocht.  Und  damit  ist  die  Frage,  ob  real  oder  fiktiv, 
in  ihrem  letzten  Grunde  entschieden.  Die  reiche  Symposienliteratuv 
der  Griechen  von  Xenophanes  her  ruht  auf  dem  Grunde  einer  den 
x4.1ten  heben  Sitte:  Kallimachos,  der  sich  rühmt  zu  verstehen  olvo) 
y.aiQia  ovyyeläoat  (Epigr.  35),  formt  seine  Scene  aus  seinen  Er- 
innerungen, so  gut  wie  Anakreon  das  Bild  der  Herren,  die  beim 
thrakischen  Gomment  sich  zu  Ausschreitungen  hinreißen  lassen^), 
frisch  aus  dem  Leben  festgehalten  hat,  und  so  wahr  man  dem  leb- 
haften Ärger  des  Horaz  es  anmerkt,  bis  zu  welchem  Grade  mau 
sich  bei  den  gelehrt-philiströsen  Symposien  im  Hause  eines  Augur 
Murena  langweilen  konnte. 

Kallimachos  verlegt  den  Schauplatz  seines  Gastmahls  in  das 
Haus  des  Pollis,  eines  Atheners,  der  nach  Ägypten  übergesiedelt  ist : 
der  Dichter  mochte  ihn  in  Alexandreia  kennengelernt  haben.  Die 
Umständhchkeit,  mit  der  er  allein  in  den  erhaltenen  Versen,  denen 
ähnliche  vorangegangen  sein  müssen,  im  einzelnen  aufzählt,  mit 
welcher  Pietät  der  Gastgeber  an  den  heimischen  Bräuchen  festhält, 
läßt  vermuten,  daß  Pollis  dem  Dichter  wie  dem  Gedicht  gegenüber 
eine  besondere  Stellung  hatte,  wir  in  ihm  den  Adressaten  zu  sehen 
haben.  Das  Gastmahl  im  Hause  des  Pollis  bedeutet  eine  Ehrung 
dieses  Freundes  durch  den  Dichter,  es  stellt  die  'Widmung''^)  eines 
Aitienbuches  an  ihn  dar.  Daraus  würde  folgen,  daß  in  den  ver- 
lorenen Versen  am  Anfang  noch  einiges  von  diesem  Manne  gesagt 
war,  uns  aber  nicht  viel  verloren  ist,  wir  also  mit  unserem  Bruch- 
stück den  Beginn  des  betreffenden  Aitienbuches  haben,  des  zweiten, 
dritten  oder  vierten;  denn  vom  ersten  ist  uns  die  Einleitung  be- 
kannt. Kallimachos  hat,  wie  wir  aus  neueren  Funden  wissen  ^), 
die  gesamten  vier  Bücher   der  Aitien    mit  einem  einheitlichen ,    auf 


1)  Bei  Athen.  X  427  A  urjy.sß'  ovxco  naidyco  zs  xäXahjzip  üxv&ixrjv 
nöoiv  nag'  oi'vq)  /iCE?.eTw/iiEv;  darnach  Horaz  Od.  I  27  natis  in  usum  laet'diw 
scyphis  pugnare  TJiraciim  est. 

2)  Mit  diesem  Worte  formulirt  mir  eben  U.  v.  Wilamowitz  brief- 
lich seine  Auffassung  des  Bruchstücks. 

3)  Oxyrh.  Pap.  VII  1011  v.  85flF.,  verbunden  mit  Antli.  Palat.VII  42; 
dazu  V.  Arnim  a.  a.  0.  7  ff. 


174  L.  MALTEN 

Hesiod  hindeutenden  Motiv  umspannt;  in  gewissem  Sinne  würde 
analog  mit  dem  Symposion  bei  Pollis  für  ein  einzelnes  Buch  oder 
doch  eine  größere  Partie  eines  solchen  ein  einheitlicher  Rahmen 
gezogen  sein.  Zum  Partner  wählt  sich  der  Dichter,  wie  wir  an- 
nehmen dürfen  mit  Bedacht,  einen  weitgereisten  Kaufherrn;  der 
wird  ihm  außer  den  spärhchen  Aitien  der  Insel  Ikos  in  abend- 
füllendem Gespräch  noch  manches  andere  Aition  für  seine  gelehrten 
Zwecke  haben  beisteuern  können.  Auch  scheint  unverkennbar,  daß 
die  Mühe,  die  der  Dichter  auf  die  detaillirte  Ausmalung  des  Sym- 
posions verwendet,  ihren  vollen  Sinn  hat,  wenn  es  sich  dabei  um 
das  Leitmotiv  für  einen  größeren  Abschnitt,  nicht  um  ein  beliebiges 
Über,^'angsstück  zwischen  gleichwertigen  Partien  handelt.  Wir  kennen 
die  Übergangstechnik  des  Kallimachos  noch  zu  wenig,  um  bestimmt 
zu  urteilen;  bei  seiner  subjektiven  Art,  die,  wie  er  selbst  bekennt, 
im  Sack  behält,  was  ihm  paßt  (fr.  177  Sehn.),  und  verschweigt, 
was  ihn  langweilt  ^),  wäre  auch  jede  Verallgemeinerung  vom  Übel. 
Doch  darf  betont  werden,  daß  der  Übergang  zwischen  der  Kydippe^) 
und  einer  anschließenden  neuen  Geschichte  im  3.  Buche  der  Aitien 
in  knapper  Form  bewerkstelligt  wird,  auch  die  Theiodamasgeschichte  ^) 
bricht  zum  mindesten  kurz  ab.  Es  ist  psychologisch  auch  nur  be- 
gründet, wenn  im  Laufe  oder  gegen  Ende  einer  Darstellung  die 
Verknüpfungen  knapper  und  sorgloser  werden  als  in  Partien,  die 
dem  Auge  des  Lesers  zuerst  sich  darbieten. 

Als  Ersatz  für  die  vorerst  spärlichen  Reste  bei  Kallimachos 
bieten  gutes  Material,  Rahmenumfassung  und  Übergangstechnik  zu 
beobachten,  die  großen  Werke  Ovids,  der  in  Fasten  und  Metamor- 
phosen von  Kallimachos  stark  beeinflußt  ist;  in  diesem  Zusammen- 
hange kann  es  sich  naturgemäß  nur  darum  handeln,  die  Formen 
der  Verknüpfung  zu  verfolgen,  bei  denen  das  Kunstmittel  der  Unter- 
haltung, speciell  der  beim  Mahle,  zur  Anwendung  kommt.  Noch 
anknüpfend  an  altepische  Vorbilder  ist  es,  wenn  in  den  Fasten 
Ovid  sich  mehrerenorts  von  den  Musen  Auskunft  erteilen  läßt,  wenn- 
gleich seine  Auskünfte  specialisirter  sind ;  so  von  Erato  (IV  193  ff.), 
von  Klio  (VI  801  ff.),  oder  im  Wechselsange  von  drei  der  Musen  (V9fif. 
53  ff.  80  ff.).  Im  Falle  der  Erato  wird  diese  aber  bereits  als  Spre- 
cherin für  eine  Gottheit,  für  Kybele,  um  deren  Fest  es  sich  dreht, 

1)  Geschichte  vom  Esel,  Sitzungsber.  Berl.  Akad.  1914,  224.  243. 

2)  Oxyrh.  Pap.  VII  1011  v.  78  f. 

3)  Sitzungsber.  Berl.  Akad.  1914,  233.  236.  241. 


AUS  DEN  AlTIA  DES  KALLIMACHOS  175 

aufgeführt:  „Jemand,  o  Kybele,  gib,  den  ich  fragen  darf"  (IV  191). 
Unmittelbar  über  ihre  Angelegenheiten,  ihre  Feste  und  die  damit 
verbundenen  Aitien  geben  dem  Dichter  im  Zwiegespräch  eine  Reihe 
von  Göttern  Auskunft:  lanus  (I  89  ff.),  Mars  (HI  167  ff.),  Flora 
(V  183  ff.),  zweimal  Mercurius  (V  449fr.  695ff.),  Thybris  (V  637fr.), 
luno  (VI  18ff.)  und  Minerva  (VI  655  ff.);  Vesta  darum  nicht,  weil 
sie  nicht  einem  Manne  Antwort  stehen  darf  (VI  253  fl'.);  auf  eine 
Mitteilung,  die  Consus  (im  August)  machen  soll,  wird  verwiesen 
(III  199 f.).  Zuweilen  gibt  sich  der  Dichter  einige  Mühe,  die  Epi- 
phanie  des  Gottes  zu  schildern  (I  94.  III  171  f.  VI  637 f.)  oder 
seinen  Abgang  (V  375f.  661  f.)  und  so  etwas  wie  eine  Scene  zu 
gestalten,  meist  bleibt  die  Darstellung  im  Motiv  stecken.  Daß  die 
Einkleidungen  pures  Spiel  sind,  bekennt  Ovid  im  Prooemium  des 
VI.  Buches  selbst,  wo  er  sich  einen  Kritiker  entgegenhält,  der  die 
Wahrheit  seiner  Erzählungen  bezweifelt,  da  kein  Gott  einem 
Sterblichen  erscheine:  est  deus  in  nohis,  der  dichterische  Genius 
ist  es,  der  in  Wahrheit  die  Offenbarungen  zuteil  werden  läfst. 
Dreimal  finden  sich  Gestaltungen,  die  im  Typus  dem  Kallima- 
cheischen  Gespräch  näherstehen,  indem  Ovid  sich  bei  einem  Sterb- 
lichen Rats  erholt:  im  Circus  trifft  er  einen  alten  Mann,  ehe- 
maligen Kriegstribun,  der  ihm  über  die  Schlacht  bei  Thapsus,  die 
er  mitgemacht,  Auskunft  gibt  —  „weiteres  Gespräch  schnitt  ab  ur- 
plötzlicher Regen"  (IV  377 ff.).  Im  gleichen  Buche  (93 7 ff.)  führt 
sich  der  Dichter  ein,  wie  er  auf  dem  Wege  von  Nomentum  nach 
Rom  einem  Flamen  begegnet,  der  ein  Opfer  bringen  will,  dessen 
Gebet  er  anhört  und  von  dem  er  im  Wechselgespräch  die  ge- 
wünschten ätiologischen  Aufschlüsse  bezieht.  Zum  dritten  ist  es 
ein  Mütterchen,  das  dem  Dichter  entgegenkommt,  wie  er  vom  Vesta- 
feste  heimkehrt;  sie  beschreibt  ihm  den  früheren  sumpfigen  Zu- 
stand der  späteren  Fora;  mit  einem  Segenswunsch^)  nimmt  der 
Dichter  von  ihr  Abschied  (VI  399  ff.).  Ein  Symposiengespräch, 
wie  bei  Kallimachos,  findet  sich  in  den  Fasten  nicht.  Die  ausge- 
malteren Scenen  stehen  bei  Ovid  ohne  wesentlichen  Unterschied 
neben  anderen  Stellen,  an  denen  „der  Mund  früherer  Greise"  (II  584) 
Aufschluß  gibt  oder  ganz  prosaisch  „andere  —  andere  —  andere" 
aufgereiht   werden  '(I  323  ff.).     Das    Kunstprincip    der  Unterredung 

1)  Mit  einem  Segenswunsch  an  die  nasamonischen  Nymphen  scheint 
Kallimachos  einmal  eine  Aitienscene  geschlossen  zu  haben  (fr.  126:  Wila- 
mowitz,  Sitzungsber.  Berl.  Akad.  1914,  241). 


176  L.  MALTEN 

7U  dem  Zwecke,  eine  Scene  zu  gestalten,  ist  das  von  Kallimachos 
verwendete;  doch  wird  es  nur  als  Gelegenheitsmotiv  benutzt,  das 
der  Dichter  binnen  kürzestem  wieder  fallen  läßt;  nie  ist  mehr  als 
ein  Aition  einem  so  gewonnenen  Zusammenhange  eingereiht. 

Etwas  anders  ist  die  Lage  in  den  Metamorphosen.  In  ihnen 
tritt  die  Person  des  Dichters  völlig  hinter  dem  Stoffe  zurück;  nie, 
außer  in  der  hergebrachten  Anrufung  an  die  Muse,  führt  Ovid 
seine  Person  ein,  redend  oder  vernehmend.  Gleichwohl  wendet  er 
das  Kunstprincip,  durch  Unterredung  zwischen  zwei  Personen  Ge- 
legenheit zur  Einfügung  neuer  Verwandlungsgeschichten  zu  ge- 
winnen, ein  gutes  viertelhundert  Mal  an.  In  drei  Fällen  wird  die 
Situation  dahin  complicirt,  daß  in  die  eine  Begegnung  eine  zweite 
eingeschaltet  ist^),  auch  sie  wieder  mit  dem  Zweck,  neuen  Meta- 
morphosen Eingang  zu  gewähren.  In  der  Motivirung  der  Gespräche 
strebt  der  Dichter  Mannigfaltigkeit  an:  zuweilen  tritt  eine  Person 
an  die  andere  heran,  um  mit  ihr  zu  plaudern,  sie  etwas  zu  fragen 
oder  ihr  etwas  mitzuteilen  2),  zuweilen  ist  die  Einfügung  des  zweiten 
kunstvoller  aus  der  Handlung  heraus  motivirt:  seine  Erzählung 
bildet  zur  vorausgehenden  ein  Analogon^),  soll  Liebe  erwerben 
(XIII  91 6 ff.  XIV  698  ff.),  Mitgefühl  wecken  (XI  291  ff.  XIII  639  ff. 
XV  491  ff.)  oder  zur  Warnung  dienen  (II  549 ff.  X  559 ff.),  die 
Macht  der  Götter  (VI  316  ff.  383  ff.)  oder  ihren  drohenden  Zorn 
(I  209  ff.)  veranschaulichen,  eine  Ablehnung  motiviren  (XIV  464  ff.), 
Aufklärung  bringen  (XIV  130  ff.  XV  12  ff.).  Die  uns  besonders 
interessirende  Situation  eines  Mahles,  bei  dem  geplaudert  wird  und 
Geschichten  vorgetragen  werden,  die  auf  Verwandlungen  auslaufen, 
hat  Ovid   fünfmal   verwendet:   bei   seiner  Hochzeit    mit   Andromeda 


1)  Tiresias  prophezeit  das  Geschick  des  Pentlieus  (III  5121f.  526 ff.): 
in  die  Pentheusgeschichten  ist  eingelegt  die  Erzählung  des  Akoites  von 
der  Verwandlung  der  Seeleute  in  Delphine  (575  ff.).  Die  Musen  erzählen 
vom  Wettkampf  zwischen  ihnen  und  den  Pieriden  (V  300  ff.) ;  indem 
sie  den  Wettgesang  referiren,  lassen  sie  die  Pieriden  von  der  Verwand- 
lung der  Götter  in  Tiere  (318  ff.),  die  Kalliope  vom  Raube  der  Proser- 
pina singen  (841  ff.).  In  die  Erzählung  des  Makareus  von  seinen  Schick- 
salen bei  Kirke  (XIV  223  ff.)  ist  eingelegt  die  Metamorphose  des  Picus, 
die  dem  Makareus  bei  Kirke  eine  Magd  erzählt  hat  (318  ff.). 

2)  16880.  III  846  ff.  512  ff.  III  575  ff.  IV  43  ff.  167  ff.  274  ff.  767  fl'. 
787  ff.  V  256  ff.  274  ff.  300  ff.  VII  517  ff.  690  ff.  VIII  559 ff.  576  ff'.  607 ff'. 
717  ff.  IX  1  ff.  XI  752  ff.  XIII  739  ff. 

3)  IX  275  ff.  326  ff.  403 ff.  X  148  ff.  XII  155  ff.  182  ff.  541  ff.  XIV 
165  ff.  223  fi. 


AUS  DEN  AlTIA  DES  KALLIMACHO«  177 

erzählt  Perseiis  von  seinen  früheren  Taten  (IV  767  (T.  787 ff.),  beim 
Schmause  auf  Ägina  berichtet  Aiakos  von  der  Pest  und  der  Ent- 
stehung der  Myrmidonen  (VII  517(1'.  662.  690  ff.),  Theseus  kehrt, 
als  der  Acheloos  angeschwollen  ist,  beim  Flufsgottc  ein,  und  dort 
bei  Schmaus  und  Trank  erzählen  sie  Verwandlungsgeschichten 
(VIII  559 ff.  576 ff.  607  ff.  71 7  ff.  IX  Iff.  90 ff.),  Nestor  gibt  beim 
INIahle  achäischer  Fürsten  Kämpfe  der  Vorzeit  zum  besten  (XII 
155  ff.  182  ff.  541  ff.  578),  Anios  kündet  den  bei  ihm  einkehren- 
den Troern  beim  Mahl  die  Schicksale  seiner  Töchter  (XIII  639  ff. 
674).  Detaillirter  ausgemalt  wird  die  Rahmenerzählung  nirgends: 
höchstens  wird  hie  und  da,  wenn  die  Metamorphosen  innerhalb 
des  Rahmens  sich  häufen,  am  Schluß  der  langen  Scene  mit  kurzen 
Worten  oder  einem  knappen  Zuge  auf  die  vorausgesetzte  Situation 
wieder  verwiesen;  so  in  der  langausgesponnonen  Einkehr  beim 
Acheloos,  die  im  VIII.  Buche  beginnt  und  ins  IX.  hinübergreift; 
am  Schlufs  bringt  eine  Nymphe  köstliches  Obst  zum  Nachtisch, 
worauf  man  auseinandergeht  (IX  90  ff.),  oder  beim  Schmause  der 
achäischen  Fürsten,  wo  XII  578  wieder  ein  Schluck  getan  wird, 
nachdem  v.  156  der  erste  genommen  war. 

Das  Facit  ist,  daß  Ovid  das  Kunstmittel  der  Unterhaltung  als 
Rahmen-  und  Übergangsmotiv  kennt  und  gern  benutzt,  in  den  Fasten 
darin  dem  Kallimachos  näher,  daß  er  sich  selbst  einführt  und  sich 
von  anderen  Aitia  erzählen  läßt,  in  den  Metamorphosen  so,  daß  er 
mythische  Personen  zu  gegenseitiger  Erzählung  von  Verwandlungs- 
geschichten zusammenkommen  läßt.  Eine  detaillirte  Schilderung 
der  Zusammenkunft,  gar  mit  den  Feinheiten  wie  bei  Kallimachos, 
findet  sich  nirgends;  das  Wertvolle  der  Ovidischen  Biudescenen 
liegt  nicht  in  der  Ausgestaltung  der  Situation,  sondern  in  der  geist- 
reichen Art  der  Einfälle,  mit  denen  er  den  complicirten  Stoff  zu 
disponiren  und  aufzureihen  versteht;  wicAveit  er  hierin  original  ist, 
läßt  sich  noch  nicht  genauer  übersehen. 

Spuren  ähnlicher  Technik  finden  wir  auch  in  den  aitiologischen 
Elegien  von  Properz'  letztem  Buch,  die  den  Namen  des  Kallimachos 
an  der  Spitze  tragen  (1,64;  6,4).  Allerdings  zu  einem  wirklichen 
Gespräche  kommt  es  nicht.  Im  zweiten  Gedicht  berichtet  der  Gott 
Vertumnus,  aber  nicht  in  der  Form  einer  Unterhaltung  mit  dem 
Dichter,  sondern  gerichtet  an  irgendein  Publikum.  Im  ersten  Ge- 
dicht wird  ein  liospes  eingeführt,  aber  nicht  er  gibt  dem  Dichter 
Aufklärung  (etwa  wie  bei  Ovid),  sondern  in  seiner  stark  persönlich 
Hermes  LIII.  12 


178  L.  MALTEN 

nuauciiien  Art  ist  Properz  selbst  der  Periegel  durch  die  Größe  Roms: 
der  liospes  ist  eine  Folie,  die  der  Dichter  bald  fallen  läßt.  Auch 
sonst  in  dieser  Gediclitserie  führt  Properz  das  Wort  (wie  4,  2;  9,  72 ; 
10,  1),  selbst  der  Muse  teilt  der  Dichter  mehr  mit,  was  er  zu  sagen 
liat,  als  daß  er  sie  fragt  (6,  11  f.).  Da  Properz  Einzelgedichte  schafft, 
ist  eine  Übergangstechnik  nicht  zu  beobachten;  Eingänge  wie  4,  1 
{Tarpeium  nemus  . . .  fahor),  10,  1  {nunc  lovis  incipiam  caiisas 
aperire  Feretri)  stehen  nicht  anders  als  die  bekannten  Ovidischen 
Formeln.  Das  Lehrhafte,  das  der  aitiologischen  Dichtung  ihrer  Natur 
nach  innewohnt,  tritt  bei  den  Römern  unverhüllter  hervor  als  bei 
dem  Meister,  auf  dessen  Vorbild  sie  sich  berufen. 

Noch  ein  Wort  bleibt  zu  sagen  über  die  Stellung  des  neuen 
Bruchstücks  zu  dem,  was  wir  bisher  von  den  Kallimacheischen 
Aitia  wissen.  Wenn  0.  Schneider,  auf  das  Prooemium  gestützt, 
halte  glauben  können,  daß  Kallimachos  sich  seine  Aitien  von  den 
Musen  habe  eingeben  lassen,  so  ist  diese  Meinung  durch  alle  fol- 
genden Funde  widerlegt  worden.  Wie  der  Dichter  in  der  Kydippe 
energisch  mit  seiner  Person  in  die  Erzählung  eingreift,  sich  selbst 
apostrophirend  ^)  und  mit  Xenomedes  seine  Quelle  selber  citirend, 
so  zeigte  die  Geschichte  vom  Esel^)  noch  deutlicher  die  subjektive 
Art,  in  der  Kallimachos  seine  Muse  commandirt,  und  im  Theioda- 
raas^)  ist  er  selber  es,  der  das  Wort  an  seinen  Helden  Herakles 
richtet.  Das  neue  Bruchstück  hält  nicht  nur  denselben  ganz  per- 
sönlichen Ton;  es  rückt  uns  eine  Situation  unmittelbar  vor  die 
Augen,  die  den  Dichter  am  Werke  zeigt,  wie  er  sich  seines  Stoffes 
bemächtigt:  sein  Tafelfreund  Theugenes  ist  ihm  in  gewissem  Sinne 
die  lebendig  gewordene  Chronik  des  Xenomedes.  Fragt  man  aber 
jemanden  Auge  in  Auge,  so  rückt  von  selbst  das  Ziel  der  Frage 
in  die  vorderste  Reihe;  so  steht  in  dem  neuen  Bruchstück  die  Frage 
nach  dem  Aition  in  ganz  unverhüllter  Form  an  der  Spitze  der  Gon- 
versation,  während  bei  den  älteren  Funden  wie  z.  B.  der  Kydippe 
der  Fluß  der  Erzählung  sanft  an  Aitien  vorbeiführt^)  oder  schließlich 

h  Oxyrh.  Pap.YII  1011  v.  4ft.  48  f. 

2)  Sitzungsber.  Berl.  Akad.  1914,  224. 

P))  Sitzungsber.  a.  a.  0.  228. 

4)  v.  Arnim  in  .seinem  lesenswerten  Aufsatz  über  die  Kydippe  (Intern. 
Wochenschr.  1910,  10)  führt  gut  aus,  wie  das  Aitiologische  dem  Kydippe- 
stoff  an  sich  nicht  innehaftet  und  in  Kallimachos'  Darstellung  passenden 
Ortes  in  den  Gang  der  Erzählung  eingeschoben  wird. 


AUS  DEN  AITfA  DES  KALLIMACHOS  ]7<» 

in  ein  Aition  einmündet.    Der  verschiedene  StofT  gebot  verschiedene 
Behandlung.     Ein    vereinzelt   stehendes   Kultfaktum    wie    etwa    der 
Peleuskult  auf  Ikos  erledigt  sich  leicht   durch  Frage  und  Antwort; 
aber   die    aitiologische    Poesie    begnügt   sich    sowenig    wie   die   auf 
Verwandlung  oder  Versternung    ausgehende    mit   der  Deutung  ein- 
2elner  Sitten,  Bräuche,  Kulttatsachen,  die  einem  fragenden  |}edürfnis 
sich    als    erklärungsbedürftig    darstellten-,    sie    zieht    von    sich    aus 
iiltere  Geschichten,  die  in  sich  geschlossen  waren,  in  ihren  Bereich, 
um  sie  durch  neue  Behandlung  und  neuen  Aufputz  für  ihre  Zwecke 
zu    gewinnen.     Um    es    an    einem    Beispiel    zu    exemplificiren,  von 
dem  wir  Bearbeitungen    aus   verschiedener  Zeit    und   mit   verschie- 
denen Tendenzen  besitzen:  die  Sage  vom  Raube  der  Köre,  an  sich 
eine  alte  heilige  Geschichte,  wird  im  homerischen    Demeterhymnus 
der  eleusinischen  Kultlegende  und  im  Traktat  des  Berliner  Museums  *) 
orphischen  Vorstellungen  dienstbar  gemacht;  die  gleiche  Geschichte 
gestaltet  Kallimachos  zu  einem  aitiologischen  Gedichte^),  durch  Ent- 
wicklung und  Einreihung  von  Einzelailien,  ohne  daß  die  Geschichte 
in  ihrem  Hauptziel  aitiologisch  wird;  ihm  folgt  Ovid  in  den  Fasten 
{IV  393  ff. K     In    den    Metamorphosen  (V  341  ff.)    verfährt    der    rö- 
mische Dichter  principiell  wie  sein  griechischer  Vorgänger,  wenn  er 
dem   gleichen  Stoffe   an  Stelle   der  Aitien  Verwandlungsgeschichten 
einfügt,  auch  hier,  ohne  die  Geschichte  in  ihrer  Hauptsache  zu  einer 
Metamorphose  zu  machen.    Wir  tun  hier  in  den  poetischen  Werde- 
gang eines  Stoffes   und  seine  Abwandelungen  lehrreiche  Einblicke ; 
die   Geschicklichkeit   dürfen  wir   bewundern,  wie  Alexandriner   und 
Römer   den  überkommenen  Stoff  nach   ihrem   Geschmack   modeln, 
auch  wenn  uns  die  alte  Geschichte  ebenso  lieb  ist  wie  Aition,  Meta- 
morphose und  Katasterismos  uns  kühl  lassen. 

Berlin.  LUDOLF  MALTEN. 


1)  Berliner  Klassikertexte  V  1.  7 ff.  (Bücheier). 

2)  Reconstruirt  in  d.  Z.  XLV  1910  S.  560 ff.;    dazu   v.  Wilamowitz, 
Sitzungsber.  der  Berl.  Akad.  1912,  524  tf.  535. 


12* 


ZUR  GESCHICHTE  GROSSGRIECHENLANDS 
IM  5.  JAHRHUNDERT. 

Die  Geschichte  der  unteritahschen  Griechenstädte  ist  bekannt- 
lich eines  der  dunkelsten  Kapitel  der  klassischen  Zeit;  ein  paar  meist 
mangelhaft  datirte  Fakta,  wie  der  Fall  von  Siris,  der  von  Sybaris,. 
die  Katastrophe  der  Pythagoreer,  stehen  7,usammenhangslos  vor  uns. 
Nur  wenn  fremde  Großmächte  eingreifen,  Athen  oder  Dionysios  I., 
fällt  gelegentlich  etwas  Licht  auf  die  Zustände  der  Colonialstaaten. 

Mit  Recht  hat  man  sich  daher  längst,  um  die  gröbsten  Linien 
der  politischen  Entwicklung  zu  fassen,  der  Münzen  bedient,  die  von 
der  zweiten  Hälfte  des  6.  Jahrhunderts  ab  vorhanden  sind,  und 
deren  älteste  Gruppen  sich  durch  die  eigentümliche  inkuse  Prägung 
der  Rückseite  chronologisch  genau  absondern  lassen.  Hier  sei  auf 
Grund  der  Münzen  eine  Tatsache  näher  beleuchtet,  die  bisher  wohl 
berührt  und  geahnt,  aber  nie  scharf  formulirt  worden  ist. 

Wir  haben  aus  Unteritalien  zahlreiche  sogenannte  Bündni?- 
münzen,  die  die  Namen  von  zwei  Städten  geben  —  meist  auf  die 
beiden  Seiten  verteilt  —  und  die  aus  dem  6.  in  das  5.  Jahrhundert 
überleiten,  gelegentlich  auch  noch  später  vorkommen.  Abgesehen 
von  einigen  nicht  mehr  .sicher  zuzuweisenden  Münzen,  die  wir  hier 
beiseite  lassen  dürfen,  und  einigten  anderen,  stets  mit  Kroton  ge- 
paarten Städten,  bei  denen  die  Identificirung  strittig  ist  und  die 
nachher  behandelt  werden  sollen,  begegnen  uns  folgende  Städte- 
paare: Siris  und  Pyxüs,  Sybaris  und  Poseidonia,  Kroton  und  Sybaris. 
Kroton  und  Temesa,  Kroton  und  Pandosia,  Kroton  und  Kaulonia. 
Kroton  und  Zankle,  Mystia  und  Hyporon^). 

Die  Richtigkeit  der  Bezeichnung  als  Bundesmünzen   läßt   sich 

1)  Head,  H.  N.2  83 ft'.  95.  105;  Br.  Mus.  Cat.  Italy  283.  287.  357;  Ba- 
lteion, Traite  des  monnaies  grecques  et  romaines  II  1  (1907)  1455ff» 
TiCtzterer  will  statt  Temesa  Terina  einsetzen.  Das  verbietet  aber  der 
Münztyp  des  Helms,  der  auf  den  Münzen,  die  Temesa  allein  schlägt., 
i'.bcnfalls  begegnet. 


GROSSG  RIECHEN  LAND  IM  5.JAHKH.  l,sl 

an  Material  aus  anderen  Teilen  der  griechischen  Welt  niclil  nacli- 
prüfen,  da  wir  analoge  Erscheinungen  bei  politisch  selbständigen 
Staaten,  deren  gegenseitige  Beziehungen  die  literarischen  Quellen 
aufklären,  nicht  finden,  wenn  auch  bei  der  zweifellosen  Prägung 
von  Bündnismünzen  seitens  Rhodos,  Ephesos  usw.  im  4.  Jahrhun- 
dert die  Münzen  ganz  anders  aussehen.  Auffallend  aber  ist,  daß 
in  den  Fällen,  wo  das  Material  ein  Urleil  gestattet  (bei  Kroton  und 
seinen  , Bundesgenossen"),  neben  der  Prägung  beider  Staaten 
immer  noch  eine  lokale  Prägung  des  einen  Staates,  und  zwar 
immer  des  mächtigeren,  einhergeht,  während  der  schwächere  in 
der  betreffenden  Zeit  immer  nur  auf  den  „ Bündnismünzen "  be- 
gegnet. Der  letztere  kann  also  nicht  in  einem  acquiim  foedus  auf 
die  Münzherrlichkeit  verzichtet  haben,  sonst  müßte  der  andere  Ver- 
tragschließende ein  gleiches  getan  haben  und  sich  auf  die  gemein- 
samen Emissionen  beschränken  oder  aber  dem  Schwächeren  aucli 
die  eigene  Prägung  zugestehen. 

Zu  denken  gibt  ferner  die  gemeinsame  Prägung  von  Sybaris  und 
Kroton.  Die  Münzen  sind  keineswegs  die  archaischsten,  die  beide 
Städte  haben,  können  also,  da  die  Prägung  in  Unterilalien  erst  um 
-550  und  meist  später  einsetzt,  frühestens  in  das  letzte  Menschenalter 
des  6.  Jahrhunderts  fallen.  Das  wäre  also  die  Zeit,  deren  Entwick- 
lung in  der  Zerstörung  von  Sybaris  eben  durch  Kroton  gipfelt;  denn 
daß  die  beiden  Städte  aus  bester  Freundschaft  und  einem  Bündnis 
von  heute  auf  morgen  in  einen  Zustand  solcher  Feindschaft  über- 
gehen, daß  kein  Friedensvertrag,  sondern  nur  der  Untergang  des  einen 
Staates  den  Gonflict  enden  kann,  wird  kein  Verständiger  annehmen. 

Dann  gehören  die  Münzen  in  die  Zeit  nach  dem  Fall  von 
Sybaris,  als  das  Gebiet  dieser  Stadt  zu  Kroton  gehört.  Man  muß 
sich  dann  freihch  zu  der  Annahme  verstehen,  daß  nach  510  (?) 
noch  ein  kleines  Sybaris  weiterbestanden  hat  als  Teil  des  krotoni- 
■atischen  Staatsgebietes.  Das  ist  an  sich  nicht  unmöglich  und  wird 
sogar  von  anderer  Seite  nahegelegt.  Unmöglich  ist  es  deswegen 
nicht,  weil  auch  Milet,  das  wie  Sybaris  gefallen  ist,  und  dessen 
Untergang  in  der  griechischen  Welt  genau  solch  einen  Widerhall 
«rweckt  hat  wie  der  von  Sybaris,  in  reducirtem  Maßstabe  und,  wie 
die  Tributlisten  zeigen,  als  arme  Stadt  weiterbestand  ^).    Nahegelegt 

1)  Man  vergleiche  auch  wie  Selinus  bald  nach  der  Zerstörung  durch 
die  Karthager  doch  noch  existirt  und  wohl  unbefestigt,  aber  nicht  ein 
Trümmerhaufen  ist  (Diod.  XIII  63, 3). 


182  U.  KAHRSTEDT 

wird  die  Vermutung  aber  durch  die  ständige  Erwähnung  von  „Sy- 
bariten",  die  eine  selbständige  Pohtik  treiben,  im  5.  Jahrhundert. 
Die  Sybariten  bilden  in  der  Bürgerschaft  von  Thurioi  eine  ge- 
schlossene zahlreiche  und  bedeutende  Gruppe,  spielen  eine  große 
Rolle,  bis  sie  schließlich  verjagt  werden  (Diod.  XII  11,  1).  Und 
diese  Sybariten  sind  nicht  etwa  zur  Gründung  von  Thurioi  aus 
aller  Welt  zusammengelaufen,  sondern  sie  haben  schon  vorher  (453 ?> 
versucht,  selbst  einen  von  Kroton  unabhängigen  Staat  zu  gründen 
(Diod.  XI  90,  3,  wonach  XII  10,2  zu  interpretiren  ist),  und  schon 
zur  Zeit  Hierons  hören  wir  (Diod,  XI  48,  4)  von  einer  Belagerung 
der  Sybariten  durch  die  Krotoniaten.  Man  könnte  ja  noch  allen- 
falls daran  denken,  daß  es  sich  um  die  nach  Herod.  VI  21  nach 
Laos  und  Skidros  oder  in  andere  Städte  der  Gegend  geflüchteten 
Reste  bzw.  ihre  Nachkommen  handelt.  Aber  es  hieße  doch  den 
Quellen  Gewalt  antun ,  wenn  man  eine  Belagerung  der  Sybariten 
deuten  wollte  als  Belagerung  einer  Stadt,  in  der  neben  den  Bürgern 
auch  viele  sybaritische  Familien  (und  dann  doch  als  Metoiken) 
wohnen  ^).  Vollends  wäre  gar  nicht  zu  verstehen ,  wie  dann  die 
Sybariten  als  solche  sich  an  Hieron  um  Hilfe  wenden  und  später 
mit  dem  Demos  von  Athen  in  internationale  Verhandlungen  ein- 
treten sollten  (Diod.  XII  10,  3  f.).  Dazu  kommt  eine  andere,  grund- 
sätzliche Erwägung:  Wenn  die  Sybariten  wirklich  sich  um  510 
alle  zerstreut  haben,  nirgends  mehr  geschlossen  sitzen,  und  mit 
der  Belagerung  von  „Sybaris"  eine  solche  z.  B.  von  Laos  gemeint 
ist,  sollen  sie  da  noch  nach  zwei  Menschenaltern  ein  so  starkes 
Zusammengehörigkeitsgefühl  haben,  daß  das  zu  einer  praktischen, 
von  ihnen  durchgeführten  Politik  die  Grundlage  abgibt?  Die  Juden 
haben  es  dank  ihrer  sie  isolirenden  und  aufeinander  anweisenden 
Religion  auch  in  der  Diaspora  behalten,  aber  ein  entsprechendes 
Bindeglied  fehlte  bei  den  Sybariten  durchaus.  Die  Aigineten,  die 
von  den  Athenern  verjagt  und  durch  Sparta,  also  in  einer  Hand 
vereinigt,  im  wesentlichen  (Thuk.  II  27,  2)  geschlossen  angesiedelt 
werden,  können  nach  einem  Menschenalter  wieder  geschlossen  in 
ihre  alte  Heimat  überführt  werden,  aber  von  den  Einwohnern  von 
Skyros,    denen  es  475  so  geht,  wie   es  vorher   den  Sybariten   ge- 

1)  397  belagern  die  Peloponnesier  Atarneus.  Ihr  Angriff  gilt  vor 
allem  den  demokratischen  Chiem,  die  vor  ein  paar  Jahren  dort  Auf- 
nahme gefunden  haben;  trotzdem  wird  kein  Mensch  den  Vorgang  eine 
Belagerung  der  Chier  nennen. 


GROSSGRIPXHENLAND  IM  5.  JAIIRH.  183 

gangen  sein  soll,  ist  404,  also  auch  nach  zwei  Menschenaltern, 
keine  Spur  mehr  vorhanden.  Sie  sind  von  ihren  neuen  Heimats- 
orten aufgesogen,  Sparta  findet  keine  Skyrier  mehr  vor,  die  es  auf 
ihre  hisel  zurückführen  könnte. 

Es  liegt  meines  Erachtens  auf  der  Hand,  dai:-.  es  die  ganze 
Zeit  ühcr  ein  kleines,  wohl  unbefestigtes  und  zu  Kroton  gehöriges 
Sybaris  gegeben  hat,  und  daß  die  „Ansiedlungsversuche''  irn  5,  Jahr- 
hundert nur  Versuche  sind,  sich  unabhängig  zu  machen,  die  Belage- 
rung von  Sybaris  zur  Zeit  des  Hieron  die  Niederwerfung  einer  solchen 
Erhebung  darstellt.  Und  zu  diesem  Sybaris  gehören  dann  natürlich 
die  auf  den  engen  Zusammenhang  mit  Kroton  weisenden  Münzen  ^^i. 
Die  Prägung  wird  dann,  da  sie  noch  der  älteren  inkusen  Münz- 
prägung angehört,  die  bis  in  die  Zeiten  der  Perserkriege  hinab- 
reicht, um  500  bis  480  anzusetzen  sein,  d.  h.  sie  geht  chronolo- 
gisch ungefähr  zusammen  mit  den  Prägvmgen  Kroton-Temesa  und 
Kroton -Kaulonia,  die  etwa  um  480  beginnen,  und  gehurt  in  die 
gleiche  Zeit  wie  die  von  Kroton-Pandosia,  die  man  aur-h  nicht  allzu- 
lange vor  480  ansetzen  darf^). 

Auf  noch  sichererem  Boden  für  die  Clironologie  stehen  wir  bei 
den  Münzen  Kroton-Zankle  (Hill,  Coins  of  Sicily  70 f.).  Ihre  Zeit 
ist  dadurch  bestimmt,  daß  Messene  nur  vor  ca.  493  und  nach  dem 
Sturz  der  Anaxilaiden  ca.  460  noch  einmal  vorübergehend  Zankle 
hieß.  Die  erstere  Zeit  scheidet  durch  den  Stil  der  Münzen  aus 
(Babelon  a.  a.  0.).  Allzulange  nach  460  werden  wir  aber  auch 
nicht  herabgehen  dürfen,  denn  das  Kroton,  das  Thurioi  und,  wie 
wir  sehen  werden,  Kaulonia  nicht  zu  behaupten  vermag,  wird  nicht 
bis  Sicilien  ausgreifen,  Hill  erklärt  die  recht  seltenen  Münzen  so, 
daß  bei  den  Wirren  in  der  Meerengenstadt  nach  dem  Sturze  der 
Tyrannen  eine  Partei  sich  Kroton  in  die  Arme  warf:  und  das  Avird 
richtig  sein.  Dann  ist  eben  auch  Zankle,  wenn  auch  nur  ganz 
vorübergehend,  im  Machtgebiet  von  Kroton  aufgegangen,  ein  bei 
dem  vulkanischen  Charakter  der  sicilischen  Geschichte  ganz  glaub- 
licher Vorgang,  wo  ganze  Städte   mit   einer  Leichtigkeit   ihre  poli- 

1)  Die  Sybariten,  die  Herodot  (V  44)  ah  seine  Quelle  anführt,  sind 
wohl  die  Leute  von  Sybaris  am  Traeis  (Diod.  XII  22,  1),  man  kann  aber 
auch  hier  an  die  Sybariten  der  krotouiatischen  Zeit  denken,  von  denen 
er  als  Colonist  in  Thurioi  viele  kennengelernt  haben  wird. 

2)  Siehe  das  Material  bei  Head,  H.  N.^95;  die  Prägung  Krotoii- 
Temesa  reicht  vielleicht  durch  beide  Perioden,   vor  480  und  nach  48'J. 


184  U.  KAHRSTEDT 

tische  Existenz  verlieieu  oder  gewinnen,  die  im  Mutterlande  uner- 
liört  wäre;  man  denke  an  Gela,  Katana,  Leontinoi  usw. 

Aufser  den  besprochenen  Münzen  begegnet  uns  Kroton  gepaart 
mit  Städten,  die  folgende  Abkürzungen  haben:  ME,  IM,  9,  lA,  YAI, 
OP  (Babelon  a.  a.  0.).  Von  diesen  ist  nach  dem  bisher  über  die 
Ausdehnung  von  Krotons  Macht  Gesagten  Ms[djiia]  sofort  klar,  OP 
wird  der  später  von  Plinius  n.  h.  III  73  genannte  Ort  Portus  Orestis 
südlich  von  Medma  sein;  die  übrigen  Namen  bleiben  unklar.  Es 
müssen  Orte  im  Reich  von  Kroton  gewesen  sein ;  daß  die  Literatur 
von  ihnen  schweigt,  braucht  nicht  wunderzunehmen:  von  Con- 
sentia  wüßten  wir  auch  nichts,  wenn  nicht  gerade  die  bruttische 
Jlegierung  sich  dort  niedergelassen  und  den  Angriff  Alexanders  des 
Molossers  dort  abgewehrt  hätte. 

Die  Zeit  der  Begründung  des  Reiches  läßt  sich  noch  ungefUhr 
angeben.  Der  Fall  von  Sybaris  gehört  um  510,  die  Stadt  Kaulonia 
prägt  eigene  Münzen  ohne  Nennung  Krotons  während  der  ersten 
Periode  der  unteritalischen  Münzgeschichte  (Head,  H.  N.'-^  92),  also 
auch  bis  um  die  Jahrhundertwende;  auch  die  Gewinnung  von  Temesa 
gehört  nach  den  Münzen  in  diese  Zeit,  zumal  eine  Verdrängung  Lokrois 
aus  dieser  Gegend,  die  nach  Strabo  VI  1,  5  angenommen  werden 
muß,  erst  am  Ende  des  6.  Jahrhunderts  möglich  war,  in  dessen  Ver- 
lauf Lokroi  durchaus  der  mächtigere  Staat  gewesen  ist  (Schlacht  am 
Sagras).  Die  Gründung  von  Terina  ([Skyl.]  306  u.  ö.)  wird  damit 
gleichzeitig,  die  Gewinnung  von  Medma  bald  darauf  erfolgt  sein*). 

Wir  beobachten  also  eine  Abhängigkeit  oder  Zugehörigkeit  aller 
großitalischen  Städte  südlich  von  Metapont  und  Velia,  ausgenommen 
Rhegion,  Lokroi,  Laos  und  Skidros,  zeitweilig  auch  von  Zankle,  zu 
Kroton,  die  in  die  erste  Hälfte  des  5.  Jahrhunderts  gehört.  Der 
Höhepunkt  der  Entwicklung  lag,  wie  die  Münzen  von  Kroton-Zankle 
gelehrt  haben,  in  den  Jahren  bald  nach  460.  Und  zwar  hat  es 
sich  dabei  um  eine  Ausdehnung  der  nöXtg  Kroton  gehandeil,  nicht 
um  eine  lockere  Symmachie.  Das  erhellt  daraus,  daß  alle  Städte 
gleichmäßig  ebenso  wie  Sybaris  behandelt  werden,  das  nach  510 
unmöglich  so  zu  Kroton  gestanden  haben  kann,  wie  etwa  Chios  zu 
Athen  oder  Tegea  zu  Sparta. 

1)  Daß  vriv  keine  Belege  für  die  Zugehörigkeit  von  Hipponiou  zu 
Kroton  haben,  wo  alle  seine  Nacbbani,  Terina,  Kaulonia  und  Medma, 
ihre  Unabhängigkeit  verloren  haben,  ist  sicherlich  Zufall.  Wir  werden 
uns  diese  Stadt  auch   von  Kroton  abhängig  denken  dürfen. 


GROSSGRIECHENLAND  IM  ;'),.!  AHRU.  185 

Der  Zusammenbruch  des  Reiches,  wie  wir  es  mil  guleni  Ge- 
wissen nennen  können,  ist  sehr  rasch  erfolgt.  Um  453  können 
sich  die  Sybariten  von  Kroton  lossagen  und  5  Jahre  unabhängig 
behaupten;  in  den  40er  Jahren  muß  Kroton  die  Gründung  von 
Thurioi  und  bald  darauf  die  eines  neuen  Sybaris  mit  ansehen  (Diod. 
XII  22,  1).  Die  Münzen  lehren,  daß  in  Pandosia  eben  um  450  die 
selbständige  Prügung  beginnt;  und  daß  sogar  die  krotonialische 
Golonie  Terina  zur  Zeit  der  Gründung  von  Thurioi  unabhängig  ist, 
lernen  wir  aus  Polyain.  il  10.  wozu  die  Münzen  auf  das  beste  stim- 
men. Auch  Kaulonia  hat  einen  Münztyp,  der  bis  388  benutzt 
worden  ist  und  ziemlich  lange  im  Gebrauch  war;  es  liegt  nahe,  die 
Unabhängigkeit  auch  dieser  Stadt  in  dieselbe  Zeit  zurückzudatiren. 
Oßenbar  ist  damals  das  krotonialische  Reich  in  seine  Bestandteile 
auseinandergefallen.  Denn  wenn  selbst  die  unmittelbaren  Nachbarorte 
auf  eigenen  Füßen  stehen,  wird  Kroton  nicht  mehr  imstande  gewesen 
sein,    etwa  Medma  zu    behaupten,  von  Zankle  ganz  zu  schweigen. 

Man  hat  schon  früher  (vgl.  Beloch,  Gr.  Gesch.  11  1  2,  199)  den 
Versuch,  Sybaris  unabhängig  zu  machen,  mit  dem  Sturz  der  Pytha- 
goreer  in  Verbindung  gebracht.  Und  daß  damals  Kroton  auf  das 
äußerste  zerrüttet  und  geschwächt  wurde,  ist  nach  dem  reicheren, 
hier  vorgelegten  Material  ganz  offenkundig.  Die  nackten  Daten  zeigen 
uns,  daß  die  Errichtung  des  Reiches  und  sein  Zusammenbruch  ein 
Widerschein  der  Geschichte  der  Pythagoreer  sind.  Man  versteht  nun 
auch,  was  es  heißt,  wenn  überliefert  wird,  daß  diese  Sekte  viele  Städte 
in  Unteritalicn  beherrscht  habe.  Das  wäre  eine  merkwürdige  Sache, 
wenn  all  die  Staaten  unabhängig  nebeneinander  stünden.  Dann 
müßte  man  es  sich  so  vorstellen,  daß  in  jeder  einzelnen  Stadt  die 
gleiche  Entwicklung  durchlaufen  wird  und  eine  analoge  Hetairie  die 
Macht  gewinnt.  Jede  einzelne  dieser  Regierungen  aber  stünde  für  sich, 
hätte  doch  nur  die  lokale  Politik  ihrer  Heimatstadt  treiben  können, 
und  die  Behauptung,  „die  Pythagoreer"  als  solche  hätten  die  groß- 
griechischen Städte  beherrscht,  wäre  ebenso  verkehrt  wie  etwa: 
adie  Tyrannen"  beherrschen  um  550  die  griechischen  Staaten.  Vor 
allem  aber  wäre  unklar,  wie  ein  Schlag  die  ganze  Herrlichkeit  zu 
Boden  werfen  konnte. 

Ganz  anders,  wenn  man  sich  vorstellt,  daß  die  Pythagoreer 
nur  in  Kroton,  das  ja  auch  immer  als  ihr  Sitz  schlechthin  erscheint, 
zur  Macht  gelangt  sind,  und  daß  das  durch  sie  organisirte  und 
disciphnirte  Kroton  mächtig  ausgreift,  ähnlich  wie  in  weit  größerem 


186  U.  KAHRSTEDT 

Maßstabe  der  Getenstaat  des  Burebista  oder  das  Medina  Mohammeds 
nach  einer  ähnlichen  reh'giösen  Reform  getan  haben.  Und  die 
Möglichkeit  ihres  Sturzes  durch  einen  Staatsstreich  wird  auch  deut- 
licher: in  der  Republik  Kroton  ist  eben  eine  Revolution  ausgebro- 
chen, die  im  ganzen  Umfang  des  betroffenen  Staates  neue  Macht- 
haber ans  Ruder  brachte. 

Durch  das  Gesagte  können  wir  nun  die  Pythagoreerkatastrophe 
genauer  datiren,  als  es  bisher  möglich  war.  Daß  sie  vor  den  Aus- 
einanderbruch des  Reiches,  der  um  453  fühlbar  wird,  gehört,  ist 
immer  anerkannt  worden;  jetzt  sehen  wir,  daß  zur  Zeit  des  Sturzes 
der  Tyrannen  von  Rhegion  Kroton  erst  auf  den  Gipfel  seiner  Macht 
gelangte  (ca.  460).  Die  Zeit  für  die  Katastrophe  der  Sekte  schrumpft 
also  auf  die  Jahre  459  bis  454  zusammen.  Es  ist  nicht  unmög- 
lich, daß  die  Überspannung  des  Rogens,  die  in  dem  Hinübergreifen 
bis  Sicilien  liegt,  und  der  darauf  folgende  Rückschlag  wenigstens  einen 
der  Anlässe  zu  der   demokratischen  Reaktion    in  Kroton  darstellen. 

Wichtiger  aber  noch  ist,  daß  wir  nunmehr  die  politische  Be- 
deutung dieser  Revolution  klar  erfassen  können.  Ihre  Folge  war 
ebenso  wie  die  der  Vertreibung  der  Tyrannen  in  Sicilien  im  glei- 
chen Menschenalter:  die  mühsam  zusammengebrachten  größeren 
Staatengebilde  fielen  sofort  wieder  in  ihre  alten  Restandteile  aus- 
einander. Wie  der  Sturz  der  Deinomeuideu  und  die  folgenden  Wirren 
Gela,  Kamarina,  Katana,  Leontinoi  usw.  wieder  von  Syrakus  trenn- 
ten, so  treten  neben  Kroton  wieder  Sybaris  am  Traeis  (Diod.  XII 
22,  1),  Thurioi,  Kaulonia,  Terina,  Temesa,  Pandosia,  Medma,  Hip- 
ponion,  vielleicht  auch  Petelia.  Wir  haben  also  jetzt  9  — 10  Klein- 
staaten statt  einer  Großmacht.  Vermutlich  ist  auch  ein  Zusammen- 
hang zwischen  diesen  Vorgängen  und  dem  erwachenden  Angriffs- 
geist der  Stämme  des  Hinterlandes  in  der  2.  Hälfte  des  5.  Jahrhundert^^ 
zu  constatiren.  Die  Widerstandskraft  des  unteritalischen  Griechen- 
tums muß  durch  die  Revolution  in  Kroton  ebenso  schwer  gelitten 
haben  wie  durch  den  Fall  von  Siris  und  Sybaris. 

Denn  eine  Großmacht  im  Sinne  des  5.  Jahrhunderts  war  das 
])ythagoreische  Kroton  sicher.  Das  durch  die  Münzen  als  krotoniatisch 
erwiesene  Gebiet  zwischen  Metapont,  Laos  und  Skidros  einerseits. 
Lokroi  und  Rhegion  andrerseits  hat  mit  Zankle  ungefähr  9000  qkni 
umfaßt,  viermal  soviel  M"ie  Attika,  ebensoviel  wie  Lakonion  mit  Mes- 
senien    und   kaum  weniger    als  Thessalien  und   seine  Nebenländer. 

Die  partiknlaristische  Bewegung  hat  sich  im  5.  Jahrhundert  voll 


GROSSGRIECHENLAND  IM  5.  JAHRH.  187 

ausgewirkt.  Auch  Lokioi  ist  nicht  imstande  gewesen,  die  vor  7,wei 
bis  drei  Menschenallern  an  Kroton  verlorenen  Gebiete  zurückzuge- 
winnen: Thuk.  V  5,  3  hegt  es  mit  Ilipponion  und  Medma  im  Kampfe; 
es  ist  offenbar,  daß  die  Gegend  von  Temesa  erst  recht  nicht  in 
seine  Hand  zurückgelangt  ist.  Auf  der  bruttischen  Halbinsel  gibt 
es  also  um  460  fünf  Staaten,   im  Jahre  440   mindestens  vierzehn. 

Neben  den  Münzen  Krotons  haben  wir  noch  (Head,  H.  N.^  85) 
Münzen  von  Poseidonia  und  Sybaris  aus  der  Mitte  des  5.  Jahr- 
hunderts. Sie  bezeichnen  eine  Abhängigkeit  der  Sybariten  von 
Poseidonia,  nicht  umgekehrt,  wie  erstens  die  ganzen  Zeitumstände 
dartun  und  zweitens  die  Währung  lehrt,  die  beweist,  daß  die  Stücke 
in  Sybaris  und  nicht  in  Poseidonia  umlaufen  sollten,  also  über  die 
Rechtsstellung  von  Sybaris,  nicht  von  Poseidonia  Auskunft  geben 
können.  Es  handelt  sich  bei  diesem  Sybaris  ejitweder  um  die  dritte 
Stadt  dieses  Namens,  die  am  Traeis,  am  Südrande  des  alten  Staats- 
gebietes, gegründet  wurde,  als  die  Sybariten  aus  dem  zweiten  Sybaris 
(Thurioi)  von  den  andern  Colonisten  verjagt  wurden,  oder  um  den 
bei  dem  Aufstand  von  453  vorübergehend  wieder  belebten  Staat, 
aber  nicht  um  Thurioi,  das  niemals  von  Poseidonia  abhängig  oder 
gar  ihm  zugehörig  gewesen  sein  kann.  Das  junge,  schwache  Sy- 
baris hat  sich  dann,  um  gegen  Kroton  oder  Kroton  und  Thurioi 
bestehen  zu  können,  einmal  Poseidonia  in  die  Arme  geworfen,  der 
mächtigsten  unter  den  Pfianzslädten  des  alten  großen  Sybaris. 
Auch  dieser  Umstand  ist  für  die  oben  S.  182  behandelte  Frage  von 
Bedeutung,  ob  die  Sybariten  von  476  und  453  die  nach  Laos  und 
Skidros  geflüchteten  Familien  darstellen.  Wären  nämlich  diese 
beiden  Städte  wirklich  die  Basis  für  den  Versuch  der  Wiederher- 
stellung von  Sybaris  gewesen,  so  wären  sie  die  gegebenen  Schutz- 
mächte, nicht  das  ferne  Poseidonia,  —  sie  werden  sich  eben  ge- 
hütet haben,  zu  einem  Anschlag  auf  den  Staatsbestand  des  sie 
übermächtig  umklammernden  Kroton  die  Hand  zu  bieten. 

Die  bisher  nicht  berührten  Münzen  von  Siris  mit  Pyxüs  sind  klar 
und  haben  nie  zu  Schwierigkeiten  Anlaß  gegeben.  Wir  werden  nach 
dem  Gesagten  nur  constatiren  dürfen,  daß  Pyxüs  vor  dem  Fall  von 
Siris  unmittelbar  zum  Gebiet  seiner  Mutterstadt  gehört  hat,  nicht  sein 
Bundesgenosse  im  Sinne  der  Symmachien  Spartas  oder  Athens  war. 

Berlin -Steglitz.  ULRICH  KAHRSTEDT. 


ÜBER  DIE  ABFASSUNGSZEIT  EINIGER  SCHRIFTEN 

SENECAS. 

I. 

Senecas  Schrift  de  hrevitnte  vifae  (X  in  der  Sammlung  der 
Dialogi)  ist  einem  gewissen  Paulinus  gewidmet,  der  zur  Zeit  der  Ab- 
fassung der  Schrift  ein  hohes,  mühe-  und  verantwortungsvolles  Amt 
zu  allgemeiner  Zufriedenheit^)  bekleidete,  von  dem  ihm  aber  nichts- 
destoweniger Seneca  dringend  rät  zurückzutreten,  damit  er  von  nun 
an  ganz  sich  selbst  und  den  Wissenschaften  lebe  (c.  18,  1  in  tran- 
quüliorem  porhmi  reccdc;  aliquid  temporis  tui  sume  etiam  tibi 
usw.) ;  Paulinus  sei  zu  Besserem  berufen  (c.  18,  4  maius  quiddam 
et  altins  de  te  promiseras).  Jenes  Amt  war,  wie  zuerst  Hirschfeld  ^) 
ausgesprochen  hat,  die  Praefectura  annonae,  die  die  Fürsorge  für 
den  Gelreidebedarf  der  Bevölkerung  der  Hauptstadt  in  sich  schloß 
(c.  18,5  cum  venire  tibi  Inimano  negotium  est;  c.  18,4  ut  tibi 
nmlfa  milia  frumenti  comniitterentur,  usw.)  Praefectus  annonae 
war  während  eines  großen  Teils  von  Senecas  Lebenszeit,  nämlich 
zum  mindesten  von  August  14  (Tac.  a.  I  7)  bis  Oktober  48  n.  Chr. 
(Tac.  a.  XI  31)  oder  gar  noch  länger,  aber  gewiß  nicht  viel  länger, 
C.  Turranius ;  von  55  bis  62  war  es  Faenius  Rufus ;  dessen  nächsten 
Nachfolger  kennen  wir  nicht.  Wir  haben  also  die  Wahl,  die  Ab- 
fassung der  an  den  Praefectus  annonae  Paulinus  gerichteten  Schrift 
in  die  Zeit  zwischen  Ende  48,  in  der  Annahme,  daß  Turranius  noch 
in  diesem  Jahre  einen  Nachfolger  erhalten  hat,  und  55,  oder  aber 
in  die  letzten  Lebensjahre  Senecas  (62  —  65)  zu  setzen.  Man  setzt 
nun  gewöhnlich  die  Schrift  ganz  in  den  Anfang  des  ersten  der  beiden 
genannten  Zeiträume,  in  das  Jahr  49  (oder  Schluß  48),  wegen  einer 
eigentümlichen  Erwähnung  eines  der  sieben  Hügel  Roms,  des  Mons 
Aventinus,  c.  13,  8.     Dort  wird  nämlich  anscheinend  vorausgesetzt, 

1)  In  CO  officio  amorcm  consequeris,  in  quo  odiiiin  vitare  difficik  est, 
c.  18,  3. 

2)  Philologus  XXIX  1870  S.  95  =  Kl.  Schriften  S.  966. 


ABFASSUNGSZEIT  EINIGER  SCHRIFTEN  SENECA8         189 

dieser  Hügel  liege  außerhalb  des  sogenannten  Pomeriums,  der  sakra- 
len Grenze  des  Weichbildes  der  Stadt  Rom;  nun  ist  aber,  nach  einer 
bei  Gellius  XIII  14,  7  erhaltenen  Notiz  der  Aventin  unter  Claudius  in 
das  Ponierium  einbezogen  worden,  und  zwar  muß  dies  im  Jahre  49 
geschehen  sein,  da  in  dieses  Jahr  die  auch  sonst  bezeugte  Erweite- 
rung des  Pomeriums  durch  Claudius  gehört^).  Also  ist  die  Schrift 
Anfangs  49  (oder  in  den  letzten  Tagen  des  Jahres  48),  als  eben 
Paulinus  Nachfolger  des  Turranius  geworden  war,  abgefaßt.  Im 
Jahre  49  ist  Seneca  auf  Agrippinas  Verwendung  aus  der  Verbannung, 
in  der  er  eine  Reihe  von  Jahren  gelebt  hatte,  zurückberufen  und  zur 
Prätur  befördert  und  zugleich  zum  Erzieher  ihres  Sohnes,  dos  spä- 
teren Kaisers  Nero,  bestimmt  worden  (Tac,  ann.  XII  8).  Im  Munde 
eines  Mannes,  der  eben  erst  wieder  ein  Amt  und  die  Last  des  fort- 
währenden Verkehrs  mit  den  Großen  auf  sich  genommen  hatte, 
klingen  die  an  einen  verdienten  Beamten  gerichteten  Mahnungen 
zurückzutreten,  die  Lobpreisungen  eines  sich  selbst  genügenden 
Lebens,  die  Warnung  vor  dem  ingratus  superionun  cidtus  (c.  2, 1), 
gar  sonderbar.  Gercke^)  ist  deshalb  der  Meinung,  die  Schrift  gehöre 
in  die  kurze  Zeit,  in  der,  wie  er  meint,  Seneca  zwar  zurückberufen, 
aber  noch  nicht  in  nahe  Verbindung  zu  Agrippina  getreten  war  und 
noch  nicht  die  Erziehung  Neros  übernommen  hatte ;  er  soll  in  der 
Tat  nach  seiner  Rückberufung  zunächst  daran  gedacht  haben,  nach 
Athen  zu  gehen  (schol.  luvenal.  5,  109).  Münzer  (Beitr.  zur  Quellen- 
kritik des  Plinius  S.  370)  ist  der  Meinung,  die  Schrift  sei  in  der 
Verbannung  •')  begonnen  und  unmittelbar  nach  der  Rückkehr  abge- 


1)  Tac.  auu.  XII  23:  pomerium  urbis  auocit  Caesar  unter  dem  Jahre  49. 
Auf  dasselbe  Jahr  führen  die  Inschriften  der  von  Claudius  gesetzten 
Demarkationssteine  (Inscr.  Lat.  sei.  213,  mit  Add.  et  Corr.  p.  CLXX). 
Die  9.  tribunicische  Gewalt  des  Claudius  reicht  zwar  bis  24.  Januar  50, 
aber  die  16,  imperatorische  Akklamation  scheint  noch  innerhalb  des 
Jahres  49  durch  die  17.  und  18.  ersetzt  worden  zu  sein  (Groag,  Real- 
Encycl.  111  2808). 

2)  Gereke,  Senecastudien  (Jahrb.  f.  klass.  Phil.  Suppl.-Bd.  XXI 1 
1895)  S.  289.  291  vgl.  S.  283. 

3)  Die  Abfassung  der  Schrift  direkt  in  die  Zeit  der  Verbannung  zu 
setzen  hat  man  sich  im  allgemeinen  wohl  gescheut  wegen  des  Mangels 
jeglicher  Bezugnahme  auf  die  Verbannung,  zu  der  genug  Gelegenheit  ge- 
wesen wäre  (vgl.  Birt,  N.  Jahrb.  für  das  kl.  Altertum  XXVII  1911  S.  855  A.  1> 
Es  kämen  übrigens  nur  die  allerletzten  Monate  des  Exils  in  Betracht. 
da  Seuecas  Rückberufung,  mit  der  Agrippina  sich  als  Kaiserin  gut  ein- 


190  B.DESSAU 

schlössen    und   herausgegeben  worden.     Originell   ist   die   Meinung 

von  Waltz  ^),  Senecas  Aufforderungen  an  Paulinus  seien  nicht  ernst 

zu  nehmen  —  womit   er  wohl  recht  haben  wird  — ,  Seneca  habe 

auf   diese   Weise    seiner    Gönnerin   Agrippina    zu   verstehen    geben 

wollen,    ein    wie    großes    Opfer   er   ihr   bringe,    wenn   er   in    ihren 

Kreis   trete.      Ich  möchte   es    nicht   von  vornherein    für   unmöglich 

erklären,   dafs  ein  Mann  wie  Seneca  ganz  ohne  Rücksicht  auf  sein 

eigenes  Tun  und  Treiben  eine  Schrift  zur  Empfehlung  des  Lebens 

in   der  Zurückgezogenheil    —    das   ist    im  wesentlichen    der   Inhalt 

von  de  hrevitate  vitae  —  geschrieben  habe ;  aber  daß  er  sie  einem 

rührigen   Beamten    gewidmet,    der   eben    erst    sein  Amt    angetreten 

hatte,    und    diesen  nachdrücklich    zum  Rücktritt  aufgefordert  haben 

sollte,    das    scheint    auch    mir    sonderbar.      Schwerverständlich    bei 

Annahme  der  Abfassung  im  Jahre  49  (oder  Ende  48)  ist  aber  auch 

die  Art  der  Erwähnung  des  Amtsvorgängers  des  Paulinus,  des  Turra- 

nius,    im  Schlußkapitel  der  Schrift.     Es  wird    da  (c.  20,  3)    als  ein 

bemerkenswertes  Beispiel    des  nach  Senecas  Meinung  tadelnswerten 

Ausharrens   im  Amte,    das  ihm  gerade  eingefallen  war  {pracferire 

quod  mihi  occurrit  exemplum  non  j^ossum),   der  Fall   des  Tuira- 

nius  erwähnt,    der  trotz  seiner  neunzig  Jahre  und  trotz  seiner  von 

C.  Caesar  (Galigula,  37 — 41)  verfügten  Entlassung,  sich  von  seinem 

Verwaltungsposten    {procuratio)    nicht    habe    trennen    wollen    und 

es  schließlich  durchgesetzt  habe,    sein  Amt  wieder   übernehmen  zu 

dürfen;    ohne    daß   gesagt    wird,   daß    Turranius    wunderbarerweise 

noch  zum  mindesten  weitere  8  Jahre  im  Amte  ausgeharrt  hat,  und 

ohne  daß  auch  nm-  mit  einem  Worte  angedeutet  wird,  daß  Turranius 

der  Amtsvorgänger  des  Paulinus,    daß   er  eben    in  diesem  Moment 

erst   durch    Paulinus    ersetzt  worden  war.     Auf  eine  Schwierigkeit 

andrer  Art  hat  Hirschfeld  hingewiesen.    Der  Abschnitt,  in  dem  die 

oben  behandelte  Erwähnung  des  Mons  Aventinus  sich  findet,  ist  ganz 

und  gar  eine  Verspottung  der  Altertumsforschung  oder  doch  der  Art, 

wie  sie  bei  den  Römern  damals  betrieben  wurde  (c.  13,  3:  Bomanos 

quoque  invasit  inane  Studium  super vacua  discendi:  13, 8  in  eadcm 

materia  supcrvaciiam  quorinndnm  diJigentiam);  insbesondere  wird 

gegen  Schluß  es  nicht  nur  mit  Nachdruck  für  gleicligültig  erklärt, 

was  der  eigentliche  Grund    der  alten  Ausschließung   des  Aventinus 

führen  wollte,   anscbeinead  iu  eleu  Anfang  des  Jahres  49  gehört   (Tac. 
a.  XII  8  zu  Anfang  des  Jahresberichts'. 
1)  Vie  de  Seueque  S.  145.  146. 


ABFASSUNGSZEIT  EINIGER  SCHRIFTEN  SENECAS         191 

aus  dem  Pomerium  gewesen  sei,  sondern  auch  die  ganze  Argumen- 
tation darüber  ziemlich  unzweideutig  als  schwindelhaft  verdächtigt, 
(c.  13,  9  n(im  ut  conceclas  omnia  cos  bona  fidc  dicerc).  Kaiser 
Claudius  war  bekanntlich  andrer  Ansiclit ;  er  hat  einen  großen  Teil 
seines  Lebens  antiquarischen  Forschungen  gewidmet  und  ihnen  als 
Kaiser  einigen  Einfluß  auf  seine  Staatsverwaltung  gegönnt ;  und  die 
Frage  nach  der  Sonderstellung  des  Aventinus  kann  ihm  nicht  gleich- 
gültig gewesen  sein,  da  er,  wie  bereits  gesagt,  es  für  richtig  ge- 
halten hat,  diese  Sonderstellung  im  Jahre  49  durch  einen  Regie- 
rungsact  aufzuheben.  Jeder,  der  unter  oder  bald  nach  Claudius 
diese  Stelle  las,  muß  die  Verspottung  des  Kaisers  gefühlt  haben. 
Und  das  sollte  Seneca  unter  Claudius  gewagt  haben,  sofort  nach 
seiner  Zurückberut'ung  aus  dem  Exil  oder  auch  kurz  vorher,  er, 
der  vom  Exil  aus  in  der  Trostschrift  an  den  Freigelassenen  P0I3'- 
bius  dem  Claudius  die  unglaublichsten  Schmeicheleien  widmete  und 
iu  den  unter  Nero  herausgegebenen  Schriften  es  an  Verbeugungen 
auch  vor  den  Privathebhabereien  des  Kaisers  nicht  fehlen  läßt^)? 
Direkt  gegen  die  Pomeriums-Erweiterung  des  Claudius  mußte  jedem 
Leser,  der  etwas  von  ihr  wußte,  folgende  Bemerkung  Senecas  ge- 
richtet scheinen  (c.  13,  8):  Sullani  ultimum  Ptomanorum  protidisse 
Imperium,  qiiod  nnmquam  provincinJi  sed  Ilalico  agro  adquisito 
proferre  moris  apud  antiquos  fuit.  Die  Erweiterung  des  städtischen 
Pomeriums  galt  als  ein  Pieservatrecht  der  Feldherren,  die  das  Reich 
erweitert  hatten.  Pomerium  urbis  auxit  Caesar  (Claudius),  sagt 
Tacitus  ann.  XII  23,  more  prisco^  quo  iis,  qui  p>rottdere  imperium, 
etiam  termiuos  urbis  pro/mgecrc  dafür,  die  Eroberung  Britanniens 
hatte  Claudius  den  Rechtstitel  zur  Erweiterung  des  Pomeriums  ge- 
geben 2):  auctis  populi  Romani  finibus  pomerium  ampliavit.  sagt 
er  von  sich  selbst  auf  den  von  ihm  gesetzten  Circumvallationssteinen 
(Inscr.  Lat.  sei.  213).  Und  nun  behauptet  Seneca,  wir  wissen  nicht 
mit  welchem  Recht  oder  nach  welchem  Gewährsmann,  nur  der  Ge- 
winn von  italischem,  nicht  der  von  Provinzialboden  berechtige  zur 
Erweiterung  des  Pomeriums  (womit  natürlich  in  der  Kaiserzeit  eine 
solche  überhaupt  unmöglich  geworden  wäre).  Es  wäre  also  Seneca 
das  Mißgeschick  zugestoßen,   kurz  vor  der  Pomeriums-Erweiterung 

1)  z,  B.  natur.  quaest.  I  5,  6;  apocol.  4  v.  23. 

2)  Anders  Detlefsen  in  d.  Z.  XXI  1886  S.  502  ff.  544.  561,  dessen  An- 
sicht wohl  nirgends  Beifall  gefunden  hat  und  von  Mommsen,  Staatsr.  III 
S.  785  A.  1  zurückgewiesen  worden  ist. 


192  H-  DESSAU 

des  Claudius  diese  kaiserliche  Handlung  für  unrechtmäßig  oder  doch 
für  der  Tradition  zuwiderlaufend  zu  erklären^).  Im  Hinblick  auf 
die  spöttischen,  offenbar  gegen  Claudius  gerichteten  Ausführungen 
Senecas  über  antiquarische  Spielereien  meinte  schon  Hirschfeld,  es 
sei  fraglich,  ob  die  Schrift  zur  sofortigen  Veröffentlichung  bestimmt 
Avar.  Also  soll  sie  Seneca  beiseitegelegt,  sie  für  später,  etwa  für 
die  Zeit  nacli  dem  Ableben  des  Claudius  aufgespart  haben?  Ich 
möchte  glauben,  daß  die  .Schrift  überhaupt  erst  nach  dem  Tode  des 
Claudius  geschrieben  ist:  sie  ist  nicht,  sondern  gibt  sich  nur  ge- 
richtet an  den  ebenfalls  verstorbenen  oder  doch  zurückgetretenen 
Paulinus.  So  erklärt  sich,  daß  Seneca  von  dem  alten  Turranius 
spricht,  ohne  sich  zu  erinnern,  daß  er  der  Amtsvorgänger  des  Pau- 
linus war  —  der  eben  erst  verstorbene  Amtsvorgänger,  wenn  die 
Schrift  wirklich  im  Jahre  49  abgefaßt  wäre.  Zur  Rechtfertigung 
einer  Fiktion  dieser  Art,  wenn  sie  einer  Rechtfertigung  bedürfte^), 
mag  man,  wenn  man  Avill,  annehmen,  daß  Seneca  tatsächhch  in 
früheren  Jahren  Paulinus,  dem  er  sehr  nah  gestanden  haben  dürfte 
—  es  scheint  sein  Schwiegervater  gewesen  zu  sein  — ,  zum  Rück- 
tritt geraten  hat,  aber  nicht  öffentlich,  sondern  vertraulich,  und  auch 
nicht  mit  so  starker  Betonung  von  Allgemeinheiten,  wie  sie  die 
Schrift  enthält,  sondern  mit  Rücksicht  auf  seine  persönlichen  Ver- 
hältnisse, und  wohl  auch  kaum  in  den  ersten  Jahren  seiner  Amts- 
führung. Die  Schrift,  geschrieben  in  den  späteren  Jahren  Senecas, 
als  er  seinen  Entschluß,  sich  zurückzuziehen,  immer  wieder  an- 
kündigte (Tac.  ann.  XIV  53  ff.  XV  45),  und  vermutlich  gleich  zur 
Aufnahme    in    das    Corpus    der   Dialogi  •^)    bestimmt,    ist    dann   ein 

1)  Mommsen  (Rom.  Staatsrecht  II  S.  1025  A.  1  der  2.,  etwas  anders 
II  S.  1072  A.  4  der  3.  Aufl.)  glaubte  in  der  Tat,  daß  Seneca  mit  jenen 
Worten  eine  von  Claudius  beabsichtigte  Maßregel  hiibe  tadeln  odor  an- 
fechten v?ollen. 

2)  Daß  sie  uns  nicht  einwandfrei  erscheint,  kommt  daher,  daß  sie 
keinen  künstlerischen  Zwecken  dient. 

3)  Dieser  anspruchsvolle  Titel  für  Schriften,  von  denen  kaum  eine 
ein  Dialog  in  dem  üblichen  Sinne  des  Wortes  ist  —  anspruchsvoll  des- 
halb, weil  er  die  Schriften  dem  Gebiete  der  Philosophie,  dem  alten 
Reiche  des  Dialogs  (Lucian  Piscator  20,  Bis  accus.  33)  zuweisen  soll  — . 
geht  gewiß  auf  Seneca  zurück,  denn  wie  hätte  er  sonst  in  das  alte  In- 
haltsverzeichnis der  alten  Mailänder  Handschrift  geraten  sollen,  wer 
hätte  außer  Seneca  oder  nach  Seneca,  im  Altertum  oder  in  der  Über- 
gangszeit gewagt,  jenen  Schriften  den  ihnen  eigentlich  nicht  zukommen- 
den Titel  zu  geben V     Ge\viß  bättc  Seneca  mit   demselben  Recht   auch 


ABFASSUNGSZEIT  EINIGER  SCHRIFTEN  SENECAS        193 

schönes  Denkmal  seiner  herzlichen  Beziehungen  zu  Paulinus,  und 
empfahl  sich  nebenbei  durch  eine  Anzahl  noch  immer  gern  auf- 
genommener Sticheleien  gegen  Claudius  ^). 

II. 

Drei  der  im  Corpus  der  Dialogi  vereinten  Schriften  (II.  VIII.  IX)  sind 
einem  gewissen  Serenus  gewidmet,  demselben  Serenus,  dessen  frühen 
Tod  Seneca  ep.  63,  14.  15  mit  ungewöhnlicher  und  anscheinend 
aufrichtiger  Herzlichkeit  beklagt;  es  ist  dies  sicherlich  Annaeus 
Serenus,  der  als  Freund  Senecas  von  Tacitus  ann,  Xlll  13  genannt 
und  mit  gewissen  Vorgängen  am  Hofe  Neros  aus  dem  Jahre  55 
in  Verbindung  gebracht  wird;  später  erhielt  er  das  wichtige  Amt 
eines  Praefectus  vigilum ;  er  starb  in  diesem  Amte  unter  eigentüm- 
lichen Umständen  an  einer  Vergiftung,  Plin.  h.  n.  XXII  96.  Daß  er 
erheblich  jünger  war  als  Seneca,  sagt  dieser  selbst  a.  a.  0.  In 
einer  jener  drei  Schriften,  de  constantia  sapientis  (Dial.  II)  sucht 
Seneca  den  Freund  dem  Stoicismus  zu  gewinnen  ^),  in  einer  andern, 
de  iranquillitate  animi  (Dial.  IX),  ihn  bei  ihm  festzuhalten  ^) ;  in 
einer  dritten,  nur  unvollständig  erhaltenen,  de  o^20  (Dial.  VIII),  scheint 
der  Freund  schon  so  weit  zu  sein,  daß  er  Seneca  vom  Standpunkt 
des  Stoicismus  aus  Einwendungen  machen  kann  (de  otio  1,  4).  Es 
ist  begreiflich,  daß  man  sich  die  drei  Schriften  in  der  angegebenen 
Reihenfolge  entstanden  denkt  *).    Nach  einer  Meinung  soll   de  consf. 

andre  seiner  Schriften  Dialoge  nennen  können  (0.  Rofsbacli  in  d.  Z.  XVII 
1882  S.  368);  er  hat  sie  aber  jedenfalls  nicht  in  die.  uns  vorliegende 
Sammlung  der  Dialoge  aufgenommen,  teils  weil  sie  zu  groß  waren  (de 
beneficiis),  oder  weil  ihnen  eine  Sonderstellung  gewahrt  bleiben  sollte 
(der  dem  Kaiser  gewidmeten  Schrift  de  dementia),  oder  weil  sie  noch 
nicht  fertig  waren  (natur.  quaest.),  oder  aus  irgendwelchen  andern 
Gründen. 

1)  Die  Schrift  des  Cornelius  Valerianus,  auf  die  Münzer,  Beitr.  zur 
Quellenkunde  des  Plinius  S.  371  ff.  c.  13  von  Senecas  Schrift  zurück- 
führt, braucht  dann  nicht  47/8,  sondern  mag  unter  Nero  geschrieben  sein. 

2)  Der  Freund  ist  noch  nicht  Stoiker,  ja  verhält  sich  zunächst  durch- 
aus ablehnend  (3,  1:  haec  srmt  qiiae  aitctorüatem  vestris  praeceptis  detrahant ; 
3,  2  si  negas  .  .  .,  omnibus  relictis  negotiis  Stoicns  fio). 

8)  Hier  sucht  der  Freund  schon  bei  den  Klassikern  der  Stoa,  wenn 
auch  zunächst  vergeblich,  Trost  und  Stärkung  fde  tranq.  an.  1,  10). 

4)  S.  besonders  Gercke,  Senecastudien  S.  283.  Fr.  Jonas,  De  ordine 
libror.  Senecae  (diss.  Berol.  1870)  S.  45  läßt  allerdings  (mit  H.  Lehmann 
Philolog.  VIII  1853  S.  316)  die  Reihenfolge  der  beiden  ersten  Schriften 
Hermes  LIII.  13 


194  H.  DESSAU 

saj).  im  Anfang  der  Regierungszeit  Neros  ^),  de  tranq.  animi  etwa 
im  Jahre  59 '),  nach  fast  allgemeiner  Ansicht  de  otio  im  Jahre  62 
entstanden  sein.  Man  hat  auch  wohl  einen  leisen  Wechsel  der 
Anschauungen  Senecas  in  den  Schriften  zu  finden  geglaubt  ^)  und 
ihn  mit  des  Verfassers  Erlebnissen  in  Zusammenhang  gebracht, 
meiner  Meinung  nach  mit  Unrecht;  man  tritt  wohl  Seneca  nicht 
zu  nahe,  wenn  man  annimmt,  daß  er  zu  ein  und  derselben  Zeit 
verschiedene  Schattierungen  des  Stoicismus  in  seinen  Schriften  hat 
zum  Ausdruck  bringen  können,  je  nach  dem  Gegenstand  und  der 
Gelegenheit,  oder  auch  der  augenblicklichen  Lektüre.  Unter  Nero, 
auf  dessen  Zeit  die  sonstigen  Erwähnungen  des  Serenus  führen, 
setzt  man  die  Schriften  fast  allgemein*).  Groß  ist,  wenigstens 
in  den  beiden  ersten  jener  Schriften,  Serenus'  Unselbständigkeit 
seinem  Meister  gegenüber.  In  de  tranq.  animi  muß  er  Seneca 
sein  Innerstes  aufrollen,  seine  Unbeständigkeit,  sein  fortwährendes 
Schwanken  eingestehen ;  Seneca  gibt  sich  nicht  die  Mühe,  im  ein- 
zelnen auf  seine  Regungen  einzugehen,  sondern  nach  einem  Wort 
des  Trostes  predigt  er  dem  Freunde  nach  alten  und  neuen,  oder 
vielleicht  auch  nur  nach  einem  neuen  Autor  die  Tugend  der  evßvixia. 
In  de  const.  sap.  zeigt  sich  die  Überlegenheit  des  Älteren  dem 
Jüngeren  gegenüber  noch  entschiedener;  Seneca  beginnt  mit  der 
Erklärung,  daß  die  Stoa  den  übrigen  Systemen  so  überlegen  sei 
wie  das  männliche  Geschlecht  dem  weiblichen,  und  sucht  den  jungen 
Freund,  dessen  graden  Sinn  er  anerkennt,  mit  Gatos  Schicksal  aus- 


unentschieden.    Dagegen  Hense,  Seneca  u.  Athenodorus  (Freiburger  Progr. 
1893)  S.  6ff. 

1)  Gercke  S.  295;  daß  die  Worte  14,5:  at  sapiens  cokipJiis  percussus 
quid  faciet?  qnod  (ein  wohl  unfreiwilliger  Hexameter)  Cato  usw.  in  irgend- 
welchem Zusammenbang  mit  den  von  Nero  im  Jahre  55  erhaltenen  Prügeln 
stehen,  kann  ich  allerdings  nicht  glauben. 

2)  Hense  S.  58.  Gercke  (S.  295.  316)  rückt  die  Schrift  um  einige 
Jahre  herunter. 

3)  Hense  S.  13  ff.  findet  einen  Widerspruch  darin,  daß  Seneca  de 
const.  sap.  2,  l  das  stoische  Ideal  des  Weisen  in  Cato  verkörpert  sieht 
und  de  tranq.  animi  7,  4  das  Vorkommen  des  Weisen  in  der  Wirklichkeit 
leugnet.  Des  Verfassers  Idealismus  soll  inzwischen  einer  anderen  Stim- 
mung gewichen  sein  (S.  17). 

4)  Ganz  allein  steht  wohl  Waltz,  Vie  de  Seneque  S.  7,  der  die  Schrift 
de  const.  sap.  in  den  Anfang  der  Regierung  des  Claudius  setzt  und  damit 
die  Widmungen  des  berühmten  Schriftstellers  an  den  jungen  Freund  sich 
über  einen  Zeitraum  von  zwanzig  Jahren  erstrecken  läßt. 


ABFASSUNGSZEIT  EINIGER  SCHRIFTEN  SENECAS        195 

zusölinen,  nicht  so  sehr  mit  dem  heldenhaften  Untergang  des  Re- 
pubhkaners  als  mit  einem  Mißgeschick,  das  ihn  früher  betroffen 
hatte:  er  soll  einmal  auf  dem  römischen  Forum  Prügel  erhalten 
haben  und  sogar  angespien  worden  sein ;  die  Erinnerung  an  dieses 
Vorkommnis  hatte,  wenn  wir  Seneca  glauben,  den  jungen  Serenus 
tief  im  Innersten  erregt  (c.  1,  3.  3,  1:  videor  mihi  intueri  animum 
kmm  incensum  et  effervescentem).  Nun  finden  wir  diesen  em- 
pfänglichen Jüngling  im  Jahre  55  am  Kaiserhofe  sich  in  eigentüm- 
licher Weise  betätigen;  er  hat  sich,  im  Einverständnis  oder  auf  Veran- 
lassung Senecas,  dazu  hergegeben,  das  beginnende  Liebesverhältnis 
des  jungen  Kaisers  zu  der  Freigelassenen  Acte  vor  der  Öffentlichkeit 
oder  vor  dem  Hofe  (vermutlich  hauptsächlich  vor  der  eifersüchtigen 
Mutter  des  Kaisers,  Agrippina)  zu  verschleiern,  indem  er  sich  selbst 
in  Acte  verliebt  stellte  (Tac.  ann.  XllI  13).  Das  Merkwürdige  ist 
nicht,  daß  ein  der  Hofgesellschaft  angehöriger  junger  Mann,  der  sich 
zur  Stoa  bekannte  oder  im  Begriff  war,  sich  der  Stoa  anzuschließen, 
seinem  kaiserlichen  Freunde,  der  übrigens  ein  Bursche  von  eben 
17  Jahren  war,  einen  Liebesdienst  der  genannten  Art  hat  leisten  können, 
—  warum  auch  nicht?  — ,  sondern  daß  Seneca  gerade  diesen  jungen 
Mann  der  Hofgesellschaft  zum  Adressaten  mehrerer  populär-philosophi- 
scher Schriften  gewählt  und  ihn  als  einen  gelehrigen  und  vertrauens- 
vollen Schüler  hingestellt  hat^).  Warum  gerade  diesem  jungen  Mann 
auseinandersetzen,  daß  es  für  den  Weisen  weder  Mißhandlungen  noch 
Beleidigungen  gebe  und  daß  auch  der  gewöhnliche  Sterbliche  danach 
streben  müsse,  sich  auf  diesen  Standpunkt  zu  erheben  (de  const. 
sap.  19):  daß  es  Wahnsinn  sei,  zu  glauben,  ein  Mann  könne  von 
einem  Weibe  beleidigt  werden  (c.  14);  daß  Gato,  Regulus,  Hercules 
auf  dem  Holzstoß  die  unübertrefflichen  Vorbilder  der  Tugend  seien 


1)  In  eiuer  Gießener  Dissertation  vom  Jahre  1909  I  (W.  Friedrich, 
De  Seneeae  libro  qui  inscribitur  de  const.  sap.)  wird  freilich  be- 
wiesen, daß  die  Schrift  de  const.  sap.  hervorgerufen  ist  durch  Beleidi- 
gungen, die  sich  Serenus  hatte  gefallen  lassen  müssen  und  die  er  nicht 
gutwillig  ertragen  wollte;  Seneca  weise  ihn  deshalb  zurecht,  und  ermahne 
ihn,  nur  weiter  kinderlosen  Reichen  den  Hof  zu  machen  (S.  13.  93);  daß 
die  Schrift  einem  persönlichen  Mißgeschick  des  Serenus  ihre  Entstehung 
verdanke,  hat  auch  Hense  S.  11  vermutet.  Ich  kann  mir  nicht  denken, 
daß  Seneca,  wenn  er  den  jungen  Freund  über  ein  ihm  am  Hofe  wider- 
fahrenes Mißgeschick  hat  trösten  wollen,  dies  durch  Paradoxa  Stoicorum 
getan  hat;  und  gewiß  nicht  vor  der  Öffentlichkeit,  in  einer  zur  Veröffent- 
lichung bestimmten  Schrift. 

13* 


196  H.  DESSAU.  SCHEIFTEN  SENECAS 

(de  tranq.  16,  4,  de  const.  sap.  2, 1.  14,  3).  Man  sollte  meinen, 
daß  es  für  Serenus  selbst,  so  schmeichelhaft  ihm  die  Dedikationen 
des  gefeierten  Schriftstellers  ohne  Zweifel  sein  mußten,  doch  nicht 
unbedingt  angenehm  gewesen  sein  kann,  sich  immer  wieder  auf 
den  Stoicismus  festlegen  und  sich  einen  Tugendspiegel  vorhalten  und 
in  wiederholten  Schriften  seine  Abhängigkeit  von  dem  berühmten 
Freunde  und  seine  eigene  Lenksamkeit  feststellen  zu  lassen.  Er  hatte 
noch  nicht,  wie  dieser,  die  Höhe  des  Lebens  überschritten  und  dachte 
nicht  daran,  sich  von  der  Welt  oder  auch  nur  vom  Hofe  zurück- 
zuziehen; er  verstand  seine  Beziehungen  zu  Nero  auszunutzen,  wie 
seine  Beförderung  zur  Praefectura  vigilum,  einer  der  wichtigsten 
Stellen  im  Mittelpunkt  des  Regierungsbetriebs  jener  Zeit  ^),  zeigt. 
Einen  andern  jüngeren  Freund,  den  er  reichlich  mit  Widmungen 
und  Ermahnungen  bedacht  hat,  Lucilius,  hat  Seneca  niemals  auch 
nur  annähernd  so  schwach  und  unselbständig  hingestellt  wie  Serenus 
in  den  Schriften  de  const.  sap.  und  de  tranq.  animi^);  und  Lu- 
cilius lebte  fern  von  Rom,  in  der  bescheidenen  Stellung  (procura- 
tnmcula,  ep.  31,  9)  eines  Finanzverwalters  von  Sicilien,  in  der  ihn 
schriftliche  Erziehungsversuche  und  Zurechtweisungen,  vielfach  aus- 
geglichen durch  Selbstbekenntnisse  des  Schreibers  ^),  nicht  sehr  stören 
konnten.  Ich  möchte  die  Vermutung  wagen,  daß  die  sämtlichen 
Serenus  gewidmeten  Schriften  erst  nach  seinem  Tode  geschrieben 
sind ;  sie  stellen  mit  Absicht  Serenus  auf  drei  Stufen  seiner  Entwick- 
lung dar;  dem  Leser  war  es  unbenommen,  sie  in  die  frühe  Jugend- 
zeit des  Serenus  zu  versetzen,  in  ein  Lebensalter,  dem  Abhängig- 
keit von  einem  Alteren  wohl  ansteht;  zusammengenommen  sind  sie, 
ähnlich  wie  die  Schrift  de  hrevitate  vitae.  ein  Ehrendenkmal  der 
Freundschaft  für  einen  Verstorbenen. 

Gharlottenburg.  H.  DESSAU. 


1)  Der  Praefectus  vigilum  war  nicht  nur  Chef  der  Sicherheitspolizei 
der  Stadt  Rom,  sondern  hatte  auch  mancherlei  Verwaltungs-  und  richter- 
liche Befugnisse  (Hirschfeld,  Verwaltungsbeamte ^  S.  256).  Die  Truppe, 
die  er  befehligte,  gab  den  Prätorianercohorten  an  Stärke  nicht  sehr  viel 
nach  und  konnte  zur  Not  gegen  diese  verwandt  werden.  Auf  den  Prae- 
fectus vigilum  hat  sich  mitunter  der  Kaiser  gegen  den  Praefectus  prae- 
torio  gestützt. 

2)  Auch  nicht  ep.  34,  ?,.  3)  z.  B.  ep.  50,  2. 


ÜBER  EINE  APORIE  IN  DER  LEHRE  VON  DEN 
AGGREGATZUSTÄNDEN  BEI  LUKREZ  (II  444-477). 

Die  Verse  II  444  —  477  im  Lukrez  gehören  zu  den  verzwei- 
feltsten Stellen  des  Werkes.  Man  hat  auf  verschiedenste  Weise  die 
vermuteten  Schäden  zu  heilen  gesucht  (vgl.  die  Anmerkungen  in 
Merrills  Ausgabe).  Am  unzuverlässigsten  und  zweifelhaftesten  ist 
Briegers  und  Giussanis  Um  stell  verfahren.  Aber  auch  das  Ansetzen 
von  Lücken  hat  seine  Bedenken,  da  hierdurch  leicht  ein  falsches 
Bild  der  Überlieferung  entsteht.  Am  glücklichsten  ist  Bailey  ge- 
wesen, weil  er  sich  darauf  beschränkt,  in  V.  462  das  sicher  Fehler- 
hafte durch  Kreuze  anzumerken. 

Lukrez  hat  in  den  Versen  408 — 425  davon  gesprochen,  welche 
Atomformen  dazu  nötig  sind,  den  Eindruck  des  Angenehmen  und 
Unangenehmen  für  die  Sinne  hervorzurufen  {bona  sensihns  et  mala 
V.  408  1)),  Levor  ist  Bedingung  des  Angenehmen;  auch  das  Rund- 
sein gehört  nach  V.  402  dazu.  Squalor  ruft  die  Empfindung  des 
Unangenehmen  hervor.  Darauf  gibt  Lukrez  noch  eine  Anmerkung 
darüber,  wie  die  Atome  derjenigen  Dinge  beschaffen  sein  müssen,  die 

titillare  magis  sensus  quam  laedere  possint  (V.  429). 
Dann  wird  schließlich    mit  denique  (V.  431)    zur  Ergänzung   noch 
die  Bemerkung  angehängt,  daß  die  Sinne,  insbesondere  der  tactiis, 
die  Kenntnis  von  diesen  verschiedenen  Atomformen  vermitteln. 

In  V.  444  setzt  der  Dichter  mit  einem  ganz  anderen  Gesichts- 

1)  In  V.  408  ist  tactu  nicht  allein  auf  mala  zu  beziehen,  so  daß 
unterschieden  würden  bona  sensibus  und  inala  tactu.  Durch  tactu  ist 
vielmehr  das  Kriterium  angedeutet,  durch  das  beides  gleichermaßen, 
das  bona  sensibus  und  mala  sensibus,  überhaupt  erst  unterschieden 
wird  (vgl.  V.  429  —  443).  Überdies:  wollte  man  wirklich  bona  sensibus 
und  mala  tactu  unterscheiden,  so  ergäbe  sich  die  schon  der  Form  nach 
wenig  wahrscheinliche  Fassung,  daß  zu  mala  nur  ein  besonderer  Sinn 
genannt  und  zu  bona  das  in  beiden  Fällen  zu  erwartende  allgemeine 
sensibus  gesetzt  wäre. 


198  J.  MUSSEHL 

punkt  ein.  Vorher  hat  er  davon  gesprochen,  wie  die  verschiedenen 
Arten  der  Atom  formen  die  Verschiedenheit  der  Sinneseindrücke 
bestimmen.  Jetzt  beginnt  er  auszuführen,  daß  es  auch  darauf  an- 
kommt, auf  welche  Art  in  dem  wirkenden  Dinge  die  Atome  mit- 
einander verbunden  sind  und  welcherart  die  atomistische  Zu- 
sammensetzung des  wirkenden  Dinges  ist. 

Da  ergibt  sich  zunächst,  daß  alles  Harte  (Fels,  Kiesel,  Eisen, 
Erz)  durch  hakige  Stofie  erzeugt  wird,  die  fest  aneinander  durch 
Verschränkung  hangen  {alte  compacfa  teneri  V.  446).  Dann  bespricht 
Lukrez  den  zweiten  Aggregatzustand.  Die  Handschriften  bieten: 
451  lila  quidem  dehent  ex  levihus  afque  rutundis 

esse  magis,  fluvido  quae  corpore  liquida  consfant. 

namquc  papaveris  haustus  itemst  facilis  quasi  ^)  aqiiarum. 

nee  retinentur  enim  inter  se  glonieramina  quaeque 
455  et  perculsus  item  proclive  volubilis  extat. 

Die  Verse  sind  in  ihrem  Sinn  klar,  und  ihre  Anordnung  bietet 
keinerlei  Anstoß.  Lukrez  vergleicht  das  Wasser  oder  besser  die 
Wasserteilchen  (daher  der  Plural)  —  und  dies  ist  auch  nur  das 
nächstliegende  Beispiel  für  alles  Flüssige  —  mit  der  in  einem  Mohn- 
kopf enthaltenen  Menge  Mohnkörner  (so  ist  papaveris  zu  verstehen) : 
„Es  ist  mit  dem  Wasser  ebenso  wie  mit  dem  Inhalt  eines  Mohn- 
kopfes. Wenn  du  einen  Mohnkopf  austrinkst  2)  (haustus),  so  rollen 
dir  die  kleinen  glatten  und  runden  Mohnkörner  auf  dem  abschüs- 
sigen Wege  entgegen,  da  sie  nicht  fest  aneinander  haften,  sondern 
nur  lose  zu  einer  Masse  verbunden  sind.  So  auch  beim  Flüssigen 
überhaupt.     Es  besteht  mehr  3)    aus    runden  und  glatten  Teilchen, 

1)  Diese  Vermutung  von  Moriz  Haupt  für  das  handschriftliclie  qmd 
erscheint  gesichert. 

2)  Wer  einmal  den  Inhalt  eines  Mohnkopfs  genossen  hat,  weiß,  daß 
man  ihn  „trinkt",  und  daß  zu  dem  Bilde  die  Vorstellung  des  percellere 
(V.  455)  vorzüglich  paßt.  Denn  man  bricht  die  trockene  Rosette  ab, 
lehnt  den  Kopf  zurück  und  läßt  die  Mohnkörner  in  den  Mund  rinnen. 
Um  das  „Fließen"  der  Mohnkörner  zu  bewirken  und  zu  fördern,  klopft 
man  beim  „Austrinken"  des  Mohns  leicht  an  die  Wandung  des  Mohn- 
kopfs. Papaveris  haustus  ist  also  nicht  notwendig  metonymisch  zu  fassen 
nach  dem  Vorbild  von  Ovid  Met.  XIII  526,  sondern  durchaus  anschau- 
lich, aktivistisch.  Facüis  hat  auch  nicht  eine  so  zugespitzte  Bedeutung, 
wie  Men-ill  will  („easily  moved'^),  sondern  bedeutet,  wie  gewöhnlich, 
„leicht  zu  bewerkstelligen"  (nämlich  haurire). 

3)  Daß  magis  nicht  anders  als  mit  dem  Verbum  verbunden  werden 


DIE  AGGREGATZÜSTÄNDE  BEI  LUKREZ  199 

die  sich  ihrer  Natur  gemäß  nicht  fest  aneinanderschheßen  können 
—  denn  sie  sind  ja  nicht  hamatae  — ,  und  hat  darum  die  Fähigkeit 
des  Fhefsens,  d.  h.  des  leichteren  Auseinandergehens. "  So  der  Sinn. 
Es  ist  richtig,  Lukrez  bietet  diesen  Vergleich  nicht  mit  einem 
bequemen  iit  —  sie  dar,  aber  vorhanden  ist  er  wirklich,  nur  durch 
das  doppelte  item  (V.  453  und  455)  angedeutet.  Man  muß  nur 
nicht  die  dichterische  Form  mit  logischen  Gesetzen  meistern  wollen. 
Oben  hatte  Lukrez  gesagt:  das  Feste  entsteht  dadurch,  daß  hakige 
Teilchen  da  sind  und  sich  eng  verschränken.  Er  fährt  zunächst 
fort:  alles  Flüssige  entsteht  mehr  aus  runden  und  glatten  Atomen 
(denn  wenn  sie  alle  rund  und  glatt  wären,  könnte  überhaupt  kein 
Zusammenhang  sein;  das  gilt  nicht  einmal  von  den  Dingen  des 
dritten  Aggregatzustandes,  V.  458).  Hier  nun  müßte,  wenn  Lukrez 
schematisch  verführe,  sofort  folgen:  diese  können  sich  nicht  so  fest 
verschränken,  gewähren  dadurch  also  ein  leichteres  Auseinander- 
gehen (Fließen).  Der  Dichter  tut  das  aber  nicht,  sondern  setzt  un- 
vermittelt mit  einem  Gleichnis  ein:  „[Alles  Flüssige  besteht  mehr 
aus  runden  und  glatten  Atomen.]  Hier  ein  Beispiel:  Du  machst 
die  Beobachtung,  daß,  wenn  du  einen  Molmkopf  austrinken  willst, 
dir  sein  Inhalt,  d.  h.  die  Summe  seiner  Teilchen  —  hierin  liegt 
der  zweite  Vergleichungspunkt  — ,  wenn  du  sie  in  Bewegung  setzst, 
ebensoleicht  entgegenfließen  wie  Wasser.  Dies  liegt  daran:**  Was 
nun  folgt,  bezieht  sich  alles  auf  den  Vorgang  beim  Leeren  eines 
Mohnkopfes:  „Diese  Mohnkügelchen  {(ilomeramina),  die  du  mit 
Augen  verfolgen  kannst  und  nach  deren  Beispiel  du  dir  die  un- 
sichtbaren Atome  denken  mußt,  hängen  nicht  fest  zusammen  {non 
retinentur  inter  se),  sondern  sind  nur  lose  zusammengefügt  (da- 
von kannst  du  dich  leicht  durch  Augenschein  überzeugen).    Wenn 


kann,  in  V.  451  f.  also  nicht  von  der  Gestalt  der  Atome  geredet  wird, 
ob  sie  mehr  oder  minder  glatt  sind,  sondern  von  dem  Verhältnis  der 
Mischung  verschieden  geformter  Grundstoffe  in  dem  Dinge  der  Wahr- 
nehmung, lehrt  die  Stellung  von  magis  im  Satz  und  lehren  die  Verse 
586—5^8.  Es  ergibt  sich  also  für  ein  flüssiges  Ding  dem  Lukrez  fol- 
gendes Bild :  in  der  Hauptsache  sind  runde  und  glatte  Atome  vorhanden 
(damit  das  Flüssigsein  bewirkt  werde);  in  den  Rest  der  im  Dinge  vor- 
handenen Grundstoffe  teilen  sich  diejenigen,  welche  bestimmte,  auf  die 
Sinne  wirkende  Eigenschaften  erzeugen,  und  die,  welche  noch  für  eini- 
gen Zusammenhalt  sorgen.  Dabei  ist  die  Möglichkeit  nicht  ausge- 
schlossen, daß  die  Form  dieser  restbleibenden  Atome  sie  befähigt,  beide 
Aufgaben  zu  gleicher  Zeit  zu  erfüllen. 


$00  J-  MUSSEHL 

du  diese  Teilchen  in  geeigneter  Weise  in  Bewegung  setzst  —  für 
den  Mohnkopf,  von  dem  die  Rede  ist,  ist  das  die  Bewegung  des 
Klopfens  ^),  für  Flüssigkeiten  zunächst  das  Schräghalten  des  Ge- 
fäßes, aber  auch  die  Erschütterung  2)  — ,  so  streben  alle  Teilchen 
prodive."  Dies  alles  bezieht  sich  aber  zugleich  stillschweigend 
auch  auf  die  Atome,  welche  das  Flüssigsein  erzeugen,  und  der 
Hauptton  hegt  auf  V.  454: 

nee  retinentur  eniin  infcr  se  glomeramina  quaeque. 
Man  hat  diese  dichterische  Absicht  vielfach  mißverstanden  und  zur 
Bequemlichkeit  V.  454  vor  453  gestellt.  Mit  Unrecht.  Denn  die 
Umstellung  ist  nicht  nötig  und  übt  am  Wort  glomeramina  nur 
Gewalt.  Glomcramen  ist  nämlich  an  den  wenigen  Stellen,  wo  es 
im  Lukrez  oder  sonst  vorkommt,  stets  die  aus  vielen  Teilen  zu- 
sammengeballte, kugelige  Masse.  Man  hat  daher  bei  dem  Plural 
eher  an  einzelne  Kügelchen  zu  denken,  wie  es  beispielsweise  die 
Mohnkörner  sind,  als  zu  einer  übertragenen  Bedeutung  wie  atomiis 
rotunda  zu  greifen.  Dies  wird  aber  bei  Umstellung  der  Verse  nötig  ^). 

1)  Ob  man  das  perculsus  in  V.  455  als  Substantiv  auffassen  will 
(einzig  wiederkehrend  bei  Tertullian  De  anima  52)  oder  als  Particip 
auf  2)apaver  bezüglich,  ist  für  die  Auffassung  des  Inhalts  gleichgültig. 
Beides  ist  möglich.  Denn  pa^iaver  als  Masculinum  läßt  sich,  da  sein 
Genus  in  Lukrezens  Gebrauch  nicht  ersichtlich  ist  (es  begegnet  nur 
noch  einmal,  III  196),  ohne  Bedenken  aus  Priscian  Instit.  V  44  = 
Gr.  L.  II  170,  13  K.  entnehmen.  Perculsus  als  Substantiv  ergibt  zwar  die 
Metonymie:  , das  Klopfen  bewegt  sich"  =  , das  Geklopfte  bewegt  sich". 
Solche  Ausdrucksweise  ist  aber  Lukrez  nicht  fremd.  Vgl.  VGOOf.:  et  sie 
coniectus  eoriim  confliiit,  ut  .  .  .;  voluhilis  extat  für  vohibilis  est  ist  für 
Lukrez  nicht  verwunderlich.  Übrigens  vertritt  vohibilis  est  hier  das 
Verbum  volvi,  daher  es  das  Adverbium  prodire  bei  sich  haben  kann. 

2)  Wie  etwa  Schaukeln  oder  Schlenkern  einer  Schale  oder  eines 
Henkelgefäßes.  Lachmanns  Bedenken,  denen  der  mittlere  Ausdruck  ^^ro- 
cursus  seine  Entstehung  verdankt,  gehen  zu  weit.  Wenn  überdies  die 
Vorstellung  des  percellere  für  Flüssigkeiten  weniger  passend  erscheint, 
so  liegt  das  daran,  daß  der  Vergleich  mit  dem  Mohn  nicht  voll  durch- 
geführt, sondern  nur  einseitig  gehalten  ist.  Gewiß,  perculsus  müßte  für 
papaver  und  aquae  strenggenommen  gleich  passende  Bedeutung  haben. 
Aber  Lukrez  will  den  Eindruck  erwecken,  als  handele  er  nur  über  die 
Mohnkügelchen,  und  überläßt  die  genaue  Durchführung  der  Nutzanwen- 
dung auf  die  Atome  dem  Leser. 

3)  Die  neueste  Auflage  des  Wörterbuchs  von  Georges  (1913)  s.  v. 
glomeramen  macht  mit  der  Buchung  der  angeblich  einmal  zu  beobach- 
tenden übertragenen  Bedeutung  glomeramina  =  runde  Atome  Lucr.  II  454 
den  Fehler  der  üblichen  Lukrezauslegung  mit. 


DIE  AGGREGATZUSTÄNDE  BEI  LUKREZ  201 

Mit  postremo  (V.  456)  wird  als  dritte  Erscheinung  der  Aggre- 
gatzustand angeknüpft,  den  wir  den  gasförmigen  nennen,  zu  dem 
nach  Lukrezens  Anschauung  der  Rauch,  der  Nebel  und  das  Feuer 
gehören  (V.  457).  Von  diesen  zeigt  die  Sinneswahrnehmung,  daß 
sie  puncto  fewporis  diffiigiunt  (V.  456  f.).  Also  dürfen  ihre  Par- 
tikelchen nur  ganz  lose  zusammenhängen.  Wenn  es  aber  schon  vom 
Flüssigen  galt,  daß  es  magis  aus  levihus  atque  rutundis  besteht, 
so  gilt  dies  vom  Luftförmigen  noch  mehr.  Ein  Mindestmaß  von 
Zusammenhalt  muß  aber  gewahrt  bleiben.  Daher  die  Einschrän- 
kung in  den  Versen  458  und  459^):  „Die  Teilchen  des  Luftförmi- 
gen dürfen  nicht  alle  völlig  rund  und  glatt  sein,  sondern  müssen, 
zu  einem  ganz  geringen  Bruchteil  wenigstens,  eine  nicht  näher  be- 
zeichnete, wenn  auch  noch  so  geringe  Fähigkeit  besitzen,  einen 
Zusammenhang  herzustellen.  Hauptsache  ist  —  wieder  liegt  der 
Hauptton  auf  dem  Verse,  der  von  der  Atom  Verbindung  handelt, 
V.  459  — ,  daß  sie  nicht  fest  aneinandergehakt  sind  wie  beim 
Eisen  usw. ,  auch  nicht  so  wie  beim  Flüssigen :  sie  dürfen  nicht 
impedita  sein  und  nicht  aneinander  haften  bleiben  (V.  461)."  Auf 
diese  W^eise  nur  wird  der  Beobachtung  in  puncto  temporis  diffu- 
gere  ihr  Recht. 

Den  Übergang  von  V.  459  zu  460  aber,  der  sich  dem  soeben 
von  Lukrez  Ausgeführten  nicht  recht  anzuschließen  scheint,  hat 
Brieger  (Jahrb.  f.  Philol.  CXI  1875  S.  620)  vorzüglich  gekennzeich- 
net. Als  nämlich  der  Dichter  die  drei  Beispiele  für  luftförmige 
Körper:  Rauch,  Nebel,  Feuer  anführte,  war  er  sich  darüber  klar, 
daß  sie  auf  verschiedene  Weise  auf  die  Sinne  einwirken;  Nebel 
nicht  gerade  angenehm,  Rauch  und  Feuer  schmerzhaft.  Jetzt  war 
er  aber  gezwungen,  um  der  Verbindung  der  Atome  willen  der 
weit  überwiegenden  Anzahl  der  Stoffteilchen  von  Rauch  und  Feuer 
die  Gestalt  des  leve  und  rotundum  zu  geben.  Da  fiel  ihm  ein, 
daß  dies  von  ihm  selbst  bereits  als  Kennzeichen  des  Angenehmen 
bezeichnet  worden  war.    Das  war  ein  Widerspruch.    Darum  kam  es 

1)  Man  wird  sich  bei  Merrills  Auffassung  von  omnia  =  in  all 
respects  beruhigen  dürfen.  Den  genauen  Beweis  für  den  adverbialen 
Gebrauch  von  omnia  =  omnino  erbringt  W.  A.  Bährens,  Glotta  V  1913 
S.  85  f.  Brieger  (Jahrb.  f.  Philol.  CXI  1875  S.  619)  hat  nur  zum  Teil  das 
Richtige  gesehen.  Vor  allem  hat  er  den  Gegensatz  der  Verse  444 — 477, 
die  sich  mit  der  Verbindung  der  Atome  beschäftigen,  zu  dem  vorher- 
gehenden Teil  (Verse  381 — 443)  nicht  klar  erkannt.  Das  lehrt  auch 
seine  Annahme  einer  Lücke  nach  V.  880. 


202  J.  MUSSEHL 

ihm  gelegen,  daß  er  die  Bestimmung,  die  in  dem  Gegensatz  der  Verse 
458  und  459  verborgen  liegt:  „das  Luftförmige  muß,  wenn  es 
auch  weit  überwiegend  aus  levibus  et  rotnndis  besteht,  doch 
irgend  etwas  in  sich  führen,  das  sie  für  ein  punctum  t empor is  zu- 
sammenhalten kann"  nach  der  Seite  der  Qualität  hin  umbiegen 
konnte:  „damit  es  die  Sinne  (corpus)  verletzen  und  Felsen  durch- 
dringen könne" ^).  Welcherart  dieses  Etwas  sei,  wird  zunächst 
noch  nicht  gesagt,  sondern  der  Dichter  verwischt  seine  augenblick- 
liche Abschweifung  auf  das  bereits  vorher  behandelte  Gebiet  und 
nimmt  mit  nee  tarnen  hacrere  inter  se  den  Gedanken  des  V.  459 
wieder  auf.  Doch  das  Verlangen,  zu  hören,  wodurch  das  Luft- 
förmige zugleich  auch  die  Fähigkeit  des  compimgere  sensus  haben 
möchte,  bleibt  bestehen. 

Mit  den  Versen  464  —  477  räumt  sich  Lukrez  eine  Schwierig- 
keit aus  dem  Wege.  Darauf  deutet  sed.  Er  hatte  gesagt,  daß  das 
Flüssige  mehr  aus  glatten  und  runden  Atomen  bestehe,  weiter 
oben,    daß  das  Bittere  (Unangenehme)  von  squalida"^)  herstamme. 

1)  Pungere  und  compungere  steht  in  V.  432  zwar  anceps,  ist  aber 
in  V.  420  deutlich  in  malam  partem  gewendet  Saxa  ist  gleichfalls  von 
Brieger  mit  Erfolg  verteidigt  worden.  Brieger  übersetzt  in  V.  460 
gleichfalls  corpus  als  „organischen  (empfindenden)  Körper".  Denn  wenn 
corpus  dies  hier  nicht  heißt,  kann  von  einer  Umbiegung  nach  der  Seite 
der  Qualität,  d.  h.  der  sinnlichen  Wahrnehmung,  hin  nicht  die  Rede  sein. 
Nun  könnte  eingewendet  werden,  wegen  des  danebenstehenden  saxa 
liege  es  näher,  an  Körper  in  allgemeinem  physikalischen  Sinne  zu 
denken.  Darüber  kann  nur  eine  Untersuchung  des  Wortes  corpus  bei 
Lukrez  entscheiden.  In  großen  Zügen  ergibt  sich  das  Bild,  daß  der 
Dichter  den  Plural  corpora  in  erster  Linie  für  physische  Körper  (Dinge) 
im  allgemeinen,  insbesondere  für  die  Atome  (primordia,  corpora  prima) 
gebraucht,  corpus  überwiegend  im  Sinne  des  einzelnen  organischen,  emp- 
findenden oder  nach  menschlichem  Muster  gedachten  Körpers.  Das  geht 
im  groben  schon  aus  dem  Löwenanteil  hervor,  den  Buch  III  am  Sin- 
gular corpus  hat.  Gerade  hier  ist  die  Rede  von  dem  beseelten  und  emp- 
findenden Körper.  Den  Plural  weisen  die  über  Physik  und  Cosmologie 
handelnden  Bücher  bei  weitem  mehr  auf.  Wer  rechnerische  Vorführun- 
gen liebt,  wird  in  folgenden  Zahlen  die  Bestätigung  finden:  corpus  122 
(Buch  III):  242  (die  übrigen  Bücher),  Durchschnitt  61;  corpora  15:170, 
Durchschnitt  31.  Wenn  man  sich  also  an  das  Gewöhnliche  hält,  ist  in 
V.  460  die  Übersetzung  corpus  =  Sinne,  empfindender  Körper  berech- 
tigt. Eine  genaue  Untersuchung  des  Gebrauchs  von  corpora  und  corpus 
bei  Lukrez  muß  hier  unterbleiben.  Sie  würde  auch  das  Bild  nur  im 
einzelnen  ausführen,  nicht  aber  die  großen  Grundlinien  ändern. 

2)  Squalidum   ist   bloßes  Negativ    zu   Jevor   und   nur  allgemein  zu 


DIE  AGGREGATZÜSTÄNDE  BEI  LUKREZ  203 

Nun  lehrt  aber  die  Erfahrung,  daß  es  bittere  Flüssigkeiten  gibt. 
Wie  diese  Aporie  lösen?  Die  Talsache  erklärt  sich  aus  der  Zu- 
sammensetzung der  betreffenden  Flüssigkeiten.  Daher  fügt  sich 
dieser  Teil  so  gut  hier  ein.  Es  sind  eben  solche  Teilchen  darin 
gemischt,  welche  allein  das  provolvi  erzeugen  {levia  et  roinnda: 
diese  sind  in  der  Überzahl),  und  solche,  die  den  dolor  hervorrufen. 
Diese  müssen  zwar  sqiialida  sein,  aber  nicht  so,  daß  sie  hamata 
sind  (sich  verschränken  können);  sondern,  um  mitfließen  zu  können, 
wenn  sie  nicht  durch  besondere  Vorrichtung  aufgehalten  werden  (Filtri- 
rung),  haben  sie  eine  der  Rundgestalt  angenäherte  Form  {cilohosa). 
Die  Vorstellung  ist  schwer  zu  vollziehen,  aber  die  Verse  468 — 470 
lassen  keine  andere  Deutung  zu.  Als  treffendes  Beispiel  wird  das 
Meerwasser  angeführt,  an  dem  man  beobachten  könne,  wie  durch 
Filtrirung  sich  die  beiden  Bestandteile  deutlich  voneinander  scheiden. 
Textkritisch  ist  der  Abschnitt  V.  464  —  477  völlig  in  Ordnung 
mit  Ausnahme  von  V.  467,  der  allerdings  durch  den  Eindringling 
aus  V.  466  arg  entstellt  ist.  Die  Verbesserung  ist  der  Sache  nach 
durchaus  gesichert.  Die  am  treusten  das  übrige  Überlieferte  be- 
wahrt, ist  vorzuziehen:  est,  et  {squalida  sunt  Ulis)  admixta  doloris 
Corpora  (Bernays).  Weiter:  Sich  um  die  Richtigstellung  der  Worte 
minime  mirahilc  dehet  zu  streiten,  hat  sachlich  nicht  viel  Zweck. 
Man  mag  das  dehet  für  verderbt  halten  und  hahefo  (Munro  und 
Bailey)  oder  anderes  vermuten  oder  den  Satz  etwa  so  zu  Ende 
führen  wollen :  {esse)  tihi  videri  .  .  .  Die  Hauptsache  ist,  daß  für 
das  Fehlende  nicht  dem  Dichter  schuld  gegeben  werden  kann,  der 
mit  seinem  Werke  nicht  fertig  geworden  sei.  Darüber  täuschen 
aber  Lückenzeichen  ohne  nähere  Erklärung  nur  zu  leicht  hinweg. 
Mehr  als  ein  Vers  wird  überhaupt  nicht  ausgefallen  sein,  und  dies 
nur  durch  die  Schuld  eines  Abschreibers  ^). 

fassen  als  „Unregelmäßiges,  von  der  Rundform  Abweichendes ".  Wie 
Angenehmes  und  Unangenehmes  sich  im  Bewußtsein  gegenüberstehen, 
so  gibt  es  in  der  Atomenwelt  folgende  Gegensätze:  lere  et  rotundum-and 
squalor,  der  sich  äußert  in  acutum  (V.  463)  oder  in  dentatis  formis,  die 
je  nach  der  Schärfe  des  unangenehmen  Eindrucks  gegeneinander  abge- 
stuft sind  (vgl.  V.  427 — 429).  Haben  solche  Atome  mucrones  oder  sind  sie 
dentatae,  so  können  sie  sich  auch  verschränken  und  dadurch,  wenn  sie  in 
die  Sinnesorgane  eindringen,  außer  der  Wirkung  ihrer  natürlichen  Unregel- 
mäßigkeit —  um  grob  zu  reden  —  ein  größeres  Loch  reißen.  Nur  bei  dieser 
Auffassung  streiten  die  Verse  404—407  und  424  f  nicht  mehr  miteinander. 
1)  In  meiner  Erstlingsarbeit  (De  Lucretiani  libri  primi  condicione 


204  J.  MUSSEHL 

Wenn  nun  Lukrez  in  V.  464  ganz  kurz  mit  sed  die  Aporie 
einleitet,  so  muß  er  unmittelbar  vorher  etwas  niedergeschrieben 
haben,  das  ihn  dazu  veranlaßt  hat,  die  Frage  aufzuwerfen.  Ande- 
renfalls würde  er  eher  mit  einer  in  solchen  Fällen  beliebten  Wen- 
dung (wie  II  225;  V  1091  oder  I  370;  1052;  VI  1056  u.  ö.)  die 
Aporie  zunächst  genauer  angekündigt  haben.  Da  der  Teil  V.  444 
bis  477  von  den  Arten  der  Zusammensetzung  der  Atome  han- 
delt, also  auch  vom  Flüssigen  (V.  451 — 455),  so  ist  mit  größter 
Sicherheit  zu  vermuten,  daß  die  Nennung  der  mit  den  levia  et 
rotunda  (aus  diesen  besteht  ja  vorzugsweise  das  Flüssige)  in  Wider- 
spruch stehenden  Atomformen  des  Unangenehmen  den  Dichter  un- 
mittelbar zu  der  Auseinandersetzung  der  Verse  464  —  477  ge- 
drängt habe. 

Mit  derselben  Erwartung  hatte  aber  Lukrez  den  Leser  bei  den 
Worten  haerere  inter  sc  (V.  461)  entlassen.     Die  Worte 
461  quodctimqiie  videmus 

sensihiis  sedatum  facile  ut  cognoscere  possis 
non  e  perplexis  sed  acutis  esse  elcmcntis 
müssen  also  die  Umschreibung  von  unangenehm  wirkenden  Atom- 
formen enthalten.  Daß  dies  wirklich  der  Fall  ist,  dazu  weist  V.  463 
den  Weg.  Das,  was  den  Sinnen  unangenehm  ist,  besteht  —  so- 
viel darf  man  zunächst  aus  dem  Verse  entnehmen  —  aus  spitzigen 
Atomen  {acutis).  Daher  auch  der  Ausdruck  conipimgere.  Sie 
dürfen  nicht  perplexa  sein.     Denn,  zu  einer  Masse  geformt  —   so 

ac  retractatione,  Diss.  Greifswald  1912)  habe  ich  auf  mehrere  solche  Fälle 
hingewiesen.  Die  Feststellung  der  verschiedenen  Arten  von  Lücken  ist 
sehr  wichtig  für  die  Überlieferungsgeschichte  des  Lukrez  und  die  Frage 
nach  der  Herausgabe  des  Werks  von  der  Hand  des  Marcus  Cicero.  Im 
übrigen  halte  ich  für  diese  Lukrezstelle  gegen  Munro  und  Bailey  einen 
Ausfall  für  das  Wahrscheinlichste.  Die  auffallende  Ähnlichkeit  des  Vers- 
ausganges V  666  bestimmt  diese  Ansicht.  Man  könnte  sich  den  ausge- 
fallenen Vers  mit  einem  esse  wie  V  667  beginnend  denken.  Er  kann 
auch  nur  einen  nebensächlichen  Gedanken  enthalten  haben.  Etwa: 
„(das  darf  dir  nicht  wunderbar)  sein,  wenn  du  nach  dem  Vorhergehen- 
den die  Sache  recht  erwägst".  Denn  die  mit  nmyi  beginnende  Lösung 
der  Aporie  ist  vollständig  erhalten.  Minime  mirahilc  debet  aber  unter 
Annahme  einer  , Ellipse"  von  esse  für  abgeschlossen  anzusehen,  verbietet 
der  Sprachgebrauch  bei  Lukrez.  Gewiß  sind  manche  sprachliche  Härten 
bei  Lukrez  zu  finden,  doch  verbindet  er  debere  stets  unmittelbar  mit  einem 
Infinitiv  oder  rückt  es  wenigstens  in  so  große  Nähe  eines  Infinitivs,  daß 
die  -Ergänzung"  selbstverständlich  ist.    Beides  liegt  in  V.  465  nicht  vor. 


DIE  AGGREGATZUSTÄNDE  BEI  LUKREZ  205 

muß  sich  Lukrez  die  in  iioii  perplexa  steckende  Bedingung  aus- 
denken — ,  verlieren  sie  die  Fähigkeit  des  compuncfcre.  Auch 
kommen  sie  ja  im  Luftförmigen  vor,  wie  die  Erfahrung  lehrt 
(Rauch),  und  dies  darf  überhaupt  nicht  perpJexiim  sein.  In  dem 
quodaimque  videmus  sensibus  scäatuui  ist  also  die  Umschreibung 
eines  oumia,  quae  aniara  sunt  oder,  wenn  möglich,  eines  noch 
allgemeineren  Ausdrucks  enthalten.  Die  Überlieferung  ist  auf  keinen 
Fall  richtig,  und  Munros  Versuch,  sie  zu  halten,  muß  als  mißglückt 
gelten.  Denn  selbst  wenn  man  davon  absieht,  daß  scdatum  in 
Verbindung  mit  sensibus,  mag  man  jenem  noch  seine  Verbalbcdeu- 
tung  unterlegen  oder  es  als  Adjektiv  fassen,  schwerlich  verstanden 
werden  kann,  führt  der  Begriff  sedare  auf  das  ausgesprochene 
Gegenteil  von  dem,  was  die  Umgebung  von  dem  Verse  verlangt. 
Lachmann  hat  das  Richtige  empfunden,  als  er  venenumst  für  vide- 
mus einsetzte,  doch  hat  er  an  falscher  Stelle  geändert,  da  gegen 
videmus  an  sich  nichts  einzuwenden  ist.  Wenn  man  sich  ent- 
schließt, in  sedatum  ein  esse  datum  zu  sehen,  wie  Bernays,  Brieger 
und  Merrill  es  tun,  ist  der  Weg  zu  dem  nicht  weit,  was  mit  einiger 
paläographischen  Wahrscheinlichkeit  V.  408  (vgl.  dazu  S.  197  A.  1) 
nach  Lukrezens  Sprachgebrauch    ohne  weiteres    an  die  Hand  gibt : 

sensibus  esse  maluni. 
Nimmt  man  dies  als  brauchbar  hin,  so  erhebt  sich  sofort  die  Frage, 
wie  das  zusammenhängende  Satzgebilde  V.  456  —  463  aufzufassen  sei. 
Gewiß,  die  vorgeschlagene  Verbesserung  macht  das  Satzgebilde  kühn, 
aber  nicht  unmöglich.  Der  Satz  gliedert  sich  äußerlich  so:  oninia 
(sc.  quae  aeris  similia  sunt)  necesscst  non  pcrplcxis  indupcdita 
esse  neque  haerere  intcr  sc,  {ita)  ut  cognoscere  jJossis,  quodcuni- 
que  sensibus  mahnn  esse  videmus,  noti  e  perplexis  scd  acutis  esse 
elementis.  Auffallend  ist,  daß  der  durch  den  relativischen  Ausdruck 
etwas  ausgedehnte  Subjektsbegriff  dem  cognoscere  ut  possis  voran- 
geht, während  man  von  einem  consecutiven  ut  erwartet,  daß  es 
sich  möglichst  eng  an  den  Satz  anlehne,  aus  dem  es  die  Folgerung 
zieht.  Doch  eine  kurze  Betrachtung  des  Gebrauches  der  Redeweise 
cognoscere  (oder  eines  ähnlichen  Verbums)  ut  j^ossis  bei  Lukrez 
lehrt,  daß  es  sich  hierbei  um  eine  Formel  handelt,  die  größeren 
Satzgebilden  ganz  frei  angehängt  wird.  Vgl.  1  751  (davor  5  Verse), 
II  121  (davor  7  Verse),  III  124  (davor  7  Verse).  Hauptsächlich 
kommt  III  588  in  Betracht.  Hier  gehen  gar  mehr  als  8  Verse,  die 
in  Frageform  gehalten  sind,  voraus,    und   man  hat  die  Folgerung 


206  J-  MUSSEHL 

mit  ut  noscere  possis  für  so  frei  angesehen  (durchaus  gleich  einem 
griechischen  mote),  daß  man  gegen  die  Forderung  der  Satzghede- 
rung  bereits  hinter  foramina  (V.  588)  das  Fragezeichen  gesetzt  hat, 
das  strenggenommen  erst  hinter  aiiras  (V.  591)  zu  erwarten  wäre. 
Ebenso  darf  man  sich  in  II  461  helfen,  etwa  durch  einen  Doppel- 
punkt vor  quodcumque,  imd  wenn  man  die  freie  Verwendung  der 
Formel  cognoscere  ut  possis  anerkennt,  verliert  die  Voransetzung 
des  langen  Subjektsbegriffs,  die  zunächst  als  kühne  Verschränkung 
erscheinen  möchte,  immerhin  ihr  erstaunliches  Ansehen.  Doch  selbst 
wenn  man  diesen  Weg  nicht  einschlägt:  es  fehlt  im  Lukrez  nicht 
an  Beispielen  solcher  Verschränkungen,  die  in  kleinerem  Rahmen 
meist  dem  Versbedürfnis  entsprungen  sind.  Vgl.  III  117  und  418; 
IV 157  und  642  ;V  1185.  Auch  III  180 f.  gehört  hierher.  Denn  es  mu& 
im  Gegensatz  zu  III  46  (vgl.  Heinze  zu  III 180)  so  construirt  werden: 
ita  esse  ut  pcrnoscere  possis,  liinc  licet  animadvertas  animnni. 
Ist  aber  auch  nach  Annahme  der  vorgeschlagenen  Verbesserung 
das  Satzgebilde  seiner  Form  nach  nicht  anstößig,  so  muß  doch  über 
den  Gedankenfortschritt  nach  den  Worten  haerere  intcr  se  noch  ein 
Wort  gesagt  werden.  Es  stehen  sich  im  Verhältnis  von  Grund  und 
Folge  die  Sätze  gegenüber:  „Das  Luflförmige  darf  nicht  ausschließ- 
lich aus  glatten  und  runden  Atomen  bestehen.  Bedingung  ist  nur, 
daß  es  nicht  durch  sich  ineinanderhakende  Atome  verhindert  werde 
(d.  h.  an  dem  diffug er e  puncto  temjjoris)"  und:  „Du  siehst  also,  daß 
das,  was  den  Sinnen  unangenehm  ist,  nicht  aus  solchen  Atomen  besteht» 
die  die  Fähigkeit  haben,  sich  zu  verwickeln,  sondern  aus  spitzigen"^). 

1)  Schwieriglieit  macht  der  allgemeine  Ausdruck  qtiodeumque.  Ist 
es  denn  wahr,  daß  alles,  was  den  Sinnen  unangenehm  ist,  aus  non per- 
plexa  und  acuta  besteht?  Nach  den  vorhergehenden  Abschnitten  des 
zweiten  Buchs  muß  das  verneint  werden.  Zunächst  ist  sicher,  daß  für 
die  luftförmigen  Körper  nur  solche  Schmerzerreger  passen,  welche  sich 
nicht  verhaken  können,  d.  h.  acuta,  die  man  sich  in  Lancettform  denken 
mag-  Über  die  Atomforraen,  die  beim  Flüssigen  den  unangenehmen  Ein- 
druck hervorrufen,  ist  oben  S.  202f.  gehandelt.  Bei  festen  Körpern  können 
die  Schmerzerreger  durchaus  hamata  sein,  da  sie  damit  nicht  die  Zu- 
sammensetzung der  betreflfenden  Dinggattung  stören.  Es  ergibt  sich  also 
für  die  Schmerzerreger  von  den  flüssigen  bis  zu  den  festen  Körpern  eine 
durchgehende  Abfolge  von  Formen  (vgl.  S.  202  A.  2),  worauf  auch  V.  405 
deutet,  in  dem  rnagis  wohl  zu  hainatis  zu  ziehen  ist.  Luftförmige  Körper 
müssen  aus  den  angedeuteten  Gründen  (vgl.  S.  204)  eine  besondere  Atom- 
form für  die  Erzeugung  des  unangenehmen  Gefühls  aufweisen.  Sie  bot 
sich  in  den  acuta,  die  die  Forderung  des  compungere  erfüllten,  aber  wohl 


DIE  AGGREGATZUSTÄNDE  BEI  LUKREZ       207 

Wie  die  Bestimmung  des  V.  460  in  die  Auseinandersetzung  über 
die  Arten  von  Atom  verbin  dun  gen  hineingeraten  ist,  hat,  wie 
oben  ausgeführt,  Brieger  gesehen.  Nur  muß  noch  vor  einem  Ein- 
gritr  gewarnt  werden,  der  nahehegen  könnte,  nämhch  V.  460  vor 
459  zu  setzen,  um  eine  vermeinthch  richtige  Folgerung  zu  erzielen. 
Denn  diese  Gedankenfolge  könnte  berechtigt  erscheinen:  ,Das  Luft- 
förmige  besteht  nicht  ausschliefslich  aus  runden  und  glatten  Atomen; 
denn  es  muß,  wie  z.  B.  der  Rauch,  die  Sinne  verletzen  können; 
sondern  Bedingung  ist  nur,  daß  es  nicht  aus  fest  sich  ineinander- 
hakenden  Stoffen  besteht."  Vielmehr  geht  der  Gedankengang  wie 
der  ganze  Abschnitt  V.  444  —  477  von  den  Atom  v  er  bin  dun  gen 
aus:  „Das  Luflförmige  darf  nicht  völlig  aus  glatten  und  runden 
Grundstoffen  bestehen  (vielmehr  muß  ein  Mindestmaß  von  Zusam- 
menhalt gewährleistet  sein);  Bedingung  ist  nur,  daß  es  nicht  aus 
fest  ineinander  sich  hakenden  Teilchen  besteht." 

Die  Bestimmung  nun,  die  erst  durch  die  Gegenüberstellung 
von  si  minus  —  at  tarnen  erreicht  wird,  daß  nämlich  Grundstoffe 
irgendwelcher  Art  da  sein  müssen,  die  jenes  „Mindestmaß"  er- 
zeugen —  für  ihre  Ausdenkung  bietet  die  bloß  negative  Bestim- 
mung des  V.  459  Raum  — ,  wird  umgebogen  nach  der  Seite  der 
Qualität  hin,  um  die  durch  die  Erinnerung  an  die  Qualität  der  so- 
eben als  Beispiele  gewählten  Dinge  entstandene  Schwierigkeit  unter- 
zubringen. Die  Aussage  quodcumque  videimis  sensibiis  esse  niahiin, 
non  e  perplexis  sed  acidis  esse  eJementis  folgt  aber,  wie  die  Gleich- 
heit der  Worte  schon  ergibt,  nur  mJt  ihrem  negativen  Teil  aus  dem 
Vorhergehenden:  „Das  Luftförmige,  von  dem  manches  (wie  du  aus 
den  Beispielen  ersiehst)  die  Sinne  verletzt,  stellt  die  Bedingung,  daß 
die  Teilchen  (die  nicht  rund  und  glatt  sind;  denn  von  denen  braucht 
nicht  weiter  geredet  zu  werden),  von  welcherlei  Form  sie  auch  sein 
mögen,  nicht  fest  zusammenhängen.  Du  siehst  also",  so  wird  richtig 
geschlossen,  „daß  das,  was  den  unangenehmen  Eindruck  (wohlver- 
standen: bei  dem  Luftförmigen)  hervorruft,  nicht  perplcxum  ist  und 
auch  nicht  sein  kann."  Denn  wenn  es  vächi  non  perplexum  \vdiXQ, 
könnte  es  keine  luftförmigen  Körper  geben,  die  die  Sinne  verletzen, 

im  Durchschnitt  als  rund  und  an  der  Oberfläche  als  ein  wenig  gerauht 
zu  denken  sind  (um  das  verlangte  Mindestmaß  von  Zusammenhalt  zu 
gewährleisten).  Hieraus  ergibt  sich,  daß  der  Ausdruck  quodcumque  sen- 
sihiis  esse  malum  vi(kmus  nicht  absolut  allgemein  zu  verstehen  ist,  son- 
dern nur  auf  das  Luftförmige  abzielt,  so  daß  es  gleich  ist  einem  quod- 
cumque in  hoc  rerum  (sc.  aeris  simüium)  genere  sensibus  esse  malum  videmus. 


208  J-  MUSSEHL 

was  wider  die  Erfahrung  ist.  Der  Dichter  beruhigt  sich  aber  nicht 
bei  der  negativen  Feststellung,  sondern  sowohl  aus  sprachlichem 
Ebenmäßigkeitsgefühl,  als  auch  weil  bei  dem  Leser  das  natürliche 
Verlangen  vorhanden  ist  zu  hören,  wie  geformt  wohl  die  im  Luft- 
förmigen  unangenehm  wirkenden  Teilchen  sein  möchten,  läßt  er 
auf  die  negative  Bestimmung  mit  den  Worten  scd  actitis  esse  ele- 
mentis  die  positive  Erklärung  folgen  ^).  Diese  ergibt  sich  gewiß 
nicht  als  logisch  strenge  Folgerung,  aber  Lukrez  wirft  damit  das 
Wort  in  die  Auseinandersetzung,  an  das  er  mit  sed  (V.  464)  un- 
mittelbar die  oben  bezeichnete  Aporie  anknüpfen  kann.  Es  ist 
darum  eine  arge  Zerstörung  des  Zusammenhanges,  wenn  man,  wie 
Brieger  und  Giussani,  nur  darum,  weil  die  Verse  464  —  477  von 
bestimmtem  Flüssigen  handeln,  die  Aporie  an  V.  455  anknüpft. 
Vielmehr  ist  der  Übergang  so:  „Für  das  Luftförmige,  das  weit 
überwiegend  aus  levia  et  rotimda  besteht,  erhebt  sich  sehr  bald 
die  Frage,  wie  in  ihm  die  schmerzerregenden  Teilchen  wohl  be- 
schaffen sein  mögen.  Aber  auch  beim  Flüssigen,  das  in  der  Mehr- 
zahl glatte  und  runde  Teilchen  aufweisen  muß,  zum  Teil  aber  als 
amariim  bekannt  ist,  liegt  dieselbe  Schwierigkeit  vor,  die  in  ihrer 
Art  gelöst  werden  muß." 

Man  mag  eine  solche  über  das  logisch  Zulässige  hinaus- 
gehende Schlußfolgerung,  wie  sie  in  dem  sed  acnfis  clementis 
liegt,  in  strenger  philosophischer  Prosa  tadeln;  dem  Dichter  muß 
man  diese  Freiheit  hingehen  lassen^),  zumal  deutlich  zu  erkennen 
ist,  durch  welche  inneren  Gründe  sie  hervorgerufen  ist.  Das  sprach- 
hche  Ebenmäßigkeitsgefühl  ist  dabei  nicht  einmal  das  Unwichtigste. 
Auch  daß  Lukrez  mit  V.  460  eine  Umbiegung  begeht,  die  von  dem 
Leitgedanken  der  Verse  444 — 477  abschweift,  kann  ertragen  wer- 
den, zumal  ihm  dies  Verfahren  die  Brücke  zu  der  Aporie  in  V.  464 
bis  477  bilden  muß. 

Solch  ein  Durcheinandergehen  zweier  Beweisreihen  ist  überdies 

1)  Daß  der  Dichter  gerade  hier  im  Vorübergehen  diese  Bemerkung 
eingefügt  hat  und  darauf  verzichtet,  einer  Darlegung  der  verschiedenen 
unangenehm  wirkenden  Atomformen  einen  besonderen  Teil  des  Buches 
einzuräumen,  muß  hingenommen  werden.  Man  darf  nicht  in  den  Fehler 
von  Brieger  und  Giussani  verfallen,  mit  dem  Dichter  rechten  zu  wollen. 
Selbst  dann  würde  ein  solches  Verfahren  unberechtigt  sein,  wenn  die 
Vorlage  des  Lukrez  in  genauem  Wortlaut  bekannt  wäre. 

2)  Es  liegt  hier  ein  ähnlicher  Überschuß  vor,  wie  ich  ihn  in  der  S.  203 
A.  1  genannten  Schrift  S.  60f.  für  1250-264  festgestellt  habe. 


DIE  AGGREGATZUSTÄNDE  BEI  LUKREZ       209 

im  Lukrez  auch  an  ganz  untadligen  Stellen  seines  Werkes  nicht 
ohne  Beispiel.  Ein  Fall  liegt  gleich  in  den  ersten  Abschnitten  des 
zweiten  Buches  (V.  62  —  141)  vor^).  Mit  den  Versen  62 — 66  ver- 
spricht Lukrez,  daß  er  erklären  wolle,  (juo  atomorum  motu  res 
variae  gignantur  et  qua  vi  (=  quibiis  de  cansis)  motum  facere 
cogantiir  primordia,  d.  h.  er  will  beweisen,  daß  es  aus  diesen  oder 
jenen  Gründen  eine  Bewegung  der  Atome  überhaupt  gibt.  Er 
fängt  auch  positiv  an  zu  beweisen,  daß  aus  der  durch  Erfahrung 
bewiesenen  Veränderung  der  Dinge  geschlossen  werden  müsse,  daß 
die  Atome  eine  Bewegung  hätten  (V.  67—79).  Dann  geht  er  zu 
einem  Beweis  e  contrario  über  und  kündigt  an:  si  imtas  cessarc 
posse  afomos,  erras.  Diesen  Beweis  führt  er  aber  nicht  rein  durch, 
sondern  ihm  kommt  in  den  Sinn,  daß  er  auch  über  die  verschie- 
denen Arten  der  Bewegung  sprechen  müsse:  aiit  gravitate  sua 
ferri  primordia  rerum  aut  ictu  forte  aUerius  (V.  84  f.).  Er  ver- 
mischt dadurch  zwei  Reihen  von  Darlegungen,  die  getrennt  so  aus- 
gesehen haben  würden: 

1.  Beweis  dafür,  daß  es  eine  Bewegung  der  Atome  gibt: 

a)  positiver  Schluß:  aus  den  sichtbar  sich  verändernden  Dingen, 

b)  negativer  Schluß:    aus   der  Tatsache  des  Fallens  und  dem 
Wesen  des  unendlichen  Raumes; 

c)  Beispiel:  die  Sonnenstäubchen. 

2.  Die  zwei  Arten  von  Atombewegung: 

a)  Bewegung  aus  eigener  Schwerkraft  (primäre  Bewegung), 

b)  Bewegung  durch  Stoß  anderer  Atome  (sekundäre  Bewegung). 
Die  Sachlage  wird  aber  überdies  dadurch  noch  verwickelter,  daß 
Lukrez  aus  der  Darlegung  2  schon  einige  praktische  Folgerungen 
zieht:  solche  Atome  nämlich,  die  aneinanderprallen ,  erzeugen  die 
Dinge,  seien  es  harte,  wie  Felsen  und  Eisen,  oder  dünne  (weiche), 
wie  Luft  und  Licht  (V.  98 — 108);  solche  aber,  bei  denen  es  zu  gar 
keinem  Zusammenprall  mit  anderen  Atomen  kommt,  (c/ravitate  sua) 
per  inane  vagantur  (V.  109). 

Daß  die  beiden  angedeuteten  Reihen  durcheinandergehen,  ist 
am  klarsten  aus  dem  Beweis  1  b  zu  ersehen.  Dort  zieht  der  Dichter 
zunächst  weiter  keinen  Schluß  als  quod  quoniam  constat,  nimi- 
rum  nulla  quies  est  reddita  corporihus  primis  (V.  95  f.),  d.  h.  es 

1)  Hierüber  habe  ich  in  meiner  S.  203  A.  1  genannten  Schrift 
S.  17  f.  bereits  gehandelt,  setze  aber  dieses  vielsagende  Beispiel  in  vollem 
Umfange  noch  einmal  hierher. 

Hermes  LIII.  14 


210       J.  MUSSEHL,  DIE  AGGREGATZUSTÄNDE  BEI  LUKREZ 

gibt  eine  stete  Atombewegung;  dann  aber  zieht  er,  bewogen  durch 
die  Ankündigung  der  Verse  84  f.  die  soeben  dargelegten  praktischen 
Folgerungen.  Darauf  will  er  an  einem  Beispiel  die  Art  von  Atomen 
klarmachen,  welche  conciliis  rerum  reiecta  sunt  (V.  110)  und  zu 
welchen  ihn  der  einmal  eingeschlagene  Seitenweg,  wenn  man  über- 
haupt so  reden  darf,  geführt  hat.  Dazu  erscheinen  ihm  die  Sonnen- 
stäubchen sehr  geeignet,  und  in  diesem  Sinne  beweist  oder  viel- 
mehr vergleicht  er  auch  in  den  Versen  112  — 124.  Dann  aber 
kommt  ihm  der  Gedanke  zurück,  daß  er  das  Vorhandensein 
einer  Atombewegung  zuallererst  zu  beweisen  unternommen  habe. 
Darum  biegt  er  dasselbe  Beispiel  der  Sonnenstäubchen  allein  im 
Sinne  dieses  Existenzbeweises  um.     Vgl.  V.  127  f.: 

quod  tales  turbae  motus  qtioque  materiai 
significant  clandestinos  caecosque  suhesse 
und  V.  132:  scüicet  hie  a  principiis  est  omnibus  error. 

Man  wird  dies  vom  Standpunkt  des  Philosophen  unklar  oder 
gar  verworren  nennen  und  sich  bemühen  dürfen,  die  Scheidung 
der  Beweise  wieder  vorzunehmen.  Aber  Lukrez  ist  Dichter,  und 
als  solchem  darf  ihm  daraus  kein  Vorwurf  gemacht  oder  gar  die 
ganze  Darlegung  für  unzulänglich  und  unfertig  gehalten  werden. 
Sie  ist  vielmehr  völlig  in  Ordnung,  und  die  Verschlingung  der  beiden 
Beweisreihen,  in  erster  Linie  die  doppelte  Wendung  desselben  Bei- 
spiels, ist  so  geschickt  und  künstlerisch  durchgeführt,  daß  man  sich 
wird  hüten  müssen,  über  die  bloße  Feststellung  der  Tatsache  hinaus- 
zugehen. Auf  Grund  dieser  Vergleichung  wird  man  endlich  auch  für 
die  Verse  444 — 477  zu  keinem  wesenthch  anderen  Urteil  gelangen. 
Es  muß  für  die  Arbeit  am  Lukrez  Grundsatz  bleiben,  daß  das, 
was  sprachlich  richtig  ist  und  sachlich  ausreichend  erklärt  werden 
kann,  für  abgeschlossen  angesehen  wird.  Urteile,  die  da  besagen, 
der  Dichter  hätte  geschickter  so  oder  so  schreiben  müssen,  sind 
wertlos.  Wie,  wenn  Lukrez  aufstünde  und  erklärte,  er  würde  trotz 
der  zusammengedrängten  Darstellung  in  den  Versen  444 — 477,  trotz 
aller  Schwierigkeiten  ihrer  Erklärung,  sie  so  belassen  haben,  wie  sie 
jetzt  in  den  Handschriften  stehen?  Sein  ästhetisches  Urteil  mag  (im 
Lukrez  wenigstens)  jeder  für  sich  haben,  aber  allein  hiernach  irgend 
etwas  philologisch  entscheiden  zu  wollen,  ist  Überhebung. 

Berlin -Tempelhof.  JOACHIM  MUSSEHL. 


DIE  GRABSCHRIFT  DES  PHILOSOPHEN  lULIANUS. 

Im  Jahre  1861  kam  bei  Eisenbahnbauarbeiten  an  der  Via  Latina, 
etwa  600  m  vom  Tore,  ein  Inschriftcippus  zutage,  der,  einem  Philo- 
sophen luHus  luhanus  gesetzt,  in  historischer  Beziehung  ein  nicht 
gewöhnhches  Interesse  beanspruchen  darf.  Der  Stein  ist  von  Kieß- 
ling,  der  ihn  kurz  nach  der  Auffindung  gesehen,  im  Bull.  d.  Inst, 
arch.  1862  S.  7  (nach  seiner  Abschrift  dann  CIL  VI  n.  9783; 
wiederholt  von  Bücheier,  Carm.  epigr.  n.  1342  und  Dessau,  Inscr. 
sei.  n.  7778)  pubhcirt  worden.  Seitdem  schien  er  verschollen.  Ich 
habe  ihn  im  Frühjahr  1913  im  Thermenmuseum  (im  Garten  links 
vom  Eingang  zu  den  Verwaltungsräumen)  wiedergefunden  und 
copirt.  Die  Inschrift  ist  eingehauen  mit  guten  Buchstaben  des  aus- 
gehenden zweiten  oder  beginnenden  dritten  Jahrhunderts  n.  Chr., 
ein  chronologisches  Kriterium,  das  für  die  Beurteilung  des  Inhalts 
ausschlaggebend  sein  muß.  Ich  setze  den  Text  nach  meiner  Ab- 
schrift noch  einmal  her: 

.  D  •  M  •  S  . 

IVLIO     I  VLI  AN  0 
VIRO  •  MAGNO  •  PHI 

urceus  L  0  S  0  P  0  •  P  R  I  M  0  9^  ^,^,, 

5  HIC- CVM-LAVRV-FE 
RET  .  ROMANIS  •  lAM 
RELEVATIS-RECLV 
SVS'-CASTRIS-INPI 
A  .  MORTE  •  PERIT- 

Von  sprachlichen  Erscheinungen  weist  die  Schreibung  pMlo- 
S02)0  (nicht  filosofo)  und  ebenso  die  nichtassimilirte  Form  in2)ia 
ebenfalls  auf  eine  Zeit,  die  jedenfalls  vor  der  Mitte  des  dritten 
Jahrhunderts  liegt.  Dies  ist  der  äußerste  terminus  ante  quem; 
einen  späteren  Zeitansatz  schließen  Schriftcharakter  und  Orthographie 
gleichermaßen  aus.  Das  Fehlen  des  Praenomens  widerspricht  dieser 
chronologischen  Fixirung  der  Inschrift  nicht;  von  den  solennen 
tria  noynina,   wie   sie   zur  regulären  Namensbezeichnung  des   er- 

14* 


212  M.  BANG 

wachsenen  römischen  Bürgers  seit  dem  Beginn  der  Kaiserzeit 
gehören,  bleibt  gelegenthch  einmal  schon  im  ersten  Jahrhundert  i), 
ziemlich  häufig  dann  seit  der  Mitte  des  zweiten  2),  auch  auf  Grab- 
inschriften^), der  Vorname  weg.  Z.  5  —  9  bilden  ein  Distichon, 
das  freilich  nichts  weniger  als  formvollendet  ist.  Lai(rii(m)  fer(r)et 
und  inpiä  mortc  sind  böse  Schnitzer,  aber  bei  dieser  Art  von 
Poesie  nicht  eben  verwunderlich.  Z.  7  sind  die  ersten  drei  Buch- 
staben getilgt  (aus  welchem  Grunde,  ist  nicht  ersichtlich),  aber 
noch  gut  lesbar. 

Eine  Erklärung  der  Inschrift  hat  Mommsen  in  einer  längeren 
Anmerkung  zum  Corpustexte  zu  geben  versucht.  Er  denkt  an  eine 
Befreiung  Roms  von  einem  feindlichen  Angriff,  bei  welcher  Gelegen- 
heit unser  lulianus  sich,  um  Lorbeer  zur  Siegesfeier  zu  holen, 
zu  weit  aus  der  Stadt  gewagt  habe  und  in  die  Hände  der  Feinde 
gefallen  sei,  die  ihn  dann  in  ihr  Lager  geschleppt  und  dort  getötet 
hätten.  Zugetragen  habe  sich  dieser  Vorfall  vielleicht  im  Jahre  307, 
gelegentlich  einer  der  beiden  damals  gegen  Maxentius,  zuerst  von 
Severus,  dann  von  Galerius  unternommenen  Expeditionen,  die  beide 
erfolglos  verliefen ;  zumal  zu  der  zweiten  passe  nach  dem,  was  die 

1)  Beispiele  bieten  u.  a.  die  Akten  der  Säkularspiele  des  Augustus 
(Z.  107  Asinius  Gallus;  derselbe  Z.  151  C.  Asinius)  und  die  Arvalakten 
der  Jahre  57 — 60  (Sulpicius  Camerinus)  und  72. 

2)  S.  z.  B.  die  Listen  der  equites  singulares  CIL  VI  31150  (J.  142) 
u.  225  (J.  200),  das  Dekurionenverzeichnis  der  fabri  tiffnuarii  VI  33856 
V.  J.  154  und  die  Arvalakten  von  119.  155.  183.  186.  193;  femer  die 
Weihinscbriften  VI  791  (J.  11.5).  404  (1.  Drittel).  1009  (J.  140).  31148 
(desgl.).  631  "(J.  177).  861  (J.  181).  Belege  aus  dem  3.  Jahrb.  anzuführen 
erübrigt  sich. 

3)  Von  kaiserlichen  Freigelassenen,  die  ihr  Praenomen  weglassen, 
finde  ich  mehrere  FlarAi  (CIL  VI  8610.  8971.  18185.  18395.  35310),  Ulpü 
(VI  8512.  8762.  8891.  8979.  29226.  29294),  Aelii  (VI  2997.  5308.  9008.  10718. 
10853.  15983.  27099),  zahlreiche  Aurelii  (VI  5339.  8511.  8697.  8745.  9057. 
9087.  10209.  10840.  12989.  12994.  13060.  1.3084.  13181.  13221.  13256.  15860. 
17920.  23272.  28283  u.a.m.),  endlich  einen  Seinimius  (VI  9028;  Frei- 
gelassene des  Severus  begegnen  überhaupt  verhältnismäßig  selten).  Seit 
dem  Ende  der  Severischen  Epoche  wird  diese  Form  der  Nomenklatur 
die  Regel,  so  daß  die  zweistelligen  Namen  (Nomen  und  Cognomen)  im 
allgemeinen  ein  Charakteristikum  der  Spätzeit  bilden.  Aber,  wie  gesagt, 
ein  unbedingt  sicheres  Kennzeichen  dafür  sind  sie  an  sich  nicht.  Da 
eine  systematische  Behandlung  dieser  nicht  unwichtigen  Frage  meines 
"Wissens  noch  aussteht,  schien  es  mir  nicht  überflüssig,  wenigstens  mit 
ein  paar  kurzen  Worten  darauf  einzugehen. 


GRABSCHRIFT  DES  PHILOSOPHEN  lULIANUS  213 

Schriftsteller  darüber  erzählten,  die  in  dem  Epigramm  sich  wider- 
spiegelnde politische  Situation.  Dieser  Deutung  hat  sich  Dessau 
angeschlossen,  während  Bücheier  die  Inschrift  zeitlich  noch  um  ein 
volles  Jahrhundert  hinabrücken  und  auf  die  Vergewaltigung  Roms 
durch  Alarich  beziehen  möchte. 

Demgegenüber  ist  zunächst  zu  bemerken,  daß,  wie  eingangs 
hervorgehoben ,  der  Stein  dem  Buchstabencharakter  nach ,  der 
mangels  sonstiger  genauerer  chronologischer  Indicien  für  die  zeit- 
liche Bestimmung  in  erster  Linie  maßgebend  sein  muß,  nicht  ins 
vierte  oder  gar  fünfte  Jahrhundert,  sondern  spätestens  in  den  Anfang 
des  dritten  gehört.  Alle  Versuche,  zwischen  dem  Epigramm  und 
den  politischen  Verhältnissen  der  Spätzeit  eine  Beziehung  herzu- 
stellen, sind  somit  gegenstandslos. 

Aber  auch  davon  abgesehen,  fordert  die  Mommsensche  Inter- 
pretation zum  Widerspruch  heraus.  Cum  laurii{m)  fer{r)et  kann 
unmöglich  bedeuten  'cum  extra  urhem  processisset  ad  petendam 
laurum  victoriae  cclebrandae  causa",  sondern  nur  'als  er  sich  mit 
dem  festliclien  Lorbeer  geschmückt  hatte'  und  ist,  wie  mir  scheint, 
in  dem  Sinne  zu  verstehen,  daß  lulianus,  vom  Taumel  der  all- 
gemeinen Festesstimmung,  die  ob  der  'Erleichterung'  der  Be- 
völkerung Roms  sich  bemächtigt  hatte,  ergriffen,  sich  lebhaft  an 
den  Freudenkundgebungen  der  Menge  beteiligt  habe.  Worin  diese 
'Erleichterung'  aber  bestanden,  kann  meines  Bedünkens  nicht 
zweifelhaft  sein.  Belevari  heißt  'von  einer  Last,  einem  Druck 
befreit  werden',  und  wenn  die  Römer  hier  als  relcvati  bezeichnet 
werden,  so  wird  man  dem  Wortsinne  gemäß  eher  an  eine  Befreiung 
vom  Tyrannenjoche  als  an  die  Vertreibung  eines  vor  die  Stadt 
gerückten  Feindes  zu  denken  haben.  Es  ist  das  erleichterte  Auf- 
atmen eines  von  Despotismus  niedergedrückten  und  gequälten  Volkes, 
das  hier  in  diesem  Worte  zum  Ausdruck  kommt. 

Was  sodann  die  castra  anlangt,  in  denen  der  Philosoph  sein 
Leben  ließ,  so  kann  bei  dem  Fehlen  jeglichen  Determinativs  nur 
an  ein  als  allgemein  bekannt  vorausgesetztes  Lager  gedacht  werden, 
nämUch  eine  Kaserne  der  hauptstädtischen  Garnison,  und  dazu 
stimmt  der  Ausdruck  reclusus,  der  entschieden  eine  reguläre  Ver- 
haftung  und   Einsperrung   besagen   will^).     Daß    in    der  Kaiserzeit 

1)  Wie  bei  lustin  XXVI  1,  7  :  {conmges  liberique  exulum  Eleorum) 
in  carcerem  reduduntur;  vgl.  auch  TertuU.  de  idol.  17  a.  E.  :  neminem 
vinciat,  neminem  rcchidat  mit  torqueat. 


214  M.  BANG 

im  öffentlichen  Sicherheitsdienst  neben  der  bürgerlichen  Haft,  für 
die  bei  schwereren  Kriminalfällen  in  Rom  vorzugsweise  das  Staats- 
gefängnis am  Markt  in  Frage  kam,  die  militärische  eine  wesent- 
Hche,  wenn  nicht  die  Hauptrolle  gespielt  hat,  ist  bekannt^),  und 
es  liegt  auf  der  Hand,  daß  die  stadtrömischen  Mihtärgefängnisse 
in  den  Standlagern  der  Garnison  zu  suchen  sind.  So  steht  die 
Verwendung  der  auf  dem  Caelius  gelegenen  castra  peregrina  für 
die  Inhaftirung  festgenommener  Civilpersonen  außer  Zweifel  2), 
wie  denn  die  hier  in  Quartier  liegende  Truppe,  die  frumentarii, 
die  Ausübung  polizeilicher  Funktionen  zu  ihren  wesentlichsten 
Aufgaben  zählte^).  Auch  die  Chefs  der  Municipalgarde  und  der 
Feuerwehr,  der  Stadtpräfekt  und  der  praefedus  vigilum,  haben 
wie  mit  der  Sicherheitspolizei  so  auch  mit  dem  Gefängniswesen 
erwiesenermaßen  zu  tun  gehabt*),  und  Internirung  von  Häfthngen 
im  Prätorianerlager  ist  zum  mindesten  wahrscheinlich,  wenngleich 
sich  direkte  Belege  dafür  nicht  beibringen  lassen^).  Welche  von 
den  in  Betracht  kommenden  Kasernen  der  hauptstädtischen  Truppen- 
körper —  außer  den  genannten  hatten  auch  noch  die  equites 
singulares  ihre  eigenen  castra  —  in  unserer  Inschrift  gemeint 
ist,  läßt  sich  mit  Sicherheit  nicht  entscheiden.  Am  nächsten  liegt 
es,  an  das  große  Prätorianerlager  zu  denken,  das,  weil  es  an  Alter 
und  Bedeutung  alle  anderen  überragt,  oft  schlechthin  castra  heißt •'j. 


1)  Hirschfeld,  Sitzungsber.  d.  Berl.  Akad.  1891  S.  858f.  (Kl.  Sehr. 
S.  590f.);  Mommsen,  Strafrecht  S.  315fi'. 

2)  Mommsen,  Sitzungsber.  d.  Berl.  Akad.  1895  S.  501  (Ges.  Sehr.  VI 
S.  552 f.),  Strafr.  S.  316. 

3)  Henzen,  Bull.  d.  Inst.  arch.  1884  S.  24 ff.;  Hirschfeld  a.  a.  0.  S.  856 
(Kl.  Sehr.  S.  588).  Über  die  eigentliche  und  ursprüngliche  Aufgabe  der 
frumentarii  äußert  eine  andere  Auffassung  Paribeni,  Rom.  Mitt.  XX 
(1905)  S.  313ff. 

4)  Mommsen,  Strafr.  S.  316;  v.  Domaszewski,  Rangordnung  d.  röm. 
Heeres  S.  18  (Nr.  16).  12  (Nr.  21).  14  (Nr.  30);  vgl.  Hirschfeld  a.  a.  0. 
S.  848  ff.  (KI.  Sehr.  S.  579  ff). 

5)  Die  Charge  des  OjJtio  carceris  begegnet  jedenfalls  auch  bei  den 
Prätorianern  (v.  Domaszewski  a.  a.  0.  S.  24  Nr.  29).  Über  die  ebenfalls 
bei  der  Garde  sich  findende  dienstliche  Funktion  a  commentariis  custo- 
diarum  s.  Hirschfeld,  Kl.  Sehr.  S.  591  A.  2;  v.  Domaszewski  a.a.  O.  S.  21.  76. 

6)  So  ganz  allgemein  bei  den  Schriftstellern,  namentlich  bei  Tacitus ; 
castra  Av(j{usti)  nennt  es  die  Inschrift  des  Bronzegewichts  Dessau  n.  8639. 
Zu  vergleichen  ist  der  nur  von  Centurionen  des  Prätoriums  geführte 
Rangtitel  j^trinceps    castrorum  (so   [seit    Hadrian?]    im    Gegensatz    zum 


GRABSCHRIFT  DES  PHILOSOPHEN  lULIANUS  215 

Man  vergegenwärtige  sich  also  die  Situation :  Rom  ist  von 
einem  Alp  befreit.  Freudig  erregt  und  demonstrirend  zieht  die 
Menge  durch  die  Straßen.  Auch  unser  Philosoph  wird  von  der 
allgemeinen  Begeisterung  erfaßt  und  manifestirt  mit.  Es  kommt 
zu  einem  Zusammenstoß  mit  der  bewaffneten  Macht.  Die  Haupt- 
schreier werden  festgenommen,  unter  ihnen  lulianus.  Er  wird  ins 
Gefängnis  gesteckt  und  läßt  hier,  ohne  förmliches  Verfahren  und 
ohne  Richterspruch  —  das  ist  inpia  morte  —  unter  Soldatenhänden 
sein  Leben. 

Wenn  man  nun  die  Zeit  der  Inschrift  bedenkt,  so  ergibt  sich 
meines  Erachtens  unschwer  die  historische  Beziehung  für  den  in 
ihr  geschilderten  Vorgang,  Am  3L  December  des  Jahres  192  fiel 
Commodus  von  Mörderhand.  Hoch  und  niedrig  atmete  auf,  und 
das  allgemeine  Gefühl  der  Erleichterung  brach  sich  mit  elementarer 
Kraft  Bahn.  Wenn  je  etwas,  so  bedeutete  sein  Tod  eine  relevatio 
für  die  Römer  und  ward  damals  von  jedermann  als  solche  empfun- 
den^). Das  Volk  zog  jauchzend  und  lorbeergeschmückt  durch  die 
Straßen  2)  und  feierte  mehr  noch  als  den  neuen  Herrscher  den  Tod 
des  alten.  Der  Senat  sprach  den  feierlichen  Fluch  über  das  An- 
denken des  'Tyrannen'  aus  3);  er  ließ  Münzen  mit  der  Aufschrift 
Uheratis  civibus  schlagen  *)  und  eine  Bildsäule  der  Freiheitsgöttin 
aufstellen  ^).  Allein  das  Militär,  insbesondere  die  Prätorianer ,  ver- 
hielt sich  reservirt,  ja  feindselig.  Ihm  gefiel  die  Neuordnung  der 
Dinge  nicht,  und  wenn  sie  sich  auch  äußerlich  fügten,  so  machten 
die  Gardisten  aus  ihrem  Bedauern  über  den  Sturz  des  Commodus 
kein  Hehl^).  Mit  Not  und  Mühe  wurden  blutige  Zusammenstöße 
mit    der    Bevölkerung    vermieden''),    und    es   läßt   sich    sehr    wohl 


pi'inceps  castrorum  peregrinorum)'^  s.  Mommsen,  Eph.  epigr.  IV  S.  241f. 
(Ges.  Sehr.  VIII  S.  378f.;  vgl.  ebd.  S.  427  A.  1  u.  Bd.  VI  S.  551  A.  2); 
V.  Domaszewski  a.  a.  0.  S.  101  f. 

1)  S.  die  Schilderung  Dios  LXXIII  2,  1 — 4  und  die  ganz  ähnlich 
lautende  Herodians  II  2,  3—4  (vgl.  dazu  Baaz,  De  Herodiani  fontibus, 
Diss.  Berl.  1909  S.  27ff.). 

2)  'Er&ovGiojvTi  ioixMg  ißaxx^vEto  (Herod.  II  2,  3)  —  dacpvrjcpoQovvxes 
(ebd.  2,  10). 

3)  Die  LXXIII  2,  1;  vita  Comm.  17,  6;  18-20. 

4)  Cohen  III 2  S.  393  Nr.  28.  29. 

5)  Herod.  I  14,  9. 

6)  Die  LXXIII  1,  3;  Herod.  II  2,  9;  4,  4;  vita  Pert.  6,  3. 

7)  Herod.  II  2,  4-5.  9. 


216  M.  BAKG,  GRABSCHRIFT  DES  PHILOS.  lULIANUS 

denken ,  daß  die  Soldaten ,  wo  sie  nur  konnten ,  ihr  Mütchen  an 
den  anders  gesinnten  Bürgern  gekühlt  haben;  zumal  die  mit  poli- 
zeilichen Befugnissen  ausgestatteten  werden  ihrem  Unmut  über  den 
plötzlichen  Wechsel  durch  zahlreiche  Übergriffe  und  Verhaftungen 
Luft  gemacht  haben.  So  wird  auch  unser  lulianus  ein  Opfer  der 
Übellaune  und  Rachsucht  des  Militärs  geworden  sein^). 

Über  die  Persönlichkeit  und  Bedeutung  dieses  'Philosophen 
ersten  Ranges'  sonst  etwas  zu  ermitteln,  ist  mir  nicht  gelungen  2). 
Er  scheint  wie  alle  die  anderen  römischen  Berufsgenossen,  von 
denen  die  Steine  uns  Kunde  geben  ^),  kaum  mehr  als  ein  mittel- 
mäßiger Durchschnittsvertreter  seines  Faches,  ein  Schulprofessor,  wie 
sie  zu  Hunderten  in  der  Hauptstadt  lehrten,  gewesen  zu  sein.  Was 
ihn  für  uns  über  dieses  Niveau  hinaushebt  und  interessant  macht 
ist  lediglich  sein  tragisches  Ende. 

Berlin.  M.  BANG. 


1)  Man  könnte  auch  an  die  gleichartigen  Zustände  in  Rom  nach 
der  Ermordung  des  Caracalla  (vgl.  Die  LXXVIII  9;  Herod.  V  2,  1-2) 
oder  des  ersten  Maximinus  (Herod.  VH!  6,  7 — 8;  Schiller,  Kaiserzeit  I,  2 
S.  795f.)  denken;  aber  die  Beziehung  auf  Commodus'  Tod  paßt,  wie  mir 
scheint,  weit  besser,  und  auch  aus  den  oben  S.  211  f.  angegebenen  äußeren 
Gründen  möchte  ich  an  dem  vorgeschlagenen  Zeitansatz  festhalten. 

2)  Der  Name  ist  laut  Ausweis  der  Inschriften  so  häufig  in  Rom, 
daß  sich  aus  ihm  nichts  entnehmen  läßt. 

3)  CIL.  VI  9784.  9785  (zwei  philosophi  Stoici).  37813  (pMlosophus 
Epicureus);  IG. XIV 1088  {[(pd]6ao(pog  .-Tegi:iau]T[iy.6g]).  1149,1.  1589(9).  1887. 


MISCELLEN. 


DRUSUS  GASTOR. 
In  dem  Berichte,  den  Gassius  Dio  in  zeitlicher  Folge  über  die 
Geschehnisse  unter  Tiberius  geben  zu  wollen  erklärt  (LVII  14,  1), 
werden  auch  über  Drusus,  den  Sohn  des  Tiberius,  einige  für  sein 
ärgerniserregendes  Wesen  bezeichnende  Züge  erzählt,  die  in  das 
Jahr  seines  ersten  Gonsulates  (15  n.  Chr.)  fallen.  Da  heißt  es  unter 
anderm  (14,  9)  rfj  /uevroi  ögyf]  ovto)  yaleTifi  ixgfjro  coore  xal 
jiXvjyäg  innei  enicpavei  dovvai  y.al  diä  lovio  xal  KdoTCog  jcagco- 
vvfjiiov  laßsiv.  Es  handelt  sich  also  um  einen  Spottnamen,  der 
dem  jähzornigen  Prinzen  dafür  beigelegt  wurde,  daß  er  sich  von 
seiner  Leidenschaft  so  weit  hinreißen  ließ,  einen  vornehmen  römischen 
Ritter^)  zu  prügeln.  Warum  wurde  er  gerade  Gastor  genannt? 
Ich  finde  bei  den  neueren  Gommentatoren  keine  befriedigende  Er- 
klärung dieses  Beinamens.  Boissevain  gibt  zur  Erläuterung  die 
Randnotiz  „c/'.  Hör.  ep.  1,18,19'^.  Wer  nun  die  Horazstelle  nach- 
schlägt, findet  sich  enttäuscht.  Horaz  richtet  in  dieser  Epistel  eine 
Mahnung  an  seinen  jungen  Freund  Lollius  (Maximus),  sich  im 
Verkehre  mit  hohen  Herren  eine  gewisse  Zurückhaltung  aufzuerlegen 
und  z.  B.  Meinungsverschiedenheiten  in  geringfügigen  Dingen  nicht 
auf  rechthaberische  Weise  auszutragen:  ambigitiir  quid  enim? 
Castor  sciat  an  Docilis  2^^'^s?  So  wählt  also  der  Dichter  als 
Beispiel  für  einen  solchen  Gegenstand  des  zu  vermeidenden  Streites 
die  Frage,  ob  Gastor  den  Docilis  an  Können  übertrifft  oder  um- 
gekehrt. Die  Genannten  sind  wohl  Künstler,  sei  es  Schauspieler 
oder  Pantomimen  oder  Gladiatoren.     Was  Porphyrio  z.  St.  bemerkt, 

1)  Der  Ausdruck  iTiJievg  Imq^avrjg  ist  Übersetzung  der  gebräuchlichen 
Bezeichnung  eques  ülustris.  An  Seian  ist  hier  natürlich  nicht  zu  denken, 
von  dem  Tac.  ann.  IV  3  berichtet,  er  sei  von  Drusus  geohrfeigt  worden ; 
denn  dies  geschah  erst  im  J.  23,  und  dieser  Vorfall  wird  ja  auch  von 
Dio  (Xiphil.)  LVII  22, 1  erwähnt,  aber  so,  daß  Drusus  der  leidende  Teil 
gewesen  sei. 


218  MISCELLEN 

Castor  aufem  et  Docilis  ut  alii  dicunt  histriones  tunc  temporis, 
ut  alii  gladiatores  fuerimt,  hilft  selbstverständlich  nicht  weiter,  da 
alles  dies  nur  aus  der  Auffassung  des  Textes  abgeleitet  ist^).  Man 
könnte  ja  auch  an  Grammatiker  oder  andere  Gelehrte  denken,  weil 
in  diesem  Fall  der  Streit  noch  schwieriger  zu  entscheiden,  also 
noch  müßiger  gewesen  wäre  als  bei  Artisten,  die  ihre  Leistungen 
in  öffentlicher  Darbietung  zeigen  ^).  Daß  aber  nun  Drusus  von 
diesem  Castor  seinen  Beinamen  wegen  einer  Gewalttätigkeit  be- 
kommen haben  soll,  ließe  sich  zur  Not  bloß  dann  erklären,  wenn 
wir  bestimmt  wüßten,  daß  Gastor  eben  Gladiator  war  und  noch 
dazu  ein  so  berühmter,  daß  sein  Andenken,  obwohl  er  schon  in 
der  ersten  Zeit  des  Augustus  soviel  von  sich  reden  machte,  noch 
unter  Tiberius  lebendig  gewesen  wäre.  Man  sieht,  diese  Erklärung 
ruht  auf  sehr  schwachen  Füßen  und  ist  auch  recht  weit  hergeholt. 
Vor  allem  würde  die  Hauptpointe  fehlen,  daß  Drusus  den  Spott- 
namen erhalten  hat,  weil  er  einen  angesehenen  Ritter  schlug. 

Bei  näherem  Zusehen  stellt  sich  übrigens  Boissevains  Glosse 
als  stark  verkürzte  Wiedergabe  einer  Anmerkung  des  Reimarus 
heraus.  Dieser  hält  (in  seiner  Dioausgabe  z.  St.  II  S.  860)  Gastor 
ohne  weiteres  Bedenken  für  einen  berühmten  Gladiator  und  beruft 
sich  dafür  auf  den  Scholiasten  zu  Horaz.  Er  macht  auch  geltend, 
daß  bei  Homer  Castor  und  Pollux  als  tiv^  äyadoi  bezeichnet 
werden.  In  Wahrheit  gilt  dies  nur  von  Pollux,  II.  F  237.  Od.  1  300: 
KdoTOQO.  ^'  innodafiov  xal  tiv^  äyadbv  IJoXvöevxea.  Daß  aber 
Castor  von  Gladiatoren  etwa  als  Künstlername  angenommen  zu 
werden  pflegte,  wie  dies  sonst  üblich  war,  dafür  besitzen  wir  kein 
Beispiel,  während  uns  eine  ganze  Anzahl  anderer  Künstlernamen 
von  Gladiatoren,  Schauspielern,  Musikern  usw.  bekannt  sind^). 

Kann  also  diese  Erklärung  der  Dioherausgeber  nicht  zufrieden- 
stellen, so  tut  dies  noch  weniger  eine  andere,  die  Rümelin  in  der 
alten  Paulyschen  Realencykl.  II  (1842),  1274  gibt:  „Das  Volk  hieß 
ihn  (Drusus)   Castor,    weil    er  gleich   einem    Ritter   dieses    Namens 


1)  Vgl.  auch  Pseudacr.  zu  v.  19  scilicet  de  gladiatoribus  et  pantomimis 
und  famosi  ülius  temporis  gladiatores. 

2)  Der  Ausdruck  sciat  ist  allerdings  nicht  als  Beweis  dafür  anzu- 
führen, denn  z.  B.  Seneca  de  benef.  VII  1,  4  gebraucht  dieses  Verbum 
sogar  für  die  Leistungen  eines  luctator.  Ebensowenig  besagt  der  Name 
Docilis  (oder  Dolichus),  s.  Pollack  bei  Pauly-Wissowa  V  1295. 

3)  Vgl.  Friedländer,  Sittengesch.  II »  634—641. 


MISCELLEN  219 

allzeit  fertig  war,  Ohrfeigen  und  Schläge  auszuteilen."  Hier  liegt 
offenbar  ein  arges  Mißverständnis  des  Diotextes  zugrunde,  ganz  ab- 
gesehen davon,  daß  in  dieser  sowie  in  der  andern  Erklärung  die 
Ausstattung  des  Drusus  mit  jenem  Spitznamen  ein  ganz  saft-  und 
kraftloser  Spott  wäre,  der  jeglichen  Witzes  ermangeln  würde. 

Und  doch  scheint  mir  dabei  der  Volkshumor  in  köstlicher 
Weise  schafi'end  tätig  gewesen  zu  sein.  In  dem  Beinamen  Castor, 
der  dem  Prinzen  Drusus  für  die  Mißhandlung  eines  angesehenen 
Ritters  gegeben  wurde,  liegt  eine  ergötzliche  Pointe,  wenn  man 
sich  daran  erinnert,  daß  die  Dioskuren  als  die  Schutzherren  der 
Ritterschaft  verehrt  wurden  ^).  Daß  Pollux  hinter  seinem  Zwillings- 
bruder immer  mehr  zurücktreten  mußte,  ist  bekannt^),  und  so  gilt 
denn  Gastor  als  eigentlicher  Schützer  der  römischen  Ritter.  Der 
Hohn,  den  für  Drusus  nach  jenem  Vorfall  das  Beiwort  Castor  birgt, 
liegt  also  klar  zutage,  wenn  dieser  Name  des  Patrons  der  Ritter- 
schaft auf  jemanden  angewendet  wird,  der  die  hervorragende  Stellung 
der  equites  Romani  equo  publico  so  weit  mißachtet,  daß  er  einen 
seiner  angesehensten  Vertreter  durch  Schläge  demütigt. 

Es  ist  bezeichnend,  daß  der  in  dieser  Verspottung  hegende 
Witz  als  Lustspielmotiv  in  der  neueren  deutschen  Dichtung  für  eine 
ähnhche  Situation  angewendet  worden  ist.  Anzengruber  ^)  läßt  im 
, Pfarrer  von  Kirchfeld"  (IV.  Act,  4.  Scene)  den  Wurzelsepp,  der 
den  Schulmeister  scheinbar  gegen  die  auf  diesen  Eindringenden 
deckt  und  ihm  dabei  heimhch  Püffe  erteilt,  sagen:  „Halt,  laßts  'n 
gehn,  er  steht  unter  mein'  Schutz!" 

Man  könnte  noch  einen  Umstand  zugunsten  unserer  Erklärung 
anführen.  Wenn  man  schon  zu  der  unwahrscheinlichen  Annahme 
greifen  wollte,    daß   der  Name   eines   in    der   frühaugustischen  Zeit 


1)  Ich  kann  füi'  die  nähere  Begründung  auf  Heibig  in  d.  Z.  XL 
(1905)  101—115  verweisen. 

2)  Wissowa,  Relig.  u.  Kultus  d.  Römer-  269.  K.  Meister,  Lat.-gr. 
Eigennamen  I  (1916)  113  —  127. 

3)  In  dankenswerter  Weise  macht  mich  Siegfried  Reiter  auf  diese 
bemerkenswerte  Übereinstimmung  aufmerksam.  Derselbe  Gelehrte  hatte 
einen  Augenblick  auch  daran  gedacht ,  daß  Castor  eine  Abkürzung  von 
castigator  sein  könnte.  Freilich  hätte  der  griechische  Autor  dann  kaum 
einen  Hinweis  darauf  unterlassen,  daß  dies  nur  im  Lateinischen  ein  Wort- 
spiel ergibt,  aber  es  wäre  auch  denkbar,  daß  ihm  selbst  dieser  Anklang 
entgangen  ist,  der  neben  der  Hauptpointe  immerhin  hätte  beabsichtigt 
sein  können. 


220  MISCELLEN 

populären  Gladiators  auch  noch  ein  Menschenalter  später  im  Volks- 
munde geläufig  war,  so  ist  doch  völlig  undenkbar,  daß  ein  solcher 
Name  auch  noch  in  der  severischen  Zeit  fortlebte,  so  daß  Dio  kein 
Wort  der  Erklärung  für  nötig  erachtet  hätte.  Daß  hingegen  jeder 
seiner  Zeitgenossen  bei  der  Nennung  des  Namens  Castor  an  den 
Schutzpatron  der  Ritterschaft  dachte  und  daher  jedem  das  Witzwort 
ohne  Commentar  sogleich  verständlich  war,  finden  wir  begreifhch, 
wenn,  wie  wir  wissen,  auch  noch  in  dieser  Zeit  ^)  die  alljährlich 
in  Rom  an  den  Iden  des  Juli  stattfindende  Ritterparade  (die  trans- 
vectio  equitum)  und  die  damit  verbundene  Opferhandlung  imCastoren- 
terapel  die  Bedeutung  Castors  für  den  Ritterstand  jedermann  sinn- 
fällig zum  Ausdruck  brachte. 

Prag.  ARTHUR  STEIN. 


EIN  SOLONGITAT  BEI  LYSIAS. 

F.  Blaß  sagt  Att.  Beredsamkeit  I  ^  S.  435  Anm.  2  zu  folgenden 
Worten  der  bei  Dionysios  Hai.  de  Lysia  c.  30  citirten  Stelle  aus 
dem  köyog  'OXvjuTtiaxög  (or.  83  bei  Scheibe) :  d-av/udCco  de  Aaxe- 
Sai/bioviovg  nävTOiv  jLid?dOTa,  rivi  tiote  yvcüfj.)]  /ocojuevoi  y.aiofxe- 
vi]V  TTjv'EXXdda  neoioo&oiv  ijyejuoveg  ovzeg  jcbv  'EXh]V(ov  xtX.: 
'§  7  xaiofXEV7]v  Tfjv  'EXXdda  jisqioqcooi.  möchte  verderbt  sein,  da 
auch  bei  andern  Schriftstellern  sich  diese  Metapher  nirgends  findet; 
Dobree  xa>covjuev)]v.  Usener  und  Radermacher  lassen  y.aio/uevTjv 
in  ihrem  Text  stehen,  notiren  aber  auch  Dobrees  Vermutung  in 
der  adnotatio.  Ich  möchte  glauben,  daß  hier  ein  Soloncitat  vor- 
liegt, und  zwar  handelt  es  sich  um  den  Anfang  der  von  Aristoteles 
'Aßijv.  jcoXiz.  c.  5  citirten  berühmten  Elegie: 

yivmaxo),  y.ui  juoi  (pQevbg  svdoßsv  äXysa  y.sTxai, 

JiQEoßvTdT7]v  egoQÖJv  yaTav  'laov lag 
y.Xivojuevijv. 
Es  muß  also  xXivojuevtjv  bei  Lysias  wiederhergestellt  werden. 

In  der  Lesung  y.Xtvouevrjv  bei  Solon  (und  danach  jetzt  bei 
Lysias)  folge  ich  dem  scharfen  Auge  von  Ulrich  Wilcken  in  der 
dritten  Auflage  der  'Aßrjvaiwv  jioXizeia  von  Wilamowitz  und 
Kaibel,  wozu  Kenyon,  Suppl.  Aristotel.  III  2  p.  6,  6    allerdings   be- 

1)  Bis  ins  4.  nachcbristliche  Jahrhundert  läßt  sich  dieser  Reiter- 
aufzug nachweisen,  s.  Mommsen  St.  R.  III  495. 


MISCELLEN  221 

merkt:  xaivojuevijv]  ita  Icijit  I]l(af>sius),  rede  tit  vidctur-  xXivo- 
/biEvrjv  Wn.,  quod  verum  esse  potest,  sed  littcra  altera  a  potius 
quam  l  esse  vidctur.  Jedesfalls  bleibt  auch  bei  der  Blassischen 
Lesung  das  Soloncitat  bei  Lysias  bestehen.  Nach  der  Überlieferung 
xaiofxevtp  bei  Dionysios  aber  das  Solonfragment  bei  Aristoteles  zu 
ändern,  wird  sich  schon  deshalb  nicht  empfehlen,  weil  yMvo/j,evt]v 
bzw.  yaivo/iiEvrjv  die  ältere  Überlieferung  ist. 

Halle  a.  S.  0.  KERN. 


DAS  ALTER  DER  RÖMISCHEN  MUNIGIPALBEAMTEN 

(Nachtrag  zu  Bd.  LI  1916  S.  65.) 

In  Bd.  LI  dieser  Zeitschrift  habe  ich  die  Vermutung  aus- 
gesprochen und  zu  begründen  versucht,  daß  der  Verfasser  einer 
uns  erhaltenen  Biographie  Gyprians,  den  man  gewöhnlich,  dem 
Hieronymus  folgend,  Pontius  nennt,  ein  und  dieselbe  Person  sei 
mit  einem  gewissen  Helvius  Honoratus  mit  Beinamen  Pontius  aus 
Curubis  bei  Karthago,  den  seine  Mitbürger,  nachdem  er  alle  ordent- 
lichen und  ein  außerordentliches  Amt  bei  ihnen  bekleidet  und  sich 
dabei  sehr  freigebig  gezeigt  hatte,  durch  die  Inschrift  CIL  VIII  980 
(auch  in  meinen  Inscr.  select.  n.  6817)  geehrt  haben.  Gegen  diese 
Vermutung  hat  P.  Corssen  (in  der  Zeitschrift  für  neutestamentliche 
Wissenschaft  XVIII  1917  S.  118ff.)  einige  Einwendungen  erhoben, 
deren  Berechtigung  ich  nicht  anerkennen  kann.  Richtig  ist,  daß 
Pontius  von  Gurubis,  wenn  er  wirklich  der  Verehrer  Gyprians  ist, 
der  in  der  erhaltenen  Biographie  zu  uns  spricht,  seine  curubitanische 
W^irksamkeit  hinter  sich  gehabt  haben  muß ,  als  er  in  Karthago 
in  den  Kreis  Gyprians  trat,  richtig  auch,  daß  der  Verfasser  der 
Biographie  anscheinend  ein  junger  Mann  war,  wenn  mir  auch 
Corssens  Gründe  dafür  nicht  alle  einleuchten  ^) ;  aber  im  Irrtum 
ist  Corssen,  wenn  er  meint,  der  Gurubitaner  Pontius  habe  frühe- 
stens im  mittleren  Lebensalter  mit  der  Ämterlaufbahn  seiner 
Vaterstadt  fertig  sein  können,  und  müsse  deshalb  verschieden  sein 
von  dem,  wie  gesagt,  in  jüngerem  Lebensalter  schreibenden  Ver- 
fasser der  Vita.  Man  konnte  in  der  Kaiserzeit  die  Gemeindeämter 
schon  in  recht  jungen  Jahren  bekleiden.     In  den  Gemeindestatuten 


1)  Die  cura  alimentorum  des  Pontius  io  das  J.  252  zu  versetzen,  in 
dem  in  Karthago  die  Pest  wütete,  liegt  kein  Grund  vor. 


222  MISCELLEN 

der  republikanischen  Zeit  war  allerdings  das  30.  Lebensjahr  für 
Bekleidung  der  Gemeindeämter  verlangt  worden^);  aber  das  hatte 
sich  offenbar  als  unzweckmäßig  herausgestellt.  Die  Gemeindeämter 
waren  zwar  eine  Ehre,  aber  auch  eine  Last,  zu  der  wohlhabende 
Bürger  lieber  früher  als  später  herangezogen  werden  sollten.  Und 
so  hat  z.  B.  für  die  Provinz  Bith}T]ien  Augustus  das  durch  eine  Lex 
Pompeia  vorgeschriebene  Mindestalter  von  30  Jahren  auf  22 
herabgesetzt^).  Aber  das  war  wohl  eine  Ausnahme.  Im  allge- 
meinen verlangte  man  in  der  Kaiserzeit  von  den  Bewerbern  um 
die  Gemeindeämter  ein  Alter  von  mindestens  25  Jahren  ^),  wobei 
aber  mindestens  seit  Hadrian  das  begonnene  25.  Jahr  als  voll  ge- 
rechnet wurde*).  Daran  wurde  in  den  größeren  Gemeinden,  in 
denen  kein  Mangel  an  leistungsfähigen  Bürgern  war,  gewiß  meist 
festgehalten.  Bemerkenswert  ist  der  Fall  eines  im  Alter  von 
23  Jahren  9  Monaten  verstorbenen  Mailänders,  der  schon  eine  ganze 
Anzahl  Reisen  im  Dienste  seiner  Vaterstadt  gemacht  und  ver- 
schiedene Priestertümer,  aber  noch  kein  eigentliches  Gemeindeamt 
übernommen  hatte  ^).  In  kleinen  Gemeinden  aber  hat  man  offenbar 
nicht  ganz  selten ,  sei  es  unter  Dispens  durch  die  Oberbehörde, 
sei  es  rein  willkürlich,  ganz  jugendliche  Personen  mit  den  Gemeinde- 
ämtern beehrt.  So  finden  wir  in  Antinum  im  Marserlande  einen 
Dreiundzwanzigjährigen,  der  sämtliche  Ämter  seiner  Stadt  ^),  in 
Aeclanum,  bei  Benevent,  einen  Zwanzigjährigen,  der  die  Quästur 
und  das  höchste  Gemeindeamt  (das  eines  duovir  quinquennalis)  dort 
bekleidet  hatte'');  so  in  Lanuvium  einen  siebzehnjährigen  Aedilen 
(CIL  XIV  2122).  Es  war  eben  in  kleinen  Orten  nicht  durchzuführen, 
die  Jugendlichen  ein  für  allemal  von  der  Übernahme  der  Ämter  zu 

1)  Municipalgesetz  der  Tafel  von  Heraklea,  trotz  aller  Einwendungen 
siclier  aus  caesarischer  Zeit  (Inscr.  sei.  6085)  v.  89.  Plinius  ep.  ad  Tra- 
ian.  79,  1 ;  Cic.  Verr.  11  122  bezieht  sieb  auf  die  Aufnahme  in  den 
Gemeinderat. 

2)  Plin.  ep.  ad  Trai.  T9,  2;  80.  Eine  Ausnahme  liefs  übrigens  auch 
schon  das  caesarische  Municipalgesetz  zu,  nämlich  für  diejenigen,  die 
den  alten  Bestimmungen  gemäß  ihrer  Dienstpflicht  im  Heere  genügt 
hatten,  eine  Ausnahme,  die  von  Beginn  der  Kaiserzeit  ab  keine  prak- 
tische Bedeutung  mehr  hatte. 

3)  Dig.  L  4,  8.    Stadtrecht  von  Malaca  (Inscr.  sei.  6089)  cap.  LIllL 

4)  Dig.  XXXVl  1,  76,  1;  L  4,8. 

5)  CIL  V  5894  =  Inscr.  sei.  6732. 

6)  CIL  IX  3839  =  Inscr.  sei.  6534. 

7)  CIL  IX  1156  =  Inscr.  sei.  5878. 


MISCELLEN  223 

befreien.  Die  Gesetzgebung  nahm  schließlich  auf  diese  Verhältnisse 
Rücksicht;  nur  Knaben  (inipuhcrcs)  sollten  unter  keinen  Umständen, 
quamvis  oiecessifas  penuriae  Iwminum  cogat,  Beamte  werden, 
erklärte  Hadrian  (Dig.  L  6,  3)  ^).  Aber  mag  man  sich  in  Gurubis 
auch  genau  an  alle  Vorschriften  gehalten  haben:  immer  kann 
Pontius,  wenn  er  im  begonnenen  25.  Lebensjahre  Adil  wurde,  als 
beginnender  Dreißiger  alles  hinter  sich  gehabt  haben,  was  die  In- 
schrift von  Gurubis  von  ihm  rühmt 2),  und,  der  Ehrenpflichten 
gegen  seine  Heimatstadt  ledig,  sich  nach  Karthago  begeben  haben, 
wo  sich  ihm  bald  eine  andre  Welt  eröffnete  ^). 

1)  Auch  Ulpian  Dig.  L  5,  2  pr.  sagt  deutlicli,  daß  in  nicht  wenigen 
Gemeinden  der  Gebrauch  bestand  und  von  der  Behörde  anerkannt  wurde, 
sich  an  die  iusta  aetas  von  25  Jahren  nicht  zu  kehren.  Man  hat  sogar 
in  dem  caesarischen  Municipalgesetz  eine  besondere  Berücksichtigung 
der  kleinen  Gemeinden  finden  wollen.  Daraus,  daß  in  diesem  Gesetz  bei 
den  Vorschriften  für  die  Wählbarkeit  der  Beamten  (Z.  89  f.  98)  nur 
die  Municipien,  Colonien  und  Präfecturen,  nicht,  wie  sonst  meist,  auch 
die  Fora  und  Conciliabula  genannt  werden,  hat  Kiene,  Der  röm.  Bundes- 
genossenkrieg (1845)  S.  109  schließen  wollen,  für  diese  beiden  Arten 
gälten  die  Bestimmungen  nicht,  der  Gesetzgeber  habe  ihnen  größere 
Freiheit  lassen  wollen,  damit  die  Wählbarkeit  nicht  auf  eine  zu  kleine 
Zeit  beschränkt  werde  (es  ist  Gradenwitz,  Sitzungsber.  der  Heidelberger 
Akademie  1916,  Abh.  14  S.  6  A.  1,  der  diese  alte,  scharfsinnige,  aber 
schwerlich  richtige  Vermutung  aufgestöbert  hat.  Jene  Auslassung  hat 
eine  andre  —  das  ist  Gradenwitz'  Meinung  —  oder  aber  auch  gar 
keine,  ich  meine  eine  gleichgültige  (für  uns  nicht  erkennbare)  Ursache. 

2)  Die  Amterreihe  ohne  Unterbrechung  zu  durchlaufen  war  wohl 
auch  in  größeren  Gemeinden  üblich,  s.  z.  B.  Inscr.  sei.  6146  (aus  Ostia). 
Ein  Verbot  scheint  nicht  bestanden  zu  haben;  es  könnte  sonst  kaum  in 
dem  oben  angeführten  Abschnitt  des  caesarischen  Municipalgesetzes 
(Z.  89fi'.~)  und  in  Kap.  LV  der  lex  Malacitana  fehlen.  Nur  für  die  mehr- 
malige Übernahme  des  höchsten,  des  Bürgermeisteramtes  war  in  Malaca 
eine  Pause,  und  zwar  von  5  Jahren,  vorgeschrieben;  später  genügte, 
ne  quis  continuet  Iwnorem  (Dig.  L  1,  18).  Daß  große  Verschiedenheiten 
auf  diesem  Gebiete  bestanden,  den  Gemeinden  also  alle  mögliche  Freiheit 
gelassen  war,  wird  Dig.  LI,  17,  3  angedeutet. 

3)  Ebenso  wird  Caecilius  Natalis  aus  Cirta  erst  nach  Erfüllung 
seiner  städtischen  Pflichten  nach  Rom  gegangen  sein,  wo  er  Christ 
wurde  und  sich  den  Theodotianem  anschloß;  denn  an  seine  Identität 
mit  dem  von  Eusebius,  Kircheng.  V  28,  8  erwähnten  Natalis  sowie  mit 
dem  gleichnamigen  Freunde  des  Minucius  Felix  glaube  ich  jetzt  noch 
fester  als  früher  (d.  Z.  Bd.  XL  1905  S.  879),  nachdem  ich  Heinzes  Aus- 
führungen über  die  Beseitigung  der  Logoslehre  im  'Octavius'  (Berichte 
der  Sachs.  Ges.  d.  Wiss.  1910  S,  389)  gelesen  habe. 


224  MISCELLEN 

Daß  die  Wärme,  mit  der  der  Biograph  von  Curubis  spricht, 
auch  ohne  die  Annahme  seines  Ursprungs  von  dort  erklärt  werden 
kann  —  einfach  durch  die  Erinnerung  an  die  dort  mit  Cyprian 
verbrachte  Zeit  — ,  gebe  ich  zu;  aber  daß  er,  nicht  zufrieden  mit 
dem  Verdienst,  das  sich  Curubis  durch  Hebenswürdiges  Benehmen 
gegen  den  Verbannten  erworben  hatte  {civium  caritatem,  giiae 
repraesentabat  omnia,  quihus  videhatur  esse  fraudatus  c.  12), 
für  die  Stadt  geradezu  gewaltsam  ein  Anrecht  auf  den  Märtyrer 
Cyprian  construirt  ^) ,  das  möchte  ich  jetzt  noch  bestimmter  als 
früher  für  ein  Zeichen  von  Lokalpatriotismus,  für  einen  Beweis  von 
des  Verfassers  Herkunft  von  dort  erklären. 

Charlottenburg.  H.  DESSAU. 


NYSIUS? 


Dieses  seltsame  Ethnicon  führt  bei  Hygin  fab.  71  Tlesimenes 
{Thesimenes  Fris.;  verb.  von  Jacobi  nach  Paus.  III  12,  9)  Par- 
thenopaei  filkis  ex  Clymene  nymplm.  Was  hat  aber  Parthenopaios 
oder  sein  Sohn  mit  dem  Märchenland  des  Dionysos  zu  tun?  Nun 
erzählt  aber  derselbe  Hygin  fab.  100,  bekannthch  nach  Sophokles^), 
daß  der  Sohn  der  Atalante  den  Telephos  nach  Mysien  begleitet 
habe.  Dort  wird  sich  die  Nymphe  Klymene  in  ihn  verliebt  haben, 
und  Tlesimenes  ist  kein  Nysius,  sondern  ein  3Iysius. 

Halle  (Saale).  C.  ROBERT. 


1)  non  praeteribo,  . . .  at  imminentis  martyrii  pleniore  fiducia  non 
exulem  tanUimmodo  Curubis  sed  et  martyrem  possideret.  Vgl.  d.  Z.  Bd.  LI 
S.  69. 

2)  Arch.  Jahrb.  II  1887  S.  246  f.  III  1888  S.  53. 


ZUM  AOYKIO:^  //  ONO^. 


I. 


Die  Geschichte  von  dem  Menschen,  der  in  einen  Esel  ver- 
wandelt wird  und  als  solcher  die  wunderlichsten  Abenteuer  erlebt, 
bis  er  endlich  seine  menschliche  Gestalt  wiedererlangt,  hat  nach 
einer  bekannten  Notiz  des  Photios  im  Altertum  eine  dreifache  Be- 
arbeitung gefunden.  Davon  sind  uns  wenigstens  zwei  erhalten,  eine 
griechische,  die  unter  dem  Verfassernamen  Lukians  bekannt  ist,  und 
eine  lateinische,  die  uns  bei  Apuleius  vorliegt.  Die  dritte  Fassung 
dagegen  kennen  wir  nur  durch  die  dürftige  Charakteristik  des  Photios. 

Es  ist  verständlich,  daß  dieser  Tatbestand  der  Forschung 
mancherlei  Fragen  aufgab,  deren  wichtigste  vielleicht  die  nach 
der  gegenseitigen  Abhängigkeit  der  drei  Versionen  war.  Und  als 
man  diesem  Problem  erst  einmal  näher  getreten  war,  wollte  sich, 
weit  entfernt  von  einer  Lösung,  vielmehr  eine  immer  größer  wer- 
dende Zahl  neuer  Unsicherheiten  und  Fragen  zeigen,  da  nicht  ein- 
mal mehr  die  Angaben  des  Photios  unzweifelhaft  bestehen  blieben 
und  Lukian  als  Verfasser  der  erhaltenen  griechischen  Fassung  im 
Lauf  der  Diskussion  in  Zweifel  gezogen  werden  mußte. 

Inzwischen  hatte  sich  aber  doch  eine  Methode  herangebildet, 
mit  deren  Hilfe  man  die  Schwierigkeiten  lösen  zu  können  hoffte. 
Sie  bestand  in  einer  möglichst  genauen  logischen  Interpretation  und 
in  gegenseitiger  Kritik  des  Inhalts  der  beiden  erhaltenen  Bear- 
beitungen. Insbesondere  suchte  man  durch  dieses  Vorgehen  zum 
Verständnis  des  griechischen  Textes  durchzudringen.  Aber,  wenn 
diese  Methode  der  Untersuchung  auch  eine  ganze  Beihe  schätzens- 
werter Ergebnisse  zeitigte,  so  versank  sie  doch  schließlich  in  öder 
Hin-  und  Hererklärung  der  einmal  aufgestellten  Gesichtspunkte, 
ohne  neues  Material  zur  Beurteilung  herbeizuschaffen.  Und  auf 
diesem  toten  Punkte  angelangt,  ließ  sie  eine  endgültige  und  um- 
fassende Lösung  vermissen.  Deshalb  wandte  sich  W.  Schmid  ener- 
gisch von  der  Methode  der  logischen  Inhaltsvergleichung  ab  und 
Hermes  LIII.  15 


226  H.WERNER 

setzte  seine  Hoffnung  auf  eine  „feinere  sprachliche  Untersuchung", 
von  der  allein  er  die  Lösung  der  Frage  nach  dem  Verfasser  des 
„lukianischen"  "Orog  und  damit  natürlich  einer  Reihe  damit  ver- 
knüpfter Probleme  erwartete  (Griech.  Lit. -Geschichte^  11  2  S.  575). 
Er  hat  denn  auch  selbst  einen  seiner  Schüler  zu  dieser  Untersu- 
chung veranlaßt.  Sie  liegt  uns  seit  1914  vor  in  der  Dissertation 
von  V.  Neukamm,  De  Luciano  Asini  auctore  ^).  Allein  das  erhoffte 
Ergebnis  ist  ausgeblieben,  wenn  auch  der  Verfasser  selbst  sich  und 
uns  glauben  machen  will ,  er  habe  die  Autorschaft  Lukians  sicher 
festgestellt.  Das  Unternehmen  scheiterte  daran,  daß  die  Aufgabe 
rein  objektiv  unlösbar  und  die  Zuversicht  W,  Schmids  eine  trü- 
gerische war.  Das  hätte  auch  Neukamm  klar  werden  müssen, 
wenn  er  das  Problem  in  seiner  ganzen  Schärfe  erfaßt  hätte:  ent- 
weder ist  Lukian  der  Verfasser,  der  in  diesem  Fall  nicht  einmal 
seinen  ihm  eigentümlichen  Stil  entfalten  konnte,  weil  er  ja  auch 
im  Stil  seinen  Vorgänger  durch  Nachahmung  verspotten  wollte: 
oder  aber  die  Schrift  ist  ein  sozusagen  wörtlicher  Auszug  aus  je- 
nem Vorgänger  selbst,  aus  Lukios  von  Patrai,  der  ein  ungefährer 
Zeitgenosse  Lukians  gewesen  sein  muß  und  von  dessen  Stil  wir 
uns  nur  nach  einem  Zeugnis  des  Patriarchen  Photios  (bibl.  cod.  129) 
eine  ungefähre  Vorstellung  machen  können.  Zum  Überfluß  war 
dem  Photios  offenbar  selbst  die  Ähnlichkeit  des  Lukios  von  Patrai 
—  den  er  äV.og  Aovyuavög  nennt  —  mit  Lukian  aufgefallen  und 
er  schilderte  daher  den  Stil  jenes  Lukios  von  Patrai  als  rr/v  (podoiv 
oafpYjg  T€  xal  y.a'&agög  y.al  cpilog  ylvxvTfjxog ,  d.  h.  in  einer 
Weise,  wie  wir  selbst  etwa,  so  solches  von  uns  gefordert  würde, 
den  Stil  des  Lukian,  den  allein  wir  ja  aus  seinen  W^erken  beur- 
teilen können ,  in  milder  Weise  charakterisiren  möchten.  So  be- 
schaffen war  das  zu  lösende  Problem.  Und  da  leuchtet  es  ohne 
weiteres  ein,  daß  unsere  Kenntnis  der  Sprache  längst  nicht  hin- 
reicht, um  die  Zuweisung  der  Schrift  an  einen  dieser  Schriftsteller 
zu  rechtfertigen,  die  sich  stilistisch  scheinbar  so  sehr  nahe  standen, 
ganz  abgesehen  davon,  daß  die  Komplexität  der  Probleme  des 
Lukiosromans  eine  Behandlung  auf  ausschließlich  grammatischer 
Grundlage  unter  Beiseitelassung  der  übrigen  Argumente,  wie  es 
Neukamm  versuchte,  überhaupt  nicht  verträgt. 

Nachträglich    finde   ich    noch,    daß   bereits   Rohde    zum  vorn- 
herein   alle   Folgerungen    aus    einer   grammatischen    Untersuchung 

1)  Vgl.  meine  Rec.  in  Berl.  ph.  Wochenschr.  1916  Sp.  1516  ff. 


ZUM  AOYKIO:S  H  0^01'  227 

des  "Grog  auf  dessen  Verfasser  abgelehnt  hat,  und  ich  setze  seine 
Worte  gerne  hierher.  Sie  stehen  in  der  Jugendarbeit  über  Lukians 
Schrift  Aovxiog  y  övog,  S.  40:  „Selbst  im  günstigsten  Fall  würde 
daraus  (aus  den  Spracheigentümlichkeiten,  die  dem  Verfasser  des 
"Ovog  mit  Lukian  gemeinschaftlich  sind)  denn  doch  nichts  weiter 
folgen,  als  daß  in  diesen  Ausdrücken  und  Wendungen  der  Ver- 
fasser des  "Ovog  von  Lukian  nicht  abweiche.  Was  will  aber  dieser 
negative  Beweis  sagen  gegenüber  dem  sicherstehenden  Faktum, 
daß  in  dieser  Erzählung  eine  beträchtliche  Anzahl  nicht  nur  von 
Lukians  sonstiger  Schreibweise,  sondern  von  jedem  correcten  Aus- 
druck abweichender  Wörter  und  Gonslructionen  sich  finde?" 

Die  Hoffnung,  dem  Problem  durch  eine  grammatische  Unter- 
suchung beizukommen,  hat  sich  also  ein  für  allemal  als  trügerisch 
erwiesen.  Daher  wird  es  unabweislich  sein ,  wenn  wir  im  Ver- 
ständnis des  „lukianischen"  "Ovog  und  damit  der  Eselerzählung 
überhaupt  vorwärts  kommen  wollen,  zur  alten  Methode  zurückzu- 
kehren und  eine  Lösung  der  Fragen  durch  Betrachtung  des  Inhalts 
und  der  dichterischen  Technik  zu  erstreben.  Vielleicht  daß  es  uns 
gelingt,  dabei  außerhalb  der  ausgetretenen  Bahnen  zu  bleiben  und 
einige  neue  Gesichtspunkte  aufzustellen. 

Doch  vorerst  seien  die  Hauptpunkte  zusammengefaßt,  die  schon 
jetzt  als  gesicherte  Erkenntnis  betrachtet  werden  dürfen.  So  steht 
fest,  daß  der  verlorene  Roman  des  Lukios  von  Patrai  die  gemein- 
same Quelle  der  beiden  unter  dem  Namen  des  Lukian  und  des 
Apuleius  erhaltenen  Fassungen  ist.  Hinter  diesem  einen  gesicher- 
ten Resultat^)    stehen   freilich  unmittelbar  eine  Reihe  neuer,    unge- 

1)  Freilich  auch  dieser  Punkt  wird  wieder  angefochten  in  dem  1915 
erschienenen,  sehr  weitschweifigen  Buche  von  Enrico  Cocchia,  Ro- 
manze e  Realtä  nella  vita  e  nell'  attivitä  letteraria  di  Lucio  Apuleio, 
das  mir  erst  nach  Abschluß  meiner  Arbeit  in  die  Hände  gelangt  ist. 
Ich  kann  mich  deshalb  nicht  damit  abgeben,  die  Ansichten  des  Ver- 
fassers besonders  zu  widerlegen,  wenn  eine  solche  Widerlegung  nicht 
auch  olme  direkte  Beziehung  auf  das  Buch  von  Cocchia  in  der  Auf- 
fassung meiner  Arbeit  gefunden  wird.  Immerhin  will  ich  die  neuen  An- 
schauungen, die  Cocchia  glaubt  gefunden  zu  haben,  z.  T.  in  der  Über- 
setzung seiner  eigenen  Worte,  wiedergeben:  Die  verlorenen  Metamor- 
phosen des  , Lukios  von  Patrai"  waren  nichts  anderes  als  die  erste 
Fassung  des  Lucius  Apuleius  (also  die  Hypothese  Diltheys  aus  der  Göt- 
tinger akad.  Festrede  1879  neu  aufgeputzt),  welche  dieser,  Äovxiog  Aovxiov 
UaroEcog  und  Urenkel  des  Plutarch,  nach  seiner  Gewohnheit  zunächst 
in  der  ihm  geläufigeren  Sprache  auf  griechisch  verfaßte.     Femer  zeigt 

15* 


228  H.WERNER 

löster  Fragen,  die  alle  miteinander  verknüpft  sind  und  etwa  fol- 
gende Hauptpunkte  umfassen.  Welchen  Charakter  trug  das  Werk 
dieses  Lukios  von  Patrai?  In  welcher  Weise  haben  die  erhaltenen, 
abgeleiteten  Versionen  dieses  Urbild  benutzt  und  ist  insbesondere 
der  „lukianische"  "Ovog  eine  bloß  handwerksmäßige  Epitome  des 
umfangreicheren  Lukios  von  Patrai,  oder  hat  der  Verfasser  der  Epi- 
tome bei  seiner  Arbeit  in  irgendwelcher  literarischen  Absicht  den 
Charakter  seiner  Vorlage  umgestaltete  Die  Lösung  dieser  letzten 
Frage  entscheidet  gleichzeitig,  ob  Lukian  der  Verfasser  der  Epitome, 
die  ihm  von  der  Überlieferung  zugeschrieben  wird,  sein  kann ;  denn 
nach  allgemeinem  Urteil  darf  dem  Lukian  eine  rein  mit  der  Schere 
vorgenommene  Verkürzung  eines  vorhandenen  Werkes  nicht  wohl 
zugetraut  werden. 

Die  einzige  Möglichkeit,  in  dem  ,lukianischen"  "Ovog  gegenüber 
Lukios  von  Patrai  einen  literarischen  Eigenwert  zu  finden^),  hat 
Rohde  in  seiner  bereits  citirten  Jugendschrift  (S.  10  f.)  gezeigt,  in- 
dem er  sich  von  einer  Bemerkung  des  Photios  (bibl.  cod.  129) 
leiten  ließ:  yeuei  de  6  exazegov  Aoyog  nkaofiaxeov  fxkv  juvd'ixcov, 


sich,  daß  Apuleius  im  Puclentilla-Proceß  von  dei-  Anklage  auf  Zauberei 
nicht  freigesprochen,  sondern  einfach  mangels  Beweisen  entlassen  wurde. 
Da  die  Metamorphosen  nun  einen  merklichen  Fortschritt  zeigen  gegen- 
über dem  rhetorischen  Stil  der  Apologie,  sind  sie  erst  nach  dieser  verfaßt 
und  müssen  als  ein  persönlicher  Roman  des  Apuleius  angesehen  werden, 
in  dem  dieser  ein  Menge  von  Anspielungen  auf  seinen  eigenen  Lebens- 
lauf gibt,  um  diesen  darzustellen  als  y,viaggio  d'  espiaümic" ,  wodurch 
er  den  schlechten  Ruf  bei  der  Nachwelt  zu  vernichten  hoift.  der  seit 
dem  Zauberei-Proceß  auf  seinem  Namen  lastet.  Soweit  über  die  Con- 
structionen  von  Cocchia ,  bei  denen  alles  wie  in  einem  Rechenexempel 
aufs  schönste  aufgeht  und  die  höchstens  den  Vorwurf  allzugroßer  Har- 
monie gegen  sich  haben.  Wer  sich  für  den  „simbolismo  allegorico  delle 
metamorfosi'^  interessirt,  mag  das  in  dem  396  Seiten  umfassenden  Buch 
selber  nachlesen.  Hier  genügt  es,  zu  bemerken,  daß  Cocchia  mit  seiner 
symbolischen  Ausdeutung  der  Eselsfigur  schließlich  bei  dem  palatinischen 
Spottkrucifix  und  bei  der  „fite  de  Z'dwe"  landet. 

1)  V.  Arnims  Versuch  (Wien.  Stud.  XXII  1901  S.  168flf.),  die  litera- 
i-ische  Absicht  des  "Ovog  in  einer  Übung  zu  suchen,  die  Philostrat  (vir. 
soph.  I  20  p.  27  Eayser)  als  ßgayjcog  sgimjVEveiv  bezeichnet,  hat  Bürger 
in  einem  Blankenburger  Programm  (Studien  zur  Geschichte  des  grie- 
chischen Romans,  1902,  S.  13  f.)  mit  Recht  zurückgewiesen.  Die  Technik 
des  ßgayiojg  EQ/irjvsvsiv  ist  eine  ganz  andere  als  die ,  welche  unser  Epi- 
tomator  anwendet,  indem  er  , große  Stücke  wegläßt  und  dann  wieder 
andere  einfach  wörtlich  herübernimmt ', 


ZUM  A0YKI02  H  0N02  229 

aQQrjTOTiouag  de  aioy^gäg'  7iXi]v  6  jutv  Äovxtavög  oxcojitov  xai 
öiaovQOJv  T)]v  'EkXrjviy.rjv  dsioiöaijLioviav,  coonsQ  xäv  zoTg 
äkXoig,  xal  tovtov  ovvhanev,  6  ök  Aovxiog  ottovÖuQcov  rs  xal 
nioxäg  vofu^ojv  rag  e^  uvdQomcov  elg  (VJJjkovg  ^exafxoQfpcboeig 
....  nageöidov  javra  xal  avvvcpaivEv.  Mit  klaren  Worten  drückt 
Photios  aus,  daß  er  „Lukians"  "Ovog  für  eine  Satire  hält.  Doch 
stellen  wir  nun  die  Frage:  eine  Satire  worauf?  Da  gibt  Photios 
die  Antwort,  sie  ziele  auf  die  ÖEioidaijuovia  der  Griechen.  Davon 
können  wir  beim  besten  Willen  auch  nicht  die  geringste  Spur 
finden,  weshalb  auch  heute  niemand  mehr  ernsthaft  an  dieser  Mei- 
nung des  Photios  festhält.  Rohde  stellte  darum,  nur  den  ersten 
Teil  von  Photios  Behauptung  annehmend,  die  Hypothese  auf,  die 
Parodie  liege  darin,  daß  der  Verfasser  des  erhaltenen  "Grog  die 
Schrift  des  Lukios  von  Patrai ,  die  ja  ernsthaften  Charakter  trug, 
imitirend  verhöhnt  habe. 

Auf  Photios  darf  sich  Rohde  aber  dabei  gar  nicht  mehr  be- 
rufen, denn  wenn  einmal  festgestellt  ist,  daß  Photios  nicht  wußte, 
gegen  wen  die  Satire  sich  richtete,  müssen  wir  auch  seiner  An- 
gabe mißtrauen,  daß  die  Schrift  überhaupt  eine  Satire  sei.  Darum 
soll  Rohdes  Hypothese  hier  nochmals  geprüft  werden,  und  zwar 
im  Anschluß  an  jenen  vielbesprochenen  cod.  129  der  Bibliothek 
des  Photios,  von  dem  Rohde  ausgegangen  ist  und  von  dem  immer 
ausgegangen  werden  muß.  Dort  müssen  auch  zunächst  alle 
die  Angaben,  welche  dokumentarischen  Wert  haben,  von  denen 
geschieden  werden,  die  Photios  vermutlich  durch  eigene  Gombina- 
tionen  gefunden  hat. 

Wenn  ich  hier  eine  allgemeine  Bemerkung  vorausschicken  darf, 
so  scheint  mir,  daß  des  Photios  Glaubwürdigkeit  vielfach  überschätzt 
wird.  Eine  zusammenfassende  Arbeit  über  diesen  Punkt  würde 
sicherlich  zeigen ,  daß  der  gelehrte  Patriarch  zwar  keine  bewußt 
unwahren  Angaben  macht,  daß  er  sich  aber  weit  häufiger,  als  er 
dies  selbst  zugibt,  auf  seinen  Spürsinn  und  seine  Gombinationsgabe 
verläßt  und  bloße  Rückschlüsse  aus  dem  ihm  vorliegenden,  oft  be- 
reits lückenhaften  Material  als  überlieferte  Tatsachen  auftischt,  ohne 
durch  eine  warnende  Bemerkung  den  Leser  darauf  aufmerksam  zu 
machen,  daß  kritische  Überprüfung  nötig  ist.  Daß,  wer  zu  lesen 
versteht,  den  hypothetischen  Charakter  mancher  Notiz  trotzdem  er- 
kennt, ist  nicht  dem  Photios  zu  danken. 

Auf  welchem  Wege  gerade  in  unserm  Fall  Photios  dazu  kam. 


230  H.WERNER 

den  „lukianischen"  "Ovog  eine  Parodie  zu  nennen,  sah  bereits  Bürger 
in  seiner  Dissertation  De  Lucio  Patrensi  (p.  8).  Schon  zu  Photios' 
Zeit  stand  das  Werk  im  Corpus  der  lukianischen  Schriften.  Zu- 
gleich kannte  der  belesene  Mann  eine  ausführlichere  Darstellung 
des  gleichen  Stoffes,  weiterhin  aber  besaß  er  keinerlei  Nachrichten 
über  die  Zeit  und  das  gegenseitige  Verbältnis  der  beiden  Werke. 
Dies  gesteht  Photios  selbst  ein  (r/g  ydo  XQOvco  TiQeoßvzeQog  ovtzco 
e^ojLiEV  yvcovai).  Daher  muß  von  seinen  Angaben  einzig  und  allein 
das  für  uns  maßgebend  sein,  was  er  über  Stil  und  Inhalt  der  beiden 
Schriften  sagt,  ebenso,  daß  die  Epitome  den  Inhalt  der  beiden 
ersten  Bücher  des  Lukios  von  Patrai  ungefähr  wiedergab^),  d.  h. 
alles,  was  ein  aufmerksamer  Leser  der  beiden  Werke  aus  diesen 
selbst  ohne  Zuhilfenahme  eigener  Combination  feststellen  konnte. 
Alles  übrige  hat  Photios  durch  logische  Schlüsse  gewonnen,  die 
ihm  selbst  zwingend  erscheinen  mochten.  Zunächst  bekennt  er 
selbst,  nicht  zu  wissen,  ob  die  Schrift  des  Lukios  oder  die  des 
„Lukian"  die  ältere  sei,  entscheidet  sich  aber  zuletzt  dafür,  daß 
nLukian"  eine  Satire  zu  Lukios,  folglich  jünger  sei.  Wir  vermögen 
nun  ganz  genau  zu  verfolgen,  auf  Grund  welcher  Ideen  Photios 
zu  diesem  Ergebnis  gelangte.  Die  in  dem  S.  228  f.  wiedergegebenen 
Photioscitat  durch  gesperrten  Druck  hervorgehobenen  Worte  geben 
uns  einen  nicht  mißzuverstehenden  Fingerzeig.  Es  ist  die  all- 
gemeine Anschauung,  die  Photios  von  der  Schriftstellerei  des 
Lukian  hatte,  welche  ihm  seinen  Schluß  sozusagen  aufzwang.  Die 
Behauptung,  daß  Lukian  den  Byzantinern,  die  seine  Schriften  ja 
aufs  eifrigste   lasen  2),    vor    allem  als  ewiger  Spötter  und  Verächter 

1)  Cocchia  a.  a.  0.  p,  138  sucht  das  Wort  /növov  ov  in  der  fraglichen 
Photiosstelle  auf  eine  neue  Weise  zu  erklären,  indem  er  es  in  Gegen- 
satz stellt  zu  den  einige  Zeilen  später  folgenden  Worten:  elg  sva  rä 
loina  ovvaQj.t6aag  löyov.  Nach  seiner  Meinung  beweist  za  loinä,  daß 
liövov  ov  hier  nicht,  wie  allgemein  angenommen  wird,  heißen  kann: 
lantum  non  =  ungefähr,  beinahe,  sondern  dafs  der  Satz  bedeuten  muß: 
^Luciano  omise  di  Iradurre  rteW  Asino  soltanto  i  primi  due  libri  e 
compendib  i  rimanenti  (rä  Xoi:^d)  in  un  lihro  solo."'  Und  doch  ist  es 
eine  taube  Nuß,  die  Cocchia  hier  gefunden  hat.  Wie  die  Betrachtung 
des  Zusammenhangs  zeigt,  steht  rot  loijiä  so  weit  von  /.lövov  ov  ab,  daß 
es  niemals  dazu  in  Gegensatz  gestellt  werden  darf.  Vielmehr  steht  es 
den  Teilen  gegenüber,  die  durch  Betrachtung  des  oty.sTog  oy.onög  gänzlich 
ausgeschaltet  werden.  So  steht  auch  in  der  Übersetzung  der  Photios- 
stelle von  Carlo  Giussani  zu  lesen,    die  Cocchia  selbst  (p.  120)  anführt. 

2)  Ein  Zeugnis  aus  der  Hadesfahrt  des  Mazaris  (verfaßt  um  1415), 


ZUM  AOYKIOS  II  ONOl'  231 

alles  Positiven  galt,  braucht  wohl  nicht  besonders  belegt  zu  werden. 
Von  dieser  Auffassung  Lukians  und  seiner  Schriften  ausgehend, 
gab  es  jedoch  für  Photios  nur  eine  einzige  Möglichkeit,  wie  er  in 
Lukian  den  Verfasser  des  "Ovog  sehen  konnte:  diese  Schrift  mußte 
eine  Satire  sein,  und  die  Satire  mußte  sich  gegen  die  deioiöaijuovia 
der  Griechen  gerichtet  haben;  denn  auch  dies  galt  als  Privilegium 
Lukians  1).  Wenn  wir  dergestalt  einsehen  müssen,  daß  die  Auf- 
fassung, die  Photios  vom  „lukianischen"  "Ovog  als  einer  Satire  hatte, 
durch  bloßen  Rückschluß  erworben  ist,  verliert  strenggenommen 
auch  die  Charakteristik,  die  er  von  den  Metamorphosen  des  Lukios 
von  Patrai  gibt,  ihren  dokumentarischen  Wert.  Denn  die  Behaup- 
tung, daß  jene  mit  gläubigem  Ernst  vorgetragene  thotol  .  .  .  juera- 
jJLogqxboEig  waren,  ist  offenbar  entstanden  als  Folie  zu  der  satiri- 
schen Auffassung  des  „lukianischen"  "Ovog.  Wenn  wir  trotzdem 
daran  festhalten,  daß  die  Metamorphosen  des  Lukios  von  Patrai  im 
ganzen  mit  gläubigem  Gesicht  vorgetragen  waren,  so  tun  wir  das 
auf  eigene  Gefahr,  und  Photios  kann  uns  nicht  als  Stütze  dienen. 
Rohdes  Annahme,  daß  der  „lukianische"  "Ovog  eine  Satire  sei, 
darf  sich  nach  den  vorstehenden  Ausführungen  nicht  mehr  auf 
das  Zeugnis  des  Photios  berufen,  und  wir  werden  uns  zu  seiner 
Ansicht  nur  dann  bequemen,  wenn  es  ihm  selbst  gelungen  ist,  in 
dem  erhaltenen  "Ovog  unzweifelhafte  Spuren  von  Satire  oder  Parodie 


die  selbst  eine  Nachahmung  Lukians  ist,  fiel  mir  neulich  bei  der 
Lektüre  auf  und  ist  meines  Wissens  in  der  Lukianliteratur  noch  nicht 
verwertet.  Es  mag  beweisen ,  wie  beliebt  selbst  im  15.  Jahrb.  unser 
Eselroman  noch  war.  Cap.  12  p.  214,11  Ellissen  wird  eine  Reihe  von 
Hofschranzen  aufgezählt  und  mit  bissigem  Hohn  charakterisirt.  Einer, 
der  offenbar  Äovxiog  hieß,  muß  es  sich  gefallen  lassen  als  Aovxios  i)  ovog 
citirt  zu  werden,  eine  Anspielung,  die  doch  nur  dann  ihre  volle  Wirkung 
hat,  weun  die  Kenntnis  der  Eselgeschiclite  vorausgesetzt  werden  konnte. 
1)  Es  ist  vielleicht  interessant  zu  beobachten,  wie  in  einer  Dupli- 
cität  der  Fälle  der  erste  Übersetzer  des  "Ovog  ins  Lateinische,  Poggio, 
offenbar  aus  genau  denselben  Erwägungen  heraus  zu  dem  gleichen 
Resultat  gelangte,  wie  Photios  fast  600  Jahre  vor  ihm.  Er  schreibt  in 
der  Praefatio  seiner  Übersetzung,  der  er  den  Titel  „Lucii  philosophi 
Syri  comoedia  quae  asinus  intitulatur"  gibt,  folgendes  an  Cosimo  de' 
Medici:  laborern  mihi  dcsumpsi,  tit  eum  facerem  latinum  ....  ut  ostenclereiii 
hanc  veterem  et  ab  Apuleio  veluli  innovutam  comoediam  nequaquam  ef^se 
pro  vero  accipiendam;  sed  existimabam  potius  ab  Lucio  introductam  studio 
artes  ehidendi  magicas,  p^rout  suus  7nos  est  non  tantuin  homines,  sed  et 
deos  irridendi. 


232  H.  WERNER 

nachzuweisen.  Denn  ein  satirisches  Werk  mufa  bei  genauem  Zu- 
sehen auch  dann  noch  als  solches  erkennbar  sein,  wenn  das  Urbild, 
das  zu  der  Verspottung  Anlaß  gab,  verschwunden  und  unbekannt  ist. 

Schreiten  wir  also  zu  einer  Prüfung  der  Gründe,  die  Rohde 
und  seine  Anhänger  veranlaßt  haben,  im  ,lukianischen"  "Ovog  eine 
satirische  Tendenz  zu  suchen.  Da  reducirt  sich  die  ganze  vor- 
gebliche Verhöhnung  darauf,  daß  der  Verspottete  von  sich  selbst 
in  der  ersten  Person  allerlei  groteske,  manchmal  auch  obscöne 
Abenteuer  erzählt.  Und  den  Glanzpunkt  der  Satire  sehen  die 
genannten  Gelehrten  darin,  daß  das  Opfer  sich  zum  Schluß  durch 
Nennung  seines  Namens  und  Standes  samt  seiner  Familie  selbst 
an  den  Pranger  stellen  muß.  Andere  Spuren  der  Satire  sind  weder 
von  Rohde  noch  von  seinen  Anhängern  geltend  gemacht  worden; 
denn  wenn  Rohde  zur  Stützung  seiner  These  aus  den  Worten  des 
Photios:  xal  yag  cog  anb  Tildrovg  TÖiv  Aovxiov  Xöycov  6  Aov- 
xiavbg  änolemvvag  xal  neQieXcöv ,  ooa  /ni]  Idoxei  avtco  TZQÖg 
zöv  oixeTov  ygrjoiua  oxotcov  schließt,  Lukian  habe  „im  wesent- 
lichen den  Gang  der  Erzählung  beibehalten",  aber  „wie  ein 
geschickter  Zeichner  mit  kleinen  scharfen  Strichen  die  Physio- 
gnomie des  Ganzen  aus  einer  ernsthaft  feierlichen  in  eine  schel- 
misch lächelnde  verwandelt"  (a.  a.  0.  S.  11),  so  steht  davon  auch 
nicht  ein  Wort  bei  Photios  zu  lesen.  Rohde  hätte  vielmehr  gerade 
dieses  beweisen  und  mit  Einzelstellen  aus  dem  „lukianischen"  "Ovog 
belegen  müssen.  Für  Photios  bestand  der  oixeiog  oxonog  lediglich 
darin,  daß  die  Erzählung  kürzer  sein  und  durch  kein  Beiwerk  ge- 
stört werden  sollte,  während  im  ganzen  viele  Wendungen  und 
Sätze  herübergenommen  waren.  Dies  beweist  sein  Satz:  amaig  xe 
keieoi  y.al  owrä^eai  aig  k'va  rd  koind  ovvaQj.i6oag  Xoyov. 

In  einer  dergestaltigen  Satire,  der  als  einziges  Vehikel  der 
Verhöhnung  die  Icherzählung  und  die  Namensnennung  am  Schluß 
des  Ganzen  genügt,  kann  ich  keine  Spur  einer  geistreichen  Ver- 
höhnung durch  den  „verwegenen  Spötter"  sehen,  von  der  Rohde 
schrieb.  Sie  würde  mir  vielmehr  recht  grob  vorkommen  und 
höchstens  eines  gemeinen  Erpressers  würdig  scheinen. 

Und  es  gibt  noch  weitere  Anzeichen,  die  uns  gegen  Rohdes 
Annahme  einer  Satire  mißtrauisch  stimmen  müssen,  indem  gerade 
jene  Gelehrten,  die  seiner  These  teilweise  zustimmten,  andere  Teile 
der  Hypothese  zu  entkräften  suchten.  Wie  bei  Photios  geht  der 
Streit   um  die  Frage,    wer  denn  eigentlich  der  Verspottete  sei  und 


ZUM  A0YK102  H  ONOS  233 

in  welcher  der  drei  Fassungen  die  Parodie  zuerst  angewandt  wurde. 
Das  Resultat  der  Diskussion,  die  ich  in  einer  Anmerkung  kurz  zu- 
sammenfassen möchte^),  ist,  daß  jeder,  der  sich  in  der  Frage 
äußerte,  das  Ziel  der  Satire  an  einem  andern  Ort  suchte  und  die 
Vermutungen  der  übrigen  zu  widerlegen  strebte,  so  daß  keine  ein- 
zige der  aufgestellten  Thesen  ohne  Verdachtgründe  geblieben  ist. 
Dieser  Tatbestand  muß  das  Bedenken  erregen,  ob  überhaupt 
jene  Behauptung  richtig  ist,  welche  die  Icherzählung  und  die 
Namensnennung  im  55.  Capitel  des  „lukianischen"  "Ovog  als  ein 
Anzeichen  der  Satire  auffaßt.  Wir  werden  uns  also  zu  einer 
Prüfung  der  zwei  in  Frage  stehenden  Punkte  verstehen  müssen, 
um  zu  erkennen,  ob  sie  eine  polemische  Absicht  enthalten  oder 
nicht.  Diese  Frage  ist,  wie  bereits  v.  Arnim  (Wien.  Stud.  XXII 
1901  S.  172)  schrieb,  „identisch  mit  der  Frage,  ob  man,  ohne 
eine  solche  Absicht  anzunehmen,  die  Schrift  befriedigend  erklären 
kann".  In  der  folgenden  Untersuchung  holTe  ich  zeigen  zu  können, 
daß  jene  beiden  von  uns  herausgegriffenen  Punkte,  mit  welchen 
die  Annahme  einer  Satire  bisher  gerechtfertigt  wurde,  in  der  Tat 
sich  ohne  dieses  Hilfsmittel  erklären  lassen.  Diesen  Nachweis 
glaube  ich  zu  leisten  durch  die  Untersuchung  und  Zusammen- 
stellung einiger  tojtoi,  die  sich  bei  einer  Gruppe  von  Erzählungen 

1)  Zuerst  äußerte  sich  Rohde  in  seiner  bereits  genannten  Abhand- 
lung, Über  Lucians  Schrift  .iovy.tog  y  ovog  S.  11  f.  in  dem  Sinne,  der  „luki- 
anische"  "Ovog  sei  eine  Parodie  auf  die  Metamorphosen  des  Lukios  von 
Patrai.  Diese  Ansicht  wiederholte  er  1885  in  einem  Aufsatz  „Zu  Apu- 
leius"  (Rhein.  Mus.  XL  S.  66ff.  =  Kl.  Sehr.  JI  70ff.).  Aber  kurz  hernach 
traten  ihm  zwei  Dissertationen  entgegen:  Bürger,  De  Lucio  Patrensi 
1887,  p.  57f.  und  Rothstein,  Quaestiones  Lucianeae  1888,  p.  137f.  Durch 
die  Art  des  Abhängigkeitsverhältnisses,  das  von  den  beiden  Gelehrten 
zwischen  „Lukian"  und  Lukios  festgestellt  wurde,  ergab  sich  deutlich 
die  Unannehmbarkeit  von  Rohdes  Hypothese.  Trotzdem  wurde  sie 
später  —  allerdings  mit  einigen  Modifikationen  —  durch  v.  Arnim  (Wien. 
Stud.  XXIl  1901  S.  171  ff.)  wieder  aufgenommen.  Aber  schon  1902  folgte 
eine  treffende  "Widerlegung  durch  Bürger  in  der  erwähnten  Programm- 
abhandlung von  Blankenburg.  Bürger  gibt  hier  seine  frühere  Auffassung, 
nach  der  er  den  Urheber  der  Satire  in  dem  Verfasser  der  von  Photios  ge- 
schilderten Meiafiogcpcoaeig  gesucht  und  einen  von  diesem  verschiedenen 
Lukios  von  Patrai  als  ihren  Gegenstand  angesehen  hatte,  auf  und  nimmt 
den  Gedanken  Rothsteins  an,  die  Namensnennung  in  cap.  55  des  ,luki- 
anischen"  "Ovog  habe  keinen  satirischen,  sondern  ernsthaften  Charakter. 
Den  Beweis  für  die  Möglichkeit  einer  derartigen  ernsthaften  Auffassung 
bleibt  er  allerdings  schuldig. 


234  H.  WERNER 

ausgebildet  haben,  zu  denen  nach  meiner  Ansicht  auch  der  „luki- 
anische"  "Ovog  und  sein  Vorbild,  die  Metamorphosen  des  Lukios 
von  Patrai,  gerechnet  werden  müssen  ^). 

II. 

Wenn  der  naive  Mensch  irgendeine  Erzäfilung  hört  oder  liest, 
wird  er  nur  selten  zu  fragen  unterlassen,  ob  das  Erzählte  wirklich 
geschehen  und  „wahr"  sei.  Und  ein  Nachlassen  seines  Interesses 
wird  in  jedem  Falle  zu  beobachten  sein,  wenn  ihm  auf  seine  Frage 
mit  Nein  geantwortet  wird.  Infolgedessen  muß  eine  ganze  Gruppe 
von  Literaturerzeugnissen,  zumal  solchen,  die  auf  die  Masse  der 
Halb-  und  Ungebildeten  zu  wirken  bestimmt  sind,  eines  ihrer  vor- 
züglichsten Ziele  darin  suchen,  dem  Hörer  oder  Leser  die  „Wahr- 
heit" und  Realität  des  Erzählten  glaubhaft  zu  machen.  Nur  dann  wird 
der  Zweck,  die  iinixaycoyia,  ganz  erreicht  werden,  wenn  es  gelingt, 
den  Leser  —  zum  mindesten  während  der  Lektüre  —  so  zu  stimmen, 
daß  ihm  an  der  Wirklichkeit  des  Gelesenen  kein  Zweifel  aufsteigt. 

Besonders  schwierig  ist  diese  Aufgabe  natürlich  für  einen 
Schriftsteller,  der  von  Dingen  berichtet,  deren  ganzer  Charakter 
dem  gewöhnlichen  Menschenverstand  und  den  allerplattesten  Er- 
fahrungen des  täglichen  Lebens  widerspricht.  Nun  gibt  es  aber 
gerade  eine  Gattung  von  Geschichten,  die  sich  mit  voller  Absicht 
zu  diesen  Erfahrungen  in  Gegensatz  stellt.  Es  ist  die  große  Masse 
der  Wunder-,  Zauber-,  Spuk-  und  Gespenstergeschichten,  die  sich 
beim  Volk  zu  allen  Zeiten  der  größten  Beliebtheit  erfreuen  und  die 
in  den  Niederungen  literarischer  Produktion  einen  bedeutenden 
Raum  einnehmen,  manchmal  sogar,  wie  von  einer  unsichtbaren 
Strömung  emporgetragen,  in  den  oberen  Schichten  der  eigentlichen 
Literatur  auftauchen.  Doch  sind  gerade  sie  nicht  von  jener  Be- 
dingung befreit,  daß  der  Leser  an  sie  glauben  will  und  muß  — 
wenn  dies  natürlich  auch  nur  der  Fall  wäre,  solange  die  Lektüre 
dauert  und  der  unmittelbare  Bann  anhält.  Von  innen,  aus  dem 
Inhalt  heraus  ist  hier  allerdings  Glaubwürdigkeit  nicht  zu  erreichen. 
Also  muß  auf  äußere  Mittel  zur  Erreichung  des  Zwecks  gesonnen 
werden,    und    so   hat   sich    um    die  Wundergeschichte   herum   all- 

1)  Wie  sehr  der  folgende  Abschnitt  von  R.  Reitzensteins  Buch 
über  die  ^Hellenistisclien  Wundererzähhingen",  dessen  Wert  zu  rühmen 
mir  nicht  ansteht,  beeinflußt  ist,  wird  dem  Kundigen  nicht  entgehen. 
Immerhin  sei  es  hier  ausdrücklich  gesagt. 


ZUM  AOYKIO^  11  ONOI  235 

mählich  ein  ganzer  Kreis  feststehender  xünot,  gebildet,  welche  alle 
der  Aufgabe  dienen  wollen,  die  „Wahrheit"  des  Wunders,  Zaubers 
oder  Spuks  zu  bekräftigen. 

Zweierlei  können  die  Wundergeschichten  bezwecken.  Entweder 
sollen  sie  lediglich  der  Ergötzung  des  Lesers  dienen,  oder  aber 
sie  verfolgen  daneben  noch  eine  Tendenz,  nämlich  durch  Erzählen 
wunderbarer  Taten  das  Wesen  irgendeines  Wundertäters  —  ob 
dieser  eine  heidnische  Gottheit,  ein  Philosoph  oder  ein  christlicher 
Wundermann  sei,  macht  hier  nichts  aus  —  als  heilig  und  mit 
geheimnisvollen  Kräften  begabt  hinzustellen.  Die  Wundererzählungen 
können  also  entweder  der  reinen  Unterhaltungsliteratur  angehören, 
oder  aber  sie  können  auch  den  Charakter  religiöser  Werbe-  und 
Erbauungsschriften  besitzen.  Einer  Einteilung  der  Wundergeschichten 
—  denn  es  scheint  mir,  daß  nur  solche  gemeint  sind,  trotzdem 
der  ausdrückliche  Hinweis  fehlt  —  nach  diesem  Princip  begegnen 
wir  bei  Palladios  im  Anfang  des  Prologs  zum  Aavoiaxöv  (p.  9,1  ff. 
Butler) :  IlolXöyv  nollä  xal  noixiXa  xazd  diacpoQOvg  xaiQOvg 
avyyQd/xixaxa  reo  ßico  xaxaXeXoinoxoiv ,  rcöv  juev  ei  ejimvotag  Tfjg 
ävw&EV  idgiTog  deodoxov  elg  oiKodojur]v  xal  äocpdXEiav  xö)v  nioxfj 
jTQo&eoei  ejiojuevo)v  xdig  doyjuaot  xov  oa>x)]Oog,  xow  de  e^  dvdQCO- 
Tzaqeoxov  xal  öieq)&aQfxevr]g  jiQodeoewg  vXojuav}]odvxa)v  eig  Jiaoa- 
juv&iav  rcöv  xEvodo^iav  xioacovrcov,  exeqwv  6e  ex  xivog  juaviag 
xal  EVEQyEiag  xov  jiiiooxdXov  daijuovog  xvcpco  xal  jLir]vidi  im 
Xv/ufj  xojv  xov(poyvajju6vcov  äv&Qcojtwv  xal  oniXq)  xfjg  uy^Qdvxov 
xal  xa'&oXixijg  ExxXrjoiag  EneioqpQrjodvxan'  xalg  öiavoiaig  xcbv 
ävoTjxcov  im  iyxoxco  xi]g  OEtivfjg  noXixEiag,  eÖo^e  .  .  .  Eine 
Besonderheit  enthält  diese  Einteilung  des  Palladios  allerdings.  Sie 
besteht  darin,  daß  er  die  religiöse  Wundergeschichte  von  seinem 
christlichen  Standpunkt  aus  in  zwei  Gruppen  teilt,  deren  eine  durch 
Gottes  Gnaden  eingegeben  zur  Erbauung  und  Festigung  im  Glauben 
für  die  Christen  dient,  während  die  andere  vom  Teufel  veranlaßt 
zu  Schimpf  und  Schande  für  die  leichtgläubige  Menschheit  und  als 
Stein  des  Anstoßes  für  die  unbefleckte  und  eine  Kirche  erfunden 
ist.  Ob  Palladios  sich  bewußt  war,  daß  eine  Reihe  christlicher 
Legenden  und  Martyrien  heidnischen  Quellen  entnommen  war,  und 
ob  er  sich  mit  dieser  Unterscheidung  selbst  beruhigen  und  sein 
Herz  erleichtern  will,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden,  doch  scheint 
es  mir  wahrscheinlich.  Die  Erklärung  hätte  dann  diesen  Weg  zu 
gehen:    Palladios   setzt   die  beiden  Gruppen  der  religiösen  Wunder- 


236  H.  WERNER 

erzählung,  die  heidnische  und  die  chrisüiche,  in  Gegensatz  zuein- 
ander. Zwischen  beide  stellt  er,  offenbar  vom  Standpunkt  der 
Gerährlichkeit  für  die  Kirche,  diejenige  Wundererzählung,  die  ledig- 
lich der  Unterhaltung  dienen  will,  ohne  sich  um  religiöse  Tendenzen 
zu  kümmern,  und  die  darum  mit  einer  weniger  scharf  verurteilen- 
den Bemerkung  des  Palladios  davonkommt.  Für  uns ,  die  wir 
wissen,  daß  von  der  heidnischen  zur  christlichen  Wundergeschichte 
eine  continuirliche  Entwicklung  geht,  hat  jene  Einteilung  in  die 
von  Gott  und  vom  Teufel  eingegebenen  Wunder  keine  Bedeutung 
mehr,  wohl  aber  darf  uns  interessiren ,  daß  auch  Palladios  eine 
außerreligiöse,  rein  unterhaltende  Wundergeschichte  kannte. 

Reitzenstein  (Hell.  Wundererz.  S.  8  ff.)  faßt  die  beiden  Zweige 
der  Wundergeschichte ,  den  religiösen  und  den  weltlichen,  in  eins 
zusammen  mit  dem  Nachweis,  daß  auch  die  antike  Theorie  beide 
unter  dem  gemeinsamen  Namen  äoeia/.oyfa  vereinigt  habe.  Das 
ist  ohne  weiteres  zuzugeben.  Ich  glaube  sogar  an  einem  Beispiel, 
das  von  Reitzenstein  nicht  erwähnt  wird,  nachweisen  zu  können,  wie 
nicht  bloß  in  der  Theorie,  sondern  auch  in  der  Praxis  die  Grenzen 
zwischen  rein  unterhaltender  („weltlicher")  und  religiöser  „Areta- 
logie"  so  sehr  fließend  wurden,  daß  eine  Umpfropfung  von  dem 
einen  auf  den  andern  Zweig  ohne  große  Veränderung  möglich 
wurde.  Ovid  berichtet  in  den  Metamorphosen  (VI  313 ff.)  von  der 
Verwandlung  lykischer  Bauern  in  Frösche.  Diese  Geschichte,  die  so- 
wohl in  ihrem  Inhalt  einen  gewissen  Gontrast  zu  den  übrigen  Erzäh- 
lungen der  Metamorphosen  bildet  als  auch  in  Stil  und  Gomposition 
.seltsame  Eigentümlichkeiten  aufweist,  war  ursprünglich,  wie  ich 
glaube,  eine  bloß  unterhaltsame  Zaubergeschichte,  die  von  Ovid 
in  eine  Gotteraretalogie  umgewandelt  wurde,  weil  er  sie  nur  in 
diesem  Gewand  in  sein  Werk  aufnehmen  konnte.  Der  Inhalt  der 
bekannten  Geschichte  sei  kurz  wiedergegeben:  Latona  gelangt  auf 
ihrer  Flucht  vor  Inno  mit  ihren  zwei  Kindern  bis  nach  Lykien. 
An  einem  kleinen  See  wünscht  sie  von  Durst  gequält  zu  trinken, 
aber  einige  Bauern,  die  in  der  Nähe  mit  Feldarbeit  beschäftigt 
sind,  verunreinigen  boshafterweise  das  Wasser  des  Sees  und  ver- 
weigern der  Göttin  höhnisch  das  erhoffte  Labsal.  Erbittert  über 
die  ruchlose  Grausamkeit  verflucht  sie  deshalb  die  Bauern,  und  auf 
ewige  Zeiten  müssen  diese  nun  im  Teich  weiterleben  als  —  Frösche. 
Das  ist  offenbar  eine  agsTtj  der  Göttin,  und  daß  Ovid  hier  mit  Ab- 
sicht zum  ageTa?.6yog  geworden  ist,   hoffe  ich  sogleich  zu  zeigen. 


ZUM  AOYKIOI  H  ONOS  237 

Zunächst  fällt  auf,  dafs  die  Geschichte  als  Gonlrast  zu  der 
vorhergehenden,  der  hohen  Mythologie  entnommenen  Niobesage 
den  Metamorphosen  einverleibt  und  demgemäfa  aus  dem  Schatz 
volkstümlicher  Motive  entnommen  ist.  Das  deutet  Ovid  selbst  mit 
seiner  Entschuldigung  an  (v.  319f.):  res  obscura  quidem  est  igno- 
hilitate  virorum,  mira  tarnen.  Dieses  Eingeständnis  läßt  uns 
vermuten ,  daß  das  Motiv  ursprünglich  gar  nicht  an  die  Person 
der  Göttin  geknüpft  war,  sondern  erst  von  Ovid  mit  Latona  ver- 
bunden wurde.  In  der  Tat  finden  wir  eine  geradezu  verblüffende 
Parallele  in  den  Metamorphosen  I  9  (p.  8,  24  f.  Helm)  des  Apuleius : 
eaitponem  quoqtie  vkinum  afqur  ob  kl  aemuhini  deformacit  [seil. 
Meroc  anus']  in  ranam  et  nunc  senex  illc  dolio  innatans  r^ini 
sui  advcntores  pristinos  in  faece  snbmissus  officiosis  roncis 
raucus  appcllat.  Hier  ist  die  Geschichte  von  der  alten  Hexe 
Meroe  erzählt,  und  so  mag  sie  auch  im  Volk  verbreitet  gewesen 
sein.  Ovid  aber  machte,  als  er  das  Motiv  übernahm,  aus  einer 
humoristisch -gruseligen  Spinnstuhengeschichte,  in  der  von  religiöser 
Tendenz  auch  nicht  die  geringste  Spur  vorhanden  war,  eine  humo- 
ristisch-erbauliche Götteraretalogie,  deren  Zweck  offen  zutage  tritt, 
für  die  Macht  der  Gottheit  Zeugnis  abzulegen.  Diese  Umsetzung 
muß  der  Dichter  als  ganz  geringfügig  empfunden  haben,  denn  wenn 
er  etwas  änderte,  so  tat  er  es  nur  dem  Gharakter  der  Metamorphosen 
zuliebe,  insofern  er  das  Ganze  aus  dem  niedrigen  Volkston  in  seine 
literarische  Sprache  umsetzte.  Daneben  aber  behielt  er,  so  gut  es 
gehen  mochte,  die  Icherzählung  der  ursprünglichen  Fassung  bei,  die, 
wie  ich  später  zeigen  werde,  ein  roTcog  der  Wundergeschichte  war,  und 
die  ihm  eine  dokumentarische  Beglaubigung  seiner  Erzählung  mög- 
lich machte.  Der  Umstand  aber,  daß  Ovid  eine  solche  Beglaubi- 
gung durch  einen  Augenzeugen^)  bietet,  zeigt  deutlich,  daß  er  als 
Quelle  eine  Wundererzählung  benützte;  denn  dort  gehört  auch  die 
ausdrückliche  Bezeugung  der  Wahrheit  zum  festen  Stil.  Anders 
verfährt  Ovid  in  den  Stoffen,  die  er  aus  der  eigentlichen  Mythologie 
nimmt.  Diese  gehören  nach  einer  Theorie,  die  von  Aristoteles 
(Poetik  c.  9  p.  1451  b  15  ff.)  ausgeht  und  der  auch  Ovid  zu  folgen 
scheint,    zum  historisch  Gegebenen ,    an    dessen  Tatsächlichkeit   — 

1)  Beim  Vorgang  selbst  kann  der  Erzähler  natürlich  nicht  dabei 
gewesen  sein,  also  muß  er  wenigstens  den  Ort  und  die  erhaltenen  Spuren 
des  Wunders  gesehen  haben,  vgl.  v.  320 ff.  Ganz  ähnlich  ist  übrigens 
die  Topik  in  Met.  VIII  618  ff. 


238  H.WERNER 

wenigstens  insofern  es  Stoff  zu  Tragödien  bietet  —  nicht  gezweifelt 
werden  darf.  Bei  diesem  Motiv  braucht  also  Ovid  den  äußerlichen 
Beglaubigungsapparat  niemals,  wohl  aber  muß  in  unserer  Geschichte 
derjenige,  der  das  Ganze  —  und  zwar  soweit  möglich  als  Ich- 
erzählung —  berichtet,  zur  Beglaubigung  für  seine  Zuhörer  den 
Ort  des  Wunders  und  den  offenbar  infolgedessen  erbauten  Altar  mit 
eigenen  Augen  gesehen  haben. 

Im  Schlußteil  der  Geschichte  ist  trotz  der  großen  Kürze  des 
Apuleius  am  besten  zu  erkennen,  wie  eng  sich  Ovid  an  sein  volks- 
tümliches Vorbild  angeschlossen  hat.  Nicht  einmal  die  Idee  des 
berühmten  Verses  (376)  qnamvis  s'mt  sub  aqua,  sub  aqua  male- 
dicere  temptant  mit  seiner  Lautmalerei  scheint  Ovids  Eigentum  zu 
sein,  sondern  schon  aus  der  Volkserzählung  zu  stammen,  wenn 
wenigstens  die  ganz  entsprechenden  Worte  des  Apuleius  {officiosis 
roncis  raucus  appellat)  als  Beweis  gelten  dürfen.  Apuleius  wie 
Ovid,  beide  malen  mit  größtem  Behagen  die  Art  und  Weise  aus, 
wie  die  Verwandelten  später  weiter vegeliren,  der  eigentliche  Act  der 
Verwandlung  ist  nur  angetönt.  Das  also  hat  Ovid  offenbar  ebenfalls 
seiner  Vorlage  entnommen.  Dagegen  mag  es  ein  Witz  aus  seinem. 
Kopfe  sein ,  daß  erst  mit  dem  allerletzten  Wort  ranne  die  Gestalt 
der  Verwandelten  ganz  deutlich  gemacht  wird. 

Dieses  Beispiel  soll  nur  bestätigen,  was  Reitzenstein  nach- 
gewiesen hat,  daß  die  Gattung  der  „ Aretalogie "  wirklich  einen 
doppelten  Charakter,  einen  religiösen  und  einen  rein  unterhaltenden, 
besaß.  Ebenso  richtig  ist  wohl,  was  jener  (a.  a.  0.  S.  12)  ausein- 
andersetzt, daß  der  Titel  ägexaloyta  nur  vom  religiösen  aufs  welt- 
liche Gebiet  und  nicht  umgekehrt  übertragen  sein  kann.  Das  geht 
aus   der  Bedeutungsentwicklung  des  Wortes  d.QExrj  ^)  direkt  hervor. 

Eine  völlig  unbewiesene  Behauptung  scheint  es  mir  jedoch 
zu  sein,  wenn  Reitzenstein  weiterhin  schließt  (S.  34  u.  sonst),  er 
könne  sich  diesen  Bedeutungswandel  nur  erklären  unter  der  An- 
nahme, daß  die  religiöse  Wundererzählung  sich  allmählich  ins  rein 
Unterhaltende  umbildete.  Am  Anfang,  so  nimmt  Reitzenstein 
offenbar  an,  existirte  eine  religiöse  Wundererzählung,  aus  der  die 
profane  Wundergeschichte  ohne  erbauliche  Tendenz  sich  erst  ent- 
wickelte, indem  sie  zugleich  auch  den  Namen  von  jener  adoptirte. 
Ich  glaube  nicht,  daß  diese  Erklärung  alle  Eigentümhchkeiten, 
welche    sowohl    die    profane    wie    die    religiöse    Wundergeschichte 

1)  Vgl.  V.  Wilamowitz,  Gott.  Gel.  Nachr.  1898  S.  214 flf. 


ZUM  A0YKI02  H  0N02  239 

l)esitzt,  zu  deuten  vermag,  und  möchte  daher  den  Gang  der  Ent- 
wicklung anders  erklären.  Ich  nehme  an,  daß  anfänglich  sowohl 
eine  religiöse  wie  eine  rein  unterhaltende  Wundererzählung 
bestand,  also  keine  aus  der  andern  sich  entwickelte.  Ich  hfire 
den  Einwand:  wie  war  es  denn  möglich,  dafs  die  Bezeichnung 
aQETaXoyia  beide  Arten  von  Erzählungen  umfaßte,  wenn  diese  doch 
ihrem  Ursprung  nach  nicht  verwandt  sind?  Die  Lösung  dieses 
Einwandes  ist  gegeben,  sobald  es  gelingt,  einen  einzigen  Berührungs- 
punkt nachzuweisen,  den  die  beiden  Erzählungsgruppen  gemeinsam 
haben,  wenn  es  außerdem  möglich  ist  zu  zeigen,  daß  die  Über- 
tragung der  Bezeichnung  ägeraloyla  tatsächlich  von  diesem  Be- 
rührungspunkt ausgegangen  ist. 

Schon  aus  den  Darlegungen  Reitzensteins  (a.  a.  0.  S.  8  ff.) 
geht  hervor,  daß  beide  Gattungen,  religiöse  und  profane  Wunder- 
geschichte, Dinge  erzählten,  die  von  einem  gewissen  Standpunkt 
aus  als  if>8vöog  zu  bezeichnen  sind.  Daher  heißt  der  arctnlogus 
in  der  luvenalglosse  fnlsidicus,  niendax,  artificiosus.  Aber  der 
Aretaloge  wird  auch  noch  anders  Charakter isirt.  Bei  Acron  zu 
Hör.  sat.  I  1,  120  heißt  er  loquacissiniits,  und  Porphyrio  sagt 
zur  gleichen  Stelle:  Crispinus  .  .  .  carmina  scripsit,  secl  tmii. 
iHirrtile,  nt  arefah'ius  diceretur.  Fragen  wir  nun,  woher  der 
Vorwurf  der  (jarridifas  und  Joquacitas  kommen  mag,  so  scheint 
mir  die  Erklärung  am  nächsten  zu  liegen ,  daß  man  auf  die  wirk- 
lich manchmal  recht  mühsame  Beglaubigungs-  und  Dokumentirungs- 
lopik  hinweist,  welche  der  religiösen  und  der  profanen  Wunder- 
geschichte von  Anfang  an  eigen  war  und  die  ich  im  folgenden 
in  ihren  Einzelerscheinungen  zu  verfolgen  haben  werde.  Hierin 
liegt  die  garriditas  des  Aretalogen. 

Doch  ich  stelle  zunächst  fest.  An  diesem  gemeinsamen  Punkte, 
daß  profane  und  religiöse  Wundergeschichte  ein  yjevdog  erzählten, 
dieses  ipevdog  aber  in  vollkommen  identischer  Weise  durch  eine 
weitschweifige  Beglaubigungstopik  zu  verhüllen  suchten,  fand  die 
antike  Theorie  den  Anhaltspunkt,  um  beide  Gattungen,  die  einander 
ursprünglich  nicht  gleich  waren ,  zu  vermengen  und  mit  dem 
gemeinsamen  Namen  der  uQExaXoyia  zu  belegen.  Ganz  außer 
acht  gelassen  wurde  dabei  der  für  uns  wenigstens  grundlegende 
Unterschied,  der  von  Anfang  an  und  immer  bestand,  daß  die 
unterhaltende  und  die  religiös  erbauliche  Wundergeschichte  ganz 
verschiedene  Zwecke  verfolgten.     So  konnte  es  kommen,    daß   das 


240  H.WERNER 

historische  VerhäUnis  der  beiden  Gattungen  als  ein  Werden  der 
einen  aus  der  andern  angesehen  wurde,  während  sie  doch  nur. 
von  Anfang  an  nebeneinander  bestehend,  schheßhch  fast  willkürlich 
in  eins  zusammengeworfen  wurden  und  einander  auch  in  der 
Praxis  stark  beeinflußten,  so  daß  die  Grenzen  sich  immer  mehr, 
auch  für  unser  Auge,  verwischten. 

Auf  diese  Weise  glaube  ich  den  manchmal  humoristischen  * ) 
Stil  der  religiösen  Wundererzählung  viel  besser  erklären  zu  können, 
als  dies  Reitzenstein  gelingt.  In  der  volkstümlich  profanen  Er- 
zählung war  er  von  jeher  zu  Hause  und  störte  das  Empfinden  von 
niemandem.  Von  da  aus  erst  ist  er  aber  in  die  religiöse  Aretalogie 
eingedrungen  und  hat  die  „erbaulich-obscöne"  Aretalogie  erzeugt,  deren 
Existenz  nachgewiesen   zu  haben   das  Verdienst  Reitzensteins  -)  ist. 

Durch  diesen  Nachweis  werden  wir  uns  freilich  nicht  zwingen 
lassen  —  und  damit  kehre  ich  zum  Ausgangspunkt  meiner  Er- 
örterungen zurück  —  auch  den  Eselroman  des  Lukios  von  Patrai 
in  die  Kategorie  der  ,, erbaulich -obscönen"  Aretalogien  einzureihen, 
wie  Reitzenstein  tut.  Er  glaubt  diese  Einordnung  stützen  zu  können 
durch  den  gewifs  berechtigten  und  kritisch  sehr  fruchtbaren  Hinweis 
(a.  a.  0.  S.  34),  daß  die  Erklärung  des  romanhaften  Teils  der  Esel- 
geschichte in  einer  Weise  zu  geschehen  habe,  aus  der  begreiflich 
wird,  wieso  Apuleius  diesen  Teil  mit  dem  von  ihm  hinzugefügten  rein 
erbaulichen  Abschlufs   „als  hterarisch  gleichartig  empfinden  konnte". 

Dies  vermag  unsere  obige  Erklärung  des  Verhältnisses  der  er- 
baulichen zur  unterhaltenden  Wundergeschichte  sehr  wohl  zu  leisten : 
denn  nach  jenen  Ausführungen  hat  die  Übertragung  der  Rezeichnung 
aQExakoyia  gar  keine  Rücksicht  genommen  auf  den  erbauhchen 
oder  weltlichen  Charakter   der  Wundergeschichten.     Die  Aretalogie 


1)  Das  Volk  empfand  den  fi'aglichen  Stil  in  sehr  vielen  Fällen  gar 
nicht  als  „humoristisch";  nur  uns,  die  wir  von  der  gemessen  sich  aus- 
drückenden Literatur  herkommen,  erscheint  er  so.  In  Wirklichkeit  war 
die  Absicht  nur  eine  drastisch  derbe,  wie  sie  das  Volk  liebt.  Es  ist 
darum  immer  mißlich,  bei  solchen  Geschichten  aus  dem  Volke  in  einzelnen 
Ausdrücken  Satire  und  ähnliche  Nebenabsichten  zu  suchen.  Wir  ver- 
gessen dabei,  daß  in  verschiedenen  Gesellschaftsschichten  die  gleichen 
Ausdrücke  eine  andere  Wirkung  haben.  Bei  Petron  besteht  eine  großer 
Teil  des  Witzes  in  der  Ausbeutung  dieser  Tatsache. 

2)  Hell.  Wundererzähl.  S.  32,  2.  Parallelen  zu  der  dort  angeführten 
Episode  gibt  Rabbow  (Wien.  Stud.  XVII  1896  S.  253)  aus  der  Legende 
des  Martinian. 


ZUM  ÄOYKIOy  H  ONOE  241 

im  weitein  Sinn  umfaßte  vielmehr  beide  verschiedenen  Gruppen  von 
Erzählungen,  erbauliche  und  rein  unterhaltende.  Ihr  gemeinsames 
Merkmal,  das  sie  als  Einheit  erscheinen  ließ,  lag  darin,  daß  beide 
eine  Darstellung  wunderbarer  Vorgänge  ohne  kunstmäßig  dramatische 
Disposition  des  Stoffes  (s.  Reitzenstein  a.  a.  0.  S.  8411'.),  aber  mit  Zu- 
hilfenahme gemeinsamer  xonoi  zur  Bekräftigung  der  Wahrheit  des 
Erzählten  geben  wollen.  Wenn  nun  Lukios  von  Patrai  eine  solche 
Verwandlung  in  einen  Esel  in  rein  unterhaltender  Absicht 
geschrieben  hat  —  und  der  „lukianische"  Aus/.ug  läßt  kaum  einen 
andern  Schluß  zu  —  und  wenn  dann  Apuleius  einen  frommen 
Schluß  daran  knüpfte,  so  sehe  ich  nichts,  was  ihn  hätte  hindern 
können,  die  beiden  Teile,  die  uns  so  gar  nicht  zusammen  zu  passen 
scheinen,  als  literarisch  gleichartig  zu  empfinden  und  zu  einen  Ganzen 
zu  vereinigen. 

Was  die  starken  Obscönitäten  im  Eselroman  anbetrifft,  so  haben 
wir  nun  auch  nicht  mehr  nötig,  die  erbaulich-obscöne  Aretalogie  als 
Erklärung  zu  Hilfe  zu  rufen.  Viel  einfacher  ist  es,  wenn  wir  an- 
nehmen, daß  diese  Obscönitäten  zu  den  Beiträgen  gehören,  welche 
die  unterhaltende  volkstümliche  Erzählung  bei  der  Synthese  ge- 
liefert hat;  denn  dort  waren  saftige  Situationen  von  jeher  beliebt  und 
von  dort  sind  sie  vom  religiösen  Wundererzähler  übernommen  wor- 
den, als  einmal  die  volkstümliche  Wundergeschichte  und  die  erbau- 
liche unter  der  oben  gegebenen  Definition  in  eins  geflossen  waren. 

Auf  die  Einreihung  der  Eselgeschichte  wird  später  noch 
zurückzukommen  sein.  Zunächst  schulde  ich  noch  die  Betrachtung 
der  Stilmittel  und  jonoi  im  einzelnen,  von  denen  oben  behauptet 
worden  ist,  daß  sie  beiden  Arten  von  Wundergeschichten  gemeinsam 
gewesen  seien  und  so  ihr  Zusammenfließen  verursacht  hätten.  Daß 
alle  diese  tÖjioi  darauf  ausgehen,  die  „Wahrheit"  des  Erzählten  zu 
bekräftigen,  ist  bereits  gesagt. 

Rohde  (Griech.  Roman  S.  272  f.)  hat  zunächst  den  rönog  be- 
handelt, der  ein  altes  Buch  oder  eine  Inschrift  als  Wahrheitszeugen 
anruft.  Die  Fiktion  ist  meistens  die,  daß  irgendeine  weise  Persönlich- 
keit in  uralter  Zeit  die  Ereignisse  aufgeschrieben  haben  soll.  Das 
Schriftstück,  in  dauerhaftestem  Material  niedergelegt,  blieb  dann 
nach  der  Fiktion  lange  Zeit  verborgen,  wurde  aber  schließlich  auf- 
gefunden. Und  die  Erzählung  verspricht  dann  wahrheitsgetreu  den 
Inhalt  des  Dokumentes  wiederzugeben.  Aber  dieser  coTiog  hat  in 
unserer  Gattung  von  Geschichten  eigentlich  nicht  gewirkt,  sondern 
Hermes  LIII.  16 


242  H.  WERNER 

nur  in  der  als  Roman  bezeichneten  Literaturgatlung  beliebte  Anwen- 
dung gefunden.  Darum  soll  auf  ihn  nicht  weiter  eingegangen  werden  ^). 

Dagegen  interessirt  uns  die  Form  des  ronog,  bei  welchem  die 
Autorität  irgendeines  Menschen  zur  Bekräftigung  der  Wahrheit 
in  die  Wagschale  gelegt  wird.  Das  kann  in  verschiedener  Weise 
geschehen.  Der  Erzähler  kann  für  irgendein  Ereignis,  das  ihm 
selbst  zugestoßen  sein  soll,  sich  auf  die  Bekräftigung  seiner  Aussage 
durch  Augenzeugen  berufen,  wie  z.  B.  bei  Lukian  (Philops.  c.  25) 
der  Philosoph  Kleodem  seinen  Hausarzt  Antigonos  als  Zeugen  für 
seine  schwere  Erkrankung  anbietet  oder  Hieronymus  (vita  Hilarionis 
c.  39)  sich  auf  eine  ganze  zuschauende  Menge  beruft:  cuncfa 
spectante  piche  immnneitt  hestiam  coucremavit^). 

Am  allerverbreitetsten  aber  und  für  die  Wundergeschichten 
recht  eigentlich  charakteristisch  ist  eine  weitere  Variation  des  rojiog 
geworden.  Statt  sich  auf  irgendeinen  beliebigen  Gewährsmann  zu 
berufen,  von  dem  er  die  Geschichte,  welche  er  erzählt,  gehört  haben 
will,  tritt  der  Erzähler  oder  Verfasser  der  Wundergeschichte  mit 
seinem  eigenen  Namen  für  ihre  Wahrheit  ein.  Er  behauptet,  den 
Vorgang  selbst  miterlebt  zu  haben,  und  gibt  daher  das  Ganze  als 
Icherzählung  in  der  ersten  Person.  An  geeigneter  Stelle  nennt 
er  dann  auch  gelegentlich  seinen  —  wirklichen  oder  wohl  meist 
fingirten  —  Namen  und  manchmal  sogar  die  bürgerliche  Stellung, 
um  seinem  persönlichen  Zeugnis  mehr  Nachdruck  zu  verleihen  ^). 


1)  Einige  Nachträge  zu  Rolides  Darstellung  gibt  Reitzenstein  a.  a.  0. 
S.  17 f.  Zu  vergleichen  ist  ferner  Scliissel  von  Fieschenberg  in  d.  Z.  XLV 
1910  S.  27ff. 

2)  Um  die  Beisjsiele,  die  im  folgenden  noch  vermehrt  werden,  nicht 
zu  häufen,  sei  eine  parallele  Stelle  aus  der  um  1150  verfaßten  Visio 
Tnugdali,  die  das  Fortwirken  des  röjiog  im  Mittelalter  beweist,  in  die 
Anmerkung  verwiesen,  vgl.  S.  7,  7  Wagner:  tiavi,  nt  plnrimi  Corcagcnsis 
civitatis  testanttir  incolae,  qni  ei  lunc  aderant,  iier  trium  diernm  et  iwctinm 
spatitim  iacuit  morttiKS. 

3)  Selbst  in  die  Geschichtschreibung  ist  der  zö.-tog  eingedrungen. 
Dies  beweist  Lukian  hist.  conscr.  c.  29:  ä^J.og  .  .  .  ovök  töv  e'teqov  nöda 
EX  Koolvdov  jTQoßsßrjxojg  ....  oj8e  tjg^aro '  ^sfivrj/iai  yög '  mra  o(p&a?.fiä>r 
UTiiorÖTEoa'  ygäfpoi  zoi'vvv  a  eidov  ovy^  a  t'jy.ovoa.  Auch  eine  Novelle,  die 
gar  nichts  Wunderbares  enthält,  beginnt  Die  von  Prusa  mit  der  Ver- 
sicherung (Euboikos  c.  1):  x68e  fiijv  avrog  iSojv  ov  trag'  eieqojv  dxovoag 
öiijyijooiLiai.  Durch  Verkehrung  ins  Gegenteil  beabsichtigt  Lukian  hist. 
ver.  I  4  eine  Verspottung:  yQdqpco  toc'vvv  negi  <wv  fii]T€  eISov  firjXE  enadov 
IxryiE  naQ    a).).o)v  sjtvßöfirjv,  exi  8e  /ttjis  oXoyg  ovxcov  fir/xs  xi]v  dgyyv  yEVEoßai 


ZUM  AOYKIOl^  II  Oyo:^  243 

Wie  dieser  rojiog  gewirkt  hat,  zeigt  am  besten  das  viel  be- 
handelte^) Beispiel  von  den  Unterweltsvisionen,  die  Leute  gehabt 
haben  wollen ,  welche  irrtümlicherweise  zu  früh  in  den  Hades 
geholt  und  nach  Erkennung  der  Verwechslung  wieder  an  die  Ober- 
welt zurückgeschickt  werden.  Es  sei  daher  gestattet,  an  diese  be- 
kannten Dinge  kurz  zu  erinnern.  Plutarch  (erhalten  durch  Euseb. 
Praep.  ev.  XI  36)  läßt  die  Geschiclite  durch  einen  persönlichen  Be- 
kannten des  Auferstandenen  erzählen.  Bei  Lukian  (Philops.  25) 
will  Kleodem  die  Hadesfahrt  selbst  erlebt  haben,  und  als  weitern 
Gewährsmann  bietet  er  seinen  Arzt  Antigonos  an,  der  ihn  während 
seiner  Krankheit  und  seines  Scheintodes  behandelte.  Augustin  (de 
cura  pro  mort.  ger.  12,  15)  behauptet,  einer  seiner  Täuflinge  habe 
die  Unterweltsvisionen  und  die  Auferstehung  vom  Tod  durchgemacht, 
weil  der  Todesbote  durch  die  Namensgleichheit  von  Curma  dem 
curialis  und  Curma  dem  faber  ferrarius  getäuscht  worden  sei.  Bei 
Augenzeugen  der  Krankheit  und  des  Scheintodes  will  er  sich  die 
Bestätigung  geholt  haben.  Gregor  der  Grofse  berichtet  seinerseits 
das  Auferstehungswunder  von  einem  seiner  Freunde  (Dial.  IV  36 
p.  384  A  Migne).  Es  kann  kein  Zweifel  sein.  Immer  wieder  dieselbe 
Geschichte  wird  uns  erzählt,  die  von  Mund  zu  Mund  wandert.  Und 
immer  soll  sie  vor  kurzer  Zeit  und  im  engen  Bekanntenkreis  des 
Erzählers  geschehen  sein.  Dies  ist  die  Kraft  des  rojiog,  den  diese 
Männer,  die  die  Umformung  der  Geschichte  in  ihre  eigene  Zeit  vor- 
nahmen, besser  eingesehen  haben,  als  wer  sie  wegen  dieser  „Un- 
wahrheit"  tadelt. 

Auch  sonst  finden  sich  in  den  von  Reitzen stein  analysirten 
Erzählungen  auf  Schritt  und  Tritt  Belege  für  unsere  Topik.  Dieser 
im  Vorbeigehen  zusammengetragenen  Fülle  von  Material  gegenüber 
sei  es  gestattet,  auf  eine  Reihe  dort  nicht  behandelter  volkstüm- 
licher VVundergeschichten  einzugehen,  die  sichtlich  unter  dem  Banne 
der  gleichen  Topik  stehen. 

Bei  Petron  fällt  auf,  daß  von  den  verschiedenen  Einschalt- 
geschichten gerade  die  zwei  in  Cap.  61  —  63  erzählten,  die  von  der 
Verwandlung    eines    Werwolfs    und    von    einem    Spuk    nächtlicher 

dvva/LiEvon'.     8i6   Sei    rovg  h'zvy/ärovTag  fu]8aficög  -tiareveiv  arroTg.     Die  Pa- 
rodie in  dieser  Schrift  Lukians  geht  bis  auf  das  Stilistische. 

1)  Am  vollständigsten  ist  die  Literatur  zusammengestellt  bei  Wend- 
land, De  fabellis  antiquis  earumque  ad  Christianos  propagatione,  Progr. 
Göttingen  1911  S.  26. 

16* 


244  H.  WERNER 

sfrigae  berichten,  als  Icherzählungen  abgefaßt  sind.  Trimalchio  und 
Niceros  berichten  ihre  Schauergeschichten  ganz  ernsthaft,  genau 
werden  die  einzelnen  Örtlichkeiten,  wo  sie  den  Spuk  erlebt  haben 
wollen,  beschrieben,  damit  die  Hörer  ja  nicht  an  der  Wahrheit  der 
Geschichte  zweifeln  sollen.  Und  den  Schlufs  macht  Niceros  mit 
einem  derben  Eid:  viderint  alii,  quid  de  hoc  cxopinissint;  ego  si 
mentiar,  gcnios  vesfros  iratos  liabeam^).  Trimalchio  selbst  gibt 
ihm  zur  Bekräftigung  nachher  das  Zeugnis,  er  sei  certus  et  miniinc 
linguosus.  Die  Geschichte  von  den  sfrigae,  die  er  dann  seinerseits 
als  eigenes  Erlebnis  auftischt,  soll  nur  dazu  dienen,  die  Glaub- 
würdigkeit seines  Kumpans  ins  rechte  Licht  zu  setzen.  Es  sind 
wieder  unsere  alten  rö:70i,  aber  Petron  hat  ihnen  einige  neue 
Seiten  abzugewinnen  gewußt  und  ihnen  vor  allem  ein  persönliches 
Leben  gegeben,  so  daß  die  Typenhaftigkeit  fast  unerkennbar  ist. 
Daß  schließlich  der  ganze  Roman  als  Icherzählung  abgefaßt  ist, 
darf  vielleicht  als  nicht  zufäUige  Übereinstimmung  mit  der  Erzählung 
vom  verzauberten  Eselmenschen  angesehen  werden.  Immerhin  sind 
bei  dem  trümmerhaften  Zustand  des  Werkes  weitere  Schlüsse  nach 
dieser  Seite  nicht  zu  ziehen. 

Noch  interessanter  gestaltet  sich  die  Betrachtung  unserer  tötzoi 
bei  Apuleius,  der  ja  in  seine  Metamorphosen  eine  ganze  Reihe 
von  Novellen  eingeschaltet  hat,  die  gesondert  von  der  Hauptfabel 
betrachtet  werden  müssen.  Alle  Einschaltnovellen,  die  von  Zauber 
und  Spuk  berichten,  sind  auch  hier  als  Icherzählungen  stilisirt 
und  mit  dem  ganzen  Beglaubigungsapparat  umgeben,  den  wir  nun 
bereits  kennen.  Dabei  macht  sich  allerdings  an  manchen  Stellen 
eine  Stimmung  des  Autors  fühlbar,  die  sich  auf  Kosten  desjenigen 
Lesers  belustigen  möchte,  der  die  Wahrheitstopik  und  damit  die 
ganze  Geschichte  für  bare  Münze  nehmen  wollte.  Met.  I  5  ff. 
wird  von  einem  Menschen  erzählt,  der  als  Liebhaber  einer  Hexe 
ganz  heruntergekommen  ist  und  bei  einem  Versuch  der  bösen  sagu 
zu  entfliehen  durch  einen  halb  gruselig,  halb  lächerlich  anmutenden 


1)  Auch  der  schülerhafte  Historiker  bei  Lukian  (bist,  conscrib.  14). 
der  seine  Geschichte  mit  der  Beteuerung  beginnt,  daß  er  Dinge  berichten 
wolle,  die  er  neulich  in  lonien  von  andern  Geschichtsschreibern  gehört 
habe,  möchte  die  Wahrheit  seiner  Darstellung  mit  einem  Eid  beteuern, 
wenn  dies  nur  mit  dem  Stil  der  Geschichtscbreibung  zu  vereinbaren 
wäre  :  i^gog  Xagizuv  fxrjdsig  aniorrjO]]  xoXq  ^.syüijoofidvoig  ■  ort  yÜQ  aXrj&fj  sari 
y.av  s:Ta>fioadfir]r,  el  darsTov  i)v  öohov  i^iri&ivai  ovy/od/nuari. 


ZUM  AOYKIOi:  II  0x02:  245 

Zauber  jämmerlich  sein  Theben  verliert.  Die  verschiedenen  xonoi, 
nach  denen  wir  suchen,  finden  sich  geradezu  gehäuft  in  dieser  so 
eigentümlich  anmutenden  Geschichte,  die  den  Ton  des  Volkes,  das 
über  Gespenster  bald  spottet  und  lacht,  bald  aber  doch  wieder  ein 
heimliches  Gruseln  spürt,  gar  nicht  schlecht  trifft.  Sie  ist  als  Ich- 
erzählung einem  Bekannten  des  Behexten  in  den  Mund  gelegt. 
Dieser  halte  den  Unglücklichen  zu  retten  versucht  und  war  dadurcli 
Zeuge  unheimlicher  Zaubereien  geworden,  die  er  uns  schildert,  nach- 
dem er  die  übliche  Wahrheitsversicherung  gegeben  hat:  äeierabo 
solem  istam  otnnividcnfon  deum  me  vera  ac  comperta  memorare, 
nee  vos  idterins  dtihitahitis,  si  Thessaliani  proximam  civitatem 
pervenerifis,  quod  ibidem  pmsim  per  ora  popidi  sermo  iactef, 
quae  pnlani  gesta  stint^).  Es  folgt  ein  weiterer  rojiog,  indem  der 
Berichterstatter  über  sein  Herkommen  und  seinen  Beruf  Auskunft 
gibt:  sed  id  prius  noriiis,  cuiatis  sim:  Äegiensis,  audite  et  quo 
quaestu  me  feneam:  melle  vcl  caseo  et  liuiuscemodi  cauponarum 
mercihus  per  Thessaliani,  Aefoliam,  Boeotiam  idtro  citro  dis- 
currens.  Dafs  nur  Stand  und  Herkunft,  nicht  aber  der  Name  ge- 
nannt wird,  darf  an  dieser  Stelle  nicht  befremden;  denn  Lukios, 
dem  der  Hausirer  seine  Geschichte  erzählte,  mußte  doch  wenigstens 
die  Namen  seiner  Reisegefährten  kennen ;  diese  also  dem  xojiog  zu- 
liebe nochmals  wiederholen  zu  lassen,  wäre  sehr  gekünstelt  gewesen. 


1)  Es  knüpft  sich  an  diese  Stelle  eine  kleine  Controverse,  die  für 
unsere  Untersuchung  niclit  ganz  ohne  Interesse  ist,  indem  Bürger  in 
seiner  bereits  mehrfach  citirten  Dissertation  De  Lucio  Patrensi  p.  28  be- 
hauptete, die  Worte  stünden  in  Widerspruch  mit  der  ganzen  folgenden 
Erzählung.  Der  Berichterstatter  sei  ja  der  einzige  Überlebende,  der  jenen 
nächtlichen  Spuk  gesehen  habe,  und  er  werde  sich  wohl  gehütet  haben, 
den  Stadtbewohnern  etwas  von  seinem  Abenteuer  zu  erzählen  (vgl.  Apul. 
Met.  I  14  p.  13, 10  Helm  u.  I  19  p.  18,  11  H.).  Es  sei  demnach  unwahr- 
scheinlich, daß  die  ganze  Stadt  davon  reden  könne.  Falls  wir  dieses 
Bedenken  Bürgers  annehmen  wollten,  hätten  wir  ein  Beispiel  dafür,  daß 
der  uns  bereits  bekannte  xöjiog  (vgl.  S.  242  und  Hieronymus  vita  Hilarion. 
c.  2:  hoc  Epidaurus  et  omnis  illa  regio  usqtie  liodie  jjvaedicut  matresque 
docent  liberos  suos  ad  memorium  in  posteros  transmittendam)  unbewußt 
einmal  an  unpassender  Stelle  verwendet  wäre.  Doch  halte  ich  diese 
Annahme  für  unnötig.  Die  richtige  Lösung  scheint  der  von  Bürger  nicht 
beachtete  Zusatz:  quae  palam  gesta  sunt  zu  bieten.  Aristomenes  meint 
damit  die  früheren  Taten  der  Hexe,  von  denen  er  ja  auch  erzählt.  Für 
sie  allein  liegt  die  Beglaubigung  in  den  Erzählungen  des  Volkes.  Für  die 
nächtlichen  Zaubereien  steht  Aristomenes  mit  seinem  eigenen  Namen  ein. 


246  H.WEBNER 

Eine  Untersuchung  der  übrigen  Wundergeschichten  bei  Apuleius 
würde  zeigen,  daß  auch  dort  eine  analoge  Topik  durchgeführt  ist. 
Ich  brauche  daher  nur  kurz  darauf  hinzuweisen,  welche  Stücke  über- 
haupt in  Betracht  kommen.  Vor  allem  ist  es  die  „gefährliche 
Totenwacht"  (II  21  ff.),  dann  gehören  hierher  die  mit  der  Hauptfabel 
verflochtenen  Schwanke  von  dem  wahrsagenden  Chaldäer  (II 13)  und 
von  dem  nächtlichen  Kampf  mit  den  Ziegenschläuchen  (II  32  ff.)  und 
endlich  die  absonderliche  Compilation  von  Wundern  in  IX  33  ff. 

Mit  Absicht  habe  ich  die  Geschichten,  welche  Lukian  seine 
philosophisch  gebildeten  fPiAo\pEv6eig  ^)  erzählen  läßt,  bisher  beiseite 
gelassen.  Denn  die  von  uns  gesuchten  tojioi  liegen  zwar  in  dieser 
Schrift  in  den  mannigfaltigsten  Variationen  vor  und  sehr  oft  mit 
einer  Deutlichkeit  wie  nirgends  sonst,  aber  gerade  hier  ist  ein 
Mißdeuten  derselben  außerordentlich  naheliegend.  Lukian  beginnt 
seinen  Dialog  mit  dem  Ausdruck  der  Verwunderung  darüber,  daß 
ernsthafte  Männer  nicht  allein  Wundergeschichten  erzählen  und 
daran  glauben,  sondern  sogar  ihr  Ehrenwort  darüber  abzugeben 
wagen,  daß  das  Wunder  wirklich  geschehen  und  von  ihnen  selbst 
miterlebt  worden  sei  c.  5:  ov  yäq  dlod^a  .  .  .  oTa  [xev  elnev, 
ojicog  de  amä  eniaTCooaro,  (bg  de  xal  ejtcajuvvto  xoTg  nXeioxoig, 
jiaoaoT}]odjuevog  rd  naidia  ^).  Wer  daraufhin  die  einzelnen  Er- 
zählungen der  Philosophen  durchgeht,  bemerkt  in  der  Tat,  daß 
jeder  das  Wunder,  das  er  vorträgt,  selbst  erlebt  haben  will  und 
demnach  in  der  Ichform  schildert  und  mit  allen  Mitteln  zu  be- 
teuern sucht.  An  und  für  sich  betrachtet  liegt  es  sehr  nahe,  diese 
Form  dem  Lukian  auf  die  Rechnung  zu  schreiben  und  so  zu  er- 
klären, als  habe  er  die  Ichform  und  die  eidlichen  Bezeugungen  aus 
seinem  eigenen  Geiste  erfunden  und  verwendet,  um  die  Philosophen, 
die  schon  lächerlich  genug  sind,  weil  sie  überhaupt  an  solche 
Ammenmärchen  glauben,  dadurch  doppelt  dem  Hohne  preiszugeben, 
daß  sie  mit  so  heiligem  Ernste  bezeugen,  selbst  solche  Dinge  erlebt 

1)  Die  Verteidigung,  die  Reitzenstein  a.  a.  0.  S.  2  implicite  der 
Titelform  ^ü.oif'ev8)]g  angedeihen  läßt,  scheint  mir  unhaltbar  gegenüber 
den  Gründen,  die  Rothstein  (Quaestiones  Lucianeae,  Diss.  Berlin  1888 
p.  6)  zugunsten  der  Form  ^doipsväsTg  vorbringt ;  denn  daß  der  Dichter 
wirklich  sich  selbst  und  seine  Darstellung  als  (pO.oipevdrjg,  mendax  habe 
hinstellen  wollen,  erscheint  kaum  denkbar.  Die  Lügeufreunde  sind  wirk- 
lich die  von  Lukian  verhöhnten  Philosophen. 

2)  Über  die  Bedeutung  dieser  Wendung  vgl.  Dikaiomata,  heraus- 
gegeben von  der  Graeca  Halensis  S.  121. 


ZUM  AOYKIOI  II  OKOI  247 

zu  haben.  Dafs  dieses  let/lere  der  Zweck  Lukians  war,  ist  gewiß, 
und  doch  muß  unsere  Beurteilung  der  Icherzählung  und  der  Be- 
glaubigungstopik  eine  andere  sein.  Schon  die  Leute,  welche  vor 
Lukian  im  Ernst  Wundergeschichlen  erzählten,  hatten  jene  Topik 
ausgebildet.  Sie  stammten  aber  meist  aus  den  untern  Volksschichten, 
wo  die  ganze  Gattung  der  Wundergeschichte  ihre  Wurzeln  besitzt. 
Der  Spott  Lukians  besteht  also  darin,  daß  er  seine  gebildet  sein 
wollenden  Philosophen  nicht  blofs  die  Stoffe  zu  ihren  Geschichten 
aus  jenen  Volksschichten  entnehmen  läßt,  sondern  zugleich  auch 
die  ganze  Art  und  den  Stil  der  Darstellung.  Mit  der  Anwendung 
der  Icherzählung  und  der  Bezeugungstopik  aber  sagt  Lukian  nicht 
mehr  und  nicht  weniger,  als  daß  die  Philosophen  in  seinen  Augen 
auf  der  gleichen  Stufe  stehen,  wie  der  letzte  Lastträger,  der  die- 
selben Geschichten  mit  genau  der  gleichen  Technik  erzählen  würde 
und  schon  oft  erzählt  hat. 

Auf  eine  weitere  Gruppe  von  Wundergeschichten,  bei  denen  dem 
Verfasser  die  bloße  Ichform  nicht  mehr  genügte  und  er  daher  nach 
einer  Verstärkung  der  Topik  suchte,  möchte  ich  zum  Schluß  dieses 
Abschnittes  noch  kurz  eingehen.  Ich  meine  die  drei  ersten,  litera- 
risch ausgebildeten  Kapitel  von  Phlegons  Mirabiliensammlung.  Von 
diesen  hat  Rohde^)  nachgewiesen,  daß  sie  von  der  gleichen  Hand 
nach  einem  einheitlichen  Plane  gestaltet  worden  sind  und  zwar 
durch  Umgestaltung  des  StofTes  in  Briefform.  Für  die  beiden  ersten 
Kapitel  ist  diese  Einkleidung  durch  die  Überlieferung  direkt  bezeugt, 
während  für  die  dritte  Geschichte  eine  Bestätigung  vielleicht  nur 
durch  Zufall  verlorengegangen  ist.  Was  bezweckte  der  Verfasser  mit 
seiner  Einkleidung  in  die  Form  des  Briefes?  Aus  der  Art,  wie  er 
die  Briefform  benützt,  geht  deutlich  hervor,  daß  nichts  anderes  als 
eine  Verstärkung  der  Beglaubigungstopik  sein  Ziel  war ;  denn  die 
Einkleidung  erlaubte  ihm,  vornehme  und  berühmte  Namen  zu 
Zeugen  seiner  Geschichte  zu  machen  und  überhaupt  der  ganzen 
Topik  einen  gewissen  juristischen  Charakter  zu  geben.  So  ist 
das  erste  Mirakel  in  seinem  ganzen  Verlauf  von  einer  Reihe  amt- 
licher Feststellungen  begleitet.  Zum  Schluß  erbietet  sich  der 
Schreiber  des  Briefes,  der  wohl  als  Vorsteher  der  Stadt  gedacht  ist, 
eidliche  Zeugen  zum  König  zu  schicken,  falls  das  Ereignis  für 
wichtig  genug  angesehen  werde,  um  zu  seinen  Ohren  zu  gelangen  2). 

1)  Kl.  Schriften  II  S.lTÖfif.,  vgl.  Wendland,  De  fabellis  antiquis  p.öff. 

2)  Einige    Bemerkungen    zum    verlorenen    Anfang    von     Phlegon 


248  H.  WERNER 

Kurz,  mau  sieht  auf  Schritt  und  Tritt  das  Bestreben  des  Schrift- 
stellers, jeglichen  Skepticismus  mit  einer  Flut  amtlicher,  beglau- 
bigter Feststellungen  förmlich  zu  ersäufen.  Es  ist  eine  höchste 
Steigerung,  zugleich  aber  auch  eine  starke  Veräußerlichung  unserer 
Beglaubigungstopik ,  die  wohl  deshalb  eintrat,  weil,  wie  auch  bei 
Lukian  festzustellen  ist,  die  Anwendung  der  Ichform  und  die  mehr 
private  Beglaubigung  durch  einen  Schwur  des  Erzählers  anfing  so 
abgegriffen  zu  werden,  daß  man  sie  leicht  lächerlich  machen  konnte. 

Mirab.  1  mögen  hier  Platz  finden.  Die  wiedergefundene  Epitume  unserer 
Erzählung  bei  Proklos  im  Commentar  zu  Piatons  Staat  (IIS.  IKj  Kroll) 
erlaubt  bekanntlich  verschiedene  Einzelheiten  des  Anfangs  der  Ge- 
schichte, der  bei  Phlegon  selbst  zusammen  mit  den  Blättern  der  Heidel- 
berger Hs.  zugi'unde  gegangen  ist,  mit  Sicherheit  zu  ergänzen.  Aber 
ein  Punkt  wird  auch  durch  Proklos  nicht  aufgehellt:  Warum  kam  Phi- 
linnion überhaupt  zu  Machates  in  die  Kammer V  Rohde  (und  nach  ihm 
Wendland  a.a.O.  u.  5  p.l)  hat  die  Frage  zu  lösen  versucht,  indem  er  Kl. 
Schriften  II  S.  177  schrieb:  „Hatte  sie  ihn  etwa  bereits  im  Leben  geliebt 
und  war  wider  Willen  mit  Krateros  vermählt  worden?  Vermutlich  würde 
uns  hierüber,  wäre  er  erhalten,  der  Eingang  der  Erzählung  des  Phlegon 
aufklären."  Ich  kann  weder  jene  Vermutung  noch  diese  Hoffnung  teilen. 
Gegen  jene  nämlich  erheben  sich  sachliche  Bedenken  aus  dem  Text  des 
Phlegon  selbst.  Wie  kann  Machates  später  wieder  als  Gast  in  das  Haus 
der  Eltern  gelangen,  die  ihn  als  Bräutigam  ihrer  Tochter  abgewiesen 
haben?  Noch  weiter  geht  die  Bedeutung  des  folgenden  Argumentes, 
daß  Machates,  wie  aus  den  Worten  (p.  52,  9  Keller) :  f.i6hg  Se  tioxe  SiEod- 
cpfjoev  ort  ^lUvviov  sit]  hervorgeht,  das  Mädchen  früher  gar  nicht  kannte, 
geschweige  denn  umworben  hatte.  Ähnliche  Bedenken  mögen  Hausrath 
und  Marx,  Griechische  Märchen  S.  188  ff.  bewogen  haben,  die  von  Rohde 
vorgeschlagene  Lösung  in  ihrer  Übersetzung  zu  verwerfen  und  dafür  eine 
andere  einzusetzen,  zu  der  sie  ohne  Zweifel  durch  das  Motiv  des  Liebes- 
anfangs im  Epyllion  von  Hero  und  Leandros  angeregt  wurden.  Aber  auch 
dieser  Ausweg  vermag  die  genannten  Schwierigkeiten  nicht  zu  beseitigen. 
Ich  selbst  dachte  eine  Zeitlang  daran,  die  Begründung  der  Liebe  der  Philin- 
nion könnte  durch  ein  Traummotiv  gegeben  gewesen  sein,  wie  es  in  der  Ge- 
schichte von  Odatis  und  Zariadres  (Athen.XlII  p. 575)  wiederkehrt.  Doch 
auch  dies  befriedigt  nicht.  Es  bleibt  darum  wohl  nichts  andres  übrig, 
als  anzunehmen,  die  Liebe  der  Philinnion  sei  bei  Phlegon  gar  nicht 
weiter  begründet  gewesen,  und  den  Worten  des  Proklos,  Philinnion 
sei  zu  Machates  gekommen  dtä  rov  .toö?  avröv  e'gcoza,  habe  auch  in  der 
ausführlichen  Fassung  keine  weitere  Motivirung  gegenübergestanden. 
Die  Geschichte  paßt  dann  in  ihrem  Mangel  an  psychologischer  Feinheit 
auch  viel  besser  zu  den  beiden  andern  Briefen  des  Phlegon  in  cap.  2 
und  3,  die  ja  auch  nur  kruden  Aberglauben  in  tollem  Wirrwarr  geben. 
Die  -Braut  von  Korinth"  steht  auch  so  noch  weit  über  ihnen. 


ZUM  AOYKIOS  H  ONOS  249 

Darum  mufste  der  Tonog  eine  neue  Wendung  bekommen  und  wo- 
möglich verstärkt  werden.  Dies  erreichte  der  Redaktor  der  phle- 
gontisehen  Briefe,  indem  er  seinen  Beglaubigungen  einen  gewissen 
amtlich-juristischen  Anstrich  gab. 

III. 

Nachdem  wir  in  den  vorstehenden  allgemeinen  Ausfiilu'ungen 
einen  Überblick  über  die  Beglaubigungstopik  der  Wunder-  und 
Zaubergeschichte  gewonnen  haben,  wird  es  an  der  Zeit  sein,  zum 
Ausgangspunkt  der  Untersuchung,  d.h.  zu  der  Erzählung  von  dem 
verzauberten  Eselmenschen,  zurückzukehren  und  die  gewonnene  Ein- 
sicht auf  sie  anzuwenden. 

Die  ganze  Erzählung  ist  voll  von  Zaubereien  und  geheimnis- 
vollen, unglaublichen  Abenteuern,  bedarf  also  vom  Standpunkt  des 
naiven  Lesers  aus  unbedingt  äußerer  Beglaubigung.  Ganz  in  her- 
gebrachter Weise  bekommt  daher  das  Ganze  die  Form  der  Ich- 
erzählung, und  daran  schließt  sich  als  ebenso  üblicher  ronog  die 
Namensnennung  dessen,  der  für  die  Wahrheit  seiner  Erzählung  bürgt. 
Sie  braucht  darum  noch  nicht  den  wirklichen  Namen  des  Helden 
und  damit  des  Erzählers  zu  geben,  weil  ihr  literarischer  Zweck 
darin  besteht,  die  erzählten  Abenteuer  als  tatsächlich  geschehen  zu 
dokumentiren  ^).  Bereits  v.  Arnim  (Wiener  Studien  XXII 173)  streifte 
ganz  kurz  die  Möglichkeit,  „daß  solche  genauen  Angaben  trüge- 
rischer Art  von  dem  Schriftsteller  gemacht  werden,  um  einen  grö- 
ßeren Schein  oberflächlicher  Glaubwürdigkeit  hervorzurufen".  Doch 
weist  er  den  Gedanken  sofort  ohne  weitere  Argumente  zurück. 
Sein  Fehler  besteht  darin,  daß  er  die  topische  Bedeutung  der  Stelle 
nicht  erkannte  und  diese  isolirt  betrachtete,  statt  sie  mit  analogen 
Stellen  anderer  verwandter  Geschichten  in  Beziehung  zu  bringen. 
Bedenken  gegen  unsere  Erklärung  des  fraglichen  Abschnittes  im 
55.  Kapitel    des    „lukianischen"   "Orog    könnte    immerliin    noch  die 


1)  Es  soll  wenigstens  erwähnt  werden,  daß  vielleicht  durch  eine 
bloße  Zufälligkeit  der  Epitomirung  im  „lukianisclien"  "Ot'og  der  Name 
des  Helden  vor  jenem  55.  Kaj^itel  gar  nicht  genannt  ist  und  infolge- 
dessen dort  als  überraschender  Schlag  wirkt.  Apuleius  wenigstens  bietet 
den  Namen  bereits  früher  im  Verlauf  der  Geschichte  zu  wiederholten 
Malen.  War  das  schon  in  den  Metamorphosen  des  Patrensers  so?  Dann 
liegt  die  Idee  einer  Satire  natürlich  ganz  fernab.  Oder  hat  Apuleius 
auch  diesen  Witz  (der  dann  immerhin  in  dem  röjiog  liegt)  wie  so  manchen 
andern  des  griechischen  Originals  verdorben? 


250  H.WERNER 

krause  Form  erregen,  in  der  die  Namensnennung  dort  gegeben  ist 
und  die  eine  Auffassung  als  Satire  zu  rechtfertigen  scheint.  Aber 
zunächst  ist  uns  ja  die  Beurteilung  der  Stelle  durch  ihre  verderbte 
und  verstümmelte  Überlieferung  sehr  erschwert,  und  außerdem  ist 
die  zugegebenermaßen  etwas  bombastische  Form  durchaus  kein 
Grund,  die  ganze  Stelle  kurzweg  als  Parodie  zu  erklären  ').  Viel- 
mehr gehört  eine  etwas  schwülstige  Ausdrucksweise  auch  hier  zum 
Stil  des  TOJiog.  Ich  verweise  als  Parallele  nur  auf  die  Art,  w^ie 
bei  Phlegon  Mirab.  1  der  Priester  Hyllos  auch  gleichsam  zur  Be- 
glaubigung eingeführt  vi^ird:  ovdevög  dvvajLievov  xgTvai  rä  ngay- 
juara,  ngcorog  "YXkog,  ö  vojui^ojuevog  Ttag'  fj/iuv  ov  juovov  [idvTig 
ägioTog,  ä?dd  xal  olcovooxonog  xo/iiyog  elvai,  rd  re  akXa  ovv- 
ecogatiCbg  ev  Ttj  re^vt]  jTSQnzcög,  dvaordg  sxskevev  ....  Diese 
Stelle  muß  uns  um  so  mehr  interessiren,  als  wir  hier  zugleich 
einen  Beleg  haben  für  den  Ausdruck  judviig  äyaß^og^),  der  in 
jenem  55.  Kapitel  des  "Ovog  so  viel  Anstoß  erregte  und  mit  dem 
man  hauptsächlich  auch  die  ironische  Auffassung  der  Namens- 
nennung vor  dem  Prätor  rechtfertigen  zu  können  meinte.  Ganz 
besonders  wichtig  wird  aber  die  Phlegonstelle  für  uns,  weil  man 
auch  dort  eine  ironische  Absicht  des  Autors  hat  herauslesen  wollen, 
wobei  freilich  von  vornherein  zugegeben  werden  mußte,  daß  ein 
Beweis  für  die  Behauptung  fehle  ^).  An  beiden  Stellen  hat  Un- 
kenntnis der  besonderen  Topik  den  Irrtum   herbeigeführt. 

Wir  werden  also  berechtigt  sein,  an  unserer  Erklärung  fest- 
zuhalten, daß  Icherzählung  und  Namenstopos  durchaus  keine  paro- 
distische  Absicht  enthalten,  sondern  durch  das  literarische  yevog 
bestimmt  sind,  dem  die  Geschichte  vom  Eselmenschen  angehört. 
Es  war  außerdem  oben  (S.  243)  zu  sehen,  in  welcher  Weise  die 
Topik  wirkt,  wenn  die  Erzählung  von  andern  Autoren  weitererzählt 


1)  Auch  der  Umstand  mnfs  gegen  die  Annalmie  einer  Parodie  be- 
denklich stimmen,  daß,  falls  eine  Verhölmung  in  der  Stelle  liegen  soll, 
der  im  Grund  unbeteiligte  Bruder  des  Lukios  als  7rot»;r>)?  eleyekov  xal 
/lävng  aya-Oog  viel  schlechter  wegkommt  als  Lukios  selbst,  der  außer- 
ordentlich gelinde  als  lorogiür  aal  äXXcov   ovyyQacpsvg  bezeichnet  wird. 

2)  Reitzenstein  a.  a.  0.  S.  33  A.  2  verweist  als  Parallele  auf  die  be- 
kannte Charakteristik  des  Ampliiaraos,  womit  nicht  viel  gewonnen  scheint. 

3)  Wendland,  Festschr.  d.  Schles.  Ges.  f.  Volkskunde,  Breslau  1911, 
.S.  33.  Er  wiederholte  seine  Ansicht  De  fabellis  antiquis  p.  8  n.  3:  quani- 
quam  fateor  rem  comprohari  non  posse,  taincn  ironiaui  qitandam  odorari 
viüii  videor,  qua  prüca  fabula  utehutur  in  describendo  vate. 


ZUM  AOYKIOI  II  0X0^  251 

wird.  Jeder  übernimmt  die  totzoi  niclit  einfacli  unverändert,  sondern 
bezieht  sie  auf  seine  eigene  Zeit.und  Person,  frischt  also  den  Wahr- 
heitsbeweis immer  wieder  neu  auf.  Für  die  Eselgeschichle  ist  es 
uns  nun  möghch,  die  Probe  aufs  Exempel  zu  machen,  da  Nach- 
ahmungen und  Übersetzungen  aufgewiesen  werden  können,  welclio 
sich  der  Topik  genau  in  der  angegebenen  Weise  bedienen.  Von 
Agnolo  Firenzuola,  der  die  erste  Übersetzung  von  Apuleius'  Meta- 
morpliosen  ins  Ilahenische  verfaßte  (L'asino  d'oro,  Venezia  1550). 
erklärt  Lorenzo  Scala  in  der  Dedikation  des  Werkes,  der  Übersetzer 
habe  in  seiner  Übertragung  etwas  getan,  was  sonst  nicht  üblich 
sei,  nämlich  far  memoria  della  vita  sud.  In  der  Tat  zeigt  eine 
Betrachtung  der  „Übersetzung",  daß  Firenzuola  mit  seinem  Original 
sehr  frei  umgesprungen  ist.  Nicht  genug  daran,  daß  er  die  Ein- 
führung, die  Apuleius  zu  Beginn  seines  Werkes  über  seine  eigeno 
Person  gibt,  auf  sich  selbst  bezieht  und  Daten  aus  seinem  Leben 
statt  der  apuleianischen  einsetzt:  Firenzuola  verlegt  auch  den  Schau- 
platz der  ganzen  Abenteuer  in  seine  eigene  Zeit  und  nach  Italien. 
Er  selbst  will  die  ganze  Geschichte  erlebt  haben,  erzählt  also  in 
erster  Person  und  in  Anführung  seiner  Lebensumstände.  Das  doch 
wohl  nicht,  w^eil  er  sich  selbst  an  den  Pranger  stellen  wollte,  son- 
dern weil  er  instinktiv  die  Macht  des  xonog  erkannt  hatte  ^). 

Vielleicht  nicht  ganz  soviel  Beweiskraft  wird  man  einem  zweiten 
Fall  zuschreiben  wollen,  doch  ist  er  immerhin  typisch  genug,  um 
erwähnt  zu  werden.  Bei  Martin  Zeiller  ist  der  Inhalt  des  Aovxioq 
zum  Erlebnis  eines  „ Kriegsbediensteten "  geworden,  das  dem  Be- 
richterstatter von  einem  „Herrn  Obristen"  erzählt  wurde,  der  im 
30  jährigen  Kriege  gedient  hatte.  Praetorius  (Newe  Weltbeschrei- 
bung, anderer  Theil,  Magdeburg  16(57,  S.  452  ff.)  verbreitet  die 
Geschichte  nach  der  Darstellung  Zeillers  weiter,  indem  er  Aus- 
schmückungen anbringt.  Er  bezeugt  aber,  das  Ganze  von  „unter- 
schiedlichen glaubwürdigen  Leuten"  gehört  zu  haben 2).  Auch  in 
diesem  ganzen  Vorgang  wird   man  unsere  Topik  wiedererkennen. 

1)  Misch  (Geschichte  der  Autobiographie  I  224)  zeigt,  wie  es  auch 
im  sophistischen  Liebesroman  möglich  war,  daß  der  Verfasser  seine 
eigene  Lebensgeschiebte  in  den  Roman  einfügte,  an  dem  Beispiel  von 
Jamblich  (Photios  Bibl.  cod.  94  p.  329  D  Migne).  Halbwegs  vergleichbar 
findet  er  die  von  Cervantes  in  den  Don  Quijote  eingeschobene  Erzählung 
von  seiner  Gefangenschaft  in  Afrika. 

2)  Die  beiden  Texte  des  Zeiller  und  Praetorius  waren  mir  nicht 
zugänglich.  Ich  kann  daher  nur  die  Angaben  Rohdes  (Kl.  Schriften  11 
201)  reproduciren. 


252  H.  WERNER 

Doch  nunmehr  sollen  die  Folgerungen,  die  wir  zu  ziehen  be- 
rechtigt sind,  zusammengestellt  werden.  Der  Gedanke,  daß  die 
Icherzählung  und  die  Namensnennung  im  Eselroman  parodistisch 
gemeint  seien,  muß  endgültig  fallen.  Weil  außer  diesen  keinerlei 
Anzeichen  für  eine  satirische  Absicht  geltend  gemacht  werden 
können,  darf  nicht  mehr  zweifelhaft  sein,  daß  auch  die  „lukia- 
nische"  Fassung  des  "Ovog  ernsthaft  und  „gläubig"  vorgetragen 
ist.  Damit  wird  der  ganze  unfruchtbare  Streit  wesenlos,  wo 
die  parodistische  Absicht  zuerst  auftrete  und  wer  ihr  Opfer  sei. 
Andrerseits  gewinnt  eine  bereits  citirte  Feststellung  Bürgers  über 
die  Art  und  Weise  der  Epitomirung  (vgl.  S.  228  A.  1)  erhöhte 
Bedeutung.  Der  unter  Lukians  Namen  erhaltene  "Ovog  wird  zu 
einem  bloßen  handwerksmäßigen  Auszug  aus  den  umfangreichen 
Metamorphosen  des  Lukios  von  Patrai,  und  Lukian  kann  nach  dem 
allgemeinen  Urteil  der  Verfertiger  eines  solchen  Auszuges  nicht  sein. 

Sinkt  so  der  griechische  pseudolukianische  AovyAog  r)  ovog  in 
unserer  Wertschätzung  als  selbständiges  literarisches  Produkt  be- 
denklich herab,  so  kann  er  uns  andrerseits  um  so  wertvollere 
Dienste  leisten  zur  Beconstruction  und  Beurteilung  jener  Metamor- 
jihosen  des  Lukios  von  Patrai,  denen  eine  besser  fixirte  Stellung 
innerhalb  der  Literargeschichte  anzuweisen,  als  sie  bisher  inne- 
hatten, nun  vielleicht  gelingt. 

Als  man  von  dem  Begriff  des  antiken  Romans  erst  vage  An- 
schauungen besaß,  war  es  vielfach  üblich,  auch  den  Lukios „roman" 
dieser  Gattung  zuzuzählen.  Dies  ist  wohl  nicht  mehr  haltbar,  seit- 
dem W.  Schmid  (N.  Jahrb.  f.  klass.  Altert.  XIII  1904  S.  470  ff.)  Klar- 
heit über  die  Gattung  geschaffen  hat,  indem  er  den  ernsthaften 
antiken  Roman  definirte  als  fiktive  Prosaerzählung  von  dem  unab- 
änderlichen Schema,  daß  ein  liebendes  Paar  nach  wohlbestandenen 
Prüfungen  glücklich  vereint  wird.  Davon  ist  in  unserer  Erzählung 
keine  Rede.  Bürger  allerdings  (Progr.  Blankenburg  1902  S.  21  f.) 
läßt  es  sich  viel  Mühe  kosten,  ähnlich  wie  Heinze  in  einem  be- 
kannten Aufsatz  es  für  Petron  versucht  hat,  dieses  Schema  im 
Lukios  aufzudecken  und  einzelne  Stellen  als  Parodie  auf  jene  ernst- 
haften Liebesromane  zu  deuten.  Dadurch  glaubt  er  überhaupt  die 
Lukiosabenteuer  mit  Petron  auf  eine  Linie  stellen  zu  können. 
Wenn  aber  schon  Heinze  mit  seiner  These  über  Petrons  Werk 
fast  allgemein  auf  Ablehnung  gestoßen  ist,  so  sind  bei  den  Lukios- 
abenteuern  die  Beziehungen   zum    ernsten  Roman    erst    recht    lose, 


ZUM  AOYKro:S  II  ONOI  253 

so  daß  Bürgers  Versucli  unbedingt  als  mißglückt  betrachtet  werden 
muß.  Wieweit  trotzdem  eine  Beeinflussung  wenigstens  eines  Ab- 
schnittes der  Eselsabenteuer  durch  den  ernsthaften  Roman  —  aller- 
dings in  anderer  Weise  als  Bürger  annimmt  —  anzunehmen  ist. 
wird  noch  besprochen  werden  müssen. 

Auf  einen  weitern  Versuch,  die  Eselsabenteuer  literarisch  ein- 
zuordnen, den  Reitzenstein  (a.a.O.  S.  32f.)  unternommen  hatte, 
wurde  bereits  (S.  240)  hingewiesen.  Es  ist  dabei  besonders  die 
Folgerung  zu  bekämpfen,  als  habe  Lukios  von  Patrai  seine  Meta- 
morphosen „mit  vollem  Ernst,  also  zu  religiösen  Zwecken** 
verfaßt.  Mit  vollem  Ernst,  gewiß,  das  scheint  richtig.  Aber  des- 
halb zu  religiösen  Zwecken?  Solange  Reitzenstein  keine  weiteren 
Gründe  beibringt,  die  ihn  berechtigen,  in  den  Lukiosabenteuern  eine 
„erbaulich-obscöne"  Aretalogie  zu  sehen,  müssen  wir  seine  Annahme 
als  bloßen  Notbehelf  betrachten;  denn  was  vielleicht  für  die  Meta- 
morphosen des  Apuleius  zugestanden  werden  darf,  findet  durchaus 
keine  Stütze  in  der  pseudolukianischen  Fassung  und  ist  somit  nach 
unsern  Feststellungen  auch  für  die  Metamorphosen  des  Lukios  von 
Patrai  durchaus  von  der  Hand  zu  weisen. 

Ausführliche  Besprechung  erfordert  noch  eine  weitere  Beob- 
achtung, die  ebenfalls  Reitzenstein  gemacht  und  neuerdings  (Das 
Märchen  von  Amor  und  Psyche  1912)  vorgelegt  hat.  Da  sie  ihn 
zu  den  weitgehendsten  Hypothesen  angeregt  hat,  darf  sie  in  diesem 
Zusammenhang  nicht  unwidersprochen  bleiben.  Reitzensteins  Ab- 
sicht läuft  auf  nichts  anderes  hinaus,  als  uns  neben  den  drei 
antiken  Fassungen  der  Eselsabenteuer,  die  wir  kennen,  noch  eine 
vierte  zu  schenken,  die  in  den  Milesiaca  des  Aristeides,  jenem  in 
seiner  Eigenart  heute  noch  unfaßbaren  Werk,  enthalten  gewesen 
sein  soll.  Den  Ausgangspunkt  von  Reitzensteins  außerordentlich 
fesselnden  Deduktionen  bildet  die  Übereinstimmung  der  Worte: 
neQißdViETai  fie  xal  aqaoa  et'ooj  öXov  nagede^azo  im  51.  Kapitel 
des  pseudolukianischen  "Ovog  mit  dem  10.  Fragment  der  Milesiaca 
des  Sisenna :  ut  cum  {ut  eum  Bücheier,  totum  Reitzenstein)  penitus 
utero  suo  recepit^).     Aber  Reitzenstein  geht  im  Suchen  nach  Über- 

1)  Es  täuschen  sich  übrigens  Reitzenstein  so  gut  wie  Weinreich 
(Trug  des  Nektanebos  S.  37  A.  1),  wenn  sie  behaupten,  die  Verwandtschaft 
der  beiden  Stellen  sei  bisher  literarisch  nicht  vorgebracht.  Ein  aller- 
dings sehr  vorsichtig  gehaltener  Hinweis  steht  bereits  bei  Bürger  (d.  Z. 
XXVII  1892  S.  355  A.  1). 


254  H.WERNER 

einslimmungen  noch  weiter.  Er  findet,  daß  auch  fr.  4  des  Sisenna, 
wo  von  einem  Tier  die  Rede  ist,  das  nicht  vorwärts  gehen  will, 
sondern  sich  hin  und  her  dreht  und  an  der  Stalltüre  scheuert,  in 
die  Erzählung  von  dem  Esel  trefflich  passen  würde.  Schließlich 
ordnet  er  noch  das  einzig  erhaltene  Fragment  aus  den  Milesiaca 
des  Aristeides  (Harpokration  s.  v.  öeQßr]OT)'jg)  in  das  25.  Kapitel  von 
Pseudolukian  ein.  Dadurch  gelangt  er  zu  dem  Schluß  (S.  61): 
„Ich  kann  die  seltsame  Tatsache,  daß  sich  von  elf  kurzen  Frag- 
menten des  Sisenna  und  Aristeides  drei  so  wunderbar  gut  in  die 
Erzählung  des  Esels  einfügen,  nicht  dem  Zufall  zuschreiben."  Die 
Folgerung  also  ist  die,  daß  die  Geschichte  von  dem  Eselmenschen 
längst  vor  Lukios  von  Patrai  bereits  durch  Aristeides  und  Sisenna 
in  den  Milesiaca  behandelt  worden  ist. 

Es  liegt  mir  durchaus  fern,  zu  leugnen,  daß  in  fr.  10  des 
Sisenna  wahrscheinlich  eine  ähnliche  wüste  Scene  geschildert  war, 
wie  bei  Pseudolukian  ''Ovo?  51.  Auch  verkenne  ich  durchaus  nicht 
den  Wert  der  von  Reitzenstein  gegebenen  Nachweise  über  stilistische 
Ähnlichkeiten  zwischen  Sisenna  und  Apuleius,  die  wohl  sicher  zeigen, 
daß  Apuleius  dem  Sisenna  in  dieser  Reziehung  sehr  viel  zu  ver- 
danken hat.  Aber  woher  wissen  wir,  daß  in  fr.  10  des  Sisenna  ein 
Esel  die  Hauptrolle  spielte,  wer  sagt  uns,  daß  in  fr.  4  von  einem 
störrischen  Esel  die  Rede  war?  Das  Wichtigste,  eben  die  Erwäh- 
nung dieses  Tieres,  fehlt  in  allen  Fragmenten.  Erst  sie  würde  aus 
dem  geistreichen  Versuch  mehr  als  einen  phantasievollen  Einfall 
machen.  Es  muß  also  trotz  Reitzenstein  dabei  bleiben,  daß  wir  über 
den  Inhalt  der  Milesiaca  im  einzelnen  nichts  wissen  und  daß  insbe- 
sondere das  Vorkommen  der  Eselsabenteuer  darin  ganz  unerwiesen  ist. 

Eine  wirkliche  Einreihung  der  Lukiosabenteuer  in  die  Literatur- 
geschichte wird  aber  nur  geben  können,  wer  die  einzelnen  Mo- 
tive, die  das  Ganze  ausmachen,  auf  ihre  Herkunft  und  Zugehörig- 
keit prüft.  Es  gilt  also  zunächst  nicht  eine  Einreihung  des  Werkes 
in  seiner  Gesamtheit,  sondern  der  einzelnen  Abenteuer.  Denn  dieses 
scheint  unzweifelhaft,  daß  in  der  Lukioserzählung  Elemente  aus  ver- 
schiedenen Literaturgattungen  zusammengeschweißt,  manchmal  auch 
nur  ganz  äußerlich  aufgelötet  sind.  Vor  allem  aber  ist  das  Gesamt- 
werk etwas  ganz  anderes  geworden,  als  die  einzelnen  Restandteile 
ursprünglich  waren. 

Weitaus  den  Löwenanteil  an  den  Motiven,  welche  die  Ge- 
schichte vom  Eselmenschen  ausmachen,    beanspruchen  Volkserzäh- 


ZUM  AOYA'IOS  II  OXOi:  255 

Jungen  und  kurze  Anekdoten,  die,  bevor  sie  durch  den  Redaktor  in 
eins  getragen  wurden,  ihr  selbständiges,  zum  Teil  heute  noch  nach- 
weisbares Einzelleben  l'ülirten.  Eine  ganze  Reihe  derartiger  Motive, 
die  in  den  Fabelsammlungen  als  Organismen  mit  eigenem  Leben 
wiederkehren,  notirte  bereits  Crusius  in  einer  Miscelle  des  Philo- 
Jogus  (N.F.  I  1889  S.448).  Weitere  Beiträge  lieferten  Bürger  (d.  Z. 
XXVII  1891  S.  356  A.  1)  und  Wendland  (De  fabellis  antiquis  p.  20f.). 
Es  liegt  mir  daran,  im  folgenden  diejenigen  Stellen  des  "Orog,  welche 
meiner  Ansicht  nach  auf  Fabeln,  Sprichwörter  und  verwandte  Volks- 
erzählungen zurückgeführt  werden  können,  zusammenzustellen. 

Die  Grundfabel,  um  die  sich  alle  übrigen  Episoden  als  ver- 
zierendes Rankenwerk  gruppiren,  handelt  von  einem  irgendwie  in 
ein  Tier  verwandelten  Menschen,  der  nach  verschiedenen  Abenteuern 
seine  menschliche  Gestalt  wiedererlangt.  Sie  wird  bereits  von 
Rohde  (Kl.  Schriften  II  72  ff.)  und  dann  von  Weinhold  (Sitz.-Ber. 
Berl.  Ak.  1893  S.  475 ff.)  unter  Anführung  einer  ganzen  Reihe  von 
Parallelen  bei  den  verschiedensten  Völkern  als  eine  weitverbrei- 
tete Volkserzählung  erwiesen.  In  unserm  Zusammenhang  noch  nir- 
gends erwähnt  ist  die  Tradition,  welche  durch  den  bei  Mone  (Anz. 
f.  K.  d.  A.  YIII  1839  Sp.  551ff.)  abgedruckten  Asinarius  vel  Dia- 
dema  repräsentirt  wird.  Diese  Fassung,  die  fast  völlig  mit  Grimm, 
Kinder-  u.  Hausmärchen  Nr.  144  übereinstimmt,  wird  von  Gröber 
(Grundriß  d.  rom.  Phil.  II  1  S.  415)  dem  14.  Jahrhundert  zugewiesen. 
Jedoch  erwähnt  bereits  Hugo  von  Trimberg  an  einer  bisher  über- 
sehenen Stelle  seines  Registrum  (v.  886)  einen  nsinarkis,  und  da 
V.  892  f.,  welche  den  Anfang  des  Gedichtes  wiedergeben,  mit  dem 
Anfang  des  bei  Mone  zu  lesenden  Asinarius  übereinstimmen,  kann 
kein  Zweifel  sein,  daß  dieser  bereits  dem  Hugo  von  Trimberg  vor- 
lag. Es  ergibt  sich  also  das  Jahr  1280  als  terminus  ante  quem  für 
die  Abfassung.  Diese  Monesche  Fassung  ist  einerseits  sicher  aus  einer 
Volkserzählung  hervorgegangen,  andrerseits  verrät  sie  Kenntnis  der 
Antike,  z.  B.  in  den  fast  allzu  breit  ausgesponnenen  Motiven,  die  sich 
aus  dem  Sprichwort  övog  Xvoag  (asinns  ad  Jyyam)  ergeben. 

Ich  glaube  zwei  Klassen  der  Grundfabel,  die  wenigstens  in  einem 
constitutiven  Element  verschieden  sind,  unterscheiden  zu  müssen. 

In  der  ersten  Klasse  ist  das  Gerippe  der  Fabel  folgendes.  Ein 
Ehepaar  bekommt  nach  langer  Kinderlosigkeit  endlich  ein  Kind, 
doch  dieses  hat  Tiergestalt  (Schlange,  Schwein,  Esel).  Dieses  lernt 
das  Leierspiel  und  erhält  in  der  Fremde  durch  die  Liebe  einer  Frau 


256  H.  WERNER 

schließlich  seine  menschliche  Gestalt.  Diese  Klasse  ist  in  der  Haupt- 
sache vertreten  durch  unser  lateinisches  Gedicht  bei  Mone,  durch  eine 
Geschichte  im  Pantschatantra,  durch  Grimm  Nr.  144.  Wie  unser  latei- 
nisches Gedicht  beweist,  braucht  Strapparola,  Piacevoli  notti  (II.  Nacht, 
1.  Nov.)  seinen  Stoff  nicht  aus  dem  Orient  entliehen  zu  haben. 

Die  zweite  Klasse  unterscheidet  sich  dadurch,  daß  der  Held  der 
Geschichte  nicht  als  Tier  geboren,  sondern  von  Hexen  erst  verwan- 
delt wird,  nachdem  er  als  Fremder  in  irgendeine  Herberge  gelangt 
ist.  Die  älteste  Version  dieses  Typus  bietet  neben  unserem  Esel- 
roman Augustin  Civ.  dei  XVIII  18:  nani  et  nos  cum  essenius  in 
Italia,  audichamiis  talia  de  qtiadani  rcgione  illarum  partium, 
nhi  stdbiüarias  midieres  imhidas  his  maUs  artihus  in  caseo 
dare  soler e  dicehant,  quibus  vellent  seu  posseni  viatoribuSj  undc 
in  iumenta  illico  vcrterentur  et  necessaria  quaeque  portarent 
postquß  perfunda  opera  iterimi  ad  se  redirent,  nee  tarnen  in 
eis  meutern  fieri  hestialem,  scd  rationalem  humanamque  ser- 
vari,  sicut  ApuJeins  .  .  .  aitt  indicavit  aut  finxit.  Auch  bei 
Vincenz  von  Beauvais  (Spec.  nat.  III  109)  kehren  die  eine  Herberge 
haltenden  Weiber  wieder.  Da  auch  sonst  offenkundige  Anleh- 
nungen zu  finden  sind,  ist  seine  nach  dem  verlorenen  35.  Buch 
von  Helinands  Chronik  erzählte  Geschichte  nichts  weiter  als  eine 
ausgeschmückte  und  durch  eigene  Zutaten  erweiterte  Reminiscenz 
an  Augustin.  Aus  dem  gleichen  Grund  sehe  ich  auch  das  von 
H.  Reich  (Shakespeare -Jahrbuch  XL  1904  S.  124)  beigebrachte 
Gitat  aus  Higdens  Polychronicon  ^)  als  bloße  Ausstrahlung  der 
Auguslinstelle  an,  wodurch  sie  die  von  Reich  behauptete  Wichtig- 
keit verhert.  Daß  dort  der  von  den  Weibern  verwandelte  Menscli 
ein  histrio  (in  der  englischen  Übersetzung  a  joculer  other  myn- 
strelle)  ist,  scheint  mir  durchaus  belanglos  und  nur  gewählt,  weil 
bei  einem  solchen  die  Möglichkeit  des  Reisens  und  Übernachten s 
in  einer  Herberge  ungezwungen  gegeben  war.  Eine  Beziehung  zum 
Eselmimus  herzustellen  ist  ganz  unmöglich. 

Speciell  in  diesem  zweiten  der  angeführten  Typen  möchte  ich 
die  Urzelle  sehen,  aus  der  heraus  Lukios  von  Patrai  die  Grund- 
fabel seiner  Eselsabenteuer  entwickelte;  denn  vielleicht  haben  sich 
Überreste  der  Urzelle  in  den  beiden  uns  noch  vorliegenden  Ver- 
sionen erhalten,    ohne  gänzlich  widerspruchslos    in    denselben  auf- 

1)  Britannici  scriptores  II  525.  Die  Originalstelle  hat  mir  leider 
nicht  vorgelegen. 


ZUM  AOYKIO:^  H  OA^O^"  257 

zugehen,  und  bis  heute  der  Erklärung  Schwierigkeiten  bereitend. 
So  wird  bei  Pseudohikian  und  bei  Apuleius  der  Haushalt,  in  dem 
Lukios  vor  seiner  Verwandlung  einkehrt  und  wo  er  seine  Verwand- 
lung erlebt,  an  manchen  Stellen  mit  geheimnisvollen  oder  mifs- 
günstigen  Andeutungen  geschildert,  es  wird  von  einem  scheinbaren 
Geiz  des  Hipparchos  bei  Pseudolukian  und  von  dem  wirklichen 
Geiz  des  Milo  bei  Apuleius  gesprochen^).  Es  wäre  denkbar,  daß 
dies  Züge  aus  der  Vorlage  sind,  die  in  der  Bearbeitung  nicht  mehr 
recht  passen  wollen,  die  der  Bearbeiter  aber  nicht  sorgfältig  genug 
beseitigte.  In  der  Volkserzählung  war  davon  die  Bede,  daß  die 
verwandelten  Menschen  den  Hexen,  die  sie  verzaubert  hatten,  dienen 
mußten.  Dies  sagt  z.  B.  Vincenz  von  Beauvais  ausdrücklich.  In 
irgendeiner  ausführlichen  Version,  die  dem  Bearbeiter  des  Lukios- 
abenteuers  vorlag,  könnte  davon  die  Rede  gewesen  sein,  daß  die 
nichtsahnenden  Nachbarn  sich  über  die  geringe  ständige  Diener- 
schaft der  Hexen  verwunderten  und  dies  als  Geiz  deuteten.  Davon 
könnte  bei  Pseudolukian  und  Apuleius  ein  ungeschickter  Rest  stehen- 
geblieben sein.  Doch  soll  dieser  Erklärungsversuch  nicht  mehr  als 
eine  Vermutung  sein. 

Die  Beobachtung  einzelner  Episoden  des  pseudolukianischen 
"Ovog  und  ihre  Zurückführung  auf  Motive  der  Volksliteratur  ergibt 
etwa  folgenden  Ertrag: 

In  einer  bekannten  äsopischen  Fabel  (177  Halm)  weigert 
sich  ein  Pferd,  einem  schwerbepackten  Esel  etwas  von  seiner  Last 
abzunehmen.  Zur  Strafe  muß  es  sich,  nachdem  der  Esel  vor  Er- 
schöpfung gefallen  ist,  dazu  bequemen,  die  ganze  Last  samt  dem 
Fell  des  Esels  weiterzuschleppen.  Bei  Pseudolukian  ist  natürlich 
die  moralische  Absicht  geschwunden,  die  Situation  (19)  aber  doch 
ganz  ähnlich,  so  daß  der  Verfasser  des  "Oi>og  sich  die  Inspiration 
wohl  in  der  Fabel  geholt  haben  mag. 

Sozusagen  völhg  übereinstimmend  (natürlich  mit  Ausnahme 
der  Moral)  sind  Luc.  28  und  die  etwas  kärglich  ausgeführte  Fabel 
Babrios  83.  An  beiden  Stellen  handelt'  es  sich  um  ein  in  der 
Mühle  arbeitendes  Tier,  dem  sein  Meister  ungerechterweise  das 
Futter  unterschlägt. 

Wenn  zu  Luc.  30  auch  keine  antike  Parallele  aufzuweisen  ist, 
so  sei  doch  wenigstens  auf  ein  französisches  Sprichwort  hingewiesen, 
das  ebenso  wie  die  Situation    der  Eselgeschichte  aus  unmittelbarer 

1)  Vgl.  Bürger,  De  Lucio  Patrensi  p.  31. 
Hermes  LIII.  17 


258  H.WERNER 

Anschauung  einer  gebräuchlichen  Tierquälerei  geschöpft  sein  mag: 
Colcre  comme  un  dnc,  ä  qni  Von  attnche  une  fusee  aux  fesses 
(Leroux  de  Lincy,  Proverbes  frangais  I  141). 

Ein  sehr  beliebtes  Motiv  der  Fabeldichter  muß  der  Esel  bei 
den  Bettelpriestern  gewesen  sein,  wie  ja  überhaupt  die  letztern  im 
Volksmund  schlecht  wegkamen  und  einen  außerordentlich  üblen 
Ruf  genossen  (vgl.  Dieterich,  Kl.  Schriften  S.  486).  Unter  den  äso- 
pischen Fabeln  findet  sich  die  Geschichte  von  dem  Esel,  der,  weil 
er  die  Gottheit  der  herumziehenden  Bettelpriester  tragen  darf,  sich 
selbst  als  göttlich  vorkommt  (324  Halm,  vgl.  Babrios  128).  Wenig- 
stens die  Situation  ist  übernommen  in  37  {eycb  juev  6  d^EocpoQYjxog 
lojdfujv).  Von  der  elenden  Lage  solcher  Bettelmönche  berichten 
außerdem  Babrios  126  und  Phaedrus  IV  1, 

Neben  fab.  Aesop.  331  Halm  wird  bei  Babrios  131  in  aus- 
führlicherer Darstellung  von  einem  Esel  erzählt,  der,  einen  Hund 
nachahmend,  seinen  Herrn  zu  liebkosen  versucht;  aber  dieser  wird 
erschreckt  durch  die  tölpelhaften  brutalen  Schmeicheleien  und  läßt 
den  unglücklichen  Esel  durch  seine  Diener  aus  dem  Speisesaal  peit- 
schen. Besonders  die  babrianische  Fassung  (vgl.  vor  allem  die  Verse 
13  — 16)  stimmt  mit  der  Episode  im  pseudolukianischen  "Ovog  37 
stark  überein.  Eine  mittelalterliche  Replik,  deren  Quelle  ich  aller- 
dings nicht  aufzuweisen  vermag,  hat  auch  noch  das  im  Aovxiog 
sich  findende  Motiv  erhalten,  wonach  der  Esel  für  tollwütig  ge- 
halten wird  (Gesta  Roman.  79  S.  396  Oesterley:  servi  hoc  videntes 
credehant  asinum  in  furia  conversum,  acceperunt  eum  et  egrcgie 
verhernverunt  et  sie  ad  stahidum  rcduxerunt  eum). 

Wenn  die  Lukiosepisode  wirklich  aus  dieser  selbständigen  Ge- 
schichte genommen  wurde,  so  findet  vielleicht  auch  eine  Contro- 
verse,  die  sich  an  jene  Stelle  im  AovKiog  knüpft,  ihre  Erklärimg. 
V.  Arnim  (Wien.  Stud.  XXII  157)  hält  nämlich  gegen  Bürger  (De 
Lucio  Patrensi  p.  17)  daran  fest,  daß  zu  Beginn  von  Cap.  41  keine 
Lücke  anzunehmen  sei,  daß  also  die  Erprobung  der  Vernunft  des 
Esels ,  wie  sie  bei  Apuleius  (Met.  IX  1  ff.)  am  folgenden  Tag  vor- 
genommen werde,  ein  Zusatz  des  Apuleius  sei.  Möglich  ist  diese 
Annahme,  wenn  man  überlegt,  daß  diese  Verstandesprobe  in  der 
selbständigen  Fabel  sich  nicht  fand,  da  sie  ja  hier  nicht  nötig  war, 
und  daß  der  erste  Compilator  der  Eselgeschichte  eben  nur  die 
Fabel  übernahm,  ohne  daß  ihm  jener  Zusatz  nötig  geschienen  hätte. 

Unzweifelhaft  scheint  mir  eine  weitere  von  Wendland  (a.  a.  0. 


ZUM  AOYKrOS  H  ONOI  259 

p.  17)  nachgewiesene  Entlehnung.  Bei  Luc.  41  stehlen  die  Bettel - 
mönche  aus  einem  Tempel  einen  Becher,  der  nachher  auf  dem 
Weg  von  den  sie  verfolgenden  Bauern  in  ihrem  Gepäck  vs^iedei- 
aufgefunden  wird.  Das  ist  sicher  eine  Reminiscenz  an  jene  Ge- 
schichte^), die  am  bekanntesten  ist  in  der  mit  Joseph  in  Ägypten 
verbundenen  Version  des  A.  T.  (I.  Mos.  44),  die  aber  auch  in  grie- 
chischer Literatur  vorkommt  und  an  die  Namen  verschiedener 
Männer,  vor  allem  des  Äsop  geknüpft  ist. 

Der  Schluß  von  Gap.  42  des  pseudolukianischen  "Ovog  macht 
auf  den  Unbefangenen  ganz  den  Eindruck,  als  ob  die  Reflexionen 
des  in  die  Mühle  gespannten  Esels  aus  einem  Sprichwort  oder  einer 
Fabel  stammen.  Trotzdem  es  nicht  gelingen  will,  etwas  genau 
Übereinstimmendes  nachzuweisen,  zeigen  doch  die  beiden  äsopischen 
Fabeln  174a  und  b  Halm,  daß  die  Vermutung  eine  richtige  war, 
indem  die  Figur  des  nach  einem  tatenreichen  Leben  in  der  Mühle 
melancholischen  Gedanken  nachhängenden  Pferdes  wirklich  ge- 
prägt war.  In  der  Schilderung  der  Situation  stimmt  ferner  Luc.  43 
sehr  gut  überein  mit  der  äsopischen  Fabel  329  Halm.  Es  handelt 
sich  in  beiden  Fällen  um  den  Esel  beim  armen  Gemüsegärtner,  der 
vor  Hunger  fast  umkommt.  Luc.  45  spricht  der  Verfasser  selbst 
den  Zusammenhang  seiner  Geschichte,  die  er  eben  erzählte,  mit 
einem  Sprichwort  (e^  övov  naQaxvi^'Ecog)  aus.  Parallelen  dazu 
sammelte  A,  Otto,  Sprichwörter  der  Römer  s.  v.  asiniis  8,  S.  41. 
Weniger  sicher  ist  die  Vermutung  von  Wendland  (a.  a.  0.  p.  20), 
daß  auch  der  Ausdruck  asinus  in  tegidis  bei  Petron.  63  in  den 
Zusammenhang  der  gleichen  Fabel  gehöre. 

Die  Übereinstimmung  von  Luc.  46  mit  der  vom  Tode  des 
Komikers  Philemon  (Lucian  Macrob.  25.  Valer.  Max.  IX  12  ext.  6)  und 
des  Stoikers  Chrysipp  (Diog.  Laert.  VII  185)  erzählten,  als  selbstän- 
diger Organismus  auftretenden  Geschichte  benutzte  Wendland  (a.  a.  0, 
p.  20)  für  den  sehr  gewagten  Nachweis,  daß  nicht  einmal  Lukios 
von  Patrai  der  erste  war,  die  Eselsabenteuer  zusammenzustellen; 
denn,  so  argumentirt  er,  die  Episode  kann  nur  aus  den  gesamten 
Abenteuern  in  die  Viten,  aber  nicht  umgekehrt  gewandert  sein. 
Uns  genügt  es,  daß  die  Übereinstimmung  von  Luc.  46  mit  einer 
im  Volke  verbreiteten  Erzählung  nachgewiesen  ist. 

Ein  Überblick  über  dieses  —  wie  ich  wohl  weiß  —  noch  längst 

1)  Literatur  über  das  Motiv  bei  Wendland,  De  fabellis  antiquis 
p.  17  n.  2. 

17- 


260  H.  WERNER 

nicht  vollstcändige  Material  zeigt  sofort,  welche  Fülle  von  Motiven 
der  Verfasser  der  Eselsabenteuer  den  herrenlos  von  Mund  zu  Mund 
gehenden  Schwänken  des  Volkes  zu  verdanken  hat.  Ich  stehe  darum 
auch  nicht  an,  eine  Reihe  von  Episoden,  deren  Ursprung  wir  nicht 
mehr  nachweisen  können,  auf  derartige  Volksgeschichten  zurück- 
zuführen. Um  nur  ein  Beispiel  anzuführen,  so  stammen  sicher 
sämtliche  drei  Erlebnisse  des  Esels  bei  den  Galli  c.  38  u.  39  ^)  aus 
volkstümlichen  Spotterzählungen  über  die  Bettelmönche. 

Als  zweites  Ergebnis  geht  aus  der  Betrachtung  des  vorgelegten 
Materials  eine  genauere  Einsicht  in  die  Technik  der  Erzählung  bei 
unserm  Autor  hervor.  In  gewissen  Teilen  gehört  dem  Redaktor 
der  Eselsabenteuer  nicht  viel  mehr  zu  eigen  als  die  Verknüpfung 
der  längst  selbständig  für  sich  bestehenden  Einzelerzählungen. 
Im  großen  ganzen  jedoch  bedient  sich  der  Redaktor  dieser  Einzel- 
vorlagen in  sehr  kluger  Weise,  ja  sie  dienen  oft  nur  dazu,  seiner 
eigenen  Phantasie  den  ersten  Impuls  zu  geben,  von  wo  aus  er 
dann  zu  ganz  freier  schöpferischer  Ausgestaltung  des  Gegebenen 
gelangt.  Unbarmherzig  wird  in  der  einzelnen  Episode  das  heraus- 
geschnitten, was,  in  der  selbständigen  Erzählung  nötig,  in  der 
Gesamtheit  der  Abenteuer  nur  störend  gewirkt  hätte.  Andrerseits 
werden  Motive,  welche  die  Einzelerzählungen  gar  nicht  oder  nur 
schwach  angedeutet  haben,  vom  Verfasser  der  gesamten  Abenteuer 
neu  erfunden  oder  weiter  ausgebaut. 

Unser  Urteil  über  Lukios  von  Patrai  oder  wer  sonst  die  Esels- 
abenteuer als  erster  zusammengefaßt  hat,  kann  nur  ein  gutes  sein; 
denn  er  hat  es  verstanden,  aus  einer  zersplitterten  Vielheit  von  Er- 
zählungen eine  nicht  unharmonische  Einheit  zu  bilden.  Ja  mehr 
als  das!  Es  kommt  eine  weitere  Beobachtung  hinzu,  die  ein  gutes 
Zeugnis  für  seine  Belesenheit  abgibt  und  zugleich  sein  Stilgefühl 
beweist.  In  der  Gattung  von  Erzählungen,  auf  die  wir  soeben  die 
meisten  Abenteuer  zurückgeführt  haben,  ist  ein  derber  Ton  sehr  am 
Platze,  stammen  doch  alle  die  Schwanke  aus  dem  Volk.  Der  ent- 
sprechende Ton  fehlt  daher  auch  weder  im  pseudolukianischen  "Ovo^ 
noch  bei  Apuleius.  Besonders  bei  Pseudolukian  sind  oft  ganze 
Kapitel  —  von  der  sprachlichen  Färbung  ganz  abgesehen  —  in  die 
ärgste  Obscönität  getaucht,  so  daß  selbst  französische  Übersetzer  sie 
nicht  vollständig  zu  übertragen  wagten  (z.  B.  cap.  9 — 10.  51).   Um 

1)  Luc.  c.  38  ist  in  den  Worten  xainoxe  elg  xcöfirjv  rivä  avrcöv  elaßaXöv- 
zo)v  rjixöjv  .  .  ,  slaäyovai  wohl  avzä>v  als  Glossem  zu  beseitigen. 


ZUM  AOYKIOS  H  ONO 2  261 

so  mehr  wundern  wir  uns,  wenn  in  andern  Partien,  wo  derselbe 
Ton  zu  erwarten  stand,  die  Obscönitäten  vollständig,  aber  auch  voll- 
ständig fehlen.  Das  ist  in  verblüffender  Weise  der  Fall  bei  der 
Scene  in  der  Räuberhöhle,  wo  die  gefangene  Jungfrau  eingebracht 
wird  und  wo  die  Räuber  über  ihr  weiteres  Schicksal  ratschlagen 
(22.  26).  Nun  hat  bereits  Bürger  (Programm  S.  21  f.)  gezeigt, 
wo  die  Vorlage  dieser  Räuberepisode  zu  suchen  ist.  Und  wenn 
er  auch  in  seinen  Folgerungen  zu  weit  gegangen  ist,  indem  er 
den  gesamten  Esel„roman"  auf  die  gleiche  Quelle  zurückführen 
wollte,  so  bleibt  doch  dies  bestehen:  die  lUiuberepisode  der  Lukios- 
abenteuer  hat  ihr  Vorbild  nirgends  anders  als  im  ernsthaften 
Liebesroman,  speciell  in  einer  Schilderung,  der  Xenophon  von 
Ephesos  in  den  'Ecpeoiayd  (IV  6)  sehr  nahe  kommt.  Diese  Episode 
hat  der  Verfasser  der  Lukiosgeschichten  seiner  Darstellung  einver- 
leibt und  dabei  das  Verfahren  beobachtet,  die  Sprache  zu  vulgari- 
siren,  damit  sie  mit  den  übrigen  Scenen  stilistisch  im  Einklang 
stünde,  die  Stimmung  im  ganzen  jedoch  unverändert  zu  lassen. 
Davon  ist  nirgends  etwas  zu  bemerken,  daß  der  ernsthafte  Roman 
etwa  gar  parodirt  werden  soll,  wie  Bürger  (a.  a.  0.  S.  21)  meint. 
Es  liegt  vielmehr  ganz  einfach  eine  stoffliche  Entlehnung  vor. 
Der  Verfasser  des  "Ovog  nahm  seine  Stoffe,  wo  er  sie  fand,  und 
fügte  sie  seiner  Schrift  ein,  ohne  die  Stimmung  der  Vorlage  zu  ver- 
ändern. Eine  gewisse  äußere  Vulgarisirung  genügte  ihm  für  die 
Einheitlichkeit  seines  Werkes. 

Zürich.  HANS  WERNER. 


STUDIEN  ZU  DEN  ALTEREN  GRIECHISCHEN 
ELEGIKERN. 

(S.  oben  S.  Iff.) 

II.  Z  u  M  i  m  n  e  r  m  o  s. 
Das  neuerdings  mehrfach  besprochene  frg.  9  des  Mimnermos 
steht  am  Schlüsse  der  allgemeinen  geographisch  -  historischen  Ein- 
leitung des  Strabonkapitels  über  lonien  (XIV  1,  2 — 4),  und  zwar 
in  dem  angehängten  Paragraphen  über  die  lonisirung  Smyrnas, 
dessen  Quellenverhältnis  meines  Wissens  noch  nicht  erkannt  ist. 
Strabon  hat  hier,  wie  ja  häufig,  in  seine  Hauptquelle  Notizen  aus 
einer  zweiten  eingeschoben,  wobei  er  so  wenig  sorgfältig  verfuhr, 
daß  man  nicht  ohne  einen  Schein  von  Recht  zu  der  Anschauung 
gelangen  konnte,  es  seien  diese  vielfach  am  Schlüsse  eines  Abschnittes 
stehenden,  oft  aus  Dichtercitaten  bestehenden  Zusätze  gar  nicht  sein 
Eigentum,  sondern  Randnotizen  eines  gelehrten  Lesers,  während 
andere  mit  Annahme  von  Gorruptelen  des  Strabontextes  zu  helfen 
suchten,  womit  derartige  Schwierigkeiten  kaum  je  zu  heben  waren. 
Ich  setze  den  §  4  her ;  die  Zusätze  aus  der  Nebenquelle  sind  petit 
gedruckt  und  eingerückt: 
1    avrai  juev  dcodey.a   'Icovixal  noXeig.     TiQOOElrjcpdr]    de  ygövoig 

voxEQov  y.al  HfjiVQva,  elg  t6  'lojviy.ov  evayayövrcov  'Ecpeoicov. 

rjoav  yäo  avtdig  ovvoiy.oi  ro  Jia?.ai6v, 

yp'iy.a  xai  Sj-ivova  ixaleixo  i)  "Ecpsoo? '  xai  KaXlivög    utov  (2  Bgk.) 
5  uvrcog   <hv6}iay.Ev   avTi'jv,  SjxvQvaiovg    rovg  'Erpsolovg  xa'/.iöv  sv  xü>i 

TiQog  Aia  ).6ycoi' 

Sf-ivQvaiovg  i?Jt]oov 
xal  Tiähv  • 

/iivfjaai  d'   si  xote  toi  /tojgia  y.af.a  ßocöv 
10  {Zf-ivgraToi  xaxExrjm'Y). 

SfivQva  6'  i)v  'jfiaQcov  ?)  xaTaa^ovaa  zt/v  ^'E(feaov,  a.<f  i]g  zovvofia 
xal  roTg  av^QuiJioig  xai  Tfji  no/.ei,  wg  xai  ano  2iavQßi]S  ZiovQßlxai 
xiveg   cöjv  'Ecpeoicov  e}.eyovzo. 

1)  Schöne  Ergänzung  von  Casaubonus. 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  263 

xal    xojiog    de  Tis    tTj^  ^Ecptoov  ^juivova    txaXeiro,    cbg    örjXoT 
15   'IjiTiwva^  (47  Bgk.)- 

(oixe.i  d'   ojiioOf  T/yg  Jiuh]og  tv  ^fivQvi]i 

/.leia^h   Tgtjyjujg  re  xal  Ae7i())~]g  äxrfjg' 

ExaXeljo    yäg  Aengi]   juev    äxri]  6  tiqkov  6    vjieQxetjuevog  rfjg 

vvv  jioXecog,  eycov  jiiSQog  rov  jsr/ovg  avzi]g'  tu  yovv  ojiioßev 

20    i:ov  JiQicovog  xxj'jjuaTa   en  vvvl  Xeyszai  iv  Ttji  'Omo&oXenQiai. 

Tgayela  6'  exuXeIto  fj  vjisq  tov  Koqyjooov  Tiagcogeiog.     fj  de 

TioXig  f]v  x6  jiaXaiov  jieqI  ro  'A&rjvaiov  t6  vvv  k'^co  rfjg  noX^eoig 

bv  xarä  Trjv  xaX^ov iJ,evi]v  'YttÜmiov,  wotb  i)  ZfxvQva  f/v  xazu 

t6    vvv   yvfjLvdoiov    öjiiod^EV   /.dv  rfjg  vvv  nöXECog,    fXExa^v   öh 

25    TQr]yßh]g  te   xal  ÄETtQpjg    äxzijg.     änEXdovxEg    öe    Tiagä    tCüv 

'Eq)£oicov  ol  2!/iivQraioi  oxQaxEvovoiv  im  tov  totiov,  ev  cbi  vvv 

EOTiv  fj  2!/LivQva,  AsXEycov  xars/övrojv.    ExßaXovxEg  6'  amovg 

EXTioav  T)]v  TzaX.aiav  2!juvQva)',  öiE/ovoav  rfjg  vvv  jieqI  ei'xooi 

oraöiovg.    voteqov  öe  vjio  AioXecov  ixjiEoövxEg  xaxEcpvyov  Eig 

30   Ko?M(pcüva  xal  justo.  töjv  evOevÖe  ijxiovxEg  xyv  ocpszEgav  äjisXaßov. 

xaüäjiEQ  Hai  MifiveQf^iog  er  rT/i  NavvoT  (f^ä^ei  firtjoßsig  lij?  SfivQvrjg, 

Sil  jiEQi/Lid/tjzog  uel 

ijTSirs  JJvXov  N}]h)iov  aozv  h:n:6vTEg 
ifiSQTTjv  ^Joirjv  vrjvoiv  aq>ix6[XEda, 
35  sg  S"  EQarrjv  KoXocpwva  ßirjv  vtieqojiXov  UyovxEg 

st,6iiE{y ,  dgya^Jrjg  vßgiog  i'jyE/uövEg, 
xeT'&ev  i"  diaar/jEVTog  äjioQvv/itEyoi  TroxaiioTo 
d^Ecöv  ßov}S}i  2/uvQvtjv  El'?Mfj,Ev  AtoXiÖa. 

Man  pflegt  nun  die  ganze  ionische  Vorgeschichte  jetzt  auf 
Artemidoros  von  Ephesos  zurückzuführen  ^);  und  gewiß  mit  Recht. 
Ihm  gehört  also  auch  der  Hauptbericht  in  unserm  Paragraphen, 
der  ja  seine  Herkunft  deutlich  genug  durch  das  Bestreben  verrät, 
Smyrna  als  Tochterstadt  von  Ephesos  zu  erweisen.  Das  liegt  in 
der  gleichen  Richtung  wie  die  betonte  Vorrangsstellung  von  Ephesos 
in  1,  3,  ist  aber  sachlich  noch  weniger  begründet.  Denn  auch 
wenn  die  auf  den  in  Ephesos  vorkommenden  Namen  ^jLwgva  ^)  ge- 
stützten Ansprüche  von  Ephesos  älter  sein  sollten,  so  ist  doch  die 
Version,  die  Artemidor  hier  gibt,  die  Annahme  einer  uralten  ephe- 
sischen  Gründung  Smyrnas  vor  der  anerkannten  aeolischen,  sicherlich 
jung.     Die  Verdoppelung   der  lonisirung    in    der  Folge  Leleger   — 

1)  S.  zuletzt  Daebritz,  De  Artemidoro,  Diss.  Leipzig  1905  p.  36f. 

2)  S.  noch  Stepli.  Byz.  s.  "EqpEoog"  eKalEiio  dk  xal  Säi-ioQva;  Hesycli. 
s.  Aif.iovia  und  Zafj.ovia;  Plin.  N.  H.  V  115. 


264  F.  JACOBY 

ephesisches  Altsmyrna  —  aeolische  Okkupation  —  kolophonisches 
Smyrna  stellt  sich  als  ein  Compromiß  dar,  das  mit  dem  feststehen- 
den Verhältnis  zwischen  Kolophon  und  Smyrna^)  als  mit  einer  ge- 
gebenen Tatsache  rechnet  2). 

Von  dem  Hauptbericht  sondert  sich  ohne  weiteres  die  zweite 
Einlage,  das  angehängte  Citat  aus  Mimnermos,  das  immer  Anstoß 
erregt  hat  ^).  Daß  der  Text  Strabons  in  Ordnung  ist,  hat  Wilamo- 
witz^^)  freilich  gezeigt,  nachdem  Niese  die  Überlieferung  festgestellt 
hatte  ^).     Aber   inhaltlich   widerstreiten  die  Verse   von   der  2!f.u'ovi] 

1)  Herodot.  I  16  2!/iivQi't]v  zip'  äno  KoXocpön-og  xnoßeTaav.  I  150.  Pausan. 
VII  5, 1.  Vgl.  noch  Paus.  VII  3,  4  und  Wilamowitz,  Sber.  Berl.  Ak.  1906 
S.  52, 2.  Das  Datum,  das  Paus.  V  8,  7  gibt  —  xqiti]i  Sh  dlvfuiiddi  xai 
slxootfji  :^vyiiiig  aß).a  oiTiidoaav '  'Oyofiaarog  de  IvIhijoev  ex  2fivQvt];  ovvzskovatjs 
}]8t]  T7]vixavza  ig  "Icovag  —  ist,  wie  der  Wortlaut  und  die  Formulirung 
als  terniinus  post  quem  in  Übereinstimmung  mit  der  Umgebung,  in  der 
es  sich  findet,  lehren,  ein  Schluß  des  Pausanias  aus  seiner  Olympioniken- 
liste. In  ihr  war  Onomastos,  ein  bekannter  Mann,  von  dem  die  Regeln 
über  den  Faustkampf  herrührten  (Eusebius,  Die  Chronik  S.  91  Karst), 
als  "Icov  and  üfivgvtjg  bezeichnet.  Solehe  Heimatsangaben  hat  die  Liste 
des  Africanus  noch  gelegentlich  bewahrt:  Ol.  132  'der  Aetolier  aus  Am- 
phissa';  Ol.  158  'der  Lesbier  aus  Antissa'.  Verschieden  davon  sind  die 
Zusätze  bei  homonymen  Städten:  Ol.  144  'der  Salaminier  von  der  Insel 
Kypros';  Ol.  186  'der  Alexandrier  aus  Troas'.  Das  meiste  ist  fortgefallen. 
Ob  es  ein  genaues  Datum  überhaupt  gab,  bleibt  fraglich;  für  Pausanias 
war  es  jedenfalls  nicht  bequem  zu  finden.  Ich  schließe  aber  daraus,  daß 
die  Aufnahme  Smymas  in  den  ionischen  Bund  vor  688  erfolgt  ist.  Wie 
lange  Zeit  nach  der  Einnahme  durch  die  (pvyddeg  zwv  Kolorpcorlcov  (Herod. 
I  150)  sie  erfolgte,  sagt  Pausanias  VII  5,  1  nicht. 

2)  Ein  anderer,  wohl  gleichfalls  später  Versuch ,  den  ursprünglich 
ionischen  Charakter  Smymas  zu  erweisen,  ist  seine  Anknüpfung  an  den 
Athener  Theseus  (vgl.  Rohde,  Kl.  Sehr.  I  12f.).  Ein  Theseus  ist  der 
Stadtgründer  auch  in  der  Herodoteischen  Homervita  §  2,  aber  zwv  zrjv 
Kv/iit]v  xtiodvzcov  Iv  xoXg  jiQonotg  OeaaaXöiv  ano  Eifit'jXov  zov  ^Jd^rjzov,  der 
die  Stadt  nach  seiner  Gattin  nennt.  Die  Nachricht  dürfte  Wilamowitz, 
Die  Ilias  und  Homer  420  (s.  auch  Karl  Otfried  Mueller,  Gesch.  d.  gr.  Lit.* 
I  69,  4)  richtiger  gewertet  haben,  als  Rohde  a.  0.  14.  Hier  hat  man  ein- 
fach die  Homonymie  benutzt,  um  die  echte  Tradition  durch  den  be- 
kannten Namen  zu  verdrängen.  Ich  bezweifle,  daß  einer  dieser  Versuche, 
die  Aeoler  ins  Unrecht  zu  setzen,  älter  ist  als  die  Neugründung  Smymas 
in  der  frühhellenistischen  Zeit. 

3)  Kramer  hielt  nur  die  Verse  für  Randnotiz,  "^cum  parum  quadrent 
ad  ea  quae  Strabo  ipse  tradiderat  in  proximis^. 

4)  Sappho  u.  Simonides  S.  282  f. 

5)  Ind.  lect.  Marburg.  1878  S.  XII.    F  hat  in^ehe,  C  aL-rvrs;  »'jf/eTg  ist 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  265 

ÄloXig  doch  so  ollenkundig  der  geschlossenen  Beweisführung  von 
dem  ursprünghch  ionischen  Charakter  der  Stadt,  daß  Artemidor  sie 
unmöghch  citirt  haben  kann.  Also  ist  das  ein  Zusatz,  den  Strabon 
an  die  ursprünglichen  deutlichen  Schlußworte  des  Beweises  t>)v  ocpere- 
gav  aneXaßov  gehängt  hat  und  der  sich  allein  auf  das  Verhältnis  von 
Kolophon  und  Smyrna  bezieht.  Der  Autor,  dem  er  den  Beleg  ent- 
nahm, kannte  gewiß  nur  die  kolophonische  lonisirung  Smyrnas. 

Nicht  so  augenfällig  und  beim  oberflächlichen  Lesen  kaum  an- 
stößig ist  der  erste  Zusatz.  Aber  auch  er  zerreißt  den  geschlossenen 
Zusammenhang  des  Beweises,  daß  Smyrna  eine  alte  ephesische 
Gründung  ist.  Die  These  des  ganzen  Anhanges  lautet,  daß  die 
Smyrnaeer  gvvoixoi  t6  TiaXaiov  der  Ephesier  waren ;  und  sie  wird 
ganz  sachgemäß  durch  den  Nachweis  begründet,  der  sich  auf  ein 
sorgfältig  interpretirtes  Citat  aus  dem  ephesischen  Lokaldichter  Hip- 
ponax  stützt,  daß  ein  Teil  von  Altephesos  Zf.ivQva  geheißen  habe. 
Das  war  natürlich  der  Stadtteil,  wo  die  späteren  Smyrnaeer  ursprüng- 
lich gewohnt  hatten.  Der  Satz,  der  diesen  Nachweis  einleitet,  xal 
TOJtog  de  m;  T>)g  'Ecpeoov  ^/.ivQva  ey.aXeXzo  schließt  grammatisch 
gut  an  die  These  selbst  an,  und  er  ist  mit  Bücksicht  auf  sie  formu- 
lirt.  Dadurch  erweist  er  sich  als  zum  Hauptbericht  gehörig.  Man 
constatirt  daher  gern  die  wiederholten  Berufungen  auf  den  gegen- 
wärtigen Zustand  von  Ephesos,  ohne  daß  man  daraus  allein  Arte- 
midoros  als  Autor  behaupten  würde.  Nicht  die  gleiche  Bücksicht 
auf  die  These  zeigt  nun  die  weitere,  zwischen  den  genannten  Sätzen 
stehende  Erörterung.  Die  zweite,  an  sich  als  Beweis  für  ein 
zwischen  Ephesos  und  Smyrna  bestehendes  Verhältnis  ebenfalls  wohl 
geeignete,  mit  Gitaten  aus  Kallinos  belegte  Feststellung  rjvixa  xal 
2juvQva  exaleho  f]  "Eq)soog  ist  nicht  als  Glied  einer  Beweiskette 
formulirt,  sondern  ist  eine  These  für  sich,  die  hier  als  Zeitangabe 
an  die  Hauptthese  gehängt  wird.  Das  klingt  nicht  nur  sonderbar; 
es  widersprechen  sich  auf  diese  Weise  die  beiden  Sätze  fjvixa 
xal  SjuLVQva  exakeiro  y  "Ecpeoog   und  xal  ronog  de  rig  rtjg  'Ecpe- 


eine  Vermutung  Xylanders  und  scheint  überhaupt  ohne  handschriftliche 
Gewähr.  Daraufhin  hat  Hiller  aL-rsTdr  ts  gegeben,  was  jetzt  zur  Vulgata 
geworden  ist,  obwohl  schon  Hoftmann,  Gr.  Dial.  III 1  S.  123  Belege  für 
das  temporale  L-rsirs  aus  ionischer  Literatur  gab.  Er  schlug  avzäg 
ejtsize  oder  ai.-rvv  ejceire  vor.  In  V.  1  ist  IJvÄov  überflüssige  Änderung 
Bergks  nach  Od.  y  485  IJvkov  aiJiv  TiroXis^Qov.  In  V.  h  sind  so  viele 
Möglichkeiten,  dafs  man  besser  keine  in  den  Test  setzt. 


266  F.  JACOBY 

oov  ZjxvQva  txalelTO  geradezu.  Also  haben  wir  es  auch  hier  mit 
einem  Einschub  Strabons  zu  tun;  und  dieser  Einschub  stammt 
offensichthch  nicht  aus  einer  Erörterung  über  das  Verhältnis  von 
Smyrna  zu  Ephesos,  sondern  aus  einer  solchen  über  die  alte  Ge- 
schichte und  die  Namen  von  Ephesos.  Die  ganze  Stadt  hieß  ur- 
sprünglich auch  HfxvQva;  2!juvgvaIoi  und  "Ecpeoioi  sind  identisch, 
nicht  jene  ein  Teil  von  diesen.  Ausdrücklich  heißt  es  jovvojua  xai 
roTg  ävd^Qcojioig  y.al  rrji  nöXei.  Der  alte,  später  verschwundene 
Name  wird  von  der  stadtgründenden  Amazone  abgeleitet  ^),  und 
für  die  alte  Amazonenherrschafl  wird  als  Beleg  noch  ein  weiterer 
Name  genannt,  der  nun  nicht  die  ganze  Stadt,  sondern  nur  eines  ihrer 
Quartiere  deckt-).  Das  hätte  Artemidor  gut  als  Analogie  für  seine 
Behauptung,  daß  die  2^^uvQvaioi  ursprünglich  ein  jLieoog  xfjg  'Ecpe- 
oov  gewesen  wären,  verwerten  können.  Nötig  für  seinen  Beweis 
war  es  nicht ;  und  wenn  er  es  nicht  verwertet  hat ,  so  war  das 
wohl  Absicht.  Seinem  ausgesprochenen  Lokaipatriotismus  mag  die 
Feststellung,  daß  ganz  Ephesos  einst  auch  Smyrna  hieß,  nicht  gelegen 
gekommen  sein.  Ließ  sie  doch  schließlich  sogar  eine  umgekehrte 
Deutung  des  Verhältnisses  zwischen  beiden  Städten  zu.  Wie  der 
zweite,  von  Strabon  benutzte  Autor  die  Gleichnamigkeit  von  Smyrna 
und  Altephesos  erklärte,  wissen  wir  nicht.  Es  können  bei  ihm 
beide  Tatsachen  mit  ihren  Belegen  aus  Kallinos  und  Hipponax  — 
Smyrna  Name  von  ganz  Ephesos  und  eines  Quartiers  —  gestanden 
haben  '^).  Dann  entnahm  ihm  Artemidor  nur  die  eine,  ihm  besser 
passende.  Er  kann  aber  auch  die  Hipponaxverse,  falls  er  sie  kannte, 
als  weiteren  Beleg    neben  Kallinos    für    den   alten   Namen    Smyrna 


1)  In  diesem  Zusammenhang  kami  eine  Ableitung  auch  des  Namens 
"E<peoo;  nicht  gefehlt  haben.  Sie  hat  Strabon  als  für  seinen  Zweck 
unwesentlich  übergangen. 

2)  Vgl.  Steph.  Byz.  s,  Ziovoßa  i^ieqo;  'E(psnov,  d.io  Siovgß)]?  'Aiia^övog. 
xo  xo::tix6v  2iovQßixi}g. 

3)  Beide  vertragen  sich  nicht  mit  der  vulgateu  Ansicht,  die  Smyrna 
direkt  von  einer  Amazone  genannt  sein  läßt.  Kohde  a.  0.  10, 1  beur- 
teilt das  falsch.  Ob  und  was  Mimnermos  von  Smyrnas  Gründung  be- 
richtete, wissen  wir  nicht.  Wenn  er  'von  den  Amazonen  erzählte',  was 
ich  auf  Grund  des  recht  zweifelhaften  neuen  Fragments  aus  den  Par- 
oemiographica  des  Atheniensis  1083  (Sber.  Bayr.  Akad  1910.  4.  S.  15, 
vergl.  darüber  auch  Wilamowitz  a.  0.  282, 1)  nur  mit  Bedenken  annehme, 
so  verbietet  Inhalt  und  Ton  des  Fragments,  an  eine  Behandlung  der 
Sage  von  der  Stadtgründung  zu  denken. 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  267 

angeführt  haben.  Dann  war  Artemidors  genaue  Interpretation 
dieser  Verse  polemisch  gemeint. 

Als  Quelle  für  die  Zusätze  kommt  in  diesem  Teile  des  Strabo- 
nischen  Werkes  wohl  nur  der  Skepsier  Deniotrios  ^)  in  Betracht,  dem 
Strabon  so  ziemlich  alle  seine  Citate  aus  der  alten  Elegie  verdankt. 

Für  das  Verständnis  der  Mimnermosverse  kommt  freilich  auf 
die  somit  festgestellte  Herkunft  des  Fragmentes  nur  insoweit  etwas 
an,  als  mit  der  Erkenntnis  der  Einlage  auch  die  letzten  Bedenken 
beseitigt  sein  dürften,  die  gegen  Strabons  Text  geltend  gemacht 
worden  sind.  Die  Einlage  ist  ohne  Rücksicht  auf  den  sonstigen  Inhalt 
des  Paragraphen  aus  sich  selbst  zu  erklären.  Das  Wesentliche  hat 
da  Wilamowitz  gesehen :  Strabon  hat  die  Verse  in  seine  Rede  ver- 
flochten; das  Gitat  setzt  mit  ejisite  mitten  im  Verse  ein.  Nun 
verlangt  die  Zeitangabe  etieite  "^nachdem,  seit"  einen  Satz,  auf  den 
sie  sich  bezieht.  Er  kann  voraufgehen  oder  folgen  ^j.  Hier  war 
das  erstere  der  Fall.  Denn  mit  xEldev  u7ioQri\uEvoi  ist  die  Con- 
struction  verlassen.  Es  wird  der  Nachsatz  als  selbständiger  Satz 
fortgesetzt.  Daraus  ergibt  sich ,  daß  Strabon  mit  den  Worten 
juvijo^Eig  xfjg  ^J/uvQvrjg  ou  JiEoi/nd/jjzog  uei  den  Sinn  eines  Vorder- 
satzes wiedergibt.  Nur  den  Sinn,  nicht  die  Worte;  denn  der  Name 
Smyrna,  der  den  emphatischen  Abschluß  der  Reihe  bildet,  kann  hier 
noch  nicht  gestanden  haben;  nur  ein  Vir  kämpfen  hier,  seit'  o.a. 

Wir  fragen  nun  zuerst,  welches  der  Sinn  der  überlieferten 
Verse  ist;  dann,  in  welchem  Zusammenhange  sie  gestanden  haben. 
'dewv  ßovXfji  haben  die  lonier  den  Aeolern  Smyrna  entrissen.  Wer 
das  so  ausdrückt,  der  kennt  wohl  und  widerlegt  stillschweigend 
ionierfeindliche  Darstellungen  des  Vorganges,  wie  sie  z.  B.  Herodot 

1)  Vgl.  Schwartz,  Real-Encykl.  IV  2810,  19.  2811,43.  Daebritz  a.  0. 
p.  37  hatte  die  Möglichkeit  offen  gelassen,  daß  Artemidor  seine  Belege 
einem  gelehrten  Grammatiker  verdankt. 

2)  Herodot,  III  117  i.-rshs  8e  Uegaai  e^ovoi  x6  XQdtog,  eozl  rov  ßaai- 
Xeog  O^  II  43  sied  iari  sjTiaxioxi^ua  ,  .  .,  ijrsize  ix  rcöv  ohzco  ■&EÖiv  oi  dvcö- 
Ssxa  ■&Eoi  iyEVOvzo;  IL  M  562  anovdfji  t'  k^rjlaooav,  Enti  t'  ixoQsooazo  (pog- 
ßfjg.  HofFmann  wollte  den  Nachsatz  zu  dem  temporalen  Vordersatze 
schon  mit  V.  3  beginnen  lassen.  Dann  schon  eher  mit  V.  5 :  vergl.  die 
ähnlich  formirte  Stelle  Od.  u  1  avzäo  ijisl  jrozafioTo  )dTiEi>  qöov  'QxEavdto 
vr]vz,  dnb  ö'  Xkezo  HVfia  daldaorjg  evqvjiÖqoio  rfjaov  t'  Aiaü]v .  .  .  vqa  juev 
evif  ik&övzsg  Ixskao^iEv  iy  tfa^iddoioiv.  Das  ändert  sachlich  nicht  viel; 
nur  daß  man  dann  Strabons  nsgiixdxrizog  dsi  nicht  als  Wiedergabe  des 
Vordersatzes,  sondern  als  kurze  Inhaltsangabe  des  ganzen  Gedichtes 
ansehen  müßte. 


268  F.  JACOBY 

I  150  uns  aufbewahrt  hat  ^).  Es  liegt  in  dieser  Richtung,  daß  er, 
wenn  anders  der  durch  Strabon  gebotene  Zusammenhang  der  Verse 
richtig  ist,  woran  wir  zu  zweifeln  keinen  Grund  haben,  den  Vorgang 
offenbar  absichtlich  in  eine  ferne  Vergangenheit  rückt,  ihn  eng 
verbindet  mit  der  ersten  Festsetzung  der  kolophonischen  Ansiedler 
in  Asien.  Der  Dichter  ist  ein  Mann,  der  ein  starkes  Stammesgefühl 
besitzt,  einen  lokalen  Patriotismus.  Er  fühlt  sich  mit  Stolz  als 
lonier  und  Nachkomme  der  Pylischen  Auswanderer.  Um  so  auf- 
fälliger wirkt  demgegenüber  die  Art,  wie  er  das  Verfahren  dieser 
Auswanderer  charakterisirt.  Sie  besetzen  Kolophon  ßh]v  vjieqotiXov 
e'xovTeg  als  ägyakhjg  vßgiog  '^yejuoveg.  'Ein  übles  Gompliment*, 
sagt  Wilamowitz  von  diesem  zweiten  Ausdruck;  'denn  wer  denkt 
nicht  sofort  an  Theognis  1103  vßgig  xal  MdyvrjTag  aTiuiXeoe 
xal  KoXocpcbva  xal  ZixvQvrjv",  und  mit  feinem  Gefühl  hat  er  em- 
pfunden, daß  sie  einer  Zeit  angehören  müssen,  'die  Rückschläge  er- 
fahren hatte',  daß  es  die  Worte  eines  Mannes  sind,  der  'einen 
Schaden  der  Gegenwart  aus  den  Sünden  der  Väter  herleitet'.  Dann 
aber  geht  seine  Erklärung  in  die  Irre.  'Wird  nicht'  —  so  fragt 
er  —  'wer  an  die  jQvcprj  der  Kolophonier  denkt,  die  Xenophanes 
schildert,  und  an  die  Oligarchie  der  1000,  die  Aristoteles  beschreibt, 
in  diesen  Worten  die  Stimmung  eines  Mannes  aus  dem  Volke 
finden,  der  den  Adel  seiner  Zeit,  der  ihn  drückt,  mit  der  Gharakte- 
risirung  der  Ahnen  treffen  will'?'  Die  Verse  sollen  uns  lehren, 
'wie  der  Kolophonier  über  die  Aristokratie  dachte,  die  zwar  ihre 
Macht  rücksichtslos  zu  genießen,  aber  dem  Lyder  gegenüber  das 
Feld  nicht  zu  behaupten  verstand  und  Smyrna  zugrunde  gehen 
ließ'.  Der  Streit,  ob  Mimnermos  Kolophonier  oder  Smyrnaeer  war, 
ist  bekannt^).  Bekannt  sollte  auch  sein,  daß  die  äußeren  Zeugnisse, 
die  im  ganzen  mehr  für  Kolophon  sprechen,   in  dieser  Frage  nicht 

1)  Man  tut  niclit  gut,  diesen  Bericht  einfach  als  historisch  richtig 
zu  unterstellen.     Es  ist  oifenbar  über  Recht  und  Unrecht  der  Sache  wie 
über  die  Salamisfrage  u.  ä.  hin  und  her  gestritten  wordeu.   Die  Behauptung 
der   ursprünglich    ionischen  Ansiedelung  ist  auch   nur  ein  Argument  in    j 
der  Diskussion. 

2)  Die  Entscheidung  für  die  erstere  Heimat  ist  jetzt  ziemlich  allein 
herrschend  (Bergk,  Gr.  Lit.- Gesch.  IT  259.  Christ- Schmid,  Gesch.  d.  gr. 
Lit.«  I  172,  V.  Wilamowitz  a.  0.  Lübkers  Reallex. »  s.v.).  Das  richtige 
sagte  Otfr,  Mueller  a.  0.  70  'Mimnermos  stammte  von  diesen  Kolophoniem, 
die  sich  zu  Smyrna  niedergelassen  hatten  (frg.  9).'  Ebenso  E.  Meyer, 
G.  d.A.  II  §891A. 


1 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  260 

entscheiden  können.  In  Betracht  kommt  in  erster  Linie  die  Auf- 
zählung im  ßioq  des  Mimnermos  bei  Suidas :  Kolocponnog  i)  Z/xvq- 
vaiog  i]  ' ÄoTVJiaXaievg  ^).  Daneben  die  Erwähnungen  bei  Strab. 
XIV  1,  28  ärdoeg  6'  eyevovro  KoXocpdiVLOi  tcüv  fxvr}^ovEVO[XEVO)v 
Mi/uvegaog  .  .  und  Prokl.  Chrestom.  Phot.  bibl.  239  p.  319  b  6  Uyei 
de  xal  ägiOTSvoai  tcüi  /lutocoi  KaXXivov  rt  rov  ' Ecptaiov  xal  Mlu- 
veQfioy  Tov  KoXocp(DVio%' .  Möghch,  ja  wahrscheinlich,  aber  keines- 
wegs zu  beweisen  ist,  daß  auch  Hermesianax  (Athen.  XIII  597  F 
V.  37  ff.)  den  Dichter  für  Kolophon  in  Anspruch  nahm;  und  kein 
Zweifel,  daß  Nikandros  ihn  ev  rcöi  negl  xcbv  ix  KoXo(pa)vog  Jtoii]ra)v 
nannte.  Die  Zahl  spricht  also  für  Kolophon.  Aber  das  berechtigt  noch 
nicht,  von  'geltender  Lehre  der  alexandrinischen  Grammatik^  zu 
sprechen;  höchstens  von  der  bevorzugten  Ansicht.  Und  diese  Be- 
vorzugung kann  sich  leicht  daraus  erklären,  daß  Kolophon  eine  Tradi- 
tion hatte,  die  ungebrochen  bis  in  die  hellenistische  Zeit  dauerte,  während 
Smyrna  tot  war,  und  daß,  wenn  eine  Annexion  des  Dichters  durch 
Kolophon  erfolgt  ist,  dies  sicherlich  vor  der  Zeit  der  alexandrinischen 
Biographie  geschehen  ist.  Sie  stützte  sich  natürlich  auf  die  Gedichte. 
Es  bedarf  gar  nicht  der  an  sich  möglichen  Annahme,  daß  Mimner- 
mos sich  nach  Smyrnas  Vernichtung  nach  Kolophon  gerettet  hat  (s.  u. 
S.  278).  Wer  die  Interpretationsweise  der  älteren  Literaturgeschichte 
kennt,  wird  nicht  bezweifeln,  daß  sie  aus  dem  Satze  'wir  haben  uns 
in  Kolophon  niedergelassen  und  Smyrna  genommen'  kolophonische 
Abkunft  ohne  weiteres  herauslesen  konnte,  wenn  ihr  aus  irgend- 
welchen Gründen  daran  lag.  Es  war  das  um  so  leichter,  als  Mim- 
nermos' Dichtungen  auch  sonst  Beziehungen  zu  Kolophon  verrieten. 
Er  hat  den  Gründer  der  Stadt  genannt  (frg.  10).  Sehr  möglich, 
daß  er  manches  für  Kolophon  gedichtet  hat ,  daß  er  sich  noch 
deutlicher,  als  in  frg.  9,  auf  seine  Abkunft  von  den  kolophonischen 
Ansiedlern  Smyrnas  berief.  Alles  das  beweist  aber  nicht  das 
geringste  für  den  Geburtsort ,  wenn  die  Gedichte  bei  unvorein- 
genommener Interpretation  für  Smyrna  sprechen.  Wenn  weiter 
der  Stein,  der  das  yvjuvdoiov  MifxvEQfxeiov  erwähnt  (GIG  II  3876), 
wirklich  aus  Smyrna  stammt,  so  kann  man  ja  zur  Not  sagen,  daß  "^in 

1)  Dies  letztere  versucht  Heinemann,  Stud.  Solonea,  Diss.  Berlin  1897 
sent.  contr.  2  durch  Verweis  auf  ri}v  jralaiäv  Sfivgvm'  Strab.  XIV  1, 4  zu 
erklären.  Wohl  möglich.  Aus  den  Gedichten  selbst  wird  auch  diese 
Heimat  irgendwie  genommen  sein.  Man  braucht  aber  nicht  allein  an 
frg.  9  zu  denken,  das  allerdings  Kolophon  und  Smyrna  liefern  konnte. 


270  F.  JACOBY 

der  Kaiserzeit  Smyrna,  die  Großstadt,  einen  berühmten  Kolophonier 
annektirte,  weil  Kolophon  ganz  verkommen  war';  aber  die  natürliche 
Annahme  ist  doch  erst  einmal  die  umgekehrte,  daß  das  wieder- 
aufgeblühte Smyrna  sich  —  und  schwerlich  erst  in  der  Kaiser- 
zeit —  auf  seine  großen  Söhne ,  deren  es  aus  alter  Zeit  nicht  gar 
viele  hatte,  besann  und  den  von  Kolophon  annektirten  Mimnermos 
zurückforderte,  wie  Halikarnaß  den  Herodot  ^).  Alle  diese  Judicien, 
die  historischen  und  literarischen  Möglichkeiten,  sind  doppelt  zu 
verwenden,  lassen  sich  erklären,  wenn  Smyrna  den  Kolophonier  und 
wenn  Kolophon  den  Smyrnaeer  annektirt  hatte.  Entscheiden  kann 
allein  die  Interpretation  der  erhaltenen  Verse.  Geben  sie  eine  un- 
zweideutige Antwort,  so  haben  sich  die  äußeren  Zeugnisse  zu  fügen 
und  die  Erwägungen  über  Möglichkeiten  haben  zu  schweigen.  Und 
sie  geben  eine  unzweideutige  Antwort,  ich  will  kein  großes  Gewicht 
darauf  legen,  daß  ein  hochberühmtes  Gedicht  des  Mimnermos  die  alten 
Waffentaten  der  Smyrnaeer,  ihren  Sieg  über  Gyges  und  seine  Lyder 
verherrlichte  (s.  u.  S.  296f.);  daß  vielleicht  ein  anderes  einen  Smyr- 
naeer, der  sich  auch  in  den  Lyderkämpfen  ausgezeichnet  hatte,  in  Schutz 
nahm  gegen  üble  Nachrede  (s.u.  S.  287 ff.).  Ganz  ohne  Bedeutung  ist 
auch  dies  nicht;  und  es  ist  in  keinem  Falle  eine  glückliche  Analogie, 
wenn  man  fragt  'ist  Archilochos  nicht  aus  Faros ,  weil  er  sagt : 
y.Xaicj  xä  Qaoioov,  ov  rd  Mayv^rcov  naxd?^  Archilochos  hat  diese 
Verse  doch  wohl  nicht  in  Faros,  sondern  eben  in  Thasos  gesprochen ; 
und  mindestens  ganz  besondere  persönliche  Beziehungen  des  Mim- 
nermos zu  Smyrna  müßten  wir  immer  annehmen ;  Beziehungen, 
die  über  eine  etwaige  Waffenhilfe  Kolophons  für  die  Tochterstadt 
hinausgehen.  Aber  wir  brauchen  das  nicht.  Denn  unser  Bruchstück 
allein  zeigt  unwiderleglich,  daß  sein  Sprecher  —  und  Sprecher  und 
Dichter  dürften,  wie  in  der  Elegie  so  gut  wie  ausschließlich,  so  sicher- 
lich hier  eine  Ferson  sein  —  ein  Smyrnaeer  ist.  Oder  kann  ein 
Kolophonier  in  Kolophon  von  Kolophon  sagen  xeldev  äTioovvjuevoi? 
Die  Frage  stellen  heißt  sie  verneinen.  Es  bedarf  nicht  des 
Hinweises    auf    gleiche    und    ähnliche    Anwendungen    der    Formel; 


1)  Aus  dem  Sdiweigen  des  Aristides  würde  ich  nicht  wagen,  irgend 
etwas  zu  schließen.  Und  ganz  ablehnen  muß  ich  das  Argument,  daß 
Mimnermos'  'Elegie  nicht  auf  dem  ursprünglich  aeolisehen  Boden  von 
Smyrna  wachsen  konnte'.  Smyrna  war  seit  fast  oder  mehr  als  einem 
Jahrhundert  ionisch.  Wie  sollte  es  nicht  einen  ionischen  Elegiker  haben 
hervorbringen  können? 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  271 

et  heöv  jiie  coqoev  äva^  Aiög  vlog  ujioqvvjusvov  ÄvyM]'&EV  sagt 
Pandaros  im  troischen  Gefilde  (II.  £"104);  l'v&ev  aTzoovvjLievai  .  . 
evvvxiai  oreTyov  Hesiod.  Theog.  9  von  den  Musen,  die  den  Helikon 
verlassen;  evOev  äjioQvvjuevai  xovgai  Aiög  .  .  ■))deUT7]v  xil.  sagt 
Homer  (epigr.  4,8),  der  von  Smyrna  gekommen  ist,  in  Kyme; 
l:v§ev  (von  Delos)  djroQvvjuevog  näai  '&}n]ToTon'  ävuooEig  der  Dichter 
des  Hymnos  auf  den  Delischen  Apoll  (v.  29).  Endlich  in  gleichem 
Zusammenhang  wie  Mimnermos  Pindar  Pyth.  I  65  l'oyov  ö'  'A/wx- 
Xag  öXßioi.  IJivdo&ev  OQvvfxevoi  ^).  Man  erkennt  diesen  formel- 
haften Charakter  der  Worte  gut,  wenn  man  die  freiere  Gestaltung 
in  dem  Bruchstück  der  Tyrtaiischen  Eunomie  (frg.  2  Bgk.)  vergleicht, 
von  dem  in  Beziehung  auf  unsere  Verse  noch  die  Rede  sein  wird. 
Wilamowitz  allerdings  behauptet,  daß  'jedes  natürliche  Verständnis"* 
den  kolophonischen  Sprecher  erschließen  müsse  aus  dem  'ganz 
unzweideutigen  Gegensatz  von  s^ofisda  und  eUojiiev^.  Ich  muß 
gestehen,  daß  ich  diesen  Gegensatz  überhaupt  nicht  finden  kann. 
Jedes  natürliche  Verständnis  wird  zunächst  die  drei  Verben  ärpixo- 
f,ie^a  —  e'Q6f,ie§a  —  eilofiev  als  drei  parallel  stehende  Aoriste 
fassen  2).  Und  das  mit  Recht.  Es  bedarf  nicht  der  Fickschen  Gonjec- 
tur  elCojuE^a;  hier  auch  nicht  der  sprachwissenschaftlichen  Diskussion 
über  die  Form  eCojLujv  und  über  das  Verhältnis  der  Stämme  iC  - 
und  sC-;  es  genügt  die  empirisch  beobachtete  und  seit  Buttmann  ^) 
anerkannte  Tatsache,  daß  mit  vielleicht  einer  Ausnahme  *)  e'Ceod^ai 
im  Epos  und  überhaupt  in  der  älteren  Literatur  aoristische  Bedeutung 
hat.  Sie  kommt  unzählige  Male  vor;  oft  an  gleicher  Versstelle 
und  einmal  auch  in  der  gleichen  Person  wie  hier:  11.^48  e^sr' 
sjzsit'    äjidvsvße   vemv,   juerd    d'  Ibv   ei]xe;    0(\.  x  63    eWovreg  d^ 

1)  Prosaisch  heifst  das  ey.  ravzijg,  Evzsrßsv  6Q/.id)fieroi.  Sehr  häufig; 
z.  B.  Herod.  V  125  ejisixa  ex  ravnjg  ogftcöfisvov  xarsXsvaeo&ai  ig  rrjv  Mü.rjxov. 

2)  Ich  nehme  an,  daß  Wilamowitz,  wie  auch  seine  Paraphrase  'wir, 
die  Auswanderer  von  Pylos,  die  nun  in  Kolophon  sitzen'  andeutet,  einen 
sprachlichen  Gegensatz  meint.  Ein  sachlicher  zwischen  si^eoßai  und 
elsTv  ist  ja  auch  durch  das  dritte  Verbum  ausgeschlossen. 

3)  Ausführt,  griech.  Spracht.  II  ^  202. 

4)  Od.  X  378  Ticp&'  ovxmg,  'Odvaev ,  xax'  aq  k'^eai;  Die  Stelle  spielt 
in  allen  Grammatiken  eine  Rolle.  Vielfach  hat  man  e^eo  geschrieben. 
Doch  siehe  Delbrück,  Vergleich.  Syntax  II  96;  vergl.  auch  Leaf  zu 
II.  N  285.  Nicht  in  Betracht  kommt  hier,  daß  in  späterer  Literatur  ein 
praesentisches  e^oi^ml  aufgekommen  zu  sein  scheint.  Es  ist  von  sCoßtjy 
gebildet,  setzt  dieses  voraus. 


272  F.  JACOB Y 

ig  dcüjua  nagä  oxad j^ioioiv  in'  ovdov  eCojueda.  Daß  für  Mim- 
nermos  die  gleiche  Bedeutung  anzusetzen  ist,  ist  gar  nicht  zu  be- 
zweifeln. Wird  es  doch  zum  Überfluß  hier  noch  bestätigt  durch 
den  Accusativ  des  Zieles  oder  der  Richtung  ig  ö'  ioaxijv  Kokocpöjva, 
dessen  Eigenart  zuerst  Bach  notirte  und  mit  der  Annahme  einer 
Ellipse  'quasi  siqjplcndiim  sit  sig  KoAocfcova  äcfixotiEvoi  erklären 
wollte,  während  Wilamowitz'  Paraphrase  darüber  hinweggleitet. 
Wenn  es  im  Zusammenhang  der  Verse  überhaupt  eines  Beweises 
bedarf,  so  gibt  ihn  dieser  Accusativ :  nicht  von  einem  in  die 
Gegenwart  fortdauernden  Zustande  spricht  der  Dichter  mit  iCo/us^a, 
sondern,  wie  im  Epos,  von  der  augenblicklichen  Handlung  des 
Niedersitzens ,  von  einem  einmaligen  Ereignis  der  Vergangenheit. 
'Wir  setzten  uns  nach  Kolophon  hinein"  —  das  ist  ein  Stadium  auf 
dem  Wege,  der  die  Pylier  nach  Smyrna  führt;  und  nicht  absichts- 
los ist  es,  daß  der  Dichter  das  Ende  des  Weges,  die  letzte  Station, 
in  der  Form  selbständig  gestaltet  hat.  Denn  darauf  will  er  hinaus. 
Mit  der  Feststellung,  daß  nur  ein  Smyrnaeer  diese  Verse 
sprechen  konnte,  fällt  die  Haupt-  und  einzige  Stütze  von  Wilamo- 
witz' Auffassung,  die  im  Grunde  wohl  auch  nur  auf  seiner  Inter- 
pretation des  frg.  14  beruht,  auf  der  Bergkschen  Conjectur  h]dn' 
im  V.  9.  Denn  von  frg.  9  aus  wäre  er  schwerlich  auf  sie  ge- 
kommen. Nichts  im  Texte  dieser  Verse  deutet  auf  eine  Stimmung 
und  einen  Gegensatz ,  wie  er  ihn  findet.  Aber  auch  zwischen 
den  Zeilen  kann  man  ihn  nicht  lesen.  Das  verbietet  die  Form. 
Wollte  Mimnermos  die  herrschende  Aristokratie  tadeln,  so  konnte  er 
die  direkte  Anrede  brauchen  —  l^iiy.Qt?  ^£i'  y.ardxeio&e ;  —  oder 
er  konnte  erzählen,  wie  Xenophanes  (fr.  3),  der  fern  der  Heimat 
mit  Bitterkeit  sich  erinnerte,  wie  die  herrschende  Bürgerschaft  ihr 
Geschick  selbst  verschuldet  hatte  —  äßgoGvvag  öe  jua&dvzeg  ävco- 
cfE/Jag  jiaoä  Avöcov  .  .  .  ijEoav  elg  dyoo/p'.  Er  konnte  den 
Gegensatz  zwischen  dem  besitzenden  Stande  und  den  unterdrückten 
Volksschichten,  zwischen  drjfxov  rjyejuövsg  und  d)]/j,örai,  geradezu 
aussprechen ,  sei  es  in  Anrede  —  vjueTg  d'  fiovydoavreg  .  .  iv 
jUETOioioi  TiÜEode  juiyav  vöov  ovxe  yäo  i)f.i£7g  .  .  ovd^'  vfxiv  (Solen 
^Äd.  71.  5,  3)  —  oder  im  Bericht  —  äorol  juev  yäg  id^  oTöe  oa6(poo- 
veg,  fjyefioveg  dk  XErgäcparai  tioDJjv  ig  y.ay.oxr^ja  tieoeXv  (Theogn. 
41  f.;  vergl.  Solon  4).  Aber  unmöglich  konnte  er,  wenn  er  den 
Adel  von  Urzeit  her  bescheiten  will,  sich  selbst  so  mit  einschließen, 
wie  er  es  tut  'wir  sind  von  Pylos  nach  Asien  gefahren,  wir  haben 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  273 

uns  in  Kolophon  festgesetzt,  wir  haben  Smyrna  erobert*.  Mag  im 
Verlaufe  des  Gedichtes  ein  Gegensatz  aufgestelU  worden  sein  zwischen 
Vergangenheit  und  Gegenwart  —  wir  kr»nnen  das  nicht  behaupten 
und  nicht  leugnen  — ,  es  kann  dann  nur  der  Vergleich  zwischen 
dem  ganzen  Volke  der  Auswanderer  und.  sei  es  dem  ganzen  Volke, 
sei  es  —  das  will  ich  als  möglich  unterstellen  —  dem  herrschenden 
Stande  der  eigenen  Zeit  gezogen  sein.  Was  der  Dichter  aber  von 
den  Vorfahren  sagt,  das  trifft  unmöglich  nur  die  öi'jfwv  {jye/ioveg, 
das  trifft  die  Gesamtheit  der  Ansiedler.  Sie,  nicht  der  Adel,  nicht 
ihre  Führer,  haben  sich  in  Kolophon  eingelassen  als  üßgiog  yys- 
fxoveq.  Undenkbar,  daß  der  Dichter  selbst  sich  als  ein  Opfer  dieser 
vßQig  fühlt  —  er  müßte  denn  überhaupt  kein  Bürger,  sondern  ein 
Angehöriger  der  Unterworfenen,  ein  Beisasse  oder  ein  Höriger  sein. 
Sonst  gibt  es  hier  auch  nicht  die  Andeutung  eines  Gegensatzes 
innerhalb  der  eigenen  Gemeinde;  ganz  abgesehen  davon,  daß  der 
Dichter  ja  ein  Smyrnaeer  ist,  die  vßQig  aber  mit  der  Niederlassung 
in  Kolophon  verbunden  ist,  während  die  Einnahme  von  Smyrna 
Beöw  ßoidfji  geschah.  Wilamowitz  will  freilich  einen  Gegensatz 
finden  in  der  Charakteristik  der  Vorfahren  überhaupt:  "^gewaltige 
Kraft,  ßü]  vTiegoTrlog,  hatten  sie;  aber  sie  gingen  auch  voran  auf 
dem  Wege  der  Zuchtlosigkeit.^  Ich  muß  auch  hier  widersprechen. 
Die  beiden  Appositionen  ßü]v  vtieqotiXov  E^ovisg  und  vßgiog  dg- 
ya/Jt]g  yyejiioveg  umschließen  keine  Antithese,  sondern  geben  zu- 
sammen eine  einheitliche  unfreundliche  Charakteristik  des  Wesens 
und  des  daraus  entspringenden  Verhaltens  der  Ansiedler:  im'  Über- 
maß der  Gewalt,  die  sie  besaßen,  haben  sie  angefangen  damit, 
andere  zu  schädigen,  ihnen  Unrecht  zu  tun;  deivoi  tf  xgcxregoi 
re,  ßitp  vTTEOojiXov  eyovTsg  sind  die  Titanen  (Hesiod.  Theog,  670), 
die  von  den  Göttern  vernichtet  werden  vßgiog  dvz'  öXoiJg  xal  dra- 
oßaXujg  vjTsgojiXov  (Fragm.  Orph.  103,  2  Abel).  Wohl  mag  Mimner- 
mos  den  etymologischen  Zusammenhang  des  Epithetons  mit  oTr/la 
empfunden  und  an  die  'Waffengewalt'  der  griechischen  Ankömmlinge 
gedacht  haben.  Aber  sicher  hat  das  Wort  auch  für  ihn  den  tadeln- 
den Sinn,  den  es  wie  alle  ähnlichen  Zusammensetzungen  mit  vjieg 
in  der  älteren  Poesie  überhaupt  hat^):  11.0185  (P170)  oj  nojioi, 

1)  S.  die  Zusammenstellungen  bei  Martin  Hoffmann,  Die  ethische  Ter- 
minologie   bei   Hesiod    und    den    alten  Elegikern   und  lambographen  I 
(Diss.  Tübingen  1914)  S.  11  ff'.    Merkwürdig,  wie  unzureichend  er  gerade 
Mimnermos  (II  S.  125)  behandelt.     Frg.  9  erwähnt   er  nicht  einmal,  wie 
Hermes  LIII.  18 


274  F.  JACOBY 

?y  g  dya&og  Jieg  ecov  vtieootiXov  eecnsv.  A  205  fjig  vjteoonUtjioi 
jd^'  äv  noxe  &vjuöv  6XeGat]i.  Hesiod.  Th.  516  Eive>c  äxao^aXJrjg 
re  xal  fjvogerjg  vueqotiXov.  618  ff.  örjoev  xgaxEQcbi  evl  deojucbi  yjvo- 
QErjv  vneQonXov  äycöjiiEvog  tjÖe  xal  eldog  xal  fieyE^og.  Schon  ßlrj 
allein  ist  selten  lobend  oder  anerkennend  gemeint  und  wird  es  immer 
weniger,  je  häufiger  das  Wort  fast  wie  vßqig  den  Gegensatz  zu  öixrj 
bildet.     Das  Epitheton  aber  ist  entscheidend  für  die  Auffassung. 

Der  Ausdruck  yyEf.i6vEg  aber  setzt  voraus,  daß  andere  da  waren, 
die  zurückschlugen.  Wer  sind  diese  andern?  Wer  hatte  die 
ßit]  und  die  vßgig  der  Einwanderer  zu  spüren  bekommen?  Die 
Aeoler  können  nicht  gemeint  sein.  Denen  hat  Kolophon  nicht 
gehört,  und  Smyrna  haben  sie  durch  der  Götter  Willen  verloren. 
Ist  die  zweite  Hälfte  der  Charakteristik  eine  leere  Phrase  allgemeiner 
Natur  ^)    oder    eine    verstärkende    Wiederholung    ohne    besondere 

er  überhaupt  zu  Problemeu  der  Interpretation  nur  ausnahmsweise  Stel- 
lung nimmt.  Wesen  und  Verhalten  der  Einwanderer  entsprechen  dem 
der  Freier  in  der  Odyssee,  die  angeredet  werden  als  v.-Tsoßiov  vßgtv  syovreg 
a  368,  6. 321.  Über  die  Bedeutung  von  yyefioreg  als  derer,  die  mit  etwas 
anfangen,  hat  wohl  niemals  ein  Zweifel  bestanden.  Auch  Wilamowitz 
weist  auf  Theogn.  1081  f.  dfdoiya  8k  /nr]  tExrji  ävöga  vßQioxrjv,  ;yaA£.T?}s 
tjysfiöva  oxäoiog.  Sehr  häufig  auch  in  Prosa  ist  die  Bedeutung  'Weg- 
weiser' in  übertragenem  Sinne;  Archeget,  wir  wir  gern  sagen.  Vergl. 
z.  B.  Plat.  Rep.  X  595  C  jtocöto;  didäanaXog  xal  rjyEfio'iv. 

1)  Man  könnte  ja  die  vßgig  erklären  in  Erinnerung  an  11.  A'' 631  ff, 
jenen  merkwürdigen  Stoßseufzer  des  Menelaos:  'wie  kannst  du,  Vater 
Zeus,  die  Troer  gewähren  lassen,  die  ävögsg  vßgiorai,  mv  jLiivog  aikv  dord- 
aßalov,  oi'ös  Svvavzai  (pvlönidog  xoQsaaodai  öfiou'ov  jio?Jfwio.^  Der  Schluß 
der  nicht  gerade  logisch  gedachten  Reihe  jidvro)v  fisv  xdgog  toxi  .  .  . 
J'QöJeg  6h  fidyjjg  dxöoijToi  saaiv  zeigt ,  daß  der  Dichter  dieser  Verse  die 
unersättliche  Freude  der  Troer  am  Kampfe  als  vßoig  empfindet.  Man  hat 
das  mit  Recht  merkwürdig  gefunden,  und  es  läßt  sich  schwer  mit  dem 
Sinne  von  ösirfjg  dxöorjzoc  uviijg  in  der  voraufgehenden  Scheltrede  ver- 
einigen, wie  der  ganze  Stoßseufzer  von  dem  Charakter  dieser  Rede  selt- 
sam absticht.  Man  hat  ihn  meist  für  eine  Interpolation  erklärt  (anders 
Wilamowitz,  Die  llias  226, 1).  Dann  gibt  er  einen  hübschen  Beleg  für  den 
Mangel  an  eigener  Kampfesfreude  und  damit  dann  an  Verständnis  für 
das  heroische  Wesen  bei  einem  Rhapsoden,  der  doch  diese  Dinge  berufs- 
mäßig immer  wieder  vortragen  mußte.  Auch  Mimnermos  könnte  so  über 
den  kriegerischen  Sinn  gedacht  haben.  Für  die  Auffassung  des  ganzen 
Stückes  würde  das  kaum  viel  ändern.  Aber  ■^ysfiövsg  spricht  für  die 
andere  Erklärung.  Es  liegt  kein  allgemeiner  Tadel  vor,  der  wirklich 
keinen  Sinn  hätte,  sondern  eine  bestimmte  Beziehung,  die  den  tadelnden 
Ausdruck  rechtfertigt. 


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zu  DEN  ÄLTEREN  (JRIECH.  ELEGIKERN  275 

BedeulimgV  Schon  um  der  /jysjuoveg  willen  wird  das  niemand 
glauben.  Also  bleibt  nur  die  Annahme  übrig,  daß  Mimnermos 
wirklich  das  Verfahren  der  Ansiedler  gegen  die  früheren  Besitzer 
von  Kolophon,  gegen  die  Ureinwohner  des  Landes  hat  treffen 
wollen  ^).  Als  jirj/ua  Kagot  (Avöolg)  sind  die  Einwanderer  einst 
gekommen.  Dieser  Ausdruck  der  Orakelsprache  2)  gibt  die  Empfin- 
dung, die  der  Charakteristik  zugrunde  liegt,  und  zeigt  zugleich  den 

1)  Soweit  hat  Immisch,  Klares  143  recht,  der  die  rßQic;  auf  das 
Verfahren  der  Pylischen  Kolonisten  bezieht,  freilich  auf  etwas,  worauf 
in  dieser  knappen  Zusammenfassung  wohl  nur  der  moderne  Gelehrte  ver- 
fallen konnte,  nämlich  auf  ihren  Conflict  'mit  der  kretisch-karisehen.  als 
hellenisch  betrachteten  Colonie ;  denn  von  einem  Kampfe  gegen  die  Karer 
allein  würde  der  lonier  schwerlich  das  Wort  vßgtg  gebrauchen'.  Wilamo- 
witz'  Polemik  Sapph.  u.  Sim.  283,1,  die  Imraisch  'seltsames  Mißverständnis' 
vorwirft,  hat  diese  Erklärung  übersehen  und  wird  damit  gegenstandslos. 
Aber  gezwungen  und  künstlich  ist  die  Erklärung  von  Immisch  allerdings, 
und  gerade  sein  Versuch  zeigt,  daß  man  das  Problem  überhaupt  anders, 
weiter  fassen  muß.  Die  vßgig  richtete  sich  nun  einmal  gegen  Barbaren. 
Um  diese  Tatsache  kommt  man  nicht  herum.  Also  muß  man  constatiren, 
daß  diese  weichere  Zeit  die  Roheit  der  alten  Colonisationsmethode  —  näv 
tÖ  ägoev  djiexTsivav,  yvvaixag  ös  y.ai  ßvyaisgag  rag  gxeivcov  ya/,iovai  Pausan. 
VII  2,5  vergl.  Herod.  1  146  —  nicht  mehr  mit  der  Selbstverständlichkeit 
aufzufassen  vermag,  mit  der  sie  einst  geübt  wurde.  Wie  anders  noch 
der  Dichter,  der  den  Odysseus  das  Kikonenabenteuer  (Od.  i  39  fi.)  erzählen 
ließ.  Der  sah  in  Mord  und  Brand,  wenn  sie  gegen  Barbaren  geübt  wurden, 
keine  vßgig,  und  nur  eine  Torheit  darin,  wenn  man  der  Rache  der  Ge- 
schädigten nicht  schnell  genug  sich  entzog.  Es  ist  ein  Fortschritt  des 
ethischen  Denkens,  der  freilich  wohl  durch  äußere  Umstände  befördert, 
wenn  nicht  hervorgerufen  ist. 

2)  Diodor.  VIII  22, 3  SaxvQiöv  roi  f'8(oxa  Tdgavxd  ze  Tilova  Sfjf^ov 
olxfjoai  xal  nt'jf^im  'lajrvysooi  ysvsaßai  oder  das  Verlangen  der  Neleus- 
tochter  nach  dem  fisyag  avrjg,  ög  o'  iul  MlXrjxov  y.azd^st  7r»/^ara  Kagoi.  Der 
Ausdruck  ist  gebildet  nach  II.  A'' 454  f.  vvv  8'  ivd'dds  vfjsg  sveixav  aoi  rs 
xaxov  y.ai  .TCtrpt  xai  älXoiai  Tgo'jeooiv  und  B  352  f.  (ft]/ul  ydg  ovv  y.arai'svaai 
vjiegfievsa  Kgovicova  tjfiazi  xwi,  oze  v»]vaiv  sv  wxv.-iögoioiv  Pßaivov  'AgysToi 
TgcÖEooc  (pövov  xal  xfjga  cpEgovzeg.  In  der  Orakelsprache  ist  das  formel- 
haft geworden  und  allmählich  wohl  nicht  mehr  in  seiner  ganzen  Be- 
deutung empfunden  worden.  Aber  vorhanden  war  diese  Bedeutung  doch 
einmal,  und  der  Ausdruck  setzt  das  Verfahren  voraus,  das  in  der  Wander- 
zeit an  unzähligen  Orten  gegen  die  Eingeborenen  geübt  worden  ist  und 
das  eben  das  übliche  war,  wo  es  sich  nicht  um  Handels-,  sondern  um 
Siedlungscolouien  handelte.  Es  war  aber  in  Mimnermos'  Zeit,  wo  die 
ersteren  überwogen ,  ja  in  seinem  Gesichtskreis  fast  allein  noch  vor- 
kamen, aus  der  Übung  gekommen. 

18* 


276  F.  JACOBY 

Wechsel  der  Anschauung.  Der  ist  allerdings  'ganz  besonders  merk- 
würdig', aber  in  einem  ganz  andern  Sinne,  als  es  Wilamowitz 
will.  Denn  mit  ihm  fällt  ein  blitzartiges  Streiflicht  auf  die  geistige 
Haltung  der  lonier  oder  doch  eines  Teiles  von  ihnen  um  die  Wende 
des  siebenten  und  sechsten  Jahrhunderts,  auf  die  Stimmung  einer 
Gesellschaft,  als  deren  Exponenten  wir  den  Mann  betrachten  dürfen, 
in  dem  uns,  um  einen  glücklichen,  wenn  auch  vielleicht  nicht  ganz 
zutreffenden  Ausdruck  von  Reitzenstein  zu  brauchen,  *^die  ionische  Frivo- 
lität lehrhaft  entgegentritt'.  Denn  mit  Frivolität  ist  des  Mimnermos 
Wesen,  wie  es  uns  in  den  erhaltenen  Gedichten  entgegentritt,  doch 
wohl  nicht  ausreichend  getroffen.  Es  zeigt  vielmehr  jene  complicirte 
Mischung  von  Stimmungen,  wie  sie  in  dem  auch  nicht  nur  frivolen 
apres  nous  le  deluge  sich  ausspricht,  deren  Hauptelement  ein  Gefühl 
der  eigenen  Schwäche  ist.  Man  hat  den  Widerstand  aufgegeben 
und  läfst  die  Dinge  treiben ;  man  sucht  sich  in  Genufs  und  Erotik 
bewußt  hinwegzutäuschen  über  drohende  Gefahren,  über  unhebsame, 
der  eigenen  Vergangenheit  und  Stellung  unwürdige  Zustände  der 
Gegenwart.  Wer  so  empfindet,  der  mag  wohl,  weil  es  die  Literatur- 
gattung oder  der  Beruf  mit  sich  bringt,  noch  einmal  den  Ton  des 
Kampfgedichtes  erklingen  lassen  —  wir  werden  noch  zu  fragen 
haben,  ob  es  wirklich  geschehen  ist.  Er  mag,  sei  es  auf  eigenen 
Antrieb  sei  es  auf  Wunsch  und  im  Interesse  eines  Parteiführers 
oder  sonstigen  Machthabers,  seine  Dichterkraft  auch  einmal  in  den 
Dienst  der  Politik  stellen  und  in  Erinnerung  an  die  grofae  Ver- 
gangenheit der  Heimat  das  Volk  zu  neuer  kriegerischer  Anstrengung 
aufrufen.  Tut  er  es,  so  ist  der  Ton  doch  nicht  mehr  rein.  Wider 
Willen  vielleicht  des  Dichters  schleicht  sich  ein  fremdes  Element 
hinein.  Ihm  fehlt  die  naive  Selbstverständlichkeit,  mit  der  ein 
Kallinos,  ein  Solon  und  Tyrtaios  von  dem  Rechte  ihrer  Stadt  über- 
zeugt sind ,  mät  der  die  Orakel  den  Goloniegründer  auffordern ,  in 
die  Fremde  zu  ziehen  und  Schrecken  und  Verwüstung  ins  Land 
der  Barbaren  zu  tragen.  Ihm  fehlt  die  Zuversicht,  dafs  er  zu  einem 
auserwählten  Volke  gehört,  dem  die  stadtschützenden  Götter  zur 
Seite  stehen;  denn  er  glaubt  nicht  mehr  an  diese  Götter.  Ihm 
fehlt  vor  allem  die  Siegesgewilsheit;  denn  er  lebt  in  einer  Zeit, 
die  'Rückschläge  erlitten  hat'.  In  der  zweiten  Hälfte  des  siebenten 
Jahrhunderts  ist  in  lonien  der  Widerstand  gegen  die  wachsende 
Macht  Lydiens  geringer  geworden.  Eine  Stadt  nach  der  andern 
fällt  den  immer  wiederholten,  planmäßig  ausgreifenden  Stößen   der 


l 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  277 

Mermnaden  zum  Opfer.  Kroisos  hat  alle  Festlandsgriechen  der 
lydischen  Küste  unterworfen ;  und  als  um  540  Kyros  die  lydische 
Macht  über  den  Haufen  warf,  da  gehörte  lonien  zur  Beute  des 
Siegers.  Auch  damals  hat  es  noch  Männer  und  ganze  Städte  ge- 
geben, die  den  Untergang  und  die  Verbannung  der  noch  so  leichten 
Fremdherrschaft  vorgezogen  haben.  Aber  es  sind  Ausnahmen; 
50  —  80  Jahre  früher  Nvar  ihre  Zahl  sicherlich  viel  grofser,  bildete 
vielleicht  noch  die  Mehrheit;  aber  schon  damals  gibt  es  auch  andere, 
tritt  jene  Gesinnung  zutage,  die  sich  die  Fremdherrschaft  gefallen 
läßt,  wenn  sie  nur  das  Geschäft  und  das  Vergnügen  nicht  stört. 
Und  wo  nicht  gemeine  Interessen  die  Kraft  des  Widerstandes  schwä- 
chen und  aus  dem  lonier  den  weichlichen,  disciplinlosen  Menschen 
machen,  den  die  Athener  des  fünften  Jahrhunderts  verachten,  da 
ist  es  die  Folge  der  geistigen  Entwicklung,  des  schrankenlosen 
Individualismus,  der  in  Archilochos'  Elegien  einen  vielleicht  ersten, 
aber  auch  gleich  überragenden  Ausdruck  gefunden  hatte.  Archi- 
lochos hatte  alle  Convention  angegriffen  ^) ;  und  Mimnermos  ist  als 


1)  Einen  Angriif  auf  conventioneile  Moralbegriffe  enthält  wahrlich 
nicht  nur  eine  Gnome,  wie  die  au  Aisimides  frg.  8  Bgk.,  wo  man  dei'- 
gleichen  immer  am  ersten  und  oft  allein  sucht.  Als  solcher  zu  verstehen 
ist  das  berühmte  Stück  auf  den  Verlust  des  Schildes  so  gut  wie  die 
Elegie  an  Perikles  —  und  wenn  sie  noch  so  oft  und  immer  wieder  als 
Trauergedicht  figurirt;  als  solcher  doch  wohl  auch  das  schöne  'Ev  öogc. 
Alle  Versuche,  in  dem  Scbildgedicht  einen  'Grund'  für  .'ijchilochos' 
'Gleichgültigkeit'  zu  finden,  verkennen  den  Ton.  Nur  der  versteht  die 
Fassung  der  zwei  Distichen,  in  denen  ich  gern  den  Schluß  einer  Elegie 
sehe,  die  das  Abenteuer  erzählte,  und  erkennt  auch  den  Zwiespalt  in  der 
Seele  des  Dichters,  der  einsieht,  daß  er  sich  hier  mit  der  Convention 
auseinandersetzt  und  gleichzeitig  Angriffen  auf  seine  Ehre  zuvorkommen 
will.  Unlösbar  ist  das  persönliche  Erlebnis  mit  dem  allgemeinen  Ge- 
danken verbunden.  Denn  dieser  erwächst  aus  jenem.  An  dem,  was  ihm 
selbst  passirt  ist,  erkennt  der  Dichter  die  Nichtigkeit  der  Convention. 
Er  sucht  nicht  wie  der  gewöhnliche  Mensch  nach  einer  Entschuldigung, 
die  vor  dem  harten  Gesetze  der  alten  Kriegerehre  doch  keinen  Bestand 
gehabt  hätte.  Aber  er  stellt  sein  ovy.  Idshov  eindrucksvoll  an  das  Ende 
des  Distichons,  um  dann  mit  dem  frechen  Witze  des  zweiten  jedem  Urteil 
zuvorzukommen,  es  unmöglich  zu  machen.  So  leichtfertig  der  Schluß 
klingt  und  klingen  soll  —  man  sieht  den  Dichter  deutlich  ein  Schnipp- 
chen schlagen,  das  sich  in  der  Interpolation  ti  (.loi  /us?.si  verkörpert  hat  — , 
leicht  gedacht  ist  er  wahrlich  nicht.  Wir  dürfen  es  Archilochos  zutrauen, 
daß  er  wußte,  was  seine  Worte  sagten  auch  über  das  hinaus,  was 
persönlich  bedingt  war  und  ihn  allein  anging.     Wir  wissen    hier  auch 


278  F.  JACOBY 

Dichter  der  Erbe  des  Archilochos.  Bei  diesen  beiden  vollzieht  sich 
die  Entwicklung  der  kriegerisch-politischen  Elegie,  des  bürgerlichen 
Gelegenheitsgedichtes,  das  im  Gegensatz  zu  den  epischen  Erzäh- 
lungen von  vergangenen  Zeiten  entstanden  war,  um  zum  Volke 
über  die  höchsten  Interessen  der  Gegenwart  sprechen  zu  können, 
zur  Gedankenpoesie  und  zum  privaten  Gelegenheitsgedicht,  dessen 
Inhalt  alle  menschlichen  Interessen  umfafst,  aber  auch  schon  zwei 
Hauptrichtungen  erkennen  läßt,  die  erotisch  -  sympotische  und  die 
philosophisch  -  lehrhafte  Elegie,  die  nicht  ohne  mannigfache  Kreu- 
zungen seit  der  Mitte  des  sechsten  Jahrhunderts  doch  deuthch  sich 
abheben.  Man  mag  Anakreon  und  Xenophanes  als  Typen  dieser 
zwei  Richtungen  betrachten. 

Mimnermos  steht  mitten  in  der  Entwicklung,  halbwegs  zwischen 
den  ersten  Versuchen  des  Gyges  und  der  vollständigen  Einverleibung 
loniens  in  das  lydische  Reich.  Er  hat  das  Vorrücken  der  Lyder 
feststellen  können;  die  Mutterstadt  Kolophon  war  schon  von  Gyges 
teilweise  erobert  worden  ^).  Die  Eroberung  und  Vernichtung  Smyrnas 
erfolgte  vielleicht  in  des  Dichters  eigener  Zeit  ^).    Jedenfalls  war  die 


zufallig  einmal,  daß  das  cynische  Wort  durchgeschlagen  und  in  lite- 
rarischen Kreisen  Nachahmung  erweckt  hat.  Das  heißt:  die  Diskussion 
war  eröfihet  über  einen  Satz  des  Ehrencodex,  der  bisher  keine  Diskussion 
zugelassen  hatte.  In  der  Praxis  hat  es  dann  noch  lange  gedauert,  bis 
man  ernsthaft  auch  nur  den  Vorschlag  machen  konnte,  das  Gesetz  zu 
ändern  und  zu  unterscheiden  zwischen  Qhpaojrig  und  anoßoXsvg  onX<ov, 
zwischen  dem  äfpaigedei?  /<£r'  sixvia?  ßiag  und  dem  d<felg  sy.o'iv  (Plat.  Leg. 
XII  944).  Es  sind  viele  Gedanken,  die  für  uns  in  der  sophistischen  Literatur 
aufzutauchen  scheinen,  zuerst  in  der  Elegie  ausgesprochen  und  sind  dann 
weiter  behandelt  worden  in  den  ethischen  Diskussionen  des  ionischen 
Kulturkreises.  Von  ihnen  wissen  wir  nur  zu  wenig.  Aber  gefehlt  haben 
sie,  so  sehr  die  'Naturphilosophie'  überwog,  nicht.  Das  lehrt  die  Erschei- 
nung Heraklits. 

1)  Herod.  1 14  KoXocpöjvog  x6  äorv  eUe.  Was  äozv  bedeutet,  ist  be- 
stritten. Aber  die  Besetzung  scheint  nur  eine  vorübergehende  gewesen 
zu  sein.  Vergl.  Schubert,  Gesch.  d.  Kön.  v.  Lydien  1884,  36;  v.Wilamowitz, 
Sber.  Berl.  Ak.  1906  S.  52,  2. 

2)  So  die  Vulgata  (Otfr.  Mueller  a.  0.  190;  Bergk,  Gr.  Lit.- Gesch. 
II  259,  37;  Ed.  Meyer  G.d.  A.  II  391  A;  Wilamowitz,  Sapph.  u.  Sim.  281). 
Smyma  ist  nach  Herod.  I  16  (vgl.  Strab.  XIV  1,  37)  allerdings  durch 
Alyatte.s  genommen  worden,  was  nicht  bezweifelt  werden  soll.  Aber  ob 
Mimnermos  überhaupt  unter  Alyattes  oder  doch  so  tief  in  seine  Regierung 
hinein  gelebt  hat,  das  wissen  wir  nicht  und  können  es  mit  unsem 
Mitteln  nicht  feststellen.    Mit  dem  antiken  Datum  —  es  gibt  nur  eines  — 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  279 

dem  Lyder  besonders  wichtige  Stadt,  die  schon  Gyges  angegriffen 
hatte,  schwer  bedroht.  Wenn  er  in  seiner  Poesie  sonst  einer  Lebens- 
anschauung Ausdruck  gibt,  die  Aphrodite  für  Ares,  die  Evvt)  für 
die  aQET)]  eingetauscht  hat,  wenn  er  nicht  den  Tod  für  das  Vater- 
land preist,  sondern  die  Angst    vor   dem  AUer,  vor  Krankheit  und 

ist,  wie  gewöhnlich,  nicht  viel  anzufangen:  die  ay.f.iii)  wird  auf  Ol.  .37. 
632/29  gesetzt  und  ist  bestimmt  entweder  nach  dem  Regierungsanfang 
des  dritten  Mermnaden  Sadyattes  (Rohde,  Kl.  Sehr.  I  158)  oder,  worauf 
der  Zusatz  wg  .-rgoTsoeven'  zwv  si^iä  aotpön'  wohl  eher  führt,  nach  dem 
Yerhältnis  zu  Selon,  dessen  Archontat  bei  Eusebios-Suidas  auf  Ol.  47  ver- 
schoben ist  (Diels  in  d.  Z.  XXX VII  1902  S.  482).  In  beiden  Fiillen  liegen  der 
Berechnung  die  Gedichte  zugrunde.  Im  ersteren  Mimn.  frg.  14:  wer  von  der 
Zeit  des  Gyges  so  spricht,  wie  es  hier  geschieht,  gehört  in  die  zweite  Gene- 
ration nach  ihm.  Es  ist  keine  schlechte  Rechnung,  wenn  man  erstens 
berücksichtigt,  daß  die  Daten  der  antiken  Chronogi-aphie  für  die  älteren 
Mermnaden  zu  hoch  sind;  und  zweitens,  daß  sie  das  erste  Jahr  setzen,  wo 
sie  die  ganze  Regierung  meinen.  Wir  könuen  nicht  viel  anders  rechnen: 
wer  von  den  Kämpfen,  die  doch  wohl  nicht  in  die  ersten  Jahre  des  ver- 
mutlich G52  gestorbenen  Gyges  fallen,  nur  durch  die  Erzählungen  älterer 
Zeitgenossen  weiß,  der  kann  nicht  wohl  vor  630,  sondern  wird  eher  gegen 
600  gedichtet  haben.  Aber  man  könnte  zur  Not  auch  ein  und  selbst 
zwei  Jahrzehnte  herabgehen.  Im  zweiten  Falle  beruht  die  Rechnung  auf 
Solon  frg.  20  ulV  eI'  fioi  y.av  vvv  hi  jieioem  y.il.,  die  von  den  Alten  immer 
so  interpretirt  worden  zu  sein  scheinen,  daß  der  jüngere  Solon  sie  an  den 
älteren  Mimnermos  richtete.  Dieses  allseitig  angenommene  Verhältnis 
hat  man  neuerdings  bestritten.  Eduard  Meyer  a.  O.,  der  frg.  14  auf  den 
Endkampf  der  Lyder  gegen  Smyrna  bezog  und  diesen  Endkampf  um  575 
ansetzte,  findet  in  den  Versen  nur  'Sinn,  wenn  Mimnermos  jünger  war 
als  Solon',  und  Wilamowitz  a.  0.  280  stimmt  ihm  zu.  Es  sei  'die 
Mahnung  des  berühmten  alten  Mannes  an  den  jungen  Mann,  der  sich 
deu  Tod  mit  GO  Jahren  wünschte,  weil  er  für  ihn  noch  so  weit  in  der 
Ferne  lag'.  Ein  seltsamer  Trugschluß.  Zweifellos  richtig  ist  hier  näm- 
lich die  Auffassung  der  Todeswünsche  des  Mimnermos,  die  nicht  der 
Erfahrung  von  den  Leiden  des  Alters,  sondern  einer  bestimmten  Lebens- 
auffassung entspringen.  Ebenso  richtig  die  des  Solonischen  Gedichtes. 
Da  spricht  der  kernige  Alte,  der  frei  von  den  Geschäften  in  ungebrochener 
Frische  Geistes  und  Leibes  das  Leben  und  seine  Güter  genießt.  Kein 
Zweifel,  Mimnermos  schrieb  seine  Verse  als  viog,  Solon  die  seinigen  als 
ysQwv.  Aber  wie  darf  man  diese  absoluten  Daten  in  relative  verwandeln! 
Niemand  schließt  heute  mehr  aus  diesen  Versen  auf  persönlichen  Verkehr 
ihrer  Dichter.  Man  hält  Solons  Antwort  vielfach  für  Improvisation  beim 
Symposion,  wo  ein  anderer  den  Wunsch  ai  yäg  äieg  vovocov  vorgetragen 
und  sich  zu  eigen  gemacht  hatte  (Reitzenstein,  Epigr.  u.  SkoL  62,  2; 
Diels  a.  0.  482).  Wohl  möglich;  freilich  auch  nicht  mehr  als  möglich. 
Aber  wo  und  wie   auch  Solons  Gedicht   entstanden  ist,   es  verlangt  nie 


280  F-  JACOBY 

Not  hören  läfst,  so  wird  man  den  merkwürdigen  Ausdruck  im 
politischen  Gedicht  vielleicht  verstehen.  In  der  schwülen  Stimmung 
der  dem  Untergange  zutreibenden  Stadt  ist  diesem  lonier  das 
Gefühl  aufgegangen  von  dem  alten  Gegensatze  zwischen  Asien  und 
Europa.  Er  spürt  es  in  seinem  Innersten,  und  es  ist  ein  Zeichen 
der  Schwäche,  die  sein  ganzes  Wesen  durchzieht :  jetzt  nimmt  Asien 
Rache  für  das  Unrecht,  das  die  Griechen  ihm  angetan  haben,  als 
sie  die  Grenzen  überschritten,  die  die  Gottheit  zwischen  den  beiden 
IjjieiQot  gesetzt  hat.  Niemand  sieht  heute  wohl  noch  diesen  Gedanken 
als  einen  Einfall  Herodots  an.  Die  Argumentation  seines  Prooimions 
—  TO  de  äjio  Tovrov  "EXXtp>ag  di]  ixeydXcog  alriovg  yeveo^ar 
TTQoregovg  ya.Q  äg^ai  OTgaTsveoi^ai  ig  rijv  'Aoi'rjv  ))  ocpeag  ig  t7]v 
EvQü}ji)]v  —  führt  uns  durch  die  Verlegung  in  den  Mund  persischer 
Xöyioi,  durch  die  Aufzeigung  der  einzelnen  Stadien  des  Gegensatzes 
an  und  seine  Ableitung  aus  der  rationalisirten  Mythhistorie  ohne 
weiteres  in  die  Kreise  der  anfangenden  ionischen  Geschichtswissen- 


und  nimmer  die  Annahme,  daFs  Mimnermos  auch  nur  noch  am  Leben  war. 
Das  'noch  jetzt'  hat  sein  Recht,  und  wenn  es  y.al  siv  "Aidao  döfwiocv  be- 
deutet. Es  sagt  uns  nichts  über  die  Zeit  des  Mannes,  an  den  das 
Wort  gerichtet  ist.  Er  kann  längst  tot  sein,  älter,  jünger  oder  gleich- 
altrig mit  Solon.  Das  wird  dieser  selbst  nicht  gewufat  haben.  Oder 
wenn  es  etwas  sagt,  so  ist  es  das  Gegenteil  von  dem,  was  Meyer  und 
Wilamowitz  glauben:  als  Solon  jene  Verse  schrieb,  da  war  —  dies  ist 
der  natürliche  Schluß  —  Mimnermos,  den  er  ehrend  Aiyvaoidörjg  nennt, 
ein  berühmter  Mann,  dessen  Gedichte  schon  nach  Athen  gelangt  sind, 
die  man  dort  kannte  und  citirte.  Nicht  die  'Mahnung  des  berühmten 
Mannes'  liegt  in  Solon s  Antwort,  sondern  der  Protest  gegen  das  berühmte 
Wort  eines  berühmten  Mannes.  Das  haben  die  Alten  richtig  empfunden. 
Ein  absolutes  Datum  für  Mimnermos  gewinnen  wir  daraus  doch  nicht, 
weil  wir  Solons  Gedicht  sowenig  datiren  wie  seinen  Zeitabstand  von 
Mimnermos'  Versen  abmessen  können.  Wir  können  auch  weiterhin  nicht 
sagen,  ob  er  noch  im  siebenten  oder  erst  im  ersten  Drittel  des  6.  Jahr- 
hunderts gedichtet  hat.  Das  Judicium,  das  für  das  spätere  Datum  sprechen 
sollte,  hat  sich  als  trügerisch  erwiesen,  und  ein  anderes  gibt  es  nicht. 
Denn  frg.  14  ist  keines  (s.u.  S.  293f.);  die  ziemlich  unsichere  Erwähnung 
einer  Sonnenfinsternis  (frg.  20  Bgk.)  erst  recht  nicht.  Denn  dafs  das  gerade 
auf  'die  Sonnenfinsternis  des  Thaies  585'  geht  und  daß  also  'der  Ansatz 
recht  hat,  der  Mimnermos  auf  die  Epoche  der  sieben  Weisen  datirte', 
ist  schon  deshalb  unrichtig,  weil  es  einen  solchen  Ansatz  nie  gegeben 
hat:  (bg  j-iqotsqev stv  xcöv  C  ooqDcöv  sagt  Suidas.  Möglich  bleibt  es  natür- 
lich, daß  Mimnermos  diese  Finsternis  erlebt  und  erwähnt  hat.  Aber 
gerechnet  haben  die  Alten  nicht  danach. 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  281 

Schaft.  Es  stimmt  dazu,  daß  Xerxes,  als  er  den  großen  Zug  nach 
Griechenland  antritt,  ig  ro  IJgidjuov  UeQyajuov  dveßr]  ijuegov  e^Mv 
&e)']oaoßai  und  daß  er  hier  der  Athena  von  Ilion  und  den  Heroen 
opfert  ^).  Es  ist  die  Anschauung,  die  auch  Aischylos  hatte,  als  er  den 
Traum  der  Mutter  des  Xerxes  dichtete.  Asien  gehört  den  Barbaren, 
Europa  den  Hellenen,  und  die  vßgig,  die  die  gottgesetzten  Grenzen 
überschreitet,  straft  sich  selbst.  Wir  sehen  jetzt,  daß  der  Gedanke 
noch  um  ein  volles  Jahrhundert  älter  ist,  daß  in  den  Diskussionen 
über  den  mythischen  Ursprung  der  Feindschaft  schon  die  Über- 
tragung eines  ursprünglich  sehr  viel  lebendigeren  Gefühles  auf  das 
Gebiet  der  historischen  Spekulation  vorliegt.  Denn  ein  bezeichnender 
Gegensatz  besteht  zwischen  Mimnermos  und  Herodotos.  Der  ältere 
lonier  denkt  nicht  an  lo  Medeia  Helena,  nicht  an  den  Krieg  um 
Troja,  wenn  er  die  Rache  Asiens  zu  spüren  glaubt;  sondern  an 
das,  was  ihn  und  seine  Landsleute  näher  angeht,  an  die  xrioig 
'Icoviag,  an  die  Zeit,  als  man  sich  in  dem  Lande  festsetzte,  dessen 
Herrschaft  den  Besitzern  jetzt  zu  entgleiten  droht.  Herodot  erwähnt, 
mit  einer  für  den  modernen  Historiker  kaum  verständlichen  und 
doch  von  seinen  Interpreten  nicht  beachteten  Auslassung,  die  Zeit 
der  Wanderungen  überhaupt  nicht,  springt  sofort  vom  Kampfe  um 
Troja  zu  den  Zeiten  über,  von  denen  er  selbst  'etwas  weiß'. 
Das  ist  der  Einfluß  seines  Quellenmaterials :  die  Genealogien  schlössen 
mit  den  Nostoi  ab.  Aber  noch  ein  zweiter  Unterschied,  der  sachlich 
bemerkenswert  ist,  besteht  zwischen  den  beiden  Männern.  Dem 
Halikarnassier  ist  die  Berechtigung  jener  Teilung  der  Welt,  die 
Asien  den  Asiaten  vorbehält,  wieder  zweifelhaft  geworden.  Es  ist 
ihm  nur  noch  ein  persischer  Anspruch:  t))v  ydg  'Aolrjv  xal  zd 
ivoixeovTa  edvea  ßdgßaga  oixrjievvxai  ol  Uegoai,  Tr]v  de  Evqcöjiyjv 
xal  ro  'EXhp'ixbv  )]y)]vzai  y.Fycogiodai.  Er  selbst  ist  über  diese 
Anschauung  wieder  hinausgewachsen  in  Athen,  das  lonien,  wovon 
Mimnermos  noch  nichts  weiß,  als  seine  Gründung  und  seinen  Be- 
sitz ansah,  den  es  mit  den  Waffen  zu  schützen  imstande  und  bereit 
war.  Die  Beratung  in  Samos  jieqI  ävaoxdoiog  rS]g  'Icovirjg,  bei 
der  die  übrigen  Hellenen  gemeint  sind  r7]v  'Icüvit]v  dneivai  roiot 
ßagßaQoioi  (Herodot.  IX  106),  mag  sie  in  den  Einzelheiten  historisch 
sein  oder  nicht,  gibt  doch  genau  den  Standpunkt  und  die  Anschauung 
Athens  wieder,  die  zu  der  geltenden  Anschauung  von  der  ionischen 

1)  Herodot.   VII  42 — 43.     Das    beabsiclitigte   Gegenstück   dazu   ist 
Alexanders  Besuch  und  Opfer  in  Ilion:  Arrian.  anab.  I  11,7 — 8. 


282  F.  JACOBY 

Wanderung  geführt  hatten  und  die  Herodot  zu  der  seinigen  gemacht 
hat.  Für  lonien ,  wie  es  damals  war,  bedeutet  das  nur  einen 
Wechsel  der  Herrschaft.  Aber  noch  im  6.  Jahrhundert  war  das 
anders;  und  deutlich  ist  noch  innerhalb  des  Herodoteischen  Werkes 
der  Wandel  der  Zeiten  und  des  Gedankens  in  ihnen.  Als  Harpagos 
lonien  für  Kyros  unterwarf,  da  sprach  Bias  von  Priene  bei  einer 
Versammlung  von  Vertretern  der  ionischen  Städte  eine  Meinung 
aus,  die  der  Historiker  (I  170)  von  seinem  vorathenischen  Stand- 
punkt aus  "'Toioi  '/or]oijiWJTdT7]v  nennt,  n)«  ei  s7ieh%vT0,  nagelye 
äv  oq>i  £vdaijuoveIv  'Ellrjvcov  ixdhoTa '  og  sxeleve  y.oivaji  oröXcoi 
^Icovag  äeQ'&EVTag  nkeeiv  ig  Zagdo)  y.al  e'jieira  juiav  nohv  yaiCeiv 
jidvTCOv  'loQvcov ,  y.al  ovrco  änaXXayßEVjag  oqpeag  öovXoovvrjg 
£vdai/uov}]0£iv  .  .  .  juh'ovoi  de  0(pi  h>  zrji  'Icoviiji  ovk  e(p}]  ivogäv 
elevdEQirjv  hi  eoojuevrjv.  Die  Beratung  und  der  Vorschlag,  der 
in  modificirter  Form  ^)  im  ionischen  Aufstand  als  Rat  des  Hekataios, 
der  auch  an  einen  erfolgreichen  Widerstand  gegen  die  Barbaren 
nicht  mehr  glaubte  (Herod.  V  36),  wieder  auftaucht  (Herod.  V  125), 
sind  in  derselben  Weise  historisch,  wie  die  Beratung  in  Samos 
sechs  Jahrzehnte  später.  Sie  sind  ein  Zeichen  der  Stimmung,  die 
um  540  soviele  der  besten  lonier  in  die  Fremde  trieb:  sie  ver- 
zweifelten an  dem  Schicksal  ihrer  Heimat.  Der  Gedanke,  daß  lonien 
den  Asiaten  gehört,  ist  in  die  Blüte  geschossen.  Dem  Mimnermos 
war  er  noch  etwas  Neues.  Er  erscheint  ihm  von  ferne  als  ein 
drohendes  Gespenst,  dem  Widerstand  zu  leisten  er  vielleicht  noch 
auffordert,  aber  in  dem  dumpfen  Gefühl,  dafs  dieser  Widerstand 
vergeblich  sein  wird  und  daß  die  übermütigen  Eroberer  sich  vertraut 
machen  müssen  mit  dem  Schluß  des  Schicksals,  das  jetzt  die  ver- 
achteten Asiaten  zu  ihren  Herren  macht:  ex  ydg  'Ogeorao  iioig 
eooeiai  'Argeldüo  oder,  wie  Solon  den  allgemeinen  Satz  ethisch 
formulirt,  der  dieser  Anschauung  zugrunde  liegt,  ov  yotg  öi]v  ^vijJoTg 
vßoiog  egya  neXei. 

Die  Versreihe  lehrt  uns  nichts  über  die  bürgerliche  Stellung 
und  die  politischen  Überzeugungen  des  Mimnermos,  aber  als  der 
Ausdruck  einer  Stimmung,  die  damals  in  lonien  entsteht  und  die, 
obwohl  sie  sich  stetig  wandelt,  nicht  wieder  verschwunden  ist,  ge- 
winnt sie,  wenn  ich  nicht  irre,  ein  besonderes  historisches  Interesse. 

1)  Auch  die  hofiiiungsvollere  yvöiiir}  Oaleco  . .  og  ixe/.evs  sv  ßovXevz^Qiov 
"lonag  sHtfjoßai,  to  ös  eJvai  h  Tscoi  ,  .  rag  dk  aX/.ag  :j6/.iag  otxeojxh'ag  /iit]8kv 
rjooov  vofii'QEoßai  y.arä  jieq  al  br]fj,oi  ehv  gehört  hierher. 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  283 

Und  aucli  für  die  Erkenntnis  vom  Wesen  des  Dichters  ist  sie  in 
diesem  Falle  nicht  ganz  bedeutungslos.  Das  politische  Schwüche- 
gefühl,  das  sich  in  dem  Gedanken  ausdrückt,  paßt  besser  zu  dem 
Bilde,  das  wir  uns  aus  seinen  übrigen  Dichtungen  von  dem  Menschen 
Mimnermos  machen,  als  eine  prononcirte  politische  Stellungnahme 
gegen  die  herrschende  Klasse,  mit  der  man  sich  den  berufsmäßigen 
Auleten  ^)  lieber  in  guten  Beziehungen  denkt.  Auch  damals  mußte 
ja  der  Sänger  mit  dem  König  gehen,  wenn  er  die  Freuden  des 
Lebens  genießen  wollte.  Gewiß  kann  man  sich  vorstellen,  daß 
sich  ein  Wandel  in  Mimnermos'  politischen  Auffassungen  vollzogen 
hat  von  hoffnungsfreudigem  Jugendmut  zu  resignirtem  Pessimismus. 
Man  kann  auch  schließlich  umgekehrt  glauben,  daß  der  Prediger 
der  Frivolität  sich  aufraffte,  als  die  Gefahr  für  die  eigene  Heimat- 
stadt drohender  und  drohender  wurde,  daß  er  jetzt  neue  Töne  an- 
schlug und  das  Volk  zum  Kampfe  aufrief  in  Liedern,  die  doch  un- 
willkürlich verrieten,  daß  der  Dichter  selbst  an  den  Erfolg  nicht 
mehr    recht    glaubte.       Wir    wissen    von    der    Chronologie    seiner 


1)  Daß  er  das  war,  wird  man  glauben,  obwohl  Strabons  (XIV  1,  28) 
avXrjTrjg  ä^n  xai  jTon]rijg  ilsysiag  nic4it  viel  besagt.  Auch  Tyrtaios  heißt 
in  der  Suidasvita  sXeysiojioiog  xal  avh}x'/}g,  und  den  hält  man  doch  gemein- 
hin für  einen  Mann  von  Stand.  Dergleichen  geht  auf  die  ältere  Bio- 
graphie zurück,  deren  Schlüsse  selten  viel  Wert  haben.  Darum  kann 
ich  auch  auf  Hermesianax'  Schilderung  wenig  Wert  legen.  Die  Anrede 
Solons  an  den  Aiynaorädijc,  die  Diels  erklärt  hat,  die  aber  noch  immer 
mißbraucht  wird,  Mimnermos  aus  einem  Musikergeschlecht  abzuleiten, 
konnte  genügen,  ihn  zu  einem  Berufsmusiker  zu  machen.  Dem  Glauben 
Nahrung  gab  dann,  daß  man  Compositioneii  unter  Mimnermos'  Namen 
oder  doch  Noten  für  den  Vortrag  seiner  Dichtungen  besaß,  die  man 
natürlich  auf  den  alten  lonier  selbst  zurückführte ;  solche  Noten  kannte 
Chamaileon  (Athen.  XIV  620  C;  vgl.  632  D):  fislondtj&rjvm  8k  ov  fidvor 
xä  'Ofti'jQov,  ciVm  y.al  tu.  ^HaiöSov  y.ai  l4()/j}.6yoi<  xai  ^orxvUbov.  Schwerer 
wiegt  das  Zeugnis  des  Hipponax:  [Plut.]  De  mus.  8  p.  IISSE  xai  aXkog 
S'  eoriv  dg/aiog  vofiog  xa/.ov^isvog  Kgaöiag,  ov  (pijotr  '/nr.TÖij'a^  MifivEQi/ov 
avlfjoai.  ^-'elbst  wenn  eine  Bosheit  dahinter  steckt,  kann  man  es  nicht 
ganz  beiseite  werfen.  Ich  vermute,  daß  Mimnermos  Aulode  war.  Wir 
würden  wohl  mehr  wissen,  wäre  er,  wie  Polymnestos,  nach  Hellas  ge- 
kommen, wo  die  Daten  der  Musikgeschichte  mit  etwa  600  einsetzen. 
Eigentlich  entscheidend  sind  auch  hier  die  Reste  der  Poesie.  Die  zeigen, 
daß  er  nicht  mehr  deQÜ.-iwv  ^Evva/.ioio  xai  Movaojv  war,  sondern  nur  noch 
das  letztere.  An  seiner  Bürgerqualität  braucht  man  darum  nicht  zu 
zweifeln;  und  seine  sociale  Stellung  hing  von  den  Kreisen  ab,  in  denen 
er  verkehrte. 


284  F.  JACOBY 

Dichtungen,  von  Zeit,  Ausdehnung,  äußeren  Umständen  seines 
Lebens  zu  wenig,  um  solche  Möglichkeiten  von  der  Hand  zu  weisen. 
Ob  der  Wandel  glaublich  ist  bei  dem  Wesen  des  Mannes,  das  wir 
kennen  und  das  so  gar  nichts  an  sich  hat  von  dem  eines  politisch 
gesinnten  oder  gar  eines  Vorkämpfers  der  Volksrechte  gegen  die 
Anmaßung  und  den  Druck  des  Adels,  das  ist  freilich  eine  andere 
Frage.  Und  wie  dem  sei,  immer  bleibt  die  Charakteristik  bestehen, 
die  er  von  den  eigenen  Vorfahren  bei  der  Einwanderung  gibt  und 
damit  die  Schlüsse,  die  wir  daraus  ziehen  zu  dürfen  glaubten. 

Der  Sinn  der  Verse  dürfte  festgestellt  sein.  Gern  würden  wir 
nun  auch  etwas  von  dem  Zusammenhang  wissen,  in  dem  sie  standen. 
Vielleicht  wird  der  Versuch,  ihn  zu  erraten,  beeinflußt  durch  die 
bisherige  Erkenntnis.  Aber  das  muß  im  voraus  gesagt  werden  — 
diese  Frage  läßt  sich  nicht  mit  auch  nur  annähernd  gleicher  Sicher- 
heit beantworten.  Es  sind  nur  Möghchkeiten,  die  aber  erwogen 
werden  müssen. 

Durchaus  zweifelhaft  ist  zunächst  die  vulgate  Verbindung  von 
frg.  9  mit  10,  obwohl  dieses  in  der  gleichen  ionischen  Vorgeschichte 
bei  Strabon  XIV  1,  3  und  wahrscheinlich  als  Zusatz  Strabons  aus 
dem  gleichen  Demetrios  erhalten  ist:  Koloq)ö)va  (5'  "AvÖQai'juojv 
ITv?uog  (sc.  xriCsi),  a>?  (pi]oi  y.al  MijuveQ/uog  ev  Navvöi.  Denn 
auch  wenn  frg.  9  nicht  von  einem  Smyrnaeer  in  Smyrna  gesprochen 
wäre,  in  jedem  Falle  verbietet  die  Gestaltung  der  Verse  jeden  Versuch, 
sie  als  Rest  einer  y.rioig  KoXocpcbvog  (oder  selbst  2^/uvovi]g)  zu 
erklären,  wobei  ich  hier  ganz  von  der  Frage  absehe,  ob  es  derartige 
Gedichte  in  elegischem  Maße  damals  oder  später  überhaupt  gegeben 
hat  ^).  Denn  der  Dichter  erzählt  hier  nicht  die  alten  Geschichten ; 
er  behandelt  sie  als  bekannte  Voraussetzung,  die  er  in  ihren 
einzelnen  Stadien  schnell  rekapilulirt;  offenbar  doch  zu  einem  be- 
stimmten Zwecke,  der  wohl  sicher  in  der  Tatsache  zu  finden  ist, 
die  den  Schluß  des  Rückblickes  bildet:  dsdn'  ßovhji  ZjxvQvriv 
ellojuev.     Von  Smyrna  und  den  Kämpfen  um  Smyrna  handelte  die 

1)  Die  Sicherheit,  mit  der  man  gemeinhin  von  ihnen  redet,  ist 
unberechtigt.  Ich  behandle  die  Frage,  die  sich  im  Vorbeigehen  nicht 
erledigen  läßt,  an  anderer  Stelle.  Man  begegnet  hier  oft  merkwürdigen 
Schlüssen.  Auch  ein  Vers  wie  Ions  »;)'  :tots  Oijasiötjg  exzioev  Oho.-itMv 
kann  doch  nie  in  einer  Xi'ov  xzioig  gestanden  haben,  sondern  gehört  als 
schmückender  Füllpentameter  —  den  Schmuck  verlangt  der  Stil  (vgl. 
Homer,  epigr.  4, 3  ff.)  —  zu  einer  gelegentlichen  Erwähnung  der  heimischen 
Insel. 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIEOH.  ELEGIKERN  285 

Elegie,  in  der  diese  Verse  standen.  Das  lehrt  ja  auch  der  von 
Strabon  prosaisch  wiedergegebene  Vordersatz,  wenn  es  nur  der 
Vordersatz,  nicht  die  kurze  Inhaltsangabe  des  ganzen  Gedichtes  ist. 
Man  wird  gern  mit  Wilamowitz  folgern,  daß  'andere  genannt  waren, 
denen  Smyrna  begehrenswert  war',  und  wird  auch  gern  glauben, 
daß  es  die  Lyder  waren,  obwohl  sich  das  aus  diesen  Versen  allein 
nicht  mit  Sicherheit  entnehmen  läßt.  Warum  aber  und  wie  sprach 
der  Dichter  von  den  Kämpfen  um  Smyrna?  Wie  wir  die  alte 
Elegie  kennen,  denken  wir  zunächst  an  Form  und  Ton  der  kriegerisch- 
politischen Paraenese,  die  den  Ausgangspunkt  und  den  ersten  Inlialt 
der  Elegie  überhaupt  gegeben  zu  haben  scheint  und  die  wir  in 
typologisch  sehr  ähnlicher  Ausgestaltung  bei  Tyrtaios  finden,  dessen 
echte  Stücke  naturgemäß  noch  archaischer  wirken,  als  selbst  Kallinos. 
Denn  älter  noch  als  dieser  muß  ja  der  Dichter  gewesen  sein,  der 
die  Elegie  nach  Sparta  brachte.     In  den  Versen  der  Eunomie: 

avrog  ydg  KqovUov,  y.aXXioxEq)dvov  noaiq  "Hgi^q, 
Zsvg  'ÜQaxXf Idaig  r/jvdf  öeöcoy.E  nohv, 

oloiv  äfxa  TiQoXiJiovxeg  'Eqiveov  yve/uöevia 
evQsiav  Tlelonog  vfjoov  äq^iy.ofzeßa 
haben  wir  die  gleiche  Berufung  auf  die  Zeiten  der  xtioig,  die  nicht 
um  ihrer  selbst  willen  und  in  der  Form  der  Erzählung  erfolgt, 
sondern  hier  geradezu  als  Argument,  als  Begründung  gegeben  wird, 
offenbar  für  etwas ,  was  der  Dichter  in  den  inneren  Wirren  des 
Gemeinwesens  den  Spartanern  einzuschärfen  wünscht.  Und  das 
kann  kaum  etwas  anderes  sein,  als  daß  er  Gehorsam  verlangt  gegen 
das  Geschlecht,  dem  Zeus  selbst  die  Herrschaft  verliehen  hat;  also 
eine  Mahnung  im  Sinne  des  vom  Orakel  bestätigten  Grundsatzes 
der  Verfassung 

ägyeiv  ^ukv  ßov?Sjg  dEorijuijiovg  ßaodrjag, 
otoi  jUEAsi  S7i6.QT}]g  ijiiEQÖeooa  Jiöhg. 
Ähnlich  könnte  bei  Mimnermos  auf  die  Constatirung  'durch  Gütter- 
schluß  haben  wir  Smyrna  gewonnen"  die  Mahnung  gefolgt  sein: 
'halten  wir  fest'  oder  'erobern  wir  zurück,  was  uns  gehört',  'kämpfen 
wir  um  Smyrna',  ein  Aufruf  wie  Solons  Yoiiev  ig  ZaXajuiva, 
juax^oo/uEvoi  jieqI  vfjoov,  der  wohl  auch  nicht  nur  dem  spartanischen 
Schiedsgericht  erzählte,  wie  Salamis  athenisch  geworden  war  (Plut. 
Sol.  10).  Die  100  Verse  boten  Raum  genug  zu  solchem  historischen 
Argument ;  und  die  erhaltenen  Distichen  zeigen,  wie  umfangreich  solche 
Paraenese  werden  konnte,   ohne  den  enthusiastischen  Ton    des  un- 


286  F.  JACOBY 

mittelbaren  Aufrufes  zum  Kampfe  zu  verlieren.  Einer  Begründung  be- 
darf ein  solcher  Aufruf  in  jedem  Falle,  wenn  er  im  Gedicht  erfolgt. 
Wir  kennen  sicher  nur  die  Begründung  durch  Gedanken  von  all- 
gemeiner Natur  oder  durch  solche,  die  aus  den  kriegerischen  Ereig- 
nissen selbst  hergenommen  sind.  Aber  unser  Material  ist  gering 
und  der  Möglichkeiten  sind  viele.  Wir  würden  sicherer  sprechen 
können,  wenn  wir  wüßten,  ob  das  Tyrtaiische  Distichon  5,1  —  2 
fjLisreooji  ßaoiliji,  d^eoToL  cpiXcoi  Qeoji6[X7icch, 
ov  diä  Meööf]V7]v  eikofXEv  evQv^oQOv, 
das  ja  im  Ausdruck  an  den  letzten  Pentameter  unseres  Fragmentes 
erinnert,  mit  der  Berufung  auf  die  Eroberung  Messenes  eine  Mahnung 
verband,  um  seinen  Besitz  den  Kampf  nicht  zu  scheuen.  Gehörte 
dieses  Distichon,  was  durchaus  nicht  unmöglich  ist,  in  die  Eunomie 
oder  gehörte  es  zusammen  mit  der  Erzählung,  wie  Messene  gewonnen 
wurde  —  5, 3  ff.  äjucp'  avjip'  ejiidyovr  evveaxaideyJ'  et)]  —  und 
mit  der  Schilderung  des  Zustandes,  in  den  die  Eroberer  die  Unter- 
worfenen versetzt  hatten  —  6  öjojieq  övoi  jueydloig  äy&eoi  rsigo- 
juevoi;  7  ÖEOJiorag  oijiicoCovTeg?  War  letzteres  der  Fall,  so  hätten 
wir  die  ausführliche  Erzählung  eines  Krieges  der  Vergangenheit  in 
der  Form  des  Paradeigma  und  mit  paraenetischer  Abzweckung. 
Die  Tapferkeit,  die  Ausdauer,  der  Erfolg  der  Großväter  sollte  die  Enkel 
zu  gleichem  Verhalten  begeistern.  Das  sticht  sehr  ab  von  den  beiden 
kurzen,  schemalischen  Ermutigungen  des  zum  Kampfe  aufgestellten 
Heeres  (s.  oben  S.  29).  Aber  die  Möglichkeit,  daß  es  solche  Elegien 
neben  dem  Typus,  den  Kallinos  1  bietet,  gegeben  hat,  wird  niemand 
bestreiten.  Denn  die  Vorlage  auch  für  sie  ist  in  den  Reden  des 
Epos  gegeben,  die  das  Paradeigma  mit  bewußter,  freilich  noch  un- 
geschickter Technik  handhaben  ^).  Dann  wäre  es  auch  denkbar, 
daß  Mimnermos  den  Satz  ^^juvori]  äel  jiEQijua.p]Tog  in  ausführlicher 

1)  Eines  der  instruktivsten,  aber  durchaus  nicht  das  einzige  Beispiel 
längerer  paradeigmatischer  Erzählungen  bietet  die  große  Phoinixrede  im 
/  der  Ilias.  Man  hat  hier  viel  zu  viel  mit  Annahme  größerer  und  kleinerer 
Interpolationen  gewirtschaftet  und  zu  wenig  einerseits  den  deutlichen 
Gesamtaufbau  beachtet,  anderseits  die  naive  Freude  bei  Dichter  und 
Hörer  an  der  Erzählung  als  solcher,  die  sie  oft  weit  über  den  unmittel- 
baren paradigmatischen  Zweck  ausdehnt.  Ebensooft  liegt  freilich  in 
dem  weiten  Ausholen  gleichzeitig  eine  gewisse  technische  Ungeschicklich- 
keit. Aber  für  unser  Urteil  muß  immer  maßgebend  sein,  daß  noch 
Herodot  in  der  großen  Korintherrede  (V  92)  diese  Technik  in  gleicher 
Weise  übt. 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  287 

Erzählung   durchgeführt   liat    und   daß    unser   frg.  9   'aus   dem  Ge- 
dichte über  die  Kämpfe  mit  Gyges  stammte',  dessen  Existenz  Pau- 
sanias  bezeugt  (s.  u.  S.  296)  und  dem  man  gewöhnlich  das  frg.  14 
zuweist.     Ob  mit  Recht,  ist  freilich  auch  eine  Frage,  die  sich  nicht 
einfach  und  in  keinem  Falle  mit  Sicherheit  entscheiden  läßt: 
ov  fxev  öij  y.sivov  ye  jLth'og  y.al  äyrjvooa  d'vfxbv 
xoiov  iftev  JTQoreQOJV  Jiev&o/uai,  oi  fiiv  l'dov 
Avöcbv  ijiJiof.id/^cov  iivKivag  xXoveovia  qjdXayyag, 
"Eq/uiov  äjii  ;^EÖiov,  (pcora  (peQejujusUr]V. 
5  rov  juev  äg'  ov  tiote  JidjUJiav  ejuejuifaro  IlaXkäg  'A'&i]VT] 
ÖQijuv  jiih'og  xQadi)]g,  svß''  6  f  dva.  nQOfxdiovg 
oevaid"'  aluaToevixog  ev)  vofxiv^ii  nolefioio 

jiiy.Qo.  ßiaCojuevog  övojuevecov  ßeXea. 
ov  ydg  xig  xeirov  fdqioyv  eTiajueivoTegog  (pojg 
10  eoxEV  enoiyeo&ai  q)vl67ndog  xoareQrjg 

egyov,  ot  avyfjioiv  cpeget  wxeog  i]ehoio^). 
Das  von  den  Zusammenstellern  der  Florilegien  rücksichtslos 
aus  dem  Zusammenhange  herausgerissene  Bruchstück  feiert  die 
Tapferkeit  ^)  eines  bestimmten,  vorher  zweifellos  namentlich  genannten 
oder  seiner  Stellung  nach  bezeichneten  Mannes  mit  Ausdrücken, 
die  im  ganzen  und  einzelnen  in  stärkster  Weise  homerisiren.  Bis 
auf  die  Kampfesweise  des  Unbekannten,  die  ohne  Rücksicht  auf 
die  damals  sicher  existirende  ionische  Phalanx  mit  homerischen 
Farben  gemalt  wird.     Ich  lasse  das  einzelne  beiseite^),  führe  aber, 

1)  inaßstvÖTEoog  (pV  dii  -  Stob.)  ist  eine  schöne  Besserung  von  Wila- 
mowitz,  der  für  die  Überlieferung  in  V.  8  und  V.  11  mit  Recht  eingetreten 
ist.  Nur  ßiaCouirov  ist  längst  in  ßia'Qofisvog  geändert.  Zum  Ausdruck 
vgl.  11.  A  558  wg  6'  ör'  övog  Jiao'  ägovgav  Ion'  ißujaaro  :TaTöag  (Scliol.  B* 
ävzt  zot'  ßiai  srixTjosv)  und  das  alte  attische  Epigramm  Kaibel  749  b  4 
ßiai  Ueqoöjv  fihvä/iisvo[i  dvvafuv] ;  Xenoph.  Anab.  I  4,  5  ö:iUTag  . . .  ßiaoofidvovg 
Tovg  no/.efiiovg.  V.  6  stammen  o  y'  (ö'z'  Stob.)  und  osvaiß'  {aevrjß'^  Stob.) 
von  Schneidewin.  Alle  sonstigen  Änderungen,  darunter  so  erstaunlich 
kecke  wie  Meinekes  og  /luv  i'Sor'  V.  2,  fallen  fort. 

2)  Es  steht  bei  Stob.  111  7,  11  im  Abschnitt  .-teqI  äröosiag. 

3)  Wir  finden  die  bekannten  Verschiedenheiten  von  der  einfachen 
Übernahme  epischer  Floskeln,  der  Vereinigung  mehrerer  zu  einer  schein- 
bar neuen,  bis  zur  Um-  und  Fortbildung  von  Sinn  und  Form  und  zu 
Neubildungen  nach  epischer  Analogie.  Bemerkenswert  ist  die  vielfach 
knappere  Fassung  des  breiten  epischen  Ausdrucks  und  das  Zurücktreten 
der  Odyssee  gegenüber  der  Uias.  Das  letztere  liegt  natürlich  z.  T.  am 
Stoffe,  gilt  aber  für  die  ganze  ältere  ionische  Elegie.  V.  1 :  Od.  /.  562 


288  F.  JACOBY 

weil  es  die  Frage  nach  dem  Zusammenhange  angeht,  aus  der  diese 
Verse  stammen  könnten,  die  Scene  an,  die  dem  Mimnermos  bei 
der  Gestaltung  des  Ganzen  vorschwebte.  Ich  wenigstens  zweifle 
nicht,  daß  es  die  Worte  des  Agamemnon  an  Diomedes  in  der 
'E7n7io'}h]oig  waren,  J  364  ff. 

(hg  eijiojv  rovg  juev  ?u7iev  avrov,  ßi]  de  just'  äXXovg. 

365   EVQE.  de   Tvöeog  vlbv  vjieg^vjuov  AiojuijÖea 

368  xal  xöv  /.th'  veixeooev  idcov  Hoeicov  'Aya/Liejurwi'  .  .  . 
370  '(5  juoi   Tvöeog  vie  öaicpQovog  l7iJiodd/.ioto, 

zi  nro'jooeig,  ri  d'  öjitJteveig  TioXefxoio  yefjjvgag ; 
ov  juev   Tvöei  y'  cböe  (pi/.ov  JiTOioxa'Qefxev  t]sv, 
dV.d  noXh  JTQO  (piXcov  irdgcov  drjioioi  jLid'/^eodai. 
ojg  (pdoav  oX  iiiv  Xbovxo  Tiovevfievov '  ov  ydg  eyoj  ye 
ijvrrjo'  ovde  l'dov '  Tiegl  d'  äXXcov  cpaol  yeveo&ai. 
Es  folgt   die    Erzählung    einer    besonderen    Heldentat    des    Tydeus, 


öäuaoov  8's  fisvog  aal  äyyvoQa  &vfi6y.  IL  Y  174  fiero;  xal  ßv/iiög  dy/jvcog  und 
Q  42  dyi'jvoQi  ßi'nwi  (Hex.  -  Schlüsse)  V.  2:  II.  Ä^124  vvv  8'  i/uso  aoozsQog. 

V.  3:  zu  iJiJTOfid/cor  s.  S.  289.  II.  £"93  <bg  i'.to  Tv8ei'8i]i  :jvxivai  y.).o%'iovTo  (fä- 
Xayyeg  Tqcocov  ...  96  ßvvovz'  diu  JTs8iov  jtqÖ  t'ßey  x?.orsovTa  <fdlayya?.  V.  4 
<fSQSf.ifis?Jt]g  oi  eviiifis?.it]g  II.  A  47;  'Aa^rig  368 ;  qpegEooaxtjg  'Ja:zcg  18  u.  ä. 
V.  5:  IL  i\'  761  rovg  8  sog'  ovy.Exi  nd^Jiav;  Od.  X  528  xeTvov  8'  ov  Jiozs  Jiä/ii7iar 
(Hex.-  Anfänge).  —  IL  JV  126  dfi<pi  «5'  ofß'  Aiavxag  8oiovg  l'oxavjo  cpdXayysg 
y.aoTEQal,  dg  ovz'  äv  xe%'  "Jgi]g  orSoano  i^iexeXdxov  oi'xs  h  ^Aßrjvairj  Xaoooöog ' 
Ol  yäo  OLQioxoi  xxk.  P397  tieoI  ö'  avxov  [iw'/.og  öoojQsi  äygiog  '  ov8e  i<"Agr]g 
'/.aoaaöog  ov8s  y.'  'J^tp-?]  xöv  y  l8ova'  dvöoan  ....  xoXov  Zevg  y.x)..  A  539  ff. 
N  287  ff.  ov8e  xev  Evßa  rsöv  ys  f^iEvog  y.al  xsTgag  övoixo.  si'jxsg  ydg  xe  ß/.Eio  .  . . 
jToöoaoi  lEfiEvoio  fiExä  Tcgofidjfojv  oagioxm'.  Positiv  A  73  ^'JEgig  8'  äg'  s'xaigE 
jto/.voxovog  Eiaogöcoaa  u.  ö.  Danach  wird  man  hinter  der  als  Zeugnis 
angerufenen  Athena  nichts  Besonderes  suchen.  Für  den  Dichter  ist  die 
Göttin  schwerlich  noch  lebendig.  Er  bedient  sich  der  epischen  Floskel 
aus  dem  bereiten  Vorrat  des  Rhapsoden  an  Stelle  eines  schmucklosen 
ov8Elg  avxov  inif^iifaxo.  Erst  bei  Aischylos  fällt  die  Verkleidung  ohne 
Beeinträchtigung  der  Wirkung:  Sept.  507  f.  oy'r"  e/öog  ovxe  üvfwv  ov8'  öjiXmr 
a^Eoiv  fia)/.i7]x6g.  1010  f.  öoiog  cov  f4.6,u<pTjg  axEg  xE&rrjy.Ev.  V.  6:  Od.  O)  319 
8gi/iw  fXEVog  (Hex.-Anf.).  —  'Aamg  164f.  evxe  fid/oixo  'Afi(pixgvcovid8rjg.  V.  7 
II  A  462  u.  ö.  ivi  xgaxEg^i  vai-dvrji.  Y  245  ev  /uEootjt  vofu'vr^t  8t]ioxtjxog. 
1  650   7io?.Efioio   .  .  atfiaxÖEvxog.  V.  8   IL   77  102   ßid'CExo    ydg   ßElsEGOi. 

V.  10 — 11  11.  Z  401  f.  y.a.i  d^i(fi:iö}.oioi  heXeve  k'gyov  i.-roi'/soßai;  2*242  (Od. 
n  268)  q:v/.6.-n8og  ygaxEgfjg  (Hex.  -  Anf.) ;  77  208  (fv?.ö,-ii8og  fiiya  sgyov. 
V.  11  Od.  X  498  ov  ydg  iywv  ijiagojyog  v:x'  avydg  ijEXioio.  619  ov  :TEg  iydtv 
v/Jeoxov  vn  avydg  rjEXloio.  o  349  fj  nov  sxi  'Ccöovaiv  ivt'  avydg  rjsXloio  rj 
tj8rj  xEdväai.    ß  181. 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  289 

deren  Entsprechung  beim  Elegiker   mit  der  Erwähnung   des  Lyder- 
kampfes  kürzer  vorweggenommen  ist,  und  der  Abschluß 
399  TÖiog  h]v  Tvdehg  Ahcoliog'  uXXä  rov  vlov 

yeivaxo  elo  yjgeia  judyjji,  uyogfji  dt  t'  äfxetvcov.^ 
Wer  dieser  Held  war,  wissen  wir  natürlich  nicht  mehr.  Aber 
daß  er  nicht  aus  Kolophon  stammte,  können  wir  auch  hier  mit 
Bestimmtheit  behaupten.  Der  wesentlichste  Satz  in  Wilamowitz' 
Behandlung  der  Verse  —  'der  Mann,  von  dem  Mimnermos  spricht, 
war  ein  (pege/ujLieÄnjg,  ein  Hoplit:  die  Kolophonier  waren  vorwiegend 
Reiter,  und  nur  die  zahlreiche  liochbegüterte  Bevölkerung  besafs  die 
bürgerlichen  Rechte'  —  enthält  eine  für  die  weitere  Auffassung  ver- 
hängnisvolle petitio  principii.  Wir  sahen  oben  schon  (S.  272),  daß  der 
Dichter  von  frg.  9  kein  Kolophonier,  sondern  ein  Smyrnaeer  war. 
Dort  lehrte  es  der  Text  mit  voller  Sicherheit.  Auch  hier  scheint 
ein  kolophonischer  Dichter  ausgeschlossen  durch  die  Bezeichnung 
der  Gegner  als  Ävdol  mjidjiiayot.  Das  Wort  ist  eine  Neubildung^), 
die  aus  den  Verhältnissen  geboren  ist.  Daß  die  Lyder  in  ihrer 
Glanzzeit  ein  Reitervolk  waren,  sagt  Herodot  I  79  in  der  Darstellung 
des  Kyroskrieges  in  einer  kleinen  Einlage,  die  auch  in  den  vö/uoi 
I  94  ihren  Platz  verdient  hätte,  wenn  dieser  Anhang  nicht  etwas 
hastig  abgemacht  wäi'e:  yv  de  xovrov  rov  ygövov  edvog  ovöev 
ev  XTji  'Aoh]i  OVIS  ävÖQfjioxsQov  ovxe  d?Mijud)X€Qov  rov  Avdiov 
fj  de  p-dyYj  ocpecov  t]v  acp  ('ttjxcov,  dogaxa  xe  ecpogeov  fxeydXa, 
aal  avxol  f]oav  Inneveo^ai  dyw&oi^).  Die  letzte  große  Feldschlacht 
vor  Sardes  ist  eine  Reiterschlacht  und  wird  von  Kyros  durch  eine 
darauf  berechnete  Kriegslist  gewonnen  (Herod.  1 80).  Also  das 
stimmt.  Aber  es  ist  ein  schlechter  Gegensatz  gegen  die  reisigen 
Kolophonier;  und  ein  Dichter,  der  aus  dieser  Stadt  stammt  und 
von  der  kolophonischen  Heeresmacht  spricht,  wird  kein  neues  Wort 
bilden,  um  die  Gegner  gerade  mit  diesem  Zuge  zu  bezeichnen,  der 
für   ihn  nichts  Besonderes  hat.      Für  Smyrna  und  für  jede  andere 


1)  Jedenfalls  ist  es  nicht  alt,  wenn  es  auch  in  epischen  Gedichten 
vorgekommen  sein  mag.  Als  Lesung  Aristarchs  ist  es  überliefert  in  der 
Dolonie  (v.  431),  wo  die  Handschriften  xal  ^Qvyeg  ijrjiödafioi  xal  Mi'jtovEg 
InjioxoQvoTai  haben.  Unsere  Ausgaben  nehmen  das  auf.  Aber  mir  scheint, 
daß  eher  ein  in  ionischer  Dichtung  für  die  Barbaren  typisch  gewordenes 
Wort  das  gewöhnliche  epische  verdrängt  hat. 

2)  Schob  T  zu  Tl.  K  431    (s.  vorige  Anmerkung)    i'jdi]  xa&'  "Ofujgov 

ijlQCOtSVS    tÖ    AvdlOi'    ITlfllxÖV. 

Hermes  LIII.  19 


290  F.  JACOBY 

ionische  oder  überhaupt  griechische  Stadt  steht  es  natürhch  anders. 
Da  haben  wir  einen  den  Tatsachen  entsprechenden  Gegensatz 
zwischen  dem  ionischen  Hoplitenheer  mit  seiner  geschlossenen 
Phalanx  und  den  Schwärmen  der  barbarischen  Reiter,  den  die 
späteren  Epigramme  auch  auf  den  großen  Perserkrieg  übertragen 
haben  ^).  Der  Unbekannte  kann  aus  jeder  beliebigen  ionischen  Stadt 
stammen,  wenn  es  auch  gewiß  am  nächsten  liegt,  in  ihm  einen 
Smyrnaeer  und  Landsmann  des  Dichters  zu  sehen. 

Haben  wir  aber  keine  Veranlassung,  ja  erscheint  es  auch  für 
frg.  14  ausgeschlossen,  an  Kolophon  und  kolophonische  Verhältnisse 
zu  denken,  so  entfallen  natürlich  auch  die  Folgerungen,  die  Wilamo- 
witz  doch  im  Grunde  allein  hieraus  auf  die  sociale  Stellung  des 
Gefeierten  und  in  der  Folge  auch  für  Mimnermos  gezogen  hat. 
Denn  der  Text  selbst  gibt  dafür  keine  Stütze.  dr]i(jjv  V.  9  ist  ja 
wohl  sicher  falsch  2).  Aber  gegen  Irjöiv,  das  Bergk  trotz  der 
Leichtigkeit  der  Änderung  mit  Recht  in  den  Text  zu  setzen  sich 
scheute^),  während  Wilamowitz  'den  lonismus  mit  besonderer 
Freude"  begrüßte,  habe  ich  formell  und  sachlich  schwere  Bedenken. 
Gewiß  kommt  der  Singular  Arjog  bei  Hipponax  in  nicht  näher  zu 
bestimmender  Bedeutung  vor;  ich  will  selbst  zugeben,  daß  Hekataios 
den  'Mann  des  Eurystheus'  nicht  Evgvo&ecog  lediv,  sondern  )a]öv 
nannte*).     Aber  der  sichere  Beleg  aus  dem  lambos  des  besonders 


1)  Anth.  Pal.  VI  2  (unter  Simonides'  Namen  sm  To'^oig  avarEÜsToi  iv 
zü>i  xfjg  'Aßrjväg  vawi )  jio/Jmxi  61/  aiovöevia  y.aza  >i/.6%'or>  ir  öat  cpcozcöv  IJeo- 
GMv  iTiTtof^ä/cov  aifiart  Xavodfieva. 

2)  Wenigstens  wenn  es  als  einfacher  Genitiv  von  tI;  abhängt.  Bergks 
8?]ia)v  ETI  "^coram  hostibas"  verwirft  Wilamowitz  als  ungriechisch.  Viel- 
leicht ist  drjioiv  fih'  möglich  'mitten  unter  den  Feinden',  mit  eay.Ev 
i.-ioi'/Eoßm  xtX.  zusammengehörig  und  einem  homerischen  h  aiviji  dtjiÖDjn 
entsprechend.  Die  Corruptel  ähnlich  wie  Xenophan.  2,  15  P.aoTon'  sV  eh] 
statt  fiezEiT];  aber  die  Stellung  wäre  befremdlich.  An  eine  Verbalform 
von  dtjioo}  ist  auch  nicht  gut  zu  denken.     Der  Fehler  liegt  wohl  tiefer. 

3)  Daß  er  die  weitere  Änderung  in  kacov  für  nötig  hielt  und  deshalb 
an  der  Probabilität  der  Änderung  zweifelte,  ist  aus  seiner  Bemerkung 
V.  e.  /.amv'  kaum  zu  schließen.  Es  störte  ihn  wohl  eher  das  nach  der 
Beseitigung  von  öjjiojv  ihm  unerklärliche  eti. 

4)  So  schreibt  Wilamowitz,  während  Lentz,  Herodian.  I  108,9  ).a6v 
setzte.  Aber  ist  die  Corruptel  glaublich,  da  das  Hipponaxfragment  mit 
P.t]6g  und  das  Hekataiosfragment  mit  ?.ecog  im  gleichen  Artikel  der 
Epimerismen  (Gramer  An.  Ox.  1265,  6flF.)  nebeneinander  angeführt  werden, 
jenes  um  den  Unterschied  im  Vokalismus   gegen  Homer  zu  belegen  bei 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  291 

plebeischen  Dichters  und  der  unsichere  aus  der  ältesten  Prosa,  die 
im  wesenthchen  der  reinen  Sprache  des  Lebens  sich  bediente,  be- 
weisen wenig  für  die  Elegie  im  ganzen,  die  sonst  von  Kallinos  bis 
Theognis  ?.a6g  hat^),  und  noch  weniger  im  besonderen  für  ein 
so  stark  episirendes  Gedicht,  wie  das  in  Frage  stehende.  Was  in 
dt]icov  steckt,  dafür  sind  eine  Reihe  von  Vermutungen  möglifh,  von 
denen  keine  sich  zur  Sicherheit  erheben  läßt.  Ich  glaube  immer, 
daß  hier  doch  eine  nicht  wiederzugewinnende  Herkunftsbezeichnung 
stand,  der  Name  zwar  nicht  einer  Stadt,  aber  einer  Phyle,  eines 
Ttvgyog,  daß  Ahrens  mit  ö)]  "Icov  wenigstens  auf  dem  Wege  zum 
Richtigen  war.  Wer  aber  an  h]ci)v  glaubt,  der  muß  es  eben 
interpretiren  nicht  im  Sinne  des  EvQvoßewg  Xrjög,  sondern  in 
dem  des  Kallinos  1,  18  ?Mcbi  yag  ovjUjiavri  Jto'&og  xQaregöcpQovog 
uvÖQog  als  Ausdruck  für  das  Gesamtvolk  und  Synonymon  zu  dfjfxog, 
ebd.  16  di]jucoi  q)'dog'^).     Aaog  hat  eben  in  den  ionischen  Städten 

dem  tö  }.a6g  äxQSJTTog  FßEivs,  dieses  um  der  von  Homer  abweichenden  Be- 
deutung willen,  öri  ov)r  ojtXwg  xov  ox^ov  orjf.iaivEi,  alXa  xov  v:ioxezay(iivov'i 
Herodot  hat  Itwg  und  Xa6g\  jenes  auch  die  feste  Formel  ledig  avxoixog 
(GDI  5533  e  Zeleia)  neben  den  sonst  gewöhnlichen  Xaoi. 

1)  Kallinos  1,  18.  Tyrtaios  11,  13  oaovai  Sk  laov  onioaoi.  [12,  24  aoxv 
TS  y.al  Xaoi'g  xai  ^laxeg'  Ev>c?veiag].  Xenophan.  2,  15  Xaoioi  /Liersirj.  Natür- 
lich auch  Theogn.  53  u.  ö.  und  das  Epigramm.  Hoffmann,  Gr.  Dial.  HI  1 
S.  305  verlangt  mit  Fick  für  Kallinos  und  Tyrtaios  (!)  X.tjög,  während  er 
für  die  'jüngeren'  Elegiker  den'Horaerismus'  gelten  läßt.  Das  wird  niemand 
glauben.  Wäre  der  Begriff  'Mann  des  Volkes'  unentbehrlich,  so  würde 
ich  öifi'oiv  immer  noch  lieber  in  ).i]öjv  als  in  dtjfwjv  ändern:  H.  ^"213 
ö^l-iov  Eovxa  (Schol.  A  ö>]fic>xt]g,  Idicozijg.  Apoll,  lex.  Hom.  58, 9  Bekk. 
8)]fioxiy.6r  ävöoa.  Steph.  Byz.  s.  öP/tiog);  Bentleys,  von  Leaf  gebilligte 
Conjectur  8i]/:wv  idvxa  wird  man  ablehnen,  da  dieser  Gebrauch  von  8fj[xog 
eine  genaue  Analogie  an  dem  von  Aew?  bei  Hekataios  hat. 

2)  Ich  möchte  bei  dieser  Gelegenheit  doch  der  Deutung  von  Immisch 
Philol.  XLIX  1890  S.  206  widersprechen,  der  auch  in  diesem  Gedicht  eine 
Art  Stellungnahme  gegen  den  Adel  findet  und  daraus  ein  Argument  gegen 
die  ja  mehrfach  behauptete  Zuweisung  an  Tyrtaios  entnimmt.  V.  13f. 
ov  yoLQ  Hcog  ßävaxöv  yE  (pvysTv  ai/^iaQfisvov  ioxlv  äv8g\  ovo'  et  .-Tooyovcov  ^i 
ykvog  aßaväxov  soll  eine  Exemplifikation  auf  den  Adel  sein,  'die  nicht 
gerade  von  hoher  Achtung  getragen  ist'.  Aber  der  Fortgang  der 
Argumentation  verbietet,  in  dem  Distichon  etwas  anderes  zu  finden,  als 
einen  ganz  allgemeinen  Gedanken,  einen  Erfahrungssatz,  denselben,  den 
II.  .S"  117  ff.  paradeigmatisch  ausdi'ückt:  aiiga  6'  iyco  xöxe  ös^ofiac,  d.T.Tore 
HEV  8rj  Zsiig  E&sXrji  xsXiaai  ....  *  ov8e  yag  ov8s  ßit]  'HgayArjog  (pvye  xtiga, 
og  nsQ  (piXxaxog  eoxe  Au  Kqovuovi  avaxxi'  dXXd  i  iioXo'  iSäfiaoas  xai  äoyaXsog 
yoXog  "Hgrjg. 

19* 


292  F.  JACOBY 

doch  noch  einen  anderen  hihalt  gewonnen,  als  in  der  Sphäre  des 
Epos;  daß  es  nicht  mehr  notwendig  einen  Gegensatz  des  Volkes 
gegen  die  Herren^),  die  ßaodrjeg,  indicirt,  nicht  nur  die  Bürger 
minderen  Rechtes  —  denn  an  einen  solchen,  nicht  etwa  gar  an 
einen  Hörigen  könnte  man  doch  hier  allein  denken  2);  die  gehen 
überhaupt  nicht  in  den  Kampf;  am  wenigsten  ävä  TiQOjudxovg  und 
als  Hopliten  —  bezeichnet.  'Wer  dem  drjiLiog  lieb  ist,  wessen  der 
Xaog  sich  mit  Sehnsucht  erinnert"  —  sagt  Kallinos  —  rov  d'  öXiyog 
OTEvdxei  y.al  /ueyag,  fjr  ri  nd^)]!,  was  doch  gewiß  nicht  "^groß  und 
klein',  sondern  'hoch  und  gering'  heißt  ^).  So  nur  könnte  man 
die  }.aoi  aus  sachlichen  Gründen  auch  hier  verstehen.  Denn  mögen 
die  Minderberechtigten  auch  als  Hopliten  zu  Felde  gezogen  sein,  so 
liegt  doch  eine  starke  Unwahrscheinlichkeit  schon  in  der  Annahme, 
man  habe  noch  in  der  dritten  Generalion  über  Wesen  und  Ver- 
halten eines  6j^/<0Ti;g  so  diskutirt,  daß  ein  Dichter  öffentlich  zu 
seiner  Verteidigung  auftreten  und  dafür  Interesse  erwarten  konnte. 
Eine  öffentliche  Verteidigung  setzt  Angriffe  voraus.  Man  müßte 
schon  glauben,  daß  Mimnermos  an  diesem  Manne  ein  ganz  persön- 
hches  Interesse  nahm,  daß  der  Unbekannte,  was  ja  wohl  vermutet 
worden  ist,  sein  Vorfahr,  Vater  oder  Großvater,  war.  Und  selbst 
dann  ist  die  Sache  unwahrscheinlich.  Der  Ton  des  Ganzen,  der  sich 
dem  Epos  so  weit  nähert,  wie  kaum  eine  andere  Elegie,  will  zu  so 
persönlichen   Dingen    nicht    stimmen.      Und   sobald    wir   nicht    die 

1)  Die  Entwicklung  beginnt  schon  im  Epos.  Vgl.  z.  B.  S  509  dvco 
OToazol  eiUTO  Xacöv. 

2)  An  einen  solclien  denkt  auch  v.  Wilamowitz  nicht,  da  er  den 
Mann  einen  ötjfiörrjg  nennt.  Die  barbarischen  Hörigen,  die  ^^aoi,  gab  es 
aber  gewiß  schon  in  Mimnermos'  Zeit,  wie  wir  sie  im  5.  Jahrhundert 
finden.  Es  würde  also  die  Lesung  ?.}]cdv,  wenn  sie  richtig  wäre,  keines- 
wegs 'in  die  Verbältnisse  der  Zwischenzeit  hineinsehen  lassen',  sondern 
höchstens  in  die  lexikalische  Entwicklung  des  Wortes.  Denn  schwerlich 
hätte  Mimnermos  den  Bürgerhopliten  'den  besten  der  ?.t]oC  genannt, 
wenn  das  schon  zu  seiner  Zeit  der  Terminus  technicus  für  die  Hörigen 
gewesen  wäre. 

3)  Dieses  uUyog  ist  bei  Kallinos  viel  angefochten  und  sogar  zur 
Verdächtigung  der  ganzen  Elegie  benutzt  worden.  Aber  'gering'  Immilis 
heißt  es,  wie  Wilamowitz,  Ilias  und  Homer  423,  2  gesehen  hat,  auch  in 
dem  kaum  viel  jüngeren  'homerischen'  Plpigr.  4,  16  /.isyag  de  /he  ■öv/nog 
ijisi'ysi  dfjfiov  ig  äk).o8aji6v  tivai,  oXiyov  ueq  iövza.  Auch  da  sind  törichte 
Conjecturen  gemacht  worden.  Aber  der  Gegensatz  ist  der  gleiche,  wie 
der  bei  Kallinos  ebenfalls  zu  Unrecht  beanstandete. 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  293 

kolophonisclien  Verhältnisse  voraussetzen,  die  auf  Smyrna  zu  über- 
tragen nichts  berechtigt,  fällt  eben  die  Voraussetzung  für  alle  solche 
Vermutungen.  Der  cpojg  (peQeajuekujg  mag  wirklich  prosaisch  ge- 
sprochen ein  Fußsoldat  gewesen  sein.  Aber  das  setzt  ihn  an  sich 
nicht  social  herab.  Es  heifst  im  Gegenteil,  daß  er  nicht  zu  dem 
verlorenen  Haufen  gehört,  sondern  zu  den  Vollbürgern,  die  als 
Hopliten  kämpfen  und  den  Kern  des  Heeres  bilden,  das  die  lydischen 
Reiterschaaren  abgewehrt  hat.  Ja,  nichts  spräche  in  diesen  Versen 
gegen  die  Annahme,  daß  mit  diesem  rühmenden  Ausdruck,  der  der 
allgemein  homerisirenden  Sprache  des  Gedichtes  angemessen  ge- 
wählt ist,  selbst  der  Feldherr  gemeint  ist,  der  das  Heer  zum  Siege 
führte,  daß  er  es  ist,  den  der  Dichter  hier  mit  homerischen  Kampfes- 
vorstellungen und  mit  homerischen  Ausdrücken  preist,  den  er 
q)eQejujUE^J}]g  nennt,  wie  Homer  den  Agamemnon  ar/ju]Tijg  —  dies 
der  gewöhnlichste  Ausdruck,  auch  in  den  Grabepigrammen ^)  — 
und  den  Priamos  Evui.iElü]g.  Aber  das  führt  schon  auf  die  Frage 
nach  Art  und  Zweck  der  Elegie,  der  die  Versreihe  entnommen  ist. 
Die  allgemeine  Annahme  scheint,  wie  gesagt,  zu  sein,  daß  sie 
in  das  Gedicht  über  die  Schlacht  zwischen  Gyges  und  den  Smyr- 
naeern  gehört.  Bewiesen  ist  diese  Annahme  aber  nie  und  kann  es 
auch  kaum  werden.  Für  sie  spricht,  daß  auch  der  hier  erwähnte 
Lyderkampf  mindestens  eine,  eher  in  der  zweiten  Generation  vor 
der  Zeit  des  Dichters  stattfand  ^) ;  gegen  sie  zunächst  einmal ,  daß 
man  sich  wirklich  —  um  Wilamowitz'  Worte  zu  brauchen  —  'nicht 
leicht  denken  kann,  daß  die  Ehrenrettung  eines  einzelnen  sich  in 
ein  solches  Gedicht  fügte'.  Leichter  wäre  das,  wenn  es  sich  nicht 
um  eine  solche,  sondern  um  den  Preis  eines  einzelnen  Kämpfers 
handeln   würde ^);    und    so    fragt    man    doch   zuerst,   ob  die  Verse 


1)  Neu  wie  immer  im  Ausdruck  Aischylos,  der  in  den  Elegien 
einen  Krieger  {tiq  xöiv  .-zo?.suip<o)v  Plut.  Quaest.  conv.  II  5  p.  640  A)  ßoißhg 
djihxon:ct}.ag ,  däiog  ävzijialoig  nennt.  Der  \'ers  wird  von  Plutarch  oft  citirt; 
zur  Charakteristik  Alexanders  (De  Alex.  fort.  II  2),  der  römischen  Helden 
(die  ävÖQsg  a.Qrji(paxoi,  ßeßgozM^iva  xsvy^E  k'yr^vzsg  De  Rom.  fort.  3),  des 
ganzen  römischen  Volkes  (Cic.  et  Demosth.  comp.  2). 

2)  Es  war  ein  ganz  unmöglicher  Einfall  Bachs,  das  Fragment  auf 
Andraimon,  den  Gründer  Kolophons  zu  beziehen. 

3)  Die  Frage  stellt  sich  ähnlich  für  den  eben  (A.  1)  erwähnten 
Aischylosvers,  den  man  auch  gern  in  dem  Schlachtgedicht  über  Mara- 
thon sucht. 


294  F.  JACOBY 

denn  durchaus  eine  Ehrenrettung  sein  müssen?  Die  Formuhrung 
des  Ganzen  scheint  es  doch  zuzulassen,  daß  man  den  Ton  nicht 
auf  die  dreimahge  Negation ,  sondern  auf  das  dreimal  gesetzte 
Demonstrativum  legt.  'So  ist  uns  seine  Tapferkeit  nicht  geschildert', 
wie  Wilamowitz  übersetzt,  oder  'seine  Tapferkeit  wird  uns  nicht  so 
erzählt;  an  ihm  hatte  Athene  nie  etwas  auszusetzen;  er  war  der 
beste  Mann  seiner  Zeit'.  Das  erfordert  dann  einen  Gegensatz  zu 
anderen.  Und  gerade  wer  die  Verse  in  das  erzählende  Schlacht- 
gedicht stellt,  müßte  in  Berücksichtigung  der  homerischen  Vorlage 
hier  sehr  ernsthaft  die  Möglichkeit  erwägen,  daß  gar  nicht  Mimner- 
mos  der  Sprecher  ist,  sondern  der  Stratege,  der  einen  der  Kämpfer 
durch  den  Gontrast  mit  den  Leistungen  etwa  auch  seines  Vaters 
in  früheren  Lyderkämpfen  zu  höchster  Tapferkeit  spornt.  Also  eine 
nicht  ernsthaft  gemeinte  Bescheltung.  Aber  vielleicht  könnte  es 
auch  eine  ernsthafte  sein.  Es  ist  eigentlich  wunderlich,  daß  Wila- 
mowitz, der  im  frg.  9  die  Unzufriedenheit  des  Dichters  mit  den 
derzeitigen  Leitern  des  Staates  erkennen  wollte,  nicht  hier  die  doch 
immerhin  naheliegende  Möglichkeit  angenommen  hat,  daß  der  Dichter 
hier  die  Männer  oder  auch  einen  Feldherrn  seiner  Zeit,  der  den 
Kampf  mit  den  Lydern  nicht  aufzunehmen  wagt,  beschämt  durch 
den  Hinweis  auf  den  ihm  vielleicht  verwandten  Mann,  dessen  Tapfer- 
keit die  Stadt  vor  Gyges  gerettet  hat^).  Es  sind  das,  wie  gesagt, 
Möglichkeiten.  Wenn  ich  sie  nicht  weiter  verfolge,  so  bestimmt  mich 
vor  allem  die  Überzeugung,  daß  dieses  Fragment  gar  nicht  aus  dem 
Gedicht  über  den  Gygeskampf  stammen  kann.  In  einem  ausführ- 
lichen Stück,  das  sich  diesen  Kampf  als  eigentliches  Thema  stellt, 
nur  von  ihm  handelt,  scheint  mir  die  Art,  wie  hier  der  Ort  und 
die  W^eise  des  Kampfes  angegeben  wird,  wie  etwas  Neues,  noch 
nicht  Erwähntes,  undenkbar 2).  Aber  sehr  passend  ist  das  in  einer 
Elegie,  deren  Zweck  und  Inhalt  darin  bestand,  einen  bestimmten 
Mann  zu  feiern  oder  sein  Andenken  zu  verteidigen  ^).  Denn  auch 
das  scheint  mir  unzweifelhaft:  der  Unbekannte  wird  nicht  allein 
wegen  seiner  Tapferkeit  in  jener  einen  Schlacht  gepriesen,  sondern 

1)  Diesen  Gegensatz  suchen  Otfried  Mueller,  E.  Meyer  u.  a.  in  den 
Versen. 

2)  Ein  weiteres  Argument  u.  S.  295. 

3)  Man  denkt  dann  an  die  Möglichkeit,  daß  frg.  15  y.ai  jxiv  ijr' 
äv&Qcöjiovg  ßd^ig  i'/ji  yalEni)  in  dieses  Gedicht  gehört.  Aber  solche 
Combinationen  sind  zu  unsicher. 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  295 

ganz  allgemein.  Die  drei  Versgruppen  von  4  -[-  4  -j-  3  Versen ,  die 
sich  durch  die  Anapher  ov  jutv  dij  heivov  —  rov  juev  —  ov  yctg 
rig  xEivov  zusammenschließen,  zeigen  einen  deutlichen  Gedanken- 
fortschritt vom  Besonderen  zum  Allgemeinen,  wobei  das  Besondere, 
die  Leistung  im  Lyderkampf,  gewissermaßen  paradeigmatischen 
Charakter  hat.  'So  war  sein  Mut  nicht',  sagt  der  Dichter;  'das 
bezeugt  sein  Verhalten  in  der  Hermosebene,  von  dem  die  Alten 
berichten';  'niemals,  so  oft  er  im  Vorkampf  stand'  - —  ehV  ö  y' 
dvd  jTQojudyovg  oevacro  kann  sich  auf  wiederholtes  Vorbrechen 
in  der  gleichen  Schlacht,  aber  auch  auf  alle  Kämpfe  beziehen,  an 
denen  der  Mann  teilnahm  —  'war  etwas  an  seiner  Tapferkeit  aus- 
zusetzen"; und  abschließend  'er  war  eben  Zeit  seines  Lebens'  — 
dieser  Ausdruck  ist  eigentlich  schon  entscheidend  —  'der  beste  Krieger  . 
Vielleicht  ging  das  weiter;  vielleicht  sprach  der  Dichter  nicht  nur 
von  dem  Krieger,  sondern  auch  vom  Ratsherrn  und  Staatslenker, 
von  Kriegs-  und  Friedenstaten,  um  die  grundlegende  Scheidung  des 
späteren  rhetorischen  Enkomions  anzuwenden,  die  letzten  Grades 
doch  auf  die  epische  Distinktion  ovr  svt  ßov)S]L  ovre  tcot'  Iv 
7toXe/.icoi  (II.  J/ 213  f.),  ßaodsvg  t'  äyadög  Kgaregog  t'  alxjutptjg 
oder  wie  sie  sonst  formulirt  wird,  zurückgeht.  Das  läßt  sich  nicht 
beweisen.  Aber  auch  ohne  das  muß  man  in  solchem  Gedicht,  das 
sich  mit  einem  einzelnen  Manne  befaßt,  mag  es  enkomiastischen  Zweck 
oder  den  der  Ehrenrettung  oder  schließlich  selbst  den  einfacher 
Erzählung  gehabt  haben,  ein  neues  elöog  sehen,  das  wesensver- 
schieden auch  ist  von  den  Angriffen  oder  Lobpreisungen  in  Archi- 
lochos'  Tetrametern  —  vvv  Aeaxpdog  juev  ägy^ei  u.  a.  — ,  die  Personen 
betreffen,  die  den  Dichter  selbst  angehen,  mit  denen  er  in  freund- 
lichen oder  feindlichen  Beziehungen  steht.  Daß  der  Mann,  von  dem 
Mimnermos  hier  erzählte,  ein  vornehmer  war,  den  die  Stadt  kannte, 
das  scheint  mir  selbstverständhch.  Und  wenn  er  solch  Gedicht 
über  einen  längst  Gestorbenen  schreibt,  so  folgern  wir  weiter,  daß 
es  im  Interesse  der  Familie  geschrieben  war ,  der  aus  recht  prak- 
tischen Gründen  an  dem  Rufe  ihres  nächsten  Vorfahren,  der  ihr 
eigener  war,  gelegen  sein  mußte.  Die  Parallele  mit  dem  Rhap- 
soden, der  am  Fürstenhofe  seinen  Gönner  in  der  Person  eines 
Vorfahren  verherrlicht,  meist  durch  Einführung  in  die  troische 
Sage,  drängt  sich  auf.  Die  Parallele  wie  der  Unterschied,  der 
darin  liegt,  daß  der  Elegiker  nicht  indirekt,  sondern  direkt  zu 
Werke  geht,  nicht  von  einer  sagenhaften  Vorzeit   erzählt,    sondern 


296  F.  JÄCOBY 

von  den  Dingen,  die  noch  die  älteren  Zeitgenossen  erlebt  haben, 
deren  unmittelbare  und  politische  Bedeutung  für  die  eigene  Zeit 
leicht  kenntlich  ist. 

Den  Wert  der  Versreihe  sehe  ich  vor  allem  in  dem,  was  sie 
uns  für  Mimnermos  selbst  lehrt.  Ein  solches  Gedicht  ist  die 
Produktion  eines  berufsmäßigen  Dichters,  der  in  einer  ursprünglich 
für  andere  Zwecke  bestimmten  Gattung  das  vorträgt,  was  seinen 
Gönnern  genehm  ist  und  was  ihm  den  Lebensunterhalt  einbringt. 
Die  Elegie  ist  in  die  Hände  des  Berufsdichters  geraten;  und  sofort 
beginnt  das  Experimentiren  mit  der  Form ;  nicht  die  Erweiterung 
des  Inhaltes  allein,  sondern  ihre  Verwendung  zu  neuen,  durch  das 
materielle  oder  ideelle  Interesse  des  Dichters  bestimmten  Zwecken. 
Denn  ob  der  Dichter  eine  Absicht  auf  persönlichen  Gewinn  mit 
seinem  Gedichte  verbindet,  ob  er  es  überhaupt  nur  um  dieses  Ge- 
winnes willen  schreibt,  ist  schließlich  ziemlich  gleichgültig.  Die 
Hauptsache  ist  die  literarische  Neuerung.  Und  was  die  eben  be- 
sprochene Versreihe  mit  einem  doch  nur  annähernden  Grade  von 
Sicherheit  vermuten  läßt,  das  wird  zur  Gewißheit  durch  die  Be- 
trachtung des  Gedichtes,  von  dem  wir  sie  getrennt  haben.  Von 
ihm  gibt  uns  Pausanias  (IX  29,  4)  den  Titel  und  eine  wichtige 
Angabe  über  das  Prooimion:  Mi/.ivegjnog  de,  eleyela  is  r^]v  fJ-d/jjv 
noiYjoag  t)]v  SfivQvaicov  Jioög  Fvyip'  re  xal  Avdovg,  rptjolv  h> 
Toji  jTQOoijukoi  d'vyareQag  Ovgavov  rag  äg^aioregag  Movoag, 
rovrojv  ök  aXlag  veonegag  elvai  Aiog  nalöag.  Ein  Bruchstück 
aus  dem  Gedicht  haben  wir  nicht.  Aber  auf  das  gleiche  bezieht 
sich  wohl  sicherlich  derselbe  Pausanias  IV  21,  5 :  ivrav&a 'Agioro- 
juevrjg  xal  ©eoxXog  ETreigcovro  eg  Jiäoav  äjiovoiav  jroodyew  rovg 
Meao}]viovg,  älla  rs  öjiöoa  eixög  rjv  diddoxovTeg  xal  Z^vQvaiüiv 
rä  xol/jirji-iaTa  ävajui/uv^oxovTEg ,  cbg  'Icvrcov  juoioa  övrsg  Fvyrjv 
röv  Aaoxvlov  xal  Avdovg  l'xovrag  ocpcov  rip'  nöhv  vnb  ägeriig 
xal  TtgoßviAiag  exßdXoiev.  Die  Situation  scheint,  wie  im  Vorbei- 
gehen bemerkt  sei,  eine  andere  als  die  der  offenen  Feldschlacht 
im  frg.  14,  was  nicht  weiter  verwunderlich  ist,  da  Smyrna  des 
öfteren  sich  der  Lyder  zu  erwehren  gehabt  haben  wird  und  nichts 
zwingt,  den  Unbekannten  von  frg.  14  gerade  in  einem  der  sonst 
bekannten  Kämpfe  sich  auszeichnen  zu  lassen ;  mit  der  kurzen  Notiz 
Herodots  (I  14)  eoEßale  fxev  vvv  orgaTirp'  xal  ovrog,  eneixe  fjQ^e,  eg 
TS  MilrjTOV  xal  ig  ZfivQvi]v  xal  Ko?M(fcovog  t6  äoxv  elXe,  wonach 
von  Gyges'  Angriffen  nur  der  auf  Kolophon  größeren  Erfolg  gehabt 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  297 

zu  haben  scheint,  verträgt  sie  sich^).  Das  Gedicht  hatte  also  ein 
Prooimion,  das  mit  dem  Anruf  der  Muse  begann,  wie  der  Vortrag 
des  Rhapsoden.  Aber  nicht  mit  dem  einfachen  Anruf,  den  wir  im 
Epos  finden,  sondern  es  wurde  —  an  der  Richtigkeit  der  in  gelehr- 
ter Umgebung  stehenden  Angabe  des  Tansanias  ist  nicht  zu  rütteln 
—  der  Charakter  der  Musen  definirt,  wurde  unterschieden  zwischen 
älteren  und  jüngeren  Musen.  Diese  Tatsache,  die  recht  zu  einem 
literarisch  -  berufsmäßigen  Wesen  des  Dichters  paßt,  läßt  allerdings 
einen  Schluß  zu  auf  den  Umfang  des  so  eingeleiteten  Gedichtes. 
Aber  fast  wichtiger  noch  erscheint  die  Frage:  was  will  der  Dichter 
mit  dieser  eigenartigen  Unterscheidung?  Schwer  glaublich,  daß  es 
sich  einfach  um  eine  genealogische  Spekulation  ohne  weiteren  Zweck 
handelt,  zu  dem  ein  solches  Gedicht  keine  rechte  Veranlassung  bot. 
Aber  unwillkürlich  bringt  man  sie  zusammen  mit  Art  und  Inhalt 
der  Elegie.  Prooimion  und  Musenanruf  weisen  sie  gattungsmäßig 
in  die  erzählende  Poesie.  Selbst  wenn  ein  paraenetischer  Zweck 
vorhanden  war,  was  man  weder  behaupten  noch  leugnen  wird,  so 
kann  er  kaum  unmittelbar,  sondern  nur  mittelbar  zutage  getreten 
sein ,  wie  denn  ein  jedes  Gedicht ,  das  in  der  Not  der  Gegenwart 
die  ruhmreiche  Vergangenheit  darstellt,  geeignet  ist,  die  Stimmung 
der  Hörer  in  einer  bestimmten,  vom  Dichter  oder  seinem  Auftrag- 
geber gewünschten  Weise  zu  beeinflussen.  Das  Gedicht  bleibt  doch 
episch  nach  Form  und  Stoff;  nur  daß  der  Stoff  wieder  genommen 
ist  nicht  aus  der  fernen  Vergangenheit,  von  der  die  Rhapsoden 
vortrugen,  sondern,  wenn  auch  nicht  aus  der  unmittelbaren  Gegen- 
wart und  den  Erlebnissen  des  Dichters,  so  doch  geradezu  und  ohne 
Einkleidung  aus  der  neuen  Zeit  und  aus  der  im  Gedächtnis  der 
Mhlebenden  haftenden  Geschichte  der  eigenen  Stadt.  Das  ist  ein 
Schritt  von  großer  Kühnheit ,  ganz  gleichartig  dem ,  den  Herodot 
tat,  als  er  die  Sagengeschichte  beiseite  ließ,  um  zu  erzählen  von 
dem,  'was  er  selbst  weiß',  vor  allem  von  dem  größten  Kriege  der 
unmittelbaren  Vergangenheit,  aus  der  Zeit  der  Väter  und  Großväter. 
War  es  darum,  daß  Mimnermos  die  jüngeren  Musen  anrief?  Recht- 
fertigte er  durch  einen  geistreichen  Einfall ,  ein  Vorgänger  des 
Xenophanes,  der  die  jiMojuaTa  rwv  tiqoteqoov  aus  der  Unterhaltung 

1)  Von  Mimnermos  fernzuhalten  ist,  was  Ps.-Plut.  Parall.  30  aus 
einem  Scliwindelautor  Dositheos  ev  f  Avdiaxon'  über  das  ahtov  des  Eleu- 
therienfestes  in  Smyrna  erzählt,  «'  Tji   ai  dovXai  rov  xoofiov  tojv  iX.svßsowv 

(fOQOVOlV. 


298  F.  JACOBY 

beim  Symposion  verbannt  wissen  will,  das  Wagnis,  mit  dem  Epiker 
und  seinen  abgebrauchten  Themata  in  Concurrenz  zu  treten?  Wie 
dem  sei,  was  er  hier  brachte,  die  Übertragung  der  epischen  Weise  in 
die  Elegie,  die  Schöpfung  eines  elegischen  Epyllions  mit  historischem 
Inhalt  war  ein  literarisches  Experiment,  war  etwas  Neues,  ganz 
verschieden  sowohl  von  dem  Kampfruf  des  Kallinos  ^)  wie  von 
der  politischen  Paraenese  der  Eunomie  und  der  Solonischen  Gedichte; 
aber  verschieden  auch  von  der  persönlichen  Weise  des  Archilochos, 
der  in  den  Tetrametern  von  eigenen  Erlebnissen  erzählte  —  knxa 
yaq  vexQcbv  neoovzcov  u.  a.  —  und  das  gleiche  auch  in  der  Elegie 
getan  zu  haben  scheint.  Wir  wissen  nicht  genug  von  der  elegischen 
Produktion  des  6.  Jahrhunderts  in  lonien,  um  sagen  zu  können,  ob  das 
neue  eldog  besondere  Nachwirkung  gehabt  hat.  Ganz  ohne  Nach- 
kommenschaft aber  blieb  das  Gedicht  über  die  Gygeskämpfe  nicht.  Zu 
ihm  stellen  wird  man  und  auf  seinen  Einfluß  zurückführen  die  Schlacht- 
gedichte, in  denen  Simonides  und  Aischylos  einzelne  Großtaten  der 
Perserkriege  dargestellt  haben.  Ihr  erzählender  Charakter  steht  fest; 
ihre  elegische  Form  aber  findet  von  hier  aus  ihre  Erklärung  ^). 

Ein  neues  eldog  hat  Mimnermos  hier  geschaffen  ^),  das  sich 
aus  der  Masse  der  elegischen  Poesie,  die  alle  Stoffe  aufnehmen 
konnte,  die  den  Dichter  oder  seine  Hörer  interessirten ,  so  scharf 
heraushebt  wie  die  mehr  oder  minder  aktuelle  Mahnung  zu  tapferem 
Kampfe  für  die  Heimat;  schärfer  als  die  halb-  und  schließlich  ganz- 


1)  Übrigens  hat  schon  Kallinos  nicht  mehr  nur  die  Form  des 
Kampfrufes  und  der  mahnenden  Rede  an  das  Gesamtvolk  oder  die  vioi, 
die  der  echte  Tyrtaios  allein  kennt.  Daneben  tritt  das  Gebet,  die  Rede 
an  die  Götter,  der  Ugög  tov  Aia  Xöyo;  (Strab.  XIV  1,4),  mit  dem  typolo- 
gisch  Solons  löyog  noog  Movoag  zusammengehört.  Auch  diese  Form  stammt 
aus  dem  Epos.  Mit  Kallinos'  Ufivgvaiovg  8'  ikhjaov  und  fivijoai  d'  si  xozi 
roi  i.ir]oia  y.aXa  ßoöjv  {2/ivovatoi  xazitcriav)  vergleiche  man  Nestors  Gebet 
IL  0  372  ff.  Zev  TtärsQ,  ei  jtoiF.  zig  toi.  ev  "Joyei  . .  .  ?]  ßodg  ?}  uiog  y.axa  niova 
/.u]Qia  xakov  er/ero  voozfjaai  ....  tojv  fivfjaai  xal  afivvo%>  . .  . 

2)  Die  Zeugnisse  für  diese  Gedichte  bieten  Schwierigkeiten,  die 
hier  nicht  behandelt  werden  können.  Aber  die  Tatsache,  daß  es  solche 
Elegien  gab,  steht  durch  die  Fragmente  fest. 

3)  Gern  wüßte  man,  woliin  frg.  17  ITaiovag  ävdgag  äyov,  Iva  zs 
yJ.Firov  yevog  innon'  gehört.  Die  Form,  die  aus  dem  Schiffskatalog  stammt, 
spricht  für  ein  historisches  Gedicht.  Der  ähnliche  Vers  des  Kallinos 
Tm']ozag  avbqag  uywv  stand  wohl,  wie  sicher  frg.  4  vvv  8'  ejiI  KijqieQicov 
ozfjazog  sQ/szai  oßgt/iosQycüv,  in  dem  Gebet  an  Zeus.  Doch  läßt  sich  für 
Mimnermos  auch  an  eine  Elegie  mit  sagengeschichtlichem  Inhalt  denken. 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  299 

philosophische  Paraenese  beim  Symposion,  die  den  ursprünglichen 
lehrhaften  Charakter  des  yevog  sonst  noch  am  reinsten  im  Tone, 
im  Stoffe  ft-eilich  verändert  und  sehr  mannigfaltig  bewahrt  hat;  schär- 
fer auch  als  die  erotische  Elegie,  die  von  den  persönlichen  Liebes- 
verhältnissen ihrer  Dichter  mit  Anrede  und  Namennennung  der 
Geliebten  handelte.  Dieses  elöog,  das  am  nächsten  herantritt  an  die 
erotisch-sympotische  Lyrik  der  Lesbier  und  augenscheinlich  in  stärk- 
ster Weise  von  ihr  beeinflußt  ist,  begegnet  uns  sicher  bei  Anakreon, 
ist  aber  sonst  in  seiner  Entwicklung  und  seinen  Anfängen  am 
wenigsten  kenntlich  ').  Ich  will  die  Frage  nicht  wieder  aufvverfen, 
wie  weil  die  persönliche  Note  bei  Mimnermos  ging,  ob  und  wieviel 
Liebeslieder  bei  ihm  standen  neben  den  betrachtenden  Stücken  über 
den  Wert  des  Lebens  und  der  Liebe,  die  doch  für  alle  Folgezeit 
die  Auffassung  von  dem  Erotiker  Mimnermos  bestimmt  haben  und 
auf  die  sich  alle  beziehen,  die  mit  ihm  den  q:ih'idovog  ß'iog  erwählen 
oder  ihn  charakterisiren.  Es  fehlt  uns  hier  eben  das  Material,  gerade- 
so wie  es  uns  für  die  Frage  nach  der  Entstehung  und  Existenz 
einer  erzählenden  Elegie  mit  mythologischem  Inhalt  fehlt,  die  man 
jetzt  um  so  eher  dem  Mimnermos  vindiciren  möchte,  als  erzählende 

1)  Über  das,  was  wir  wissen,  an  anderer  Stelle.  Die  Frage  kann 
nicht  gut  getrennt  werden  von  den  Erotica  des  Archilochos.  Seine 
lamben  und  Ei:>oden  sind  voll  von  persönlicher  Erotik,  freilich  aus  einer 
anderen  Sphäre,  als  die  es  ist,  in  der  sich  wenigstens  die  ionische 
Liebesdichtung  zu  bewegen  scheint.  Es  sind  doch  Dichtungen  ganz 
eigener  Art.  Leider  scheint  auch  nicht  zu  entscheiden,  ob  nur  eines 
dieser  Gedichte  aus  der  Zeit  des  Liebesglückes  stammt,  ob  sie  nicht 
vielmehr  sämtlich  aggressiver  Natur  waren.  Die  Reste  der  Elegien, 
die  allerdings  äußerst  spärlich  sind,  weisen  nichts  dergleichen  auf.  Das 
kann  Zufall  sein:  aber  ich  bezweifle  es.  Denn  daß  für  diese  Zeit  Elegie 
und  lambos  durchaus  nicht  als  gleichwertige  und  gleichbehandelte 
Ausdrucksformen  empfunden  werden,  lehrt  der  Sotonische  Nachlaß,  der 
bei  oft  ganz  gleichem  Inhalt  den  Unterschied  in  Stil  und  Ton  deutlich 
erkennen  läßt.  Das  Gegenteil  wäre  auch  wunderlich.  Umgekehrt 
würde  man  iur  Mimnermos  gewiß  'kräftige  lamben  in  archilochischer 
Art'  glauben  und  Nannos  Namen  in  ihnen  suchen.  Daß  nur  Elegisches 
;  aus  der  'Nanno'  citirt  wird .  wäre  kein  Hindernis.  Die  Ausgabe  hätte 
I  eben  wie  die  der  Solonischen  Gedichte  beides  enthalten.  Die  Buch- 
teilung, wenn  sie  bestand  (s  u.  S.  .302  A.  3),  ist  ja  doch  erst  alexan- 
driuisch.  Aber  es  fehlt  nun  einmal  in  den  Resten  jede  sichere  Spur 
von  lamben  (über  eine  scheinbare  Wilamowitz,  Sapph.  u.  Sim.  282,  1); 
und  aus  Hermesianax'  Versen  sie  mit  Crusius  zu  erschließen,  geht 
nicht  an. 


300  F.  JACOBY 

Elegien  historischen  hihalts  für  ihn  feststehen  ^).  Soweit  wir  sehen, 
steht  die  Erotik  des  Mimnermos  dem  Liebeshed  noch  fern.  Das 
mag  man  entwicklungsgeschichtlich  erklären  oder  als  einen  be- 
sonders tückischen  Zufall  der  Überlieferung  betrachten.  Das  Faktum 
bleibt  doch,  daß  wir  auch  nicht  die  Spur  eines  Ausdrucks  persön- 
licher Liebe  in  den  Resten  der  Gedichte  finden.  Wir  wissen  von 
seiner  Nanno  nichts,  als  was  Hermesianax  sagt  ^)  und  was  der  Buch- 
titel^) lehrt  oder  vielmehr  nicht  lehrt.  'Daß  das  Ganze  nur  novelH- 
stische  Erfindung  ist,  vielleicht  aus  falsch  verstandener  Überlieferung 


1)  Auch  darüber  an  anderem  Orte.  Hier  sei  nur  auf  einen  bemerkens- 
werten Gegensatz  hingewiesen  zwischen  den  ionischen  Elegikem  Kallinos 
und  Mimnermos,  von  denen  auch  jener  möglicherweise  schon  zu  den 
Bevufsdichtern  gehörte,  auf  der  einen,  den  mutterländisehen  Solon  und 
Tyrtaios  auf  der  anderen  Seite.  Dort  zum  mindesten  starke  Berück- 
sichtigung der  Sage,  wenn  nicht  in  eigenen  Gedichten,  so  doch  in  An- 
spielungen und  ausgedehnteren  Paradeigmata;  hier  nichts  dergleichen. 
Das  kann  nicht  Zufall  sein.  Wie  sich  Archilochos  stellte,  ist  mit  Sicher- 
heit nicht   zu   sagen.     Aber  es  scheint ,  daß  er  zu  Tyrtaios  -  Solon  tritt. 

2)  y.aiEzo  fth'  Navrovg.  Dazu  der  gleich  zeitige  Poseidippos  AP  XII 
168  Nav7'ovg  xal  Avdtjg  stti/si  ovo.  Bei  den  Späteren  ist  sie  vergessen; 
wenn  Athenaios  XIII  597  A  xrjv  Mifivegfiov  avXtjzQida  Navvdi  unter  den 
svSo^oi  haTgat  nennt,  so  ist  das  eben  aus  dem  gleich  dazu  citirten  Herme- 
sianax genommen.  Auch  hier  steht  sie  neben  Lyde,  und  gerade  die 
Zusammenstellung  weckt  den  Verdacht,  daß  die  ganze  Geschichte  aus 
einer  einzigen  P]legie  herausgc^ponnen  ist,  die  man  sich  schließlich  als 
Anregerin  des  Antimacheischen  Gedichtes  denken  könnte.  Die  Bücher 
waren  jedenfalls  so  verschieden,  wie  nur  denkbar.  Vielleicht  wüßten 
wir  Bescheid,  wenn  Suidas  den  ßlog  des  Mimnermos  nicht  am  Schlüsse 
gekürzt  hätte  (s.  S.  302  A.  3). 

3)  Daß  dieser  Buchtitel  hellenistisches  Fabrikat  ist,  nach  der 
Avdtj  gegeben  auf  Grund  und  infolge  der  Heraushebung  des  oder  der 
Nannogedichte ,  wie  wir  .sie  bei  Hermesianax  und  Poseidippos  fiuden, 
denen  nicht  am  Buch,  sondern  an  einem  Frauennamen  lag,  scheint  mir 
selbstverständlich.  Wie  Wilamowitz,  Sapph.  u.  Sim.  287  zu  dem  zweiten 
Teile  seines  Schlusses  'die  Alexandriner  haben  also  die  Gedichte  des 
Mimnermos  weder  zusammengestellt  noch  den  Titel  erfunden',  gekommen 
ist,  ist  mir  nicht  klar  geworden.  Textg.  d.  gr.  Lyriker  58  urteilt  er 
anders.  Der  erste  Teil  ist  selb.stverständlich.  Gelesen  worden  ist  Mimner- 
mos nicht  nur  in  hellenistischer  Zeit,  für  die  die  von  Kaibel  aufgezeigte 
Benutzung  durch  den  Rhodier  Aiiollonios  an  hervorragender  Stelle  sehr 
wesentlich  i.st.  Auch  in  Athen  ist  Eurip.  Herakl.  638  doch  nicht  'der 
einzige  Beleg  für  seine  Geltung'.  Die  beginnt  mit  Solon  und  reicht  bis 
zu  den  Theognideern. 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  301 

combinirt'^),  bleibt  freib'ch  nur  Vermutung.  Aber  ausscbließen  kann 
man  diese  Mögliclikeit  aucli  niclit  unbedingt;  und  jedenfalls  tut  man 
gut,  sich  nicht  zu  weit  auf  dem  entgegengesetzten  Wege  vorzu- 
wagen. Wer  garantirt  uns,  daß,  wenn  der  Name  Nanno  einmal 
oder  öfter  in  den  Gedichten  vorkam,  es  in  anderer  Weise  geschah, 
als  wenn  Archilochos  seine  Gedanken  über  das  conventionelle  Trauer- 
wesen an  Perikles  richtet,  oder  Alkaios,  dessen  Poesie  manche  Spuren 
Archilochischen  Einflusses  zeigt,  seine  Trinkerphilosophie  an  den 
Namen  Bykchis  hängt:  ov  yQij  xay.oToi  ßvjuov  tTinoETtip'.  jioo- 
x6y>0juev  ydg  ovdh'  äodfievoi,  w  Bux^i '  (paQ/iaxor  d'  äginTov 
olvov  Iveixafievoig  uE&vadi]v.  Durch  den  Namen  allein  wird  die 
Reflexion  doch  nicht  zum  lyrisch  gestimmten  Liebeslied,  Gewiß 
ist  es  möglich,  daß  schon  bei  Mimnermos  diese  Pieflexionen  z.B. 
über  das  Alter  einmal  so  persönlich  gewendet  waren,  wie  etwa  bei 
Anakreon  14  Z(faLQi]L  öevte  jlie  jxooq~>vQEt]i  oder  in  den  Elegien 
frg.  96  ovxEXi  &Q'>]ixit]g  {ndolov)  EJiioxQEqjofxai.  Glaublich  scheint 
es  nicht.  Ich  wage  auch  nicht,  in  den  gut  klingenden  Namen 
Pherekles  und  Hermobios  und  Hexamyes,  die  Hermesianax  gewiß 
den  Gedichten  entnommen  hat  und  die  man  nicht  benutzen  darf, 
um  Mimnermos'  Leben  in  einer  möglichst  niedrigen  Stufe  sich 
abspielen  zu  lassen,  mehr  zu  sehen  als  freundliche  und  feindliche 
Anreden  dieser  Art.  Solche  Anreden  tragen  fast  schon  den  Cha- 
rakter von  Widmungen  2),  wenn  sie  auch  noch  nicht  als  solche 
gemeint  sind,  sondern  nur  dem  Dichter  das  äußere  Recht  geben, 
die  Gedanken,  die  sein  Inneres  bewegen,  auch  vor  die  Öffentlichkeit 
zu  bringen.  Nachdem  die  Form  gefunden  und  anerkannt  war, 
werden   diese   Anreden    seltener  •').      Ich   bezweifle,   daß    man    auch 


1)  Bethe  bei  Gercke- Norden  I  288.  Die  naive  Vorstellung,  daß 
Mimnermos'  'dichterisches  Talent  geweckt  oder  doch  vorzugsweise  ge- 
nährt wurde  durch  die  Liebe  zur  Nanno'  teilt  heute  wohl  schwerlich 
noch  jemand. 

2)  Besonders  da ,  wo  keiue  Beziehung  des  Angesprochenen  zum 
Inhalt  des  Gedichtes  zu  erkennen  ist.  Die  Formen  der  Widmung  sind  von 
Stephan,  Quomodo  poetae  .  .  carmina  dedicaverint,  Berlin  1910  nament- 
lich für  die  älteste  Zeit  nicht  vollständig  und,  wie  mir  scheint,  auch 
nicht  überall  richtig  behandelt. 

8)  Daß  sie  bei  Mimnermos  fehlen,  wird  Zufall  der  Überlieferung 
sein.  Denn  die  Anrede  hat  auch  er  noch.  Solon  scheint  die  Namen  nur 
in  echter  Ansprache  zu  verwenden,  wie  an  den  kyprischen  König  und 
an  Kritias.    Dafür  geht  diese  aber  bei  ihm  schon  an  den  nicht  körperlich, 


302  F.  JACOBY 

nur  ein  Recht  hat,  aus  solchen  Äußerlichkeiten  auf  die  Situation 
zu  schließen ,  in  der  der  Dichter  seine  Stücke  zuerst  vorgetragen 
hat  oder  sich  vorgetragen  denkt.  Jedenfalls  macht  es  für  das 
Gedicht  keinen  Unterschied,  ob  Archilochos  eine  Elegie  im  älteren 
Typus  mit  der  Anrede  beginnt 

Aioijuid}],   dijjLiov  juev  ^)  emQQrjoiv  jueXsdaivcov 

ovdelg  äv  judXa  nöXk'  i/uegoEvra  nddoi' 

oder   wenn   Mimnermos   einen   ähnlichen   Gedanken    frei   ausspricht 

in  einem  Distichon,  das  Wilamowitz  von  der  häßlichen  Entstellung 

der  aus  den  Theognidea  schöpfenden   Ausgaben  befreit  hat^): 

Tt]v  oavTOv  cpQEva  TSQJie  ■   dvorjXeyecov  dk  tioIitcöv 
aXXog  rig  os  xaxcbg,  äXXog  äjiieivov  sgei. 
Was    wir   aber  gerne  wüßten,  wäre,  ob  diese  Distichen    das   sind, 
was   sie    vielfach    scheinen,    selbständige  Gnomen,    die   als  Skolien 
gedacht    und  entstanden    sein    können ,  aber   nicht    brauchen ,  oder 
Stücke  aus  einem  größeren  Zusammenhang. 

Es  sind  viele  Fragen,  die  zu  beantworten  uns  die  Dürftigkeit 
der  überlieferten  Reste  nicht  gestattet.  Aber  sowenig  wir  von 
den  zwei  Büchern  des  Mimnermos  oder  wieviele  es  sonst  waren  ^) 

sondern  nur  im  Liede  Anwesenden.  Wenn  er  in  seinem  größten  Gedicht 
seine  Gedanken  in  die  Form  des  Gebetes  kleidet,  so  dient  das  der  feier- 
lichen Wirkung.     Die  Elegie  Mrrj/uoovv}]?    ist   sein   Glaubensbekenntnis. 

1)  So  Elmsley  schön  aus  überliefertem  6ijXovi.iev.  dedov  /hev  Schneide- 
win  und  Srjtov  ^ev  HofFmann  kommen  dagegen  nicht  auf. 

2)  Dasselbe  hat,  wie  im  Vorbeigehen  bemerkt  sei,  zu  geschehen 
für  das  schöne  Solonische  frg  24  'laöv  toi  nlovzovoiv.  Die  vier  bei  Theogn. 
719 — 28  hinzugefügten  Verse  bringen  zwei  dem  Selon  fremde  Gedanken 
hinein.  Es  ist  späte  Fortdichtung,  in  der  Mimnermos  benutzt  zu  sein 
scheint. 

3)  Dnos  lihros  bezeugt  Porphyr,  zu  Horat.  epist.  II  2,  101.  Die 
Teilung  des  umfangreichen  Buches  in  hellenistischer  Zeit  ist  glaublich. 
Auch  für  Simonides  gibt  die  vita  slsyeiav  iv  ßißUoig  ß,  vor  den  ^'lafißoi.  multa 
Ps.  Acro.  zu  Hör.  epist.  I  (>,  65  in  zweifelhafter  Umgebung.  tioVm  steht 
jetzt  auch  bei  Suidas,  dessen  ßio?  mit  syQaips  ßißXia  zavra  jioD.ä  schließt. 
Änderungen  wie  Bernhardys  EQonixa  ra  jiollä  sind  unglaublich.  Vielmehr 
leitete  ravza  ursprünglich  die  Aufzähhmg  der  Werke  ein  und  blieb  ver- 
sehentlich stehen,  als  sie  gestrichen  wurde.  Wenn  der  Verküizer  aber 
7io?J.ä  dafür  setzte,  so  standen  da  eben  nicht  bloß  zwei  Bücher  Elegien, 
sondern  vermutlich  eine  Reihe  von  Sondertiteln,  wie  in  den  ßioi  des 
Solon  und  Tyrtaios.  So  lief  das  Lydergedicht  sicherlich  so  gut  unter 
einem  Sondertitel,  wie  Solons  2a)Mfxig  und  Tyrtaios'  Evroi^ila,  die  doch 
auch  beide  in  der  Sammlung  standen. 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  303 

besitzen,  das  Wesen  des  Mannes  ist  doch  wolil  etwas  deutlicher 
geworden.  Der  Pohtiker  Mimnermos  —  oder  wie  man  das  nennen 
will  — ,  der  adelsfeindliche  Demokrat,  der  doch  keinen  anderen 
Anteil  am  Staate  hat,  als  dafs  er  unter  ihm  leidet,  ist  wieder  ver- 
schwunden. Dafür  ist  der  Berufsdichter  hervorgetreten  und  die 
literarische  Bedeutung  des  Mannes  gestiegen.  Er  war  nicht  nur 
'Prediger  und  Verkünder  einer  Lebensanschauung';  diese  Erkenntnis 
bleibt  und  vertieft  sich  vielleicht  noch.  Er  war  ein  Dichter,  der 
auf  seinem  Gebiete  Neues  versuchte  und  der  die  Elegie  auf  Bahnen 
führte,  die  Archilochos  noch  nicht  betreten  halte.  Wir  mögen 
zweifeln,  ob  uns  die  Erhaltung  des  ganzen  Werkes  viel  Persönliches 
für  sein  Leben  lehren  würde;  für  alle  Fragen,  die  sich  mit  der 
weiteren  Entwicklung  der  Elegie  verknüpfen,  wäre  sie  von  höchster 
Bedeutung.  Dieses  Werk,  in  dem  so  verschiedene  Stücke  neben- 
einander standen,  wie  das  betrachtende  Gedicht  mäßigen  Umfanges, 
die  ausführliche  epische  Schlachtschilderung,  das  Enkomion  auf  einen 
vornehmen  Mann  der  näheren  Vergangenheit,  vielleicht  auch  der 
kurze  Sinnspruch,  persönliche  Gedanken  und  bestellte  Arbeit,  hat 
gewifs  nicht  ausgesehen  wie  der  'Theognis'^),  diese  Sammlung- 
kurzer  Tischlieder,  in  die  wie  aus  Versehen  ein  paar  längere  Stücke 
und  wirkliche  Elegien  geraten  sind,  sondern  etwa  wie  die  Sammlung 
der  Solonischen  eXeyeia.    Bei  der  Geltung,  die  sie  in  hellenistischer 


1)  Der  auch  in  seinem  ec-hten  Bestand,  soweit  er  kenntlich  ist,  nie 
'KvQvog'  hätte  heißen  können,  sowenig  wie  Hesiods  "Eoya  'Perses'.  Es 
ist  ein  Unfug,  den  Megarer  Theognis  immer  unter  die  Elegiker  zu  stellen. 
Er  war,  wenn  man  ihn  schon  mit  einem  Fachwort  bezeichnen  will, 
Gnomiker,  Lehrdichter,  und  steht,  so  stark  er  namentlich  von  Solon 
beeinflußt  ist,  doch  literarisch  ganz  in  der  Nachfolge  Hesiods,  wie  das 
Friedlaender  in  d.  Z.  XLVIII  1913  S.  572  zutreffend  ausgeführt  hat.  Unser 
'Theognis'  aber  gehört  zur  Skolienpoesie,  die  mit  der  Elegie  gattungs- 
mäßig soviel  und  sowenig  zu  tun  hat,  wie  die  Gnome,  die  schon  vor 
Theognis  einmal  das  distichische  Gewand  angezogen  zu  haben  scheint, 
oder  wie  das  auch  mit  Vorliebe  ins  elegische  Maß  gefaßte  Epigramm. 
Über  den  Unterschied  zwischen  distichischen  Skolien  und  Elegie  darf 
weder  die  Existenz  einer  sympotischen  Elegie  hinwegtäuschen  noch  die 
Tatsache,  daß  man  seinen  pflichtmäßigen  Trinkspruch  gern  aus  elegischen 
Gedichten  nimmt,  die  so  viel  Gnomisches  enthielten,  das  sich  infolge  der 
Geschlossenheit  des  Distichons  leicht  ausschneiden  ließ.  Aber  Lyrik 
und  gnomische  Poesie  spielen  als  Quellen  dieser  dilettantischen  Tisch- 
poesie kaum  eine  geringere  Rolle.  Oft  kommt  es  auch  bei  Zusammen- 
arbeit der  Lesefrüchte  zu  hybriden  Bildungen. 


304  F.  JACOBY 

Zeit  gewonnen  hat,  und  weil  die  Möglichkeit,  daß  noch  die  Römer 
sie  in  Händen  gehabt  haben,  nicht  bestritten  werden  kann^),  fragt 
man  sich  immer  wieder,  wie  deren  Elegie  zu  dem  alten  lonier  ge- 
standen haben  mag,  wagt  man  immer  wieder  Rückschlüsse  von 
dem  Erhaltenen  auf  das  Verlorene.  Das  ist  gefährlicher  Boden. 
Und  nur  zu  leicht  kommt  man  dazu.  Unvergleichbares  zu  vergleichen. 
Formell  hat  ein  Properz-  oder  überhaupt  ein  römisches  Elegien- 
buch sicherlich  sehr  wenig  Ähnlichkeit  mit  der  Sammlung  von 
Mimnermos'  Elegien  gehabt.  Daß  inhaltlich  manche  Berührungen 
bestanden,  die  hinausgingen  über  das  Citat  eines  berühmten  Wortes, 
das  man  nicht  aus  eigener  Lektüre  zu  kennen  brauchte,  ist  sehr 
möglich.  Aber  das  Verhältnis  ist  kein  einfaches,  direktes.  So  tritt 
die  Klage  über  das  Alter,  das  der  Liebe  ein  Ende  macht,  zuerst  in 
der  Elegie  bei  Mimnermos  auf.  Aber  wie  vollkommen  anders  be- 
handeln die  Römer  das  was  für  sie  ein  rönog  ist.  Es  ist  alles  ent- 
weder persönlich  gewendet  oder  in  der  Weise  der  Komödie  auf  be- 
stimmte menschliche  Typen  gestellt.  Dagegen  ist  die  für  Mimnermos 
so  charakteristische  Reflexion  ganz  verschwunden;  aus  der  Gedanken- 
ist Gefühlspoesie  geworden,  wenn  man  Schlagworte  brauchen  darf. 
Man  merkt,  wieviel  an  Literatur  dazwischen  liegt,  wie  oft  das 
Motiv  hin  und  her  gewendet  ist.  Was  für  Mimnermos  etwas  Neues 
war,  dessen  er  sich  mit  Schmerzen  bewußt  wurde,  die  Gedanken, 
die  ihn  zur  poetischen  Aussprache  zwangen,  sind  banal  geworden 
und  bieten  nur  noch  den  selbstverständlichen  Hintergrund  für  die 
Anwendung  auf  die  persönlichen  Empfindungen  des  späteren  Dichters. 
Man  constatirt  die  Fortbildung  zur  persönhchen  Anwendung  hin 
schon  bei  einem  Vergleich  etwa  des  Platonischen  Epigramms  AP 
V  78  mit  Mimn.  frg.  5.  Laus  in  amore  mori  mag  ja  '^denseiben 
(pürjdovog  ßiog  atmen"  wie  rig  de  ßiog,  rl  dk  teqtivöv  —  näher 
steht  freilich  nach  dem  äußerlichen  Wortlaut  die  ovidische  Ver- 
wendung des  berühmten  Satzes  als  'Motto':  ^vive"  dciis  ^posito'  si 
qnis  mihi  dicat  ''amore'  —  aber  die  Fortführung,  die  von  diesen 
Worten  nicht  zu  trennen  ist  und  die  mit  ihnen  zusammen  erst  den 
eigentlichen  Wesenszug  nicht  nur  der  Properzischen,  sondern  über- 

1)  Allerdings  ist  es  auch  nicht  zu  beweisen.  Daß  Eusebs  Chronik 
Mimnermos  nicht  hat,  ist  Zufall.  Er  steht  in  bezeichnender  Verbindung 
mit  Antimachos  bei  Solin.  40,  6  p.  167, 1  Momms.  ingenia  Aaiatica  inclita 
per  gentes  fuere:  poetae  Anncreon,  indc  Mimnermus  et  Äntimachus,  deinde 
Hipponax,  deinde  Älcaens,  inter  quos  etiam  Sapplio  mulier. 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  305 

haupt  der  römischen  Elegie  gibt  —  laus  altera,  si  datiir  uno  passe 
frui,  fniar  o  soiiis  amore  meo    —    zeigt  doch  wieder,    wie   ganz 
Verschiedenes   der  Satz    und  der  Gedanke  bei   den  beiden  Dichtern 
bedeutet.     Bei  dem  Römer  handelt  es  sich  um  die  Person  der  Ge- 
liebten —  und  wer  die  Erotica  des  letzten  Buches  kennt,  der  weiß, 
daß  diese  Liebe  zu  einer  bestimmten  Frau  bei  aller  conventioneilen 
Form,  bei  aller  Aussingung  in  den  späteren  Büchern,  nichts  Gleich- 
giltiges    ist    für  diesen  Dichter  — ,    bei    dem  lonier    um    die  Liebe. 
Hier  haben  wir  eine  Lebensanschauung,  die  zum  ersten  Male  dichterisch 
ausgesprochen  und  vertreten  w^rd;  dort  die  Benutzung  dieser  längst 
anerkannten,  gleichberechtigt  neben  anderen  stehenden  Anschauung, 
die  aufs  literarische  Gebiet  übertragen  dem  Dichter  das  Recht  gibt, 
einen  ihm  nicht  zusagenden  Stoff  abzulehnen.    Nichts  steht  in  diesen 
Gedichten,    das    uns    veranlassen    könnte,    eine   direkte   Beziehung 
zwischen    ihnen   und  der  alten  ionischen  Elegie  herzustellen.     Und 
doch  war  sie  vorhanden.     Wir  fassen   die  römische  Elegie  ja  doch 
auf  als    die  klassicistische  Erneuerung  einer  klassischen  Gattung  ^). 
Dann  war  Mimnermos  ihr  Archeget.     Denn  die  römische  Elegie  be- 
schränkt sich  als  Ganzes  auf  das  erotische  eJdog ,  und  Mimnermos 
hatte  die  Liebe  für  die  Elegie  entdeckt.     Das  M'ar  die  hellenistische 
Lehre    des  Kreises   um  Philitas^).     Kein  Zweifel,    daß    Mimnermos 
in  den  theoretischen  Diskussionen   der  jungen  Dichter   des  Proper- 
zischen Kreises  eine  große  Rolle  spielte;    vermutlich  eine  sehr  viel 
größere   als    in    der  Praxis    der  Studirstube    und    des  dichterischen 
Betriebs.      Der  junge  Properz   hat    in    seinem  Erstlingsbuche  (I  9) 

1)  Rh.  Mus.  LX  1905  S.98ff.  LXV  1910  S.  73ff.  Es  ist  wesentlich, 
daß  die  Literatur  :tfqi  fuii^joeoig  auch  die  Elegie  berücksichtigt  hat. 

2)  In  der  Titelfrage  ist,  auch  wenn  es  sich  um  die  Kömer  handelt, 
Navvw  nicht  von  Ävdi]  und  Aeöviiov  und  vermutlich  auch  nicht  von 
'Jgrjri]  zu  trennen.  Diese  ausschließliche  Hervorhebung  der  erotischen 
Elegie,  die  Mimnermos  sogar  zum  Erfinder  der  Gattung  macht,  steht 
eigentlich  in  unüberbrückbarem  Gegensatz  zu  der  vom  Peripatos  accep- 
tirten  Lehre  von  dem  ursprünglichen  Trauercharakter  der  Elegie,  wie 
sie  Horaz  in  der  Ars  75  versibus  impariter  iunctis  querimonia  primum  ver- 
tritt, der  doch  Properz  mit  Mimnermos  vergleicht,  weil  beide  Erotiker 
sind.  Die  Brücke  schlug  gar  nicht  Mimnermos,  der  auch  für  die  Hellenisten 
mehr  Name  war,  sondern  Antimachos  mit  der  Avdr^,  die  zugleich  erotisch 
und  trauernd  war.  Daher  dann  die  flebiUs  elegia,  die  den  Römern  Dogma 
ist,  sowenig  sie  von  Antimachos  haben.  Daß  ihre,  oft  gar  nicht  klagenden 
Lieder  als  flebiks  gelten  müssen,  ist  nichts  als  die  "Wirkung  der  literar- 
historischen Construction. 

Hermes  LIII.  20 


306  F.  JACOBY 

mit  der  Kenntnis  des  großen  Namens  renommirt:  plus  in  amore 
valct  3Iininermi  versus  Honiero.  Er  mag  sich  wirklich  einmal 
für  den  römischen  Mimnermos  gehalten  und  diese  Bezeichnung  als 
Gompliment  empfunden  haben '),  Vielleicht  ist  er  auch  so  weit 
gegangen,  daß  er  mit  dem  Titel  dieses  Erstlingsbuches  an  Mijuveouov 
Navvdb  erinnern  wollte,  wenn  es  tatsächlich,  was  ich  immer  noch 
nicht  glauben  kann,  als  Properti  Cyntliia  erschien 2).  Dann  war 
das  aber  eine  persönliche  Sache,  eine  Jugendeselei.  Er  hat  sich 
schnell  eines  Besseren  besonnen.  Und  als  Horaz  ihm  boshaft  das 
optivum  cognomen  bewilligte,  da  nannte  er  selbst  sich  bereits 
Momanus  Callimachus  und  strebte  nach  dem  Ruhme,  in  der  Gesell- 
schaft der  großen  Hellenisten  genannt  zu  werden.  Er  wußte  es, 
daß  seine  Elegie,  mochte  an  der  Spitze  der  Reihe  Mimnermos  stehen, 
daß  Gallus,  dessen  Nachfolger  er  sich  nannte  (II  34),  und  Tibull, 
mit  dem  er  concurrirte^),  aus  anderen  Quellen  getrunken,  an  anderen 
Vorbildern  sich  inspirirt  hatten;  disccdo  Älcaeus  puncto  Ulms; 
nie  meo  quis':^  quis  nisi  Callimachus?  si  plus  adposcere  visus, 
fit  Mimnermus  et  optivo  cognomine  crescit  —  das  hätte  er  vielleicht 
auch  damals  noch  als  Steigerung  empfunden,  eben  weil  der  klassische 


1)  Rh.  Mus.  LX  1905  S.  43,  3. 

2)  Wilamowitz,  Sapph.  u.  Sim.  301  f. 

3)  Die  Annahme,  daß  'Tibull  die  klassische  Elegie  studirt  hat',  wird 
so  richtig  und  so  falsch  sein  wie  die  gleiche  Annahme  für  Properz.  Daß 
er  ihr  aber  etwas  Besonderes,  seine  von  Properz  verschiedene  Weise  der 
Gedankenfübrung  verdanken  soll,  scheint  mir  eine  nichtige  Behauptung. 
Weder  ist  der  Vergleich  dieser  Weise  mit  der  Solonischen  gerechtfertigt 
—  man  wolle  denn  die  Ähnlichkeit  in  dem  großen  Umfang  suchen,  der 
doch  gewiß  nichts  für  Solon  Charakteristisches  war,  sowenig  wie  die 
andern  Ortes  zu  besprechende  Gedankenführung  der  großen  Elegie  in 
allen  seinen  Gedichten  die  gleiche  war  —  noch  ist  der  erste  attische 
Dichter,  der  sich  mühsam  die  Technik  erwerben  mußte  und  den  die 
Römer  nicht  lasen,  ein  geeigneter  Vertreter  der  klassisch-ionischen  Elegie, 
noch  kann  man  endlich  behaupten,  daß  Properzens  Weise  keine  Ana- 
logien in  der  klassischen  Poesie  gehabt  hätte.  Die  ionischen  Elegiker 
haben  sicherlich  nicht  alle  den  gleichen  Stil  gehabt;  es  wird  Unter- 
schiede gegeben  haben,  nicht  geringer  als  die  zwischen  Tibull  und 
Properz.  Was  wir  von  Mimnermos'  persönlichen  Gedichten  haben,  sieht 
Properz  viel  ähnlicher  als  Tibull,  wenn  man  überhaupt  vergleichen  darf. 
Tibull  aber  ist  gerade  in  der  Composition  der  Einzelelegie  wie  in  der 
des  Buches,  in  dem  seine  Gedichte  ihre  Selbständigkeit  nicht  verlieren, 
so  hellenistisch  wie  möglich,  hellenistischer  als  Properz,  wenn  das  möglich 
ist;  vgh  Rh.  Mus.  LXV  1910  S.73if. 


zu  DEN  ÄLTEREN  GRIECH.  ELEGIKERN  307 

Name  in  der  allgemeinen  Schätzung  dieser  Epoche  mehr  galt  als 
der  hellenistische.  Aber  daß  er  jemals  dem  Mimnermos  ein  Studium 
gewidmet  hätte,  wie  Horaz  dem  Alkaios,  und  daß  dieses  Verhältnis 
eine  Analogie  böte,  das  ist  nicht  erweislich  und  nicht  glaublich. 
Darum  kann  man  auch  von  seinem  Werke  aus  keinen  Rückschluß 
auf  das  des  Mimnermos  machen,  ohne  sich  der  Gefahr  allerschwerster 
Irrtümer  auszusetzen.  Auch  das  Gesamtwerk  des  Mimnermos  mag 
'ein  Lebensbild'  geboten  haben;  das  tut  schließlich  jede  Sammlung 
von  Gedichten,  die  nicht  rein  episch  oder  mimetisch  sind.  Aber 
ob  dieses  Lebensbild  so  beschaffen  war,  wie  das  aus  den  Dichtungen 
eines  Archilochos,  Alkaios,  Anakreon,  Catull,  Horaz,  Properz  zu  ge- 
winnende, ob  es  wirklich  ein  Bild  seines  äußeren,  nicht  nur  oder 
doch  vorzugsweise  ein  solches  seines  geistigen  Lebens  war,  aus 
dem  man  nur  vereinzelt  und  indirekt  die  äußeren  Verhältnisse  er- 
schließen kann,  das  ist  und  bleibt  für  uns  zweifelhaft.  Daß  dieses 
Lebensbild  des  Mimnermos  aber  gar  in  erotischen  Elegien  sich 
aufbaute,  das  möchte  ich  fast  nicht  einmal  zweifelhaft  nennen. 

Kiel  -  Kitzeberg,  z.  Zt.  Itzehoe.  F.  JAGOBY. 


20=* 


DIE  PARTEISTELLUNG  DES  THEMISTOKLES. 

Jeder,  der  sich  wissenschaftlich  mit  der  Geschichte  des  V.Jahr- 
hunderts beschäftigt,  wird  das  Erscheinen  von  Belochs  Griechischer 
Geschichte  II  2  (1916)  freudig  begrüßt  haben.  Das  Buch  bringt 
wieder  eine  Fülle  von  neuen  Gedanken  und  fördernden  Erkenntnissen. 
Andrerseits  fordert  es  freilich  auch  manchmal  zu  Widerspruch  heraus. 
Besonderes  Interesse  wird  wohl  die  überraschende  neue  Auffassung 
des  Themistokles  erregen,  die  Beloch  vorträgt.  Er  sucht  zu  be- 
weisen, daß  Themistokles  kein  radikaler  Demokrat,  sondern  im 
Gegenteil  ein  Führer  der  attischen  Aristokraten  gewesen  ist.  Bei 
der  großen  Wichtigkeit  des  Gegenstandes  hielt  ich  es  für  angebracht, 
hier  eine  Prüfung  von  Belochs  Theorie  vorzulegen.  Um  Raum  zu 
sparen,  sind  im  folgenden  die  bekannten  Belegstellen  in  der  Regel 
nicht  wieder  angeführt;  wer  sie  sucht,  wird  sie  ohne  Mühe  bei 
Beloch  selbst,  dann  auch  bei  Ed.  Meyer  und  Busolt  finden. 

Zunächst  sei  kurz  wiedergegeben,  wie  sich  Beloch  (a.  a.  0. 
S.  130)  den  Gang  der  attischen  Parteipolitik  von  der  Vertreibung 
der  Peisistratiden  bis  zum  Zuge  des  Xerxes  denkt.  Es  gab  in 
Athen  um  500  drei  Parteien,  zunächst  die  Tyrannenfreunde,  sodann 
die  vom  Alkmeonidenhause  geführten  Demokraten;  endlich  eine 
dritte  Partei,  die  sich  aus  der  „großen  Menge  der  übrigen  Adels- 
familien"  —  neben  den  Alkmeoniden  —  zusammensetzte;  dies 
war  die  Partei  des  Isagoras.  Die  letztere  Partei  sind  die  sogenannten 
yvo'jQifxoi.  Nach  der  Vertreibung  der  Peisistratiden  und  der  Nieder- 
lage des  Isagoras  haben  zunächst  die  Alkmeoniden  die  Leitung  im 
Staate,  bis  der  Mißerfolg  des  ionischen  Aufstandes  zu  ihrem  Sturz 
führt.  Nun  kommen  die  Tyrannenfreunde  ans  Ruder,  was  in  der 
Wahl  des  Hipparchos,  Sohn  des  Gharmos,  zum  Archon  für  496/5 
seinen  Ausdruck  findet.  Nach  einigen  Jahren  werden  sie  aber  von 
den  yvwQijuoi  abgelöst,  deren  Führer  Themistokles  493/2  Archon 
ist.  Die  Leitung  dieser  Partei  muß  Themistokles  freilich  bald  dem 
Miltiades    überlassen,    der   gerade    im    J.  493/2   in    Athen    eintrifft. 


PARTEISTKLLUNG  DES  THEMISTOKLES  309 

Beide  Männer  arbeiten  indessen  zusammen,  und  auch  Aristeides  ge- 
hört dieser  Richtung  an.  Die  yvojQijuoi  bleiben  am  Ruder  bis  zu 
dem  Mifaerfolg  des  Miltiades  vor  Faros.  Dann  werden  sie  wieder 
von  den  Alkmeoniden  verdrängt,  die  im  J.  4887  eine  Verfassungs- 
reform „im  ultrademokratischen  Sinne"  durchführen,  die  in  der 
Einführung  des  Loses  für  die  Archontenwahl  und  des  Ostrakismos 
besteht.  Aber  schon  im  folgenden  Jahre  werden  die  Alkmeoniden 
wieder  gestürzt,  wohl  infolge  der  Niederlagen  gegen  Aegina.  Sie 
müssen  von  neuem  den  yvcbgi^ioi  unter  Themistokles  und  Aristeides 
Platz  machen.  Die  Eintracht  zwischen  diesen  beiden  Häuptern 
der  jetzt  herrschenden  Partei  bleibt  aber  nicht  lange  erhalten.  Es 
kommt  zwischen  ihnen  um  das  Flottengesetz  zum  Gonflict,  in  dem 
Themistokles  siegt.  Er  bleibt  allein  der  maßgebende  Staatsmann, 
bis  dann  der  drohende  Xerxeszug  zur  Versöhnung  der  Parteien  und 
damit  zur  Rückkehr  des  Xanthippos  und  Aristeides  führt.  W^ährend 
des  großen  Perserkrieges  stehen  die  Häupter  der  verschiedenen 
Parteien  einträchtig  nebeneinander. 

Dies  ist  die  Auffassung  Belochs.  Zunächst  ist  die  Scheidung 
der  drei  Parteien,  von  der  er  ausgeht,  ohne  Zweifel  richtig.  Aber 
wir  müssen  ihre  Zusammensetzung  und  Tendenz  etwas  schärfer  be- 
stimmen. Über  die  Freunde  der  Tyrannis  besteht  ja  keinerlei 
Unklarheit;  es  bleiben  die  Demokraten  und  die  yvo)Qii.ioi.  Auf  den 
ersten  Blick  könnte  es  scheinen,  als  fände  man  schon  in  den  Gedichten 
Solons  die  gleichen  beiden  Parteien  wie  fast  2  Jahrhunderte  später 
in  der  'A&rp'aicov  Tiolneia  des  Archidamischen  Krieges,  nämlich 
den  „Demos"  und  die  „Reichen".  Aber  der  Demos,  mit  dem 
Solon  zu  tun  hatte,  war  ein  anderer  als  der  des  Kleon.  Der 
, Demos"  des  Peloponnesischen  Krieges,  als  politische  Partei,  ist 
die  Gemeinschaft  der  Besitzlosen,  die  —  weil  sie  die  Majorität  der 
Bürgerschaft  ausmachen  — wünschen,  daß  der  Staat  in  ihrem  Interesse 
regiert  wird.  Ihnen  steht  gegenüber  die  Minorität  der  Besitzenden, 
aber  der  Besitzenden  im  weitesten  Sinne,  einschließlich  des  Mittel- 
standes, der  Handwerker  und  kleinen  Bauern.  Diese,  die  önXa 
nagexojuevoi,  wehren  sich  dagegen,  daß  der  Staat  und  sie  selbst 
von  den  Massen  ausgebeutet  werden.  Bei  Solon  indessen  sind  die 
Gegner  des  „Demos"  die  „Reichen"  und  „Mächtigen"  im  engeren 
Sinne.  Zwar  einen  Geburtsadel  als  politisch-sociale  Partei  gibt  es 
in  dem  Athen  des  Solon  —  wie  vor  allem  W^ilamowitz  mit  Recht 
betont  hat  (Staat  und  Gesellschaft  der  Griechen  S.  70)  —  nicht  mehr. 


310  A.  ROSENBERG 

Aber  der  Adel  assimilirt  sich  fortgesetzt  die  reichen  Bürgerlichen, 
Großkaufleute  und  größere  Gutsbesitzer,  die  seine  Lebensideale  und 
gesellschaftlichen  Formen  annehmen.  Diese  Oberschicht  hat  die 
Regierung  in  der  Hand;  was  ihr  als  „Demos''  gegenübersteht,  sind 
nicht  nur  die  Besitzlosen,  sondern  auch  der  ganze  Mittelstand.  Am 
besten  kann  man  den  Unterschied  mit  den  solonischen  Klassennamen 
ausdrücken.  Im  G.Jahrhundert  stehen  die  injzeTg  gegen  die  Zeugiten 
und  Theten;  seit  Perikles  dagegen  die  ItuieXq  und  Zeugiten  zu- 
sammen gegen  die  Theten.  Zu  der  großen  Veränderung  des  Be- 
griffs der  Demokratie,  wie  sie  in  Athen  um  460  eintritt,  bietet  das 
heutige  Rußland  einen  hübschen  Vergleich.  Dort  annektiren  die 
Socialisten  die  Bezeichnung  „Demokraten"  für  sich  und  sprechen 
von  einer  „demokratischen"  Gonferenz,  wenn  die  Vertreter  der 
socialistischen  Parteien,  mit  Ausschluß  des  Bürgertums,  zusammen- 
treten. Auf  der  anderen  Seite  nehmen  aber  auch  die  Bürgerlichen, 
die   „Kadetten",  den  Demokraten-Namen  für  sich  in  Anspruch. 

In  Athen  hatten  auch  nach  Solon  die  „Pieichen"  und  „Mäch- 
tigen" die  Regierung  im  Staat  behalten,  was  zwar  aus  den  Gedichten 
Solons  selbst  hervorgeht,  aber  den  Theorien  der  Späteren  wider- 
spricht; denn  die  „Reichen"  stellen  nach  wie  vor  den  Präsidenten 
der  Republik,  den  Oberbefehlshaber  des  Heeres  und  die  Mitglieder 
des  Staatsgerichtshofs.  Der  „Demos"  dagegen  hatte  im  wesentlichen 
nur  das  Wahlrecht  in  der  Volksversammlung,  und  das  bedeutete 
praktisch  kaum  etwas,  da  die  Wahlen  ja  doch  immer  auf  einen 
der  reichen  Herren  fallen  mußten.  Irgendeine  Möglichkeit,  die 
Exekutive  zu  beeinflussen ,  hatte  die  Masse  der  Bürger  nicht.  Die 
Unzufriedenheit  des  Demos  mit  der  solonischen  Ordnung  hat  ja 
ohne  Zweifel  der  Tyrannis  den  Weg  gebahnt.  Erst  nach  dem 
Sturz  der  Peisistratiden  schränkt  Kleisthenes  die  Macht  der  „Reichen" 
auf  Kosten  des  Mittelstandes  ein,  indem  jetzt  der  Rat  der  500, 
der  Repräsentant  des  gesamten  besitzenden  Bürgertums,  dem  Präsi- 
denten der  Republik  controUirend  zur  Seite  steht.  Die  Partei  der 
„Reichen"  unter  Isagoras  hatte  vergeblich  diese  Reform  zu  hindern 
gesucht.  Nach  Belochs  Meinung  hat  diese  Partei  der  yvwQijuoi 
sich  nach  ihrem  Mißerfolg  auf  den  Boden  der  kleisthenischen  Ver- 
fassung gestellt;  sie  suchte  aber  weitere  demokratische  Reformen 
zu  verhindern.  Nun  ist  es  zwar  sehr  wahrscheinhch ,  daß  die 
Reichen  und  Adligen  in  Athen  einer  weiteren  Demokratisirung  des 
Staates  wenig  sympathisch  gegenübergestanden  haben.    Es  fehlt  uns 


PARTEISTELLUNÜ  DES  THEMISTOKLES  311 

aber  jeder  Beweis  dafür,  daß  eine  derartige  geschlossene  Reaktions- 
partei in  Athen  nach  Isagoras  überhaupt  bestanden  hat.  Es  ist 
uns  aus  der  Zeit  von  500  —  460  keine  einzige  Situation  bekannt, 
in  der  eine  Partei  der  Reichen  die  Interessen  der  bürgerhchen, 
im  Rat  der  500  verkörperten  Demokratie  bekämpft  hätte.  Wir 
müssen  vielmehr  aus  dem  uns  zu  Gebote  stehenden  Material 
schließen,  dafs  der  Adel  sich  nach  der  Niederlage  des  Isagoras  von 
der  Unmöglichkeit  überzeugte,  weiter  eine  Klassenpolitik  zu  treiben, 
Belochs  Partei  der  yvwQijuoi  schwebt  also  für  die  Periode  500—460 
völlig  in  der  Luft.  Es  müßte  uns  erst  bewiesen  werden,  daß  diese 
Partei  überhaupt  existirt  hat,  und  zwar  nicht  aus  den  Angaben, 
die  spätere  Autoren,  denen  die  Parteiverhältnisse  der  Perserkriege 
völlig  unklar  waren,  über  die  politische  Stellung  einzelner  Persönlich- 
keiten machen,  sondern  aus  irgendeinem  tatsächlichen  Fall  heraus. 
Mit  den  angeblichen  yvcüQijuoi  fällt  aber  auch  die  Zugehörigkeit 
des  Themistokles  zu  dieser  Partei. 

Aber  wenn  wir  selbst  annehmen  wollten,  die  Partei  der  yvo')- 
QifÄOi  habe  in  jener  Zeit  existirt,  so  läßt  sich  doch  die  Zugehörig- 
keit des  Themistokles  zu  ihr  nicht  erweisen.  Wenn  wir  uns  noch 
einmal  die  Lage  in  Athen  um  500  vergegenwärtigen,  so  kann  kein 
Zweifel  bestehen ,  daß  nach  dem  Sturz  der  Tyrannen  zunächst  die 
Alkmeoniden  als  Führer  der  bürgerlichen  Demokratie  die  Leitung 
des  Staates  hatten.  Ebenso  herrscht  Einmütigkeit  darüber,  daß 
die  Stellung  der  Alkmeoniden  durch  den  Mißerfolg  des  ionischen 
Aufstandes  erschüttert  wurde,  und  daß  die  Wahl  des  Hipparchos, 
Sohn  des  Gharmos,  zum  Archon  für  496/5  ein  neues  Hochkommen 
der  Peisistratiden  -  Partei  bedeutet.  493/2  jedoch  finden  wir  als 
Archon  Themistokles.  Wie  ist  dies  zu  erklären?  Beloch  schließt 
so  (S.  134):  Zu  den  Tyrannenfreunden  hat  Themistokles  sicher 
nicht  gehört;  da  die  Alkmeoniden  später  seine  Feinde  sind,  habe 
er  ihrer  Partei  auch  nicht  angehört;  folglich  müsse  Themistokles 
der  Partei  der  yvcoQijuoi  angehört  haben.  Daß  dieser  Schluß  nicht 
zwingend  ist,  wird  wohl  jeder  Leser  zugeben.  Themistokles  kann 
ein  persönlicher  Feind  der  Alkmeoniden  gewesen  sein  und  doch 
sachlich  ebenso  wie  sie  auf  dem  Boden  der  Demokratie  gestanden 
haben.  Beloch  selbst  (S.  141)  nimmt  keinen  Anstoß  daran,  daß 
sich  in  den  achtziger  Jahren  Themistokles  und  Aristeides  erbittert 
bekämpften,  obwohl  sie  beide  der  gleichen  Partei  —  nach  ihm  den 
yvcoQif^oi   —  angehörten.     Zur  Stütze  seiner  kühnen  Theorie  führt 


312  A.  ROSENBERG 

Beloch  noch  an,  es  lasse  sich  aus  der  ganzen  poh tischen  Laufbahn 
des  Themistokles  keine  einzige  Maßregel  im  Sinne  der  , fortschritt- 
lichen Demokratie"  anführen.  Darin  hat  Beloch  recht,  wenn  mit 
, fortschrittlicher  Demokratie"  die  Demokratie  der  Besitzlosen  im 
Sinne  des  Ephialtes  und  Perikles  gemeint  ist.  Durchaus  zutreffend 
betont  Beloch  gegenüber  der  herrschenden  Ansicht,  daß  das  Flotten- 
gesetz des  Themistokles  an  sich  kein  radikal  demokratischer  Schritt 
gewesen  ist ;  denn  es  gab  der  Masse  der  armen  Bürger  nur  eine  neue 
schwere  Last,  aber  keine  weiteren  Bechte.  Erst  eine  spätere  Generation 
hat  aus  dem  Flottendienst  der  Armen  den  Schluß  auf  die  Gleich- 
berechtigung aller  Bürger  gezogen.  Aber  solche  radikal-demokratische 
Tendenzen  sind  vor  460  in  Athen  nicht  nachzuweisen.  Wir  haben 
keinen  Anhalt  dafür,  daß  irgendeiner  der  Staatsmänner  der  Perser- 
Icriege  schon  politische  Überzeugungen  im  Sinne  des  Perikles  gehabt 
hat;  also  auch  nicht  Themistokles.  Soweit  werden  wir  mit  Beloch 
gehen  müssen,  aber  nicht  darüber  hinaus. 

Wenn  man  unbefangen,  nur  auf  Grund  der  feststehenden  Tat- 
sachen, die  innere  Geschichte  Athens  in  der  Zeit  der  Perserkriege 
betrachtet,  so  findet  man  nur  zwei  wirkliche  Parteien :  auf  der  einen 
Seite  die  Anhänger  der  Tyrannis  und  auf  der  anderen  die  Bepubh- 
kaner,  die  auf  dem  Boden  der  Verfassung  des  Kleisthenes  stehen,  die 
Vertreter  der  bürgerlichen  Demokratie.  Wenn  nun  in  den  Jahren 
493—489  die  Alkmeoniden  von  der  Leitung  des  Staates  verschwinden, 
aber  doch  die  Demokratie  sich  kräftig  behauptet,  so  ist  daraus  nur 
ein  Schluß  möglich :  die  Bürgerschaft  hatte  das  Vertrauen  zu  den 
Alkmeoniden  verloren,  sie  war  auch  einen  Augenblick  an  der 
Republik  irre  geworden,  wie  die  Wahl  des  Hipparchos  zeigte.  Aber 
dann  bekannte  sie  sich  wieder  zu  den  Grundsätzen  des  Kleisthenes, 
jedoch  unter  neuen  Führern ,  welche  die  Stelle  der  Alkmeoniden 
einnahmen,  nämlich  Themistokles,   Miltiades  und  Aristeides. 

Von  Miltiades  behauptet  Beloch  ebenfalls,  daß  er  ein  Führer 
der  yvdiQijiioi  gewesen  ist:  ,er  nahm  dieselbe  Stellung  ein,  die 
später  sein  Sohn  Kimon  eingenommen  hat"  (S.  136).  Aber  diese 
Auffassung  des  Kimon  ist  abzulehnen.  Kimon  ist  viele  Jahre  hindurch 
von  der  attischen  Bürgerschaft  zu  ihrem  Strategen  gewählt  worden, 
er  hat  notwendigerweise  die  ganze  Zeit  hindurch  mit  der  ßovXrj 
zusammen  gearbeitet.  Soll  man  annehmen ,  daß  die  Bürgerschaft 
zu  ihrem  Vertrauensmann  eine  Persönlichkeit  machte,  die  often 
einer  antidemokratischen  Partei  angehörte?    Damit  verträgt  es  sich 


PARTEISTELLUNG  DES  THEMISTOKLES  313 

sehr  wohl ,  daß  Kimon  die  Bestrebungon  eines  Ephialles ,  den 
Staat  den  besitzlosen  Massen  in  dic^  Hand  zu  spielen,  entschieden 
bekämpfte.  Er  war  eben  der  Vertreter  der  bürgerlichen  Demokratie 
im  Sinne  des  Kloisthenes.  Das  gleiche  gilt  aber  auch  von  Miltiades, 
der  auf  dem  Schlachtfeld  von  Marathon  die  Schöpfung  des  Kleisthenes 
verteidigt  hat.  Auch  hier  fehlt  jeder  Beweis,  ja  sogar  jede  Wahr- 
scheinlichkeit, daß  Miltiades  ein  Gegner  der  kleisthenischen  Demokratie 
gewesen  ist. 

Wir  finden  indessen  in  den  achtziger  Jahren  die  demo- 
kratische Partei  in  zwei  Richtungen  gespalten ,  von  denen  die 
eine  —  unter  Themlstokles  —  die  Großmachts-  und  Flotten- 
politik vertritt,  während  die  andere  —  unter  Aristeides  —  diesen 
Weg  nicht  mitgehen  will.  Mit  Beloch  die  eben  charakterisirte 
Spaltung  in  die  yvcogi/ioi  hineinzutragen ,  fehlt  jede  Veranlassung. 

Es  bleibt  nun  aber  die  recht  schwierige  Frage  nach  den  Partei- 
verhältnissen von  489 — 484.  Es  seien  zunächst  die  ganz  sicheren 
Tatsachen  hervorgehoben :  wir  beobachten  einen  scharfen  Kampf 
der  demokratischen  Republikaner  gegen  die  Peisistratidenpartei  und 
die  Tyrannengefahr  überhaupt;  Hipparchos,  der  Sohn  des  Gharmos, 
wird  durch  den  Ostrakismos  aus  Athen  entfernt.  Zweitens  sehen 
wir  ein  neues  Aufkommen  der  Alkmeoniden,  repräsentirt  durch  die 
erfolgreiche  Anklage  des  Xanthippos  gegen  Miltiades,  und  ein  paar 
Jahre  darauf  einen  neuen  Sturz  dieser  Familie  (Ostrakismen  des 
Megakles  und  Xanthippos).  Nach  der  Tradition  bei  Aristoteles  zählt 
Megakles  in  diesen  Jahren  zu  den  Tyrannenfreunden  {'Äß.  jx.  22); 
eine  Auffassung,  die  noch  um  430  in  Athen  so  lebendig  war,  daß 
Herodot  ihr  in  der  bekannten  Verteidigung  der  Alkmeoniden  (VI 
121  ff.)  entgegentreten  muß.  Wenn  man  hier  —  mit  Ed.  Meyer  — 
der  Tradition  folgt,  wird  der  politische  Zusammenhang  ganz  einfach. 
Die  Alkmeoniden  hatten  etwa  seit  493  die  Führung  der  Demokratie 
eingebüßt.  Um  wieder  zur  Macht  zu  gelangen,  trugen  sie  kein 
Bedenken,  sich  der  anderen  Partei,  den  Tyrannenfreunden  zu  nähern. 
Aber  die  Republikaner  behaupten  sich,  und  Megakles  und  Xanthippos 
werden  nach  Hipparchos  ins  Exil  geschickt.  Beloch  verwirft  indessen 
diese  Gombination.  Er  nennt  die  angebliche  Tyrannenfreundlichkeit 
der  damahgen  Alkmeoniden  eine  politische  Verleumdung  (S.  139), 
Ein  direkter  Beweis,  daß  Beloch  unrecht  hat,  läßt  sich  in  diesem 
Falle  nicht  beibringen.  Wer  an  die  Verbindung  der  Alkmeoniden 
und    Peisistratiden    nicht    glauben    will ,    mag   annehmen ,    daß    die 


314  A.  ROSENBERG 

Alkmeoniden  in  diesen  Jahren,  gestützt  auf  ihren  großen  Anhang, 
eine  rein  persönliche  Intriguen  -  Pohtilc  zu  treiben  suchten ,  aber 
dabei  scheiterten.  Dagegen  bleibt  es  wieder  eine  völlig  unerweis- 
liche Annahme  Belochs,  daß  die  Alkmeoniden  —  also  in  erster 
Linie  Megakles  —  das  Gesetz  über  die  Erlösung  der  Archonten 
488/7  veranlaßt  haben.  Beloch  schreibt,  daß  in  dem  genannten 
Jahr  eine  „ ultrademokratische "  Verfassungsreform  erfolgt  sei  durch 
die  Einführung  des  Loses  für  die  Archontenwahl  und  des  Ostrakismos 
(S.  139).  Auf  die  Frage  nach  der  Geschichte  des  Ostrakismos 
möchte  ich  hier  nicht  näher  eingehen,  so  viel  ist  aber  klar,  daß  der 
Zweck  des  Ostrakismos  ursprünglich  nur  gewesen  sein  kann,  einen 
für  den  Bestand  der  Verfassung  gefährlichen  Mann  aus  dem  Staat 
zu  entfernen.  Es  liegt  also  eine  Schutzmaßregel  der  Republik 
vor;  sie  ist  aber  an  sich  nicht  „ ultrademokratisch ",  weil  sie  in 
keiner  Hinsicht  der  breiten  Masse  mehr  Nutzen  bringt  als  dem 
besitzenden  Bürgertum. 

In  der  Beseitigung  der  Archontenwahl  hat  man  bisher  freilich 
durchweg  einen  „  ultrademokratischen "  Schritt  gesehen.  Auch 
Ed.  Meyer  z.  B.  betonte  (Gesch.  d.  Altertums  III  342),  daß  die  Reform 
„jedes  verfassungsmäßig  zur  Leitung  der  Regierung  berufene  Amt 
beseitigt"  habe.  „Nur  das  Volk  selbst  bleibt  übrig,  um  in  den 
ordnungsmäßigen  Formen  der  Volksversammlung  seinen  Willen 
kundzugeben".')  Aber  es  bleibt  doch  zu  erwägen,  ob  wirklich 
die  Reform  von  488/7  gleich  von  Anfang  an  die  Macht  der  Volks- 
versammlung, d.  h.  der  breiten  Masse,  gestärkt  hat.  VVir  wissen 
zwar  so  gut  wie  nichts  Sicheres  über  die  Gompetenzen  des  Archon 
vor  488/7.  Aber  so  viel  ist  doch  klar,  daß  er  —  als  Präsident 
der  Republik  —  ein  aasführendes  und  kein  gesetzgebendes,  be- 
schließendes Organ  gewesen  sein  muß.  Die  rein  beschließende 
Volksversammlung  gewinnt  also  durch  eine  Veränderung  der  Exekutive 
zunächst  nichts.  Vielleicht  läßt  sich  aber  doch,  wenigstens  mit 
einer  gewissen  Wahrscheinlichkeit,  ermitteln,  wer  damals  vor  allem 
der  Erbe  des  Archon  geworden  ist. 

Aristoteles  berichtet  ('A'd:  ti.  44)  von  dem  merkwürdigen  Ein- 
tags  -  Präsidenten  der  attischen  Demokratie,  dem  eTiiGxdxy^q  der 
Prytanen  (vgl.  dazu  Schoemann-Lipsius  I  402.     Wilamowitz,    Staat 

1)  A.a.O.  344  sagt  Ed.  Meyer:  „Wenn  durch,  die  Verfassungsänderung 
Ernst  gemacht  wird  mit  dem  Gedanken,  daß  in  Athen  tatsächlich  wie 
rechtlich  niemand  anders  regieren  soll  als  das  Volk  selbst . . .". 


PARTEISTELLUXG  DES  THEMISTOKLES  315 

u.  Ges.  101.  Szanto  Real-Encykl.  VI  200).  Der  Mann  führt  während 
seines  Tages  u.  a.  das  Staatssiegel  und  die  Schlüssel  zur  Staatskasse. 
Nun  ist  es  doch  sicher,  daß  der  Archon,  solange  er  noch  der  wirkliche 
Präsident  der  Republik,  der  Repräsentant  des  attischen  Staats  nach 
außen  und  innen  gewesen  ist,  auch  das  Staatssiegel  selbst  geführt 
hat.  Diese  Funktion  hat  er  also  488  7  an  den  Vorsteher  der 
Prytanen  abgegeben.  Damit  gewinnen  wir  wenigstens  einen  Weg- 
weiser für  Weiteres.  Die  permanenten  Prytanen  haben  später  vor 
allem  die  laufenden  Alltagsgeschäfte  des  Staats  zu  erledigen.  Auch 
dies  ist  eine  Aufgabe  des  Präsidenten  der  Republik,  solange  es 
einen  solchen  gibt.  Ferner  hat  die  ßovh)  in  späterer  Zeit  merk- 
würdige Exekutivrechte,  die  sonst  antiken  Ratsversammlungen  nicht 
zukommen:  ihr  untersteht  die  Polizeitruppe,  und  sie  kann  Verhaftungen 
anordnen  (vgl.  Wilamowitz  a.  a.  0.).  Auch  das  sind  sonst  Gompetenzen 
eines  regierenden  Magistrats.  Wenn  auch  im  einzelnen  bei  dem 
Versagen  der  direkten  Überlieferung  sich  wenig  Sicheres  sagen  läßt, 
so  viel  ist  doch  klar,  daß  durch  die  Reform  von  488/7  die  Exekutiv- 
gewalt des  Archon  in  w^eitem  Umfang  auf  Fiat  und  Prytanen  über- 
gegangen sein  muß. 

Kleisthenes  hatte  von  Anfang  an  dafür  gesorgt,  daß  sein  Rat 
der  500  nicht  vom  guten  Willen  des  Präsidenten  der  Republik  ab- 
hängig war,  indem  nun  neben  den  Archon  der  ständige  Rats- 
ausschuß der  Prytanen  trat.  Wie  sich  in  der  Praxis  vor  488/7  das 
Verhältnis  des  Archon  zu  den  Prytanen  gestaltete,  ob  diese  nur  zu 
controlliren  oder  auch  schon  mitzuregieren  hatten,  wissen  wir  nicht. 
Aber  Reibungen  und  Gegensätze  zwischen  beiden  Faktoren  dürften 
nicht  gefehlt  haben.  Die  Reform  von  488/7  stellte  nun  den  Archon 
kalt  und  ließ  die  Prytanen  allein  am  Ruder.  Es  ist  nur  eine 
Hypothese,  aber  sie  verdient  wohl  ausgesprochen  zu  werden,  daß 
der  £71101(1x7]?  der  Prytanen  erst  damals  geschaffen  worden  ist, 
der  Eintags- Präsident  als  Ersatz  für  den  Jahres-Präsidenten.  Im 
V.  Jahrhundert  beruft  der  ETnordr)]?  Rat  und  Volksversammlung. 
Wenn  unsere  Hypothese  zutrifft,  würde  daraus  folgen,  daß  ursprüng- 
lich der  Archon  dieses  Recht  gehabt  hat.  Dann  hätten  also  weder 
Rat  noch  Volksversammlung  in  Wirksamkeit  treten  können,  wenn 
der  Präsident  es  nicht  gewollt  hätte,  und  der  Archon  würde  vor  48  3/ 7 
eine  ähnliche  Amtsgewalt  besessen  haben  wie  der  römische  Consul. 

Seit  der  perikleischen  Zeit  setzen  sich  Rat  und  Volksver- 
sammlung aus  denselben  socialen  Schichten  zusammen,  so  daß  ein 


316     A.  ROSENBERG,  PARTEISTELLUNG  DES  THEMISTOKLES 

Gegensatz  zwischen  ihnen  im  allgemeinen  nicht  zutage  tritt.  In 
der  Zeit  der  Perserkriege  dagegen,  als  die  Ratsdiäten  noch  nicht 
existirten,  war  die  ßovXr]  ein  Ausschuß  des  besitzenden  Bürgertums. 
Eine  Reform  also,  die  der  ßovh)  die  Regierung  des  Staats  in  die 
Hand  gab  oder  doch  geben  wollte,  war  488/7  nicht  „ultrademo- 
kratisch",  sondern  sie  stärkte  die  bürgerhche  Demokratie  im  Sinne 
des  Kleisthenes.  Daneben  sicherte  sie  die  Republik  davor,  daß  irgend- 
ein kühner  Mann  die  Amtsgewalt  des  Archon  ausnutzte,  um  zur 
Tyrannis  aufzusteigen.  Die  Einführung  der  Archontenlosung  ergänzt 
also  die  Anwendung  des  Ostrakismos.  Auf  welchen  attischen  Staats- 
mann speciell  diese  Reform  zurückging,  wissen  wir  nicht.  Belochs 
Theorie,  daß  die  Alkmeoniden  die  Urheber  der  Archontenlosung 
waren,  ist  zumindest  völlig  unbeweisbar. 

Abschließend  sei  noch  einmal  betont,  daß  von  ultrademokratischen 
Tendenzen  im  Athen  der  Perserkriege  nichts  zu  beobachten  ist. 
Von  keinem  der  damaligen  Staatsmänner  läßt  sich  mit  triftigen 
Gründen  behaupten,  daß  er  eine  Herrschaft  der  besitzlosen  Masse 
anstrebte.  Mit  vollem  Recht  hat  Beloch  eine  derartige  Auslegung 
des  themistokleischen  Flottengesetzes  abgelehnt.  Aber  von  der  Be- 
schränkung der  Archontengewalt  und  vom  Ostrakismos  gilt  das 
gleiche. 

Berlin.  ARTHUR  ROSENBERG. 


zu  XENOPHONS   KYNlirETlKOl. 

Ein  Fragment. 

[Als  mein  Bruder  Gustav  merkte,  daß  die  Zunahme  seiner  Krankheit 
ihm  die  weitere  praktische  Ausübung  der  geliebten  Jagd  allmählich 
verbiete,  beschloß  er,  dem  von  ihm  begeistert  gepflegten  Jagdsport  mit 
der  Feder  zu  dienen.  Er  plante  eine  Schrift  „Die  Jagd  im  Altertum" 
und  legte  für  sie  im  letzten  Jahre  seines  Lebens  eine  umfassende  Material- 
sammlung aus  Schriftstellern  und  Denkmälern  an.  Eine  Skizze  des  ge- 
planten Werks  legte  er  in  seinem  letzten  Vortrag  seinem  Göttinger 
wissenschaftlichen  Kränzchen  vor.  Leider  hat  er  für  diesen  sehr  beifällig 
aufgenommenen  Vortrag  nur  die  Stichworte  zu  Papier  gebracht,  und 
dies  Gerippe  eignet  sich  nicht  zur  Drucklegung.  Ausgearbeitet  fanden 
sich  in  seinem  Nachlaß  nur  nachfolgende  weidmännische  Bemerkungen 
zu  Xenophons  Schrift  über  die  Jagd.  Auch  ihnen  fehlt  offenbar  der 
Abschluß,  aber  sie  enthalten  so  viele  für  die  Beurteilung  des  umstrittenen 
Buchs  wertvolle  Beobachtungen,  die  schwerlich  ein  anderer  Altertums- 
forscher zu  geben  vermöchte,  daß  die  Hinterbliebenen  glauben,  sie  den 
Fachgenossen  nicht  vorenthalten  zu  sollen.  Sollte  ein  Forscher  den 
Wunsch  haben,  die  von  meinem  Bruder  begomiene  Arbeit  über  die  Jagd 
im  Altertum  aufzunehmen,  so  wird  seine  Witwe  ihm  gern  das  gesammelte 
Material  anvei  trauen. 

Leipzig.  ALFRED  KÖRTE.] 

Als  älteste  und  wichtigste  Quelle  unserer  Kenntnis  des  Jagd- 
wesens bei  den  Griechen  gilt  der  unter  Xenophons  Namen  gehende 
Traktat  von  der  .Jagd  (Kvv)]yeTiy.6g).  Das  ganze  Altertum  hin- 
durch ohne  Widerspruch  für  ein  echtes  Werk  Xenophons  ge- 
halten, ist  er  neuerdings,  namentlich  durch  die  vortreffliche  Unter- 
suchung von  Radermacher  (Rh.  Mus.  LI  1896  S.  596  —  629  und 
LH  1897  S.  13—41)  einwandfrei  als  untergeschoben  erwiesen 
worden.  Denn  , überall  liefäen  sich  deutliche  Unterschiede  gegen- 
über der  Sprache  und  dem  Stile  Xenophons  nachweisen"  (a.  a. 
0.  LI  S.  622).  Nach  Radermachers  Darlegung  kann  die  Schrift 
nicht  vor  der  ersten  Hälfte  des  IV.  Jhs.  vor  Chr.  verfaßt  sein,  das 
Prooemion  nicht  vor  dem  III.  Wenn  diese  Ansetzung  im  allgemeinen 
richtig  ist,  so  bleibt  der  Wert  der  Schrift  als  der  ältesten  theo- 
retischen Abhandlung  über  die  Jagd  bei  den  Griechen  allerdings 
bestehen. 


318  G.  KÖRTE 

Eine  andere  Frage  aber  ist,  ob  sie  in  der  Tat  in  der  Absicht 
geschrieben  worden  ist  ^),  ein  praktisches  Handbuch  der  Jagdausübung 
zu  geben-)  (wie  es  Xenophons  Schrift  :rteQl  inmy.fjg  auf  einem 
andern  Gebiete  des  Sports  wirkhch  ist)  und  ob  ihr  Verfasser  als 
Fachmann,  als  „echter  Weidmann"  gelten  kann,  wie  Radermacher 
(a.  a.  0.  LI  S.  627)  als  ausgemacht  hinstellt.  Eine  eingehende  sach- 
liche Prüfung  vom  Standpunkte  des  praktischen  Jägers  aus  läßt 
das  bezweifeln. 

Zunächst  kann  die  Schrift  auch  nicht  entfernt  als  eine  er- 
schöpfende Darstellung  des  Stoffes  angesehen  werden.  Denn  sie 
behandelt  zum  weitaus  größten  Teile  nur  die  Jagd  auf  den  Hasen, 
dessen  körperliche  Eigenschaften  und  Gewohnheiten ;  in  einem 
Kapitel  (IX)  ist  sodann  die  Rotwild-,  im  folgenden  (X)  die  Schwarz- 
wildjagd behandelt,  endlich  ganz  kurz  die  Jagd  auf  reißende  Tiere, 
welche  auf  fremde  Länder  außerhalb  Griechenlands  beschränkt  ist 
(Kap.  XI).  Sehr  breit  handelt  der  Verfasser  in  den  beiden  Schluß- 
kapiteln (XII.  XIII)  von  dem  Nutzen  der  Jagd  für  Jugenderziehung 
und  Staat. 

Die  Disposition  des  Ganzen  muß  als  recht  mangelhaft  be- 
zeichnet worden ,  Zusammengehöriges  ist  auseinandergerissen  ,  die 
Darstellung  im  einzelnen  ist  alles  andere  als  klar  und  präcise.  So 
beginnt  die  Auseinandersetzung  über  das,  was  zur  Jagd  gehört,  ganz 
unvermittelt  mit  dem  Netz  wart  {aQy.vcoQÖg)  und  dessen  notwen- 
digen Eigenschaften  (II  3).  Dann  folgt  eine  sehr  ausführliche  Be- 
schreibung der  verschiedenen  Netze.  Erst  viel  später  wird  über 
die  Ausrüstung  des  Netzwartes  und  die  Aufstellung  der  Netze 
gehandelt  (VI  5  ff.).  Eingeschoben  ist  eine  ganz  allgemein  gehaltene 
Besprechung  der  Hunderassen  (III),  ohne  Angabe,  ob  es  sich  um 
die  speciell  für  die  Hasenjagd  gebrauchten  oder  um  Jagdhunde 
überhaupt  handelt  (jenes  scheint  gemeint,  denn  bei  der  Schilderung 
der  Jagd  auf  Rot-  und  Schwarzwild  werden  die  hierzu  erforderlichen 
Hunderassen  wieder  nur  summarisch  erwähnt).  Daran  schließt  sich 
die  Schilderung  des  Spürens  der  Hunde,  der  hierbei  zu  vermeidenden 

1)  Der  Verf.  tut  so:  c.  II  2  oaa  ök  xal  ola  dsT  ^aosay.Evaausvov 
eX^sTv   E7i'    avTO   cpodaco   y.al   aviä    xal  trjv  EJiiotrjiirjv  Exdozov ,  i'va  nooEidcbg 

EyXElofj    TW    EQyO). 

2)  Kaibel  in  d.  Z.  XXV  1890  S.  582  f.  Jn  Wirklichkeit  aber  ist  der 
Kynegetikos  weit  entfernt  davon ,  ein  Handbuch  für  Jäger ,  oder  nur 
dies  zu  sein.     Er  ist  in  erster  Linie  eine  Lobrede  auf  die  Jagd." 


zu  XKNOPHONS  KYNIIFETIKOl^  319 

fflileiliaften  und  der  erforderlichen  Eigenschaften  sowie  des  Körper- 
baus (IV).  Wiederum  getrennt  hiervon  wird  das  Gerät  zur  Füh- 
rung der  Hunde  beschrieben  (VI),  an  andrer  Stelle  das  Wölfen 
und  die  Aufzucht  der  Hunde  (VII  1)  und  deren  Benutzung  zur 
Hasenjagd. 

Zwischendurch  ist  von  der  Ausrüstung  des  Jägers  und  seiner 
Tätigkeit  bei  der  Jagd ,  im  wesentlichen  der  Führung  der  Hunde 
(daher  der  Name  xvvf]yeT'i]g,  d.  i.  Hundeführer)  gehandelt.  Wiederum 
für  sich  steht  die  Anweisung  zur  Jagd  bei  Schnee  in  Kap.  VIII,  am 
Schluß  des  ersten  und  Hauptteils  der  Schrift,  was  allerdings  in- 
sofern gerechtfertigt  erscheinen  mag,  als  sie  ohne  Hunde  vor  sich 
gehen  soll. 

Diese  das  Zusammengehörige  auseinanderreißende  Gliederung 
des  Stoffes  trägt  sicherlich  nicht  zur  Klarheit  der  Darstellung  im 
ganzen  bei  und  erschwert  deren  Anwendung  in  der  Praxis.  Aber 
dieser  Fehler  kann  auf  die  geringe  schriftstellerische  Übung  und 
Begabung  des  Verfassers  zurückgeführt  werden.  Anders  steht  es 
mit  der  Unvollständigkeit  der  Darstellung,  dem  Fehlen  von  Angaben, 
die  man  in  einem  Handbuch  der  Jagd  zu  suchen  berechtigt  ist, 
endlich  einer  ganzen  Reihe  von  solchen,  welche  so  offenbar  irrig 
sind,  daß  man  sie  einem  praktischen  Jäger  unmöglich  zutrauen 
kann.  In  erster  Hinsicht  (Unvollständigkeit)  fällt  auf,  daß  von  der 
Jagd  zu  Pferde  (ohne  Netze  und  Schlingen),  welche  Plato  Leg.  VII 
824  A  allein  billigt,  überhaupt  nicht  die  Rede  ist.  Der  Einwand,  Ver- 
fasser sei  eben  kein  vornehmer  Mann  (Radermacher  a.  a.  0.  LI  S.  627), 
ist  nicht  stichhaltig,  denn  was  er  als  Voraussetzung  für  den  Jagd- 
betrieb hinstellt:  die  Haltung  einer  Anzalil  von  Hunden  (diese 
ist  durchgehends  vorausgesetzt,  namentlich  VI  12),  eines  eigenen 
Sklaven  als  Netzwart,  der  verschiedenen  Arten  von  Netzen,  setzt 
doch,  selbst  wenn  nur  die  Hasenjagd  in  Betracht  gezogen  wird, 
einen  nicht  unbeträchthchen  Aufwand  voraus,  zu  welchem  nur 
Reichere  imstande  waren.  Und  ferner:  von  der  Niederjagd  sollte 
wenigstens  die  auf  den  Fuchs  nicht  ganz  mit  Stillschweigen  über- 
gangen sein.  Das  Tier  selbst  wird  aber  nur  an  zwei  Stellen  bei- 
läufig erwähnt  (VI  3  und  V  4) ,  aus  denen  hervorgeht ,  daß  es 
nicht  selten  gewesen  sein  kann.  Auch  erscheint  der  Fuchs  auf 
Monumenten  neben  dem  Hasen  als  Jagdbeute  ^),  und  ein  Vasenbild 

1)  z.  B.  Berlin.  Vas.  2053.  Brit.  Mus.  Cat.  of  gr.  and  etr.  vases 
II  B  52  (Walters)  und  ebenda  421. 


320  G.  KÖRTE 

des  V.  Jhs.^)  lehrt  uns,  daß  sein  Fang  mittels  Fallen  (Schwanen- 
hals) schon  damals  geübt  wurde. 

Die  äußerst  summarische  Behandlung  der  Hunderassen  ist  schon 
erwähnt  worden.  Von  einem  Handbuch  für  Jäger  dürfte  man  gerade 
über  diesen  wichtigen  Punkt,  über  Rasseeigenschaften  und  Verwend- 
barkeit der  einzelnen ,  genauere  Angaben  erwarten.  Auch  über 
Aufzucht  und  Abrichtung  der  Hunde  erfahren  wir  nur  sehr  wenig, 
und  doch  kann  die  letztere  nicht  ganz  gefehlt  haben.  Wenn  (VII  9) 
empfohlen  wird,  junge  Hunde,  welche  (ausnahmsweise)  einen  Hasen 
gefangen  haben,  diesen  zerreißen  zu  lassen,  so  ist  kaum  zu  glauben, 
daß  dieser  Rat  von  einem  praktischen  Jäger  ausgeht,  denn  so 
würden  die  Hunde  ja  zum  Anschneiden  geradezu  erzogen,  während 
sie  doch  der  Regel  nach  den  Hasen  nicht  fangen,  sondern  in  die 
Netze  jagen  sollen. 

Als  einziges  Ausrüstungsstück  des  Jägers  wird  eine  Keule, 
QOJialov,  genannt  (VI  11),  offenbar  identisch  mit  dem  sonst  als  layco- 
ßoXov  bezeichneten  und  häufig  abgebildeten  Gerät,  einem  kurzen, 
nach  oben  keulenartig  verdickten  und  meist  etwas  gekrümmten 
Knüppel,  der  zum  Schlagen  und ,  wie  der  Name  sagt,  zum  Wurfe 
diente.  Über  seine  Anwendung  wird  nichts  gesagt,  namenthch 
nichts  über  den  Gebrauch  als  Wurfholz.  Nur  einmal  heißt  es 
(VI  17),  der  Jäger  solle  das  oonaXov  y.ard.  rov  laydo  erheben,  aber 
nicht  dem  flüchtigen  Hasen  entgegentreten,  weil  dies  zwecklos  sei. 
Und  doch  muß  in  der  Praxis  das  Lagobolon  zur  Erlegung  des  kurz 
vor  dem  Jäger  aufstehenden  oder  ihm  flüchtig  nahekommenden 
Hasen  häufig  gedient  haben ,  wozu  es  wohl  geeignet  war.  Der 
Netzwart  muß  mit  einem  ähnlichen  Instrument  ausgerüstet  gedacht 
werden,  denn  ihm  fällt  es  zu^  den  ins  Netz  geratenen  Hasen  zu 
töten^).     Es   wird    aber    bei  der   Ausrüstung  des    Netzwarts  (VI  5) 


1)  Panofka,  Gab.  Poux-tales  pl.  29.  danach  Schreiber,  Bilderatlas 
Taf.  80,  3. 

2)  VI  18  scheint  mir  die  Lesart  der  Handschrift:  ziuiaäico  naXg.  .^ais 
drj,  :iute  dfj,  mit  einer  Lücke  davor,  die  vom  Sinne  geforderte.  Denn 
Dörners  Lesmig  avTO)  aaTg  ,, hierher,  Bursch"  und  dann  jiaT  8)j,  .-zaT  ö/j 
,Bm\sch  höh,  Bursch  höh"  stimmt  nicht  zum  Zusammenhang.  Im 
Augenblick,  da  der  Hase,  nach  dem  Ort,  wo  er  aufgestoßen  worden,  sich 
zurückwendend,  den  Netzen  nahe  kommt,  ruft  der  Jäger  dem  Netzwart  zu, 
(aufzupassen  und)  zuzuschlagen.  Daß  er  ihn  zu  sich  heranrufen  soll,  ist 
sinnlos,  da  der  Netzwart  eben  an  den  Netzen  aufpassen  und  im  gegebenen 
Moment  einzugreifen  hat,  während  der  Jäger  die  Hunde  dirigirt. 


zu  XENOPHONS  KYNHrETIKOS  321 

nicht  erwähnt.  Wie  hier  eine  der  Natur  der  Sache  nach  geforderte, 
für  die  Jagdausübung  nicht  unwichtige  Anweisung  fehlt,  so  wird 
wiederum  bei  der  Schilderung  der  Jagd  auf  Rotwild  (IX  20)  die 
Angabe  vermißt,  auf  welche  Weise  dies  im  Sommer  ohne  Schlinge 
eingeholt  und  erlegt  werden  könne:  offenbar  doch  nur  durch 
Hunde,  welche  das  oder  die  Stücke  „stellen".  Von  der  Anwendung 
von  Netzen,  die  doch  auch  für  die  Jagd  auf  Rotwild  bezeugt  ist  ^), 
erfahren  wir  nichts,  dagegen  finden  sie  wieder  ausführliche  Er- 
wähnung bei  der  Jagd  auf  Schwarzwild  (X). 

Auffallender  als  dieses  Fehlen  von  notwendigen  Angaben  und 
für  die  Beurteilung  der  ganzen  Schrift  wichtiger  sind  gewisse  Un- 
klarheiten der  Schilderung  sowie  Angaben ,  die  von  einem  prak- 
tischen Jäger  und  Zeitgenossen  des  Verfassers  unsrer  Schrift  nicht 
herrühren  können.  Gleich  der  Beginn  der  ausführlichen  Anwei- 
sung zur  Hasenjagd  läßt  es  unklar,  ob  es  sich  um  Feld-  oder 
Waldjagd  handelt.  Nur  die  Vorschrift ,  man  solle  zunächst  die 
Hunde  ,am  Walde"  anbinden^),  weist  auf  die  erstere,  wie  auch 
der  weitere  Verlauf  der  Jagd. 

Eine  große  Rolle  spielt  für  diese  das  Wort  Yivoq.  Es  wird 
in  zwei  Bedeutungen  angewendet.  Einmal  (V  1  und  wiederum 
VI  4  in  dem  abgeleiteten  Tätigkeitsworte  l'yvevoig)  bedeutet  es  die 
der  Fährte  des  Hasen  anhaftende  Witterung,  an  anderen  Stellen 
(häufiger)  die  Spur  oder  Fährte  selbst.  Eine  Anzahl  von  Vor- 
schriften nun  läßt  sich  nur  so  verstehen,  daß  der  Verfasser  meine, 
diese  Fährte  des  Hasen  sei  dem  Jäger  durch  das  Auge  wahrnehmbar. 
So  V  6,  wo  es  heißt  „im  Winter,  Sommer  und  Herbst  sind  die 
Spuren  in  der  Regel  gerade,  im  Frühhng  dagegen  verschlungen", 
weil  in  diesen  vorzugsweise  die  Rammelzeit  des  Hasen  falle  und 
ihn  zum  Umherschweifen  veranlasse.  Oder  VI  20 :  „Falls  sie  (die 
Hunde)  aber  nicht  auf  der  Spur  sind,  sondern  sie  überschießen,  so 
rufe  er  sie  an:  Nicht  weiter,  meine  Hunde!  Und  falls  sie  (21)  neben  ^) 
der  Spur  stehen,  so  führe  er  sie  in  vielen  und  dichten  Kreisen 
herum.  Wo  ihnen  die  Spur  undeutlich  ist,  da  mache  er  sich  ein 
Zeichen  für  sich  selbst,  und  von  diesem  aus  halte  er  sie  zusammen, 


1)  Pollux   V  77   Sixrvoig    fih    ei   rig   oyfisvaag   (mit    Treibern)   avzäg 
avveXäoEiEv. 

2)  VIll    EX  ri]g  vlrjg.     Dömer  übersetzt    falsch:    „außerhalb    des 
Gehölzes",  was  vielmehr  exrog  r.  v.  heifBen  müßte. 

3)  So  Dömer;  jtqootcöoi  roTg  l'xvsoi  eigentlich  vor  der  Spur, 
Hermes  LIII.  21 


322  G-  KÖRTE 

bis  sie  (die  Spur)  deutlich  erkennen."  Aber  noch  mehr  wird  dem 
Jäger  zugetraut.  Der  Verfasser  unterscheidet  (V  9)  zwischen  La- 
ger- und  Wechsel -Hasen  {evvaiog  und  ögofinTog).  Dörner  über- 
setzt so  und  meint,  es  werde  im  modernen  Sinne  zwischen  Stand- 
und  Wechselwild  unterschieden.  Im  Sinne  des  Verfassers  unsrer 
Schrift  richtig,  wie  V17  beweist:  ^Die  allerorten  herumschweifenden 
1  Wechselhasen]  aber  sind  schwer  im  Laufe  zu  fangen  {^(^alejTol 
TiQog  Tovc  ÖQOjiwvgY ;  sachlich  gewiß  nicht  zutreffend,  denn  der 
Begriff  von  Stand-  und  Wechselwild  ist  auf  den  Hasen  nicht  an- 
wendbar: Wechselhasen  in  diesem  Sinne  hat  es  im  Altertum  und 
auf  griechischem  Boden  sowenig  gegeben  wie  heutzutage.  Der 
Verfasser  scheint  eine  zu  seiner  Zeit  verbreitete  Meinung  wieder- 
zugeben, und  aus  deren  Irrigkeit  ist  kein  Schluß  auf  seine  Uner- 
fahrenheit  in  der  Jagdausübung  zu  ziehen. 

Aber,  wenn  (VI  14)  gesagt  wird:  „sobald  aber  der  Hund 
(nämlich  der  zuerst  losgelassene,  im  Spüren  sicherste)  die  gerade 
Spur  unter  den  verschlungenen  angefallen  hat,  löse  er  (der  Jäger) 
einen  zweiten",  wenn  aber  die  Spur  weiter  geht^),  in  kurzen 
Zwischenräumen  auch  die  übrigen  nacheinander,  so  muß  der  Leser 
annehmen,  der  Jäger  sei  imstande,  aus  eigener  Wahrnehmung 
die  gerade  Spur  unter  den  verschlungenen  zu  erkennen  und  das  Ver- 
halten der  Hunde  danach  zu  beurteilen  oder  zu  corrigiren.  Noch 
deutlicher  geht  dies  aus  VII  6  hervor:  „Man  soll  die  jungen  Hunde 
auf  die  Lagerspuren  nicht  lösen,  sondern  sie  am  langen  Kiemen 
halten  und  den  spürenden  Hunden  folgen  lassen"  und  VII  9:  „Auf 
den  Laufspuren  dagegen  lasse  man  sie  fortsuchen,  bis  sie  den 
Hasen  fangen."  Woran,  so  fragt  man,  soll  der  Jäger  erkennen, 
ob  es  sich  im  Einzelfalle  um  Lager-  oder  Laufspuren  (nämlich 
die  des  angeblichen  Wechselhasen)  handelt,  wenn  ihm  selbst  die 
Spur  nicht  wahrnehmbar  ist?  Der  Hase  hinterläßt  aber,  außer  bei 
Schnee,  keine  erkennbare  Fährte,  es  sei  denn  etwa  auf  einer  betauten 
Wiese  oder  einem  glatt  gewalzten  Ackerstück.  Diese  Anweisungen 
können  demnach  von  einem  praktischen  Jäger  nicht  herrühren. 
Vollends  aber  gilt  dies  von  der  Anweisung  zur  Jagd  bei  Schnee 
(Kap.  VIII),  Sie  soll  ohne  Hunde  mit  einem  Begleiter  und  mit 
Benutzung  der  Stellnetze  betrieben  werden.  Hat  man  eine  nach 
vielfachen  Absprüngen  bzw.  Wiedergängen  des  Hasen  gerade,  ohne 

1)  Die  Worte  JisQaivofiivov  öh  tov  l'p'ov?  können  nicht  mit  Dörner 
übersetzt  werden  „wenn  er  die  Spnr  aufnimmt''. 


zu  XENOPIIONS  KYNIIFETIKOI  323 

abzweigende  andre  Spuren,  auf  einen  Punkt  (das  Lager)  fortführende 
Spur  ausgemacht,  so  gehe  man  nicht  gerade  hin/.u,  um  den  Hasen 
nicht  rege  zu  machen,  sondern  umkreise  ihn:  er  wird  ruhig  sitzen- 
bleiben. Dann  suche  man  weiter.  Schhefshch  kehre  man  zu  dem 
erst  gefundenen  zurück,  umstelle  ihn  mit  den  Netzen  und  mache 
ihn  dann  rege.  Sollte  er  sich  aus  den  Netzen  frei  machen,  so 
sehe  man,  wo  er  im  Schnee  sich  drückt  und  umstelle  ihn  aufs 
neue.  Drückt  er  sich  nicht,  so  verfolge  man  ihn;  denn  er  wird 
auch  ohne  die  Stellnetze  sich  fangen  lassen :  er  ermattet  nämlich 
bald  wegen  der  Tiefe  des  Schnees  und  weil  sich  ihm  unten  an 
den  behaarten  Läufen  eine  große  Masse  anhängt.  Bietet  schon 
die  ganze  Anweisung  Unwahrscheinliches ,  so ,  daß  der  einzelne 
vom  Jäger  festgestellte  Hase  ruhig  sitzenbleiben  solP),  bis  er  mit 
Netzen  umstellt  ist,  so  ist  der  Schlußpassus,  daß  der  Hase  im  tiefen 
Schnee  schnell  ermatte  und  von  zwei  Männern  gefangen  werden 
könne,  ganz  ungeheuerlich.  Gerade  bei  Schnee  ist  der  Hase,  der 
die  Hälfte  der  Hinterläufe  aufsetzt  und  dadurch  den  Vorteil  hat  wie 
ein  Mensch  auf  Schneeschuhen,  nicht  nur  dem  verfolgenden  Jäger, 
sondern  auch  den  Hunden  beträchtlich  an  Schnelligkeit  überlegen. 
Denselben  Vorteil  hat  er  bei  der  Flucht  über  Sturzacker. 


Göttingen.  GUSTAV  KÖRTE  t. 


1)  [Hier  möchte  ich  den  Verfasser  des  xmnp/Exixög  auf  Grund  von 
Jagderzählungen  meines  Vaters  verteidigen,  mein  Bruder  hat  das  xvxXo) 
ExnsQuivm  nicht  genügend  bewertet.  Mein  Vater  erzählte  oft,  daß  in 
seiner  Studentenzeit  ein  alter  Förster  auf  dem  Gut  seines  Schwagers, 
wenn  er  den  Gästen  seines  Herrn  einen  „sichern"  Hasen  verschaffen  wollte, 
in  früher  Morgenstunde  das  Lager  eines  Hasen  umkreiste ,  worauf  der 
Hase  stmidenlang  sein  Lager  nicht  verließ.    A.  Körte.] 


2V- 


PY0MO:S 

Um  hinter  den  Ursprung  eines  metaphorischen  Ausdrucks  zu 
kommen,  vollends  eines  früh  in  die  Conventionelle  Sprache  wissen- 
schaftlicher Terminologie  übergegangnen ,  soll  man  nicht  mit  Hi- 
storikern und  Philosophen  wie  Herodotos  und  Demokritos  beginnen. 
Überhaupt  gilt  es  erst  einmal  alles  zu  vergessen ,  was  wir  heute 
mit  einem  Wort  wie  Rhythmus  ^)  verbinden.  Wohl  uns ,  daß  der 
Zufall  uns  für  Qv&juog  (gvo/xög)  einen  Beleg  aus  Archilochos  be- 
schert hat.  In  dem  Tetrameterfragment  der  Selbstparaenese  (fr.  66), 
OvfiE,  &vjii^  a/jn-jy^dvoioi  xijdsöiv  xvxcojiieve  lauten  die  Schlußworte: 
(als  Sieger  nicht  prahlen,  als  Besiegter  nicht  jammern!) 
äXkd  laQxoioiv  re  x^^Q^  ^^'^  >iOL>iOioiv  äny^dla 
jui]  Xh]V  yiyvcooy.E  d'  olog  ov&juög  ävßowTiovg  e^ei- 
Wer  hier  bei  ovüjuog  an  einen  Charakter  der  Menschenseele  denkt, 
hat  sich  nicht  die  Mühe  genommen,  auch  nur  die  vorhergehende 
Zeile  anzusehn.  Gemeint  ist,  auch  von  niemand  bisher  mißver- 
standen: 'das  Menschenleben  steht  unter  dem  Zeichen  eines  steten 
Wechsels  von  Glück  und  Unglück,  von  Schmerz  und  Freude',  ein 
Gedanke,  der  allen  Dichtern  vertraut,  von  ihnen  mit  allen  möglichen 
Bildern  illustrirt  wird,  am  liebsten  wohl  mit  der  Vorstellung 
wechselnder  Winde  (Find.  Olymp.  VII  95,  Pyth.  III  104,  Isthm.  IV  5; 
'Schicksal  des  Menschen,  wie  gleichst  du  dem  Wind',  Goethe),  aber 
auch  von  Wellenbewegung  ('auf  der  steigenden,  fallenden  Welle 
des  Glücks',  Schiller).  Wenn  nun  heute  die  Etymologen  einig  sind 
in  der  grammatisch  allein  glaublichen  Ableitung  von  qeco  —  ohne 
sich  übrigens  die  Schwierigkeiten  des  Bedeutungsübergangs  zu  ver- 
hehlen — ,  w^ie  soll  man  sich  die  Situation  des  Mannes  vorstellen, 
dem  zuerst  bei  einem  Fließen  der  Gedanke  gerade  an  Wechsel  von 
Glück  und  Unglück  gekommen  wäre,  oder  umgekehrt?  Der  in  der 
Formel  jiävza  qeX  in  die  geflügelten  Worte  übergegangene  Satz 
des  Herakleitos  bezeichnet  einen  ebenso  unmerklich  als  rasch  sich 
vollziehenden  Wandel  der  Gegensätze,  wie  Feuer  und  Wasser,  und 

1)  Eug.  Petersen,  Rhytlimus.  Abh  d.  Gott.  Ges.  cl.  Wiss.  N.  F.  XVI  5. 


PYeMü:>:  325 

deutet  damit  mehr  pliilosophiscli  als  bildhaft  anschaulich  aul'  ihre 
höhere  Einheit.  So  fehlt  denn  auch  bei  ihm  das  Wort  Qvo/iög 
vielleicht  nicht  zufällig:  geTr  rd  liXa  TioTUfiov  dixi]v  lautet  seine 
Lehre  (nach  Diog.  Laert.,  Diels  Vorsokr.  P  69,  5). 

'Daß  der  ov^jnog  von  den  Griechen  dem  Meere  abgelauscht 
ward,  steht  mir  fest',  urteilte  Georg  Gurtius,  Lübecker  Kind 
(Grdz.  d.  gr.  Etym.  ^  S.  353).  Aber  für  die  Wellenbewegung  des 
Meeres  ist  ge7v  nicht  der  übliche  Ausdruck,  wenn  man  absieht  von 
Bildungen  wie  äjuquQvrog,  JiEQiQQvrog,  und  der  sehr  gewählten  Um- 
schreibung für  das  Meer,  äXiQQvrov  äXoog  bei  Aischylos  (Hiket.  868); 
y.ax'  ' Qxeavbv  Tioxajudv  cpege  xv/xa  qvoio  sagt  die  Odyssee  am 
Schluß  der  Nekyia  (X  699),  und  in  Dareios'  Rede  (Aisch.  Pers.  745) 
gedachte  Xerxes  den  heiligen  Hellespontos  o^rjoeiv  geovra  Boono- 
Qov  §6ov  deov.  Okeanos  und  Bosporos  sind  dem  Griechen  eben 
Ströme.  Woher  also  das  Bild?  'Der  Main  bei  Frankfurt  wird  es 
keinen  lehren',  schreibt  mir  ein  Freund,  Svohl  aber  jeder  Bach  in 
einem  Taunustal;  immer  neues  Wasser,  immer  an  den  selben 
Steinen  des  Grundes  sich  hebend  und  dann  wieder  sich  senkend: 
wirklich  das  anmutigste  Bild  der  Dauer  im  Wechsel!'  In  der  Tat, 
das  anmutigste  Bild!  'Seele  des  Menschen,  wie  gleichst  du  dem 
Wasser,  Schicksal  des  Menschen,  wie  gleichst  du'  —  den  zum 
Auf-  und  Niedersteigen  zwingenden  Steinchen  des  Flußbetts!  Wen 
für  das  nach  Archilochos  den  Menschen  bald  erfreuende,  bald  nieder- 
drückende Schicksal  das  Bild  doch  zu  idyllisch  anmutete,  der  brauchte 
nur  für  den  Taunusbach  einen  Bergstrom  zu  setzen,  deren  es  ja 
in  Griechenland  und  Kleinasien  reichhch  gibt: 

Jünglingfrisch 

Tanzt  er  aus  der  Wolke 

Auf  die  Marmorfelsen  nieder, 

Jauchzet  wieder 

Nach  dem  Himmel. 

Dem  Griechen  würde  das  wohl  eher  ein  gva^  sein,  ein  Wassersturz, 

als  ein  Qvdjuog. 

Doch  sehen  wir  uns  weiter    um:    das  nächste  Beispiel   in  der 

uns  erhaltnen  griechischen  Dichtung  bietet  Anakreon  (74): 

eyco  de  luioeoo 
Jidvxag,  oooi  '/poviovg  ey^ovoi  gvß^juovg 
xal  yaXETiovg'  iJ,Efid&r]xd  o\  co  MEyiorrj, 

(so  Bergk,  überl.  juef^ad'tjxaatv  ws  M.) 
Tü)v  äßaxi^ojUEVCov. 


326  0.  SCHROEDER 

Hier  steht  das  Wort  wirklich  in  der  weiteren  Übertragung  auf 
menschhche  Charaktere.  Doch  verweilen  wir  einen  Augenblick  bei 
der  überaus  schwierigen  Interpretation  des  Fragments.  Was  ist 
dem  Dichter  ein  yßöviog  Qv&juög  xal  '/^aXenoq  im  Gegensatz  zu 
den  dßaxiCojuEvoi,  als  deren  einen  er  den  Megistes  zu  liebkosen 
scheint?  äßaxeco  kennt  schon  die  Odyssee;  Helene  gebraucht  es 
von  den  Troern,  die  den  Odysseus  im  Bettlerkleid  unbeachtet  lassen: 

ol  ^'  äßdxr]oav 
nävxeg,  eycb  de  juiv  oYrj  äveyvcov  roiov  eovra 

{6  249).     ejLi(jogdv'&t]oav  rjyvöfjoav  '^ov^aoai',  sagen    die   alten  Er- 
klärer.   Und  Sappho  hat  rißaxijg,  im  Gegensatz  zu  jiaXiyxorog,  (72) : 
dXM  rig  ovx  ejn/LU  naXiyxorog 
dgydv,  äXX'  äßdx}]v  räv  (pgev'  e'x(o  (Lesung  Bergks). 

Nimmt  man  dazu  Hesychios:  äßdxt]V  afpEkrj  dovverov  fjov^iov, 
ferner  äßaxYjg'  äßa^  äcpcovog  dovvExog,  dann  Suidas :  äßa^og' 
yovyog,  so  ergibt  sich  die  Ableitung  von  ßdt,co  ßeßaxrai,  und  es 
ist  nicht  einzusehn ,  was  dieser  Ableitung  irgend  im  Wege  stehn 
sollte.  Eine  neuere  Herleitung  von  ßdxrgov,  haculum,  ßaxöv 
Tieoov  hat  Bechtel  gebilligt  (Lexilog.),  Boisacq  (im  Dict.  Etym.) 
wohl  mit  Recht  abgelehnt.  Gleichviel !  Des  Megistes  kindlich  stilles 
Wesen  hat  es  dem  Anakreon  angetan,  während  er  allen  'verdrießlich 
schweren  Narren"  aus  dem  Wege  geht,  denn  das  wird  'z^&oviog  in 
Verbindung  mit  yalenog  hier  heißen,  yßovia'  vjioyeia  xexgvjujueva 
ßagea  (poßeqd  jueydXa  bietet  Hesych,  woraus  Bergk  (in  seiner 
Doktorarbeit  1834  S.  203)  occultos  entnommen  hat;  nicht  unbedingt 
einleuchtend,  da  xexQvjujueva  nichts  anders  wird  besagen  wollen 
als,  rein  räumhch,  vjioyeia  vjioy'&ovia.  Auch  auf  ßagsa  möchte 
ich  kein  Gewicht  legen:  neben  cpoßsQd  jjiEydXa  scheint  es,  wenn 
auch  shlecht  genug,  Ausdrücke  zu  interpretiren  wie  ßgovrij/uara 
ydovia  (Aisch.  Prom.  996).  Lehrreicher  ist  das  leider  bis  zur 
Unkenntlichkeit  verstümmelte  Anakreonfragment  (64) ,  yßoviov  (5' 
e/uavrdv  rjqa,  von  Härtung  sinnreich  verändert  in  yßoviov  (5' 
eIöov  övEiQov,  das  der  Scholiast  zu  Hes.  theog.  767  anführt,  um 
seine,  freihch  auch  falsche,  Interpretation  von  i^eov  y&oviov  zu  be- 
legen, (avTi)  Tov  orvy EQOv.  Genug,  man  wird  nicht  fehlgehn 
bei  den  hassenswerten  yßövioi  qv&juoI  xal  yahjioi,  wenn  man  an 
die  yafiYjXd  TivEovxEg  Pindars  denkt,  also  an  den  durch  Niedrigkeit 
der  Gesinnung  widerwärtigen  Charakter  von  Krittlern  und  Neidern, 


PVOMOI  327 

im  Gegensatz  zu  dem  unergründlich  liefen  Schweigen  kindliclicr 
Einfah  des  Jidig  nagderiov  ßXeJicor. 

Doch  dies  alles  nebenbei:  die  Bildhaftigkeit  der  Metapher  wird 
aus    diesen    ins  Geistige    übergegangnen    Verwendungen    nicht    an- 
schaulich.   Das  selbe  gilt  von  dem  dritten  Beleg,  bei  Theognis  (964): 
fUjTzOT^   tJiau'i]0)]g  tiqIv  äv  eidf/g  uvdga  oo(pi]veo)g 
oQytp'  Tial  QV&juo^'  xal  rQonov  övnv'  eyßi. 

Merkwürdig  ist,  wie  Herodotos  bei  der  Erzählung  von  den  Freiern 
der  Agarisle  (VI  128:  man  denkt  überhaupt  an  poetische  Vorlagen), 
in  deutlicher  Anlehnung  an  den  Theognisvers,  das  Wort  §v§ju6g 
vermeidet :  zur  Bezeichnung  einer  Gemütsart  mocht'  es  ihm  nicht 
mehr  ganz  mundgerecht  sein;  drum  setzt  er  dafür,  in  Erinnerung 
vielleicht  an  ^vdjut^eiv  (ox^juariCeiv  diaivjiovv  Schol.  Soph.  Ant.  318), 
'Wohlerzogenheit^:  Tfjg  ögyfjg  xal  jzaiösvoiog  je  xal  rgönov. 

Mein-  Licht  in  die  Metaphorik  des  Wortes  bringt  ein  Aischylos- 
fragment,  nach  Pollux  aus  den   0a?i.ajuo7ioioi  (78  N. ^): 
älX'  {eT)  6  juev  iig  Aeoßiov  (parvcof.iaxi 
xvju'  ev  xQiymvoig  exjtsQaiverco  Qvd-fxoTg. 

Wer  hierin  wegen  der  'Dreiwinkligkeit''  der  Qvüfioi  eine  Bestätigung 
findet  für  eine  auf  'Schriftzüge'  zurückgehnde  Bedeutung  (ovo/uog, 
iovojnog  [vgl.  übrigens  Demeterliymn.  230j  von  igvco  'ziehe"),  der 
hat  nicht  einmal  den  Vers  ganz  gelesen :  da  steht  ja  die  lang- 
ersehnte Welle!  Das  lesbische  xv/iia,  noch  heute  beliebt  in  den 
Hohlkehlen  unsrer  Bilderrahmen,  zeigt  im  Profil  wirklich  eine  dreimal 
geschwungne  Wellenlinie.  Aischylos  hat  also,  ein  echter  Dichter, 
das  Wellengewoge  in  Qv^/uög  noch  durchgefühlt. 

Und  nun  denkt  man  bei  dem  Auf  und  Ab  der  JVIenschen- 
schicksale  doch  wohl  lieber  an  jiöriov  xvjuaivovra  oder  xvjuara 
jiavToicov  dvsjucov  als  an  Taunusbach  oder  Bergstrom.  Doch 
nehmen  wir  den  Unterlauf  eines  Stroms ,  da  wo  er  zum  Meere 
wird,  wo  er  TiveujuaTog  ejUTieoovTog  xvjuariag  yiyverai  (nach  Herod. 
II  111,  Find.  Pyth.  IX  42  f.),  etwa  KavoxQiov  äfiq)l  geei^Qo.,  und 
warum  nicht  gerade  in  der  Heimat  des  Herakleitos?,  denken  uns 
dort  einen  lonier  —  und  ionisch  ist  das  Wort  (guß/xog,  gvojuog, 
Qvojuog)  schon  wegen  der  Endung  (Otto  Hoffmann,  Ion.  Dial.  599; 
bei  Wolfg.  Aly  p.  12—18  fehlt  es  unter  den  ionicae  voces  des 
Aischylos)  — ,  denken  ihn  uns  dort  dem  Spiel  der  Wellen  zuschauend, 
wie  der  Wind  oder  die  vom  Meere  kommende  Dünung  sie  empor- 


328  0-  SCHROEDER 

treibt,  xvord  (paXi]Qidovja,  oder  lassen  wir  ihn  lieber  noch  in  einem 
Segelboot  die  Weilen  durcheilen,  mit  ihnen  in  regelmäßigen  Ab- 
ständen steigend  und  fallend  und  das  Anschlagen  der  Wellen  an 
den  Bug  des  Nachens  vernehmend,  so  hätten  wir  den  Keim,  der 
im  alten  gv^/uog  noch  vereinigten  Begriffe  "^Gewoge'  und  'Taktschlag\ 
sichtbar  und  hörbar  zugleich ,  und  körperlich  fühlbar  obendrein : 
ich  meine,  das  wäre  griechisch  gedacht;  und  ungefähr  so  denk  ich 
wird  es  auch  Archilochos  gemeint  haben,  olog  gvo/uög  dvdQOjjiovg 
s'xsi-  Denkbar  wäre  freilich,  daß  auch  er  schon  wie  Herakleitos 
an  ein  immerwährendes  Ab-  und  Zuströmen  gedacht  hätte,  wo- 
durch unmerklich  Gegensätze  wie  Glück  und  Unglück  ineinander 
übergingen,  wenn  erega  xal  exega  ijiiggei  (Diels  P  80,13),  und 
die  Elemente  der  irdischen  Substanz  immerfort  y.al  Tigoosioi  xal 
uTiEioi  (Diels  P  96,  5).  Aber  dem  Dichter,  vollends  dem  vorhera- 
kleitischen  Dichter,  scheint  es  doch  besser  anzustehn,  wenn  er  das 
seelisch  fühlbar  Erlebte, 

Von  der  Freude  zu  Schmerzen 
Und  von  Schmerzen  zur  Freude 
Tieferschüttemden  Übergang, 

lieber  im  Bilde  des  Auf-  und  Abwogens  der  Wellen,  also  einer 
Peripetie,  als  eines  gleichmäßig  ab-  und  zuströmenden  W^assers  vor 
Augen  hat.  Erfreuhche  Bestätigung  ergibt  ein  Fragment  aus 
Menanders  Georgos 

x6  xrjg  Tvyrjg  ydg  gsvjua  (.lejamTuei  xayv. 
Wenn  schon  das  einzelne  gev/ua  /uexamTixov  ein  Bild  des  Glücks- 
wechsels darbietet,  so  doch  der  gv^juog  erst  recht,  wenn  er  eine 
Vielheit  von  gev/uaxa  vertritt.  Und  wie  steht  es  denn  mit  der 
Bedeutung  der  Wörter  auf  -dj^iog  {-ojuog)?  Niemals  bezeichnen  sie 
doch  einfach  einen  gleichmäßig  verlaufenden  Vorgang:  xvvC'>]^/ii6g 
ist  nicht  xvv^i^oig,  €?.x)]'&jn6g  nicht  eXxvoig,  jLivxi]d^f.i6g  nicht  /uvxr], 
ein  Gebrüll  ist  nicht  einfaches  Brüllen.  Dagegen  ließe  sich  gv&juög 
wohl  unschreiben  mit  goai  (bei  Homer  stets  im  Plural,  wie  gev/j.axa 
bei  Herodot),  xw^rj-dixog  mit  xvvCijjnaxa  (ebenfalls  bei  Homer  nur 
im  Plural),  xlav&fxog  mit  xXavfiaxa  (überall  nur  im  Plural). 
Wir  sehn,  wie  man  sich  behalf,  ehe  die  Endung  -&ju6g  durch- 
gedrungen war. 

Hiermit  ist  für  gv^juog  der  Begriff  eines  in  sich  gegliederten 
und  motivartig  sich  wiederholenden  Gebildes  ebenso  sicher  fest- 
gestellt als  der  Ursprung    der  Metapher   aus   der  Vorstellung  eines 


PYGMOI  329 

flüssigen  Elements.  Von  jenem  Wogengang  aber  zur  Gangart  des 
Pferdes  (ocpCojuevov  Qvß/nov  Aisch.  Choepli.  797),  und  dann  auch 
des  Menschen  (Scliol.  Heph.  83,  6  Gonsbr. ,  Anonym.  Amin-,  bei 
Studemund,  Anecd.  var.  I  229,  26)  ist  für  die  Phantasie  des  Griechen 
nur  ein  kleiner  Schritt. 

Ein  scheinbar  neues  Gesicht  zeigt  der  gir^fiog  yQafXfidrxov  des 
Herodotos  (V  58).  Hier  ist,  wie  längst  in  der  archaischen  Bildkunst, 
die  xm]oig  zum  ox^pa  geworden ,  das  Auf-  und  Abwogen  zu 
dauernd  im  Gedächtnis  haftender  und  fürs  Auge  festgehaltner  Ge- 
stalt. Das  ist  denn  auch  übergegangen  in  die  Terminologie  der 
atomistischen  Physiker,  unter  denen  Leukippos  ()vo/i6g  =  a/fj/ta 
auch  grade  von  Buchstabenformen  gebraucht  (Diels  IP  3).  Doch 
verdanken  wir  seinem  großen  Schüler  Demokritos  noch  ein  helles 
Licht  über  die  ursprüngliche  Metapher  in  ov&/tiög.  Wohl  verwendet 
er  jueTaQvojLiovv  schon  in  der  Bedeutung  jLieraox^j/Ltari^siv  /lera- 
fWQcpovv,  wenn  er  lehrt,  y  diöayjj  uETaQvojLioI  xov  äv&QWJiov, 
jueraQvofiovoa  de  cpvoiOTrom  (Diels  11  ^  71  f.),  dagegen  eniQvofdrj 
noch  im  Sinne  von  Zuströmen:  erefi  ovöev  1'of.ier  negl  ovöevog, 
äXX'  ejiiQVOjuhj  exdozoioiv  fj  öo^ig  (Diels  II  ^  59,  18),  was  er  an 
einer  andern  Stelle  (60,  12)  erläutert  durch  rä  enEiotovxa. 

Endlich  freut  es,  mit  einem  Distichon  des  Tragikers  Phrynichos 
schließen  zu  können,  des  von  Aristophanes  am  Schluß  der  Wespen 
als  oxelog  ovqdviov  }''  ExXaxril^mv  verspotteten,  während  es  von 
einem  andern  heißt,  ev  gvß'jLia)  yoiQ  ovöev  eoriv.  Phrynichos  {Tiegl 
eavrov  cprjoiv,  sagt  wenigstens  Plutarch  quaest.  symp.  VIll  9,  3) 
schreibt  da  seinen  Tanzfiguren  ebensoviel  oyr]ixax<x  zu,  als  den  von 
stürmischer  Winternacht  erregten  Wellen  des  Meeres  (PLG*  111  561): 

o^rif^nra  «5'   ogxt]otg  xooa  juoi  nogev,  ooo'   evl  jxovxo) 
xvjiiaxa  jioieTxai  yeijuaxi  vv$  oXorj. 

Charlottenburg.  OTTO  SCHROEDER. 


DIE  RHAPSODEN  UND  DIE  HOMERISCHEN  EPEN. 

Auf  die  Frage,  wie  die  berufsmäßigen  Deklamatoren  der 
homerischen  Epen  zu  ihrem  seilsamen  Namen  gaycoSoi  „  Nähsänger " 
gekommen  sind  und  was  derselbe  eigentlich  bedeutet,  ist  meines 
Wissens  eine  wirklich  einleuchtende  Antwort  bisher  nicht  gefunden 
worden.  Die  Ableitung  von  gaTireiv  a.oidrjv  ist  ja  ganz  augenfällig, 
und  so  wird  sie  denn  auch,  wie  in  den  Versen,  in  denen  angebhch 
Hesiod  selbst  von  seinen  und  Homers  Hymnen  auf  Apollo  in  Delos 
erzählte  ^),  so  von  Pindar  Nem.  2,  2  durch  die  Umschreibung  Qan- 
x(bv  ejiecov  aoiöoi  befolgt.  Aber  einen  vernünftigen  Sinn  damit  zu 
verbinden  war  nicht  leicht,  und  so  gibt  schon  Pindar  selbst  an  einer 
andern  Stelle,  Isthm.  4,  63  f. ,  die  Erklärung  „Stabsänger"  von 
odßdoq ,  dem  Stabe,  den  der  Deklamator  beim  Vortrag  statt  der 
Kithara  in  der  Hand  hält:  „Des  Aias  Ehre  hat  Homer  verbreitet 
bg  avrov  Txäoav  oo^ojoatg  ägsTav  xaxä  gdßdov  ecpQaoev  -äeoTis- 
oioiv  enecov,  loiTtoTg  ä'dvQsiv."  Dieselbe  Etymologie  hat  Kallimachos 
in  dem  in  den  Pindarscholien  ^)  citirten  Fragment  138  Schneider 
befolgt : 

xal  xov  tTil  Qaßdcp  /uvß^ov  vcpaivofxsvov 
fjvexeg  äeidco  deideyjuevog, 
ebenso  Menaichmos  von  Sikyon,  nur  daß  er  den  Stab  als  Verszeile 
deutet :  Mevaiyjiog  de  loToget  rovg  Qaii'coöovg  orixcpdovg  xaXeXo'&ai 
diä    x6  xovg   oxiyovg  odßSovg  Myeo'&ai   vjio    xiveov^).     Aber  mit 
Recht  hat  Philochoros  diese  Etymologie   verworfen    und    die  einzig 

1)  Schol.  Pind.  Nem.  2, 1  aus  Philochoros: 

iv  ArjXcp  TOTE  TiQWTov  kycb  Hai  "OfirjQO?  äotdol 
fieXüiofisv,  SV  vsagoTg  vfivoig  gdipavTsg  doidtjv, 
<PoTßov  'AjidkXoyva  xQvodoQov,  ov  tsxs  Arjxcb. 

2)  Daraus  Eustathios  zur  Ilias  p.  6. 

3)  Die  Ableitung  von  gdßdog  findet  sich  auch  schol.  Plat.  Ion  254,5: 
ixhjdtjoav  de  ovTcog,  sjiel  gdßdovg  xaTs/ovreg  dacpvivag  djr/t'jyyED.ov.  Femer 
schol.  Pind.  Lsthni.  4,  63:  tÖ  8e  xaTa  gdßSov  oi  fisv  dvri  tov  xaxd  Qatpq)8iav . , ., 
Ol  b'e  .  .  dvTi  TOV  xaTo.  oxi^ov. 


DIE  RHAPSODEN  UNI)  DIE  HOMERISCHEN  EPEN  331 

mögliche  wieder  aufgenommen:    <Pd6yoQog  de  änb  rov  ovvn&evai 
xal  fjuTireiv  rijv  cpörjv  oikoj  cpijolv  avrovg  xcQooxexXrjoß'ai. 

Aber  daß  man  das  „  Verseschmieden "  durch  §d7iT€iv  ausge- 
drückt habe,  oder  daß  dies  Wort,  wie  Bergk  (Gr.  Literaturgesch. 
I  490,  der  sich  auf  d6?iOv  oujtjsiv  und  contexcre  eanncn  beruft) 
meint,  „Sänger  gebundener  Rede"  bedeuten  solle,  ist  eine  unhalt- 
bare Verlegenheitsauskunft.  Auf  richtigerem  Wege  waren  die  von 
den  Schollen  nicht  mit  Namen  aufgeführten  Erklärer,  welche  bei 
QOLTixeiv  an  die  Verbindung  der  einzelnen  Teile  des  Epos  dachten :  ol 
de  (paoiv  Tfjg  'Ojut^qov  Tioiijoewg  /ut]  vfp'  ev  ovvrjyjuevrjg,  onogadriv 
de  äXXcog  xal  xaxä  /.leoog  di't]g'>]juevr]g,  andre  gaipcoSoTev  avrrjv, 
etg/uco  rivi  xal  gacpfj  Jiagajrh'joiov  Jioielv,  elg  ev  avxijv  äyovxeg. 
Dasselbe  besagt  die  anschließende  Erklärung  des  Dionysios  von 
Argos:  ursprünglich,  als  sie  ein  beliebig  ausgewähltes  Stück  der 
Dichtung  vortrugen,  hätten  diese  Leute  nach  dem  Siegespreis  dgvrpöoi 
geheißen,  avi}ig  de  exaxegng  xrjg  7tou)oecog  eioevey&eioijg  xohg  äyco- 
vioxdg,  olor  axovjuevovg  ngbg  äXh]?.a  rd  fiegt]  xal  r)]v  ovfiTiaoav 
jioh]Oiv  emovxag,  gaycodobg  Jigooayogei^&rjvai.  Also  sie  haben 
ihren  Namen  erhalten ,  weil  sie  die  einzelnen  Stücke  aneinander- 
nähen  und  so  die  Einheit  wiederherstellen. 

Auf  diese  Erklärung  führt  nun  auch  die  schon  erwähnte 
Äußerung  Pindars,  die  bei  scharfer  Interpretation  viel  mehr  besagt, 
als  was  man  gewöhnlich  in  ihr  sucht.  Timodemos  hat,  sagt  er, 
durch  seinen  Sieg  an  den  Nemeen  seine  Athletenlaufbahn  eben 
damit  begonnen ,  womit  auch  die  Homeriden,  die  Sänger  genähter 
Epen,  zumeist  anheben,  mit  dem  Prooemion  an  Zeus: 

0'&e7'  jreg  xal  "Ojui^gidai 

ganxcov  enecov  xd  nol'K  doidol 

ägyovxai,  Aibg  ex  TTgootjuiov. 
Pindar  erläutert  Homeriden  durch  Rhapsoden;  aber  auch  umgekehrt 
sagt  er,  daß  keineswegs  alle  doidoi  Homeriden  sind  —  denn  dann 
wäre  der  Zusatz  überflüssig  — ,  sondern  nur  „die  Sänger  genähter 
Epen".  Damit  wird  zugleich  die  Eigenart  der  von  den  Homeriden  vor- 
getragnen Poesie  im  Gegensatz  zu  andern  Dichtungen  charakterisirt. 
Wilamowitz  hat  sehr  mit  Recht  betont,  daß  ein  umfang- 
reiches Epos,  das  für  den  mündhchen  Vortrag  bestimmt  ist,  eine 
Gliederung  und  Ruhepunkte  erfordert ,  bei  denen  der  Vortragende 
abbrechen  kann,  um  an  einem  andern  Tage  oder  bei  anderm  Anlaß 
ebendort  einzusetzen,  daß  daher  auch  solche  bei  fortlaufender  Lektüre 


332  E.  MEYER 

unerträgliche  Härten  und  unvermittelte  Übergänge,  wie  sie  zwischen 
dem  Schluß  von  A  und  dem  Anfang  von  B  und  ähnlich  z.  B. 
zwischen  X  und  W  klaffen ,  keineswegs  eine  Verschiedenheit  der 
Dichter  oder  Interpolationen  erweisen,  sondern  bei  dem  Zweck,  dem 
das  Epos  dienen  soll,  ganz  naturgemäß,  ja  geradezu  notwendig 
sind  ^).  Das  sind  eben  die  Nähte,  die  die  einzelnen  Teile  zu  einem 
größeren,  trotzdem  einheitlichen  Ganzen  verbinden. 

So  erklärt  sich  sowohl  Pindars  Äußerung  wie  der  Name  Rhaps- 
oden. Die  Homeriden  sind  im  Besitz  solcher  gajird  fn-/;  , zusammen- 
genähter Gedichte" ,  aus  denen  sie  je  nach  Bedürfnis  bald  dieses, 
bald  jenes  Stück,  oder  auch  fortlaufend  vielleicht  mehrere  Tage 
hindurcli  eine  ganze  Reihe  vortragen,  hnmer  aber  steht,  was  sie 
deklamiren,  im  Zusammenhang  nicht  nur  des  Ganges  der  Sage, 
der  oi'jH7],  sondern  auch  der  Form,  als  Teil  eines  größeren  Ganzen. 
Die  Art,  wie  Demodokos  aus  der  oi'/urj  der  momentanen  Inspiration 
folgend  ein  beliebiges  Stück  herausgreift  ('&  73  K  499  ff.  6  d'  6g- 
jufj'&elg  -deov  iJQXsro  ^),  q)aTve  (3'  aoiÖifp',  ev&ev  eXcov  cbg  ol  juev  .  . 
aTiEnleiov  y.x),.,  vgl.  Phemios  a  326),  bildet  die  Vorstufe  des 
großen  Epos.  In  Athen  ist  bekanntlich  die  bald  dem  Solon,  bald 
dem  Peisistratos  oder  Hipparchos  zugeschriebene  Bestimmung  ein- 
geführt, daß  die  Rhapsoden  nicht  nach  Willkür  ein  beliebiges 
Stück  auswählen,  sondern  sich  ablösend  der  Reihe  nach  das  ganze 
Epos  vortragen  sollen. 

Dem  entspricht  die  ursprüngliche  Einteilung  der  Epen  in  Rhaps- 
odien, Einzelgesänge  nach  Art  der  Aventiuren  des  Nibelungenliedes, 
die  inhaltlich  eine  kleinere  Einheit  innerhalb  des  großen  Rahmens 
bilden.  Es  war  ein  durchaus  berechtigter  Gedanke  von  Christ  — 
so  armselig  im  übrigen  seine  Iliasausgabe  ausgefallen  ist  — ,  diese 
ältere  und  sachlich  allein  berechtigte  Gliederung  an  Stelle  der 
künstlichen,  von  rein  äußerlichen  Gesichtspunkten  beherrschten  Buch- 
einteilung der  Alexandriner  wieder  scharf  hervortreten  zu  lassen. 

Auf  der  anderen  Seite  kann  nicht  scharf  genug  betont  werden, 
daß  ebenso  wie  die  beiden  Epen  Hesiods  nur  in  einer  durch  die 
alexandrinische  Kritik    am  Schluß    verstümmelten    Gestalt    auf  uns 


1)  Wilamowitz,  Die  Ilias  und  Homer  S,  107.  260.  322  f. 

2)  Die  Scholien  geben  die  beiden  Erklärungen  ix  dsov  iii.irevadEig, 
7]  d.TÖ  rov  &eov  rrjv  OQfirjv  noirjoüfiEvog '  sd'og  yäo  ijv  avzoTg  äjio  &sov 
jTQooi/iidueaOai.  Ich  halte  es  für  sehr  wahrscheinlich ,  dafa  die  zweite 
die  richtigere  ist  und  das  übliche  Prooimion  gemeint  ist. 


DIE  RHAPSODEN  UND  DD-:  HOMERISCHEN  EPEN         333 

gekommen  sind,  mit  Erhaltung  der  Verse,  welche  zu  dem  weg- 
geschnittenen Teil  überleiten,  so  auch  sowohl  Ilias  wie  Odyssee  ihren 
ursprünghchen  Schluß  verloren  haben.  Der  Schlußvers  unsrer  Ilias 
lautete  bekanntlich   „nach  einigen"^): 

öjg  Ol  7'  äjnq)i€Jiov  xdq)ov  "Ektoqoq  '  y^Xde  ^'  'Afia^cov, 

"ÄQfjog  ß-vydniQ  /iieyah'jxoQog  avÖQocpovoio. 
Der  „homerische"  Becher  D^)  illustrirt  diese  Verse  und  die  un- 
mittelbare Verbindung  von  Ilias  und  Aithiopis:  auf  die  Lösung 
der  Leiche  Hektors  folgt  unmittelbar,  am  rdcpaq  "Exrogog,  die  Be- 
grüßung des  Priamos  durch  Penthesilea  und  dann  ihr  Kampf  mit 
Achilleus.  Wer  beim  Vortrag  hier  aufhörte  oder  die  Ilias  hier 
abschloß,  sagte  statt  dessen  natürlich 

cog  Ol  y  äficpiETiov  jdrpov  "Exxooog  mjioddjuoio, 
und  so  steht  daher  in  allen  Handschriften  und  in  unsern  Texten. 
Der  Übergang  zu  der  neuen  Episode  ist  rein  äußerlich,  aber  nicht 
härter  als  an  zahlreichen  andern  Stellen  der  beiden  Epen,  z.  B. 
dem  schon  angeführten  Eingang  von  W  oder  etwa  d  620  ff. ; 
und  daß  diese  Gestaltung  des  Schlußverses  der  Ilias  in  unsern 
Texten  das  sekundäre  und  die  Anfügung  der  Amazone  das  ur- 
sprüngliche ist,  zeigt  eben  seine  Fassung,  die  für  einen  solchen 
Übergang  stereotyp  ist  (vgl.  z.B.  II.  Ml.  ^  1.  t]  1.  v  185),  da- 
gegen einen  wirklichen  Abschluß  in  keiner  Weise  bildet.  Wie  eng 
die  letzten  Rhapsodien  der  Ilias  inhaltlich  und  formell  mit  der 
Fortsetzung  in  Aithiopis  und  Iliupersis  verknüpft  sind,  wie  sie  mit 
diesen  einmal  eine  Einheit  gebildet  haben  müssen,  ist  bekannt 
und  zuletzt  noch  wieder  vt)n  Wilamowitz  ausgeführt.  Allerdings  ist 
dann  die  Lostrennung  der  Fortsetzung  schon  verhältnismäßig  früh 
erfolgt,  wesentlich  aus  ästhetischen  Gründen,  weil  die  Einfügung 
neuer  Gestalten  die  innere  Einheit  der  Dichtung  zersprengte,  die 
man  jetzt  verlangte.  Daß  dies  Moment  für  die  Scheidung  zwischen 
dem  echten  Homer  und  den  äXXoi  maßgebend  war,  spricht  Ari- 
stoteles in  der  Poetik  c.  8  und  23  deutlich  aus  ^).  Aber  wenn  bei 
Plato  der  Rhapsode  Ion  immer  wieder  betont,  daß  ihn  nur  Homer 

1)  Schol.  T  zu  ß  804. 

2)  Robert  im  50.  Berliner  Winckelmannsprogramm  S.  26. 

3)  Wie  weit  daneben  sachliche  Widersprüche,  wie  sie  Herodot 
zwischen  Ilias  und  Kyprien  hervorhebt,  und  stilistische  Anstöße  mitge- 
wirkt haben  mögen,  läßt  sich  bei  unserm  ganz  dürftigen  Material  nicht 
erkennen. 


334  E.  MEYER 

innerlicli  packt  und  er  sich  nur  mit  diesem  beschäftige,  und  dann 
Sokrates  unter  seiner  Zustimmung  davon  redet,  welche  Wirkung 
er  erziele,  wenn  er  den  Freiermord  des  Odysseus  vortrage  j)  '^yj^- 
Xea  im  xbv  "Exioga  oQjucdvTa  T]  xal  zcbv  Tiegl  "Avögofidyiiv 
i?i.eeirc7)v  xi  i]  tzeqI  'Ey.ußi]v  T]  tieqI  Ugiafiov,  so  hat  offenbar  auch 
Plato  noch  die  Persis  als  homerisch  und  als  zur  Ilias  gehörig  an- 
erkannt, wenn  auch  vielleicht  als  selbständiges  Gedicht. 

Mit  der  Odyssee  steht  es  nicht  anders.  So  wie  wir  sie  lesen, 
hat  sie  keinen  Abschlufä,  das  Schicksal  des  Helden  ist  noch  nicht 
erfüllt,  Poseidon  noch  nicht  versöhnt,  und  wir  erwarten  eine  Fort- 
setzung nur  um  so  mehr,  weil  Odysseus  -(/;  247  ff.  der  Penelope 
ausführlich  erzählt,  w^as  Teiresias  ihm  verkündet  hat  und  was  ihm 
jetzt  bevorsteht.  Überdies  ist  es  im  Grunde  nur  ein  Zufall,  daß  uns 
der  Schluß  unsrer  Odyssee,  von  yj  297  an,  erhalten  ist;  denn 
schon  in  voralexandrinischer  Zeit  hat  man  yj  296 

Ol  juev  ETieira 
aondoioi  Xexrgoio  naXaiov  'äeoiudv  l'y.ovro 

als  den  Schluß  der  echten  Odyssee  betrachtet  ^)  und  Aristophanes 
und  Aristarch  haben  das  anerkannt.  Wenn  sie  trotzdem  die  Fort- 
setzung bis  zum  Ende  von  co  in  ihre  Ausgaben  aufnahmen ,  so  ist 
das  dasselbe,  wie  daß  uns  in  der  Theogonie  noch  der  Katalog  der 
Söhne  der  Göttinnen  und  der  Übergang  zu  den  xazdloyoi  yvvaixcöv, 
am  Schluß  der  Erga  die  rj/uara  und  der  Übergang  zur  "Oqvl^o- 
fA.avTeia  erhalten  sind,  während  das  weitere  weggeschnitten  ist. 

Auch    für    den  Eingang   der  Ilias    ist  uns  bekanntlich   in  dem 
Osannschen    Anekdoton    eine    Fassung   erhalten ,  die    sie   mit   dem 
vorhergehenden,  also  mit  den  Kyprien,  verknüpft  —  ob  es  bei  der 
Odyssee  etwas  Ähnliches  gegeben  hat,  wissen  wir  nicht.    Aber  hier 
ist  die  Sachlage  umgekehrt  wie  beim  Schluß  der  Ilias;  denn  diese  Verse 
eonsTE  vvv  /xoi  Movoai  'OXvjUJiia  dojjuaz'  Eyovoai, 
önncoQ  öi]  jufjvig  te  yö^og  ■??'  eXe  TIi^lEicova 
yUjxovg  t'  ayXaov  vlöv '  o  ydg  ßaodiji  yoXco'&sig  .  .   . 

sind  deutlich  lediglich  eine  dürftige  Überarbeitung  des  echten  Ein- 
gangs.   So  haben  beide  Epen,  ebenso  wie  die  Hesiods,  zwar  einen 


1)  Daß  Apollonios  von  Rhodos  diesen  Vers  als  den  Schluß  der 
Odyssee  betrachtet  und  nachahmt,  und  daß  sich  dadm-cli  auch  die  Be- 
wunderung dieses  Verses  wegen  seiner  aoxpgoovvt]  durch  Demetrios  von 
Phaleron  begreift,  habe  ich  in  d.  Z.  XXTX  1894  S.  478  f.  bemerkt. 


DIE  RHAPSODEN  UND  DIE  HOMERISCHEN  EPEN  335 

durchaus  sachgemäßen,  seihständigen  Eingang,  aber  keinen  Sclilufs. 
Nach  hinten  setzen  sie  sich  viehiielir  immer  weiter  fort,  teils  in 
alten,  ursprünglich  zu  ihnen,  oder  zu  einer  älteren  Fassung  der  zu- 
grunde liegenden  Dichtungen  gehörigen  Stücken,  teils  in  neu  auf- 
genommenen Stoffen  und  Gedichten,  die  den  Umfang  immer  mehr 
anschwellen  liefen.  Daneben  steht  dann  selbständig  die  Urgeschichte 
in  den  Kyprien,  und  es  ist  zu  beachten,  daß,  während  wir  für  die 
Fortsetzung  der  Ilias  und  der  Odyssee  (und  zum  Teil  vielleicht  auch 
für  diese  selbst)  mehrere  Parallelgedichte  kennen,  für  die  Kyprien, 
soweit  wir  wissen,  ein  solches  sowenig  exislirt  hat,  wie  für  die 
Ilias.  Aber  wenigstens  in  der  Gestalt,  in  der  wir  sie  kennen,  setzen 
sie  die  Ilias  voraus ,  und  so  erweist  sich  diese  —  natürlich  nicht 
in  ihrer  letzten,  sondern  in  einer  älteren  Gestalt  —  immer  wieder 
als  der  Kern,  an  den  alle  Epen  dieses  Kreises  ansetzen.  Daneben 
stehn  dann  die  Epen  der  übrigen  Sagenkreise ,  vor  allem  die  des 
thebanischen  Kreises  (und  die  verschollenen  Argonauten-  und  He- 
raklesgedichte) in  lebendigster  Wechselwirkung  mit  denen  des 
troischen  Kreises. 

Dafs  alle  diese  untereinander  zusammenhängenden,  den  ganzen 
Umfang  der  Überlieferung  umfassenden  Dichtungen,  nicht  etwa  nur 
die  des  troischen  Kreises,  von  den  Rhapsoden  vorgetragen  wurden, 
ist  bekannt.  Als  Schöpfer  der  Gedichte  galt  ihnen  Homeros,  ein 
fahrender  Sänger  wie  sie,  von  dessen  Schicksalen  sie  mancherlei 
erzählten  —  diese  Überlieferung  hat  jetzt  Wilamowitz  vortrefflich 
analysirt  — ;  und  ihn  betrachteten  sie  daher,  der  das  gesamte  Leben 
beherrschenden  genealogischen  Auffassung  entsprechend,  als  ihren 
Ahnherrn,  mochte  der  einzelne  Rhapsode  auch  tatsächlich  ganz 
andern  Ursprungs  sein.  In  diesen  Verhältnissen  steht  die  physische 
Herkunft  der  fiktiven  oder  durch  Adoption  und  Blutsverbrüderung 
rechtlich  geschaffenen  vollständig  gleich.  So  nennen  sie  sich  Home- 
riden,  genau  so,  wie  die  Ärzte  sich  von  Asklepios,  die  Bildhauer 
von  Daidalos  ableiten  und  Sokrates  daher  ebensowohl  als  Athener  ein 
Nachkomme  des  Ion  und  Apollon  (Plato  Euthyd.  302  c)  wie  als 
Bildhauer  ein  Nachkomme  des  Daidalos  und  Hephaistos  ist  (Euthyphr. 
IIb.  Alcib.  1  121a),  oder  wie  die  israelitischen  Priester  Nach- 
kommen des  Lewi  und  des  Mose  (später  des  Aharon)  sind,  auch 
wenn  ihre  Eltern  einem  ganz  andern  Stamm  angehörten  ^)  —  um 

1)  Daß  die  Lewiten  ein  fiktives  Geschlecht  sind  nnd  tatsächlich 
die  Priester   ganz    anderer  Herkunft  sind,   aber   durch  Ergreifung  ihres 


336         K-  MEYER,  RHAPSODEN  UND  HOMERISCHE  EPEN 

den  Ausgleich  der  beiden  Genealogien  hat  man  sich  nicht  weiter 
den  Kopf  zerbrochen,  das  war  ganz  irrelevant. 

Daß  die  Homeriden  dem  Vortrage  der  Rhapsodien  eine  An- 
rufung der  Gottheit  vorausschickten,  die  eben  darum,  weil  sie  dem 
SagenstofT  voranging,  als  jiqooijuiov  bezeichnet  wird,  ist  auch  sonst 
bekannt,  und  eine  Sammlung  von  solchen  Musterstücken  ist  uns 
in  den  sogenannten  homerischen  Hymnen  erhalten.  Um  so  auf- 
fallender ist,  dem  Zeugnis  Pindars  gegenüber,  daß  in  diesen,  ab- 
gesehen von  ein  paar  ganz  armseligen  Versen  (hymn.  22),  Zeus 
gar  keine  Rolle  spielt.  Dem  steht  gegenüber,  daß  Hesiod  im  Prooe- 
mium  der  Erga  zwar  nicht  selbst  den  Zeus  anruft,  wohl  aber  die 
Musen  dazu  herbeiruft.  Ganz  lebendig  tritt  uns  der  alte  Brauch 
dann  bei  Arat  entgegen. 

Berlin.  EDUARD  MEYER. 


Berufs  aus  ihrem  Stamm  ausscheiden,  sagt  das  älteste  Zeugnis,  der  Segen 
Moses,  ausdrücklich.  So  stammt  denn  der  Priester,  auf  den  der  Kultus 
von  Dan  zurückgeht,  nach  Jud.  17,  7  aus  Bethlehem  und  ist  judäischen  (Ge- 
schlechts, wird  aber  18,30  unbedenklich  zu  einem  Nachkommen  des 
Mose  und  seines  Sohnes  Gerson  gemacht.  Daß  das  Geschlecht  der 
Homeriden  auf  Chios  mit  den  Rhapsoden  nichts  zu  tun  hat,  sondern 
fälschlich  herangezogen  ist,  bedarf  jetzt  keiner  Ausführung  mehr. 


zu  STEPHANOS  BYZANTIOS. 

Über  die  Entstehungszeit  der  Ethnika  des  Stephanos  Byzantios 
ist  bisher  Iceine  völhge  Sicherheit  gewonnen ,  und  die  über  dieses 
Problem  aufgestellten  Meinungen  weichen  recht  erheblich  vonein- 
ander ab.  W.  Schmid  ^)  begnügt  sich  mit  der  allgemein  gehaltenen 
Feststellung,  daß  der  Grammatiker  nach  Dexippos  und  Markianos 
gelebt  haben  müsse.  J.  Geffcken  ^)  versetzt  ihn  in  den  Anfang  des 
7.  Jahrhunderts.  J.  E.  Sandys^)  denkt  sich  das  Original  „nach 
400  n.  Chr."  geschrieben  und  nimmt  im  Einklang  mit  unserer 
Überlieferung  die  Genesis  des  uns  erhaltenen  Auszuges  unter  lusti- 
nian  an.  L.  Cohn  *)  verweist  den  Autor  ins  6.  Jahrhundert,  ohne 
eine  nähere  Zeitbestimmung  zu  geben. 

Eine  Untersuchung  dieser  chronologischen  Frage  dürfte  daher 
wohl  angebracht  sein.  In  welcher  Richtung  das  Ergebnis  zu  finden 
ist,  hatte  seinerzeit  schon  A.  Westermann  in  seiner  Ausgabe  des 
Schriftstellers  (S.  IV  ff.)  gesehen,  und  mit  vollem  Recht  knüpfte  daher 
neuerdings  bei  seiner  Prüfung  dieser  Frage  E.  Stemplinger  ^)  an 
seine  Feststellungen  an.  Die  Äußerungen  von  P.  Sakolowski  **)  können 
zur  Hebung  der  Schwierigkeit  nicht  beitragen ,  da  ihnen  die  Be- 
gründung durch  Beweise  fehlt.  Bei  ihm  ist  der  Nachdruck  u.  a. 
darauf  gelegt,  daß  das  Lexikon  vor  der  Abfassung  des  vor  535 
unter  lustinian  entstandenen  ^vvexörjfxog  des  Hierokles  schon  voll- 
endet war.    Diese  Behauptung  wird  ohne  Begründung  ausgesprochen 

1)  Christ  -  W.  Schmid ,  Geschichte  der  griechischen  Literatur  II 
2  ^  S.  888. 

2)  Lübkers  Reallexicon»  98413. 

3)  A  history  of  classical  scholarship  from  the  6th  Century  b.  C.  to 
the  end  of  the  middle  ages^  1906  S.  379. 

4)  Iw.  Müllers  Handb.  II  1*  1913  S.  702. 

5)  Studien  zu  den  'Eßrixä  des  Stephanos  von  Byzanz,  Progr.  d.  Kgl. 
Maximilians-Gymnasiums,  München  1902  S.  6  ff. 

6)  Philologisch-historische  Beiträge,  Gurt  Wachsmuth  zum  60.  Ge- 
burtstage überreicht  1897  S.  107  f. 

Hermes  LIII.  22 


338  B-  A.  MÜLLER 

und  läßt  sich  auch  in  keiner  Weise  stützen,  wenn  man  beide  Werke 
nebeneinander  durchmustert. 

Ein  unanfechtbares  Zeugnis  über  Stephanos'  Lebensstellung 
liefert  zunächst  der  Artikel  'AvaxxoQiov  S.  92,  15  M. :  'AvaxxÖQtov, 
'AxaQvaviag  Jiohg  ....  ZocpoxXriq  (frg.  830  N.^)  de  cprjot  diä  rrjg 
ei  „Ävaxrogeiov  Trjgö'  ejicbvvjnov  yßovog'^ .  xal  Evyeviog  de  o 
nqb  fjfxcbv  zag  ev  rfj  ßaodiöi  oxoXäg  diaxooju/]oag  ev  oidloyfj 
Xe^ecov  did  di(pd^6yyov  (pr]oiv.  eoixe  6'  äoxiyel  evieTv x^y-svai 
ßißXiq) '  fifxeXg  yäg  diä  rov  ~i  evQO/uev.  Danach  war  Stephanos 
von  Byzanz  Lehrer  an  der  kaiserlichen  Hochschule  von  Konstanti- 
nopel. Eugenios  ^)  selbst,  der  hier  erwähnt  ist,  wird  als  TiQeoßvxrjg 
ijöi]  öjv  eji  'Avaozaoiov  ßaoiXecog  bei  Suidas  s.  v.  Evyeviog  bezeugt. 
Aus  der  Mitteilung  des  Stephanos  Byzantios  kann  man  wohl  einen 
Hinweis  auf  die  Stellung  entnehmen,  die  er  später  bei  der  Abfassung 
seines  Werkes  oder  —  genauer  gesprochen  —  bei  der  Niederschrift 
des  Artikels  'AvaxroQiov  einnahm;  nicht  aber  darf  man  ihn,  wie 
Stemplinger  (S.  8)  es  tut,  als  unmittelbaren  Nachfolger  des  Eugenios 
bezeichnen  und  die  Tätigkeit  dieses  Grammatikers  auch  in  die  Re- 
gierungszeit lustinos'  L  (518  —  527)  und  teilweise  lustinians  L 
(527 — 565)  verlegen.  Durch  die  Bemerkung  des  Stephanos  wird 
Eugenios  nur  als  ein  Vorgänger  von  ihm  bezeichnet,  ohne  daß 
daraus  ein  genauerer  Nachweis  über  das  Zeitalter  des  späteren 
Grammatikers  mit  zwingender  Sicherheit  entnommen  werden  kann. 

Über  Stephanos  selbst  sind  noch  einige  weitere  Nachrichten 
erhalten.  Konstantinos  Porphyrogennetos  spricht  in  seiner  Schrift 
Tiegl  d^efidrcov,  für  die  er  noch  das  vollständige  Werk  des  Autors 
benutzen  konnte  2),  im  Abschnitt  über  Sicilien^)  von  dem  yga/bi- 
/uarixog  Zrecpavog,  eine  Äußerung ,  die ,  so  unbedeutend  und  fast 
selbstverständlich  sie  auch  sein  mag,  doch  das  Zeugnis  des  Artikels 
'AvaxxÖQiov  bestätigt.  Der  Artikel  rördoi  lehrt  dann  ein  historisches 
Werk  über  Byzanz  von  ihm  kennen  (S.  212,  8  ff.):  Poz&oi,  e&vog 
ndXai  oixfjoav  evxog  xfjg  Maitoxiöog.  voxegov  de  eig  xrjv  ixxög 
Ooaxtjv  /uexaveoxyjoav ,  (bg  ei'Q7]xai  juoi  ev  xoig  Bvl^avxiaxoig. 
/biejuvi]xai  xovxcov    6    ^ojxaevg   üaQ'&eviog  *).      Auf  Grund   dieser 

1)  VgL  L.  Cohn,  Realencykl.  VI  987  f.     W.  Schmid  a.  a.  0.  S.  879. 

2)  VgL  A.  Westermaims  Ausgabe  S.  Xff. 

3)  II  10  S.  7  der  Tafelschen  Ausgabe  des  2.  Buches  von  1847. 

4)  Zur  Datirung  des  Parthenios  vgL  A.  Meineke,  Analecta  Alexan- 
drina S.  264f. 


zu  STEPHANOS  BYZANTIOS  339 

Mitteilung  darf  man  unsern  Lexikographen  in  eine  Reihe  mit  Chri- 
stodoros  und  Hesychios  lUustrios  stellen,  die,  worüber  weiter  unten 
noch  zu  sprechen  sein  wird,  um  500  oder  nicht  wesentlich  später 
über  die  Anfange  und  die  Vorgeschichte  von  Konstantinopel  schrieben. 
Die  allgemeine,  wohl  stark  methodologisch  gerichtete  Einleitung  der 
Ethnika  selbst  wird  im  Artikel  Al&ioxp  (S.  47,  19)  erwähnt:  tieq! 
Tov  Al'&iOTiioon  nXaxvxEQOV  ev  xoTg  rcoj'  Id^vixcbv  JiQorexvoXoyrj- 
juaoiv  EiQrjzai  ^). 

Die  Entstehungszeit  von  Stephanos'  Ethnika  selbst  zu  gewinnen, 
mufs  von  einer  anderen  Basis  aus  versucht  werden.  Diese  liefert, 
wie  wiederum  zuerst  A.  Westermann  gesehen  hat,  der  Artikel 
'Axovai,  und  bei  genauer  Interpretation  dieses  Zeugnisses  gelangt 
man  zu  einer  schärferen  Datirung  des  Lexikons,  als  sie  bisher 
ausgesprochen  worden  ist.  Der  Artikel  selbst,  dem  in  unsrer 
Überlieferung  übel  mitgespielt  und  der  in  unserm  Auszug  stark 
verkürzt  worden  ist,  lautet  (S.  61,4):  'AxovaL,  jioXiyviov  tiXt]- 
oiov  'HQaxXeiag.  XeyEzai  xard  Jt£Qi(pQaöiv  6  olxcbv  rag  "Axo- 
vag.  t6  ed^vixov  'Axovirrjg ,  xb  '&i]Xvx6v  'Axcovixig.  ovxco  ydq 
Tig  vf]oog  diacpEQOvoa  juev  xco  jiavEvcp^j/icp  jiaxQixlcp  xal  xä 
Tidvxa  oocpMxdrcp  juayioxQü)  Uexqo)  ,  XEijuh't]  ök  xaxavxixgv  xfjg 
Evdaifxovog  jioXEwg  XaXxi]d6vog.  E7iix£xXi.r]xai  ds  did  x6  nXrj- 
'd'og  xCbv  EV  avxfj  jigög  dxovag  nEütoirj/jiEvoiv  Xid'Oiv.  XiyExai  xal 
dxovixov  drjXrjxrjQiov  cpdqfiaxov ,  (bg  'Ad-tp'aiog  ev  xqixco  Öeljivo- 
oo(pioxa>v  (III  85  B),  oxi  xovg  7tQO(pay6vxag  x6  Tiijyavov  jurjÖEv 
7tdox£i-v  EX  xov  dxovixov.  xXij'&rjvai  Öe  (paoi  did  xb  cpvEod^ai 
EV  TOTTcp  'Axovaig  xaXovjUEvo)  ovxc  jieqI  'HgdxXsiav.  Die  Mittei- 
lungen über  das  Städtchen  'Axovai  in  Bithynien  am  Pontos ,  das 
in  der  antiken  Überlieferung  stets  mit  der  Giftpflanze  dxovixov  in 
Zusammenhang  gebracht  wird  2),  interessiren  hier  nicht,  wohl  aber, 
was  über  die  Insel  'Axcovixig  berichtet  wird.  Den  über  sie  in 
diesen  Artikel  eingefügten  Zusatz,  der  zu  einem  Auszug  gar  nicht 
paßt,  hat  Meineke  als  in  der  Epitome  zugefügte  Interpolation  be- 
zeichnen   zu    müssen    geglaubt,    eine  Auffassung,  die  als  unrichtig 

1)  Vgl.  über  jiQOTExvoloysTv ,  einen  in  Schriften  dieses  Kreises  bei 
Späteren  beliebten  Ausdruck,  H.  Stephanus,  Thesaurus  VI  2064  f. 

2)  Vgl.  von  den  älteren  Erklärern  namentlich  Gl.  Salmasius,  Plini- 
anae  exercitationes  1629,  881,  von  den  neueren  besonders  0.  Schneider, 
Nicandrea ,  zu  Alexiph.  41  (nebst  Schol.) ;  über  die  Sache  ist  auch  bei 
Eustath.  in  Dionys.    Perieget.  791  berichtet,  wo  der  Name  'Jxovai  fehlt. 

22* 


340  B-  ^-  MÜLLER 

angesichts  der  nicht  seltenen  persönhchen  und  individuellen  Bemer- 
kungen im  Lexikon  des  Stephanos')  bezeichnet  werden  muß. 

Daß  die  sprachliche  Form  der  Mitteikmg  über  die  Insel  "ähco- 
vTng  bei  Chalkedon  mit  dem  Gebrauch  von  diacpegeiv  tlvi  im 
Sinne  von  „Eigentum  sein "2)  völlig  der  Gräcität  jenes  Zeitalters 
entspricht,  in  das  man  überhaupt  von  vornherein  ganz  aUgemein 
auf  Grund  anderer  Judicien  das  Werk  versetzen  würde,  sei  beiläufig 
vermerkt.  Es  darf  also  an  der  Ursprünglichkeit  der  in  so  eigen- 
tümlichem Maße  persönlich  abgestimmten  Bemerkung  festgehalten 
werden.  Der  Artikel  'Axovai  wurde  also  geschrieben,  als  Petros, 
der  Geschichtschreiber,  Schriftsteller  und  Staatsmann  der  iustiniane- 
ischen  Zeit^),  zugleich  /udyiorgog  und  jiaxQixiog  war.  Zum  magister 
officiorum  wurde  Petros  nach  dem  Bericht  Prokops*)  von  lustinian 
ernannt,  als  er  am  Ende  des  4.  Kriegsjahres  (538/39)  aus  seiner 
Internirung  im  Gotenreich  entlassen  wurde  und  nach  Konstantinopel 
zurückkehrte;  als  Datum  dieser  Beförderung  kann  wohl  unbedenklich 
das  Jahr  589  angesetzt  werden.  Als  jiargixiog  erscheint  Petros 
zuerst  im  Jahre  550,  wo  er  als  Gesandter  lustinians  zum  Perser- 
könig Chosroes  geht.  Von  den  Neueren  haben  Arnold  Schäfer 
und  Ernst  A.  Stückelberg  ^)  dieses  Jahr  als  Zeitpunkt  seiner  Er- 
nennung bezeichnet.  Diese  Auffassung  findet  keine  Stütze  in  dem 
einzigen  hierauf  bezüglichen  Zeugnis,  das  erhalten  ist:  Procop. 
bell.  VIII  (Goth.  IV)  11,  2  xal  Uergov  jLih  ävdga  Tiarginiov  rr]v 
Tov  juayioTQOv  ugyjp  eyovja  jiagä  Xoog6i]v  'lovonviavög  ßaodevg 
eoxeXXev.  Hier  erscheint  vielmehr  Petros  im  Jahre  550  schon  als 
Inhaber  des  Patriciats.    Die  Ernennung  zum  Patricier  ist  auch  nicht 

1)  VgL  die  Nachweise  bei  E.  Stemplinger  S.  6,3,  sowie  z.  B.  aucli 
die  Artikel  'Ay.y.aßixov  zsT/^og,  'Ay./iwvia,  NsävÖQsia, 

2)  Vgl.  Stephanus,  Thes.  II  1377  f.;  H.  van  Herwerden ,  Lexicon 
Graecum  suppletorium  et  dialecticum  I-  375. 

3)  Vgl.  über  ihn  B.  G.  Niebuhr,  Corpus  scriptorum  liistoriae  Byzan- 
tinae  I  S.  XXI ff.;  A.  Schäfer,  Quellenkunde  IP  193f.;  K.  Krumbacher, 
Gesch.  d.  byzantin.  Litt.*  S.  237 ff. 

4)  Bell.  VI  (Goth.  II)  22,  24  ig  BvCdvnov  dfpixo/nirovg  (seil.  'Adavd- 
oiov  y.ai  Uexqov)  ysQwv  ßaodsvg  rwv  /XEyiOTCOV  tj^icoasv,  "Aßaväoiov  fih  rcöv 
iv  'IzaXla  TTQairwotcov  y.aTaazyaä/Lievog,  IlezQco  8s  zrjv  rov  fiaytazoov  nalov- 
/isvrjv  UQxijv  jiaQaoyöfurog. 

5)  Das  Constantinische  Patriciat,  Inaug.-Diss.  Zürich  1891  S.  84. 
Über  navevcprii.iog  als  Prädikat  für  Träger  dieses  Ranges  vgl.  außer  den 
Bemerkungen  in  dieser  Schrift  S.  36  noch  P.  Koch ,  Die  byzantinischen 
Beamtentitel,  Diss.    Jena  1903  S.  94f. 


zu  STEPHANOS  BYZANTIOS  341 

an  den  Stand  des  Kandidaten ,  an  eine  bestimmte  Station  in  der 
Ämterlaufbahn  oder  an  eine  Altersstufe  gebunden  ^).  Nur  der 
Umstand,  dafs  die  Kaiser  ihre  Gesandten  mit  Vorliebe  aus  den 
Patriciern  auswählten  oder  dem  Überbringer  ihrer  Botschaft,  wenn 
sie  ihm  mehr  Gewicht  verschaffen  wollten,  das  Patriciat  übertrugen'^), 
kann  zugunsten  der  allgemein  herrschenden  Anschauung,  Petros 
sei  550  Patricier  geworden,  geltend  gemacht  werden,  allerdings 
angesichts  des  eben  wiedergegebenen  Zeugnisses  aus  Prokop  nur 
mit  sehr  bedingtem  Recht.  Wohl  aber  kann  mit  Bestimmtheit 
ausgesprochen  werden,  daß  vor  539  Petros  als  jiarQixioq  unmöglich 
ist,  so  dafs  dieses  Jahr  als  der  äußerste  terminus  post  quem  für 
die  Entstehung  der  Ethnika  in  Betracht  kommt. 

Als  terminus  ante  quem  wird  gleichfalls  durch  den  Artikel 
'Axovai  Petros'  Todesjahr  geliefert.  Darüber  liegt  folgende  Über- 
lieferung vor:  562  wurde  Petros  abermals  als  Gesandter  nach 
Persien  geschickt  ^).  Seine  Beschäftigung  in  dieser  Funktion  und 
seine  Rückkehr  zogen  sich  bis  zum  Jahre  563  hin;  bald  nach  seiner 
Ankunft  in  Byzanz  starb  er  dann.  Bei  Menander  Protector,  der 
einzigen  Quelle  auch  über  diese  Tatsache,  wird  das  Ergebnis  noch 
unter  lustinians  Regierungszeit  berichtet  (p.  373,  12  N.  =  13  p.  33, 
16  D.):  äXX'  6  ÜETQog  äTZQaxrog  drsxcoQ)]os  rcov  MijÖLxcbv  öqicov 
.  .  .  aTCLQ  ig  rb  BvCdmov  ä(pix6/.ievog  6  UexQog  ov  nollo) 
voiegov  xariXvos  xbv  ßiov. 

Es  darf  also  nunmehr  wohl  ausgesprochen  werden,  daß  die 
Ethnika  des  Stephanos  Byzantios  zwischen  539  und  565  entstanden 
sind.  Angesichts  des  Umstandes,  daß  das  Werk  nach  einem  Zeugnisse 
bei  Suidas  noch  unter  lustinian  in  Hermolaos  einen  Excerptor  fand, 
wird  man  geneigt  sein,  die  Entstehungszeit  dieses  Lexikons  geo- 
graphischer Namensformen  eher  an  den  früheren  als  an  den  späteren 
Termin  heranzurücken.  Das  Werk,  obgleich  ein  Ergebnis  rein 
grammatischer  Forschung,  zeugt  doch  wie  der  ^vvexötj/nog  des  Hie- 
rokles  und  die  XQioriavtxi]  xojioyQacpta  des  Kosmas  Indikopleustes, 
die  in  demselben  Zeitalter  entstanden,  von  dem  starken  geographi- 
schen Interesse,  das  der  iustinianeischen  Epoche  eigen  ist,  von  einem 
Interesse,  wie  es  im  byzantinischen  Reich  im  7.  Jahrhundert  an- 
gesichts der  politischen,  besonders  auch   der  kulturpolitischen  Lage 

1)  Stückelberg  a.  a.  0.  16 ff. 

2)  Stückelberg  a.  a.  O.  38. 

3)  Menander  Protector  p.  346  ff.  Nieb.  =  11  p.  10  ff.  Dclf. 


342  B.  A.  MÜLLER 

kaum  denkbar  und  trotz  der  Fülle  und  Vielseitigkeit  des  erhaltenen 
Quellenmaterials  auch  nicht  nachweisbar  ist. 

Ein  gleiches  Ergebnis,  wenn  auch  nicht  so  genaue  und  enge 
Abgrenzungen  für  die  Zeitpunkte,  innerhalb  welcher  das  Werk  ge- 
schrieben ist,  liefern  weitere  chronologische  Judicien  in  verschiedenen 
Artikeln.  Aus  dem  Inhalt  des  Artikels  Aagai^)  hat  schon  Stemp- 
linger  (S.  7)  den  zutreffenden  Schluß  gezogen,  daß  er  nicht  nach 
573  geschrieben  sein  kann.  Noch  schärfer  und  sachlich  richtiger 
wird  man  das  von  ihm  gewonnene  Ergebnis  dahin  präcisiren,  daß 
eine  Niederschrift  des  Artikels  Aaqai  in  der  vorliegenden  Fassung 
seit  dem  Augenblick  unmöglich  war,  wo  dem  Verfasser  die  Tat- 
sache der  573  erfolgten  Zerstörung  dieses  Bollwerkes  bekannt  wurde. 
Dagegen  sind  die  aus  dem  Artikel  OeovjtoXig  gewonnenen  Folge- 
rungen nicht  in  dem  Sinne  beweiskräftig,  den  ihnen  Stemplinger 
beimißt.  Nach  Joannes  Malalas,  dessen  Mitteilung  von  diesem  Ge- 
lehrten übersehen  worden  ist,  erfolgte  die  Umnennung  Antiochias 
in  Theupolis  bald  nach  dem  Erdbeben,  das  die  Stadt  im  Jahre  528 
arg  zerstörte 2).  Gegen  Sakolowskis  (a.a.O.  S.  108,  1)  excessive, 
aber  kaum  begründete  Skepsis  gegenüber  dieser  Nachricht  wird 
man  zunächst  geltend  machen  müssen,  daß  Joannes  Malalas,  der 
in  seiner  christhch-byzantinischen  Weltchronik  fast  alle  Geschehnisse 
des  Orbis  terrarum  vom  Standpunkt  des  Antiocheners  aus  betrachtet, 
gerade  über  alles,  was  mit  seiner  Vaterstadt  zusammenhängt,  stets 
sehr  gut  und  zutreffend  unterrichtet  ist.  Ferner  liefert,  was  Sako- 
lowski  und  Stemplinger  entgangen  ist,  die  Cod.  lust.  I  1,  6  erlassene 
Anweisung  in  ihrem  Subscriptum  den  Beweis,  daß  die  Stadt  schon 
533  Theupolis  genannt  wurde,  ein  Zeugnis,  durch  welches  Malalas' 
Nachricht  bestätigt  wird.  Schließlich  wird  bei  Prokop  in  der 
Schrift  jiEQi  xnojuaTcov  die  Umnennung  der  Stadt  nirgendwo  in 
Zusammenhang  mit  ihrem  Wiederaufbau  gebracht,  der  nach  der 
540  erfolgten  Eroberung  durch  Chosroes  am  wahrscheinlichsten 
wohl  545  oder  später  stattfand,  wo  zwischen  Byzanz  und  Persien 
ein  für  diese  Gebiete  gültiger  Waffenstillstand  eintrat.  Bei  Prokop 
heißt  es  in  der  erwähnten  Schrift,  die  nach  560,  in  keinem  Fall 
aber  vor  558  vollendet  und  herausgegeben  wurde ^),  vielmehr  II 10,  2 

1)  219,  6  Aagai ,  o  v[vv  Adjgag  (paoi,  (pgovgiov  'Avaozaacovjiohg  Xeyö- 
tXEVOV,  oyvQcozaTov  xze. 

2)  433,  16  Ddf.   h  avxu>  dk  rä>  XQ'^^V  f^£^£x^^^  'JvTiöxsia  ßsoinoXig. 
8)  Vgl.  Krumbacher  a.  a.  0.  232. 


zu  STEPHANOS  BYZANTIOS  343 

'AvTc6x£io.v,  i]  rvv  Oeovnohg  emxexXt]Tai;  V  5,  1  ^Avrioyeiag,  Pj 
vvv  OeovjioXig  imyJxXtjrai ;  V9,29  OeovTtohv  (der  Name  Anliochia 
fehlt).  Diese  imxXijoig  der  Stadt  hat  sich  gegenüber  dem  alten 
Namen  nicht  durchgesetzt.  Prokop,  Joannes  Malalas  und,  um  von 
den  Späteren  nur  einen  zu  nennen,  Menander  Protector,  der  nach 
lustinian  schrieb,  bezeichnen  Antiochia  stets  mit  seinem  alten,  durch 
die  Jahrhunderte  geheiligten  Namen.  Bei  Stephanos  Byzantios  er- 
scheinen beide  Namen  nun  in  folgendem  Verhältnis: 

S.  62,  7  vTiEQ  'Avxioy^Eiav  tyjv  jieqI  Ad(pvrjv. 

S.  99,  9  'Avzioyßia.  dexa  Jioleig  dvaygdq^ovrai,  elol  de  nXeiovg. 
JigcoTt]  2vQ<x>v.  fj  öevrega  IxXtj'&ri  dnb  "Avxiöyov  xov  ^Enicpavovg, 
Avöiag.  TQixt]  MsooTioxajulag,  MvyÖovia  xaXovjuevr],  "j  xtg  ngog 
r&v  mixcoQicov  Näoißtg  xaXeXxai  xxe. 

S.  222,  6  Adcpvr]  rcQodoxeiOv  ejiiorjjuöxaxov  xrjg  eco  'Arxioyeiag 
jxrjXQonoXecog. 

S.  446,  6  xrjg  jiegl  Adq)V}]v  Avxioyeiag. 

S.  309,  9  QeovnoXig  f]  jueyioxr]  xfjg  tco  jioXig  yxig  e^  Avxco- 
%eiag  [xexd  xov  oetojuov  ojvojudo'i}?]  ano  'lovoxiviavov. 

Man  wird  einerseits  aus  dieser  Citatenreihe  wiederum  eine  Be- 
stätigung für  die  Meinung,  daß  das  Lexikon  unter  lustinian  ent- 
standen ist,  ableiten  dürfen,  zumal  da  diese  smxXrjoig  für  Antiochia 
sonst  nur  in  der  Zeit  dieses  Kaisers  neben  dem  herkömmlichen 
Namen  auftritt,  andererseits  aber  auch  dazu  gelangen,  Sakolowskis 
Anschauung  (S.  108,  1)  für  unberechtigt  zu  halten,  das  Lemma 
©eovTioXig  sei  interpolirt,  da  der  „echte  Stephanos"  die  Stadt  sonst 
nur  als  ArxioyEia  f)  tieqI  Adrpvrjv  kenne.  Beide  Nam.en  werden 
vielmehr  wie  bei  Prokop  und  Malalas  nebeneinander  gebraucht; 
der  Lexikograph  liegt  uns  an  allen  Stellen,  wo  die  syrische  Stadt 
erwähnt  wird,  nur  in  starker  Kürzung  vor,  und  namentlich  die 
Erwähnung  unter  AvxLÖxeia  (S.  99,  9),  wo  die  anderen  Orte  des- 
selben Namens  viel  ausführlicher  als  die  syrische  Kapitale  am  Orontes 
behandelt  werden,  ist  ganz  ungewöhnlich  knapp  geraten.  Einem 
Schlüsse  ex  silentio  muß  man  also  hier  mit  doppelter  Vorsicht  gegen- 
übertreten. 

Zu  der  gewonnenen  Zeitbestimmung  passen  andere  Angaben 
unserer  Überlieferung.  Im  Artikel  BöonoQog  werden  ganz  allgemein 
die  Schriftsteller  über  die  Anfänge  von  Byzanz  in  folgender  Weise 
erwähnt  (S.  178,  11):  Xeyexai  xal  Bootioqiov  xov  Bv^avxiov  XtfxriV 
Ol   de   iyxcoQioi    ^ojocpÖQiov    avxb   xaXovoi   TiagayQajujuaxi^ovxeg, 


344  B.  A.  MÜLLER 

o&ev  ol  lä  UaTQia  yeyQaq^öxeg  xov  Bv^avr'iov  ä?d7]v  Jiagazi'&eaoi 
(Meineke;  eTimdeaoi  codd.)  juv&ixrjv  lozoQiav,  öxi  ^ilinnov  .  .  . 
xb  BvCoLvxiov  TiohoQxovvxog  xxX.'^).  Nun  ist  ja  allerdings  ohne 
weiteres  zu  bemerken,  daß  die  Schriftstellerei  über  die  IldxQia  dieser 
oder  jener  Stadt  oder  Landschaft  mit  Wahl  des  Wortes  IldxQia 
im  Titel  von  Werken  dieser  Art  schon  lange  vor  lustinians  Zeit 
gepflegt  wurde.  Es  ist  aber  wohl  ohne  Zweifel  beachtenswert,  daß 
IldxQia  KoivoxavxivovTioXewg  für  uns  zuerst  auftreten  mit  dem  nur 
durch  Suidas  bezeugten  Werk  des  Epikers  Ghristodoros  aus  Koptos, 
dessen  Blüte  wiederum  bei  Suidas  etii  xwv  'Avaoraoiov  rov  ßaodeojg 
XQÖvcov  (491 — 518)  angesetzt  wird  2),  und  des  Hesychios  Illustrios  ^), 
der  nach  G.  Wentzels  sachkundiger  Erörterung  in  die  Zeit  dieses 
Kaisers,  seines  Nachfolgers  lustinos  I.  und  in  die  Anfänge  lustinians 
gehört  *), 

Einen  für  die  Chronologie  des  Autors  nicht  unwichtigen  Hin- 
weis bietet  ferner  der  Artikel  ZvKaL  Da  A.  Meineke  in  seiner 
Ausgabe  hier  eine  Interpolation  unseres  Textes  angenommen  hatte, 
erfordert  dieses  Lemma  eine  besondere  Untersuchung ;  es  lautet 
(S.  590,  12):  2vxai,  nöXig  ävxixQv  xrjq  veaq'Pcbfxrjg,  i)  Ka'&'  fj/xäg 
'lovoxiviaval  TiQOoayoQev&eToa.  Die  Worte  j;  xaß'  fjfiäg  'lovoxivi- 
aval  nQooayoQEv&eioa,  die  als  späterer  Zusatz  verdächtigt  wurden, 
machen  nach  Form  und  Inhalt  nach  jeder  Richtung  den  Eindruck 
der  Ursprünglichkeit.  Stephanos  erwähnt  regelmäßig  in  seinem 
Werk  die  juexovojuaoia  eines  Ortes  unter  dem  betreffenden  Stichwort, 
wie  in  dieser  Untersuchung  schon  bei  einem  früheren  Anlaß  betont 
werden  durfte.  Ich  verweise  anläßlich  dieses  neuen  Falles  auf  den 
Artikel  über  die  östliche  Reichshauptstadt  (S.  189,  11  ff.):  Bv^dvxiov, 
zo  iv  Ggdx^]  ßaoikeiov ,  noXig  diaoi]ji(ozdzi].  .  .  .  juezcovojudo&i] 
öe  xal  Kon'oxavzivovTiohg  xal  via  'Pü)/.u].  Diese  Vorstadt,  das 
heutige  Galata,  erhielt  528  durch  lustinian  das  Stadtrecht  und  wurde 
zugleich  mit  dem  Namen  'lovoxiviavai  oder  'lovoxiviavovjiohg  be- 

1)  Vgl.  die  Nebenüberlieferung  bei  Eustath.  in  Dionys.  Perieg.  142 
p.  242,  34  — 243,7. 

2)  Vgl.  Suidas  s.  v.  XQiozödcoQog.  S.  ferner  F.  Baumgarten,  De  Christo- 
doro,  poeta  Tbebano,  Diss.  Bonn  1881,    und  W.  Sclimid  a.  a.  0.  S.  776, 

3)  Vgl.  Scriptores  originum  Constantinopolitanarum,  rec.  Tb.  Preger, 
I  lÖOl  S.  I-VIIL  1-18. 

4)  Vgl.  diese  Zeitschrift  XXXIII  1898  S.  310 ff.  H.  Schultz,  Realen, 
cykl.  VIII  1323  nimmt  an,  der  Schriftsteller  habe  mindestens  das  Jahr 
582  noch  erlebt,  ohne  seine  Behauptung  zu  begründen  oder  zu  beweisen. 


zu  STEPHANOS  BYZANTIOS  345 

dacht,  an  dessen  Stelle  seit  dem  8.  Jahrhundert  der  heute  geltende 
Name  auftritt^);  in  den  IJaTQia  des  Hesychios  Illustrios  erscheint 
der  Stadtteil  noch  unter  seinem  voriustinianeischen  Namen  (16 
p.  7,  6):  iyyvg  de  zov  xaXovfievuv  ^LTQüTyyiov  Atavrog  xe  xal 
'Axi^^eoyg  ßwjuovg  äve&tjxaro  (seil.  6  Bv^ag)'  tvda  y.al  zo  'A^iXXscog 
]^Qr]juari^si  Xovtqov.  'Ajiiq)idQeco  de  roü  ygcoog  ev  zaTg  keyoj-ievaig 
2!vxo.lg  cpxoöojuyoev,  ai  ri]v  ejicüvvjuiav  ex  xcov  ovxocpoQCOv  öer- 
ÖQCOv  eöe^avxo.  Man  darf  aus  diesem  Zeugnis  wohl  schließen, 
daß  die  UdxQia  KcovoxavxivovjioXecag  528  schon  abgeschlossen 
vorlagen,  als  die  Umnennung  von  2vxai  erfolgte.  Der  vermeint- 
liche Zusatz  in  diesem  Artikel,  durch  den  ein  seit  528  noch  nicht 
ganz  zwei  Jahrhunderte  in  Geltung  befindlicher  Zustand  der  Namens- 
führung mitgeteilt  wird,  ist  also,  wie  schon  E.  Oberhummer  gegen 
A.  Meineke  betont  hat,  ursprünglich  und  völlig  unverdächtig.  Auch 
hier  ergibt  sich,  wenn  auch  nicht  gerade  ein  Kriterium  für  die  Ent- 
stehung des  Werkes  unter  lustinian,  so  doch  ein  Anhaltspunkt 
dafür,  daß  der  vorliegende  Artikel  vor  528  nicht  niedergeschrieben 
sein  kann;  E.  Stemplinger^)  zieht  einen  falschen  Schluß,  wenn  er 
aus  dieser  Stelle  folgert,  sie  sei  der  Zeit  lustinians  I.  zuzuweisen. 
Im  Anschluß  an  das  Lemma  Svxai  ist  der  Artikel  Tafiiadig 
(S.  599,  14)  zu  besprechen:  Tai-da&ig,  nohg  Alyvnxov  Xeyexai  de 
(L.  Dindorf  in  Stephanus  Thes.  VII 1796;  xal  codd.)  -dijXvxcög.  f]  ye- 
vixij  TajLudüecog.  ovxco  Fecogyiog  6  XoiQoßooxög  ev  xcö  ovofiaxixco. 
Auch  hierauf  hatte  schon  Stemplinger  a.  a.  0.  kurz  hingewiesen, 
ohne  sich  allerdings  über  diese  interessanten  Bemerkungen  näher 
zu  äußern.  Der  Artikel  selbst  erscheint  in  unserer  Überlieferung 
nicht  an  seinem  gebührenden  Ort  hinter  TdjLißQa^,  sondern  zwischen 
TajLwgdxi]  und  Tdvayga.  Auf  Grund  dieses  Umstandes  hatte 
Meineke  vermutet,  daß  vielleicht  der  ganze  Abschnitt  interpolirt  und 
dem  Lexikon  fremd  sei,  über  die  Worte  ovrco  Fecogyiog  6  Xoigo- 
ßooxög  ev  xcö  övojuaxixcö  selbst  aber  mit  aller  Entschiedenheit  das 
Anathema  ausgesprochen  und  sie  als  Interpolation  gekennzeichnet. 
Aber  der  Artikel  sieht  als  Ganzes  wie  in  seinen  einzelnen  Teilen 
derartig  aus,  daß  man  ihn  nicht  ohne  Not  aus  dem  Lexikon  streichen 
kann.  Wie  ein  Blick  auf  Meinekes  Index  (S.  739  f.)  zeigt,  sind  die 
Städte  Ägyptens  in  den  Ethnika  in  einer  Reichhaltigkeit,  um  nicht 

1)  Vgl.  die   einzelnen    Nachweise  bei   E.  Oberhummer,  Realencykl, 
IV  971  f. 

2)  Philol.  LXIII  1904  S.  619. 


346  B-  A.  MÜLLER 

zu  sagen,  Vollständigkeit  vertreten,  daß  man  das  allerdings  in  der 
Antike  verhältnismäßig  selten  erwähnte  Tajuiaßig  hier  vermissen 
würde,  wenn  es  nicht  in  dem  Lexikon  aufträte:  alle  Nachbarorte 
von  gleicher  oder  geringerer  Bedeutung,  alle  Städte  Ägyptens  werden 
genannt.  Auch  die  Fassung  und  der  Inhalt  des  Artikels  sind  nicht 
derartig,  daß  man  ihn  oder  einzelne  seiner  Bestandteile  als  Fremd- 
körper in  unserem  Lexikon  ablehnen  müßte.  Die  Bildung  des  Genetivs 
wird  wie  hier,  so  zu  Me/ufpig^)  und  Zdig"^)  angeführt;  bei  anderen 
Artikeln,  wie  bei  Zvrjvrj  (S.  590,  7)  und  wiederum  bei  Udig  (S.  550, 4) 
wird  noch  das  aus  dem  betreffenden  Namen  abgeleitete  xxrjxixov 
gebucht.  Auch  die  Anführung  des  Gitats  aus  Georgios  Ghoiroboskos, 
das  verificirt  werden  kann  3),  entspricht  der  Weise  des  Lexicographen ; 
ich  verweise  auf  Belegstellen  aus  den  wenigen  in  der  ursprünglichen 
Fassung  des  Lexicons  erhaltenen  Artikeln:  S.  244,13  (s.v.  Avq- 
gd^iov)  ojucog  de  vvv  AvQQairjvol  leyovxai.  ovxo)  yaQ  xal  BdXaxQog 
ev  Maxeöovixdlg  (pi]oi  xxe.  —  S.  245,  17  (s.  v.  Avojiovxiov)  jue- 
juvi]xat  ö'  avxTJg  xal  Tqvcpcov  ev  naQCovv fxoig  ygdq^cov  ovxcog  xb 
e&nxov  xxe.  —  S.  246,  10.  15  (s.  v.  Acodcbvi])  ^ilo^evog  de  .  .  . 
ovxcog  —  ovxcü  de  xal  'EnacpQodtxog.  —  S.  251,  3  (s.  v.  A&qo) 
ovxco  xal  ^ÜQog  —  S.  255,  1  (s.  v.  Aä)Qog).  Unsere  Epitome  bietet 
die  Citate  sehr  häufig  in  äußerst  abgekürzter  Form;  daraus  erklärt 
sich  die  heutige  Gestalt  des  Artikels.  Hält  man  nun  den  Text  des 
Stichwortes  Tafxia&ig  in  seinem  ganzen  Umfang  für  genuin,  so 
läßt  sich  die  weiter  oben  gewonnene  Erkenntnis  über  die  Entstehung 
des  Lexikons  im  iustinianeischen  Zeitalter  für  die  Lösung  einer 
weiteren  Frage  der  griechischen  Literaturgeschichte  nutzbar  machen. 
Über  Georgios  Ghoiroboskos'  Lebenszeit  hat  sich  bisher  keine  ge- 
nügende Sicherheit  gewinnen  lassen  *).  A.  Hilgard  ^)  hatte  als 
terminus  post  quem  den  Anfang  des  6.  Jahrhunderts  bezeichnet. 
R.  Reitzenstein  ^)  war  zu  dem  Ergebnis  gelangt,  daß  er  nicht  nach 

1)  S.  444,  7  Msfiqng,  -t)  diaay^/noTdiT]  Alyvnzov  fitjzQÖnohg.  xXivEzai  xal 
Mifj.(fi8og  xal  Mef.i<pLog. 

2)  S.  550,  1  2äig,  nöhg  Alyvnzov.  xXivszai  81  Säswg  wg  Als/ncpecog . 

3)  Vgl.  Georgii  Choerobosei  scholia  in  Theodosii  Alexandrini  canones 
(Grammatici  Graeci  IV  1  ed.  A.  Hilgard),  1884,  196,  12.  344,  20.  Über 
den  Titel  'Ovo^iazixöv  vgl.  A.  Hilgard  a.  a.  0.  LXXV,  sowie  L.  Colin, 
Realencykl.  III  2365. 

4)  Vgl.  z.  B.  W.  Schmid  a.  a.  O.  S.  883, 1. 

5)  A.  a.  0.  p.  LXVII. 

6)  Geschiclite  der  griechischen  Etymologika  S.  190,  4.  312, 1. 


zu  STEPHANOS  BYZANTIOS  347 

750  gelebt  haben  könne;  „daß  er  noch  dem  6.  Jahrliundert  ange- 
hört, wie  ich  fest  überzeugt  bin,  vermag  ich  allerdings  noch  nicht 
zu  beweisen".  Diese  Vermutung  ist  richtig;  die  ganze  Art  des 
Georgios  Choiroboskos ,  die  Wahl  seiner  gelehrten  Themata,  die 
Technik  und  Methode  seiner  Forschungsweise  sind  derartig,  daß  man 
sein  Werk  eher  um  500  als  um  600  oder  gar  um  700  datiren 
möchte.  Das  von  Reitzenstein  vermißte  äußere  Zeugnis  liefert  jetzt 
der  Artikel  Ta/Lua'&ig  bei  Stephanos.  Es  ist  jetzt  möglich  zu  sagen, 
daß  Georgios  Choiroboskos  dem  6.  Jahrhundert  angehört,  da  er 
zwischen  500  und  der  Entstehungszeit  von  Stephanos'  Ethnika  an- 
gesetzt werden  muß. 

Eine  besondere  Betrachtung  erfordert  nunmehr  im  Zusammen- 
hang mit  der  chronologischen  Frage  die  Notiz  bei  Suidas  u.  d.  W. 
'EgjuoXaog:  'Egjuökaog  ygafi/narixög  KcovoTavTivovjioXecog  ygay^tag 
T?)v  e7iiT0jin]v  rcov  ^Ed^vixwv  2xeq?dvov  yga/ujuariKOv  JCQOoq^ojvrj- 
■&Eioav  'lovoriviavcp  zcb  ßaodei.  Ich  unterlasse  es,  auf  die  Frage 
einzugehen,  ob  unsere  Epitome  mit  der  des  Hermolaos  zusammen- 
hängt, und  bemerke  nur,  daß  die  von  E.  Stemplinger  ^)  versuchte 
Lösung  des  Problems  einer  Nachprüfung  bedarf,  seitdem  R.  Reitzen- 
stein 2)  und  W.  Knauß  ^)  beobachtet  haben,  daß  sowohl  die  im 
Etymologicum  Magnum ,  als  auch  die  von  Eustathios  benutzten 
Handschriften  wenig  mehr  boten  als  der  Archetypus  unserer  stark 
verkürzten,  lückenhaften  und  verderbten  Epitome.  Nach  der  Über- 
lieferung bei  Suidas  hat  also  der  sonst  unbekannte  Grammatiker 
Hermolaos  aus  Konstantinopel  einen  Auszug  von  Stephanos' 
lexikographischem  Werk  geliefert  und  ihn  lustinian  gewidmet,  seine 
Arbeit  also  bald  nach  dem  Original  erscheinen  lassen.  Stemplinger*) 
hat  es  für  ganz  und  gar  unwahrscheinlich  erklärt,  daß  die  Epitome 
unmittelbar  oder  doch  sehr  bald  nach  dem  vollständigen  Werk 
erschien.  Dieses  Bedenken  dürfte  kaum  durchschlagend  sein,  wenn 
man  erwägt,  daß  jenes  Zeitalter  der  ausgehenden  Antike,  ein  Zeit- 
alter des  kurzen,  handlichen  Buches,  durchaus  nicht  mehr  fähig 
war,  große  Werke  aus  dem  Gebiet  der  grammatischen  Forschung 
und  Literatur  aufzunehmen,  sondern  vielmehr  solche  umfangreiche 


1)  Progr.  S.  8ff.;  Philol.  a.  a.  0.  S.  614 ff. 

2)  A.  a.  0.  S.  327. 

3)  De  Stephan!    Byzantii  Ethnicorum   exemplo   Eustathiano,    Diss. 
Bonn  1910. 

4)  Philol.  a.  a.  0.  S.  619. 


348  B-  A.  MÜLLER 

Arbeiten  lieber  in  bequemer  Verkürzung  genoß.  Ich  verweise  als  auf 
ein  Beispiel  auf  die  Entvvicklungslinie,  an  deren  Anfang  Pamphilos' 
Glossen  werk  von  95  Büchern  und  an  deren  Ende  Hesychios'  Lexikon 
steht,  das  doch  wohl  ins  5.  Jahrhundert  gehört.  Das  52  Bücher 
umfassende  Lexikon  des  Stephanos  mit  seinem  auf  der  Basis  der 
Sprachreinheit  fußenden  Nachweis  der  Ethnika  zu  den  einzelnen 
Ortsnamen  mußte  damals  ein  bestimmtes  Bedürfnis  erfüllen,  wo  — 
wie  unser  Zeitalter  seine  kurzen  orthographischen  Handbücher  — 
man  für  den  praktischen  Bedarf  ein  Behelfsbuch  zur  Auffindung 
oder  auch  correcten  Bildung  der  e&rtxd  haben  mußte,  wie  sie  z.  B. 
die  Regierungen  in  den  Adressen  ihrer  Gesetze  und  ihrer  amtlichen 
Anweisungen  1),  die  Historiker  und  die  theologischen  Schriftsteller 
mit  ihren  z.  T.  doch  recht  starken  stilistischen  Aspirationen  in  ihren 
Büchern  anwendeten.  Noch  viel  mehr  mußte  aber  eine  Epitome 
des  gewaltigen  Werkes  von  Namensformen  jenem  Zeitalter  will- 
kommen sein.  Daher  lehne  ich  es  ab,  an  den  Worten  ijtiio^rjv  .... 
7rgooqja>v7]'&eioav  'lovoiiviavcö  reo  ßaoiXei  herumzudeuteln  oder 
sie  durch  Conjectur  zu  entstellen.  Da  G.  Wentzel  (in  d.  Z.  XXXIII 
1898  S.  311)  in  seinen  äußerst  vorsichtig  formulirten  Ausführungen 
immerhin  die  Möglichkeit  offen  läßt,  daß  Hermolaos  unter  einem  andern 
als  lustinian  I.  gelebt  haben  kann,  mache  ich  darauf  aufmerksam,  daß 
nach  Suidas'  Wortlaut  und  nach  der  Art,  in  der  dieser  Schriftsteller 
die  beiden  Kaiser  dieses  Namens  bezeichnet,  nur  lustinian  I.  gemeint 
sein  kann.  lustinian  II.  (685 — 695  und  wieder  705  —  711)  ist  aus- 
geschlossen; er  wird  bei  ihm  'lovoiiviavög  6'Piv6r^u)]Tog  genannt^). 
Stemplinger  ^)  hat  dann  unter  Hinweis  auf  die  Suidasartikel  Boj^avog  *) 
und  BooTTOQog^)  und  die  Tatsache,  daß  Bochanos  576  unter 
lustinos  II.  Bosporos  angriff,  vermutet,  bei  Suidas  sei  im  Artikel 
über  "EgiAÖlaog  zu  lesen  eTtixojiiijv  .  .  .  nQoocp<x>v'>]'&eloav  'lov- 
OTivqy  TCO  ßaoikei.  Diese  Vermutung  könnte  als  Basis  einer  Dis- 
kussion dienen,  wenn  Stemplinger  der  Nachweis  geglückt  wäre,  der 
bei  Suidas  u.  d.  W.  BooJiogog  erhaltene  Nebensatz  gehe  auf  Stephanos 


1)  VgL  z.  B.  cod.  Just.  I  1,  6. 

2)  Vgl.  u.  d.  W.  und  u.  BovlyuQOi. 

3)  Philol.  a.  a.  0.  S.  619. 

4)  Bco/avog,  ovo/xa  xvqiov.    t~]v  dk  Tovqxcov  dgxVY^^  °^  ^-"^^  'lovortriavov 
zov  BöojioQov  ijiögdi^as.     C^rsi  iv  reo  BöonoQog. 

5)  BöonoQog,  jiohg  jisqI  rov  'ElXrjajiovxov  i]v  Bd)'/_avog   6   Tovqxo;    eju 
'lovozifiavov  ßaadsojg  inögütjoei'. 


zu  STEPHANOS  BYZANTIOS  349 

von  Byzanz  zurück.  Bei  diesem  fehlt  aber  im  Artikel  B6o:iooog 
und  überhaupt  im  ganzen  Lexikon  jeder  Hinweis  auf  diese  Talsache 
und  auf  die  Zeit  lustinos'  II.  Beiläufig  erwähne  ich  —  nicht  als 
Argument  von  besonderer  Bedeutung,  sondern  nur  der  Ordnung 
und  Vollständigkeit  halber  — ,  daß  bei  Suidas  dieser  Kaiser  selbst 
nirgendwo  genannt  ist;  wo  bei  ihm  ' lovoxTvog  xorkommt,  ist  stets 
der  erste  Inhaber  dieses  Namens  gemeint.  So  ergibt  also  auch 
diese  Überlieferung  einen  Beleg  dafür,  daß  Stephanos  sein  Werk 
nicht  nach  lustinians  Ausgang  geschrieben  haben  kann. 

Ich  lasse  nunmehr  einige  Beiträge  zum  Text  einiger  Stellen 
der  Ethnika  folgen,  die  mir  der  Erklärung  oder  Heilung  zu  bedürfen 
scheinen. 

Völlig  rätselhaft  ist  zunächst  der  Artikel  'Adodv)]  S.  27,  14: 
'Adgav)],  nohg  Ogaxijg,  //  jluxoov  vtteq  zfjg  BsQEvixi^g  xehai, 
(hg  OeoTiojUTzog.  UoAvßiog  ök  did  xou  rj  zi]v  jueo7]v  ?>.eysi  Iv 
TOioy.aidexdr)]'  'Adg/jv)].  rö  Idvixöv  'AdQi]viTr}g ,  d)g  ZviqvYj 
2!vi]vm]c,  2eh]vi-i  ZeX^jviTi-jg.  tovtojv  xä  f.iaQTvqia  Iv  xoTg  oixeioig. 
övvarai  ök  y.al  'AÖQijraTog,  (hg  KvQi]vaTog  IIe?Jj]vaiog  Mitvh]- 
vdiog.  diöcooi  de  y  Teyvi]  y.al  rö  'AdQ7]vevg,  (bg  IIsXXr]vevg.  Eine 
Stadt  oder  einen  Ort  oder,  um  einen  an  sich  vielleicht  möglichen, 
wenn  auch  unwahrscheinlichen  Fall  zu  setzen ,  ein  Gebiet  des 
Namens  BeQEvixt]  gibt  es  in  Thrakien  nicht.  Diese  Tatsache 
macht  die  Stellung  des  Relativsatzes  //  juixqov  vtieq  Tfjg  BsQevixrjg 
xeixai  hinter  jioXig  &Qay}]g  sehr  verdächtig.  Von  vornherein  wird 
man  aber  an  der  Ursprünglichkeit  des  Einschiebsels  festhalten  und 
den  Fehler  an  einer  andern  Stelle  suchen  wollen.  Wer  dieses 
Vorgehen  billigt,  muß  zugleich  schließen,  daß  durch  den  Relativsatz 
ihrer  Lage  nach  eine  andre  Stadt  des  Namens  Adgdvi]  in  einem 
andern  Gebiet  bezeichnet  wird,  auf  welche  die  gekennzeichnete 
Eigentümlichkeit  zutrifft;  die  Bestimmung  des  Landes  selbst  ist  in 
unserer  Überheferung  untergegangen.  Stephanos  kennt  in  seinem 
allerdings  arg  verstümmelten  Artikel  S.  164,  3  sieben  Städte  dieses 
Namens,  die  freilich  nicht  alle  von  ihm  müt  gleicher  Deutlichkeit 
bezeichnet  werden.  Unsere  moderne  Forschung  vermag  seiner  Liste 
■vielleicht  noch  die  eine  oder  andere  hinzuzufügen  ^).  Sucht  man  die 
Umgebung  eines  jeden  dieser  Orte  ab,  soweit  sie  einwandfrei  be- 
stimmt sind,  so  stößt  man  in  keinem  Fall  auf  ein  Topographicum 
des  Namens  Adrane,   wohl   aber   in   der   unmittelbaren   Umgebung 

1)  Vgl.  die  Einzelartikel  in  der  Realeiicykl.  III  280  ff. 


350  B-  A.  MÜLLER 

der  Stadt  Berenike  in  der  afrikanischen  Pentapolis  auf  einen  ganz 
ähnlichen  Namen.  Auf  der  Peutingerschen  Tafel  erscheint  ganz 
nahe  bei  diesem  Orte,  fast  senkrecht  über  ihm  in  die  Karte  ein- 
getragen ,  der  Ort  Hadrimiopolis  ^) ,  der  an  andern  Stellen  mit 
folgenden  Namensformen  bezeichnet  wird:  Itin.  Anton,  p.  67,  2 
Adriane  (67,  1  Beronice);  Hierocl.  synecd.  p.  733,  2  "AÖQiavri 
(733,  3  Begovixr]);  Ravenn.  p.  137,  17  Adriani  (137,  18  Ver- 
meide), p.  353,  14  Adrianopolis  (353,  13  Vcrnicide);  Ravenn. 
Guid.  p.  522,  12  Hadrianopolis  (p.  522,  11  ■Vernicida).  Diese 
Stadt,  das  heutige  Soluk,  führt  also  in  unserer  Überlieferung 
neben  dem  längeren  auch  den  kürzeren  Namen  Adriane.  Sie  liegt 
nordnordöstlich  von  Berenike;  zur  Bestimmung  dieser  Lage  wird 
die  Präposition  vjisq  verwendet,  welche  häufig  zur  Bezeichnung 
von  Lagen  geographischer  Punkte  im  Verhältnis  zu  anderen 
Orten  gebraucht  wird;  angesichts  des  vorliegenden  Artikels  aus 
Stephanos  Byzantios  darf  wohl  darauf  hingewiesen  werden,  daß 
sie  beim  Periegeten  Pausanias  unter  anderem  auch  im  Sinne  von 
, nördlich"  erscheint^).  Diese  Umstände  in  ihrer  Gesamtheit  gestatten 
wohl,  die  Schwierigkeiten  in  dem  vorliegenden  Artikel  des  Lexiko- 
graphen zu  lösen  oder  doch  wenigstens  aufzuklären.  Stephanos  fand 
in  seiner  Quelle  für  dieses  Stichwort  oder  in  den  Materialien  für  die 
Zusammenstellung  seines  Werkes  die  Form  Adgävt]  als  Namen 
für  die  Stadt,  welche  wie  in  der  Tabula  Peutingeriana  /jUxqov  vueq 
rrjg  BsQEvixrjg  lag,  oder  beging  bei  der  Niederschrift  einen  ent- 
sprechenden Irrtum  und  behandelte  diesen  und  den  thrakischen 
Ort  in  einem  Artikel.  Die  hier  vorgetragene  Ansicht  wird  dadurch 
gestützt,  daß  Stephanos  auch  sonst  beim  Excerpiren  seiner  Quellen 
und  der  Zusammenstellung  seines  Textes  sich  ähnliche  Fehler  und 
Nachlässigkeiten  zuschulden  kommen  ließ;  W.  Schmid')  hat 
einige  bezeichnende  Beispiele  zusammengestellt.  Seit  der  diocletia- 
nischen  Provincialorganisation  ist  das  Gebiet  der  afrikanischen 
Pentapolis  die  provincia  Libya  superior  oder  7)  ävco  Aißvr]  *).    Auch 

1)  Vgl.  H.  Barth,  Wanderungen  durch  die  Küstenländer  des  Mittel- 
meeres 1 390,  484 ;  K.Miller,  Itineraria  Romana  878.  In  der  Realencyklo- 
pädie  ist  der  Ort  unberücksichtigt  geblieben. 

2)  A.  Rüger,  Die  Präpositionen  bei  Pausanias,  Diss.  Erlangen 
1889  S.  50.  E.  Reitz,  De  praepositionis  v.Teß  apud  Pausaniam  periegetam 
usu  locali,  Diss.  Freiburg  1891  S.  7flf. 

3)  A.  a.  0.  S.  889. 

4)  Vgl.  Provinc.  laterc.  Veron.  1,  3.     Not.  dign.  or.  1,  81.  2,  25.  23, 


zu  STEPHANOS  BYZANTIOS  351 

bei  Stephanos  heißt  das  Gebiet  Aißvt]^).  Ich  ergänze  daher,  was 
er  bringt,  folgendermaßen:  'Aögavt] ,  noXig  {Aißvrjg),  fj  juixqov 
VJieg  Ti]q  Begsviy.ijg  xeixai.  {eori  xal  ^Adgavt]  oder  äXXi]  de 
jioXig  oder  mit  ähnhcher  beim  Autor  gebräuchlicher  Wendung) 
Ogaxrjg,  cbg  OeonofXTiog.  IloXvßiog  de  öid  rov  r/  rt]v  juearjv 
XeyeL  iv  igioxaiöeyAzt]'  'Aögip'}].  Die  Citate  aus  Theopomp,  der 
die  Namensform  'Adgdv7]  hatte,  und  aus  Polybios  beziehen  sich 
nur  auf  den  thrakischen  Ort.  Jener  ist  nie  auf  die  Pentapolis  und 
ihre  Städte,  insbesondere  nie  auf  Euhesperides  oder  Berenike  zu 
sprechen  gekommen,  soweit  man  aus  den  erhaltenen  Resten  seiner 
Werke  einen  Schluß  ziehen  kann;  dieser  hat  gleichfalls  in  seinem 
13.  Buch  nie  Topographika  der  Pentapolis  berührt,  wohl  aber  an 
mehreren  Stellen  thrakische  Orte  erwähnt^). 

Im  Anschluß  an  diese  Stelle  darf  vielleicht  eine  sehr  schöne 
Ergänzung  von  A.  Westermann,  von  der  Meineke  in  seiner  Ausgabe 
keine  Notiz  genommen  hat,  und  die  auch  sonst  nie  beachtet  worden 
ist,  wieder  in  ihr  Recht  eingesetzt  werden:  S.  558,  12  2!avgo/.idTai, 
E'&vog  "Ivöixov.  xal  ^ay^aXizrig  xohiog.  'xaxä  tovtov  tov  2!aya- 
Xirrjv  xÖXjiov  xeTvxai  neXdyioi  v^ooi  ejixa  .  Um  den  ersten  und 
zweiten  Teil  dieses  Artikels  miteinander  einigermaßen  in  Einklang 
zu  bringen,  war  schon  L.  Holstenius  ^)  auf  den  Ausweg  verfallen, 
statt  "Ivöixov  zu  schreiben  Agaßtxov.  Nun  erscheinen  aber  die 
Zavgofidxai  durchgängig  als  skythisches  Volk*),  die  Zay^aXixai 
als  indischer  Stamm.  So  drängt  sich  hier  die  Annahme  auf,  daß 
zwei  Artikel  in  einen  verschmolzen  wurden.  Ursprünglich  dürfte 
der  Text  ungefähr  gelautet  haben: 

2!avgo/xdxai,  e&vog  2xv&lx6v 

ZaiaXixai,  k'd'vog  'Iv&ixöv.     xal  ^^a^aXirrjg  xöXnog  xxX. 

Als  verderbt  erkannt,  wenn  auch  noch  nicht  geheilt  ist  der 
Artikel   BiXßiva,   der   in    unsrer   Überlieferung   hinter    Bi'&vojioXig 


2.  9.    Pol.  Silv.  prov.  10,  5,  chron.  I  p.  542.   Zosim.  II  33.   Hierocl.  synecd. 
732,  8.     S.  auch  J.  Marquardt,  Römische  Staatsverwaltung  I  ^  462. 

1)  Vgl.  z.  B.  S.  159,  11.  164.  6.  184,  19. 

2)  Vgl.  S.  868,  26—869,  7  H.  =  S.  274,  10—15  B.-W. 

3)  Notae  et  castigationes  in  Stephanum  Byzantium  de  urbibus, 
1684  S.  286. 

4)  Vgl.  die  Lexika,  besonders  das  allerdings  einer  kritischen  Sichtung 
bedürfende  Material  von  R.  G.  Latham  bei  W.  Smith,  Dictionary  of  Greek 
and  Roman  geography  II  925. 


352  B.  A.  MÜLLER 

und  Bloa  und  vor  Bioahia  auftritt  (S.  170,  14):  BiXßiva  nohg 
IJsQoix/j.  TO  i&vixöv  BtXßivdnjg  (bg  Atyivdr^jg.  Schon  A.  Ber- 
kelius  hat  in  seiner  Ausgabe  (1694  p.  225)  zu  diesem  Artikel  be- 
merkt: liic  aliquid  monstri  laterc  mcridiana  Jucc  clarius  est. 
Die  von  ihm  angeführten  Argumente ,  die  heute  auf  Grund  eines 
sehr  vermehrten  Materials  nachgeprüft  werden  können ,  sind  zu- 
treffend :  unsere  gesamte  ziemlich  reichhaltige  Überlieferung  über 
persische  Geographika  der  Antike  sowie  über  persische  Glossen 
bei  den  Alten  i)  bietet  nicht  die  geringsten  Anhaltspunkte  dafür, 
daß  eine  im  Sinne  des  Lexikographen  persische  Stadt  des  Namens 
Bllßiva  in  den  Bereich  der  Realität  gehört.  Ferner  ist,  worauf 
nach  Berkelius  erneut  Carl  Otfried  Müller  in  seiner  Erstlings- 
schrift ^)  aufmerksam  gemacht  hat ,  wesentlich ,  daß  die  von 
persischen  Städte-  und  Ortsnamen  abgeleiteten  Ethnika  in  ganz 
anderer  Weise  gebildet  werden.  Wie  diese  Bildung  erfolgte,  darüber 
belehrt  uns  der  Artikel  'AdagovTioXig  (S.  26,  5):  'AöuQovjioXig, 
nöhg  UeQOiTi't],  cog  Maqy.iavog  iv  neginXco  rov  IJsqoixov  xöXnov. 
6  jioXiTfjg  'AdaQOJto?Jn]g ,  d)g  'H)d07io?drt]g,  'HcpaiorojioXmjg,  reo 
TEyvixcp  Xoym,  ei  ju^]  ocpeiXei  reo  Usqoixcö  rvjico,  (hg  Kajußvörjvög 
Zaxprjvog  IlaQairaxrjvog^).  Den  Weg  zur  Beseitigung  der  Corruptel 
haben  gleichfalls  Berkelius  und  C.  0.  Müller  gezeigt,  indem  sie  den 
Ort  BiXßiva  mit  dem  peloponnesischen  BeXßiva  identificirten : 
jener  las  Aaxojvix)) ;  dieser  schlug  IlEXoTiovvrjOiayJ]  vor,  bemerkte 
dazu:  Gentile  Alyivdrtjg  forma  Peloponnesris  propria  memoraf 
Stcphaniis  s.  vv.  Kdmvva,  Be/ußiva  und  verwies  auf  den  Ar- 
tikel 'AfKfiyevEia  (S.  89,  10):  Ajug^iyEveia,  jioXig  ^leoorjviaxrj. 
....  TO  eOvixov  Ajuq)iyEVEidr'i]g  diä  rov  üeXoTiovvrjoiov  yaqax- 
rijoa  fj  xal  AfiepiyEVEvg.  Die  Gleichsetzung  von  BiXßtva  und 
BkXßLva  ist  richtig;  Stephanos  hat  an  anderer  Stelle  (S.  161,  12), 
irrigerweise  den  peloponnesischen  Ort  und  die  südsüdwestlich  vom 
Vorgebirge  Sunion  gelegene  Insel  *)  von  gleichem  Namen  zusammen- 
werfend, BeXßiva  einen  besonderen  Artikel  gewidmet:  BeXßiva, 
noXig  Aaxcovixrj ,  Uavoaviag  öyöSo)  [VIII  35,  4].  'AgzEjui.dcoQog 
vYjOOv  avriqv  (ptjoi.     xb  Eurixor  BEXßnn']ri]g  (bg    Atyivrjxiig.      Ein 

1)  Vgl.  P.  de  Lagarde.   Gesammelte   Abhandlungen  186(3  S.  147  ff. 

2)  Aegineticorum  über  1817  S.  91  f. 

3)  Vgl.  auch  S.  155,  5.  175,  5.   229,  12.   351,  11.  430,  1.  572,  23  und 
häufig. 

4)  E.  Oberhummer,  Realencykl.  III  198. 


zu  STEPHANOS  BYZANTIOS  353 

kurzer  Überblick  über  dieses  peloponnesische  Belbina  dürfte  gestatten, 
eine  Verbesserung  des  überlieferten  nöXig  IJegoixi'j  zu  finden ,  die 
vielleicht  einleuchtender  und  leichler  als  die  früheren  Vorschläge  ist. 
Unter  dieser  topographischen  Bezeichnung,  deren  Namensform  in 
unserer  Überlieferung  schwankt ,  muß  ein  Ort  im  Grenzgebiet 
zwischen  Lakonien  und  Arkadien,  der  sogenannten  BeJ^juivärig, 
verstanden  werden,  der  in  der  Nähe  des  Berges  Ghelmos  zu  loka- 
lisiren  ist.  Dieser  Berg  selbst  mit  seinen  Resten  von  allen  Be- 
festigungswerken bildete  das  von  Plutarch  ^)  erwähnte  tieqI  rrjv 
Belßivav  'Ädrjvaiov  und  war  geradezu  die  Akropolis  des  Platzes 2). 
Ort  und  Gegend  werden  von  Pausanias^)  zu  Lakonien  gerechnet, 
eine  Angabe,  die  zunächst  nur  als  für  das  Zeitalter  des  Periegeten 
gültig  bezeichnet  werden  darf.  Das  Gebiet  war  fortgesetzt  ein 
Gegenstand  des  Streites  zwischen  Sparta  und  Arkadien  und  wird 
gerade  deshalb  regelmäßig  in  unserer  Überlieferung  erwähnt  *) ;  bald 
gehörte  es  zur  nördlichen,  bald  zur  südlichen  Landschaft.  Die 
Arkadier  nahmen  es  als  ihnen  eigentlich  und  von  altersher  gehörig 
in  Anspruch:  Paus.  VIII  35,4  Xeyovoi  jiiev  dt]  ol  'AgyAdeg  xrjv  Bele- 
/xtvav  Trjg  ocperegag  ovoav  ro  ägyaiov  dnorejueo'&ai  Aaxedaijuoviovg' 
Mysiv  de  ovx  elxöra  scpaivovxo  fxoi  y.al  ulXmv  evexa  xai  judhora  oxi 
fxoi  öoxovoi  SrjßdioL  /^?;(5'  dv  (Bekker;  ixY]de  Hdschr. )  roüro  eXaooo- 
fxevovg  nsQUÖeXv  zovg  ^ÄQxdöag,  et  oq)ioiv  eoeo'&ai  ovv  rw  öixaiq) 
ro  STiavoQßojfia  8f.ieX?<.ev.  Belbina  kann  also  auf  Grund  dieser  Lage 
der  Dinge  mit  demselben  Recht  als  lakonische  und  als  arkadische  Stadt 
bezeichnet  werden.  Nun  sind  als  südlichster  arkadischer  Stamm  die 
Parrhasier  zu  bezeichnen.  Der  Kern  ihres  Gebietes  ^)  liegt  südöstlich 
vom  Lykaion;  sie  füllten  den  westlichen  und  südlichsten  Teil  der 
Ebene  von  Megalopolis,  nach  dessen  Gründung  ihre  Ausdehnung  nach 


1)  Cleom.  4  i>i  TOVTOV  Klso^iiv^  itgürov  ol  scpogoi  ;iE^in:ovai  xaza?.>]ip6- 
fiBPOV  ro  TiEQi  rtjv  BsXßivav  /i{}7'jvaiov.  if.ißo?.i]  ds  zfjg  AaHon'ixfjg  xo  yjaqiov 
iazt  xal  zöze  jzgog  zovg  Meyalojiolizag  fjv  in:i8iH0v. 

2)  Vgl.  darüber  auf  Grund  eingehender  Autopsie  W.  Loring,  Journal 
of  Hellenic  studies  XV  1895,  36  ff.  S.  auch  Blümner  zu  Pausan.  III  21,  3 
sowie  J.  Kromayer,  Antike  Schlachtfelder  I  205f.  211. 

3)  III  21,  3  zijg  .  .  '/cogag  zfjg  Äay.coviHijg  t)  Belz^dva  fiähoza  ägdea&ai 
ns(pvxEv. 

4)  Vgl.  die  Einzelnachweise-bei  E.  Oberhummer,  Realencykl.  III 198 
sowie  Frazer  zu  Pausan.  III  21,  3,  H.  Blümner  zu  Pausan.  VIII  35,  4. 

5)  Vgl.  Frazer  und  Blümner  zu  Pausan.  VIII  27,  4.  Hiller  von 
Gaertringen  IG  V  2  p.  VIII  83—144. 

Hermes  LIII.  23 


354  ß-  A.  MÜLLER 

Lakonien  und  nach  Osten  zu  natürlicherweise  etwas  eingeschränkt 
gewesen  sein  muß.  Daß  zu  Thukydides'  Zeit  ihr  Gebiet  an  die  Skiritis 
stieß,  lehrt,  was  dieser  Geschichtschreiber  zum  Jahre  421  über  den 
Zug  der  Spartaner  gegen  to  iv  KvyeXoig  Tslxog  berichtet,  das  sich 
leider  nicht  topographisch  fixiren  läßt  (V  33):  Äaxedaijuovioi  de 
rov  avrov  ß^egovg  Tzavdrjfxel  ioTgarevoav  .  .  .  Trjg  ''AgyMÖiag  ig 
UaQQaoiovg  Maviivecov  vjirjxoovg  öviag  xara  ordoiv  ejiixaXe- 
oa[j,EV(üv  ofpäg,  afia  de  zb  ev  KvipeXoig  zeTy^og  ävaiQiqaovxeg,  rjv 
övvcovrai,  o  ereixioav  Mavnvrjg  xal  avrol  ecpgovgovv.  ev  ttj  ITag- 
gaoixfj  xeijuevov  eni  rf]  2!xiQizidi  rrjg  Äaxcovixrjg.  Das  hier  er- 
wähnte ev  Kv^ieXotg  xelyog,  sowie  KvxpeXa  selbst,  das  man  durch- 
aus nicht  mit  dem  Kvx^eXa  zu  identifiziren  braucht,  welches  Nikias 
h  roTg'ÄQxadixorg  (Athen.  XIII  609  E  =  FHG  IV  463)  zu  Kypselos' 
Geschichte  nennt ^),  läßt  sich  topographisch  nicht  fixiren;  aber  gleich- 
wohl kann  man  aus  der  thukydideischen  Darstellung  schließen,  daß 
421  das  Gebiet  der  Parrhasier  an  die  Skiritis  stieß.  Diese  selbst, 
ein  rauhes  Bergland,  lag  zwischen  dem  oberen  Eurotas  und  dem 
Oinustal^).  Das  Gebiet  der  Parrhasier  berührte  also  einstmals  und 
zwar  im  Grenzgebiet  der  Skiritis  Lakonien ,  von  dem  die  Alymig, 
der  nördlichste  Grenzgau,  früher  arkadisch  gewesen  war,  während 
die  südlich  davon  gelegene  BeXjuivaTig  von  altersher  nach  einem 
oben  ausgeschriebenen  Zeugnis  noch  später  als  altarkadisches  Land 
in  Anspruch  genommen  wurde,  Soll  nun  ein  bestimmter  arkadischer 
Stamm  als  Herr  dieses  Gebiets,  als  Herr  insbesondere  von  Belbina 
oder,  um  die  hier  in  Frage  kommende  Namensform  zu  brauchen, 
von  Bilbina  bezeichnet  werden,  so  können  das  nur  die  Parrhasier 
sein.  Ich  schlage  daher  nunmehr  vor,  bei  Stephanos  zu  lesen: 
BiXßiva,  jiöXig  UaQQaoixr}  und  verweise  wegen  des  Adjektivums 
auf  Thucyd.  V  33.    Die  Änderung  dürfte  sich  durch  die  Erwägung 


1)  YgL  E.  Curtius,  Peloponnesos  I  339, 16.  Hiller  von  Gaertringen 
a.  a.  0.  128,  90. 

2)  VgL  E.  Curtius  a.  a.  0. 1 18.  II  217.  263  ff.,  Inschriften  von  Olympia 
91—98,  bes.  95—97,  sowie  R  Lattermanns  Karte:  IG  V  1  tab.  VII.  Diesen 
Feststellungen  gegenüber  ist  unzutreffend  und  irreführend  die  jüngst  vor- 
gelegte Hypothese  E.  Ziebarths  in  Lübkers  Reallexikon  ^  956  a,  der  die 
Skiritis  im  oberen  Eurotastal  allein  unterbringt;  sie  widerspricht  nicht 
nur  unseren  sämtlichen  Zeugnissen  und  Nachrichten  über  dieses  Gebiet, 
sondern  ist  auch  an  sich  unmöglich:  im  oberen  Eurotastal  läßt  sich,  wie 
ein  Blick  auf  die  Karte  lehrt,  eine  so  umfangreiche  Grenzlandschaft,  wie 
die  Skiritis  es  war,  schlechterdings  gar  nicht  ansetzen. 


I 


zu  STEPHAN  OS  BYZANTIOS  355 

empfehlen,  dafs  IIeqoixi]  sehr  leicht  aus  dem  immerhin  seltenen 
und  wenig  gebräuchlichen  IJaQQaoix/j  verderbt  werden  konnte. 
Aus  dem  Umstände  selbst,  daß  an  der  einen  Stelle  die  Stadt 
als  lakonischer,  an  der  anderen  als  parrhasischer  Ort  bezeichnet 
wird,  wird  man  kein  Argument  gegen  die  vorgetragene  Conjectur 
ableiten  können:  der  Artikel  'A&ajLiavia  lehrt,  daß  Stephanos  bei 
seinen  Formulirungen  solchen  doppelten  Zuweisungen  auch  unter 
ein  und  demselben  Stichwort  Rechnung  trug  (S.  33,10):  "A^ajua- 
via,  xwQa  'IXXvQiag,  ol  de  OeooaUag.  Andrerseits  kann  die  Lesung 
BiXßiva,  nohz  IlaQQaoiy.i]  noch  durch  eine  andere  Erwägung  ge- 
stützt werden.  Schon  längst  ist  beobachtet  worden,  daß  bei  „spä- 
teren" Autoren  parrhasisch  soviel  wie  arkadisch  bedeutet^).  In 
glücklicher  Weise  hat  Hiller  von  Gaertringen  ■'^)  darauf  hingedeutet, 
daß  ein  Vers  des  Kallimachos  der  Ausgangspunkt  dieses  Gebrauches 
ist  (hymn.  1,  10): 

ev  de  oe  Uaggaoirj  'Pect]  zexev. 

Wer  in  diesem  Vers  Uaggaoia  im  weiteren  Sinn  verstand,  setzte 
es  mit  'AgyMÖia  in  v.  7  gleich.  Mit  noch  besserem  Recht  kann 
neben  diesem  Kallimachosvers  eine  von  Aristaios  handelnde  Stelle 
des  Apollonios  Rhodios  als  Beleg  für  die  Gleichung  „parrhasisch 
=  arkadisch"  genannt  werden  (II  520 ff.): 

€v  de  Keq)  xazEvdooaro,   Xaov  äyeigag 
UaQQaoiov,  roi  jceg  re  Avxdovog  eloi  yeve^^Xrjg. 

Unzutreffend  ist  es  dagegen,  für  diesen  Sprachgebrauch  auf  Pind. 
Ol.  9, 143  zu  verweisen,  wo  der  Dichter  sich  nur  auf  die  Parrhasier 
selbst  bezieht. 

S.  240,  3  Agvg,  noXig  0Qqxr]g,  'ExaraXog  EvQCOJtf].  eori  xal 
TioXig  r&v  (Berkelius;  Ttxcoxoioxcbv  AR;  Jircoxcoorcö  V)  Oivcotqcov. 
6  noXixrjg  Agvevg  xal  Agvfjig  (Meineke;  Agvoig  codd.).  eort  xal 
xcojui]  KiXuxiag  Ttagd  (RV;  Avxiag  enl  A)  reo  'Aqco  TTorajuco. 
Gegen  die  Überlieferung  über  die  Lage  des  kilikischen  Ortes  nimmt 
der  Umstand  ein,  daß  ein  Fluß '^^d?  nirgends  sonst  erwähnt  wird, 
ein  Bedenken,  das  deshalb  um  so  schwerer  wiegt,  weil  der  Nachrichten- 

1)  Pape- Benseier,  Wörterbuch  der  griechischen  Eigennamen  II', 
lUl^.  Blümner  zu  Pausan.  VIII  27,  4;  vgl.  ferner  Serv.  Aen.  VIII  344. 
Steph.  Byz.  S.  120,7  (Eustath.  in  Dionys.  Perieg.  414);  Schol.  Pind.  Ol. 
9,  143.     Schol.  Apoll.  Rh.  II  521. 

2)  A.  a.  0.  p.  VIII  137  a 

23* 


356  B.  A.  MÜLLER 

bestand  unserer  Quellen  über  Topographika  Kilikiens  im  Altertum 
außerordentlich  reichhaltig  ist.  An  Kilikien  selbst  als  dem  Land, 
in  welchem  das  Dorf  lag,  wird  man  wohl  gegenüber  Lucas  Hol- 
stenius  ^),  der  von  der  Lesart  Ävxiag  ausging  und  Maiävögcp  ver- 
mutete, festhalten  dürfen.  Auch  Gl.  Salmasius,  gegen  den  sich 
Holstenius  seinerzeit  wandte,  hielt  KiXiyJag  für  richtig  und  schrieb 
Uivagcp  (sie),  indem  er  annahm,  hier  sei  der  am  Amanos  ent- 
springende und  bei  Issos  in  Kilikien  ins  Meer  mündende  Küstenfluß 
von  allerdings  recht  geringer  Länge  seines  Laufes  gemeint,  der  von 
Stephanos  S.  340,  4  u.  'looog,  nohg  juera^v  2^vQiag  xal  Kihxiag 
genannt  und  sonst  im  Altertum  nur  wegen  der  Nähe  des  Ortes 
der  Alexanderschlacht  erwähnt  wird.  Berkelius  billigte  dann  1694 
in  seiner  Ausgabe  diese  Lesart  mit  folgenden  Worten:  cjuae  lectio 
ianto  confidentiiis  admittcnda  est,  qiiia  in  3ISS  ante  rö  'Äqm 
lacuna  conspicitur.  Schon  dieser  Umstand  —  Meineke  sagt  aller- 
dings nur,  daß  der  codex  Vossianus  zwischen  tm  und  'AqÖ)  eine 
Lücke  aufweise,  deren  Umfang  er  nicht  bestimmt  —  lehrt,  daß 
gegenüber  dem  nur  hier  überlieferten  Wort  'Aqm  eine  Gonjectur 
berechtigt  ist.  Eine  leichtere  Änderung  als  das  von  Salmasius  vor- 
geschlagene Uivagcp  dürfte  2!dQcp  sein.  Neben  dem  Pyramos  und 
Kydnos  erscheint  der  häufig  erwähnte  Saros^)  als  einer  der  wich- 
tigsten Flüsse  Kilikiens  von  einer  außerordentlich  beträchtlichen 
Stromlänge.  Wenn  {Z)rjLQ<x>  zur  Ausfüllung  der  Lücke  sich  als  nicht 
genügend  erweisen  sollte,  schlage  ich  {2!iv)dQcp  unter  Verweis  auf 
Ptol.  geogr.  V  8,  4  Zdqov  y  2^ivdQov  jiozajuov  ixßoXai  vor.  Selbst 
wer  diesen  Vermutungen  nicht  beistimmt,  wird  doch  zugeben  müssen, 
daß  der  'Agög  Tzoxajuög  nur  noch  als  ungenügend  beglaubigt  in 
unseren  Lexika  geführt  werden  darf. 

Der  Heilung  bedarf  wohl  auch  der  Artikel  WvUa  (S.  703,  10): 
WvlXa  yojgiov  juera^v  'HoaxXeiag  xal  rov  Uovxov.  MeviTcnog  iv 
jieoiTilcp  rov  TIovzov  '' dno  KQr\viboiv  eig  Wvllav  xcoqiov  orddia 
x ,  ano  Wv}Ji.i]g  ycoQiov  stg  Tiov  nöXiv  xal  noxafxbv  BiXXaiov 
ordöia  n?     x6   edvixöv    WvXXdxi^g.      Gemeint   ist   der   kleine    Ort 


1)  A.  a.  0.  105. 

2)  Vgl.  die  Belege  bei  Pape  -  Benseier  IP  1348;  s.  Steph.  Byz. 
S.  24,  21flf. ;  547,5  'PoT^og,  imvsiov  Kihxiag  sjii  taig  ixßokaig  xov  Sägov  no- 
rafiov.  S.  femer  W.  M.  Ramsay,  Historical  geography  of  Asia  minor 
(Royal  Geographical  Society,  Supplementary  papers  IV)  1890,  18.  53. 
221.  276.  289.  310.  311.  385. 


zu  STEPHANOS  BYZANTIOS  357 

Wv2.Xa^)  an  der  bithynischen  Küste  zwischen  dem  pontischen  Hera- 
kleia  und  Tios'-).  Psylla  selbst  liegt  nicht  zwischen  Herakleia,  das 
seinerseits  selbst  eine  ponlische  Hafenstadt  ist,  und  dem  Meere. 
Der  Text,  der  in  der  überlieferten  Form  sachlich  unmöglich  ist, 
mu(.^  also  verderbt  sein.  Schon  Gl.  Salmasius^)  hatte  die  Meinung 
ausgesprochen,  es  sei  zu  lesen  WvXXa  iooqiov  jUEia^b  'IlQaxXeiag 
xal  Tiov.  Näher  dürfte  unserer  Überlieferung  folgende  Vermutung 
kommen  :  WvXla  ycogiov  fiera^v  'HgaxXeiag  xcü  (Tiov)  tov  IIovtov. 
Zur  Empfehlung  der  Conjectur  verweise  ich  auf  Steph.  S.  624,  20 
Tiog,  jioXtg  JJafpXayoviag  tov  IIovtov.  Ich  führe  ferner  aus  dem 
gleichen  Autor  folgende  Stellen  an:  77,  9  'AXom]  .  .  .  TQiTf]  (seil. 
noXig)  TOV  IIovxov ;  96,  2  eotiv  "Avd^eia  xal  tov  IIovtov  JioXig 
TiQog  TTj  Ogfix}];  347,  13  eoTi  xal  tov  IIovtov  KaXddovoa;  882, 
19  Kgejut],  TToXig  IIovtov ;  571,  8  Zivoin)],  noXig  öiacpaveaTaTYj 
TOV  IIovtov;  642,12  Tvqitolx}],  noXig  IIovtov;  667,3  (Piveiov, 
TOJiog  TOV  IIovtov. 

Hamburg.  B.  A.  MÜLLER. 


1)  Vgl.  Arrian.  pevipl.  ponti  Euxini  19  (=  Anon.  peripl.  p.  Eux.  13). 
Ptol.  geogr.  V  1,  7.  Marcian.  epit.  peripl.  Menippi  8.  Tab.  Peut.  segm. 
9, 4  mit  der  Form  Scylleum. 

2)  Vgl.  außer  den  zu  Psylla  angeführten  Stellen  besonders  Strabo 
XII  542.  543.  565.  Mela  I  104.  Memnon  16.19  (FHGIII  535 f.).  Ptol.  geogr. 
V  1,  7.    Tab.  Peut.  segm.  9,  5. 

3)  Plinianae  exercitationes  880. 


NACHTRÄGLICHES  ZUR  EPIKUREISCHEN 
GÖTTERLEHRE. 

In  d.  Z.  LI  1916  S.  568 ff.  sprach  ich  (S.  586, 1)  die  Erwartung 
aus,  daß  wir  die  Philodemschrift  über  die  Lebensweise  der  Götter 
von  H,  Diels  bald  in  verbesserter  Gestalt  erhalten  würden.  Diese 
Hoffnung  ist  durch  seine  Ausgabe  und  Erläuterung  des  Textes  in  den 
Abhandlungen  der  Pr.  Akad.  d.  Wissensch.  1916  Nr.  4  und  6  aufs 
glänzendste  erfüllt.  Auch  meine  Arbeit  erwähnt  er  dort  in  freund- 
licher Weise.  Aber  er  kommt  doch  in  Hauptpunkten  zu  wesentlich 
anderen  Ansichten  als  ich,  und  auch  Auffassungen  von  mir,  denen 
er  in  Anmerkungen  zustimmt,  widerspricht  er  zum  Teil  im  Texte, 
wahrscheinlich  weil  seine  Arbeit  fertig  vorlag,  als  er  meine  zu 
Gesicht  bekam.  Da  es  sich  um  wichtige  Punkte  handelt,  die  ich 
endgültig  klargestellt  zu  haben  dachte,  möchte  ich  hier  nochmals 
auf  sie  eingehen,  um  so  mehr  da  ich  auf  Grund  der  Dielsschen 
Veröffentlichungen  auch  meine  Begründung  an  einigen  Stellen  zu 
ändern  habe.  Höflichkeitsumschreibungen  bei  der  Darlegung  unsrer 
Gegensätze  erläßt  mir  der  hochverehrte  Gelehrte  gewiß  gern. 

Der  wesentlichste  Punkt,  in  dem  wir  voneinander  abweichen 
und  um  den  sich  unsre  sonstigen  Meinungsverschiedenheiten  grup- 
piren,  ist  seine  Ansicht,  daß  die  Epikureer  zwei  Arten  von  Göttern 
anerkannt  haben :  die  eigentlichen  Götter,  die  in  ewiger  Glückselig- 
keit in  der  Zwischenwelt  wohnen,  und  eine  Art  sekundärer  Gott- 
heiten, die  Gestirngötter,  wie  Sonne  und  Mond,  die  wie  diese 
Gestirne  unsrer  Welt  angehören  und,  an  deren  Geschick  geknüpft, 
mit  jenen  höheren  Göttern  nicht  gleiche  Seligkeit  und  Unvergäng- 
lichkeit  genießen.  Der  Zwiespalt,  den  diese  Unterscheidung  in  die 
Götterlehre  der  Epikureer  bringt,  soll  in  der  Unklarheit  ihrer  Be- 
richte zum  Ausdruck  kommen,  und  bedeutende  Vertreter  der  Schule, 
wie  Apollodor,  der  Gartentyrann,  und  sein  Schüler  Demetrios  Lakon^), 

1)  Dieser  erklärt  Pap.  1055  Col.  16  ov]  y.oofiov  &e6v,  ovo'  ,"Hhov  t'  axd- 
fiavza  aeXrjvrjv  tb  7ih]&ovoav". 


ZUR  EPIKUREISCHEN  GÖTTERLEHRE  359 

ebenso  auch  Lukrez,  sollen  die  zweite  Götterart  ausdrücklich  ver- 
worfen haben.  Ja  auch  Philodem  habe  in  eigentümlichem  Schwanken 
sie  bald  anerkannt,  bald  geleugnet. 

Ehe  ich  nun  auf  die  Dielsschen  Beweisgründe  für  die  Doppel- 
natur der  epikureischen  Götter  im  einzelnen  eingehe,  schicke  ich 
einiges  Allgemeine  voraus,  das  mir  gegen  seine  Ansicht  zu  sprechen 
scheint.  Ich  könnte  mich  gegen  die  epikureischen  Gestirngötter 
auf  Augustin  berufen,  der  De  civ.  dei  XVIII  41  (Us.  S.  229,  23  ff.) 
sagt:  Epicurus  . . .  soleni  vel  ulliim  siderum  deum  esse  non 
crcdens,  ebenso  auf  Plutarch  Adv.  Colot.  27  p.  1123A  ol  .  .  . 
(pdoxovreg  ju^]öe  röv  yXiov  e'juifvxov  elvai  jurjde  rrjv  oeXtjvtjv, 
während  Epikur  selbst  ausdrücklich  (Us.  59,  16)  Gott  für  ein  Cfpov, 
also  für  e^ipvyov  erklärt.  Plutarch  hat  wahrscheinlich  eine  aka- 
demische Schrift  gegen  die  Epikureer,  die  älter  als  ApoUodor  war 
und  sich  gegen  den  Epikurschüler  Kolotes  richtete,  benutzt.  Über- 
haupt, wenn  Epikur  irgendein  Schwanken  in  seiner  Verwerfung  der 
Sterngötter  zeigte,  würden  seine  Gegner  sicher  das  gegen  ihn  in 
erster  Reihe  ausgenutzt  haben.  Aber  weder  bei  den  Akademikern 
noch  bei  den  Stoikern  ist  eine  Spur  von  einer  solchen  Kritik  er- 
halten. Indessen  bedarf  es  solcher  mittelbaren  Zeugnisse  nicht. 
Epikur  hat  sich  in  seinen  Briefen  selbst  mit  genügender  Deut- 
lichkeit ausgesprochen.  So  heißt  es  im  ersten  §  76  (Us.  S.  27, 
17 ff.)  in  bezug  auf  die  Himmelserscheinungen:  fXYire  XeiTOVQyovvjog 
xivog  vojuiCeiv  öeT  yiveod^ai  xal  diazatrovrog  fj  öiard^avTog  xal 
d.[xa  ri]v  jiäoav  fxaxaQioxrjja  e^oviog  juetd  ätp^agoiag,  und  wenn 
man  einwenden  sollte,  hier  sei  von  den  eigentlichen  Göttern  die  Rede, 
nicht  von  den  sekundären,  so  sagt  der  zweite  Brief  §  97  (Us. 
S.  42,  11  f.)  allgemein:  xal  fj  ■&sTa  cpvoig  nqbg  ravra  (zu  dem 
gesetzmäßigen  Umlauf  der  Gestirne)  /utjöa/uf]  nQogayeo&o).  In  der 
Tat:  die  Epikureer  hätten  ihre  ganze  Theologie  auf  den  Kopf  stellen 
müssen,  wenn  sie  in  irgendeiner  Weise  göttliche  Wesen  zu  den 
Himmelskörpern  in  eine  nähere  Beziehung  gesetzt  hätten.  Denn 
Seligkeit,  Anfanglosigkeit,  Un Vergänglichkeit  sind  die  wesentlichen 
Eigenschaften  der  Götter.  Darum  werden  sie  in  die  Zwischenwelt 
versetzt,  wo  diese  Eigenschaften  geschützt  sein  sollen.  Dagegen 
ist  unsre  Welt  und  mit  ihr  Sonne,  Mond  und  Sterne  entstanden 
und  vergänglich.  Das  gleiche  Los  würde  also  die  Sterngötter 
treffen ;  sie  könnten  somit  nach  epikureischer  Auffassung  keine 
Götter  sein.     So  geschieht  denn  auch  an  keiner  Stelle,  wo  Epikur 


360  R-  PHILIPPSON 

von  Sonne,  Mond  und  Sternen  spricht,  der  Sterngötter  die  leiseste 
Erwähnung.  Ebensowenig  in  den  übrigen  Quellen,  wenn  ich  von  den 
Herculanensia  fürs  erste  absehe.  Lukrez  vollends  schließt  ausdrücklich 
jedes  göttliche  Element  von  den  Gestirnen  aus.  So  an  der  Stelle, 
wo  er  ankündigt  (V  76  ff.),  er  werde  darlegen,  wie  die  Bewegungen 
der  Sonne  und  des  Mondes  von  der  Natur  gelenkt  würden,  ne  .  .  . 
aliqua  divom  volvi  rafione  putemus.  Wer  das  behaupte,  verfalle 
dem  alten  Aberglauben.  Und  nicht  minder  deutlich  erklärt  er 
V  114ff.:  ne  forte  rearis  terms  et  solem  et  caelum,  mare,  sidera, 
hin  am  corpore  divino  dehere  aeterna  manere  .  .  .  qtiae 
procul  iisque  adeo  divino  a  numine  distent,  inque  deum 
numero  quae  sint  indigna  videri,  notiiiam  potius  praebere 
ut  imsse  pidentiir,  quid  sit  vitali  motu  sensuque  remotum. 
Ferner  V146f.:  illud  item  non  est  ut  possis  credere,  sedes 
esse  deum  sanctas  in  mundi  partihus  ullis.  Und  wenn  auch 
Lukrez  hier  Darstellungen  jüngerer  Epikureer  gefolgt  sein  sollte, 
ist  es  glaubhch,  daß  diese  eine  Lehre  für  „alten  Aberglauben" 
erklärt  hätten,  die  irgendwie  von  ihrem  vergötterten  Meister 
vertreten  worden  wäre?  Dazu  bedürfte  es  zwingender  Beweise. 
Untersuchen  wir,  ob  die  von  Diels  angeführten  Stellen  solche 
bieten. 

„Auszugehen  ist",  sagt  er  Nr.  6  S.  29,  „von  dem  Scholiasten  der 
KvQiai  do^ai  bei  Diog.  X  139,  der  zwei  Arten  von  Göttern  unter- 
scheidet, ovg  juev  xar  dgidjudv  vcfsorcöiai;,  ovg  de  yMxä  öjuoeideiav 
EX  TYJg  ovvexovg  etiiqqvoeok  rcöv  djuoicov  elöüiXcov  im  rö  avxo 
djioTETekEojuEvcov,  äv&QcojioEidEtg.  Es  freut  mich,  daß  er  meine 
Auffassung  von  ovg  jLih'  —  ovg  ös  als  Zweiteilung  nicht  des  Sub- 
jektes, sondern  des  Prädikates  in  Anm.  3  billigt  und  durch  zwei 
weitere  Beispiele  belegt^).  Um  so  befremdlicher  ist,  daß  nach  seiner 
Meinung  doch  zwei  Arten  der  Götter  unterschieden  werden  sollen. 
Damit  hätten  wir  wieder  die  von  uns  beiden  abgelehnte  Zweiteilung 
des  Subjektes.  Daran  ändert  auch  nichts,  wenn  er  fortfährt:  „Zunächst 
macht  es  keinen  großen  Unterschied,  ob  man  zwei  Arten  von 
Göttern  als  objektive  Wesen  oder  von  Göttererscheinungen  als 
subjektive  q:avtaoiai  unterscheidet.  Denn  es  kommt  hier  nur  auf 
die  Entstehung  der  Güttervorstellungen  an."  Denn  nach  meiner 
von  ihm  gebilhgten  Auffassung  des  ovg  [xev — ovg  de  werden  beide 

1)  Ein  viertes  gibt  Isokr.  Helena  1,  1  o'i  fiiv  —  o'i  ös,  vgl.  Zeller 
IIa 3  S.  265,5. 


ZUR  EPIKUREISCHEN  GUTTERLEHRE  361 

Prädikate  y.ar'  ägi^judv  vcpsoxöjxng  und  äv&ocoTioeiöelq  auf  die 
Götter  im  allgemeinen  bezogen.  Sie  werden  erkannt  einerseits  als 
Einzelwesen ,  andrerseits  nach  der  Gleichartigkeit  der  von  ihnen 
herrührenden  Bilder  als  menschenähnlich.  Aber  vor  allem  ist  es 
irrtümlich ,  wenn  Diels  glaubt ,  hier  werde  von  der  Erkenntnis  der 
Götter  durch  cpavTaoiai  gesprochen.  Sein  Fehler  ist,  dafs  er  die 
wichtigen  einleitenden  Wörter:  (pt]ol  rovg  'deovg  Xoyco  'd^ecoQrj- 
rovg  fort-  und  unberücksichtigt  gelassen  hat.  Diels  meint  nämlich 
des  weiteren,  nach  Epikurs  Ansicht  erhielten  wir  von  den  Göttern 
teils  reine,  teils  entstellte,  wenn  auch  ähnliche  Bilder  (wovon  später!); 
jene  ergäben  die  Erkenntnis  der  Götter  als  Einzelwesen,  diese  nur 
die  ihres  Gattungswesens.  Eine  solche  Erkenntnis  wäre  aber  keine 
logische,  wie  sie  hier  nach  obigen  Worten  geliefert  werden  soll, 
sondern  eine  Erkenntnis  durch  unser  Vorstellungsvermögen  {öidvoia). 
So  bleibt  nur  meine  Erklärung  der,  wie  ich  glaube,  sehr  verkürzt 
wiedergegebenen  Worte  Epikurs  übrig.  Wir  erkennen  durch  die 
Vernunft  wohl,  daß  die  Götter  Einzelwesen  sind  (dafür  spricht  schon 
ihre  Menschenähnlichkeit),  wir  können  uns  aber  bei  der  Beschaffen- 
heit der  von  ihnen  zuströmenden  eldcola  wiederum  durch  die 
Vernunft  nur  ein  Bild  ihres  Gattungscharakters  machen.  Nicht  also 
von  einer  doppelten  Art  der  Götter  noch  von  einer  doppelten  Art 
ihrer  Erscheinungen  spricht  nach  meiner  Auffassung  Epikur  in  diesem 
Scholion,  sondern  von  einem  doppelten  Ergebnis  unsrer  Erkenntnis 
ihres  Wesens  durch  die  Vernunft.  Dazu  stimmt  auch  die  Aeliosstelle 
(Us.  239, 11  ff.),  nach  der  Epikur  alle  Götter  nur  durch  die  Vernunft 
erkennbar  nennt,  weil  ihre  Bilder  eine  zu  zarte  Beschaffenheit  haben. 
Von  einer  doppelten  Art  Götter  ist  da  nicht  die  Rede  und  noch 
weniger  davon,  daß  gerade  die  eigenthchen  Götter  uns  als  Bilder 
„rein  gehaltene  Atomcomplexe"  senden.  Gerade  dies  wird  von 
allen  Göttern  geleugnet. 

„Von  dieser  doppelten  Entstehung  (der  Göttervorstellungen) " , 
fährt  Diels  S.  30  fort,  „handelt  Epikur,  wie  Philodem  in  der  Schrift 
von  der  Frömmigkeit  berichtet,  folgendermaßen  (S.  134  Gomp.) : 
....  Tcbv  \Ei\d\(X)X(x>\v  öfioiav  2.ajußa[v6v]ra)v  1/  y£y£vvrj[jiiev7]]v 
xäv  i^  v7iEQßd[oe(jog]  töjv  jLiETa$v  [ri]v  avr]i][v  xar'  ägiüpov  ovy]- 
XQiGiv  Öte  juev  [t?)j'^)  ex  röJv]  avrojv  xale{I)v,  oxe  d\e  t)]v  ex 
Tcbv  öjuoiojv.'^     Diels  nimmt  an,  daß  hier  von  einer  doppelten  Ent- 

1)  Dieses  schon  von  Gomperz  ergänzte  ti'jv,  das  bei  Diels  fehlt,  ist 
wohl  notwendig. 


362  R-  PHILIPPSON 

Stellung  der  Göttererscheinungen  aus  reinen  und  entstellten 
Bildern  die  Rede  ist.  Das  ist  schon  nicht  sicher.  Ich  stelle  die 
vorhergehenden  Zeichen  unsrer  Columne  (Z.  2Ü.)  ungefähr  so  her: 

sTtioJv  d'  iyoj  [yMi  nQOze- 
Qov  xri\vde  ttjv  [ov]o- 
Taoi\v  xal  Td[?]  (pvoeig 
tov]tcov  töjv  [Ei]d[cü- 
Xcü]v 

Tag  (pvoeig  ^)  rcöv  eIömXcov  braucht  hier  nicht  die  Götterbilder 
im  besonderen  zu  bezeichnen,  sondern  kann  auf  die  Bilder  im 
allgemeinen  gehen.  Diese  nennt  Epikur  bald  die  aus  denselben, 
bald  aus  den  ähnlichen  stammenden  (ovoTaGig  oder  ovyHoioig), 
je  nachdem  die  Bilder  eine  ähnliche,  oder  wenn  möglich 
(also  Ausnahmefall)  individuell  identische  Zusammensetzung  er- 
halten. Das  erstere  ist,  wie  ich  in  d.  Z.  a.  a.  0.  S.  569  und  586 
nachzuweisen  suchte,  bei  den  Götterbildern  der  Fall,  während 
die  Bilder  der  irdischen  Dinge  unter  günstigen  Bedingungen^) 
durch  Überspringen  der  Zwischenkörper  ^)  die  Gegenstände  genau 
wiedergeben.  Daß  Philodem  im  Zusammenhange  mit  den  Göttern, 
von  denen  die  Schrift  handelt,  den  Nachdruck  auf  die  nur  ähn- 
lichen Bilder  legt,  ergibt  sich  daraus,  daß  er  entgegen  der  Reihen- 
folge in  dem  vorhergehenden  Participialsatze  ex  rcbv  öfxoicov 
ans  Ende  setzt  und  nach  meiner  wohl  sicheren  Ergänzung  weiter 
hinzufügt:  y.al  rijv  tovtcov  rd^iv  ovx  äjtoßaXXovxoiv ,  cjore  xal 
t6  ovzco  TiQayßkv  iu7]dajuä)g  äora&Eg  eJvai.  Also  auch  diese  nur 
ähnhchen  Bilder  geben  eine  sichere  Kenntnis,  wenn  auch  nicht 
von  der  individuellen ,  so  doch  von  der  allgemeinen  Beschaffenheit 
der  Götter.  Aber  auch  wenn  hier  von  einer  Unterscheidung  der 
Götterbilder   die  Rede  sein    sollte,   so  bildeten  nach   dem  xäv  Z.  8 


1)  Dieses  Wort  halte  ich  für  sicher.  Auch  im  Herodotbriefe  48 
(Us,  S.  11, 10)  nennt  er  die  sidcola  (pvoeig,  ebendort  spricht  er  von  ihrer 
ovaxaoig. 

2)  Im  Herodotbrief  §47  sagt  Epikur  von  den  sl'dcaXa  im  allgemeinen: 
TÖ>  amiQn)  avTCüv  /nrjßkv  dvztxojizeiv  ?]  oXiya  ävrcxöjiTeiv  (das  ist  also  die 
i'jisQßaoig  zöjv  fieza^v  unsrer  Stelle^  noXloTg  (Us.  jioU.aTg)  ös  nal  0.1:1  si- 
Qo  ig  Evdvg  ävtixÖTireiv  xi. 

3)  So  übersetzt  Diels  an  dieser  Stelle  richtig  tcüv  fieza^v,  während 
er  vorher  von  Überspringen  der  Zwischenvpelt  spricht;  doch  davon 
später! 


ZUR  EPIKUREISCHEN  GÖTTERLEHRE  363 

die  reinen  Bilder  nur  einen  Ausnahmefall,  der  sich  im  einzelnen 
gar  nicht  feststellen  ließe,  da  wir  kein  Kriterion  haben,  um  durch 
e7iifiaQTVQi]oig  die  reinen  und  entstellten  Bilder  zu  unterscheiden. 
Jedenfalls  träfe  aucli  dann  zu,  dafs  Philodem  nach  Maßgabe  seiner 
Worte  die  nur  ähnlichen  Bilder  als  eigentliche  Quelle  unsrer  Götter- 
erkenntnis betrachtete.  Da  nun  auch  in  der  ganzen  Umgebung 
unsrer  Stelle,  soweit  ich  sehen  kann,  von  Gestirngöttern  nicht  die 
Rede  ist,  glaube  ich  nicht,  daß  sie  für  die  Annahme  solcher  seitens 
Epikurs  verwertet  werden  kann ;  ebensowenig,  wie  wir  sehen  werden, 
die  Anführung  derselben  Epikurworte  im  3.  Buche  über  die  Lebens- 
führung der  Götter. 

Die  Metrodorstelle  endhch,  die  Diels  heranzieht^),  hat  mit 
obigen  Epikursätzen  überhaupt  nichts  zu  tun;  denn  in  ihr  ist 
nicht  von  einer  Unterscheidung  der  Arten  der  Göttererkenntnis 
oder  des  Verhältnisses  der  Bilder  zur  Erkenntnis  ihrer  Gegenstände 
die  Rede,  sondern  von  dem  Unterschiede  zwischen  ewigen  und  ver- 
gänglichen Atomverbindungen  (ovyxQioeig).  In  der  Sextusstelle 
(Adv.  math.  IX  44 f.),  die  Diels  heranzieht,  wird  die  Entstehung  des 
Volksglaubens  nicht  auf  das  Erscheinen  von  Sterngötter- Bildern, 
sondern  auf  die  Beobachtung  der  evxoojuia  der  Himmelsvorgänge 
zurückgeführt.  Diese  Beobachtung  gibt  aber  nicht,  wie  Diels  meint, 
nach  Epikur    ein    unreines  Bild    der  Götterwelt,   sondern  überhaupt 


1)  Philodem.  jt.  eva.  fr.  123  S.  138  Gomp.  Es  ist  bedauerlich,  daß 
die  vorhergehenden  und  folgenden  Zeilen  so  arg  beschädigt  sind.  Ich 
lese  vorher  zweimal  fr.  117,  20  und  fr.  118, 1  :rtQ6g  8id[?.t]yjiv],  nach  meiner 
Annahme  der  siöcöXoiv.     Fr.  118,21  etwa: 

[Ja:  zoiovTOiv  (pavzaoiMV  ejtc-] 

voi]av  xaza[?.a- 

ßsTv]  Hai  Twv  [ex 

tov]ra>v     y.Qioscov 

zov  ä](p&aQTOv  [si- 

vai  x\ai  jiäv  vq\7]- 

zov  zo\  zä>v  [i?£(üj']  elg  \ev 

ä&Qoi]a/j.a. 
Diels  ist  geneigt,  mit  mir  123, 12  [ziva]  ovyxQioiv  zu  ergänzen;  wenn  er  aber 
meint,  es  werde  damit  angedeutet,  daß  man  diesen  Terminus  nur  un- 
eigentlich von  den  Göttern  gebrauchen  dürfe,  so  kann  ich  dem  nicht  bei- 
stimmen, denn  ein  Drittes  neben  Atomen  und  ihren  Zusammensetzungen 
gibt  es  nach  Epikur  für  Körper  nicht.  Da  also  die  Götter  keine  Atome 
sind,  müssen  sie  ovyxQiaeig  sein;  das  ziva  würde  sie  nur  als  eine  besondere 
Art  dieser  bezeichnen. 


364  R-  PHILIPPSON 

keines,  da  die  Götter  mit  der  Lenkung  der  Gestirne  nichts  zu  tun 
haben  (vgl.  in  d.  Z.  a.  a.  0.  S.  5 75  f.). 

Aber  auch  der  Beweggrund,  mit  dem  Diels  die  Annahme  von 
Sterngöttern  seitens  der  Epikureer  zu  erklären  sucht,  die  Erinnerung 
an  das  Schicksal  des  Anaxagoras,  scheint  mir  nicht  stichhaltig. 
Schon  Augustin  (Us.  S.  229,  21ff.)  bemerkt,  daß  im  Gegensatz  zu 
Anaxagoras  Epikur  ruhig  habe  in  Athen  leben  können,  obwohl  auch 
er  weder  Sonne  noch  Sterne  für  Götter  gehalten  habe,  und  Zeller 
(III  b*  S.  445)  meint,  der  epikureische  Deismus  habe  damals  eben- 
sowenig Gefahr  gebracht  wie  der  erklärte  Atheismus.  Epikur  wußte 
auf  andere  Weise  Rücksicht  auf  die  Volksmeinung  zu  nehmen. 
Philodem  vollends  hatte  in  einer  Zeit,  in  der  der  Gonsular  und. 
Augur  Cicero  das  Gedicht  des  Lukrez  herausgab,  gewiß  keinen 
Anlaß,  in  so  schwankender  Weise,  wie  Diels  annimmt,  die  Stern- 
götter bald  anzuerkennen,  bald  zu  leugnen. 

Sehen  wir  nun,  ob  die  Stellen  unsrer  Schrift,  auf  die  Diels 
sich  stützt,  in  eindeutiger  Weise  dafür  sprechen,  daß  nach  ihnen 
Philodem  das  Bestehen  von  Sterngöttern  zugegeben  hat. 

In  der  achten  Columne  handelt  er  von  den  Wohnsitzen  der 
Götter  und  weist  ihnen  in  Übereinstimmung  mit  seiner  Schule  die 
Zwischenwelt  als  solche  an,  wo  sie  vor  jeder,  auch  der  geringsten 
Schädigung  geschützt  sein  sollen.  Von  dorther,  sagt  er  Z.  35  ff. 
in  leider  höchst  lückenhafter  Überlieferung,  empfangen  wir  reine  Vor- 
stellungen von  ihnen,  und  fährt  Z.  37  fort:  ol  de  jzsqI  ti]v  yfjv 
7taQeniiJ.oXvvovTai  rivojv  dvoiy.eioreQcov  emvoiaig.  Diels  übersetzt: 
„Die  Götter  aber,  die  um  die  Erde  (kreisen),  werden  durch  die  sich 
daneben  eindrängenden  Vorstellungen  von  gewissen  fremden  (Ele- 
menten) entstellt".  Wenn  diese  Deutung  der  Worte  richtig  ist,  so 
wäre  damit  Philodems  Annahme  von  Göttern  zweiter  Klasse  be- 
wiesen. Aber  schon  der  Ausdruck  ijiivoiaig  warnt  davor;  dieser 
bedeutet  auch  nach  Diels'  Auffassung  nie  Anschauungen  sinnlicher 
oder  phantastischer  Art,  sondern  logische  Gedanken  über  verborgene 
Dinge.  Also  nicht  die  Götter  selbst,  wie  Philodem  ungeschickt 
sagt,  sondern  die  Göttervorstellungen  (ihre  vorjoetg)  werden  auf  diese 
Weise  entstellt.  Es  steht  aber  nichts  im  Wege,  tieqI  ri]v  yijv  an- 
statt zu  dem  Subjekt  ol  de  zu  dem  unmittelbar  folgenden  Prädikat 
zu  ziehen  und  zu  übersetzen:  „Die  aber  (die  vorjOEig  der  aus  der 
Zwischenwelt  in  reiner  Gestalt  uns  zuströmenden  Götterbilder)  werden 
auf  Erden  durch  falsche  Zugedanken  entstellt. "     Das  ist  in  der  Tat 


ZUR  EPIKUREISCHEN  GÖTTERLEHRE  365 

die  Lehre  Epikurs :  ov  yao  q^vldrzovoiv  {ol  noXkol)  avzovg,  oTovg 
voovoiv  .  .  .  Ol)  yuQ  JiQoXTqxpeig  eiolv,  alV  vTtohl]\pEi<;  yjsvdeig 
ai  TCüv  noXXan'  vtxeo  "decbv  änocpaoeig  (Br.  III  123  Us.  S.  60,  6  0'.). 
Im  folgenden  bringt  nun  Philodem  ein  Beispiel  solcher  Ent- 
stellung, das  sich  themagemäß  mit  der  falschen  Vorstellung  von 
den  Göttersitzen  beschäftigt.  Ich  will  der  Kürze  halber  meine  Auf- 
fassung der  zwar,  wie  so  oft  bei  Philodem,  sprachlich  oft  unge- 
schickten und  z.  T.  nur  in  Bruchstücken  überlieferten,  aber  ihrem 
Inhalt  nach  mir  durchaus  verständlichen  Sätze  vortragen.  Er  geht 
dabei,  wie  Diels  vortrefflich  zeigt,  von  gewissen  Epiphanien  aus,  bei 
denen  Götter  in  demselben  Abstand  wie  gewisse  Sterne  und  andere 
Sternbilder  vergötterter  Menschen  vorgestellt  ^)  werden.  Insonder- 
heit werden  mit  Sonne  und  Mond  ähnlich  gestaltete  Wesen  ver- 
knüpft, weil  sie  auf  demselben  Abstand  vorgestellt  werden,  obgleich 
sie  weit  größer  als  jene  Himmelskörper  sind.  Aber  auch  die 
Spiegelbilder  sind  oft  viel  größer  als  die  Spiegel,  in  denen  sie  er- 
scheinen. Wie  man  aber  bei  dem  Spiegelbild  nicht  zahlenmäßig 
bestimmen  kann,  wie  weit  sein  Gegenstand  von  dem  Spiegel  ent- 
fernt ist,  so  auch  bei  den  Götterbildern,  die  über  die  Gestirne  hin- 
weggehen (vjisgßaiveiv),  aus  welcher  Ferne  sie  kommen.  Es  ist 
daher  falsch,  zu  glauben,  daß  diese  Göttergestalten  mit  Sonne,  Mond 
usw.  wirklich  verbunden  seien  {TiaQaßeßXrlodai).  „Denn  nicht", 
schließt  er  9,  22  ff.,  „darf  man  annehmen,  daß  die  Götter  mit 
diesen  Gestirnen  untrennbar  verbunden  sind  und  mit  ihnen  umlier- 
wandeln,  sondern  daß  sie,  wenn  die  Objekte ,  denen  sie  ihre  Ent- 
stehung verdanken ,  auch  noch  so  weit  von  dem  Zwischenraum 
entfernt    sind ,  (über  die  Gestirne)  hinweggehen  ^)  und    nicht  (oder 


1)  Nach  der  Papyruslesung  Scotts  muß  es  Z.  41  v^oovvtül  (nicht 
oQöivtai,  wie  bei  Diels)  heißen  (ebenso  9,  10  roovfier,  Z.  11  vosTzat,  Z.  13 
voovfXEv).  Auch  die  Sterngötter  wären  nicht  sinnlich  wahrnehmbar,  sondern 
(pavTaazixal  kjiißoXai  trjg  diavoiag. 

2)  Diels  faßt  das  vjtsgßalvsiv  und  v:iEgßaoig  (dies  auch  in  der 
oben  angeführten  Epikurstelle)  als  ein  Überspringen  der  Zwischenwelt 
(d.  h.  wohl  des  Raumes  zwischen  dem  Intermundium  und  uns)  auf,  durch 
das  die  Götterbilder  unmittelbar  und  rein  in  unsre  Seele  gelangen.  Aber 
wie  ist  das  möglich?  Um  zu  uns  zu  gelangen,  müssen  sie  doch  immer 
durch  unsre  unreine  Erdatmosphäre  gehen,  in  der  sie  bei  ihrer  Zartheit 
Veränderungen  erfahren.  Richtiger  übersetzt  er  die  v:^£Qßaoig  tcöv  ßsza- 
§v  (Philod.  jr.  Evo.  fr.  118)  mit  „Überspringen  der.Zwischenköri^er".  S.  oben 
S.  362.     Es  ist  das  /.itjdkv  ävzixöjitEiv  Epikurs  (Us.  S.  10,4  und  11,1)  und 


366  R-  PHILIPPSON 

Aielleicht  cbg  =  gleichsam  für  /o;  herzustellen)  mit  ihnen  verknüpft 
zu  uns  gelangen.  Daher  nennt  Epikur,  glaube  ich  {oJjuai  hinter 
'Emy.ovQov  zu  ergänzen?),  die  Bilder  bald  die  aus  denselbigen 
(Gegenständen),  bald  die  (wie  diese  Götterbilder)  aus  ähnlichen 
stammenden."  Ich  glaube,  daß  die  Stelle,  so  aufgefaßt,  in  sich 
klar  ist  und  den  Glauben  an  Sterngötter  schon  durch  die  oben  an- 
geführten Worte  deutlich  ablehnt. 

Daran  schließt  sich  dann  vortrefflich  die  Erklärung  Apollodors 
gegen  die  Wohnsitze  der  Götter  auf  Erden  ^),  und  nur  so  erklärt 
sich  Philodems  unbedingte  Zustimmung  zu  ihr. 

Zu  dieser  Ablehnung  der  Sterngötter  scheinen  mir  die  im 
einzelnen  durch  die  lückenhafte  Überlieferung  getrübten,  im  ganzen 
aber  klaren  Ausführungen  über  die  Bewegung  der  Götter  zu  stimmen 
(Gol.  10,  6  ff.).  „Denn  weder  darf  man  glauben,"  heißt  es  da, 
„daß  sie  weiter  nichts  zu  tun  haben,  als  durch  die  Unendlichkeit 
der  (Stern)  bahnen  umherzuwandeln  und  sich  im  Kreise  zu  drehen ; 
denn  nicht  glückhch  ist  ein  solcher,  der  sich  sein  ganzes  Leben 
wie  ein  Kreisel  herumdreht.  Noch  darf  man  sie  für  unbewegt 
halten."  Mit  dem  ersten  Teile  der  Disjunktion  wird  aufs  deutlichste 
der  Sterngott  verspottet.  Diels  vergleicht  treffend  die  ähnliche  Ver- 
spottung des  rotundus,  ardens,  volubilis  deus  durch  den  Epikureer 
Velleius  (Cic.  de  nat.  d.  I  18  und  24),  der  wahrscheinlich  die  Schrift 
eines  Philodem  nahestehenden  Epikureers  oder  dessen  selbst  wiedergibt. 

Die  folgende,  durch  eine  Lücke  von  zwei  Zeilen  vom  vorigen 
getrennte  und  höchst  zerstückelte  Stelle  läßt  sich  leider  mit  Sicher- 
heit nicht  herstellen.  In  der  Fassung  von  Diels  ist  [xal  dC]  äg 
unmögUch.  Diels  übersetzt  es:  „und  durch  diese  (Zuflüsse)";  aber 
weder  ist  die  relativische  Anknüpfung  nach  xai  (und)  möglich,  noch 


das  transire  bei  Lucrez  IV  145    und  247.    Meine  Ergänzung  von  Col.  9 
Z.  13  ff.  s.  weiter  unten. 

1)  Ich  lese  nämlicli  9,  35  rwv  xaT[o)t]y.iofzsv(ov  [&ecöv]  „der  (in 
Tempeln)  angesiedelten  Götter\  Vgl.  Lukrez  V  146  f.  illud  item  non 
est,  ut  possis  credere,  sedes  esse  detim  sanctas  in  mundi  partibus  ullis. 
Auch  10,  3  stand  ursprünglich  (nicht  durch  eine  Interpolation  des  Schrei- 
bers): man  müsse  diese  eigentümlichen  Götterwesen  verehren  und  zwar 
mehr  rj  xa  y.aTaay.evaCöfxeva  ngö?  ?;/<c5v  edr]  xai  väov?  (über  den  vermut- 
lichen Grund  der  übergeschriebenen  Änderung  später).  An  die  Ablehnung 
dieser  irdischen  Göttersitze  schließt  sich  Z.  36:  [e\v  (nach  meiner  Er- 
gänzung) yao  av  (poßeTo&ai  ysirovEiav  'jjioXXodcoQog  eljiev ,  womit  zu  ver- 
gleichen Epikur  Br.  I  77  (Us.  S.  28  Z.  5  f.):  (pößw  .   .  .    tcöv  jiÄrjaiov. 


ZUR  EPIKUREISCHEN  GÖTTERLEHRE  367 

kann  sich  äg  auf  tu  ijiiQgeovTa  beziehen.  Ich  lese  im  Anschluß 
an  meine  Wiederherstellung  a.  a.  0.  S.  587  und  mit  Benutzung  der 
Dielsschen : 

tÖ]  yäg  e[x]  tojv  €[7iigQe6v- 
Tcov]   an    al(bvo\q\  vna\^Qyo\v  xa?.eTxai,  xa{y  ov  t\(jq6710v) 
ai  r\E\  cpäoeig  xäcp[avl'\öe[ig  a.\7i'  nlw'[}'og  ye\vvon'\Tai^),  y.ad' 
bv\  de  ev  äXXoiq  x{oX)  aXX[oig  xQ{ovoig)  uXXcü[v]  x{al)  \u\XX(jov 

7l{QOg)- 

yivojuevcov  6Qar[(bv  x(af)]  Aoj^co[<]  '&eojQovju[£vcjov'\ 

ahicov  tzega  xa-ß'  exaorov  [aljod^rjrdv  ['/^q(6vov)   yiiyexai), 

t6  yeyevvrj/usvov  ov^  [^V  '^(ciO  "^ol^xo  ycalx    ä]Qi'&/biöv 

jiQog  xbv  aküva,  xa'&djisQ  fjfxeig  o\y\  ^)  7iQ{bg')  [oXov]  xbv  ßiov. 

Zu  deutsch:  ,Das  aus  den  stets  zuströmenden  (Stoffen  sich  ergän- 
zende) Gebilde  heißt  'seit  Weltbeginn  bestehend',  sofern  seine  Licht- 
erscheinungen und  sein  Erlöschen ')  seit  Weltbeginn  erzeugt  werden, 
sofern  es  aber  zu  immer  andern  Zeiten,  indem  immer  andre  sicht- 
bare und  nur  durch  Vernunft  erkennbare  Grundstoffe  hinzukommen, 
in  jeder  wahrnehmbaren  Zeit  anders  wird,  (heißt)  das  Gewordene  nicht 
individuell  ein  und  dasselbe  für  die  Weltzeit,  wie  wir  nicht  für  unser 
ganzes  Leben."  Daß  hier  nicht  von  den  eigentlichen  Göttern  die  Rede 
ist,  ergibt  sich,  wie  Diels  bemerkt,  klar  aus  den  ögazcbv  alxicbv, 
die   bei   jenen    ausgeschlossen    sind*),    wie    aus   der  Leugnung  der 


CJN  U)N  UN 

1)  Scott  las  in  p.  An .  N  (A  duhitanter),  N.  Fl  AI  •  HC,  0.  N  Fl .  N  N  . 
Die  Verbesserung  über  der  Zeile  deutet  auf  ein  Verschreiben.  Ich  ver- 
mute,   daß   infolge   von   Haplographie   für   an    ahovog   ysvvwvzai    stand: 

(jNOcre 

AnAlUNNTAi. 

2)  la  0.  steht  OP;  Diels  meint,  für  ov  müsse  ovds  stehen.  Nach 
meiner  Ansicht  wäre  dies  nötig  vor  tjfisTg,  aber  nicht  vor  Jigög. 

3)  'A(pdvioig  im  Gegensatz  zu  avacpavfjvai.  und  EX(pavfj  ysvsodai  auch 
bei  Epikur  ßr.  II  111  (Us.  S.  52, 10). 

4)  Ich  halte  es  nicht  für  richtig,  wenn  Diels  S.  37, 1  sagt:  „Die 
svagyeia  bezieht  sich  strenggenommen  nur  auf  die  Sinneswahmehmung" 
und  weiter:  „Die  Traumerscheinungen,  die  ...  höchstens  indirekt,  inso- 
fern sie  der  ivagyeta  nicht  widersprechen,  ivagyeig  heißen  könnten." 
Schon  im  Kanon  sagt  Epikur  (Us.  S.  106,  Iflf,):  ra  re  zmv  fiaivofiivcov  (pav- 
rdofiaza  xal  za  xaz'  ovag  äXrjdf],  und  im.  ersten  Briefe  §  38  und  50 f.,  sowie 
in  den  x.  d.  24  setzt  er  die  (pavzaazixai  snißoXal  zi]?  dtavoiag  als  xgizrjQia 
zä  xazd  zag  ivagysiag  den  Sinneswahmehmungen  völlig  gleich.  Nur  die 
öö^a  bedarf  der  i:n:ifiaQzvQ7]oig  und  ovx  dvzi/:iaQzvQr]oig.  —  Wie  soll  sich 
übrigens  Philodem  die  Stemgötter  gedacht  haben?     Als  die  sichtbaren 


368  R-  PHILTPPSON 

individuellen  Ein-  und  Selbigkeit.  Aber  ebensowenig  nach  meiner 
Ansicht  von  Sterngöttern,  sondern  von  den  Gestirnen  selbst;  von 
ihnen  soll  nachgewiesen  werden,  daß  sie  nicht  göttlicher  Art  sein 
können.  Denn  sie  bewahren  nicht  für  die  Weltz.eit  die  individuelle 
Einheit  und  Identität  wie  wir  nicht  für  die  ganze  Lebenszeit.  Die 
Götter  dagegen,  wie  ich  das  a.a.O.  S.  587 ff.  zu  beweisen  suchte, 
wechseln  zwar  auch  ihren  Stoff,  aber  durch  Zuströmen  der  ojuoia 
oder  oly.eia,  so  dafs  sie  immerdar  ihre  Gestalt  einheitlich  und  iden- 
tisch bewahren. 

Wiederum  in  Übereinstimmung  mit  meiner  Auffassung  wendet 
sich  Philodem  nach  einer  Lücke  in  den  Zeilen  10,  34  —  38  gegen 
die  Gestirngötter  und  ihre  Verteidiger,  wie  auch  Diels  hervorhebt: 
„Sie  heben  das  Dasein  der  Götter  auf,  wie  ihre  Bewegung;  denn 
eine  Einheit  {ev)  muß  das  Bewegte  sein,  nicht  aber  eine  Vielheit 
{jioXXd)  auf  den  aufeinanderfolgenden  Orten  und  das  Lebewesen 
{^(öv,  nämlich  das  göttliche,  vielleicht  als  deiov  zu  lesen)  immer 
dasselbe  {raviov)  und  nicht  vieles  Ähnliche  (ojuoia  noXXd).  Die 
Gestirne  können  also  keine  Götter  sein,  da  sie  im  Verlaufe  ihrer 
Bahnen  keine  individuelle  Einheit  bleiben,  sondern  eine  nur  ähn- 
liche Vielheit  bilden.  Die  Gottheit  aber  bleibt  auch  bei  ihrer  Be- 
wegung immer  ein  und  dasselbe." 

Merkwürdigerweise  soll  nun  in  den  folgenden  Zeilen  (10,  38 
bis  11.  20)  Philodem  doch  wieder  die  Gestirngötter  anerkennen. 
Ich  halte  ein  solches  „unklares  Schwanken"  auch  bei  einem  Philo- 
dem für  ausgeschlossen.  Allerdings  kann  ich  auch  meine  a.  a.  0. 
S.  588  vorgetragene  Ansicht,  daß  hier  weiter  gegen  die  Sterngötter 
der  Gegner  gestritten  wird,  nicht  aufrechterhalten.  Mit  ov  ju)]v 
dXXd  geht  der  Schriftsteller  zu  der  Bewegung  der  wahren  Götter 
über:  rov  eigi^uEvov  rgonov  6  roiovrog  äusißei  deog,  auf  die 
(oben,  vielleicht  in  den  Lücken)  geschilderte  Weise  wechselt  ein 
solcher  Gott  (wie  wir  ihn  uns  denken).  Denn  eine  Bewegung  (also 
auch  ein  djuecßeiv)  erkennen  auch  wir  ihm  zu  —  og  oi'x  ^)  iy,  tcov 

Gestirne?  Die  sind  aber  nach  epikureischer  Lehre  keine  ^wa  und 
können  es  nicht  sein.  Oder  als  die  mit  diesen  verbundenen  Epi- 
phanien?  Die  sind  aber  auch  Phantasievorstellungen,  also  nicht  sinn- 
lich wahrnehmbar. 

1)  So  schreibe  ich  für  die  von  Scott  mit  Fragezeichen  gegebene, 
von  Diels  gebilligte  Ergänzung:  o[arig  ix].  Denn  jt.  sva.  80  ■wird  die 
Gottheit  ^  ix  zfjg  ofxoiözrjrog  vjiäoyovaa  (ivörtjg)  bezeichnet;  ix  rcöv  avTcäv 
bestehen  nur  die  unwandelbaren  {anEzäßXrjxa)  Atome. 


ZUR  EPIKUREISCHEN  GÖTTERLEHRE  369 

avrojv  ovreozi]xcbg  jLieraka/ußdvei  xöjv  hegcov,  ovrco  y^avcüv  (so 
wohl  besser  Diels  als  mein  avxov  qpvoecov)  ml  xoXg  {e^fj<;)  XQo- 
voig  tojv  yevvi]xiy.(bv  ^).  Der  epikureische  Gott  hat  immer  die- 
selbe Gestalt  (während  der  Mond  z.  B.  seine  Gestalt  stetig  ver- 
ändert); aber,  wie  das  später  auseinandergesetzt  wird,  bedarf 
auch  er  der  Ergänzung,  wie  er  ja  schon  durch  die  Entsen- 
dung der  Bilder  an  Stoff  verliert.  Deshalb  nimmt  er  teil  an 
den  andern  Stoffen,  die  aber  nicht  wie  bei  den  Körpern  unsrer 
Welt  äXlocpvla,  sondern  oixeia  sind,  indem  er  so  in  der  Auf- 
einanderfolge der  Zeiten  die  erzeugenden  Stoffe  berührt:  e'oziv 
/.isv  yaQ  xig  WQiofiEvog  xovog  (so  N.),  ov  ovx  exßaivei  xbv  alöiva 
xa  axor/da,  es  besteht  ein  gewisses  begrenztes  Spannungsmaß, 
das  die  Elemente  (auch  bei  den  Göttern)  nicht  überschreiten,  d.  h. 
die  Elemente,  die  durch  eine  Art  Spannung  in  den  ovyxQioeig 
zusammengehalten  werden ,  müssen  sich  von  Zeit  zu  Zeit  aus 
ihrem  Zusammenhalt  lösen,  da  die  Spannung  2)  nicht  ewig  dauert. 
„An  den  bei  diesem  Vorgange  (berührten)  Teilorten  nehmen  ab- 
w^echselnd  naturgemäß  bald  diese  (Götter)  teil,  bald  diese,  so  daß 
auch  die  aus  ihnen  (den  wechselnden  Elementen)  bestehenden  Ein- 
heiten als  in  geordneter  Bewegung  vorgestellt  werden  können."  So 
denken  sich  also  die  Epikureer  Art  und  Zweck  der  Bewegung  ihrer 
Götter,  und  diese  darzulegen  war  ja  die  Aufgabe,  die  sich  Philo- 
dem in  diesem  Abschnitte  gestellt  hatte.  Die  ganze  Lehre  ist  zwar 
sehr  verwunderlich  und  ausgeklügelt,  aber  in  sich  durchaus  ge- 
schlossen. 

Es  folgt  dann  (Z.  7 — 20)  auf  den  Einwand,  eine  Bewegung 
sei  nur  auf  einer  festen  Grundlage  möglich,  die  Erwiderung,  dies 
treffe  nur  bei  festen  Körpern  zu,  nicht  aber  bei  feinteiligen,  wie  den 
Göttern  (die  nur  ein  quasi  corpus  haben).  „Ohne  Schwierigkeit 
würde  die  Natur  (ich  lese  mit  N.  cpvoig)  eine  nur  in  der  Phantasie 
vorstellbare  Zusammensetzung  mit  ebenso  vorstellbarer  Dichtigkeit 
zulassen."  Mit  den  letzteren  Worten  sind  deutlich  die  Intermun- 
dialgötter  bezeichnet. 

Zum  Schluß   zeigt   Philodem   noch   einmal    die  Widersprüche, 


1)  Dieses  Wort  wird  aucli  Col.  9,  24  in  bezug  auf  die  Zwischenwelt- 
götter  gebraucht,  9, 38  im  Gegensatz  rcDj'  Tiag'  7)jj,äg  rä  yEvvi^zixä  .  .  . 
JiaQExövTow. 

2)  Über  den  Begriff  des  roVo?  bei  den  Stoikern  vgl.  Zeller  III  a 
S.  121,2. 

Hermes  LIH.  24 


370  R-  PHILIPPSON 

in  die  sich  der  Gegner  durch  seine  Annahmen  über  die  Gestirn- 
götter verwickelt.  Diels  hat  diese  Stelle  schon  zutreffend  erläutert; 
nur  daß  die  Widerlegung  auch  die  von  ihm  angenommenen  Gestirn- 
götter Philodems  treffen  würde  ^). 

Damit  schließt  der  Abschnitt  über  die  Bewegung  der  Götter, 
und  ich  glaube  nach  dem  Gesagten,  daß  man  sowohl  ihn  wie  den 
über  den  Wohnsitz  der  Götter  gar  wohl  verstehen  kann,  ohne  dem 
Philodem  oder  gar  Epikur  und  Metrodor  selbst  ein  so  seltsames 
Schwanken  zwischen  Annahme  und  Verwerfung  von  Gestirngöttern 
zuzuschreiben.  Daß  Diels'  Text  und  Erörterungen  auch  mich  zur 
Klärung  mancher  Punkte  meiner  Auffassung  veranlaßt  haben,  geht 
aus  meinen  Darlegungen  hervor. 

Und  das  gilt  auch  von  dem  Folgenden.  Diels  sagt  S.  32,  4, 
daß  er  von  meiner  Auffassung  des  ev  y.al  ravröv  principiell  ab- 
weiche, ohne  dies  allerdings  näher  zu  erörtern.  Das  hat  mich 
veranlaßt,  diesen  und  den  zugehörigen  Begriffen  bei  Aristoteles,  der 
sie  im  Anschluß  an  Piaton  an  verschiedenen  Stellen  behandelt  hat  ^) 
und  von  dem  Epikur  offensichtlich  auch  hier  beeinflußt  ist,  genauer 
nachzugehen.  Es  macht  sich  übrigens  auch  hier  die  mehr  zer- 
gliedernde, als  zusammenschauende  Art  des  Aristoteles  geltend,  die 
ihn  so  oft  verhindert,  bei  Erwägungen  und  Unterscheidungen  zu  klaren 
Ergebnissen  zu  gelangen.  Ich  beschränke  mich  daher  auf  die  seiner 
Ausführungen,  die  für  Epikur  von  Wichtigkeit  sind. 

Am  ausführlichsten  werden  die  uns  angehenden  Begriffe  in 
Metaphysik  B.  IV  6  und  9  behandelt.  Der  allgemeinste  ist  das 
SV.  Von  diesem  heißt  es  1016^  8  ff.  rä  de  TiQOjrcog  keyöjueva  ev, 
wv  f]  ovoia  juia.     juia  de  avveyeia  f]  el'dei  Tj  Xoyo).      Danach 

1)  Auch  hat  er  den  Ausdruck  si-i  :rv^v6Ti]Ti  :jo6g  Siäroiav  nicht  richtig 
aufgefaßt.  Die  dcdvoia  an  sich,  ohne  Mitwirkung  der  Sinneswerkzeuge, 
ist  im  Gegensatz  zur  ogaocg  nur  für  Phantasievorstellungen  empfänglich. 
Körper  also,  die  nur  eine  für  die  didvoia  wahrnehmbare  Dichtigkeit  haben, 
können  nicht  mit  den  Augen  sichtbar  sein.  Für  T[axvr(i]ro)v  ist  vielleicht 
!i[a-/vrd]TO}v  zu  lesen,  im  Gegensatz  zu  ^.sjizo/xsQscor  (Z.  13);  vgl.  Demetnos 
Pap.  1055  Col.  17  zö  fiev'  fia/v/usg  soregov  xal  xiveiv  al'adrjotv  8vvdfj.Evov 
—  tÖ  ds  ?.sjizofiEQeoTSQOv  y.ai  rrjv  (j.ev  aiodrjaiv  ovx  d!i[aQ]x[ovv  >ici]%'[s]Tv, 
z[^v  8s  dcdvoiav. 

2)  Nach  Alexandres  zu  Arist.  Metaph.  III  2  (1004  b  34)  und  IX  3 
(1054  *  30)  fr.  31  R.  hat  Aristoteles  die  Siaigiaetg  zdv  ivavzi'cov  eingehend 
im  zweiten  Buche  seiner  Gespräche  :;ieqI  zdyaOov  auf  Grund  der  platoni- 
schen Vorträge  behandelt.  In  ihm  wurde  gezeigt ,  daß  zd  iyavzi'a  crdvza 
elg  TÖ  ev  xai  jiXfj^og  dvdyexai. 


ZUR  EPIKUREISCHEN  GÖTTERLEHRE  371 

wird  das  k'v  Z.  31  ff.  eingeteilt:  en  de  rd  juev  y.ar^  ägn') /nov 
iariv  ev ,  rä  de  xar'  elöog,  xa  de  xara  yevog,  m  de  xax' 
ävaXoyiav.  Für  uns  kommen  namentlich  die  beiden  ersten  Arten 
in  Betracht.  aQi&jiicp  juev,  d)v  t)  v?j]  juia.  Hier  besteht  also  die 
Einheitlichkeit  des  Seins  (ovoia)  in  der  Einheit  des  Stoffes.  Näher 
ist  schon  oben  diese  Einheitlichkeit  auf  den  Zusammenhalt  {ovveyeia) 
begründet.  Ebenso  1015^  36  f.  xcbv  de  xad'  eavxd  ev  hyojuevcov 
xd  juev  leyexai  reo  owey^fj  elvai  und  zwar  (1016*  4):  fxäXlov  ev 
rd  (pvoei  ovveyij  Tj  xeyv}].  ovveyeg  de  Xeyexai,  ov  xivyoig 
juia  y.ad-'  avxö  y.al  jui]  oJov  te  ällcog'  fua  d'  ov  ddiaioerog, 
ädiaigexog  de  y.axd  iqovov.  Nun  ist  das  dgiß^jucö  ev  gleich  dem 
xa&'  exaoxov ,  dem  Einzelwesen  (vgl.  Metaph.  II  4  p.  999^  34 
rd  ydg  dgi-^/iicö  ev  y  rd  y.a^'  ey.aoxov  Xeyetv  diacpegei  ov&ev, 
ebenso  n.  C-  yev.  II  1  p.  TSl''  34).  Demnach  ist  das  individuell 
Eine  {rd  y.ar  dgi^judv  ev)  im  strengsten  Sinne  (jzQcorcog)  ein 
Einzelwesen  von  einheitlichem  Stoffe,  dessen  Zusammenhalt  von  Natur 
derart  ist,  daß  er  sich  zur  gleichen  Zeit  einheitlich  bewegen  muß. 
Ein  Baumstamm  ist  wegen  seines  natürlichen  Zusammenhaltes 
mehr  eine  solche  Einheit  als  ein  Holzbündel ,  ein  Schenkel  mehr 
als  das  Bein,  weil  des  letzteren  Teile  sich  gesondert  bewegen  können. 

el'dei  ev,  cov  6  Xoyog  elg  1016^  33,  wobei  nach  1016^ 
33  ff.  unter  Xoyog  die  Definition  zu  verstehen  ist;  so  ist  der  Art 
nach  eins  der  Mensch,  die  ebene  Figur  usw.  Ähnlich  steht  es  mit 
der  Gattungs-  und  Analogieeinheit.  Die  näheren  Auseinandersetzungen 
über  eldog,  yevog,  Xoyog  1016*  17 — 1016^  6  können  wir  übergehen. 

Der  Einheit  ist  nach  1017 --^  3  ff .  die  Vielheit,  xd  noXXd,  ent- 
gegengesetzt, und  zwar  der  individuellen  Einheit  das,  was  des  Zu- 
sammenhaltes entbehrt  (t(5  ^n/  ovveyy\  etvat).  Die  Unterscheidungen 
des  der  Art  nach  Vielen  entsprechen  denen  des  Einen  1016*  17  ff. 

Kurz  berührt  wird  der  Gegensatz  des  ev  und  rd  noXXd  auch 
Metaph.  IX  c.  3  p.  1054*  20  ff.,  wo  als  eine  Art  ihres  Unterschiedes 
hervorgehoben  wird:  xd  fiev  ydg  y  dirjgrjfiEvov  T]  diaigexdv 
nXfj'&og  XI  Xeyexai,  xd  de  ddiaigerdv  y  fxrj  di7] gy  juevov  ev. 
Desto  wichtiger  ist  dagegen  hier  (Z.  29  ff.)  für  unsere  Zwecke  der 
Satz:  eori  de  rov  juev  evdg  .  .  .  .  rd  ravrd  xal  ojlioiov  xal 
Ibov,  rov  de  jiXiyßovg  t6  eregov  xal  dvöjiioiov  xal  dvioov. 
Danach  sind  das  Selbige  und  das  Ähnhche  Unterbegriffe  des  Einen 
und  ebenso  das  Andere  und  Unähnliche  solche  des  Vielen.  Es 
fragt   sich    nun,    wie    sich    die   über-    und  untergeordneten  Begriffe 

24* 


372  R-  PHILIPPSON 

unterscheiden.  Metapli.  IV  9  p.  1018^  7  ff.  heißt  es:  fj  ravzozrjg 
evoTijg  rig  eoriv  y  jtIeiov oov  .  .  .  Tj  orav  xQpj'f^ai  (bg  nXeiooiv. 
Ebenso  wird  an  der  Stelle  der  Topik  (I  7  p.  103*  9  f.),  wo  von 
dem  xavTOV  gehandelt  wird,  hervorgehoben,  daß  sich  sowohl  das 
ägi'&jucp  als  ei'dei  ravrov  auf  nleioi  bezieht.  Während  also  die 
Einheit  sich,  wie  schon  der  Name  sagt,  auf  einen  Gegenstand  oder 
Begriff  bezieht ,  beruht  das  zavTov  auf  einer  Vergleichung  ver- 
schiedener Namen ,  Gegenstände  oder  Begriffe.  Dies  kommt  auch 
in  ihren  verschiedenen  Gegensätzen,  den  noXld  und  dem  ersga, 
zum  Ausdruck. 

Auch  das  ramo  und  eregov  zerfällt  in  die  Arten :  ägi^jucö, 
ei'dei,  yevei  (1054=^  33  ff. ,  1016*  6,  103=^  8  ff.).  Das  aQi^iiCc, 
ravzö  teilt  er  1054^  34  ff.  wieder  in  zwei  Unterarten  1)  das 
2.6yq)  KOI  dgi-djUM  ev  (=zcp  ei'dei  xai  zfj  vXij  ev)  wie  „du  dir 
selbst",  2)  das  zm  loyo)  zfjg  TXQcbzyg  ovoiag  ev ,  olov  al  i'oai 
yga/ujuai  evßeiai  al  avzal  xai  zä  i'oa  xai  zd  looycövia  zezgd- 
yayva,  xaizoi  nXeico.  Also  rechnet  er  auch  die  mathematische 
Congruenz  unter  das  zavzov  xax'  dgidjudv.  Der  Zusatz  xaizoi 
jileio)  zeigt  deutlich,  daß  das  dgi'&jucp  zavzo  in  diesem  Falle 
nicht  immer  dem  dgi'&juco  ev  gleich  ist,  denn  die  congruenten 
Figuren  sind  mehrere,  ihnen  fehlt  die  stoffliche  Einheit,  z6  vir] 
ev,  und  damit  die  ovvexeia.  Dagegen  fällt  die  erste  Art  völlig 
mit  dem  dgi^juco  ev  zusammen,  wie  er  denn  auch  103*  28  aus- 
drücklich sagt:  jiidXioza  ö'  6juoloyovfj.ev(jog  z6  ev  dgi^juM  zavzov. 
Beide  bezeichnen  das  Einzelwesen,  aber  jenes  an  sich  nach  seinem 
natürlichen  Zusammenhalt,  dieses  in  seiner  logischen  Einheit  bei 
Verschiedenheit  der  Namen  oder  begrifflichen  Beziehungen^). 

Ähnlich  ist  das  Verhältnis  von  el'öei  ev  und  zavzo ;  der  Mensch 
ist  seiner  Art  nach  eine  Einheit,  weil  ihm  der  Art  nach  stofflicher 
Zusammenhalt  eigen  ist,  Menschen  sind  der  Art  nach  dieselben, 
weil  sie  zur  selben  Art  gehören. 

Besonders  wichtig  sind  dann  die  Bestimmungen  des  o/iioiov 
und  ezeQOv  im  Verhältnis  zum  zavzov.  Es  heißt  nämlich  1054^ 
3ff. :    6/uoia   de,    edv   jurj   zd    avzd   änXcbg    övza   jurjöe   xazd    zi]v 


1)  Nicht  ganz  richtig  sagt  er  263  ^  1 2  fF.  ro  orjfisTov  .  .  Tavrov  aal 
ev  aQidfxü),  Xöyo)  6s  ov  zavzov,  letzteres  insofern  der  Punkt  zugleich  Ende 
der  einen  und  Anfang  der  anderen  Linie  sein  könne.  Denn  danach  ist 
es  SV,  aber  nicht  zavzov,  da  dieses  nach  1054*  34 ff.  immer  die  logische 
Gleichheit  fordert. 


ZUR  EPIKUREISCHEN  GÖTTERLEHRE  373 

ovoiav  ädtd(fOQa  rljv  ovyy.£if.ih')]v,  y.ara.  ro  eldog  raviu  fj.  Und 
über  das  exeqov  Z.  16  f.  x6  de  eäv  f.aj  xal  (zugleich)  y  vXt'j  xal 
6  XöyoQ  Eig,  öio  ob  xal  6  jT?,i]oiov  t'zeQog.  Danach  sind  Sokrates 
und  Piaton  ähnlich,  weil  ihr  eldog  dasselbe,  verschieden,  weil 
ihr  Stoff  nicht  derselbe;  sie  sind  aber  auch  el'dei  oi  avxoi,  weil 
ihr  koyog  derselbe.  Dagegen  sind  sie  nicht  yMx^  aQi^juov  ol  avr oi. 
Dem  entspricht,  wenn  Aristoteles  103^  19  ff.  sagt:  jiäv  .  .  .  vöojq 
navxl  Tavrbv  reo  el'öei  Xeyerai  öiä  ro  ey^eiv  rivä  6juoiör}]ra. 
Ebenso  beantwortet  er  (357^  27 ff.)  die  Frage,  ndreQov  y.al  i) 
■&ä?Mrra  del  öiajLievei  rcov  avrcöv  ovoa  jlioqicov  doiü^ucp  y  reo 
ei'dei  y.al  reo  Jiooeo,  jLiezaßaVMvrojv  äel  reöv  fiegeJöv,  xadaneq 
drjQ  y.al  ro  Jiorijiiov  vöeoQ  y.al  jzvq.  del  ydg  ullo  xal  älXo 
yiverai  rovreov  exaorov ,  ro  de  eldog  rov  TtXrjdovg  ixdoxov 
rovzeüv  jLievei  xaddneQ  ro  reöv  Qeovreov  vddreov  xal  ro  n)g 
eployog  gev/na.  Das  Meer  also  und  die  übrigen  genannten  Dinge 
ändern  sich  stetig,  aber  sie  bleiben  dieselben  der  Art  nach.  Endlich 
führt  er  jt.  ^eoeov  yev.  II  1  p.  731^  25  ff.  in  Übereinstimmung  mit 
Piatons  Gastmahl  von  den  sterblichen  Wesen  aus:  dgi^f^ico  jLiev 
{dtdia  elvai)  ddvvarov,  el'dei  d'  evdex^rai  und  zwar  durch  die 
Zeugung. 

In  Metaph.  II  4  p.  1000^  5  berührt  er  nun  eine  ovdevbg 
eXdrreov  diroQia,  die  unmittelbar  auf  die  uns  bei  Epikur  vorliegende 
Frage  führt:  Tioregov  al  avral  xebv  ef&aQreöv  xed  reov  dcpßaQxeov 
dg^at  eloiv  T]  exegai.  Die  früheren  Denker  hätten  sich  schlechtweg 
für  dieselben  Elemente  entschieden,  aber  die  daraus  entstehende 
Schwierigkeit,  als  ob  sie  eine  Kleinigkeit  wäre,  nur  „angenagt". 
Auch  in  dieser  Frage  wie  in  so  vielen  knüpft  Epikur  an  seinen 
großen  Vorgänger  an. 

Denn  seine  Lehre  von  den  dQyai  und  den  aus  ihnen  ent- 
stehenden Gebilden  bot  eigentlich  für  die  Götter  keinen  Platz. 
Nach  ihr  gibt  es  nichts  als  die  Körper  und  das  Leere.  Die  Körper 
sind  aber  entweder  Atome  oder  Zusammensetzungen  aus  ihnen. 
Ein  Körperloses  ist  nur  das  Leere.  Dies  können  die  Götter  nicht 
sein;  denn  es  ist  ja  nur  der  Raum,  in  dem  die  Dinge  sich  bewegen. 
Also  müssen  die  Götter  Körper  sein.  Aber,  sagen  die  (stoischen) 
Gegner  bei  Philodem  n.  evoeß.  fr.  121  (Gomp.  S.  136,  Diels 
Abh.  d.  Ak.  1916,  6  S.  31,  1,  teilweise  nach  meiner  Ergänzung 
Z.  6  ff.) :  ovd'  ev  xoTg  ocojnaaiv  xaxaQi&juet  xovg  deovg  reJöv  ocojud- 
roiv    Xeyexiv    rd    [xev    elvai    ovvxQioeig   rd    6'    e^    ü)v    al    ovyxQi- 


374  R.  PHILIPPSON 

osig  jTEJi6i]VTai.  /.lyrs  yäg  ärojuovg  vojui^eiv  rovg  Seovg  fxrjxe 
avyxQioeig ,  eneiöiqjieQ  [al  juev  ä]  vaigß  [rjx]  oi  rs^ecog  ^) ,  al  öe 
näoai  q)[&aQxa'i\.  Dieser  Folgerung  konnten  sich  die  Epikureer 
schwer  entziehen.  Denn  in  der  Tat,  den  gefühllosen  Atomen  konnten 
sie  die  Götter  nicht  gleichsetzen,  und  dafür,  daß  alle  Zusammen- 
setzungen aus  diesen  vergänglich  seien,  konnten  sich  die  Gegner 
auf  Metrodor  berufen,  der  nach  derselben  Philodemschrift  fr.  122 
Z.  13  ff.  (Diels  ebenda)  an  zwei  Stellen  sagte:  to  ^))  [äexexov  xov 
y.evov  (die  Atome)  diajueveiv,  änaoav  <3'  av  ovvhqioiv  q?&aQxrjv. 
Aber  Metrodor  muß  an  dieser  Stelle  die  Götter  außer  acht  gelassen 
haben,  und  Philodem  muß  daher  a.a.O.  Z.  8  f.  gesagt  haben:  y.al 
MrjxQO  [öoiQog  o  v\  xvyxo.vei  xrjg  ^vjxiqoecog.  Denn  in  der  Tat 
erklärten  die  Epikureer  vermittels  einer  Reihe  kühner  Hypothesen, 
die  ich  in  meinem  Aufsatz  in  d.  Z.  näher  dargelegt  habe,  die  Götter 
für  eine  besondere  Art  von  ovyxQiosig.  Hier  will  ich  diese 
Annahmen  nur  insoweit  noch  einmal  prüfen ,  als  sie  in  Beziehung 
zu  dem  aristotehschen  Begriffe  der  evoxtig  stehen. 

Ganz  in  Übereinstimmung  mit  diesem  bezeichnet  im  Herodot- 
brief  50  (Us.  S.  12,  3)  Epikur  die  Gegenstände,  von  denen  uns  die 
Bildercomplexe  Vorstellungen  übermitteln ,  als  ev  xal  ovvexeg. 
Der  natürliche  Zusammenhalt  war  auch  für  Aristoteles  das  Kenn- 
zeichen des  yMx'  ägi^judv  ev ;  es  ist  aber  zu  beachten,  daß  Epikur 
den  Ausdruck  xax'  dgidjuov  hier  nicht  gebraucht.  Außerdem  finden 
wir  ivöxfjg  im  selben  Briefe  52  (S.  13,  14)  für  die  vergänglichen 
Einheiten  der  öyyoi  gebraucht,  die  den  Schall  nach  allen  Seiten 
verbreiten. 

Den  Ausdruck  yax^  äQidfiov,  aber  ohne  ev  und  xavxov  finden 
wir  dagegen  in  dem  schon  besprochenen  Schohon  zu  x.  ö.  1,  in 
dem  Epikur  sagt,  daß  die  Vernunft  die  Götter  als  xax'  aQißjuov 
vcpeoxöjxag  erschheße,  d.  h.  als  Einzelwesen  im  Gegensatze  zu  der 
bloßen  Arterkenntnis,  die  uns  ihre  zu  uns  gelangenden,  nur  ähn- 
lichen Bilder  lediglich  ermöglichen.  Dem  entspricht,  wie  ich  a.  a.  0. 
S.  600  f.  dargelegt  habe,  wenn  der  Epikureer  bei  Cicero  de  nat.  d.  I 
45  (vgl.  105)  erklärt,  vim  etnaturarn  deorum  .  .  ,  nee  ad  numerum 
{cerni),  daß  wir  die  Götter  nicht  als  Einzelwesen  schauen,  was 
natürlich    nicht    gegen    ihr  Einzelsein,    das    wir    mit   der   Vernunft 

1)  Bei  Diels'  Ergänzung  [ovroi  /nkv  8  [i]  atoo  [rt]  oc  zs^ecog  fehlt  der 
Beweis,  daß  die  Götter  keine  Atome  sein  können.    Auch  sonst  lese  ich 

die  Columne  etwas  anders  (s.  weiter  unteu). 


ZUR  EPIKUREISCHEN  GÖTTERLEHRE  375 

erschließen,  streitet.  Der  Ausdruck  xar'  äoi^juov  ist  also  an  beiden 
Stellen  in  Übereinstimmung  mit  Aristoteles  hier  nur  =  xad'^  exaorov 
gebraucht.  Vis  et  natura  umschreibt  die  Bezeichnung  (pvoig,  die, 
wie  wir  sehen  werden,  von  Epikur  für  die  natürlichen  Einheiten 
gebraucht  wird.  Wichtig  ist  aber,  daß  Cotta  in  seiner  Erwiderung 
von  der  Erscheinung  der  Götter  (species)  sagt,  neque  candem 
ad  numerum  per  mauere.  Danach  wird  den  Götterbildern 
die  bleibende  individuelle  Selbigkeit  abgesprochen :  ov  xax'  aQi&juöv 
xamov  diajueveiv. 

Der  Ausdruck  ev6r't]g  wird  uns  ferner  als  von  Epikur  ver- 
wendet, unter  Angabe  der  Schrift  71.  öoioTipog  durch  Philodem 
Ttegl  evoeßsiag  fr.  80  (Gomp.  S.  110)  bezeugt.  Die  Stelle  lautet 
(der  Anfang  ungefähr  von  mir  hergestellt) 

[y.al  yoLQ 
1    roia[vz7]  ov]oTa[[A]]- 

oig  ö/.i[olcov  ögdöjg 

(paivq[iT]'  ä[v  £v]6rr]g. 

dvvaxai  ya.Q  ey.  xijg 
5    6juoi6T}]rog  vtcolq- 

Xovoa  öiaiojviov 

eyeiv  r}]v  TeXeiav 

evdaijLioviav,  e- 

nEiÖYjTtEQ  ovx  yjx- 
10    Tov  EX  rcöv  \[avTU)v]\   {öjuotcov) 

T]  rcöv  [[öjuoicov]]   {amcöv)   otoi- 

yELOiv  ev{6r)}]Teg 

aTioTEXEio^ai  dv- 

v]avzai  xal  vnb  tov 
15    "Etzixovqov  xaxalEi- 

Jiovzai,  xa&äjiEQ  iv 

TWL  ^regl  ooiott]- 

rog  avroraxa' 

In  Z.  12  erscheint  sicher  evöx7]xeg;  danach  darf  man  auch  Z.  4 
und  zu  vjiaQyovoa  Z.  5  f.  ev6xi]g  ergänzen.  Unter  der  Einheit  aber, 
die  die  vollkommene  Glückseligkeit  als  eine  ewige  besitzt,  kann  nur 
die  Gottheit  gemeint  sein.  Diese  wird  t]  ix  xi^g  öjuoiöxrjxog  genannt; 
danach  muß  Z.  10  f.  eine  Verwechslung  von  ex  xcöv  avxcov  und 
öjuoimv  vorliegen,  wie  schon  Scott  bemerkt  hat.    Ich  habe  a.  a.  0. 


376  R-  PHILIPPSON 

S.  592  f.  und  S.  603  ff.  (in  der  Gicerostelle  liest  Diels  im  Anschluß 
an  meine  Darlegungen  wohl  sicher  richtig:  simü'mm  rerum)  aus- 
einandergesetzt, wie  Epikur  sich  die  Erhaltung  der  Götter  durch  den 
steten  Zustrom  ähnlicher  und  ihrem  Wesen  entsprechender  Stoffe 
denkt.  Schwieriger  ist,  was  wir  unter  den  Einheiten  aus  denselbigen 
Elementen  verstehen  sollen.  Jedenfalls  nicht,  wie  ich  a.  a.  0.  an- 
nahm, die  vergänglichen  Dinge ;  denn  sie  ändern  sich  ja  fortwährend. 
Ich  nehme  an,  daß  sie  die  Atome  bezeichnen,  die  stets  aus  den- 
selben Teilen  bestehen,  wie  Lukrez  I  609 ff.  bezeugt: 

sunt  igitur  solida  primordia  simplicitate, 
quae  minimis  stipata  cohaerent  pnrtibus  arte, 
11  on  ex  uUorum  conventu  conciliata, 
sed  magis  aeierna  pollentia  simplicitate. 

Aeterna  simplicitas  ist  Epikurs  diaicovia  Ev6Ti]g,  und  den  minimis 

dartihus   entsprechen    Epikurs    oToi^sia   (Grundbestandteile),    unter 

denen  hier  also  nicht  äro/ua  zu  verstehen  sind  ^). 

So   haben  wir   also   zwei  Arten    ewiger  Einheiten :    die  Atome 

und  die  Götter.    In  der  Fortsetzung  Z.  25  ff.  erscheint  aber  sogleich 

auch   der  Gegensatz  zum   eV,   den   wir  aus  Aristoteles   als   solchen 

kennen : 

ra  TioXXct 

juijv],  ejieiödv  ix 

Tfjg  ojuoicov  äXXcov 

XaX\  XcOV    [e71i\  OVVXQl- 

oe]cog  y[ev]}]Tai  Jio[i6v  n, 
[xar'  ägid^judv  ev  xal 
xavTOv  ov  ÖLaiJ,evEi\. 

Unter  den  noXXd  sind  die  vergänglichen  Dinge  zu  verstehen,  die 
sich  wie  die  Götter  aus  ähnlichen ,  aber  immer  anderen  Stoffen 
ergänzen;  äXXwv  entspricht  an  andern  Stellen  (vgl.  a.  a.  0.  S.  592) 
äXX6q)vXa,  was  die  Götter  ablehnen ,  während  sie  die  olxeXa  auf- 
nehmen. Die  übrigen  Dinge  können  sich  eben  dieses  Fremdartigen 
nicht  erwehren  und  bleiben  deshalb,  wie  ich  ergänze,  nicht  ein 
und  dasselbige,  sondern  gehen,  wie  sie  entstanden  sind,  schließlich 
unter. 


1)  Dem  widersi^richt  nicht,  wenn  er  (Us.  36,  8)  sagt  Sri  äzofia  tä 
oror/Eia.  Den  Ausdruck  oroiyjTov  braucht  Epikur  auch  Br.  I  47  (Us.  10, 14) 
in  allgemeinerem  Sinne. 


1^ 


ZUR  EPIKUREISCHEN  GÖTTERLEHRE  377 

Noch  ist  aber  der  Zusatz  Z.  22fT.  von  Wichtigkeit:  el'o)i)e 
roivvv  ovrrojiKog  (so  wohl  richtig  Usener)  javza  (pvo iv  unoxe- 
XeToß^ai  Xeyeiv.  Aristoteles  setzt  Metaph.  IV  4  die  verschiednen  Be- 
deutungen des  Wortes  cpvGiq  auseinander.  Die  meisten  finden  sich 
auch  bei  Epikur.  Die  hier  von  ihm  benutzte  ist  die,  welche  Aristo- 
teles 1015^  12  bestimmt:  i'jdt]  xal  oXcog  Jiäoa  ovoia  (pvoig  Xeye- 
xai,  wenn  man  1014''  23  dazu  nimmt:  Iv  de  rdlg  ov/ime(pv>c6oiv 
eori  Ti  ev  X  6  avrb  .  .  .,  3  noiei  dvxi  xov  änxeodai  ovjU7is(pv- 
xevai  xal  sJvai  ev  xaxd  xö  ovvex^Q  ^glI  tiooov,  äXlä  /«)  xaxä 
tÖ  Jioiov.  Denn  nach  unsrer  Golumne  nannte  auch  Epikur  die- 
jenigen Dinge  Naturen,  die  solche  Einheiten  bilden,  und  zwar,  wie 
wir  sehen  werden ,  sowohl  ewige  als  auch  vergängliche  ^).  So 
finden  wir  denn  auch  in  den  Briefen  Epikurs  das  Wort  q)voig 
(Us.  6, 12)  von  den  Körpern  im  allgemeinen  im  Gegensatz  zu  ihren 
ovjußeßi^xoxa  und  ovjujixco^iaxa  (vgl.  2, 16),  von  den  Atomen  (7,5 
und  38,15;  vgl.  116,16),  von  der  Gottheit  (29,4;  42,11;  53,14; 
54,16;  vgl.  Gic.  de  nat.  deor.  I  45:  vim  et  nahtram),  aber  auch 
von  den  eldoXa  (11,  10)  und  der  Seele  (jt.  <pvo.  AB  in  Pap.  998 
fr.  11,  vgl.  Grönert,  Rh.  Mus.  LVI  1901  S.  619).  Er  erweitert  aller- 
dings den  Gebrauch  des  Wortes,  indem  er  das  Leere  eine  ävaq)i)g 
(pvotg  nennt  (6,  9  und  86,  8).  Nach  Maßgabe  unsrer  Philodemstelle 
bezeichnet  also  cpvoLg  bei  Epikur  wie  bei  Aristoteles  eine  natür- 
liche Einheit,  wohl  wie  bei  diesem  im  Gegensatze  zur  künstlichen 
oder  logischen. 

In  Gol.  83  liegt  nun,  wie  mir  scheint,  der  Wortlaut  der  Gol.  80 
berührten  Stelle  oder  einer  ähnlichen  aus  Epikurs  TieQi  ooioiyxog 
vor;  es  heißt  da  nämlich  nach  meiner  gegen  a.  a.  0.  S.  589  etwas 
veränderten  Ergänzung: 

3  ygäipag 

de  xal  IIeqI  öoioxrj- 
5    xog  äXXo  ßvßXiov 

xäv  xovxcoi  öiaoa- 

(pei  xö  jLi)]  juovov  ä- 

cp§dQxojg,  äXXä  x[al 


1)  Wenn  Plutarch  Amat.  24  p.  769F  sagt:  t)  öh  rcöv  aXXcog  (ohne 
Heirat)  ov/ußiovvTcoj'  zaig  naz'  'Ejiixovqov  acpatg  xal  jieQiJiXoxaig  eoixs,  .  .  , 
Evöxrjxa  .  .  Ol)  jioiovoa  roiavxi]v,  o'iav  "Eqoig  jioieT  xrX.,  so  spricht  er 
nicht,  wie  Zeller  HI a*  S.  416, 2  meint,  Epikur  die  hörrig  überhaupt, 
sondern  die  innige  Einheit  der  Ehe  ab. 


378  R.  PHILIPPSON 

j^ajrct  ovvre?.e[iav 
10    8[v]  xal  Tav[TÖv  ovv- 

ey(i)[g  vtiolq^ov  xa&'  6- 

[xeü\iav  q)voEig  (oder  evoTtjrag) 

7iQooayoQevs\o^ai  xal 

xäg  usv  el[vai  ix 
15    Tcöj'  avT[cJijv  xal  xa- 

le.[io]'&ai,  rd[g  d'  ix  tcöv 

ojuoicov. 
Die  Stelle  enthält  manche  Schwierigkeiten.  Bei  dem  to  jurj 
juovov  äq)§dQrcog  ist  man  zuerst  geneigt,  an  die  Gottheit  zu  denken ; 
aber  der  Schluß,  der  die  (pvosig  in  Tag  ix  rcov  avrcöv  und  rag 
ex  T(hv  oixoioiv  teilt,  spricht  dagegen;  denn  nach  Gol.  80  sind 
unter  den  ersteren  (nach  meiner  Erklärung)  die  Atome  zu  verstehen, 
die  ja  in  erster  Linie  „nicht  nur  unvergänglich,  sondern  auch  in 
Vollkommenheit  eine  auf  Zusammenhalt  gegründete  identische  Einheit 
besitzen,  die  immer  aus  denselben  Bestandteilen  besteht."  Das  Neue 
ist,  daß  solche  stets  identischen  Einheiten  auch  aus  wechselnden  ähn- 
lichen Bestandteilen  zusammengesetzt  sein  können.  Dies  sind  die 
Götter.  Für  unsre  Frage  aber  ist  von  Wichtigkeit,  daß  Epikur  hier 
von  einem  vollkommen  {xara  ovvxeXEiav)  Ein  und  Demselben  spricht, 
dem  Unvergänglichkeit  zueignet.  Das  ev  xal  xavxöv  ist  also  eine  be- 
sondere Art  der  ev6xt]g,  der  die  vergänglichen,  nicht  bleibenden  Ein- 
heiten gegenüberstehen.  Auch  hier  wie  im  Herodotbrief  (12,  13)  be- 
zeichnet Epikur  nach  Aristoteles  die  ovrex^ia  als  Merkmal  der  evoxtjg. 
Von  Metrodors  Äußerungen  ist  die  von  Philodem  {ti.  evo.  fr.  123) 
aus  ji.  fXExaßoXrjg  berichtete  bedeutungsvoll:  xal  cprjoiv  \xiva  ovy-^ 
XQioiv  xcöv  [ye  xax^  ä]Qi{}ju6v  ov  fx6vo\v  ä^cp'&aQxov,  aXXa  [xal 
äidt\qv  (?).  Denn  wenn  er  die  Gottheit ,  die  hier  deutlich  gekenn- 
zeichnet ist,  als  ovyxQioig  xwv  xax'  aQi&fiöv  hervorhebt  und  von 
den  vergänglichen  Verbindungen  unterscheidet,  so  müssen  diese 
nicht  xax'  äoiüfxöv  sein ,  dieser  Ausdruck  also  im  engeren  Sinne 
von  diajj.Eveiv  ev  xal  xavxöv  gebraucht  sein.  So  würde  es  sich 
denn  auch  erklären,  wenn  derselbe  Epikureer  in  ji.  ■decöv  und  n. 
/uexaßoXi]g  bei  Philodem  ti.  evocß.  fr.  122  (nach  Diels'  Ergänzung) 
sagte:  xö  jui]  [juexey^ov]  xov  xevov  [diajueve]iv,  änaoav  [de  ovy]xQioiv 
(p'&aQX7]v.  Die  vergänglichen  Verbindungen  gehören  nicht  zu  denen, 
die  xax'  ägi&juov  öiajuevovoiv.  Der  Götter  hat  er,  wie  ich  schon 
oben  annahm,  hier  nicht  gedacht  {[ov]  xvyxdvei  Z.  9). 


ZUR  EPIKUREISCHEN  GÖTTERLEHRE  379 

Von  ferneren  epikureischen  Aufaerungen  über  die  h6r}]g  ist  die 
des  Demetrios  Lakon  Pap.  1055  Col.  4  wichtig:  [tö  t}eTov  ifj  loiatk^j] 
TiaQaXlayf]  nagakka^ei  rwv  aloOrjxäyv  ho\x]fiT[(jov  z]&v  fA,[ev  eIq] 
töv  a[l]ä)[va.]  diafievovoun'  re  yM[l  (x]XkaTTOiuh'0)[v],  zcov  [ö'  ohyo- 
XQOvicov.  Nach  Col.  18  ist  jedes  aioihjTov  vergänghch  {did  tovxo 
yoLQ  ovdev  atodrjxov  d&dvarov) ;  alod)]rai  evörrjrsg  sind  also  ver- 
gängliche Einheiten.  Sie  werden  geschieden  in  solche,  die  für  die 
Weltzeit  zugleich  verharren  und  sich  ändern,  die  Gestirne,  und  in 
die  kurzlebigen,  die  Lebewesen,  Ihnen  gegenüber  steht  die  gött- 
liche Einheit,  die,  so  dürfen  wir  ergänzen,  ewig  nax'  dgi'&juöv  ev 
xal  ravxbv  dia^uevei  .  .;  diajueveiv  und  dXXdxxeod^ai  entspräche  den 
ojuoia  äXXa  xal  uXda  der  Epikurstelle  (Philod.  jz.  evo.  fr.  80). 

Auf  Lukrez  I  609  ff.  habe  ich  schon  hingewiesen.  Hier  werden 
die  Atome  wegen  ihrer  acferna  simplicitas  d.  h.  als  d'töiai  evoxrjxeg 
den  conciliata  {ovyHQioeig) ,  also  vergänglichen  Einheiten,  gegen- 
übergestellt. 

Arn  aufschlufsreichsten  aber  sind  einige  schon  in  anderem 
Zusammenhange  berührte  Stellen  in  Philodems  jt.  {^.  diay.  In 
dem  Abschnitte  über  die  Bewegung  der  Götter  heißt  es  Col.  10,  16 
von  den  Gestirnen ,  wohl  namentlich  von  Sonne  und  Mond  (nach 
meiner  Ergänzung):  ovvex&Q  ydg  ex  xcov  ijziQQeovxcov  dji'  al- 
wvog  VTiagy^ov  xaXslxai,  xaß-^  bv  xqojzov  ai' xe  (puoeig  xdcpa- 
vioeig  djt'  aicövog  yevvcbvxai,  xad'  ov  de  ev  dXXoig  xal  dXXMig 
XQOvoig  dXXcov  xal  dXXmv  jxQogyivoji.ievü)v  .  .  .  ezega  xad^"  exaoxov 
aio{)i]xbv  yqovov  yivexai,  ro  yeyevvijjiievov  ovy^  £v  xal  xavxov 
xax  dQid-fxov  jiQÖg  xöv  alcbva,  xa&djieQ  fjfxeTg  ov  Jigog  oXov 
xbv  ßiov.  Es  ist  bemerkenswert  und  spricht  für  meine  Ergänzung, 
daß  Philodem  hier  von  den  Gestirnen ,  wenn  auch  ausführlicher, 
dasselbe  sagt,  wie  Demetrios  an  der  eben  angeführten  Stelle.  Das 
«3t'  atcövog  vjzdgyov  hier  entspricht  dem  eig  xöv  aidjva  diajue- 
vovocöv,  das  exega  yivexai  dem  dXXaxxojuevcov.  Dasselbe  gilt  von 
den  Ccpci,  wenn  auch  Philodem  nur  die  Menschen  {f]jueig)  heran- 
zieht, Demetrios  nach  meiner  Annahme  sie  allgemein  (öXuyoxQovicov) 
bezeichnet.  Wenn  nun  Demetrios  beide  Arten  als  ivoxrjxeg  aner- 
kennt, so  gilt  das  sicher  auch  von  Philodem.  Die  Gestirne  sind 
also  für  die  Weltzeit  (solange  unsre  Welt  und  sie  mit  ihr  bestehen) 
ein  ev,  wie  wir  für  unsre  Lebenszeit;  da  sie  aber,  wie  wir,  sich 
stetig  ändern,  so  sind  sie  und  wir  in  jedem  wahrnehmbaren  Augen- 
blicke  ein  exegov.     Wir    wissen,   daß   Aristoteles   das    exeoov   dem 


880  ß-  PHILIPPSON 

ravröv  wie  rd  noVid  (das  wir  sogleich  auch  bei  Philodem  lesen 
werden)  dem  ev  entgegensetzt.  So  erklärt  denn  unser  Epikureer 
ganz  im  Sinne  des  Stagiriten ,  daß  die  Gestirne  (wie  auch  wir) 
nicht  ev  y.al  ravröv  Ttgög  rbv  aiwva  (bzw.  jigög  öXov  röv  ßiov) 
sind ;  er  setzt  aber  xar'  dgi&jiior,  daraus  folgt,  daß  sie  ev  xal 
ravröv  el'dei  sein  müssen.  Und  wirklich  stellten  wir  fest,  daß  die 
ersQa,  soweit  sie  zugleich  01.101a  sind  (ein  Ausdruck,  dem  wir  auch 
sofort  bei  Philodem  begegnen  werden),  nach  Aristoteles  el^dei  ravrd 
sein  können.  Da  nun,  wie  wir  feststellten,  für  die  Epikureer  die 
Götter  ev  y.al  ravröv  y.ar'  dgißjadv  sind,  so  können  die  Gestirne, 
die  zu  den  ereoa  gehören,  nicht  Gölter  sein.  Das  ist  nach  meiner 
Auffassung  der  Inhalt  dieser  leider  vorher  und  nachher  verstümmelten 
Stelle.  Aber  der  Schluß  ist  wieder  erhalten,  und  da  heißt  es  ganz 
in  Übereinstimmung  mit  meiner  obigen  Darlegung  von  der  Gott- 
heit im  Gegensatz  zu  den  Gestirnen  (Z.  36 ff.):  ev  yäg  elvac  dsT 
rö  xivovjuevov,  dXX'  ov  noXXd  im  rcbv  e^fjg  roTtwv,  xal  rö  l^&v 
dsl  ravröv,  dlX^  ovx  ofxoia  noXXd.  Die  Gottheit  muß  also  ev 
xal  del  ravröv  sein,  die  Gestirne  aber  sind  ojuoia  jtoXXd  in  ihren 
aufeinanderfolgenden  Stellungen.  Also  kann  es  keine  Sterngötter 
geben.  Es  ist  bemerkenswert,  wie  genau  hier  Philodem  und  gewiß  vor 
ihm  schon  Epikur  im  Anschluß  an  Aristoteles  dem  ev  die  7ioX?<.d 
und  dem  ravröv  die  ojiioia  und  erega  entgegensetzt.  Die  Unbildung 
Epikurs  ist  ebenso  eine  Sage  wie  die  Starrheit  seiner  Schule.  Schon 
die  Titel  seiner  Bücher  zeigen,  wie  eingehend  er  sich  mit  seinen 
philosophischen  Vorgängern  und  Zeitgenossen  auseinandergesetzt 
hat,  und  ebenso  seine  Lehre. 

In  den  folgenden  Zeilen  (10,  38  — 11,  7)  versucht  Philodem 
dann,  seinem  Gotte,  trotzdem  er  sich  auch  ändert  und  nicht  aus 
denselben  Elementen  dauernd  besteht  (s.  meine  Ergänzung  oben 
S.  368  f.),  die  stete  Einheit  und  Selbigkeit  zu  retten,  wore  xal  rag 
i^  avräjv  (rcöv  yevvrjrixcbv  und  eregcov)  evort^rag  ev6da)g  voeXo{}ai 
xivovjuevag.  Man  kann  allerdings  nicht  sagen,  daß  ihm  dies  nach 
seinem  mit  Aristoteles  übereinstimmenden  Gebrauche  dieser  Begriffe 
gelungen  ist.  Klar  ist  jedenfalls  aus  dieser  und  anderen  von  mir  oben 
und  früher  a.  a.  0.  besprochenen  Stellen,  daß  im  Gegensatze  zu  den 
übrigen  stetig  sich  ändernden  Verbindungen  die  Zusammensetzung 
der  Götter  immer  ein  und  dieselbe  bleiben  soll ,  weil  sie  ihre 
Verluste  jedesmal  durch  ähnliche,  ihr  verwandte  Stoffe  ersetzen, 
während  jene  zwar  auch  ähnliche,  aber  andersartige  sich  aneignen 


ZUR  EPIKUREISCHEN  GÖTTERLEHRE  381 

müssen,  die  auch  ihre  Zusammensetzung  ändern.  Jeder  CJolt  ist 
immer  sich  selbst  gleich,  aber  Sokrates  bleibt  zwar  immer  Sokrates, 
aber  der  von  heute  ist  nicht  mehr  der  von  gestern,  und  der  von 
morgen  nicht  mehr  der  von  heute.  Jener  ist  immer  xar  uQidfiov 
Ev  xal  xavTov,  dieser  im  Verlaufe  seines  Lebens  jzoVji  hsQa,  und 
ebenso  die  Gestirne  in  ihren  Bahnen. 

Es  bleiben  noch  zwei  Fragmente,  bei  denen  Diels  eine  An- 
spielung auf  die  Sterngötter  vermutet,  nachdem  er  seilest  deren 
fragwürdige  Verfassung  im  allgemeinen  genügend  hervorgehoben  hat. 
In  fr.  1,  6  erscheint  das  Wort  äjioxdxxojg ,  das  er  auf  einzelne 
göttliche  Wesen  deutet,  die  „abgesondert"  leben.  Mir  scheint  dagegen 
von  den  irdischen  Wesen ,  den  Menschen ,  die  Rede  zu  sein ;  ich 
stelle  nämlich  die  betreffenden  Zeilen  ungefähr  folgendermaßen  her: 

x6  Qdo\x(x>g  Tiagex- 
XEx?i.]i^u[tvcor  jii]ovov  xöiv  änoxdxxoog  [jiXi]Oi- 
a^övxwv  d7tü)'&e]io&ai  xo  7ioir][xix6v  x]fjg 
d?iy')]d6vog  xoTg  d]vd  jLiegog,  äf.ia  de  x[ö]  o/lioio[v 
i]di[o]7coi£Todai  Jiäoi  xdig  dvd  fx[e.Q\og'   Mo\xe 
fi[8\ovrig  xal  xijg  jLi£yioxi]g  (Etvai)  d[E]Kxix[d  xal  xe- 
Xsia]  Ttdvxa '  (p&o\^odg]   de  xal  [jue- 
rao^^ßoEi. 

Es  wird  also  auseinandergesetzt,  daß  der  Mensch  des  reinsten 
Glückes  teilhaftig  werden  kann,  indem  er  das  Schädliche  (rd  dno- 
rdxxcog  7t?,rjoidCovxa)  meidet,  das  Zuträgliche  sich  aneignet;  aller- 
dings dem  Vergehen  unterliegt  er.  Im  folgenden,  dessen  Anfang 
sehr  zerstückelt  ist,  scheint  von  Z.  16  an  die  noch  vollkommenere 
Seligkeit  der  Götter  begründet  zu  werden.  Nach  dieser  Auffassung 
scheidet  auch  hier  der  Sterngott  aus. 

Ebenso  in  fr.  39  a ;  denn  der  Gott,  von  dem  hier  die  Rede  ist, 
ist  nach  meiner  Auffassung  der  stoische ;  dieser  ist  wegen  der  exjiv- 
Qcooig  nicht  unsterblich  und  wegen  seiner  Belastung  mit  der  Welt- 
lenkung nicht  vollkommen  glückhch. 

Noch  möchte  ich  mit  einigen  Worten  auf  einen  von  Diels  er- 
örterten Punkt  von  weittragender  Bedeutung  eingehen.  Diels  hatte 
in  71.  ^ecüv  A  Col.  25  (Abh.  d.  Pr.  Ak.  1915  Nr.  7  S.  44)  die  Z.  33  ff. 
in  unübertrefflicher  Weise  so  wiederhergestellt:  Der  Weise  wird  die 
berühmtesten  politischen  Machthaber  verachten,  die  ihre  geheime 
Schlechtigkeit  entzünden,  öxav  oqu  jiaQOJoajUEVovg  vcp^  ivog  'Avxco- 


382  R.  PHILIPPSON 

viov  y/AQa<;  ra  y.ar^  äoxv  rovg  ivaviiovg.  Wir  sehen  eine  Äuße- 
rung, die  zeitgeschichtlich  ebenso  bedeutungsvoll  ist  wie  für  die  poli- 
tische Stellung  Philodems  und  seiner  Umgebung.  Es  kommt  aber 
auf  ihre  Deutung  an,  und  in  dieser  weiche  ich  von  Diels  etwas 
ab.  Er  versteht  unter  den  „Gegnern''  die  Triumvirn,  die  die  Herr- 
schaft dem  Antonius  in  die  Hände  spielen,  und  vermutet  wegen  rd 
xar'  äoxv,  daß  hier  auf  das  Gesetz  des  Tribunen  P.  Titius  27.  Nov.  43 
angespielt  sei.  Um  diese  Zeit  müßte  dann  Philodems  vorliegendes 
Buch  geschrieben  sein.  Diesen  Ansatz  bestätigt  er  jetzt  (Abh.  d. 
Pr.  Ak.  1916  Nr.  6  S.  84,  1).  Er  nimmt  damit  den  Ansatz  auf  44, 
den  er  unter  Hinweis  auf  Pisos  zeitweilige  Gegnerschaft  gegen  Anto- 
nius, aber  allerdings  im  Widerspruch  zu  seinen  vorhergehenden 
Ausführungen  an  jener  Stelle  gemacht  hatte,  zurück.  Und  doch 
halte  ich  diesen  für  den  richtigen.  Man  darf  annehmen,  daß  Phi- 
lodem bei  seinem  engen  Verhältnisse  oder  besser  Abhängigkeitsver- 
hältnisse zu  Piso  dessen  politische  Anschauungen  geteilt  hat.  Dieser 
war  der  Schwiegervater  Gäsars^);  so  darf  man  ihn  politisch  als 
Cäsarianer  bezeichnen.  Sein  Schwiegersohn  hat  ihm  zum  Gonsulat 
und  Gensoramt  verholfen.  In  diesen  Ämtern  sowie  beim  Aus- 
bruch des  Bürgerkrieges  ist  Piso  für  dessen  Pohtik  eingetreten. 
Aber  er  war,  vielleicht  unter  dem  Einfluß  der  epikureischen  Philo- 
sophie, ein  friedliebender  Mann.  So  hatte  er  schon  49  für  einen 
Vergleich  zwischen  Gäsar  und  Pompeius  gewirkt.  Während  des 
ersteren  Diktatur  trat  er  nicht  hervor;  aber  nach  dessen  Ermordung 
stellte  er  sich  so  wenig  auf  selten  der  Republikaner,  daß  er  im 
Gegenteil  aufs  nachdrücklichste  für  die  Ehrung  Gäsars  eintrat.  Als 
jedoch  der  Zwiespalt  zwischen  Antonius  und  der  Freiheitspartei  aus- 
brach, suchte  er  zu  vermitteln.  Dies  brachte  ihn  zeitweise  in  einen 
Gegensatz  zu  ersterem;  daß  dieser  seiner  Tochter  die  Hinterlassen- 
schaft Gäsars  vorenthielt,  mag  den  Gegensatz  verschärft  haben.  Am 
1.  August  44  trat  er  sogar  im  Senate  gegen  ihn  auf,  wir  wissen 
nicht,  in  welcher  Weise.  Nach  Gicero  Phil.  XII  14  soll  er  sogar 
gesagt  haben,  er  wolle  dem  Vaterlande  den  Rücken  kehren,  wenn 
Antonius  es  unterdrücke.  Aber  seit  Ende  des  Jahres  sehen  wir  ihn 
im  Sinne  der  Vermittlung  alle  gewaltsamen  Maßnahmen  gegen  diesen 
bekämpfen  und  zugleich  für  die  Gesetze  Gäsars  eintreten.  Er  ist 
einer  der  Gesandten,  die  Anfang  48  zu  Antonius  gehen,  und  befür- 
wortet eine  zweite  Gesandtschaft.     Gicero  nennt  ihn  damals  geradezu 

1)  Vgl.  zum  Folgenden  Drumann  -  Groebe  11  51  fF. 


ZUR  EPIKUREISCHEN  GÖTTERLEHRE  383 

einen  Freund  des  Antonius.  Daß  er  später  nicht  gegen  die  Trium- 
virn  auftrat,  sieht  man  daraus,  daß  er  nicht  auf  die  Ächtungsliste 
gesetzt  wurde.  Beim  Zerfall  des  Triumvirats  trat  er  offenbar  auf 
die  Seite  Oktavians,  des  Adoptivsohnes  seines  Schwiegersohnes. 
Wir  sehen,  er  war  und  blieb  Cäsarianer,  aber  er  war  eine  vermit- 
telnde Natur.  Aus  dieser  entsprang  sein  kurzer  Gegensatz  gegen 
Antonius,  der  in  die  Zeit  zwischen  dem  1.  August  44  und  Ende  des 
Jahres  fällt.  Nur  in  dieser  ist  auch  der  Ausfall  Philodems  ver- 
ständlich. Daß  Piso  und  sein  Hausphilosoph  durch  einen  Angriff 
auf  die  Triumvirn  im  Jahre  43  Kopf  und  Kragen  gewagt  hätten, 
halte  ich  für  ausgeschlossen.  In  Wirklichkeit  tadelt  Philodem  auch 
nicht  so  sehr  den  Antonius,  als  die  Gegner,  die  ihm  die  Herrschaft 
in  die  Hand  spielen;  das  sind  aber  nicht  die  Triumvirn,  die  poli- 
tischen Erben  von  Pisos  Schwiegersohn,  sondern  die  Gegner  des 
Antonius,  die  Gäsarmörder,  durch  ihre  Unversöhnlichkeit  {viiovXö- 
T)]q).  Philodem  wird  wie  sein  Brotgeber,  solange  Cäsar  lebte, 
dessen  Anhänger  gewesen  sein  und  nach  dessen  Tode  nur  solange 
geschwankt  haben,  bis  sich  entschied,  wer  sein  Erbe  war.  An 
seine  glühende  Freiheitsliebe  glaube  ich  nicht.  Auch  Epikur  ist 
Opportunist  gewesen  (vgl.  meine  Ausführungen  Archiv  für  Gesch. 
d.  Philos.  XXIII  308  f.).  Wenn  beide  sich  gegen  die  Tyrannis  er- 
klären, so  doch  auch  gegen  die  Pöbelherrschaft.  Das  sind  ja  seit 
Plato  die  beiden  äußersten  Verfallsformen  des  Staates.  So  sehen 
wir  denn  auch  in  der  von  Diels  erwähnten  Römerode  (III  3)  den 
Dichter  zugleich  diese  verurteilen  und  die  Alleinherrschaft  des 
Augustus  in  den  Himmel  heben.  Das  ist  kein  Widerspruch  (s.  jetzt 
Heinze  zu  der  Stelle).  Daß  Horaz  erst  nach  der  Schlacht  bei  Phi- 
lippi  in  Beziehung  zu  Philodem  getreten  sein  kann,  habe  ich  schon 
an  andrer  Stelle  erwähnt.  Dessen  Anschluß  an  Brutus  beweist 
also  nichts  für  Philodem. 

So  läßt  sich  mit  einiger  Sicherheit  annehmen,  daß  n.  d'ecöv  A 
ungefähr  Mitte  44  abgefaßt  ist.  Unsicherer  ist  das  Ergebnis  bei 
n.  diay.  F.  Diels  deutet  die  Katasterismen,  die  nach  ihm  zweimal 
in  letzterer  Schrift  bekämpft  würden,  auf  die  Versternung  Cäsars. 
Aber,  abgesehen  davon,  daß  mir  die  Ergänzung  9,  35  xazrjoreQr]- 
f-iEVCov  ävÖQow  zweifelhaft  ist,  gab  es  doch  zahllose  Versternungen 
schon  vor  der  Cäsars;  Eratosthenes  hat  bekanntlich  ein  ganzes 
Buch  darüber  geschrieben.  Eine  frondirende  Gesinnung  gegen 
Cäsar  halte  ich  bei  Philodem    für  ausgeschlossen,    gegen  Oktavian 


384  R.  PHILIPPSON 

wäre  sie  bei  dessen  erstem  Auftreten  im  Jahre  44  möglich.  Eher 
könnte  man  10,  4  als  politische  Anspielung  deuten.  Wie  ich 
oben  darlegte,  hat  hier  zuerst  rd  Tiqoq  rj/ucöv  k'drj  xal  vaovg  ge- 
standen, eöi]  ist  aber  in  el'ör]  geändert,  über  vaovg  ist  rovg  veovg 
'ßeovg  geschrieben.  Wir  haben  hier  also  eine  spätere  Änderung, 
die  doch  wohl  von  Philodem  selbst  stammt  und  einen  bestimmten 
Anlaß  haben  muß.  Man  könnte  nun  bei  den  „neuen  Göttern"  an 
die  ägyptischen  denken,  deren  Dienst  Piso  und  Gabinius  im  Jahre  58 
in  Rom  verboten  und  deren  Altäre  sie  zerstörten  (s.  Drumann-Groebe 
II  54,  7).  Die  Durchsicht  unsrer  Schrift  fiele  dann  ungefähr  in 
dieses  Jahr.  Ich  vermute  aber  eine  politische  Anspielung  noch  an 
einer  andern  Stelle.  Es  finden  sich  nämlich  am  Fuße  einiger 
Columnen  in  kleinerer,  jetzt  kaum  lesbarer  Schrift  Zusätze,  die,  wie 
Diels  mit  Recht  annimmt,  Nachträge  Philodems  sind.  In  dem  unter 
Col.  4  glaube  ich  nun  (zum  Teil  in  Übereinstimmung  mit  Diels) 
folgende  Worte  zu  lesen :  elra  de  xal  rb  jtaoä  xiqiv  i)  jigög  vßQi[v] 
7ioo(v)[xevov  —  ojLioiov  Tovr  äv  äv[a]idovg  cpaivoiro  cp6v\ov'\  — 
Teio6fi\e'&a\  —  ä(pQovz\^LOTOvvxEg^  —  xal  rcöv  xdzoj  [o]vro)[v]. 
In  rpovov  könnte  eine  Anspielung  auf  die  Ermordung  Gäsars  liegen, 
deren  Bezeichnung  als  ävaid}]g  im  Munde  eines  Hausgenossen  Pisos 
durchaus  gerechtfertigt  wäre.  Philodem  lehnte  dann  eine  Rache  an 
den  Mördern  ganz  im  Sinne  der  vermittelnden  Stellung  Pisos  im 
Jahre  44  ab.  „Eine  Tat,  die  zur  Rache  oder  gegen  Frevel  vollführt 
würde,  erschiene  ähnlich  dem  unverschämten  Morde.  Wir  wollen 
uns  also  nicht  rächen  {{ov)  reioo/ue^a),  ohne  uns  um  die  Toten  in 
der  Unterwelt  (d.  h.  Cäsar)  zu  sorgen."  Wäre  eine  solche  Aus- 
legung dieser  Stelle  richtig,  so  stände  nichts  im  Wege,  an  der 
andern  in  der  Änderung  zovg  veovg  dsovg  eine  Ablehnung  der 
Vergötterung  Gäsars  zu  sehen.  Sie  sowohl  wie  der  Verzicht  auf 
Rache  entspräche  der  epikureischen  Aufklärungsphilosophie  und  ließe 
sich  mit  dem  gemäßigten  Gäsarismus  Pisos  vereinigen.  Auch  der 
zuletzt  besprochene  Zusatz  fiele  dann  in  das  Jahr  44,  während  die 
Schrift  selbst  früher  verfaßt  wäre.  Doch  sieht  ein  jeder,  wie  frag- 
lich alle  diese  Vermutungen  sind. 

Zum  Schluß  benutze  ich  die  Gelegenheit,  noch  einige  Bemer- 
kungen und  Ergänzungen  zum  Texte  (I)  und  den  Erläuterungen  (II) 
von  Diels  hinzuzufügen. 

Fr.  82  (I  13)  schließt  die  Besprechung  der  allgemeinen  Tugend 
und   der   besonderen  der  Götter  ab   und    bildet   den  Übergang   zur 


ZUR  EPIKUREISCHEN  GÖTTERLEHRE  385 

Freundschaft.  Ich  würde  daher  Z.  2 f.  [tov  yejvi  xov  schreiben; 
xal  rcbv  eldixoiZEQCOv  gehört  nach  seiner  Stellung  nicht  zu  xqo- 
Tiov,  sondern  zu  ovoraoig:  „Nachdem  aber  das  allgemeine  Gepräge 
der  göttlichen  Tugend  aufgewiesen  und  die  dem  Gotte  seit  Ewig- 
keit eigene  Zusammenstellung  auch  der  besonderen  Tugenden  vor 
Augen  gestellt  ist,  — ."  Übrigens  hat  eidixog  nichts  mit  „individuell" 
zu  tun  (s.  II  4);  etdog  wie  yevog  sind  Gegensätze  von  xar'  ägi^judv. 
Den  Schluß  würde  ich  lesen:  im  ro  xecpuXatov  äjiocpeviö/ued-a 

ojisjo    evio[ig]    jii[£yiorov    (paiverai    dya&ov],    nämlich    zur 

Freundschaft. 

Fr.  87,  12ff.  würde  ich  folgendermaßen  ergänzen: 
[vojuioTEOv  6'  Eivai  Tovg  -deohg  cpdixcög  äXXijXoig  ejiijueiyvvo- 
d^ai,  tva  jur]  nagovrcov  tc5v]  e^co^ev  xQEioid&v  17  avficpvXia  ngög 
zrjv  ovvavaoxQocpriv  änrji,  m  Jiddr]  nagadiöcooiv  (lehren). 

So  ist  auch  die  folgende  Begründung  {ijiijuei^iag)  verständlich. 
Den  Schluß   lese  ich:    ovxen  x{ai)  7iQ{bg)   xo    Xoi\ji6v   vno- 
ßX[YJ]xE[ov\  (darf  man  uns  unterschieben)  xäg  E[ni\io[Qr}y lag  o\vx(og 
[avayxaiag  elvaL\. 

Fr.  83  Z.  7  wohl  nQog  t))[v  aXo&rjoiv^,  Z.  8  etwa  dtä  [xrjg 
oipecog  nag'  uXXcov  fjdovdg  Xajußdvojuev],  vgl.  zum  Inhalt  Pap.  168 
Gol.  I  9  ff.  (d.  Z.  LI  1916  S.  606  f.). 

fr.  86  a  Z.  2:  evdaiuoviag  [äxQox]dx[r]g  (b]g  x[Q]ei[xTOvg. 
Gol.  3  Z.  11    Ende  vielleicht   xcov    x[a&'    avxcöv]    nach  Z.  19 
xaz'  avxcbv 

Am  Schlüsse  der  Columne  scheint  mir  geschildert  zu  werden, 
wie  die  Menschen  dazu  kamen,  den  Göttern  die  Weissagung  zuzu- 
schreiben : 

Z.  18  ff.  etwa: 

[xoTg\  yd\Q  ägiaioig  xojv 

xax^  avxwv  (elvai)  x{al)  x[cöv  s]va%>xi(jOv  £de[i]  xr][v 
evvoia[v '  xovxoov  ovv  xu  vor)xi\xä  x{at)  [rr^v  nqö- 
Xrjxpiv  e'xovxeg,  ei  cbv  elna/uev  — 
Z.  24  xovxcov  juev  rag  exx[exQi]/uevag  Xel^eig  eig  xovg 

'&eovg  dvEcpEQOv. 

Col.  4  Z.  6  scheint  mir  t^v  durch  Abirren  auf  die  vorige  Zeile 

(xvjv  yvöjoiv)    verschrieben    zu    sein.     In  Z.  7 — 10    vermutet   Scott 

.  zum  Teil  sovraposti.     Anfang  und  Ende  lautet  vielleicht  ungefähr: 

xd  \^ia.e\v,  \el\  y'  rjv  y\y\(üGxd^  —  [dv  etioiei   X\v7ir]v  \xe]  x{al)  dvtav 

negl  xov  [n]Q6[x]eQov  £[idEvai'  xd]  de  usw. 

Hermes  LIII.  25 


386  R.  PHILIPPSON 

Col.  5  Z.  13    könnte    man    den  Vorschlag  von  Diels    etwa   er- 
gänzen: [?.oyio]jiiovg  k'xlovrag]  rovg  [ävd'Qcßjiovg  yQfjöjbtcov]  jrgog- 
deio&ai  [ov]  dy[7']avrai  [(pa.]oy.eiv. 
Z.  19  jia[oayJjjTOv] 

Col.  6  Z.  80  ist  vielleicht  im  Zusammenhang  mit  derVerster- 
nung  Cäsars  von  den  Kometen  die  Rede: 

ä[o&evel]g  de  (al  cpvoeig)  rcov  [roiovjcov  o]voTdoe(ov 
diä  (p[vo]iy.[i]v]  elkslitf'iv  ovh  eji']  ä'iöia  öi- 
auEvovocüv,  dA2'  ovy  Öti  a[T6.]xTCog'  ö&ev 
em  xe  twi  jui]  Te}.ea)g  d7zoxo?J^^X))]ß[iiv]ai 
öeX  di,[o]Td^s[i]v  x(al)  em  jcoi  ijxrov  [rag  ö]d[ovg 
y.a§'i][y]eu[6]oi  q)aveQäg  owreXeTv  näoa  ydg 
Col.  8  Z.  9    ovvrj(pd^[ai  xä  7ie\q\1  x-rjg  xöjv  '&scov  d[iaya)yfjg]. 
Z.  11   ...  yQ\eiva>  x{ai)  ecpdlifco  xd  xovxoig  x]cbv  ovvegyovv- 
xcov  owlacf&evxa '  yevqjuevoi  d'  \a7i\6  xovxcov  eig  olxsiovg]  xojiovg 
ev&eoiv   xcöv    &ecö[v    E]q::djixa)f.iev'    x[al    ydg   xovxo   7zaQei]xs    xö 
jLiegog  d7iod6osco[g  txav]a)g   [6  Ztjvcov  (?)  ev  xcöi]  Jiegi  xf][g  di]a- 
[ycoyrjg  ■&Ecbv'  ov  ydg  eq)r]  xcoQig  xavxrjg  x}]v  decöv  ä](p[&a]Qoiav 
x[ai]  §[cjo]jU7][v  navxayß'&Ev  ev[o\x\a\deTv' 

Col.  9  Z.  13 ff.  läfst  sich  dem  Sinne  nach  etwa   so  ergänzen: 

y.al  UTib  f.iEQOvg  ö'  eoxiv  el- 
neiv  xdg  Im  xavxov  öiaonjjLiaxog  ro)]oeig,   [äg 
15    "decüv]  s'xojuEV  [em  x]avx[ov  y'  yXlcoi  x{a.i)  oe- 
kijv-iji],  v7iEQ[ßaiveiv  xavxa  xd  äorga,  ojo- 
t'  i7z[Etd]i]  xn'[Eg  cpaivovxm  xovxoig  na- 
QaßEß)S]odai,  xi]v  vöi]oiv  ovx  oq'&ov  lEyEiv  na- 
QaßEßXfjodai  xovroig  ovxco  ojiuxQoTg  tmdgxov- 
20    Ol,  xal  xaxd  xi]v  vjiEoßaoiv  ovöe  xi]i  /lExa^v  oxdoEi  Ji{Qog-) 
OTioboxEOv  xdg  ov/njiXoxdg 
Z.  13    deutet   äjio  juigovg  auf  ein  besonderes  Beispiel   zu  der 
vorigen  Ausführung;    ich   nehme  Sonne  und  Mond  als  solches  an. 
Zum  besseren  Verständnisse  gebe   ich   die  Übersetzung:    „Und    im 
besonderen    darf  man  sagen,    daß  die  im  selben  Abstände  erschei- 
nenden Vorstellungen,    die   %vir  von    Göttern   auf  derselben   Fläche 
wie  Sonne  und  Mond  haben,  über  diese  Gestirne  (in  Wirklichkeit) 
hingehen,    so    daß,    wenn    gewisse    (Götterbilder)    diesen    beigesellt 
scheinen,    es    nicht  richtig  zu  sagen  ist,   die   (so  erhabene)  Wahr- 
nehmung (der  Gölter)  sei  diesen,  die  doch  so  klein  sind,  beigesellt, 
und  daß  man  im  Hinblick  auf  das  Hinübergehen  die  Verflechtungen 


ZUR  EPIKUREISCHEN  GÖTTERLEHRE  387 

nicht  auf  Rechnung  eines  zeitweihgen  Verweilens    (der  Götterbilder 
bei  den  Gestirnen)  setzen  darf." 

Col.  9  Z.  30: 
xev]dg  ö*  6  koyog  im  zrji  q?o[QTiy.\r]\i  rov  y]^iov   Ijuiy.Qojrjxi, 
(bg    6]    ijhqg  jueyag   div  di'   ä[7iooTdoe]ojg   <)^aiveT[ai   juiXQog '    ov 
yotg]  Ttjv  jLioQ(p)]v  Eka[TT]qyrai  [öi    äji6o]Taoiv  fjhog'   [ovöe 
rd  <pe]yy7]  jnet[ov]Tai  Tqv[TOv. 

Col.  'id  Z.  30 :        '  [r^v 

d'  emjvoiav  [ore  juev  dv]vrog,  ore  d'  ävaxeXXovxog  x\<u 
(pai\öiix(o\g  elavvovxog  £\cp'  ä}-ia[^ixa)\v  6fA,o\iav 
ov\>i\  äel  (pa\li\v\eo&ai  xijg  7i]Qoyivojuevi]g  E7i[ivoiag 
x[(jöv  "äecbv,  xä  grj'&evxa  e^  l'\oov   öiqXdl' 

Fr.  &Q  etwa: 
\ol  jusv   av&QCOTioi   ovx  änaixovvxai  otxia  xivd,  xäv  jurjöe/Liiav] 
ä7i6Xa]yoiv  avx[a]  xeXrji,  xaddjiEQ  ovöe 
(M'd\eXxai  ed\mdii  xoXg  JzixQoig  xal  ÖQijue[oi  xcol 
yEy[/.iaoi\v  ijLKpeQijg  xal  nm'xeXcbg  7xaQaxeToß'a[i, 
ji{QÖg)(p\oQOv  imcpeQoyqa  ^tt]\xd)\viov,  oxi,  [xäv  rj- 
dv  dl'  avxijv  e'xcjooi  [xd^a  ju]r}dsy,  xal  jiiv[}]jU}]v  äv- 
aigei]  7idvx[cov  cbv  e'jia&ov  xaxwv 

Fr.  77,  2  bedeutet  o/ixoiov  eItzeTv  „vergleichsweise";  s.  meine 
Dissertation  De  Philodemi  libr.  negl  orj^iEicov  xal  OYjfjLEicaoEOiv 
p,  10,  wo  ich  schon  auf  unsre  Stelle  und  andere  hinwies.  Zu 
diesen  kommt  Menander  Epitrep.  V.  654  Sudh.^.  Vgl.  auch  Philod. 
n.  Qtjx.  I  256,  15  und  II  249,  6  Sudh.  xoivoxeqov  eitieTv.  —  iäv 
scheint  hier  wäe  imEQOQäv  mit  dem  Particip  verbunden. 

Ich  schließe  einige  Vorschläge  zu  Philodem  tieqI  EvoEßEiag  an. 
Fr.  78  (S.  108  Gomp.)  Z.  9: 

"EmxovQov,  aXX'  ov- 
10    X  a\jib  ipvy^rjg  ex- 
xidh'Yu '  tiXeTov  ydg 
ovÖev  im  xovxoov 

Ol    7ld]vo[o(pOl    TlETlOiq- 

xaoiv  e]i  (3'  iycb 
15    ÖEiico]  xodd"',  ö  [(pa- 

oiv  £X£]Tv\  [iv]  xoTg 

xcbv  dvögcüv]   ov  Xe- 

yEod^ai  7iQ\oq)E\Q(DV  — 
25  7i\aQao\xrjoag'],  (hg 

25* 


388  R-  PHILIPPSON 

Fr.  81  (S.  111  Gomp.)  Z.  6: 

ei  jut]  rag  ävco- 

zdzcoi  öiaiQovjue- 

vog  xoivozrjrag  e- 

jue^Xev  evrpQcov  [[t]]] 
10    Tig,   {t(ov)  iv  ravraig  jiqo- 

eiXr]/LijuEva>v  eidcö[v 

juvt]fxovev\Eiv 

deov,  Tovg  'ßsovg 

juovov  dvaiQEio^ai 
15    TiQog  avzov  (pa.v[ai 

zovzov  x^Q''^   — 
20    zä  xazd  /uegog  alo- 

'&7]zd  ze  xal  vo^zd 

d]v[z]a>v  Eidf]  xal  ovv- 

E\az\rj\K6zwv  '  cbg  ydg 

ä2.k[ü)]v  {ziv)(bv,  ovzoig  ev- 
25    A[dy]co?  ovde  zov- 

XCo\v    ijUVfjfAOVEV- 

o[£v  •  e7i]eI  d'   — 
Fr.  82  (S.  112)  Z.  1:  [Uyovzsg  Öe,  ozi  — ] 
xal  näoav  aX[rj'&Eiav 

'E\7lixOVQOg    E^[EiXE- 

zo  zoTg  7io[XXoig 

e]x  zcöv  övzaov,   \cpXva- 

5    Qovoiv,  cbg  xd[v  icöi 

d(od£xdza)[i 

Z.  6—16  sind  von  Usener  (S.  127  Z.  87  ff.)  im  ganzen  richtig 

wiederhergestellt. 

17    zd  z[öj]v  dEcov  [jiQayjbia- 

za,  \xa\d'd7iEQ  dv  \ov  zi- 

■&£[izo]  zd  xoiv6[v 
20    vjio  zivoiv,  dXkd 

zd  xazd  jUEQog  [jiei- 

GEi  xal  did  zi,[vog  dnd- 

zy]g'  hl  tiqöt^eqov 

xal  zovß''  "E[gjLi]a[Qxog 
25    iv  z(bi  zEXEvx\a'Laii 

Z^CJV    TlQÖg    'EjUTlEÖO- 


ZUR  EPIKUREISCHEN  GÜTTERLEHRE  389 

y.Xm  7iaQaor][juaivet 
xal  jiQooTi^eT  [ro  /uaxd- 
q[i]ov  just    äq^oßia[g  votjxeov. 
Fr.  83  (S.  113)  [den  Anfang  s.  oben  S.  377]: 
17  [Xeycov  dk 

xäv  \raXq\  xv^Qiaig 

21  rav- 

xbv  [xal  a\jio(paive- 

x\ai\,  xäv  T(bi  dco- 

öexdx\(X)\i  Tiegl  (p[v- 
25    a[£]ct)[g  xo]vg  uQcbxovg 

q)rj\olv  ä^v&Qwnovg 

EJiiv[oi'i\iJ,axa  ^qju- 

ßdvsiv  a.q)'ddQX(x>v 

cpvaecov ' 
Fr.  84  (S.  114): 

5  ovde 

ydg  hl  x\rj\Qeixai  x[6 

7iavxE\X\wQ  o[v  evö\cu- 

fjLov  xal  xb  TiQog  ^[ta- 

Xvoi\y  a\örix\xo)\g 

£Xo\y. 
Fr.  102  (S.  120)  Z.  3: 

edoiev]  d>g  xdig 
5    jieqI  xo\v  *EmxovQov 

iäv  x]oiavxag  ive-  , 

dglag,  alg  äv  vqxe\QOV 
doxco\qL  xal  (jue)xa/LieXeq- 
'&]ai,  olag  xxX. 
20  v[7Te- 

Q]dv(ü  ydg  oJjuai  xbv 
Xoyov]  ye  ^Qrjvai  xe- 
'&et]o'&at  ndvxcov,  Xe- 
yco  dh  xbv  äXrj'&f]  xal 

XEIJu]eVOV    EV    XTjl    ■&£- 

coQijai,  oldv  'EmxovlQog 

7lQ0[v'&t]XEV. 


390  R.  PHILIPPSON 

Fr.  103  (S.  121)  Z.  4: 

Ceo[av- 
5    reg  dq?i]evT    [ov]de 
?.oidoQi]cöv  k'vioi  zöjv 
ivavzi](JOv,  Tiveg  (5'  e\jiai- 
veiv  To\vg  TiQoyovovg 
ye  Tjyv]  avrcov  aige- 

10    oiv,  dAA'  r]]juäg  juovovg 
elvai  rE]TV(pcojUE- 
vovg  ävao]TiX?^ov- 
oiv  6  d']   ovv  'Enixov- 

-       Qog  '^ju^g]  xevajv  [do~ 

15    ^öjv  anoXvjei  rcbi  ■{)'e[i- 
0)1  ßXajjLfxdzoov 
änav  äjiayoQsvjua 
TiQogdelg  aldov/ns- 
vog  ■  ovde  (pojßovjuai 

20    juij  y    ovxog\  adeog  £[t- 

Vai    TlVt\    bÖ^Tß    XOiV 
00i(pQ6v\(ÜV    ÖVTOiV, 

ovr\cog  änavxa  xaxa- 
^icog  keyco]v  xä  jisqI 
25    '&Ea)v  xal  a\7io(paiv6- 
fxevog  xb  [fxaxaQLOV 
näv  d.tdiov\  y.al  ä(f&aQ- 
xov  lelvai]' 

Fr.  105  (S.  123)  Z.  5: 

OJO- 

■&'  Ol  Xeyöjuelvoi  dei- 
oiöaii^iovEg  El[g  ävv- 
7iEQßh]xov  ä\xaQa^L- 
av  ExßdXkEiv '   [xal 

10    yoLQ  6  zr]v  d'&ar[aoiav 
x[al  x^-jv  äxqav  /ua- 
xa[Qi6zi]x]a  xov  •»^'[gjot; 
aco[<^a)v  e\v  ä7iaoi[v  äya- 
'doTg  xal  ov]va7ixo/X£- 

15    {vaig  7]do)v]aTg'  Ev]oEßi]g  x[al 
ji£q[1  iu7]dE\vög  Exd[x£- 


ZUR  EPIKUREISCHEN  GÖTTERLEHRE  391 

QO}'  [a7iod]o^afi£r[og' 
6  d\£  TO  &ei]qv  x^Qig 
ÖQy[fjg  xai]  y^dgiTog 
20    do&£vovot]g  [[tag]]  £- 

^atT (enr)'   ov  ragaTTol/uevcov] 

Fr.  116(S.  133)Z.  1: 

\6u  de 

7CQ]ogXo[yiCeo&ai  X6- 

ycoi]  7id[vTag  '&ecoQt]- 

rov]g  v[oy]]o[ei  JisQilr]- 

7i\za)v  TMv  [elöco- 
5    Xmv  ju}]d'  [aiOT&ijoe- 

oi,  7iaQejii[oTt]od~ 

juevov  TO  f.irj  [tivx- 

vov  elvai  voe[Toß',  aio- 

davofievov  t'  elg 
10    TO  orEQ£ix\^>io\v  Jido- 

yeiv  avTO '  [rovg]  d[€ 

voovjuivovg  rijv 

7iaQaio&7]oei  oaQH[i- 

vrjL  7ieQikr]JiTi]v  al'o- 
15    '&r]]oiv,  i]v  xal  ä7i\6  cpv- 

oecog  ey[voj]oav  €[ig  fifjLäg 

dvajieixneod^ai,  \xqi- 

oiv  xav[rt]v  vofxi- 

t,e\o&ai  7ieQ\l  votj- 

judTCOv]  7idvT0j[v 

TÖJv  äX?.[cov 
Fr.  117  (S.  183)  Z.  2: 

aVTo[TEXfj    Tld- 

oa\v  elvai  ti]v  xöiv 
■&E(o\v  ovvxq[ioiv 
5    (paiv]ojuevü)[v  oi'dev 
€'x£i]v  vjiqvXov 
Ev  ök]  T(x)i  negl  "&£- 
Cbv  dv]aju(piXExra>g 
ri'&EJrai  xb  xtjv 
10    cpvoiv]  dvvxrjv  [e- 


892  R-  PHILIPPSON 

yov  deiv\  änav  \el- 
vai  (pd^ovjsQoy  xa[t  6q- 
yiXov]  fXYj  voeTo\&ai 
Tolg\  öXoig 

Fr.  119  (S.  134): 

\tovtcov  yoiQ\ 

vjiag  [xal  övag  '^juag 

£^£t[r  q)]av[Taoiag,  alg 

ju6k[ig]  av  [jieio'&eTjuEv 

rcbi  xa[l  regaoiv  äk- 
5    Xoig  '&'  (bju[oia)0'&ai' 

dl'  ijv  /'  v[7i6Xr]yjiv 

xarayva}[oeTai  Jiai- 

dojuaxia[v  zcöv  öi- 

aßaHövraw  t^]v  fjfie- 
10    xEQav  6  ovv\d^eig^  ä 

Tiagd  ToTg  älgy^aloig 

fjLvix\r]£TO  x\aTa  rag 

n6[XE\ig  "Alprjväi  xal 

"AQe[i  ■&]voju[Evoig ' 
15    Tav[Ta  xal  äXXa 

jiQo\griy'\ayo\y  tiqoze- 

Qov\,  ä  7'  Ei'xa[^ov  jiav- 

TOfJotg  7i6.'d\^Eoiv,  ä 

r'  EÖoyfiajiI^lov '  ov- 
20    T£  yoLQ  E^f]o[av 

ßXEJiovrsg  [sig  xovg 

noXXovg  ovdk  \xe- 

vä{g)   öo^ag  xaT\a  ovjlc- 

TtEQKpOQOLV    ay[T(ÖV    £- 

25    ^Ed^rixav,  öjo[rs  xaxä 
xavxrjv  vji6[Xt}yHv 
ovo'  öXcog  eyljurjxdvEi- 
av  EJioiov[vxo  xa- 
■&d7l£Q    Ol   Xg[i7ioL 
Z.  16   , führte  ich  früher  an",  wohl  im  ersten  Teile  der  Kritik 
der  Volksgötter,    Zu  iyjutjxdvEia  Z.  27  vgl.  Philodem  ji.oQy.  11,10 
iy[jurj]xaväxai    (Grönert,    Mem.  Herc.  S.  53),    wo  Wilke    allerdings 
Inifjirjyaväxai  liest. 


ZDR  EPIKUREISCHEN  GÖTTERLEHRE  393 

Fr.  121  (S.  136)Z.  4:  ,    .,   „, 

od    aX- 

5    Xovg  (}i]o]l  Xe[y\eiv  — 

15  ovv[xQioeig, 

E7ieidi)7ieQ   [al  juev  d- 

vaiod[7]T]oi  zeXefog, 

al  de  näoai  q)\&aQxai' 

jui]dEV  [de  Xeyetv 

20    rovg  '&e[ovg  (p^aq- 

Tovg  öX]cog,  d[AA']  ov- 

X  ävai[o&/]r]o[vg]  juö- 

vov  el[vac]  vojui- 

Covrag,   [ö]v  u  ■&e[v- 

25    rag  ei]vac  ya[l  ä- 

od)jua\rov  [röv  ■ßeSv 

.dAA'  oljjuac  owlfia  juev 

Tov]  '&e6v,  a[<pd'aQTOv 

öe  eT]vai  xal  riöv 

30    (p'&aQljüyv  [äöexrov. 

Z.  6  — 15  gleich  Gomperz,  der  Schluß  wie  Diels  (11  S,  31,  1). 

Die  aXXoi,  gegen  die  Philodem  hier  streitet,  sind  wohl  Stoiker.     Ihre 

Götter  sind  nach  epikureischer  Anschauung    empfindungslos  wegen 

ihrer  Körperlosigkeit,  sterblich,  weil   in    der  exjivQcooig  alle  Götter 

in  das  eine  göttliche  nvevjua  aufgehen. 

Fr.  122  (S.  137)  Z.  17: 

'E7zi]xovQa>i  ö'  ev 

TÖJi  jisQi  'd']eä)r>  rö  jurj 

ye  (pvo]et,  rt]v  do- 

20    ■&evfj  fx]ev  ovvxq[ioiv 

e'xov],  ov[v]d)[vvjuov  de 

rfji  -deiai]  xal  ro  jut]  rfjg 

cpvoEOjg  bv\  [xeTE^ov- 

orjg  rä>]v  äXyr]d6[va>v, 

25    Sor'   £|  ä]vdyxr]g  jua- 

kaxiag  7ioX\käg  noijoai 

ätdia  (pv]oig  ovoa 

(paivexai\  xai  rig 

Fr.  123  (S.  138)  Z.  1: 

ex  Tov]ra)[v  oyjoj/ue'd'a 

avT^ovg  x[al  xov]  rrjg  6- 


394  R.  PHILTPPSON 

fioiör]r]rog  [tqotiov]  xal 

T?y]c  Tojv  \a.x\6ix(ov  [ftg  ekd- 
5    ;t<]cTrov  7iaQe\y\xlioe[a)g 

TiaracpdoHOvxag  ex 

yQa(pco]v  avTCoV  xal  xzX. 
In  den  folgenden  beiden  Fragmenten  kann  die  Ergänzung  mehr 
noch  als  in  den  vorigen  teilweise  nur  nach  dem  Sinne  erfolgen,  da 
meist  nur  die  Anfänge  der  Zeilen  in  ihnen  erhalten  sind. 
Fr.  124  (S.  139):       6  [<3']  ä[cp\^aQT[og,  el  xal 

juovov  Ef.i[m/xjiXa- 

rai  Xax[d.vcp,  nhjgoT 

T7]v  e[jiiß v/iäav  fmX- 
5    X\o\v  \i]  TQvq)wv,  ov  rag 

x&v  aXX\(jC)v  äßgäg  di- 

aiiag  d\iaircöv,  äX- 

Xä  zag  6ju[oiag  rcöv  e- 

vovTcov  [avTCOi  xaxä 
10    TYiv  \cpvoiv  oixeicojud- 

xcov  xdl^eXey^siv 

dv]vaT[6v  ioriv 

ex  x(bv   [äorarov 

Trjv  öl^id'&eoiv  Jiag- 
15    exovTCOv  \Tovg  övei- 

diCovi\ag  rag  ä- 

nXäg  dta\iTag  ijjucöv, 

dXXd  7ivx[vdg  x^QO.'^ 

djiOTeXovo[ag '  öi- 
20    ddaxei  ö'  6  'E[mxov- 

Qo]g  ev  xcbi  N[eoxX£T, 

(hg  ra\  jigög  to  o[(b/Lt'  dvay- 

xdia  \^dn6X\av\oLv  juei- 

Cü)  Jioijei  Tüiv  [docÖTCOv ' 
25    7ioi\eiv  y[dQ  tö  oöjju'  d- 

OTa§eg  cpa\veQ6v 

eJv'  V7iv[i]a}[v  xaxcöv 

did  jüiv  z\Qvq)eQ(bv 

\diaiTcbv  yivo/uEvcov]. 
Fr.  125  (S.  139)  Z.  3:  [ei  de  xaxd 

XTjv  lo[xoQiav  xd 


ZUR  EPIKUREISCHEN  GÖTTERLEHRE  395 

5    aco[/^]aT[a  Jidvxa 

x]az'  E'v[voiav  diakv- 

exai,  xal  r[?)v  yeve- 

oiv  avrijv  [äßereiv 

xal  TtQog  t[6  ovveywg 
10    diafxevE^iv  ramöv  ä- 

7iokei7ie[oüai  jui]- 

d[ev]   roTg  [ßsoTg'  tov- 

ro  (paoi  jueyiq[T07' 

elvai   rexju/]Qioi' 
15    TOV  7isQiaiQ[eTv  ro 

'ßeiq[v]   EX  Tcöv   [öv- 

rcov  xov  Ex{f\EVxa  oco- 

juaTc\xöv  [eIv'  avro ' 

akX  a\nEXi7i\oiiEv 
20    avx(bi\  xalG&i]oiv 

xal  xi]v  'f]dovi]v 

xal  x[i]v  £o]'&?J][v  e^iv 

xäjiEOx^oajUEv  xa- 

TCt  xd  ivvo/jjuaxa 
25    7zd]vxa  xi][v]   y[evEOiv 

jUEv  dv[xa)v]  fii]   \q)'&o- 

[^a?  ÖExxixcöv  .  .  . 
Ich  mache  übrigens  auf  die  wichtigen  slichometrischen  Beob- 
achtungen Dom.  Bassis  in  seiner  Sticometria  Ercolanense  (Riv.  d. 
Filologia  1909,  Estratto  p.  65  ff.)  aufmerksam,  aus  denen  zweifellos 
hervorgeht,  daß  Pap.  1098  vor  Pap.  1077  und  Pap.  229  zu  setzen 
ist.  Ein  Irrtum  ist  es  allerdings,  wenn  er  Pap.  1428  an  das  Ende 
des  ganzen  Werkes  setzen  will.  Denn  am  Schlüsse  dieser  Hand- 
schrift wird  deutlich  daraufhingewiesen,  daß  in  einem  neuen  Buche 
nun  die  Ansichten  Epikurs  selbst  über  die  Frömmigkeit  besprochen 
werden  sollen.  Wir  haben  also  mindestens  zwei  Bücher,  wie  Gom- 
perz  auch  annimmt,  vorauszusetzen;  mit  dem  zweiten  beginnt  eine 
neue  Reihe  stichometrischer  Zeichen.  Doch  mit  dieser  Frage  wird 
sich  ein  neuer  Herausgeber  dieses  wichtigen  Werkes  eingehend  zu 
beschäftigen  haben ;  hoffentlich  stehen  ihm  dann  auch  die  Urschriften 
wieder  zur  Verfügung. 

Magdeburg.  ROBERT  PHILIPPSON. 


DAS   ZWANZIGSTE  KAPITEL  VON  HIPPOKRATES 
DE  PRISCA  MEDICINA. 

I. 

Die  Textüberlieferung. 

Die  vielverzweigte  Entwicklung  der  Hippokratischen  Briefsamm- 
lung hat  kürzlich  dadurch  eine  neue  Beleuchtung  erfahren,  daß  Diels 
in  d.  Z.  oben  S.  57-87  aus  dem  Urbinas  68  s,  XIV  den  19.  Brief 
in  einer  Gestalt  herausgegeben  hat,  die  von  der  bisher  bekannten 
sehr  stark  abweicht  und  viel  ausführlicher  ist.  Daß  zwischen  den 
beiden  Fassungen  dasselbe  Verhältnis  besteht  wie  zwischen  den 
längst  bekannten  Doppelfassungen  der  kleinen  Briefe  4  und  5,  hat 
Diels  sofort  ausgesprochen  und  gewiß  mit  Recht  angenommen,  daß 
auch  die  neue  Form  des  19.  Briefes  im  Anfang  der  Kaiserzeit  ent- 
standen sein  muß.  Gomponirt  ist  dieser  sogenannte  Brief,  in 
Wirklichkeit  ein  Xoyog  jisqI  juavirjg,  den  angeblich  Demokrit  dem 
Arzte  übersendet,  ganz  in  der  Weise  wie  etwa  die  Abhandlung 
Tiegl  iXXeßoQiojuov,  die  das  21.  Stück  des  Briefromans  bildet;  hier 
wie  dort  sind  die  Hippokratischen  Schriften  aufs  stärkste  aus- 
gebeutet. Auch  das  hat  Diels  sofort  dargetan.  Doch  läßt  sich  zu 
den  reichlichen  Quellennachweisen,  die  er  vorgelegt  hat,  noch  ein 
kleiner  Nachtrag  geben,  der  vielleicht  ein  gewisses  Interesse  be- 
anspruchen darf. 

Außer  den  Epidemien,  de  victu  I,  de  morbo  sacro,  de  morbis  IV 
ist  nämlich  auch  die  Schrift  über  die  alte  Medicin  im  Eingang  be- 
nützt. Da  die  Sache  nicht  ohne  Bedeutung  für  die  Textgeschichte 
ist  und  das  20.  Kapitel  von  de  prisca  medicina,  um  das  es  sich 
hier  handelt,  starke  Varianten  aufweist,  wird  es  nötig  sein,  zunächst 
den  Text  des  benützten  Abschnittes  vorzulegen  und  kurz  zu  be- 
sprechen. 


HIPPOKRATES  DE  PRISCA  MEDICINA  397 

Äsyovoi  de  Tiveg  xal  irjTQol  xal  ooqpioxal,  (hg  ovx  eh]  övva- 
röv  it]roixi]v  elöevai  öorig  jur]  olöev  6  n  earlv  avß'Qwnog,  ulla 
rovzo  öeT  xarajuad^eiv  röv  jueXlovxa  ögß'ajg  d-eganevoeiv  zovg 
dvd^QCüjTOvg.  reivei  de  amoXg  6  Xoyog  eg  cpiXooocpirjv,  xad^dneQ 
5  'JEjujiedoxhJg  ?j  äXXoi  oi  jisqI  cpvoiog  yeyQdrpaoiv  {el^yjxrixaoiv) 
ei  dgi^jg  o  ri  eorlv  äv§Qcojiog  xal  ojtcog  eyevexo  tiqcoxov  xal 
önod^ev  ovvendy^].  eycb  de  xovxo  juev,  öoa  xivl  el'grjxai  i]  oo- 
(pioxf]  }]  IrjXQM  i]  yeyQanxai  neql  cpvoiog,  rjooov  vojuiCo)  xfj  bjxgixfj 
xeyvi]  ngooijxeiv  y]  xfj  yQacpixf],  vojui^co  de  negl  q)voiog  yväjvai  xi 

10  oacpeg  ovdajuö&ev  aXXo&ev  eivai  i]  e^  itjXQixfjg'  xovxo  de  olov  xe 
xaxajua^eTv,  oxav  avxrjv  xig  xrjv  irjXQixijv  oQ&ojg  Jiäoav  neqiXdßij  ' 
juexQi-  de  xovxov  jioXXov  /.loi  doxei  deTv '  Xeyo)  de  xrjv  loxoQirjv 
xavxYjv,  eldevai  äv&QCOJiog  xi  eoxiv  xal  dC  oXag  alxiag  yivexai  xal 
xdXXa  dxQtßewg.    enel  xovxo  ye  /xoi  doxel  dvayxaiov  elvai  irjxgo) 

15  Tiegl  (pvocog  eldevai  xal  ndvv  ojzovddoai  (hg  el'oexai,  emeQ  xi 
jueXXei  x(hv  deovxoiv  noitjoeiv,  ö  xi  xe  eoxiv  ävd'QCOxcog  Ttgög  xd 
Eoß^iojuevd  xe  xal  nivojueva  xal  ö  xi  jigög  xd  dXXa  ejiixrjdevjuaxa, 
xal  o  XI  d(p'  exdoxov  exdoxcp  ovjiißyoexai,  xal  /xrj  djiXiCdg  ovxcog ' 
^novriQOv  eoxiv  ßgcofia  xvgog'  novov  ydg  naqeiei  xco  nXr]Q(o§^evxi 

20  avxov^,  dXXd  xiva  xe  novov  xal  did  xi,  xal  xivi  xcöv  ev  xco  dv- 
'&Q(OJi(x)  eveovxojv  dvejiixr'jdeiov. 

A  =  Par.  2253  s.  XI;  M  =  Marc.  269  s.  XI;  ^-  =  vulgati  Codices. 

1  xal  ante  trjXQol  om.  A,  secl  p/".  7/8  //  ootpiaxfi  rj  Itjxqöj  el'rj  A;  eV;  M; 
EVI  vel  eoTi  g;  s'vi  [övi'azdi']  Reinhold  dvvazog  Kühlewein  sine  nee.  3  8eiv 
Gomperz,  Apol.  d.  Heilk.-  p.  171  ß^egamveiv  M  4  relvei]  rj  rivi  A*  mg. 
ös]  ze  M.  5  "E/ii.-isSoxXei]?  M  add.  Fohlenz,  (sleyov)  ^Tmerins;  {8eixvv- 
aoiv?)  Gomperz,  Apol.  d.  Heilk.'  p.  171  6  verba  äUä  {2)—äv&Qcojiog  (6) 
quae  propter  homoioteleuton  in  omnibus  codd.  praeter  AM  exciderunt  post 
ovvETiäyr}  (7)  trcmspos.  Rhd.  Kühl.,  ita  tarnen  tct  alterum  o  rc  iailv  äv&gcojiog 
delerent,  i^  ag^f]?  post  avvE.-räyi]  ponerent  7  d.Tdi^er  A;  o&ev  M;  6'jicog  g 
TovTOiv  M'^       i)  om.  Ms  10  olöv  rai  A'  corr.*  11  rijv  i)]zq.  clel. 

Ilberg       jiäoav  om.  A  12  jioXXovg  /lwi  öoxdei  lösTv  Mg  12/13  ravztjv 

xrjv   ioxoQirjv    slvai    ävß-.  A  14  ejtsI  xovxo  M;    sjtl    xovxo  {xovxco  A*)  A  ; 

insi  rot    g         navxi   itjxqö)  g;    irjxgqj   om.  A  15  OJiovdd^at.  nonnulli  g 

wojiEQ  A  16  Jioitjoiv  A  XE  om.  Mg  17  re  om.  M?,  cf.  Schonack, 
Curae  Hippocraticae,  Regimont.  1908  p.  81  sqq.  xai  5  xi — EJiixt]8sv^iaxa 
{cf.  p.  11,2  Kühl,  al.)  om.  omnes  pr.  A  18  priiis  xai  om.  A  fitj]  8tj  A 
18/19  xai  /Lirj  anXöjg  ovxoi  8oxeeiv  oxi  jiovyjqÖv  g  19  Jiövov^  jiovrjQovA.  jzaq- 
ixsi  A;  EXEi  M;  q)EQEi  g  20  Ttovov]  xqÖjiov  A  20/21  xmv  ev  xä)  dv&QcoTiq) 
iveovxwv  A;  tcüv  dvd'QcöjKov  Mf 


398  M.  POHLENZ 

Der  Autor  legt  hier  grundsätzlich  seinen  Standpunkt  gegenüber 
den  Ärzten  dar,  die  als  Voraussetzung  für  jede  medicinische  Tätig- 
keit ein  volles  Wissen  über  die  Natur  des  Menschen  betrachten. 
Eiösrai  o  ri  lorlv  ävdocoTiog  ist  das  Schlagwort,  in  dem  er  ihre 
Anschauung  zusammenfaßt,  um  als  seine  eigene  Ansicht  die  Be- 
schränkung auf  ein  Wissen  o  rt  te  Iotiv  ävOgoiTioi;  Tigög  rd 
eo&iojLierd  te  y.al  Tiivouera  xtL  gegenüberzustellen.  Er  kenn- 
zeichnet seine  Gegner,  ähnlich  wie  es  der  Verfasser  von  jt.  cpvoiog 
d.v&Q(ü7iov  im  Eingang  tut^),  als  Leute,  die  über  das  Fachwissen 
der  h]rQiy.)]  hinaus  zu  einer  allgemeineren  Wissenschaft,  einer  cfilo- 
oo(pb]  vordringen  wollen,  wie  ja  Empedokles  und  andere  Natur- 
philosophen Untersuchungen  über  das  ursprüngliche  Wesen  des 
Menschen  2),  über  die  Art  seiner  Entstehung,  die  Stoffe,  aus  denen 
er  zusammengesetzt  ist,  angestellt  haben.  „Ich  aber",  so  fährt  er 
mit  der  starken  Betonung  der  subjektiven  Überzeugung,  die  wir  an 
diesen  Ärzten  kennen,  fort,  „meine,  daß  die  Frage,  was  Gelehrte 
oder  Ärzte  über  Naturphilosophie  geschrieben  haben,  die  ärztliche 
Kunst  gar  nichts  angeht"  —  wir  erwarten  nach  dem  tovxo  }x,ev 
die  Fortsetzung,  was  er  positiv  selbst  für  notwendig  hält.  Statt 
dessen  biegt  er  zunächst  ab,  um  im  Gegensatz  zu  den  Männern, 
die  ihren  Ausgangspunkt  bei  der  Naturphilosophie  nehmen,  zu  er- 
klären: „Vielmehr  halte  ich  den  umgekehrten  Weg  für  geboten: 
wer  zu  sicheren  Ergebnissen  in  der  Naturerkenntnis  gelangen  will, 
muß  von  der  Medicin  ausgehen"  —  ehe  er  nun  darlegt,  woran  er 
bei  diesem  sicheren  Ergebnis  denkt,  schiebt  er  wieder  erst  noch  mit 
Rücksicht  auf  die  richtige  Methode  den  Gedanken  ein:  „Das  kann 
man  aber  erst  erreichen,  wenn  man  die  Medicin  selber  in  ganzem 
Umfange  erfaßt  hat,  und  so  weit  sind  wir  noch  lange  nicht",  und 
nun   kommt   er   erst    damit    heraus,    was    für   ein    sicheres    Ergeb- 


1)  "OoTig  i-iEv  sl'ojdev  äxoveiv  leyövrcov  afxtpl  zfjg  (pvaio?  rfj?  avdgo)- 
7iivr]5  jioQQOiXEQO)  fj  oxöaov  avxrig  ig  IrjTQiHrjv  iffi]y.ti,  tovtco  /nev  ovx  E:nTtj- 
dsiog  o8e  6  Xöyog  axoveiv. 

2)  Bei  Ergänzung  eines  Verbums  wie  i^ijit'jy.aoiv  fällt  die  Umstellung 
Reinholds  von  selbst  weg.  i^  UQ/Jig  ist  wohl  absichtlich  so  gestellt,  daß 
es  sowohl  zu  s'Qt^xrjy.aoiv  wie  auch  zum  Folgenden  gezogen  werden  kann. 
Vgl.  de  victu  2  (prjfii  dt]  8eTv  rov  fiE/J.ovza  doßwg  ov/ygärpeiv  :tsoi  öiaixTjg 
dv&Qcojiivrjg  ngcörov  fihv  navrog  qwaiv  äv&QCOJiov  yvwvai  y.at  öiayvcövai,  yvtö- 
vai  (liv  OjiÖ  Tivcov  ovvioxrjy.ev  i^  ägyijg  .  .  .  shs  yäg  rip'  i^  ao/fjg  avaxaaiv 
fif]  yvojaexac,  aber  auch  die  nachher  S.  408  ff.  zu  besprechenden  Plato- 
stellen. 


HIPPOKRATES  DE  PRISCA  MEDICINA  399 

nis  ihm  vorschwebt:  „ich  meine  das  exakte  Wissen  vom  Wesen 
des  Menschen,  den  Ursachen  seiner  Entstehung  usw."  Dieses  Wissen 
lehnt  er  also  nicht,  wie  es  ursprünglich  scheinen  konnte,  ganz  ab. 
Er  will  nur  zeigen,  man  dürfe  es  nicht  von  irgendwelchen  natur- 
philosophischen Hypothesen  aus  zu  erreichen  hoffen.  Vielmehr  dürfe 
man  es  nur  von  der  Vollendung  der  medicinischen  Wissenschaft 
erwarten.  Aber  diese  ist  ein  Ideal,  das  noch  in  weiter  Ferne  steht, 
und  so  wäre  es  verfehlt,  wollte  man  vom  praktischen  Mediciner 
dieses  Wissen  verlangen.  Auf  dieses  will  also  unser  Autor  im 
Gegensatz  zu  den  spekulativen  Ärzten  verzichten.  Freilich  nur  auf 
dieses;  „denn  so  viel  muß  der  Arzt  freilich  von  der  Natur  wissen 
und  sich  unbedingt  anzueignen  suchen,  wie  sich  der  menschliche 
Leib  gegenüber  Nahrung,  Bädern,  Übungen  usw.  verhält,  was  diese 
auf  jeden  einzelnen  Organismus  für  einen  Einfluß  haben,  warum 
dies  der  Fall  ist,  welche  Bestandteile  des  Körpers  auf  den  äußeren 
Reiz  reagiren".  Das  ejtel  —  y£  Z.  14  ist  natürlich  nach  dem  von 
Vahlen,  Opusc.  I  p.  99 ff.  für  das  lateinische  na)n  erläuterten  Sprach- 
gebrauch zu  verstehen  ^).  rovrö  ye  bringt  endlich  die  Fortsetzung 
zu  dem  rovro  fiev  aus  Z.  7,  ist  also  unbedingt  dem  enei  roi  ye 
der  Vulgärcodices  vorzuziehen.  Auch  wenn  diese  gleich  darauf  vor 
IrjTQCp  ein  navTi  einfügen,  so  ist  das  ein  zwar  sinngemäßer,  aber 
unnötiger  und  die  Prägnanz  des  Ausdrucks  beeinträchtigender  Zu- 
satz. Das  Fehlen  von  h^xQcö  in  A  dagegen  beruht  wohl  nur  auf 
einem  Versehen. 

Nun  zu  dem  neuen  Hippokratesbriefe.  Dem  Verfasser  war 
offenbar  unser  Kapitel  wegen  seines  allgemeinen  Charakters  sehr 
willkom.men,  und  wenn  er  für  die  Erörterung  der  Principienfragen 
auch  weder  Verständnis  noch  Interesse  hatte,  so  konnte  er  doch  die 
einzelnen  Wendungen  für  seine  Einleitung  gut  verwerten.  So  lesen 
wir  denn  an  deren  Schluß  §  10:  T]v  jut]  yoLQ  rrjv  £|  äg^^g  ovoxa- 

1)  Plato  Symp.  187 A:  &OJieo  l'ooig  aal  'HgäxXeirog  ßoHsrai,  XeyEiv 
ETiEi  ToTg  ye  gr^f-iaotv  ov  xa'/.wg  ?Jysi.  'Ich  betone,  er  hat  die  Absicht;  denn 
zum  Ausdruck  bringt  er  diese  nicht  richtig.'  Prot.  333  C:  aioxi'voi/:it]v 
av  k'ycoys  rovzo  ofw?Myeiv'  etieI  jtoXXoi  ye  <paoi  rcöv  av&Qchnoiv .  Die  Ver- 
kennung des  Sprachgebrauchs  hat  in  de  prisca  med.  4  manche  zur  falschen 
Annahme  einer  Lücke  geführt:  'Wenn  man  die  naturgemäße  Auswahl 
der  Nahrung  in  der  alten  Zeit  nicht  als  rEyji]  betrachtet  hat,  so  ist  das 
kein  Wunder.  Wo  es  keine  Idiwxm  gibt,  gilt  auch  niemand  als  TEyvm]?. 
'Es  gilt',  sage  ich;  denn  sachlich  ist  die  Erfindung  durchaus  ein  Zeichen 
der  XEyvrf  —  ejieI  tö  yE  EVQrj/iia   /nsya  rs   xal  noXlfjg  axevnös  ze  xal  zeyv7]g. 


400  M.  POHLENZ 

oiv  ijiiyvcüoijrai  rfjg  vovoov  öxoit]  rig  eozi  xal  dt'  olag  ahiag 
yiyvEzai  xal  xäXXa  äxQißecog  {Xsyco  de  rov  jueXXovra  oQ'&cbg  a.7to- 
cpatveo'&ai  Tiegl  amerjg),  ovx  olog  t  av  eirj  rä  ^vficpEQOVxa  xcp 
äXövTi  jiQooeveyxeiv.  Hier  stammt  nicht  nur  der  Schluß,  wie  schon 
Diels  vermerkt  hat,  aus  de  victu  I  2,  sondern  ebendaher  auch  der  An- 
fang, vgl,  die  S.  398  A.  2  angeführten  Worte  slre  yag  rrjv  i^  otg^^jg 
ovoxaoiv  juf]  yvcooExai.  Was  dagegen  dazwischen  steht,  stammt  aus 
de  prisca  med.  20,  vgl.  für  die  Parenthese  Z.  3  und  15,  für  das  übrige 
Z.  12  Xeyco  de  xi]v  loxoQirjv  xavxrjv,  elöevai  äv^QConog  xi  eoxiv 
xal  <5('  olag  aixiag  yivexai  xal  xäXXa  dxgißeoyg.  Auch  die  hier 
zunächst  nicht  verwerteten  Anfangsworte  Xeyco  —  xavxrjv  hat  der 
Briefschreiber  sich  nicht  entgehen  lassen.  Denn  nach  einigen  vor- 
läufigen Bemerkungen  über  die  Hundswut  nimmt  er  §  24  den  Faden 
genau  da  wieder  auf,  wo  er  ihn  fallen  gelassen:  dAA'  ävaßijoofxat 
O'&ev  aneXiTtov,  Xeyu>  de  xrjv  loxoQirjv  xavxrjv,  ixdirjyevjuevog 
Xvooa  xi  ioxi  xal  öxoioioi  diayiyvcboxexai  xal  xiva  xqojiov  ano- 
Xaxpeoixo^).  enet  xoi  ye  juoi  doxeei  ävayxaiov  elvai  jiavxl 
IrjxQO)  jieqI  exdoxov  xöv  vovoijjiidxwv  eldevai,  exaoxov  xi  eoxi 
xal  dl'  oi'ag  aixiag  yiyvexai,  xal  Jidvv  ye  oxcovdd^eiv  (bg 
el'oerai.  fjv  ydg  xig  eldeiij  xijv  alxirjv  xov  voorjfxaxog,  ajoneq  [xoi 
TiecpQaoxai  xal  exEQOJiJi,  oiög  t'  äv  eirj  xd  ^vju<peQovxa  Jigoodyeiv 
xcö  ocofxaxi  xxl.  Die  letzten  Worte  wiederholen,  was  am  Schluß 
von  §  10  aus  de  victu  gegeben  war.  Vorher  schreibt  der  Autor  aber 
die  Stelle  aus  de  prisca  med.  weiter  aus.  Und  hier  ergibt  sich  nun 
Interessantes  für  die  Beurteilung  unsrer  Überlieferung.  Daß  die 
Lesart  von  Mg  xyjv  loxoQirjv  xavxrjv,  eldevai  bestätigt  wird,  braucht 
freilich  nicht  zu  verwundern,  da  A  mit  xavxrjv  xrjv  loxoqirjv  elvai 
eine  offenbare  Corruptel  bietet  (Kühlewein  hätte  deshalb  auch  die 
Stellung  xavxrjv  xrjv  lox.  nicht  aufnehmen  sollen).  Aber  wesentlich 
ist,  daß  der  Brief  mit  enei  xoi  ye  juoi  doxeei  ävayxaiov  elvai 
navxl  irjxQcp  .  .  .  eldevai  die  verfälschte  Lesart  der  Vulgärhand- 
schriften voraussetzt.  Diese  hat  also  am  Beginn  unsrer  Zeitrechnung 
schon  vorgelegen. 

Das  ist  merkwürdig.  So  viel  stand  freilich  schon  früher  fest, 
daß  die  beiden  Zweige  der  Überlieferung,  die  für  uns  durch  die 
Handschriften  A  und  M  repräsentirt  werden,  sich  schon  im  Alter- 
tum getrennt  haben.     Und  ebenso  war   klar,    daß  die  Vulgärhand- 

1)  Die  Interpunktion  habe  ich  gegen  Diels  im  Hinblick  auf  das 
Vorbild  von  de  prisca  med    etwas  geändert. 


HIPPOKRATES  DE  PRISCA  MEDICINA  401 

Schriften  zwar  eng  mit  M  verwandt  sind  —  man  sehe  z.  B.  Z.  12 
TioXkovg  juoi  öoxeei  ideTv  und  Z.  20  rcov  äv&gcojiayv  — ,  aber  nicht 
aus  M  stammen  können  (vgl.  Gomperz,  Apol.  d.  Heilk.^  S.  64).  Aber 
erst  jetzt  sehen  wir,  dafs  auch  M  und  g  sich  schon  vor  Beginn 
unsrer  Zeitrechnung  getrennt  haben,  die  Scheidung  von  A  und  Mg 
also  noch  viel  früher  erfolgt  sein  muß. 

Macht  man  sich  dies  klar,  so  wird  es  das  erste  sein,  daß  man 
sich  fragt,  ob  denn  unter  diesen  Umständen  Kühleweins  Princip 
aufrechterhalten  werden  kann,  der  die  Vulgärhandschriften  in  seinem 
Apparat  im  allgemeinen  überhaupt  nicht  erwähnt.  Tatsächlich  ist, 
soweit  man  nach  Littres  Angaben  sich  ein  Urteil  bilden  kann,  der 
praktische  Wert  dieser  Überlieferung  für  die  Textgestaltung  nicht 
groß.  Stimmen  A  und  M  überein,  so  verlangt  die  Recensio  die 
Ignorirung  der  andern  Codices  von  vornherein,  und  es  gibt  keine 
Sonderlesart  von  g,  die  sicher  Aufnahme  verdiente  ^).  Eine  gewisse 
Bedeutung  kann  aber  die  Vulgata  als  Controlle  von  M  beanspruchen. 
Wo  sowolil  M  wie  g  von  A  abweichen,  stellt  g  freilich  zumeist 
nur  eine  weitere  Station  auf  dem  Wege  der  Verwilderung  dar,  die 
der  Hippokratestext  in  den  für  praktische  Zwecke  gemachten  antiken 
Ausgaben  erfahren  hat.  Aber  gelegentlich  können  wir  doch  durch 
den  Vergleich  mit  g  die  Lesart  von  M  auf  eine  ältere  Form  zurück- 
führen, häufig  durch  die  Übereinstimmung  von  Ag  eine  Sonder- 
lesart von  M  als  jung  und  wertlos  erkennen  (z.  B.  Z.  3  deganeveiv, 
4  te),  und  vor  allen  Dingen  haben  wir  im  Falle  der  Übereinstim- 
mung von  Mg  die  Gewißheit,  daß  die  Lesart  antik  ist.  Gerade  das 
scheint  mir  nicht  unwichtig.  Es  ist  ja  kein  Zweifel,  daß  im  all- 
gemeinen A  zuverlässiger  ist  als  M.  Da  liegt  nun  die  Gefahr  nahe 
daß  man  seinen  Wert  überschätzt,  und  das  scheint  mir  Kühlewein 
nicht  selten  getan  zu  haben.     Ich  führe  ein  paar  Fälle  an. 

Am  Ende  von  c.  2  schließt   der  Arzt  die  Einleitung    mit    den 

1)  Man  könnte  meinen,  daß  in  Z.  1  in  dem  ivi  dvvaiöv  eines  Teiles 
der  Vulgärcodices  ein  bloßes  svi  als  ursprüngliche  Lesart  stecke,  die 
nachträglicli  durch  ein  et?]  (ion)  dvvarov  verdrängt  sei.  Aber  in  diesem 
Sinne  kommt  evi.  in  de  prisca  med.  nicht  vor  (sonst  p.  16,2),  und  das  sh] 
dvvaxöv  nach  P.iyovoi  ist  natürlich  berechtigt  so  gut  wie  etwa  bei  Arist. 
Eq.  135  agarsTv,  ecog  ersQog  dvijQ  ßdsP.vQcoTSQog  aviov  ysvouo,  wo  6  xQf}Ofidg 
ävxixQvg  Isysi  vorhergeht.  Die  Stelle  aus  de  prisca  med.  17:  iyco  8s  ^wi  zovxo 
(isyiozov  csxfj.i^Qiov  ^ysiificu  elvai,  ort  ov  8ia  ro  ■dsQfiov  anl&g  jivQeraivovaiv 
Ol  äv&Qconoi  ov8s  zovto  sl'r]  x6  al'xiov  xt'/g  xaxcöoiog  fxovvov  darf  man  aller- 
dings nicht  heranziehen;  denn  da  ist  vor  sl'rj  wohl  ein  av  ausgefallen. 
Hermes  LIII.  26 


402  M.  POHLEiMZ 

Worten  ab:  y.al  diä  rama  ovv  ravra  ovdev  dsT  vTio'&eoiog.  So 
lesen  wir  wenigstens  nach  A  bei  Kühlewein.  Allein  ravra  als 
Subjekt  ist  ganz  nichtssagend  und  hat  im  Vorigen  keinen  Bezug. 
Die  Medicin  selber  ist  es,  die  keiner  Hypothesen  bedarf.  Das  hat 
der  Autor  vorher  ausgeführt  und  will  er  jetzt  zusammenfassend  ein- 
prägen. Und  wenn  wir  nun  an  seine  Worte  in  c.  1  (p.  2,  1  K.) 
denken  dio  ovx  fj^iow  avrrjv  Eywye  xevtjg  vjto^eoiog  deXod^ai, 
so  ist  kein  Zweifel,  daß  Mg  richtig  überliefern  xal  diä  ravra  ovv 
ovdev  deaai  vjro^EOiog.  A  hat  ravra  interpolirt,  weil  man  das 
Subjekt  vermifste.  Tatsächlich  müssen  wir  auch  ziemlich  weit  (bis 
p.  2,  20  K.)  zurückgehen,  um  die  hjrQix)]  ausdrücklich  erwähnt  zu 
finden.  Aber  dem  Arzte  schwebt  eben  die  Medicin  als  der  Haupt- 
begriff, als  sein  Thema  vor,  und  so  setzt  er  unwillkürlich  die  rich- 
tige Beziehung  bei  seinem  Leser  voraus.  Genau  den  gleichen  Fall 
treffen  wir  nachher  in  c.  9.  „Die  Sache  liegt  bei  der  Medicin  nicht 
so  einfach,  daß  nur  die  starke  Nahrung  schadet;  auch  der  Mangel 
an  Nahrung,  der  Hunger,  wirkt  verderblich.  jioÄXä  de  xal  äXXa 
xaxd,  eregola  juev  (juev  om.  A)  rcbv  äuo  TtlrjQcooiog  ovy^  fjooov 
de  öeivä,  xal  dico  xevcooiog.  öiorc  (öiöv  M  di'  d>v  g)  nolXov  Jioi- 
xiXwreqa  re  {noixiXcoreQf]  re  Mg)  xal  öid  nXeiovog  äxQißehjg  eoriv. " 
Hier  könnte  sich  jioixiXcorega  nur  auf  die  eben  genannten  xaxd, 
die  aus  der  xevcooig  hervorgehen,  beziehen.  Aber  das  widerspricht 
dem  ganzen  Zusammenhang.  Der  Satz  schließt  vielmehr  den  Ge- 
danken ganz  ab,  der  am  Anfang  des  Kapitels  mit  ei  /.lev  fjv  djiXovv 
eingeleitet  ist,  und  was  das  Subjekt  sein  muß,  zeigen  uns  Stellen 
wie  c.  12  (p.  13,  2)  yaXenov  di]  {de  A  mit  Teil  von  g)  roiavri]g 
dxQißeh]g  eovorjg  Jtegl  ri]v  reyvrjv  rvyydveiv  del  rov  args- 
xeordrov  [dxQareordrov  A)  (vgl.  auch  das  Folgende)  und  noch 
besser  der  Schluß  von  c.  7,  wo  der  Arzt  den  Nachweis,  daß  die 
wissenschaftliche  Medicin  sich  von  der  naturgemäßen  Auswahl  der 
Nahrung  in  der  älteren  Zeit  dem  Wesen  nach  nicht  unterscheidet, 
mit  den  Worten  abschließt:  ri  di]  rovro  exeivov  diacpegei  dXX'  i] 
[jiXeov]  ro  re  {ye  k)^)  eidog  xal  öri  noixiXcoregov  xal  nXeio- 
vog TiQfjy ju areif] g ;  dg^i]  de  exeivt]  t)  Jigoregov  yevofievi].  Also 
schwebt  auch  in  c.  9  die  irjrgix"^  als  Subjekt  vor,  die  freilich  seit 
dem  Schluß  von  8  nicht  mehr  genannt  ist,  und  TTOixiXo^regt]  ist 
die  richtige  Lesart.     Ganz  ähnlich  steht  es  endlich  mit  einer  Stelle 

1)  Vgl.  p.  5,  14  sjisi  t6   ye   svgtjfia  fieya  zs  xal  TioXki]?  axsxpiög  re  xai 
rexvrjg  u.  Ö. 


HIPPOKRATES  DE  PRISCA  MEDICINA  403 

des  3.  Kapitels.  „Die  ävdyxi]  ist  es  gewesen,  die  zur  Entdeckung 
der  diätetischen  Medicin,  zur  richtigen  Auswahl  der  Krankennahrung 
führte.  Sie  hat  es  ja  auch  schon  in  der  alten  Zeit  bewirkt,  daß 
die  Gesunden  zu  einer  specifisch  menschlichen  Ernährungsweise 
übergingen.  Ursprünglich  teilten  die  Menschen  nämlich  die  tierische 
Nahrung,  hatten  aber  natürlich  davon  starke  Beschwerden,  dia  di) 
rain}]v  t))v  ahh]v  xal  ovroi  jlwi  öoxeovoi  Cv^fjoai  xQO(pi]v  dg/Lio- 
Covoav  jfj  cpvoei  xal  sugeTv  TavT)]v,  f]  vvv  ygecüjueüa  (p.  4,  16). 
So  liest  Külilewein  mit  A,  aber  Mg  haben  nicht  aizit]}',  sondern 
XQeirjv,  und  wenn  es  schon  an  sich  unwahrscheinlich  ist,  daß 
dieses  signifikantere  Wort  für  das  blasse  ahhjv  eingedrungen  sein 
sollte,  so  wird  seine  Ursprünglichkeit  dadurch  erwiesen,  daß  das 
ganze  Kapitel  eine  Specialanwendung  der  kulturhistorischen  Theorie 
ist,  wonach  der  Zwang  der  Not  es  war,  der  alle  Kulturfortschritte 
hervorgerufen  hat.  Darauf  hat  schon  Wilh.  Meyer  in  seiner  Göt- 
tinger Dissertation  Laudes  inopiae  (1915)  p.  28  hingewiesen,  und 
er  hat  zugleich  gezeigt,  daß  als  Termini  zur  Bezeichnung  der  Not- 
lage dvdyxi]  und  XQeh]  abwechseln  (xgeia  z.  B.  in  der  kultur- 
geschichtlichen Darstellung,  die  Diodor  I  8  nach  Demokrit  gibt: 
xa&6Xov  yuQ  rijv  xQsiay  avT)jv  diddoKaXov  yeveo&ai  roTg  dv&gco- 
jioig  Kxl.).  Wenn  wir  nun  sehen,  wie  auch  der  Arzt  am  Anfang 
von  3  (p.  3,  14)  gleich  das  Stichwort  bringt:  vvv  de  avxi]  fj 
dvdyxi]  a]Tgixi]v  enoirjoev  ^i]Tt]'&}~p'ai  iE  xal  evQe^fjvai  dvßgcojtoig 
und  in  c.  4  es  mit  den  Worten  rjg  ydg  /u7]Ö£ig  ioriv  idicoTijg,  dXld 
TidvTsg  enioxrifJiovEg  did  xi]v  xQTJoiv  xs  xal  dvdyxt]v  wieder  auf- 
nimmt, müssen  wir  auch  das  engverwandte  XQ^h^'  4,  16  festhalten, 
statt  es  mit  A  deswegen  zu  ändern,  weil  die  ausdrückliche  Nen- 
nung des  Begriffes  nicht  unmittelbar  vorher  erfolgte. 

Die  schwersten  Schäden  der  Überlieferung  sind  natürlich  auch 
hier  in  der  Zeit  eingetreten,  die  der  Scheidung  der  beiden  Klassen 
vorauslag.  Das  sei  wenigstens  noch  an  einem  Beispiel  beleuchtet. 
Im  c.  3  heißt  es  in  unmittelbarem  Anschluß  an  die  zuletzt  bespro- 
chene Stelle  über  den  Fortschritt  zur  menschlichen  Nahrung:  ex 
juev  ovv  xcbv  tivqow  ßge^avxeg  o(pag  xal  nxioavxeg  (so  A,  ßge- 
^avxeg  xal  nxioavxeg  ndvxa  Mg)  xal  xaxaXeoavxeg  xe  xal  öiaorj- 
oavxeg  xal  (poQv^avxeg  ((pgv^avxeg  M  und  Teil  von  g)  xal  önxi^- 
aavxeg  dnexeXeoav  {djisxeXeoajuev  A)  dgxov^  ex  de  xcbv  XQi'&ecüv 
fxä^av.  Wenn  hier  Schroten,  Mahlen,  Durchsieben,  Backen  nach- 
einander  erwähnt  werden,    so  will    uns    der  Arzt    offenbar   zeithch 

26* 


404  M.POHLENZ 

die  einzelnen  Stadien  der  Brotbereitung  vorführen.  Dann  hat  vor 
oTtiriGavTeg  nicht  cpQv^avxeg,  sondern  „Kneten"  cpoQv^avxeg  seinen 
Platz,  und  so  hat  wohl  Galen  gelesen,  der  im  Glossar  (poqv^avzeg 
durch  q^vgoLoavTeg  erklärt.  In  Mg  ist  das  Wort  ofTenbar  deshalb 
geändert,  weil  sich  damit  das  vorhergehende  ßge^avzeg  nicht  ver- 
trägt. Aber  kann  denn  vor  dem  Schroten  von  einem  Einweichen 
der  Körner  die  Rede  sein?  Nötig  ist  hier  ein  anderer  Begriff,  das 
Worfeln,  die  Reinigung  des  Kornes  von  der  Spreu.  Wie  das  grie- 
chisch heißt,  zeige  Plato  Soph.  226 B:  olov  dnidetv  re  leyofiev  xal 
öiarräv  y.al  ßgdzretv  xal  diaxQiveiv,  wozu  im  Timaeuslexicon  die 
Erklärung  steht:  ßgarxEiv  dvaxiveiv  cootisq  oi  rov  oTrov  xa'&ai- 
govxeg,  vgl.  Geop.  III  7 :  jttioteov  xal  ßgaoreov  und  Aristophanes, 
der  fr.  271  ohne  chronologische  Folge  nebeneinander  nennt  nzirxa) 
ßgdxxco  jiidxxco  dsvco  jtsxxco  xaxalcb,  vgl.  Pherekr.  183.  Zu  lesen 
ist  für  ßgd^avxeg  also  ßgdoavxeg  (Anth.  Pal.  VI  258  eq?'  äXmog, 
eq)'  q  noXvv  eßgaosv  dvzlov),  falls  man  nicht  etwa  einen  Über- 
gang in  die  Flexion  der  Gutturalstämme  annehmen  und  ßgdoavxeg 
ansetzen  darf.  Das  ndvxa  von  Mg  ist  selbstverständlich  verkehrt, 
aber  auch  das  oq^ag  von  A  verdächtig,  da  ein  Objekt  aus  jivgcbv 
leicht  zu  entnehmen  war. 

II. 
Die  Auffassung  der  medicinischen  Wissenschaft. 

Das  zwanzigste  Kapitel  von  de  prisca  medicina  ist  durch  seine 
principiellen  Erörterungen  eines  der  interessantesten  Stücke  des 
Hippokratischen  Corpus^).  Der  Arzt  hat  vorher  den  Nachweis  er- 
bracht, daß  die  medicinische  zs^rrj  sich  qjvoei  durch  empirische 
Feststellung  der  für  den  Kranken  geeigneten  Ernährungs-  und  Be- 
handlungsweise  allmählich  entwickelt  hat,  und  hat  dabei  scharf 
gegen  die  Arzte  Stellung  genommen,  die  sich  nicht  auf  die  mit 
dieser  bewährten  Methode  erzielten  Ergebnisse  verlassen,  sondern 
zu  Hypothesen  greifen  und  willkürlich  irgendwelche  Grundstoffe 
beim  menschlichen  Leibe  ansetzen,  um  von  da  aus  alle  Krankheiten 
des  Organismus  zu  erklären  und  danach  die  Therapie  einzurichten. 
Jetzt  tritt  er  in  eine  methodische  Auseinandersetzung  mit  den  Ge- 
lehrten und  Ärzten  ein,  die  als  Voraussetzung  einer  wissenschaft- 
lichen Medicin  wie  der  medicinischen  Praxis  die  Naturphilosophie 
ansehen.    Die  Anschauung,  gegen  die  er  sich  hier  wendet,  ist  sach- 

1)  Th.  Gomperz,  Griech.  Denker  I  238  ff. 


HIPPOKRATES  DE  PRISCA  MEDICINA  405 

lieh  von  der  vorlier  bekämpften  an  sich  nicht  scharf  zu  sondern. 
Aber  daß  der  Arzt  sich  hier  einer  bestimmten  neuen  Gruppe  von 
Gegnern  zuwendet,  zeigt  der  Eingang:  Xeyovoi  de  riveg  xal  h-jXQoi 
xal  ooq)iozat,  und  dafür  spricht  auch,  daß  man  im  Ton  der  Polemik 
eine  Änderung  zu  verspüren  meint.  Während  er  die  Willkür  der 
Hypothesen  vorher  nicht  ohne  Animosität  und  Sarkasmus  abgefer- 
tigt hat,  legt  er  jetzt  trotz  der  Schärfe,  mit  der  er  die  Naturphilo- 
sophie ablehnt,  doch  Wert  darauf,  das  hervorzukehren,  was  ihm 
mit  den  Gegnern  gemeinsam  ist. 

Drei  Momente  sind  es,  die  er  in  seiner  Erörterung  scheidet: 
die  Naturphilosophie,  eine  Anthropologie,  die  das  ursprüngliche 
Wesen  des  Menschen  zu  ergründen  strebt,  endlich  eine  unmittelbar 
für  die  Praxis  verwendbare  Physiologie,  die  über  das  Verhalten  des 
menschlichen  Organismus  zu  Nahrung  usw.  aufklären  und  danach 
Diät  und  Therapie  regeln  will.  Die  Naturphilosophie  als  Ausgangs- 
punkt weist  der  Arzt  mit  Entschiedenheit  ab;  die  Anthropologie  läßt 
er  als  ideales  Ergebnis  der  medicinischen  Wissenschaft  gelten,  das 
physiologische  Wissen  betrachtet  er  für  den  praktischen  Arzt  als 
notwendig.  Ob  er  die  letzte  Forderung  von  sich  aus  formulirt  oder 
sich  einen  Programmpunkt  der  Gegner  zu  eigen  macht,  kann  zu- 
nächst zweifelhaft  sein.     Aber    hier   hilft  uns  eine  Parallele  weiter. 

An  der  berühmten  Stelle  des  Phaidros  (270G)  fragt  Sokrates: 
tpvx'i]?  ovv  (pvoiv  d^icog  Xoyov  xaravofjoai  oTsi  övvardv  ävev 
xfjg  xov  öXov  (pvoecog;  und  Phaidros  antwortet:  ei  juev  'Ijijio- 
TtQOLTEi  ye  TM  Tcbv  'AoxXi]7tiadä)v  öei  rt  Tti^sod'ai,  ovde  tteqI 
oibfxaTog  ävev  rrjg  fiedööov  xaviTjg.  Daß  unter  rfjg  tov  oXov 
(pvoecog  die  Natur  des  Alls  zu  verstehen  ist,  nicht  etwa  die  Natur 
des  Ganzen  im  Gegensatz  zu  den  Teilen  der  Seele  oder  des  Leibes^), 
ergibt  der  Zusammenhang  und  die  kurz  vorher  gegebene  Fest- 
stellung: Jiäoai  ooai  jueyuXai  r&v  xeyvcbv  TiQoodeovxai  ädoXeoxiag 
xal  juexecoQoXoyiag  cpvoeoig  tieql  (269E)2).  Hippokrates  befolgt 
also    die    jui^odog,    daß    er    die    allgemeine    Naturphilosophie    als 


1)  Fredrich,  Hippokr.  Untersuchungen  S.  4  scheint  die  Sache  so  auf- 
zufassen, wenn  er  paraphrasirt:  'Hierbei  muß  die  Natur  des  Ganzen  (^  rov 
oAov  (pvoig)  stets  im  Auge  behalten  werden'  und  den  Satz  hinter  die  Vor- 
schriften über  die  Einwirkung  auf  die  einzelnen  Körperteile  (nach  270 D) 
rückt.  Aber  bei  Plato  steht  er  eben  vorher.  Richtiger  stellt  Fredrich 
gleich  darauf  den  Satz  mit  jisqI  asgcov  vödrcov  röjicov  1  zusammen. 

2)  Vgl.  Jiegi  degcov  vödicov  tÖjicov  1  (Fredrich  S.  5). 


406  M.  POHLENZ 

Grundlage  nimmt  und  daraus  ein  Wissen  vom  menschlichen  Leibe 
entwickelt.  Sokrates  fährt  dann  fort:  xb  roivvv  jieqI  (pvoecog 
oxojisi  Ti  Tiore  Xeyei  'IjtJioxQarrjg  re  xal  6  d?j]'&i]g  Xöyoq.  a^ 
ov%  oibe  dei  diavouod^ai  jiegl  özovovv  (pvoecog'  jiqcötov  fxev, 
änXovv  T]  noXveiöeg  iortv  ov  jieQi  ßovXr]o6jue'&a  elvai  avxol  re^- 
vixol  xal  äXXov  dvvaroi  noieiv,  STieira  de,  äv  juev  änXovv  ^, 
oxojieTv  T7]v  övvafuv  avxov,  riva  jcgog  xt  Jieqjvxsv  elg  x6  dqäv 
e'xov  i)  xiva  eig  xb  xia^eTv  vjib  xov,  idv  de  jiXeico  ei'd)]  exf],  xavxa 
agi'&fxrjodfxevov,  öneg  eq?'  evog,  xovx'  löeTv  699'  exdoxov,  xcb  xi 
TioieTv  avxb  Jieqpvxev  tj  xco  xi  Jia'&eiv  vnb  xov;  .  .  .  fj  yovv  ävev 
xovxüov  jue'&oöog  eoixoi  äv  ojoJieQ  xv(pXov  noQeia,  und  geht  dann 
zur  Anwendung  dieser  jueßodog  auf  die  Seele  über. 

Daß  auch  diese  Methode  nicht  nur  aus  den  Voraussetzungen 
des  Hippokrates  abgeleitet,  sondern  von  ihm  selber  entwickelt  ist, 
wird  durch  den  Zusammenhang  nahegelegt.  Sicher  wird  es,  wenn 
man  de  prisca  med.  20  heranzieht.  Denn  wenn  es  dort  heißt,  der 
Arzt  muß  wissen,  o  xi  xe  eoxiv  äv&QConog  Jigog  xd  eo&iojuevd  xe  xal 
nivofxeva  xal  6  xi  ngog  xd  uXXa  ejiixi]devjuaxa,  xal  o  xi  dcp' 
exdoxov  exdoxo)  ovjußtjoexai,  xal  jut]  änXcbg  ovxcog  ...  —  dXXd 
xiva  xe  jzovov  xal  öid  xi  xal  xivi  xwv  ev  xco  dv&Qomco  eveovxoiv 
dvenixrideLov,  so  ist  der  Parahelismus  m.it  der  im  Phaidros  dar- 
gelegten Methode  unverkennbar  (so  auch  Fred  rieh,  Hippokr.  Unters. 
S.  6).  Und  wenn  nach  Plato  die  erste  Frage  ist,  ob  der  zu  beein- 
flussende Organismus  änXovv  oder  jioXveiöeg  ist,  so  darf  man  de 
prisca  med.  23  vergleichen:  jioXXd  de  xal  äXXa  xal  eow  xal  e^co  xov 
owjuaxog  el'dea  ox^judxü)v,  ä  jueydXa  dXXrjXayv  diacpegei  xcgbg  xd 
na'&riixaxa  xal  vooeovxi  xal  vyiaivovxi  .  .  .  ä  öeT  Jidvxa  elöevai  fj 
diaq^egei,  öncog  xd  aixia  exdoxcov  eiöcog  ög&öjg  g)vXdoo)]xai. 

Somit  haben  wir  die  drei  Momente,  die  de  prisca  med.  20  unter- 
schieden werden,  bei  keinem  andern  wiedergefunden  als  dem  großen 
Hippokrates.  Aber  wenn  man  daraufhin  den  Verfasser  als  Hippo- 
kratiker  schlechthin  oder  auch  gar  Hippokrates  als  Vertreter  der 
empirischen  Richtung  von  de  prisca  medicina  angesehen  hat,  so  ver- 
kennt man  die  ganz  verschiedene  Stellung  der  beiden  Ärzte  zu  ihrer 
Wissenschaft.  Nur  den  dritten  von  den  drei  Programmpunkten  des 
Hippokrates  macht  sich  der  Verfasser  von  de  prisca  med.  zu  eigen, 
während  er  sich  sonst  in  scharfen  Gegensatz  zu  ihm  stellt.  Hippo- 
krates ist  es  in  erster  Linie,  der  dem  empirischen  Arzte  als  Gegner 
vorschwebt,  und  wenn  er  ihn  einfach  unter  die  ojxqoI  xal  oo(pioxai 


HIPPOKRATES  DE  PRISCA  MEDICINA  407 

einreiht,  so  zeigt  uns  das  nur,  daß  für  ihn  Hippokrates  noch  nicht 
die  unbedingte  Autorität  ist  wie  für  die  Späteren.  Andrerseits 
sahen  wir  ja  sclion,  daß  er  den  hier  bekämpften  Gegnern  mit 
Achtung  begegnet,  wie  er  auch  durchaus  nicht  verschmäht  hat, 
von  dem  hier  als  Führer  der  spekulativen  Arzte  genannten  Empe- 
dokles  zu  lernen  (VVellroann,  Fragm.  d.  sikel.  Ärzte  37.  86). 

Als  die  Anschauung  des  Hippokrates  dürfen  wir  folgendes  er- 
schließen. Die  Medicin  muß  in  einer  allgemeinen  Naturerkenntnis 
wurzeln.  Nur  so  kann  sie  zu  einer  wissenschaftlichen  Erkenntnis 
des  mensclilichen  Körpers  gelangen,  und  diese  wieder  ist  auch  für 
die  medicinische  Praxis  notwendig.  Der  Arzt  muß  wissen,  welche 
Teile  der  Körper  hat,  welche  Funktionen  diese  haben,  wie  und 
durch  was  für  äußere  Einflüsse  sie  afficirt  werden  und  worauf  das 
beruht.  Sonst  kann  er  nicht  den  Anspruch  erheben,  ein  Mann  der 
Wissenschaft  zu  heißen  ^). 

Es  ist  offenbar  eine  programmatische  Erklärung,  die  Hippo- 
krates abgegeben  hat,  mag  er  das  nun  in  einer  besonders  ver- 
öffentlichten Schrift  oder  auf  andrem  Wege  getan  haben.  Nach 
zwei  Richtungen  hat  er  dabei  seine  Stellung  präcisirt.  Gegenüber 
den  bloßen  Routiniers,  die  da  meinen  im  Besitze  der  ärztlichen 
Kunst  zu  sein,  wenn  sie  über  ein  paar  mechanisch  erlernte  Recepte 
und  Behandlungsweisen  verfügen  (Phaidr.  268  A),  betont  er  mit  aller 
Schärfe,  von  Wissenschaft  könne  nur  die  Rede  sein,  wenn  der  Arzt 
sich  über  Grund  und  Zweck  seiner  Maßnahmen  klar  sei,  und  das 
sei  nur  durch  ein  wirkliches  Studium  des  menschlichen  Körpers 
iauf  Grund  einer  allgemeinen  Naturerkenntnis  zu  erreichen.  Aber 
ebenso  unwissenschaftlich  ist  ihm  auch  die  andere  Richtung,  die  in 
irgendeiner  grauen  Theorie,  in  irgendeiner  vorgefaßten  Meinung  über 
die  Zusammensetzung  des  menschlichen  Organismus  das  Allheil- 
mittel für  die  Krankheiten  gefunden  zu  haben  glaubt.  An  deren 
Adresse  ist  es  gerichtet,  wenn  er  das  genaueste  Studium    der   ein- 

1)  Vgl.  z.  B.  auch,  was  Galen  de  haer.  .3  von  der  rationalen  Medicin 
sagt:  rj  de  8ia  zov  löyov  qpvaiv  ixfia'&sTv  naQaxskevszai  rov  re  ocofiarog,  ov 
SJiiXsiQsT  läodai,  xal  zwv  aixiwv  djidvzcov  zag  8vvdf/,ecg,  oig  6at]fiSQai  Jiegcmjtzov 
z6  ocöf^a  7]  vyisivözsQov  ^  voosqcozeqov  avzo  eavvov  yiyvezai.  fiszä  8e  zavz' 
fjörj  xal  deocov  xal  vSdrcov  xal  x^oqIojv  xal  ijiiztjSevfidziov  xal  sdsofidzcov  xal 
nof-idzmv  xal  l&wv  ijiiozrj/Liova,  cfaoiv,  sirai  8eT  zov  lazQÖv,  oncog  zöJv  zs  vo- 
OTjfidzwv  djidvzwv  zag  alziag  i^svQiox?]  xal  zcöv  lafxdzwv  zag  Svvdfisig  xal 
jiaQaßd).).Eiv  otög  t'  fj  xal  XoyH^saßai,  ozi  zü>  zoicoSe  ztjg  alziag  sldsi  z6  zoidvde 
dvva/itv  E/ov  uiooaaydev  zoiöv  zi  Egyd^Eodai  jiEcpvxEV. 


408  M.  POHLENZ 

zelnen  Organe  wie  auch  der  einzelnen  Heilmittel  und  ihrer  Wirkun- 
gen verlangt.  Daß  hier  sichere  Erkenntnis  nicht  ohne  gründliche 
empirische  Beobachtung  erreicht  werden  kann,  hebt  Plato  nach  seiner 
ganzen  Tendenz  nicht  hervor.  Es  ist  aber  selbstverständlich,  und 
das  ist  ja  auch  der  Boden,  auf  dem  sich  der  Bekämpfer  der  rein 
spekulativen  Richtung  mit  Hippokrates  zusammenfindet.  Den  Ein- 
fluß des  Hippokrates  werden  wir  dabei  in  der  Geflissentlichkeit  er- 
blicken dürfen,  mit  der  auch  dieser  Arzt  betont,  man  müsse  sich 
über  das  öid  xl  der  Wirkungen  klar  sein,  müsse  die  Beschaffenheit 
der  körperlichen  Organe  wie  die  im  Körper  wirksamen  Kräfte  genau 
kennen.  Andrerseits  geht  ihm  die  Anerkennung  des  empirischen 
Elementes  durch  Hippokrates  offenbar  längst  nicht  weit  genug,  und 
in  dem  Zurückgreifen  auf  die  Naturphilosophie  sieht  er  ein  verhäng- 
nisvolles Entgegenkommen  gegen  die  von  ihm  vorher  bekämpften 
rein  spekulativen  Ärzte,  die  den  festen  Boden  unter  den  Füßen  ver- 
lieren, und  hält  hier  deshalb  eine  scharfe  Zurückweisung  für  not- 
wendig. 

Gegen  Hippokrates  wendet  er  sich  in  diesem  20.  Kapitel  sogar 
in  erster  Linie.  Die  Eingangsworte  zeigen  aber,  daß  er  sich  bewußt 
ist,  einer  Mehrzahl  von  Gelehrten  gegenüberzustehen,  die  solche  An- 
schauungen hegt.  Danach  wäre  es  nicht  befremdlich,  wenn  er 
seine  Polemik  zugleich  auch  gegen  andre  Ärzte  richtete.  In  der 
Tat  hat  Th.  Gomperz  in  dem  ersten  Satze  unsres  Kapitels  eine 
direkte  Polemik  gegen  de  victu  I  2  gefunden:  q}^^iju  dt]  öeTv  röv 
fieXXovxa  ogd^cbg  ovyyQdrpeiv  negl  diairrjg  dv&QCOJirjir]g  jiqcotov 
fjLev  Tiavzög  cpvoiv  äv^Qcojiov  yvcövai  xal  diayvwvai '  yvajvai 
fJLEv  OLTio  rivojv  ovveoxrjxev  i^  dQ/fjg,  diayvcövai  de  vnb  rivcov 
[xeQeiüv  KEXQdzrjjai '  ehe  ydg  rr]v  e|  dg'/fjg  ovoxaoiv  jui]  yvdioexai 
xxL  (Apol.  d.  Heilk.2  S.  171;  Gr.  D.  I  242).  Die  Ähnlichkeit  ist  tat- 
sächlich da,  und  es  wäre  wohl  möglich,  daß  diese  Stelle  unserm 
Arzte  auch  vorschwebte.  Aber  näher  liegt  etwas  andres.  Der  Ver- 
fasser von  de  victu  hat  sich  bei  der  Behandlung  seines  Special- 
themas die  grundsätzlichen  Ausführungen  seines  großen  Collegen 
zu  eigen  gemacht.  Wenn  das  richtig  ist,  dürfen  wir  in  den  Worten 
von  de  prisca  med.  e^  dgyrjg  o  xi  eoxlv  äv&gcojiog  xal  oncog  eyevexo 
ngönov  xal  onodev  ovvendyy]  einen  Nachhall  aus  Hippokrates  er- 
blicken.    Und  dafür  läßt  sich  noch  ein  Moment  geltend  machen. 

In  den  Ges.  IV  p,  720  ff.  führt  Plato  aus,  warum  er  es  für  not- 
wendig hält,  nicht  nur  Specialbeslimmungen  zu  erlassen  und  deren 


HIPPOKRATES  DE  PRISCA  MEDICINA  409 

Übertretung  unter  Strafe  zu  stellen,  sondern  allgemeine  Prooimien 
zur  Aufklärung  über  Zweck  und  Nutzen  der  Gesetze  vorauszuschicken. 
Er  beruft  sich  dabei  auf  das  Vorbild  der  guten  Ärzte,  die  sich  auch 
nicht  wie  ihre  banausischen  Gollegen  damit  begnügen,  im  Einzel- 
falle die  einmal  erlernten  Anordnungen  zu  treffen,  sondern  überall 
die  Kranklieit  von  Grund  aus  untersuchen  und  sich  wie  dem  Pa- 
tienten Klarheit  über  die  Ursache  der  Krankheit  wie  über  den  Sinn 
ihrer  Maßregeln  verschaffen.  IX  p.  857 G  kommt  er  ausdrücklich  auf 
diese  Analogie  zurück :  ev  yatq  enioxaoi^ai  öei  ro  roiovöe,  (hg,  d 
aaxaXdßoi  tzote  xig  largög  xcbv  xaig  EfxiiEiQiaig  ävev  Xoyov  xi]v 
laxQiyJjv  jLiexa'^EiQiCo/uh'cov  iXevßegov  ekev^egco  vooovvxi  dia?.ey6- 
jiievov  iaxQov  xal  xov  (pilooocpeXv  eyyvg  iQch^evov  juev  roig  loyoig 
i^  OLQxfjg  de  änxojuevov  xov  vootjjuaxog,  negl  (pvoecog  jzdotjg  ijiav- 
tövxa  xrjg  xcbv  GCOjLidxcov,  xa^v  xal  og^odga  yeldoeiev  äv  xxX.  An 
dieser  zweiten  Stelle  lassen  die  Worte  tzeqI  (pvoEoog  ndorjg  EJiav- 
lövxa  xfjg  xcbv  ocojudxcov  keinen  Zweifel,  daß  Plato  bei  dem  wissen- 
schaftlichen Arzte  an  Hippokrates  denkt.  Dann  ist  es  wohl  kaum 
ein  Zufall,  daß  wir  unmittelbar  vorher  die  Worte  e^  OLQyJ]g  dnxo- 
fjLEVOv  xov  vooYjfxaxog  und  genau  so  IV  720  D  E^exd^cov  an'  dgyrjg 
xal  xaxd  cpvoiv  (xd  voorjfiaxa)  lesen  und  daß  uns  dieses  selbe  e^ 
äQxfjg  im  selben  Zusammenhang  de  prisca  med.  20  und  zweimal 
in  der  verwandten  Stelle  von  de  victu  begegnet. 

Wenn  ferner  Plato  IX  857 D  den  wahren  Arzt  so  charakterisirt: 
xov  (pilooocpElv  Eyyvg  yodiixEvov  xoTg  Xoyoig,  so  werden  wir  die 
Worte  in  de  prisca  med.  20  xeivei  Öe  avxoTg  6  löyog  ig  cpdooo(ph]v 
wohl  so  interpretiren  müssen,  daß  nicht  erst  der  Gegner  diese 
Kennzeichnung  der  hippokratischen  Auffassung  gegeben,  sondern 
Hippokrates  selber  die  Beschränkung  auf  ein  enges  Fachwissen  für 
unzulänglich  angesehen  und  die  cpiXooocpir]  für  notwendig  er- 
klärt hat. 

Wichtiger  ist  etwas  andres.  An  beiden  Stellen  der  Gesetze 
stellt  Plato  den  „ freien"  Ärzten  von  der  Art  des  Hippokrates  die 
, Sklaven"  gegenüber,  die  zwar  auch  Ärzte  heißen,  in  Wirkhchkeit 
aber  nur  Diener  der  Ärzte  sind  (720A)  und  es  meist  auch  mit  der 
Sorge  für  die  Sklaven  und  niederen  Leute  zu  tun  haben.  Dem  ent- 
spricht ihre  banausische  Auffassung  ihres  Berufs.  Es  sind  Leute, 
die  sich  sklavisch  an  das  empirisch  Angeeignete  halten,  die  xaTg 
EjUTiEiQiaig  ävEv  Xoyov  xrjv  laxQixrjv  /xExayEiQiCovxai  (857  D),  die 
xax'  EfiJiEiQiav  xijv   XE^vt-jv   xxcbvxai,   xaxd   cpvoiv    ös  {.nq  (7 2 OB), 


410  M.  POHLENZ 

xal  ovre  rivä  Xoyov  ixdoTOv  tcsqi  vooijjuarog  eyAoiov  ra)v  üIxE" 
rcöv  ovöelg  rcöv  roiomcov  largcöv  didcooiv  ovÖ^  djiodeyeTai,  tiqoo- 
TOL^ag  d'  avxä)  xä  öo^avxa  e^  efxneiQiag  wg  äxQißcög  eldcbg  .  .  , 
ol'x€T:ai'  äjio7irjöi]oag  Jigog  äXXov  xäf.ivovxa  olxhrjv  (720  G).  Daß 
die  Einzelheiten  dieser  Schilderung  durch  Piatos  eigene  philoso- 
phische Anschauung  (z.  B.  öo^avxa  —  elddig)  wie  auch  durch  die 
Tendenz,  die  er  hier  verfolgt,  bestimmt  sind,  ist  klar.  Aber  wie 
steht  es  mit  der  Scheidung  der  beiden  Richtungen  selber?  Wenn 
Plato  diese  benützt,  um  für  seine  eigene  Methode  in  der  Gesetz- 
gebung etwas  zu  entnehmen,  möchte  man  doch  meinen,  da&  die 
Scheidung  in  der  medicinischen  Welt  selbst  anerkannt  war.  Hat 
also  schon  Hippokrates  selber  seine  Wissenschaft,  bei  der  er  überall 
die  Ursachen  der  Krankheiten  wie  der  Arzneiwirkungen  angibt  und 
dadurch  Rechenschaft  für  seine  Maßnahmen  abzulegen  imstande  ist, 
in  Gegensatz  zum  rein  empirischen  Betriebe  gestellt,  hat  er  den 
Gegensatz  EfxneiQia  —  xe'x^vrj   formulirt? 

Ich  habe  dieses  Problem  schon  in  meinem  Buche  Aus  Piatos 
Werdezeit  S.  134  ff.  behandelt  und  kann  mich  deshalb  kurz  fassen. 
Wenn  zunächst  als  Kriterium  der  medicinischen  xeivyj  in  den  Ge- 
setzen bezeichnet  wird,  daß  sie  durch  Angabe  der  Gründe  Rechen- 
schaft über  ihr  Verfahren  abzulegen  vermag,  so  finden  wir  dasselbe 
schon  Gorg.  465  A:  xeyvr]v  ök  avx/p'  (sc.  Ti]v  öy,<o7iouxi]v)  ov  (prjjui 
elvai  d2A'  ejuneigiav^  oxi  ovx  eyei  Xoyov  ovdeva,  co  ngootpegsi 
ä  jiQoocpegei  ottoV  äxxa  xrjv  cpvoiv  eoxiv,  cöoxe  xi]v  alxiav  exd- 
oxov  jii)]  eyeiv  eIjieTv.  iya)  Öe  xexvtjv  ov  xaXcö  o  dv  j)  aXoyov 
ngayjua '  xovxow  ök  Tzlgi  ei  djU(pioßr]X£lg,  e§eX(o  vtcooxeTv  Xoyov, 
und  wenn  wir  hier  sehen,  daß  Plato  trotz  der  grundlegenden  Be- 
deutung, die  diese  Begriffsbestimmung  der  XE^vr]  für  seine  Unter- 
suchung hat,  sie  einfach  verwertet,  ohne  den  angebotenen  Beweis 
wirklich  zu  führen,  so  läßt  sich  das  nur  dadurch  erklären,  daß  er 
hier  keinen  neuen  Satz  aufstellt,  sondern  diese  Bestimmung  ander- 
weit vorgefunden  hat  und  im  ganzen  als  anerkannt  betrachten  darf. 
Woher  er  sie  aber  entnimmt,  das  zeigt  sich  deutlich  genug  darin, 
daß  er  hier  von  der  Medicin  und  ihrem  Zerrbild,  der  Kochkunst 
redet,  daß  er  sich  dabei  in  der  medicinischen  Terminologie  bewegt 
{7igoo(p£gEiv\)  und  daß  der  Gedanke  in  den  hippokratischen  Schriften 
vielfache  Parallelen  hat  (Aus  Piatos  Werdezeit  S.  136).  Und  wie 
z.  B.  in  der  Apologie  der  Heilkunst  der  Charakter  der  Irjxgixij  als 
Techne  damit  erwiesen  wird,    daß    sie  xal  iv  xoloi  öid  xi  xal  iv 


HIPPOKRATES  DE  PRISCA  MEDICINA  411 

toToi  TiQOvoovjuevoioi  (paiverai  xe  xal  cpaveTraL  äel  ovoirjv  e'^ovoa, 
so  übernimmt  der  Verfasser  von  de  prisca  med.  aus  Hippokrates  die 
Ansicht,  es  sei  die  ideale  Aufgabe  der  Medicin,  zu  wissen,  äv}}QO)jiog 
xi  eoTiv  xal  öC  oTag  ah  lag  yivenai  y.al  xäXXa  dxQißecog,  und  im 
Phaidros  sagt  Plato  bei  der  Übertragung  der  hippokratisclien  Grund- 
sätze auf  die  Seelenleitung  (271 B):  tq'ltov  de  öi)  diara^u/tevog  rä 
Xoyoiv  re  xal  ipvyßg  ysv}]  xal  tu  rovrcov  7ia&)jjuara  öieioi  Tidoag 
ah  tag,  jtgoGaojnözrcov  t'xaorov  Exdoxco  xal  öiödoxcov  oia  ovaa 
vq?'  oiü)v  X6ya)7'  öi'  yv  ahiav  i^  ävdyxi]g  y  ßkv  Jiei&exai  fj  dk 
dTtei&et  und  macht  davon  die  Geltung  der  Rhetorik  als  Techne 
abhängig. 

Danach  dürfen  wir  diese  Bestimmung  der  Techne  wohl  un- 
bedenklich in  der  Sache  auf  Hippokrates  zurückführen.  Mit  ihr  ist 
aber  der  Gegensatz  ijuTcsigia  —  xexvi]  eng  verbunden,  und  auch  er 
wird  an  der  Gorgiasstelle,  von  der  wir  ausgingen,  so  kurz  vor- 
getragen, daß  man  schon  deshalb  annehmen  möchte,  auch  er  sei 
von  Plato  übernommen.  Sicher  wird  das  dadurch,  daß  Plato  damit 
einen  ganz  andern  Gegensatz  nicht  ohne  Zwang  combinirt,  den 
aus  ethischen  Gesichtspunkten  erwachsenen  und  in  den  Grund- 
gedanken des  Dialoges  wurzelnden  Gegensatz  zwischen  den  wahren 
Künsten,  die  das  Gute,  und  ihren  Zerrbildern,  die  das  Angenehme 
zum  Ziele  haben.  Denn  es  ist  sicher  eine  sekundäre  Umgestaltung, 
wenn  Plato  auf  diese  Weise  dazu  kommt,  der  Medicin  als  Techne 
die  Kochkunde  als  Empirie  entgegenzustellen.  Ursprünglich  kann 
der  Gegensatz  ejujzeiQia : —  xex^'V  °^^  aufgestellt  sein,  um  zwei  ver- 
schiedene Arten  des  Betriebes  einer  auf  dasselbe  Ziel  gerichteten 
Tätigkeit  zu  scheiden. 

Wieder  legt  uns  der  ganze  Zusammenhang  im  Gorgias  die 
Vermutung  nahe,  daß  es  die  Mediciner  sind,  von  denen  Plato  die 
Scheidung  von  Empirie  und  Wissenschaft  übernimmt,  und  wenn  wir 
auch  darauf  nicht  weiter  bauen  dürfen,  daß  diese  im  Phaidros 
(2 TOB)  unmittelbar  vor  der  Nennung  des  Hippokrates  ausdrücklich 
wiederholt  wird  —  denn  das  könnte  einfach  durch  die  Anknüpfung 
an  den  Gorgias  bedingt  sein  — ,  so  ist  es  doch  schwerlich  Zufall, 
daß  mit  Ausnahme  der  Stellen,  wo  Plato  in  direktem  Anschluß  an 
den  Gorgias  von  der  Rhetorik  spricht  (vgl.  noch  Ges.  XI  938  A),  der 
Gegensatz  von  Empirie  und  Wissenschaft  von  ihm  nur  da  zur  Be- 
urteilung  der  Einzelfächer   verwertet   wird^),  wo    die    Medicin    ent- 

1)  Anders  z.  B.  ep.  VI  p.  322  a.  E. 


412  M.  POHLENZ 

weder  mit  andern  Fächern  zusammen  (Phileb.  56  B)  oder  aber  wie 
an  den  besprochenen  Stellen  der  Gesetze  ganz  allein  in  Frage 
kommt. 

Kann  aber  überhaupt  Hippokrates  nach  seiner  ganzen  An- 
schauung diesen  Gegensatz  aufgestellt  haben?  Wir  sahen  doch, 
daß  er  das  empirische  Element  in  seiner  Kunst  keineswegs  missen 
wollte,  ja  es  gegen  die  rein  spekulativen  Ärzte  ausdrücklich  als 
notwendig  verfocht.  Hier  war  der  Punkt,  wo  der  Verfasser  von 
de  prisca  med.  ihm  zustimmte,  und  gerade  dieser  zeigt  uns  auch,  daß 
man  sehr  wohl  ein  Gegner  des  Hippokrates,  ein  Mann  von  sehr 
starken  empirischen  Neigungen  sein  konnte,  ohne  auf  die  Piechen- 
schaft  über  die  getroffenen  Maßnahmen,  auf  die  Ätiologie  zu  ver- 
zichten (c.  20  p.  25, 4K.  Tiva  te  tiovov  y.al  dtä  t'l,  c.  23  p.  30, 1  onoog 
rd  ahia  iyAoTCOv  elöojg  öo{}cog  cfv)AoGt]rai,  c.  21  u.  ö.).  Aber  das 
tut  er  eben  schon  unter  dem  Einfluß  von  Hippokrates'  Programm, 
und  andrerseits  waren  es  überhaupt  nicht  Männer  seiner  Art,  denen 
gegenübe-r  Hippokrates  die  Notwendigkeit  eines  gründlichen  Studiums 
des  menschlichen  Körpers  hervorhob.  Das  waren,  nach  Plato  (Phaidr. 
268  A,  vgl.  Ges.  IV  720ff.  und  IX  857)  zu  urteilen,  die  reinen  Prak- 
tiker, die  sich  ausschließlich  auf  die  Empirie  verließen  und  sich  damit 
begnügten,  ohne  Einsicht  in  die  Natur  des  Patienten  und  seines  Lei- 
dens die  hergebrachten  Recepte  zu  verordnen.  Eine  Schulrichtung 
innerhalb  der  Medicin  stellten  diese  Leute  natürlich  zunächst  über- 
haupt nicht  dar.  Aber  wenn  dann  etwa  auch  Theoretiker  sich  auf 
diese  reine  Erfahrung  festlegten,  hatte  gewiß  auch  ein  Mann,  der 
einen  vermittelnden  Standpunkt  zwischen  den  Extremen  einnahm, 
Veranlassung,  diese  reine  Empirie  als  unwissenschaftlich  zu  brand- 
marken, sie  in  Gegensatz  zur  TEyvi-j  zu  stellen. 

Andrerseits  ist  zu  beachten,  daß  der  Verfasser  von  de  prisca  med. 
den  Gegensatz  Empirie  und  Wissenschaft  nicht  zu  kennen  scheint, 
ebensowenig  wie  etwa  der  Autor  von  neQl  xeyvqg.  Überhaupt 
spürt  man  innerhalb  des  hippokratischen  Corpus  von  diesem  Pro- 
blem etwas  wohl  nur  im  Eingang  der  IlaoayyeXiai.  Hier  wird 
freilich  sogar  schon  eine  Versöhnung  des  rationalen  und  des  empi- 
rischen Elementes  empfohlen,  wenn  es  heißt:  deX  ye  jurjv  xavia 
eidoza  fxr]  XoyiOfXM  tiqoteqov  TTf&avco  Tioooeyovxa  bpoeveiv  äVA 
TQißfj  juerd  koyov  (ejujisigia  xal  zQißrj  Gorg.  463 A.  501A,  Phaidr. 
2 TOB).  Aber  diese  Schrift  ist  schwerlich  vor  Epikurs  Zeit  ent- 
standen   (Aus    Piatos   Werdezeit    137);     sie    steht    schon    an    der 


HIPPOKRATRS  DE  PRISCA  MEDICINA  413 

Schwelle  der  Zeit,  wo  sich  der  scharfe  Gegensatz  der  empirischen 
zur  dogmatischen  Medicin  herausbildete ').  Den  Unterschied  zwi- 
schen diesen  beiden  Schulen  finden  wir  dann  in  einer  Weise  for- 
mulirt,  die  auffallend  mit  Plato  übereinstimmt.  So  lesen  wir  bei 
Celsus  Prooem.  12:  prima  in  eo  dissensio  est,  quod  alii  sibi 
experimentorum  tantummodo  notitiam  necessariam  esse  conten- 
dunt,  alii  nisi  corporum  rerunique  ratione  comperta  non  satis 
potentem  nsum  esse proponnnt  (vgl.  9  —  11,  13  —  17,  27  —  39;  Galen 
de  haer.  2.  3  u.  ö.),  imd  in  den  Erörterungen,  ob  Dionysius  Thrax 
die  Grammatik  mit  Pvecht  als  tjUJieiQia  bestimmt  habe  —  wieder 
holt  man  sich  wie  zu  Piatos  Zeiten  bei  den  Medicinern  Auskunft, 
was  der  ursprüngliche  Unterschied  von  ijUTteigia  und  lexvi]  ist  — , 
heißt  es  bei  seinen  Scholiasten  (Gr.  gr.  I  8  p.  166,  25)  sjUTteigla 
yoLQ  eoxiv  t)  äXoyog  XQißij,  d)g  xal  sjUJietQixovg  Xsyojuev  laxQovg 
Tovg  ävev  löyov  xäg  d-eganeiag  xoTg  7ia.o](Ovoi  JCQOodyovxag.  öxi 
jusv  yäg  d^eganeveiv  olov  xe  soxi  xö  gyaQjuaxov  nobg  (del.  ?)  xb 
elxog,  ETxioxavxai '  ei  de  xig  sooixo,  xivog  svexa  noog  xode  lo 
jxd&og  ETiixrjöeioig  eyßi,  änooovoi,  vgl.  p.  10,  27  öio  xal  rovg  laxQovg 
xovg  eidoxag  /.ih'  ix  rijg  ovvey^ovg  xgißrjg  Tiegioöeveiv  xal  xag 
-d^egaTieiag  xoTg  Jido^ovoi  jiQoodyeiv,  jui]  dvvauevovg  Se  loyov 
äjiodovvai  xfjg  jiegioöeiag  e/iTceigixovg  q)ajn8v  (vgl.  113,  3.  162,  28). 
Nun  ist  ja  freilich  offensichtlich,  wie  sehr  besonders  die  empirische 
Ärzteschule  bestrebt  ist,  zur  Pvechtfertigung  ihres  Standpunktes  an 
die  Philosophie  und  deren  Terminologie  anzuknüpfen.  Aber  auf- 
fallend wäre  es  doch,  wenn  die  Mediciner  für  eine  ganz  aus  der 
Eigenheit  ihres  Faches  naturgemäß  erwachsene  Verschiedenheit  der 
Methoden  die  Charakteristika  aus  einem  Philosophen  hätten  ent- 
nehmen müssen.  Und  wenn  nun  bei  Plato,  wie  wir  gesehen  haben, 
alles  dafür  spricht,  daß  er  den  Gegensatz  von  Wissenschaft  und 
Empirie  den  Medicinern  verdankt,  so  ist  eben  die  Annahme  geboten, 
daß  jener  Gegensatz  schon  im  Ausgang  des  5.  Jahrhunderts  in  der 
medicinischen  Wissenschaft  aufgekommen  und  von  da  aus  teils  zu 


1)  Wenn  es  JTaQ.  1  heißt:  ^vyy.azaivico  fiev  ovv  xal  röv  Xoyiai.i6%', 
^vjiEQ  EX  jiEQijtrcöoiog  noifjxai  xrjv  üQyjp',  SO  hätte  ich  Aus  Platos  "Werde- 
zeit 137  A.  1  nicht  nur  auf  den  epikureischen  und  stoischen  Gebrauch  des 
Terminus,  sondern  auch  auf  die  ähnliche,  wenn  auch  schärfer  präcisirte 
und  enger  abgegrenzte  Verwendung  in  der  empirischen  Ärzteschule  hin- 
weisen sollen.  Auch  der  m§av6g  ?Myta/iwg  wird  ja  für  diese  zum 
Schlagwort. 


414  M.POHLENZ 

Plato,  teils  auch  in  direkter  Tradition  zu  den  medicinischen  Schulen 
der  hellenistischen  Zeit  gelangt  ist.  Und  wenigstens  ein  sicheres 
äußeres  Zeugnis  haben  wir  ja  noch,  daß  schon  zu  Piatos  Zeit  diese 
Scheidung  medicinischen  Kreisen  ganz  geläufig  war,  Diokles  hat 
in  seinem  diätetischen  Werke  im  scharfen  Gegensatz  zu  de  victu 
den  Satz  verfochten,  es  sei  verkehrt,  bei  jedem  Nahrungsmittel  die 
Ursache  feststellen  zu  wollen,  warum  es  in  bestimmter  Weise  auf 
Ernährung,  Verdauung  usw.  wirke  :  rdig  juev  ovv  ovrojg  ahio- 
Xoyovoiv  xal  roTg  ndvxoiv  olojiievoig  dsTv  Xeyeiv  alriav  ov  del 
jigooeysiv,  nioxeveiv  öh  [xälkov  joiig  ex  rfjg  ijuneiQiag  ex  tioXaov 
rov  yoovov  xazavevorjjuevoig  (fr.  112  Wellm.;  vgl.  Fredrich,  Hipp. 
Unters.  171  fT.).  Bei  Diokles  wird  niemand  Einfluß  Piatos  an- 
nehmen wollen,  zumal  beide  die  Empirie  ganz  entgegengesetzt  be- 
urteilen. So  bleibt  nur  die  Abhängigkeit  beider  von  der  medicini- 
schen Tradition  übrig. 

Celsus  Prooem.  47  erklärt  bei  der  Kritik  der  entgegenstehen- 
den Ansichten:  verumque  est  ad  ipsam  curandi  rationem  nihil 
plus  conferre  quam  experientiam,  fügt  aber  dann  hinzu:  ista 
quoque  naturae  rerum  contemplatio,  quamvis  non  faciat  mcdi- 
cum,  aptiorem  tarnen  medicinae  reddit  perfeduniqiie.  verique 
simile  est  et  Hippocrafcn  et  Erasistratum  et  quicumque  alii  non 
contenti  febres  et  idcera  agitare  rerum  quoque  naturam  aliqua 
parte  scridaU  sunt,  non  ideo  quidem  medicos  fuisse,  verum  ideo 
quoque  maiores  medicos  extitisse.  Hier  wird  also  richtig  Hippo- 
krates  als  Gegner  der  bloßen  Empiriker  betrachtet^).  Ob  er  aber 
in  seiner  programmatischen  Erklärung  selbst  schon  seinen  Gegen- 
satz zu  den  unwissenschaftlichen  Medicinern  auf  die  Formel  xsxvrj  — : 
tjuTieigia  gebracht  hat,  wird  man  mit  Rücksicht  auf  das  Schweigen 
des  Verfassers  von  de  prisca  med.  über  diesen  Punkt  doch  als  zweifel- 
haft ansehen  müssen.  Es  kann  sehr  wohl  auch  so  sein,  daß  erst 
im  Verlaufe  der  an  jenes  Programm  anschließenden  Erörterungen 
der  Gegensatz   schärfer   herausgearbeitet   und   formulirt  worden  ist. 

Festhalten  muß  man  dabei  in  jedem  Falle,  daß  Hippokrates,  auch 
wenn  er  die  bloße  Routine  als  unwissenschaftlich  brandmarkte,  nicht 
im  entferntesten  daran  dachte,  aus  der  eigenen  Wissenschaft  das 
empirische  Element  zu  verbannen.     Das  wußte  natürlich  auch  Plato 

1)  Dazu  ist  kein  Widerspruch,  daß  nach  §  8  gerade  Hippokrates 
die  Medicin  a  studio  sapientiae  separavit,  d.  h.  zur  selbständigen  Wissen- 
schaft erhob. 


HIPPOKRATES  DE  PRISCA  MEDICINA  415 

genau,  und  ebenso  war  er  sich  darüber  klar,  wie  sehr  bei  der 
praktischen  Anwendung  der  Medicin  der  Charakter  der  reinen 
Wissenschaft  beeinträchtigt  würde.  So  dankbar  er  deshalb  aner- 
kannte, was  er  für  die  Auffassung  der  Wissenschaft  bei  Hippokrates 
gelernt  halte,  so  dürfen  wir  uns  doch  nicht  wundern,  wenn  er  ge- 
gebenenfalls auch  die  andere  Seite  der  iMedicin  hervorkehrte.  So 
stellt  er  im  Philebos  p.  55 E  fest,  dafs  der  Grad  der  Exaktheit  bei 
den  Technai  davon  abhängt,  wieweit  bei  ihnen  das  mathemalische 
Element  beteiligt  ist,  und  zu  den  Fächern,  die  ov  juetqü)  dz/ct 
fieXexrjg  oioxciojucp  vorgehen,  deren  Vertreter  darauf  angewiesen  sind 
rag  aio&iioeig  xaTa^elexäv  efineiQia  xai  xivi  TQißfj,  xaTg  xfjg  axo- 
Xaoxixrig  7iQooxQ(o/J.h'Ovg  dvvdfieoiv  äg  noXXol  xexvag  ejxovojud- 
Covoi,  jueXexr]  xal  Jiövco  xrjv  qcojutjv  äjieiQyaojuevag  rechnet  er 
dabei  außer  Musik,  Landbau  und  der  Tätigkeit  von  Steuermann  und 
Feldherrn  auch  die  Medicin.  Daß  auch  diese  Anschauung  schon  im 
5.  Jahrhundert  vorbereitet  war,  zeigt  uns  das  9.  Kapitel  von  de  prisca 
med.,  wo  der  Arzt  mit  Bedauern  feststellt,  die  praktische  Medicin 
sei  deshalb  so  schwer,  weil  der  Maßstab,  auf  den  man  alle  Maß- 
nahmen zu  beziehen  habe,  nicht  Zahl  und  Gewicht  sei,  sondern  die 
nicht  exakt  faßbare  körperliche  Empfindung:  dei  yäg  [.iexqov  rcvog 
oxoydoao&ai.  f^iexoov  de  ovxs  ägi^juav  ovxe  oxa&juov  uXXov,  Jigog 
0  äraq)eQCOv  ei'o)]  xb  äxQißeg,  ovx  av  evgoig  all'  ])  xov  ocojuaxog 
x}]v  al'o&}]oiv  ^).  Besondere  Beachtung  verdient  dabei  das  Wort 
oxo'idoao&ai.  Denn  wenn  wir  sehen,  daß  Plalo  in  dem  Abschnitt 
des  Philebos  das  Wort  dreimal  gebraucht  (außer  in  den  ausgeschrie- 
benen Worten  noch  56 A  von  der  Musik  x6  (.iexqov  Exäox7]g  xoQÖfjg 
xä)  oxo^dC^o'&ac  cpeQOfxevt'jg  '&tjQ£vovoa),  und  den  Gorgias  hinzu- 
nehmen, wo  es  von  der  Afterkunst  der  xolaxEia  heißt,  sie  sei  ein 
ETiLxvjdevfia  xeyvixbv  juev  ov,  ipi'X'fjg  Se  oxoxaoxixfjg  (463  A),  sie 
gehe  vor  ov  yvovoa  älld  oxo^aoaiuevr]  (464  G),  so  kann  ja  kein 
Zweifel  bestehen,  daß  wir  einen  festen,  im  5.  Jahrhundert  geprägten 
Terminus  vor  uns  haben.     Man  hat  mit  Grund  vermutet,  daß  Plato 


1)  Man  denke  auch  daran,  wie  bei  Aristophanes  Ran.  797  Euripides 
die  rgaytHJ]  xiyyy]  oraß^ico  und  ^ihgco  prüfen  will.  Dies  erwächst  also  so 
aus  der  Anschauung  der  Zeit  und  es  ließen  sich  damit  so  viele  dem  Pu- 
blikum verständliche  Spaße  anbringen,  daß  ich  nicht  daran  glaube, 
Aristophanes  habe  zwecklos  all  die  Meßinstrumente  herausbringen  lassen 
(trotz  Kranz  in  d.  Z.  LH  1917,  585,  vgl.  Fränkel  Sokr.  1916  Jb.  d.  ph.Ver. 
134  ff.). 


416  xM.  POHLENZ 

ihn  zunächst  von  Gorgias  übernahm,  der  ihn  mit  Bezug  auf  die 
Rhetorik  verwertet  habe  (Süfs,  Ethos  24  ff.  Aus  Piatos  Werdezeit 
135).  Von  Gorgias  ist  auch  der  Verfasser  von  de  prisca  med.  stili- 
stisch beeinflufst  (besonders  in  der  Einleitung  c.  1.  2);  aber  die  Stelle 
in  c.  9  zeigt  uns  in  Verbindung  mit  Piatos  Philebos  mindestens 
soviel,  daß  der  Terminus  nicht  etwa  für  die  Rhetorik  allein  er- 
funden ist. 

Endlich  sei  hier  noch  eine  Platostelle  besprochen,  in  der  wir 
die  Medicin  in  einer  ganz  anderen  Klassifikation  der  Technai  finden. 
In  den  Proömien  zu  den  religiösen  Gesetzen,  die  Plato  dem  10.  Buche 
der  Leges  vorausschickt,  wendet  er  sich  888  D  ff.  gegen  die  irreli- 
giöse Weltanschauung  des  Materialismus,  der  bei  der  Entstehung 
von  Welt,  von  Erde,  Sonne  und  Mond,  von  Tieren  und  Pflanzen 
nichts  von  einem  Wirken  der  Intelligenz  spürt  und  diese  erst  da  in 
Tätigkeit  glaubt,  wo  der  Mensch  die  Technai  erfindet  und  schließ- 
lich auch  zum  Glauben  an  die  Götter  fortschreitet,  die  für  diesen 
'&aviuaoTÖg  koyog  ov  (pvoEi  äXXd  rioiv  vo/xoig  existiren.  Plato 
will  hier  die  allem  Immateriellen,  aller  Religion  feindliche  Welt- 
anschauung des  Materialismus  im  ganzen  vorführen ;  dagegen  liegt 
ihm  nichts  daran,  etwa  ein  einzelnes  materialistisches  System  mit 
seinen  Eigenheiten  genau  wiederzugeben.  Wenn  also  Plato  bei  der 
Weltentslehung  nicht  von  Atomen  redet,  sondern  von  Wasser, 
Feuer,  Luft  und  Erde,  aus  deren  Mischung  sich  alles  entwickle,  so 
werden  wir  daraus  nicht  schließen  dürfen,  daß  er  den  ihm  sicher 
bekannten  Hauptvertreter  des  Materialismus  bewußt  ausschalten 
will,  sondern  lieber  sagen,  daß  er  seinen  Athener  mit  Rücksicht 
auf  die  ungebildeten  Zuhörer  aus  Kreta  und  Sparta  den  Materialis- 
mus in  einer  möglichst  gemeinverständlichen  Form  vortragen  läßt 
und  damit  zugleich  ein  ablenkendes  Eingehen  auf  die  Atomistik 
vermeidet.  Er  konnte  um  so  eher  so  vorgehen,  als  ja  auch  Demo- 
krit  die  vier  Elemente  verwertete,  und  z.  B.  auch  in  der  Kosmo- 
gonie  Diodors  I  7.  8,  die  über  Hekataios  auf  Demokrit  zurückgeht, 
lesen  wir  von  den  vier  Elementen,  aber  nicht  von  der  Atomtheorie 
(Reinhardt  in  d.  Z.  XLVII  1912  S.  499).  Ebensowenig  werden  wir 
einen  Gegensatz  zu  Demokrit  darin  erblicken  dürfen,  daß  nach  Piatos 
Schilderung  im  Materialismus  die  Tyche  als  Ursache  des  Geschehens 
betrachtet  wird,  nicht  die  Naturnotwendigkeit.  Gewiß  ist  das  gegen 
Demokrits  Grundanschauung:  aber  wir  wissen  ja,  wie  jedenfalls 
schon  Aristoteles  das  avxojuaxov  Demokrits ,  weil  es  nicht  aus  be- 


HIPPOKRATES  DE  PRISCA  MEDICINA  417 

wußter  Zwecksetzung  hervorgeht,  mit  der  Tyche  gleichgesetzt  hat 
(Zeller  I  870).  Daß  ihm  Plato  darin  vorausgegangen  ist,  wird 
durch  seine  ganze  Denkrichtung  wahrscheinlich,  und  an  unsrer 
Stelle  kommt  noch  hinzu,  daß  ihm  nur  das  negative  Moment 
wichtig  ist,  daß  die  Welt  entsteht  ov  diä  vovv  ovöe  did  riva  d^ebv 
ovök  did  TEyvi]v,  äXXd,  o  Xeyo/uev,  cpvoei  xal  xvyj].  Danach  muß 
man  doch  sogar  eine  bestimmte  Absicht  voraussetzen,  wenn  es  un- 
mittelbar vorher  heißt:  Jidvia  onooa  zfj  rcov  ivavriojv  y.odoEi  y.ard 
rvyi]v  e^  dvdyy.}]g  ovrexegdod^i].  Freilich  weicht  nun  gerade  dieser 
Satz  so  weit  von  Demokrit  ab,  daß  daraufhin  Diels  nicht  ohne  Grund 
die  ganze  Kosmogonie  unserer  Stelle  auf  Anhänger  des  Empedokles 
zurückgeführt  hat  (Vorsokr.  21  A  48).  Aber  daß  Plato  jedenfalls 
nicht  ausschließlich  an  irgendwelche  obskuren  Empedokleer  gedacht 
hat,  ergibt  zunächst  die  ganze  Tendenz  der  Stelle.  Denn  wenn 
er  offenbar  bestrebt  ist,  den  Widersinn  herauszuarbeiten,  daß 
gerade  in  den  größten  Geschehnissen  die  Tyche  regieren  und  nur 
in  den  vergänglichen  Erzeugnissen  vergänglicher  Wesen  die  Ver- 
nunft zur  Herrschaft  kommen  soll,  so  rügt  denselben  Widersinn  an 
Demokrit  der  Bischof  Dionys  bei  Eusebios  Fr.  ev.  XIV  p.  781 D  (55  B 
118  Diels):  rt]v  xvyrjv  rwv  juev  xa§6Xov  xal  tcüv  deicov  öeojioi- 
vav  £(pioTdg  xal  ßaoiXida  xal  ndvra  ysveoj^ai  xar'  amy-jv  äjio- 
cpaivojuevog,  tov  de  tcöv  dv&Qcbnmv  avri]v  djioxy]QVTTü)v  ßiov 
xal  Tovg  jiQeoßevovrag  avzijv  IXeyyjcov  dyvoifxovaq. 

Noch  wichtiger  aber  ist  die  Schilderung  der  menschlichen  Tsyvai, 
die  sich  889 C  anschließt:  Teyvr]v  de  voxeqov  ex  rovzojv  voiegav 
y£vojuevt]v,  avrrjv  '&vr]Trjv  ex  '&vr]xä)v  vorega  yeyevvi]xevai  Tiaididg 
Tivag,  äXi]ß^eiag  ov  ocpoÖQa  iiezeyovoag,  äXXd  el'dcuX'  äxza  ovyyevfj 
eavxcbv  (1.  eavzrjg),  oV  fj  ygacpixi]  yevvä  xal  juovoixr]  xal  ooai  xav- 
xaig  elolv  ovveoid^oi  xeyvai'  at  de  xi  xal  onovöaTov  äga  yevvojoi 
zü)v  xeyvcbv,  elvai  xavxag  ojiooai  xf]  (pvoei  exoivawav  zijv  avzwv 
dxjvaj.uv,  olov  av  laxQix)]  xal  yeojoyixij  xal  yvjuvaozixi].  xal  dt] 
xal  xijv  7ioXixixi]v  0/.UXQÖV  XI  ^ueoog  elvai  (paoiv  xolvojvovv  cpvaei, 
xeyvj]  de  xb  noXv '  ovxoi  de  xal  xi]v  vojuo'&eoiav  näoav  ov  cpvoei, 
reyvf]  de,  fjg  ovx  ä?a]ßeig  elvai  xdg  -^eoeig.  Zwei  Klassen  von 
Technai  werden  also  hier  unterschieden.  Die  einen  wie  Landbau 
und  Medicin  verfolgen  ein  ernstes  Ziel;  sie  haben  Anteil  an  der 
Natur  und  setzen  ihr  Werk  fort,  die  andern  sind  die  eigentlichen 
„Künste",  die  dem  Vergnügen  dienen  und  frei  nach  ihrem  eigenen 
Wesen  Schöpfungen  hervorbringen,  die  unursprünglich  wie  die 
Hermes  LIII.  27 


418  M.  POHLENZ 

Kunst  selbst  mit  der  Wirklichkeit  wenig  zu  tun  haben  und  bloße 
Abbilder  des  Wirklichen  sind.  Wenn  Plato  diese  voranstellt,  will 
er  damit  natürlich  nicht  die  chronologische  Folge  der  Entwicklung 
bezeichnen.  Er  rückt  die  oTTOvöaiöregai  an  zweite  Stelle,  weil 
er  von  ihnen  übergehen  will  zu  der  noXiTiKY},  die  nach  der  geg- 
nerischen Ansicht  einen  gemischten  Charakter  hat,  teils  (pvoei  er- 
wächst, teils  aber  auch  in  den  Nomoi  aus  sich  heraus  künstliche 
Gebilde  schafft. 

Hier  ist  es  selbstverständlich,  daß  Plato  die  Darstellung  einer 
ganz  bestimmten  Einzelpersönlichkeit  vor  Augen  steht.  Und  wo 
wir  diese  zu  suchen  haben,  ist  nicht  zweifelhaft.  Nicht  nur  daß  die 
menschliche  Intelligenz  überall  an  die  vorausliegende  Tätigkeit  der 
Natur  anknüpft,  ist  entscheidend  für  die  ganze  kulturgeschichtliche 
Auffassung  Demokrits,  wie  wir  sie  bei  Lucrez  im  5.  Buche,  bei 
Epikur  im  Briefe  an  Herodot  §  75  und  sonst  (vgl.  Reinhardt  in  d.  Z. 
XLVII  1912  S.  492  fT.)  kennenlernen.  Vor  allem  ist  er  es,  der  die 
für  Piatos  Darstellung  charakteristische  scharfe  Scheidung  der  zwei 
Klassen  von  Künsten,  der  ernsten  und  der  dem  Scherz  und  Lebens- 
genuß dienenden,  aufgebracht  hat  (Reinhardt  a.  a.  0.;  W.  Meyer, 
Laudes  inopiae  p.  25).  Ausdrücklich  sagt  ja  Philodem  de  musica 
von  Demokrit  (B  144  Diels):  juovoixijv  (prjoi  vecotEgav  elvai 
xal  ri]v  ahiav  äjiodidcooi  leycov  jur]  äuoKQXvai  xävayxaTov 
aXlä  EU  Tov  TiEQievvTog  fjdtj  yeveodai,  und  mit  Recht  hat  mit 
dieser  Stelle  schon  Reinhardt  a.  a.  0.  S.  504  Piatos  Skizze  der  für 
die  einfachste  Staatenbildung  notwendigen  Elemente  (Rep.  II  373  B) 
verglichen,  in  der  die  Malerei  und  die  andern  Künste  angeführt 
werden  als  Technai,  die  nachträglich  hinzukommen,  ovkexl  tov 
avayxaiov  k'vExa  ^).  Und  wenn  man  Bedenken  tragen  sollte,  mit 
der  hier  getroffenen  Unterscheidung  der  durch  Zwang  und  der  nach- 
träglich ohne  Zwang  entstandenen  Technai  die  platonische  Einteilung 
nach  dem  Gesichtspunkt  der  jiaidid  und  ojiovd)]  zu  identificiren, 
so  genügt  es,  auf  Lucrez  zu  verweisen,  wo  V  1361  ff.  zunächst  das 
Aufkommen  des  Landbaus  geschildert  und  dann  die  Erfindung  der 
Musik  angeschlossen  wird,  die  sich  bei  den  ländlichen  jiaidiai  ent- 


1)  Ich  glaube  auch,  daß  Plato  dort  auf  Demokrits  Staatslehre  zu- 
rückgreift. Aber  er  will  eben  zeigen,  daß  die  materiellen  Bedürfnisse, 
die  Demokrit  allein  berücksichtigt,  nur  eine  vcöv  jrolt?  hervorrufen 
könnten.  Wer  einen  wahrhaft  menschlichen  Staat  errichten  will,  wird 
erst  da  recht  anfangen,  wo  der  Materialismus  am  Ziel  zu  sein  glaubt. 


HIPPOKRATES  DE  PRISCA  MEDICINA  419 

wickelt:  tum  ioca,  tum  sermo,  tum  dulces  esse  cachinni  consu- 
crant;  agrestis  enim  tum  musa  vigehaf,  und  wir  am  Sclilufs  (1448) 
nochmals  die  ausdrückliche  Scheidung  linden: 

navigia  atque  agri  cuUuras  nioenia  leges 
arma  vias  vestes  et  cetera  de  genere  horum 
praemia,  delicias  quoqtie  vitae  funditus  omnis 
carmina,  picturas,  et  daedala  signa  polire, 
usus  et  impigrae  simid  experientia  mentis 
paulatim  docuit  pedctemptlm  progredientis. 
Musik   und  Malerei   erscheinen    also    hier  wie   dort  als  die  Künste, 
die    auf   höherer    Kulturstufe    zur    Verschönerung    des    Lebens    er- 
funden   werden^),    und   wenn    dabei  Plato    als    Kennzeichen    dieser 
Künste  ansieht,  daß  sie  nur  £idco}.a  des  Wirklichen  hervorbringen, 
so  werden  wir  natürlich  daran  denken,  wie  nach  Demokrit  fr.  154a 
und  Lucrez  V  1379  die  Menschen  den  Gesang  von  den  Vögeln  ge- 
lernt haben  xaid  fÄijii7]oiv  und  wie  nach  Lucrez  (ebendort)  das  Säu- 
seln   des   Windes    im  Röhricht    dazu    angeregt   hat,    mit   Hilfe    der 
Rohrflöte  Nachbildungen  dieser  Töne  hervorzubringen.    Wenn  ferner 
bei  Plato  der  Ackerbau  in  engstem  Zusammenhang  mit  der  Natur 
steht,  so  wird  dieser  Gedanke  illustrirt  durch  Lucrez  1361: 
at  specimen  sationis  et  insitionis  origo 
ipsa  fiiit  rerum  ^)rm^^tm  natura  creatrix, 
und  daß  Xenophon  aus  Demokrit  schöpft,  wenn  er  Oec.  15,  17  aus- 
führt,   der  Landmann    folge    nur   der  Natur   selber,  wenn    er   dem 
Weinstock    Stützen    gebe,    um    sich   emporzuranken,  wenn    er    die 
jungen    Trauben    beschatte,    im    Herbste    aber    die    beschattenden 
Rlätter  entferne,  hat  Frachter  in  d.  Z.  L  1915  S.  144  ff.  erwiesen. 

Für  die  Medicin  werden  wir  das  3.  Kapitel  von  de  prisca  med. 
heranziehen,  wo  ausgeführt  wird,  daß  die  Medicin  q)voEi  ist,  da  sie  als 
Auswahl  der  für  den  Kranken  geeigneten  Nahrungsmittel  im  Wesen 
nicht  verschieden  ist  von  der  Diät  der  gesunden  Menschen,  die  sich 

1)  Das  Fragment  B  223  darf  man  mit  dieser  Einteilung  nicht  com- 
biniren.  Denn  wenn  es  dort  heißt,  daß  an  allen  Bestrebungen,  die  Mühe, 
Not  und  Beschwerden  verursachen,  nicht  das  Bedürfnis  des  Körpers 
schuld  ist,  sondern  rj  rffg  yvcoiurjg  xaxo&iyir],  so  ist  natürlich  nicht  an 
Musik  und  Malerei  gedacht,  sondern  an  Erfindungen,  die  nur  dem  Luxus 
dienen.  Etwas  andres  ist  es  natürlich,  wenn  Plato  Soph.  219  A  den  Land- 
bau und  oarj  jteqI  t6  ■&vi]t6v  jiäv  ow/xa  &SQa7iEta  mit  der  gesamten  /Liifirjzixf'j 
als  jioifjTixal  xe^vai  im  Gegensatz  zu  den  uztjzixai  zusammenfaßt. 

27* 


420  M.  POHLENZ 

im  Laufe  der  Zeit  ganz  naturgemäß  herausgebildet  hat.  In  welcher 
Sphäre  wir  uns  aber  dort  befinden,  zeigt  uns  die  schon  S.  403  be- 
sprochene Tendenz  des  ganzen  Abschnitts,  nach  der  xqeü]  und 
arayA)]  als  die  entscheidenden  Faktoren  der  Kulturentwicklung  zu 
betrachten  sind  (vgl.W.  Meyer,  Laudes  inopiae  p.  23.  28). 

Was  endlich  Plato  mit  der  kurzen  Andeutung  besagen  will, 
die  Staatskunst  wurzle  zum  kleinen  Teile  in  der  Natur,  in  der 
Hauptsache  aber  in  der  reyj'i],  und  so  sei  auch  die  Gesetzgebung 
ov  fpvoEi,  TEyvi]  de,  das  verstehen  wir  am  besten  aus  Ges.  III  681, 
wo  die  Entstehung  des  Staatswesens  in  der  Weise  geschildert  wird, 
daß  verschiedene  einzelne  Familien  sich  zusammenschließen,  die  ihre 
naturgemäß  entwickelten  Sitten  mitbringen,  und  nun  durch  bewußte 
Auswahl  aus  diesen  Gewohnheiten  feste  vojuoi  für  das  neue  Ge- 
meinwesen geschaffen  werden.  Daß  aber  Plato  die  Grundzüge  dieser 
Theorie  Demokrit  verdankt,  hat  Reinhardt  a.  a.  0.  S.  507  dadurch 
wahrscheinlich  gemacht,  daß  Epikur  im  Briefe  an  Herodot  §  75  f. 
offenbar  nach  Demokrit  in  ganz  analoger  Weise  aus  den  Einzel- 
mundarten die  Gesamtsprache  sich  entwickeln  läßt. 

Mag  also  Plato  auch  vorher  ebenso  wie  vielleicht  im  folgen- 
den, wo  er  als  Ansicht  des  MateriaUsmus  angibt,  die  Götterver- 
ehrung wie  das  Recht  seien  ov  cpvoei  äX/A  rioi  vofioig  und  die 
geltenden  sittlichen  Begriffe  seien  von  den  natürlichen  verschieden^), 
die  Farben  aus  verschiedenen  Töpfen  mischen,  daran  kann  kein 
Zweifel  sein,  daß  er  in  der  Klassificirung  der  Künste  eine  Theorie 
Demokrits  wiedergibt. 

Werfen  wir  nun  zum  Schluß  noch  einmal  einen  Blick  auf  das 
20.  Kapitel  der  Schrift  von  der  alten  Medicin,  so  fällt  von  dieser 
Einteilung  der  Künste  vielleicht  ein  Licht  auf  eine  dunkle  Stelle. 
Um  zu  bezeichnen,  daß  die  Medicin  sich  um  die  Theorien  der 
Naturphilosophen  überhaupt  nicht  zu  kümmern  habe,  sagt  dort  der 
Arzt:  lyoj  de  rovro  fxiv,  öoa  rivl  el'orjtai  T]  oocpiorfj  r)  itjtqw  T]  ye- 
yqaTixai  Jiegi  cpvoiog,  fjaoov  vo/xiCo)  rfj  i}]Tgixfj  Teyvi]  Ttgooijy.eiv 
V  vi  YQOfpiy-f]-  Man  hat  sich  oft  gefragt,  warum  hier  gerade  die 
Malerei    als  Parallele   herangezogen  wird.    Wenn  der  Verfasser  sie 

1)  Piatos  Darstellung  ist  hier  in  jedem  Falle  tendenziös,  und  daß 
man  auch  sonst  Demokrits  Ansicht  in  ähnlichem  Sinne  ausgedeutet  hat, 
zeigt  Epiphan.  adv.  haer.  III  2,  9  (A  166  Diels).  Natürlich  darf  man 
nicht  etwa  die  Platostelle  als  Grundlage  zu  einem  Urteil  über  Demokrits 
Lehre  nehmen. 


HIPPOKRATES  DE  PRISCA  MEDICINA  421 

mit  Demokril  als  typische  Vertreterin  der  Künste  ansieht,  die  nicht 
das  Werk  der  Natur  fortsetzen,  sondern  frei  aus  sich  heraus 
schaffen,  so  erhält  der  Ausdruck:  „Die  Medicin  ist  auf  die  Theorien 
über  die  Natur  noch  weniger  angewiesen  als  die  Malerei"  seine 
volle  Pointe. 

An  eine  Kenntnis  Demokrits  können  wir  aber  bei  unserm  Arzte 
um  so  eher  glauben,  als  auch  sein  3.  Kapitel,  wie  wir  sahen,  eine 
Specialanwendung  der  demokritischen  Theorie  von  dem  Einfluß  der 
Not  auf  die  Kulturentwicklung  zu  sein  scheint  (vgl.W.  Meyer  a.  a.O. 
p.  28,  der  sich  aber  vorsichtig  äußert).  Auch  chronologische  Be- 
denken fallen  kaum  ins  Gewicht.  Die  Art,  wie  Empedokles  im 
20.  Kapitel  als  Archeget  der  spekulativen  Ärzte  genannt  wird,  deutet 
darauf  hin,  daß  dieser  schon  einige  Zeit  tot  ist.  Wir  werden  also 
die  Abfassung  der  Schrift  nicht  vor  das  letzte  Jahrzehnt  des  5.  Jahr- 
hunderts setzen  dürfen.  Mag  man  dann  aber  auch  Reinhardts 
Hypothese,  die  kulturhistorischen  Gedanken  Demokrits  stammten  aus 
dem  MixQÖg  didxoojuog  für  ebenso  unsicher  halten  wie  den  zeit- 
lichen Ansatz  dieses  Werkes  auf  420,  so  viel  wird  man  ohne  wei- 
teres als  möglich  betrachten,  daß  um  410  Demokrits  Gedanken 
unserm  Arzte  bekannt  sein  konnten.  Immerhin  wird  man  gut  tun, 
für  die  Benützung  nur  eine  gewisse  Wahrscheinlichkeit  in  Anspruch 
zu  nehmen. 

Göttingen.  M.  POHLENZ. 


SER.  SULPICIUS  SIMILIS. 

Von  einem  Similis  erzählt  Dio,  wo  er  der  hervorragendsten 
Männer  der  trajanisch-hadrianischen  Zeit  gedenkt,  mehrere  sehr  be- 
zeichnende Züge.  Schon  als  Centurio  sei  er  von  Traian  ausgezeichnet 
worden,  indem  ihn  der  Kaiser  vor  den  Präfekten  der  Leibwache  zu 
sich  hereingerufen  habe.  Später  wurde  er  selbst  Präfekt  der  Prä- 
torianer,  legte  aber  diese  hohe  Stellung,  die  er  nur  zögernd  an- 
genommen hatte,  bald  nieder  und  lebte  dann  auf  seinem  Landgut 
im  Ruhestande  noch  sieben  Jahre,  die  er  erst  als  sein  eigentliches 
Leben  betrachtete,  ein  Gedanke,  dem  er  in  der  von  ihm  selbst  ver- 
faßten Grabschrift  Ausdruck  gab^).  Diese  bemerkenswerte  Grab- 
schrift scheint  in  die  verbreiteten  Sammlungen  von  Exempla  über- 

1)  Dio  exe.  LXIX  19  (vgl.  18,  1)  o  8s  8rj  Sifidig  .  .  .  iv  xQÖnoig  ov8e- 
vog  Tcö)'  jidvv,  &g  ys  iya)  vofxiCco,  88vrEQog  rjv,  e^saxi  8s  nal  s^  oktyioicöv 
zEXj.irjQao'&ai.  rcp  rs  yag  Tgaiavco  sxaTOVTaQxovvra  sri  avxov  saxaXsoavii 
noxB  Eiooi  JTQO  xäjv  EJiägxiof  Eqptj  'atoxQov  ioxi,  Kalaag,  exaxovrdgx(p  oe  xwv 
ertaQXCov  k'^co  eoxtjxÖxcov  8ia?JyE0&ai^,  xai  xijv  xöjv  8oQvq?ÖQU>v  dg^ip'  axtov  xe 
D.aßs  xai  Xaßcbv  i^iaxaxo,  fiohg  xe  dqPE^Eig  iv  dyQco  tjovxog  snxa  sit]  xä  Xoind 
xov  ßiov  8iriyayE,  xai  sni  ys  x6  fivfjixa  avxov  xovxo  EJisyQaipEV  oxi  '2ifxihg  ev- 
xav'^a  XEixat  ßiovg  (iev  hrj  xöoa,  l^rjoag  8e  extj  Inxd'.  Diesen  Auszug  aus 
Dio  bieten  sowohl  Xiphilinus  als  auch  die  Exe.  Const.  II  (De  virtut.  et 
Vit.)  2  p.  369,  n.  298.  299  (ed.  Roos),  ferner  Zonar.  XI  24  p.  76  Dind.  III. 
In  den  Exe.  de  sent.  (Exe.  Const.  IV  p.  2.56  ed.  Boissevain),  n.  111.  112 
(Petr.  Patr.  ?)  ist  diese  Notiz,  da  sie  bei  Dio  unter  Hadrian  erzählt  ist, 
so  abgefaßt,  als  ob  sieh  alles  dies  zur  Zeit  Hadrians  ereignet  hätte,  Si- 
milis also  erst  unter  Hadrian  Centurio  gewesen  wäre ;  aueh  raaeht  dieses 
Excerpt  (und  einige  andere,  s.  Boissevain,  Dio-Ausgabe  III  238f.)  aus  IV?; 
xöoa  in  der  Grabschrift  hrj  jiEvxi'jxovxa,  so  aueh  die  Exe.  Salmas.  (Cramer, 
Aneed.  Gr.  Paris.  II  396  =  FHG  IV  581,  114,  aueh  in  Boissevains  Dio- 
Ausgabe  III  765  f.  abgedruckt).  Einen  Teil  davon  nimmt  in  ähnlicher 
Weise  der  Anonymus  (Leo  Gramm.?)  Cramer  a.  a.  0.  S.  284  auf  und  fast 
wörtlich  übereinstimmend  Kedren.  I  438.  Bei  Kedrenos  haben  einige 
Hss.  nach  der  Mitteilung  des  Leunelavius  og  (=  76),  was  offensichtlich 
aus  xöoa  verdorben  ist  (Boissevain  z.  St.).  Wir  erfahren  aus  Dio  nur,  daß 
er  an  Jahren  älter  war  als  sein  Amtsnachfolger  Turbo. 


SER.  SÜLPICIUS  SIMILIS  423 

gegangen  zu  sein;  denn  der  Scholiast  zu  Pers.  sat.  II  1  erwähnt 
sie  als  Beispiel,  wenn  auch  recht  ungenau  und  ohne  Nennung  des 
Simihs. 

Die  Gardepräfektur  des  Similis  wird  aber  auch  in  der  Vita 
Hadriani  (c.  9,  5.  6)  verzeichnet.  Hadrian  entheß,  heifst  es,  die 
beiden  Präfekten,  denen  er  die  Herrschaft  verdankte,  (P.  Acihus) 
Attianus^)  und  Simihs;  ihre  Nachfolger  wurden  (lulius  Priscus  Gal- 
lonius  Fronto  Q.  Marcius)  Turbo  (Publicius  Severus)^)  und  Septicius 
Clarus.  Schon  daraus  geht  hervor,  daß  Similis  und  P.  Acilius 
Attianus  bereits  unter  Traian  Praefecti  praetorio  waren  und  es  in 
der  ersten  Zeit  Hadrians  noch  blieben.  Bestätigt  finden  wir  das 
durch  die  Nachricht  Dios  (-Xiphil.)  LXIX  1,  2  (vgl.  Zonar.  XI  23  p.  71 
Dind.  III),  daß  Attianus  im  Verein  mit  Plotina  dem  Hadrian  nach 
dem  Ableben  Traians  zur  Herrschaft  verhelfen  habe^). 

Nun  kennen  wir  aber  einen  Praefectus  annonae  Sulpicius 
Similis  unter  Traian,  und  zwar  aus  Ulpians  Monographie  De  officio 
praetoris  tutelaris*).  Ulpian  handelt  hier  über  die  Gründe,  die  von 
der  Verpflichtung  zur  Übernahmxe  der  Vormundschaft  befreien.  Zu 
den  davon  Enthobenen  gehörten  auch  die  Mitglieder  des  Gollegs  der 
Bäcker,  soweit  sie  einen  selbständigen  Betrieb  führen,  der  eine  be- 
stimmte Menge  Brots  erzeugen  kann;  Ulpian  beruft  sich  dafür  auf 
einen  Brief  Traians    an    Sulpicius    Similis.     Dessen    Amt   ist    zwar 


I 


1)  V.  Hadr.  1,  4  ist  celium  taeianum  im  cod.  Bamb.,  caelium  tattia- 
num  im  Palat.  überliefert;  sonst  (von  anderen  Corruptelen  abgesehen) 
Attianus.  Den  richtigen  Namen  hat  Hülsen,  Rom.  Mitt.  XVIIl  190.3, 
64—67  aus  der  Inschrift  (CIL  XI  7248)  eines  in  Elba  gefundenen  Altars 
festgestellt. 

2)  Vgl.  über  ihn  Dessau,  Prosop.  imp.  Rom.  II  339,  179.  Den  volleren 
Namen  erfahren  wir  durch  eine  Inschrift  aus  Rapidum  in  Mauretanien, 
die  Pallu  de  Lessert,  Bull.  soc.  nat.  des  antiqu.  de  France  1911  p.  167 f. 
veröflfentlicht  hat,  auch  Bull,  des  trav.  bist.  1911  p.  93,  dazu  Cagnat 
p.  135  (=  Ann.  epigr.  1911  n.  108). 

3)  Nur  die  Exe.  Salmas.  (s.  oben)  schreiben  dem  Kaiser  Hadrian  die 
Übertragung  des  Gardecommandos  an  Similis  zu,  ganz  zu  schweigen 
von  dem  erwähnten  Anachronismus,  den  die  Exe.  de  sent.  begehen. 

4)  Fragm.Vat.  233  Ulpianus  de  officio  praetoris  tulelaris.  Sed  qui  in 
collegio  pistorum  sunt,  a  tutelis  excusantur,  si  modo  per  semet  ipsos  pistri- 
num  exerceant;  sed  non  alios  puto  excusandos,  quam  qui  intra  numerum 
constituti  centenarium  pistrinum  (vgl.  Gai  inst.  I  34)  secundum  litteras 
divi  Traiani  ad  Sulpicium  Similem  excerceant;  quae  omnia  litteris  praefecti 
annonae  significanda  sunt. 


424  A.  STEIN 

nicht  ausdrücklich  angegeben ;  aber  nicht  nur  der  Zusammenhang 
zeigt,  dafs  es  sich  um  einen  Praefectus  annonae  handelt,  da  diesem 
das  corpus  pistorum  unterstellt  war,  sondern  auch  der  Zusatz,  daß 
das  Zutreffen  aller  dieser  Voraussetzungen  durch  den  Praefectus 
annonae  bestätigt  werden  müsse.  Auch  fragm.Vat.  235  liegt  ein 
Reskript  Hadrians  an  den  Praefectus  annonae  in  einer  denselben 
Gegenstand  betreffenden  Frage  vor. 

Die  Ulpianstelle  nun,  die  uns  den  Gentilnamen  des  Similis  und 
eine  wichtige  Stufe  in  seiner  Beamtenlaufbahn  kennen  lehrt,  bildete 
damit  die  Brücke  zur  Deutung  einer  Inschrift  aus  Ägypten,  in  der 
ein  Präfekt  von  Ägypten  Sulpicius  Simius  genannt  wird.  Die  In- 
schrift ^)  befindet  sich  auf  einer  quadratischen  Ära,  die  vor  den 
Eingangsstufen  zum  Serapistempel  am  Djebel  Fatire,  dem  antiken 
Mons  Glaudianus,  gefunden  wurde.  Drei  Seiten  der  Ära  sind  be- 
schrieben ;  die  Vorderseite,  nur  lateinisch,  tPägt  die  Inschrift  an. 
XII  Imp.  Nerva  Traiano  Caesare  Aug.  Germanico  Dacico  per 
Sulpicium  Simium  pracf.  Aeg.,  auf  der  linken  (s.  unten  S.  425 
Anm.  2)  Seitenfläche  steht  gleichfalls  lateinisch  Föns  felicissinms 
Traianus  Daciciis,  auf  der  rechten  griechisch  "Ydqevfxa  svrvxs- 
oraxov  Tqaiavbv  Aaxixov ;  aufserdem  liest  man  auf  den  Plinthen 
dieser  drei  Seiten  Ajiijiiojvi{o)g  (1.),  Krjocjoviov  (r.),  MaXXirrjg 
(Vorderseite)^).  Die  Inschrift  gibt  also  den  Namen  der  Örtlichkeit 
an;  es  ist  eine  um  die  Wasserstation  an  der  Karawanenstrafse  vom 
Nil  zum  Roten  Meere  angelegte  befestigte  Niederlassung,  die  den 
Namen  Föns  Traianus  {^'YÖQEVfia  Tgaiavör)  führte,  offenbar  weil 
die  Anlage  der  Station  eben  damals  durch  Traian  erfolgt  ist. 
Die  Ruinen  des  dazugehörigen  Kastells  sind  noch  erhalten^).  Die 
Inschrift  ist  von  Wilkinson  gesehen  und  copirt  worden;  seine  Ab- 
schrift bietet  das  Cognomen  in  der  Form  Simium.  Nun  hat  zu- 
erst schon  der  italienische  Gelehrte  Giovanni  Labus*)  die  Identität 
des  hier  genannten  Präfekten  mit  dem  Praefectus  annonae  Sulpicius 
Similis    und   dem  Praefectus    praetorio  Similis    gesehen    und  daher 

1)  CIG  III  4713  c  =  CIL  III  24  (dazu  p.  968;  =  Dessau  II  5741  = 
Cagnat  IGR  I  1259. 

2)  Es  ist  der  Name  des  Architekten:  Ammonius,  der  Sohn  des  Cae- 
sonius,  aus  Mallos  (in  Kilikien) ;  vgl.  Letronne,  Recueil  des  inscr.  I  424f. 

3)  Vgl.  auch  Baedeker,  Ägypten'  (1913)  357. 

4)  G.  Labus,  Di  un  epigrafe  latina  scoperta  in  Egitto,  Milano  1826, 
j).  101.  Über  die  Autorschaft  des  Labus  (gegenüber  Borghesi)  s.  Canta- 
relli,  La  serie  dei  prefetti  di  Egitto  I  (1906)  8  f. 


SER.  SULPICIUS  SIMILIS  425 

das  überlieferte  Siniiion  in  Sünilcni  emendirl.  Das  12.  Jalir  Tra- 
ians  in  Ägypten  entspricht  der  Zeit  vom  29.  August  108  bis 
28.  August  109.  So  ist  die  Ämterlaufbahn  des  Mannes  noch  klarer. 
Er  begann  also  im  militärischen  Dienst  und  war  noch  nach  der 
Thronbesteigung  Traians  (im  J.  98)  nur  Centurio  ^),  ist  aber,  was 
sich  bei  der  Bevorzugung  erklärt,  deren  er  sich  bei  dem  Kaiser  er- 
freute, sehr  rasch  avancirt,  so  dafi  er  binnen  10  Jahren  die  vor- 
nehmsten ritterlichen  Ämter  bekleidete,  erst  die  Praefectura  anno- 
nae,  dann  die  Statthalterschaft  von  Ägypten  und  noch  vor  dem  Tode 
Traians  (im  August  117)  die  höchste  für  einen  Mann  ritterlichen 
Ranges  erreichbare  Stufe,  das  Gardecommando. 

Gegen  die  Emendation  des  Labus  hat  aber  erst  Letronne^) 
und  dann  Franz  (GIG  a.  0.  und  p.  312  I)  Einsprache  erhoben;  sie 
halten  an  der  Abschrift  VVilkinsons  fest,  da  dieser  sonst  sehr  genau 
ist.  Und  auf  Grund  dieser  Abschrift  hat  Letronne  (vgl.  I  115.  421) 
den  Namen  des  Präfekten  in  derselben  Form  auch  in  einer  andern 
Inschrift  aus  dem  nämlichen  Jahr  eingesetzt.  Es  ist  dies  die  Bau- 
inschrift des  Tempels  von  Panopolis,  der  dem  Gotte  Pan,  der  Haupt- 
gottheit in  dem  Gau,  geweiht  war,  bei  Letronne  I  103  —  119, 
n.  XIII,  pl.VIb  und  (nach  einer  etwas  besseren  Gopie)  f,  dann  von 
Franz  edirt  GIG  III  4714  (dazu  p.  1191).  Der  Name  des  Präfekten 
in  Z.  5  ist  gewaltsam  ausgekratzt  und  daher  bis  auf  geringe  Reste 
nicht  erhalten.  Nach  diesen  (ihm  durch  verschiedene  Abschriften 
überlieferten)  Resten  glaubte  nun  Letronne  mit  Rücksicht  auf  die 
Inschrift  vom  Föns  Traianus  ergänzen  zu  können  im  [ÄevH]iov 
\2^ovXnixiov  ^ijxiov  e7i\dQxov  Alyvnrov.  Lepsius,  der  die  In- 
schrift selbst  sah  und  copirte,  hat  seine  sehr  viel  bessere  Abschrift 
in    den    Denkm.  aus  Ägypten  und  Äthiopien  Bd.  XII  Abt.  VI  Bl.  75 


1)  Wahrscheinlicli,  wie  Ritterling  (briefb'ch)  meint,  schon  Primipilus 
mit  Ritterrang. 

2)  Letronne,  Recueil  I  420—425,  n.  XXXIX,  pl.  XV  4  auf  Grund 
der  ihm  von  Wilkinson  geschickten  Copie,  vgl.  auch  1  152.  Hier  (wie 
im  CIG)  ist  die  griechische  Inschrift  auf  der  linken,  die  lateinische  auf 
der  rechten  Seite  eingezeichnet  (danach  auch  beschrieben  I  424),  und 
ebenso  Kt]oo}viov  auf  der  linken  Plinthe,  ^Afifi(i)vi{p)g  rechts.  Mommsen 
gibt  CIL  a.  0.  die  lateinische  Inschrift  der  Seitenfläche  links,  wie  ich 
meine,  mit  Recht.  Denn  der  lateinische  Text  geht  in  bilinguen  In- 
schriften immer  voran  und  auch  die  oben  gegebene  Namenfolge  auf  der 
Plinthe  weist  auf  diese  Anordnung  hin.  Auch  Cagnat  IGR  l  125Ü  folgt 
dieser  Anordnung. 


426  A.  STEIN 

Nr.  24  wiedergegeben^).  Überdies  besitzen  wir  zu  dieser  Abbildung 
seine  Tagebuchnolizen  in  den  aus  seinem  Nachlaß  von  Naville, 
Borchardt  und  Sethe  herausgegebenen  Textbänden  zu  den  Denk- 
mälern II  (1904)  162.  Lepsius  nimmt  die  Ergänzung  Letronnes 
mit  Rücksicht  auf  die  Größe  der  Lücke  als  im  wesentlichen  richtig 
an,  stellt  aber  fest,  daß  zu  Beginn  em  Faiov  trotz  der  Rasur  deut- 
lich sei  ^),  so  daß  er  dem  Präfekten  den  Vornamen  C.  statt  L. 
gibt  ^),  das  Cognomen  Simius  aber  beibehält.  Dabei  ist  jedoch  über- 
sehen, daß  der  Präfekt,  dessen  Name  hier  genannt  ist,  nicht  wie 
der  in  der  Inschrift  vom  Föns  Traianus  genannte  im  J.  109,  son- 
dern vorher  an  der  Spitze  Ägyptens  gestanden  hat.  Denn  der 
Statthalter,  dessen  Name  ausgemeißelt  ist,  wird  nur  genannt,  um 
den  Beginn  des  Tempelbaus  zu  datiren  {em  .  .  .  ejrdgxov  Äiyv- 
71T0V  ^jo^GTO  rö  eQ-yov),  während  das  Datum  19.  Pachon*)  des 
12.  Jahres  Traians  =  14.  Mai  109  sich  auf  die  Vollendung  (ovv- 
ereXeo^y]  de)  bezieht.  Nun  wissen  wir  aber,  daß  bis  mindestens 
zum  26.  März  107^)  C.Vibius  Maximus  im  Amte  war,  und  tat- 
sächlich finden  wir  seinen  Namen  auf  mehreren  Denkmälern  ausradirt 
(CIL  III  14148  2  und  Cagnat  IGR  I  1175)6).  ßei  Sulpicius  Similis 
aber  —  denn  er  ist,  wie  aus  den  weiterhin  anzuführenden  Beispielen 
ersichtlich  ist,  der  unmittelbare  Nachfolger  des  G.  Vibius  Maximus 
und  er  ist  sicher  der  auf  dem  Stein  von  W^adi  Fatire  genannte 
Präfekt,  einerlei  wie  dort  die  Überlieferung  lautet  —  kann  es  sich 
nach  dem,  was  wir  über  sein  Ende  wissen,  keinesfalls  um  eine 
Tilgung  seines  Namens  infolge  einer  Damnatio  memoriae  handeln. 
Es   ist  daher  aller  Wahrscheinhchkeit    nach    auch    in    der  Tempel- 


1)  Auch  bei  Cagnat  IGR  I  1148  findet  sich  die  Inschrift. 

2)  Von  den  übrigen  Namen  will  Lepsius  CO CI .  lOY  er- 
kennen. 

3)  Labus  hatte  anstatt  [Aevx]iov  den  Vornamen  [novß?.]iov  ergänzt  j 
vgl.  auch  Borghesi,  Oeuvres  VI  280. 

4)  Im  CIG  ist  das  Tagesdatum  unrichtig  edirt.  IJa/cov  le  anstatt  i&'. 

5)  P.  Amh.  II  64.  C.  Minicius  Italus  war  nicht  der  Nachfolger  des 
C.  Vibius  Maximus,  wie  noch  Dessau,  Prosop.  Imp.  Rom.  III  423,  389  und 
P.  Meyer  in  d.  Z.  XXXII  1897  S.  213  annahmen,  sondern  dessen  Vor- 
gänger. 

6)  Dabei  soll  hier  unerörtert  bleiben,  ob  wir  ihn  in  dem  Maximus 
des  P.  Oxy.  III  471  erkennen  und  einen  Fingerzeig  für  die  Ursache  seiner 
Verurteilung  erblicken  wollen  oder  nicht  (vgl.  Wilcken,  P.  Arch.  IV  381; 
Zweifel  äußert  P.M.Meyer,  Berl.  phil.Woch.  1907  S.  465). 


SER.  SÜLPICIUS  SIMILIS  427 

inschrift  von  Panopolis  der  Prüfekt,  dessen  Name  gewaltsam  aus- 
gemeißelt ist,  niemand  anders  als  C.  Vibius  Maximus  ^).  Dazu  paßt 
von  den  Resten  des  Namens  allerdings  nur  der  Vorname  ganz, 
nicht  die  andern  Buchstabenreste,  die  Lepsius  anführt  (s.  oben 
S.  426  Anm.  2).  Doch  scheint  bei  der  Wiedergabe  dieser  gewiß 
nur  ganz  undeutlich  zu  erkennenden  Zeichen  die  Suggestion  durch 
den  von  vornherein  angenommenen  Namen  mit  eine  Rolle  gespielt 
zu  haben.  Zur  Not  ließe  es  sich  erklären,  daß  unter  diesen  er- 
schwerenden Umständen  CO  anstatt  OY  und  Gl  .  lOY  anstatt 
EIMOY  gelesen  wurde. 

Nun  hat  aber  W.  Schwarz  (Jahrb.  f.  kl.  Phil.  CLI  1895  S.  640) 
geglaubt,  gegen  Labus'^),  dem  auch  Mommsen  (zu  CIL  III  24)  bei- 
stimmt^), die  Ansicht  Letronnes  und  Franz'  wieder  zu  Ehren 
bringen  zu  können,  bewegt  sich  jedoch  dabei  in  einem  seltsamen 
Girculus  vitiosus,  denn  er  beruft  sich  auf  Lepsius,  ohne  zu  bemerken, 
daß  hier  nur  eine  Ergänzung  aus  der  andern  Inschrift  vorliegt. 
So  ist  die  Form  Simius  nicht,  wie  Schwarz  meint,  durch  beide  In- 
schriften bezeugt,  sondern  beruht  nur  auf  Wilkinsons  Abschrift  der 
einen  vom  Föns  Traianus.  Schwarz  geht  aber  noch  weiter,  indem 
er  nicht  nur  dem  Präfekten  den  Namen  C.  Sulpicius  Simius  zu- 
schreibt, sondern  auch  eine  Gleichstellung  mit  dem  bei  Dio  er- 
wähnten Similis  ablehnt  (von  Sulpicius  Similis  in  der  Ulpianstelle 
ist  hier  keine  Rede),  und  er  hat  Zustimmung  bei  Boissevain  (in 
seiner  Dio -Ausgabe  III  237  Anm.  zu  Z.  12)  gefunden  (s.  auch 
unten  S.  428  Anm.  2).  Die  Identität  der  an  allen  den  erwähnten 
Stellen  genannten  Persönlichkeiten  nimmt  zwar  Dessau,  Prosop.  Imp. 
Rom.  III  289  f.,  735  selbstverständlich  an,  aber  auch  er  glaubt  noch, 


1)  Icli  hatte  diese  Vermutung  schon  früher  ausgesprochen  (bei  Can- 
tarelli  a.  0.  I  42),  doch  fehlt  da  noch  die  nähere  Begründung.  Seither 
habe  ich  bemerkt,  daß  auch  schon  Franz  (bei  Letronne  II  535  und  CIö 
z.  St.)  an  diese  Möglichkeit  gedacht  hatte. 

2)  Er  citirt  Labus  (Di  un'  epigrafe  latina  S.  100  ff.)  und  Borghesi 
(Epigr.  scop.  in  Egitto  S.  111);  das  letztere  gibt  es  natürlich  nicht,  son- 
dern Schwarz  hat  einfach  die  Notiz  Mommsens  zu  CIL  III  24  mißver- 
standen: Lahus  sive  Borghesius  epigr.  scop.  in  Egitto  p.  111  (Druckfehler 
anstatt  101).     S.  oben  S.  424  Anm.  4. 

3)  Auch  Henzen  in  seiner  Inschriftsammlung  (Orelli  -  Henzen  III 
5309,  obwohl  er  in  der  Edition  sowie  Orelli  I  803  an  dem  überlieferten 
Text  festhält)  und  Hirschfeld,  Philolog  XXIX  1870,  30;  Rom.  Verw. 
I  225,  33. 


428  A.  STEIN 

daß  der  Name  Siniilis  in  Ägypten  mit  Angleichung  an  das  Grie- 
chische 2^iju(/u)iog  geschrieben  wurde,  und  er  wird  in  dieser  An- 
nahme bestärkt  durch  einen  Papyrustext  (BGU  I  140  =  Mitteis, 
ehrest,  d.  Pap.  373  =  Bruns-Gradenwitz  ''  196),  der  früher  unrichtig 
gelesen  worden  war^).  Es  ist  eine  Epistula  des  Kaisers;  der  Kaiser- 
name war  von  Wilcken  in  Z.  3  TQat[a]vo[v  Kaioagog  xov  xvQio\v 
ergänzt  und  der  Name  des  Empfängers  in  Z.  10  2!ijiijuie  gelesen 
worden  2).  Eine  erneute  Revision  des  Textes  durch  Wilcken  (in  d.  Z. 
XXXVII 1902  S.  84—90)  ergab  aber  statt  dessen  den  Namen  Tdjii/iue, 
also  Q.  Rammius  Martiahs,  der  Kaisername  kann  daher  nur  Tga- 
i[a]vo[v  "Adgiarov  2^eßaoTo]v  lauten  und  das  an  sich  nicht  ganz 
sichere  3.  Jahr  wird  bestätigt  durch  die  Consulatsdatirung.  Es  scheiden 
somit  zwei  von  den  Zeugnissen  für  die  Namensform  Sim(;m)ius 
aus;  der  Gebrauch  von  Siniius  anstatt  Shnilis  reducirt  sich  ledig- 
lich auf  die  Wilkinsonsche  Copie  der  Inschrift  von  Wadi  Fatire, 
und  hierin  steckt  oh.ne  Zweifel  ein  Fehler^).  Denn  der  Präfekt 
von  Ägypten  Sulpicius  Similis  ist  uns  seither  durch  eine  ganze  An- 
zahl anderer  Urkunden  aus  Ägypten  bekannt  geworden,  und  in  allen 
diesen  wird  er  mit  seinem  richtigen  Cognomen  genannt. 

Der  früher  (S.  426  A.  5)  erwähnte  P.  Amh.  II  64  (vgl.  65)  nennt 
ihn  2Jov/.myuo\g]  ^ifuXig  ohne  Titel;  aus  dem  Zusammenhang  geht 
aber  unzweideutig  hervor,  daß  es  nur  der  Präfekt  sein  kann.  Dieser 
Papyrus  läßt  uns  auch  ziemlich  genau  den  Zeitpunkt  erkennen,  in 
welchem  Sulpicius  Similis  die  Verwaltung  Ägyptens  antrat;  er  ist 
datirt  nach  dem  10.  Jahr  des  Kaisers  Traian,  29.  Aug.  106—29.  Aug. 
107.  Da  aber  nach  dem  Zeugnis  derselben  Urkunde  am  26.  März 
107  noch  C.  Vibius  Maximus  als  Präfekt  tätig  ist,  so  muß  Similis 
zwischen  diesem  Tage  und  dem  29.  August  107  nach  Ägypten  ge- 
kommen sein.    Auch  in  dem  Auszug  aus  einem  Prozeßprotokoll,  den 


1)  Auch  in  den  Inscr.  sei.  zu  n.  5741  bemerkt  Dessau  (Anm.  3): 
2ifiiog  vel  2'i/ii/j.tog  pltrumque  dictns  in  Aegypto. 

2)  P.  M.  Meyer  hat  dann  (in  d.  Z.  XXXII  1897  S.  215 f.)  diesen  Adi-es- 
saten  als  den  Präfekten  von  Ägypten  erkannt  und  mit  dem  vermeint- 
lichen Sulpicius  Simius  identificirt,  zugleich  aber  sich  die  Ansicht  von 
Schwarz  zu  eigen  gemacht,  daß  Sulpicius  Similis  von  diesem  verschieden 
sei  (später  hingegen  auf  Grund  des  seither  bekannt  gewordenen  Mate- 
rials diese  Ansicht  richtiggestellt,  Berl.  phil.  Woch.  1907  S.  464f.). 

3)  Ich  möchte  dafür  auch  die  sonst  allerdings  sehr  mangelhafte 
Abschrift  von  Brocchi  anführen,  der  hier  SPIMILIM  hat  (CIL  III 
p.  968). 


SER.  SULPICIUS  SIMILIS  429 

wir  P.  Amh.  II  65  lesen,  ist  ^LovXnixtog  üifxiXiQ  ohne  Titel  und  ohne 
Datum  genannt,  während  für  Vibius  Maximus  der  19.  April  lü5  an- 
gegeben ist.  Ein  bisher  unverüfi'entlichter  Heidelberger  Papyrus,  den 
Wilcken  in  d.  Z.  XXXVII  1902  S.  88  citirt,  nennt  lovXnimog  ZifJLiXig 
als  Präfekten  von  Ägypten  für  das  11.  Jahr  (107/8);  für  das  12.  Jahr 
ist  er  durch  die  Inschrift  vom  Föns  Traianus  bezeugt.  Das  späteste 
Datum  aus  seiner  Verwaltungsperiode  besitzen  wir  in  dem  gleich- 
falls noch  unveröffentlichten  Wiener  Papyrus  (vgl.  Gantarelli  a.  0.), 
den  ich  dank  der  Freundlichkeit  Wesselys  einzusehen  Gelegenheit 
hatte.  Auch  hier  ist  nur  der  Name  ZovXniy.iog  Zi/xiXig  ohne  den 
Titel  gegeben  und  die  Datirung  exovg  is  ßeov  ^)  Tqaiavov  ^a^ie- 
vcl)§  xe,  das  ist  der  22.  März  112.  Als  Terminus  ante  (piem  für 
das  Ende  der  Präfektur  des  Sulpicius  Similis  kann  der  25.  Februar 
114  gelten,  weil  im  Phamenoth  des  17.  Jahres  schon  sein  Nach- 
folger M.  Piutilius  Lupus  im  Amte  war^). 

Haben  alle  diese  Texte  eine  so  genaue  Fixirung  der  Präfektur 
des  Sulpicius  Similis  ermöglicht,  so  hat  ein  anderer  Papyrus  bzw. 
seine  Lesung  und  Erklärung  durch  die  Herausgeber  dazu  bei- 
getragen, die  Forschung  zu  verwirren.  Es  ist  der  umfangreiche 
sog.  Dionysia- Papyrus  (P.  Oxy.  II  237).  In  der  Eingabe  der  Dio- 
nysia  wird  eine  Reihe  von  Entscheidungen  und  Erlassen  früherer 
Präfekten  mitgeteilt,  darunter  (col.  VIII  21  —  27,  mit  dem  angehäng- 
ten Erlaß  des  M.  Metlius  Rufus  bis  Z.  43)  ein  Edikt  {i:if.dXidog 
diaTayjud),  das  im  Wortlaut  folgt:  (PXdoviog  ZovXnixiog  ZijuiXig 
e'jiagl'/ßg]  Aiyvnjou  Xeyei'  xxX.  Das  Datum  (Z.  27)  dieses  Erlasses 
ist  {exovg)  xy  'A&vq  iß',  es  sind  also  die  Lesungen  der  entscheiden- 
den Ziffern  unsicher.  Von  diesem  Erlaß  ist  auch  an  einer  andern 
Stelle  der  Urkunde  die  Rede,  col.  IV  36:  ZijLu?udog  xov  f]ye[juo]- 
vevoa[vxo]g  .  .  .  ejiioxoXtjv,  und  ebenso  von  andern  Entscheidun- 
gen desselben  Präfekten  VI  27:  xgioeig  Z[i]iuiXtdog,  doch  läßt  sich 
hieraus  für  die  Datirung  nichts  weiter  gewinnen.  Die  Herausgeber 
Grenfell  und  Hunt  nehmen  an,  daß  es  sich  wegen  der  Auslassung 
des  Kaisernamens  nur  um  Jahre  der  laufenden  Regierung,  d.  i.  die 
des  Commodus,  handeln  könne;  dies  führt,  wenn  die  angenommene 
Lesung  richtig  ist,  auf  den  8.  November  182.  Aber  selbst  wenn 
diese   Lesung  nicht  richtig    wäre,    käme    nur    ein    Spielraum    von 

1)  Der  Papyrus  stammt  aus  einer  späteren  Zeit. 

2)  Vgl.  meinen  Artikel  bei  Pauly-Wissowa-Kroll  RE,  Zweite  Reihe 
I  1263;  Pharmuthi  steht  hier  versehentlich  anstatt  Phamenoth. 


430  -^-  STEIN 

wenigen  Jahren  in  Betracht;  denn  die  Zählung  der  Regierungsjahre 
des  Gommodus  beginnt  beim  Antritt  seiner  Alleinherrschaft  mit  dem 
J.  20,  und  vom  J.  25  angefangen  sind  als  Präfekten  schon  Longaeus 
Rufus  und  sein  unmittelbarer  Nachfolger  Pomponius  Faustianus  aus 
der  Eingabe  selbst  bekannt,  die  an  den  letztgenannten  Präfekten 
gerichtet  ist.  Daher  könnte,  wenn  die  gelesene  Zahl  23  nicht 
richtig  ist,  nur  21  bis  höchstens  25  angenommen  werden,  also 
180  —  184  n.  Chr.  In  der  Tat  ist  das  oben  erwähnte  Datum  un- 
annehmbar; denn  zu  diesem  Zeitpunkt  war,  wie  wir  sicher  wissen, 
noch  Veturius  Macrinus  im  Amte.  Deshalb  schlägt  Gantarelli 
(a.  0.  I  60)  die  Lesung  y.b'  vor,  die  auf  das  einzige  Datum  inner- 
halb des  angegebenen  Zeitraumes  führe,  zu  welchem  bis  jetzt  kein 
Präfekt  nachweisbar  ist  ^) ;  das  wäre  also  der  8.  November  183. 
Doch  scheint  mir  die  Schlußfolgerung  auf  Gommodus  überhaupt 
nicht  zwingend;  der  Kaisername  in  der  Jahreszahl  kann  auch  aus 
Versehen  oder  Flüchtigkeit  weggelassen  sein.  Ich  hatte  daher  ver- 
mutet 2),  daß  wir  es  hier  nicht  mit  einem  Statthalter  aus  der  Zeit 
des  Gommodus,  sondern  vielmehr  mit  dem  uns  schon  bekannten 
Präfekten  Sulpicius  Similis  zu  tun  haben,  daß  somit  die  undeutlich 
erhaltene  Jahreszahl  statt  y.y  vielleicht  ly  zu  lesen  sei,  was  sich  auf 
die  Regierung  Traians  beziehe;  dann  würde  das  Datum  zu  der  uns 
bekannten  Amtszeit  dieses  Präfekten  vortrefflich  passen.  Doch  möchte 
ich  auf  diese  Zahl  auch  nicht  allzuviel  Wert  legen,  nur  darauf,  daß 
es  sich  um  unsern  Sulpicius  Similis  und  daher  um  Jahre  Traians 
handelt.  Daß  auch  ly  gelesen  werden  kann,  haben  die  Heraus- 
geber selbst  zugegeben  (P.  Oxy.  IV  p.  262),  sie  haben  aber  meine 
Gonjectur  doch  nicht  angenommen,  und  Gantarelli  (a.  0.  1  43.  60) 
sowie  P.  M.  Meyer,  Berl.  ph  iL  Wo  eh.  1907  S.  465  sind  ihnen  darin 
gefolgt,  weil  der  Name  des  Sulpicius  Similis  auch  in  einem  andern 
Oxyrhynchospapyrus  (P.  Oxy.  IV  712)  genannt  ist,  der  sicher  aus 
späterer  Zeit  stammt,  und  zwar,  wie  die  Herausgeber  meinen,  aus 
der  Zeit  des  Gommodus,  jedenfalls  aber  nach  dem  10.  Regierungs- 
jahr des  Pius  (146/7),  das  hier  Z.  13  erwähnt  ist.  In  Z.  22,  die 
nur  zu  einem  geringen  Teil  erhalten  ist,  lesen  wir  den  Namen 
ZovlniyAov  Ziiii\)?\EOK  ohne  erkennbaren  Zusammenhang;  es  läßt 
sich  nicht  einmal  ersehen,  ob  auch  der  Titel  hier  angegeben  war. 
Unter  diesen  Umständen  beweist  die  Nennung  dieses  Namens  doch 

1)  Strenggenommen  müßte  man  doch  auch  den  8.  Nov.  180  zulassen. 

2)  Jahresh.  d.  österr.  archäol.  Inst.  III  1900  Beibl.  209. 


SEE.  SULPICIUS  SIMILIS  431 

wirklich  nicht  im  geringsten,  daß  Sulpicius  SimiHs  zur  Zeit  des 
Commodus  Präfekt  von  Ägypten  war. 

Auffälhg  bleibt  nur  noch,  dafs  im  P.  Oxy.  II  237  col.  VIII  21 
der  Name  des  Präfekten  Flavlus  Sulpicius  Similis  lauten  soll,  wäh- 
rend er  sonst  nirgends  den  Namen  Flavius  führt.  Aber  auch  die 
Lösung  dieses  Rätsels  ist,  wenn  ich  recht  sehe,  nunmehr  möglich. 
Sie  wird  uns  geboten  durch  den  Text  der  Felseninschrift  von 
Dehmit  im  nördlichen  Nubien,  die  wir  jetzt  bequem  bei  Preisigke, 
Sammelb.  3919  lesen.  Sie  enthält  eine  auf  Befehl  des  Statthalters 
durch  den  Gohortenpräfekten  vorgenommene  Grenzregulirung:  e^ 
Evxelevoeog  (sie)  Zeqoviov  ZovXnixiov  2!tjuiXeog  xov  XQaxioTOv 
-^yejiiovog  vom  29.  März  111  (3.  Pharmuthi  im  14.  Jahre  Traians), 
also  in  der  Zeit,  in  der  der  bisher  besprochene  Sulpicius  Similis 
sicher  Präfekt  von  Ägypten  war.  Hieraus  erst  erfahren  wir  seinen 
richtigen  und  vollen  Namen,  Ser.  Sulpicius  Similis.  Das  Pränomen 
Servius  war  ja  auch  seit  jeher  bei  den  Sulpiciern  sehr  verbreitet; 
und  ich  zweifle  nicht,  daß  auch  in  dem  Dionysiapapyrus  VIII  21 
anstatt  <^läovioq  richtig  Zegoviog  zu  lesen  sei ').  In  diesem  Fall 
hätten  wir  auch  einen  Beweis  mehr  dafür,  daß  hier  der  Präfekt 
unter  Traian  gemeint  ist. 

In  die  nun  von  107  bis  mindestens  112  bezeugte  Amtszeit 
dieses  Präfekten  fällt  auch  P.  Fay.  117  vom  15.  Januar  108,  wo 
(Z.  5  f.)  ein  xQäreioxog  rjyEfXfhv  erwähnt  ist  (vgl.  auch  119,  11 
fjyefiovog);  hier  kann  natürlich  auch  nur  Ser.  Sulpicius  Similis  ge- 
meint sein. 

Hervorzuheben    ist,    daß    wir    seit    kurzem    seine    Verwaltung 


1)  In  der  Edition  ist  allerdings  kein  Zeichen  einer  unsicheren 
Lesung  des  ^Idoviog  angedeutet,  und  die  Zeitverhältnisse  gestatten  es 
dermalen  nicht,  in  Oxford  anzufragen  und  den  Papyrus  nachprüfen  zu 
lassen.  Aber  selbst  wenn  dort  ^kdoviog  stünde,  würde  dies  keine  starke 
Instanz  gegen  meine  oben  geäußerte  Vermutung  bilden,  da  das  ganze 
Schriftstück  sich  aus  einer  Reihe  später  und  zum  Teil  sehr  flüchtiger 
Copien  und  stark  verkürzter  Excerpte  zusammensetzt,  in  die  sich  leicht 
ein  solcher  Schreibfehler  einschleichen  konnte.  [Nachtrag.  Mittler- 
weile konnte  ich  durch  die  gütige  Vermittlung  Prof.  Hitzigs  in  Zürich 
(dem  hierfür  an  dieser  Stelle  aufrichtiger  Dank  ausgesprochen  sei)  von 
Grenfell,  der  das  Original  einer  erneuten  Durchsicht  unterzog,  eine  volle 
Bestätigung  meiner  Vermutung  erlangen :  „  I  hare  looked,  at  P.  Oxy.  237 
VIII  21  and  the  correct  reading  is  ZeQoviog  {not  ^Xaoviog),  as  Arthur  Stein 
suggesfs."] 


432  A.  STEIN 

Ägyptens  auch  durch  ein  außerhalb  Ägyptens  gefundenes  Zeug- 
nis belegen  können,  nämlich  durch  ein  Inschriftfragment  aus  Kar- 
thago^), wo  von  seinem  Namen  nur  ....  Siinü  ....  erhalten  ist, 
weiterhin  der  Titel  [p]rac/'.  Aeg.,  auch  die  Bekleidung  eines  Priester- 
amtes und  die  Beteiligung  an  einem  Kriege. 

Wir  besitzen  noch  ein  Denkmal,  das  den  Namen  Sulpicius 
Similis  nennt;  es  ist  die  stadtrömische  Grabschrift  CIL  VI  31865; 
doch  scheint  es  mir  höchst  unwahrscheinlich,  daß  hier  unser  Ser. 
Sulpicius  Similis  gemeint  ist,  da  sonst  wohl  seine  Ämterlaufbahn 
angegeben  worden  wäre.  Muß  schon  hier  die  von  Borghesi  (Oeuvres 
III  235  f.)  vermutete  Identität  als  zweifelhaft  bezeichnet  werden,  so 
hängt  eine  andere  von  Borghesi  (ebd.  127,  vgl.  auch  X  42  —  44) 
ohne  weiteres  angenommene  Gleichstellung  völlig  in  der  Luft:  es 
besteht  nicht  der  geringste  Anhalt  dafür,  daß  wir  es  CIL  VI  259 
=  Dessau  II  8643  (Genio  Si)}iilis  familia)  mit  unserem  Präfekten 
zu  tun  haben. 

Dem  raschen  und  glänzenden  Aufstieg  des  Ser.  Sulpicius  Simihs 
vom  Genturio  zum  Vicekönig  von  Ägypten  entsprach  das  weitere  Vor- 
rücken nicht.  Bis  112,  höchstens  113  war  er  Statthalter  von 
Ägypten  und  erst  117  (kaum  frülier,  da  ja  Dio  berichtet,  daß  er 
nur  kurze  Zeit  die  Gardepräfektur  innegehabt  habe)  Praefectus  prae- 
torio,  w^ährend  in  vielen  andern  Fällen  das  Gommando  über  die 
Prätorianer  unmittelbar  nach  der  Präfektur  von  Ägypten  über- 
nommen wird.  Die  Erklärung  dafür  liegt  eben  darin,  daß  Similis, 
wie  wir  aus  Dio  erfahren,  sich  nur  widerstrebend  zur  Übernahme 
des  vornehmsten  ritterlichen  Amtes  bereit  erklärte,  zu  dem  ihn  der 


1)  CIL  VIII  24587:  ....  Simil 

ß]amen  p 

hello  Ra 

p]raef.  Aeg 

In  Z.  2  wäre  flaiiien  Palatualis,  vielleicht  auch  ßamen  Pomonalis  möglich 
(vgl  CIL  III  12732).  Die  Vermutung  Reglings,  daß  Z.  3  hello  Raelico 
denkbar  sei,  ist  allerdings  sehr  unsicher.  Ritterling,  an  den  ich  mich 
brieflich  wandte,  hatte  die  Freundlichkeit,  mir  zu  antworten:  „Ein 
bellum  Raeticum  zu  Traians  oder  Hadrians  Zeit  gibt  es  nicht;  jedenfalls 
können  in  einem  solchen  dona  militaria  nicht  verliehen  worden  sein. 
Mir  scheint  es  nicht  ausgeschlossen,  daß  statt  R  vielmehr  P  auf  dem 
Steine  steht  oder  stehen  sollte:  also  Pa[rthico].  Sulpicius  Similis  kann 
als  Praefectus  praetorio  und  Comes  des  Traian  im  orientalischen  Kriege 
decorirt  worden  sein.     Aber  auch  das  ist  natürlich  ganz  unsicher." 


SER.  SULPICIUS  SIMILIS  433 

Kaiser  in  Würdigung  seiner  Verdienste  berief.  Wahrscheinlich  hatte 
er  sich  schon  nach  der  Rückkehr  aus  Ägypten  dem  otium  cum 
dignitate  hingeben  wollen,  das  ihm  erst  unter  Hadrian  zuteil  wurde. 
Unsere  Untersuchung  hat  also  gelehrt,  einmal,  daß  G.  Sul- 
picius  Simius  ^),  C.  Sulpicius  Similis  und  Flavius  Sulpicius  Similis 
zu  streichen  sind;  es  hört  ferner  die  Zweiteilung  des  Sulpicius 
Similis  in  einen  Präfekten  Ägyptens  unter  Traian  und  einen  unter 
Commodus,  unter  dem  es  in  Wahrheit  keinen  dieses  Namens  ge- 
geben hat,  auf,  und  es  schwindet  endlich  jeder  Zweifel,  daß  der  uns 
durch  so  viele  Texte  bekannte  Vicekönig  von  Ägypten  in  den  Jahren 
zwischen  107  und  113,  Ser.  Sulpicius  Similis,  identisch  ist  mit  dem 
Manne,  der  unter  Traian  erst  Centurio,  dann  Praefectus  annonae 
und  zu  Ende  der  Regierung  dieses  Kaisers  sowie  zu  Beginn  der 
Herrschaft  Hadrians  Praefectus  praetorio  gemeinsam  mit  P.  Acilius 
Attianus  war. 

Prag.  ARTHUR  STEIN. 


1)  Speciell  dieses  Ergebnis  hatte  bereits  "Wilcken  nach  seiner  ver- 
besserten Lesung  zu  BGU  1  140  gewonnen;  aber  die  Zahl  der  Zeugnisse 
hat  sich  seither  erheblich  vermehrt. 


Hermes  LIII.  28 


DIE  HEIMAT  DES  EPIGRAMMATIKERS 
POSEIDIPPOS. 

Es  ist  bisher  unbekannt  gewesen,  woher  der  Epigrammatiker 
Poseidipp  stammt.  Knaack  hatte  Alexandria  vermutet,  mit  Gründen, 
die  zu  einem  solchen  Schluß  nicht  ausreichten.  P.  Schott  hat  sie 
in  seiner  tüchtigen  Dissertation  'Posidippi  epigrammata  collecta  et 
illustrata'  (Berlin  1905)  widerlegt  und  seinerseits  vermutet  (p.  113): 
Posidippus  .  .  .  in  una  aut  prope  unam  ex  maris  Aegaei  insidis 
non  prociil  a  Mileto  natus  esse  videtur.  Die  Gründe  für  diese 
Annahme  sind  aber  um  nichts  zwingender  als  die,  welche  Knaack 
auf  Alexandria  führten.  Mit  berechtigter  Zurückhaltung  hat  W.  Schmid 
(Christ  II  1  ^  S.  117)  darauf  verzichtet,  eine  der  Hypothesen  über  die 
Heimat  Poseidipps  aufzunehmen.  Erst  ein  wirkliches  Zeugnis  aus 
dem  Altertum  kann  da  Gewißheit  geben. 

Wie  über  den  Geburtsort,  bestand  auch  über  die  Geburtszeit 
keine  Sicherheit.  Als  äußerste  Grenzen  für  die  Geburtszeit  nahm 
Schott  (p.  46)  die  Jahre  312  —  290,  als  engere  307—295  an,  mit 
dem  Schluß,  daß  es  geraten  sei,  möglichst  nahe  an  300  heran- 
zugehen. Bestimmend  ist  dabei  für  ihn  hauptsächlich  das  Epi- 
gramm AP  V  133  (8  bei  Schott;  257  bei  Geffcken,  Griech.  Epigr.) 
gewesen : 

KexQOJil  QoXvE  Xdyvve  tioXvÖqooov  ix/udda  Bd^x^ov, 

QoXve,     ögooiCsoßo)  ovjußo?uxi]  Jigönooig. 
oiydodoj  Z/]vcov  6  ooq)bg  xvxvog  ä^)  rs  KXedv&ovg 
juovoa  ■  jLuXiOi  <5'  f]juTi>  6  yXvxvjiixQog  "Egcog. 

Schott  hat  dies  Epigramm  in  sehr  weitgehender  Weise  biogra- 
phisch ausgedeutet:  Poseidipp  als  Student  in  Athen  zu  der  Zeit,  als 
Zenon,  von  Kleanthes  unterstützt,  die  Stoa  leitet,  Poseidipp  aber 
nicht  ganz  jung,  nicht  jiaTg,  des  ylvxvnixQog  "Egcog  wegen,  also 
sei   etwa  282  —  270   als  Abfassungszeit   des  Gedichts    anzunehmen. 

1)     ?7  Schott,  was  nicht  mehr  zulässig  ist,  vgl.  unten  S.  439.     Auch 
Pohlenz  und  Geffcken  egalisiren  nicht. 


HEIMAT  DES  EPIGRAMMATIKERS  POSEIDIPPOS  435 

Wenn  man  eine  Elegie  in  dieser  Weise  biographisch-chronologisch 
verwertete,  würde  man  heute  wohl  allenthalben  auf  starken  Wider- 
spruch stoßen.  Sollte  dies  Trink-  und  Liebesepigramm  wirklich 
subjektiv  aufgefaßt  und  biographisch  wörtlich  genommen  werden 
dürfen?  Gerhard,  Phoinix  von  Kolophon  S,  103f.  und  238  f.  tut 
es  noch  ebenso  wie  Knaack  und  Schott  (offenbar  ohne  den  letzteren 
zu  kennen)  und  identificirt  den  von  Phoinix  angeredeten  TIooEidui- 
Tiog  mit  dem  Epigrammatiker  —  was  Pohlenz,  XdoiTEg  für  Leo 
S.  95  ablehnt.  Da  ist  es  entschieden  ein  Fortschritt,  wenn  Poh- 
lenz a.  a.  0.  S.  93  jener  älteren  Auffassung  des  Poseidipp-Epigramms 
gegenüber  feststellt:  „Daß  hier  nicht  der  Student  improvisirt,  der 
den  ganzen  Vormittag  studirt  hat,  zeigt  schon  die  Anrede  an  die 
attische  Flasche,  die  ihn  offenbar  in  der  Heimat  an  die  attische 
Studienzeit  erinnert.  Es  soll  vielmehr  eine  ausdrückliche 
Absage  an  die  Philosophie  sein"^).  Pohlenz  gibt  also  die 
Studentenpoesie  preis,  behält  aber  den  attischen  Studienaufenthalt 
bei.  Aber  auch  da  noch  kann  man  fragen:  muß  ein  Epigramma- 
tiker, um  die  stoische  Modephilosophie  und  den  cpihjdovog  ßiog  bei 
Wein  und  Liebe  wirksam  zu  contrastiren,  gerade  Student  bei  den 
zwei  Vertretern  dieser  Philosophie  gewesen  sein,  die  er  anführt, 
um  daraus  eine  lebendige,  aktuelle  Pointe  zu  gewinnen  ?  In  Wirk- 
lichkeit gibt,  meine  ich,  dies  Epigramm  nur  einen  chronologischen 
Anhaltspunkt:  während  oder  nach  der  Zeit  des  gemeinsamen  Schol- 
archates  ist  es  gedichtet,  aber  über  Poseidipp  selbst  gewährt  es 
keinen  sicheren  biographischen  Aufschluß,  beweist  weder,  daß  er 
damals  dort  Student  war,  noch  gar,  daß  er  es  als  Student  dort 
verfaßt  hatte.  Mit  anderen  Worten:  es  ist  für  die  poetische  Chro- 
nologie ein  terminus  post  quem,  ist  aber  für  das  Geburtsdatum 
des  Poseidipp  nicht  in  der  von  Schott  geübten  Weise  verwertbar. 
Wir  sind  also  nicht  genötigt,  möglichst  nahe  an  300  herunter- 
zurücken,  sondern  haben  durchaus  die  Möglichkeit,  bis  zur  obersten 
Grenze,  die  Schott  angab,  also  bis  etwa  312  hinaufzugehen 2). 

1)  Von  mir  gesperrt.  Das  ist,  wie  ich  meine,  durchaus  das  Ziel 
des  Epigramms.  Das  andere  kann  Einkleidung  sein,  rein  als  poetische 
Situation  gedacht;  ob  biographischer  Kern  darin  steckt,  können  wir  nicht 
mit  Gewißheit  sagen. 

2)  Auch  G.  Pasquali  in  d.  Z.  XLVIII  1913  S.  207  A.  6  lehnt  Knaacks 
Chronologie  ab :  „  um  280  war  Poseidippos  .  .  .  schon  in  Alexandrien ;  er 
hat  dann  das  zephyritische  Heiligtum  der  Aphrodite  Arsinoe  .  .  .  ge- 
feiert,   als    sie  noch  lebte,   und  zwar  sehr  officiell.     So  wird  er  schwer- 

28* 


436  0.  WEINREICH 

Und  daß  wir  dazu  greifen  müssen,  beweist  ein  neues  Zeugnis 
für  den  Epigrammatiker  Poseidipp,  das  uns  vor  allem  auch  den  so 
erwünschten  Aufschluß  über  seine  Heimat  gewährt.  Es  ist  eine  von 
den  bei  den  griechischen  Ausgrabungen  in  Thermen  gefundenen 
Inschriften  mit  Proxeniedekreten,  deren  Abklatsche  Rhomaios,  der 
Ephoros  Ätoliens  und  jetzige  Leiter  der  Grabungen,  der  epigraphi- 
schen Commission  der  Kgl.  Akademie  zu  Berlin  in  liberalster  Weise 
zur  Verfügung  gestellt  hat  für  das  in  Vorbereitung  befindliche  Sup- 
plement zu  IG  IX  1.  Mit  gütiger  Erlaubnis  der  epigraphischen 
Commission  kann  diese  Einzelheit,  die  ja  von  allgemeinerem  Inter- 
esse ist,  hier  schon  bekanntgegeben  werden.  Die  Inschrift  (im 
Museum  zu  Thermon,  Inventar  Nr.  68)  ist  leider  unvollständig,  so 
daß  das  Präskript  mit  der  genauen  Datirung  durch  die  eponymen 
Beamten  des  ätolischen  Bundes  fehlt.  Aber  die  Zeit  des  Textes 
ist  mit  ausreichender  Genauigkeit  durch  den  Schriftcharakter  und 
durch  prosopographische  Indicien  zu  bestimmen.  Die  in  zwei 
Columnen  angeordnete  Sammlung  von  Proxeniedekreten  ist  aufs 
sorgfältigste  auf  dem  Stein  eingetragen.  Die  einfach-strengen  Buch- 
stabenformen zeigen  noch  keine  Biegung  der  Hasten,  keinerlei  Ver- 
dickung der  Hastenenden  oder  gar  Apices;  O  und  ß  sind  kleiner 
als  die  andern  Buchstaben,  A  hat  geraden  Querstrich,  X,  schräge, 
n  noch  nicht  gleichlange  Schenkel,  und  vor  allem  das  E  ist  noch 
vierstrichig.  Dem  gesamten  Schriftcharakter  nach  ist  die  Inschrift 
in  die  Zeit  um  280  zu  datiren. 

Dazu  passen  die  prosopographischen  Indicien,  die  sich,  da  das 
Präskript  mit  Strategen,  Hipparch  und  Schreiber  fehlt,  aus  den 
Namen  der  syyvoi  ergeben  und  zu  deren  näherer  Bestimmung 
H.  Pomtow  seine  fördernde  Hilfe  geliehen  hat,  für  die  ihm  auch  an 
dieser  Stelle  gedankt  sei.  Gleich  in  den  ersten  Zeilen  von  Gol.  A 
begegnet  als  Bürge  Agdxcov  Uohevg.  Er  ist  identisch  mit  dem 
Hipparchen  Aodxojv  no?uEvg,  den  eine  ebenfalls  noch  unedirte  In- 
schrift aus  Thermon  (Inv.  Nr.  32)  bietet,  die  der  Schrift  nach  etwa 
der  gleichen  Zeit  angehört,  vielleicht  etwas  jünger  ist.  Da  wird 
neben  Aq6.xcov  der  Bularch  Ävxeag  genannt,  den  Pomtow  mit  dem 
Hieromnemon  des  Jahres  269  (Syll.^  422)  identificirt.  Ferner  ist 
unser  Aqolxojv  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  identisch  mit  dem  Vater 

lieh  um  270  oder  später,  d.  h.  in  der  Zeit,  als  Zenon  ein  Greis  war  und 
Kleanthes  schon  berühmt  sein  konnte,  noch  in  seiner  Studienzeit  ge- 
standen haben." 


HEIMAT  DES  EPIGRAMMATIKERS  POSEIDIPPOS  437 

Agdxwv  in  dem  schönen  Epigramm,  das  Soteriades  im  AeXriov 
dg-/.  I  1915  Nr.  35  publicirl  und  abgebildet  hat.  Einige  Versehen 
können  auf  Grund  des  von  Rhomaios  gesandten  Abklatsches  (Ther- 
men Inv.  33)  verbessert  werden.  Die  Schrift  ist  etwas  älter  als  die 
unserer  Proxeniedekrete  und  könnte  nach  Hiller  von  Gaertringen  zu 
einer  Ansetzung  um  285  wohl  passen.  In  AQnxcov  haben  wir 
endlich  noch  den  Grofsvater  des  im  Jahr  194  bezeugten  Agdpccov 
UoXievg  (Syll.3  598  D  12)  zu  erblicken. 

Dann  erscheint  als  eyyvog  ein  Nixavögog  Tgixovevg,  das  ist 
der  mir  auch  aus  andern,  noch  unveröfi'entlichten  Thermoninschriften 
bekannte  Großvater  des  nachmaligen  Strategen  Nikander  {Bitrov 
Tqii.  a.  190;  184;  177).  Weiterhin  begegnet  NeojiroXsjuog  Nav- 
jidxTiog  als  Bürge,  in  ihm  erkannte  Pomtow  den  NeonröXe/uog 
0VOXOV  Ätxoilog,  der  274  eine  Statue  erhält  und  der  266  in 
Delphi  ätolischer  Hieromnemon  ist  (Syll.^  424  G.  411.  412).  Den 
Sohn  dieses  NeojiroXejuog  NavTidxxiog,  der  gleich  seinem  Groß- 
vater 0voxog  heißt,  lehren  uns  die  neuen  Texte  als  Strategen 
kennen.  Wichtig  ist  —  um  von  andern  Judicien  zu  schweigen  — 
vor  allem  noch  der  mehrmals  genannte  eyyvog  Tgi/äg  'Eoizdv,  in 
dem  wir  den  Hieromnemon  von  273/2  und  272  zu  erkennen  haben 
(Syll.'  417.  418).  Zxonag  Tgixovevg,  der  auch  als  eyyvog  hier 
vorkommt,  ist  also  wieder  der  Großvater  des  gleichnamigen  Stra- 
tegen, dessen  erste  Strategie  220  fällt. 

In  dieser  Inschrift  nun,  die  also  durch  ihren  Schriftcharakter 
wie  durch  die  prosopographischen  Indicien  auf  die  Zeit  um  280  fest- 
zulegen ist,  erscheint  unter  den  ätolischen  jigö^evoi  in  Gol.  A  23 f.: 

UooeidiJiJiojt  roji  eTiiyQajUjiiaroTioiöji  IleXXaioii, 
evyvog  KXeoxQdrrjg  'HgaxXecorag. 

Die  unterstrichenen  Buchstaben  werden  durch  die  Abschrift  von 
Rhomaios  bestätigt,  der  die  Inschrift  aber  nur  zum  kleinen  Teil  und 
provisorisch  abgeschrieben  hatte  und  vieles  nicht  mitteilt,  was  auf 
dem  Abklatsch  noch  deuthch  zu  erkennen  ist.  Die  ersten  zwei 
Buchstaben  des  Namens  bestätigt  auch  Hiller  von  Gaertringen  am 
Abklatsch,  oeidm  kann  ich  bei  gutem  Licht  so  bestimmt  erkennen, 
daß  ich  es  nicht  einmal  für  nötig  halten  würde,  Punkte  darunter 
zu  setzen.  Und  um  etwaigen  Versuchen,  einen  andern  Namen  zu 
vermuten  und  FlO  zu  Anfang  anders  zu  deuten,  den  Boden  zu  ent- 
ziehen, muß  ich  bemerken,  daß  die  vorhergehende  Zeile  mit  evyvog 


438  0.  WEINREICH 

IIoXvdcoQqq  "Hgay-Aecorag  schließt.  Silbentrennung  ist  in  der 
ganzen  Inschrift  vermieden,  jede  Zeile  beginnt  mit  einem  vollen 
Namen.  Selbst  wenn  ich  nicht  zwischen  IIo-  und  dem  absolut 
sicheren  Schluß  die  Buchstaben  oeidiTz  auf  dem  Abklatsch  läse, 
müßte  man  den  Anfang  und  das  Ende,  da  Raum  dazwischen  für 
7  Zeichen  ist,  zu  IJooeidiJiJicoi  ergänzen.  An  dem  Namen  ist  ein 
Zweifel  nicht  möglich ;  es  erhält  ein  emyQajuuaroTioiog  Poseidippos 
die  Proxenie  von  den  Ätolern.  Ganz  singulär  ist  nun,  daß  dieser 
Mann  nicht  wie  sonst  bei  den  jigöievot  durch  Patronymikon  und 
Ethnikon  bezeichnet  wird,  sondern  allein  durch  eine  Berufsbezeich- 
nung und  das  Ethnikon.  Mir  ist  aus  all  den  zahlreichen  ätolischen 
Proxeniedekreten  keine  Analogie  dazu  bekannt,  und  auf  der  großen 
Stele  68  haben  sonst  alle  ngö^evot  die  übliche  Bestimmung  durch 
Vatersnamen  und  Heimatsangabe.  Wenn  man  hier  eine  Ausnahme 
machte,  konnte  der  Grund  nur  der  sein,  daß  man  sicher  war, 
diesen  Mann  dadurch  eindeutiger  zu  bezeichnen,  als  wenn  man  ihn 
Sohn  des  N.  N.  genannt  hätte.  Um  diese  Zeit  kennen  wir  zwei 
Dichter  des  Namens  Poseidipp,  den  Komiker  und  den  Epigramma- 
tiker. Ersterer  ist  ausgeschlossen,  der  ejiiyQajujuarojioiog  gemeint. 
Hätte  es  nun  —  den  Fall  einmal  gesetzt  —  außer  dem  bekannten, 
um  diese  Zeit  lebenden  Epigrammatiker  Poseidipp  noch  einen 
zweiten  Epigrammendichter  dieses  Namens  gegeben,  so  würde  das 
Patronymikon  als  unterscheidendes  Merkmal  notwendig  gewesen 
sein.  Es  fehlt,  also  steht  die  Identität  des  hier  geehrten  mit  dem 
uns  bekannten  fest  —  und  gerade  dieser  wird  ja  auch  in  der  lite- 
rarischen Überlieferung  zum  Unterschied  vom  Komüdiendichter  als 
iTiiyQa^iifiaxoyodcfog  bezeichnet  (Schol.  Apoll.  Rhod.  I  1290,  Schott 
S.  106),  so  wie  hier  als  EJiiyQajufiaroTioiög.  Wir  lernen  nun  aus 
dem  neuen  Testimonium,  daß  er  aus  Pella  stammt.  Damit  sind 
Knaacks  wie  Schotts  unzureichende  Combinationen  —  unzureichend, 
weil  eben  unser  bisheriges  Material  zu  wenig  Grundlagen  bot  — 
erledigt. 

Die  Heimat  ist  sichergestellt.  Was  ergibt  sich  aber  noch  für 
die  Frage  der  Geburtszeit?  Wenn  Poseidipp  um  280  vom  ätoli- 
schen Bund  die  Proxenie  erhält,  war  er  gewiß  nicht  ein  20jähriger 
Student.  Denn  er  hat  sie  doch  wohl  auf  Grund  seiner  dichterischen 
Leistungen  erhalten,  darauf  führt  eben  die  Tatsache,  daß  man  statt 
des  Patronymikons  die  Bezeichnung  eTnyQaju/biazoJioiög  wählt,  und 
diese   kann    man  ihm  nur  geben,  wenn  er  sich  durch  Epigramme 


HEIMAT  DES  EPIGRAMMATIKERS  POSEIDIPPOS  439 

schon  einen  Namen  gemacht  hat.  Die  Vermutung  Hegt  nahe,  dafs 
er  solche  für  den  ätohschen  Bund  gedichtet  hat  —  etwa  Grab-  oder 
Weihepigramme  für  hervorragende  Männer  des  Bundes,  Steinepi- 
gramme für  historische  Persönhchkeiten  dieser  Zeit.  Dafür  ehrt 
man  ihn  durch  Verleihung  der  Proxenie,  so  wie  Ende  dieses  Jahr- 
hunderts dem  Nikander  als  ejiecov  jiou]Täi,  doch  wohl  für  seine 
Ahcohxd  und  jisgl  xq'>]oz}]Q(cov  tkIvtwv,  in  Delphi,  das  ja  damals 
dem  ätolischen  Bund  unterstand,  die  Proxenie  gegeben  wird  und 
er,  von  Herkunft  Kolocpcoviog,  also  mit  Recht  auch  als  AhoXog 
in  der  Überlieferung  bezeichnet  werden  konnte  (vgl.  Pomtow  in  der 
Syll.^  452).  Durch  die  neue  Inschrift  sind  wir  demnach  auch  ge- 
nötigt, mit  dem  Geburtsdatum  des  Poseidipp  bis  mindestens  312 
hinaufzugehen. 

Ein  weiteres  Ergebnis  bezieht  sich  endlich  auf  den  Dialekt  der 
Poseidippepigramme.  Schott  hatte  das  Schwanken  in  der  Über- 
lieferung, die  meist  u,  aber  auch  fj  bot,  dadurch  beseitigt  (vgl. 
S.  112),  daß  er  überall  i)  herstellte.  Das  geht  nun  nicht  mehr 
an;  \')Mog  17,  3  und  d  stützen  sich,  die  dorischen  Artikel  werden 
nicht  mehr  librarorium  libidini  zuzuschreiben,  sondern  Posei- 
dipps  Beziehungen  zu  Nordwestgriechenland,  wo  ä  und  i]  neben- 
einander vorkommen,  zu  verdanken  sein.  Daß  er  Epigramme  im 
Dialekt  Atoliens  geschrieben  hat  und  daß  neue  Epigramme  Posei- 
dipps  aus  den  Inschriften  dieser  Gegend,  die  den  ersten  Decennien 
des  3.  Jahrhunderts  angehören,  zu  gewinnen  sind,  wird  Pomtow 
demnächst  versuchen  nachzuweisen. 

Heidelberg.  OTTO  WEINREICH. 


DIE  ÄLTESTE  DEFINITION  DER  RHETORIK. 

Im  Verlaufe  seiner  Untersuchung  über  das  Wesen  der  Rhetorik 
wird  der  Sokrates  des  platonischen  Gorgias  darauf  geführt,  diese 
TExvr]  als  die  jisi&ovg  drjjuiovQyög  zu  definiren  (453  A).  Das 
ist  ein  ungezwungenes  Ergebnis  des  bisher  geführten  Gespräches. 
Sokrates  sucht  nach  der  di/ferenfia  specifica,  durch  die  sich  die 
Rhetorik  aus  der  großen  Schar  von  jeyvai  abhebt,  cov  Jiäoa  fj 
jigä^tg  Hoi  ro  xvQog  did  Xöyoiv  eoti  (450  D).  Erst  nach  langem 
Hin  und  Her  ist  es  ihm  gelungen,  den  philosophisch  völlig  unge- 
bildeten Gorgias  endlich  dahin  zu  bringen,  daß  er  das  xÜQog  der 
Rhetorik  als  das  Tiel^eiv  bezeichnet  (452  E).  Beachtenswert  ist 
aber,  daß  nicht  Gorgias  selbst,  sondern  Sokrates  die  Consequenz 
aus  dieser  Feststellung  zieht  und  die  genannte  Definition  aufstellt. 
Gorgias  erklärt  sich  nur  im  allgemeinen  mit  ihr  einverstanden,  denn 
auf  die  Frage  des  Sokrates:  ?j  s'x^ig  ti  keyeiv  im  nXeov  zi]v  qyj- 
TOQiH}]v  dvvao&at  Tj  nei^o)  roTg  aaovovoiv  ev  t^  W^XÜ  ^oieTv; 
antwortet  er  in  seiner  gönnerhaften  Art:  ovöa/icbg,  d>  ZcbxQaxsg, 
aXXd  juoi  doxeig  ixavojg  oQiC^o'&ai'  eon  ydg  xovzo  ro  xsq)dkaiov 
avrfjg  (453  A).  Dieser  Sophist  ist  eben  weder  selbst  imstande, 
einen  ogog  aufzustellen,  noch  einen  solchen,  falls  er  von  einem 
andern  begründet  wird,  in  seiner  ganzen  Tragweite  zu  würdigen. 
Deshalb  ist  die  Vermutung,  Piaton  citire  an  unserer  Stelle  die  Defi- 
nition des  Gorgias  selbst,  von  vornherein  abzuweisen.  Ein  so 
später  Autor  wie  Doxapatres,  der  dies  behauptet  (II  104,  18  W.), 
hat  sicher  aus  dem  platonischen  Gorgias  geschöpft.  Aber  er  hat 
den  Dialog  schlecht  gelesen,  und  das  gleiche  gilt  von  den  Neuern, 
die  denselben  Schluß  wie  er  gezogen  oder  gar  seine  Weisheit  für 
Überlieferung  genommen  haben. 

Nach  einem  andern  antiken  Zeugnis  soll  die  Definition  auf  die 
Begründer  der  sicihschen  rexvrj,  auf  Korax  und  Tisias,  zurückgehen. 
So  berichtet  der  anonyme  Verfasser  der  Prolegomena  in  Herm.o- 
genem  (IV  19,  19  W.).     Auf   welcher  Quelle  seine  Angabe  beruht. 


DIE  ÄLTESTE  DEFINITION  DER  RHETORIK  441 

wissen  wir  nicht.  M()glicli  ist  aber  auch,  dafs  er  oder  sein  Ge- 
währsmann gleichfalls  nur  eine  Vermutung  auf  Grund  jener  Piaton- 
stelle äußert;  eine  derartige  Schlußfolgerung  wäre  zwar  recht  kühn, 
aber  gewiß  nicht  undenkbar.  Die  Eigenart  des  Ausdrucks  nei&ovg 
drjjiuovQyog  für  eine  leblose  Teyvi]  hebt  ihn  ja  bei  Piaton  aus  seiner 
rein  dialektischen  Umgebung  so  deutlich  heraus,  daß  man  leicht  an 
ein  Citat  denken  konnte.  War  man  aber  einmal  auf  diesem  Wege 
und  mußte  Gorgias  aus  den  oben  genannten  Gründen  als  Vater  des 
ÖQog  ausscheiden,  so  blieb  keine  große  Auswahl  von  Namen  mehr, 
auf  die  man  raten  konnte.  Und  was  lag  da  näher,  als  diese  primi- 
tivste Definition  dem  ältesten  Handbuch  der  Rhetorik  zuzuschreiben? 
Aber  nehmen  wir  einmal  an,  sie  habe  in  Wirklichkeit  in  jener 
sagenhaften  reyvt]  ihren  Platz  gehabt,  so  konnte  sie  nur  zu  Anfang, 
in  einer  principiellen  Auseinandersetzung  über  das  Wesen  der  Be- 
redsamkeit vorgetragen  werden.  Da  erhebt  sich  aber  die  Frage,  ob 
wir  derartige  theoretische  Erörterungen  bei  den  äQp]yeTai  der 
rabuHstischen  Advokatenrhetorik  überhaupt  voraussetzen  dürfen,  Sie 
waren  zu  ihnen  sicher  nicht  mehr  befähigt  als  Gorgias,  so  sehr 
auch  Piaton  von  seinem  Standpunkte  aus  übertreiben  mag.  Piaton 
erhebt  noch  in  dem  später  verfaßten  Phaidros  das  Postulat,  daß  die 
Regeln  der  Didaktik,  vor  allem  die  auf  Einteilung  und  Begriffs- 
bestimmung hinzielenden,  bei  dem  —  erst  noch  zu  vollziehenden 
—  Aufbau  der  Rhetorik  angewandt  werden  müssen,  und  macht  der 
Vulgärrhetorik  zum  Vorwurf,  daß  sie  dies  bisher  versäumt  habe. 
Und  in  der  Tat  kennt  weder  die  Sophistik  und  erst  recht  nicht  die 
e/ujiEiQia  KOI  TQiß)'j  der  Gerichtsrede  jene  fast  fanatische  Sucht  des 
Definirens,  die  erst  die  Sokratik  beherrscht  hat.  So  zieht  es  ja 
auch  Gorgias  in  seiner  Helena  vor,  anstatt  einen  ogog  der  Rhetorik 
aufzustellen,  die  Macht  des  Xoyog  in  allen  Tönen  zu  preisen.  Und 
seine  Vorgänger  werden  sich  noch  weniger  auf  Abstraktionen  ver- 
legt haben  als  er. 

Wenn  man  trotzdem  fortfährt,  jene  Definition  im  platonischen 
Gorgias  nicht  als  ein  natürliches  Ergebnis  des  fiktiven  Gesprächs, 
sondern  als  ein  mit  Vorbedacht  angewandtes  Citat  zu  betrachten, 
so  wirkt  hier  die  Autorität  des  um  die  Erforschung  der  griechischen 
Rhetorik  so  hochverdienten  Leonhard  Spengel  nach.  Spengel  (Rhein. 
Mus.  XVIII  1863  S.  482)  hielt  es  für  ausgemacht,  daß  der  seltsame 
Ausdruck  nei'&ovg  drjfxiovQyog  von  den  Dorern  ausgegangen  sein 
müsse.  Denn  d^]jLuovQy6g  sei  in  unserm  Falle  nicht  mit  den  Lateinern 


442  fl-  MUTSCHMANN 

als  opifcx  (wie  es  u.  a.  Quintil.II  15,4  und  Ammian.Marcell.XXX4,3 
bei  der  Wiedergabe  unserer  Definition  tun),  sondern  als  „Leiterin, 
Herrin,  Schöpferin"  zu  fassen,  und  die  metaphorische  Redewendung 
sei  der  Sprache  der  Sophisten  durchaus  angemessen.  Wir  besitzen 
noch  immer  nicht  die  Biographie  des  Wortes  d)]/iuovQy6g,  die  seiner- 
zeit Paul  Wendland  gefordert  hat,  dürfen  aber  wohl  behaupten,  daß  es 
für  eine  specifisch  dorische  Bedeutungsnuance  dieses  Terminus  an 
Belegen  fehlt,  die  auch  Spengel  nicht  beigebracht  hat.  Was  aber 
die  Metapher  angeht,  so  ist  sie  Piaton  selbst  ohne  weiteres  zuzu- 
trauen. Haben  doch  spätere  Kritiker  (vgl.  z.  B.  negl  vif>ovg  c.  32 ff.) 
gerade  seine  übertriebene  Vorliebe  für  Metaphern  getadelt.  Der- 
selbe Autor,  der  im  Phaidros  (261 A)  die  ?Myoi  wie  lebendige 
Wesen  herbeicitirt,  konnte  auch  die  tsxv)]  personificiren  und  auf 
sie  die  Funktionen  ihres  Texvixrjg  übertragen.  Wir  dürften  das  ge- 
trost behaupten,  auch  wenn  uns  nicht  zwei  weitere  platonische 
Parallelen  zur  Verfügung  stünden. 

Im  Charmides  (174E)  bezeichnet  Sokrates  die  lazQiHrj  als  die 
vyieiag  di]juiovQy6g,  und  im  Symposion  (188  D)  lesen  wir:  xal  eoxiv 
av  fj  jiiavTixrj  cpiXiag  d^ewv  y.al  ärdgcoTicov  drjfxiovQyog.  An  der 
zeitlichen  Reihenfolge  Charmides  —  Gorgias  —  Symposion  wird  heute 
wohl  niemand  mehr  zweifeln.  Will  man  also  schon  einmal  eine 
Abhängigkeit  Piatons  annehmen,  so  liegt  es  doch  am  nächsten,  die 
Definition  der  Medicin  im  Charmides  als  das  Citat  und  die  beiden 
andern  Stellen  als  dessen  freie  Nachbildungen  aufzufassen.  Dann 
hätte  Piaton  nicht  eine  rhetorische,  sondern  eine  medicinische  tech- 
nische Schrift  benutzt,  etwa  eine  jener  Abhandlungen  jieQi  reyvtjg, 
wie  sie  durch  die  theoretischen  Debatten  der  Sophistenzeit  in  Masse 
hervorgebracht  wurden.  Daß  Piaton  sich  schon  im  Gorgias,  der 
nicht  allzulange  nach  dem  Charmides  verfaßt  sein  kann,  mit  der 
medicinischen  Literatur  wohlvertraut  zeigt,  hat  vor  kurzem  Pohlenz 
(Aus  Piatos  Werdezeit  S.  135  ff.)  überzeugend  erwiesen.  Seine  Aus- 
führungen erhalten  durch  die  nunmehr  festgestellte  Beziehung  der 
Charmides-  und  Gorgiasstelle  einen  tiefern  Hintergrund. 

Wir  können  aber  ferner  noch  verstehen,  weshalb  Piaton  zu  dem 
metaphorischen  Ausdruck  griff,  wobei  es  gleichgültig  bleiben  kann, 
ob  er  zu  ihm  durch  eine  medicinische  Schrift  angeregt  wurde,  oder 
ob  er  ihn  selbst  geprägt  hat.  An  allen  drei  Stellen,  an  denen  er 
ihn  anwandte,  lag  es  ihm  gar  nicht  daran,  eine  regelrechte  Defi- 
nition   der  betreffenden  rexn]    aufzustellen,    sondern    er  wollte  nur 


DIE  ÄLTESTE  DEFINITION  DER  RHETORIK  443 

deren  Wirkungskreis,  ihre  Jigä^ig  und  ihr  egyov,  vorläufig  ab- 
grenzen, ohne  etwas  über  ihren  Charakter  zu  präjudiciren.  Er 
hätte  es  sonst  kaum  vermeiden  können,  die  schwierige  Frage  zu 
erledigen,  ob  jene  re'pn)  denn  eine  Ejnox'ijiurj  sei  oder  nicht.  Dieses 
Motiv  wird  im  Gorgias  beim  Fortgang  des  Dialogs  besonders  deut- 
lich. Denn  es  stellt  sich  zum  Schluß  heraus,  daß  Gorgias  irrtüm- 
licherweise in  der  Treidco  das  xerpdXaiov  der  Rhetorik  erblickt  hat, 
während  es  doch  die  xoXaxeta  ist  (463 B).  Die  Rhetorik  ist  no- 
}.niy.)~jg  juoQiov  eldcoXov  (463  D)  und  deshalb  nicht  einmal  eine 
re/vi],  sondern  nur  eine  Schein-  und  Afterkunst,  eine  ifuieiota  y.al 
XQtßri  (463  B.  465  A).  In  Ermangelung  eines  Oberbegriffs,  der  so- 
wohl die  TEyvi]  als  auch  die  ejujieiQia  umfaßt,  hat  Piaton  zu  dem 
bildlichen  Ausdruck  dt]jiuovQy6g  gegrifTen,  den  er  vielleicht  einem 
medicinischen  Schriftsteller  entlehnte.  Dann  wäre  diese  Bedeutung 
des  Wortes  aber  nicht  dorischen,  sondern  ionischen  Ursprungs. 

Nach  dem  Gesagten  ist  die  Bezeichnung  der  Rhetorik  als  der 
neid^ovg  d7]/.aovQy6g  nicht  die  älteste  Definition  der  Redekunst,  ja 
vielmehr  überhaupt  keine  Definition,  sondern  nur  eine  vorläufige 
Feststellung,  durch  die  die  erste  Phase  der  Untersuchung  im  plato- 
nischen Gorgias  folgerichtig  abgeschlossen  wird.  Mit  Korax  und 
Tisias  hat  sie  gar  nichts  zu  tun.  Und  es  steht  zu  befürchten,  daß 
sie  nicht  das  einzige  Fragment  des  ersten  Handbuches  der  grie- 
chischen Rhetorik  bleibt,  das  sich  bei  näherm  Zusehen  in  Nebel 
auflöst. 

Königsberg  i.  Pr.  f  HERMANN  MUTSCHMANN. 


MISCELLEN. 


DER  SGHLUSS  DER  ODYSSEE  UND  APOLLONIOS  VON  RHODOS. 

Ed.  Meyer  ist  in  d.  Z.  LIII  1918  S.  334  auf  seine  Vermutung 
(in  d.Z.  XXIX  1894  S.478)  zurückgekommen,  Apollonios  von  Rhodos 
habe  im  Schlußverse  seines  Argonautenepos  den  Homervers  y.>  296 
nachgebildet,  den  Aristophanes  von  Byzanz  und  Aristarch  für  das 
Ende  der  Odyssee  erklärt  hatten.  Auch  v.  Wilamowitz  (Ihas  und 
Homer  12)  hat  sie  aufgenommen,  als  etwas  Selbstverständliches 
und  allgemein  Anerkanntes  hingestellt  und  die  kühne  Schlußfolge- 
rung aus  ihr  gezogen,  daß  es  damals  Handschriften  der  Odyssee 
gegeben  habe,  die  nicht  weiter  reichten  als  bis  if  296.  Dadurch 
gewinnt  sie  weittragende  Bedeutung  für  die  Überlieferungsgeschichte 
Homers,  und  es  würde  mich  nicht  wundern,  wenn  sie,  von  zwei 
solchen  Gelehrten  vertreten,  bald  'Allgemeingut  der  Wissenschaft' 
würde  und  weiteres  Unheil  anrichtete.  So  ist's  Zeit,  gegen  sie 
Verwahrung  einzulegen. 

Sie  ist  unrichtig.  Aristophanes'  Bemerkung  ist  fein  und  tref- 
fend :  die  Wiedervereinigung  des  so  lange  getrennten  Paares  ip  296 
sei  ein  befriedigender  Abschluß  des  Odysseusabenteuers 
äoTidoioi  XexTQOio  ztalaiov  ^sojuöv  ixovro. 
Apollonios  schließt  sein  Epos  mit  einer  Anrede  an  die  Argonau- 
ten: 'ich  bin  nun  am  Ende  eurer  Mühen,  denn  jetzt  von  Aigina 
ab  gingt  ihr  ohne  Gefahren  bei  Aulis  vorbei  in  die  Heimat 

äoTiaoicog  anrag  Uayaoyiöag  eioa7ieß}]TE.' 
Stimmung,  Gedanke,  Form  sind  von  der  Odysseestelle  grundver- 
schieden. Was  in  aller  Welt  konnte  jemals  auch  den  Gelehrtesten 
an  tp  296  erinnern?  Ich  lernte  die  Behauptung,  Apollonios  ahme 
diesen  Vers  nach,  erst  aus  Wilamowitz'  kurzer  Notiz  kennen :  lange 
habe  ich  ratlos  vor  dem  Rätsel  gesessen.  Ebenso  ging  es  meh- 
reren Philologen  von  Ansehen.  Wir  verglichen,  aber  wir  begriffen 
nicht,  daß  aus  dem  einzigen  Worte  äonaoicog  —  äoTcdoioi  solcher 
Schluß  gezogen  werden  könne.  Ich  behaupte,  den  zeitgenössischen 
Lesern  des  Apollonios  kann  hier  sowenig  wie  uns  auch  nur  die 
leiseste  Erinnerung  an  die  Odyssee  und  diesen  Vers  gekommen  sein. 
Hätte  Apollonios  die  ihm  untergelegte  Absicht,  seine  Leser  an  ihn 
zu  erinnern,    gehabt,    so   hätte  er  ja  so  leicht  seinen  Schluß  jener 


MISCELLEN  445 

Odysseusslelle  parallelisiren  können:  brauchte  er  doch  nur  mit  dem 
Beilager  lasons  und  Medeias  zu  schhefaen^). 

Aber  tp  296  hat  niemals  am  Schlüsse  unserer  Odyssee  ge- 
standen. Wer  das  co  streicht,  muß  doch  alle  Stellen  streichen,  die 
es  vorbereiten,  d.  h.  alle,  die  von  Laertes  als  einem  Lebenden  und 
Harrenden  reden.  Ihrer  sind  doch  nicht  ganz  wenige  und  sie 
ziehen  sich  durch  das  ganze  Epos  hin.  Z.  B.  werden  Laertes', 
Penelopes,  Telemachs  Klagen  und  Sehnsucht  nach  Odysseus  <5  111 
ebenso  zusammengefaßt  wie  ^  173,  und  wie  selbstverständlich  wird 
er  n  302  neben  Penelope  genannt,  an  ihn  will  sie  sich  in  ihrer 
Sorge  um  Telemach  wenden  ö  738,  seine  einsame  Trauer  schil- 
dert Eumaios  o  353  und  im  Hades  Antikleia  X  187,  und  da  wird 
das  Bild  von  seinen  Kasteiungen  im  Fruchtgarten  fern  der  Stadt 
entworfen,  das  im  co  ausgeführt  ist.  Wer  so  den  Leser  vorbereitet, 
der  will  von  Laertes  etwas  erzählen,  der  will  auch  ihm  wie  der 
Penelope  den  Odysseus  zuführen.  Darüber  ist  man  doch  nie  in 
Zweifel  gewesen.  Wie  aber  ist  dann  die  Athetese  des  Odyssee- 
schlusses möglich?  Sollen  wir  wirklich  glauben,  der  kluge  Aristo- 
phanes  habe  diese  Verbindungslinien  nicht  gesehen  oder  habe  trotz- 
dem sie  durchschnitten?  Was  gibt  uns  das  Recht,  ihn  für  blöder 
und  täppischer  zu  halten  als  den  Durchschnittsphilologen  von  heute? 
Also  darf  man  nicht  glauben,  daß  er  in  ip  296  den  Schluß  der 
Odyssee  gesehen  und  den  Rest  nur  als  gewissenhafter  Philologe 
trotzdem  weitergegeben  und  kritisch  behandelt  habe.  Das  Scholion 
rovTO  TsXog  vijg  ^Odvooelag  (prjolv  'AgioxaQ^oi;  xal  "AQiojocpdvrjg 
muß  etwas  anderes  bedeuten.  Herr  Heinze  hat  daraufhin  zuerst 
die  Vermutung  geäußert,  Aristophanes  habe  gesagt,  die  Wiederver- 
einigung des  Ehepaares  sei  das  Ziel,  auf  das  die  Dichtung  hin- 
strebe, vom  Ende  des  Buches  sei  keine  Rede.  Ich  kann  dem  nur 
zustimmen.    Unsere  Odyssee  ist  so,  wie  sie  uns  vorliegt,  eine   Ein- 

1)  Will  man  durchaus  im  letzten  Apolloniosvers  einen  Anklang  an 
die  Odyssee  finden,  so  empfiehlt  sich  vielmehr  xp  238  aonäoioi  ö'  sjießav 
yalrig  xaxÖTrjxa  (pvyövrsg,  aus  dem  schönen  Vergleich  der  Freude  Penelopes, 
die  ihren  Gatten  sicher  im  Arm  hält,  mit  der  Freude  der  SchiflF brüchigen, 
die  nach  vielen  Mühen  und  Gefahren  dem  Meere  entrinnen.  Da  ist 
Stimmung  und  Gedanke  ähnlich  und  ein  etwas  stärkerer  wörtlicher  An- 
klang. —  Daß  Demetrios  von  Phaleron,  weil  er  mit  Hermipp  bei  Stobäus 
Flor.  V  43  Hense  (Bd.  II  p.  269)  ip  296  ob  seiner  ococpgoavvrj  bewunderte, 
ihn  'offenbar  als  Schlußvers  der  Odyssee'  gelesen  habe,  wird  doch  hofient- 
lich  niemand  unterschreiben. 


446  MISCELLEN 

heit  und  will  es  sein,  mag  man  auch  noch  so  sehr  den  Mann 
schelten,  der  sie  so  gestaltet  hat.  Das  haben  die  Alten  anerkannt. 
Es  hat  sicher  früher  manche  Odysseegeschichte  gegeben,  aber 
unsere  Odyssee,  als  Einheit  mit  Bewußtsein  und  sicherer  Compo- 
sitionskunst  ins  Große  aufgebaut  und  in  ihren  Einzelteilen  sorg- 
fältig verklammert,  ist  niemals  weder  kürzer  noch  länger  noch 
sonstwie  anders  gewesen,  als  wir  sie  lesen,  von  nichtssagenden 
Kleinigkeiten  abgesehen. 

'Ajii£vi]va.  yAgrjva  sind  beide,  die  schwanzlose  Odyssee  so  gut 
wie  die  Apolloniosimitation  von  tp  296:  mögen  sie  nicht  mehr  lange 
im  Lichte  der  Wissenschaft  herumspuken! 

Leipzig.  E.  BETHE. 

ZU  SENEGAS  HERGULES. 
Es  scheint  noch  nicht  beobachtet  worden  zu  sein,  daß  in  dem 
Ghorlied  560  ff.  zwei  Verse  umgestellt  werden  müssen.  Jetzt  lesen  wir: 
hie  qiii  rex  ipoyulis  plurihus  imperat, 
hello  eum  peteres  Nestoream  Pylon, 
teeum  eonseruit  pestiferas  manus 
telum  tergemina  cuspide  praeferens, 
effugii  tenui  vidnere  saucius 
et  mortis  dominus  pertimuit  mori. 
Danach  würde  Pluto  eine  Waffe  mit  dreifacher  Spitze,  also  den  Drei- 
zack, geführt  haben,  der  aber  nicht  ihm,  sondern  dem  Poseidon  eignet. 
Wohl   aber  führt   eine  solche  Waffe,  nämlich  einen  Pfeil  mit  drei- 
facher Spitze,  Herakles  in  dem  Homerischen  Vorbild  ^392 ff.: 
jXrj  <5'  "Hqt],  öre  juiv  y.Qareoög  Jidig  'Ajuq)itQva)vog 
deicrsQov  xaid  /uaCov  öiozcöi  rQiyXoiy^ivi 
ßeßXrjxei'  röte  xai  fxiv  ävrjxeoxov  }Aßev  äXyog. 
xXrj  d'  'Aidi]g  ev  toXol  nelcogiog  (hxvv  öioröv, 
evre  juiv  covrög  ävrjo,  viög  Aiog  aiyiö^oio, 
ev  JJvXoiL  EV  vsHVEooi  ßaXcov  ddvvtjiaiv  edcoxev. 
Es  ist  also  zu  lesen: 

hello  eum  peteres  Nestoream  Pylon 
telum  tergemina  cuspide  praeferens, 
tecum  eonseruit  pestiferas  manus. 
Die  fast  gleichen  Versanfänge  telum,  tecum  haben  die  Verwirrung 
veranlaßt. 

Halle  (Saale).  G.  ROBERT. 


REGISTER. 


Aera,  makedonische  102  flF. 
AggregatzAistände  bei  Lukrez  197  ff. 
Akonitis,  Insel  339  f. 
Alexandros,  S.  d.  Amyntas  129. 
Annaeus  Serenus  193  ff. 
M.  Annius  102  ff'. 
Anthol.  Pal.  V  133:  434ff. 
Antonius  bei  Philodem  381  ff. 
Apollonios,  Argon.,  Schlufsvers  334. 

444  ff 
Apuleius,  Wundergeschichten  244  ff. 
Argeios  v.  Keos  118  ff. 
Argos,  axvTa?uofi6c:,  94  ff. 
Argos  in  Makedonien  103 f. 
Athen,  Vertrag  mit  Chalkis,  107  ff'. 
Athenaios  XIV  630  E ff.:  6. 

Bakchylides,  Lebenszeit  140ff.;  Ver- 
bannung 145  ff. ;  Ordnung  des  Nach- 
lasses 13!^);  'Eyy.ojftia  137  ff'.;  — 
(I.  II):  118f.;  (Vli.  VIII):  119ff; 
(XI II):  142 ff".;  (Ox.  Pap.  fr.  1  an 
Amyntas:  125ff.;  (fr.  4  an  Hieron): 
130  ff;   (fr.  5):  134  fl.;  (fr.  12):   137. 

Bündnismünzen,  großgriech.  180  ff". 

Caecina  Paetus  83. 
Chalkis,  Vertrag  mit  Athen,    107 ff. 
Christodoros  IJdzQ.  Kiovot.  343  f. 
Clemens  Alex.,  Xenophoncitate  105  ff. 
—  (Paedag.  I  7,  55):  106 f. 

Darai,  Kastell,  342. 

Ö7]/iuovQyög  440  ff. 

Demokrit.  u.Platon416f.,7r.^<a}'<'j;?59. 

diaqpegeiv  zirl  „Eigentum  sein":  91  ff. 

Drusus  Castor  217  ff'. 

Elegie,  ionische,  5.  298  ff 
Empedokles,  Einfluß  auf  Hippias  48  f. 
iujTsigi'a  u.  te'^'V  411. 
Epikur.  Götterlehre  358  ff. 
ijiiordztjc  der  Prytanen  314  f. 
Erigonefest  in  Athen  152. 
iodosiev  86. 

Gemmen  mit  MNHI&H  88  fl^ 
y7]zsiov  170  f. 

äyiazvg  152. 

IV  xal  ravröv  370  ff. 

Helvius  Honoratus  Pontius  221  ff. 


Herniolaos,  Epitomator  des  Steph. 
Byz.  347  f. 

Hippias  V.  Elis45ff. ;  Verhältnis  zu 
Empedokles  48,  zu  Protagoras  52; 
TQOiixog  49  ff. 

Hippokrates,  Stellung  zur  Philoso- 
phie 40.-. ff'.;  Einfluß  auf  Piaton 
409 ff.;  Textgeschichte  r>7 ff.  40üff.; 
.T.  ägyairj?  lazQ.  20.  39tjff'.,  Abfas- 
sungszeit 420;  jraQayyF.Xiai,  Abfas- 
sungszeit 412;  XIX.  Brief  (.t^.  ^la- 
vu]?)  57  ff'.  399  ff. 

iJT.-zöfiaxot  289. 

Honieriden  335  f. 

6'/L(oiov  etJTEiv  387. 

vßoig  273  ff'. 

Hygin  (fab.Jl):  224. 

vTisQßaivsn',  vn:£(),kwig  bei  Epikur  365. 

Icherzählung  233  ff.  242  ff.  249  ff. 

Inschriften,  griech. :  Athen  (IG  I 
Suppl.  27a)  i07ff.;  Keos  (IG  XII 
5,  60S):  113 ff-.;  Delphi  (Dittenb. 
Syll.  13  452)  112;  Lete  (Dittenb. 
Svll.r-318)  102ff;;  Thermon436ff.; 
lät.  (CIL  III  24):  424ff'.;  (VI  9783): 
211  ff  (31865):  432;  (VIH  24587): 
432. 

lulianus,  Philosoph,  211  ff. 

Uovaziviavai  344  f. 

Keos.  Siegerliste,  113  ff. 
Kallimachos^rr/a,neuesFragm.ll4ff. 
Kallinos   298   A.  1;   (fr.  1,  17)    292; 

(2)  298  A.  1;  (3.4)  298  A.  3. 
Kleisthenes  315  f. 
Krateuas,  Arzt,  81  ff. 

Lachon  v.  Keos  118  ff. 

}.7^ög  für  ladg  290  ff. 

Lete,  Ehrendekret.  102  ff: 

Liparion  v.  Keos  123  f. 

Lucilius,  Freund  des  Seneca,  196. 

Lucretius  (II  444ff.):  197. 

Lukian.  (PLXo^<£v8eTg  2A(!){.\  Ps.-,  Jou- 

xiog  i]  "Orog  225 ff'.;  Technik  260f.; 

Motive  der  Volkserzählung  257  ff. 
Lukios  von  Patrai  226  ff. 
Lysias  'OXvfci.  220  f. 

fiavca  12  S. 

Mimnermos,  Charakter 303 f. ;  Lebens- 
anschauung 278 ff.;   Nanno  300 f.; 


448 


REGISTER 


Aulet  283;  Buchzahl  302 f.:  Ge- 
dicht auf  die  Schlacht  mit  Gyges 
21)6  ff. ;  ifr.  9 ) :  262  ff. ;  (fr.  10) :  284  ff. ; 
(fr.  14) :  287  ff. 

fxvr]o&>]  auf  Gemmen  88  ff. 

Municipalbeamte,  röm.,  Alter  221ff. 

Nikander, Lebenszeit  110 ff.;  Hymnos 
auf  Attalos  Ulf. 

Odyssee,  urspr.  Schluß,  384.  444 ff. 
'Oqsoteioc  yÖE?  151. 
Orestis,  Landschaft,  103  f. 
Ovid,     Rahmen    und    Verknüpfung 
174 ff.;  (Met.  VI  313 ff.):  236 ff. 

Paetus  Caecina  83. 

Papyri  Hercul.  Demetr.  Lakon  (1055) 
379,  s.  auch  Philodem ;  Amh.  (II 64) : 
426  A.5.  428ff.  Oxyr.  (II  237):  43L 
(XI  1362):  125  ff. 

Paulinus,   praefectus  annonae,    188. 

Pausanias,  spart.  König,  über  Ly- 
kurg 8  A.  1.     ^ 

Tieidovg  dt]/j.iovQy6g  440  ff. 

Peleus,  Tod  auf  Ikos,  168  f. 

m~]f(n  in  der  Orakelsprache  275  f. 

Petrou,  Wundererzählungen,  243  f. 

Petros,  byzant.  Historiker,  340  f. 

Philodem,  Abfassungszeit  v.  Jt.  &ewv 
382ff.  —  .T.  svaeß.  (80  p.UO):  375.  | 
(83  p.  113):  377  f.  (118  p.  134):  1 
361.  (122.  123  p.  137  f.):  378;  n. 
^Ewv  (4):  384.  (2.5):  381  ff.;  -t.  ^ecbv 
dycoyfjg  (Col.  III):  385.  (IV):  385  f. 
(V.  VI):  386.  (VIII):  364 f.  386. 
(IX):  387.  (Xff.):  366  ff'.  379  ff  387. 
(fr.  1):  381.  (fr.  4):  385 f.  (5.  6.  8): 
386.  (9.  10):  387.  (78):  387 f.  (81): 

388.  (82):   384  f.    388  f.   (83):    385. 

389.  (84):  389.  (86  a.  87):  38-5.  (102): 
389.  (103):  390.  (105):  390  f.  (116): 
391.  (117):  .391f.  (119):  392.  (121. 
122):  393.  (123):  393  f.  (124):  394. 
(125): -394  f. 

Phlegon  Mirab.  247  f. 

q;voig,    verschiedene  Bedeutung    bei 

den  Philosophen  377. 
Pindar  (Nem.  II  1  ff'.):  330f.  (fr.  124) : 

128  f. 
Piso,   Cäsars   Schwiegervater,  382  f. 
Piaton,  Verhältnis  zu  Demokrit  417  f. ; 

zu  Hippokrates  409  ff.  —  (Charmid. 


174 E):  442.  (Gorg.  4.53  A):  440ff. 
(465 A):  410f.  (Hipp.  mai.  281 C): 
54.  (304 A  B):51ff.(Leg.IV.720ff): 
409.  (1X857  D):  409 f.  (888  D):  415  f. 
(889  C):  416.  (Lys.  214  B):  47. 
(Phaedr.  270  0):  405.  (Protag. 
337 D):  47.    (Sympos.  188 D):  442. 

Pollis  bei   Kallimachos  150  f.  173  f. 

Pontios  V.  Curubis  221  ff. 

Poseidippos  d.  Epigrammatiker,  Hei- 
mat u.  Lebenszeit  434  ff. 

Properz,  Nachahmer  des  Mimnermos 
3U4f.;  Verknüpfung  177  f. 

Ptolemaios,  Commentator  des  Bak- 
chylides  124  f. 

Pythagoreer,  ihre  Katastrophe  185 ff. 

Rhapsoden  330  ff. 
Rhetorik,  Definition  440  ff. 
ov&uög  325  ff. 

Seneca,  Abfassungszeit  von  Dial.  2.  8. 
9:  193 ff.;  von  10:  188 ff.  (Herc. 
560 ff.):  446. 

Sisenna,  Milesiaca  253  f. 

oy.vTahauog  in  Arges  94 ff. 

Smyrna,  Verhältnis  zu  Ephesos,263f. 

Solon,  von  Lysias  citirt,  220f. 

oöjua  ,das  Wirkliche''  46. 

Stephanos  v.  Bvzanz,  Lebensstellung 
338 f.;  Abfassungszeit  d.  Ethnika 
337 ff.  (v.  'Aöo.):  349 ff.  C^ßYog): 
103.  [Baß.):  351  ff.  {Aovg):  355 f. 
(Savoou.):  351.  {Svy.ai):  344 f.  {Ta- 
uia&ig):  345 ff  (WvUa):  356 f. 

Strabon  (XIV  633):  262  ff  284. 

Suidas  (v.  'Eo/nö/.aog)  347  ff. 

Ser.  Sulpicius  Similis  422 ff. 

Sybaris  180  ff. 

rsyv))  U.  £jii::zEiQca  411. 

OEov.-io?ug  —  Antiocheia  342  f. 

Themistokles ,  Parteistellung  308ff. 

Tlesimenes,  S.  d.  Parthenopaios  224. 

Turraoius,  praefectus  annonae,  187  ff. 

Tyrtaios  Iff.;  Name  4  A.2.  43 f.;  Au- 
let 283  A.  1.  -  (fr.  5):  286.  (10 A): 
I2ff  (lOB.  11):  19ff  (12):  31ff. 

Xenophon  Kvvtjysnxog  317  ff. ;  Citate 
bei  Clem.  Alex.  105  ff. 

Zwiebel,  kathartisch,  170f. 


"Weimar.  —  Hof- Buchdruckerei. 


0 


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3 

H5 
Bd.  53 


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